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Spherium

Kaiba/Yuugi
von

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Kapitel 11

Auf dem Rückweg von Kaibas Firmengelände konnte Yuugi nicht anders, als sich einen Moment lang umzudrehen und das riesige Gebäude wehmütig zu betrachten. Die gläserne Fassade glänzte im Sonnenlicht, wodurch das Hochhaus noch imposanter wirkte. Schon immer wusste Yuugi, dass Kaiba in Wirklichkeit ein zerbrechlicher Mann war, der versuchte seine Schwächen hinter einer Maske von Unantastbarkeit zu verbergen, doch dass dieser heute seine wahre Seele zeigte und ihn nicht aus seinem Leben ausgrenzte, machte Yuugi so froh, dass er gar nicht wusste, was er mit diese ganzen aufkeimenden Gefühlen tun sollte. Nicht nur, dass endlich Spherium realisiert werden konnte, stimmte ihn glücklich, nein, am meisten freute ihn, dass er Kaiba als Menschen näher gekommen war.
 

Das, was zwischen ihnen passiert war, lag in der Vergangenheit und er wollte niemals wieder daran denken, was für ein Mensch Kaiba gewesen war. Menschen, die Schlechtes taten, waren schlimme Dinge widerfahren. Kaiba war kein schlechter Mensch und Yuugi weigerte sich zu glauben, dass man Menschen in Kategorien sortieren konnte. Seinem besten Freund Jounouchi ging es ja ähnlich. Jounouchi war ein liebenswerter und fürsorglicher Junge, dessen Schrei nach Liebe und Aufmerksamkeit nie gestillt wurde. Diese Ablehnung von seiner Familie und von den Menschen in seiner Umgebung hatten ihn verändert und er baute eine Mauer aus Eis um sich herum, kapselte sich ab und ließ seinen Frust an anderen aus. Obwohl Jounouchi nie offen über seine Vergangenheit sprach, hatten die Begegnungen mit Hirutani und das, was Yuugi an Gesprächen mitbekommen hatte, ausgereicht, um sein Bild über den Blonden positiv zu beeinflussen.
 

Irgendwie konnte Yuugi es ja auch verstehen. Für einen heranwachsenden Jungen war die Anerkennung und die Liebe seines Vaters das Wichtigste auf der Welt. Yuugi wurde ganz komisch, da er sich unweigerlich an seinen eigenen Vater erinnerte, der mehr Interesse an seiner Arbeit als an seinem eigenen Sohn gezeigt hatte. Genau genommen betrachtete Yuugi seinen Vater als einen Menschen, der nicht greifbar für ihn war. Seine wahre männliche Bezugsperson war sein Jii-chan und niemand anders!
 

„Hohohoho!“, lachte der bärtige Mann mit seiner bunten Stachelfrisur. Es amüsierte ihn sehr, dass sein kleiner Enkel Spaß daran hatte, in seiner Wohnung herumzulaufen und glücklich lachte, wenn er etwas Interessantes fand. Viel an Reaktionen zeigte der Kleine nicht. Manchmal fragte er sich, ob Yuugi sich normal entwickelte, da er bei Gleichaltrigen entweder weglief und anfing zu weinen oder er stand beinahe regungslos neben den anderen Kindern und traute sich nicht etwas zu sagen. Da machte man sich schon Sorgen.
 

Seine Schwiegertochter Ayumu war nie um Wörter verlegen und sagte immer das, was sie meinte. Und sein Sohn war zwar sehr ernst und strebte nach einer großen Karriere, aber auch er gehörte nicht zu der stillen Sorte. Im Gegenteil, wenn ihn etwas störte, sprach er es offen aus, ohne Rücksicht auf die Gefühle seines Gegenübers. Nun vermutlich war das auch Sugorokous eigener Verdienst... Dass ausgerechnet ihr Sohn so schüchtern und zurückhaltend war, konnte er sich nicht erklären.
 

Seine Rückkehr aus Ägypten lag nun zwei Monate zurück. Es war immer noch völlig ungewohnt für ihn ein normales Leben zu führen. Eine normale Arbeit. Morgens aufstehen und zur selben Zeit ins Bett. Aber das war nun mal sein Wetteinsatz gewesen. Jetzt musste er sich seiner Familie widmen, die die letzten Jahre nur über Postkarten von ihm gehört hatte. Immerhin war er ein Meisterspieler. Ein Gambler, der sich weltweit einen Namen gemacht hatte und jedes Glücksspiel gewann. Jedes noch so schwierige Rätsel löste er problemlos und es gab kein Brettspiel auf der Welt, das er nicht kannte.
 

Dass ausgerechnet die Grabstätte eines lange verstorbenen Pharaos seine Glückssträhne beenden würde, konnte er noch immer nicht so recht glauben. Nicht, dass er ein wirklicher Glücksspieler war, aber Glück und Können machten einen guten Gamer aus. Er selbst nannte sich Gamer, der Rest der Welt gab ihn viele verschiedene Namen und er war eine Legende in seiner Szene. Es gab nur einen Mann, gegen den er verloren hatte. Aber er akzeptierte seine Niederlage. Ein wahrer Gamer konnte sowohl Sieg als auch Niederlage akzeptieren und aus beidem neue Erfahrungen gewinnen. Plötzlich hörte er das kleine Kind weinen. Bei seiner Erkundungstour hatte er eine hübschen Tischläufer von einem Schrank gesehen und diesen herunter gezogen, sodass ein goldenes kleines Kästchen auf ihn gefallen war. Panisch lief Sugorokou zu ihm und nahm ihn auf den Arm.
 

„Alles gut! Nicht weinen!“, sprach er dem Kind gut zu, doch es hörte nicht auf und schluchzte immer lauter. Jetzt war er etwas überfordert. Er wollte nicht, dass seine Stieftochter aus der Küche hierher kam und ihn zurechtwies, weil er seine Aufsichtspflicht verletzt hatte. Die Frau konnte schimpfen wie ein Weltmeister. Wäre dies ein Spiel gewesen, hätte sie ihn locker besiegen können. In seiner Panik öffnete er die goldene Kiste und er entnahm ein glänzendes kleines Teil aus dieser, das aussah wie ein Puzzlestück. Sofort beruhigte sich Yuugi und versuchte danach zu greifen.
 

„Dafür bist du noch zu jung!“, sagte er und wippte den Kleinen beruhigend auf seinem Arm hin und her. Obwohl er ihm das Teil nicht geben wollte, kämpfte Yuugi weiter und griff nach den großen Händen seines Großvaters, dessen Kraft unüberwindbar schien. Einmal mehr bildeten sich Tränen in seinen Augen, seine Unterlippe bebte und es sah so aus, als würde er jeden Moment wieder anfingen bittere Tränen zu vergießen, also blieb Sugorokou keine Wahl und er seufzte resigniert auf. Er öffnete seine Handfläche und überließ Yuugi das Puzzlestück. Hoffentlich nahm er das Teil nicht in den Mund und verschluckte sich daran, denn dann würde ihm Yuugis Mutter die Hölle heißmachen. Außerdem könnte er sich selbst nicht verzeihen, würde seinem Enkel etwas geschehen.
 

Unerwarteterweise drehte und wandte der Junge das Teil nur in seinen Händen, hielt es gegen das Licht der Lampe und gab glucksende Geräusche von sich. Seine Augen strahlten. Er schien unglaublich begeistert von diesem Teil. Ein sanftes Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Mannes, doch es wurde überschattet von einer Frage, die ihn quälte. Bis heute fragte sich Sugorokou warum er dieses Kästchen mitgenommen hatte. War es Schicksal? Wollte diese geisterhafte Gestalt, die die Krone eines Pharaos trug und ihn damals das Leben rettete, dass er dieses Kästchen und die damit verbundenen Pflichten an einen Auserwählten übergab? War ausgerechnet Yuugi dieser Auserwählte?
 

»Selbst wenn, er muss das Puzzle erst mal lösen, bevor er zum Auserwählten wird. Bis dahin ist er sicher.«, beruhigte er sich selbst und drückte dem Kleinen einen dicken Kuss auf die Wange, welcher nur leicht angewidert das Gesicht wegdrückte, da ihn der Bart zu stören schien. Yuugi war gerade mal zwei Jahre alt, also hatte er noch genügend Zeit, um sich auf die kommenden Proben und Aufgaben als Auserwählter vorzubereiten. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.
 

„Vater, du verhätschelst ihn viel zu sehr. Wenn du das tust wird er noch zum Weichei, der nichts im Leben erreicht.“
 

„Yuusuke? Du bist zu Hause? Wie schön, dich wiederzusehen.“, gab der Ältere von sich und tat so, als hätte er die Anschuldigungen gar nicht gehört.
 

„Wie macht Yuugi sich? Ist er immer noch so still? Für einen Zweijährigen weint er auch viel zu viel...“, erklärte er und lockerte seine Krawatte.
 

„Das ist doch völlig normal. Er ist halt ein etwas ruhigeres Kind. Das macht ihn nicht anders.“, erwiderte er und ließ zu, dass Yuugi von ihm runterging und sich einmal mehr dem goldenen Kästchen widmete. Yuugi nahm mehrere Teile in die Hand, legte sie nach wenigen Augenblicken jedoch zurück ins Kästchen und lief auf seinen Vater mit weit aufgerissenen Armen zu. Dass der Junge umarmt werden wollte, wäre für jeden offensichtlich gewesen. Yuusuke legte nur den Kopf schief, legte beinahe abwertend eine Hand auf Yuugis Kopf und begab sich wortlos in die Küche, wo er mit seiner Frau laut über etwas zu reden schien. Verwundert sah Yuugi ihm hinterher. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht verstand, wieso sein Vater ihn nicht auf den Arm genommen hatte. Doch er sagte dazu nichts und suchte erneut nach Ablenkung.
 

Yuusuke war streng und erwartete viel von seinem Kind. Sugorokou schluckte hart. Wäre er zuhause gewesen und hätte sich besser um seinen eigenen Sohn gekümmert, hätte dieser sich vielleicht ganz anders entwickelt. Offener und liebevoller. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war deutlich angespannt. Immerhin war er jahrelang unterwegs gewesen. Seine verstorbene Ehefrau hatte sich ganz allein um Yuusuke gekümmert. Er konnte es ihm nicht einmal vorwerfen, dass er kein Interesse an seinem Vater hatte und sich nicht für Spiele begeistern konnte, da Sugorokou selbst wusste, dass es seine eigene Schuld war. Hätte er sein eigenes Kind nicht hinten angestellt und sich mehr um seine Familie als um seine Karriere als weltbekannter Gambler gekümmert, wäre vieles sicherlich anders verlaufen.
 

Er warf einen Blick auf Yuugi, der nun begeistert mit einem Wachsmalstift auf einem weißen Blatt Papier kritzelte. Sugorokou stockte der Atem. Yuugi malte einen großen weiten Kreis und schien seinen Großvater zu mustern, nickte sich dann selbst zufrieden zu und nahm einen anderen Stift in die Hand, mit dem er so etwas Barthaare zu malen schien und einen Stern um den Kreis malte. »Dieses Mal mache ich es besser...«, schoss es ihm durch den Kopf, als er den Kleinen da malen sah. Es kostete ihm eine Menge Kraft, nicht auf den Kleinen zuzulaufen und ihn fest in den Arm zu nehmen. Dass Yuugi noch viel zu jung war, um sich an den heutigen Tag oder gar seinen Vater zu erinnern, wusste er, trotzdem brannte sich dieser Moment in seinem Herzen ein. Er würde alles tun, um dem Jungen ein guter Großvater zu sein.
 

Die Jahre vergingen und Yuusuke kam immer seltener nach Hause. Sugorokou übernahm die Pflichten eines Vaters und die Liebe, die er seinem Enkel schenkte, blieb nicht unerwidert. Das einzige, das ihm Sorgen bereitete, war, dass Yuugi trotz seiner sieben Jahre extrem schüchtern war und nicht allzu viel über sich erzählte. Auch wenn er es nicht oft zeigte, wusste Sugorokou, dass Yuugi in der Grundschule keinen Anschluss fand. Manchmal saß er einfach nur in seinem Zimmer und spielte vor sich hin, wortlos. Wenn man ihn fragte, was er in der Schule erlebt hatte, erzählte er nur das Nötigste. Wenn man ihn fragte, wie es ihm ging, sagte er nur, dass alles in Ordnung sei. Der alte Mann erkannte sofort, dass Yuugi etwas verschwieg. Sugorokou befürchtete, dass Yuugi in seiner Klasse ein Außenseiter war, der vielleicht sogar gemobbt wurde.
 

Es war an einem Freitag im April, als Yuusuke nach vielen Monaten nach Hause kam und Sugorokou ihn zur Rede stellte. Da ihre Beziehung zueinander seit Jahren vertrackt war und sie nicht sonderlich gut aufeinander zu sprechen, kam es, wie es kommen musste, die beiden Männer fingen zu streiten an. Wie so oft ging es darum, dass Yuusuke sich viel zu wenig mit seiner Familie auseinandersetzte und dass auch Yuugi darunter litt. Dieser interessierte sich nicht für die Vorwürfe des mittlerweile ergrauten Mannes.
 

„Du hast gut reden! Du bist der Letzte von dem ich Tipps zur Erziehung annehmen würde, Vater! Denkst du, dass du all die verpasste Zeit wieder gutmachen kannst? Du warst nicht da, als wir dich brauchten und es ist deine Schuld, dass Yuugi so ein Versager ist!“
 

„Er ist kein Versager! Yuusuke!“, kam es fast bedrohlich über seine Lippen und er kniff die Augen kurz zusammen, versuchte sich seine Wut nicht anmerken zu lassen und die Kontrolle zurückzuerlangen. Ein Gamer zeigte nicht sein Blatt. Da er bereits fünf Jahre nicht mehr aktiv spielte und keine Rekorde mehr aufstellte, war sein Ruhm nichts weiter als eine Erinnerung aus der Vergangenheit, doch die Erfahrungen, die er damals gesammelt hatte, waren nun äußerst nützlich.
 

„Er ist verdammt noch mal sieben! Nur weil er etwas stiller ist als die anderen Kinder, heißt das nicht, dass nichts aus ihm wird!“
 

„Ja, weil du ihn mit deinen bescheuerten Spielen verdirbst! Aus ihm soll etwas Anständiges werden! Vater, Spiele haben nichts im realen Leben zu suchen. Denkst du, dass man mit Spaß allein seinen Lebensunterhalt verdienen kann? Du bist doch das beste Beispiel!“, schrie er ihm entgegen und schlug so kräftig auf den Tisch, dass dieser wackelte. Sugorokou erhob sich. Der Kame Game Shop warf nicht sonderlich viel ab. Eigentlich machte der Laden mehr Kosten und er konnte es sich gar nicht leisten, diesen weiterzuführen. Die Lebensversicherung seiner verstorbenen Frau war der Hauptgrund, warum er den Laden noch nicht geschlossen hatte.
 

„Arbeit ist nicht alles im Leben, Yuusuke!“
 

„Halt deinen Mund! Was weißt du schon vom echten Leben? Ich hätte ihn niemals diesen Namen gegeben, aber weil Mutter dich so sehr liebte, wünschte sie sich, dass wir ihn so nennen! Yuugi?! Was ist das denn für ein dummer Name! Ich wollte ihn Takeru nennen!“
 

„Willst du sagen, dass der Name Schuld an seiner Entwicklung sei?!“
 

Jetzt war Sugorokou so wütend, dass er ein Pokerface nicht mehr aufrecht erhalten konnte.
 

„Was denn sonst? Ein Name ist ein Schicksal und mit so einem Namen kann ja nichts aus ihm werden, da musste ja so was bei raus kommen!“
 

„So was?!“, wiederholte der Ältere ungläubig und hörte sein Blut in den Ohren rauschen.
 

„Er ist dein Sohn! Wenn irgendetwas Schuld daran hat, dass er so schüchtern ist, dann ist es dein Verhalten ihm gegenüber! Weil du ihn vernachlässigt und er ohne dich aufwachsen muss! Natürlich fehlt ihm etwas!“
 

Mittlerweile brüllten die beiden Männer so laut, dass sicherlich schon die Nachbarschaft die Konversation mitverfolgen konnte. Ayumu befand sich im Nebenzimmer. Sugorokou tat es leid, dass sie das hier mitanhören musste.
 

„Wie kannst du es wagen mir Vorwürfe zu machen?“
 

Die Worte seines Sohnes trafen ihn mitten ins Herz. Der Gedanke, dass Yuusuke ihn verabscheute und ihm dies so direkt ins Gesicht sagte, schmerzte so sehr, dass er um Fassung rang. Das Schlimmste war, dass er Recht hatte. Sugorokou war nicht da, als Yuusuke ihn brauchte. Das neueste Turnier oder eine Ausgrabung eines alten Grabes war wichtiger als der Geburtstag seines eigenen Kindes und es war vollkommen egal, wie sehr er beteuerte, dass es ihm leidtat, denn Worte allein änderten nichts. Es waren Taten, die etwas veränderten und es gab keine Magie, die die Vergangenheit veränderte. Nichts konnte die Fehler der Vergangenheit ausbügeln und er musste zu dem stehen, was er angerichtet hatte.
 

Eigentlich wusste er es ja schon immer. Die Art wie Yuusuke ihn ansah. Wie verhalten er mit ihm sprach. Sugorokou war der letzte, der davon erfuhr, dass sein Sohn geheiratet hatte und seine Frau bereits schwanger war. Dass seine Frau verstorben war, gab ihm nur noch mehr Anlass, die Welt zu bereisen, da er Ablenkung brauchte. Ablenkung von seinen Fehlern, vor denen er weglief. Ja, er flüchtete vor seiner Verantwortung und nahm jede Herausforderung an. Er machte sich einen Namen und wurde zu einer Legende, doch der Preis, den er dafür zahlte, war zu hoch. Doch er war zu egoistisch, um dies zu erkennen. Die Aufregung vor einem neuen Spiel reizte ihn mehr. Ein uraltes Pharaonengrab zu erkunden und dabei zu sein, wenn eine Tür aufgebrochen wurde, interessierte ihn mehr, als die Frage, was sein Sohn zuhause gerade machte.
 

Er konnte nicht ändern, so gedacht zu haben, doch er bereute es. Er hätte da sein müssen.
 

„Was ist denn los? Fehlen dir die Worte, >Vater<?“
 

Die Verachtung in diesem Wort durchbohrte ihn wie ein Pfeil. Er keuchte nur, suchte nach den richtigen Worten, wohl wissend, dass es nichts gab, das er erwidern hätte können.
 

Als er seinen Kopf hob, sah er seinen kleinen Enkel, der vorsichtig aus dem Türspalt hinein linste. Seit wann stand er da? Wie viel hatte er gehört? War das überhaupt wichtig? Immerhin stritten die beiden in solcher Lautstärke, dass es vollkommen unwichtig war, wo sich Yuugi befand. Er hätte so oder so mitbekommen, was hier gesagt wurde.
 

„Ich weiß, dass ich kein guter Vater war... aber ich habe mich verändert! Und du solltest deinen Frust nicht an mir auslassen. Hier geht es um dein Kind, das dich jetzt braucht. Wenn du doch weißt, wie schlimm es ist, wenn der Vater nicht da ist, solltest du meinen Fehler nicht wiederholen.“, erklärte er dann und wollte gerade weiter sprechen, als sein Gegenüber einfach aufstand und das Zimmer verlassen wollte. Für einen Moment zögerte er, als er seinen Sohn vor der Tür sah, der einfach nur regungslos vor ihm stand, aber keinen Mucks von sich gab. Selbst jetzt blieb er ruhig.
 

„Yuugi, möchtest du nicht etwas sagen?“
 

Yuugi senkte nur den Kopf und zupfte aufgeregt an dem Oberteil seines Pyjamas herum, mit seinen Blicken schien er nach Hilfe zu suchen. Er wusste nicht, was er sagen sollte und war sichtlich überfordert mit der Situation. Es dauerte nicht lang, bis die ersten Tränen ihren Weg nach draußen fanden und er leise vor sich hin schluchzte.
 

„Dachte ich's mir doch.“, murmelte Yuusuke und lief an Yuugi vorbei. Absolut fassungslos stand Sugorokou inmitten des Raumes und starrte in den Flur, zuckte zusammen, als er die Haustür zuknallen hörte. Für einen winzigen Moment blendete er die Umgebung aus und er fragte sich, was er anders hätte machen sollen, doch das laute Geschluchze seines Enkels rief ihn zurück in die Realität. Jetzt war nun wirklich keine Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen. Hastig lief er auf den Kleinen zu und legte seine Arme um ihn. Der Kleine krallte sich an ihn und wimmerte leise vor sich hin.
 

„Warum ist Vater gegangen?“, brachte er unter Tränen heraus. Seine Stimme war brüchig, der kleine Yuugi kämpfte mit seiner Fassung und es war deutlich zu hören, wie sehr er sich quälte.
 

„Keine Sorge, Yuugi -“, bevor es weitersprechen konnte, unterbrach der Kleine ihn.
 

„Es ist meine Schuld, stimmt's?“
 

Sugorokou zerbarst sein Herz und er drückte den kleinen bebenden Körper noch näher an sich, presste sein Gesicht in dessen Halsbeuge und legte eine Hand liebevoll auf dessen Kopf, streichelte sanft sein Haar und wartete darauf, dass Yuugi sich wieder beruhigte. Daraufhin drückte er den Kleinen wieder von sich und zwang sich zu dem schönsten Lächeln, das er aufbringen konnte.
 

„Nein, es ist alles in Ordnung. Nur dein dummer Jii-chan hat Blödsinn gemacht!“, dann spielte er ihm ein Lachen vor. Doch Yuugi glaubte ihm nicht. Er wusste, dass er der alte Mann log und er machte sich Vorwürfe, weil er nicht der Sohn sein konnte, den sein Vater von ihm verlangte zu sein.
 

Yuugi befürchtete, dass sein Vater nicht mehr wiederkommen würde. Und tatsächlich kam Yuusuke noch seltener nach Hause, vermied den Kontakt mit seinem Vater und seinem Sohn. Der Sohn, der seinem eigenen Vater so sehr aus dem Gesicht geschnitten war. Wieso nur musste er ausgerechnet ihm so ähnlich sein? Die Wut, die er seinem Vater gegenüber empfand, war so tief verwurzelt, dass er unbewusst begann, eine gewisse Ablehnung seinem eigenen Kind gegenüber zu empfinden. Über die Jahre hinweg, sahen sie sich nur noch selten. Und wenn sie sich sahen, taten sie so, als wäre alles in Ordnung.
 

Bis heute fragte sich Yuugi insgeheim, ob es nicht doch seine Schuld war. Auch wenn sein Großvater ihm etwas anderes erzählte, so war Yuugi mittlerweile kein Kind mehr. Er war bereits 24 und sein Verhältnis zu seinem Vater nicht gerade gut. Da war kein Hass zwischen ihnen und Yuugi beschwerte sich auch nie, immerhin hatte er seine Mutter und seinen geliebten Großvater an seiner Seite. Dass sein Vater ihn verlassen hatte, schmerzte ihn, aber er war dennoch glücklich. Dieser Tag verstärkte jedoch Yuugis Angst vor Verlusten und beeinflusste auch Jahrzehnte später seine Persönlichkeit.
 

Als er ihm von seinem Plan erzählte, eigene Spiele zu schaffen und ihm stolz von Spherium berichtete, hatte er nichts weiter übrig für ihn als ein müdes Lächeln. Yuugi erkannte sofort, dass er dies nicht ernst meinte und als er ihn fragte, warum er sich nicht für ihn freuen konnte, stieß er einen langen Seufzer aus und stellte ihm eine Gegenfrage: Wie kam Yuugi auf die absurde Idee, dass er von seinen Spielen leben konnte?
 

Die harsche Kritik seines Vaters war niederschmetternd. Yuugi hatte zwar nichts gesagt und sich sehr darum bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, doch der Schock über diese klare Ablehnung saß tief. Als sein Vater wie gewohnt das Haus ohne Abschied verließ, blickte Yuugi seinem Auto noch einige Minuten hinterher. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Tränen, die er schnell abschüttelte.
 

Auch wenn es wehtat, so wollte er nicht hier herumsitzen und weinen, immerhin wusste er von Anfang an, dass dieses Gespräch so ausgehen würde und außerdem wollte er nicht aufgeben. Atem hätte auch nicht aufgegeben und gekämpft. Vor seinem geistigen Auge sah er seinen Freund, der wie ein Bruder für ihn war, der im Licht verschwand und ein letztes Mal die Hand hob, mit dem Daumen nach oben. Dieses Bild hatte sich in seinen Verstand gebrannt. Immer wenn er Aufmunterung brauchte, dachte er an diese Geste und das, was Atem ihnen vermutlich mitteilen wollte.
 

Auch wenn es mal bergab ging, irgendwann ging es wieder hoch. Er würde seinem Vater beweisen, dass Spiele mehr waren als nur Spaß. Dass man davon leben konnte. Leben verändern und bereichern. Mit der Kooperation zwischen Kaiba und ihm würde er nicht nur seinem Dozenten, der sich über ihn lustig gemacht hatte, sondern sämtlichen Kritikern, seinen Vater eingeschlossen, beweisen, dass Spherium ein gutes Spiel war. Yuugi wollte nicht mehr zweifeln.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Yuugis Vater wird im Manga nie erwähnt. Der Autor des Mangas erwähnte lediglich einmal in einem Interview, dass Yuugis Vater nie zuhause und immer arbeiten sei, woraus ich meine eigenen Schlüsse gezogen habe. Ich habe mir die Freiheit genommen, seinen Vater zu interpretieren und ihm eine Persönlichkeit zu geben.

Um Yuugis Charakter weiter aufzubauen und vor allem weiter auszubauen; und eine Begründung für seine Ängste und Unsicherheit zu finden (die Angst vor dem Versagen und davor, andere zu enttäuschen) war es mir wichtig, die Beziehung zu seinem Vater aus meiner Sichtweise zu erläutern, um somit seine Ängste ein bisschen weiter zu thematisieren.

Yuugis Mutter hat keinen Namen, ich habe sie einfach Ayumu genannt. Ayumu bedeutet in etwa so viel wie Der Weg der Vision, da sie eine genaue Vorstellung dessen hat, wie Yuugi sich entwickeln soll. Yuugis Vater hat den Namen Yuusuke bekommen, da ich einen Namen wollte, der wenigstens teilweise dem des Sohnes ähnelt.

Als Yuugis Vater meint, dass er seinen Sohn lieber "Takeru" nennen wollte, hat dies eine tiefere Bedeutung. Takeru bedeutet Krieger/Kämpfer. Jungen bekommen diesen Namen, damit sie zu starken Männern heranwachsen. Yuugi ist japanisch und bedeutet Spiel. Der Name allein erinnert Yuusuke daran, dass sein eigener Vater nie da war und sich nun in sein Leben gedrängt hat.

Yuugi ist im Manga weitaus besser charakterisiert als im Anime. Yuugi ist introvertiert, ängstlich und traut sich oft nichts zu sagen und auch am Ende des Mangas, betitelt sich Yuugi als "Weichei" und fällt vor Atem auf die Knie, bricht sogar in Tränen aus. Wir können davon ausgehen, dass Yuugi nicht seine Ängste einfach ablegt, denn diese sind Teil seiner Persönlichkeit. Yuugi wird niemals so sein wie Atem und das ist gut so.

Das japanische Darkside of Dimensions spricht Yuugis Verlustängste und seine Unsicherheit sogar mehrmals an und Jounouchi weiß sofort warum Yuugi seine Karten so nah am Herzen trägt und den Blick senkt, was ihn belastet, weil Jounouchi genau weiß, dass Yuugi von Natur etwas unsicher ist und nicht gut mit Verlusten umgehen kann. Auch in Darkside of Dimensions wird deutlich, dass Yuugi diese Ängste noch nicht überwunden hat und diese auch irgendwo immer in ihm sein werden und genau dies möchte ich in dieser Geschichte thematisieren: Ängste. Verluste. Angst vor dem Versagen und den Konsequenzen und sich seinen eigenen Problem zu stellen und Schwächen zuzulassen. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Jitsch
2018-08-04T20:02:10+00:00 04.08.2018 22:02
Die Familiensituation hast du hier echt gut herausgearbeitet und es passt mit dem zusammen was man aus der Serie an (wenigen) Informationen bekommt. Auch wie es Yugis Charakter beeinflusst hat finde ich überzeugend. Und es ist irgendwie sehr süß dass er schon so früh eine "Bindung" zum Millenniumspuzzle aufgebaut hat.
Ich muss aber sagen dass man sich vermutlich etwas abgehängt fühlt wenn man den Manga nicht kennt und mit manchen Namen, z.B. Hirutani, nichts anfangen kann. Andererseits beschreibst du ja indirekt Yugis Gedankgengänge und der würde sich nicht extra noch mal ins Gedächtnis rufen wer das noch mal ist.
Ich war etwas verwirrt wegen Yugis Mutter, weil ich irgendwie überzeugt war, ihr Name wäre Ashita. Aber anscheinend habe ich mir den Namen entweder selbst ausgedacht (wobei mich das wundern würde) oder irgendwo etwas falsches aufgeschnappt.
Ayumu ist ja ein geschlechtsneutraler Name was ich eine interessante Wahl finde. Wobei sie ja schon sehr durchsetzungsfähig ist, also passt das vermutlich.
Von:  Glamorous91
2018-03-03T15:12:20+00:00 03.03.2018 16:12
Mir kamen bei dem Kapitel echt die Tränen. Man konnte die Emotionen von Yugi förmlich spüren auf den Bezug von seinem Vater.
Leider gibt es ja wirklich solche eltern. Bekomme sowas leider ja im Bekanntenkreis mit :( seid ich selber kinder habe bin ich bei sowas ja eh total emotional.


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