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Magister Magicae

Magister Magicae 7
von

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„Ich werde das Vieh jetzt totschlagen!“

[der Abend zuvor]
 

Der graue Bankenbesitzer kam muffelig ins Wohnzimmer gestapft. Von den Haaren über das Jacket, das er auch zu Hause trug, bis zu den Schuhen war alles an ihm grau und farblos. Ernst und irgendwie griesgrämig war er ja immer, aber heute war es besonders schlimm. Allerdings hatte er auch guten Grund dazu. Ruppert sah sich im Wohnzimmer um und fand seinen 19-jährigen Sohn Josh allein auf dem Sofa sitzend und für die Aufnahmeprüfung der Uni lernen. „Wo ist Danny?“, wollte Ruppert wissen.

„Im Keller.“

„Ist er immer noch bei diesem verwilderten Biest?“

Josh warf ihm nur einen entschuldigenden Blick zu, als ob er was dafür könnte. Nagut, komplett unschuldig war er in der Tat nicht. Er hatte ja schließlich mitgeholfen. Und, was noch schlimmer war, er hatte den Schutzgeist seines Vaters überredet, Ruppert ungeschützt alleine zu Hause zu lassen und zu diesem waghalsigen Unternehmen mitzukommen. Im Ergebnis hatten sie jetzt eine wilde, tobende Harpyie im Keller sitzen, die völlig außer Kontrolle war und jeden zerfleischte, der ihr zu nahe kam.

„Ich werde das Vieh jetzt totschlagen!“, entschied Ruppert und krallte sich den Schürhaken vom Kamin.

Josh schnellte schockiert vom Sofa hoch. „Vater! Nein!“

Urnue erschien aus der Küche, ein Glas Saft in der Hand, und lehnte sich mit fragendem Blick mit der Schulter in den Türrahmen, um zu verfolgen, was hier passierte. Auch er war sehr kleinlaut. Ruppert hatte ihn noch in der Nacht zusammengestaucht wie eine Schrottpresse. Davon hatten Rupperts Söhne nur am Rande etwas mitbekommen, wenn er dabei zwischenzeitlich mal lauter geworden war. Als sein Genius Intimus war es nicht nur eine bodenlose Frechheit, seinen Schützling allein zu lassen und zu verschwinden, sondern es war noch dazu eine unverzeihliche, verdammt schwerwiegende Pflichtverletzung, die ihn im Zweifelsfall den Kopf kosten konnte.

„Ich versteh bis jetzt nicht, was diese Befreiungsbewegung sollte, die ihr drei gegründet habt! Weg mit dem Drecksvieh!“, polterte Ruppert weiter, schon auf halbem Weg zur Kellertür.

„Du warst nicht dabei, als sie die Genii befreit haben! Du hast keine Ahnung, was in Danny vorgeht!“, versuchte sein Sohn ihn aufzuhalten.

„Sentimentaler Unsinn!“, entschied der Banker. Als ehemaliger Finanz-Chef der Motus war er in Sachen Versklavung und Totschlag von Genii eher schmerzfrei. Unaufhaltsam rauschte er weiter, hinaus in den Flur.

Aber der Junge ließ nicht locker. „Vater, die haben gesagt, sie wäre eine Genia Intima! Sie ist über ein silbernes Band mit jemandem verbunden! Die hat irgendwo einen Schützling! Hast du mal bedacht, daß ihr Schützling noch irgendwo da draußen auf sie warten könnte?“

„Dann sollen 'die' das Vieh zu seinem Schützling bringen und nicht hier bei uns abladen! Danny soll sich drum kümmern, seinen eigenen Schutzgeist zu finden, damit ich ihm nicht immer einen Babysitter ...!“

Josh fiel seinem Vater in den Arm, als der die Hand nach der Klinke der Kellertür ausstrecken wollte. „Das da unten im Keller IST sein eigener Schutzgeist!“

„Bitte was!?“

Josh sah ihn nur vielsagend an. Er hatte schon richtig verstanden. Er konnte sich denken, daß sein Vater auf diese Idee nicht von selber gekommen war. Damit, daß ein Junge einen weiblichen Schutzgeist hatte, rechnete im ersten Moment ja auch keiner. Das war sehr unüblich.

Fluchend warf Ruppert den Schürhaken zu Boden. „Heilige Scheiße!“

„Siehst du? Genau diese Reaktion hat Danny erwartet“, meinte sein Sohn. „Darum wollte er es keinem sagen, bevor sie sich nicht wieder eingekriegt hat. Gib ihm einfach noch etwas Zeit, bitte. Er braucht nichts weiter als Zeit, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Gib ihm eine Chance.“

Etwas unverständliches in sich hineinmaulend marschierte Ruppert Richtung Küche. Urnue machte ihm mit gesenktem Kopf Platz, um ihm die Tür nicht zu versperren. Drinnen hörte man erst den Kühlschrank und dann Gläser klappern. Der Bankenbesitzer beschloss, das Thema vorerst mit Alkohol abzurunden.

Josh hob zögerlich den Schürhaken wieder auf und brachte ihn zurück zu seinem Platz neben dem Kamin.
 

Danny saß am Abendbrottisch und kaute mit ungutem Gefühl sein Brot. Irgendwas war anders als bisher. Sein Vater war schon die ganze Zeit missmutig gewesen, seit er sich der jungen Genia angenommen hatte. Und das war er auch jetzt noch. Aber auf eine andere, sehr viel unheilvollere Weise. Sein älterer Bruder Josh warf ihm verstohlene Blicke zu, die er nicht deuten konnte. Was war nur los? Das Schweigen machte ihn wahnsinnig.

Auch Ruppert sah immer wieder böse vom einen zum anderen. Danny, der jüngere, hatte mittelbraune Haare, etwa wie Rehbraun, die er fingerlang hatte wachsen lassen, und die ihm als lässiger Pony in die Augen fielen. Die Haare von Josh, seinem zwei Jahre älteren Bruder, waren eine Spur brünetter, eher karottenrot, und kurzgeschoren. Aber beide waren Ruppert wie aus dem Gesicht geschnitten. Das waren zweifelsfrei seine Söhne. Im Moment wusste er nicht so richtig, ob er sie nur als „missratene“ Söhne ansehen oder gleich ganz verleugnen und enterben sollte. Er war stinksauer auf die beiden. Danny konnte er ja beinahe noch ein wenig verstehen. Wenn der unvermutet seinen lange verschollenen Schutzgeist fand, war es nachvollziehbar, daß ihm vorübergehend das Gehirn aussetzte. Aber von Josh hätte er wesentlich mehr Vernunft erwartet. Und von Urnue erst! Wenn Danny wirklich glaubte, seinen Schutzgeist gefunden zu haben und aus der Gewalt von Sklaventreibern befreien zu müssen, hätte man das anders lösen können. Dazu hätten sie nicht in einer Nacht- und Nebelaktion einen Zirkus überfallen müssen, ohne ihm vorher Bescheid zu geben.

Danny und Josh hatten gestern am frühen Nachmittag eine Vorstellung in einem Zirkus besucht, in dem man offenbar Genii auftreten ließ. In der Nacht, während der Spätvorstellung, hatte er sich den Genius seines Vaters geschnappt und war in dessen Begleitung in den Zirkus eingebrochen, um einen der dort lebenden, angeblich gefangenen Genii zu kidnappen und zu entführen. Er war dabei von einer offiziellen Organisation überrascht worden, die scheinbar das gleiche Vorhaben mit staatlicher Befugnis betrieb. Die hatten alle Genii des Zirkus beschlagnahmt und Danny mit Tatü-Tata wieder nach Hause gebracht. Seitdem saß dieses DING da unten in ihrem Keller, das sie zusammen mit seinem Sohn hier abgeladen hatten.

„Wie kommst du voran?“, wollte Josh kleinlaut wissen. Auch ihm war es eindeutig zu still bei Tisch, er musste einfach reden.

„Schleppend. Sie spricht kein Wort. Ich bin mir nichtmal sicher, ob sie mich überhaupt versteht.“, gab Danny wahrheitsgetreu zurück.

Ruppert, sein Vater, brummte.

„Aber sie hat sich schon etwas beruhigt! Sie schlägt nicht mehr wie wild um sich, das ist doch schonmal die halbe Miete“, fuhr Danny schnell fort. Er wollte nicht klingen, als würde er überhaupt keine Fortschritte machen.

„Hat sie sich schon wieder in ihre menschliche Gestalt zurückverwandelt?“, fragte Josh hoffnungsvoll weiter.

Ein Kopfschütteln. „Sie behält immer noch ihre Harpyien-Gestalt bei.“ Die junge Frau tat ihm so leid. Er hätte gern mehr für sie getan, aber sie ließ es einfach nicht zu. Sie blieb konsequent im Kampfmodus, hielt sich alles und jeden vom Leib und gab nur immerzu drohende, knurrende Töne von sich, die kaum zu einem Vogel passten. Ihre menschliche Gestalt hatte Danny nur im Zirkus gesehen, bevor sie befreit worden war. Als junge Frau mit langer, schwarz-grüner Lockenmähne war sie unglaublich niedlich.

„Wenn sie nicht mit sich reden lässt, dann gib ihr über das silberne Band zu verstehen, was du von ihr willst!“, maulte Ruppert schlecht gelaunt dazwischen und biss derber in sein Brot als nötig.

Danny schaute ihn fassungslos an. Er wusste von dem Band? Sein Blick wanderte zu Josh, der betreten wegschaute und plötzlich hilflos mit seinem Besteck spielte. „Hast du es ihm etwa gesagt?“, wollte Danny gekränkt wissen. Josh hatte die Gabe der Intuition. Es war kein Hellsehen in dem Sinne. Nur das fast unweigerliche Wissen um die Art oder den Zweck eines Dinges, das er vor sich hatte. Er hatte im Zirkus während der Vorstellung einfach gewusst, daß die junge Frau Dannys Genius Intimus war. Danny hatte ihn gebeten, geradezu angefleht, es vorläufig keinem zu erzählen.

„Tut mir leid. ... Er wollte sie totschlagen. Ich musste etwas tun“, gab Josh kleinlaut zurück und warf einen unterwürfigen Blick auf seinen Vater.

„Du wolltest WAS!?“, hakte Danny entsetzt nach, diesmal an seinen Vater gewandt. „Bist du übergeschnappt, hey?“

„Du kennst den Codex Geniorum!“, erwiderte der nur seelenruhig.

„Ja, auswendig! Paragraph 1: Ein ungebundener Schutzgeist oder eine ungebundene Schutzbestie wird als Genius bezeichnet, solange der Genius seinen Schützling noch nicht gefunden hat und die Verbindung zu diesem eingegangen ist. Genius intimus ist die Bezeichnung für einen an seinen Schützling gebundenen Schutzgeist*“, begann er trotzig zu rezitieren. „Paragraph 2: Der Schutzgeist, auch Genius genannt, ist ein Geisterwesen, welches Magiern, Hexen, Schamanen oder Hellsehern hilfreich zur Seite steht und diese vor Gefahren der anderen Ebene, auch als Astralebene oder Geisterwelt und ähnliches bezeichnet, schützt. Zumeist besteht zwischen Schutzgeist und Schützling eine angeborene magische Verbindung* ... “

Ein Brummen unterbrach ihn. „Paragraph 5: Ein Genius darf keinem Menschen tödlichen oder dauerhaften Schaden zufügen, es sei den sein eigenes Leben, das Leben seines Schützlings oder das Leben einer anderen Person wird durch diesen Menschen bedroht*“, hielt sein Vater dagegen. „Und jetzt sieh dir das Ding da unten im Keller mal an. Ich hab sie für verwildertes, unkontrollierbares Ungeziefer gehalten.“

„Und wenn schon! Sie ist trotzdem ein Genius! Ein lebendes, intelligentes, fühlendes Individuum, auch wenn sie gerade etwas verstört und panisch ist! Für so kaltblütig hätte ich dich nicht gehalten! Du solltest Urnue nie wieder unter die Augen treten!“, fauchte Danny mit einem Deut auf den Genius Intimus seines Vaters. Er schnappte seinen Teller, sprang hasserfüllt vom Tisch auf und schneite davon.

„Das mit dem 'intelligent' muss sie uns erst noch beweisen“, murmelte Ruppert und aß ungerührt weiter. Herrgott, was dachten seine Söhne bloß von ihm? Natürlich hätte er den räudigen, dunkelgrauen Vogel nicht totgeschlagen. Genii standen den Menschen in nichts nach. Im Gegenteil, als Fabelwesen waren sie magisch begabt und dadurch um einiges mächtiger und stärker als Menschen. Sie lebten unter den Menschen und hatten die gleichen Rechte wie die menschlichen Bürger auf dieser Welt. Sie zu erschlagen, war ein vollwertiger Mord und wurde auch entsprechend geahndet. So lieb und teuer waren ihm seine Freiheit und sein Luxus-Leben schon, um sich nicht wegen Mordes einbuchten zu lassen. Und bei seiner Vergangenheit war er ohnehin bemüht, den Gesetzeshütern möglichst aus dem Weg zu gehen. Bestenfalls hätte er der Harpyie im Keller so lange Manieren eingeprügelt, bis sie sich wieder wie ein klar denkendes Wesen benahm. Oder noch wahrscheinlicher hätte er seinen Sohn Danny windelweich geknüppelt, für diese gesamte, hirnrissige Situation hier, die seit letzter Nacht herrschte. Wer weiß, was der mit Urnue angestellt hatte, um ihn zu so einer Aktion zu nötigen. Ein Genius Intimus trennte sich normalerweise NIE von seinem Schützling.

Nagut, die Tatsache, daß sie der Genius Intimus seines Sohnes war, änderte natürlich einiges. Zu jedem magisch begabten Menschen – und seine Familie gehörte dazu – gehörte von Geburt an ein sogenannter Genius, ein Geister- oder Fabelwesen. Die beiden trafen in der Regel zusammen, sobald bei dem Menschen, dem Magi, die erste magische Begabung auftrat. Der Genius spürte es, egal in welchem Winkel der Welt er gerade war, und machte sich wie hypnotisiert auf den Weg, seinen Schützling zu suchen. Ruppert hatte sich immer geärgert, daß sein Sohn nie auf den zu ihm gehörenden Genius getroffen war. Er hatte zwar vermutet, daß der Genius vielleicht schon im Kindesalter gestorben war, hatte aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben gehabt. Immerhin kannte er so ein um Jahre verzögertes Zusammentreffen mit seinem Schutzgeist nur zu gut von sich selbst. Ohne seinen Genius war ein Magi praktisch nichts, weil er ungeschützt war und sich daher nicht der Magie und Alchemie widmen konnte. Man konnte einen Genius nur mit roher Gewalt und mächtigen Bannzaubern davon abhalten, seinen Schützling zu suchen. Und das war grässlichste Folter für den betreffenden Genius. Was hatten die im Zirkus wohl mit der Genia angestellt, damit sie Danny nicht fand?


Nachwort zu diesem Kapitel:
* Zitate aus "Schutzbestie" von Salix > in ihren FF´s zu finden Komplett anzeigen

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