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The Cookie Jar

YGO-One Shots, PWP, Smut & Kurzgeschichten
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Triggerwarnings: siehe Part 1!

Dieser Teil trägt den Titel Tabletten Komplett anzeigen

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Das Sterben kann noch warten - Part 5

Das Klacken ihrer Zimmertüre war es, das sie wieder erwachen ließ. Schlaftrunken hob sie ihren schweren Kopf und öffnete ihre Augen, die sich vom Schlaf noch ganz verklebt anfühlten. Durch die Vorhänge ihres Zimmers konnte sie ein Stück des orangenen Himmels sehen, was für sie darauf hindeutete, dass der Samstag sich bereits dem Ende zuneigte.

Oh nein. Hatte sie fast einen kompletten Tag verschlafen?

Wenn ja, müsste sie sich eigentlich vollständig erholt und frisch fühlen. Doch fast schon das Gegenteil war der Fall.

 

„Amane? Ich habe mehrfach versucht, dich anzurufen, doch du bist nicht ans Telefon gegangen...“

Es war die Stimme ihres Vaters und das Mädchen setzte sich im Bett auf. War er schon von der Arbeit zurück? Sie hatte wirklich einen kompletten Tag verpasst. Und konnte in ihrem noch halb schlafenden Zustand noch nicht wirklich einordnen, ob dies eine gute Sache war.

 

„Ja...es tut mir leid. Ich...habe geschlafen...“

 

Das sie versucht hatte, in der Badewanne zu erfrieren, erwähnte sie natürlich nicht. Im Nachhinein war sie sich plötzlich nicht einmal mehr sicher, ob dieser Plan überhaupt aufgegangen wäre...

 

Erwartungsvoll sah sie ihren Vater durch ihre weißen, strähnigen Haare an, die ihr aufgrund der Tatsache, dass sie sie nach ihrem gescheiterten Suizidversuch weder geföhnt, noch irgendwie frisiert hatte, in einem völligen Chaos vom Kopf abstehen mussten. Wahrscheinlich würde nun irgendein emotionsloser Vorwurf kommen, dass sie bitte ans Telefon gehen sollte, wenn er sie anrief. Doch stattdessen erblickte sie den älteren Mann mit den ebenfalls weißen Haaren mit zusammengezogenen Augenbrauen und zwei Fingern an seiner rahmenlosen Brille, die er auf seiner Nase zurechtrückte. Es war sein typischer Gesichtsausdruck, wenn er etwas analysierte. Meistens irgendein altes Gestein oder eine Antiquität. Doch seine eigene Tochter hatte er noch nie zuvor auf diese Weise angesehen.

 

„Bist du krank, Amane?“

 

Waren ihre Gefühle eben noch ein heilloses Durcheinander, so stellte sich nun prompt reine Verwirrtheit in ihr ein.

 

„...wie meinst du das?“

 

Die eigentliche Antwort, die ihr auf der Zunge gelegen hätte, wäre gewesen, dass sie natürlich krank sei. Mrs Watanabe hatte sogar eine Akte zu diesem Thema angelegt. Doch weil ihr Vater unmöglich von dieser Art Krankheit sprechen konnte, musste er wohl irgendetwas anderes meinen.

 

„Dein Gesicht ist gerötet. Deine Augen glasig. Und du hast viel geschlafen. Ich glaube, du brütest etwas aus.“

 

Amane starrte ihren Vater an, als wäre ihm gerade ein zweiter Kopf gewachsen. Meinte er das gerade ernst?

 

„Du solltest ein wenig im Bett bleiben. Ich koche für heute Abend Suppe und melde dich am Montag in der Schule krank.“

 

Zwar sprach er wie immer ruhig und faktisch, doch es war mehr der Inhalt seiner Aussage, die Amane langsam glauben ließ, man hätte ihren Vater gegen irgendjemanden ausgetauscht, der ihm zwar ähnlich sah, aber unmöglich er selbst sein konnte.

 

„In Ordnung, Dad.“

 

Etwas besseres fiel ihr in diesem Moment nicht ein. Und während sie sich wieder in die Kissen zurücklegte, nickte ihr Vater nur bestätigend und verließ dann ihr Zimmer. Amane wartete, bis sie seine Schritte in der gemeinsamen Wohnung nicht mehr hören konnte, bevor sie zu ihrem Handy griff und schnell das Display anschaltete, um zu überprüfen, was gerade so in der Welt passierte.

Bis auf ein paar recht unwichtige Textnachrichten war der Tag wohl relativ ruhig gewesen. Als sie alle Anwendungen und Apps wieder schloss, konnte sie einen unverdeckten Blick auf ihr Hintergrundbild werfen – und fühlte einen traurigen Schmerz in der Brust.

 

Es zeigte Ryou, ihre Mutter und sie selbst. Eines der letzten gemeinsamen Photos, die von ihnen existierten. Im Hintergrund war die Innenstadt von Domino City zu sehen. Da ihr Vater nie wirklich Zeit hatte, zu ihnen nach England zu kommen, hatte ihre Mutter sich darum bemüht, wenigstens ein paar Mal mit Ryou und ihr nach Domino City zu kommen. Es war jedes Mal schön gewesen. Fast wie ein Familienurlaub.

Und nun steckte Amane hier fest und es war überhaupt nicht mehr schön. Bittere, bittere Ironie...

 

 

Irgendwann klopfte ihr Vater erneut an die Tür und kam mit einem Tablett herein, auf dem tatsächlich warme Suppe, ein Tee und eine Packung Schmerztabletten lagen. Er verlor nicht viele Worte, sondern stellte es Amane auf den Nachttisch und verließ das Zimmer ebenso schweigend.

 

Nach einem ganzen Tag im Bett war Amane hungrig und bediente sich an der Suppe, während sie ihr Laptop auf ihrem Schoss balancierte und sich durch das Netz klickte.

Da es draußen mittlerweile dunkel wurde, erschien ihr der Bildschirm immer greller und sie kniff die Augen zusammen, um sich mit ihrer freien Hand darüber zu reiben – bevor sie eine wahre Kettenreaktion an den Tag legte, als sie ihre Augen erneut öffnete.

 

Heiße Suppe bekleckerte ihr Pyjamaoberteil, da sie gerade noch so verhindern konnte, dass die heiße Flüssigkeit sich über ihr Laptop ergoss, so sehr zuckte sie vor Schreck zusammen. Fluchend und sich die nasse Hand an ihrer Hose abwischend stellte sie die Schüssel zurück auf das Tablett und warf einen genervten Blick in die dunklen, fast schwarzen Augen, die sie plötzlich über den Rand ihres Laptops hinweg anstarrten.

 

„Aua, vorwarnen bitte! Das brennt!“

„Guten Abend, ich hab dich auch vermisst.“

 

Der Geist des goldenen Rings saß doch tatsächlich am Fußende ihres Bettes, den Rücken gegen die Wand gelehnt, die Beine übereinander geschlagen, die Arme vor der Brust verschränkt. Es war das erste Mal, dass er einfach so auftauchte, ohne das Amane sich gerade in akuter Lebensgefahr war.

An sich selbst herunterblickend und sich mit einem Mal ziemlich begossen vorkommend, schob Amane den Laptop von sich und stieg aus dem Bett, ohne ihm eine weitere Antwort zu geben. Doch der Ringgeist hatte wohl auch keine von ihr erwartet.

 

„Ich wollte dich nicht erschrecken. Tut mir leid.“, er sagte es in einem solchen Plauderton, dass Amane ihm kein Wort glaubte. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen kramte sie durch ihre Kommode und zog ein sauberes Schlafshirt heraus. Fast hätte sie sich schon aus lauter Gewohnheit des Alleinseins einfach ihr Pyjamaoberteil aufgeknöpft...doch da fiel ihr ein, dass sie ja nicht alleine war.

 

„Kannst du bitte kurz weggucken?“

Sie wollte es beiläufig und selbstbewusst klingen lassen und warf dem Geist auf ihrem Bett nun doch einen kurzen Blick über ihre Schulter zu. Doch natürlich begann dieser nur amüsiert zu lachen und schenkte ihr ein frivoles Grinsen.

 

„Natürlich könnte ich. Aber wozu? Hast du etwas zu verbergen?“

 

Dieser verfluchte Geist! Amane fragte sich, ob es eigentlich noch irgendeinen tiefer gehenden Grund hatte, dass er ausgerechnet in ihrem Leben gelandet war – außer diesem seltsamen Zeug von einem eigenen Körper, das er immer erzählte.

 

Ein beleidigtes Schnauben war alles, was sie ihm antwortete, bevor sie sich – den Rücken immer noch demonstrativ zu ihm gewandt – ihr Pyjamaoberteil auszog und ein trockenes Shirt über ihren Kopf streifte. So. Immerhin das war erledigt.

 

„Was willst du?“

Als sie sich umdrehte bemerkte sie, dass sie wohl unbewusst seine Körperhaltung imitiert hatte, denn auch sie hatte nun die Arme vor der Brust verschränkt und blickte ihn finster an. Selbst mit ihren ungekämmten Haaren musste sie ihm auf eine gewisse Art ähnlich sehen.

 

„Ich dachte, wir könnten noch ein wenig Zeit miteinander verbringen. Unser nette Unterhaltung von heute morgen fortsetzen.“

 

„Unterhaltung konnte man das ja wohl nicht nennen.“

 

Mit einem Mal schien sich etwas in der Aura des Ringgeistes zu verändern. Sein Blick war nicht mehr länger stolz und abwertend, sondern verdunkelte sich so schlagartig, dass Amane das Herz in die Hose rutschte. Plötzlich war er nicht mehr auf dem Bett zu sehen. Sondern tauchte wie aus dem Nichts heraus direkt vor Amane auf, so nahe, wie sie sich noch vor kurzem in der U-Bahn gegenübergestanden hatten.

 

„Du hast nicht die geringste Ahnung.“

In seiner Stimme war keine Spur von Zynismus mehr zu hören, sondern pure Dunkelheit, so wie Amane sie noch nie zuvor von ihm gehört hatte. Erschrocken wich sie zurück.

„Du hast nicht die geringste Ahnung, wie es da drinnen ist. Die Einsamkeit, die dich umgibt. Jahrhundertelang nur Einsamkeit.“

Amane verstand zuerst nicht, wovon er sprach, bis sie den goldenen Ring, der wieder an ihrem Bettpfosten hing aus den Augenwinkeln heraus sah – und ihr auch der schwache Goldschimmer nicht entging, der ihn umgab.

 

„Das wusste ich nicht. Entschuldigung.“

Es war eine ehrliche Entschuldigung, die sie aussprach und sie fühlte eine Mischung aus Reue und Mitleid in sich aufsteigen. Es stimmte tatsächlich – sie hatte nicht die geringste Ahnung. Sie wusste praktisch nichts über den Ringgeist. Vielleicht konnten sie sich ja wirklich irgendwie...unterhalten. Wie auch immer man es nun nennen wollte.

 

„Komm...setzen wir uns doch einfach.“

 

Keine Minute später saßen sie wieder in ihrer Ausgangsposition auf Amanes Bett und Amane löffelte den Rest ihrer mittlerweile lauwarmen Suppe. Der Geist des Ringes wollte nichts abhaben, sie hatte ihm zunächst etwas davon angeboten. Es war die erste Sache, die sie über ihn lernte: er konnte zwar Dinge berühren und bewegen, aber nichts zu sich nehmen. Er musste es ja theoretisch auch nicht.

 

„Woher kommst du?“

„Aus einem Dorf in Ägypten. Vor 5000 Jahren.“

„Und wie kommt es, dass du jetzt hier bist?“

„Mein Dorf wurde niedergebrannt und ich schwor Rache an jener Person, die dafür verantwortlich war. Egal wie lange es dauern wird.“

„Warum hast du niemals zuvor versucht, aus dem Ring auszubrechen?“

„Das ist nicht so einfach, Engelchen. Die Verbindung funktioniert nur mit bestimmten Menschen. Bei deinem Vater spürte ich bereits eine leichte Verbindung, doch als du den Ring berührt hast...ich habe mich gefühlt wie nach einer erfolgreichen Nacht mit einem allzu willigen jungen Ding.“

 

Ihre Unterhaltung nahm langsam so etwas wie eine gewisse Vertrautheit an, doch als der Geist des Rings ihr zusammen mit seinem süffisanten Kommentar ein breites Grinsen schenkte, war Amane sich sicher, dass er wieder zu seiner üblichen, direkten Art zurückgekehrt war.

Mit einem tiefen Atemzug beschloss sie, seine Aussage einfach zu übergehen.

 

„Ich will dich ja nicht enttäuschen, aber ich glaube, ich kann dir bei deinen Plänen leider nicht assistieren. Deine Rache wird also noch etwas warten müssen.“

„Wer sagt denn, dass du dabei assistieren musst? Ich brauche lediglich deinen Körper, das ist die einzige Form von Mithilfe, die du leisen kannst.“

„Und auch der wird bald nicht mehr existieren. Ich bin es leid, ich werde bald mit allem Schluss machen. Es tut mir leid, aber daran ändern auch deine Pläne nichts mehr.“

 

Eigentlich erwartete sie nun, dass der Geist des Rings versuchen würde, sie auf irgendeine Weise umzustimmen, doch alles was er tat, war sie von oben bis unten zu mustern und dann seufzend die Augen zu verrollen.

 

„Ihr Kinder heutzutage seit echt merkwürdig.“

 

Daraufhin sagte er nichts mehr. Und auch als er weiterhin schwieg und sich eine peinliche Stille zwischen ihnen anbahnte, setzte Amane noch einmal mit Nachdruck hinzu:

 

„Diese Entscheidung steht.“

 

„Es tut mir ja leid, dich enttäuschen zu müssen“, wiederholte der Ringgeist beinahe genau die gleiche Phrase, die sie zuvor noch benutzt hatte, was sie irgendwie ärgerte,

„Aber all deine Versuche verliefen ja nicht wirklich erfolgreich. Meinst du wirklich, dein Plan ist so wasserdicht, wie du denkst?“

„Es wird mir schon etwas einfallen.“

Es war zwar keine wirklich gute Antwort, aber das so auf sich sitzen zu lassen konnte sie nun auch wieder nicht.

 

Der Ringgeist seufzte lang und langgezogen. Jedoch nicht auf abwertende, sondern fast schon auf eine...bedauernde Art und Weise.

 

„Schade, Engelchen. Schade um dich und dein hübsches, kleines Köpfchen.“

 

Und mit diesen Worten löste er sich langsam auf und verschwand, höchstwahrscheinlich zurück in den Ring.

Amane blickte das goldene Schmuckstück noch eine Zeit lang stumm und nachdenklich an.

 

Verrückt. Verrückt war das richtige Wort dafür. Denn es war einfach nur verrückt, ernsthaft darüber nachzudenken, ob man so etwas wie Mitleid für ein übernatürliches Wesen empfinden konnte.

 

 

 

 

Amane war nicht mehr lange nach dem Verschwinden des Ringgeistes aufgeblieben. Das Nichtstun hatte sie irgendwie müde gemacht...und da ihr Vater ernsthaft glaubte, sie würde sich mit einer Grippe oder einer Erkältung im Bett befinden, sah sie auch keinen besonderen Grund, das Zimmer zu verlassen.

Das nächste Mal, als sie erwachte, regnete es wieder. Sie konnte es an dem trommelnden Geräusch gegen ihre Fensterscheibe erkennen. Ein Blick auf ihr Handy verriet ihr, dass es Sonntagvormittag war und das Apartment war wie immer ruhig, fast schon gespenstisch. Es war nicht ungewöhnlich, dass ihr Vater auch Sonntags arbeitete, immerhin hatte das Museum an sieben Tagen in der Woche seine Pforten geöffnet.

Nicht wirklich wissend, was sie mit dem freien Tag nun anstellen sollte, beschloss Amane aufzustehen und sich einen Tee zu machen, denn die Tasse, die ihr Vater ihr am Vorabend auf den Nachttisch gestellt hatte, war inzwischen ziemlich kalt geworden.

 

Sich etwas merkwürdig fühlend, da sie sonst nie im Pyjama in der Wohnung herumlief, betrat Amane die Küche und setzte das Teewasser auf, Vielleicht könnte sie den heutigen Tag ja tatsächlich irgendwie nutzen...

Sich hungrig fühlend öffnete sie den Kühlschrank, um nachzusehen, was sie eventuell zum Tee frühstücken könnte, doch zu ihrer Enttäuschung gab der Kühlschrank nicht sonderlich viel her...sie mussten demnächst dringend wieder zum Einkaufen fahren. Alles, was Amane vorfand, war ein wenig Gemüse, ein Fertiggericht und Sake, den ihr Vater manchmal zu einem warmen Abendessen trank. Und eine angebrochene Packung Milch.

Enttäuscht nahm Amane zumindest diese aus dem Kühlschrank, um einen Teil davon in ihren Earl-Grey-Tee zu gießen und wieder zurück auf ihr Zimmer zu gehen. Vielleicht sollte sie doch auf Verhungern setzen...auch wenn das nach langem Warten und sehr mühselig klang.

 

Die kalte Teetasse auf ihrem Nachttisch nahm sie in die Hand, um sie mit ihrer frisch zubereiteten Tasse zu ersetzen...als ihr etwas anderes ins Auge stach.

Neben der leeren Suppenschüssel und der der kalten Tasse Tee lag da noch etwas anderes, was sie zwar wahrgenommen hatte, das mögliche Potential jedoch nicht sofort erkannt hatte.

 

Schmerztabletten. Handelsübliches Paracetamol. Eine Packung Tabletten, die man nicht einmal in einer Apotheke kaufen musste, sondern in jedem größeren Supermarkt für geringes Geld bekam. Nicht, das Amane sie wirklich brauchte, immerhin ging es ihr - bis auf die Tatsache, dass die depressiv und ihr Leben außer Kontrolle war - gut. Doch für das Mädchen sahen sie in diesem Moment aus wie ein Ticket in die Freiheit.

Mit klopfendem Herzen setzte sie die Tasse ab und griff mit zitternden Händen nach der Verpackung, um eine der kleinen Laschen aufzureißen und den Blister herauszuziehen. Bis auf eine einzige Tablette war die Verpackung fast noch vollständig. 29 Stück.

Amane fühlte, wie sich die Gedanken in ihrem Kopf beinahe überschlugen. Sie hatte noch nie darüber nachgedacht, wie viele Tabletten wohl möglich sein müssten, um sich selbst eine Überdosis zu verpassen.

 

Sie musste sich kurz auf ihr Bett setzen, um darüber nachzudenken. Wenn sie alle auf einmal nehmen würde...wäre sie dann tot? Würde es ihr womöglich nur soweit helfen, dass sie sich die Seele aus dem Leib kotzen musste? Der Gedanke machte ihr Angst.

 

Mit fahrigen Händen ergriff sie ihr Mobiltelefon und fühlte das schlechte Gewissen in sich aufsteigen, als sie in die Suchmaschine sowohl „Medikamente“ als auch „Suizid“ eintippte. Würde man ihr Handy nach ihrem Tod durchsuchen?

Alles was sie fand waren rein medizinische Seiten – aber auch ein paar Foren, auf denen psychisch kranke Menschen sich auszutauschen schienen. Amane beschloss, nicht in diesen Abgründen des Internets nachzusehen, sondern sich den rein faktischen Websites zuzuwenden. Sie konnte ja immer noch behaupten, sie habe sich nur informieren wollten. Aber wieso sollte sie lügen, wenn sie sowieso tot war...?

Das ganze Gedankenkarussell ließ sie nicht mehr logisch nachdenken!

 

Sie musste nicht lange herumklicken, bis sich ihr Geist förmlich aufzuhellen schien. Ein Suizid mithilfe von Tabletten schien zwar nicht unmöglich zu sein, doch es gab eine Sache, eine Geheimzutat, die das ganze zu einem wasserdichten Plan machte:

 

 

Alkohol.

 

Dad's Sake.

 

Mit einem Mal fühlte Amane sich so klar und ruhig wie schon seit Tagen nicht mehr.

 

 

 

Entspannt und ruhig stand das Mädchen keine 20 Minuten später in der Küche des Apartments.

Sie hatte sich etwas alltagstauglicheres als ihren Pyjama angezogen, ihre Haare in einen strammen Zopf gebunden und richtete auf der Küchenzeile das an, was sie für ihr Vorhaben benötigte.

Die Packung Schmerztabletten lag bereits griffbereit neben ihr. Dann ein wunderschön verzierter Keramikbecher, von dem Amane wusste, dass ihr Vater ihn noch vor ihrer Geburt einmal geschenkt bekommen hatte und zu guter letzt der Sake ihres Vaters. Zuerst hatte sie darüber nachgedacht, einfach alle Tabletten der Verpackung mit einem großen Glas Wasser herunterzuspülen, und anschließend den Sake zu trinken, doch sie hatte sich jetzt doch dazu entschieden, sie einfach nach und nach zusammen mit dem Reiswein einzunehmen. So ging sie auf Nummer sicher.

 

Ein letztes Mal warf sie einen Blick aus dem verregneten Fenster, bevor sie den Wein in den Becher goss und die ersten vier Tabletten aus dem Blister löste.

„Na dann...“

Doch noch ehe sie ihre ausgestreckte Handfläche zum Mund führen konnte, ertönte plötzlich ein Räuspern aus der Richtung der Küchentür. Wie ertappt hielt das Mädchen in ihrer Bewegung inne und wandte den Kopf irritiert in besagte Richtung.

 

„Hast du überhaupt schon einmal Alkohol getrunken?“

 

Oh nein. Den hatte sie ja komplett vergessen!

 

Im Türrahmen der Küche stand der Ringgeist, die Arme wie immer vor der Brust verschränkt, eine Schulter gegen den Türrahmen gelehnt und sie mit schief gelegtem Kopf fragend anblickend. Musste er ausgerechnet jetzt auftauchen?

 

„Ich komme aus England. Wir fangen alle früh mit dem Trinken an, aber keiner gibt es zu, nicht einmal die Regierung.“

Eine Tatsache, die Amane selten preisgab. In der Heimat ihres Vaters war schließlich vieles anders.

 

Eine amüsierte, hochgezogene Augenbraue schaute sie mit einem Gesichtsausdruck an, der doch tatsächlich ein wenig überrascht wirkte.

 

„So ein böses Engelchen bist du also...das hätte ich ja nicht von dir gedacht.“

„Du weißt so einiges nicht über mich. Und wenn du mich jetzt entschuldigen würdest – ich muss Sterben gehen.“

 

„Ich meinte nicht den Alkohol....“, der Geist des Ringes sprach einfach ruhig weiter, während sie nun aber wirklich die vier ersten Tabletten auf ihre Zunge legte, um alles mit in den Nacken gelegten Kopf durch den Sake herunterzuspülen,

„...sondern die Tatsache, dass du ernsthaft eine Möglichkeit gefunden hast, dich wirklich umzubringen.“

 

Fast hätte Amane den Sake wieder ausgespuckt. Ihr Kopf flog herum, während sie alles was im Mund hatte in einem großen Schluck ihre Kehle hinunterbeförderte.

 

„Wie meinst du das?“

 

„Genau so, wie ich es sage. Leider, leider, so gerne ich es täte, würde ich dir jetzt erzählen, dass dein Plan völlig umsonst ist und du so kläglich scheitern wirst, wie ein Sklave, der die Pyramide herunterfällt...doch du hast es wirklich geschafft. Du hast einen Plan entwickelt, der niet- und nagelfest ist. Ich sollte dir eigentlich gratulieren, Engelchen.“

 

Spöttisch und träge klatschte der Ringgeist in die Hände und sah ihr dabei in die Augen.

Amane hätte ihm für seinen dämlichen Gesichtsausdruck am liebsten den Keramikbecher an den Kopf geworfen, auch wenn sie wusste, dass sie sich eigentlich freuen sollte. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Zwar noch nicht ganz – immerhin lebte sie noch – doch sie war wohl auf dem richtigen Weg. Und außerdem wollte sie ja das Keramik nicht zerstören, da es im hohen Bogen durch ihn hindurchfliegen würde...

 

„Hör auf damit. Ja, es ist toll, dass ich endlich auch mal schlauer bin als du. Du kannst dich gerne mit mir darüber freuen und ich wünsche dir noch ein schönes Leben, vielleicht treffen wir uns irgendwann ja einmal wieder, im Himmel oder...wo auch immer.“

 

Schon wandte sie sich wieder ihrem Tun zu, löste die nächsten Tabletten aus der Verpackung – diesmal waren es sogar schon sieben – und schluckte sie so schnell mit Hilfe des Sakes hinunter, dass sie fast würgen musste. Nicht nachdenken, einfach machen. Schon spürte sie eine Art wohliges Wärmegefühl in sich aufsteigen, wobei sie nicht sagen konnte, ob es vom Alkohol oder den Tabletten kam.

 

„Ach Engelchen...“

Der Ringgeist hatte sich von der Küchentür wegbewegt und stand nun direkt neben ihr, wo er fast schon so etwas wie einen traurigen Gesichtsausdruck trug. Amane versuchte weiterhin ihn zu ignorieren und stattdessen weitere Tabletten aus der kleinen, silbernen Folie zu befreien.

 

„Wenn du sowieso jetzt draufgehst...kann ich dir etwas anvertrauen?“

Kurz hielt Amane in ihrem Tun inne und sah ihn aus den Augenwinkeln heraus an.

„Wenn du unbedingt willst...“

„Hätten wir uns zu einem anderen Zeitpunkt getroffen, oh dann glaub mir, du wärst schneller nicht-mehr-Jungfrau gewesen, als du Pharao sagen könntest.“

 

Entsetzt riss das Mädchen die Augen auf und wandte sich nun doch dem Geist des Rings zu.

„Du hättest mich VERGEWALTIGT?!“

Ein entnervtes Augenrollen begleitete seine Antwort.

„Natürlich nicht, für so etwas hätte man in meiner Zeit den Kopf, oder noch schlimmer, den Schwanz abgehakt bekommen. Aber vielleicht hätte ich dich mit meinem unzähligen Schmuck aus der Diebesausbeute beeindruckt und mich mit dir bei Sonnenuntergang ans Ufer des Nils gesetzt und dir einen kleinen Kelch Rotwein angeboten, damit deine Wangen schön geleuchtet hätten, wenn ich dich anschließend mit in mein zuhause genommen hätte und dir dort so richtig schön die...“

„Ja ich hab es begriffen, du musst es nicht weiter erklären!“

 

Peinlich berührt starrte Amane auf die Küchenzeile, während ihr Gesicht tatsächlich glühte. Zu viel Alkohol. Zu viele seltsame Gedanken, die dieser vermaledeite Geist ihr gerade in den Kopf pflanzte...

 

„Das könnte alles Wirklichkeit werden, Engelchen.“, er breitete die Arme aus, als würde er gerade eine Art große Rede halten, „Wir müssen nur geduldig sein, bis meine Rache beendet ist und ich wieder einen eigenen Körper bekomme.“

„Jetzt ist es doch sowieso zu spät.“

 

Amane spürte, wie ihr Kopf langsam zu schwimmen begann, aber sie durfte jetzt nicht aufgeben. Sie musste ganz sicher gehen, dass sie nicht einfach nur in Ohnmacht fallen würde. Sie musste die Packung ausleeren.

 

So rasch es in ihrem aktuellen Zustand noch ging, befreite sie eine Tablette nach der anderen endgültig aus ihren silbernen Versiegelungen und nahm nun wahllos eine nach der anderen in den Mund. Gleich war es geschafft! Gleich musste sie sich nur noch aufs Sterben freuen!

 

„Und wenn ich dich bitte?“

Plötzlich war die Stimme des Ringgeistes so anders. Nicht so wie letzte Nacht, in der er wohl eine Art kurzen Zornanfall gehabt hatte, sondern so...ehrlich. Neutral.

„Um was?“

„Es doch sein zu lassen. Jetzt hättest du noch die Möglichkeit, einen Krankenwagen zu rufen.“

„Nein. Es gibt kein Zurück mehr.“

 

Amane spürte bereits, wie ihr das Sprechen schwerer fiel. Und wie ihre Hand bereits etwas schwankte, als sie es endlich tat. Die letzte Tablette. Kurz ließ sie sie auf ihrer Zunge liegen, dann glitt sie auch schon ihre Kehle hinunter. Es war geschafft. Sie hatte 29 Schmerztabletten mit Alkohol heruntergespült.

 

Amane nahm einen tiefen Atemzug und blieb dann ruhig vor der Küchenzeile stehen, abwartend, was sie nun erwarten würde. Ihr Blickfeld war bereits verschwommen. Ihre Augenlider fühlten sich tonnenschwer an, so dass es ihr große Anstrengungen bereitete, sie überhaupt aufzuhalten. Das war es also. Das Sterben, nach dem sie sich immer so sehr gesehnt hatte. Irgendwie hatte sie es sich...spektakulärer vorgestellt. Mit einem wahren Feuerwerk der Gefühle. Fast einem Orgasmus gleich. Sagte man in so manchen Sprachen nicht auch, ein Orgasmus wäre „der kleine Tod“?

 

„Ach Engelchen...du bist ein solcher Dickkopf, du lässt mir leider keine andere Wahl...“

 

In diesem Moment fühlte Amane sich, als ob man sie packen und davonreissen würde. Als würde sich irgendetwas um sie schlingen und sie in die Luft heben. Vor ihren Augen wurde alles Schwarz.

 

Das musste er sein, der Tod.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Na? Was denkt ihr? Ist Amanes Plan wirklich aufgegangen? Ist sie tot? :') Die Antwort gibts im Epilog! Komplett anzeigen

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