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Agathós

Der Orden des Lichts
von

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Ein Unglück kommt selten allein (Part I)

Kapitel 1


 

~*~*~ Charlie ~*~*~
 

Ich habe schon immer gewusst dass ich anders bin, auch ohne das mir ständig von Ivonne und ihrer Gang gesagt wird, dass ich ein Freak bin.
 

Ich habe mich nie für die Dinge interessiert, für die sich Mädchen in meinem Alter eigentlich interessieren. Wenn andere sich Gedanken darüber machen, welche Klamotten sie sich als nächstes kaufen werden, frage ich mich welches Buch ich als nächstes verschlingen werde. Und wenn andere ihre Freizeit mit Shoppen gehen, Partys feiern und wahrscheinlich auch Drogen nehmen verbringen, habe ich Unterricht in Fechten, Bogenschießen und Selbstverteidigung. Also ja… Ich bin anders und vielleicht bin ich auch ein Freak, in deren Augen wohlgemerkt, aber das stört mich nicht im Geringsten. Ich finde mich so wie ich bin, ganz ok. Und meine Freunde tun das auch.
 

Ryan Parker und Samantha Salomon.
 

Ich kenne die beiden jetzt schon seit 13 Jahren und wir haben uns bis jetzt, noch kein einziges Mal gezofft – wenn das mal kein Zeichen ist. Wir drei sind wie Pech und Schwefel und gehen gemeinsam durch dick und dünn. Wir sind quasi wie Geschwister. Obwohl…
 

Nein, nein, nein, nein, nein. Lieber doch keine Geschwister. Immerhin steht Samantha ein klein wenig auf Ryan. Und alleine schon daran zu denken, dass mein quasi Bruder und meine quasi Schwester…, also das sie... Nein, das wäre einfach zu ‚bä‘ und irgendwo auch gruselig. Immerhin haben wir früher, als wir noch klein und unschuldig waren, gemeinsam in einer Badewanne, Schatzsuche, gespielt. Hach ja, war das eine schöne Zeit.
 

Damals gab es noch keine Ivonne Wittmann und ihre keine Clique aus verzogenen Gören und Diven, die mich tyrannisieren und das nur, weil ich vor drei Jahren, als ich noch einen halbwegs guten Ruf hatte, zur Schulsprecherin gewählt wurde. Dabei wollte ich den Job gar nicht haben. Ich hatte mit meinen Freizeitbeschäftigungen und mit meinen beiden Freunden, schon viel zu viel um die Ohren gehabt. Dementsprechend gab ich den Titel auch schon nach einem Jahr wieder auf und trat ihn an Ivonne ab, doch auch das brachte mir keine Pluspunkte bei ihr ein, im Gegenteil. Sie hasste mich danach irgendwie noch mehr. Aber naja, manchen Leuten kann man es eben nicht Recht machen.
 

Die Wut die ich gerade auf Ivonne verspüre nutzend, schieße ich mit meinem letzten Pfeil genau ins Schwarze, in die Mitte. Ich atme freudig aus und entscheide mich für heute Schluss zu machen. Schließlich habe ich gleich noch eine Verabredung.
 

Ich schließe meinen Kompositbogen ordnungs- und vorschriftsgemäß wieder weg und beeile mich, dass ich noch schnell unter die Dusche komme, bevor gleich Ryan hier auftaucht und mich abholt. Wir wollen zusammen mit Samantha in unser kleines Stadtkino gehen, es soll irgendein etwas älterer Film mit ihrem Lieblingsschauspieler kommen – Samantha steht voll auf ihn. Hoffen wir also mal, dass sein Charakter wenigstens in diesem Film, überleben wird. In den meisten Filmen, in denen er mitwirkt, kratzt er ja ab.
 

Nachdem ich fertig geduscht habe, begebe ich mich in mein Zimmer und suche passende Sachen für unseren Kinobesuch raus. Sehr viel Auswahl habe ich nicht, darum dauert es auch keine Zehn Minuten und ich stehe Ausgehfertig, vor unserem recht altmodisch eingerichteten Zweifamilienhaus. Mom liebt es Rustikal.
 

Das Scheinwerferlicht von Ryans Mercedes-Benz ist schon von weitem zu sehen und so setze ich mich lieber schon mal in Bewegung, bevor Mom doch noch auf die Idee kommt, ihm einen guten Abend zu wünschen und darüber hinaus, noch eine ihrer gern abgehaltenen Standpauken, über das ‚pünktlich nach Hause bringen‘ und ‚sinnig fahren‘, hält. Mom liebt es Standpauken zu halten – und ich hasse es.
 

Ryans Wagen hält neben mir an und ich steige freudig ein. Zum Glück ist er bereits volljährig und besitzt einen eigenen Wagen, auch wenn ich finde das es als erstes eigenes Auto, auch ein etwas kleinerer hätte sein können. Aber naja… Ryan steht nun einmal auf schnelle Autos. Schon als kleiner Junge war er regelmäßig auf Rennstrecken anzutreffen, was seine Eltern stets verzweifeln lies.
 

„Hey!“, begrüßt Ryan mich und gibt mir einen sanften Kuss auf die Wange. Das tut er seit gut einem viertel Jahr. „Gut siehst du aus!“
 

„Danke! Du aber auch.“ Ryan trägt eine schwarze Jeans und ein weinrotes Hemd, von dem die oberen zwei Knöpfe offen stehen. Ich beobachte ihn noch etwas von der Seite aus, während er Gas gibt. „Hast du nach dem Kinobesuch noch was vor?“, frage ich ihn.
 

„Nein! Wieso?“ Ryan blickt kurz zu mir, ehe er sich wieder voll und ganz der Straße widmet.
 

„Naja, du siehst heute so… schick aus.“ Normalerweise trägt er immer nur seine ausgeleierten und ausgeblichenen Pullover und Jeanshosen voll mit Löschern. Von Mode hat Ryan nämlich noch weniger Ahnung als ich. Die einzige die wirklich was von all dem Kram versteht ist Samantha. Sie wird Augen machen, wenn sie gleich so sieht. Vielleicht auch halb in Ohnmacht fallen. Ryan sieht in diesem Hemd nämlich mehr als scharf aus.
 

Schnell wende ich meinen Blick von Ryan ab. So wie eben, habe ich noch nie über ihn gedacht – ich werde doch wohl nicht… Nein, ganz ausgeschlossen. Mein heimlicher Schwarm heißt Alexander. Er sieht verdammt heiß aus, ist, wie soll es auch anders sein, der beliebteste Schüler der Schule und leider auch der Zwillingsbruder von Ivonne. Das Karma meint es einfach nie gut mit mir.
 

„Samantha hat mich vorhin angerufen, sie kommt fünf Minuten später und wir sollen für sie schon einmal eine Karte mitkaufen. Ihr Vater ist heute kurzfristig nach Hause gekommen, und wollte unbedingt noch etwas Zeit mit seiner ‚kleinen Prinzessin‘ verbringen, weil er morgen früh gleich wieder los muss. Was bin ich froh, dass ich keinen Piloten als Vater habe. So selten wie die den zu Gesicht bekommt, da wäre es für sie vielleicht besser wenn...“ Ryan hält mitten im Satz inne, seufzt dann und schüttelt dabei den Kopf. Und ich sitze stumm daneben und starre meinen besten Freund traurig an.
 

Am liebsten würde ich ihn jetzt trösten, aber andererseits weiß ich auch nicht was ich ihm sagen soll. Ich habe ja nicht dasselbe Problem wie er und Samantha, wobei es Ryan am schlimmsten von beiden getroffen hat. Immerhin hat er nur noch seinen Bruder, während Samantha und ich noch beide Elternteile haben, auch wenn Samantha ihren Vater nur alle drei-vier Wochen sieht und ihre Mutter nie Zeit für sie hat. Auch ich seufze.
 

Ryans Eltern sind vor drei Jahren bei einem Bootsausflug in ein heftiges Gewitter geraten und gekentert. Die Leichen der beiden wurden nie gefunden und so hat Ryan immer noch etwas Hoffnung, dass seine Eltern noch am Leben sein können.
 

Ich lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe an und verfolge mit meinen Augen die Regentropfen. Es hat draußen angefangen sachte zu regnen. Wie passend, denke ich und schließe meine Augen.
 

Den Rest des Weges schweigen Ryan und ich, was sehr befremdlich ist, doch wenn Ryan mit mir hätte über das was ihn bedrückt reden wollen, dann hätte er es getan. Gut genug kenne ich ihn ja.
 

Zehn Minuten später sind wir am Kino angekommen und wie Ryan gesagt hatte, ist Samantha noch nicht zu sehen.
 

Mein bester Freund bringt seinen Mercedes zum Stehen und beide steigen wir aus. Noch immer nieselt es leicht.
 

Ich gehe um den alten Oldtimer rum und stelle mich neben ihn. Zaghaft spüre ich die schlanken Finger von Ryan, wie sie nach meiner Hand greifen. Er schenkt mir ein kleines Lächeln, als ich seine Geste erwidere und seine Hand fest in meiner halte. Gemeinsam betreten wir das Kino.
 

Drinnen hat sich schon eine kleine Schlange gebildet.
 

„Ich hätte nicht gedacht, dass der Film solchen Anklang findet“, sagt Ryan und kramt einige Geldscheine aus seiner Hosentasche. Auf meinem Blick hin zieht er eine Augenbraue hoch und boxt mich liebevoll mit seinem Ellenbogen in die Seite. „Jetzt schau nicht so. Ich bin der Kerl und bezahle natürlich für meine beiden Mädels. Ist doch klar.“
 

„Oh, mein holder Prinz“, scherze ich und boxe zurück. Mit den Jahren habe ich es aufgegeben mit Ryan zu streiten, da er eh jedes Mal gewinnt. „Was wäre ich nur ohne dich“, füge ich noch hinzu.
 

„Inzwischen so arm wie eine Kirchenmaus“, erwidert er, was mich innerlich auflachen lässt. Wenn er nur wüsste.
 

Bei dem Vermögen was meine Eltern besitzen, würde es mehrere hundert Jahre dauern, bis wir mal ansatzweise arm werden. Aber das kann ich natürlich niemandem sagen. Immerhin weiß niemand in der Stadt, dass wir mehr als reich sind. Und das wollen wir auch gar nicht. So haben wir unsere Ruhe und werden von unserer Nachbarschaft eher ignoriert, als belagert.
 

„Hey da kommt ja Samantha“, sagt Ryan und winkt unsere Freundin fröhlich zu. Wenigstens hat er jetzt wieder gute Laune. Ein niedergeschlagener Ryan ist nämlich kaum zu ertragen.
 

Stürmisch werde erst ich und dann Ryan umarmt. Wie immer ist Samantha bester Laune und strahlt uns wie ein Honigkuchenpferd an.
 

„Und? Habt ihr schon die Karten geholt?“, will sie von Ryan wissen. Aus ihren hellgrünstrahlenden Augen, blickt sie zu ihrem heimlichen Schwarm. Der begutachtet unsere Nachzüglerin eine Weile, ehe er den Kopf schüttelt.
 

Samantha sieht wie eigentlich immer bezaubernd aus. Sie trägt ein dunkelgrünes, für den Frühwinter geeignetes Kleid, welches ihre recht schmale Figur noch mehr betont und eine schwarze Strickjacke darüber.
 

„Sind noch nicht dran gekommen“, sagt er und zeigt auf die Leute vor uns. Sofort verdunkelt sich Samanthas Gesicht.
 

„Die sollen sich da vorne mal beeilen, ich will nichts vom Film verpassen“, brummt Samantha. Sie stellt sich auf ihre Zehenspitzen – als wenn das bei ihren 1,52m einen allzu großen Unterschied macht und brüllt los. „Seit ihr da vorne eingeschlafen oder was?“ Ich verdrehe meine Augen. Samantha und ihre große Klappe.
 

Ich drehe mich etwas zur Seite und tue so als kenne ich sie nicht, während Ryan ihr auf den Rücken klopft und ihren dunkelbraunen Lockenkopf verwuschelt. Die knurrt ihn daraufhin an und öffnet erneut ihren Mund. Bevor sie allerdings einen Laut von sich geben kann, verblasst um uns herum die Menschenmasse in einer Art Grauschleier und sämtliche Bewegungen, inklusive den Fliegen an den Wänden, stehen mit einmal Still.
 

Die Zeit wurde angehalten.
 

Ich blicke mich in der Eingangshalle um und warte fast schon sehnsüchtig auf das kommende Schauspiel. Immerhin wird die Zeit um mich herum immer nur dann angehalten, wenn ich eine Vision bekomme. Und diese…
 

Es ist soweit.
 

Samantha ist gerade auf hundertachtzig, genauso wie die Kassiererin, die ihren Unmut kund tut, woraufhin sich Sam natürlich aufregt. Beide Frauen streiten sich gute fünf Minuten lang, bis es der Frau hinter der Glasscheibe zu viel wird und sie Samantha aus dem Kino schmeißt. Außerdem erteilt sie ihr noch zusätzlich, für ein ganzes Jahr, Hausverbot.
 

Ich stöhne gefrustet auf und schüttle meinen Kopf. Manchmal ist Samantha wirklich anstrengend.
 

Ich richte meinen Blick auf die Uhr über dem Schalter. Er zeigt 19:22 Uhr an, dann bewegt er sich mit einmal rückwärts, bleibt bei 19:20 Uhr stehen und springt gleich darauf eine Minute weiter vorwärts. Die Zeit verläuft wieder ganz normal.
 

Damit meine Vision nicht eintrifft – solche Kleinigkeiten können ruhig verändert werden, ohne dass es Auswirkungen auf die Zukunft hat – wende ich mich unverzüglich Sam zu, die schon Luft für ihre Meckertriade holt und Ryans Hand wegfegt, die durch ihre Haare wuschelt.
 

„Geduld ist eine Tugend, Fräulein Salomon“, necke ich sie mit einem Lächeln im Gesicht. „Aber kein Grund zur Sorge, das wirst du auch noch lernen. Bist ja noch jung.“
 

„Idiotin!“, erwidert sie daraufhin kichernd – und vergessen ist, dass sie sich eigentlich lautstark beschweren wollte.
 

Ich blicke erneut zur Uhr. Und als ich sehe dass der Zeiger gerade auf 19:23 Uhr springt, seufze ich erleichtert aus. Das Unheil wurde abgewendet. Noch mal Glück gehabt.
 

Es ist wirklich interessant wenn man bedenkt das ich nicht viel getan habe und es dennoch gereicht hat, um Samantha von einer Dummheit abzubringen. Was ein paar kleine Worte doch bezwecken können.
 

„Du bist gerade mal einen Tag älter als ich, Charlie“, sagt Sam mit immer noch einem Lächeln im Gesicht. „Also spiel dich nicht so auf.“
 

Ryan und ich sehen uns an und versuchen ein grinsen zu unterdrücken, was uns aber nicht gelingt. Gespielt bockig verschränkt Samantha ihre Arme vor der Brust und dreht ihren Kopf von uns weg.
 

Die Schlange vor uns hat sich mittlerweile aufgelöst und somit sind wir endlich an der Reihe. Ryan bezahlt die drei Karten, sowie eine große Packung Popcorn und für jeden was zu trinken. Dann begeben wir uns in den Kinosaale und suchen unsere Plätze. Und kaum das wir sitzen, würde ich am liebsten wieder aufstehen und gehen.
 

Genau vor uns sitzen Ivonne, Mareike, Jens, Fabienne – meine persönlichen 4 Reiter der Apokalypse, und Alexander – mein heimlicher Schwarm.
 

Ich bin wirklich am Überlegen ob ich lieber gehen sollte, doch da verdunkelt sich schon der Raum und die Werbung beginnt. Zu spät. Außerdem hat Ryan für uns alles bezahlt und da wäre es mehr als unhöflich, wenn ich jetzt die Biege gemacht hätte. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als die nächsten zwei Stunden auszuharren und zu hoffen, dass Ivonne uns nicht beim raus gehen mitbekommen. In meiner Freizeit kann ich auf das Zickentheater von ihr und ihrer Clique, wirklich verzichten.
 

Die Werbung ist vorbei und schon beginnt der Film.
 

Das erste was ich sehe sind blutunterlaufene Schriftzeichen – der Titel des Filmes: Das schwarze Herz!
 

Ich versinke in meinem Sessel und seufze resigniert. Ein Horrorfilm… Auch das noch.

Ein Unglück kommt selten allein (Part II)

Kapitel 2


 

~*~*~ Charlie ~*~*~
 

Es gibt zwei Dinge die mir gerade durch den Kopf gehen. Erstens: Der Film war grottig. Und Zweitens: Hoffe ich für Ryan, dass Samantha nur was Filme angeht, kein Händchen für Jungs hat. Denn wie nicht anders erwartet, ist ihr Typ im Film abgekratzt. Doch über beides will und kann ich mir jetzt keine weiteren Gedanken machen, denn Ivonne und Co. sitzen noch immer vor uns. Dabei habe ich so sehr gehofft dass sie sofort gehen werden, sobald der Film vorbei ist, aber Pustekuchen. Oh wie ich Samantha gerade dafür hasse, dass sie sich auch immer noch die Abspanne ansehen will.
 

Was habe ich denn nur getan, dass es das Schicksal gerade nicht gut mit mir meinen kann? Ich habe doch eigentlich nichts Schlimmes gemacht. Ok, ich gebe zu, Ivonne ein paar ängstigende Träume zu schicken, war nicht gerade meine beste Idee, zumal Mom das auch noch mitbekommen hatte und mir daraufhin eine ihrer geliebten Strafpredigten hielt. Aber auch wenn das von mir wirklich fies war, so ist das doch nun wirklich kein Grund, mich mit so viel Pech zu bestrafen. Normalerweise bin ich schließlich eines der liebsten Mädchen die es gibt, meiner Meinung nach. Aber naja, wer weiß wozu es gut ist, dass ich derzeit so viel Pech habe.
 

Ich ziehe mir schon einmal meinen Wintermantel an und reiche dann Ryan und Samantha ihre Jacken. Vielleicht klappt es ja und wir können noch vor unseren Vordermännern den Kinosaal verlassen. Ich drücke mir jedenfalls alle beiden Daumen. Ach was wäre es doch schön wenn ich mehrere davon hätte. Das würde dann vielleicht meine Chance erhöhen hier zu verschwinden, und zwar ohne von ihnen gesehen zu werden. Ganz nach dem Motto: Je mehr Daumen, desto mehr Glück. Hach ja.
 

Erneut seufze ich – was ich in letzter Zeit ziemlich oft mache, wie mir gerade so auffällt. Und an allem ist mein derzeit verzweifeltes Leben dran schuld. Wenn es nicht so verkorkst wäre, müsste ich nicht so oft seufzen. Ergibt doch Sinn. Oder?
 

Meine Augen fixieren den wunderschönen Hinterkopf vor mir. Er gehört Alexander. Sein blonder Lockenkopf hält mich in seinen Bann und lässt mich nicht mehr los. Und wie ich ihn so beobachte, verstärkt sich meine Sehnsucht nach ihm, und nach seinen muskulösen Armen.
 

Mehr als einmal habe ich mir schon selber einen Traum geschickt, in dem Alexander mir beisteht, wenn seine geliebte Schwester mich mal wieder schikaniert, aber leider, leider, ist es bisher nur bei Träumen geblieben. Die Wahrheit sieht anders aus. Düsterer. In ihr hilft Alex mir nämlich nicht. Im Gegenteil. Er steht genauso wie unzählige der anderen Schüler auch, nur dumm rum und starrt mich an. Da frage ich mich doch echt, wieso ich so auf ihn stehe. Klar, er ist der beliebteste und gutaussehenste Junge der Schule, aber ist das auch gleichzeitig ein Grund ihn ebenfalls gut zu finden? Oder ist es eher die Tatsache, dass er sportlich und gebildet zugleich ist? Normalerweise ist man ja nur eines davon – zumindest in unserer Schule. Da ist man entweder schlau, oder ein Sportfreak. Doch beides zusammen?
 

Irgendwas penetrantisch nerviges reißt mich aus meinen Gedanken und so zucke ich leicht zusammen. Ich drehe meinen Kopf in besagte Richtung und starre nun Ryan an. Der pocht mir seinen Ellenbogen in die Rippe und als er sich meiner Aufmerksamkeit sicher ist, sieht er mich besorgt an. Mit einem leichten Kopfschütteln versichere ich ihm das bei mir alles ok ist und er sich keine Sorgen machen muss. Er akzeptiert es nur widerwillig und zuckt einmal kurz mit den Schultern.
 

„Wenn du reden willst, du weißt ich höre dir immer zu“, sagt er und steht dann von seinem Sitz auf. „Übrigens ist der Abspann gerade zu Ende gegangen. Wir können also los.“
 

Auch Samantha steht bereits startklar vor ihrem Sitzt. So wie es aussieht warten sie also nur auf mich. Was ist das aber auch für eine Neuigkeit. Wie immer, bin ich mal wieder bummelletzte. Also stehe auch ich auf, aber ganz vorsichtig.
 

„Ivonne und ihre bekloppte Gang sind noch vor Ende des Abspanns gegangen“, erwidert Samantha und zeigt auf die Sitzreihe vor uns. Sie ist leer. „Du kannst also getrost den Kinosaal verlassen. Wir sind hier die letzten. Mal wieder.“
 

„Gut so“, antworte ich erleichtert und beeile mich beim raus gehen.
 

„Manchmal bist du echt unmöglich. Was du dir immer für Gedanken machst.“
 

„Du hast leicht reden Sam, dich schikanieren sie ja nicht. Und was ist bitte so schlimm daran, dass ich mich von ihnen fernhalten will, hm? Wir haben schließlich Wochenende und das will ich genießen.“
 

„Ja schon gut. Ich kann dich ja irgendwo verstehen.“
 

„Mädels! Streitet euch nicht“, fährt Ryan uns dazwischen.
 

„Wir streiten nicht“, kommt es synchron von Samantha und mir. Daraufhin sehen wir uns kurz an und lachen dann.
 

Draußen angekommen genieße ich die frische Abendluft. Es regnet zwar noch etwas, aber das stört mich relativ wenig. Doch da bin ich bei uns die einzige.
 

„Toll! Ich hatte wirklich gehofft dass es inzwischen aufgehört hat zu regnen. Meine schöne Frisur“, meckert Samantha und kramt ihren knallig-gelben Regenschirm aus ihrer Tasche. Sie spannt ihn auf und hakt sich dann bei mir unter, sodass auch ich im trockenen stehe.
 

Ryan zieht seine Kapuze über und begibt sich zu seinem Mercedes. Bei ihm angekommen verabschieden wir uns von Samantha und fahren los.
 

„Wollen wir noch was Essen, oder willst du sofort nach Hause? Wir haben noch eine Stunde Zeit, ehe die Frist deiner Mutter abgelaufen ist.“
 

„Ein andermal gerne, Ryan, aber heute nicht. Ich bin irgendwie schon müde.“
 

Letzte Nacht habe ich sehr schlecht geschlafen, weiß der Geier warum. Vielleicht hat ja meine Tat, also den Albtraum den ich vor Tagen Ivonne geschickt hatte, was damit zu tun. Mom belehrte mich ja, dass der Missbrauch unserer Magie, üble Konsequenzen nach sich ziehen kann. Und wer weiß, vielleicht wurde eben diese, von mir begangene Tat, ja reflektiert, und nun bekomme ich Albträume. Ich sollte einfach mal diese Nacht abwarten. Aber wenn ich wieder so einen üblen Traum habe, so wie den von letzter Nacht, als ich unseren Bürgermeister – der für einen Politiker eigentlich ganz ok ist – geköpft hatte, dann ist es bewiesen. Zornig sein, zahlt sich einfach nicht aus. Aber ich war so wütend auf Ivonne, das ich einfach nicht nachgedacht hatte.
 

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann bin ich in letzter Zeit ziemlich häufig zornig gewesen. Bei jeder noch so kleinen Kleinigkeit bin ich ausgerastet, doch konnte ich mich bisher eigentlich so weit kontrollieren, dass ich nichts Dummes angestellt habe – bis auf diese eine kleine Sache.
 

„Dann fahr ich dich mal lieber nach Hause. Aber bei morgen bleibt es doch, oder? Du wolltest mir das Bogenschießen beibringen.“ Ups.
 

Langsam drehe ich meinen Kopf mit einer Unschuldsmiene allererster Sahne in Richtung Ryan und lächle ihn unschuldig an. Da muss er einfach schwach werden.
 

„Tut mir echt leid“, sage ich und meine es auch so. „Das habe ich total vergessen. Wann wolltest du denn vorbeikommen?“ Ich muss dringend wieder mein Gehirn auf Vordermann bringen. Nicht das ich noch was Wichtigeres vergesse.
 

„Oh man Charlie. Du bist in letzter Zeit echt nicht auf der Höhe“, meckert Ryan. „Wo du nur immer wieder deinen Kopf hast.“
 

„Ich weiß, ich weiß. Das nervt mich ja auch, das kannst du mir glauben. Aber Ivonne macht mich einfach so dermaßen fertig derzeit, dass ich nur noch an sie denken kann und daran, wie ich mich bei ihr am besten revanchieren kann. Es muss ja nichts wirklich fieses sein – doch, muss es – aber irgendwie will ich ihr mal einen Dämpfer verpassen.“ Und zwar 'nen ordentlichen.
 

„Sinke ja nicht auf ihr Niveau herab, Charlie. Du bist besser als das. Besser als sie.“
 

Ich seufze und schiele leicht zu Ryan rüber.
 

„Du hast Recht.“ Mal wieder.
 

„Ich weiß. Ich habe immer Recht.“
 

„Träum weiter“, sage ich und verpasse ihm einen leichten Klapps auf den Hinterkopf.
 

Wir kommen vor dem Haus meiner Eltern zum Stehen und kaum das ich mich abgeschnallt habe, wird auch schon meine Autotür geöffnet und der schwarze Haarschopf meines Vaters erscheint vor mir.
 

„Hey Dad“, begrüße ich ihn freudestrahlend. Ich habe ihn heute noch nicht gesehen, weil er mal wieder Überstunden machen musste. „Ich bin eine dreiviertel Stunde früher daheim, als mit Mom ausgemacht. Nur keine Sorge. Und Ryan ist auch anständig gefahren.“ Ich steige aus dem Auto aus und umarme meinen Dad. Das ist sowas wie Tradition bei uns. Sofort steigt mir ein unangenehmer Duft in die Nase. Ich rümpfe sie. „Ach man Dad. Nicht schon wieder.“ Er riecht nach harter Arbeit und Männerschweiß.
 

„Sorry. Ich habe es nicht mehr geschafft auf dem Revier duschen zu gehen. Deine Mom will dich sprechen, Süße. Also beeil dich das du rein kommst, ja? ‘N Abend Ryan“, begrüßt er meinen bester Freund dann auch mal.
 

„Guten Abend Herr Nowak“, grüßt Ryan höflich zurück und das trotz der Tatsache, dass er noch nie sonderlich gut mit meinem Dad ausgekommen ist. Dafür aber liebt er meine Mom umso mehr.
 

Dad schenkt mir ein gezwungenes Lächeln – auch er mag Ryan nicht besonders – und verschwindet dann in Richtung Garten.
 

Als hartgesottener Kerl wie mein Dad einer ist, kommt es bei ihm natürlich nicht in Frage dass er die Dusche nimmt, so wie jeder normale Mensch das zumindest im Winter tun würde, nein… Mein Dad ‚duscht‘ natürlich im Außenpool. Und das ‘ne gute halbe Stunde lang. Stärkt die Abwehrkräfte, sagt er immer. Doch für mich ist es einfach nur dämlich.
 

Sobald von meinem Dad nichts mehr zu sehen ist, traut sich Ryan auch wieder hinter seinem Auto hervor und tritt sogleich an mich heran. Er umarmt mich zum Abschied und flüstert mir die Uhrzeit seines morgigen Erscheinens ins Ohr. 15:30 Uhr. Dann steigt er wieder in seinen Mercedes ein und rast davon.
 

Ich schaue ihm noch eine Weile hinterher, bis ich sein Auto nicht mehr sehe und gehe dann rein ins Warme.
 

Ich finde meine Mom im Kaminzimmer vor, wo sie im Schneidersitz, inmitten einem Kreis aus Kerzen sitzt und meditiert. Um sie nicht zu stören setze ich mich auf die einzige Sitzmöglichkeit die es in diesem Raum gibt und beobachte sie stumm. Als auch nach zehn Minuten keine Reaktion von ihr kommt, klopfe ich im Takt des Liedes, welches mir gerade durch den Kopf schwirrt, mit den Füßen auf den Parkettboden und fange zusätzlich an zu summen.
 

„Geduld ist eine Tugend, Liebes“, ertönt auf einmal die liebreizende Stimme meiner Mom. Sie öffnet ihre Augen und sieht mich eindringlich an. „Komm zu mir“, sagt sie und klopft vor sich auf den Boden. Selbstverständlich komme ich ihrer Aufforderung sofort nach und nehme dieselbe Position wie sie ein. Von dort aus blicke ich ihr direkt in die grüngrauen Augen. Unsere ganze Familie besitzt sie selbe Augenfarbe.
 

„Dad sagte du wolltest mit mir reden“, unterbreche ich die sich androhende Stille. Mittlerweile haben wir es nach Mitternacht und ich muss morgen, wie sie ganz genau weiß, wieder früh raus. Selbst an Wochenenden ist es mir vergönnt auszuschlafen. Das ist echt gemein.
 

„Wie war die Vorstellung?“ Small Talk. Na ganz toll. Muss das denn ausgerechnet jetzt sein? Ich bin müde. „Ich hoffe der Film konnte dich etwas ablenken von deinen Problemen.“
 

Natürlich weiß meine Mom über meine Probleme mit Ivonne Bescheid. Wir haben schließlich keine Geheimnisse voreinander, warum auch. Dennoch, meine Mom ist nicht unbedingt meine Bezugsperson Nummer 1, wenn ich mit jemanden reden will. Das sind entweder Samantha oder Oma Frida. So nenne ich die Besitzerin des kleinen Teeladens unten in der Stadt. Sie hat niemanden mehr und da leiste ich ihr ab und zu Gesellschaft, oder helfe ihr im Laden aus. Und genau dort muss ich in acht Stunden sein.
 

„Nicht gut“, beantworte ich die Frage meiner Mom und versuche eine angenehme Sitzposition zu finden. „Aber das lag wahrscheinlich auch nur daran, dass es ein Film über eine rachsüchtige Hexe war, und die Hexe in dem Film total falsch dargestellt wurde. Samantha aber hat er gefallen, auch wenn ihr Liebling mal wieder nicht überlebt hat. Glaubst du das ist irgendein Zeichen? Du weißt schon, das die Typen auf die sie steht andauernd ins Gras beißen. Wenn ja, dann wäre das ein sehr schlechtes Omen für Ryan.“
 

„Für Ryan ist ein sehr langes und glückliches Leben vorgesehen, Liebes. Also musst du dir um ihn keine Sorgen machen.“ Puh. Da fällt mir echt ein Stein vom Herzen.
 

Ich wische mir eine vereinzelte Schweißperle von der Stirn. Eine Sorge weniger, das ist gut. Sehr gut sogar.
 

„Ähm, du wolltest aber nicht darüber mit mir reden, oder?“
 

„Nein!“
 

„Ok. Worüber dann?“
 

Die Gesichtszüge meiner Mom verändern sich minimal. Ich entdecke eine Spur sorge in ihnen, was mich irritiert. Genauso wie die Tatsache, dass sie sich um eine Antwort ziert. Also gibt es wohl keine guten Neuigkeiten.
 

„Wir bekommen nächste Woche Besuch“, presst sie regelrecht hervor.
 

Besuch? Ok… das ist für mich eigentlich kein Grund solch eine Panik zu schieben, aber wenn ich meine Mom so betrachte, dann scheint die Tatsache dass wir Besuch bekommen, ihr regelrecht Angst zu machen. Und das ist ein schlechtes Omen.
 

***
 

Ich liege auf meinem hellblauen Himmelbett und starre nun schon seit einer dreiviertel Stunde an die Decke. An Schlaf ist irgendwie nicht mehr zu denken, obwohl ich eigentlich Hundemüde bin. Doch der seltsame Blick meiner Mutter lässt mich einfach nicht zur Ruhe kommen. Ich frage mich die ganze Zeit über, was ihr wohl so viel Angst bereitet, dass sich ihr Unbehagen sogar schon auf mich überträgt.
 

Ich kann nicht mehr still liegen bleiben und Nichts tun, also stehe ich auf und ziehe mir meinen Morgenmantel über. Dann verlasse ich auf leisen Sohlen mein Zimmer und schleiche mich die Treppe runter. Wie vermutet, brennt noch immer der Kamin im Kaminzimmer und meine Eltern sitzen gemütlich auf einem großen Bärenfell. Ich beschließe sie eine Weile zu beobachten, vielleicht bekomme ich ja so heraus, was mit meiner Mom los ist.
 

„Wir müssen mit ihr reden, Schatz. Lange können wir es nicht mehr vor ihr geheim halten“, höre ich meinen Vater sagen. Sofort werde ich hellhörig und halte mein Ohr noch dichter neben die kleine offene Spalte der Tür. Ich lausche den weiteren Worten meines Vaters. „Sobald eines der Ordensmitglieder hier ist, wird es rauskommen. Also sollten wir die Chance nutzen und endlich reinen Tisch machen. Oder willst du dass sie es so erfährt? Von ihnen?“
 

„Du scheinst vergessen zu haben dass wir es waren, die den Orden ins Leben gerufen haben, Ramon. Sie haben kein Recht uns irgendwelche Vorschriften zu machen. Ich werde nicht zulassen, dass sie Charlie mit in ihren Krieg hineinziehen.“
 

„Thalia! Natürlich habe ich nicht vergessen, dass wir den Orden gegründet haben, wie könnte ich das auch. Dennoch… Wir haben ihn verlassen und dementsprechend haben wir keinerlei Weisungsbefugnis mehr. Wir gehören dem Orden nicht mehr an und das war unsere Entscheidung. Wir wussten was es für Konsequenzen haben wird.“
 

Ich drehe mich zur Seite und lehne meinen Rücken an die Wand an. Von was für einen Orden reden die beiden da?
 

„Ich weiß!“, höre ich meine Mom flüstern.
 

„Lass es uns ihr gleich morgen früh sagen, Thalia. Das ist wirklich das Beste was wir machen können. Wir mögen dem Orden nicht mehr angehören, dennoch sind wir an seine Gesetze gebunden. Und Charlie ist jetzt alt genug, um als Agathós-Kriegerin ausgebildet zu werden.“
 

„Genau das ist es wovor ich Angst habe Ramon. Ich will nicht das sie sie uns wegnehmen.“ Die Stimme meiner Mom wird brüchig. „Ich will nicht das sie…“
 

Noch bevor meine Mom ihren Satz zu Ende bringen kann und ich womöglich noch mehr Zeug höre, was für mich keinerlei Sinn ergibt, entschließe ich mich dazu, mich zurückzuziehen und wieder hoch in mein Zimmer zu gehen.
 

Da hätte ich von vornherein bleiben sollen.



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