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Zwei Seiten einer Medaille

von

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Gegenwart
 

Ich stelle meinen Rucksack neben der Wohnungstür ab, als auch schon Demon um die Ecke gerannt kommt. Sofort springt er Luzifer freudig an und schaut auch zu mir. Unsere Blicke treffen sich und ich lächle ihn nach einer Weile schüchtern an. Ruhig halte ich ihm meine Hand hin und er schnüffelt daran. Dann kommt Erkennen in seine Augen und er bellt auch mich glücklich an.
 

Seine Wohnung ist nicht besonders groß, doch sie erfüllt seinen Zweck. Neben einer Küche, gibt es nur ein Badezimmer und seinen Wohnbereich. Luzifer geht in den Wohnbereich. Dicht gefolgt von Demon und mir. Der Hund legt sich sofort auf sein großes Kissen und ich selbst bleibe ein wenig verloren stehen. Ich erblicke die Gitarre in einer Ecke des Zimmers und höre wieder das Lied, das schuld daran ist, dass ich jetzt hier bin.
 

„Sitzplätze kosten auch nicht mehr.“ Ich höre seine Stimme und er deutet auf das Sofa, das am Fußende des Bettes steht, bevor er mich wieder breit angrinst. „Ich weiß, sie ist kleiner, als die von meinen Eltern. Aber sie erfüllt ihren Zweck und wir fühlen uns hier wohl. Sollte sie uns zu eng sein, dann können wir ja raus gehen.“
 

Er zuckt mit den Schultern und nachdem ich immer noch ein wenig verloren im Zimmer stehe, nimmt er mich bei der Hand und zieht mich zu sich auf die Couch. Sofort drückt er mich fast an seine Brust und auch wenn das Gefühl schön ist, so ist es mir gerade zu viel. Ruhig nehme ich dadurch Abstand und lächle ihn kurz entschuldigend an.
 

„Wo soll ich schlafen?“ Ich lasse meinen Blick über das Zimmer schweifen, doch dort existiert nur das Bett oder die Couch. Es ist keine weitere Schlafmöglichkeit aufgebaut und wenn ich ehrlich bin, ist das Zwei-Sitzer-Sofa nicht unbedingt dafür geeignet.
 

„Wie auch damals schon. Bei mir im Bett. Keine Angst, auch jetzt werde ich dich nicht fressen.“ Er lacht auf und klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. „Man kann mit dir viel schönere Dinge anstellen, anstatt dich zu verspeisen.“ Für diesen Satz kommt er direkt neben mein Ohr und ich kann seinen warmen Atem auf meiner Wange spüren. Er ist so nah. Ich brauche nur meinen Kopf zur Seite zu drehen und erneut würden wir uns küssen. Sein Geschmack würde dann über meine Zunge huschen und ich könnte seinen Atem meinem Gesicht spüren. Alles von ihm wahrnehmen und doch nur einen Hauch erfahren. So einfach. So unendlich einfach.
 

Plötzlich ist er wieder weg und lehnt sich zurück. Bringt so einen Abstand zwischen uns, der schon fast auf der Seele weh tut. Ich spüre den Verlust in mir, aber unterdrücke den Impuls ihn zu mir zu ziehen. Wir haben uns doch gerade erst wiedergefunden. Ist es da wirklich klug, wenn man gleich los heizt? Alles überstürzt? Wir haben doch Zeit, oder nicht?
 

„Hör auf zu grübeln.“ Er tippt mir an die Stirn und sieht mich selbst mit ernsten Gesicht an, während er leise knurrt. „Du sollst das Ganze nicht schon wieder zerdecken. Genieß es. Lassen wir das Wochenende einfach auf uns zukommen, okay?“
 

Er ist plötzlich offener und lächelt mich erneut sanft an. Ich fühle mich geborgen bei ihm, doch ich bin mir immer noch leicht unsicher, ob es klug ist ihm so nahe zu kommen. Schließlich weiß ich doch, wie es das letzte Mal geendet hat.
 

„Was willst du tun? Hast du Hunger? Willst du die Stadt sehen oder lieber hier bleiben?“ Luzifer sieht mich immer noch ruhig an, doch ich weiß es selbst nicht. Was will ich tun? An sich habe ich schon Hunger, aber will ich raus? Meine Beine wollen sich bewegen. Sie mussten jetzt so lange still halten, wodurch ich kurz nicke. „Ja, Bewegung klingt nicht schlecht. Genauso wie etwas essbares.“
 

„Okay, hier in der Nähe ist ein NcBonald. Wenn du damit kein Problem hast, dann können wir gerne dorthin gehen.“ Er sieht mich weiter offen an. Ich versuche derweil zu verstehen, ob es wirklich klug ist hier zu sein. Doch für jeden Wimpernschlag, den ich ihn länger ansehe, weiß ich es genauer: Es ist richtig hier zu sein. Egal was danach kommt. Hier ist mein Platz.
 

„Können wir gerne tun. Dann kannst du mir auch ein wenig die Stadt zeigen.“ Ich lächel ihn an und er erwidert es offen, bevor er dann schon aufsteht und ich es ihm gleichtue. Er schnippt nur einmal kurz mit den Fingern und sofort springt auch Demon auf und folgt uns voller Vorfreude nach draußen.
 

Ruhig laufen wir durch die Straßen. Ich habe die Kapuze meines Pullis mittlerweile abgesetzt, weil ich mich hier sicher fühle. Sie werden mich hier noch nicht suchen. Mein Verschwinden ist wahrscheinlich noch nicht einmal aufgefallen. Das wird erst in ein paar Stunden der Fall sein und selbst wenn.
 

„Hör auf damit.“ Luzifers Worte durchschneiden meine Gedanken und ich sehe ihn irritiert an. Schließlich habe ich nichts gesagt. Wir sind schweigend nebeneinander her gelaufen und jetzt schaut er mich schon fast böse oder gar beleidigt an. „Du sollst damit aufhören dir über alle möglichen Szenarien Gedanken zu machen. Vor allem wenn du mir dann nicht einmal mehr zuhörst. Dann kannst du auch gleich wieder gehen.“
 

„Es tut mir Leid, aber es ist...“ „Kompliziert. Ich weiß. Immer noch. Wird es wohl auch immer bleiben. Dennoch bist du jetzt hier und da sollst du deinen Alten und den Stress Zuhause mal vergessen. Sehe es als Vorgeschmack auf deine schon bald beginnende Freiheit.“
 

Kurz bin ich verwirrt, als mich Luzifer unterbricht, doch schon bald kann ich ihn nur anlächeln. Ja, vielleicht kann ich das. Es wird nicht mehr lange dauern. Vielleicht drückt dann auch die Polizei ein Auge zu und nimmt meinen Zettel Ernst. Lässt mich in Ruhe und akzeptiert, dass ich abgehauen bin. Diese Hoffnung keimt langsam auf. Auch wenn ich weiß, dass sie falsch ist. So nähre ich sie und will dass sie wächst. Größer, schöner und alle Zweifel vertreiben.
 

Plötzlich werde ich herumgerissen und erneut spüre ich einen Kuss. Luzifer umfasst mein Gesicht und lässt mich nicht gehen. Diese harte und unnachgiebige Berührung unserer Körper zerschlägt alle Zweifel und Gedanken in mir. Ich spüre, wie alles von Luzifer verschlungen wird und ich nur noch ihn wahrnehme.
 

„So... sind die Komplikationen jetzt beseitigt? Ich hasse es, wenn man mich ignoriert.“ Unter seiner Stimme liegt ein leichtes Knurren und erneut treffen sich unsere Blicke. Ich spüre, wie ich mich unsicher fühle, doch dann nicke ich. Klar, ich bin wegen ihm hier. Ich sollte meine Eltern nun wirklich mal nach ganz weit hinten verbannen. Darüber kann ich mir noch Gedanken machen, wenn es wirklich dazu kommen sollte. Aber jetzt sollte es nur Luzifer für mich geben.
 

„Ich glaube schon.“ Ich nicke und merke, wie ich leicht rot werde, bevor ich dann scheu seinem Blick ausweiche. Aber davor kann ich noch sein zufriedenes Lächeln sehen und im nächsten Moment geht er weiter. Sofort setzte ich zur Verfolgung an und spüre, wie ich mit jedem Schritt, dem ich ihm folge, wieder ein wenig größer werde. Ich bemerke, wie meine Zuversicht und mein Selbstvertrauen zu mir zurück kommen. Neben ihm habe ich das Gefühl, dass die Welt mich nicht mehr brechen kann.
 

Nach einer Weile kommen wir an unserem Ziel an und trotz des Hundeverbotenschildes folgt Demon Luzifer nach drinnen. Ein wenig verdutzt schau ich auf die Zwei, doch niemand scheint sich an dem großen Dobermann zu stören, wodurch ich schulterzuckend den Beiden folge.
 

Nach einer kurzen Wartezeit habe wir unser Essen und nehmen Platz, um es zu verspeisen. Es tut gut endlich wieder etwas in den Magen zu bekommen und so essen wir ein paar Minuten ohne etwas zu sagen, bevor ich das Schweigen schließlich breche: „Was tust du im Moment? Gehst du hier auf die Schule und warum bist du Zuhause ausgezogen?“
 

Luzifer lächelt mich daraufhin an und beißt noch einmal genüsslich von seinem Burger ab, bevor er dann auf meine Fragen antwortet: „Aktuell mache ich mein Abitur. Ich musste die Schule wechseln, weil sie an meiner Alten nicht meine Leistungsfächer anboten. Also, in der Kombination, die ich gerne gehabt hätte. Meine Eltern meinten dann, dass es einfacher für mich wäre, wenn ich hier wohnen würde anstatt immer hin und her zu fahren. Vor allem, weil sie ja eh kaum Zuhause sind, machte das kaum einen Unterschied. Daher finanzieren sie mir die kleine Wohnung hier und na ja. Sie erfüllt ihren Zweck.“
 

Er zuckt mit den Schultern und nimmt dann noch einmal einen Bissen. Mir drängt sich derweil schon eine neue Frage auf, die ich ihm stelle: „Willst du dann mal studieren?“ „Ja, Musikwissenschaften. Dafür gibt es hier in der Nähe auch eine Uni. Ich muss also nicht einmal nochmal umziehen. Und bei dir? Was für einen Weg hat dein Alter für dich vorgesehen?“
 

Es tut weh, wie stark er damit ins Schwarze trifft, wodurch ich ihn kurz zerknirscht anlächle. Manchmal hasse ich ihn für seine Präzision in diesen Momenten, aber auch wenn Wut in mir hochkommt. Ich kann sie nicht rauslassen und so schlucke ich sie auch jetzt wieder herunter.
 

„Ich soll natürlich auch erst einmal das Abi machen. Sieht auch ganz gut aus. Und danach würde mein Vater gerne, dass ich BWL studiere.“ Ich zucke mit den Schultern und stopfe mir eine Pommes in den Mund, bevor sich unsere Blicke erneut treffen. Auch dieses Mal wirkt es auf mich, als würde Luzifer meine Gedanken lesen.
 

„Und was willst du tun?“ Er spricht so langsam und betont jedes Wort extra, dass ich das Gefühl habe, dass er sie mir aufs Trommelfell tätowiert, damit ich sie niemals vergesse. Aber das liegt hauptsächlich daran, dass es das erste Mal ist, dass mich jemand nach meinen eigenen Wünschen fragt und so bin ich einige Herzschläge überfordert. Kann ihn nur anstarren und versuche verzweifelt die Tragweite seiner Worte zu erfassen, doch sie entgleiten mir immer wieder wie ein glitschiger Aal.
 

„Nathy?“ Er sieht mich kurz besorgt an, bevor ich mich aus meiner Blockade mit einem Kopfschütteln befreie und seinem Blick wieder begegne, bevor ich die nächsten vier Worte schon fast tonlos aus meinen Lungen presse: „Ich weiß es nicht.“
 

„Wie du weißt es nicht? Du musst doch auch irgendeinen Wunsch haben. Irgendeinen Plan, den du gerne verfolgen würdest. Wo siehst du dich in zehn Jahren? Was willst du dein ganzes Leben lang tun?“ Jede neue Frage überfordert mich weiter. Ich kann sie nicht beantworten. Noch nie habe ich mir darüber Gedanken gemacht. Es ist für mich schon immer klar, dass ich den Weg gehen werde, den mir mein Vater befiehlt.
 

Doch jetzt wird mir bewusst, was es bedeutet, wenn ich ausbreche. Wenn ich mich von ihm löse und versuchen werde auf eigenen Füßen zu stehen. Klar, ich werde endlich der Gewalt entkommen, doch ich werde auch das Gitter verlieren, das mich all die Jahre schon hält. Die Führung, die mir falsche Sicherheit gibt und mich auf einen Weg hält, der für mich selbstverständlich aber nicht richtig ist. Noch nie habe ich gewagt einmal zur Seite zu sehen. Auf einen anderen Weg. Eine andere Möglichkeit. Derweil gibt es sie doch.
 

„Ich weiß es nicht.“ krächze ich und muss mich räuspern, doch meine Stimme kehrt nicht zu mir zurück und die durchdringenden Augen von Luzifer werden plötzlich sanft. So viel Zärtlichkeit habe ich noch nie in ihnen erblickt und ich spüre, wie sie mein Herz friedlich umschließt. Dann ist dort seine Hand, die sich über meine legt. Nur kurz breche ich den Blickkontakt ab, um zu sehen, was er tut oder gar sein Handeln zu verstehen, doch ich erreiche die Erkenntnis nicht.
 

„Ach, Nathy.“ Er muss schmunzeln. Streichelt mit seinen Daumen über meinen Handrücken und nimmt sie dann wieder weg, als er sich zurücklehnt. „Es ist dein Leben. Dein Alter hat schon viel zu lange darüber bestimmt. Aber ich glaube, dass du wissen wirst, was du willst, wenn du da endlich mal raus bist.“
 

„Ja, ich hoffe, dass alles glatt gehen wird.“ Ich will nicht weiter über die Zukunft nachdenken. Über die Wege, die ich aus Angst vor meinen Vater, nie wirklich in Betracht zog. Nicht daran, wie sehr meine Familie mein wahres Ich unterdrückt haben und vor allem will ich nicht diese Wut in mir erkennen. Die sich mit jedem Schlag, Tritt oder Angriff – egal ob physisch oder psychisch – gegen mich vergrößert. Ich schlucke sie herunter. Immer und immer wieder. In der Hoffnung, dass sie endlich verschwindet. Doch diese Hoffnung ist vergebens. Denn das wird sie nicht tun. Niemals...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Onlyknow3
2018-11-03T11:14:57+00:00 03.11.2018 12:14
Dann sollte sein nächstes Ziel sein, eine Therapie zu machen, um all das was sich da angestaut hat wieder los zu werden.
Sonst könnte das auch mal ausbrechen und den falschen treffen.
Nathaniel tut mir leid, anderer seits könnte er aus diesem Kreislauf raus sein, wer er auf das Angebot von Castiel damals eingegangen. Weiter so, freue mich auf die anderen Kapitel.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  Shino-Tenshi
03.11.2018 18:31
Hinterher ist man immer schlauer ;) und ja, Therapie ist manchmal sinnvoll. Kommt aber auf die Art Mensch an. Ich bin eher jemand, der es mit sich selbst klärt und von solchen Therapien nichts halte ^^"

Grüße Shino Tenshi


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