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Zwei Seiten einer Medaille

von

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Die Tage vergingen und mein Vater gab es mir deutlich zu verstehen, dass ich gewiss keine Schwuchtel zu sein habe. Mit Blicken, Worten und Schlägen. Ich wusste nicht mehr, was ich tun sollte. Jeder noch so kleine Fehler endete mit einem Schlag. Ich ließ ein Messer fallen, verpasste er mir einen Hieb. Ich wählte die falschen Worte setzte es erneut etwas. Egal, was es war. Ich konnte es ihm nicht mehr recht machen.
 

Daher dauerte es auch gut eine Woche bevor ich mich wieder ins Spiel traute. Erst als ich mich dazu entschlossen hatte mir eine Türkette zu besorgen, wagte ich es wieder meinen Laptop zu starten und in den Teamgeekchannel zu gehen.
 

„Gabriel?!“ Tayaka wirkte überrascht und ich konnte ein verlegenes Lächeln nicht unterdrücken. „Ja, hallo. Sorry. Früher ging es nicht. Plötzliche Familienprobleme.“ Es kam der Wahrheit ziemlich nahe und zumindest Tayaka schien es zu schlucken. „Und die sind jetzt gelöst? Na ja, Reallife geht nun einmal vor. Schön, dass du wieder da bist.“
 

„Wir hatten schon Angst, dass wir uns einen neuen Schlagzeuger suchen müssen. Kommst du ins Spiel? Wir haben ein paar neue Songs, die wir gerne einstudieren würden.“ Azrael wirkte ebenfalls glücklich, doch er schien noch skeptisch zu sein. Athena jedoch beruhigte ihn fast sofort: „Bestimmt kommt er gleich. Wir sind wirklich froh, dass du wieder da bist.“
 

Xenia und Luzifer schwiegen. Es tat weh seinen Namen zu lesen und kein Lebenszeichen zu bekommen. „Ich... ich komme sofort.“ Mein Blick wanderte zu der Türkette, die vorgelegt war. Jetzt konnte er mich hier nicht mehr überfallen. Etwas, was das Zittern meiner Hände ein wenig leichter werden ließ, wodurch ich das Spiel startete.
 

Kaum stand mein Avatar wieder im Proberaum wurden die Gespräche belangloser. Wir redeten über die nächsten Auftritte und die neue dazu kommende Möglichkeit eine CD aufzunehmen. Etwas, was an sich von Anfang an in dem Spiel hätte sein sollen, aber scheinbar jetzt erst kam. Es war alles zwanglos und ich spürte, dass ich meine Schmerzen, die blauen Flecken und das Zittern meines Körpers endlich vergaß.
 

Der Tag neigte sich dem Abend entgegen und alle bis auf Luzifer verabschiedeten sich um etwas zu essen. Stille kehrte zwischen uns ein und ich musste dem Drang widerstehen ebenfalls zu gehen. Ich wusste nicht, was ich ihm sagen sollte. So hoffte ich darauf, dass er das Schweigen brach, doch dabei vergaß ich, dass er das ganz gut beherrschte. Wenn er sauer war, dann konnte er einen mit Schweigen strafen und wenn man ehrlich war, dann wollte man auch nicht wirklich, dass er mit einem sprach.
 

„Es tut mir Leid.“ Mehr brachte ich nicht heraus, denn sofort kam ein verärgertes Schnauben. „Was davon? Dass ich von dir gerissen werde, wie der übelste Triebtäter? Dass du meine Hilfe abgelehnt hast? Dass ich mich danach auch noch blöd von deiner Schwester anlabern lassen musste? Dass mich dein Alter vertrieben hat, als ich stundenlang darauf gewartet habe, dass du dein Fenster öffnest? Dass ich mir im Park den Arsch abgefroren habe, weil du deinen nicht in der Hose hattest um zu mir zu kommen? Dass du dich eine ganze Woche lang nicht meldetest und ich nicht wusste, wie es dir geht? Such dir also was aus.“
 

„Irgendwie alles.“ Ich schluckte hart und erneut trat Stille zwischen uns. Ich hörte den wütenden Atem von Luzifer durch mein Headset und dann knurrte er bedrohlich. „Wie soll es jetzt weitergehen?“
 

„Ich weiß es nicht. Lass uns einfach Spaß im Spiel haben, okay?“ Ich wollte nicht, dass die Band unter unseren privaten Problemen litt. Das hatten die anderen vier einfach nicht verdient. Wir hatten doch so viel Spaß zusammen. Das wollte ich nicht verlieren oder durch diese Kleinigkeit gar zerstören.
 

„Echt jetzt?“ Erneut kam nur ein dunkles Knurren und im nächsten Moment verabschiedete er sich auch schon. „Sorry, ich muss raus. Ich... man sieht sich.“ Er wartete gar nicht darauf, dass ich irgendwie reagierte, sondern verließ fast im selben Atemzug noch den Channel und ich blieb alleine zurück.
 

Wieso passierte das? Ich wusste, was er wollte. Was er sich wünschte. Doch es ging nicht. Er... er war doch mit Xenia zusammen. Was wollte er dann plötzlich von mir? Das ergab doch alles keinen Sinn mehr. Vielleicht sollte ich wirklich einfach gehen. Es war wohl besser für uns alle.
 

Gerade wollte ich den Channel verlassen, als Xenia plötzlich zurückkehrte und mich direkt ansprach: „Gabriel. Wir müssen reden.“
 

Mir rutschte mein Herz in die Hose und ich schluckte trocken. Die übelste Vorahnung kämpfte sich in meine Gedanken hoch und ich wünschte mir, dass es nicht so wäre, aber ihre Tonlage war alles nur nicht gerade freundlich. Was wusste sie?
 

„Lass die Finger von Luzifer. Er gehört mir. Mir ganz alleine. Du wirst ihn niemals glücklich machen können. Schließlich war er noch nie so frustriert wie an diesem Tag, als er von dir kam. Du musst ja eine echte Niete sein. Es ist mir an sich egal, was dort passierte oder nicht. Er hat versucht es mir zu erklären, doch du solltest eines wissen. All das bedeutete nichts. Wahrscheinlich hätte er in diesem Moment jeden besprungen. Du warst halt gerade griffbereit. Das Testosteron ist nur mit ihm durchgegangen. Du bist nur ein Bandmitglied. Nichts Besonderes. Wirst du niemals sein. Luzifer gehört mir und solltest du es wagen auch nur daran zu denken, dass dieser Ausrutscher irgendetwas zu bedeuten hat, dann sei gewarnt. Ich werde dann nämlich dafür sorgen, dass du freiwillig und mit großen Vergnügen das Spiel verlässt.“
 

Ich konnte nichts sagen, sondern nur ihren Worten lauschen. Selbst als schon einige Herzschläge Stille zwischen uns herrschte, fand ich immer noch keine Antwort. Wie viel wusste sie? Was hatte ihr Luzifer erzählt? Stimmten ihre Worte?
 

Ein kalter Schauer glitt beim letzten Satz über meinen Rücken und ich schluckte trocken. Was sollte ich tun? Sollte ich mich wehren? Aber wieso? Sie hatte doch Recht. Ich sollte Luzifer los lassen. Er bedeutete nur Ärger. Sowohl Zuhause als auch hier im Spiel. Es war wohl besser für uns alle.
 

„Hast du das verstanden?“ Ihre Stimme war scharf und ließ keinen Widerspruch zu. Erneut konnte ich nur schlucken und fast kleinlaut ein leises, krächzendes „Ja“ von mir geben. „Gut, dann wäre das geklärt. Man sieht sich später, Gabriel.“ Am Ende war ihre Stimme wieder zuckersüß und engelsgleich. Die Gefahr, die sie eben noch ausgestrahlt hatte, war plötzlich verschwunden und ich hatte kurz das Gefühl, dass ich es mir eingebildet hatte. Doch der kalte Schauer, der sich immer noch an meinen Rücken krallte, zeigte mir deutlich, dass es nicht so war.
 

Xenia hatte mir offen gedroht. Ich wusste, wie sehr sie in Luzifer verliebt war, doch ich hätte nicht damit gerechnet, dass er es ihr erzählen würde. Oder woher sie es auch immer wusste. Ich hatte keinen Plan über die Verbindungen von Luzifer oder Xenia. Es war mir bis jetzt auch immer egal gewesen.
 

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, doch die Kette stoppte sie fast augenblicklich. Ich konnte ihn das verwirrte Gesicht meines Vaters sehen. Seine Augen verengten sich vor Wut und er stemmte sich stärker gegen die Tür. „Nathaniel! Mach sofort die Tür auf! Was tust du da drinnen?!“
 

Unsere Blicke begegneten sich und er erkannte das Headset auf meinem Kopf, doch er schien es gänzlich falsch zu verstehen. „Sprichst du schon wieder mit diesem Jungen?! Ich hatte es dir verboten! Öffne sofort diese Tür!“
 

Ich sprang vom Stuhl auf und riss mir dabei das Headset vom Kopf. Die Kette hielt den Attacken meines Vaters stand. Hätte ich sie doch schon viel früher geholt. Dann wäre alles vielleicht anders gekommen. Dann...
 

Nein, ich wollte diesen Gedanken nicht zu Ende formen. Es war nicht sein Kampf und ich musste das alleine durchstehen. Auch wenn ich nicht wusste wie. „Ich tue gar nichts, sondern rede nur mit Freunden! Es... es ist nichts Schlimmes dabei! Geh weg! Geh einfach weg! Du wirst hier nie wieder reinkommen!“
 

Es war so lächerlich, dass ich mich dafür rechtfertigen musste. Für etwas ganz normales. Ich unterhielt mich doch nur mit Freunden und spielte ein Spiel mit ihnen. Es war nichts anrüchiges dabei und wenn ich ehrlich war, dann wollte Luzifer doch eh nichts mehr von mir. Nicht nachdem was hier passiert war. Das hatte er mir doch gerade deutlich gezeigt.
 

„Nathaniel! Ich sag das nur noch einmal: Mach die verdammte Tür auf!“ Die Stimme meines Vaters war bedrohlich und kurz erwischte ich mich dabei seinem Befehl nachzukommen, doch ich konnte mich in letzter Sekunde noch davon abhalten.
 

„NATHANIEL!“ Er schlug hart gegen das Holz und ich zuckte unter dem lauten Knall zusammen, doch dann schien er davon abzulassen: „Komm du mir da raus, Junge. Komm du mir da raus.“
 

Ich hörte wie sich seine Schritte entfernten und sank zu Boden. Klar, ich war hier sicher, aber ich konnte nicht ewig hier bleiben. Mich nicht ewig hier verstecken. Was sollte ich tun? Plötzlich hörte ich eine leise Stimme aus meinem Headset.
 

Mit zitternden Beinen nahm ich es an mich und setzte es mir auf, um dann Tayakas Stimme zu hören: „Gabriel?! Was ist denn da bei dir abgegangen?! War das dein Dad?!“ Ich hörte deutlich, dass er fast panisch war, doch ich lächelte zerknirscht. „Ja, war er. Aber... er hat nur einen schlechten Tag. Es ist alles gut. Mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut.“
 

„Das klang gerade echt anders. Hat der öfters schlechte Tage?“ Die Stimme von Tayaka war voller Skepsis, doch ich wollte ihm die Wahrheit nicht erzählen. Wenn ich dies mit in diese Welt lassen würde, dann könnte ich dort nicht mehr so frei sein, wie ich es jetzt war.
 

„Nein. Aktuell hat er nur ein wenig Stress auf der Arbeit. Ist bestimmt bald wieder vorbei.“ Ich winkte ab. „Na, wenn du meinst.“ Tayaka wirkte nicht wirklich überzeugt, doch er schien das Thema erst einmal fallen zu lassen. „Wie sieht es aus? Lust noch ein wenig zu jammen?“
 

Ich war froh über den Themenwechsel und nickte, als ich die Tür schon wieder schloss. Dankend blickte ich zu der Kette hinauf. Sie war jetzt schon ihr Geld wert. Auch wenn ich nicht wusste, ob ich es jemals wieder wagen konnte hier raus zu kommen.
 

„Du, Gabriel. Sollte der Stress deines Vaters nicht aufhören. Du kannst jederzeit für ein paar Tage bei mir unterkommen. Ich wohne nicht allzu weit weg. Es würde sogar jetzt noch ein Zug gehen. Also... wenn du mal Abstand von deinem Dad brauchst. Du bist immer willkommen bei mir und meiner Familie.“ Wir hatten schon ein paar Lieder gespielt, als Tayaka plötzlich mit diesem Thema kam, wodurch ich trocken schluckte und im nächsten Moment bekam ich schon ungefragt seine Adresse im privaten Spielchat. Ich notierte sie mir.
 

„Danke...“ Ich konnte nicht mehr sagen. So gerührt war ich von dieser Geste. „Du bist immer willkommen.“ Kaum war die letzte Silbe von Tayaka verklungen, war der Plan schon gefasst: Ich würde diese Nacht zu Tayaka abhauen...



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