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Die Leute von Millers Landing

von

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Der gerechte Mann

James sah im Licht der Öllampe den Schweiß in den Haaren auf seiner Brust glitzern, als er versuchte wieder zu Atem zu kommen:

„Meine Güte! Was war das denn?“ fragte er keuchend.
 

„Ich dachte, es wäre für uns beide schön, wenn unsere letzte gemeinsame Nacht etwas Besonderes wäre, an das wir uns später erinnern können.“ erwiderte Melody schlicht.
 

James richtete sich im Bett ein wenig auf und blickte sie ratlos an:

„Unsere letzte Nacht? Gehst du denn irgendwo hin?“
 

Melody schüttelte den Kopf:

„Ich nicht, aber du!“ verkündete sie: „Du gehst zurück zu Kathryn!“
 

„Wer sagt das?“ empörte sich James: „Wo war ICH, als diese Entscheidung getroffen wurde?“
 

„Beruhige Dich, mein Liebling!“ forderte Melody: „Und tu nicht so, als wäre das nicht in deinem Sinne! Ich weiß, dass du sie noch immer liebst, ich sehe deine Blicke! Und nur damit das ganz klar ist: Für mich ist das in Ordnung! Ich habe unsere Zeit sehr genossen, aber nächste Woche ist Carpenter fort und der Weg für dich ist bei Kathryn wieder frei. Denkst du, ich will dich dann noch in meinem Bett, wenn deine Gedanken sich immer nur darum drehen werden, wie du in ihres zurückkehren kannst?“
 

James wollte zu weiterem Protest ansetzen doch Melody fuhr fort:
 

„Die Sache mit uns beiden lief viel länger, als ich erwartet hatte und es war wirklich eine schöne Zeit, aber du und ich sind kein Liebespaar. Wir sind Freunde, die sich auch im Schlafzimmer gut verstehen. Ich habe kein Interesse daran, dass du aus Pflichtgefühl bei mir bleibst. Lass` uns lieber gemeinsam darüber nachdenken, wie du diesen störrischen Rotschopf zurückgewinnst!“
 

James wusste nicht, was er erwidern sollte. Ihre nüchterne, pragmatische Sichtweise verblüffte ihn:

„Das hier wird mir fehlen!“ flüsterte er kleinlaut:
 

„Mir auch!“ gab sie zu. Dann fügte sie hinzu: „Aber glaub` mir, es ist besser so!“
 

James zuckte unglücklich mit den Schultern. Dann drehte er sich zu ihr um, stützte den Kopf auf seine Hand und flüsterte mit einem kleinen, traurigen Lächeln:

„Die Nacht ist noch nicht vorüber, oder? Und es ist nicht fair, dass es unser letztes Mal gewesen sein soll, ohne, dass mir das bewusst gewesen ist.“
 

Melody grinste:

„In diesem Punkt muss ich dir recht geben!“ erklärte sie, drehte ihn wieder auf den Rücken und hockte sich auf ihn.
 

Der Körper der Frau, der über Snyders Schulter lag war winzig, aber auf die Dauer wurde er dennoch schwer. Der Sheriff hatte keine Ahnung, was er mit ihr anstellen sollte. Ja, er wusste nicht einmal, warum er sie mitgenommen hatte. Es erschien ihm in dem Moment, als er ihr den Griff seiner Waffe über den Schädel geschlagen hatte einfach das Richtige zu sein. Und nun stolperte er mit ihrem bewusstlosen Körper durch die Nacht und er hatte keine Ahnung, wohin mit ihr. Im Augenblick schützte ihn die Dunkelheit, aber was sollte er tun, sobald die Sonne aufging. Weil ihm nichts Besseres einfiel, schleppte er die kleine Indianerin hinüber ins Sheriffsdepartment.

Snyder legte den Körper auf der Pritsche in der vordersten Zelle ab, doch leider hatte er Carmichael vergessen. Trotz der späten Stunde war der Mistkerl noch immer hellwach, glotzte durch die Gitterstäbe und fragte mit schnarrender Stimme:
 

„Was bringen sie denn da mit Sheriff? Ist das vielleicht ein Geschenk für mich?“
 

„Halt dein Maul, Bob!“ herrschte er seinen Gefangenen an und blickte auf den reglosen Körper der Frau hinab. Kurz erfasste ihn die Angst, er könnte sie mit dem Schlag getötet haben, doch dann sah er, wie ihr Brustkorb sich senkte und hob.
 

Er betrachtete sich die Indianerin genauer und dachte törichterweise, dass sie gar nicht wie eine Hure aussah; nicht so, wie die anderen Frauen drüben im roten Haus, die allesamt schön oder zumindest ansehnlich waren und sich stets ein wenig aufreizend zurecht machten. Diese hier war älter als die Anderen, von durchschnittlichem Aussehen, mit herben, strengen Gesichtszügen und in schlichter Kleidung.

Selbst in ihrem bewusstlosen Zustand und obwohl sie so winzig war, hatte sie etwas Einschüchterndes, dachte er kurz bei sich, doch er verdrängte den Gedanken rasch wieder:
 

„Sie wissen nicht, was sie mit ihr anfangen sollen, was Sheriff? Ich weiß da vielleicht etwas!“
 

Wider besseres Wissen hörte Snyder sich an, was Carmichael zu sagen hatte:
 

„Lassen sie mich frei.“ bat dieser schmeichelnd: „Ich schaffe sie weg von hier und werde selbst auch verschwinden! Weder von ihr, noch von mir wird man je wieder eine Spur finden. Damit wären sie gleich zwei Probleme auf einmal los. Was sagen sie?“
 

„Du hältst mich wohl für extrem dämlich Junge, wie?“ erwiderte Snyder grollend: „Du kommst hier nicht raus!“
 

„Schade!“ entgegnete Carmichael mit einem kleinen Grinsen: „Aber ich habe noch eine andere Option für sie. Ich kenne ein Versteck, wo niemand sie finden wird und sie können sich dann in Ruhe überlegen, was sie mit ihr tun wollen. Doch sie müssen jetzt gleich aufbrechen, solange es noch dunkel ist.“
 

Als Shy beim Frühstück fehlte, waren alle verwundert, denn jeder wusste, wie wichtig ihrer Freundin, die regelmäßigen Mahlzeiten waren.
 

Molly schaute in Shys Schlafzimmer nach:

„Sie ist nicht da und ihr Mantel fehlt!“ erklärte sie, als sie an den Tisch zurückkehrte. In ihrer Stimme schwang Besorgnis mit.
 

Ein Murmeln entstand am Tisch.
 

James runzelte die Stirn. Dann erhob er sich und trat vor das Haus, um sich umzusehen.

Es war windstill und so konnte er im Staub vor dem Gebäude die kleinen Fußabdrücke deutlich erkennen.

Ebenso die anderen, welche sich Shy von hinten genähert hatte.

Und zwei kleine Blutspritzer!

Er fand die Stelle, wo Shy zu Boden gegangen war und der Unbekannte sie offenbar aufgehoben hatte.

Dann gab es nur noch dessen Fußspuren.
 

Das Blut gefror in James Adern. Er holte die Anderen herbei und zeigte ihnen seinen Fund:

„Ich werde versuchen, den Spuren zu folgen und Shy zu finden!“ erklärte er, bemühte sich zuversichtlich zu klingen und machte sich auf den Weg.
 

Doch James war kein guter Spurenleser und je näher er dem Stadtzentrum kam, umso schwerer wurde es, ihnen zu folgen. Andere Fußabdrücke, Wagen- und Hufspuren und die Abdrücke von Rindern, die heute Morgen hier bereits vorbeigeführt worden waren, überlagerten die Fußstapfen des Entführers mehr und mehr und schließlich hatte James sie verloren.
 

Obwohl das eigentlich nicht möglich war, ließ diese Entführung James dennoch befürchten das Bob Carmichael dahinter steckte, also führte ihn sein nächster Weg ins Sheriffsdepartment.
 

Carmichael saß dort, wo er hingehörte, war aus irgendeinem Grund wieder einmal bester Laune und wartete auf sein Frühstück.
 

James überprüfte sogar Fenster und Tür der Zelle, um ganz sicher zu gehen, dass der Gefangene sich nicht draußen aufgehalten haben konnte.
 

Vom Sheriff gab es keine Spur, doch der lag wahrscheinlich immer noch mit seiner dubiosen Erkrankung im Bett.
 

Als der Gefangene versorgt war, kehrte James ins rote Haus zurück und erstattete Bericht.
 

Die Frauen beschlossen, sich auf die Suche nach der Entführten zu machen und wenn nötig, die ganze Stadt dafür auf den Kopf zu stellen.

Wut, Angst und Entsetzen lagen in der Luft! Erinnerungen an die Nacht, in welcher Margarete verschwunden war wurden wach.
 

Joe machte auf dem Weg zur Arbeit einen kurzen Abstecher zu Rebecca und Felicity, um sie über die Geschehnisse in Kenntnis zu setzen. Die beiden versprachen, nach der Schule im roten Haus vorbeizuschauen um zu helfen.
 

Auch Christian hatte sich schweren Herzens auf den Weg zur Arbeit gemacht, Alice blieb mit den Kindern zuhause, doch alle anderen, auch die Gäste aus Boston bildeten Dreiergruppen und brachen auf. Zuvor hatten sie verabredet, sich im Dreistundentakt wieder im Haus zu treffen, um sich über ihre Fortschritte auszutauschen. Der Tag verging, ohne dass die Suchtrupps eine Spur von Shy fanden und als sie sich am Abend um achtzehn Uhr zu einer weiteren Lagebesprechung zusammenfanden, war eines der Teams, bestehend aus Justine, Melody und Regine nicht zurückgekehrt.
 

Als Christian, James und Joe nach der Arbeit ins rote Haus zurückkehrten, blickten sie in blasse, fassungslose Gesichter.
 

Mittags hatte Snyder die beiden Lehrerinnen Miss Miller und Miss Owens dabei beobachtet, wie sie ins rote Haus hinübergelaufen waren.

Sie gehörten also auch dazu; sie, denen tagtäglich die Kinder von Millers Landing auf Gedeih` und Verderb` ausgeliefert waren!

Ungestört und ohne, dass es irgendwem verdächtig vorkäme, konnten sie dort die dunkle Saat ausbringen.

Um diese Zwei würde er sich später kümmern. Jetzt gab es erst mal etwas anderes, was dringender war. Es gab nun keinen Zweifel mehr daran, dass er Gottes Willen erfüllte, als die drei Weiber direkt an dem Ausgang des stillgelegten Stollens vorbeikamen, als er nach der Indianerin sehen wollte. Nun musste Snyder sie nur noch einsammeln. Er entsicherte seine Waffe und befahl ihnen ganz ruhig zu bleiben, die Hände zu heben und ihm zu folgen.
 

Als Snyder die Frauen gut vertäut in der Dunkelheit des Stollens zurückließ; die Öllampe, mit der er sie hergeführt hatte, hatte er wieder mitgenommen, fragte eine kratzige Stimme:
 

„Wer ist da?“
 

Regine atmete erleichtert auf:

„Wir sind es Shy! Justine, Melody und ich!“ Ihre Stimme hallte von den Stollenwänden wieder: „Mein Gott bin ich froh, dass du lebst! Geht es dir gut?“
 

„Den Umständen entsprechend, würde ich sagen. Ich habe Durst! Außerdem hat jemand mir eins über den Schädel gebraten und mich hierher geschleppt. Wer war das zum Teufel?“
 

„Das war der Sheriff!“ erwiderte Justine.
 

„Wie bitte?“ fragte Shy verständnislos: „Der Kerl war zwar noch nie ein Bewunderer unserer Arbeit, aber seit wann greift er uns denn körperlich an und entführt uns?“
 

„Ich habe darüber nachgedacht und ich fürchte, ich kenne die Antwort.“ gab Justine bedrückt zurück: „Seine Frau Lydia hat mich aufgesucht, da sie ihren Mann verlassen will. Ich fürchte, der Sheriff hat das herausgefunden und ist nicht besonders glücklich darüber. Mein Gott, ich hoffe nur, er hat ihr nichts angetan!“
 

Christian lief unruhig in der Küche des Wohnhauses auf und ab:

„Ich muss da raus und Noah davon abhalten, hierher zu kommen, ehe ihm auch noch etwas zustößt!“ klagte er:
 

„Ich habe ihm heute bei der Arbeit erzählt, dass Shy entführt wurde. Sicher wird er nicht so dumm sein, herüber zu kommen.“ erwiderte Joe beruhigend.
 

„Ich fürchte doch, dass er das tun wird, denn er wird nach uns sehen und helfen wollen!“ gab Alice ebenso aufgebracht zurück.
 

„Ich gehe jetzt da raus und laufe ihm entgegen!“ verkündete Christian.
 

„Willst du der Nächste sein, der spurlos verschwindet!“ fragte Kathryn ärgerlich:
 

„Das ist mir gleichgültig. Ich muss wissen, das Noah in Sicherheit ist!“ entgegnete er und fügte trotzig hinzu: „Ihr seid nicht meine Eltern und könnt mich nicht zurückhalten!“
 

„Das gilt auch für mich!“ schloss Alice sich an: „Ich komme mit dir!“
 

Und mit diesen Worten machten die beiden Jugendlichen sich auf den Weg. Niemand stellte sich ihnen in den Weg.

Die Zwei hatten richtig vermutet und trafen Noah am Stadtrand, als er gerade auf dem Weg zu ihnen war.
 

Verwirrt blickte dieser von der einen zu dem anderen und wollte wissen, was los sei. Die beiden berichteten rasch von den weitere Entführungen.
 

„Du lieber Gott!“ entfuhr es Noah: „Wie geht es denn Sam und seinen Schwestern ohne ihre Mutter? Sie müssen doch außer sich sein vor Sorge!“
 

„Sam versucht für die beiden Mädchen tapfer zu sein, doch man merkt ihm an, dass er sehr verzweifelt ist.“ erwiderte Christian.
 

„Dann lasst uns schnell zu ihm gehen. Der kleine Kerl ist mein Freund! Ich möchte jetzt für ihn da sein.“ rief Noah aus.
 

„Kommt nicht in Frage!“ bestimmte Alice und Christian fügte hinzu:
 

„Solange wir nicht wissen, was vor sich geht, sollte jeder von uns im Haus bleiben und niemandem vertrauen. Wir bringen dich jetzt nachhause und bitte bleib dort und geh` auch morgen nicht zur Arbeit!“
 

„Und was macht ihr beide dann hier draußen, wenn es so gefährlich ist?“ fragte Noah trotzig.
 

„Wir sind hier, um dich zu beschützen! Wir sind zu zweit!“ gab Alice zurück und fügte unbescheiden hinzu: „Und ich denke, man wird es sich wohl zweimal überlegen, ehe man sich mit UNS beiden anlegt!“
 

„Seid ihr euch also zum ersten Mal im Leben über etwas einig?“ erkundigte sich Noah mit spöttischem Unterton.
 

„Ja, in der Sorge um dich!“ erwiderte Christian sanft: „Nun lass` dich bitte von uns nachhause bringen, in Ordnung?“
 

Noah zuckte unwillig mit den Schultern, doch er folgte ihnen.
 

In dem Wäldchen nahe dem Pfarrhaus verabschiedeten sich Christian und Noah ausgiebig voneinander, während Alice Schmiere stand, um vor unliebsamen Beobachtern zu warnen. Dann war sie an der Reihe:
 

„Pass gut auf dich auf!“ bat sie und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn:
 

„Du auch!“ gab Noah zurück, nahm ihre Hände und drückte sie kurz. Dann wandte er sich um und rannte das letzte Stück zu seinem Elternhaus allein weiter. Erst als Alice und Christian gesehen hatten, wie sich die Haustür hinter ihm schloss, machten sie sich auf den Rückweg.
 

Snyder stählte sich innerlich für das, was er als nächstes tun musste. Vor seiner Haustür atmete er einige Male tief ein und aus, dann riss er die Tür auf und stürmte hinein. Lydia stand am Herd, rührte in einem Topf und wandte sich nun erschrocken zu ihm um. Ehe sie noch recht wusste, wie ihr geschah, hatte ihr Ehemann sie bereits brutal gepackt, in einen Stuhl gedrückt und fesselte sie an diesen:
 

„Was tust du denn Hubert? Du tust mir weh!“ stotterte sie panisch und überrumpelt:
 

„Halt den Mund!“ fuhr er sie an.

Er zog die Vorhänge zu, damit von draußen niemand mitbekam, was im Haus vor sich ging.

Auf dem Herd kochte zischend das Essen über.
 

Törichter Weise ging es Lydia in diesem Moment durch den Kopf, dass es nun bald ruiniert sein würde, wenn sie den Topf nicht vom Feuer nahm.

Die Fesseln waren stramm und schmerzten. Ohne dass sie es selbst realisierte liefen Tränen über ihre Wangen.
 

Hubert zog sich einen Stuhl heran und stierte seine Frau an, ohne etwas zu sagen. Es war, als versuchte er etwas an ihr zu sehen, was ihm bisher entgangen war:
 

„Was willst du von mir?“ jammerte Lydia: „Warum hast du mich hier angebunden? Was soll das? Du machst mir Angst!“
 

Snyder lachte hart und freudlos:

„Ich mache DIR Angst? Wenn das nicht zum Totlachen ist! Ich bin jedenfalls nicht derjenige, der sich mit dieser Dämonin aus der Großstadt eingelassen hat und sich heimlich mit ihr in diesem Sündenpfuhl trifft. Ich habe dich nämlich gesehen, weißt du?“
 

„Wovon sprichst du Hubert? Meinst du Madame Carpenter? Sie ist doch keine Dämonin!“ rief Lydia verzweifelt: „Sie ist eine Freundin!“
 

„Diese Person, die die Männer hasst ist deine Freundin?“ Sein Gesicht war verzerrt von Ekel und Hass.
 

„Was redest du denn nur? Sie hasst die Männer doch gar nicht. Sie möchte doch bloß den Frauen helfen!“ versuchte es Lydia.
 

„Und womit wird sie DIR wohl helfen? Hat sie dir vielleicht geraten, mich im Schlaf zu ermorden? Oder mich zu vergiften? Sag` es mir! Wie willst du mich aus der Welt schaffen, hm?“
 

Lydia schüttelte unwillig den Kopf:

„Hast du den Verstand verloren?“ fragte sie gequält: „Ich will dich doch nicht verletzen. Du hast nichts von mir zu befürchten.“
 

„Lügnerin!“ presste Snyder hervor: „Sie weiß, dass ICH derjenige bin, der es aufhalten kann und deshalb sollst du mich aus dem Weg räumen! Aber eines solltest du wissen: sie kann dir nicht mehr helfen! Dafür habe ich gesorgt!“
 

Lydia wurde bleich:

„Was hast du Madame Carpenter angetan! Lebt sie noch?“ presste sie hervor.
 

Snyder antwortete nicht. Er grinste stattdessen.

Er nahm ein Geschirrtuch, aus welchem der einen Knebel fertigte, den er Lydia anlegte:

„Ich komme später zu dir zurück, mein Liebling!“ säuselte er.

Dann verließ er das Haus.
 

James saß wie erstarrt im Gemeinschaftsraum auf dem Sofa und starrte in den kalten Kamin, als Kathryn ihn fand. Sie hockte sich im Schneidersitz neben ihn:
 

„Was machen wir jetzt nur?“ fragte sie mit tonloser Stimme.
 

James zuckte ratlos mit den Schultern:

„Ich habe absolut keine Ahnung. Ich weiß nicht einmal, wo ich mit der Suche anfangen soll.“ Er blickte zu Kathryn hinüber und sie konnte das Wasser sehen, das in seinen Augen stand: „Es tut mir wahnsinnig leid. Ich bin total nutzlos! Ein Junge, der Hilfssheriff spielt!“ rief er aus und sackte in sich zusammen.
 

„Komm´ schon, James!“ flüsterte Kathryn, legte einen Arm um ihn und zog ihn zu sich heran: „Du bist nicht nutzlos. Ich weiß doch genauso wenig, was wir jetzt tun sollen. Diese ganze Sache ist so eigenartig. Was geht denn bloß hier vor?“ Kathryn weinte: „Du kannst nichts dafür, mein Herz! Mach` dir keine Vorwürfe.“
 

Sie streichelte sein Haar und James schlang seine Arme fest um sie. So saßen sie schweigend eine ganze Weile da, um sich gegenseitig Halt zu geben, bis James schließlich verkündete:

„Alle sollten heute Nacht hier im Haus schlafen und niemand sollte allein bleiben. Auch Rebecca und Felicity sollten hierbleiben, solange wir nicht wissen, wer uns schaden will und ob auch sie in Gefahr sind. Ich werde hier bei euch Wache halten!“
 

Kathryn nickte und küsste ihn flüchtig auf die Stirn. Dann ging sie, um das Nötige zu veranlassen und die Frage der Bettenvergabe zu klären.
 

Margarete saß mit angewinkelten Knien auf dem Bett und starrte schweigend an die Wand. Alice saß neben ihr, blickte sie hilflos an und nach einer Weile bat sie:

„Bitte sag` doch etwas! Du machst mir Angst!“
 

Sehr langsam wandte die Angesprochene dem Mädchen den Kopf zu und schenkte ihr einen glasigen, abwesenden Blick:

„Sie ist meine Schwester!“ sagte sie mit tonloser Stimme.
 

Alice wusste nicht, was sie mit dieser Äußerung anfangen sollte, also wartete sie. Es dauerte eine ganze Weile, ehe Margarete weitersprach:

„Ich liebe sie mehr als alles andere auf der Welt und ich habe sie die letzten Monate wie Luft behandelt. Was wenn…?“ ihre Stimme brach und sie begann zu schluchzen.
 

Alice zog sie in ihre Arme und drückte sie fest an sich.

„Beruhige dich, mein Liebling!“ flüsterte Alice hilflos und wiegte sie: „Es wird alles wieder gut! Bitte beruhige dich!“
 

Margarete rang um Fassung. Sie löste sich von Alice, atmete einige Male tief durch und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. Als sie wieder in der Lage war zu sprechen flüsterte sie:

„Was, wenn Melody bereits tot ist? Dann wird sie gar nicht wissen, wie sehr ich sie geliebt habe!“
 

Alice schüttelte energisch den Kopf:

„Sie ist aber nicht tot! Wir werden sie wiederfinden! Und außerdem... natürlich weiß sie, dass du sie liebst. Und sie liebt dich ebenso. Alles wird gut werden!“
 

In diesem Moment klopfte es an der Zimmertür. Alice öffnete und davor stand Helena:

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich heute Nacht unten mit Christian und James Wache halten werde. Wie geht es Margarete?“ wollte sie wissen.
 

Alice schüttelte traurig mit dem Kopf:

„Es wird am besten sein, wenn du hier bei ihr bleibst!“ flüsterte Helena und warf einen kurzen Blick auf Margarete in ihrem Bett:

„Pass` gut auf dich auf und holt mich, sobald heute Nacht irgendetwas geschieht!“ bat Alice eindringlich. Helena nickte und küsste sie lange und weich auf die Lippen.
 

Snyder kehrte in den Stollen zurück und versorgte seine Gefangenen mit Wasser aus einer Feldflasche.

Sie sollten nicht sterben.

Zumindest nicht, solange er nicht wusste, welche von ihnen den Tod auch verdiente.

Wer waren die wirklichen Dämonen?

Das musste er wissen, wenn die Reinigung gelingen sollte.
 

Er nahm selbst einen Schluck aus der Feldflasche, denn ihm fiel auf, dass er lange nichts mehr getrunken hatte. Seine letzte Mahlzeit lag sogar noch länger zurück und geschlafen hatte er bereits seit vier Tagen nicht mehr.
 

Seltsam, dass er dennoch alles so klar sah?
 

Niemand außer IHM hatte die Bedrohung aus der Hölle kommen sehen.

Nur ein weiterer Beweis, dass er hier Gottes Werk tat.
 

Mia, Lois und Sam übernachteten heute im Bett von Tiny. Joe hatte die beiden kleinen Mädchen in je einen Arm genommen und diese waren binnen kurzem friedlich eingeschlafen. Mittlerweile fielen auch ihm selbst, links und rechts gewärmt von den kleinen Körpern, die Augen zu.

Sam hingegen war hellwach. Er blickte nachdenklich auf seine schlafenden Schwestern hinab. Tiny hockte neben ihm und musterte den Jungen aufmerksam:

„Kannst du nicht schlafen?“ wollte er wissen: „Willst du noch ein wenig Karten spielen?“
 

Sam schüttelte den Kopf und strich der kleinen Mia eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er schaute zu Tiny auf. Sein Blick war ernst, seine Pupillen riesig:

„Was soll ich denn nur machen, wenn Mama nicht zurückkommt? Ich glaube nicht, dass ich es schaffe, allein für die beiden sorgen! Ich bin zu jung!“ erklärte er mit erstickter Stimme.
 

Tiny zog den schmächtigen Jungen in seinen Arm und flüsterte sanft:

„Was redest du denn da nur? Sie wird zu euch zurückkehren. Ganz bestimmt!“ versprach er.
 

„Das kannst du nicht wissen!“ entgegnete Sam müde: „Niemand weiß, was passiert ist. Vielleicht ist sie schon tot!“

Eine einzelne Träne kullerte über seine Wange.
 

Tiny schluckte:

„Es ist wahr, ich kann dir nicht versprechen, dass alles wieder gut wird, aber ich will daran glauben!“
 

„Werdet ihr uns zu unserem Vater zurückschicken, wenn Mama nicht wiederkehrt?“ wollte Sam wissen. Tiny blickte ihn fragend an und der Junge fuhr fort:

„Meine Schwestern erinnern sich nicht an ihn. Lois war noch ein Baby und Mia war noch gar nicht geboren, als wir weggegangen sind, aber ich weiß es noch ganz genau, wie er war. Er hat viel getrunken und er war gemein. Mama hat oft geweint. Er hat sie geschlagen. Ich habe versucht, ihn aufzuhalten, aber er war zu stark. Ich war damals ja erst neun Jahre alt. Ich will ihn nie wieder sehen!“
 

„Ihr bleibt bei uns, egal was passiert! Hier gehört ihr her!“ versprach Tiny und drückte den Jungen noch fester an sich.
 

„Kannst du dann nicht bitte unser Vater sein?“ fragte Sam leise.
 

„Regine wird zurückkommen. Aber selbst wenn nicht wird alles bleiben, wie es war.“ versprach Tiny: „Ich habe dich und deine Schwestern sehr lieb und ich kümmere mich um euch, so wie ich es immer getan habe! Und jetzt lass´ uns schlafen, in Ordnung?“
 

Sam nickte und die beiden legten sich hin. Es war eng zu fünft im Bett. Sam drehte Tiny den Rücken und zog dessen Arm um sich. Tiny breitete die Decke über sie alle und warf noch einen letzten Blick in die vier Gesichter, ehe er die Öllampe löschte. Einen kurzen Moment dachte er darüber nach wie es wäre, wenn er tatsächlich diese drei Kinder großziehen müsste.
 

Zum dutzendsten Mal stellte Snyder seinen Gefangenen dieselben Fragen:

„Wem dient ihr? Wer ist euer Anführer?“
 

Justine verlor allmählich die Geduld:

„Ich verstehe nicht, was sie von und wollen, Sheriff! Diese Fragerei ist ermüdend! Wir haben keinen Anführer. Wir dienen niemandem! In diesem verdammten Stollen ist es heiß! Die Fesseln, die sie uns angelegt haben, schnüren mir die Blutzufuhr ab! Doch am Wichtigsten ist, dass sie kein Recht haben, uns hier festzuhalten und sie wissen das, denn sonst wären wir in einer Gefängniszelle und nicht in einem heißen, feuchten Bergwerksstollen gefangen. Also hören sie endlich mit der Fragerei auf und lassen sie uns gehen. Miss Regine hat drei Kinder zuhause, die sich um sie sorgen. Seien sie kein Unmensch!“
 

Die Teufelin appellierte tatsächlich an seine Menschlichkeit. Sie wollte ihn hinters Licht führen, indem sie so tat, als handele es sich bei ihnen um ganz gewöhnliche Leute?

Snyder wiederholte:

„Wem dient ihr? Wer ist euer Anführer?“
 

„Mein Gott Snyder, haben sie das letzte bisschen ihres Verstandes verloren?“ rief die Indianerin nun ärgerlich aus: „Wir haben keine Ahnung, wovon sie überhaupt reden! Hören sie endlich auf mit diesem Blödsinn!“

So würde er nicht weiterkommen, wurde dem Sheriff klar. Er musste diesen verdammten Weibern klar machen, dass er es ernst meinte. Er zog seine Waffe und hielt sie an die Stirn der blassen, schlanken Hure. Diese kniff erschrocken ihre Augen zu und begann zu wimmern:
 

„Hören sie auf Sheriff! Sie ängstigen sie!“ rief die schwarze Hure und rüttelte an ihren Fesseln:

„Halt den Mund, Jezebel! Ich weiß, was du mit meinem Deputy getan hast. Denk` nicht, ich würde ebenso auf dich hereinfallen. Ich will nur, dass ihr mir endlich sagt, was ich wissen will!“

Melody schaute ihn mit großen Augen erschrocken an und schwieg.
 

Snyder entsicherte die Waffe.
 

Regine begann zu weinen.
 

Justine Carpenter meldete sich zu Wort:

„Diese Frau hat zwei kleine Mädchen, die fünf und sechs Jahre alt sind und einen Jungen von vierzehn. Bestimmt kennen sie die Kinder vom sehen. Sie mögen uns vielleicht hassen, aber wollen sie diese drei unschuldigen Seelen wirklich zu Waisen machen. Überlegen sie doch einmal, Sheriff.“
 

Snyder griff Regine grob an die Gurgel und presste die Waffe fester an ihren Schädel, als er erwiderte:

„Dann soll mir endlich jemand meine Fragen beantworten!“
 

„Das können wir nicht! Um Gottes Willen!“ erwiderte Carpenter.
 

Snyder grinste. Da hatte er seine Antwort. Sie hatte es nicht direkt sagen können, denn sie fürchtete offenbar den Zorn der Hölle, aber sie hatte ihm einen Hinweis gegeben. Der Sheriff steckte die Waffe zurück in das Holster, ließ die Frau los, griff sich seine Öllampe und ließ die Gefangenen ohne ein weiteres Wort in der Dunkelheit zurück.
 

„Wie geht es dir, Schätzchen?“ fragte Melody und robbte mühsam an Regine heran. Diese weinte noch immer: „Shht!“ machte Melody: „Es ist vorbei. Du hast es überstanden!“
 

„Was ist hier gerade passiert? Warum ist er plötzlich abgehauen?“ fragte Shy verwirrt.
 

„Der gute Sheriff hat offenbar wirklich den Verstand verloren.“ erklärte Justine: „Wer weiß, was in seinem Kopf vorgeht. Ich bin jedenfalls froh, dass wir ihn erst mal los sind. Wir sollten versuchen, uns zu befreien, denn wenn er wiederkommt, haben wir vielleicht nicht noch einmal so großes Glück! Lassen sie uns sehen, ob es uns gelingt, uns gegenseitig die Fesseln zu lösen.“
 

Snyder fühlte sich fiebrig, als er den Stollen verließ. Das kam daher, dass er erfüllt war von Gottes Gerechtigkeit. Die Sonne ging gerade auf. Er ließ seine Öllampe am Stolleneingang zurück und machte sich auf den Weg, den Teufel zu stellen. Endlich wusste er, wo er ihn finden konnte. Dass er nicht früher darauf gekommen war, dass das Böse sich hinter einer so harmlosen Maske verbergen würde.

Und das Versteck war perfekt gewählt.

Niemand würde Satan an gerade diesem Ort vermuten!
 

Snyder würde raffiniert vorgehen müssen, wenn er dem Bösen das Handwerk legen wollte.

Er legte sich seine Geschichte zurecht.



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