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Pretty Boy

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Teil 10- Familienbande

Pretty Boy
 

Teil 10- Familienbande
 

Da ist er. Der pinke Albtraum. Das Haus um den jeder Mensch bei klarem Verstand einen riesen Bogen machen würde. Doch genau da soll ich jetzt rein. Vorbei an den hohen Rosenbüschen, die in voller Pracht blühen. Vorbei an den kleinen Häschen Figuren, die den Eingang bewachen. Den künstlich angelegten Steinweg entlang der zum Eingang führt, bei dem man auch keinen Schritt daneben treten darf, sonst landet der Fuß auf einen der Sukkulenten. Alles sieht genauso aus wie immer, aber etwas hat sich dennoch verändert. Ich. Ich habe mich verändert. Wirklich erfassen kann ich es nicht, aber ich spüre es. Etwas an mir ist anders. Ich habe so viel gesehen, gehört, gefühlt. Vom Rande der tiefsten Erniedrigung, bis hin zum heißen aufregenden kribbeln. Vegas hätte nicht besser laufen können. Ich habe wieder Kontakt zu meinem einzigen Freund, nachdem ich kopflos nach Kalifornien abgehauen bin. Habe zwei neue Freunde besser kennengelernt und muss mich auch schon wieder an den Gedanken gewöhnen sie wieder gehen zu lassen, weil sie das Land verlassen werden sobald sie ihren Abschluss haben. Wurde begrapscht von einem Typen, den ich hoffentlich nie wieder sehen muss. Hatte meinen ersten und definitiv letzten Alkoholexzess. Wurde offiziell von den beiden zur daddel Königin geschlagen und habe sogar ein abscheuliches Souvenir im Nacken, dass von meinem Trip erzählt.

„Eins müssen wir noch klären bevor ich da rein gehe.“, sage ich unheilschwanger und schaue nach beiden Seiten zu ihnen hoch. Nein, ich ergreifen nicht wieder die Flucht, aber ihr Blick lässt vermuten, dass sie genau das gerade denken. „Wie bin ich in das Hemd gekommen in dem ich geschlafen habe?“

Sofort höre ich diverse laute. Haruno zieht die Luft durch die Zähne scharf ein und wendet sich verlegen am Kopf kratzend weg. Shiba räuspert sich und schaut lieber in den Himmel, während er seinen Mund mit der Hand verdeckt. Beide deutlich errötet um die Nasenspitze.

„Was soll denn diese Reaktion?“, stottere ich hektisch.

„Du willst nicht wissen wie du da rein gekommen bist.“, presst Shiba zwischen den Fingern durch, den Blick immer noch Richtung Himmel.

„Hey, hey! Du hast mit dieser ehrlichkeits Kiste anfangen wollen. Raus mit der Sprache!“, quietsche ich am Rande der Hysterie.

Sie drucksen ziemlich herum, bis Haruno endlich beginnt. „Du warst total voll gekotzt. So wollten wir dich natürlich nicht ins Bett stecken. Aber…“, zögert er erneut.

„Du wolltest dich nicht ausziehen. Da haben wir nachgeholfen.“, ergänzt Shiba trocken. „Du hast dich dabei ganz schön gewährt.“

„Hast immer irgendwas von wegen Zauberstab gerufen.“, mischt sich Haruno wieder ins Gespräch. „Das war ein ganz schöner Kampf, aber als es geschafft war bist du schnell eingeschlafen. Wir haben dir aber wirklich nur die Uniform ausgezogen.“, beschwört er mich mit erhobenen Händen die seine Unschuld bekräftigen sollen. „Wir waren selbst überrascht als morgens auch deine Unterhose am Fußende des Futons lag.“

Ich schlage die Hände vors Gesicht. Mein Herz wummert wie verrückt. Warum wollte ich es auch unbedingt hören? Ich glaube ohne diese ober mega peinliche Informationen hätte ich glücklicher gelebt. Ach, ich weiß warum... Ich hatte ein Fünkchen Hoffnung, dass ich mir Shibas Hemd doch selber angezogen hatte. Aber nein, ich muss wirklich jedes Fettnäpfchen mit nehmen. Verdammt, mein Herz. Ich glaube das explodiert gleich. Verdammt! Verdammt! Verdammt! Ich sacke etwas in die Knie. Taub geben sie nach. Scheiße! Scheiße! Scheiße! Kann es einfach nicht fassen. Das kann doch nicht wirklich passiert sein?! Sie haben mich ausgezogen. Zu zweit. Halb Nackt! Ich will schreien und heulen, lachen und toben. Das ist nicht wahr! Bitte, bitte nicht! Alles in mir kribbelt wahnsinnig unangenehm. Ist das ein Herzinfarkt? Bin ich dafür nicht zu jung?

Eine Hand legt sich auf meine Schulter und tätschelt mich ein wenig unbeholfen. Schlapp sehe ich hoch und Blicke in Shibas deutlich errötetes Gesicht. Wessen Gesicht hat wohl mehr Farbe? Ich weiß nicht mal ob meins tief rot oder leichenblass ist. Ich möchte gerade einfach nur durchdrehen und gepflegt sterben gehen. Erneut. Diesmal hat mein Grabstein aber eine andere Gravur. Jetzt steht da nur noch‚ 'Er wollte es ja wissen, der Idiot‘.

Mit deutlich zitternden Beinen richte ich mich auf. Jetzt landet auch Harunos Hand auf meiner Schulter. Freundlich lächelt er mich an. Nicht eins seiner aufgesetzten Lächeln, die er immer den Mädels schenkt, sondern ein ehrlich warmes. „Nicht wieder abhauen.“, rät er mir. „Wir machen kein großes Ding daraus. Vergiss es einfach. Du warst sowieso nicht Herr deiner Sinne.“

„Ja, aber… Ich… Ihr … Ich meine…“, stottere ich wirr.

Er nimmt mein Gesicht behutsam in beide Hände und legt seine Stirn an meine. „Ssssssch…“, haucht er ruhig. „Atme mit mir.“

Irritiert blinzle ich. Was soll das denn jetzt? Atmen? Das beherrsche ich schon seit über zwanzig Jahren perfekt, sonst würde ich ja nicht hier stehen. Was mich gerade mehr fertig macht ist seine nähe. Alles in mir drängt mich ihn von mir zu stoßen und gleichzeitig fest an mich zu drücken. In die Eier treten oder an seiner perfekten Nase knabbern. Jetzt bin ich komplett durchgeknallt oder? Warum ist das Leben so kompliziert?!

Ich höre seinen ruhigen tiefen Atem. Sachte streift er mein Gesicht. Allein der Klang wirkt beruhigend. Er zieht das wirklich durch. Ich ergebe mich und mache mit. Atme mit ihm zusammen tief ein. Zusammen wieder aus. Wieder ein. Aus. Mehrere male. Füge mich seinem Takt. Überraschenderweise tut das wirklich gut. Die schmerzen in meiner Brust sind abgeklungen. Meine Hände ruhen auf seinen, die gelassen meine Wangen umfassen. Die Augen geschlossen. Höre ihn. Höre mich. Alles andere scheint nicht zu existieren. Nur wir. Mein Puls ist ruhig. Das Kribbeln ist weg. Ich fühle mich überraschend wohl. Was hat er da mit mir gemacht? Ist das so was um Kinder ruhig zu bekommen wenn sie im Supermarkt nicht bekommen was sie wollen und schreien zu Boden gehen? „Was war das?“, wundere ich mich nachdem ich wieder bei Sinnen bin.

„Atmen.“, grinst er frech. „Das hat schon in diversen Situationen geholfen. Wir vergessen einfach alles was war und morgen in der Schule nimmt alles wieder seinen gewohnten Lauf. Klingt das gut?“

ich nicke wie in Zeitlupe. Ja das hört sich wirklich gut an. Fantastisch sogar. Einfach weitermachen als wäre nie was gewesen. Friede Freude Eierkuchen, heitre Sonnenschein und Regenbögen. Aber wie die vergangene Zeit zeigte lässt sich seine eigene Vergangenheit nicht so leicht abschütteln. Zudem neige ich auch noch dazu ein Wiederholungstäter zu sein. Ich bin immer nur vor meinen Problemen abgehauen. Habe immer in Angst gelebt, konnte es nicht anders regeln. Und ich bezweifle, dass die beiden diesen Tag so schnell vergessen können. Mein Fehlverhalten. Meine vielen Fantasie Absurditäten, die alle aus mir raus brachen wie die Cocktails. Mein halb nackter Körper. Wieder schlage ich die Hände vors Gesicht. Verdammt! Verdammt! Verdammt!
 

„Misaki?!“, ruft mich jemand. Ich kenne diese Stimme gut, auch wenn es eine Weile her ist. Oft schon hat sie mich in den Schlaf gesungen, trotz mangelnder Gesangskünste. Oft zu mir gesagt 'alles wird wieder gut' und ich habe fest daran geglaubt. Alles was aus diesem Mund kam nahm ich für bare Münze. Egal ob Weihnachtsmann, Erklärungen über die Welt und wie sie funktioniert und jedes Märchen wurde zu einer wahren Begebenheit. Hat Monster lautstark unter meinem Bett vertrieben. Hat mich bei den Sportfest der Grundschule mit vollem Eifer angefeuert, was mein mangelndes Talent nicht besserte, aber er war immer da. In jeder Lebenslage wenn ich ihn brauchte. Auch heute.

Langsam ziehe ich die Hände von meinen Augen und starre ungläubig in Richtung der Haustür. Da steht er tatsächlich. Sein zotteliges rabenschwarzes Haar steht ihm wild ab. Seine Brille mit dicken schwarzen Gestell ist wie immer ein wenig verrutscht. Das weiße Businesshemd ist mit Sicherheit frisch gebügelt von Mum, ihn stört es nicht wenn es knittrig ist. Er breitet seine dünnen Arme aus und kommt einen Schritt auf mich zu. Mehr braucht es nicht. Ich renne auf ihn zu und werfe mich in seine Arme. Sanft umschließen sie mich und drücken mich an sich. Eine Hand streicht mir liebevoll über meine Haare und ein leises Schluchzen kommt über meine zittrigen Lippen. Ich fühle mich wieder wie fünf. „Dad…“, wimmere ich.

„Alles ist gut.“, sagt er mir ruhig, mit dieser Stimme die nicht zu seinem Alter passt. Er klingt jünger als er ist, doch seine Fältchen um die Augen verraten ihn. Wieder und wieder streicht er mir durch mein Haar. Begierig sauge ich jede liebevolle Geste auf. Unfassbar das er wirklich hier ist. Ich war nur ein paar Wochen von ihm getrennt, aber es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Ich hab ihn wahnsinnig vermisst. Mein Dad, der tollste Typ der Welt. Mein großes Vorbild.

„Ihr seid seine Freunde?“, fragt er interessiert, während seine Hand weiter macht.

Haruno tritt vor und verbeugt sich kurz, manchmal zeigt er doch ein geringes Maß an Manieren. „Ja, dass ist Takeo Shiba und ich bin Ren Haruno. Misaki kam am Montag in unsere Klasse und wir verstanden uns sofort.“

„Es freut mich euch kennenzulernen. Ich würde euch gerne zu einer Tasse Tee einladen, aber das müssen wir verschieben. Ich bleibe ein paar Tage, wir schaffen das sicher noch.“

„Das wäre sehr schön.“, lächelt er gut gelaunt. Sie verabschieden sich und überlassen mich meinem Schicksal.

„Ich freue mich, dass du endlich wieder Freunde gefunden hast.“ In seinen Worten bekräftigend drückt er mich erneut herzlich an seine Brust. „Dann lass uns mal reingehen. Alle warten auf dich.“
 

Ich spüre mein Herz wild wummern während wir das Haus betreten. Ich habe keine Ahnung wie ich das alles erklären soll. Wie ich mich verhalten soll. Geschweige was ich überhaupt sagen oder mich geben soll, dementsprechend fühle ich mich ziemlich verkrampft. Schon beim betreten des Eingangsbereichs sehe ich sie alle drüben am Esstisch sitzen. Mum springt sofort auf und scheint unsicherer zu sein als ich. Sie sieht aus als würde sie nach mir greifen wollen, zieht ihre Hand jedoch zurück und hält sie mit der anderen fest an sich gedrückt. Ihre Lippen zittern und deuten ein Wimmern an. Die Augen sind rot und geschwollen. Es geht ihr schlecht und das ist meine Schuld.

„Mama…“, krächze ich schwach. Unsicher breite ich meine Arme aus, wie mein Vater zuvor bei mir auch. Ein Schluchzen kommt über ihre Lippen und erneut laufen Tränen ihre Wangen hinunter. Sie rennt mich fast um, als sie sich in meine Arme wirft. Ja, meine Mum und ich sind uns wirklich ähnlich. Auch ich kämpfe mit den Tränen, ich Weichei. Ich schiebe es einfach auf das kleine in mir lauernde Mädchen, dass gerade emotional ergriffen ist. Dad schließt sich der Umarmung an. Seine dünnen Arme umschließen uns beide. Nun kommen auch meine Schwestern dazu. Wie ein großes Knäuel schlingen sich die Arme um uns.
 

Der Tee dampft heiß aus meiner Lieblings Kindertasse mit den kleinen Häschen darauf die auf einer Wiese hoppeln. Mein Vater hat sie mir zuschicken lassen als er das erste mal länger weg war um im Dreck zu buddeln. Ich habe tagelang geheult. Mum konnte mich nicht beruhigen. Nur in den Telefonaten mit Dad war ich still. Mein Geheule verstummte als die Tasse ankam.

Mich daran wärmend halte ich sie mit beiden Händen umschlossen. Meinen größten Schatz. Ein paar Haarfeine Risse sind schon drin und die Farbe ist leicht verblasst, aber ich liebe sie. Mit angezogenen Beinen sitze ich auf meinem Stammplatz am Esstisch. Wir sind wohl allesamt ziemliche Gewohnheitstiere, seit Jahren sitzt jeder auf “seinem Platz“, obwohl es nie einer laut Aussprach.

Dad sitzt neben mir am Kopf des Tisches. Er ist wirklich hier. Hat den weiten Weg aus Kalifornien nur wegen mir gemacht. Susu hatte recht als er sagte mir wird nicht sein Schicksal blühen. Anders als sein Vater, empfing mich meiner mit offenen Armen. Ich hätte es ihm auch nicht zugetraut, dass er versucht hätte das Schwulsein aus mir raus zu prügeln, aber wie er reagierte übertraf alle meine Vorstellungen. Ein wenig durchdrehen vielleicht ja, aber keine körperlichen Übergriffe. Vielleicht habe ich das cholerische Spektakel ja auch einfach nur verpasst, weil er vorgewarnt wurde und sich bis zu meiner Ankunft wieder abgekühlt hat.

Mum sitzt mir gegenüber und Hina, die neben ihr sitzt, streicht ihr fortwährend über ihren Rücken. Sie hat sich beruhigt, aber jetzt kehrt die Erschöpfung ein. Bleich sitzt sie da und hält ihre Tasse mit dem Gold verzierten Blumenmuster, die sie immer rausholt, wenn Dad da ist. Das Teeservice schenkte er ihr zum zehnten Hochzeitstag. Ist schon ziemlich lange her, aber sie hegt und pflegt es, weil sie es genauso liebt wie ich meine Tasse, die noch älter ist. Sowie alles dass sie liebt. Uns als Familie. Jeden einzelnen von uns. Auch mich. „Misaki es tut mir so unendlich leid, was ich dir gesagt habe.“ Man hört heraus, dass ihr noch immer nach Weinen zumute ist. Sie schluckt es tief hinunter und bemüht sich ihre schwankende Stimme zu festigen. „Ich war überfordert mit der Situation und habe dich unter Druck gesetzt. Kannst du mir verzeihen?“

Erneut schaue ich von meiner Tasse zu ihr auf. „Kannst du dich denn damit abfinden das ich schwul bin?“ Mein Herz wummert wie verrückt. Ich habe das S Wort tatsächlich vor meiner ganzen Familie laut ausgesprochen. Jeder von ihnen weiß es nun mit Sicherheit. Keine Spekulationen mehr. Jetzt hat das Versteck spielen vor ihnen ein Ende. Kann vielleicht eines fernen Tages sogar meinen Freund mit nach Hause bringen, sowie Hina ihren gelegentlich.

Auch sie hebt ihren Blick. Sieht mich ernst an, bevor sie spricht. Ich sehe ihren Willen. „Ja.“, sagt sie mit fester Stimme. „Ja, das kann und werde ich. Gib mir nur ein bisschen Zeit um mich daran zu gewöhnen. Ich werde dich nicht enttäuschen. Ich habe dich lieb mein Sohn und das werde ich auch immer, egal was kommt und egal was die Zukunft uns noch bringt, ich werde es akzeptieren. Es tut mir nur so leid für dich, dass du nie das haben wirst was wir haben. Eine Ehe. Kinder.“

„Oh, dass stimmt so nicht ganz.“, unterbricht sie mein Vater. Alle schauen ihn stutzig an, ich erst recht. „Wenn man es nicht so genau nimmt kann Misaki durchaus heiraten und Kinder kriegen, dafür gibt es diverse Methoden um das zu ermöglichen. In Sapporo, das in Hokkaidó liegt, kann er ein Partnerschafts Zertifikat beantragen oder in Las Vegas wilde Ehe feiern, dass es wenigstens gefühlt eine Ehe ist. Zudem gibt es Möglichkeiten ein Kind zu adoptieren aus dem Ausland oder eine Leihmutter die euer Kind dann austrägt.“

Ungläubiges schweigen geht um die Runde, bis Hina ausspricht was wir alle denken. „Woher weißt du denn so etwas?“

Er sieht uns an als ob es das normalste der Welt wäre und zuckt unschuldig mit den Schultern. Bei dieser Geste spüre ich ein Lächeln in mir aufkommen. Erstaunlich, dass es nur diese zwei aufdringlichen Typen brauchte um mein Leben grundlegend zum besseren zu ändern. Was ich in zwanzig Jahren verbockt habe, haben Sie in vier Tagen gekittet. Im Nachhinein hätte mir wohl nichts besseres passieren können als ihnen zu begegnen. Dabei habe ich zu dieser Freundschaft noch gar nichts beigetragen und dennoch tun sie so viel für mich. Vielleicht schaffe ich es auch meine Angst vor dem Mobbing irgendwann loszuwerden. Damit ich mich nirgends mehr verstecken muss. Damit ich mir ein Leben aufbauen kann. Es ist denkbar, dass ich wirklich eines Tages Heiraten möchte und vielleicht sogar in noch viel fernerer Zukunft Kinder. Mum und Dad lieben sich abgöttisch und diese Liebe vergeht nicht nur weil sie tausend Kilometer und mehrere Zeitzonen voneinander getrennt sind. Sie lieben sich noch wie am ersten Tag und das seit sechsundzwanzig Jahren. Genau das wünsche ich mir auch. Ich spüre das kleine Mädchen in mir vor Entzücken quietschen und tanzen bei diesen Gedanken. Soll es ruhig. Es ist schließlich möglich, meine Eltern sind das lebende Beispiel.

„Bevor Misaki das Jahr zu mir kam, hat von meinen Kollegen der Sohn einen Mann geehelicht. Wir kamen ins reden und ich ins grübeln. Wir wissen alle, dass du es die letzten Jahre nicht leicht hattest, dennoch wurde mir bewusst, dass du noch nie Interesse an Mädchen gezeigt hattest. Du hast mich auch noch nie um väterlichen Rat gebeten in der Richtung. Ich dachte bis dahin, dass lege an deinen massiven Problemen in der Schule, aber er eröffnete mir neue Gedankenwege. Mein Kollege meinte, dass war bei seinem Sohn auch so. Wegen seiner Neigung wurde er auch in der Schule gemobbt. War das bei dir auch so?“

Ich schlucke schwer. Der Professor mit Doktortitel kommt in ihm zum Vorschein, auch wenn es nur in Geologie ist, er ist trotzdem ein schlauer Kopf. Nur Susu weiß alles über dieses schreckliche Kapitel in meinem Leben, denn er war fast von Anfang an dabei. Es gab niemanden sonst dem ich mich voll und ganz anvertrauen konnte. Auch jetzt würde ich es am liebsten vor meiner Familie tot schweigen. Ja, sie haben mich gemobbt weil ich aussehe wie ein Mädchen, anfangs. Noch bevor ich mir überhaupt bewusst war das ich schwul bin fingen sie an mich als Schwuchtel und anderes zu beschimpfen. Sie steigerten sich immer weiter hinein, bis alle mitmachten. Und der, der alles los trat, war der, der am Ende an meisten darunter litt. Ihn fingen sie an genauso fertig zu machen wie mich. Nichtsdestotrotz kann ich ihm nicht böse sein.

Nervös rutsche ich auf meinen Stuhl. Ringe mit mir. Ich habe endlich die Wahrheit ausgesprochen, ich möchte nicht gleich wieder mit der nächsten Lüge anfangen. „Ja schon, aber es fing wirklich erst damit an, dass alle sagten ich sehe aus wie ein Mädchen.“

„Und was heißt das jetzt, dass Misaki schwul ist?“, meldet sich meine kleine Schwester zu Wort.

„Das heißt Misaki liebt Männer statt Frauen.“, erklärt ihr Mum kindgerecht.

Ich sehe es in ihrem Kopf rattern. Sie ist immer noch in der 'Jungs-sind-doof' Phase, wahrscheinlich kann sie das gar nicht verstehen warum ich überhaupt Jungs mag. Ruckartig wie ein aufgehetzter Chihuahua wendet sie sich mir zu und sieht mich finster durch zu schlitzen gepressten Augen an. „Bist du und Haruno ein Liebespaar?“ Sie schreit mich fast schon an. Stimmt ja. Für sie sind alle Jungs doof, außer Haruno.

„Oh, das wäre ja wundervoll. Er ist so ein lieber und gutaussehender Junge.“, freut sich Mum ehrlich darüber.

„Wer von den beiden war noch mal Haruno?“, frag Hina dazwischen.

„Der charmante mit der Farbe im Haar.“

„Ach der. Der ist sicher nicht schwul. Die haben ein Gefühl dafür was gut aussieht und was nicht. Wäre er schwul, hätte er sicher nicht so eine schreckliche Frisur. Misaki, sag den beiden mal das ich sie demnächst mal umstylen werde. So können die sich doch nirgends blicken lassen“

„Hina Schatz, da denkst du aber zu sehr in Schubladen. Nicht alle Homosexuellen Männer sind dieses beste Freundin einer Frau Klischee.“, mischt sich Dad nun wieder ein.

„Also die Schwulen die ich kenne sind das alle.“, kontert sie selbstbewusst.

„Also ist er jetzt schwul oder nicht?“, fragt Mum verwirrt.

Was geht hier ab?! Bin ich jetzt Teil einer Daily Soap im Abendprogramm geworden oder was?! Als nächstes planen sie tatsächlich noch meine Hochzeit. Nein, danke. „Beruhigt euch.“, fordere ich genervt. „Nichts der Gleichen liegt vor. Wir sind kein Paar. Er ist nicht Schwul. Ich bin weit von jeglicher Erfahrung in dingen Liebe entfernt und das wird sich sicher auch nicht ändern, weil ich weiterhin in dieser Mädchenuniform zur Schule gehen muss.“

„Was?“, keucht mein Vater überrumpelt.
 

Schalten Sie auch Morgen wieder ein, wenn es heißt wer bekommt Misakis Hand zum Bund der Ehe.

Gut, so schlimm war es dann doch nicht mehr, aber es ist verdammt spät geworden. Es gab viel zu bereden. Dad hat viel verpasst. Wir haben ihn auf den neusten Stand gebracht. Gerade die Aktion mit der Schuluniform meiner Schwester konnten wir noch nicht per Videochat anschneiden. Zu viel war passiert in der Zwischenzeit. Dem entsprechend war er auch verwirrt und dezent überfordert.

Hinas Beauty Studio in dem sie Arbeitet, wurde für eine neue Fernsehserie als Make-up Artist gebucht. Sie wird jetzt öfter bei ihrem Freund sein, weil er näher am Set wohnt. Sie wollen dann das zusammen leben proben sozusagen. Sie sind seit vier Jahren zusammen. Wird auch langsam Zeit. Ich will ihr großes Zimmer. Miyu ist jedoch auch scharf darauf. Es gibt zwar noch mehr oder minder weniger genutzte Zimmer, aber Hina hat das größte. Nur das Schlafzimmer meiner Eltern ist größer. Miyu schläft oft bei Mum. Ihr ist das Zimmer so allein wohl auch zu groß und meine kleine Schwester wurde nie entwöhnt. Sie schläft bei ihr im Bett, benutzt immer noch Erdbeerzahncreme und lässt ihr essen klein schneiden. Hina ist die Einzige von uns die wirklich selbstständig ist.
 

Zum Abschluss des ganzen Chaos habe ich ein langes Bad genossen. Mit meinem frisch gewaschenem Körper, den sauberen Shorts und der neu bezogenen Bettwäsche auf meinem Bett, kann ich es kaum erwarten mich in dieses zu schmeißen und mein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Doch da steht das kleine Monster und versperrt mir den Weg. Die Arme vor der Brust verschränkt. Den Mund verbissen aufeinander gepresst. Die Fußspitze tippt ungeduldig auf den Holzboden.

„Was ist denn jetzt noch? Mum hat dich doch ins Bett gebracht. Du hättest schon längst schlafen sollen. Das will ich jetzt auch.“, quengel ich als wäre ich von uns beiden das Kind. Ich will doch nur in mein Bett. Buhu!

„Du lässt die Finger von Ren.“, fordert sie todernst.

Überrumpelt halte ich inne. „Was? Ich hab euch doch erklärt, dass da nichts zwischen uns ist.“, antworte ich im sicheren Glauben.

„Und genau das glaube ich dir nun mal nicht.“, bleibt sie eisern. „Ich liebe Ren und werde ihn Heiraten wenn ich groß bin. Schwöre das du nie etwas mit ihm anfängst.“ Sie hält mir ihren kleinen Finger zum Treueschwur hin.

Manchmal vergesse ich, dass sie nur zehn Jahre alt ist. Sie ist immer noch ein Kind und hat eigentlich von nichts eine Ahnung. Selbst ich muss noch so viel lernen. Ihr Vorbild ist wahrscheinlich noch immer Cinderella und mit Haruno hat sie ihren Traumprinzen gefunden, der ihr den gläsernen Schuh reicht. Das heißt aber noch lange nicht das der passt. Cinderella hatte schließlich zwei Stiefschwestern, die auch scharf auf den hottie von Prinz waren. Ich bin ein Arsch von Bruder, aber ich kann mir ein lachen nicht verkneifen.

„Versprich es oder ich werde peinliche Dinge über dich erzählen, wenn sie das nächste mal da sind.“

Das lachen bleibt mir im Hals stecken. „Was?“, keuche ich schwer. Meine Kopfhaut beginnt unangenehm zu prickeln. Angestrengt denke ich darüber nach was sie wohl über mich erzählen könnte und wäge ab ob es wirklich schlimmer ist, als das was sie gestern von mir erlebt haben. Es gibt vieles was mir peinlich wäre, aber nichts davon Toppt wohl mein Verhalten in den letzten vierundzwanzig Stunden. „Du bluffst.“, wage ich also zu behaupten.

„Dein Lieblingsfilm ist die Eiskönigin.“

Ertappt nehmen meine Wangen einen deutlich erkennbaren rot Ton an. Ich bemühe mich dennoch mich gelassen zu zeigen. „Na und? Deiner auch.“

Sie überlegt weiter. „Als du vierzehn warst musste Mama dauernd dein Bettzeug waschen, weil du immer wieder ins Bett gemacht hast.“

Die Farbe in meinem Gesicht nimmt deutlich zu. Nein, ich habe nicht ins Bett gemacht. Peinlich ist das dennoch, aber dieses spezielle Männerproblem werde sicher nicht nur ich allein haben. Ich zucke gekonnt mit den Schultern. Shiba ist ein guter Lehrer. „Mittlerweile bin ich ja trocken.“, grinse ich triumphierend. Mein Kryptonit bekommst du so nie in die Finger.

Angestrengt überlegt sie weiter. Und als hätte sie einen Gedankenblitz sieht sie zu mir auf. „Damit breche ich zwar mein versprechen ihm gegenüber, aber du spielst auch nicht fair.“

Mir schwant übles. Ihm? Hat Haruno ihr etwas erzählt, dass sie mir verheimlichen sollte? Dumme Idee Haruno. Dumme Idee. „Und das wäre?“, frage ich einen ticken zu neugierig und lasse mein Pokerface fallen.

„Ich habe gesehen wie Akira dich geküsst hat.“

Das Herz rutscht mir nicht nur in die Hose, sondern fällt aus dem Hosenbein und sie trampelt lachend darauf herum, bildlich gesprochen. Kreidebleich schlucke ich schwer den Stein in meinem Hals herunter. „Nein... das... das Stimmt nicht. Wir... Wir haben uns nie geküsst... Er wollte, aber ich stieß ihn von mir...“, stottere ich schwer mit staubtrockenen Mund.

Siegessicher baut sie sich vor mir auf. Und hält mir wieder ihren kleinen Finger hin. „Ihr habt in deinem Zimmer einen Film gesehen und du bist sitzend neben ihm eingeschlafen. Ich kam in dein Zimmer, weil ich deine tollen Filzstifte haben wollte. Da habe ich gesehen wie er dich küsste. So lange, bis er mich bemerkte. Ich musste ihm versprechen das für mich zu behalten, dafür hat er mir dann auch solche Stifte geschenkt.“

Daran kann ich mich erinnern. Er schenkte ihr eine übertrieben große Box dieser teuren Stifte. Ich hielt ihn für verrückt, weil er ihr ein so teures Geschenk machte, zu dem er nicht mehr sagte als 'nur so'. Jetzt ist es klar. Das war sozusagen Schweigegeld. Kraftlos lasse ich mich auf der Bettkante nieder. Das war lange vor seinem Versuch mich zu küssen. Wie oft hat er das gemacht? Wir schliefen häufiger beieinander. Was hat er noch getan? Noch mehr als küssen? Habe ich so einen tiefen Schlaf? Verdammt! Und ich kann ihn nicht fragen. Dieser Mistkerl!

Der kleine Finger rückt mir wieder ins Sichtfeld. Hartnäckig wie erwartungsvoll wartend. Geschlagen harke ich meinen in ihren und sie sagt den Schwur auf, den ich nur leise von weiten her wahrnehme. Zufrieden verlässt sie endlich mein Zimmer, doch an Schlaf war für mich nun nicht mehr zu denken.
 

Ende von Teil 10



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  MorganMidnight
2017-10-24T19:04:24+00:00 24.10.2017 21:04
Super Story! !!!!!
Jetzt da herausgekommen ist, dass er schwul ist, sieht Miju einen Kongurenten in ihm!!!!!
Wer ist Akira????
Schreib weiter!!!!!
Antwort von:  Serato
24.10.2017 22:49
Ich bin ja dabei ^^
Wenn nix dazwischen kommt hab ich sonntag das nächste kapitel fertig ;)
Freue mich das dir meine Geschichte gefällt und hoffe du hast auch beim weiter verfolgen viel spaß! ;D
Wer Akira ist kann ich dir natürlich nicht veraten <3 aber nach und nach
Von:  Zebran20121
2017-10-14T16:18:00+00:00 14.10.2017 18:18
Ich verwechsle die beiden ständig. Ren Haruno warder Frauenheld und Takeno Shiba der schweigsame mit den Phanteraugen richtig?

Bisher super. In Akiras Haut möchte ich jetzt nicht wirklich stecken, misaki kriegt da doch sicher nen tobsucht anfall. Freue mich schon auf das nächste Kapitel.

LG Zebran
Antwort von:  Serato
14.10.2017 19:27
Du hast sie richtig zu geordent ^^ <3

ich komm auch gut vorran mit dem schreiben XD
vor allem weils gerade mega spaß macht hehe das halbe kapitel is schon wieder geschrieben <3
Von:  yamo-chan
2017-10-13T07:59:28+00:00 13.10.2017 09:59
Wüsste zu gerne die ganze Geschichte mit Akira ...

Shiba kann wirklich mal ne Frisur gebrauchen 😃 einmal Augen freischneiden bitte! Hina macht das schon.
Antwort von:  Serato
13.10.2017 10:29
Die wird nur nach und nach ausgepackt ;) so der plan jedenfalls XD warscheinlich sabotier ich mich wieder selbst, ist schon einiges anders geworden als gewollt hehe ^^"

Danke fürs lesen und vor allem für den Kommi <3


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