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Nemos Vermächtnis

Eine "Operation Nautilus" FanFiction
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
[Operation Nautilus - von Wolfgang Hohlbein] Zur Geschichte: Meine Geschichte handelt auf der Basis der Buchreihe "Operation Nautilus" von Wolfgang Hohlbein, die in 12 Bänden erschienen ist. Darin werden in 12 abgeschlossenen Geschichten, die Abenteuer von Mike und seinen Freunden erzählt. Mike ist ein Waisenjunge und lebte bis zu seinem 16. Geburtstag in einem Internat in England zu Beginn des 20ten Jahrhunderts (1913 in Band 1) , bis zu dem Tag als der Vater seines besten Freundes an geheime Briefe von Mikes Vater gelangt und ihn entführt, um an dessen Erbe zu kommen. Denn Mike erfährt, dass der legendäre Kapitän Nemo sein Vater war und sein Leben verändert sich grundlegend. Die in meiner Geschichte bestehenden Beziehungskonstellationen sind nur Teil meine Fanfiktion und gibt es so da nicht. ;) Komplett anzeigen

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Prolog

Wie oft in deinem Leben hast du ein Buch gelesen, es dann achtlos in den Schrank gestellt und ihm dann nie wieder Beachtung geschenkt? Was ist, wenn ich dir jetzt sagen würde, dass dieses Buch maßgeblich den Verlauf deines Lebens bestimmen wird?

Würdest du den Kopf schütteln und mir sagen: „Es ist doch nur eine Geschichte.“?

Ja? Dann lass mich dir von ihm erzählen:
 

Fasziniert starrte Mike das Buch an, es war in dunkles Leder gebunden und die dünnen Seiten knisterten unter seinen Berührungen. „20 000 Meilen unter dem Meer“ lass er still; sanft fuhren seine Fingerspitzen über den Titel.

Er kannte es gut, denn er hatte es in seiner Zeit auf dem Internat, welches er besuchte oft gelesen. Die Geschichte von dem unglaublichen Unterseeboot „Nautilus“ und dessen mysteriösen Kapitän Nemo ließen ihn in eine fremde Welt fliehen, fern von dem strengen Jungeninternat Anfang des 20ten Jahrhunderts. Doch es war eben nur das, eine Geschichte.

So dachte er zumindest.

Bis zu dem Tag, kurz vor Weihnachten neunzehnhundertdreizehn, an dem er sich eigentlich noch für einen ganz normalen Jungen hielt. Er war zwar Waise, aber verglichen mit anderen, hatte er es gut in seinem Leben. Sein Vater war ein vermögender Inder gewesen und hatte gut für ihn vorgesorgt. An seinen Tod und den seiner Mutter, eine junge Engländerin, erinnerte er sich nicht, er war noch zu klein gewesen.

Es war der Tag, an dem er entführt wurde und in den folgenden Wochen sollte er feststellen, dass sein ganzes bisheriges Leben eine Lüge war. Selbst sein Name. Falsch, einfach falsch.

Er war nicht Mike Kamala, sondern Prinz Dakkar, der Sohn eben dieses Kapitän Nemo aus dem Buch.

Es war alles wahr. Und hier stand er nun, im Salon auf der berühmten Nautilus und hielt das Buch in der Hand, welches sein Vater in Auftrag geben ließ, um ihm ein normales Leben zu sichern. Fern von dem Schicksal eines ewig Gejagten, der ruhelos durch die Weltmeere fuhr. Mit Besitz der Nautilus, erbte man auch die Verantwortung die sie umgab, denn in den falschen Händen, wäre diese Technologie in der Lage die Welt zu zerstören.

So viel Mühe sich sein Vater auch gegeben hatte, es hatte nichts genutzt. Der Vater seines besten Freundes, Kapitän Winterfeld, fand heraus wer Mike wirklich war und er wollte nur eins: dessen Erbe.

Mike strich sich eine Strähne seines schwarzen Haares aus dem Gesicht und ließ den Blick durch den Salon gleiten. Ja, er hatte sein altes sicheres Leben verloren, aber dafür hatte er etwas sehr Wertvolles bekommen:

Freunde, die jederzeit für den anderen einstehen würden.

Der Spanier Juan, der stets maulige Ben und das jüngste Mitglied der Crew Chris, waren wie er Schüler von Andara-House gewesen und sie konnten sich damals nicht einmal leiden, doch sie sollten sein Schicksal teilen. Manchmal ist man einfach am falschen Ort, oder eben genau am richtigen. Das kommt auf den Standpunkt an.

Dann war da noch Trautman. Er war quasi ihr Kapitän und kannte die Nautilus beinahe sein ganzes Leben lang, da er schon zu Nemos Zeiten dieses Schiff sein Zuhause nannte. Der alte Mann war wohl der einzig wahre Freund, den sein Vater je hatte und er machte es sich nach dessen Tod zur Aufgabe, die Nautilus zu bewachen.

Es war eine bunt zusammengewürfelte Familie, die er hier besaß, und die außergewöhnlichsten Mitglieder waren wohl Serena und ihr Kater Astaroth. Sie war eine echte atlantische Prinzessin und die Geschichte, wie sie sie auf dem Meeresgrund schlafend fanden, war einfach nur zu fantastisch und würde hier den Rahmen sprengen.

Doch der wichtigste Mann von allen, war er: der Inder Ghunda Singh.

Mikes Herz schlug schneller als er ihn heimlich musterte und er dachte daran, wie sie sich kennenlernten. Ohne Singh wären sie alle jetzt nicht auf der Nautilus. Wahrscheinlich wären sie in alle Himmelsrichtungen verstreut, einsam und allein, oder sogar tot.

Es war Singh, der sie alle aus den Fängen Winterfelds befreite und sie zu Trautman und der Nautilus führte; und damit ihr großes Abenteuer eröffnete.

Der Inder musste sein Starren gespürt haben, denn er drehte sich auf seinem Stuhl am Radar um und lächelte Mike warm zu. Er öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, kam jedoch nicht weiter als ein schrilles Piepen von seiner Konsole erklang.

„Was ist los?“, rief Trautman und stellte sich neben Singh, dessen Gesicht sich verdüstert hatte.

„Da kommt etwas auf uns zu.“

Mikes Muskeln spannten sich bis zum Zerreißen an.

„Es ist Winterfeld und die Leopold!“

Achtlos ließ Mike das Buch fallen und lief zu seiner Station.

Es begann also; die Geschichte schrieb ihre neuen Zeilen.

Teil 1

Der Wind peitschte ihnen an Deck der Leopold um die Ohren und trieb ihnen den Regen beißend in die Augen. Nachdem die Nautilus seit Tagen in ein Katz-und Mausspiel mit dem deutschen Kriegsschiff „Leopold“ verwickelt war, war es diesem nun gelungen das Unterseeboot einzuholen. Der hoffnungslosen Situation hingegeben wurde die kleine Besatzung der Nautilus an Deck der Leopold zusammengetrieben.

Verbitterung sah Mike, der der Sohn des legendären Kapitän Nemo und somit der Erbe der Nautilus war, in den Gesichter seiner Freunde. Ben, der stets mürrische Engländer; Juan und das jüngste Mitglieder der Crew Chris und Serena, die die Prinzessin der gesunkenen Stadt Atlantis war. Vor allem galt seine Aufmerksamkeit aber ihrem Kapitän Trautman, der für sie alle so etwas wie eine Vaterfigur war und Singh, Mikes Leibwächter, mit dem ihm eine besondere Beziehung verband.

Die Stahltür der Decksaufbauten flog auf und mit großen Schritten und einem breiten Grinsen im Gesicht kam ihnen der Kommandant der Leopold, Kapitän Winterfeld entgegen.

„Es ist mir eine Ehre sie alle hier an Bord begrüßen zu dürfen.“, sagte er, nachdem er wenige Meter vor der kleinen Gruppe stehen blieb. „Natürlich wäre es mir lieber gewesen, wenn die Umstände andere gewesen wären, aber ich hatte Ihnen bereits angeboten mir einfach ihre Technologie zu überlassen!“

Trautmans Gesicht verdunkelte sich. Er straffte sich und sein Alter gab seiner Entschlossenheit keinen Abbruch.

„Und ich hatte Ihnen bereits erklärt, dass das nicht möglich ist. Keine Nation der Welt sollte in Besitz der Technologie sein die die Nautilus beherbergt. Die Folgen könnten katastrophal sein!“

Wenn Winterfeld enttäuscht war, dann ließ er es sich nicht anmerken. Aber wieso sollte er auch enttäuscht sein, lag doch alles was er wollte geradezu vor ihm.

Er lächelte nur triumphierend.

„Kapitän Trautman, wie sie vielleicht schon gemerkt haben sind sie nicht gerade in der Position Forderungen zu stellen.“

Seine Stimme wurde leiser und beiläufig wischte er sich den Regen aus dem Gesicht.

„Ganz im Gegenteil, Trautman. Ich weiß das wir beide Landsleute sind. Ist ihnen bewusst, dass sie ihr Land verraten, wenn sie uns die Technologie nicht aushändigen?“

Mike spürte wie sich die Luft vor Spannung immer mehr aufladen zu schien und seine Muskeln verkrampften sich. Hilfesuchend blickte er in Singhs Augen, seine direkte Anwesenheit gab Mike Kraft und Zuversicht.

Ein Donner grollte und dann ein Blitz. Wortfetzen drangen an Mikes Ohr.

„Kapitän, wir sollten Ihm zeigen wie wir mit Verrätern umgehen!“

Mike sah etwas glitzern und sein Körper bewegte sich geradezu von selbst. Dann zog ein greller Schmerz durch ihn.

Mike begriff zuerst nicht was los war. Wie durch zähen Sirup nahm er die Situation war. Er stand vor Trautman, der Regen, der Schmerz und etwas Warmes schien an ihm herunter zu laufen.

Entfernt nur nahm er entsetzte Stimmen wahr.

Langsam glitt sein Blick an sich herunter. Wie durch einen dünnen Vorhang sah er das Messer, das so eben aus der klaffenden Wunde gezogen wurde. Ungläubig, als wäre dies kein Teil von ihm, wanderten seine Fingerspitzen zu seinem Bauch. Als er sie zitternd zurückzog war alles Rot von Blut. Die Blase um ihn herum zerbarst und die Ereignisse prasselten nun auf ihn ein.

Ein Stöhnen entfuhr ihm, als seine Beine unter seinem Gewicht zusammensackten.

„Mike!“

Mike nahm nur am Rande war, wie Trautman ihn auffing und langsam zu Boden gleiten lies. Das Gesicht seines Kapitäns über ihm verschwamm immer wieder, während der Regen unaufhörlich auf sein Gesicht trommelte.

Singh erwachte als erster aus der Starre. Er riss Mikes Hemd auf und den Bruchteil der Sekunde stockte er als er die Wunde sah, dann drückte er einen Stofffetzen auf diese.

Das Blut quoll weiter aus der Wunde und verband sich mit dem Regenwasser auf Deck zu einem roten Rinnsal, doch er würde einen Teufel tun und Mike einfach so gehen lassen!

„Mike!“, rief er. „Du musst wach bleiben, hörst du?!“

Mike sah ihn aus glasigen Augen verständnislos an.

„Ich bin müde.“, flüsterte er schwach und kaum hörbar. Seine Augenlider waren so schwer wie Beton und es war einfach nur ein angenehmer Gedanke sie zu schließen.

„Nein.“, entfuhr es Trautman und schlug Mike mit der flachen Hand leicht auf die Wange. „Mach die Augen auf, Junge. Hörst du? Bleib hier!“

Mike spürte nichts mehr, außer das stetige Trommeln des Regens das am Rande seines

Bewusstseins klopfte. Er dachte immer sterben sei etwas Schreckliches, begleitet von Höllenqualen, doch er fühlte wie alles negative wie Angst und Schmerz langsam von ihm weg glitt und etwas neuem Platz machte, dass sich fast friedlich anfühlte.

Dann waren da grobe Hände.

Dann war ihm als würde er kurz fliegen. Nein, jemand musst ihn hochgehoben haben.

Die Unterlage war eine andere. Statt hart und kalt, jetzt weich und kalt.

Dann war da kein Regen mehr.

Teil 2

Die Trage war nicht einmal Sekunden im Bauch des Schiffes verschwunden, da sprang Singh auf, ergriff Winterfeld am Kragen und drückte ihn unbarmherzig gegen die Wand.

„Dafür werden sie bezahlen! Das schwöre ich!“, zischte er und in seinen sonst so sanften Augen glitzerte es mordlustig.

Von der haushohen Überlegenheit Winterfelds war in diesem Moment nichts mehr zu sehen. Seine Augen sahen geweitet auf Singhs blutige Hände die gerade seine Uniform beschmutzten.

„Das habe ich nicht gewollt! Glauben sie mir! Der Verantwortliche wird hart dafür bestraft werden!“

Einer der Soldaten machte einen Schritt auf Singh zu, doch Winterfeld rief ihn zurück.

„Auf diesem Schiff gibt es die besten Ärzte die sie nur finden können. Mike ist in guten Händen. Das verspreche ich Ihnen.“

Singh lockerte den Griff, denn er hatte aufgrund der Übermacht von Winterfelds Soldaten nicht den Hauch einer Chance, und Winterfeld gewann seine Fassung zurück.

„Sie sind Gäste auf meinem Schiff und werden bekommen was Sie brauchen. Ich lasse sie zu zweit in Quartieren unterbringen. Freien Zugang zum Schiff kann ich Ihnen jedoch nicht gewähren.“

Damit gab er seinen Leuten einen Wink und sie wurden abgeführt.
 

Singh lief unruhig in der engen Kabine auf und ab und warf der massiven Tür einen vernichtenden Blick zu. Er konnte nicht sagen wie viel Zeit vergangen war, aber es mussten wohl schon einige Stunden sein. Stunden, in denen er dazu verdammt war hier tatenlos zu stehen, während er nicht wusste was mit Mike war.

Wenn er denn noch lebte.

Nein!

Singh verbot sich einen solchen Gedanken. Es war einfach ein Desaster, sie hatten die Nautilus verloren, die mehr für sie war als einfach nur ein Stück hochentwickelte Technologie, sondern ihr Zuhause und zu allem dem würden sie vielleicht auch noch Mike verlieren.

Sie hatten in den letzten Jahren viele Abenteuer auf dem fantastischen Schiff, das Mikes Erbe war, erlebt, doch noch nie waren sie in eine so unglaublich ausweglose Situation gekommen. Und er, der von Kapitän Nemo selbst die Aufgabe bekommen hatte, für Mikes Sicherheit zu sorgen, hatte versagt. Wieder einmal.

Trautman der in den vergangenen Stunden schweigend auf einem der beiden gegenüberliegenden Betten gesessen hatte seufzte.

„Singh, bitte setz dich.“, sagte der Steuermann der Nautilus erschöpft. „Du musst versuchen dich zu beruhigen.“

Trautman sah seinem langjährigen Freund in die Augen und was er da sah erschreckte ihn. Er kannte Singh schon sehr lange, sie lernten sich kennen als dieser noch fast ein Kind war und zusammen mit seinem Vater unter Nemo diente, doch nun erkannte er ihn fast nicht wieder. Der sonst so unerschütterliche Inder, der für sie alle so etwas wie ein Ruhepol war, wirkte aufgewühlt und gehetzt wie ein verwundetes Tier. Sie hatten zusammen schon viele schlimme Situationen überstanden und immer bewies Singh Nerven aus Stahl, auch wenn es sich anfühlte als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen. Dass Singh nun offen seine Angst und Verzweiflung zeigte, ließ Trautman noch beklommener zurück.

Singh stockte und fuhr dann auf dem Absatz herum.

„Mich beruhigen?“, entfuhr es ihm. Doch bevor er noch weiter reden konnte schnitt Trautman ihm das Wort ab.

„Ja, Singh.“

Er hatte nicht damit gerechnet, aber der Inder ließ sich nun tatsächlich auf das andere Bett sinken und seufzte resignierend.

„Wie soll ich mich denn beruhigen?“, sagte er müde und sein Tonfall machte deutlich, dass es eine Frage war, auf die er keine Antwort erwartete.

„Wir alle sind sehr besorgt und haben Angst.“, begann Trautman erneut. „Doch was meinst du wie es Mike hilft, wenn du die Beherrschung verlierst und erschossen wirst?“

Vollkommen erschöpft vergrub Singh das Gesicht in den Händen. Ja, Trautman hatte recht, aber das machte es nicht einfacher. Er spürte in diesem Moment Trautmans fragenden Blick auf ihm, aber es war ihm egal.

„Was ist los mit dir, Singh?“, vernahm er die Stimme des Steuermanns. „Du bist so verändert in letzter Zeit.“

„Es ist nichts.“, erwiderte er.

Trautmans Blick machte deutlich, dass er ihm nicht glaubte, doch bevor er zu einer entsprechenden Erwiderung ansetzen konnte ging die Tür auf und Winterfeld trat ein.

„Meine Herren.“, begrüßte er sie knapp und musterte sie einen nach dem anderen, wobei sein Blick länger an Singhs Gesicht hängen blieb, als würde er befürchten, dass der Inder ihm jederzeit an die Kehle gehen würde.

Nun sprang Trautman auf und machte einen Schritt in Richtung des Kapitäns.

„Wie geht es Mike?“, fragte er, wobei er ein Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken konnte.

Winterfeld sah ihn ernst an.

„Deswegen bin ich hier.“, sagte er, als er sah wie Trautman zusammen zuckte hellte sich seine Mine auf. „Keine Sorge, Kapitän Trautman, es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Meine Ärzte mussten ihn zwei Stunden lang operieren, doch er wird es schaffen.“

Die Erleichterung stand Trautman schier in das Gesicht geschrieben und Singh war es als würde ihm ein Brocken vom Herzen fallen.

„Ich möchte mich noch einmal ausdrücklich für diesen Vorfall entschuldigen und Ihnen versichern, dass es mir fern liegt das jemand von Ihnen verletzt wird. Und ich verstehe Ihre Verärgerung, das gilt vor allem für Mister Singh.“ Er machte eine kurze Pause und wandte sich dann direkt an Singh. „Mir ist wichtig, dass Sie wissen das ich Ihnen in keiner Weise nachtragend bin, ich bitte Sie daher mich zu begleiten und sich persönlich von Mikes Wohlergehen zu überzeugen.“

Wortlos erhob sich der Inder und Winterfeld warf ihm einen letzten warnenden Blick zu.

„Keine weiteren Zwischenfälle, verstanden?“

Singh nickte.

Zwar hätte er sich nach wie vor nur zu gerne an Winterfeld abreagiert, aber Trautman hatte Recht, tot nütze er Mike nichts.
 

Mike war sich sicher, dass er sich in der Hölle befinden musste. Ja, er war gestorben und was immer er im Leben falsch gemacht hatte, danach kam die Hölle. Das konnte die einzige Erklärung dafür sein wie er sich fühlte. Sein Körper war unglaublich schwer und nur einen Finger zu bewegen kostete ihn mehr Kraft als er hatte. Es war ihm nicht möglich die Augen zu öffnen, doch hinter seinen geschlossenen Lidern flackerte es schmerzhaft rot. Und dann diese Luft die er atmete. So heiß und metallisch, dass sie nicht für Menschen gemacht sein konnte. Doch etwas daran war vertraut. Er kannte den Geruch.

Öl, dachte er und ein Teil seines Bewusstseins begann zu erwachen und damit fingen auch seine restlichen Sinne wieder an zu arbeiten.

Entfernt konnte er leise Stimmen hören, aber er war nicht im Stande zu verstehen was sie sagten. Er fühlte ein permanentes Stechen im rechten Arm und etwas Warmes das seine linke Hand umschloss. Etwas strich immer wieder über sein Gesicht und im Gegensatz zu dieser Hölle hinterließ es keinen Schmerz. Seine Augenlider flatterten und er kämpfte darum sich von der Trägheit zu befreien und seine Augen zu öffnen. Ein gequältes Stöhnen entwich ihm und seine Stimme klang so fremd in seinen Ohren.

„Mike.“

Jemand sagte seinen Namen, das erste Wort das er klar und deutlich verstand und er kannte die Stimme, aber sein Verstand weigerte sich noch alles zusammen zu fügen.

Jemand streichelte ihm wieder über sein Gesicht und er hörte wieder seinen Namen.

„Singh...“, hauchte er, die Augen immer noch geschlossen. Seine Lider waren einfach zu schwer, doch wusste ganz genau wer bei ihm war.

„Das ist... die Hölle.“, murmelte Mike gequält und schaffte es nun doch die Augen einen Spalt weit zu öffnen. Singhs Gesicht verschwamm zunächst immer wieder, dann wurde es besser. Der Inder lächelte erleichtert.

„Ja.“, sagte er. „So könnte man es nennen, aber du bist am Leben.“

Mike drehte den Kopf schwach auf die rechte Seite, sah an seinem Arm herunter und fand die Ursache für das Stechen das er fühlte. In seiner Armbeuge befand sich eine Nadel und langsam folgten seine Augen der Leitung, die von dieser zu einer gläsernen Infusionsflasche führte. Er lag unter einer weißen warmen Decke, die bis zu seinem Kinn hochgezogen war, darunter war sein Oberkörper nackt und etwas schnürte sich eng um seinen Bauch. Sein Blick wanderte über die graue Decke des Raumes zurück auf seine linke Seite und suchte seine andere Hand. Er lächelte, das Warme welches er vernommen hatte war Singhs Hand.

„Wo bin ich?“

„Immer noch an Bord der Leopold, auf der Krankenstation. Weißt du noch was passiert ist?“ Singh sprach leise und Mikes Kopf war ihm dankbar dafür.

„Ja, es tut weh!“

„Das wundert mich gar nicht!“, sagte eine Stimmer hinter Singh, die Mike nicht kannte. Sie gehörte zu einem älteren Mann in einem weißen Kittel.

„Ich habe ganze zwei Stunden damit verbracht dich wieder zusammen zu flicken. Du hattest verdammtes Glück!“, fuhr der Arzt fort, damit trat er an Mike linke Seite und hob eine Spritze die er in der Hand trug. Als er Mike fragenden Blick und Singhs misstrauisches Funkeln sah, fuhr er fort: „Ein Schmerzmittel. Ich bin Arzt, schon vergessen?“

Er verabreichte das Medikament in die Infusion und nach kurzer Zeit wich der Schmerz einem dumpfen Gefühl.

Nachdem der Arzt damit fertig war Mikes Puls zu messen, musterte er dessen bleiches Gesicht aufmerksam.

„Wird es besser?“, fragte er, Mike nickte müde. „Es wird noch eine Weile dauern bis du wieder zu Kräften kommst, du hast eine Menge Blut verloren.“ Damit ging der Arzt wieder und ließ ihn und Singh alleine. Mike drehte wieder den Kopf zu dem Inder und blickte ihn einige Sekunden stumm an.

„Trautman? Geht es ihm gut?“

Eine Sekunde starrte Singh Mike ungläubig an, dann huschte ein leichtes Lächeln über seine Lippen.

„Ja, er ist wohlauf, so wie wir alle, aber du wärst fast gestorben. Weist du was ich für eine schreckliche Angst um dich hatte?“

Mike spürte wie sich die Hand des Inders fester um seine schloss.

„Es tut mir leid.“, flüsterte Mike. Singh drehte sich kurzerhand auf seinem Stuhl um und ließ den Blick aufmerksam durch den Raum gleiten. Zufrieden stellte er fest, dass sie beide alleine waren, beugte sich über Mike und strich ihm zunächst sanft ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Schlaf jetzt.“, sagte er und senkte seine Lippen auf die Mikes. Es vergingen keine drei Sekunden und sein Herr war wieder in einen tiefen, doch diesmal ruhigen, Schlaf gefallen.

Teil 3

Wenig später wurde Singh von seinen Wachen wieder zurück in sein Quartier gebracht. Doch diesmal war er hier nicht alleine mit Trautman. Kapitän Winterfeld hatte den anderen erlaubt sich hier mit ihnen zu treffen, sodass Trautman und er sich davon überzeugen konnten, dass es Serena, Ben, Christ und Juan gut ging.

So saßen sie seit einigen Stunden zusammen und lauschten Singhs Bericht über Mikes Zustand.

Serena atmete erleichtert aus.

„Siehst du Serena, ich habe dir ja gesagt das Mike stark ist!“, sagte Chris aufmunternd und auch in den Gesichtern der anderen machte sich Erleichterung breit.

Nur Ben wirkte unbeeindruckt.

„Okay.“, warf er ein. „Jetzt wo wir eine Sorge weniger haben, sollten wir überlegen, wie wir von hier verschwinden!“

„Wie kannst du nur so herzlos sein?“, fuhr Serena herum und funkelte Ben wütend an, es schien ihm nicht im Geringsten zu berühren, dass Mike fast gestorben wäre. Anscheinend waren ihre Gedanken klar von ihrem Gesicht abzulesen.

„Wenn unser idiotischer Freund nicht versucht hätte den Helden zu spielen, hätte es gar nichts gegeben worüber wir uns hätten Sorgen machen müssen. Abgesehen davon, wie wir die Nautilus zurückbekommen.“

„Du scheinst vergessen zu haben, dass ohne Mike Trautman jetzt tot wäre!“, warf nun auch der vierzehn jährige Chris ein.

Doch bevor die drei sich noch mehr in einen Streit vertieften, hob Trautman beschwichtigen eine Hand.

„Hört auf ihr drei!“

Er rieb sich müde die Augen bevor er weitersprach. „Ben hat recht, aber wir können nichts tun solange wir alle todmüde sind und Mike noch zu geschwächt. Es war ein langer anstrengender Tag für uns alle. Deswegen schlage ich vor, dass wir uns nun alle zu Ruhe begeben.“
 

Drei Tage vergingen, in den Mike nicht mehr tun konnte als einfach im Bett zu liegen. Seine Wunde pochte wie wild und sobald er sich aufsetzte ergriff ihn ein heftiger Schwindel. An aufstehen und laufen war nicht zu denken, daher sah man ihn nicht groß als Bedrohung an. Winterfeld hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht eine Wache bei ihm zu postieren. Er würde so oder so nicht aufstehen und fliehen können.

Aber nur das sein Körper geschwächt war, hieß nicht das er untätig war. Sein Geist war hellwach und er versuchte sich alles was um ihn geschah einzuprägen.

Wann war der Arzt da oder anderes Personal?

Was sagten sie? Und gab es relevantes zur Situation seiner Freunde?

Die Uhr an der Wand gegen über schlug drei Uhr Nachmittag. Das hieß der Doktor würde gleich kommen, er würde Schmerzmittel bekommen und dann sollte er versuchen aufzustehen, um nach und nach seine Kräfte zurück zu bekommen. Etwa zwei Stunden danach würde Kapitän Winterfeld ihn aufsuchen.

Der Arzt verabreichte ihm die Spritze und nach kurzer Zeit verflüchtigten sich Mikes Schmerzen. Nachdem sich der Doktor noch einmal nach seinem Befinden erkundigt hatte, half er Mike sich an die Bettkante zu setzen.

Nach wenigen Sekunden stöhnte Mike auf und sankt gequält zusammen, die Augen geschlossen und er spürte wie er wieder in das Bett gelegt wurde. Jemand schlug ihn sanft auf die Wange und er kam wieder zu sich. Als er die Augen aufschlug machte Mike ein gequältes Gesicht und die Reaktion die er sich erhofft hatte trat ein.

„Keine Sorge, Junge. Beim nächsten Mal wird es besser.“, sagte der Arzt und verließ ihn dann.

Als Mike alleine war lächelte er zufrieden. Sehr gut, man hatte ihm seinen Schwächeanfall also abgekauft.

Weiter Stunden vergingen und auch Kapitän Winterfelds Besuch geschah wie erwartet. Nun war er wieder alleine auf der Krankenstation. Angespannt wartend behielt er die Zeiger der Uhr im Blick und das Ticken wirkte geradezu hypnotisierend.

Bald war es so weit und jeder Muskel in ihm fing an sich zu spannen.

Tick Tack

Noch ein paar Minuten. Die Wachen, die seine Freunde bewachten, standen kurz vor der Wachablösung und waren mittlerweile sicher todmüde.

Jetzt oder nie, dachte er sich und schlug die Decke beiseite.

Vorsichtig schwang er die Beine aus dem Bett und blieb kurz an der Bettkante sitzen.

Ihm schwindelte.

Ganz so gespielt war sein Schwächeanfall heute nicht gewesen, doch er musste sich zusammenreißen.

Wackelig berührten seine nackten Füße den kalten Metallboden und mit weichen Knien setzte er einen Schritt vor den anderen. Er war diesen Moment in den vergangenen drei Tagen und den letzten Stunden immer und immer wieder durchgegangen, doch jetzt stand er etwas ziellos im Raum und die Unmöglichkeit seines Vorhabens kam ihm in den Sinn. Aber Aufgeben?

Vielleicht würden sich so schnell keine Gelegenheit mehr zur Flucht ermöglichen.

Seine Finger hielten sich verkrampft am Bett fest, so das seine Knöchel weiß hervortraten. Wieder überkamen ihm Zweifel ob er es wagen sollte seinen Plan in die Tat umzusetzen. Aber würde er eine zweite Change bekommen sich und die anderen zu retten? Es musste jetzt sein. Auf keinen Fall durfte die Nautilus in Winterfelds Händen bleiben. In seinen Händen war das fantastische Schiff eine schreckliche Kriegsmaschine und das durfte nicht sein.

Mike biss die Zähne zusammen und setzte weiterhin einen Fuß vor den anderen.

Und er hatte sogar das Gefühl, dass es ihm mit jedem Schritt leichter fiel.

Zufrieden lächelte er als er sein Ziel erreichte. Mit zitternden Händen öffnete er den Medikamentenschrank und entnahm hastig einige Spritzen und Ampullen. In Ermangelung von anderen Waffen und da er dafür sowieso zu schwach gewesen, wäre musste es so gehen. Er öffnete die Flasche mit dem stärksten Beruhigungsmittel das er finden konnte und befüllte die Spritzen damit. Vor Anstrengung zitterten seine Finger so stark, dass er sich stark darauf konzentrieren musste sich nicht selbst zu stechen. Wäre er nicht so angespannt gewesen, hätte er über diesen Gedanken gelacht.

Zufrieden lächelte er grimmig und setzte seinen Weg fort. An der Tür zum Gang lehnte er sich für ein paar Minuten gegen das kalte Metall, seinen Atem beruhigend horchte er nach draußen. Alles schien ruhig zu sein und vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt breit.

Der Gang lag dunkel und still vor ihm.

Tief Luft holend trat er durch die Tür, seine improvisierten Waffen fest in der Hand haltend.

Der Komplex in dem seine Freunde gefangen gehalten wurden befand sich zwei Decks unter diesem. Er musste es also nur unbeschadet zum Ende des Gangs schaffen und die Treppe erreichen, machte er sich Mut.

Vorsichtig schlich er weiter. Der Boden unter seinen nackten Füßen war kalt und vibrierte leicht. Wenn er sich nicht ganz irrte musste sich am Ende des Gangs eine T-Kreuzung befinden, wenn er den linken Gang folgte musste er dann zur Treppe gelangen.

Er hatte sein Ziel fast erreicht als er plötzlich gedämpfte Stimmen vernahm. Jemand bewegte sich auf ihn zu!

Die Luft anhalten drückte er sich in die dunkelste Ecke die er finden konnte. Das Blut pulsierte in seinen Ohren und er glaubte das man ihn so hören müsste, jede Sekunde würde man ihn entdecken so laut wie sein Herz gegen seine Brust schlug. Er konnte den Mann nun fast genau sehen, wenn dieser jetzt den Kopf drehte war alles vorbei. Und doch schien das Glück auf Mikes Seite, als der Mann den Gang vor Mike abbog.

Erleichtert atmete er aus und stellte erst jetzt fest, dass er die ganze Zeit den Atem angehalten hatte. Zweifel überkam ihn. Es war verrückt was er vor hatte.

Aber es gab keinen Weg zurück. Nicht jetzt.

Entschlossen drückte er die Tür zum Treppenaufgang auf und zwängte sich hindurch. Die folgenden Stufen überwand er ereignislos und schlüpfte auf den Gang in dem sich die Quartiere seiner Freunde befanden.

Nur ein paar Meter vor ihm zweigte der Gang ab. Ruhig atmend presste er sich gegen die Wand und schaute vorsichtig um die Ecke. Zwei Wachen konnte er ausmachen. Das musste er schaffen, dachte er sich. Und außerdem hatte er auch nicht mehr viel Zeit.

Jetzt also, oder nie.

Das Beste wäre, wenn es eine Möglichkeit gebe die beiden zu trennen.

Aber wie nur?

Verzweiflung machte sich in ihm breit. Ihm wurde klar wie dämlich sein Plan war, doch bevor er sich weiter mit solchen Gedanken herunterzog, schreckten ihn Stimmen aus seinen Gedanken.

„Hey“, sagte einer der beiden zu seinem Kollegen. „Kannst du eben für fünft Minuten meine Wache mit übernehmen?“

Sein Gegenüber, ein noch sehr junger Soldat, sah ihn erschrocken an.

„Aber wir haben strikte Anweisungen.“, erwiderte er unsicher und sah seinen Kollegen mit großen Augen an.

Dieser quittierte dessen erschrockenen Ausdruck mit einem breiten Grinsen. „Ich habe nicht vor mir wegen strikten Anweisungen in die Hose zu machen. Sei nicht so ein Schisser! Ich will doch nur mal eben aufs Klo. Und die da“, er zeigte auf die Tür hinter sich, „sind hinter Zentimeter dicken Stahl eingeschlossen“

Mike konnte sein Glück nicht fassen. Er wartete noch ein paar Sekunden und schlich auf Zehenspitzen vorwärts, die Spritze fest umklammert.

Die Wunde schmerzte mit jedem Schritt mehr, doch er ignorierte das stetige ziehen in seinem Bauch. Es gab jetzt kein Weg zurück.

Mit aller Kraft die er aufbringen konnte, legte er dem Mann den Arm um den Hals und stach zu. Der junge Soldat brachte ein erschrockenes Keuchen zustanden und brach dann zusammen. Mit zitternden Fingern nahm Mike ihm die Schlüssel vom Gürtel und rannte zur ersten Tür.

Seine Hände bebten derartig vor Anstrengung und Nervosität, dass er zwei Anläufe brauchte, bis das Schloss schließlich aufsprang und er die Tür aufstieß.

„Mike!“

Seinen Augen nicht trauend, sprang Singh vom Bett auf und rannte seinem Herrn entgegen.

„Was zum ...“, murmelte Trautman.

Mike keuchte erschöpft und musste sich an Singh abstützen.

„Wir haben keine Zeit.“, sagte er schwach. „Die zweite Wache wird jeden Moment zurückkommen. Wo sind die Anderen?“

Nun erwachte auch Trautman aus seiner Erstarrung. Ohne auf eine Erwiderung zu warten, nahm er Mike die Schlüssel ab und öffnete die beiden gegenüberliegenden Türen.

Die erstaunten Ausrufe der anderen würgte er sofort ab und als sie auf den Gang traten war ihnen sofort klar, was sich hier abspielte.

Ben blickte auf den bewusstlosen Soldaten und die Spritze und schließlich wanderte sein Blick zu Mike, aus dessen Gesicht jede Farbe gewichen war.

„Ich wusste schon immer das er verrückt ist.“, sagte er mit spöttischem Ton in dem auch etwas Bewunderung mitschwang.

„Ben!“, ermahnte ihn Trautman. „Dafür ist jetzt keine Zeit!“

„Da lang! Los!“, stieß Singh mit Nachdruck aus und lief los. Mike, der von Singh gestützt wurde, stieß ein schmerzhaftes Keuchen aus. Als er den besorgten Gesichtsausdruck des Inders sah, lächelte er gequält.

„Es geht mit gut, Singh. Alles was jetzt zählt ist die Nautilus.“

Auch wenn keiner so richtig daran glauben wollte, erreichten sie unbeschadet das Deck. Es war nur noch ein Katzensprung bis zum Heck, an dem die Nautilus immer noch vertäut lag.

„Na toll.“, flüsterte Juan säuerlich nachdem er hinter ihrem Versteck hervorgeschaut hatte. „Vier Soldaten bewachen die Nautilus. Wir brauchen einen Plan wie wir sie ablenken.“

Ben schnaubte verächtlich und deutete auf Mike. „Vielleicht hat unser Genie hier noch einen Geistesblitz.“

„Er versucht jedenfalls uns hier raus zu bringen und er hat Trautman gerettet!“, entfuhr es Chris und Serena durchbohrte Ben mit bösen Blicken.

„Es reicht jetzt!“, ermahnte Trautman.

„Ich habe einen Plan.“, sagte Singh ruhig. „Es wird reichen um die Wachen für eine Weile von der Nautilus abzulenken. Ihr wertet hier warten bis ihr das Signal seht und wenn es so weit ist, dann lauft so schnell ihr könnt zur Nautilus. Wartet nicht auf mich! Ich werde nachkommen.“

Ein ungutes Gefühl breitete sich in Mike aus. Was wenn Singh es nicht rechtzeitig zu ihnen schaffte?

Man musste ihm seine Sorge deutlich ansehen können, denn Singh warf ihm ein aufbauendes Lächeln zu.

„Vertrau mir.“, sagte er und wandte sich zum gehen um.

„Hey. Moment.“, hielt Juan ihn auf. „Was ist das Zeichen?“

Singh grinste. „Wenn ihr es seht, wisst ihr es schon.“
 

Für Mike verging eine gefühlte Ewigkeit, seine Wunde pochte immer stärker und er hatte teilweise sogar Probleme wach zu bleiben. Die Hände zu Fäusten geballte, kämpfte er gegen die aufkommende Schwäche an. Ablenkung war etwas was er jetzt nicht zulassen konnte. Und doch drifteten seine Gedanken immer wieder zu Singh ab. Er machte sich große Sorgen um ihn. Wenn dem Inder jetzt etwas passierte, dann wäre das alleine seine Schuld.

Bevor er weiter in seine Gedankenwelt abgleiten konnte, riss eine plötzliche Unruhe ihn in das hier und jetzt zurück. Er blickte in die überraschten Gesichter der anderen und dann zum Himmel, der jetzt von einem rötlichen Schein bedeckt war.

„Das muss wohl das Zeichen sein, von dem Singh gesprochen hat.“, sprach Ben aus, was sie alle dachten.

„Feuer an Bord!“, zerriss eine schrille Stimme die Ruhe an Deck. Mike blickte hinter den Aufbauten vor und erkannte dicken, schwarzen Qualm im hinteren Teil des Kriegsschiffes und gleichzeitig zogen die vielen Kisten die da standen seine Aufmerksamkeit auf sich.

„Munition.“, murmelte er und dann erwachte er aus seiner Starre.

Mit einem Satz war er auf den Beinen und rannte gerade auf die Nautilus zu. Er spürte die anderen dicht hinter ihm, den Blick starr nach vorn. Die Wachen würden einige Zeit brauchen um den Brand zu löschen, trotzdem gab es keine Zeit zum vergeuden.

Fast zeitgleich erreichten sie die Reling Juan kletterte zuerst über die Leiter auf das Deck der Nautilus. Gefolgt von Serena, Chris und Ben.

„Los!“, wies Trautman ihn an. Doch Mike schüttelte den Kopf.

„Was ist mit Singh?“

„Er kommt nach, wie er es gesagt hat! Und jetzt geh da runter!“

Mike wollte gerade widersprechen, als ein Schatten aus dem wabernden Qualm hervortrat.

„Was macht ihr hier noch?“, fuhr Singh sie an.

Für Mike war es als würde jemand eine tonnenschwere Last von seinen Schultern nehmen.

„Singh!“, entfuhr es ihm erleichtert. Doch der Inder beachtete ihn nicht weiter, sondern schob ihn in Richtung der Leiter. Dicht gefolgt von Trautman erklomm er den Weg nach unten.

Er und Trautman hatten gerade den Turm des Unterseeboots erreicht und die wenigen Stufen bis zur Eingangsluke hinter sich gelassen, als am Rand der Reling Soldaten mit geladenen Waffen auftauchten. Singh hatte den Abstieg erst zur Hälfte hinter sich gebracht, jedoch erkannte er sofort die Gefahr, stieß sich von der Leiter ab und sprang.

Mike konnte gerade noch sehen wie er sich mit einer geschmeidigen Bewegung abrollte und im Zickzack auf sie zu gerannt kam, dann hörte er die Schüsse.

Trautman schob in durch die Luke und brachte ihn damit in Sicherheit. Er fühlte sich wie erstarrt, das zittern unter seinen Füßen – welches die starken Maschinen der Nautilus verursachten – nahm er kaum wahr.

Trautman fuhr herum und hämmerte auf die Gegensprechanlage. „Juan, Ben! Macht alles bereit zum Tauchen!“

Mike lehnte sich gegen die Wand, er zitterte und alles schien vor seinen Augen zu verschwimmen. Hinter einen verschleierten Vorhang sah er, wie Singh durch die Luke stieg und sie mit einer kraftvollen Bewegung schloss.

Ihm war als stünde er in einem Tunnel. Jedes Geräusch schien weit weg von ihm zu sein. Selbst das rauschen des Blutes in seinen Ohren konnte nicht von ihm stammen.

Am Rande seines Bewusstseins nahm er die Härte des Bodens unter ihm wahr, sowie die Gesichter von Trautman und Singh über ihm, dann umschloss ihn die wohltuende Schwärze.

Teil 4

Singh rannte um sein Leben, während neben ihm Funken aus dem Metall des Unterseebootes stoben und ein unerlässliches Krachen erfüllte die Luft. Jede Sekunde würde ihn eine Kugel treffen und alles wäre vorbei, dachte er sich und die pure Angst ließ seine Schritte noch beschleunigen. Der Turm lag nur noch wenige Meter vor ihm und er hatte Mike versprochen, dass er zurückkommen würde.

Wieder hörte er ein Krachen und dann spürte er einen stechenden Schmerz in seinem Arm. Es muss das pure Adrenalin gewesen sein, welches ihn weiterlaufen lies. Jedes Zögern und Stocken würde ihn zu einer Zielscheibe für Winterfelds Soldaten machen.

Vor Schmerz biss er die Zähne zusammen und kletterte durch den Turm, die Luke krachend hinter sich schließend. Mit Erleichterung spürte er das Vertraute zittern der erwachenden Maschinen unter seinen Füßen, dann wanderte sein Blick nach Mike suchend durch den Raum.
 

Er fand ihn leichenblass an der Wand gelehnt, seine Hände zitterten merklich und Schweiß lief ihm über das Gesicht. Mit wenigen Schritten überwand er den Abstand zwischen ihnen und stützte ihn. Mikes Augen schienen durch ihn hindurch zu starren, während seine Körperspannung ihn verlies und er langsam an der Wand herabsank.

„Mike?“, sofort war Trautman neben Singh, er fühlte Mikes Herzschlag und seine Besorgnis sank etwas, als er ihn stark und regelmäßig spürte.

„Gehen Sie runter in den Kontrollraum, Trautman. Ich kümmere mich um ihn.“, sagte Singh. Er wartete keine Antwort ab, nahm Mike auf die Arme und trug ihn so schnell er konnte zu seinem Quartier.
 

Vorsicht legte er ihn auf das Bett ab und öffnete sein Hemd, er musste die Wunde untersuchen und hoffte inständig, dass sie nicht aufgegangen war. Wenn das der Fall sein sollte, wäre ihm nicht klar, ob er die Blutung stoppen könnte.

Bitter dachte er, dass womöglich ihre Flucht Mike zum Verhängnis werden könnte. Er schob den Gedanken sofort beiseite und besorgte schnell Verbände und Desinfektionsmittel.

Währenddessen spürte er die Maschinen der Nautilus stark stampfen. Ein stetiges Zittern lief durch das Schiff und hier und da hörte er ein metallisches Knacken. Trautman trieb die Motoren des Unterseebootes bis zu ihren Grenzen an und er konnte nur erahnen wie tief sie tauchten und doch nahm er zwischendurch ein Krachen wie von Explosionen war. Die Leopold feuerte anscheinend aus allen Rohren, um sie doch noch zu erwischen.
 

Mike lag nach wie vor bewusstlos auf seinem Bett. Mit zitternden Händen löste er den alten Verband, was gar nicht so einfach war aufgrund des eingetrockneten Blutes. Er machte sich innerlich bereit für das schlimmste und sah vor seinem inneren Auge schon, wie das Blut nur so aus der Wunde schoss.

Aber nichts davon passierte. Etwas Blut und Wundflüssigkeit lief aus der Naht, aber diese hielt. Erleichtert atmete er aus und realisierte erst jetzt, dass er beinahe die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Sorgfältig reinigte er die Wunde und legte den neuen Verband an, dann wich die Spannung aus seinem Körper und ließ ihn erschöpft über Mike zusammensinken. Er spürte Mike regelmäßig unter ihm atmen, schloss die Augen und genoss für ein paar Sekunden das Gefühl.
 

Er dachte an die letzten Monate zurück, an denen sie endlich zueinander gefunden hatten und sich endlich gestatten ihre Gefühle zuzulassen.

Und nun wäre er ihm beinahe genommen worden.
 

Beinahe fünf Jahre war es jetzt her, dass ihr neues abenteuerliches Leben auf der Nautilus begonnen hatte.

Fünf Jahre, dass sie sich kennenlernten.

Wobei eher, dass Mike Singh kennen lernte und dieser nicht mehr aus dem Verborgenen über seinen damaligen Herren wachen musste.
 

Vor etwas mehr als fünf Jahren war Mike noch ein Schüler an einem Nobelinternat in England gewesen, er hielt sich für einen ganz normalen Jungen, wenn auch Waise, und ahnte nichts von seiner waren Identität.

Nämlich der als Prinz Dakkar, der Sohn des sagenumwobenen Kapitän Nemo.

Um ihn zu schützen wusste Mike nichts davon, auch nicht, dass er nicht alleine war und es jemanden gab, der stets über ihn wachte.

Bis zu jenem Tag an dem Singh versagte und es nicht schaffte ihn vor der Entführung durch Winterfeld zu schützen. Der Kapitän der Leopold erfuhr von Mikes wahrem ich und ließ nichts unversucht um an dessen Erbe, der Nautilus, und somit der Technologie der Atlanter zu kommen.
 

Ein leises Stöhnen unter ihm ließ ihn aufschrecken. Mikes Augenlider flackerten und nach quälenden Minuten öffnete er diese.

„Haben wir es geschafft?“, fragte er, ein mattes Lächeln auf den Lippen.

Singh nickte und Mike stieß ein erleichtertes Seufzen aus, schreckte aber in der nächsten Sekunde wieder hoch.
 

„Du bist verletzt!“, entfuhr es ihm, den Blick auf Singhs Arm gerichtet und erst jetzt bemerkte dieser das Brennen.
 

„Das ist nichts. Nur ein Streifschuss.“, schüttelte er den Kopf, doch Mike hatte sich bereits unter stöhnen aufgesetzt und machte sich daran Singhs Ärmel hochzuschieben.

Singh hielt seine Hand mit leichtem Nachdruck fest. „Ich habe gesagt, das ist nichts.“
 

Mike wollte widersprechen, doch Singh kam ihm zuvor und nahm Mikes Gesicht in seine Hände und berührte mit seiner Stirn seine.

„Hör auf.“, hauchte er und erntete einen verwirrten Blick. „Hör auf, dir immer um andere Gedanken zu machen.“

Mike nickte kaum merklich, schloss die Augen und lies sich erschöpft gegen Singh sinken. Für ein paar Minuten saßen sie einfach nur so da und genossen die Anwesenheit des anderen. Manchmal, wenn er so vertraut mit Singh zusammen war, kam ihm das alles immer noch wie ein Traum vor und er konnte nicht glauben das es wirklich wahr war, dass Singh seine Gefühle erwiderte.

Er erinnerte sich an den Tag, als Singh ihn aus den Fängen Winterfelds rettete und sich ihm als sein Diener und Leibwächter vorstellte und von Anfang an war Mike von ihm beeindruckt.
 

Zu Beginn ihrer Abenteuer dachte Mike noch, dass Singh nur aus Pflichtgefühl an seiner Seite blieb, da sein Vater ihn als Mikes Leibwächter bestimmte.

Doch schnell entwickelte sich eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen und Mike machte auch immer wieder deutlich klar, dass er auf keinen Fall wie etwas Besseres behandelt werden wollte. Ihre Erlebnisse schweißten sie immer mehr zusammen und bald merkte Mike, dass da noch mehr wahr, nur konnte er dieses Gefühl lange nicht bestimmen.

Er liebte die Zeit die sie zusammen verbrachten und gleichzeitig machte seine Anwesenheit ihn furchtbar nervös.

Eine Zeitlang versuchte er sogar dem Inder aus dem Weg zu gehen, was auf einem Unterseeboot nicht gerade einfach war und auch nicht unbemerkt an Singh vorbei ging.

Am schlimmsten aber war die Zeit als Mike begriff, was er für ihn fühlte und die Angst davor, was Singh über ihn denken würde, wenn er es erführe. Immerhin waren sie beide Männer und zu dem war Mike mit seinen damals neunzehn Jahren gute zehn Jahre jünger als Singh, und so in dessen Augen sicher nicht mehr als noch ein Kind.

Wenn er so darüber nachdachte, war es einfach immer noch ein Wunder für Mike.
 

Wie von selbst wanderten ihre Lippen weiter und fanden einander. Mikes Herz schlug, wie am ersten Tag, bis zum Hals als sie sich berührten. Singhs Lippen auf seinen waren weich und warm, der Kuss sanft und doch so voller hungrigen Verlangen, dass ein stetiges Kribbeln durch ihn fuhr.

Seine Arme verschränkten sich hinter Singhs Nacken, er spürte Fingerspitzen sanft seinen Rücken herunter gleiten. Eine wohlige Wärme folgte und ein leiser Seufzer stahl sich aus seiner Kehle. Singhs Hand stoppte an seinem unteren Rücken und ihre Lippen lösten sich.

Er blickte in die Augen des Inders und sah darin das gleiche Verlangen glitzern, wie in ihm. Mike lächelte, Singh erwidertes es sanft und selbst diese kleine Geste lies ein weiteres Kribbeln durch ihn laufen.
 

Es klopfte und mühsam lösten sie sich voneinander.

Singh räusperte sich und trotzdem brachte er nur ein kratziges "Ja" heraus.
 

Trautman trat wortlos ein. Er registrierte, dass Mike nicht mehr bewusstlos war und war erleichtert, doch eine seltsame Spannung lag in der Luft. Fragend sah er Singh an und dieser reagierte, wie in letzter Zeit, äußerst untypisch.

Er sagte nichts dazu, dass Singh seinem Blick auswich und wandte sich stattdessen an Mike.

„Wie geht es dir?“

Mike lächelte schwach.

„Besser, aber noch schlapp.“, entgegnete er knapp.

Der Kapitän der Nautilus nickte.

„Du hast uns eine Zeitlang richtig Angst gemacht.“, sagte er ernst. „Weißt du, ich bin dir dankbar, dass ich dank dir noch lebe, aber ist dir bewusst wie dumm es war, was du da getan hast?“

Mike senkte den Blick.

„Es tut mir leid, dass ich euch allen solche Sorgen bereitet habe.“

„Die Leopold?“, fragte Mike.

„Wir haben sie abgehängt und ich hoffe das bleibt auch eine Weile so. Das Beste ist wohl, wenn wir so lange es geht getaucht bleiben. Ich will so viel Abstand wie möglich erreichen.“

Er schwieg kurz.

„Meinst du, wir können dich eine Weile alleine lassen?“, fragte er und deutete auf Singh.

„Ich brauche ihn. Wir müssen das gesamte Schiff auf Schäden untersuchen, ich will keine Zwischenfälle riskieren.“

„Aber sicher.“, nickte Mike. „Ich bleibe einfach hier und schlafe.“

Es war ja auch nicht so, dass er zurzeit in der Lage war irgendwo hin zu gehen.

Ohne ein weiteres Wort verließ Trautman die Kabine und gab Singh einen Wink ihm zu folgen.
 

Der Schlaf der ihn empfing war tief und er spürte wie seine Kräfte in seinen Körper zurückkamen, aber gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass etwas nicht stimmte oder so war wie es sein sollte.

Zuerst dachte er an die Tatsache, dass ihm bewusst war das er schlief. Aber dieser Gedanke entglitt ihm sofort wieder. Überhaupt schien in seinem Kopf nur Chaos zu herrschen, Bilder und Gedanken zuckten durch ihn wie Blitze.

Mike spürte Einstiche in seinem Arm und riss vor Schreck die Augen auf.

Sein Blick glitt durch den Raum.

Es war sein Quartier auf der Nautilus und an seinem Arm war nichts.

Ein Albtraum, dachte er und war froh wach zu sein, doch in der nächsten Sekunde riss der Schlaf ihn wieder erbarmungslos mit sich. Er schien gefangen in dem Wirbel von Gedanken und Erinnerungsfetzen und wie ein unbeteiligter Beobachter sah er seinen Körper zucken und sich winden.
 

Mit einem erstickten Keuchen fuhr er hoch und sah sich schwer atmend um. Es konnten nur ein paar Minuten vergangen sein, dachte er und suchte seine Uhr. Ihm war komplett das Zeitgefühl verloren gegangen.

Er traute seinen Augen nicht. Es war bereits zehn Uhr des folgenden Tages. Das konnte nicht sein, er hatte doch höchstens nur Minuten geschlafen.

Es klopfte an der Tür und Singh trat mit einem Tablett in der Hand ein.

Er lächelte Mike an. „Guten Morgen, ich habe dir …“

Weiter kam er nicht.

„Wie spät ist es?“, unterbrach Mike ihn grob. Singh sah ihn verwirrt an, stellte das Tablett langsam ab und sah dann auf seine Uhr.

„Zehn.“, die Stirn in Falten gelegt. Mike sah in weiter fragend an. „Zehn Uhr morgens.“, fuhr Singh sichtlich verwirrt fort.

„Wie lange?“

„Was?“, Singh verstand nun endgültig nicht was hier los war.

„Wie viele Tage sind vergangen?“, fragte Mike.

Langsam machte Singh sich Sorgen.

„Nur einer, Mike. Du hast nicht mehr als neun Stunden geschlafen.“

Er griff nach Mikes Hand.

„Hast du Schmerzen?“

Mike blickte verwirrt und schüttelte dann langsam den Kopf, als bräuchte er für diese Bewegung all seine Willenskraft.

„Nein.“, sagte er abwesend. „Nein, gar nicht.“

Seine Stimme war zu einem Gemurmel abgeflacht.

Das sollte er aber, dachte er sich. Bei so einer Wunde sollte er doch Schmerzen haben. Starr blickte er durch Singh hindurch.

„Du machst mir gerade Angst, Mike.“

Ohne Vorwarnung schlug er die Decke zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und lief taumelnd zu der Tür des kleinen Badezimmers.
 

Singh sprang erschrocken auf und hastete ihm hinterher, doch Mike schlug bereits die Tür hinter sich zu.

„Mike? Ist alles in Ordnung?“

Hörte er Singhs Stimme gedämpft durch die metallene Tür.

Er ging langsam zu dem kleinen Waschbecken und hielt sich daran verkrampft fest. Suchend blickte er sein Spiegelbild an. Verständnislos sah es ihm entgegen und er wusste gar nicht wonach er da suchte.

Er sah etwas blass und müde aus, aber nicht wie jemand, der noch vor wenigen Tagen beinahe erstochen wurde. Sein Blick glitt weiter an ihm herunter und blieb schließlich an dem dicken Verband unter seinem Hemd hängen.

Vorsichtig strich er mit den Fingerspitzen darüber.

Nichts.

Wieder fragte er sich, ob es denn nicht weh tun sollte. Nun strich er etwas doller darüber. Wieder nichts.

Kurz entschlossen nahm er sich eine Schere und schnitt vorsichtig den Verband auf.

Seine Hände zitterten.

Er hatte die Wunde noch nicht gesehen, konnte sich aber vorstellen, welch unschöner Anblick sie wohl war. Schließlich musste er nur noch die letzte Kompresse entfernen.
 

Mike hielt die Luft an.
 

Und da war beinahe nichts.

Da wo eine hässliche Naht sein sollte, war nur noch ein dünner roter Strich zu sehen. Die Fäden steckten noch in seiner Haut, aber es gab nichts was sie hätten zusammenhalten sollten.

Das konnte unmöglich sein. Die Wunde war kaum eine Woche alt.
 

Singh hämmerte gegen die Tür und Mike hörte ihn äußerst besorgt seinen Namen rufen. Schnell warf er die Fetzen des Verbandes in den Müll und schloss sorgfältig sein Hemd. Das Klopfen wurde immer energischer.

Mike spritze sich eiskaltes Wasser in das Gesicht, wandte sich dann um und öffnete die Tür.

Der Inder sah ihn fragend an und Mike schüttelte nur matt lächelnd den Kopf. „Tut mir leid.“, sagte er. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“

Er blickte Singh in die Augen und erkannte, dass er immer noch eine Erklärung erwartete.

„Ich habe echt seltsames Zeug geträumt und war wohl noch nicht ganz wach.“, sagte Mike stockend und ging zurück zu seinem Bett, wo das Tablett stand. Er merkte das er nun echt hungrig war. Singh folgte ihm und setzte sich zu ihm auf die Bettkante. Er musterte ihn weiterhin besorgt, aber Mike spürte das er sich mit dessen Erklärung zufriedengab.

Eine Weile saßen sie nur schweigend beisammen, während Mike sein Frühstück hungrig verschlang.

„Was ist bei der Inspektion des Schiffes herausgekommen?“, fragte er schließlich und nippte genüsslich an seiner Teetasse.

„Einige wenige Schäden, aber nichts was sich nicht in nächster Zeit beheben lässt. Wir hatten wirklich ziemlich Glück.“, erwiderte der Inder.

Mike nickte, stutzte jedoch, da Singhs Gesicht immer noch Sorge ausstrahlte.

„Aber?“, hakte Mike nach.

Singh zuckte mit den Schultern.

„Sonst ist alles in Ordnung mit der Nautilus.“

„Aber du wirkst trotzdem besorgt, Singh.“

Singh schüttelte den Kopf.

„Das hat nichts mit der Nautilus zu tun. Eher mit Trautman.“

Mike hob fragend eine Augenbraue.

„Er hat mich während der ganzen Inspektion ausgefragt. Er scheint zu ahnen, dass da etwas ist mit uns und ich bin mir nicht sicher wie er reagiert, wenn er es erfährt.“

Singh griff nach Mikes Hand und lächelte bitter. „Ich dachte eine Zeitlang ich hätte dich verloren und meine Gefühle waren mir deutlich anzusehen.“

Mike stellte seine Tasse behutsam ab und schob sich näher an Singh heran, bis ihre Nasenspitzen sich berührten.

„Aber das hast du nicht.“, hauchte er und kurz darauf verbanden sich ihre Lippen zu einem Kuss. Er strich mit seiner Zungenspitze sanft über Singhs Lippen, diese öffneten sich und ließen ihn ein. Mit voller Leidenschaft gewann ihr Kuss an Intensität. Ein lustvolles Stöhnen entwich Mike, als Singh seine Hand in Mikes Haar vergrub und dessen Kopf sanft nach hinten zog, nur um sich an dessen Kehle herunter zu Küssen.

Mike verschränkte seine Arme in Singhs Nacken und ließ sich zurück auf das Bett sinken. Er strich Singh sanft durch das Haar, während dieser seine Liebkosungen an Mikes Hals fortsetzte. Ein weiteres Stöhnen entwich ihm und er spürte deutlich wie sich etwas in seiner Körpermitte regte.

Sie waren bisher noch nie weiter als bis hier gegangen und so sehr Mike es sich auch gerade wünschte, wenn sie heute diese Grenze überschritten, würde Singh merken, dass etwas mit ihm nicht stimmte.

Er fing Singhs Lippen wieder mit seinen ein, biss sanft hinein und löste sich dann von ihm.

In Singhs Augen erschien ein verstehendes Lächeln.

„Wir warten besser, bis es verheilt ist.“, sagte er mit einem Blick auf Mikes Bauch. „Ich sollte jetzt auch besser zurück in den Kontrollraum, sonst wächst Trautmans misstrauen noch.“

Singh verließ seine Kabine und Mike beschloss das es Zeit war für eine Dusche.

Als das warme Wasser über ihn lief, fühlte er sich wie neu geboren.

Seine Haut hatte mittlerweile die Fäden abgestoßen und das Rot der Linie verblasste zusehends.

Teil 5

Mike betrat den Kontrollraum, an den der Salon der Nautilus angrenzte – ihr aller Lebensmittelpunkt. An einer Seite des Raumes befand sich ein großes rundes Aussichtsfenster, durch das man einen Blick in das weite Meer werfen konnte. Ein schwerer Samtvorhang und eine kleine Sitzgruppe, sowie zahlreiche Bücherregale, gaben dem ganzen einen gemütlichen Charakter und man glaubte kaum sich auf einem Unterseeboot zu befinden. Die andere Hälfte des Raumes nahm ein großer Tisch ein, an dem sie ihre Mahlzeiten gemeinsam einnahmen.

Serena, Chris und Ben liefen eifrig umher und deckten gerade den Tisch, während Trautman am Ruder stand und etwas mit Singh besprach. Juan war nicht zu sehen, er hatte wohl Küchendienst und bereitete das Mittagessen vor. Alle waren so beschäftigt, dass sie sein Hereinkommen nicht bemerkten, bis auf einer. Ein schwarzer Pfeil schoss aus einer Ecke des Raumes auf ihn zu und maunzte freudig.
 

Astaroth – der einäugige Bordkater der Nautilus – rannte freudig auf ihn zu und schlich um seine Beine. Ein Verhalten, dass der Kater normalerweise als herabwürdigend bezeichnet hätte, denn bei Astaroth handelte es sich nicht um eine normale Katze. Er stammte genau wie Serena aus dem alten Atlantis – und hatte all die Jahrtausende in einer Unterwasserkuppel überlebt, in der er seine Prinzessin, die sich in tiefen Schlaf befand, bewachte. Aber das war nicht das phantastischste am ihm; er war ein sprechender Kater.

Wobei Sprechen nicht das richtige Wort war.

Astaroth war in der Lage die Gedanken aller zu lesen und konnte lautlos mit Mike kommunizieren.

Aber eben nur mit ihm.

Es hatte wohl etwas damit zu tun, dass Astaroth ihn bei ihrer ersten Begegnung gebissen hatte, als er sich zu nahe an den Schrein wagte, in dem die schlafende Serena lag.
 

Ich bin ja so froh, dass es dir Trottel wieder gut geht, hörte Mike den Kater in seinem Kopf. Was hast du dir dabei Gedacht? Stell dir mal vor, du wärst jetzt nicht mehr hier und keiner würde mehr wissen was ich will!
 

Mike musste schmunzeln über Astaroths uneigennützige Sorge um ihn, kniete sich herunter und kraulte den Kater unter seinem Kinn.
 

„Mike.“, rief Serena freudig aus, die soeben mit ihrer Arbeit innehielt und auf ihn zugelaufen kam. „Ich bin so froh dich zu sehen.“

Stürmisch fiel sie ihm in den Arm und wich dann verlegen zurück, als ihr einfiel das Mike ja immer noch verwundet war.

„Tut es sehr weh?“, fragte sie.

„Mike.“, kam nun auch Trautman auf ihn zu. „Was machst du hier? Solltest du nicht in deinem Quartier sein und dich ausruhen?“

Mike schüttelte den Kopf. „Es geht mir aber gut und da unten ist es langweilig so alleine. Ich kann doch genauso gut hier oben sitzen und Däumchen drehen.“

„Na schön. Meinetwegen. Aber nach dem Essen, will ich das du dich hinlegst und schonst.“ Er deutete auf die Chaiselongue, die Teil der Sitzgruppe am großen Aussichtsfenster war. „Und jetzt setz dich.“
 

Mike ging zu seinem üblichen Platz am großen Tisch und auch die anderen nahmen platz als Juan mit dem Essen kam.

„Meinst du nicht, du mutest dir zu viel zu?“, fragte Singh leise neben ihm, tat sich Suppe auf und nahm dann Mikes Teller, um ihn zu füllen.

„Meint ihr nicht, ihr macht euch zu viele Sorgen und behandelt mich wie ein rohes Ei?“, fragte Mike etwas gereizt zurück. Singh sah ihn irritiert an und Mike schob schnell ein entschuldigendes Lächeln hinterher.

„Es geht mir wirklich besser und ich werde auf mich achten, nur seht mich nicht alle die ganze Zeit an, als würde ich gleich zerbrechen.“
 

Während der restlichen Zeit sprachen sie über die Reparaturen, die hier und da an der Nautilus zu erledigen waren, wobei natürlich immer wieder betont wurde, dass Mikes Hilfe nicht benötigt wurde.

Nachdem Mikes Teller leer war, stand er wortlos auf und lief hinüber zur Chaiselongue, setzte sich und nahm sich ein Buch, dass jemand auf dem kleinen Tisch daneben abgelegt hatte. Missmutig blätterte er darin herum. Er wurde sowieso nicht gebraucht, dachte er griesgrämig.
 

Warum zeigst du ihnen nicht einfach die Wunde?, hörte er Astaroth in seinem Kopf. Mike zuckte mit den Schultern und antwortet dem Kater dann ebenso lautlos:
 

Dann wäre alles doch noch schlimmer. Sie würden mich fragen wie das sein kann und ich weiß es doch selbst nicht. Nein, die Blicke die sie mir jetzt zuwerfen reichen mir schon.
 

Majestätisch lief der Kater zu ihm herüber, war mit einem Satz auf dem Sofa und rollte sich dann auf Mikes Beinen zusammen. Ein paar Minuten starrte er schmollend in das Buch, dann hörte er Stühle die scharrend zurückgeschoben wurden und das Klappern von Geschirr.

Trautman wandte sich erneute an Mike und beteuerte mit Nachdruck, dass dieser bleiben sollte wo er war, während er und die anderen sich an die Reparaturarbeiten an der Nautilus begaben.

Der einzige der noch saß war Ben; und Ben währe nicht Ben, wenn dieser sich stichelnde Bemerkungen verkneifen könnte.

„Prinz müsste man sein, dann könnte man den ganzen Tag rumliegen.“, spottete er.

Mike drehte den Kopf ruckartig zu ihm und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Ben!“, fuhr Trautman herum. „Hör auf mit diesem kindischen – „
 

Weiter kam er nicht, denn Ben fuhr mit einem spitzen Schrei in die Höhe. Das Wasserglas vor Ben war umgekippt und dessen Inhalt hatte sich über dessen Hose ergossen.

„Was zum…?!“, entfuhr es Ben; niemand hatte den Tisch berührt.

Mike musste grinsen.
 

Danke, Astaroth.
 

Astaroth öffnete sein einziges Auge und blickte ihn aus seinen unergründlichen Katzenaugen an.

Das war ich nicht, sagte er lautlos in Mikes Kopf.
 

Tobend vor Wut stürmte Ben davon, um sich umzuziehen, während sich bei den anderen Heiterkeit breit machte.

Als alle schließlich den Salon verließen kehrte Ruhe ein. Mike ließ das Buch achtlos auf seinem Bauch liegen, schaute eine Weile in die Weiten des Meeres und ließ sich von den beeindruckenden Bildern, die das Leben hier unten bot, mitreißen. Schließlich spürte er, wie die Untätigkeit seine Augen träge werden ließ, rückte sich in eine bequemere Position und schlief ein.
 

Und wieder riss der Schlaf ihn mit wie ein tobender Strudel. Hätte er es gekonnt, hätte er aufgeschrien, aber sein Körper und sein Kopf schienen ihm nicht mehr zu gehorchen.

Erschrocken sah er sich um und sah sich selbst an Deck der Nautilus stehen; wie schon einmal schien er von oben auf sich herab zu sehen. Dunkle Wolken zogen sich bedrohlich zusammen und begannen sich immer schneller um ihn zu drehen. Wasser spritze ihm erbarmungslos in das Gesicht.

Er hob die Arme, um sich vor der brodelnden Gischt abzuschirmen und wusste, dass er in das Innere des Schiffes musste. Die Wellen würden ihn unbarmherzig mitreißen und er würde ertrinken, aber seine Beine bewegten sich kein Stück. Gefühle von Furcht und Wut überfielen ihn und ließen ihn gefangen in seinen Emotionen zurück. Ein Licht erweckte seine Aufmerksamkeit und mit staunender Ehrfurcht sah er das zuckende Leuchten auf sich zukommen. Der Blitz würde ihn treffen, dachte er ohne den Anflug einer Gefühlregung.
 

Dann spürte er den Schmerz –
 

– und schrie gellend auf als Astaroths Krallen sich in seinen Arm bohrten.
 

Trautman und Singh stürmten in diesem Moment in den Salon.

„Was ist passiert?“, erkundigte sich Singh besorgt, und auch Trautmans Haltung zeigte Alarmbereitschaft.

Mike hielt sich den schmerzenden Arm und Blut lief aus den kleinen Wunden die Astaroths Krallen hinterließen.

Astaroth war von der Couch gesprungen; das Fell gesträubt und blickte ihm fauchend entgegen.
 

„Was hat er?“, fragte Trautman verwundert. Er streckte die Hand nach dem Kater aus und Mike sog scharf die Luft ein, in Erwartung Astaroth verbissen in Trautmans Arm zu sehen.

Doch dieser schmiegte sich kuschelnd an die Hand und beruhigte sich zusehends.
 

Verräter!, dachte Mike. Was sollte das?
 

Er bekam keine Antwort von dem Kater.

Trautman zuckte mit den Achseln.

„Du musst ihn wohl irgendwie erschreckt haben.“, er deutete mit einem Nicken auf Mikes Arm. „Zeig mal her.“

Singh, der bereits wieder vier Schritte vorgedacht hatte, kam in dem Moment mit Verbandszeug zurück. Er reichte Trautman ein mit Desinfektionsmittel getränktes Tuch.

Trautman nahm es dankend entgegen, wischte das Blut weg und besah sich die kleinen Wunden.

„Ist nicht so schlimm.“, meinte er. „Aber einen Verband sollten wir trotzdem drum machen.“

Er drehte sich zu Singh um, nahm eine Kompresse und Verbandrolle entgegen und stutzte als er dazu ansetzte den Verband anzulegen.

Auch in Singhs Gesicht erschien ein verwundertet Ausdruck und langsam ließ Mike den Blick zu seinem Arm wandern, ahnend was sich da abspielte.

„Das … das sah eben noch nicht so aus.“, murmelte Trautman verwundert.

Die Krater, die Astaroths Krallen in seinem Arm hinterließen, waren merklich kleiner geworden.
 

„Oh.“, machte Mike nur.
 

Singhs Augen wurden schmal, aber er sagte nichts.

Mike musste an seine Wunde am Bauch denken und hoffte, dass die Wunden an seinem Arm nicht vor Trautmans Augen zu blassen Pünktchen wurden. Es war alles schon verrückt genug.

Sein Blick ging zurück zu seinem Arm und stellte erleichtert fest, dass es aussah wie eben auch. Trautman schüttelte den Kopf und legte dann den Verband an.

„Danke.“, sagte Mike und hatte nun das Bedürfnis so schnell wie möglich den Kontrollraum zu verlassen, bevor noch Fragen aufkamen.

„Ich denke es ist doch besser, wenn ich mich etwas ins Bett lege.“

Ehe jemand etwas sagen konnte stand er auf und lief in sein Quartier.

Teil 6 (jugendfrei)

Es klopfte an seiner Tür. Mike setzte sich auf und seufzte; er ahnte wer da vor seiner Tür stand. Für einen kurzen Moment überlegte er einfach nicht zu reagieren, doch womöglich würde Singh dann einfach trotzdem eintreten.

Wieder ertönte ein Klopfen und diesmal bat Mike den Besucher herein. Wie erwartet war es der Inder, der seine Kabine betrat.

Mike lächelte gequält, denn er hatte Singhs Blick vorhin im Salon und den Vorfall von heute Morgen nicht vergessen.

„Wie geht es dem Arm?“, fragte Singh und Mike zucke innerlich zusammen. In Singhs Stimme lag etwas lauerndes und Mike wusste das er auf etwas ganz Bestimmtes hinauswollte. Singh lehnte sich ihm gegenüber an die Wand und sah ihn aufmerksam an.

„Oh.“, stammelte Mike. „Es tut weh, aber ist nicht so schlimm.“

Der Inder musterte ihn einige Sekunden durchdringend und Mike lief es heiß und kalt den Rücken herunter. Schließlich zuckte er mit den Schultern und Mike wollte schon erleichtert aufatmen.

„Na schön.“, meinte Singh, stieß sich von der Wand ab und lief zu Mike. Wortlos setzte er sich zu Mike auf die Bettkante und legte die Hände an den Verband an Mikes Arm.

„Was… was soll das?“, stotterte Mike, als dieser begann den frischen Verband abzuwickeln, aber Singh fuhr unbeirrt fort.

Als die letzte Bahn Stoff und die Kompresse von seinem Arm entfernt wurden, hielt er die Luft an. Nur noch blassrosane Punkte waren zu erkennen.

„Wie kann das sein?“, flüsterte Singh entgeistert.

Mike sagte nichts und drehte den Kopf weg. Was hätte er Singh schon sagen sollen? Er hatte doch absolut keine Erklärung dafür, aber genau die schien Singh von ihm zu erwarten.

„Zeig mir die Wunde an deinem Bauch.“

Singh blickte ihn ernst an.

Erschrocken und mit aufgerissenen Augen sah Mike ihn an.

Er schüttelte den Kopf.

Die Gesichtszüge Singhs verhärteten sich und er wiederholte seine Aufforderung.

Mike ignorierte ihn stur und rückte weiter von Singh weg. Obwohl er wusste, dass Singh es eh schon wusste, konnte er es einfach nicht. Wenn er die Bauchwunde sah, wäre ihm klar wie unnormal Mike war und er fürchtete sich davor.

Was, wenn er ihn dann von sich stoßen würde?

Mit einem Ruck riss Singh Mike nach hinten, sodass er rücklings auf seinem Bett lag. Unter normalen Umständen wäre er vollkommen entrüstet gewesen über die Gewalt, die in dieser Handlung steckte, aber so blicke er ihm einfach geschockt entgegen.

„Nein.“, rief Mike, als Singhs Hand zu seinem Hosenbund wanderte. Er hielt Singhs Hand auf, doch dieser hielt Mikes Hand einfach fest und zog dann mit der anderen Mikes Hemd aus der Hose und schob es nach oben.

Den Verband hatte Mike ja schon am morgen entfernt, so war die Wunde nun sofort zu sehen. Mike sah nicht zu seinem Bauch, er wusste ja was es da zu sehen gab. Mit schuldvollem Blick sah er Singh an und versuchte in dessen Augen zu ergründen, was in seinem Kopf vorging. Als er die Spannung nicht mehr aushielt, drehte er den Kopf weg.

Er spürte wie Singh mit einer schnellen Bewegung aufstand, wagte es jedoch immer noch nicht ihn anzusehen.

„Du wusstest das schon heute Morgen.“, stellte Singh fest. Er begann unruhig auf und ab zu gehen. „Warum hast du es mir nicht gesagt?“, er blieb kurz stehen und sah Mike an, der noch genauso lag wie eben, mit freiem Bauch, der sich stoßweise hob und senkte. „Ich meine, vertraust du mir nicht?“

Mike schüttelte den Kopf und sagte leise etwas, was er nicht verstand.

Singh schloss die Augen und stieß langsam die Luft aus, um die Anspannung aus seinem Körper zu vertreiben. Er war zu hart gewesen, das wusste er.

Ruhig ließ er sich wieder auf die Bettkante sinken und griff sanft nach Mikes Hand.

„Es tut mir leid. Ich war zu grob.“, entschuldigte er sich.

Vorsichtig strich er mit den Fingerspitzen über die dünne Linie, die von der Wunde noch übrig war.

„Wie ist das überhaupt möglich?“, murmelte er.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Mike. „Aber es macht mir Angst.“ Er stockte kurz und sah Singh in die Augen. „Deswegen habe ich nichts gesagt. Ich weiß doch selbst nicht, wie ich damit umgehen soll.“

„Es tut mir leid. Ich bin ein Idiot.“, nickte Singh und strich gedankenverloren über Mikes Bauch. „Wir müssen aber Trautman informieren, auch wenn dir das nicht gefällt.“

Mike seufzte.

„Bitte nicht mehr heute.“

Singh nickte.

„Du hast recht. Es war viel los. Wir brauchen alle etwas Ruhe.“

Er wandte sich zu gehen, doch Mike hielt ihn auf.

„Würdest du noch bleiben?“, fragte er vorsichtig und zog ihn zu sich auf das Bett zurück.

Singh lächelte und strich Mike sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Langsam fuhren seine Fingerspitzen über seine Haut und verharrten kurz bei Mikes Lippen, bis diese sich in Erwartung eines Kusses öffneten. Eine leichte Röte legte sich auf Mikes Wangen und ein Schauder fuhr durch Singhs Körper.

Ihm war klar, dass er heute nirgendwo mehr hingehen würde.

Vollkommen den Moment auskostend beugte er sich langsam herunter, um schließlich die Lippen seines Geliebten in Gefangenschaft zu nehmen.

Seine Hände wanderten während dessen weiter und liebkosten sanft die Konturen des Schlüsselbeins. Mike lächelte in den Kuss hinein, er genoss die Liebe und Vertrautheit zwischen ihnen und wusste das heute der Tag war, an dem sie noch so viel mehr voneinander kennenlernen würden.

„Bist du dir sicher, dass du es willst?“, bestätigte Singhs Frage, was Mike ohnehin schon wusste. Sein Herz klopfte bis zum Hals und er war aufgeregt, wie noch nie in seinem Leben, doch war er sich auch nie etwas sicherer gewesen als jetzt.

„Ja.“, raunte er glücklich. „Ich liebe dich.“

Als Singh und Mike schließlich erschöpft in die Laken fielen, war es schon spät in der Nacht. Glücklich zog der Inder seinen Geliebten in die Arme.

„Nun gehörst du mir.“, flüsterte er ihm schlaftrunken zu. Fest an Singh gekuschelt, ließ der Schlaf auch für Mike nicht lange auf sich warten und diesmal sollte er ohne Ereignisse Ruhe finden.

Teil 6

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Teil 7

Mike erwachte weit vor der Frühstückszeit und fand das Bett neben sich leer. Hatte er das alles nur geträumt? Er blickte an sich herunter und stellte fest, dass er nackt war und lächelte. Doch kein Traum.

Fröstelnd zog er die Decke enger um sich und ließ den Blick aufmerksam durch den Raum schweifen. Leise konnte er die Dusche rauschen hören und überlegte kurz ob er sich dazugesellen sollte, entschied sich dann aber für die Wärme seines Bettes.

Nach wenigen Minuten kam Singh nur mit einem Handtuch bekleidet heraus.

„Guten Morgen.“, sagte er sanft und beugte sich für einen Kuss nach vorne. „Habe ich dich geweckt?“

Mike schüttelte den Kopf.

„Ich muss leider schon los.“, fuhr Singh fort und sammelte seine Kleidung ein. „Trautman hat mich für die erste Wache am Ruder eingeteilt.“

„Er versucht wirklich uns das Leben schwer zu machen.“, spottete Mike und gähnte herzhaft.

Singh lächelte.

„Wir sehen uns nachher beim Frühstück.“, sagte der Inder, dann deutete er auf Mikes Narbe. „Und danach müssen wir das mit ihm besprechen.“

Mike kuschelte sich in sein Kissen zurück.

„Gut, dass das noch ein paar Stunden hin ist.“, nuschelte er müde.
 

Als Mike den Salon betrat, war der Tisch schon gedeckt und der Geruch nach frischem Tee schlug ihm entgegen und erinnerte ihn wie hungrig er war. Er setzte sich neben Singh, lächelte und langte dann ordentlich zu.

Die anderen sahen ihm erstaunt entgegen.

„Es scheint dir besser zu gehen.“, sagte Trautman. „Wie geht es den Wunden? Schmerzen sie sehr?“

Mike warf einen nervösen Blick zu Singh und dieser nickte kaum merklich.

„Darüber wollte ich nachher mit ihnen sprechen.“, meinte Mike und sein Herz klopfte bis zum Hals.

Trautman sah ihn fragend an, nickte dann aber nur.

Es war Mike immer noch nicht ganz wohl dabei, aber Singh hatte schon recht, es war wichtig das Trautman darüber Bescheid wusste. Doch diese Erkenntnis half ihm nicht sich zu beruhigen; im Gegenteil sein Herz schlug immer wilder in seiner Brust und es erfüllte auf einmal eine unglaubliche Unruhe den Raum.

Mike starrte in seine Teetasse, der Kopf begann ihm zu schmerzen. Warum waren die anderen so laut? Warum redeten sie alle durcheinander?

Wer sollte denn da etwas verstehen?

Ihre Stimmen waren so laut und sie redeten ohne Unterlass, dass sie sich verbanden wie ein reißender Strom – es hämmerte nur so in seinem Kopf.

Seine Hände zitterten und dieser Krach machte ihn langsam wütend.

„Was soll das?“, rief er laut aus und krachte seine Tasse auf den Unterteller?

Die anderen sahen ihn betroffen an.

„Jetzt ist er komplett irre.“, hörte er Bens Stimme.

„Was hat er nur?“, vernahm er die Stimme Trautmans.

„Er sieht blass aus.“, hörte er Serena.

Mike Hand verkrampfte sich um die Tasse, er spürte kaum wie sie zerbrach und sich heiße Flüssigkeit über sie lief und sich scharfe Splitter in die Haut bohrten.

Er konnte die Stimmen nach wie vor hören, doch als er in die Gesichter seiner Freunde blickte, erkannte er, dass sich ihre Lippen nicht bewegten.

„Was hast du?“, fragte jetzt Singh – er hatte wirklich gesprochen – während Mike ruckartig von seinem Stuhl aufsprang und ihn umwarf.

Mike zitterte am ganzen Körper.

Er hob die zittrigen Finger zu seinen Ohren und wich so weit er konnte von den anderen zurück. Doch es wurde einfach nicht leiser in seinem Kopf und sein Rücken hatte bereits das große Aussichtsfenster erreicht.

„Hört auf.“, rief er dagegen an. „Ihr seid so laut.“

Ben, Chris, Serena und Juan saßen entgeistert auf ihren Plätzen, während Trautman und Singh ihm langsam entgegenkamen. Mike hockte sich auf den Boden, Tränen traten in seine Augen und er verbarg den Kopf mit seinen Armen, als könne er sich so von den Stimmen abschotten.

„Ihr redet alle so durcheinander. Hört auf damit!“

Trautman und Singh sahen sich an. Niemand hatte in diesem Moment etwas gesagt.

„Doch.“, sagte Mike. „Ihr schreit euch alle die ganze Zeit an.“

Die Verwunderung zwischen den beiden Männern wuchs, keiner hatte den Gedanken ausgesprochen, aber Trautman reagierte trotzdem.

„Serena, Ben, Chris, Juan – verlasst sofort den Salon und geht auf das unterste Deck bis zu Frachtraum eins.“

Er hoffte das die Entfernung ausreichen würde, aber mehr gab die Nautilus nicht her.

Die angesprochenen reagierten zunächst nicht, erst als er eine nachdrückliche Handbewegung machte, stand Serena auf und nahm die anderen mit sich.

Trautman und Singh warteten ein paar Minuten und versuchten krampfhaft an nichts zu denken.

Der reißende Strom in Mikes Kopf ebbte langsam ab und wurde zu einem leichten Rauschen am Rande seines Bewusstseins. Nur noch die Stimmen von Singh und Trautman konnte er hören, doch diese waren auch leiser. Das Zittern ließ langsam nach und seine Atmung entspannte sich wieder.

„Ist es besser so?“, fragte Trautman; Mike hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen.

Es war ihm als lege Trautmans Gefühl- und Gedankenwelt offen vor ihm wie ein aufgeschlagenes Buch, in dem er einfach lesen konnte. Verlegen senkte er den Blick, als ihm klar wurde was er gerade tat. Die heimlichsten Gedanken, Gefühle und Erinnerungen Trautmans gingen ihn nichts an und auch wenn Mike nichts dafür konnte, tat ihm der Blick in dessen Seele leid.

So mied er es lieber, einem von beiden in die Augen zu sehen.

Verspätet reagierte er auf Trautmans Frage und nickte.

„Wir haben alle nichts gesagt, dass heißt du… du hast unsere Gedanken gehört.“, stellte Trautman fest. „Wie kann das sein?“

Mike schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Es fing plötzlich einfach an und ich habe keine Kontrolle darüber.“

Er fing einen Gedanken von Singh auf und nickte.

„Das ist nicht das Einzige, Trautman.“, sagte Singh und griff nach Mikes verletzter Hand. Ein Splitter des Porzellans steckte noch darin, er zog ihn heraus und der Schnitt, sowie die Verbrühung, begannen zu verheilen.

Trautman sog scharf die Luft ein.

„Das ist ebenfalls mit der Wunde am Bauch und mit Astaroths Krallenverletzung passiert.“, erzählte Mike und hob dann verwundert den Kopf.

Es war still.

Er sah nacheinander Singh und Trautman an. Nichts. Erleichtert atmete er aus.

„Es ist vorbei.“, erklärte er den beiden.

Nachdem Trautman die anderen aus ihrer Verbannung aus dem Frachtraum zurückgerufen hatte, saßen sie alle in der gemütlichen Sitzgruppe und Mike erzählte von den Vorkommnissen der letzten Tage. Trautman hatte ihn angehalten jedes noch so unbedeutend erscheinende Detail zu erzählen.

So berichtete er von seinem beinahe luziden Schlaf, den Alpträumen – die ihn quälten –, dem Gefühl als würden Nadeln ihn stechen und schließlich der Wunderheilung seiner Verletzungen.

„Und du kannst zurzeit nicht unsere Gedanken lesen?“, hakte Juan vorsichtig nach und wirkte erleichtert, als Mike den Kopf schüttelte.

„Es muss etwas mit der Leopold zutun haben.“, mutmaßte Serena. „Danach begann das ja alles und du hast erzählt, dass du dich an Injektionen erinnerst.“

Mike sah zweifelnd in die Runde. Klar erinnerte er sich an Spritzen und dergleichen, aber er wurde ja auch nach der Stichverletzung operiert und seine Alpträume konnten einfach das Resultat eines Traumas sein. Das erklärte jedoch nicht seine plötzlich auftretenden Fähigkeiten.

„Oder es ist einfach so, wie ich es schon damals im Internat vermutete. Unser Mike hier, ist einfach ein Freak.“, stichelte Ben böse grinsend, fuhr jedoch fast im gleichen Moment schreiend auf, als einige Bücher aus dem Regal neben ihm fielen.

„Du warst das!“, fuhr Ben auf. „Du kannst es also doch kontrollieren!“

„Nein, kann ich nicht!“, fauchte Mike seinerseits Ben an und stand ihm böse funkelnd entgegen.

„Hört auf damit!“, beschwichtigte Trautman sie. „Ihr benehmt euch wie kleine Kinder. Serena hat recht. Ich denke auch, dass etwas auf der Leopold passiert sein muss und uns Winterfeld eine Erklärung schuldet.“

„Dann wenden sie doch und fragen sie ihn.“, sagte Ben spitz und seine Mimik gefror, als er in Trautmans Gesicht sah. „Genau das haben sie vor, oder?“

Trautman sah etwas hilflos aus.

„Ich weiß nicht welche Möglichkeiten wir sonst haben und welches Ausmaß Mikes Zustand noch annehmen wird. Wir müssen herausfinden was sie getan haben und von hier aus geht das nicht“

Bei dem Gedanken, dass irgendwelche seltsamen Experimente mit ihm auf der Leopold durchgeführt wurden, schauderte es Mike.

Hilfesuchend blickte er zu Singh, auf dessen Stirn sich deutlich die Sorge abzeichnete, die er um Mike hatte. Er erkannte aber auch Zorn und befürchtete das Singh Winterfeld den Hals umdrehen würde, sobald er in Reichweite war.

Sie diskutierten noch eine Weile weiter, aber Mike folgte dem Gespräch nicht mehr wirklich, er hatte das Gefühl das bald nichts mehr so sein sollte wie es einmal war.

Teil 8

Sie belauerten die Leopold jetzt schon seit einigen Stunden, auf sicherer Entfernung getaucht. Es hatte wenige Tage gedauert, bis das große Kriegsschiff auf dem Radar auftauchte. Schweigend saßen sie alle an ihren Plätzen, die Instrumente – die das unglaubliche Unterseeboot steuerten – stets im Blick.

„Da ist sie.“, durchbrach schließlich Juan die Stille. „Was tun wir jetzt?“

Ben ächzte abfällig und machte es nicht zum Geheimnis, dass er nichts von dieser Mission hielt.

„Wir könnten ein rotes Geschenkband um die Nautilus wickeln, denn das machen wir hier grade, die Nautilus Winterfeld vor die Füße werfen. Wenn ihr mich fragt, seid ihr alle irre geworden.“

Er warf einen bösen Blick zu Mike, der deutlich zitternde in seinem Sessel saß und sich so an seinem Pult festhielt, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Mike reagierte nicht auf diese Sticheleien, er hatte zutun den Sturm in sich zurück zu halten. Er hatte Angst, denn eigentlich stimmte er Ben zu. Was sie hier taten war falsch. Alles würde bald verloren sein, nur wegen ihm.

Ein stetiges elektrisches Kribbeln durchlief ihn, ließ ihn zittern und eigentlich hätte er nichts lieber getan als loszulassen. Er wusste nicht was dann passieren würde und er konnte es nicht riskieren seine Freunde zu verletzen.

Das Licht im Kontrollraum flackerte immer wieder.

Trautman sah sich nervös um. Etwas passierte da gerade wieder mit Mike und er ahnte das es nichts Gutes war, sie hatten nicht viel Zeit.

„Chris, funke die Leopold an.“, wies er dem jüngsten Mitglied der Besatzung an. Der Junge nickte und sah dann deutlich gestresst auf.

„Es geht nicht!“, rief er fast panisch. „Ich habe alles gemacht wie immer, aber es ist kaputt!“

Trautman stand auf und trat neben Chris und probierte es ebenfalls.

„Nichts, es ist tot.“, stellte er fest.

Mike schloss die Augen und versuchte jedes bisschen Selbstbeherrschung zusammen zu bekommen, dass sein Kopf schmerzte. Er würde es nicht schaffen, stellte er am Rande einer Panik fest.

Kurz entschlossen hämmerte er einige Befehle in das Pult vor ihm und die Maschinen der Nautilus heulten auf.

„Wir tauchen auf!“, rief Singh entsetzt.

„Was?“

Fassungslos war Trautman neben Singh und beide versuchten vergeblich, die Kontrolle über das Schiff zurück zu gewinnen.

„Mike, was tust du da?“, schrie Trautman um das Heulen der Motoren zu übertönen. Doch Mike reagierte nicht. Er saß weiterhin starr vor der Konsole, seine Hände flogen weiter über Knöpfe und Schalter. Als Ben aufsprang und versuchte ihn von dem Pult wegzureißen, ergriff eine elektrische Entladung ihn und warf ihn quer durch den Raum.

Im nächsten Moment schoss das Schiff gerade zu durch die Meeresoberfläche und knallte mit einer unglaublichen Wucht wieder auf dem Wasser auf.

Mike sah wie sich seine Freunde verzweifelt festhielten, war jedoch zu keinem Gefühl fähig. Er spürte wie der Damm, den er in seinem Inneren errichtet hatte, brach und eine unglaubliche Kraft sich ihren Weg bahnte.

Das Licht flackerte, Glühlampen zerbarsten und auch die Kontrollkonsolen des Unterseebootes erloschen mit einem Flackern. Von jetzt auf gleich war das Schiff tot.

Trautman schauderte, wäre dies in getauchtem Zustand passiert, sie würden auf den Grund sinken wie ein Stein und langsam ersticken. Mike hatte ihr aller Leben gerettet.

„Seid ihr alle unverletzt?“, rief Trautman und lief dann zu Singh, der neben Mike am Boden hockte.

Singh hatte Mike in seine Arme gezogen und für eine Sekunde stockte Trautman, ahnte das Schlimmste. Seine Gedanken mussten ihm deutlich anzusehen sein.

„Er ist bewusstlos.“, informierte Singh ihn und achtete dann nicht weiter auf Trautman, während er Mike unablässig über das Gesicht strich.

„Was haben die nur mit ihm gemacht?“, murmelte Trautman, während er den Blick durch den verwüsteten Kontrollraum schweifen ließ. Er sah Singh, der Mike weiter hielt, einige Minuten schweigend an und es war als wären die beiden in einer eigenen Welt. Jetzt erst begriff er, was die ganze Zeit schon vor seinen Augen war, er hatte es nur nicht verstanden.

Die beiden waren viel zu vertraut für Schutzbefohlenen und Schützenden, Herr und Diener, oder gar Kameraden und Freunde.

Der eine konnte ohne den anderen nicht, begriff er.

„Er bedeutet dir viel.“, sagte er an Singh gewandt. Dieser sah Trautman forschend an und nickte dann nur.

„Wir werden Winterfeld gleich fragen können.“, beantwortete der Inder Trautmans vorhergehende Frage und in Singhs Stimme war etwas das den Kapitän der Nautilus frösteln lies.
 

Da die Instrumente des Schiffs zu nichts zu gebrauchen waren, gingen sie alle nach oben zum Turm. Singh trug dabei den immer noch bewusstlosen Mike auf seinen Armen.

Die Leopold war unterdessen längsseits gegangen und Kapitän Winterfeld wartete auf dem höhergelegenen Deck seines Schiffes, während die Crew der Nautilus einer nach dem anderen den Turm verließ.

Sie erwarteten das Winterfelds Soldaten jeder Zeit auf die Nautilus stürmen und sie gefangen nehmen würden, doch nichts dergleichen geschah, stattdessen kam Winterfeld gefolgt von zwei seiner Männer zu ihnen herab.

„Wie es aussieht seid ihr in Schwierigkeiten.“, stellte er nüchtern fest und sein Blick fiel auf den bewusstlosen Mike. „Wie geht es ihm? Ich hätte nie gedacht, dass sie so verantwortungslos sind und ihr Schiff über die medizinische Versorgung ihres Crewmitglieds stellen, Herr Trautman.“

Singh funkelte ihn böse an: „Sie wissen genau, dass das nicht unser Problem ist. Was haben Sie ihm angetan?“

Winterfeld sah ihn verwirrt an und wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Ben kam ihm zuvor.

„Jetzt haben Sie die Nautilus wieder und ihr Versuchskaninchen, aber wissen Sie was, ihr tolles Experiment hat uns gerade das Schiff geschrottet.“

„Wovon zum Teufel redet er?“, fragte Winterfeld sichtlich irritiert und blickte nacheinander von Ben zu Singh. Trautman sah den Kapitän der Leopold weiter misstrauisch an, doch sein Bauchgefühl sagte ihm, das dessen Verwirrung echt war.

„Wie auch immer.“, schüttelte Winterfeld den Kopf. „Ich schlage vor sie bringen Mike auf die Leopold. Dort kann ich eine bessere medizinische Versorgung garantieren.“

„Sie meinen, weiter damit machen, wobei Sie unterbrochen wurden, während Sie die Nautilus an sich reißen?“, fragte Serena spitz und Winterfeld sah sie lange durchdringend an.

„Zu dem ersten Teil kann ich dir sagen, dass ich wirklich nicht weiß von du redest, junge Dame; und zu zweitens kann ich euch alle beruhigen. Ich habe kein Interesse an der Nautilus – zumindest nicht mehr.“

Er wandte sich direkt an Trautman: „Ich bitte Sie und Mr. Singh mich mit Mike zu begleiten. Es gibt da etwas was ich Ihnen gerne zeigen würde.“

Schließlich willigten sie ein. Winterfeld hielt sein Wort; er postierte keine Soldaten auf der Nautilus und auch nahm man sie diesmal nicht in Gefangenschaft. Aber er hatte nicht das Gefühl eine große Wahl zu haben.

Auf der Krankenstation der Leopold herrschte geschäftiges Treiben sowie sie diese betraten. Der Arzt, den Singh bereits bei seinem letzten Besuch hier gesehen hatte, wies ihn an Mike auf eines der freien Betten zu legen. Er gehorchte widerwillig und wollte auffahren als man ihn mit Nachdruck vom Bett wegschob, doch Trautman berührte ihn am Unterarm und schüttelte den Kopf. So ließ er die Schwestern und Ärzte gewähren, während er genau beobachtete was sie taten.

Der Arzt nahm eine kleine Lampe und leuchtete Mike damit in die Augen, während eine Schwester seinen Puls tastete und danach den Blutdruck maß. Dann nahm er ein Stethoskop und begann Mike abzuhören, als er dessen Hemd weiter öffnete um die Stichwunde zu versorgen stockte er.

„Das gibt’s doch nicht.“, rief er verwundert aus und winkte Winterfeld zu sich heran.

Dieser wirkte nicht weniger verwundert und Trautmans erste Vermutung, dass Winterfeld etwas mit Mikes Zustand zu tun hatte sank.

„Das ist unglaublich.“, murmelte Winterfeld.

„Geht es ihm gut?“, hakte Singh nach.

Der Arzt nickte: „Er ist vollkommen stabil und sollte bald aufwachen. Ich würde nur noch Blut abnehmen für weitere Tests.“

Bei dem Wort Test verdunkelten sich Singhs Gesichtszüge: Winterfeld hob beschwichtigend die Hände und wies sie an ihm in den hinteren Teil der Krankenstation zu folgen. Hier sah es eher aus wie in einem Labor. Eine Reihe von Mikroskopen und anderen Geräten standen da, sowie einige Glasplättchen und Röhrchen. Er ging weiter bis zu einem Tisch ganz hinten, kramte dann drei Objektträger hervor und legte das erste unter ein Mikroskop.

„Kommen sie her. Sehen Sie sich das an.“, wies er Trautman und Singh an.

„Was ist das?“, fragte Trautman und trat langsam an den Tisch heran.

„Eine Blutprobe.“, entgegnete Winterfeld. Trautman hob eine Augenbraue, als würde er am Verstand des Mannes ihm gegenüber zweifeln. Winterfeld forderte ihn ein zweites Mal auf sich die Probe anzusehen.

Seufzend zuckte Trautman mit den Achseln und sah durch das Mikroskop, danach tat es ihm Singh gleich.

„Und?“, fragte Trautman dann schließlich, er verstand nicht was das alles sollte.

„Ganz normale Zellen, nicht wahr?“, meinte Winterfeld, griff nach dem Glas und legte das nächste ein. Wieder forderte er Singh und Trautman auf es sich anzusehen.

„Ich erkenne da keinen Unterschied.“, sagte Singh, nachdem er es einige Minuten studiert hatte und Winterfeld nickte lächelnd.

„Ja, ich weiß. Das ist auch noch nicht das, was ich Ihnen zeigen wollte.“, erklärte er. „Diese Probe war von mir, die davor von meinem Bordarzt persönlich, aber das eigentlich Interessante kommt jetzt.“

Er nahm das dritte Glas und legte es vorsichtig unter das Mikroskop, als würde er alles Gold der Welt darauflegen.

„Dies ist eine Probe von Mikes Blut. Schauen Sie es sich an.“

Trautman sah durch und stutzte dann kurz, bevor er aufblickte.

„Die Probe scheint kaputt zu sein.“, sagte er dann zögernd, während Singh einen Blick durch das Mikroskop warf und ebenfalls verwundert wirkte.

„Das dachten wir auch erst.“, schüttelte Winterfeld schließlich den Kopf. „Aber mit der Probe ist alles in Ordnung.“

Nun war es an Trautman den Kopf zu schütteln. „Das kann nicht sein. Die Zellen unterscheiden sich komplett von den beiden anderen Proben.“

Winterfeld schien sich nun nur so vor Aufregung zu überschlagen und nickte heftig.

„Das ist richtig. Wir könnten es auch mit Ihrem oder Mr. Singhs Blut vergleichen und es würde dem nicht gleichen.“ Er deutete auf die Probe. „Diese Zellen werden Sie bei keinem Menschen oder Tier auf der Welt finden.“

„Was wollen Sie damit sagen?“, entfuhr es Singh, wurde jedoch von Winterfeld ignoriert, der sich stattdessen wieder an Trautman wandte.

„Was genau wissen Sie über Mikes Vater – über Nemo?“

Trautman runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf.

„Nun, er sprach nicht viel über sich, aber ich weiß das er aus einer indischen Königsfamilie stammte. Wie soll das Mike helfen?“ Trautman deutete auf das Mikroskop: „Meinen Sie es ist eine Krankheit?“

Ein Krachen und Scheppern aus dem vorderen Teil der Krankenstation ließ sie alarmiert herumfahren. Singh und Trautman sahen sich böses ahnend an, während Winterfeld verwirrt wirkte.

Mit großen Schritten verließen sie das Labor und fanden die Krankenstation in heillosem Chaos vor.

„Was zum…“, entfuhr es Winterfeld.

Mike war aufgewacht und hatte sich mit vor Schrecken geweiteten Augen bis zu Kopfende des Bettes geschoben. Der Arzt stand vor ihm und redete auf ihn ein, auf dem Boden lag ein metallenes Tablett mit Spritzen und Medikamenten. Mike musste es ihm aus der Hand geschlagen haben.

„Was ist hier los?“, rief Winterfeld seinem Arzt zu.

Dieser wirkte äußerst aufgebracht und verdutzt aufgrund des Verhaltens seines Patienten. Aufgeregt kam er seinem Kapitän entgegen.

„Er ist völlig durchgedreht, Kapitän.“, rief er bestürzt. „Der Junge hat hohes Fieber, da wollte ich ihm gerade ein Medikament verabreichen, als er aufwachte und komplett…“

Er kam nicht weiter, denn ein unheimliches Knistern schien sich im Raum auszubreiten. Es war kein Geräusch das sie hören konnten, eher ein Gefühl das sie wahrnahmen sodass sich ihnen schier die Nackenhaare aufstellten.

„Oh mein Gott.“, entfuhr es Trautman als er Mike ansah. Dieser saß noch immer am Kopfende mit geweiteten Augen, am ganzen Körper zitternd und hielt sich den Kopf. Trautman war sich sicher das es in jeder Sekunde wieder zu einem Ausbruch wie auf der Nautilus kommen würde.

„Mike! Hör auf!“, rief er, doch dieser schien ihn gar nicht wahrzunehmen.

„Was passiert hier?“, fragte Winterfeld und sah sich nervös um als zahlreiche Scheiben und Glasfläschen geradeso klirrten, aufgrund der Energie die im Raum herrschte.

„Ich weiß es nicht.“, schrie Trautman zurück. „Aber genau so hat Mike vorhin die gesamte Nautilus lahm gelegt und es wird schlimmer.“

Ein stetiges Flirren schien um Mike zu herrschen, es krachte und splitterte im Raum, die Situation würde jederzeit eskalieren.

„Mike.“, rief Singh sanft, hob die Hände und näherte sich ihm vorsichtig.

Trautman sog scharf die Luft ein und erinnerte sich wie es Ben vorhin erging, als er Mike von der Steuerkonsole zerren wollte. Vor seinem geistigen Auge, sah er den Inder schon durch die Luft segeln und gegen die Wand prallen.

„Mike. Ich bin es.“, redete Singh weiter und bewegte sich geradezu in Zeitlupe weiter. „Du brauchst keine Angst haben. Es ist alles gut.“

In Mikes Blick schien sich der Nebel zu verziehen und Singh schien der erste zu sein, den er erkannte. Seine Augen füllten sich mit Tränen.

„Bleib stehen, Singh. Komm nicht her. Ich will dir nicht weh tun.“

Singh lächelte besänftigend, er war fast bei ihm. Nur noch wenige Meter und nichts würde ihn davon abhalten Mike in seine Arme zu schließen.

„Ich weiß das du mir nichts tust.“, sagte er selbstsicher, überwand die letzten Schritte und zog Mike in eine feste Umarmung. Zuerst spürte er wie Mikes Körper sich versteifte, er merkte deutlich die Energie die ihn durchlief und die Hitze die das Fieber ausstrahlte, doch dann wich alles von ihm und das Knistern erlosch. Mikes Körper lehnte so schwer gegen seinen, dass er schon dachte er sei wieder bewusstlos, doch er hörte ihn etwas flüstern.

„Schon gut.“, redete Singh weiter. „Es wird dir keiner was tun. Ich passe auf. Wir finden raus was los ist und dann wird alles gut.“

Er war erstaunt wie souverän er klang, denn er hatte mehr Angst, als er es Mike zeigen wollte. Mike flüsterte ihm immer noch etwas zu und erst als Singhs innere Anspannung wich, wurde er stutzig. Es waren Zahlen die er ihm zuraunte. Immer die gleichen und in derselben Reihenfolge.

„Ich verstehe nicht…“, sagte er verwirrt und er schämte sich für den Gedanken, aber er hatte die Befürchtung das Mike den Verstand verlor. Suchend sah er sich um und notierte sich die Zahlenreihe auf einem Stück Papier.

Mittlerweile hatte Mike sich soweit beruhigt, dass er sich zurück auf das Bett legen konnte und der Arzt ihm Medikamente verabreichte.

Es war totenstill auf der Krankenstation, selbst der Arzt näherte sich seinem Patienten nur zögerlich und warf Singh immer wieder einen nervösen Blick zu.

Es war schließlich Winterfeld der die Stille durchbrach.

„Vielleicht ist es besser, wenn er ein Beruhigungsmittel bekommt, zumindest bis wir wissen wie wir ihm helfen können.“

Trautman nickte zögerlich. Eigentlich widerstrebte es ihm, Mike unter Drogen setzten zu lassen, doch die Alternative sah für alle nicht gut aus.

Singh sah Mike in die Augen und sah neue Angst aufflammen, beruhigend drückte er seine Hand und versicherte ihm bei ihm zu bleiben. Das Medikament wirkte rasch und Mike hatte bereits Probleme die Augen offen zu halten, doch seine Lippen bewegten sich weiter und wehrten sich noch gegen den Schlaf.

„Bring mich da hin.“, flüsterte Mike nah an Singhs Ohr.

Teil 9

Nach dem Vorfall dauerte es eine Weile bis sich alle wieder beruhigt hatten und alle wieder in einen normalen Ablauf fanden. Trautman hatte sich mit Winterfeld und dem Arzt in den hinteren Teil der Krankenstation zurückgezogen und berichtete über die Ereignisse auf der Nautilus.

Singh konnte auch aus der Entfernung ihre ratlosen Gesichter erkennen und seine Hand schloss sich fester um Mikes.

Er war seit Stunden nicht mehr von seiner Seite gewichen und das würde er auch nicht. Seine Muskeln schmerzten bereits von dem harten Stuhl und der einseitigen Haltung, ächzend stand er auf und streckte sich. Einige der Schwestern warfen ihm nervöse Blicke zu, nach dem Vorfall näherten sie sich Mike nur wenn sie es unbedingt mussten und wenn er in der Nähe war. Es machte Singh wütend, denn er konnte nur erahnen durch welche Hölle Mike zur Zeit ging und dessen blasses Gesicht ängstigte ihn.

Nachdenklich nahm er den Zettel in die Hand und besah sich die Zahlen. Sie würden hier auf der Leopold nichts für Mike tun können, außer ihn unter Drogen zu setzen und langsam sterben zu lassen. Es gab absolut keinen Anhaltspunkt was ihm fehlte und was all die Dinge erklärte, die hier geschahen. Wenn sie einfach nur hierblieben und weiter rätselten wäre Mike bald tot. Sie verspielten hier seine Zeit.

Entschlossen schloss er seine Finger um das Stück Papier und lief zu Trautman.
 

Mike bewegte sich wie durch Nebel, entfernt sah er ein grollendes Gewitter herannahen und es fröstelte ihn. Ihm war wieder voll bewusst, dass er schlief, aber diese Erkenntnis ließ ihn nicht erleichtert zurück. Er wusste, dass dieser Ort genauso gefährlich für ihn war, wie das reale Leben. Anders noch, es schien bedrohlicher zu sein, als stünde mehr auf dem Spiel als nur sein Leben. Schnell lief er los, um etwas zu suchen wo er sich verstecken konnte und hoffte schnell aufzuwachen, um dieser Hölle zu entkommen. Doch dann erinnerte er sich an die Spritzen; er war hier gefangen und selbst wenn nicht, wäre er wach, wäre er die Gefahr für seine Freunde.

Im dichten Nebel sah er einen schwachen Lichtschein und ging darauf zu. Der peitschende Wind um ihn herum ließ etwas nach und von seiner linken Hand ausgehen, bildete sich eine vertraute wohlige Wärme.

Er lächelte aufgrund des Gefühls und der Dankbarkeit, dass er ihn nicht alleine ließ.

Ein Blitz zuckte und die wohlige Wärme verwandelte sich jäh in einen stechenden Schmerz, begleitet von einem gleisenden Licht, dass ihm die Augen schmerzten. Schnell hob er die Arme vor das Gesicht, aber es stahl sich durch jede Zelle von ihm.

Als der Schmerz nachließ, wagte er die Augen wieder zu öffnen. Seine Umgebung hatte sich verändert. Mike stand nicht mehr inmitten einer Nebelbank, sondern in einem der Korridore der Nautilus.

Doch etwas stimmte nicht, aber er konnte nicht sagen was es war und machte einen vorsichtigen Schritt in eine Richtung. Es war stockdunkel und er taste sich weiter vorwärts. Kein einziges Geräusch war zu hören, begriff er. Der Boden unter seinen Füßen war bedeckt von dichtem Staub und jeder seiner Schritte hinterließ Abdrücke. Langsam nährte er sich der Tür zum Salon und dem Kontrollzentrum des Schiffes.

Vorsichtig drückte er die angelehnte Tür auf.

„Hallo?“, rief er zögernd.

Die Energie, die ihn umgab schien ihn erdrücken zu wollen und das Atmen fiel ihm schwer. Seine Augen gewöhnten sich langsam an das Dunkel und ein unheimlicher grüner Schimmer beherrschte den Kontrollraum. Er blieb unter der Tür stehen und ließ den Blick durch den Raum schweifen, was er sah erschreckte ihn und seine Atmung beschleunigte sich.

Ruhig

Der Raum hatte nichts mehr mit dem gemeinsam den er kannte, überall lag zerbrochenes Mobiliar. Bücher lagen auf dem Boden, verstaubt und waren halb zu Asche zerfallen. Der Tisch, an dem sie immer ihre gemeinsamen Mahlzeiten einnahmen, war mit Staub und Dreck verkrustet und in tausend Teile zersprungenes Geschirr noch darauf und davor.

Er war einer Panik nah, doch seine Beine schienen ihn unaufhaltsam weiter in den Raum vor zu bringen.

Beruhige dich.

Mike horchte auf und nahm die Stimme nun zum ersten Mal richtig war. Obwohl er sie noch nie gehört hatte – da war er sich sicher – kam sie ihm seltsam vertraut vor.

Nichts davon ist real.

Alles in Mike schrie auf umzukehren, doch er ging immer weiter, sein Körper reagierte nicht auf ihn. Mit knirschenden Schritten näherte er sich den Kontrollpulten. Sie waren besetzt, aber alle drehten ihm den Rücken zu.

„Trautman? Singh?“, rief er und seine Stimme hallte seltsam durch den Raum. Er bekam keine Antwort von ihnen, stattdessen vernahm er wieder die unbekannte Stimme.

Geh nicht weiter!, befahl sie ihm.

Mikes Verzweiflung wuchs. Genau das hätte er ja gerne getan, aber etwas zog ihn immer weiter.

Ich weiß, es ist schwer, aber ich will das du dich jetzt auf mich konzentrierst.

Er streckte die Hand nach einem der Stühle aus, um ihn herum zu drehen, doch die Stimme hielt ihn auf.

Du musst noch etwas durchhalten. Alles wird bald besser.

„Was ist hier los?“, fragte er. Seine Hand lag noch immer auf dem Stuhl, doch die nächste Bewegung vor der er sich fürchtete kam nicht.

Alles was hier passiert, ist in deinem Kopf. Du bist sehr krank.

Mike nahm die Hand langsam zurück.

„Krank?“, fragte er.

Ich weiß du hast große Angst, aber ich werde bald bei dir sein und du wirst es dann verstehen.

Langsam machte er auf der Stelle kehrt, lief langsam auf die Tür zu und wieder war es als wäre es nicht er der die Entscheidungen für seinen Körper traf. Doch er spürte auch wie es ihm wieder leichter wurde um die Brust und er wieder Luft bekam. Die Stimme schwieg eine Weile und Mike glaubte schon, dass er wieder alleine war.

Merke dir was ich dir jetzt sagte.

Er schreckte auf, nickte dann abgehackt und blickte verwirrt.

„Ich verstehe nicht…“, sagte er zögernd.

Merk dir die Zahlen gut. Sag sie Trautman, er wird wissen was er tun muss.

Mike hob erstaunt den Kopf.

„Sie kennen Trautman?“

Nicht jetzt., sagte die Stimme. Wir haben keine Zeit.

Er nickte, sein Körper lief weiter und schließlich fand er sich in seinem Quartier wieder.

Hier bist du erst einmal sicher.

Mike horchte auf.

„Was wäre passiert, wenn ich im Kontrollraum weitergegangen wäre?“, fragte er.

Ich hätte nichts mehr für dich tun können.
 

Er öffnete die Augen, sah gebannt in die Flamme der Kerze vor ihm und brauchte eine Weile, um in die Wirklichkeit zurückzufinden. Noch immer spürte er, wie die beiden Realitäten sich überlagerten und musste all seine Konzentration aufbringen um im Hier und Jetzt zu bleiben. Als er sich sicher war, dass ihm keine Gefahr mehr drohte, lehnte er sich vor und legte die Hand sachte hinter die Flamme und blies sie geradezu ehrfürchtig aus. Starr sah er dem aufsteigenden Qualm nach und hing seinen Gedanken nach, dass er fast das Summern an seiner Tür überhört hätte.

Der Mann hob den Kopf, blieb jedoch weiter mit verschränkten Beinen auf dem Boden sitzen und bat seinen Gast herein. Es war ihm ganz bewusst wer da seine Aufmerksamkeit verlangte und vor diesem Jemand musste er sich nicht hinter einer Fassade verstecken. Also konnte er es sich leisten sitzen zu bleiben, was er bei jedem anderen als ein Zeichen von Schwäche gewertet hätte.

Er beobachtete seinen Gast, wie er eine Weile einfach nur dastand und sich an das dämmrige Licht im Raum gewöhnte.

„Wie ist es gelaufen?“, fragte die tiefe Stimme seines Gastes und kam schließlich näher. Er stand nun doch auf und sah in das Gesicht vor ihm. Entschlossene Augen, denen man das Alter seines Trägers nicht ansah, blickten ihm entgegen und auch sonst stellte sein engster Vertrauter und Freund eine imposante und autoritäre Person dar.

Sein Blick glitt von diesen Augen, hinaus zu den Sternen und sein Gesicht verdüsterte sich.

„Wir haben nicht mehr viel Zeit.“, antwortete er schließlich und er musste die Frage nicht aussprechen die ihm als nächstes auf der Zunge brannte.

Noch eine besondere Eigenschaft seines Gegenübers, er schien immer zu wissen was er wollte, oder sie kannten sich nun einfach schon zu lange.

„Wir brauchen noch zwei Tage.“, sagte sein Vertrauter und fuhr fort als er merkte, wie er sich versteifte. „Vielleicht einen. Ich mache schon mehr Druck als gut ist und alle Arbeiten bis zu ihren Grenzen.“

„Ich weiß.“, nickte er bitter. „Doch ich kann nicht zulassen, dass er für die Fehler die ich begangen habe, sein Leben lassen muss.“

„Das wird nicht passieren.“, sagte sein Gegenüber in voller Überzeugung und musterte ihn dann durchdringend. „Wenn er nur halb so ist wie Sie, dann ist er unglaublich zäh und willensstark.“

Er drehte sich wieder zu den schwarzen Augen, die ihm aus dem dunklen edel geschnittenen Gesicht anblitzten und lächelte breit.

„Ja, das ist er.“, sagte er stolz.
 

Trautman nahm den Zettel und studierte seinen Inhalt stirnrunzelnd, dann blickte er wieder zu Singh auf und wirkte sichtbar gequält.

„Ich weiß nicht, Singh.“, sagte er zögernd, das Gesicht seines Freundes verdüsterte sich und er fuhr schnell fort. „Ich bin mir einfach nicht sicher ob diese Zahlen etwas zu bedeuten haben, mir liegt genauso viel daran Mike zu helfen, aber das ist einfach verrückt.“

Winterfeld der neugierig über Trautmans Schultern sah, nahm ihm das Stück Papier ab und sah sich nun ebenfalls dessen Inhalt an. Dann stand er auf und sagte etwas leise zu einem seiner Soldaten, woraufhin dieser nickte und sich entfernte.

Als er die fragenden Blicke der anderen sah, setzte er sich erneut an den Tisch und legte den Zettel sicher vor sich ab.

„Ich glaube das es sich hierbei um Koordinaten handelt.“, berichtete er und die wissenschaftliche Neugier blitzte in seinen Augen auf. Trautman seufzte, er hatte ähnliches vermutet, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Mike einfach nur im Fieberwahn irgendwelche Zahlen aneinandergereiht hatte, war eben deutlich größer. Währenddessen kam der Soldat mit einigen Karten zurück. Winterfeld nahm sie ihm dankend entgegen und beugte sich dann darüber. Einige legte er sofort wieder zur Seite, doch schließlich fand er wonach er suchte und legte den Zettel darauf.

„Hier.“, sagte er dann und zeigte auf einen Punkt. „Das sind die Koordinaten.“

Singh studierte ebenfalls die Karte und nickte dann.

„Er hat recht, Trautman.“

Doch der Kapitän der Nautilus sah weiterhin zögernd drein und deutete auf die Zahlen und die Karte.

„Aber das erklärt es immer noch nicht, es sind zu viele Zahlen.“, merkte er an. „Was sollen diese Zahlen bedeuten?“

„Es ist die Tiefe, in die wir tauchen müssen.“, sagte eine Stimme hinter ihnen und alle fuhren erschrocken herum, Mike stand direkt hinter ihnen. Er war immer noch blass, aber sein Erscheinungsbild strahlte eine neue Stärke aus, die vorher nicht da gewesen war. Für einen Moment erschien es so als wäre er wie ein Wunder genesen, doch der Schein trügte.

Mit zitternden Händen zog er sich einen der Stühle heran und setzte sich. Nervöse Blicke wurden ihm von allen Seiten zugeworfen, doch es irritierte ihn nicht, er spürte eine neue unbekannte Selbstsicherheit. Es musste etwas mit dem seltsamen Traum zu tun haben – nein es war kein Traum – der Fremde war real gewesen. Er war nicht körperlich anwesend, aber er war da gewesen und hatte ihm geholfen. Er hatte ihm Zeit verschafft, doch er wusste das er davon trotzdem nicht ewig hatte.

„Keine Angst.“, sagte er, dies galt vor allem den verschreckten Schwestern und dem Arzt der bereits eine neue Injektion vorbereitete. „Ich habe mich unter Kontrolle, zumindest zurzeit. Ich hatte etwas Hilfe.“

Singh sprang von seinem Stuhl auf und legte Mike seine Hand auf die Schulter, dieser drückte sie dankbar. Mikes rehbraune Augen lächelten ihn wissend an und wäre der Inder nicht so schon verloren gewesen in seiner Liebe zu ihm, wäre seine letzte Abwehr jetzt gefallen. Er erkannte Mike in diesen Augen, aber auch etwas anderes, dass vorher nicht dagewesen war. Eine Kraft, die der er sich nicht entziehen konnte. Die ihn faszinierte.

„Danke.“, flüsterte er Singh zu.

„Wofür?“, fragte er verwundert zurück.

Mike lächelte sanft. „Das du die ganze Zeit da warst.“

Trautman räusperte sich, um die Aufmerksamkeit Mikes wieder auf sich zu lenken, bevor die beiden komplett in ihrer eigenen Welt verschwanden. Mike drehte langsam den Kopf zu ihm, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen und er hatte das Gefühl nicht gänzlich den Mike vor sich zu haben, den er kannte.

„Hilfe? Von wem?“, fragte Trautman schließlich.

Doch Mike zuckte nur mit den Schultern.

„Das kann ich schwer erklären.“, fing er an und beeilte sich weiter zu reden, als er Trautmans zweifelnden Blick auffing. „Ich verstehe es ja selbst nicht wirklich, aber er hat gesagt, dass sie wissen was zu tun ist, wenn sie die Zahlen haben. Bitte, bringen sie mich da hin.“

Trautman sah in weiter prüfend an und man sah wie es hinter seiner Stirn arbeitete.

„Was werden wir da finden? Weißt du es?“

Mike schüttelte den Kopf und erwiderte Trautmans bohrenden Blick ohne mit der Wimper zu zucken, bis Trautman schließlich seufzte.

„Also gut.“, sagte er schließlich. „Wir haben ja keinen anderen Anhaltspunkt und ich will auch nicht weiter hier herumsitzen, bis es dir noch schlechter geht. Allerdings wird es einige Tage dauern bis die Nautilus wieder fahren kann, geschweige denn tauchen.“

Und sie wussten nicht ob Mike einige Tage hatte, war der Gedanke den sie alle dachten.

Ein betretenes Schweigen löste die beginnende Heiterkeit im Raum ab. Mike spürte wie sich Singhs Hand auf seiner Schulter verkrampfte und senkte den Blick. Das war dann also seine einzige Chance gewesen, er hatte sie sich selbst durch seinen Ausbruch auf der Nautilus verwehrt. Jetzt konnte er darauf warten bis er langsam starb und dabei hatte er im Gefühl, dass das auch für den Rest seiner Freunde sehr unangenehm werden würde. Vielleicht sollte er sich eine einsame Insel dafür suche, dachte er bitter.

Der Einzige der nicht mit in dieses Trübsal einstieg war Winterfeld, er fing plötzlich über das ganze Gesicht an zu grinsen.

„Das ist doch gar kein Problem.“, verkündete er fröhlich. „Wir nutzen die Leopold und schleppen die Nautilus bis zu den Koordinaten und zusammen mit meinen Männern haben wir das Schiff schneller wieder klar als sie gucken können.“

Trautman, Singh und auch Mike sahen ihn entgeistert, aber auch misstrauisch, an. Winterfeld war der Mann, der Mike aus dem Internat in England entführte, ihn monatelang auf seinem Schiff festhielt um an die Geheimnisse Nemos und die Nautilus zu kommen, der sie immer wieder erbarmungslos durch die Weltmeere jagte, und gerade dieser Mann sollte jetzt ihre einzige Hoffnung sein.

Aber welche Wahl hatten sie schon?

„Ich habe nur eine Bedingung.“, fuhr Winterfeld fort und sah sich den eiskalten Blicken dreier Augenpaare entgegen. Er ließ sich davon nicht beeindrucken und lächelte entwaffnend. „Ich will mit an Bord der Nautilus, wenn ihr da runter taucht. Ich werde mir doch nicht entgehen lassen, was da unten auf uns wartet.“

Teil 10

Zwei Tage hatte es gedauert. Zwei Tage, in denen sie mit Hilfe der Techniker der Leopold quasi ein Wunder bewirkt hatten. Die Nautilus war zwar nicht so gut wie neu, aber bereits nach einem Tag schafften sie es selbstständig fahrt aufzunehmen und mussten nicht mehr von der Leopold abgeschleppt werden. Es hatte nichtsdestotrotz einiges an Arbeit von allen verlangt, sie hatten kaum geschlafen in dieser Zeit. Bis auf Mike, den man von jeder noch so kleinen Aufregung bewahrte und es wirkte.

Es gab nur einige wenige kleine Zwischenfälle.

Aber ein erneuter heftiger Ausbruch wie auf der Nautilus blieb zum Glück aus und diese Anfälle geschahen immer, wenn Mike sich großem emotionalem Stress ausgesetzt fühlte und nur Singh schien in diesen Momenten in der Lage, ihn zu beruhigen und schlimmeres zu bewahren. Es gab nur eine Situation in der sie es für angebracht hielten Mike zu betäuben. Aber diese Ruhe trügt, zwar kam es nicht zu gefährlichen Situationen, jedoch wurde Mike zusehends schwächer und Fieberschübe plagten ihn immer wieder.

Sie waren jetzt an ihrer Position angekommen und es liefen nur noch wenige Tests, die zeigen sollten ob die Nautilus wirklich wieder tauchfähig war. Mike lag in seinem Quartier auf der Nautilus und wartete das Singh zurück kam. Sie hatten beschlossen, dass es für ihn das Beste war, wenn er so lange wie möglich in vertrauter Umgebung blieb und auch so wenig wie möglich von dem mitbekam, was um ihn herum geschah. Unter anderen Umständen währe er sauer darüber gewesen so abgeschirmt zu werden. Aber es wirkte, seine Ausbrüche waren weniger geworden, auch wenn er sich keinesfalls gut fühlte. Der Kopf tat ihm furchtbar weh und es fühlte sich immer wieder an, als würden elektrische Entladungen durch seinen Körper fahren. In einer Sekunde war ihm eiskalt, dann fühlte er sich als würde er verbrennen. Die Zeit, die der Fremde ihm verschafft hatte, schien langsam abzulaufen.

Aber er konnte es ertragen, solange Singh bei ihm war. Er wusste nicht wie er es tat, aber immer wenn sich ein Sturm in ihm aufbaute, reichte eine Berührung vom ihm und die dunklen Wolken verflüchtigten sich. Er war sich jedoch bewusst, dass das nicht lange so gehen würde, aber er vertraute seinen Freunden. Sie würden alles tun, was möglich war und er würde so viel Selbstbeherrschung aufbringen wie er nur konnte.

Ein Klopfen erscholl und die Tür wurde leise geöffnet, auch in dem dämmrigen Licht seines Quartiers konnte Mike sofort erkennen wer es war und er lächelte Singh matt entgegen. Der Inder schloss die Tür behutsam und vermied jeden Lärm und Mikes Kopf war ihm sehr dankbar dafür, dann setzte er sich zu ihm auf die Bettkante.

Er erwiderte das Lächeln, streckte die Hand nach Mikes Wange aus und strich sanft darüber.

„Du glühst wieder.“

Mike lehnte sich lächelnd gegen die Hand und schloss für einen Moment die Augen. Genoss einfach die Kühle, die im Gegensatz zu seinem Fieber, von der Hand ausging. Er spürte wie das Pulsieren hinter seiner Stirn langsam an Intensität abnahm und die tausend elektrischen Ameisen sich wieder in einen hinteren Teil seines Gehirns verzogen.

„Wie ist es gelaufen?“, fragte Mike schließlich, die Augen immer noch geschlossen und seine Lippen berührte liebkosend Singhs Hand.

„Wir werden tauchen können.“, berichtete Singh. „Vorerst nur langsam, das ist am sichersten, aber es geht.“

Singh wählte sehr vorsichtig die Informationen, die er Mike mitteilte, denn er war sich wohl bewusst das selbst eine unbedeutende Kleinigkeit bei Mike viel auslösen und ihn erneut in einen Anfall, wie sie es genannt hatten, bringen konnte. Er hatte ihm daher auch nichts von dem Gespräch erzählt, dass Trautman mit ihm geführt hatte, als sie beschlossen, dass es das Beste war, wenn er die meiste Zeit bei Mike war, um erneute Anfälle entgegen zu wirken.
 

Da im Kontrollraum und auch im Salon einfach zu viele Leute waren, hatte Trautman ihn kurzer Hand in sein Quartier gebeten, denn das was er mit Singh zu besprechen hatte war zu brisant um es jeden an Bord des Schiffes wissen zu lassen.

Das letzte was er wollte war Klatsch auf seinem Schiff, vor allem nicht in dieser Zeit. Aber er musste es einfach mit Singh klären.

Er bat Singh auf dem einzigen Stuhl in dem kleinen Raum platz zu nehmen und blieb selbst stehen. Es fiel ihm schwer wie er beginnen sollte, er hatte sich zwar versucht auf das Gespräch mit seinem langjährigen Freund vorzubereiten, doch wusste er nach wie vor nicht wie er es angehen sollte. Zumal es eine höchst private Angelegenheit zwischen Singh und Mike war, aus der er sich normalerweise herausgehalten hätte, aber da Mike der Sohn seines engsten Freundes war und er sich für ihn verantwortlich fühlte, hielt er es für seine Pflicht.

Er sah aus dem Augenwinkel wie der Inder ihn erwartungsvoll ansah und räusperte sich.

„Es gibt da etwas was ich mit dir besprechen muss.“, setzte er schließlich an, Singh sah ihn auffordernd an und schwieg jedoch.

„Wie du weißt ist die Nautilus nicht unendlich groß und daher achten ich, und auch jeder andere hier, auf die Privatsphäre des anderen.“, fuhr Trautman sichtlich nach Worten ringend fort. „Es ist nun nur so, dass mir die Entwicklung zwischen dir und Mike sorgen bereitet und ganz ehrlich, ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll.“

Er brach ab und sah Singh mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und Fassungslosigkeit an.

Singh versteifte sich auf dem Stuhl, hielt dem Blick Trautmans jedoch stand.

„Sie wissen es.“, sagte er ganz trocken und sachlich.

Als hätten diese Worte einen Bann gebrochen brach es schließlich aus Trautman heraus. Er nickte mechanisch, den Blick starr auf Singh gerichtet.

„Was hast du dir nur dabei gedacht, Singh? Er ist sein Sohn; du hast Nemo geschworen ihn zu beschützen und stattdessen vergreifst du dich an ihm.“

Er sah wie Singh auffahren wollte und würgte ihn jedoch mit einer Handbewegung ab.

„Mike kann ich das verzeihen, er ist jung und bei ihm kann man das sicher als jugendlichen Wahnsinn verbuchen, aber du Singh? Was ist nur in dich gefahren, dass du jede Vernunft über Bord wirfst? Er ist beinahe noch ein Kind und du gute zehn Jahre älter als er, davon, dass ihr beide dasselbe Geschlecht habt will ich gar nicht erst anfangen.“

Singhs Gesichtszüge verspannten sich mit jedem Wort, mit einem Ruck stand er auf und straffte sich. Er würde seine Liebe zu Mike von niemanden schlecht reden lassen, auch von Trautman nicht.

„Sie haben unrecht, Trautman, er ist kein Kind mehr. Er ist einundzwanzig und kann selbst entscheiden was er möchte; und nein, ich habe ihn nicht dazu gedrängt, als ich merkte was ich fühle habe ich sogar zuerst versucht ihn auf Abstand zu halten.“

Trautman schnaubte verächtlich, aber diesmal war es Singh der ihn nicht zu Wort kommen ließ.

„Mich an ihm vergriffen.“, wiederholte er bitter lachend, was Trautman ihm noch vor wenigen Minuten vorgeworfen hatte. „Sie wissen genau, dass ich nie etwas tun könnte was ihn verletzt oder er nicht möchte und ich hätte so eine Beleidigung von jedem erwartet, aber nicht von Ihnen.“

In Singhs Stimme schwang eine Bitterkeit, die Trautman erschütterte und auch der Gefühlsausbrauch, des sonst so beherrschten Inders, berührte etwas tief in ihm. Aber es war sein Stolz, der ihn davon abhielt zuzugeben das er falsch lag.

„Vielleicht hätte ich niemals zulassen dürfen das ihr alle ein Leben an Bord der Nautilus führt. Vielleicht hätte ich es so tun sollen, wie ich es erst vorhatte, die Nautilus versenken und ihr alle hättet ein normales Leben geführt.“, sagte Trautman schließlich seufzend.

„Das hätte nichts geändert.“, sagte Singh ruhig. „Auch dann wäre ich an seiner Seite, so wie es für mich vorgesehen ist. Ich würde ihn niemals alleine lassen, selbst dann, wenn er meine Gefühle nicht erwidern würde, gehört meine Loyalität ihm. Wenn ich ihn retten könnte indem ich mein Leben gebe; ich würde es sofort tun!“

Geschockt von diesem Geständnis senkte Trautman den Blick, sein Weltbild geriet immer mehr ins Schwanken.

„Nun gut.“, meinte er schließlich. „Ich muss es nicht gutheißen, aber im Moment scheint uns die Sache zwischen euch zu helfen. Du bist der Einzige bei dem er sich beruhigt, daher wäre es gut, wenn du während der ganzen Zeit bei ihm bleibst. Sollten wir deine Hilfe im Kontrollraum benötigen, sage ich es dir.“

Trautman wandte sich ab und für Singh war klar, dass das Gespräch beendet war, also verlies er wortlos die Kabine. Unter anderen Umständen käme es einer Kränkung gleich, dass man ihn quasi aus der Kommandozentrale des Schiffes ausschloss, aber Mike war ihm wichtiger.
 

„Singh? Ist alles in Ordnung?“
 

Mikes Stimme holte ihn wieder in das Hier und Jetzt zurück und er nickte, während er ihm eine Strähne aus dem Gesicht strich. Seine Haut war nun eiskalt und blass.

„Mir ist so kalt.“, kam es gepresst aus Mike und seine Lippen zitterten deutlich. Wortlos stand Singh auf, nahm eine weitere Decke vom Stuhl und deckte Mike sorgfältig damit zu. Doch da er sich nach wie vor aufgrund der Kälte schüttelte, legte Singh sich kurzerhand zu Mike und zog ihn in seine Arme. Lächelnd vergrub Mike sein Gesicht in Singhs Halsbeuge und atmete dessen Duft ein, er versuchte sich jede Nuance gut einzuprägen, denn er wollte sich bis zu seinem letzten Moment an jedes kleine Detail von Singh erinnern.

Er spürte immer deutlicher wie der Tod auf in wartete; aus allen dunklen Ecken auf ihn zukroch wie ein Raubtier, das seine Beute jagte. So sehr er darauf vertrauen wollte, dass alles gut werden würde, so wurde doch mit jeder Stunde die verging seine Angst größer. Und das Schlimmste war, dass er sich fühlte als würde er damit seine Freunde verraten. Sie taten alles und er verlor immer mehr die Hoffnung.

Mikes Atmung ging zusehends schneller und er versteifte sich in Singhs Armen, griff Halt suchend nach dessen Hand. Er schloss die Augen, aber das bewahrte ihn nicht vor den Blitzen die hinter seiner Stirn wüteten und den vielen kleinen elektrischen Ameisen, die von seinem Gehirn entlang seines Rückenmarks in seinen gesamten Körper zu kriechen schienen. Gequält stöhnte er auf und drückte die Hand fester, es musste Singh Schmerzen bereiten, doch dieser verzog keine Miene.

Singhs Blick glitt kurz über die Spritze, die einsatzbereit auf dem Nachttisch lag, jedoch war dies nur sein letztes Mittel.

Sanft streichelte er Mike über das schwarze Haar und flüsterte ihm unablässig beruhigende Worte nah an seinem Ohr.

„Ganz ruhig. Es wird alles gut.“

Doch Mike fühlte sich als würde sein Kopf jeden Moment zerplatzen, er drückte sich vor Schmerz in das Kissen und warf Singh einen verzweifelten Blick zu. In Singh zog sich alles zusammen, doch er kämpfte die Angst schnell zurück, denn Mike würde es spüren und er musste jetzt stark sein für ihn.

„Du musste die Spritze…“, presste Mike hervor, doch Singh schüttelte den Kopf.

„Du kannst das.“, sagte er sicher. „Du atmest jetzt ein und dann aus.“

Mike sah ihm fest in die Augen und befolgte Singhs Anweisung.

„Gut, und jetzt noch mal. Langsam ein und dann aus.“

Dabei hielt er seine Hand auf Mikes Brust und fühlte wie sie sich hob und senkte; am Anfang noch hektisch und schließlich immer ruhiger und regelmäßiger. Mike öffnete die Augen als seine Schmerzen auf ein erträgliches Maß gesunken waren und lächelte Singh erschöpft an.

„Ich liebe dich.“

In den Augen des Inders strahlte es auf und langsam näherten sich ihre Lippen. Sie versanken in einen Kuss, der leidenschaftlich und gefühlvoll war und keinen Raum mehr ließ für Gedanken wie Angst und Zweifel. Die Kälte wich zusehends aus Mike, das Kribbeln hinter seiner Stirn war zwar noch da, fühlte sich aber nun nicht mehr bedrohlich an. Im Gegenteil, es war angenehm und lockte ihn, wie eine Tür hinter der es Neues zu entdecken gab. Der Kuss brannte auf seiner Haut und ließ in verzückt zurück mit einem Gefühl, dass er so nicht beschreiben konnte. Sie hatten sich schon oft geküsst und er kannte Lust, Leidenschaft und Erregung, aber dies war neu. Er öffnete während des Kusses die Augen und suchte Singhs Blick, als er die Augen des Inders fand war es als würde ihm ein Tor geöffnet.

Singh keuchte überrascht auf, als er Mikes Augen begegnete war es als würde jede Zelle in seinem Körper vor Ekstase aufschreien.

So schnell wie es begonnen hatte prallte Mike zurück, als er begriff, dass er dabei war in Singhs Kopf einzudringen.

„Es tut mir leid.“, nuschelte er.

Singh sah ihn starr an und Mike befürchtete, dass er einen großen Fehler begangen hatte.

„Mach weiter.“, sagte der Inder stattdessen atemlos.

Vollkommen perplex sah Mike ihn an.

„Bist du sicher? Ich weiß nicht mal was ich da getan habe und ob es dir schaden kann.“

„Ich weiß das du mir nicht wehtun wirst.“

Sie ließen sich beide zurück auf das Bett fallen, auf der Seite liegend und ihre Gesichter so nah beieinander, dass sie den Atem des jeweils anderen spüren konnten. Mike sah Singh noch einmal fragend an und als dieser nickte, griff er nach seiner Hand und sie versanken erneut in den Kuss. Er wusste nicht ob es noch einmal funktionieren würde, aber schnell vernahm er wieder dieses Gefühl und ließ sich nun voll und ganz auf Singhs Augen ein.

Er merkte wie etwas von ihm tief in Singh vordrang und wie er mit ihm jedes Gefühl spürte das Singh vernahm und er wusste das er genauso jede seiner Gefühlsregungen an den Inder übertrug. Es war etwas absolut Intimes, dass er mit ihm teilte, mehr noch als sich körperlich zu lieben, denn kein einziger Gedanke oder Erinnerung Singhs blieb ihm verborgen und ebenso verbarg er nichts vor ihm. Sie waren in diesem Moment quasi eins; auf einer Ebene verbunden, die er vorher nie für möglich gehalten hatte.

Er ergab sich in diesem Tanz der Gefühle und es war ihm, als währe er in seinem Leben nie sicherer und genau am richtigen Ort gewesen, wie in diesem Moment. Singh Hand streichelte sich von seinem Gesicht durch seine Haare, und das Echo dieser Tat hallte in ihren beiden Köpfen wieder. Sie mussten beide Stöhnen.

Wie wäre es wohl, wenn sie sich nun auch noch körperlich lieben würden? War es Singhs Gedanke, oder seiner? Mike wusste es nicht und es war nicht von Bedeutung. Er musste Lächeln und dieses breitete sich zwischen ihnen aus wie ein Wassertropfen, der in einen See fällt.

Sie blieben noch einige Minuten in dieser tiefen Verbindung, bis Mike am Rande seines Bewusstseins etwas spürte und sich langsam zurückzog.

Er richtete sich auf und sah auf den schwer atmenden Singh herab, der ebenfalls langsam in die Wirklichkeit zurückfand.

„Es ist so weit.“, sagte Mike wissend.

Der Inder sah ihn fragend an, kam jedoch nicht zu einer entsprechenden Frage, denn in diesem Moment klopft es aufgeregt an der Tür.

Singh sprang auf, öffnete die Tür und konnte gerade noch zur Seite hasten, als ein aufgeregter Chris an ihm vorbei in den Raum stürmte.

„Trautman schickt mich.“, sagte der Junge aufgeregt. „Ihr sollt auf die Kommandobrücke kommen. Mein Gott, das müsst ihr euch ansehen!“

Teil 11

Ohne ein weiteres Wort fuhr Chris wieder herum und lief ohne auf eine Reaktion der beiden zu warten zur Treppe zurück. Singh drehte sich mit einem überraschten Gesichtsausdruck zu Mike, der ihn mit einem sonderbaren Lächeln ansah.

„Bist du bereit?“, fragte Mike ihn. Singh schüttelte den Kopf und machte einen Schritt auf ihn zu.

„Sollte ich das nicht dich fragen?“

Immerhin war es Mikes Leben, dass hier auf dem Spiel stand und gerettet werden musste und ihre einzige Hoffnung war etwas, was sie in beinahe tausend Metern Tiefe auf dem Grund des Meeres gefunden hatten. Was auch immer es war, dass Chris so in schiere Aufregung versetz hatte.

Mike nahm Singhs Hände in seine und in seinen Augen erschien ein merkwürdiger Ausdruck.

„Ich habe keinen anderen Weg mehr zu gehen, aber du kannst noch entscheiden, ob du mir ab hier weiter folgen willst.“

„Welchen Grund sollte es geben dir nicht mehr zu folgen? Ich habe dir versprochen dich nicht alleine zu lassen und das werde ich auch nicht.“

Singhs Gesicht strahlte pur Entschlossenheit aus und Mike bezweifelte keine Sekunde, dass er seine Worte so meinte, wie er sie sagte. Er seufzte und sah nun eindeutig traurig aus.

„Weil der Moment kommen wird, in dem du mich gehen lassen musst und wenn du das nicht kannst, dann ist es besser, wenn du hierbleibst.“

Betroffen sah Singh ihn an, Mike schien fest davon überzeugt zu sein es nicht zu schaffen. Energisch schüttelte er den Kopf.

„Nein, so darfst du nicht denken. Du wirst nicht sterben, du wirst leben. Verstehst du?“

Mike öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, überlegte es sich dann aber anders. Es hatte keinen Sinn jetzt weiter mit Singh darüber zu reden, er konnte und wollte es zum jetzigen Zeitpunkt nicht verstehen.

Also nickte er nur.

„Lass uns die anderen nicht länger warten.“, meinte er dann.
 

Die kurze Strecke bis zum Kontrollzentrum der Nautilus überwanden sie schweigend und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Zielstrebig setzte Mike einen Fuß vor den anderen, die Schultern straff und gerade, denn er war nicht bereit Unsicherheit auszustrahlen. Er hatte Angst, sehr sogar, doch er versuchte durch seine Körperhaltung diese Emotion nicht zu tief in seinen Kopf zu lassen. Zeit war kostbar und sie jetzt mit Zaudern zu vergeuden töricht, alles was vor ihm lag musste nun bewältigt werden, egal was es in ihm auslöste.

In seinem Rücken konnte er Singhs sorgenvolle Blicke spüren und es war nicht nur ein Gefühl wie man es manchmal hat, wenn jemand einen anstarrte, er fühlte Singhs Verwirrtheit und seinen Schmerz als wären es seine Gefühle. Es musste wohl etwas mit der Verbindung zutun haben, die er mit ihm eingegangen war.

Was immer sie hier unten erwartete, es machte etwas mit ihm. Mike fühlte sich noch immer wie eine tickende Zeitbombe. Die Energie, die in ihm steckte, versuchte immer noch ihm das Gehirn zu verbrennen und sich zu entladen und alles was ihr im Weg stand mitzureißen, doch spürte Mike auch Fähigkeiten in sich, die immer mehr zu ihm zu gehören schienen und die er beinahe kontrollieren konnte.

Er durchschritt die offenstehende Tür des Salons, dicht gefolgt von Singh und sah aus dem Augenwinkel wie dieser vor Erstaunen im Gehen erstarrte. Sein Blick war wie paralysiert auf das große Aussichtsfenster gerichtet.

„Mein Gott, was ist das?“, keuchte Singh.

Trautman, Kapitän Winterfeld, sowie Serena und die anderen Jungen hatten sich ebenfalls um das große Fenster versammelt. Und obwohl sie schon seit einigen Minuten länger hier standen, hatten sie sich kaum von dem Anblick, der sich ihnen bot, erholen können.

Chris hatte seine Nase aufgeregt gegen die Scheibe gedrückt.

„So etwas habe ich noch nie gesehen!“, rief der Junge begeistert.

„Das hat wohl niemand.“, antwortet Trautman tonlos, er war deutlich blass.

Einzig Mike ließ sich nicht von der allgemeinen Aufregung anstecken. Bedächtig näherte er sich mit langsamen Schritten dem Fenster. Er hatte die Wahrheit gesagt, als er meinte er wüsste nicht was sie hier unten erwartete, aber innerlich hatte er die ganze Zeit eine Ahnung gehabt. Doch sie war tief in ihm verschlossen gewesen.

Als er jetzt aus dem Fenster sah, schien sich dieses Schloss zu öffnen und er spürte nicht die Fassungslosigkeit, die er eigentlich fühlen sollte.

Was vor ihnen von den mächtigen Scheinwerfern der Nautilus angestrahlt wurde war ein Schiff. Kein gesunkenes Schiff das die Weltmeere befuhr und auch kein Unterseeboot.

Das Schiff war um einige hundert Meter größer als die Nautilus und schien aus einem seltsamen Metall zu bestehen das grau und grün funkelte, je nach dem wie das Licht darauf fiel. An einem Ende war es beinahe oval, wie eine langgezogene Scheibe und nach unten und oben konnte er mehrere Reihen von Fenstern entdecken. Das Schiff musste um die fünfzig Decks haben und die Anzahl von Personen das es befördern konnte ahnte er nicht einmal. Der hintere Teil endete wie in einem dicken kurzen Stiel und darauf waren drei Gondeln zu erkennen. Mike mutmaßte, dass es womöglich das Antriebssystem darstellte.

Nein, dieses Schiff war nicht für das Wasser gemacht, dachte Mike. Ohne Schrecken erkannte er, dass es sich um ein Sternenschiff handeln musste.

Winterfeld wandte sich zu ihm um und sah ihn nachdenklich an.

„Du siehst gar nicht überrascht aus.“

Mike starrte durch ihn hindurch, dann drehte er sich mit einem Ruck um und lief zur Steuerkonsole des Unterseebootes.

„Wir stehen falsch.“, meinte er trocken. Trautman sah ihn fragend an, doch bevor eine entsprechende Frage stellen konnte fuhr Mike fort.

„Ich bringe uns näher heran, sonst ist es bis zum Einstieg zu weit."

„Zum Einstieg?“, ächzte Juan. „Du… du meinst du willst da hinüber?“

Mike ignorierte seine Frage und steuerte die Nautilus vorsichtig längsseits an das Sternenschiff heran und richtet schließlich die Scheinwerfer auf einen Punkt aus.

„Also ich erkenne da gar nichts.“, sagte Ben verwirrt und auch Trautman runzelte die Stirn. Er erkannte nichts, dass auf einen Eingang hindeutet, ihm war nicht klar wie Mike auf das Schiff gelangen wollte.

Gerade als er Mike eine entsprechende Frage stellen wollte, lief dieser zur Salontür.

„Wo willst du hin?“, rief er entgeistert.

„Zur Tauchkammer.“

„Aber doch nicht alleine!“, entrüstete sich Trautman. „Mike, du gehst nicht alleine da hinüber! Wer weiß was uns dort erwartet. Nein, Singh und ich werden dich begleiten.“

„Ich komme mit.“, warf Winterfeld ein und Trautman drehte sich erbost um und hielt ihm einen Vortrag darüber, dass es kein Kinderspiel war die Tauchanzüge des Unterseebootes zu benutzen und es eine entsprechende Einweisung bedurfte. Doch der Kapitän der Leopold ließ sich nicht beirren und schließlich resignierte Mike.

„Lassen Sie ihn, Trautman. Die Minuten, die Sie für die Einweisung benötigen würde ich gerne nutzen um noch einmal mit Singh zu reden.“

Trautman nickte schließlich und nahm den vor Freude strahlenden Winterfeld auf das unterste Deck der Nautilus mit, während Mike sich mit Singh in eine ruhige Ecke zurückzog.

„Du willst mich nicht dabeihaben.“

Mike sah Singh betroffen an und schüttelte den Kopf.

„Nein, das ist es nicht.“

„Weist du was dich da erwartet?“, fragte der Inder und wieder war es an Mike den Kopf zu schütteln.

„Nein. Nicht so wirklich, aber ich fühle das es alles verändern wird.“

Verzweiflung blitze in Singhs Augen auf.

„Es muss einen Grund haben das wir hier sind. Sicher finden wir dort etwas, was dich heilen kann und dann wird alles gut.“

Mike wusste ganz genau, dass es nicht so einfach war und Singh wusste das auch. Er sah ihm fest in die Augen.

„Du weißt, dass es nicht so ausgeht.“

Singh sagte nichts, doch sein Blick war Antwort genug.

„Versprich mir etwas.“, fuhr Mike fort. „Wenn es sein muss, lässt du los. Dann lässt du mich gehen.“

Es verstrichen einige Sekunden in denen keiner etwas sagte und schließlich überwand Singh die Distanz zwischen ihnen und schloss Mike in seine Arme.

„Kannst du das?“, fragte Mike, dicht an Singh gepresst.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Singh ehrlich. „Aber ich verspreche dir, dass ich es tun werde.“

Da Mike wusste, dass es für Singh stark an seine Ehre verknüpft war Versprechen zu halten, stellte ihn diese Antwort zufrieden und so schob er ihn eine halbe Armlänge von sich weg und lächelte.

„Dann lass uns gehen.“

Teil 12

Singh und er verließen als letztes die Schleuse der Tauchkammer und traten in die Weiten des Ozeans. Die mächtigen Scheinwerfer der Nautilus erhellten ihren Weg, doch bei jedem Schritt, den sie taten, wurde so viel Schlamm vom Grund des Meeres aufgewirbelt, dass es einem doch schwer fiel die Hand vor Augen zu sehen.

Er erkannte die Umrisse von Trautman und Winterfeld, die sich in dem Moment erwartungsvoll zu ihnen herumdrehten, als sich die Schleusentür hinter ihnen mit einem dumpfen Geräusch schloss.

Vorsichtig setzte Mike einen Fuß vor den anderen, um auf dem schlammigen Grund nicht auszurutschen und bedeutete den anderen ihm zu folgen. Singh ging dicht an seiner Seite, um jederzeit eingreifen zu können, sollten Mike die Kräfte versagen.

Es war nicht einfach sich in den Taucheranzügen zu bewegen, sie waren keinesfalls leicht und es erforderte einiges an Kraft. Sie in geschwächtem Zustand zu benutzen war beinahe schon fahrlässig, aber Mike hatte keine Alternative und täte er es nicht, wäre es sowieso egal.

Also konzentrierte er sich auf dem Weg, der vor ihm lag und war froh, die Nautilus so nah wie möglich an das Sternenschiff gebracht zu haben.

Suchend ließ er den Scheinwerfer an seinem Handgelenk über die Außenhülle des Schiffes gleiten und registrierte das seine Freunde seinem Beispiel folgten. Er wusste nicht genau wonach er suchte, doch er fühlte eine Sicherheit in sich, dass er es wusste, wenn er es sah. Es war beinahe als würde jemand ihn fremdsteuern.

Der Fremde, dachte Mike.

Ob er in diesem Moment bei ihm war? Führte er ihn und Mike dachte, dass es seine eigenen Entscheidungen waren?

Konzentriert horchte er in sich hinein und konnte doch die Stimme des Fremden nicht vernehmen. Vielleicht war es einfach Instinkt, der ihn leitete.

Abrupt blieb er stehen und Singh, der ihm immer noch dicht gefolgt war, wäre um ein Haar mit ihm zusammengeprallt.

„Was ist?“, hörte Mike dessen Stimme in seinen Kopfhörern, die in seinem Helm eingebaut waren.

Mike stutzte kurz.

„Ich glaube hier ist es.“, sagte er dann zögernd.

Trautman und Winterfeld traten dich hinter ihn und musterten die Metallwand vor ihnen. Schließlich schüttelte der Kommandant der Nautilus den Kopf, eine Bewegung die man aufgrund des schweren Anzugs mehr erahnen, als sehen konnte. Er konnte nicht im Ansatz etwas erkennen, das einer Tür oder einer Luke ähnelte.

„Ich sehe da nichts.“, gestand er und machte sich innerlich dafür bereit unverrichteter Dinge zur Nautilus zurück zu kehren.

„Nicht so schnell.“, gab Mike zurück, als hätte er seine Gedanken gelesen.

Suchend fuhr Mike mit der dick behandschuhten Hand über eine Stelle des Metalls, schließlich erscholl ein leises metallisches Klicken und eine Schalttafel ließ sich erkennen.

Er besah sich die Tasten und Schalter, die mit Schriftzeichen bedruckt waren die er noch nie gesehen hatte und doch hatte er das Gefühl genau zu wissen was zu tun war.

„Wofür sind diese Schalter?“, fragte nun Winterfeld ungeduldig.

„Sie öffnen die Tür.“, gab Mike trocken zurück.

„Tür? Welche Tür?“

Bis auf die offene Schalttafel war weiterhin nichts zu sehen, erst als Mike einige der Knöpfe drückte erschienen die Umrisse einer großen Luke.

„Beeindruckend!“, entfuhr es Trautman. „Woher hast du es gewusst?“

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Mike ehrlich. „Ich wusste es einfach.“

„Kannst du sie öffnen?“, fragte Singh angespannt und Mike konzentrierte sich auf die Schalttafel.

„Ja.“, sagte er gedehnt. „Aber wenn ich sie jetzt öffne, läuft ein Großteil des Schiffes mit Wasser voll.“

„Macht das denn einen Unterschied?“, warf Winterfeld ein. „Ich meine, es ist doch schon gesunken. Ein bisschen Wasser mehr…“

Er zuckte die Schultern; Mike drehte sich langsam zu ihm um und sah ihm fest in die Augen.

„Es ist noch intakt.“, hörte er sich sagen und wusste selbst nicht, wie er das wissen konnte.

Singh seufzte.

„Und wie kommen wir jetzt hinein?“

Mike hob die Hand um sich am Kopf zu kratzen, eine unwillkürliche Bewegung die ihm oft beim Nachdenken half, und ließ sie dann wieder sinken als er begriff wie sinnlos das mit dem schweren Helm auf seinen Schultern war. Konzentriert sah er sich die Schalttafel erneut an.

„Ah!“, entfuhr es ihm und dann flogen seine Finger wie von selbst über die Tasten. Im nächsten Moment hörte er ein Zischen, als sich die schweren Schotts der Tür auseinanderschoben.

Mike hielt die Luft an und erwartete in der nächsten Sekunde mit dem Sog der gewaltigen Wassermassen in das Schiff gezerrt zu werden, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen stand das Wasser wie eine Mauer vor der offenen Tür des Schiffes.

In seinen Kopfhörern hörte Mike die erstaunten Rufe der Anderen und auch ihn beeindruckte das was sich vor ihm abspielte nicht weniger.

Mit geweiteten Augen streckte er vorsichtig die Hand aus und näherte sich ehrfürchtig der Wassermauer. Als seine Finger das Wasser durchstießen und sich der Öffnung der Tür näherten, knisterte es sichtbar unter seinen Fingern und sanfte Wellen liefen durch die Mauer. Einen kurzen Moment ließ er die Hand wo sie war, den Atem angehalten und spürte in sich hinein.

Er vernahm keinen Schmerz, also bewegte die Hand weiter und durchstieß den geringen Widerstand. Erstaunt sah er seinen Unterarm an, der sich nun im trockenen Inneren des Schiffes befand, dann atmete er tief durch und machte einen großen Schritt.

Mike drehte sich sofort zu seinen Freunden um, die ihm mit einer Mischung aus Erstaunen, Entsetzen und Ehrfurcht entgegensahen.

„Kommt!“, rief er ihnen auffordernd zu. „Es ist ganz einfach und tut auch nicht weh.“

„Das… das ist doch verrückt.“, stammelte Winterfeld, wurde jedoch von Trautman und Singh ignoriert.

Singh suchte Mikes Blick, er sah ihm fest in die Augen und durchschritt dann ohne zu zögern ebenfalls die Wand. Ein fassungsloses Lachen entfuhr ihm, als er auf der anderen Seite ankam.

„Er hat Recht, Trautman. Es ist absolut harmlos.“

Trautman nickte, wandte sich an Winterfeld und gab ihm nun doch die geschuldete Antwort.

„Sie können ja gerne hier draußen bleiben.“

Anders als Singh wagte er sich jedoch nicht mit einem Schritt durch die Barriere, sondern tastete sich vorsichtig voran.

Als schließlich auch Winterfeld das Schiff betrat, ging Mike zu einer weiteren Schalttafel und die mächtige Metalltür schloss sich wieder. Davon das abermillionen Tonnen Wasser sie umgab zeugten nur noch kleine Pfützen, die sich durch ihre nassen Taucheranzüge auf dem Fußboden bildeten. Aber nun wo das Wasser sie nicht mehr umgab, spürten sie aber auch deutlich das Gewicht, das die Anzüge auf die Waage brachten.

Mike lief zielstrebig zu einem kleinen Bildschirm am Ende des Raumes und besah sich seinen Inhalt. Es zeigte eine schematische Darstellung des Schiffes, dazu immer wieder kleine Texte und Schriftzüge in der fremden Sprache und wieder fuhren seine Finger von selbst darüber. Und er wusste nicht was er getan hatte, aber das Schiff schien zum Leben zu erwachen. Überall schalteten sich Lichter ein und ein leises Summen und Rauschen, wie von laufenden Maschinen, war zu hören.

Ihr könnt jetzt die Anzüge ausziehen. Die Luft ist atembar.

Mike schreckte auf und sah sich nach allen Richtungen um, was auch den anderen nicht entging.

„Was ist los?“, fragte Singh alarmiert.

„Hast du ihn auch gehört?“, fragte Mike zurück und erkannte jedoch sofort in Singhs Gesicht das dem nicht so war.

„Wen gehört?“

Statt einer Antwort griff Mike zu den Verschlüssen seines Helmes, öffnete sie ohne zu zögern und setzte den Helm in einer schnellen Bewegung ab. Erschrocken sogen Trautman und Singh die Luft ein und er warteten schon, ihn erstickend auf dem Boden liegend zu sehen, doch nichts dergleichen geschah. Als Mike ihnen ein Zeichen gab seinem Beispiel zu folgen, waren sie schließlich froh die schweren Anzüge los zu sein.

Erstaunt sahen sie sich um.

Sie befanden sich in einem gewaltigen Frachtraum; es war ein einfacher funktioneller Raum, doch er strahlte so viel Fremdartigkeit aus und ein Frösteln durchlief sie.

Mike war der Erste der dieses bizarre Gefühl überwand und lief zielstrebig auf die gegenüberliegende Tür zu.

„Von wem hast du gesprochen?“, hakte Trautman nach, der ihn zuerst eingeholt hatte.

„Der Mann aus meinem Traum. Er sagte mir was zutun war. Ich habe von dem ganzen hier genauso wenig Ahnung wie sie.“

Gerade wollte Mike nach dem Schalter neben der Tür greifen, als Trautman ihn in der Bewegung aufhielt und seinen Arm festhielt.

„Mike, du weißt nicht wer er ist und was seine Absichten sind. Wir sind hier dabei dein Leben in die Hand eines völlig Fremden zu geben, der es nicht für nötig hielt dir zu sagen wer er ist, stattdessen aber in deinem Kopf eindringt, wie es ihm passt. Woher willst du wissen, dass wir hier nicht in eine Falle laufen?“

Trautmans Sorge war durchaus berechtigt, denn sie waren schon in Situationen wie diese geraten, in denen sie durch Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten beeinflusst und schließlich verraten wurden. Er dachte dabei an den Atlanter Argos, der vorgab Serenas verschollener Vater zu sein und sie schließlich durch seine telepathischen Kräfte zu seinen Marionetten machte, um seine eigenen Ziele zu verfolgen.

Argos täuschte sie alle, bis auf Mike, dem es immer wieder gelungen war, sich dessen Macht zu entziehen. Aber Mike wusste, dass diese Situation anders war.

Ja, er wusste nicht wer der Fremde war, doch so verrückt es war, kam er Mike unheimlich vertraut vor und er zweifelte keine Sekunde an ihm.

Entschlossen berührte seine Hand den Schalter und die Tür öffnete sich zu einem weiten Korridor, der durch sanfte Lichtstreifen linkst und rechts des Ganges erhellt wurde.

„Ich weiß, dass wir ihm vertrauen können.“

Er seufzte.

„Außerdem habe ich keine andere Wahl.“

„Verzeih mir, dass ich dich bisher im Dunkeln lassen musste, aber du wirst es bald verstehen.“

Mike erschrak kein bisschen, er wusste das der Fremde weiterhin seine Gedanken lass und ihn so leitete.

„Bist du hier?“, fragte er den Unbekannten.

Innerlich konnte Mike fühlen, wie er den Kopf schüttelte.

„So nah ich sein kann. Bitte, vertrau mir. Ich leite dich zu einem Raum, von dem aus ich dich zu mir holen kann und dann kann ich dir helfen.“

Sie folgten weiterhin dem Gang und er ignorierte die Fragen der anderen, denn er kannte den Weg selbst nicht und vertraute blind. Auch von ihrem stummen Gespräch erzählte er nichts.

Er wollte sie nicht beunruhigen, doch es fiel ihm immer schwerer sich zu konzentrieren und einen Schritt vor den anderen zu setzen. Seine Arme und Beine wurden langsam wie schweres Gummi.

„Was ist mit meinen Freunden?“

„Ich werde dafür sorgen, dass sie sicher auf die Nautilus zurückkehren.“, versicherte der Fremde ihm.

Mike hielt inne und lehnte sich schwer atmend gegen die Wand.

„Werde ich sie wiedersehen?“

Er spürte das Zögern und die Unsicherheit des Fremden; der Kopf begann ihm zu dröhnen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Singh ihn sorgenvoll ansah und seinen Arm berührte, doch er konnte dies kaum wahrnehmen. Alles was er fühlte war elektrisches Kribbeln.

„Ich kann dir darauf jetzt keine Antwort geben.“

Das war nicht das, was er hören wollte und verkrampft hielt er sich an der Wand fest. Ein Schmerz fuhr durch seinen Kopf, wie er ihn noch nie erlebt hatte, als würde er lebendig brennen. Dabei brannte sich das Feuer von seinem Kopf, über den Rücken bis in die entferntesten Zellen und er konnte nicht anders als gepeinigt zu wimmern.

„Nein!“, entfuhr es dem Fremden und Mike vernahm nun deutlich Panik in dessen Stimme. „Nein, das darf nicht passieren!“
 

Singh sah wie jede Farbe aus Mikes Gesicht wich und war sofort an seiner Seite, dabei machte er sich keine Mühe seine Besorgnis zu verbergen. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals und als er seinen Freund berührte, spürte er eine bittere Ahnung in ihm aufsteigen.

Mikes Worte hallten in seinem Kopf wieder.

„Es wird der Moment kommen, an dem du loslassen musst!“

Nein!

Dieser Moment würde nicht jetzt kommen. Nicht, wenn er es verhindern konnte. Jede Zelle seines Körpers sträubte sich einfach dagegen zu akzeptieren, dass Mike sterben würde.

Ein gequältes wimmern ließ ihn zusammenzucken.

„Halte durch! Bitte…“

Am liebsten hätte Singh laut aufgeschrien oder etwas zerschlagen, er wusste das sie Mikes Rettung so nahe waren und doch, wenn er ihn jetzt so sah, wusste er, sie hatten verloren.

„Es ist zu weit. Ich schaffe es nicht mehr.“, Mike lächelte gequält, nicht nur aus Schmerz, sondern auch aus Verbitterung.

Singh schüttelte entschieden den Kopf und zog Mike auf die Füße, doch dieser verlor sofort wieder das Gleichgewicht und sackte zusammen.

„Jetzt komm mir nicht so!“, sagte er eine Spur schärfer, als er es beabsichtigt hatte, legte sich Mikes Arm um die Schulter und riss ihn vorwärts. „Heute stirbt hier keiner!“

Mike sah ihn ausdruckslos an; seine Haut war leichenblass und feine Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn. Er schüttelte den Kopf und Singh konnte sich kaum ausmalen, welche Schmerzen ihn diese einfache Bewegung machen musste.

„Du kennst nicht mal den Weg.“, raunte er mit zusammengebissenen Zähnen seinem ehemaligen Beschützer zu. „Gib auf und geh mit den anderen zur Nautilus, solange ihr noch könnt.“

Es war nicht nur so daher gesagt.

Das Kribbeln und der Schmerz in seinem Körper bedeuteten das er starb, aber Mike wusste, dass er nicht einfach einschlafen würde. Nein, alles was sich in seiner Nähe befand würde er mitreißen, in einem Ausbruch, der alles Bisherige übertreffen würde.

Singh und seine Freunde durften nicht hier sein, wenn das geschah.

Doch dieser Sturkopf reagierte einfach nicht!

„Du hast mir etwas versprochen, Singh! Geht jetzt!“

Er schrie es fast und konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie Winterfeld und auch Trautman von ihm zurückwichen.

Nur Singh schien es einfach nicht begreifen zu wollen.

„Nein!“
 

Singh presste den Kiefer fest zusammen, dass es schon unangenehm war.

In seinem bisherigen Leben hatte er jedes Versprechen gehalten, so schwer es ihm das eine oder andere Mal auch fiel, doch er konnte und wollte dieses Versprechen nicht halten. Dieses Mal packte ihn die Verzweiflung, schüttelte ihn durch und ließ ihn einfach erstarren, seine Prinzipien galten ihm nichts.

Wenn es nur eine Möglichkeit gab, dies alles zu überstehen…

Aber so, würde seine Wahl auf den Tod fallen.

Sein Leben hatte keinen Sinn ohne ihn. Er kannte keinen anderen Lebensinhalt, außer ihm. Sein Schützling, sein Herr, sein Freund und schließlich sein Geliebter.

In seiner tiefen Verzweiflung bemerkte er erst im beinahe letzten Augenblick, wie etwas nach ihm griff. Er fuhr herum und erwartete Trautman zu sehen, der ihn von Mike wegzerrte, doch hinter ihm stand niemand. Ihm stellten sich die Nackenhaare auf, als er tief in seinem Bewusstsein eine Berührung vernahm und etwas erneut nach ihm griff.

Nun energischer.

Etwas versuchte, das was er Seele nannte auf den Grund der Bewusstlosigkeit zu zerren.

„Nein!“, schrie Singh und in diesem Moment konnte er nicht sagen, ob es die Reaktion auf Mike war, oder auf das Fremde Wesen, dass sich ihm aufdrängte und versuchte ihm die Sinne zu nehmen. Aber so jäh, wie er dieses Wort ausspie merkte er, dass nicht nur er dieses eine Wort in die Welt schrie. Singh spürte wie sein Schmerz und die Verzweiflung geteilt wurden.

Es war der Moment, an dem er losließ.

Er würde es nicht in der Hand haben, ob Mike lebte oder starb, denn er wurde in einen weit entfernten Winkel seines Kopfes gedrängt, an dem er nur beobachten und vertrauen konnte. Aber es bereitete ihm keine Angst oder Unbehagen mehr, stattdessen fühlte er eine Ruhe und Frieden wie lange nicht mehr.

Dann wurde alles um ihn Schwarz.

Teil 13

„Nein!“, schrie Singh ihn an und Mike starrte seinen Beschützer mit weit aufgerissenen Augen an, doch etwas war seltsam. Singh schien durch ihn hindurch zu sehen. Seine schwarzen Augen sahen ins Leere, die Lippen zitterten und die dunkle Haut war aschfahl geworden. Nun war es Mike, der sich trotz des nahen Todes, um seinen Freund sorgte.

„Singh?“

Es folgten wenige Sekunden in denen nichts geschah, dann ruckte Singhs Kopf mechanisch zu ihm herum, dass es Mike kalt den Rücken herunterlief. Seine Augen waren im ersten Moment so leer, als würde kein Leben darin existieren, dann war es als fiele ein Vorhang und als dieser sich wieder öffnete, war etwas in Singh das Mike noch nie gesehen hatte.

„Es gibt noch einen anderen Weg.“, sagte Singh fest und zerrte Mike herum, in den Korridor aus dem sie eben kamen.

Der Inder lächelte Mike sonderbar an.

„Ich weiß nicht ob es wirklich funktioniert, aber welche Wahl haben wir schon?“

Vollkommen perplex sah Mike seinen Freund an, dann begriff er, es war nicht Singh den er vor sich hatte.

Es war der Fremde.

„Es geht ihm gut, keine Sorge. Ich musste so handeln, ich hatte keine Wahl.“

Wie um seine Worte zu bekräftigen, schüttelte ein heftiger Anfall Mike bis ins Mark durch und ließ die Luft sich elektrisch aufladen. Mike keuchte auf vor Schmerz, doch der Fremde zog ihn ohne Erbarmen weiter.

Die Energie in ihm pulsierte und wollte mit aller Macht hervorbrechen, um alles um sich zu vernichten. Das Licht flackerte zusehends, immer wieder krachte und zerbarst es um sie herum. Funken stoben, wenn Leitungen brachen und Metall splitterte.

„Mein Gott!“, entfuhr es Winterfeld. „Er wird uns alle umbringen!“

Er wurde durch einen scharfen Blick Trautmans zum Schweigen gebracht, doch Winterfeld hatte recht. Es grenzte an einem Wunder, dass keiner von ihnen bisher lebensbedrohliche Verletzungen davongetragen hatte.

„Gleich geschafft.“, sagte der Fremde/Singh, wie um sie zu informieren, doch Mike spürte auch, dass er vielmehr sich selbst zu beruhigen versuchte.

Mike krallte seine Finger in die Haut Singhs, als er die Welle in seinem Inneren sich aufbauen sah und er wusste sofort, es würde die letzte sein. Er kratze alles was er noch an Konzentration hatte zusammen um sie aufzuhalten, sodass der Fremde ihn nun mehr hinter sich herschleppte, als das er ihn stützte.

Sie brachen durch die nächste Tür in einen Raum, der etwas wie ein Lazarett sein musste. Denn links und rechts waren je drei Liegen an der Wand angebracht, darüber je einen Bildschirm. Doch diese schienen nichts mit dem Plan des Fremden zutun zu haben, denn er lief zielstrebig weiter in den hinteren Raum.

Als Mike die Kammer sah, begriff er.

Er hatte so etwas schon einmal gesehen.

Damals in der Kuppel auf dem Meeresgrund, in der sie Serena – die letzte überlebende atlantische Prinzessin – fanden.

Es sah aus wie ein etwa zwei Meter großer gläserner Sarg auf einem schwarzen Block, an dessen Ende sich mehrere Schalttafeln und Anzeigen befanden. Dessen Benutzer fiel in einen so tiefen Schlaf, sodass er mehr einem Toten glich.

Serena hatte auf diese Art zehntausend Jahre überlebt, bis sie durch Winterfeld aus ihrer ewigen Ruhe gerissen und schließlich zu einem wichtigen Teil der Nautilusbesatzung wurde.

Kurz fragte sich Mike, wie viele Jahre es für ihn sein würden.

War er dazu verdammt, tausende von Jahren besinnungslos in dieser Kammer zu liegen?

Er schob den Gedanken beiseite.

Der Fremde hatte Recht, sie hatten keine andere Wahl.

Mit fliegenden Fingern öffnete der Fremde die Kammer und drehte sich dann zu Trautman herum.

„Helfen Sie mir ihn herein zu heben!“

Trautman sah Singh mit einem geschockten Blick an, auch er hatte das Gebilde vor sich natürlich wiedererkannt.

„Singh, was…?“, er brach ab.

Eine erneute Explosion erschütterte den Raum und ließ sie alle zusammenzucken.

„Das ist nicht Singh.“, klärte Mike Trautman auf. Er hielt sich am Rand der Kammer fest, unfähig für jede weitere Bewegung und selbst das Sprechen fiel ihm schwer.

„Bitte, vertrauen Sie ihm.“, brachte er gepresst hervor.

Das wirkte, entschlossen trat Trautman auf Mike zu und fasste dessen Beine, während Singh/der Fremde ihn unter den Achseln griff.

Vorsichtig legten sie ihn in die Kammer.

Ohne weiter Zeit zu verlieren, lief der Fremde zum Kopfende und betätigte einige der Schalter, woraufhin sich die Kammer langsam von unten nach oben schloss.

Mikes Atem ging stoßweise und er musste gegen die nackte Panik ankämpfen, als die Abdeckung sich über seinem Gesicht schloss. Angstverzerrt riss er die Augen auf und kreuzte den entsetzten Blick Trautmans.

Er presste die Hand gegen die Scheibe. Genauso musste es sich anfühlen lebendig begraben zu werden, doch der Gedanke entglitt ihm sofort wieder und ließ einer dumpfen Ruhe platz. Am Rande nahm er wahr, wie seine ausgestreckte Hand kraftlos neben seinen Körper fiel und er einfach nur noch schlafen wollte.
 

Trautman hatte noch nie in seinem Leben einen Schock gefühlt, wie in diesem Moment. Zögernd näherte er sich wieder der Kammer und blinzelte, als ob sich dadurch, das Bild was sich ihm bot ändern würde.

Nein, es war Realität.

Er sah nach wie vor Mike, der wie tot in diesem gläsernen Sarg lag. Seine Atmung war so flach, das es schwer war zu glauben, dass er noch am Leben war.

Mit zitternden Fingern streckte er den Arm aus und legte die flache Hand auf das kühle Glas.

„Lebt er noch?“, fragte er an den Fremden gewandt, seine Stimme brach an diesen drei Worten. Er zitterte am ganzen Körper und das Blut rauschte ihm in den Ohren, sodass er nicht gleich realisierte, das er keine Antwort erhielt.

Schließlich hob er irritiert den Kopf, sah dem Fremden/Singh in die Augen und runzelte die Stirn. Singhs Augen wirkten für einige Sekunden vollkommen leer, so als hätte er nur eine Hülle ohne Inhalt vor sich, dann blinzelte Singh und ein Ausdruck vollkommenen Erstaunens machte sich in dessen Gesicht breit.

„Trautman?“, fragte Singh, und seine Stimme klang, als spräche er zum ersten Mal in seinem Leben. „Wo…wo sind wir hier?“

Trautman sah seinen langjährigen Freund betroffen an.

„Du erinnerst dich nicht, was in den letzten Minuten passiert ist?“

Statt einer Antwort sah Singh vollkommen verwundert nach unten auf die unterschiedlichen Schalter und Anzeigen, auf denen seine Hände noch lagen und zog sie dann so jäh weg, als hätte er sich an heißem Metall verbrannt.

Langsam, als würde er noch darüber nachdenken, schüttelte er den Kopf.

„Was ist das hier?“, murmelte er, dann lief es ihm eiskalt den Rücken herunter. „Mike? Wo ist Mike?“

Er sah Trautman in die Augen. Dieser erwiderte seinen Blick mit einem sonderbaren Ausdruck und langsam wanderte Trautmans Aufmerksamkeit zurück zu der gläsernen Kammer. Dabei schluckte er hart.

Singh folgte dessen Blick und schritt langsam von der Konsole zu der Kammer nach vorne. Seine Hände bebten so stark, dass es ihm unmöglich war sie still zu halten. Er sah das was vor ihm war, aber sein Gehirn weigerte sich es zu begreifen.

„Nein.“, brachte er, am Rande des Wahnsinns stehend, hervor.

„Singh, es gab keine andere Lösung.“, fing Trautman an und lief schnell auf Singhs Seite, um ihm beizustehen, da er Angst hatte, dass dieser jeder Zeit zusammenbrechen würde. Seit er den Inder kannte, war dieser einer der stärksten und selbstsichersten Menschen, denen er je begegnet war. Die Welt hätte über Singh zerbersten können, er wäre aufrecht gestanden und seinen Weg gegangen. Von dieser Person war nun nichts mehr zu sehen.

„Er…er ist … tot.“

„Nein Singh, er lebt.“ Trautman deutete auf die Kammer. „Es war die einzige Möglichkeit sein Leben zu retten.“

Der Inder schüttelte den Kopf und fing beinahe hysterisch an zu lachen.

„Nennen Sie das leben? Und nun? Gehen wir einfach zur Nautilus zurück und lassen ihn hier? Für vielleicht tausende Jahre oder bis hier alles zusammenbricht?“

Er machte eine ausholende Bewegung und Trautman schwieg. Aber Singh erwartete auch keine Antwort, doch er bekam eine.
 

„Wenn wir Glück haben, nur für ein paar Stunden.“
 

Trautman erstarrte; er kannte die Stimme, doch das konnte unmöglich sein. Langsam drehte er sich in die Richtung, aus der er sie vernommen hatte und schüttelte den Kopf. Auch Singh brachte es fertig, noch geschockter auszusehen, als er es sowieso schon war. Nur Winterfeld blickte ahnungslos in die Runde.

„Das ist vollkommen unmöglich.“, flüsterte Trautman, als würde jedes laute Geräusch das Bild vor ihm verschwinden lassen.

Winterfeld sah fragend von einem zum anderen.

„Was ist los? Kennen Sie diesen Mann?“

Beinahe synchron nickten Singh und der Kapitän der Nautilus.

„Ja, aber er ist seit vielen Jahren tot. Das ist …“

„Nemo!“, entfuhr es Singh.

Der Fremde trat aus dem Schatten unter der Tür heraus, und lächelte sie offen und ehrlich an.

„Es freut mich auch, euch wiederzusehen.“

In seiner Stimme schwang ein leichter Unterton von Spott mit, doch er konnte seine alten Freunde durchaus verstehen, immerhin hielten sie ihn all die Jahre für tot. Er würde, wenn die Zeit es zuließ viel zu erklären haben.

„Aber, Sie sagten doch er sei tot, Trautman.“, meinte Winterfeld zweifelnd.

Nemo besah Winterfeld mit einem abschätzigen Blick und obwohl er ihn nie zuvor gesehen hatte, wusste er genau, wen er vor sich hatte. Seine geistige Verbindung mit Mike, die er eingehen musste um ihm zu helfen, hatte ihm so einiges über diesen Mann erfahren lassen. Aber das war nun nicht, das was seine Aufmerksamkeit erforderte.

„Ich fühle mich ziemlich lebendig.“, gab er mit einem schelmischen Lächeln zurück und wandte sich dann an Singh. „Das mit vorhin tut mir leid. Es ist eigentlich nicht meine Art, einfach jemanden meinen Willen aufzuzwingen, doch die Situation erforderte eine solch extreme Maßnahme.“

Der Inder starrte ihn an und man konnte deutlich sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete.

„Das waren Sie, aber wie ist das möglich?“

Nemo war neben ihn getreten und sah auf die Schlafkammer hinab, in der sein bewusstloser Sohn lag. Auf seinem Gesicht erschien ein Schatten, doch er verdrängte diese Gefühlsregung sofort wieder und lächelte Singh warm an.

„Ich beantworte euch alle Fragen die ihr habt, aber erst muss ich mich um Mike kümmern.“

„Der Fremde, der Mike in seinem Traum und hier auf dem Schiff geholfen hat, das waren Sie?“, begriff Trautman und konnte sich nicht im Entferntesten vorstellen, wie Nemo das getan hatte.

Der ehemalige Kapitän nickte. „Auch das erkläre ich später.“

„Und Sie können Mike helfen? Wissen Sie denn was ihm fehlt?“, brachte Singh auf den Punkt, was sie alle dachten. Dabei lag seine Hand die ganze Zeit auf der Glasabdeckung, als könnte er Mike dadurch berühren; selbst jetzt würde er nicht von seiner Seite weichen. Nemo bedachte Singh mit einem weiteren warmen Lächeln. Als er seinen Sohn damals verlassen musste, wusste er, dass Singh ihm ein treuer Leibwächter und Freund sein würde, aber mit so einem Ausgang hätte er nicht gerechnet.

„Ja, man könnte sagen das es in der Familie liegt.“

Er seufzte und es fiel ihm selbst nicht leicht seinen Freunden das folgende zu erklären, aber so wie die Situation jetzt war, hatten sie ein Recht auf die volle Wahrheit.

„Mr. Winterfeld, sie haben meinen Sohn untersuchen lassen. Ist ihnen da etwas aufgefallen, das Besonders war?“

„Ja, …“, begann der Angesprochene zögernd, doch Nemo würgte ihn sofort wieder ab.

„Sie wissen Ihre Antwort bereits. Doch Sie weigern sich es zu verstehen, weil alles was ihr Menschen nicht kennt oder begreifen könnt, für euch nicht existiert.“

Sowohl Winterfeld, als auch Singh und Trautman sahen ihn irritiert an.

„Wir Menschen?“, zitierte der Kapitän der Leopold mit hochgezogener Augenbraue.

Nemo stieß die angehaltene Luft aus, er hatte sich etwas mit seinen Emotionen mitreißen lassen.

„Die Zellen, die Sie fanden waren nicht menschlich, weil Mike kein Mensch ist, zumindest nicht zu hundert Prozent.“

„Kein Mensch?“, entfuhr es Trautman. Nemo schüttelte mit einem geheimnisvollen Gesichtsausdruck den Kopf.

„Nein, wir stammen von einem etwa 440 Lichtjahre entfernten Planeten namens Kri´tika in einem Sternengebilde, dass ihr Plejaden nennt. Ich weiß, wie sich das für euch anhören muss, aber es ist die Wahrheit und ob ihr es glaubt oder nicht, unsere Völker verbindet mehr als ihr denkt.“

Er sah in die geschockten Gesichter seiner Freunde und beschloss, dass sie ein paar Minuten brauchten, bevor er sie mit noch mehr Informationen belasten konnte. Gebannt sah er auf die Anzeigen der Schlafkammer und überprüfte Mikes Vitalfunktionen. Erleichtert stellte er fest das er stabil war und seine Gehirnfunktion soweit eingeschränkt, dass es die Krankheit stoppte, aber keine Schäden hinterließ. Jetzt musste er die Kammer nur noch für den Transport vorbereiten.

„Sie haben noch nicht gesagt, was mit Mike los ist.“, bohrte Singh nach; er wirkte vollkommen gefasst trotz der Information, dass Mikes Wurzeln fern dieser Welt lagen. Es sah in ihm ganz anders aus, aber er brauchte Antworten und sobald er Ruhe fand, würde er sehen wie er das alles für sich einordnen konnte.

Nemo nickte.

„Natürlich. Wie du am eigenen Leib erfahren musstest, verfügen die Angehörigen meines Volkes über Fähigkeiten, die ihr als übermenschlich bezeichnen würdet. Von klein auf lernen wir, sie zu beherrschen, doch bei vielen kommt es zu einer Krankheit, die wir „das Verglühen“ nennen. Man könnte es grob als eine Entgleisung der Biochemie im Gehirn bezeichnen, aber ich will euch nicht mit wissenschaftlichen Details langweilen. Ohne Kontrolle reißen diese Kräfte alles was ihnen im Weg steht ohne erbarmen in den Tod.“

Trautman schüttelte energisch den Kopf. Vor ihm stand ganz klar Nemo und er hätte ihm zu jeder Zeit blind vertraut, aber das was er da hörte war alles viel zu fantastisch, um wahr zu sein. Er kannte Mike nun jetzt seit über fünf Jahren und noch nie hatte er erlebt, wie Mike über Fähigkeit gebot, die weit über ihrer Vorstellungskraft lagen.

Nein, was Nemo versuchte ihnen zu erzählen konnte unmöglich die Wahrheit sein.

Nemo und Mike sollten Außerirdische sein?

Wahrscheinlicher war, dass er mit samt der Nautilus tot auf dem Meeresgrund lag und sich alles nur zusammenfantasierte.

„Sind Sie sich da ganz sicher?“ Nemo lächelte wieder auf diese unergründliche Art. „Überlegen Sie genau. Haben Sie sich nie gefragt, warum Mike der einzige ist, der mit Astaroth kommunizieren kann, oder warum er es als einziger schaffte Argos zu widerstehen?“

Der Angesprochene blinzelte. Nemo lass seine Gedanken?

„Die ganze Zeit schon; dafür muss ich mich ebenfalls entschuldigen. Es ist nicht meine Art, aber die Situation gebietet, dass ich umfassend wahrnehmen muss, was um mich herum geschieht. Außerdem spart es Zeit.“

Es ratterte nur so in Trautmans Kopf und auch den anderen sah er an, wie unangenehm es ihnen war, dass ihre Gedanken für Nemo so offen lagen als wären sie niedergeschrieben.

Aber Nemo hatte recht, es sparte Zeit. Und so dachte er nur daran, wie Mike in der Unterwasserkuppel, in der sie Serena fanden, von Astaroth gebissen wurde. Es war bis jetzt eine plausible Erklärung für ihn gewesen, das Astaroths Biss der Auslöser dafür gewesen war. Was Argos anging, so dachte er das es für den Atlanter irgendwann einfach zu anstrengend wurde, sieben Individuen gleichzeitig zu manipulieren. Wodurch Mike sich schließlich aus seinem Bann befreien konnte.

Nemo schüttelte den Kopf.

„Der Grund dafür liegt in dem was Mike ist. Auch wenn er zur Hälfte ein Mensch ist, verfügt er über die gleichen Fähigkeiten wie jeder Kri auch. Das diese sich vorher nie in vollem Umfang äußerten liegt daran, dass ich sie tief in seinem Unterbewusstsein verborgen habe bevor ich ging.“

Er brach plötzlich ab, fuhr aufgebracht herum und auf seinem Gesicht erschien ein angespannter Ausdruck.

„Was ist los?“, fuhr Singh erschrocken auf. „Ist etwas mit Mike nicht in Ordnung?“

„Nein. Es ist die Nautilus, etwas stimmt dort nicht!“

Teil 14

Angespannt sah Serena aus dem großen Aussichtsfenster im Salon der Nautilus und musterte das Sternenschiff mit zusammengekniffenen Augen. Das Bild hatte sich seit gut zwei Stunden nicht verändert. Die Nautilus lag nach wie vor still, die mächtigen Scheinwerfer strahlten das unheimliche Schiff vor ihnen an und von ihren Freunden war immer noch nichts zu sehen. Sie machte sich langsam wirklich Sorgen und auch in den Gesichtern von Juan und Ben sah sie wachsende Unruhe.

Wo blieben die nur, dachte sie sich. Die Sauerstoffvorräte in ihren Anzügen hielten nicht ewig und sie waren jetzt schon wirklich lange da draußen. Sie konnten jetzt nur noch für Minuten Luft zum Atmen haben.

„Was machen die so lange?“, ließ nun Ben seinen Unmut freien Lauf, und sprach damit aus, was sie alle dachten.

Juan zuckte die Achseln und versuchte sich von dem angstvollen Blick, den Serena ihm zuwarf nicht zu sehr beunruhigen zu lassen.

„Die werden schon gleich zurückkommen.“, sagte er, doch es klang nicht sehr sicher. Und man spürte deutlich, dass er es nur sagte um sich selbst zu beruhigen. Was nicht wirklich viel brachte.

„Meinst du?“, gab Ben spitz zurück. „Wie lange haben sie wohl noch Sauerstoff? Zwanzig Minuten? Fünfzehn?“

Serena zuckte zusammen und sah dann hinüber zu Astaroth, der sich erschöpft auf einem der Sessel zusammengerollt hatte. Es war nicht mehr als dreißig Minuten her, dass Astaroth plötzlich wie ein Irrer aufsprang und maunzte und schrie, wie sie es noch nie gehört hatte. Der Kater schien vollkommen blind und taub vor Panik zu sein und es dauerte einige Zeit bis er sich wieder beruhigt hatte.

„Da muss etwas passiert sein.“, sprach Serena ihre Befürchtung aus. „Vielleicht sollte jemand hinterher gehen. Was wenn sie Hilfe brauchen?“

Juan runzelte die Stirn und schien ernsthaft über ihren Vorschlag nachzudenken, während Ben ein verächtliches Lachen ausstieß.

„Du spinnst doch! Weißt du denn, wie du in dieses verdammte Schiff hineinkommst? Die Idee ist total bescheuert, wenn du mich fragst.“

Wütend rötete sich Serenas Gesicht und sie ballte die Fäuste; Ben konnte so ein Kotzbrocken sein. Die meiste Zeit schaffte sie es einfach seine Art zu akzeptieren, aber das ging jetzt zu weit. Immerhin ging es um das Leben ihrer Freunde. Wie konnte er da nur so kalt reagieren?

„Ich habe immerhin eine Idee!“, schrie sie ihn an.

Nun war es an Juan zu verhindern, dass die Situation eskalierte und Serena und Ben sich gleich an die Kehle gingen. Er hob beschwichtigend die Hand und bemühte sich so ruhig es ging zu sprechen.

„Ich sage es nur ungern, aber Ben hat recht. Jetzt blind da hinüber zu stürmen bringt uns nichts. Wir müssen uns etwas anderes überlegen. Kann Astaroth uns helfen?“

Ein schrilles Piepen von einer der Anzeigekonsolen ließ sie alle aufhorchen. Chris der am nächsten an der Konsole stand zog die Stirn kraus.

„Äh, was soll das bedeuten?“, fragte er verunsichert. Er hatte diese Anzeige in all ihrer Zeit hier auf der Nautilus noch nie gesehen und sein Bauchgefühl sagte ihm, dass es sich um nichts Gutes handeln konnte. Juan, Ben und Serena waren hinter ihn getreten und sahen ebenfalls auf das kleine rote Lämpchen hinab.

Serena lief es kalt den Rücken herunter und ihre Stimme war kratzig, als sie antwortete:

„Das uns bald die Luft ausgeht!“

„Was?!“, krächzte Chris.

„Das Filtersystem der Sauerstoffanlage scheint einen Defekt zu haben, wenn es nicht repariert wird steigt der Kohlendioxidanteil der Luft bald auf ein gefährliches Niveau.“

Sie war überrascht über sich selbst, wie ruhig sie diese Information aussprach, obwohl sie doch innerlich komplett am ausflippen war. Es musste wohl eine Art Schock sein, dachte sie.

Jedes bisschen Farbe war aus dem Gesicht des sonst so gebräunten Spaniers gewichen.

„Oh ok.“, gab Juan tonlos zurück. „Wie reparieren wir es?“

Serena sah ihn betroffen an.

„Gar nicht.“, stammelte sie. „Ich meine, ich weiß absolut nicht wie. Die einzige Möglichkeit ist aufzutauchen.“

Das Herz hämmerte ihr gegen die Brust. Sie hatte es selbst gesagt, es war ihre einzige Chance zu überleben. Sie mussten auftauchen, sonst würden sie bald ersticken, aber das würde auch bedeuten ihre Freunde da draußen im Stich zu lassen.

„Das können wir nicht machen!“, stieß Chris entsetzt aus. „Was ist mit Trautman, Singh und Mike?“

„Hast du nicht gehört? Wir ersticken in ein paar Minuten!“

Ben war einer Panik nahe, nein, er hatte sie bereits. Er wusste, dass er bei den anderen oft als kalt und gewissenlos angesehen wurde, aber dem war nicht so. Es bereitet ihm ebenso wenig Vergnügen seine Freunde hier draußen alleine zu lassen, aber wenn sie hier blieben wären sie alle tot. Und er wollte leben. So einfach war das eben im Moment für ihn.

„Vielleicht sind sie da drüben auf dem Schiff in Sicherheit.“, versuchte er sein Gewissen zu beruhigen und ihre Entscheidung einfacher zu machen. Die anderen sahen ihn zweifelnd an.

„Das glaubst du doch selbst nicht!“

Chris stand mit einem Satz auf, warf dabei seinen Stuhl um und es sah fast so aus, als wollte er sich auf Ben stürzen.

„Jetzt haltet alle euren Mund, wenn ihr nichts Produktives beizusteuern habt! So sparen wir wenigstens Sauerstoff.“, schlichtete Juan und es wirkte.
 

„Was ist los?“, wiederholte Singh seine Frage, eine Spur aggressiver als er es wollte. Nemo hatte sich die Finger seiner rechten Hand gegen die Stirn gepresst, die Augen in tiefer Konzentration fest geschlossen.

„Es ist die Nautilus.“, presste er unter zusammengebissen Zähnen hervor. „Das Sauerstoffsystem hat eine Fehlfunktion. Nicht mehr lange und es wird ziemlich ungemütlich da drüben.“

Heute schien wirklich nicht sein Tag zu sein. Egal welchen Plan er fasste, er ging schief. Der Kopf schmerzte ihm fürchterlich, denn es kostete ihm viel Kraft umfassend informiert zu sein. Das permanente lesen und filtern der Gedanken so vieler, sowie die kurzfristige Übernahme von Singh zollte seinen Tribut.

„Oh mein Gott!“, entfuhr es Trautman. „Ich muss zurück, sie können das System nicht alleine reparieren!“

„Sie wären nie rechtzeitig da!“, hielt Nemo ihn auf. „Und außerdem währen Sie nur einer mehr, der Sauerstoff verbraucht. Nein, ihre einzige Möglichkeit ist aufzutauchen.“ Er seufzte und sah Trautman ernst an. „Ihre Leute wissen was zutun ist, aber sie streiten darüber und ich glaube nicht, dass sie zu einer Entscheidung kommen, bis ihnen endgültig die Luft ausgeht.“

„Ich kann sie nicht einfach sterben lassen!“

Trautman fuhr herum und lief zum Ausgang der Krankenstation, doch Winterfeld hielt ihn am Arm fest und sah ihm fest in die Augen.

„Nemo hat recht, Sie werden nie rechtzeitig da ankommen.“

Wütend riss der Kapitän der Nautilus sich los und machte sich für eine scharfe Antwort bereit.

„Niemand wird sterben.“, sagte Nemo ruhig. „Und jetzt Ruhe, ich muss mich konzentrieren. Es ist kein Spaziergang den Körper eines denkenden Wesens zu übernehmen.“

Da er sich an Singh beinahe die Zähne ausgebissen hatte und schon recht erschöpft war, war er sich nicht sicher, ob er es wirklich schaffen würde. Aber es nicht zu versuchen stand nicht zur Debatte. Suchend glitt sein Geist durch den Kontrollraum der Nautilus und tastete nach dem geringsten Widerstand. Wie mit unsichtbaren Fingern berührte er zuerst Ben und Juan an der Schläfe, glitt dann jedoch weiter, als er merkte das er dafür zu viel Energie brauchen würde. Um die Anspannung los zu werden, stieß er die angehaltene Luft aus und versuchte es erneut. Diesmal nahm er sich den jungen Chris vor. In Gedanken entschuldigte er sich bei ihm, denn es galt in seinem Volk als mehr als unhöflich, sich des Geistes eines anderen Wesens ungefragt zu bemächtigen.

Er spürte wie der Junge vor Schreck zusammenfuhr und schickte ihn dann schnell und möglichst sanft in einem entfernten Teil seines Bewusstseins zum Schlafen.

Durch Chris’ Augen blickte er auf die Kontrolltafel der Tauchzellen und gab einen Befehl ein, sodass das Wasser aus den Ballasttanks des Schiffes ausgestoßen wurde und somit Auftrieb bekäme. Doch nichts geschah.

Er versuchte es erneut, jedoch ohne Erfolg.

„Mist!“, stieß er aus und ließ sein Bewusstsein wieder zu sich selbst kommen.

Mit knappen Worten berichtete er Trautman und Singh was geschehen war, woraufhin Trautman jede Farbe aus dem Gesicht wich.

Zitternd lehnte er sich an die Wand und die Gedanken jagten in seinem Kopf nur so dahin. Er hatte sie alle getötet, dachte er panisch. Wenn er auf der Nautilus geblieben wäre, hätte er vielleicht etwas ausrichten können. Aber er war nicht da. Er war verdammt dazu, hier zu stehen und nichts tun zu können. Er, als Kapitän und als Ältester von ihnen, hatte die Verantwortung für sie gehabt und er hatte sie im Stich gelassen.

Trautman spürte eine Hand, die sich fest auf seine Schulter legte und drehte den Kopf zu ihrem Besitzer. Als er Nemo in die Augen sah, legte sich der Sturm, der sich in ihm aufgebaut hatte und er fing an sich besser zu fühlen.

„Es ist noch nicht vorbei, Trautman.“

Nemo holte ein kleines rechteckiges Gerät aus seiner dunkelblauen Uniformjacke, hob es vor sein Gesicht und drückte eine kleine Taste.

„Dah´kar an Keya.“, sprach er hinein und es dauerte keine drei Sekunden, bis sich eine Stimme aus dem kleinen Apparat meldete.

„Was ist da unten los? Warum dauert das so lange?“

Singh wurde blass. Es war nicht aufgrund was oder wie die Stimme sprach, sondern weil er sie kannte. Aber das war unmöglich, dachte er.

So unmöglich wie Nemo, der vor ihnen stand.

„Ich habe keine Zeit das zu erklären.“, berichtete er dem Fragenden. „Ich brauche ein Team Techniker hier unten im Maschinenraum. Sofort. Und sag Dhaso Nova, er soll sich dem Team anschließen. Er meinte doch letztens, er kennt sich aus mit Oldtimern.“

„Verstanden.“, sagte die Stimme knapp und die Verbindung brach ab.

Schnell überprüfte Nemo erneut Mikes Schlafkammer, um sicher zu sein, dass in seiner Abwesenheit nichts geschehen konnte und gab schließlich den anderen einen Wink ihm zu folgen.
 

Ihr Weg führte sie zwei Decks tiefer zum Maschinenraum, wo sie schon eine Gruppe von Arbeitern erwartete. Sie trugen alle wie Nemo blaue Uniformen, auf deren Jacken sich eine verschiedene Anzahl von goldenen Streifen von der Schulter bis zu den Unterarmen zog, welche wohl den Rang der jeweiligen Person anzeigte. Hätte man nicht gewusst, dass es sich um außerirdische Wesen handelte, so wäre kaum ein Unterschied zu jedem anderen Menschen auf diesem Planeten aufgefallen. Ihre Haut hatte wie die Nemos, einen leicht gebräunten Ton, einige waren etwas dunkler, die Haare waren schwarz bis dunkelbraun. Einzig an ihren Augen erkannte man, dass sie etwas Besonderes waren. Die meisten hatten ein sattes Rehbraun, welches Singh stark an Mikes Augen erinnerte, doch einige trugen ein kräftiges Bernstein, das fast schon gelb war.

Das Schiff, dass vor wenigen Minuten noch wie ausgestorben erschien, erwachte hier unten nach und nach zum Leben. Es herrschte ein heftiges Getümmel, Kisten wurden in den Maschinenraum getragen, Konsolen geöffnet, Leitungen hingen lose heraus.

„Kapitän!“

Ein hochaufgewachsener junger Mann, mit dunkler Haut und leuchtenden bernsteinfarbenen Augen, winkte ihnen zu. Nemo sah zu ihm herüber und lief dann zielstrebig auf ihn zu.

„Nova, wie ich sehe waren erklärende Worte nicht nötig.“, sagte er anerkennend aufgrund der Tatsache, dass die Arbeiten hier unten schon im vollen Gang waren. Nova, der den Kopf schon wieder unter eine Konsole gesteckt hatte, blickte grinsend daraus hervor und blies sich das dunkelbraune Haar aus dem Gesicht.

„Eine Hand voll Techniker und ein zu ruhiger Maschinenraum auf einem hundertjährigen Schiff, na, da juckts mir doch in den Fingern. Wer soll denn da still rumstehen können?“

Da Nova bereits wieder, im wahrsten Sinne des Wortes, komplett in seiner Arbeit versunken war, beugte Nemo sich zu ihm herunter und sah ihn fragend an.

„Wann wird sie fliegen können?“

Dhaso Nova seufzte.

„Der Hauptenergiekern des Antriebssystems macht mir Sorgen, der Energiefluss schwankt zu sehr, als dass wir eine konstante Leistung erzielen können. So machen mir keine zwei Meter. Ich denke ich brauche eine Stunde um das zu beheben.“

„Sie haben eine halbe Stunde.“

„Was? “

Nova fuhr so schnell auf, dass er sich beinahe den Kopf an seiner Konsole stieß und sah seinen Kapitän an, als hätte dieser den Verstand verloren. Mit einem Kopfnicken deutete Nemo zu Trautman und den anderen beiden Männern.

„Ihr Schiff ist da draußen in Not und wir haben keine Stunde mehr. Wenn wir das nicht hinkriegen, dann sterben ihre Freunde.“

„In einer halben Stunde läuft der Antrieb.“, sagte Nova, während er die letzten Kabel an ihren bestimmten Platz steckte und die Konsole dann schwungvoll schloss. Ohne ein weiteres Wort seines Kapitäns abzuwarten, lief er los und trieb seine Arbeiter an.

Zweifeln sah Winterfeld Nemo an und auch in Trautmans Gesicht war ein angespannter Ausdruck.

„Meinen Sie er schafft das?“, fragte Winterfeld. „Ich meine, der Junge scheint gerade mal zwanzig zu sein.“

„Er ist achtzehn und einen besseren Techniker werden Sie diesseits der Milchstraße nicht finden.“, gab Nemo trocken zurück.
 

Angespannt stand Nemo auf der Brücke des in die Jahre gekommenen Schiffes und sah auf seine Uhr. Von den dreißig Minuten, die er Nova gegeben hatte, waren nur noch fünf übrig. Wie er es in der letzten halben Stunde häufig getan hatte, ließ er seinen Geist erneut auf die Nautilus schweifen. Die Lage war ernst, sehr ernst.

In wenigen Minuten würde die Atemluft toxisch werden und danach bliebe der restlichen Besatzung der Nautilus nicht mehr viel Zeit.

Nervös tickten seine Finger auf die Steuerkonsole, die nach wie vor leblos vor ihm lag, erstarrte jedoch in der Bewegung, als er die angstvollen Gesichter von Trautman und Singh sah.

Entschlossen drückte er den Schalter für die Sprechanlage, um zu erfahren was Nova so lange brauchte und just in diesem Moment leuchteten die Kontrollen vor ihm auf. Ein leichtes Zittern und Wummern lief durch das Schiff, wie als würde ein Tier aus dem tiefen Winterschlaf erwachen. Schnell gab er einige Befehle in die Konsole neben der seinen ein und auf einem großem Aussichtsfenster, das vorher so schwarz wie die Nacht gewesen war, erschien ein Bild des Meeresgrundes vor ihnen, der von gewaltigen Scheinwerfern fast taghell ausgeleuchtet wurde. Eine Reihe von Fischen schwamm aufgeschreckt davon, aufgrund dieser Störung, und Schlamm wurde aufgewirbelt wie tanzende Schleier. Beeindruckt von diesem Anblick verschlug es Trautman, Singh und Winterfeld regelrecht die Sprache und es ließ sie sogar für einige Minuten vergessen, in welcher Lage sie sich befanden.

Dann begann das uralte Raumschiff sich zitternd in Bewegung zu setzten und schwenkte dann auf der Stelle schwebend herum. Sie steuerten jetzt frontal auf die Nautilus zu, die direkt vor ihnen lag und das Schiff gewann dabei immer mehr an Höhe bis sie direkt über sie hinweg fuhren.
 

Serena lag mehr auf der Chaiselongue, als das sie saß. Den Kopf hatte sie gegen die Scheibe des großen Fensters gelegt und kämpfte gegen die Müdigkeit an, die immer mehr von ihr Besitz ergreifen wollte. Jeder Atemzug brannte, als ob sie statt Sauerstoff Säure atmen würde. Müde glitt ihr Blick zu den übrigen Sesseln der Sitzgruppe.

Juan sah sie aus glasigen Augen an; Chris war bewusstlos, doch erleichtert sah sie, dass seine Brust sich nach wie vor hob und senkte. Und Ben saß eisern an seiner Station und klammerte sich haltsuchend daran fest, wie sie alle war auch er der Bewusstlosigkeit nur einen Schritt entfernt.

Das war es also, das Ende, dachte sich Serena.

Ihre Augen begannen sich gerade zu schließen, als sie etwas sah. Doch sie musste es sich einbilden. Ihr Gehirn bekam zu wenig Sauerstoff und sponn sich daher Dinge zusammen, die unmöglich waren.

Das Raumschiff vor ihnen erhob sich aus dem Schlamm des Meeresgrundes, stieg immer weiter auf und zog schließlich über sie hinweg.

Unmöglich, schoss es durch Serenas Kopf. Sie beschloss, dass es angenehmer war sich dem süßen Schlaf hinzugeben, als ein heftiger Ruck durch die Nautilus fuhr und sie alle von den Sitzen warf.

Ben war der erste, der sich mit beinahe übermenschlichen Kräften, die die Angst vor dem Tod ihm verlieh, wieder aufrappelte.

„Was war das?“, brachte er krächzend hervor.

Sie bemerkten jetzt deutlich ein Zittern, das durch die Nautilus lief als würde das Schiff sich bewegen. Doch ein Blick auf die Kontrollen bewies, dass die Maschinen nach wie vor abgeschaltet waren.

Auf allen Vieren bewegte sich Serena zu ihrem Platz an dem Fenster zurück und zog sich mit letzter Kraft nach oben. Überrascht schrie sie auf.

Die Nautilus schwebte durch das Meer, obwohl sie nach wie vor komplett manövrierunfähig war. Jedoch hielt die Erleichterung in ihr nur für wenige Sekunden an. Sie würden so oder so ersticken.

Was auch immer sie in Bewegung gesetzt hatte, sie würden nie rechtzeitig durch die Wasseroberfläche brechen.

Ein weiterer Stoß lief durch das Schiff und dann veränderte sich ihre Umgebung. Das Meer um sie herum existierte nicht mehr, aber Serenas Gehirn weigerte sich zu begreifen warum.

Dann verlor sie das Bewusstsein.

Teil 15

Der Boden unter ihren Füßen bockte und bebte, aber immerhin hatte sich das Schiff in Bewegung gesetzt, dachte Nemo und atmete erleichtert aus. Nun hoffte er nur, dass der Rest seines Planes ebenfalls klappen würde.

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Trautman und die anderen mit rudernden Armen nervös nach Halt suchten.

„Ist das normal?“, fragte Winterfeld und er musste aufgrund des Lärms, den das Schiff machte beinahe schreien.

Energisch schüttelte Nemo den Kopf.

„Nein, aber sie wird wohl lange genug halten.“

Mit zusammengekniffenen Augen sah Nemo auf den Bildschirm, als das Bild wechselte und sie nun die Nautilus hinter sich liegen sahen, drehte er sich um und gab seinem Crewmitglied ein Zeichen.

„Öffnen Sie den Frachtraum und holen Sie sie rein.“, rief er und hoffte inständig, dass das entsprechende System arbeitete ohne Probleme zu machen. Sie hatten nur diese eine Gelegenheit.

Sein Blick war starr auf den Monitor gerichtet und es war als würde selbst sein Herz vor Anspannung eine Pause machen, dann sah er wie ein grüner Lichtkegel das Unterseeboot erfasste und es sich träge aus dem Schlamm erhob.

Soweit so gut, dachte er und stieß die angehaltene Luft aus.

Die Nautilus näherte sich immer schneller dem Raumschiff und wurde schließlich von ihm verschluckt, dann schlossen sich die mächtigen Schotts mit einem lauten Krachen.

Nemo sprang auf, als das Schiff noch nicht einmal ganz eingeladen war und winkte Trautman und Singh zu sich.

„Kommen sie mit!“, wies er sie an und rannte dann ohne eine Reaktion abzuwarten den Korridor herunter. Die beiden zögerten keine Sekunden und folgten Nemo.

Nach wenigen Minuten erreichten sie ihr Ziel und sie erkannten, dass es der gleiche Frachtraum war durch den sie wenige Stunden zuvor das unheimliche Schiff betreten hatten. Nur war ihnen der Weg, den sie zurückgelegt hatten, da viel länger vorgekommen.

Ohne ihnen Zeit zu geben sich von ihrem Sprint zu erholen, hämmerte Nemo auf den Türöffner und verschwand in den Raum.

Wie vom Donner gerührt blieben Singh und Trautman stehen.

Der Anblick war einfach zu fantastisch.

Die Nautilus lag sicher und trocken in diesem riesigen Raum, dabei wurde sie von riesigen Metallstreben gehalten, die sich an mehreren Stellen aus der Wand geschoben hatten und mit großen Greifarmen das Schiff stabilisierten.

Schließlich eilten sie Nemo hinterher, der fast schon den gesamten Weg zum Turm der Nautilus zurückgelegt hatte. Sie öffneten die Luke, frischer Sauerstoff strömte in das Schiff und mit bangem Gefühl rannten sie zum Salon.

Trautman blieb beinahe das Herz stehen als er die vier wie tot auf dem Boden liegen sah. Dann stürmte er zu Chris, der ihm am nächsten war, und drehte ihn auf den Rücken. Mit zitternden Fingern fühlte er dessen Puls und sah erleichtert, dass sich seine Brust hob und senkte. In der nächsten Sekunde war Nemo neben ihm und presste Chris eine Maske auf Nase und Mund, woraufhin dieser einen kräftigen Atemzug nahm und hustend zu Bewusstsein kam. Er wiederholte dies bei den anderen und es war einfach ein Wunder, dass sie alle überlebt hatten.

„Trautman?“, fragte Ben, der sich mühsam aufgesetzt hatte. „Ihr seid zurück. Sind… sind wir aufgetaucht?“

Der Kapitän der Nautilus musste lachen und es war ein erleichtertes, befreiendes Lachen.

„Nein, so würde ich es nicht nennen.“

Ben sah ihn enttäuscht an.

„Dann bin ich wohl tot. Komisch, ich hatte mir das ganz anders vorgestellt.“

Nun konnte Trautman sich eindeutig nicht mehr halten vor Lachen und selbst Singh glitt ein schiefes Lächeln auf das Gesicht.

„Nein. Ihr seid alle am Leben.“, klärte Trautman ihn auf. „Und das habt ihr nur ihm zu verdanken.“

Dabei wies er auf Nemo, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte und daher von den anderen noch gar nicht bemerkt worden war.

Statt die vier Augenpaare zu beachten, die sich fragend auf ihn richteten, drehte Nemo sich einmal um seine eigene Achse und lies den Blick durch den Salon der Nautilus gleiten.

„Ich hätte nie gedacht, einmal wieder hier zu stehen.“, gab er dabei seufzend zu und sein Herz zog sich dabei leicht melancholisch zusammen, als er an all die Jahre dachte, die er hier verbracht hatte. Es war eine schöne, aber kurze, Zeit gewesen.

Juans Stirn zog sich fragend in Falten.

„Sie sind schon einmal auf der Nautilus gewesen?“, fragte er verblüfft und auch die anderen sahen ihm nicht weniger erstaunt entgegen.

Chris´ Gesicht hellte sich vor Neugier auf.

„Haben Sie Nemo gekannt?“, platzte es aus ihm heraus und sah den Fremden dann voller Verwunderung an, als sich dessen Gesicht zu dem breitesten Grinsen verzog, das er je gesehen hatte.

„Ich bin Nemo.“
 

Vollkommen überwältigt stand Serena auf der Brücke des Schiffes und konnte es nach wie vor kaum glauben. Es war einfach zu fantastisch, allein schon die Tatsache, dass sie sich auf einem Schiff befanden, das dafür gemacht war durch den Weltraum zu fliegen.

Ihr Volk, die alten Atlanter, waren eine technisch hoch entwickelte Zivilisation gewesen und doch war es für sie unvorstellbar, zu den Sternen zu fliegen. Und nun stand sie hier und war Zeugin, wie das Schiff durch die Wasseroberfläche brach und es dabei regelrecht auf das klar daliegende Meer hinabregnete. Stetig nahm es an Höhe zu, bis das glitzernde Wasser nur noch zu erahnen war und sie beinahe majestätisch durch die Wolken schwebten. Dann sah sie die ersten Sterne und hielt vor Ehrfurcht die Luft an. Alles um sie herum war in Schwarz getaucht und sie waren umgeben von Millionen von Lichtpunkten. Dann machte das Schiff einen leichten Schwenk und dann sah sie den Anblick, den sie ihr ganzes Leben nie vergessen würde.

Strahlend blau drehte sich unter ihnen die Erde, offenbarte ihre volle Schönheit und strahlte dabei so viel Frieden aus, als hätte sie Dinge wie Leid, Tod und Krieg noch nie gesehen.

Verstohlen sah sie Nemo an.

Wer war dieser Mann, Mikes Vater, eigentlich?

Jetzt wo sie ihn genauer betrachtete, sah sie eindeutig die Ähnlichkeit, die Mike mit ihm hatte und sie fragte sich, warum sie es nicht gleich gesehen hatte. Es war so offensichtlich. Mike war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie hatten die gleichen Gesichtszüge, die gleiche gerade Nase und geschwungen Lippen und besonders ihre Augen ähnelten sich stark. Es war verblüffend, die beiden hatten sich nie vorher gesehen, doch selbst in ihrer Art zu lachen, waren sie sich gleich.

Nemo saß konzentriert an der Steuerkonsole und manövrierte das Schiff, dabei graulte er versonnen Astaroth hinter den Ohren. Der Kater hatte es sich sofort, als sie die Kontrollzentrale betreten hatten, auf Nemos Schoß bequem gemacht und schnurrte dabei genießerisch vor sich hin. Ein Verhalten, das er sonst nur bei Mike oder Serena zeigte. Jeder andere hätte sich blutige Schrammen geholt oder Gliedmaßen verloren.

Sie brauchte nur ein bisschen Fantasie um sich vorzustellen, dass Mike da sitzen würde und sie sich auf der Nautilus befanden. Bei dem Gedanken krampfte sich ihr Herz zusammen, sie hatten von Trautman mitgeteilt bekommen was mit Mike passiert war und sie hoffte, dass dieser Alptraum bald ein Ende haben würde. Vor allem auch für Singh, der von ihnen allem am meisten unter der Situation litt.

Der Inder war direkt nach ihrer Rettung von der Nautilus zu dem schlafend Mike zurück gegangen und Serena bereute nun ihn allein gelassen zu haben. Sie wollte gerade eine entsprechende Bemerkung machen, um Singh auf der Krankenstation Gesellschaft zu leisten, als sie sah wohin Nemo das Schiff steuerte.

Sie erstarrte mitten in der Bewegung und konnte nur noch dieses gewaltige Schiff anstarren, auf das sie zuflogen. Hatten sie vor wenigen Stunden noch gedacht, dieses sei riesig, so wurden sie nun eines Besseren belehrt. Worauf sie zuflogen, hätte gut und gerne eine kleine Stadt sein können.

„Was ist das?“, entfuhr es Ben.

Stolz lächelte Nemo ihn an.

„Das ist mein Schiff, die Keya. Sie ist wohl das fortschrittlichste Raumschiff das unsere Raumflotte zu bieten hat.“

„Schiff?“, stotterte Trautman, er war wie die anderen – nicht zum ersten Mal an diesem Tag – blass geworden. „Das war jetzt nicht das Wort, das mir auf der Zunge lag.“

Wenn er an diesem Tag noch einen Grund gebraucht hätte, sich klein und unbedeutend zu fühlen, so hatte er ihn gerade bekommen und Nemo hatte wohl seinen Gedanken gelesen, denn er nickte in diesem Moment verstehend.

„Das war alles etwas viel für einen Tag. Glauben Sie mir, das hatte ich so nicht beabsichtig.“

Er griff erneut zu seinem Kommunikationsgerät und nach kurzer Zeit meldete sich die Stimme, die sie auch vorher gehört hatten und die Trautman so vertraut vorkam. Nur er kam einfach nicht darauf warum.

„Schön euch in einem Stück zu sehen. Ich hatte mir zwischenzeitlich Sorgen gemacht, das sah von hier oben alles sehr abenteuerlich aus.“

Nemo stieß ein kurzes Lachen aus und grinste breit.

„Das hat sich hier auch alles sehr abenteuerlich angefühlt und wir sind froh, wenn wir zu Hause sind. Könntest du vielleicht die Tür auf machen?“

Die Keya drehte bei, sodass sie nun genau auf ihr Heck zuflogen, dabei drosselte Nemo die Geschwindigkeit und steuerte das kleinere Schiff auf die gewaltige Öffnung zu. Die kleine Bucht, in die sie flogen schien genau für das Schiff gemacht zu sein und es erscholl ein dumpfes metallenes Klicken, als es in die Haltevorrichtung einrastete.

Ganz sanft, wie Nemo stolz feststellte. Er verstand sich in den letzten Jahren eher auf das Befehle erteilen, das er ein Schiff selbst flog war etwas länger her gewesen.

„Nicht schlecht für jemanden, der sonst eher fliegen lässt.“, hörte er es stichelnd aus dem kleinen Gerät und er verzog die Lippen. Sie kannten sich einfach zu lange.

„Ich schlage vor, du sagst jetzt nichts mehr. So spricht man nicht mit seinem Kapitän.“, neckte er zurück und konnte sich das fette Grinsen auf der anderen Leitung gut vorstellen. „Wir treffen uns hier unten auf der Krankenstation. Da ist auch jemand, den du sicher wiedersehen willst.“

Teil 16

Er schloss die Augen und genoss die Wärme, die sich in ihm ausbreitete, als Singhs Finger über seinen Rücken strichen. Auf der Suche nach mehr, drückte er sich enger an ihn und vergrub sein Gesicht in dessen Halsbeuge. Seine Arme schlossen sich fest um den Inder, damit sie sich nie wieder verlieren sollten. Im Dunkeln seines Quartiers auf der Nautilus, tasteten sich Mikes Finger über Singhs Gesicht und strichen über dessen Lippen. Wie ein Ertrinkender versank er in den Kuss und wollte sich nie mehr von ihm lösen.

„Ich bin so froh, dass das alles vorbei ist.“, hauchte er und sah Singh dann in die Augen, doch der Inder blickte nur traurig auf ihn herab.

„Was hast du?“, fragte Mike irritiert und strich Singh über die Wange, doch dieser reagierte nicht auf die Berührung und sah weiterhin mit diesem seltsamen Blick auf ihn hinab. „Was ist los?“, wiederholte Mike schließlich. „Wir haben es überstanden, ich wurde geheilt und du hattest recht all die Zeit. Niemand ist gestorben.“

Er redete weiter, doch die Worte fühlten sich einfach hohl und nicht richtig an und Singh sah weiter wie erstarrt auf ihn hinab.

„Ich bin traurig, Mike.“

„Aber… aber warum?“, stotterte er und rückte ein Stück von dem Inder weg.

„Es hätte alles so schön sein können.“, sagte Singh bitter und machte eine ausholende Handbewegung. „Aber leider ist nichts davon real. Siehst du das denn nicht?“

„Was redest du da…?“, fuhr Mike auf, stockte jedoch als die Luft um ihn herum zu flimmern begannen, bis schließlich die Wände seines Quartiers verblassten.

Statt auf seinem Bett, hockte er auf staubigen Boden inmitten eines dicht bewachsenen Farnwaldes.

„Singh?“, rief er und konnte dabei nur sein eigenes Echo hören. Er war allein.

Panik stieg in ihm auf und er musste ein paar Mal tief ein und ausatmen, eher er es wagte sich genau umzusehen. Er hatte einen Wald, wie diesen, noch nie gesehen.

Mit wackeligen Beinen stand er auf und wagte sich ein paar Schritte in den unheimlichen Wald hinein. Überall um ihn herum waren Blumen und Gewächse, die ihm völlig unbekannt waren und in tausend Farben schillerten. Ihm fröstelte und die Geräusche um ihn herum beängstigten ihn; er konnte sich nicht im Entferntesten die dazugehörigen Tiere vorstellen.

Zitternd strich Mike sich über die Arme und rubbelte sich über die Gänsehaut, die sich auf seinem ganzen Körper ausbreitete. Es war nun tatsächlich kalt geworden, stellte er fest und vor seinem Mund bildeten sich im Rhythmus seiner Atmung kleine Wölkchen.

Verwundert sah er sich um.

Der Dschungel um ihn schien eindeutig tropischer Natur zu sein; wie konnte es dann plötzlich so eisig kalt sein?

Nebelschwaden krochen von allen Seiten über den Boden und direkt auf ihn zu. Mike versuchte ihnen auszuweichen, doch es gab nichts, wo er vor diesen unheimlichen Armen sicher gewesen wäre. Als sie ihn erreichten, bauten sie sich vor ihm zu einer undurchdringlichen Wand auf und umgaben ihn völlig.

Hektisch drehte er sich zu jeder Seite, doch das Bild blieb gleich. Plötzlich spürte er eine Berührung am Arm und drehte sich erschrocken um.

Dann sah er es, das Wesen. Und ihm gefror beinahe das Blut in den Adern. Sein Schrei erstickte ihm im Hals und selbst wenn der Nebel nicht gewesen wäre, hätte er es nicht geschafft wegzulaufen. Seine Beine gehorchten ihm einfach nicht.

Das Wesen schien nur aus nebeligen Tentakeln zu bestehen und hielt sich schwerelos vor ihm. Doch nach und nach erkannte er ein Gesicht oder etwas das so ähnlich sein sollte, denn es verschwamm immer wieder und man konnte keine genauen Konturen erkennen. Je mehr das Wesen jedoch Form annahm, umso mehr schwand seine Angst vor ihm und machte seiner Neugier platz. Etwas daran kam ihm bekannt vor, aber er konnte nur noch nicht erfassen was. Aber etwas in Mike wusste, dass er dieses Geschöpf hier nicht zum ersten Mal sah.

Dann fiel ihm so plötzlich ein, wo er es schon einmal gesehen hatte, dass er sich - wenn seine Arme so gewollt hätten wie er - die Hand vor die Stirn geschlagen hätte. Ganz zu beginn ihres großen Abenteuers war er ihm schon einmal begegnet; es war eines der Wesen das Serenas Volk als die Alten bezeichnet hatten.

Kurz nachdem sie damals Serena nach ihrem Erwachen aus den Fängen Winterfelds befreit hatten, ergriff ein riesiges quallenartiges Wesen die Nautilus und zog sie tief auf den Meeresgrund zu einem schier fantastischen Ort. Es war eine kleine fremde Welt auf dem Grund des Ozeans, in die seit Jahrhunderten immer wieder Schiffe entführt wurden und sich so eine eigenständige kleine Gesellschaft gebildet hatte.

Doch das Wesen griff nicht wahllos nach ihren vermeintlichen Opfern. Es suchte etwas ganz bestimmtes und immer, wenn es das fand, schlug es zu.

Es suchte nach Atlantern und ihren Nachkommen, die in sich noch einen Teil ihrer Magie trugen, denn diese Fähigkeiten waren gestohlen und es wollte nur zurück, was ihm gehörte.

Sollte das bedeuten, dass er ebenfalls gestohlene Magie in sich trug? War das Geschöpf deshalb hier bei ihm?

Aber das konnte nicht sein. Damals, auf dem Grund des Meeres, berührte es auch ihn und hätte er nur einen Funken dieser Macht in sich gehabt, so hätte es sie ihm genommen.

Das Wesen hob einen seiner leuchtenden wogenden Arme und berührte seine Stirn. Es tat nicht weh und eine sanfte Wärme verdrängte den Frost, der sich um ihn gelegt hatte. Und noch etwas geschah:

Seine Umgebung flimmerte erneut, der Dschungel verschwand und machte den Blick frei auf eine weite Ebene. Anders als zuvor im dichten Wald, war er hier nicht allein. Er sah eine Vielzahl von Menschen. Sie waren allesamt hellhäutig, hochgewachsen und blond; und erinnerten ihn stark an Serena. Sollten das die alten Atlanter sein?

Doch ihr Volk war technisch hoch entwickelt, diese Menschen hier waren einfache Bauern. Mike lief über die weiten Felder, jedoch nahm niemand von ihm Notiz. Selbst dann nicht, wenn er direkt vor ihnen stand.

Er war ein unbeteiligter Beobachter.

Gebückt stemmten die Menschen ihre Arbeit, viele von ihnen sahen ausgezerrt und teilweise auch krank aus. Nie im Leben war dies das stolze Volk der Atlanter.

Dann sah er ein grelles Licht vom Himmel kommen und nicht nur er bemerkte es.

Die Menschen hielten verwundert in ihren Tätigkeiten inne und reckten sich zum Firmament, als der Himmelskörper herabstieg und Fremde daraus hervortraten.

Ein verschrecktes Raunen ging durch die Menge der Bauern und sie duckten sich schutzsuchend oder liefen weg, wobei die kränksten und schwächsten zurückblieben. Doch die Menschen von den Sternen wollten kein Leid bringen und so heilten sie diese.

Dann war es Mike, als würde jemand schnell ein Buch durchblättern und er bekäme nur immer wieder einzelne Bilder zu sehen.

Er sah wie die Sternenmenschen den Bauern zeigten wie sie Arbeiten leichter verrichten konnten, ihre Krankheiten heilen und schließlich entstand eine Zivilisation, die sich darauf verstand Technologie zu verwenden, dabei lebten sie eng mit den Sternenmenschen zusammen. Für Mike waren Bruchteile von Sekunden vergangen, doch er sah für die Menschen hunderte von Jahren verstreichen.

Schließlich blieb das Bild an einer Stelle stehen. Er sah die Sternenmenschen und begriff, dass sie nicht nur über unglaubliche Technologien verfügten, sondern auch über fantastische Fähigkeiten verfügten. Er wurde Zeuge wie sie Dinge mit bloßer Willenskraft bewegten oder Gedanken lasen – und es kam ihm unheimlich vertraut vor, dachte er schaudernd – und schließlich sah er, was mit ihnen passierte, wenn sie starben. Wenn ihre Körper für immer den ewigen Schlaf begannen, machte sich eine Energie frei und verschwand.

Gerade als er näher heranwollte, um zu begreifen was da passierte, wurde das Buch weiter vor geblättert.

Das Lichtwesen berührte ihn wieder am Arm und schob seine Aufmerksamkeit an einen bestimmten Punkt. Mike sah wie die Atlanter Maschinen bauten und er begriff sofort, für was sie waren. Die Energie der toten Sternenwesen wurden von diesen Maschinen aufgesogen und schließlich bedienten sich die Atlanter daran, um selbst über diese übermenschlichen Kräfte zu verfügen. Das Entsetzten der Wesen war groß, doch in ihrer Güte appellierten sie an die Menschen und machten ihnen begreiflich, welches Leid das für sie bedeutete. Doch die Gier nach Macht war zu groß.

Und schließlich wurden auf Verbündeten Feinde, aber ein direkter Angriff war gegen alles was die Wesen glaubten. Jedoch blieb ein Ausweg: Sie verfluchten sich selbst und mit jeder weiteren Energie, die durch sie gewonnen wurde, sprang auch der Fluch des Verglühens über. Sie beschlossen die Menschen zu verlassen, doch die Krankheit blieb und ohne die Sternenwesen keine Heilung. Es dauerte zwar Generationen, aber schließlich sollten die Atlanter die Kontrolle über sich selbst verlieren und ihr Untergang war besiegelt.

Mike war traurig.

Und er wusste warum das Wesen ihm das zeigte. Es zeigte ihm wer, oder viel mehr, was er war. Und er war beide Seiten der Medaille. Er war Sternenwesen, das freimütig gab und Mensch, der aus Gier nahm. Er verglühte nicht nur, er wurde zerrissen.

Teil 17

Verkrampft lagen seine Hände auf der Schlafkammer und er konnte sich nicht vorstellen, wie er es schaffen sollte diesen Tag zu überstehen und noch mehr graute es ihm vor denen danach.

Wenn er Mike so ansah, ähnelte er mehr einem Toten und die Vorstellung ihn je wieder in die Arme schließen zu können, rückte in weite Ferne.

Müde legte er den Kopf auf seinen Händen ab, schloss kurz die Augen und stellte sich vor, wie er Mike über das Gesicht strich. Dabei versuchte er sich genau vorzustellen, wie sich dessen Haut unter seinen Fingern anfühlte und rief sich jede Kleinigkeit ins Gedächtnis.

Schuldgefühle plagten ihn. Sein Verstand sagte ihm, dass er nichts dafür konnte, was passiert war und doch glaubte er, dass es alles aufgrund seines Versagens geschehen war.

In Gedanken ging er jeden Tag – nein, jede Stunde – die vergangen war durch. Hätte er das alles verhindern können?

Wenn er, statt Mike, das Messer abgefangen hätte? Es wäre zumindest seine Aufgabe gewesen. Warum konnte er nichts tun, an diesem Tag?

Warum stand er nur da, wie gelähmt?

Es war seine verdammte Aufgabe, für die sein Vater ihn trainiert hatte, nämlich, die dafür zu sorgen, dass Mike kein Leid geschah. Und er versagte immer und immer wieder.

Er fühlte sich hilflos, wie an dem Tag, an dem sein Vater starb.

Bitter erinnerte er sich an diesen Tag, als er die Nachricht vom Tod seines Vaters erhielt. Es brach eine Welt für ihn zusammen, denn er war gerade erst zwölf Jahre alt gewesen und seine Ausbildung weit davon entfernt, um als abgeschlossen bezeichnet zu werden. Und doch stand er plötzlich alleine da, mit dieser riesigen Verantwortung für die Sicherheit des jungen Prinzen.

Schließlich öffnete er seine Lider und stutzte kurz, als er meinte ein leichtes Lächeln auf Mikes Lippen zu sehen.

„Es tut mir leid.“, wisperte er Mike zu.

Er erwartete keine Antwort und er bekam auch keine, aber der Druck auf seinem Herzen löste sich etwas.

Erst nach einer Weile bemerkte er, dass er nicht mehr alleine war. Still war Serena an ihn herangetreten und blickte ebenfalls schweigend auf die Kammer herab.

Das er sie nicht kommen gehört hatte, sagte viel über seinen eignen Zustand aus. Normalerweise war es beinahe unmöglich sich an ihn heranzuschleichen, denn jahrelanges Training in verschiedensten Kampftechniken hatten seine Sinne und Reflexe beinahe unmenschlich geschärft.

„Der Anblick tut weh.“, brach Serena das Schweigen und berührte Singh sanft am Arm, um ihm Trost zu spenden. Im ersten Moment erwartete sie, dass er den Arm wegziehen würde, denn der Inder war nicht dafür bekannt jedem seine Gefühle zu zeigen und wahrte stets eine professionelle Distanz. Stattdessen nickte er nur.

Als die Stille zwischen ihnen unangenehm zu werden drohte, räusperte sich Serena.

„Es sieht schlimm aus, aber für ihn ist es das nicht, weißt du.“

Mit einem Nicken deutete sie auf die gläserne Kammer und erinnerte sich an ihren eigenen jahrhundertelangen tiefen Schlaf.

„Wahrscheinlich träumt er und wenn er aufwacht, ist es für ihn so, als hätte er nur einen längeren Schlaf gehalten. Jedenfalls war es so bei mir. Das Schlimmste war, das niemand meines Volkes – ja meine ganze Heimat- nicht mehr existierte, aber Mike wird nicht so lange schlafen. Da bin ich mir sicher.“

Sie sah Singh forschend an, doch dieser schwieg weiter mit verbissenem Gesichtsausdruck.

„Du… du liebst ihn, oder?“

Der Inder zuckte erschrocken zusammen und sah sie schuldbewusst an. Es war ihm nicht unangenehm das Serena es wusste, weil er sich zu einem Mann hingezogen fühlte, sondern, weil er wusste was Serena für Mike empfand.

Er würde seine Beziehung und die Gefühle zu Mike nie verleugnen, aber es erfüllte ihn mit Mitgefühl, dass Mikes Serenas Gefühle seinetwegen nicht erwidern würde. Aber was er für Mike empfand war besonders und ging so tief, dass er sich sicher war, dass ihre Seelen zueinander gehörten und es daher keine Bedeutung mehr hatte, welches Geschlecht sie hatten, oder welchen Stand in der Gesellschaft oder gar das das Alter eine Rolle gespielt hätte.

Diesmal musste Serena sogar etwas schmunzeln, als sie den erschrockenen Ausdruck auf Singhs Gesicht sah. Sie schätzte den Inder als Freund sehr und ihn so gefühlvoll zu sehen, machte ihn in ihren Augen noch sympathischer.

„Es ist okay.“, sagte sie, ehe Singh die passenden Worte gefunden hatte und Singh seufzte.

„Aber du fühlst ebenfalls viel für ihn.“

„Ja“, sie lächelte etwas gequält. „Aber Gefühle lassen sich nun einmal nicht erzwingen und egal was passieren wird, ich weiß das wir immer eine Familie sein werden.“

Es war nicht nur so daher gesagt, um Singh eine Last zu nehmen. Ihre Worte waren ehrlich und aufrichtig gemeint.

Auch wenn Mike nicht sie liebte, so hatte er ihr doch etwas Wichtiges gegeben, das sie verloren hatte und vielleicht so in dieser Form noch nie hatte.

Freunde, die mehr waren als ein Verband von Gleichgesinnten, sondern mehr eine Familie. Er hatte sie gelehrt, was es bedeutete andere Menschen wert zu schätzen und Mitgefühl für andere zu zeigen. Und er war es auch, der sie überredete ihre magischen Fähigkeiten an das alte Wesen zurückzugeben.

Davor war sie eine launische, herzlose und vor allem einsame Prinzessin gewesen, der ihre Macht mehr galt, als die Liebe zu anderen.

Das alles änderte sich mit ihm und sie war ihm Dankbar dafür.

Das Zischen der Tür riss sie aus ihrer einseitigen Unterhaltung und erwartungsvoll drehten sich die beiden zu ihrem Besucher um.

„Wir haben unser Ziel erreicht.“, berichtete Nemo, als er Singh entgegenlief und bedachte ihn mit einem seltsamen nachdenklichen Blick. Der Inder legte die Stirn fragend in Falten, doch der Kapitän des Raumschiffes ging zunächst nicht darauf ein, sondern kontrollierte den Zustand seines Sohnes.

„Meine Männer werden gleich kommen und ihn zur Krankenstation der Keya bringen, dort können wir mehr für ihn tun.“ Er schwieg eine Weile. „Willst du dabei helfen?“

Singh nickte dankbar, denn was er nun dringend brauchte, war eine Aufgabe, sonst würde er womöglich noch den Verstand verlieren. Hier nur zu stehen und nichts tun zu können machte ihn verrückt und ließ seinen Kopf in Richtungen denken, die er nicht wollte. Er spürte weiterhin Nemos durchdringenden Blick und begann zunehmend sich unwohl zu fühlen.

Immerhin handelte es sich um den Vater seines Geliebten, der ihn als dessen Leibwächter bereitgestellt hatte und er hatte sich seiner Meinung nach nicht besonders gut angestellt und dann noch mit ihm geschlafen. Das Nemo einem Volk angehörte, dass Gedankenlesen konnte, half zudem nicht sich zu entspannen.

Er konnte ein Zusammenzucken nicht verhindern, als Nemo ihn an den Schultern fasste und sanft von der Kammer wegzog und langsam mit ihm zu einem der Aussichtsfenster lief.

„Ich will das du aufhörst, dir solche Vorwürfe zu machen.“, sagte er, Singh fuhr schuldbewusst zusammen und sah Nemo aus großen Augen an.

„Keine Sorge.“, fuhr er fort. „Ich lese deine Gedanken nicht, aber man sieht dir deutlich an, was in dir vorgeht. Es gibt keinen Grund dich so zu quälen, du hast absolut nichts falsch gemacht und du hättest nichts tun können, um das alles hier zu verhindern.“

Er sah eine Weile aus dem Fenster, das nun nicht mehr zeigte als das eintönige Grau des Frachtraumes.

„Wenn sich jemand Vorwürfe machen muss, dann bin ich das…“

Über Nemos Gesicht huschte ein Schatten und es breitete sich wieder Schweigen unter ihnen aus, schließlich hellte sich seine Miene auf und er klopfte Singh aufmunternd auf die Schulter.

„Komm mit.“, meinte er und führte den jungen Leibwächter seines Sohnes zur Tür. „Da ist jemand, der dich sehen will.“

Jemand der ihn sehen wollte, dachte Singh erstaunt; wer sollte das sein, auf einem außerirdischen Raumschiff? Sprach er vielleicht von Trautman, aber warum sagte Nemo dann nicht direkt, dass Trautman ihn sehen wollte?

Die Tür schloss sich hinter ihnen wieder mit einem leisen Surren, auf dem Gang stand nur ein einziger Mann, doch Singh konnte ihn nicht genau erkennen, da er ihnen den Rücken zudrehte.

Doch auf eine seltsame Art kam er ihm bekannt vor.

Er war groß, breitschultrig und muskulös und schien etwa im selben Alter wie Nemo, oder etwas älter, zu sein. Sein Haar war schwarz, mit einzelnen grauen Strähnen durchzogen und reichte ihm in einem sorgfältig gebundenen Zopf bis über die Schultern; die Haut war so dunkel, wie die Singhs.

„Nein, das kann unmöglich sein.“, murmelte Singh zu sich selbst. In seinem Kopf hörte er sein Blut rauschen und das andere was er hörte war die Stimme des Mannes. Eine Stimme, von der er sich sicher war, sie nie wieder zu hören.

„Hallo, Ghunda.“, sagte der Mann, als er sich zu ihnen herumdrehte.

Singh blieb wie vom Blitz getroffen stehen und starrte den Mann vor sich an. Vollkommen unmöglich, schoss es ihm durch den Kopf.

Nervös trat der Offizier von einem Bein auf das andere. Er sah nicht aus wie jemand, der oft von Nervosität betroffen war und offensichtlich bereitete es ihm Schwierigkeiten, wie er mit der Situation umgehen sollte.

„Du siehst gut aus.“, fuhr der Offizier schließlich, mit einem angespannten Lächeln, fort. „Ich wusste immer, dass aus dir ein guter Mann werden würde.“

Singh war unfähig, etwas zu sagen – ja, er war unfähig zu denken – und fing am ganzen Leib an zu zittern.

Der Mann wirkte nun noch hilfloser und machte einen vorsichtigen Schritt auf Singh zu.

Er seufzte.

„Ghunda, ich weiß, das muss schwierig für dich sein, aber…“

War Singh in der einen Sekunde noch verwirrt und entsetzt, so verwandelten sich diese Gefühle in ihm so jäh in ein anderes, dass er erschrocken zurückprallte.

„Bleib stehen!“, schrie er den Mann vor sich an und seine Stimme überschlug sich dabei geradezu. Er fühlte eine Wut in sich, wie noch nie in seinem Leben und es war ihm egal, dass er hier als erwachsener Mann stand und komplett die Fassung verlor.

„Bitte, ich möchte dir das alles erklären.“, flehte der Mann, mit dem Gesicht seines Vaters, ihn an.

„Nein.“, murmelte Singh und schüttelte unter Schock den Kopf. „Nein! Mein Vater ist tot!“

Die letzten Worte hatte er seinem Vater regelrecht entgegen gebrüllt, dann drehte er sich um und rannte so schnell er konnte. Er wusste nicht wohin ihn seine Beine trugen, aber Hauptsache weg, damit er wieder atmen konnte.

Teil 18

Schon zum vierten Mal in der vergangen halben Stunde legte sich die Stirn des Arztes, an Bord der Keya, in Falten. Wie jedes Mitglied seiner Crew, kannte Nemo auch den Arzt sehr gut und wusste einzuschätzen, welche Reaktion eher etwas Gutes versprach oder eher das Gegenteil.

Was er jetzt sah, gefiel ihm ganz und gar nicht.

Zunächst hatten sie Mike in einer waghalsigen Aktion aus der hundert Jahre alten Schlafkammer in eine der modernen Untersuchungseinheiten umgelagert, durch die es ihnen besser möglich war seine Körperfunktionen unter Kontrolle zu halten und eine angemessene Behandlung durchzuführen.

Anhand von Trautmans Reaktion konnte er nachfühlen, dass dieses Bild für den Kapitän der Nautilus noch befremdlicher war, als die Schlafkammer, in der Mike sich zuvor befand. Doch gegen Nemos Rat bestand Trautman darauf, während Mikes Untersuchung auf der Krankenstation zu sein und so versuchte er ihm den Schrecken zu nehmen, indem er ihm erklärte was vor sich ging.

Wie auch die Kammer zuvor, war auch diese komplett geschlossen, nur das bei dieser eine Manschette um Mikes Handgelenk geschlossen war, die stetig Informationen über seinen Zustand lieferte.

Sowie eine Platte mit blinkenden Lichtern über Mikes Stirn – für genaue Gehirnfunktionen – und an seinem Oberarm, um Medikamente zu verabreichen.

Für Nemo war der Anblick nur hart, weil es seinen Sohn betraf, sonst hatte diese Apparatur nichts Erschreckendes für ihn. Jedoch für Trautman war es beängstigend, weil er etwas Derartiges nie gesehen hatte.

Mit angespanntem Ausdruck führte der Arzt nun zum wiederholten Male die gleichen Untersuchungen durch, seufzte schließlich und winkte Nemo zu sich heran.

Angespannt folgte Trautman ihm.

„Es sieht gar nicht gut aus.“, berichtete der Arzt. „Ich wünschte ich könnte etwas anderes sagen, aber die Krankheit ist sehr weit fortgeschritten.“

„Soll das heißen, Sie können nichts für ihn tun?“, fragte Trautman stockend, während Nemo neben ihm stand und sich schweigend die Bilder des Gehirnscans ansah.

Es war nur seiner jahrelangen Erfahrung als Kapitän zu verdanken, dass er ruhig blieb, denn so viele Alarmmeldungen auf einem Scan hatte er noch nie gesehen.

„Zurzeit ist es mir nur möglich ihn stabil zu halten, mehr kann ich mit den Mitteln, die uns hier zur Verfügung stehen nicht machen.“

Trautman öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er konnte es nicht über sich bringen es auszusprechen, dass Mike wohl für immer so bleiben sollte und drehte sich schnell um, als die Gefühle ihn übermannten.

„Er ist zu weit weg, oder?“, fragte Nemo seinen Arzt bitter.

„Derzeit, ja.“, da sein Kapitän bereits das Problem begriffen hatte, wandte sich der Arzt an Trautman, um es ihm so verständlich wie möglich zu machen.

„Es ist so, dass bei der Behandlung des Verglühens immer zwei Komponenten beachtet werden müssen – der Körper und die Seele, die genauso real und greifbar für uns ist. Ab einer bestimmten Ausprägung der Krankheit, kann der Körper zwar geheilt werden, aber die Seele ist zu weit weg dafür.“

„Soll das heißen, Sie könnten ihn jetzt heilen?“, fuhr Trautman dazwischen, der das ganze nicht so richtig nachvollziehen konnte.

„Wenn er ihn jetzt heilt, dann nur seinen Körper.“, klärte Nemo ihn auf. „Das würde dann bedeuten, dass Mike nur noch eine leere Hülle wäre und dieser Zustand ist dann unumkehrbar.“

Der Arzt nickte.

„Beide Komponenten – Seele und Körper – müssen gleichzeitig geheilt werden, das erreicht man durch eine geistige Vereinigung während der medikamentösen Therapie.“

„Können Sie das nicht tun, Nemo?“, fragte Trautman, der das Ausmaß der Situation noch nicht vollkommen erkennen konnte.

Der angesprochene schüttelte gequält den Kopf.

„Nein – das heißt nicht mehr.“, er deutete auf den Monitor des Scanners. „Die Schädigung ist zu groß, er ist daher schwer zu erreichen und meine Fähigkeiten würden nicht ausreichen. Wahrscheinlicher ist, dass das Verglühen auf mich überspringen würde und wir alle sterben.“

Das Schweigen legte sich über den Raum, wie eine bleischwere Decke.

Sollte es das jetzt gewesen sein?

„Aber eine Möglichkeit gibt es noch.“, brach Nemo schließlich die Stille. „Es gibt nur einen der genug Macht hat, um ihn zurück zu holen. Ich kläre alles, bis dahin sollten Sie sich ausruhen, Trautman.“

Damit verließ er hastig die Krankenstation.
 

Frustriert ließ er sich in seinen Sessel fallen, legte die Füße hoch und starrte in die goldene Flüssigkeit in seinem Glas.

Normalerweise trank er selten, doch dies war eine der Gelegenheiten, in der er das dumpfe Gefühl, das der Alkohol in ihm auslöste mit willkommenen Armen begrüßte. Dieser Tag war ganz und gar nicht so ausgegangen, wie er es wollte und die Flut der Gefühle, die nun, da die Nacht sich über den Tag senkte, begann ihn zu überrollen, war mehr als er ertragen konnte.

Wenn Mike nun starb, war das seine Schuld und es existierte keine Entschuldigung, mit der er sich da rausreden konnte.

Nichts, das sein Gewissen zum Schweigen brachte. Er hatte seinen eigenen Sohn im Stich gelassen und womöglich damit sein Todesurteil unterschrieben. Als er das heiße Brennen in seinen Augen spürte, vergrub er das Gesicht in seinen Händen.

Wie gerne hätte er nun einfach nichts mehr gefühlt, aber diesen Luxus verdiente er nicht.

Ein Summen von seiner Tür riss ihn aus seinen Gedanken, doch er beschloss es zu ignorieren. Auf Besuch hatte er nun wirklich keine Lust.

Jedoch blieb sein potenzieller Gast hartnäckig und nach dem vierten Klingeln, war ihm klar, dass nur einer so ausdauernd war. Also bat er ihn herein.

Amrit Singh betrat den dunklen Raum und ließ sich wortlos in den Sitz neben Nemo sinken.

„Ich habe gehört was passiert ist.“, sagte er leise und griff schweigend nach dem Glas, das sein Freund ihm reichte.

„Für dich ist es auch nicht so gelaufen, wie du gedacht hattest. Konntest du noch einmal mit ihm sprechen?“

Amrit hob das Glas, nahm einen großen Schluck der brennenden Flüssigkeit und verzog unfreiwillig die Lippen.

„Er redet nicht mit mir, aber das ist zurzeit das geringere Problem, Dah´kar“

Nemo, oder Dah´kar – wie sein wirklicher Name war – nickte mechanisch und nahm einen weiteren großen Schluck.

„Wir sind beide nicht die Besten, was diese Vaterrolle angeht, aber deine Chancen es wieder gut zu machen stehen besser. Mein Sohn ist mehr tot als lebendig.“

Dah´kar spürte den durchdringenden Blick seines Freundes auf sich und hob das Glas erneut, doch zu seiner Enttäuschung war es leer. Ohne hinzusehen griff er nach der Flasche neben sich, doch seine Hand ging ins Leere. Verwundert drehte er den Kopf und sah direkt in Amrits Gesicht.

„Meinst du, dich zu betrinken ist eine Lösung? Du hast es in der Macht ihm zu helfen, aber nicht, wenn du dich hier gehen lässt.“

„Ich habe es in der Macht?“, stieß Dah´kar aus. „Nein, ich bin zu schwach! Ich schaffe es nicht meinen eigenen Sohn zu retten und hätte ich von Anfang an die richtigen Entscheidungen getroffen, würde er da jetzt nicht liegen!“

Er war aufgesprungen und sah in die endlose Weite des Alls, dabei umklammerte er sich, weil er plötzlich spürte, wie unbedeutend er im Vergleich zu dem war.

„Es ist meine Schuld.“, sprach er aus, was schon lange in ihm brannte. „Ich hätte ihn nie zurücklassen dürfen. Wie konnte ich nur glauben, dass seine menschliche Seite überwiegen und er nie in diese Situation geraten würde?“

Amrit war ebenfalls aufgestanden und trat hinter ihn, er hatte lange gewusst, dass dieser Tag kommen würde.

„Du weißt, dass es durchaus möglich war. Du konntest nicht wissen, wie er sich entwickeln würde und du hattest gute Gründe ihn hier zu lassen, damit er ein normales Leben führen konnte. War es denn nicht schon schwer genug für dich, als du zurückgekehrt bist, obwohl du in deiner Welt aufgewachsen bist?“

Mit Widerwillen erinnerte sich Dah´kar an diesen Tag, den Amrit da ansprach.

Er war für ihn wie das Ende, dessen was er zum ersten Mal als Leben empfunden hatte.

Seit er denken konnte, war er stets unruhig und rastlos gewesen in seinem bisherigen Dasein und er spürte stets die Enttäuschung, die sein Vater für ihn empfand. Er rebellierte, wo er nur konnte und verletzte mit Absicht die Gefühle von jedem, der ihm zu nahekam und es kam der Punkt, an dem es seinem Vater reichte. Es sollte der Beginn seiner Laufbahn in der Flotte des Kri´tika-Reiches sein und er machte sich gut – stieg steil auf, wie sonst niemand zuvor – bis er die Erde sah.

Wie viele andere Planeten galt sie als eine Welt, die es aus dem Verborgenen zu überwachen und zu beschützen galt, jedoch war eine direkte Einmischung streng verboten.

Aber selten in seinem Leben, hatte ihn etwas derart fasziniert und so ergriff er die Möglichkeit, als sie sich ihm bot, und verschwand unter den Menschen.

Doch es dauerte nicht lange und man suchte nach ihm, also musste er ein zweites Mal verschwinden. Dabei halfen ihm die Überlieferungen über das alte Volk und zusammen mit wenigen treuen Gefährten – darunter Amrit Singh, Trautman und Mikes Mutter – die nicht wussten, wer er wirklich war, fanden sie die Nautilus.

Die Legende von Kapitän Nemo war geboren.

Er verbrachte die beste Zeit seines Lebens unter seinen wahren Freunden und der Frau, die er mehr als alles auf der Welt liebte und er hätte nicht glücklicher sein können, als ihm sein Sohn geboren wurde.

Aber ein Schatten legte sich über ihn, denn er wusste, dass er das Leben wie er es jetzt führte, seinem Sohn nicht zumuten konnte. Langezeit verdrängte er diesen Gedanken und alles lief seine normalen Bahnen, bis Mikes Mutter starb.

Mike war erst wenige Monate alt und immer, wenn Nemo in dessen unschuldiges Gesicht sah, wusste er, dass sein Sohn das Schicksal seiner Mutter teilen würde, wenn er nicht tat was richtig war. Und so bereitete er alles vor, damit Mike ein normales Leben unter den Menschen führen konnte.

Als alles vorbereitet war, tat er den schwersten Schritt.

Er ließ alles hinter sich und sorgte dafür, dass sie ihn fanden. Für seine Freunde sollte es so aussehen, als sei er gestorben und Mike wäre in Sicherheit.

Doch er hatte nicht mit Amrits Hartnäckigkeit gerechnet.

Der Inder hatte es sich zur Aufgabe gemacht, stets über ihn zu wachen und so ließ er ihn auch an diesem Tag nicht aus den Augen. Was zur Folge hatte, das er herausfand was Nemo wirklich war und auch wenn es ihn im ersten Moment schockte, so tat es seiner Treue keinen Abbruch.

Amrit bestand darauf ihn zu begleiten, auch wenn Nemo nicht wusste welche Strafe ihn auf seiner Heimatwelt erwarten würde. Welche Strafe es auch sein würde, er würde sie ertragen, nur durfte niemand von Mikes Existenz wissen.

Er vergrub dieses Wissen tief in ihren beiden Köpfen, sodass kein Gedankenleser je von ihm erführe.

„Also.“, riss Amrit ihn aus seinen Gedanken. „Welche Möglichkeiten haben wir?“

Der Kapitän der Keya drehte sich zu seinem treuen Freund – und obersten Offizier – um und spürte Dankbarkeit dafür, das er immer da war, wenn er jemanden brauchte, der ihm den Kopf wieder geraderückte.

„Es gibt nur einen, der genug Macht hat ihn zurückzuholen.“ Dah´kar seufzte. „Unser König“

Wissend nickte Amrit.

„Und zu dem hast du bekanntlich nicht das beste Verhältnis.“

Nun war es an Dah´kar zu nicken.

„Wirst du ihn um Hilfe bitten?“, fragte Amrit.

„Ja, ich werde alles tun, was nötig ist.“

Forschend blickte der Inder ihn an und ein Ausdruck von Sorge erschien auf seinem Gesicht.

„Dann solltest du jetzt schlafen gehen. Du siehst wirklich furchtbar aus und es könnte nicht schaden sich zu rasieren.“

Schief grinste er Amrit an.

Der Inder war der Einzige, der sich erlaubte so mit ihm zu sprechen und er fand es stets erfrischend. Es war eine Art Spiel zwischen ihnen, das er liebte.

„Findest du?“, fragte er und strich sich über die kratzige Wange.

„Ja, sieht furchtbar aus.“, meinte sein treuer Freund und ließ ihn allein.

Amrit hatte Recht. Die letzten Stunden hatten alles von ihm abverlangt und er brauchte dringend Ruhe.

Teil 19

Als er aufwachte, fühlte er sich so ausgeruht wie lange nicht mehr und noch etwas anderes war in ihm, neue Hoffnung. Der Weg zu Mike erfüllte ihn mit Sorge, aber nicht mehr mit diesem abgrundtiefen Schrecken, den er zuvor gefühlt hatte.

Mike lag beinahe genauso da, wie am Tag zuvor und er wirkte beinahe friedlich, nichts deutet darauf hin, dass er Schmerzen litt. Dah´kar wusste nicht wie lange er da stand und auf ihn hinabstarrte, dann fiel ihm etwas ein.

Verzeih mir, dass ich nicht mehr für dich tun kann, dachte er. Aber es gibt etwas, dass ich tun kann und ich denke, es ist in deinem Interesse.

Er wusste nicht, ob Mike ihn hören konnte, aber er hoffte das Mike merkte, dass er ihn nicht aufgab.

Gib du bitte auch nicht auf.

Damit drehte er sich um und lief zu den Gästequartieren.

Bevor er den Türsummer betätigte, atmete er tief durch und es dauerte einen kurzen Moment, bis sich die Tür öffnete.

Ghunda Singh stand vor ihm und Dah´kar konnte sich anhand von ihm ungefähr ausmalen, welchen Anblick er letzte Nacht geboten haben musste. Es vergingen einige Sekunden, in denen keiner etwas sagte und sie sich nur ansahen.

„Darf ich reinkommen?“, fragte Dah´kar schließlich, Singh trat wortlos beiseite und er schritt an ihm vorbei, ohne dabei den jungen Mann aus den Augen zu lassen.

„Was kann ich für euch tun, Nemo?“

„Dah´kar.“

Singh sah ihn verwirrt an.

„Dah´kar, das ist mein Name.“, klärte er ihn auf. „Du kannst mich so nennen, wenn du willst. Das überlasse ich ganz dir.“

Er wartete keine Antwort ab, lief zu dem kleinen Sofa unter dem Fenster und setzte sich. Als Singh keine Anstalten machte sich zu bewegen, klopfte Dah´kar auffordernd auf den Platz neben sich.

„Setz dich.“, befahl er etwas strenger, als er es beabsichtigt hatte und schließlich ließ sich der junge Leibwächter seines Sohnes widerwillig neben ihm nieder.

„Hast du überhaupt geschlafen?“

Singh schüttelte den Kopf. Er hatte es wirklich versucht, aber immer, wenn er die Augen schloss, sah er Mike in der Kammer und schreckte auf.

„Ja, mir fiel es auch schwer, aber es ist wichtig, nur musste mir das auch erst jemand sagen.“

Misstrauisch musterte Singh den Mann – von dem er noch vor wenigen Stunden dacht, er sei tot, und dann feststellen musste, dass er absolut nichts über ihn wusste. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er nur hier war um sich zu erkundigen, ob er genug Schlaf bekam.

War er hier, um ihn wegen seiner Beziehung zu Mike zur Rede zu stellen? Oder hatte Er ihn geschickt?

Das erste machte ihn nur nervös, das andere erfüllte ihn jedoch mit Zorn.

„Schickt er dich jetzt vor, weil er sich persönlich nicht mehr zu mir traut?“, fragte Singh so zornig, dass er sogar den Respekt vergaß, den er eigentlich vor Mikes Vater hatte. Doch Dah´kar schien es ihm nicht übel zu nehmen und sah ihn beinahe mit einem väterlichen Blick an.

„Ich verstehe deine Gefühle, aber er hat deinen Groll nicht verdient.“ Singh wollte auffahren, doch Dah´kar brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Wenn du unbedingt jemanden hassen willst, dann mich, aber dein Vater hat eine Chance verdient. Zumindest, dass du ihm zuhörst.“

Er sah es hinter der Stirn des jungen Mannes regelrecht arbeiten und er konnte seinen Schmerz fühlen, ohne dass es die Anwendung seiner Fähigkeiten bedurft hätte. Ein Blick in die Augen des Inders genügte, und umso mehr überraschte ihn die offenen Worte des Mannes.

„Ich hätte in den vergangen neunzehn Jahren immer wieder gebraucht, dass er mir zuhört, ich dachte er sei tot, habe getrauert. Und wo war er all die Zeit, in der ich ihn brauchte?“

Singh war aufgesprungen und lief unruhig im Raum auf und ab. Nemo ließ ihn gewähren, denn er wusste, dass es Singh half mit den tiefen Wunden in sich umzugehen.

„Du ähnelst deinem Vater sehr.“, sagte er leise und Singh blieb überrascht stehen. „Lass mich dir eine Frage stellen: Wenn du dich entscheiden musst, ob du Mike in eine dir fremde Welt begleitest, oder ihn alleine gehen lässt, wohl wissend, dass du ihn nie wiedersiehst. Was würdest du tun?“

Schwer atmend stand Singh da und starrte auf den Boden.

Er wusste die Antwort auf diese Frage, doch etwas in ihm zögerte Dah´kar zu sagen, wie diese aussah. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.

Als er den Kopf wandte, sah er in dessen belustigt glänzende Augen.

„Dein Zögern ist unangebracht. Ich weiß es doch bereits und es ist okay, ohne die Gefühle, die du für ihn hegst, wäre er schon längst tot.“

Dah´kar zeigte ein weiteres Mal auf den Platz neben sich und sah sein Gegenüber mit hochgezogenen Augenbrauen an, wenn er ehrlich war, genoss er es, Singh etwas zappeln zu lassen.

„Also, deine Antwort. Würdest du, den Mann den du liebst, hinter dir lassen?“

Singh saß auf der Kante des Sofas, seine Finger krallten sich in den Stoff und er wagte es nicht aufzusehen.

„Nein.“, murmelte er. „Ich könnte es nicht.“

Er spürte Dah´kars Blick auf sich und obwohl er es nicht sah, wusste er, dass er lächelte.

„Es war die Entscheidung, vor der dein Vater stand. Kannst du ihn dafür verurteilen?“

Dah´kar seufzte, stand auf und streckte die schmerzenden Muskeln. „Denk darüber nach.“, meinte er und lief zur Tür.

„Warte!“, hielt Singh ihn auf. „Soll das heißen, dass er ging, weil er dich liebt?“

Die Vorstellung, dass sein Vater und er das gleiche füreinander fühlten, wie Mike und er, war dann doch viel zu bizarr für ihn. Erst glaubte Singh, dass Dah´kar seine Frage ignorierte und einfach gehen würde, doch dann drehte er sich vor der Tür doch noch einmal zu ihm um. In seinem Gesicht erschien ein versonnener Ausdruck.

„Nicht so, wie du denkst. Es gibt verschiedene Arten von Liebe.“

Singh nickte verstehend, wenn er seinen Groll beiseiteschob, dann ergab das alles Sinn. Sein Vater war immer ein loyaler und stolzer Mann gewesen, der demjenigen, dem er seine Treue schwor bis auf das äußerste Beiseite stehen würde, auch wenn das den Tod bedeutete oder in diesem Fall, die bekannte Welt zu verlassen.

 „Und was wird jetzt aus Mike?“, fragte Singh schließlich.

Ein Schatten huschte über Dah´kars Gesicht, doch er fand schnell wieder zu seiner Selbstsicherheit zurück.

„Ich gebe nicht auf. Es gibt jemanden auf meiner Heimatwelt, der in der Lage ist ihn zurückzuholen. Die Vorbereitungen für unseren Aufbruch werden in zwei Stunden abgeschlossen sein, bis dahin haben du und deine Freunde Zeit sich zu entscheiden, ob ihr mitkommt oder auf der Erde bleibt.“

 

 

Zwei Wochen waren vergangen und er konnte nicht sagen, ob ihm das zu langsam ging, oder eben viel zu schnell. Beinahe schämte er sich für diesen Gedanken, denn seit sie zur Erde aufgebrochen waren, war ihm nichts wichtiger, als seinen Sohn zu retten. Heute war der Tag, an dem sie ihn aufwecken würden, er hatte keinen Zweifel das es gelingen würde. Vor wenigen Stunden hatten sie Kri´tika erreicht und schwebten in ihrer Umlaufbahn. Bis auf Winterfeld, hatte die gesamte Crew der Nautilus sie begleitet, was Dah´kar nicht weiter überrascht hatte.

Die letzten Tage waren für sie immer wieder ein Auf und Ab der Gefühle gewesen, das konnte Dah´kar deutlich spüren. Die anfängliche Anspannung und Sorge um Mike, wich bald einem überwältigenden Staunen, das mit der Reise durch das All einherging, doch wie oft sich auch Ausgelassenheit unter ihnen ausbreitete, schlich sich immer wieder ein Gefühl der Schuld ein. Dabei versuchte Dah´kar ihnen so oft wie möglich dieses Unbeschwerte zu ermöglichen, denn es nutze Mike nichts, wenn seine Freunde in Verzweiflung versanken.

Besonders erfreute ihn, dass sein bester Freund Amrit wieder mehr Zugang zu seinem Sohn gefunden hatte, er hatte sie sogar immer öfter zusammen trainieren gesehen. Es war beeindruckend die beiden zu sehen und Ghunda stand seinem Vater, was seine Kampfkunst anging, in nichts nach. Anscheinend hatte er doch etwas bewirken können.

Immerhin etwas, dachte er.

Es war gut so, so war für die Sicherheit seines Sohnes gesorgt.

Kritisch sah Dah´kar in den Spiegel, was er da sah war ungewohnt für ihn. In den letzten Jahren war er es gewohnt gewesen die blaue Uniform der Flotte zu tragen, ein Anblick der ihm eine Form von Stabilität und Sicherheit gegeben hatte. Jetzt ohne sie zu sein, ließ Emotionen in ihm aufsteigen, die er lieber verbannt sah.

Er rückte sich den schwarzen Kragen seiner Jacke zurecht, betrachtete seine überwiegend schwarze Kleidung und strich sich die Falten glatt. Der Stoff unter seinen Fingern war weich, das edelste vom edelsten.

Nicht, dass es ihm etwas bedeutet hätte, dachte er abfällig, aber es war das, was er erwartete. Über seinen Schultern verliefen lederne Schulterpolster, von seiner rechten Schulter verlief ein sanft fallender Umhang, der seinen halben Oberkörper und Rücken umspielte. Auf der linken Brust, direkt über seinem Herzen, prangte das goldene Wappen seines Königs.

Wer ihn da im Spiegel anblickte, war nicht er.

Nicht der, der er sein wollte.

Sein Blick fiel auf eine kleine Schatulle vor ihm, bedächtig öffnete er sie und betrachtete den nicht ganz handlangen Dolch darin. Vorsichtig strich er darüber und steckte ihn schließlich in den fast kniehohen Stiefel, sodass nur er wusste, dass er da war. Er hatte nicht vor etwas damit zu machen, aber er vermittelte ihm Sicherheit gegen ihn.

Seine Tür meldete sich und ohne zu zögern bat er seinen Gast herein. Amrit trat still ein, auch er gab einen ungewohnten Anblick ab, wenn auch er sich in seiner Paradeuniform wesentlich wohler fühlen musste.

„Es ist bald soweit.“, sagte er.

„Ich weiß.“

Dah´kar nickte wissend, seine Muskeln verkrampften sich und seine Augen starrten auf die zweite Schatulle vor ihm. Er wollte sie öffnen, doch etwas sträubte sich mit aller Macht dagegen. Sie zu öffnen würde bedeuten, allem in die Augen sehen zu müssen, vor dem er weglief und das er vergessen wollte.

Und das zu sehen, was vor ihm lag, auch wenn kein Weg daran vorbeiführte.

„Versprich mir etwas.“, sagte er zu seinem Freund, dieser sah ihm fest entgegen. „Versprich mir, dass du auf meinen Sohn aufpassen wirst.“

Ein Ausdruck von Schwermut tragt in Amrits Gesicht, doch er nickte zögerlich.

„Meinst du, dass es so schwer kommen wird?“, fragte er und bekam ein zynisches Lachen von Dah´kar.

„Wir beide wissen, dass es nicht anders kommen kann, ich habe den Bogen einfach zu oft überspannt. Aber euch wird nichts geschehen, das verspreche ich.“

Er öffnete die Box, ein schweres Seufzen entrang sich seiner Brust und er wunderte sich wie so ein kleines Stück Edelmetall so eine Last sein konnte. Als er weiterhin zögerte den schmalen filigranen Ring aus der Schatulle zu holen, trat Amrit neben ihn und legte ihm mitfühlenden die Hand auf den Arm.

„Darf ich?“

Eine Bitte, die ihm so viel Gewicht von der Brust nahm.

Beinahe mit Ehrfurcht nahm Amrit den Reif, während Dah´kar sein Haupt leicht vorbeugte, seine Augen geschlossen und seinem Schicksal ergeben. Er spürte wie der Ring auf seinen Kopf gesetzt wurde und fühlte das kühle Metall an seiner Stirn. Als er sich wieder erhob hatte sich etwas verändert, hatte den wahren Dah´kar beiseitegeschoben und eine Maske aufgesetzt.

Er straffte die Schultern, sein Gesicht zeigte nicht die geringste Gefühlsregung und in seine Augen war eine Schärfe getreten, die er in dieser Form lange nicht mehr gesehen hatte.

„Lass uns gehen.“, sagte er befehlend zu seinem Offizier.

Zielstrebig verließen sie sein Quartier und liefen zu einer der Andockluken, wo sie in wenigen Minuten den mächtigsten Mann, diesseits der Galaxie empfangen würden.

Seine obersten Offiziere und die kleine Crew der Nautilus hatten sich wie besprochen schon dort versammelt, er und Amrit trafen als letzte ein.

Sofort stellten sich seine Offiziere links und rechts des Ganges zu einer Reihe auf und verharrten in Habachtstellung, von der sonst eher freundschaftlichen Atmosphäre an Bord des Schiffes war nichts mehr zu spüren. Dah´kar fühlte die fragenden Blicke von Trautman, Singh und den anderen auf sich, aber er ignorierte sie, er fungierte nun nicht mehr als Kapitän oder gar Freund.


Nachwort zu diesem Kapitel:
An die Leser, von denen es hoffentlich ein paar gibt: Mich würde interessieren wie euch die Geschichte bisher gefällt? Kommt ihr gut mit? Ist es verständlich? Sind euch Fehler aufgefallen? Dürft ihr mir alles schreiben. ;) Komplett anzeigen

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