Zum Inhalt der Seite

By Chance

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

KAPITEL 2

 

[ Februar 2018, New York City ]

 

Es ist, als hätte mich ein Blitz getroffen. Ich wende meinen Blick ab und balle die Hände zu Fäusten.

Nolan Bennett. Verwechslung ausgeschlossen. Es ist bestimmt fast zehn Jahre her, dass ich ihn das letzte Mal gesprochen habe. Damals sind wir noch auf die High School gegangen und alles schien unschuldig und leicht … bis zu jenem Tag, der das Ende von etwas bildete, das noch nicht einmal richtig begonnen hatte.

„Entschuldige, Schatz, der Verkehr war furchtbar“, sagt Simon, umrundet den Tisch und gibt seiner Frau einen Begrüßungskuss.

Ich meide den Blick nach vorne und beiße mir leicht auf die Lippe. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Nolan mich erkennt? Klar, ich bin älter geworden und mein Kleidungsstil hat sich geändert, genau wie die Frisur, aber ansonsten … Sollte ich das Risiko eingehen und so tun, als würden wir uns nicht kennen?

Ich atme tief aus und spüre das leichte Zittern meiner Hände, als ich aufstehe, um Simons Küsschen links und rechts zu erwidern, ehe er mir freundschaftlich eine Hand auf den Rücken legt und mit der anderen auf seinen Kollegen zeigt.

„Darf ich vorstellen? Nolan Bennett. Nolan, das ist -“

Ich unterbreche ihn höflich, indem ich mich selbst vorstelle und eine Hand zur Begrüßung ausstrecke: „Layken Wright, freut mich, Sie kennenzulernen.“

Er erwidert meinen Händedruck und ich fühle mich von seinem durchdringenden Blick gescannt. Seine dunklen Augen huschen über mein Gesicht und ich kann erkennen, dass sein Gedächtnis auf Hochtouren läuft. Schließlich bleibt er an meinen Lippen hängen und ein Lächeln erscheint auf seinen.

„Nolan“, stellt er sich nochmal vor. „Die Freude ist ganz meinerseits.“

Erst jetzt merke ich, dass ich die Luft angehalten habe, und atme unauffällig aus, während die beiden zur Garderobe gehen.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich mich setze. Hat er mich wirklich nicht erkannt? Irgendetwas in meinem Inneren scheint zu protestieren. Wahrscheinlich weil diese Tatsache heißen würde, dass das, was damals zwischen uns passiert ist, keine Bedeutung für ihn hatte.

Ich schlucke den aufkeimenden Frust hinunter und zwinge mich zu einem Lächeln, als April sich mir flüsternd zuwendet: „Ist er nicht ein Prachtkerl?“

Ich nicke, sage aber nichts weiter dazu. Nolan hat wirklich nichts von seinem guten Aussehen, das er schon als Jugendlicher hatte, verloren. Als Football-Spieler ist er schon immer sehr muskulös gewesen und dieser Umstand wird auch von seinen jetzigen Business-Klamotten nicht verdeckt. Ich schiele zu ihm rüber, als er wieder zu uns an den Tisch kommt. Das Sakko liegt eng an und betont, in Kombination mit der perfekt sitzenden Jeans, seine sportliche Figur. Auch sein Gesicht hat sich kaum verändert, wenn man den Dreitagebart mal außen vor lässt. Es ist nur etwas kantiger, männlicher, geworden. Seine Augen strahlen immer noch in einem unergründlichen, tiefen Blau. Doch das faszinierendste an ihm sind seine sinnlich geschwungenen Lippen, an die ich mich immer noch perfekt erinnern kann …

„Layken?“ Aprils Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.

Mit wild klopfendem Herzen wende ich mich ihr zu. „Hm?“

Sie hält mir die Getränkekarte entgegen und zeigt auf die Bedienung, die soeben an unseren Tisch gekommen ist. „Möchtest du auch einen Aperitif?“

Ich bejahe und sie bestellt vier Manhattan. Ich habe offenbar gar nicht mitbekommen, wie darüber bereits gesprochen wurde, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, Nolan anzustarren. Wie peinlich … Und doch riskiere ich einen weiteren Blick in seine Richtung. Seine Lippen sind zu einem schiefen Grinsen verzogen, während er mich direkt anschaut. Er hat es eindeutig mitbekommen. Meine Ohren beginnen zu glühen und ich bin froh, dass sie von meinen schulterlangen, rotbraunen Haaren verdeckt werden.

„Das Hüftsteak hier ist ausgezeichnet“, sagt Simon in die Runde und hält dabei die Speisekarte in die Höhe.

„Oh ja, das nehme ich!“, stößt April begeistert aus und klappt die Karte wieder zu.

Es vergehen einige Minuten, in denen wir uns über die angebotenen Speisen austauschen, bis wir schließlich unsere Bestellung aufgeben und mit den gerade an den Tisch gebrachten Getränken anstoßen.

„Wie war dein Flug?“, fragt mich Simon und nippt an seinem Manhattan. „Ich habe gehört, es gab eine außerplanmäßige Landung in Pittsburgh?“

Ich nicke. „Ja, der Schneesturm hat einen Weiterflug unmöglich gemacht und wir wurden umgeleitet. Ich wollte eigentlich schon gestern hier sein, stattdessen bin ich erst heute Morgen mit einem Mietwagen angekommen. Was tut man nicht alles, um pünktlich zu einem Geschäftstermin zu erscheinen“, erzähle ich schulterzuckend.

„Wissen Sie, Nolan“, schaltet sich nun auch April in das Gespräch ein, „Layken lebt eigentlich in Denver und arbeitet dort als freiberufliche Illustratorin. Ihre Werke findet man ganz oft im Internet, auf Social Media Seiten und in Zeitungen. Sie haben bestimmt schon mal was von ihr gesehen.“

Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen, als ich ihr einen kurzen Seitenblick zuwerfe. Wenn April nur wüsste, dass ihre Verkupplungs-Versuche ein Fass ohne Boden sind.

Nolan lehnt sich interessiert nach vorne und stützt sich mit den Unterarmen lässig auf dem Tisch ab. „Illustration?“, fragt er mich mit höflich neugierigem Unterton. „Wo haben Sie studiert?“

Ich greife nach meinem Aperitif. „In New York. Hier habe ich auch April kennengelernt, wir haben zusammen in einer WG gelebt.“

„Und ursprünglich kommen Sie woher?“ Sein Grinsen ist unergründlich.

„Geboren und aufgewachsen in Houston, Texas“, antworte ich knapp und beiße mir auf die Lippe. Diese Frage ist provokant. Er erinnert sich doch an mich … oder?

Wenn er es tut, dann lässt er sich zumindest nichts anmerken, denn er lehnt sich zurück und erwidert: „Was für ein Zufall, ich auch.“

Sein Blick durchbohrt mich und eine Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen. Zum Glück wird sie durch die langärmlige, weiße Bluse verdeckt.

„Layken ist wirklich viel herumgekommen“, plappert April drauf los, als sich Stille zwischen uns ankündigt. „Aber sie möchte demnächst hierherziehen, richtig?“ Sie dreht sich zu mir und schaut mich erwartungsvoll an.

Ich weiß, dass sie möchte, dass ich mich angeregt mit ihrem arrangierten Date unterhalte – aber wie soll ich das anstellen, wenn ich mich bei jedem Blick in sein Gesicht unweigerlich in die Vergangenheit katapultiert fühle? Ich seufze innerlich.

„Ja, viele meiner Arbeitgeber sind von hier aus besser zu erreichen“, bestätige ich. „Auch wenn ich im Grunde von überall aus arbeiten könnte, dem Internet sei Dank.“ Ich lache etwas unsicher.

„Apropos viel herumkommen“, sagt Simon und dreht sich zu Nolan. „Warst du nicht in Südostasien, bevor du zu uns gekommen bist?“

Er nickt und lässt mich dabei keine Sekunde aus den Augen. „Ich habe zwei Jahre lang als Expat in Thailand gelebt, bevor ich hier angeworben wurde.“

„Und als was haben Sie gearbeitet?“, frage ich daraufhin. April zuliebe werde ich zumindest freundlich bleiben. Und irgendwie regt sich doch auch die Neugier in mir, zu erfahren, wie sein Leben verlaufen ist.

„Ich bin Unternehmensberater“, antwortet Nolan. „Ich habe Ökonomik mit psychologischer Zusatzqualifikation in London studiert.“

„Oh, London!“, ruft April. „Da würde ich auch gerne mal hin. Wie ist es da so?“

Endlich wendet er seine Augen von mir ab, um meine beste Freundin galant anzulächeln, und ich atme tief durch.

„Es ist deutlich kälter und nasser als in Houston, es war für mich ein richtiger Wetterschock“, entgegnet er und erntet ein hohes Lachen.

April springt sofort auf den Wetter-Themen-Zug auf und erzählt ihm von ihren wortwörtlich ins Wasser gefallenen Flitterwochen in Kanada, während ich mich kurz entschuldige, um die Toilettenräume aufzusuchen.

In den edel aussehenden Sanitärräumen stehe ich vor dem wandhohen Spiegel und stütze mich am Waschbecken ab. Am liebsten würde ich mir kaltes Wasser ins Gesicht spritzen, aber dann wäre mein Make-up komplett hinüber.

Nolans Anwesenheit macht mich nervös und das nicht nur, weil ich mich vor Jahren mal wie eine absolute Bitch verhalten und ihm Dinge unterstellt habe, die er nicht getan hat. Wäre die Erkenntnis damals nur früher zu meinem Teenie-Erbsenhirn durchgedrungen, könnten wir heute vielleicht als Freunde hier sitzen und über diesen absurden Zufall lachen, dass gerade wir beide miteinander verkuppelt werden sollen.

Am liebsten würde ich jetzt das sprichwörtliche Handtuch werfen. Aber selbst eine plötzliche Erkrankung wäre zu auffällig und ich möchte weder April noch Simon in Verlegenheit bringen – im Gegensatz zu mir werden sie wahrscheinlich noch öfter Kontakt zu Nolan haben.

Ich zupfe meinen hochtaillierten, schwarzen Bleistiftrock, der mir bis zu den Knien reicht, zurecht und atme ein paar Mal tief durch. Nein, ich werde jetzt nicht das Weichei mimen. Ich werde da rausgehen und den Abend überstehen. Wenn nötig, wird der Alkohol mir dabei helfen.

Ich straffe meine Schultern und schaue mich im Spiegel an. Meine Wangen haben eine leicht rötliche Farbe angenommen, was mich vielleicht ein wenig erhitzt aussehen lässt. Doch meine braunen Augen leuchten voller Zuversicht.

Ich verlasse das Damen-WC und trete in den länglichen Gang, der etwas abseits des Gastronomiebereichs liegt, als ich auch schon abrupt innehalte. Direkt neben mir, gegenüber der Männer-Toiletten, steht eine Person an die Wand gelehnt. Nolan.

Fuck.

Ich räuspere mich. „Oh, Sie mussten nicht auf mich warten“, sage ich mit einem gespielten Kichern. „Ich finde den Weg auch allein.“

Die hohen Absätze meiner Stiefeletten klackern auf dem nackten Steinboden, als ich an ihm vorbeigehen will, doch seine warme Hand an meinem Oberarm hält mich auf.

„Layken“, sagt er leise und ich habe prompt das Bild von vor zehn Jahren vor Augen, als mich eine Lehrerin ins Direktorzimmer begleitet hatte.

Wie versteinert bleibe ich seitlich zu ihm gedreht stehen und senke meinen Blick. Nolan tritt einen Schritt vor und ich spüre die Wärme seines Körpers, auch wenn er mich damit nicht berührt. Ich habe den Bass meines Herzens im Ohr. Es schlägt laut und viel zu schnell.

„Ich weiß, dass du mich erkannt hast. Also warum spielen wir dann dieses Spiel?“, fragt er leise und ich schließe die Augen, als ich den Anflug des Bedauerns mitschwingen höre.

„Um es für April und Simon nicht unangenehm werden zu lassen“, antworte ich. „Glaub mir, hätte ich gewusst, dass du der besagte Kollege bist, hätte ich irgendeinen Grund gefunden, dich nicht in diese peinliche Situation zu bringen.“ Ich schaue auf und mein Herz setzt aus.

Nolans Hand liegt immer noch auf meinem Oberarm, doch ich spüre sie kaum. Er steht so nah vor mir, dass ich sein Aftershave riechen kann.

„Für mich ist es keine peinliche Situation“, versichert er mir. „Aber es wird zu einer, wenn wir weiterhin einen auf Fremde machen.“ Er beugt sich etwas näher heran und sein Atem tanzt über meinen Nacken, als er flüstert: „Ich finde es sogar sehr schön, dich zu sehen, glaub mir.“

Ein warmer Schauer läuft mir den Rücken hinab, als er sich leicht grinsend von mir entfernt und dabei meinen Oberarm hinabfährt, um nach meiner Hand zu greifen und mich mitzuziehen, während er langsam rückwärts geht.

„Komm, lass uns den Abend genießen. Die beiden werden es bestimmt witzig finden, wenn wir ihnen von unserer Geschichte erzählen.“

Ich bleibe weiterhin wie angewurzelt stehen und halte ihn somit zurück. Meine Pumpe dreht durch, als sich Panik unter die Gänsehaut mischt.

„Aber nicht … wir erzählen nicht von der Sache mit Lacey“, stottere ich und ein wissender Ausdruck legt sich auf sein Gesicht.

„Natürlich nicht“, versichert er mir und ich spüre, wie zumindest ein wenig Druck von meinem Brustkorb genommen wird, als wir gemeinsam zum Tisch gehen. Meine Hand hat er währenddessen losgelassen.

„Alles klar bei euch? Layken, du siehst ein wenig bleich um die Nase aus“, meint April, als ich mich hinsetze.

„Was? Nein, alles bestens“, gebe ich mit einer wegwerfenden Handbewegung von mir.

„Wir haben uns eben nur ein wenig unterhalten“, sagt Nolan und alle Augen liegen auf ihm. „Witziger Zufall, aber wir kannten uns doch bereits. Wir waren auf derselben High School.“

Aprils Augenbrauen schießen in die Höhe. „Ach, wirklich?“ Ihre Stimme überschlägt sich bei dem fragenden Unterton, als sie mich dabei eindringlich ansieht.

Auch Simon schaut perplex drein.

Ich lache etwas unbeholfen und zucke mit den Schultern. „Wirklich witziger Zufall“, bestätige ich, zupfe an meiner Bluse, nur um mich mit irgendetwas abzulenken, und greife schließlich zum Alkohol.

Auch Nolan lacht, nachdem er einen Schluck seines Getränks genommen hat, und fügt dann hinzu: „Ja, und noch witziger ist eigentlich, dass ausgerechnet wir beide uns bei einer Art Blind Date wiedersehen.“

April schiebt ihre Haare von der Schulter und stützt sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab. „Wie ist das gemeint?“

Nolans blaue Augen liegen glühend auf mir und ich halte unwillkürlich den Atem an. „Nun, Layken war sowas wie meine erste große Liebe.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Silberwoelfin
2018-06-19T20:47:31+00:00 19.06.2018 22:47
Oh das ist ein fieser Cliffhänger
Wie gut das schon sas nächste Kapitel draußen ist.
Interessant das der Männ vernünftiger mit der Situation umgeht xD
Antwort von:  MissImpression
20.06.2018 19:43
Haha, ja, wir wollen hier ja nicht zu viele Klischees bedienen ;D War echt eine bescheuerte Idee von Layken, ihm als Fremde zu begegnen. Das musste ja zwangsläufig schiefgehen!
Von:  Darcy
2018-06-17T12:37:10+00:00 17.06.2018 14:37
Ich krieg gleich n Herzanfall O.O....uhhhhhhhh schreib bitte weiter :3
Antwort von:  MissImpression
18.06.2018 21:18
Oh je, so schlimm? :D Freut mich, dass du "mitfieberst". Ich werde die Tage das nächste Kapitel hochladen, versprochen. :)
Danke für dein Feedback!
Antwort von:  Darcy
18.06.2018 21:23
Ich fieber immer bei deinen Storys mit ^^
Ich finde du schreibst wirklich schön und mit viel Herz. Dein Schreibstil ist zudem sehr angenehm.
Antwort von:  MissImpression
18.06.2018 21:26
Vielen Dank für das Lob >\\\< da werde ich ganz rot!


Zurück