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Vergissmeinnicht

von

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Frustrationsgrenze


 

♥ Taichi ♥
 

Angespannt lief er durch sein Zimmer und knabberte immer wieder an seinem Daumennagel. Die Nervosität stieg ihm langsam zu Kopf und raubte ihm jeden klaren Gedanken.

Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie er sich eigentlich fühlte.

Tai war einfach zu unruhig, sein Herz klopfte wie wild und er fuhr sich immer wieder hektisch durch seine wilde Mähne.

Er war alleine zu Hause und dennoch hatte er das Gefühl, dass ihm jeden Augenblick die Decke auf den Kopf fallen könnte.

Sein Vater kam heute nach Hause. Drei Wochen befand er sich in einer stationären Entgiftung und hatte nur sehr spärlichen Kontakt zu seiner Familie gehabt, was Taichi jedoch gar nicht mal so schlecht fand, auch wenn er es ungern zugab.

Er fühlte sich das erste Mal seit langem wieder zuhause wohl und konnte durchschlafen, was er vor dem Zusammenbruch seines Vaters nur bei Mimi geschafft hatte.

Er konnte sich diesen Zwiespalt einfach nicht erklären. Einerseits freute er sich schon, dass sein Vater wieder nach Hause kam, andererseits hatte er Angst, dass alles wieder von vorne losgehen würde.

Zwar hatte seine Mutter sämtliche alkoholischen Getränke entsorgt, aber sein Vater war erwachsen.

Er könnte sich problemlos Bier oder Schnaps kaufen, da die Leute schließlich nicht wussten, dass er damit ein Problem hatte. Schließlich war die Bezeichnung „Alkoholiker“ nicht auf seine Stirn tätowiert, weshalb er allen auch solange etwas vormachen konnte.

Deswegen hatte sich Tai auch dagegen entschieden gehabt, ihn gemeinsam mit seiner Mutter und Schwester abholen zu fahren. Noch immer konnte er ihm nicht ins Gesicht sehen, ohne die pure Verachtung für ihn zu spüren.

Nein, er hatte ihm nicht verziehen. Er war sich noch nicht mal sicher, ob er es überhaupt jemals konnte.

Es kam wohl darauf an, ob er tatsächlich etwas ändern würde oder die Entgiftung nur gemacht hatte, weil seine Mutter ihm mit Trennung drohte.

Den ganzen restlichen Monat war er noch krankgeschrieben, um sich zu erholen.

Taichi hatte sich schon gewundert, warum sein Chef ihn nicht einfach gefeuert hatte, da es um die Firma immer noch kritisch stand, aber sie sich im Moment tatsächlich auf dem Weg der Besserung befanden.

Seine Mutter meinte, dass der Chef seines Vaters wohl in der eigenen Familie bereits mit Alkoholmissbrauch Erfahrung gemacht hatte, weshalb wohl auch viel Mitleid unterbewusst mitschwang, was Taichi jedoch noch wütender werden ließ.

Wieso hatten plötzlich alle Mitleid mit ihm? Seine Familie hatte schließlich all das ebenfalls durchmachen müssen!

Er schüttelte einfach nur den Kopf und setzte sich schwerfällig auf sein Bett. Mal wieder konnte er seine Gedankengänge nicht verstehen. Er wollte doch gar kein Mitleid, aber er wollte auch nicht, dass es seinem Vater zuteilwurde. Er hatte sich doch erst in die Situation gebracht, aber auch seine Mutter und Hikari schienen ihn in Watte einpacken zu wollen.

Sogar sein Lieblingsessen hatten sie gekocht, nur damit er sich zuhause auch ja wohl fühlte.

Gott, er war so froh, heute Abend außer Haus zu sein, da Yamato ihn zu seinem Abschlusskonzert eingeladen hatte.

Sein bester Freund hatte tatsächlich eine Entscheidung getroffen! Eine Entscheidung, mit der Taichi niemals gerechnet hätte.

Mit der Hilfe seines Vaters hatte Yamato bereits eine Ausbildungsstelle als Elektroniker gefunden und würde diese direkt nach seinem Abschluss antreten, um Geld für seine kleine Familie zu verdienen.

Plötzlich ging alles so unfassbar schnell, sodass Taichi bemerkte, wie er einfach nur auf der Stelle trat.

Nachdem das Stipendium geplatzt war, hatte er keinerlei Alternativen, außer eine Vorbereitungsuniversität zu besuchen, die ihm allerdings auch nicht viel bringen würde.

Man sagte ja „Ohne Moos nichts los“ und er hatte niemals erwartet, dass dieser simple Spruch auch auf seine Zukunft zutreffen würde.

Er wollte Politikwissenschaften studieren und ihm fiel es schwer eine Alternative in Form einer Ausbildung zu finden, weshalb er seine ganzen Hoffnungen in die Vorbereitungsuniversität legte. Vielleicht würde er hier irgendeine Möglichkeit finden, die ihn zufrieden stellte und ihm neue Wege eröffnete.

„Taichi, wir sind wieder da“, hörte er auf einmal die Stimme seiner Mutter rufen.

Ein leiser Seufzer löste sich von seinen Lippen als er behutsam aufstand und sein Zimmer widerwillig verließ.
 

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Er beugte sich runter, um seine Schuhe zu binden, da er es gar nicht erwarten konnte die Wohnung zu verlassen. Das Abendessen war einfach ein einziger Krampf gewesen und schlug ihm mal wieder auf seinen gesunden Appetit. Während sich seine Mutter und Hikari bemühten die Stimmung aufrecht zu erhalten, war seine bereits ins Bodenlose gefallen, nachdem sein Vater von seinen vermeintlichen Erfolgen berichtete.

Er hatte seit 28 Tagen keinen Alkohol mehr angerührt und war sehr stolz auf sich, auch wenn Taichi wusste, dass die schwerste Aufgabe erst bevorstand.

Denn nun befand sich sein Vater wieder in seinem Alltagstrott, der den Alkoholentzug sicher nicht einfacherer machte. Die Verführungen waren allgegenwärtig und sogar der kleine Supermarkt um die Ecke hatte eine reichhaltige Auswahl an alkoholischen Getränken, bei dem sein Vater leicht wieder schwach werden konnte.

Und er ertrug es immer noch nicht mit ihm alleine zu sein, weshalb er die Wohnung auch schnellstens verlassen wollte.

Zwar waren seine Mutter und Hikari nur schnell die Wäsche machen, doch er spürte wieder dieses beklemmende Gefühl, dass sich über seinen Brustkorb legte.

„Du willst schon wieder gehen?“, fragte plötzlich die Stimme seines Vaters, die ein wenig enttäuscht klang.

Taichi wandte sich ihm nur kurz zu, konzentrierte sich dann aber wieder ganz auf das Zuschnüren seiner Schuhe.

„Matt hat ein Konzert und ich habe versprochen zu kommen“, antwortete er unterkühlt und stand auf. Er griff nach seiner Jacke und wollte sie sich gerade überziehen als er aus dem Augenwinkel heraus sah, wie sein Vater näherkam.

Er schrak kurz zusammen und suchte den Abstand, den er einfach von ihm brauchte, um nicht völlig durchzudrehen. Er konnte seine Nähe nicht ertragen, egal wie sehr er sich auch bemühen würde.

„Taichi…“, hörte er seinen Namen sagen. Seine Stimme klang brüchig und hallte quälend in seinen Ohren.

„Es tut mir leid. Ich habe dir, deiner Schwester und deiner Mutter sehr viel zugemutet und ich weiß, dass du allen Grund hast, sauer auf mich zu sein. Aber ich werde mein Bestes versuchen, dass alles wieder in Ordnung wird“, versprach er zitternd, doch Taichi schenkte ihm nur einen fassungslosen Blick.

„Das alles wieder in Ordnung wird?“, wiederholte er und fühlte die rasende Wut durch seine Adern pulsieren. „Wie willst du das machen? Du kannst deine Handlungen nicht mehr zurücknehmen! Und du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dir einfach so verzeihen werde. D-Du hast mich gegen den Schrank geschubst und mir gesagt, d-dass Kari und ich nur eine B-Belastung sind“, erwiderte er von Trauer erfüllt.

Er konnte selbst nicht fassen, dass er tatsächlich den Mut aufbrachte, offen mit ihm darüber zu sprechen, aber er war es leid geworden alles runter zu schlucken!

„Du musst mir auch nicht verzeihen“, eröffnete er ihm, was Taichi verwunderte. „Ich weiß selbst, dass ich mir dein Vertrauen erst wieder verdienen muss. Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich etwas verändern will. So will ich nie wieder sein und ich habe erkannt, dass ihr das Wichtigste in meinem Leben seid. Und ich will euch nicht verlieren!“

Seine Gesichtszüge wurden auf einmal ganz weich und Taichis fiel es schwer seine Wut gegenüber ihm aufrecht zu halten, auch wenn er sich dagegen sträubte. Er wollte nicht einknicken!

Es musste doch jemanden in der Familie geben, der ihm die Stirn bot und ihm zeigte, wie inakzeptable sein Verhalten doch war! Daher durfte er sich nicht weichkochen lassen.

„Okay gut, dann streng‘ dich an! Überzeugt bin ich noch lange nicht“, sagte er schweren Herzens und biss sich auf die Unterlippe, bevor er die Tür öffnete und ohne ein weiteres Wort an ihn zu verlieren, die Wohnung verließ.
 

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Die Atmosphäre im Club war stickig, da viele Fans von Knife of Day gekommen waren, um sich ihr letztes offizielles Konzert anzusehen. Denn Yamato hatte sich schweren Herzens dazu entschieden gehabt, die Band vorerst aufzugeben.

Aufgrund der jetzigen Situation war Beständigkeit das, was er zum Leben brauchte. Er wollte sich auf die Abschlussprüfungen konzentrieren, um ohne Verzögerungen in den Berufsalltag einsteigen zu können. Auch Juro hatte sich dazu entschieden, sich bald seinem Jurastudium zu widmen, dass er direkt nach dem Abschluss beginnen konnte. Nur Ryota schien genauso planlos wie Taichi selbst zu sein. Und Kaori hatte, wie seine Freundin, noch ein ganzes Jahr Zeit, um sich zu entscheiden, doch das Schicksal der Band wurde endgültig besiegelt.

Es war an der Zeit loszulassen, auch wenn Taichi merkte, wie schwer es seinem besten Freund fiel. In seiner Stimme lag die blanke Melancholie, die den Raum mit einer gewissen Schwere erfüllte.

Sie stimmten gerade den letzten Song an, während sein Blick zu Sora wanderte, die wie hypnotisiert zur Bühne starrte und gedankenverloren ihren Bauch streichelte. Izzy stand ebenfalls beeindruckt daneben und lauschte der Musik.

Mimi stand neben Ryotas Freundin Akane und beide prosteten sich gegenseitig zu, was Taichi allerdings mit Argwohn beobachtete.

Für seinen Geschmack hatte Mimi schon viel zu viel getrunken, doch sie dachte gar nicht ans Aufhören, sondern drehte von Schluck zu Schluck immer mehr auf.

Taichi ließ dieses Verhalten rasend werden, doch er konnte ihr ja schlecht das Trinken verbieten, nur weil er wegen seines Vaters ein Problem damit hatte.

Kopfschüttelnd drehte er sich wieder der Bühne zu und nippte an seiner kalten Cola, während er Yamatos sanften Stimme lauschte.
 


 

Oshiete oshiete yo sono shikumi wo

Boku no naka ni dare ka iru no

Kowareta kowareta yo kono sekai de

Kimi ga warau nani mo miezu ni
 

Die Instrumente gingen ineinander über, man hatte das Gefühl, dass der Klang die Kontrolle verlor, doch genau das Gegenteil war der Fall. Es steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. Ryota glitt mit einer unglaublichen Geschwindigkeit über die Tasten seines Keyboards, während Yamato in die Saiten seiner Gitarre haute bis Kaori die Melodie mit ihrem zarten Violienspiel anfing.

Es wurde sehr ruhig als Yamatos Stimme erneut den Raum durchdrang und fast flüsternd auf ihn wirkte. Er zog das Tempo an als er sich dem Refrain näherte. Seine Stimme entlud sich wie ein Blitzeinschlag, der während eines tosenden Unwetters folgte.
 


 

Yureta yuganda sekai ni tatta boku wa

Sukitootte mienakunatte

Mitsukenai de boku no koto wo

Mitsumenaide

Dare ka ga kaita sekai no naka de

Anata wo kizutsuketaku wa nai yo

Oboete te boku no koto wo
 

Taichi war wahrhaft beeindruckt. So hatte er seinen besten Freund noch nie gesehen. Noch nie in seinem Leben hatte er mit so viel Leidenschaft gesungen, weshalb Taichi seine Wehmut förmlich spüren konnte. Es war das Ende eine Ära und er konnte nicht einschätzen, ob Yamato diesen Schritt irgendwann bereuen würde.

Er wusste, dass sein Freund sich entscheiden musste und auf sein Verantwortungsgefühl hörte, aber dennoch gab er einen wichtigen Teil von sich auf. Es war wie eine Hommage an die Musik, die die Trauer des Abschiedes nicht so schwermachen sollte, aber bei Taichi genau das Gegenteil auslöste. Er konnte nur ahnen, wie sich Yamato auf der Bühne fühlte, auch wenn er sein Gesicht nicht erkennen konnte.

Er richtete wieder den Blick zu Sora, die einige Tränen verdrückte und hastig den Kopf zur Seite drehte.

Sie wusste, was er für sie aufgab und auch wenn sie sich oft über seine Musik in der Vergangenheit geärgert hatte, war ihr bewusst, wie viel sie ihm bedeutete.

Doch manchmal musste man sich entscheiden. Auch wenn man durch seine Entscheidung etwas verlor, dass einem all die Jahre sehr wichtig gewesen war. Es gehörte zum Erwachsenwerden dazu.

Das Loslassen. Das Voranschreiten. Das Neuentdecken.

Und auch wenn es nicht einfach werden würde, glaubte Tai an seine beiden Freunde, die er auch weiterhin auf ihrem Weg begleiten wollte.
 


 

Oshiete oshiete

Boku no naka ni dare ka iru no?
 

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„Oh mein Gott, das war so toll gewesen“, gratulierte Mimi überschwänglich und umarmte Kaori, die sich nur zu einem matten Lächeln abringen konnte. „Jetzt müssen wir echt anstoßen!“

Sie zerrte an Kaoris Arm und steuerte augenblicklich den Stehtisch an, auf dem sie ihre Getränke platziert hatten.

Taichi schnaubte nur resigniert als er sah, wie Mimi und Kaori einen Shot hinunterkippten und Mimi Anstalten machte gleich die nächste Runde zu bestellen.

Was war heute nur los mit ihr? Sie war völlig überdreht! Aber auch Kaori schien sich voll und ganz darauf einzulassen, obwohl sie immer die Vernünftigere der beiden gewesen war.

Doch anscheinend wollte sie es genauso krachen lassen, weshalb auch sie das nächste Shotglas griff.

„Oh man…“, murmelte Taichi nur augenverdrehend und wandte sich seinen besten Freunden und Izzy zu, die etwas weiter abseitsstanden.

Yamato machte einen bedrückten Eindruck auf ihn, auch wenn er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Sora hatte sich an ihn gekuschelt und küsste behutsam seine Wange als plötzlich Mimi sich dazwischen drängelte und einige Gläser auf einem Tablett schwankend balancierte.

„Hey kommt allemal her“, rief sie die Band zusammen und drückte jedem ein Glas in die Hand. „Wir müssen alle noch auf Team Rosa anstoßen“, giggelte sie und informierte Sora, dass sie ihr einen Orangensaft besorgt hatte, bevor sie das Tablett auf dem Tisch abstellte und sich zu Taichi mit einem Getränk durchschlängelte.

Sie grinste und drückte es ihm ohne weiteres in die Hand. Wankend drehte sie sich herum und sprach einen Toast auf die werdenden Eltern aus.

„Auf Sora und Matt und ihre kleine Prinzessin, die von Tante Mimi selbst verständlich zum Shoppen mitgenommen und Papas Kreditkarte zum Glühen bringen wird! Auf euch drei!“

Sie hob das Glas, während Matt Blick sich augenblicklich verfinsterte. „Ich besitze gar keine Kreditkarte und selbst wenn ich eine hätte, würde ich meiner Tochter sie nur anvertrauen, wenn du nicht dabei wärst.“

Mimi rümpfte beleidigt die Nase und wandte sich Taichi zu, der misstrauisch an seinem Getränk roch. Der beißende Geruch von Wodka vereinnahmte seine Nase und ließ ihn erschaudern.

„Taaaai“, sagte Mimi langgezogen und sah ihn mit ihren hellbraunen Augen flehend an. „Sag was!“

„Was? Also dir würde ich meine nicht vorhandene Kreditkarte auch nicht anvertrauen“, erwiderte er grinsend und sah wie Mimi schmollend vor ihm stand.

Wütend verzog sie die Augen zu Schlitzen, fixierte kurz Kaori und griff nach ihrer Hand. „Lass uns tanzen gehen, mein Freund hat sich gerade gegen mich verschworen“, eröffnete sie schnippisch und zog mit der angeheiterten Kaori von dannen.

Doch Taichi war einfach nur genervt. Er hatte heute keine Lust sich von Mimi provozieren zu lassen, nur weil sie schlechte Laune hatte.

Deswegen ließ er sie einfach ziehen und beobachtete sie beim Tanzen. Auch Izzy, Ryota und Akane gesellten sich dazu, während Taichi sich den Abend über mit Juro über sein Studium unterhielt.

Auch wenn er es nicht zugeben wollte, frustrierte ihn dieses Gespräch, doch er wollte sich nichts anmerken lassen.

Sora und Matt hatten sich derweil bereits verabschiedet gehabt. Sora war müde und konnte kaum die Augen aufbehalten, weshalb Yamato sie nach Hause gebracht hatte.

„Irgendwie ist es schon komisch die Band aufzugeben“, meinte Juro auf einmal und klang sehr sentimental – etwas, dass man von Juro gar nicht kannte, da er immer einen kühlen Kopf behielt.

„Naja, aber es ist wohl im Moment die bessere Entscheidung. Es heißt ja nicht, dass ihr nie wieder Musik machen dürft“, hakte Taichi hoffnungsvoll ein, da er sich schon vorstellen konnte, die Band irgendwann wieder auf einer Bühne sehen zu können, auch wenn es erst in weiter Ferne war.

Juro nickte nur bestätigend und wollte gerade etwas erwidern als Mimi dazu stieß und die Arme um Taichi schlang. „Izzy und Kaori haben mich im Stich gelassen, weil sie zur Toilette mussten und für Ryota und Akane bin ich quasi Luft“, protestierte sie und deutete auf das verliebte Pärchen, dass engumschlungen auf der Tanzfläche umherwandelte.

„Tanz doch auch mal mit mir“, bettelte sie wehleidig und krallte sich mit den Nägeln in sein Shirt.

Allerdings er hatte unter diesen Umständen keine Lust zu tanzen.

„Ich unterhalte mich doch gerade mit Juro. Ich kann ihn doch nicht einfach so stehen lassen“, knurrte er ihr zu, allerdings blieb Mimi unbeeindruckt.

„Komm schon Tai! Bitte!“

„Nein, ich habe heute einfach keine Lust, okay?“, antwortete er ruppiger als er eigentlich wollte.

Mimi zog die Unterlippe nach vorne und sah ihn mit glasigen Augen an.

„Gib‘ doch zu, dass du mit mir keine Zeit verbringen willst“, unterstellte sie ihm weinerlich und er erkannte tatsächlich aufkommende Tränen in ihren Augen, was in ihm Panik auslöste.

Sie wollte sich gerade von ihm zurückziehen als er ihr Handgelenk packte. „Man Mimi, das war doch gar nicht so gemeint! Ich sollte dich wohl besser nach Hause bringen.“

Er warf Juro einen entschuldigen Augenaufschlag zu, den er jedoch sofort verstand.

„Komm wir gehen jetzt!“

„Aber ich will mich noch von Kaori verabschieden“, murrte Mimi widerwillig.

„Du kannst ihr nachher eine SMS schreiben. Wir gehen jetzt!“, beschloss Taichi felsenfest.

Mimi seufzte nur theatralisch und strich sich die Haare aus dem Gesicht, die jedoch an ihrer schweißbenetzten Stirn festklebten.

Auch wenn ihr Blick eindeutig war, stellte sie ihre Widerworte erstaunlich schnell ein und verließ gemeinsam mit ihm den Club, um sich in die kühle Dezembernacht zu begeben.
 

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Sie ließ sich lachend auf ihr Bett fallen, während Taichi leise ihre Zimmertür hinter sich schloss.

„Nicht so laut, deine Eltern schlafen doch“, erinnerte er sie und ging schnurstracks auf sie zu, um ihr die Stiefel auszuziehen.

„Ist mir doch egal. Die können ruhig wach werden“, grummelte sie verständnislos und sah zu, wie Taichi sich zu ihr runterbeugte und ihre Schuhe vorsichtig entfernte.

Sie grinste schelmisch und setzte sich ein wenig auf, um ihn besser ansehen zu können.

„Du könntest ruhig ein bisschen näherkommen“, raunte sie verführerisch. „Ich beiße auch nicht.“

Tai stellte die Schuhe auf ihrem Fußboden ab und blickte fragend auf sie hinab.

„Versuchst mich gerade anzumachen?“, hakte er belustig nach, blieb aber weiterhin stehen, was Mimi ungeduldig werden ließ.

Sie schaffte sich auf ihre Knie, wankte umher und konnte gerade in Taichis Armen Halt finden, der sie verkrampft festhielt.

Doch sie kämpfte sich weiter nach oben, schlang ihre Arme hinter seinen Nacken und ihr alkoholgetränkter Atem wehte ihm entgegen, sodass er automatisch wieder an seinen Vater denken musste.

Ohne inne zu halten, presste Mimi plötzliche begierig ihre Lippen auf seine und wollte ihn in einen innigen Kuss verwickeln, den er jedoch nicht genießen konnte.

Er erwiderte ihren Kuss zwar, aber eigentlich hatte er heute überhaupt keine Lust auf solche Aktivitäten.

Mimi jedoch wanderte mit ihren Händen nach unten und nestelte an seinem Hemd, was eine innere Unruhe in ihm auslöste.

Er unterbrach den Kuss und drückte sich etwas von ihr ab.

„Was soll das denn?“, fragte er lächelnd, obwohl er genau wusste, was sie hier vorhatte.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, flötete sie unschuldig und begann seinen Nacken zu kraulen.

Ihre Augen wirkten müde und sie konnte ihre Lider kaum offenhalten, aber dennoch hörte sie nicht auf!

Sie begann sogar seinen Hals zu liebkosen, doch das Gefühl von Erregung wollte sich bei ihm einfach nicht einstellen, selbst als sie mit ihren schmalen Fingern zu seiner Hose wanderte und sich am Knopf zu schaffen machte.

Ruckartig hielt er ihre Hände fest und brachte sie dadurch zum Innehalten.

Genervt stöhnte sie auf und sah ihn durchdringend an.

„Man Tai, was soll das denn?“, fragte sie vorwurfsvoll und setzte sich zurück aufs Bett.

„Mir ist halt heute nicht danach“, rechtfertigte er sich.

„Dir ist schon seit wir zusammen sind nicht danach! Sag mal bist du irgendwie asexuell? Oder hast du schwule Tendenzen von denen ich wissen sollte?“

Asexuell? Schwule Tendenzen? War sie noch ganz bei Sinnen? Hatte sie denn keine Ahnung, wie abtörnend betrunkene Menschen auf ihn wirkten?

„Du bist betrunken und alles andere als bei Trost“, erwiderte er nur und stand auf.

„Wie bitte?“, rief sie so schrill, dass Taichi schon Angst hatte, dass sie ihre Eltern dadurch aufwecken könnte. „Tut mir leid, dass ich mir Intimität mit meinem Freund wünsche, was in einer Beziehung ja auch vollkommen normal ist!“

„Das schon, aber du musst mich auch verstehen! Ich habe keine Lust mit dir zu schlafen, wenn du so hackedicht wie mein Vater bist“, klagte er sie an, sodass es Mimi prompt die Sprache verschlug.

„D-Du vergleichst mich ernsthaft mit deinem Vater?“, hakte sie fassungslos nach und ließ die Schultern hängen.

Er biss sich auf die Unterlippe und zog diese nach hinten. Was sollte er nur sagen? Er wollte sie doch gar nicht dumm anmachen, aber er kam damit nicht klar, sie so betrunken zu sehen. Wieso konnte sie das nicht verstehen?

„Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen. Ich will mich nicht mit dir streiten und wir sollten vielleicht reden, wenn du wieder nüchtern bist“, schlug er vor, auch wenn er bemerkte, dass sein Angebot für sie wenig versöhnlich klang, sondern eher nach einem Vorwurf, den er ihr gar nicht machen wollte.

Er wollte nicht so zu ihr sein. Er wollte ihr nicht verbieten Alkohol zu trinken. Er wollte einfach mit ihr zusammen sein. Und natürlich konnte er ihren Wunsch nach Intimität verstehen.

Er wollte es doch auch, nur unter anderen Umständen.

„Okay…“, antwortete Mimi leise und presste die Lippen aufeinander, sodass sie einen schmalen Stich ergaben. „Es tut mir leid.“

Tai sah auf sie hinab, wie sie wie ein Häufchen Elend vor ihm saß.

Er gab sich einen Ruck, beugte sich zu ihr hinab und drückte ihr einen sanften Kuss zum Abschied auf die Wange, um ihr zu signalisieren, dass er eigentlich gar nicht mit ihr streiten wollte.

Ihre Blicke trafen sich kurz, bevor er sich aufrappelte und leise zu ihrer Zimmertür schritt.

Er wandte sich wieder zu ihr und ein mattes Lächeln legte sich über seine Lippen, bevor er sie kräuselte und ihr einen guten Nacht Gruß zurief, den sie jedoch nicht mehr erwiderte.

Sie ließ die Schultern hängen und versteckte sich unter ihrem Haarvorhang, während Taichi sich schweren Herzens auf den Nachhauseweg machte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,
seit dem letzten Kapitel sind einige Monate vergangen und leider hatte ich einfach keine Motivation gefunden, mich meinen Geschichten weiterhin zu widmen. Da in diesem Monat einige Autoren wieder aktiv waren, die ich gerne gelesen habe, wollte auch ich für das nächste Jahr den Vorsatz fassen, diese Geschichte vollständig hochzuladen und zu beenden.
Leider waren die letzten zwei Jahre für meine Familie und mich nicht sonderlich leicht gewesen. Ich habe damals 2009 mit dem Schreiben angefangen, um dadurch die Krebserkrankung meines Vaters zu verarbeiten. Dass wir neun Jahre später diesen Kampf erneut aufnehmen müssen, hat niemand erwartet, doch Krebs ist sehr heimtückisch. Diesmal habe ich mich auch dazu entschlossen, meinen Vater mehr auf seinem Weg zu begleiten und seine „Pflege“ übernommen, weshalb ich auch kaum Zeit für andere Dinge hatte. Nebenbei habe ich mein Studium beendet und fange im Januar auch eine neue Stelle an, was für mich eine große Veränderung bedeutet.
Dennoch möchte ich mich auch dem Schreiben und Zeichnen in meiner Freizeit wieder mehr widmen, da mir beides sehr geholfen hat, Schicksalsschläge zu verarbeiten. Ich würde mich daher sehr freuen, wenn ihr euch auch meinen heutigen Weblog durchlest, indem ich einen kleinen, aber persönlichen Brief an den Krebs verfasst habe, um das Jahr 2019 für mich abzuschließen.
Natürlich würde ich mich auch sehr freuen, wenn ihr auch bei dieser Geschichte weiterhin dabei seid!
Vielen Dank für euren Zuspruch und eure lieben Kommentare!
Ich wünsche euch einen guten Rutsch und einen wundervollen Start ins Jahr 2020!

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Suben-Uchiha
2020-04-23T12:40:09+00:00 23.04.2020 14:40
Moin Tami,

Das war ja mal wieder ein Kapitel. Ich kann Tai total verstehen das er nach all dem seinem Vater erst einmal nicht verzeihen kann, dass hätte ich auch nicht gekonnt, bei einem Streit herrscht bei mir und meinem Vater ja schon min. 3 Tage Funkstille xD
Das letzte Konzert war auch mega, man konnte die Atmosphäre beim lesen komplett spüren. Aber das Tai Mimi mit so argen Augen beobachtet hat wie sie sich so zukippte kann ich auch voll verstehen mit seiner Vergangenheit, auch beim späteren Sex-Versuch kann ich Tai verstehen, da hätte ich persönlich auch irgendwie keine Lust.

So ich mache mich mal ans nächste

LG Sven
Von:  Jea1995
2019-12-30T12:43:52+00:00 30.12.2019 13:43
Tolles Kapitel:)
Ich musste erst mal wieder in die Geschichte hineinfinden ist ja schon eine weile her :D
Tais Verhalten kann ich verstehen und hoffe auch das sein Vater es wirklich durchzieht. Was mich ein bisschen an Tais Verhalten gestört ist das er Mimi lieber darauf ansprechen sollte das er Momentan kein Fan von Alkohol ist denn die denkt nicht nach und meint es nicht böse :-) zwar hat er es am Ende gesagt aber dennoch finde ich er sollte mit jemanden darüber sprechen das er so fühlt.
Es freut mich das du langsam wieder zur Geschichte findest:)
Das mit dem Krebs tut mir leid:(
Ich wünsche dir alles gut fürs neue Jahr 2020 und das es ein gutes wird :D
Liebe Grüße <3
Antwort von:  Jea1995
30.12.2019 13:45
*Verhalten gestört hat ist....
Von:  Hallostern2014
2019-12-29T19:48:15+00:00 29.12.2019 20:48
Huhu..

Oje, das hört sich nicht gut an. Ich hoffe, dass es dein Papa bald besser geht und wünsche euch viel Kraft. Das du ihn Pflegst finde ich toll. Deinen Brief werde ich Natürlich gleich auch nochmal lesen. Und werde dazu Natülich auch noch was schreiben.

Zum deinen Kapitel.

Ich kann Tai vollkommen verstehen. Ich habe damals genau das selbe durch gemacht. Nur das es nicht der Papa war. Und leider wird man gerade im gewohnten Alltag schnell rückfällig. Da braucht es nur Schwierigkeiten zu geben oder Freunde die einen überreden und schon ist man wieder drinne. Wenn es so kommen sollte und sei Vater wieder anfängt zu trinken sollte er ihn es direkt sagen er muss sich wieder Hilfe holen.

Auch das mit dem Studium tut mir leid. Er hätte es verdient gehabt. Ich hoffe er schafft es den andern weg zu gehen und seinen Berufswunsch nicht so schnell auf gibt. Er muss Kämpfen.

Oje, da hat Mimi sich aber ganz schön Abgeschossen. Sie hätte vorher mit Tai darüber reden sollen was sie Heraus gefunden hat. Man merkte wie es ihr belastet. Ich hoffe nur, dass Mimi sich bei Tai meldet, wenn sie wieder Nüchtern ist. Tai hatte es nur wieder richtig gemacht und sich nicht auf dem Sex ein gelassen.

Oder Tai meldet sich bei ihr. Denn das was er wegen sein Vater zu ihr gesagt hat tat ihn leid. Dass hatte man gemerkt.

Ich bin gespannt wie es weiter geht. Und freue mich sehr aufs neue Kapitel.

Ich hoffe für dich und deine Familie wird das Jahr 2020 besser. Ich wünsche euch nochmal viel Kraft. Komm gut in's Neue Jahr.

Gsnz liebe Grüße und bis gleich 🍀


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