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Sünde

von

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Melanie

Als ich wieder wach wurde, fiel goldenes Sonnenlicht in breiten Bahnen ins Zimmer. Ich streckte mich und reckte die Arme nach oben, um wacher zu werden. Doch mitten in der Bewegung erstarrte ich plötzlich. Meine Hände waren leer!

Erschrocken riss ich die Augen auf und versuchte, mich hinzusetzen, doch zwei starke Hände drückten mich wieder in die Kissen. „Brr, immer langsam mit den jungen Pferden.“ Gregs Stimme war ganz nah an meinem Ohr und endlich konnte ich den Schlaf genügend weg blinzeln, um sein Gesicht klar zu erkennen. Er hatte dicke, schwarze Ringe unter den Augen und seine Haut war aschfahl, doch auf seinen Lippen lag ein schiefes Lächeln, das mich aufatmen ließ.

„Du bist noch hier.“ Meine Stimme klang kratzig und mein vom vielen Erbrechen wunder Hals schmerzte höllisch. Außerdem fühlte es sich an, als wären meine Mandeln geschwollen. Ich versuchte zu schlucken und verzog das Gesicht.

Greg setzte sich neben mich aufs Bett und hielt mir ein Wasserglas entgegen. „Hier, trink das.“ „Was ist das?“ Die Flüssigkeit im Inneren war pissegelb und schien eiskalt zu sein. Die Außenseite des Glases war beschlagen und ich sah kleine Eiswürfel in dem Getränk umher schwimmen. „Einer von Paps’ Vitamin-Drinks.“

„Muss der so kalt sein?“ „Ja. Das soll gegen die Schwellung in deinem Hals helfen.“ Kleine Wassertropfen stahlen sich unter den Fingern meines Bruders hervor und rollten das Glas entlang, bis sie am unteren Ende herab fielen. „Na schön.“ Folgsam nahm ich das Getränk entgegen und stürzte es in einem Zug hinab, obwohl mir eh schon kalt war. Greg lächelte mich breit an und nickte. „So ist es brav.“

„Warum hast du meine Hand los gelassen?“ Die Frage rutschte mir einfach raus, ohne dass ich vorher darüber nachgedacht hatte. Ohne mich anzusehen, nahm Greg mir das Glas wieder ab und stellte es auf meinen Nachtschrank, bevor er nach etwas griff, das er an das Fußende meines Bettes gelegt hatte. „So, jetzt bindest du dir das hier noch um und dann sind deine Halsschmerzen bald weg.“

Er hielt mir ein schwarzgrün gemustertes Palästinatuch hin, das ich sofort wiedererkannte. Es war dasselbe Halstuch, das ich ihm vor zwei Jahren in London gekauft hatte. Argwöhnisch nahm ich das weiche Stück Stoff entgegen und fragte mich, ob das ein eleganter Versuch war, mir ein unbeliebtes Geschenk zurück zu geben. Doch als ich das Tuch umwickelte, bemerkte ich, dass es nach Greg roch. Der Geruch war einfach zu intensiv, um von einem ungetragenen Kleidungsstück auszugehen.

Als Greg mein glückseliges Lächeln bemerkte, kehrte sein schiefes Grinsen zurück. „Ich glaub, ich hab mich dafür noch gar nicht bei dir bedankt.“ „Nein, hast du nicht.“ „Schande über mich. Also: Vielen Dank für dieses wunderbare Pali-Tuch, Schwesterherz.“ „Gefällt’s dir wirklich?“ „Auf jeden Fall. Ich würde sagen, ich hab’s fast täglich getragen.“

Obwohl er mich so breit anlächelte, dass er dabei eine Reihe seiner starken, weißen Zähne entblößte, hatten seine Augen irgendwie einen wehmütigen Glanz, der mich irritierte. Doch bevor ich nachfragen konnte, fiel mir eine andere Frage ein, die er mir noch nicht beantwortet hatte. „Warum hast du meine Hand los gelassen?“, wiederholte ich mit einer Stimme, die selbst in meinen Ohren ungeduldig klang.

Ein amüsierter Ausdruck glitt über Gregs Gesicht. „Kannst du dir das nicht denken? Ich musste mal austreten. Außerdem war mir die Hand eingeschlafen und tat weh.“ „Oh...“ Ich biss mir auf die Unterlippe und schämte mich ein wenig dafür, dass ich gedacht hatte, er hätte sich womöglich von mir gelöst, weil meine Berührung ihn anekelte.

Aber irgendwie war er mit seinem Verhalten vom vorherigen Tag ja selbst schuld daran, dass ich solche Gedanken hatte... Trotzdem hatte ich plötzlich das Gefühl, ich hätte ihm schrecklich unrecht getan.

Doch bevor ich mich für meinen drängelnden Ton entschuldigen konnte, stand Greg auf und streckte seinen langen Körper. „Bevor ich’s vergesse: Da hat ein Johannes für dich angerufen.“ Bei dem Gedanken an meinen Freund begann ich unwillkürlich zu strahlen. Aus irgendeinem Grund verdüsterte sich Gregs Gesichtsausdruck fast simultan.

Ein wenig irritiert zog ich die Augenbraunen zusammen, doch wieder kam mir mein Bruder zuvor: „Ich schick dir Mutter mit Frühstück hoch und leg mich dann schlafen. Ich bin hundemüde.“ Mit diesen Worten verschwand er schnellen Schritts aus meinem Zimmer, ohne eine Antwort abzuwarten. Für ein paar Herzschläge blickte ich ihm verwirrt hinterher, doch dann zuckte ich die Schultern, griff zu dem kleinen, schwarzen Schnurlostelefon, das auf meinem Nachtschrank lag und wählte Jos Nummer.



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