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Spherium

Kaiba/Yuugi
von

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Kapitel 31

Mittwoch Morgen. Als der nervtötend fröhliche Klingelton seines Weckers Yuugi aus seinem schönen Traum riss, wälzte er sich nochmal auf die andere Seite und murmelte leise vor sich hin: „Noch fünf Minuten“, wobei es fraglich war, ob es wirklich nur bei fünf Minuten blieb. Gestern Abend hatte er noch lange mit Kaiba geredet. Viel hatte er über seinen Chef nicht erfahren, aber er hatte das Gefühl, dass sie sich immer näher kamen und der Abgrund zwischen ihnen langsam seichtem Wasser wich. Diese Grenze zu überschreiten würde mit der Zeit sicher möglich sein. Plötzlich war er hellwach.
 

Er hatte Kaiba ins Gesicht gesagt, dass er ihn sehr gern hatte. Ob Kaiba das falsch aufgenommen hatte? Rasch setzte er sich auf. Manchmal brauchte es nur ein Wort, um einen falschen Eindruck zu hinterlassen. Obwohl Kaiba nicht verärgert schien und auch nicht weiter auf seine Wortwahl eingegangen war. Er schämte sich dafür, Kaiba so offen seine Gefühle offenbart zu haben und er hoffte sehr, dass er Kaiba damit nicht allzu sehr aus der Bahn geworfen hatte.
 

Im Büro von Kaiba erwartete ihn ein Mann mit großen Augenringen. Kaiba wirkte sichtbar müde und nicht erholt. Es war das erste mal, dass Kaiba erschöpft aussah. Woran lag das?
 

„Guten Morgen, Kaiba-kun. Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht durchgemacht. Alles in Ordnung?“, wollte Yuugi von Kaiba wissen und blieb wenige Zentimeter vor seinem Schreibtisch stehen.
 

Kaiba rümpfte die Nase und legte setzte sogleich seinen Kugelschreiber zur Seite. Er hatte bis spät in die Nacht mit Mokuba über dessen Reise gesprochen und über seine Erfahrungen, die er dort gesammelt hatte. Mokuba hatte unheimlich viel zu erzählen und dieses fröhliche Lachen hatte Kaiba so sehr angesteckt, dass er gar nicht auf die Zeit geachtet hatte. Wirklich geschlafen hatte er nicht. Er war müde und fühlte sich erschlagen. Zumindest konnte er mit Gewissheit sagen, dass Mokuba ihm verziehen hatte. Das wäre sein letzter Versuch, hatte er gemeint. Würde Kaiba wieder etwas tun, womit er Mokuba vor den Kopf stieß, würde dieser gehen. Ob er das wirklich ernst gemeint hatte?
 

Die richtigen Antworten zu finden und Entscheidungen zu treffen, die die Gefühle anderer Personen berücksichtigten, hatte Kaiba auch noch lange in seinem Bett beschäftigt. Er hatte die letzten zwei Wochen gedanklich Revue passieren lassen und war zum Schluss gekommen, dass Yuugis Anwesenheit frischen Wind in seine Firma brachte. Letztendlich hatte er die meiste Zeit darüber nachgedacht, was Yuugi so anders machte und warum sein bloßes Dasein so viel Positives mit sich brachte. Ehe er sich versah, hatte er nur Gutes über Yuugi denken können. Dabei sollte er ihn doch als seinen Rivalen sehen und nicht als wichtigen Partner. Diese innere Zerrissenheit und die ihn quälende Frage, warum er sich Yuugi gegenüber geöffnet hatte, machten ihn mehr zu schaffen als die Sorge, seinen Bruder einmal mehr ungewollt zu verletzen. Und jetzt stand er wieder vor ihm und in seinem Gesicht die Sorge geschrieben.
 

Aber das war nicht alles. Erst heute Morgen hatte Mokuba Klartext mit ihm gesprochen. Er hatte bereits Pläne für die Zukunft und sein Bruder war nur bedingt ein Teil davon. Mokuba hatte gemeint, er müsse sein Leben endlich in den Griff bekommen und auch andere Kontakte knüpfen. Er sollte Yuugi eine Chance geben und ihn nicht nur als Rivalen ansehen. Mokubas Ton war ernst und Kaiba hätte gern widersprochen, wenn seine nächste Aussage ihn nicht so dermaßen schockiert hätte. Im Moment war er beinahe froh darüber, Gesellschaft zu haben, die ihn davon abhielt, nachzudenken.
 

Du musst dir angewöhnen, rechtzeitig ins Bett zu gehen, ansonsten schläfst du auf der Arbeit ein. Das wäre äußerst unangebracht“, kam es von Yuugi und er war stark darum bemüht, Kaibas Tonlage zu treffen und äffte auch seine Bewegungen und seinen sturen, unbarmherzigen Blick nach. Verdutzt sah Kaiba ihn an.
 

„Sehr witzig...“, murrte Kaiba und griff nach seinen Kaffeebecher, nur um gähnende Leere vorzufinden. Es war ihm anzusehen, dass er noch nicht genügend Kaffee intus hatte und demnach schnell gereizt reagierte. Ohne weiter auf Yuugis Versuch ihn nachzuahmen, einzugehen, huschte er an ihm vorbei und verschwand in seinem Pausenraum. Mit einem breiten und äußerst amüsierten Grinsen folgte Yuugi ihm.
 

„Willst du auch einen Kaffee? Ich habe auch etwas Milderes da“, erklärte Kaiba, während er die Schranktür über der Spüle öffnete und mehrere Kaffeekapseln herauszog. Sein Blick blieb bei einer Kaffeesorte mit Schokonote hängen und er hielt Yuugi die Kapsel entgegen, wartete auf eine Reaktion seines Gegenübers. Perplex nahm Yuugi das Angebot an. Kaiba verhielt sich eigenartig. Er ging weder auf seine Provokation ein, indem er das Feuer des Sarkasmus auf ihn eröffnete und ihn mit zynischen Aussagen in Grund und Boden stampfte, noch ignorierte er seine Anwesenheit. Es war 9:05 Uhr morgens. Yuugi war zu spät. Eigentlich hatte er mit einem Kommentar gerechnet. Eine Predigt über das Pünktlich zur Arbeit kommen. Eine gemeine Bemerkung. Irgendetwas!
 

Stattdessen lud er ihm zum Kaffee ein und deutete ihn sogar dazu an, sich hinzusetzen. Kaiba hielt sich selten in seinem Pausenraum auf. Wenn er diesen Raum betrat, dann meist, weil er Besuch hatte oder einen Moment der Ruhe brauchte; letzteres geschah fast nie. In den letzten Wochen hatte Kaiba immer hochkonzentriert und pausenlos gearbeitet. Selten hatte er hoch geblickt oder sich gar ablenken lassen. Jedes Mal, wenn Yuugi etwas von ihm wollte, beantwortete er seine Fragen nebenbei oder ignorierte, dass er im Raum war.
 

Misstrauisch beäugte er den Firmenchef, der mit zwei dampfenden Tassen zum Tisch kam und Yuugi sein Getränk hinstellte und es sich dann neben ihm bequem machte.
 

„Musst du mich so mit deinen Blicken durchlöchern? Das nervt“, erklärte Kaiba, während er nach seinem Löffel griff, die Flüssigkeit umrührte und mit der anderen Hand noch etwas Kaffeesahne hinzu schüttete. Der herbe Geruch von Kaffeebohnen drang Yuugi in die Nase. Von einer Sekunde zur nächsten war er hellwach.
 

„Irgendetwas stimmt eindeutig nicht...“, kam es von Yuugi, der seinen Sitznachbarn nun nur noch skeptischer ansah und die Arme verschränkte.
 

„Ja, dein nerviges Verhalten am frühen Morgen. Kannst du nicht einmal fünf Minuten den Schnabel halten?“
 

„Ist irgendetwas passiert? Ich habe dich noch nie müde oder gar erschöpft erlebt. Ich mache mir nur Sorgen.“
 

„Kannst du dir auch Sorgen machen, ohne dabei den Mund zu bewegen? Ich habe unglaubliche Kopfschmerzen und dein Gequassel macht es nicht besser.“
 

Yuugi sah ihn immer noch bohrend an. Er gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und schien darauf zu warten, dass er noch etwas sagte. An der Wand hing eine alte Uhr, die mit echten Uhrzeigern ausgestattet waren und mit jeder Sekunde, die verstrich, hörte man das bedrückende 'Klang', das in den Raum hallte. Die Uhr fiel bei der sonst so modernen Innenausstattung direkt aus dem Rahmen, doch Yuugi war sich sicher, dass es sich hierbei um ein Unikat handeln musste. Bei genauerer Betrachtung konnte er erkennen, dass die Uhr von dem weißen Drachen eingerahmt wurde, der scheinbar das Ziffernblatt, das durch die gläserne Scheibe davor wie ein Kristall glänzte, gehalten wurde. Der Drache war unnatürlich detailgetreu. Jede einzelne Klaue war mit absoluter Genauigkeit gefertigt. Kaibas Liebe zum Weißen Drachen war immer und jederzeit spürbar.
 

Kaiba ignorierte seine Blicke und genehmigte sich einige Schlücke seines heißen Getränkes, ließ sich in die schwarze Coach senken und atmete tief ein und wieder aus. Zwei Minuten. Yuugi war ruhig. Kaiba wartete mit Spannung ab, ob Yuugi es schaffte, fünf Minuten ruhig zu sein. Drei Minuten. Wieder griff er nach seinem Getränk und ließ die Wärme seinen Körper verzaubern. Der Koffein würde ihm sicher helfen, seine Kopfschmerzen loszuwerden, wobei der Schlafmangel auf der anderen Seite dadurch auch etwas abgeschwächt wurde. Kaiba war heute zum ersten Mal zu spät gekommen. Eine Minute und vierundzwanzig Sekunden. Für jeden anderen Menschen nichts Erwähnenswertes, für Kaiba ein Vorzeichen für den Weltuntergang.
 

Vier Minuten. Noch immer hielt Yuugi den Mund. Mittlerweile hatte er auch seinen Blick abgewendet und begutachtete die Innenausstattung. Kaiba linste immer wieder zur Yuugi, versuchte aber sich dies nicht anmerken zu lassen. Yuugi war alles bis auf professionell. Seine wahren Gefühle waren ihm immer anzusehen. Wenn ihm etwas nicht gefiel, veränderte er seinen Gesichtsausdruck und wenn er glücklich war, setzte er dieses Lächeln auf, das Kaiba genauso nervte, wie auch bewunderte.
 

Vier Minuten und dreiundvierzig Sekunden. Diese Ruhe am Morgen war angenehm und erholsam. Als Kaiba so in seiner Coach lehnte und die Augen geschlossen hatte, spürte er, wie seine müden Lider sich langsam erholten und seine Muskeln sich entspannten.
 

Fünf Minuten.
 

„Jetzt sag doch, was passiert ist!“, rief Yuugi jetzt aus und lehnte sich etwas näher an den Brünetten. Seine Amethyste versuchten bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele zu blicken und er konnte mit Sicherheit sagen, dass Yuugi solange keine Ruhe geben würde, bis er eine ihn zufriedenstellende Antwort bekam. Kaiba schnalzte mit der Zunge. Als hätte er nur darauf gewartet, dass fünf Minuten vergingen.
 

„Was soll denn schon passiert sein? Ich habe mit Mokuba geredet und es wurde etwas später. Und? Zufrieden?“
 

„Worüber habt ihr geredet? Was hat Mokuba dir erzählt?“
 

„Du und deine niemals endenden Fragen. Ist das hier ein Verhör?“
 

„Sei doch nicht so! Du hast gesagt, wir seien Partner und dass ich dir vertrauen könne, also kannst du mir auch vertrauen und mir auch mal was erzählen.“
 

„Moment. Du bringst da etwas durcheinander, Yuugi. Wir sind Partner im geschäftlichen Sinne. Das heißt nicht, dass wir uns jetzt wie Teenager zusammensetzen und über unsere Probleme und unser Leben reden, sondern dass wir ein gemeinsames Ziel verfolgen. Das ist rein geschäftlich. Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass wir jetzt Freunde sind.“
 

Yuugi senkte den Blick. Ihm war die Enttäuschung anzusehen und Kaiba seufzte, rollte mit den Augen und setzte wieder an.
 

„Aber wenn es dich so sehr interessiert... wir haben über die Zukunft geredet und ich habe ihm gesagt, dass ich mit dir zusammenarbeite. Er hatte keine Ahnung, dass ich dich eingestellt habe, trotzdem wirkte er nur wenig überrascht darüber. Als hätte er gewusst, dass es so kommt.“
 

„Vielleicht war es ja Schicksal“, kicherte Yuugi vergnügt und griff nun nach seiner Tasse.
 

„Jetzt fängst du auch mit diesem Esoterik-Kram an? Als wäre Atems Gerede über Schicksal nicht schon schlimm genug gewesen...“
 

„Ich glaube an Schicksal und an Karma. Wer Gutes tut, dem widerfährt Gutes. Und du bist auch ein guter Mensch. Das weiß auch Mokuba. Auch wenn du deine guten Seiten nicht so gerne zeigst.“
 

„Das hatten wir schon und ich habe es dir auch mehr als einmal gesagt: ich bin nicht nett. Ich bin schrecklich, unsympathisch, gemein und ich gehe, wenn nötig, auch über Leichen, um meine Ziele zu erreichen. Ich bin kein guter Mensch. Ich bin böse.“
 

„Jetzt übertreibst du aber. Ständig suchst du nach Ausreden, dabei wissen wir alle, wie liebenswert du bist.“
 

„Sicher“, lachte Kaiba spöttisch und zuckte mit den Schultern. „Hast du irgendwelche Beweise?“
 

„Hm... weißt du noch damals das Battle City Turnier? Als du den Duel Disk zum ersten Mal vorgestellt hast? Du hast die Duel Disks für einen extrem niedrigen Preis verkauft, damit sich wirklich jeder einen leisten konnte und du hast den Teilnehmern des Turniers sogar welche geschenkt.“
 

„Das nennt man Marketing, Yuugi. Wer sein Produkt verkaufen will, muss Kompromisse eingehen. Dadurch, dass die Nachfrage steigt, kann ich das Angebot erhöhen und mache durch die Menge, die ich verkaufe, mehr Gewinn. Das ist Betriebswirtschaft.“
 

„Hm... und was ist mit damals, als du Death-T eröffnet hast? Eine ganze Woche lang durften Kinder umsonst in das Kaiba Land reingehen. Und auch heute sind die Preise für Kaiba Land für jeden erschwinglich und Ermäßigungen für Kinder, die auffallend großzügig sind.“
 

„Das nennt man Kundenbindung, außerdem wollte ich nur ein möglichst großes Publikum für unser Duell damals haben. Es macht durchaus Sinn, seinen Kunden seine Produkte vorzustellen und sie dazu zu animieren immer wieder zu kommen.“
 

„Hm... und warum hast du Katsuya geholfen einen Job zu finden?“
 

„Bitte was soll ich gemacht haben?!“
 

Kaiba stellte seine Tasse dermaßen laut zurück auf den Unterteller, dass Yuugi für einen kleinen Moment zuckte. Scheinbar hatte er jetzt etwas gesagt, was Kaiba unter allen Umständen für sich behalten wollte.
 

„Ist doch kein Geheimnis, oder? Du bist doch für das Duel Café zuständig und du hast die Mitarbeiter selbst ausgesucht, so heißt es zumindest. Du hast somit Katsuyas Bewerbung angenommen und ihm die Möglichkeit gegeben, endlich festen Boden unter den Füßen zu fassen. Dafür bin ich dir dankbar. Katsuya ist sehr temperamentvoll und ich hatte Sorge, ob er jemals einen festen Job finden würde. Und dazu ist die Bezahlung überdurchschnittlich hoch... als hätte jemand gewusst, dass Katsuya dringend Geld braucht.“
 

„Das... das...“, murmelte Kaiba und ballte seine Hände zu Fäuste. Er suchte nach den richtigen Worten.
 

„Das ist absoluter Irrsinn. Als Arbeitgeber bin ich dazu verpflichtet, die Bewerber mit den besten Qualifikationen anzunehmen. Das hat rein gar nichts mit Sympathie zu tun. Du hast da nur etwas falsch verstanden.“
 

„Habe ich das?“, kam es fragend von Yuugi und er rieb sich sein Kinn, als würde er einen imaginären Bart streicheln. Seine Frage war rein rhetorisch. Yuugi beantwortete diese direkt selbst.
 

„Katsuya hat aber keine Ausbildung gemacht und somit keine Qualifikation, trotzdem hast du ihn angenommen. Sein Lebenslauf ist alles andere als ansprechend. Und was ist das mit uns?“
 

„Was soll mit uns schon sein?“, wiederholte Kaiba skeptisch. Worauf wollte er hinaus?
 

„Ich habe zwar ein Studium in Richtung Design, Programmierung und Entwicklung gemacht, aber keine beruflichen Erfahrungen, die ich vorweisen könnte. Auch habe ich keine ausreichenden Qualifikationen, die mich dazu berechtigen würden, mein eigenes Projekt zu verwirklichen oder eine eigene Abteilung zu leiten und trotzdem sitze ich hier.“
 

Kaiba sah Yuugi immer noch mit großen Augen an. All seine Argumente waren absolut subjektiv. Trotzdem konnte er nicht sagen, dass er Unrecht hatte. Mit jeder Aussage traf Yuugi einen wunden Punkt und Kaiba fand keine weiteren Rechtfertigungen, um sein Verhalten zu erklären. Diesen Volltrottel von Jounouchi, diesen drittklassigen Duellanten mit viel zu großer Fresse, hatte er tatsächlich durchgewinkt. Es hatte ihn nicht wirklich interessiert und sein erster Gedanke war gewesen, dass er den Blonden damit zurück auf den Platz zurückweisen konnte, an den er gehörte: zu Kaibas Füßen. Denn so konnte er einen kleinen Sieg erringen und mit Glück ihm so etwas wie Manieren beibringen.
 

Im Nachhinein war es vielleicht auch nur, weil er dieses Gesicht kannte und diesen Bewerber besser einschätzen konnte, als die anderen, ohne sich die Mühe zu machen, diesen persönlich in einem Vorstellungsgespräch kennenzulernen. Als er das Foto von ihm sah, das ihn mit einem breiten Grinsen entgegen strahlte, hatte er die Bewerbung im Papierkorb versenken wollen, doch dann innegehalten und ihn sogar eingestellt. Wieso er sich letztendlich dazu entschieden hatte, wollte ihm selbst nicht ganz in den Kopf. Mitleid? Selbst auf dem Foto trug er nur ein weißes, schäbiges Hemd und die Haare fielen ihm so ins Gesicht, das seine Auge teilweise überdeckt wurden. Er machte den Eindruck eines bettelarmen Kerls, der früher oder später trotz aller Bemühungen auf der Straße landen würde. Und bei diesem Gedanke drehte sich Kaiba der Magen um.
 

Immerhin bemühte er sich seit Jahren darum, den Wohlstand seiner Stadt auszuweiten und unterstützte Bauprojekte finanziell, schaffte Arbeitsplätze und bemühte sich darum, dass die Stadt insgesamt moderner wurde, wozu auch die Digitalisierung gehörte, die größtenteils auf die Technik der KC basierte. Die KC war das wichtigste Organ dieser Stadt und Armut duldete er nicht. Selbst dann nicht, wenn ein nervtötender Bekannter, den er lieber aus seinem Gedächtnis bannen würde, dazugehörte.
 

Auch jetzt war er darum bemüht, zig Ausreden zu finden, da er sich nicht eingestehen konnte, dass es ihm nicht passte, dass Jounouchi ein Versager war, der in seinem Lebens nichts erreichte und dem Traum eines Pro-Duellanten hinterherlief, anstelle sich Gedanken um seine Zukunft zu machen. Da dieser Klassenclown ja auch stets an Yuugis Seite zu finden war, färbte sein schlechtes Bild auf Yuugis guten Ruf als Duellant ab und letztendlich bedeutete dies, dass dieser eher schlechte Umgang auch schlechte Publicity für die KC war. Nicht auszudenken was die Medien berichten würden, würde publik werden, dass Kaiba Seto mit einem nichtsnutzigen Taugenichts verkehrte – selbst wenn es sich nur um ein Duell im Rahmen eines Turniers handelte.
 

Gerade als er eine ihn zufriedenstellende Lösung gefunden hatte, um seine Entscheidung zu rechtfertigen, strahlte ihn Yuugi mit diesem zuckersüßen Lächeln an, sodass ihm seine Worte im Hals steckenblieben. Yuugi war ja so eine Nervensäge! Und trotzdem schätzte er seine Fähigkeiten und ihn als Person, weshalb er sich doch dagegen entschloss, diese Konversation weiterzuführen. Seine Ausflüchte machten ja auch keinen Unterschied, da Yuugi ja von seinen Argumenten überzeugt war und es ihm vermutlich völlig egal war, was Kaiba dazu zu sagen hatte.
 

„Und das habe ich dir zu verdanken.“
 

„Das bedeutet aber nicht, dass ich ein guter Mensch bin. Du bist einfach nur naiv.“
 

„Ich denke, dass du ein großes Herz hast und es nur nicht zugeben willst.“
 

„Ich denke, dass du ein weltfremder Gutmensch bist, der in seiner eigenen Welt lebt und sich die Realität so zurecht biegt, wie sie ihm am besten in den Kram passt. Ich? Ein guter Mensch? Wovon träumst du nachts?“, lachte Kaiba und holte noch einmal tief Luft.
 

„Das war keine Aufforderung mir von deinen Träumen zu erzählen, damit wir uns da verstehen.“
 

„Also Mokuba hätte mich gefragt, wovon ich träume“, scherzte Yuugi und machte einen Schmollmund.
 

„Das ist schön für dich. Interessiert mich nur nicht. Mokuba ist zu gut für diese Welt. Wenn jemand ein guter Mensch ist, dann er. Immerhin hat er mir verziehen und ist zurückgekommen, obwohl...“
 

Kaiba machte eine auffallend lange Pause, bevor er weitersprach.
 

„Er nicht die Absicht hatte, wirklich zurückzukehren.“
 

„Was meinst du damit? Was hat er gesagt?“
 

„Er sagte, er will mich nicht hassen und dass er sich wünscht, dass wir in Zukunft weiterhin eine Familie sein können, weil ich ihm wichtig bin. Er will im Guten auseinandergehen.“
 

„Was...?!“
 

„Er sagte, er habe Zukunftspläne. Einer davon sei mit seiner Freundin zusammenzuziehen. Er will heiraten und seine eigene Familie gründen.“
 

„Aber das ist doch schön für die beiden, oder?“
 

Schön? Was soll daran schön sein? Mokuba ist 19 und selbst noch ein Kind! Er ist doch noch viel zu jung für so eine Verantwortung!“
 

„Ist er das? Du hast dich selbst immer um Mokuba gekümmert und du warst da noch viel jünger. Mokuba ist erwachsen genug, um seinen eigenen Weg zu gehen und du musst endlich verstehen, dass er nicht für immer bei dir sein wird. Und das ist nicht so schlimm, immerhin hast du ja noch mich.“
 

Kaiba lachte auf und senkte seinen Blick. Mokuba und erwachsen? Er war ja nicht mal volljährig! Er war doch noch grün hinter den Ohren und noch gar nicht in der Lage, auf sich selbst aufzupassen.
 

Außerdem waren die letzten zwei Wochen für Kaiba schon schlimm genug gewesen. Warum sollte er nach Hause gehen, wenn niemand dort auf ihn wartete? Atem war bereits gegangen und hatte ihn zurückgelassen, seitdem ertrank er in seinem Arbeitseifer, um sich davon abzulenken, dass ihm etwas fehlte und Kaiba wusste selbst am besten, dass er es nicht ertragen würde, würde Mokuba weggehen und ihn zurücklassen.
 

„Hast du Angst vor dem Alleinsein?“
 

„Ich bitte dich, Yuugi. Ich habe keine Angst. Ich will nur nicht, dass er in sein Verderben rennt.“
 

„Bist du dir da sicher? Wirst du ohne ihn nicht einsam sein? Bist es nicht du, der ohne ihn in sein Verderben rennt?“
 

Kaiba sah ihn einfach nur fassungslos an. Was wollte er damit sagen? Obwohl er sich so sehr darum bemüht hatte, niemanden in seine Seele zu lassen und seine verletzliche Seite zu zeigen, hatte Yuugi irgendwo eine Nische entdeckt und sich in sein Herz geschlichen. Es ärgerte ihn, dass Yuugi ihn so gut durchschaute, andererseits hatte er von seinem Rivalen und einem der besten Gamer der Welt nichts anderes erwartet. Viel eher wäre er enttäuscht gewesen, wenn Yuugi nicht durch seine Fassade hätte hindurch blicken können.
 

„Heh“, stieß Kaiba hervor und gab sich geschlagen. Diese Niederlage kratzte stark an seinem Ego.
 

„Seit ich hier bin, hast du dich kein einziges Mal ausgeruht. Du bist wie ein tickendes Uhrwerk, alles willst du perfekt machen und das einzige, das dich zusammenhält ist Mokuba. Der Gedanke, dass Mokuba immer hinter dir stehen wird, hat dir Kraft gegeben. Atems Verlust hat dich sicher genauso getroffen wie mich und bitte sag nicht, dass ich mir das einbilde. Auch wenn du nie gesagt hast, was vorgefallen ist, so wissen wir alle, dass du ihn in der Vergangenheit aufgesucht hast.“
 

„Und was machst das für einen Unterschied? Ich wollte meine Revanche und habe sie bekommen. Das ist alles“, kam es von Kaiba und er stieß seinen Atem laut hörbar aus, von dem er nicht mal gewusst hatte, dass er ihn anhielt. Wieso konnte er nicht einfach den Mund halten? Am liebsten hätte er Yuugi von sich gestoßen und ihm gesagt, dass ihn das alles nichts anging, aber seine Anwesenheit schenkte ihm auf merkwürdige Art und Weise Trost und seine Worte gaben ihm Hoffnung.
 

„Der Grund ist doch völlig egal, Kaiba-kun. Tatsache ist, dass du nur schlecht loslassen kannst. Du bist nie über Atems Fortgehen hinweggekommen und du würdest es nicht ertragen, von Mokuba getrennt zu leben. Du weißt, dass du nicht mehr der einzige Mensch in seinem Leben bist und du redest dir fortgehend ein, dass du niemanden brauchst. Trotzdem will ich dich wissen lassen, dass ich dich da bin und dir gern zuhöre. Ich bin für dich da.“
 

„Wie hast du es geschafft, über Atem hinwegzukommen?“, wollte er dann wissen. Einerseits weil er vom Thema ablenken wollte, andererseits weil es ihn brennend interessierte.
 

„Ich bin nie darüber hinweggekommen. Selbst jetzt denke ich ständig an ihn. Immerhin... war er für mich ja wie ein großer Bruder.“
 

„Und trotzdem kannst du weitermachen, als ob nichts wäre...“, stellte der Brünette eintönig fest.
 

„Ich kann mich sehr glücklich schätzen. Ich habe vieles, was andere Menschen nicht haben. Freunde, die mich immer unterstützen und einen Großvater, der immer hinter mir steht, vollkommen egal, was für Dummheiten ich mache. Und ich habe einen Rivalen, der mich stets anspornt, an mir zu arbeiten und nicht aufzugeben. Ich habe Träume, die ich verwirklichen kann und eine Leidenschaft, die mich antreibt. Das alles lenkt mich davon ab, dass ich etwas verloren habe. Und das nur, weil ich meine Träume mit anderen teilen kann.“
 

„Verstehe. Du bist ein sentimentaler, emotionaler, realitätsfremder Träumer, der in seiner bunten Phantasiewelt lebt und deshalb die harte Welt um sich herum nicht mitbekommt.“
 

„Und was ist schlimm daran, ein Träumer zu sein? Du hast doch sicher auch Träume und Ziele für die Zukunft. Und diese willst du mit Mokuba teilen. Nicht wahr?“
 

„Kannst du damit aufhören, so zu tun, als würdest du mich verstehen? Ich finde es ja ganz reizend von dir, dass du mich aufmuntern willst, aber all das klingt in meinen Ohren einfach nur nach einer kindischen Weltanschauung ohne Grundlage, die ferner der Realität nicht sein könnte. Freunde? Die habe ich nie gebraucht und sie nützen mir nichts.“
 

„Aber wir sind Freunde.“
 

„Sind wir nicht.“
 

„Sind wir doch.“
 

„Sind wir nicht.“
 

„Sind wir doch!“, kam es nun noch lauter von Yuugi und er erhob sich plötzlich von der Coach und sah auf Kaiba mit wütendem Blick hinab.
 

„Ich bin dein Freund! Ansonsten könnte ich nicht hier mit dir sitzen und Kaffee trinken! Ansonsten könnte ich dein dummes Gerede gar nicht ertragen und auch wenn du es nicht zeigen kannst, weiß ich, dass du mich genauso brauchst wie ich dich!“
 

„Unsinn“, lachte Kaiba auf und erhob sich nun, blickte auf seinen Gegenüber herab. Er konnte es nicht leiden, wenn andere auf ihn herabsahen und ihn bevormundeten.
 

„Ist es das? Du brauchst Menschen um dich und genau deshalb ist es so schlimm für dich, dass Mokuba ausziehen will. Doch du hast da etwas völlig falsch verstanden: nur weil er auszieht, heißt das nicht, dass er nicht mehr für dich da ist. Anstelle dir Sorgen zu machen, nicht mehr Teil seines Lebens zu sein, solltest du dir Zeit nehmen, seine Freundin kennenzulernen und ihm Glück wünschen. Denn nach wie vor bist du wichtig für ihn, auch wenn du dich wie ein asoziales Arschloch verhältst.“
 

„Ich gehe zurück an die Arbeit“, kam es mürrisch von Kaiba.
 

„Du ertränkst deine Probleme in Arbeit, was? Du machst es dir ganz schön einfach, denn wenn du sagst, dass du arbeiten musst, ist das die perfekte Ausrede, warum du solchen Gesprächen aus dem Weg gehen kannst. Feigling.“
 

„Ha! Ich bin kein Feigling! Aber im Gegensatz zu dir habe ich einiges zu tun und keine Zeit, hier Däumchen zu drehen.“
 

„Kaiba-kun... ich möchte gern mehr Zeit mit dir privat verbringen. Lass es uns doch wenigstens versuchen. Sei doch nicht direkt eingeschnappt, dadurch wird es nicht besser“, erklärte Yuugi und setzte sich wieder auf die Coach und griff nach seiner Tasse, darauf hoffend, dass Kaiba es ihm gleichtat und sich nicht wieder in Arbeit flüchtete.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Glamorous91
2018-06-03T18:12:32+00:00 03.06.2018 20:12
Man merkt dass sich Yugi in deiner Geschichte noch sehr ruhig und schüchter, gibt er nun Kaiba richtig Konter.
Einfach genial geschrieben :)
Man kann förmlich die angespannte Situation spüren.
Lg Jessy
Von:  RandaleEiko
2018-06-03T14:39:05+00:00 03.06.2018 16:39
Huhu ^^° hab lange kein Kommi mehr geschrieben. Bei mir ist grade ganz schön viel los derzeit, sorry. Diesmal hat yuugi zum Ende hin aber eine deutliche Ansage gemacht. Kaiba macht mir den Eindruck als würde er nie Begreifen wollen/können was Yuugi ihm sagt. Mal sehen wie sich der gute Kaiba weiterhin so macht.
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende und einen guten Start in die nächste Woche
RandaleEiko c:


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