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Die Leute von Millers Landing

von

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Aufbruchstimmung

Joe saß bereits in der Küche über sein Frühstück gebeugt, als James dazukam, sich einen Kaffee nahm und fragte:
 

„Und? Hast du schon eine Entscheidung getroffen? Wirst du das Angebot von Rebecca und Felicity annehmen?“ wollte er wissen.
 

Joe nickte:

„Ich werde gehen! Und was ist mit dir!“
 

„Ich werde auch gehen.“ erwiderte James „Ich werde es Kathryn erzählen, sobald sie herunter kommt.“ James nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee und fügte hinzu: „Ich bin wirklich froh über deine Entscheidung, Joe, ganz ehrlich! Weiß Tiny es schon?“
 

Joe wirkte plötzlich bedrückt:

„Er ist traurig, aber er weiß, dass es für mich das Beste ist.“ erwiderte er. Dann blickte er James ernst von der Seite an und fügte hinzu: „Ich weiß jedoch nicht, ob ich mich über DEINE Entscheidung freuen soll. Das wird wohl ziemlich hart für dich werden. Wenn du dort in deinem Elternhaus bist, vergiss` bitte nicht, dass dein Zuhause und deine Freunde HIER sind. Komm` einfach zurück, wenn du es nicht aushältst.“
 

James lächelte gerührt und er nickte.
 

Er hatte sein Frühstück bereits beendet, als endlich auch Kathryn herunterkam. Er blickte zu ihr auf und verkündete:

„Ich werde gleich dem Sheriff Bescheid sagen, dass ich einen familiären Notfall habe. Dann packe ich und besorge mir ein Pferd. Ich werde wohl eine Weile fort sein.“
 

Kathryn nickte und schlug vor:

„Ich kann mitkommen, wenn du möchtest! Ich könnte mir in Taylorsville ein Hotelzimmer nehmen!“
 

James meinte, seinen Ohren nicht trauen zu können, als er dieses unglaubliche Angebot vernahm. Dennoch lehnte er ab, denn er wollte sie diesem Drama nicht aussetzen:

„Danke, dass du mir das anbietest, aber ich denke, ich muss das allein tun. Ich werde sofort aufbrechen, sonst überlege ich es mir noch anders. Bitte grüße alle von mir.“ erklärte er tapfer.

Er erhob sich und wandte sich zum Gehen, doch Kathryn hielt ihn auf. Sie legte sanft eine Hand an seinen Hinterkopf, zog ihn zu sich heran und küsste ihn.

Als er ihre Zunge zwischen seinen leicht geöffneten Lippen fühlte, erstarrte er zunächst, doch als er begriff, was sie von ihm erwartete und sich ihr öffnete, begann er es sehr zu genießen:

„Komm` bald zurück zu mir!“ murmelte sie und ließ ihn gehen.
 

Am Vormittag desselben Tages saßen Tiny und Joe am Wohnzimmertisch von Rebecca und Felicity, um ihnen mitzuteilen, dass Joe ihr Angebot annehmen wollte. Die beiden Frauen waren sehr erfreut, das zu hören:
 

„Das ist Wunderbar! Soll ich dir gleich dein Zimmer zeigen?“ fragte Rebecca strahlend.

Joe blickte sie überrascht an:
 

„Ich werde ein eigenes Zimmer haben?“ fragte er beinahe kindlich begeistert.

Rebecca lachte:
 

„Aber sicher! Was hast DU gedacht? Doch erwarte bitte nicht zu viel. Lass` es uns erst mal anschauen gehen, in Ordnung? Es ist wirklich nichts Besonderes“
 

Die beiden verließen den Raum und ließen Felicity und Tiny zurück. Felicity erhob sich, setzte sich auf Tinys Stuhllehne, schenkte ihm ein warmes Lächeln und legte einen Arm um den großen Mann:
 

„Ich bin froh, dass du Joe ermutigst, unser Angebot anzunehmen. Ich weiß, dass das schwer für dich ist.“
 

Tiny blickte verlegen zu Boden.
 

„Hab` keine Sorge! Wir werden uns gut um deinen Jungen kümmern!“ versprach sie.
 

Tiny schaute zu ihr hoch und nickte:

„Sicher werdet ihr das.“
 

Rebecca ließ von der Decke im Flur eine Klappe herunter und stellte ein Leiter davor:

„Es ist eigentlich unser Speicher und der Zugang ist ein wenig beschwerlich.“ erklärte Sie entschuldigend.
 

Beide erstiegen die Leiter und Joe ließ seinen Blick im Dachbodenraum umherschweifen, welcher sein neues Zuhause werden sollte. Es gab Dachschrägen und die Decke war nicht sehr hoch. An der höchsten Stelle konnte er gerade eben stehen, ohne sich den Kopf zu stoßen. Es gab zwei kleine, runde Fenster, durch die ein wenig Tageslicht hereinfiel. Der Raum war riesig, doch im hinteren Bereich auch ein wenig voll gestellt. Dort standen mehrere Schränke, Kommoden und unterschiedliche Kleingegenstände, für welche die beiden Frauen keinen anderen Platz gefunden hatten. Vorne in der Nähe des Ausgangs hatten Felicity und Rebecca schon ein wenig Platz geschaffen. Hier standen ein schmales Bett mit einem Nachttisch und ein Kleiderschrank.
 

„Da hinten lagern wir einiges Zeug. Aber der Bereich hier vorne ist für dich. Wir haben dir hier schon ein paar Möbel hingestellt. Entschuldige, dass es noch nicht so gemütlich ist, aber das ändern wir noch. Du musst uns nur sagen, wie du es möchtest.“ erklärte Rebecca etwas unsicher und fügte hinzu: „Es ist leider etwas dunkel. Ich fürchte, das lässt sich nicht ändern. Tut mir leid! Was hältst du davon?“
 

Joe strahlte sie begeistert an:

„Es ist wunderbar! Ich hatte noch nie einen Raum für mich. Ich kann noch gar nicht glauben, dass ihr beide es wirklich ernst meint! Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll!“

Er fiel Rebecca um den Hals.
 

„Wir freuen uns, dich hier zu haben, Kleiner!“ erwiderte Rebecca, erleichtert dass Joe sich an der improvisierten Unterbringung scheinbar überhaupt nicht störte.
 

Joe strahlte immer noch über das ganze Gesicht, als sie zu Tiny und Felicity zurückkehrten:

„Und? Willst du immer noch einziehen?“ erkundigte Felicity sich unsicher.
 

Joe nickte eifrig und umarmte auch sie:

„Ich danke euch vielmals!“ rief er begeistert.
 

James fühlte sich beklommen, als er an die Tür seines Elternhauses klopfte. Es dauerte eine Weile, ehe seine Mutter ihm öffnete. Ihr Gesicht war bleich und ihre Bewegungen wirkten irgendwie verlangsamt:
 

„Hallo Mutter! Ich bin es, Jimmy!“ erklärte er töricht das Offensichtliche.
 

Seine Mutter blickte langsam zu ihm auf:

„Junge? Ich war nicht sicher, ob du kommen würdest. Dein Vater ist in seinem Schlafzimmer.“ Ihre Stimme klang monoton und abwesend.
 

Er lebte also noch.
 

James trat ein und umarmte seine Mutter flüchtig. Dann bedeutete diese ihm, ihr nach oben zu folgen.
 

Sein Vater lag schlafend in seinem Bett. Er war unrasiert und trug ein fleckiges Unterhemd. Derart ungepflegt hatte James ihn noch nie gesehen. Die Luft im Zimmer war verbraucht und es roch nach Krankheit.
 

James zog sich einen Stuhl heran und spürte, wie seine Mutter hinter ihn trat und ihm eine Hand auf die Schulter legte. Nach einer Weile verließ sie den Raum. James blieb allein zurück und betrachtete seinen schlafenden Vater. Er wirkte eigenartig friedlich.

James wusste nicht, wie lange er so gesessen hatte. Er lauschte dem Ticken der Standuhr, welches ihm irgendwie unnatürlich laut vorkam.
 

Mit einem Mal öffnete sein Vater die Augen. Er schaute sich ganz ruhig im Raum um und schließlich fiel sein Blick auf James. Er schien nachzudenken, öffnete seinen Mund, als wollte er etwas sagen, doch es kam kein Ton.
 

„Ich bin es Vater! Wie geht es Dir?“ fragte James.
 

Mittlerweile war seine Mutter wieder ins Schlafzimmer gekommen und als William Chester sie erblickte, rief er mit einem Mal aufgebracht:

„Alma? Almaalmaalma?“

Es klang, als würde ein Kind mit der Stimme eines Mannes sprechen.
 

Alma Chester hatte sich mittlerweile auf der Bettkante niedergelassen und nahm seine Hand:

„Es ist in Ordnung Bill. Ich bin ja hier.“

An James gewandt erklärte sie: „Es ist sein Kopf. Darin ist nun alles durcheinander, sagt der Doktor. Er kann kaum noch sprechen und das, was er sagt, ergibt meist keinen Sinn. Er erkennt weder das Hausmädchen, noch sonst irgendwen außer mir. Er kann nicht mehr laufen und seine rechte Seite ist gelähmt.“

Und unter Tränen fügte seine Mutter hinzu:

„Der Doktor sagt, er kommt nicht wieder in Ordnung!“
 

James blickte seinen Vater an und konnte nicht glauben, dass dies derselbe Mensch sein sollte, der ihn noch vor einem Monat unter diesem Dach beschimpft und herabgesetzt hatte; der Mann welcher ihm seine ganze Kindheit lang vermittelt hatte, dumm, schwach und wertlos zu sein. Es waren derselbe Körper und dasselbe Gesicht, doch seinen Vater erkannte er darin nicht mehr.

James blickte auf dieses hilflose Bündel herab und fühlte Mitgefühl und so etwas wie Frieden.
 

Tiny saß auf dem Bett und schaute Joe bei Packen zu:

„Warum willst du denn unbedingt heute schon hinübergehen? Es gibt doch keinen Grund zur Eile!“ wollte er wissen.
 

„Bitte sei nicht traurig, Thomas! Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll? Ich kann es einfach noch nicht wirklich glauben, dass nun ein neues Leben für mich beginnt. Ich habe das Gefühl, wenn ich heute nicht gehe, nimmt es mir vielleicht jemand wieder weg. Kannst du das verstehen?“
 

Tiny zuckte unglücklich mit den Schultern.
 

Joe stellte sich vor ihn hin, legte seine Arme um ihn und strich ihm sacht durch das Haar:

„Ich verspreche dir, morgen Nacht bin ich wieder hier und dann stellen wir etwas sehr Ungezogenes an!“ erklärte er mit einem frechen kleinen Zwinkern: „Aber bitte lass` mich heute gehen, in Ordnung?“

Tiny grinste zu ihm hinauf und sie küssten sich. Dann nahm Joe sein kleines Bündel, bestehend aus den wenigen Kleidungsstücken, die er besaß und dem Buch, welches er als Geschenk von James erhalten hatte und machte sich auf den Weg.
 

Unschlüssig blickte sich James in seinem alten Kinderzimmer um und fragte sich, was er hier tat. Er räumte seine Kleidung in den Schrank, zog seinen Pyjama an und legte sich in demselben Zimmer, in dasselbe Bett, wie bereits so viele Male zuvor. Alles war genau wie immer, nur er war nicht mehr derselbe! Er war nun der Mann, der die großartige Kathryn Levroux liebte, der seinem Vater die Stirn geboten hatte und der die vielen neuen Freunde hatte, bei denen sein Vater sicherlich der Schlag getroffen hätte, wenn dies nicht ohnehin schon geschehen wäre, falls er von ihnen erfahren hätten.

Hier war er nicht mehr zuhause! Er dachte daran, was Joe zum Abschied zu ihm gesagt hatte und wie gern wäre er nun einfach wieder heimgekehrt.
 

Rebecca und Felicity hatten noch einige Einrichtungsgegenstände für Joe herausgesucht und dieser hatte sein Zimmer nun nach seinen Wünschen fertiggestellt. Er hatte einen Vorhang zwischen dem Abstellbereich im hinteren Teil des Speichers und seinem Wohnbereich gespannt. Vor dem Bett lag jetzt ein gemütlicher Wollteppich und im Raum verteilt standen mehrere Öllampen. Rebecca hatte auch noch zwei hübsche Holzfiguren, welche sie selbst geschnitzt hatte beigesteuert, die nun den Raum verschönerten.

Nun lümmelten die drei auf dem Bett und bewunderten das Ergebnis.
 

„Und? Bist du zufrieden?“ erkundigte sich Felicity.
 

Joe strahlte:

„Es ist himmlisch!“ erklärte er begeistert.
 

Die beiden Frauen waren erleichtert, dass ihr junger Gast mit so wenig so zufrieden war. Sie erhoben sich schließlich und wie wirkliche Tanten küssten sie Joe auf die Wangen, ehe sie ihn verließen, um schlafen zu gehen.

Im Gehen rief Rebecca noch:

„Wenn du noch irgendetwas brauchst, dann sag` uns Bescheid.“
 

Doch Joe schüttelte den Kopf:

„Nein, ich bin wunschlos glücklich, ehrlich!“ versicherte er und es war unübersehbar, dass dies der Wahrheit entsprach.
 

Als die beiden fort waren, schloss Joe die Dachluke und atmete tief aus. Er wusste, dass Tiny nicht wirklich ermessen konnte, was dies hier für ihn bedeutete, doch diese hier war die erste Tür seines Lebens, welche er hinter sich verschließen konnte und an die andere anklopfen würden, ehe sie eintraten. Es war das erste Mal, dass er Raum für sich ganz allein hatte.
 

Bei seinem Vater hatte Joe auf einer alten Matratze im Wohnzimmer geschlafen, die er tagsüber beiseite schaffen musste, weil das Haus so winzig war.
 

Im roten Haus hatte er es zwar genossen, mit Tiny ein Zimmer und ein Bett zu teilen, doch dies hier, war etwas vollkommen anderes. Joe hätte es Tiny gegenüber niemals geäußert, weil er ihn liebte und nicht verletzen wollte, doch diese neue Privatsphäre war wichtig für ihn, um endlich zur Ruhe zu kommen und zu sich selbst zu finden.

Er löschte das Licht und legte sich in sein eigenes Bett und zum ersten Mal, seit er vom Tod seines Vaters erfahren hatte, schlief Joe eine ganze Nacht lang durch.
 

Kathryn setzte sich neben Tiny, der traurig am Küchentisch saß:

„Nun sind unsere Jungs weg, hm?“ meinte sie und streichelte dem Freund über die krausen Haare.
 

Dieser blickte unglücklich zu ihr hinüber und lächelte schwach.
 

Kathryn befühlte Tinys starke Arme, grinste ihn an und sagte liebevoll und mit Nachdruck:

„Du hast aber auch ganze Arbeit geleistet, großer Beschützer! Joe ist gesund und stark! Und ist es nicht unglaublich, wie erwachsen er in den letzten Monaten geworden ist?“
 

Tiny gab noch immer ein Bild des Jammers ab, also fuhr Kathryn fort:

„Es gibt weiß Gott keinen Grund, um unglücklich zu sein, mein lieber Freund. Das hier ist ein Anlass zum Feiern! Eure Beziehung kann dadurch nur besser werden. Wenn er jetzt zu dir kommt, dann deshalb, weil er es will und nicht, weil er keine anderen Optionen hat.“
 

„Und wenn er nicht wiederkommt.“ fragte Tiny unglücklich.
 

Kathryn schüttelte mit einem mitleidigen Lächeln den Kopf:

„Du magst zwar der Ältere von euch beiden sein, doch was es die Liebe betrifft, bist du eigentlich noch ein Kind! Merkst du gar nicht, wie Joe dich ansieht? Mehr Liebe und Bewunderung kann man sich doch eigentlich kaum vorstellen. Selbstverständlich wird er wiederkommen!“
 

Tiny fragte seufzend:

„Ich bin ziemlich dumm, oder?“
 

Kathryn legte ihren Kopf auf seine Schulter.

„Unsinn! Du kriegst nur gerade mit, wie beängstigend die Liebe sein kann.“ erwiderte sie und bestimmte dann: „Ich glaube, wir könnten heute beide ein wenig Trost gebrauchen. Wie wär`s, wenn ich heute Nacht bei dir schlafe?“
 

Tiny war seiner besten Freundin unendlich dankbar für dieses Angebot.
 

Vor dem Einschlafen murmelte Kathryn noch müde:

„Hab` Vertrauen und dann wird alles gut!“ und noch ehe Tiny darauf antworten konnte, konnte er ihrer gleichmäßigen Atmung entnehmen, dass sie eingeschlafen war.



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