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Urlaubsreif

Seto x ?
von

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8.2. Sonntag

Im ersten Moment blickte er verwirrt zur Decke hinauf. Nach mehrmaligem Blinzeln dämmerte ihm jedoch wo er war und was für ein Tag war. Es war Sonntag. Üblicherweise stand er um 6 Uhr auf und begab sich in sein Arbeitszimmer, um darauf zu warten, dass Mokuba endlich aufstand, und mit seinem Bruder zu frühstücken. Dieser Zeitpunkt war im vergangenen Jahr immer weiter Richtung Mittag gerutscht, da ein gewisser Herr seine Volljährigkeit offensichtlich in vollen Zügen genoss. Doch ebendieser Bruder hatte für ihn einen Urlaub gebucht an einem der wenigen Plätze auf der ganzen Welt, wo es ihm nicht adäquat möglich war, etwas für seine Firma zu tun, sobald er aufstand. Die dezente Projektion an der Decke wies ihn außerdem darauf hin, dass es bereits 9.30 Uhr war.

Seto Kaiba schnellte hoch, hatte bereits ein Bein unter der Bettdecke hervorgestreckt, als ihm bewusst wurde, dass er keinerlei Verpflichtung unterlag aufzustehen. Lieber kuschelte er sich für weitere 5 Minuten ein und überlegte, was er den Tag über so tun könnte. Das Buch, mit dessen Hilfe er den Vortag überstanden hatte, war kurz nach Mitternacht ausgelesen und obwohl er versucht war, war er nicht noch einmal aufgestanden. Die bittere Rache war in der Nacht gekommen in Form von Träumen wie er sie lange Zeit nicht mehr gehabt hatte. Mit einer dumpfen Vorahnung hob er die Bettdecke und linste an sich hinab. Er würde sich wohl mit einer kalten Dusche vollständig wecken müssen, weigerte er sich doch schon wieder an ihn zu denken, während er selbst Hand anlegte.

Seine Vermutung am Vortag war richtig gewesen und so fand er Handtücher verschiedenster Größe im Badezimmerschrank. Eines mittlerer Größe fand seinen neuen Platz vor der Dusche am Badewannenrand, während er selbst vorsichtig die Dusche betrat und kritisch betrachtete. Auf den ersten Blick sah die Armatur ganz normal aus, doch waren obendrauf und an den Seiten weitere Knöpfe, durch die zusätzliche Funktionen aktiviert werden konnten. Tunlichts darauf bedacht keinen davon zu berühren stellte er die Temperatur auf eiskalt und drehte vorsichtig den Hahn auf. Der nachfolgende Schrei war das Resultat eines noch nicht ganz klaren Kopfes. Denn statt die Brause in die Hand zu nehmen und sich wie gewohnt langsam von den Füßen her an das Wasser zu gewöhnen, hatte ein gewisser Herr sich direkt unter den Brausekopf gestellt. Da half auch kein vorsichtiges Aufdrehen mehr. Schnell drehte er die Temperatur wieder hoch, um weiter zu duschen. Eine gute Sache hatte die Aktion auf jeden Fall: er war wach und sein Körper wieder ernüchtert.

Mit dem Handtuch um die Hüfte und barfuß ging er zum Kühlschrank. Irgendwie hatte er tatsächlich Lust etwas zu essen. Vielleicht lag es an den vergangenen zwei ausgelassenen Mahlzeiten, doch selten verspürte er tatsächlich Hunger. Leider verriet ihn der Blick in den vollen Kühlschrank, dass er in der Vergangenheit versäumt hatte in irgendeiner Form Kochen zu lernen. Nicht einmal seine nun angestrebten Rühreier konnte er sich selbst machen! Verärgert über sich selbst ging er zur Kontrolleinheit und drückte einen Knopf auf dem etwas abgebildet war, dass ihn an eine Kochmütze erinnerte. Einen kurzen Augenblick später vernahm er eine Stimme: „Schönen Guten Morgen! Was kann ich für Sie tun?“ Seto zögerte. Konnte er tatsächlich seine Bestellung äußern? Aber dieser Moment hielt nicht lange, sodass er antwortete: „Ähm, ich hätte gerne Frühstück. Rührei.“ - „Okay. Ich bin in 5 Minuten bei Ihnen“, kam prompt die Antwort und dann herrschte wieder Stille. Verdutzt blickte er auf das Metall, bevor ihm auffiel, dass er noch immer nur mit einem Handtuch bedeckt im Wohnzimmer stand. Schnell schleppte er den bis dahin ignorierten Koffer aufs gemachte Bett, riss ihn auf und zog sich ein frisches Hemd und neue Unterwäsche an. Die Hose nahm er vom Vortag, klappte den Koffer wieder zu und stellte ihn demonstrativ für sich selbst vor den Kleiderschrank. Denn eigentlich hatte er nicht vor die nächsten zwei Wochen aus dem Koffer zu leben. Keinen Augenblick später ging die Haustür auf. Angezogen durch die folgende Geräuschkulisse ging er ins Wohnzimmer zurück, wo ihm ein Hüne von Mann auswich und beladen mit einer großen offenen Kunststoffkiste in die Küche weiterging. Dort stellte er augenblicklich den Herd an und platzierte auf ihm eine große Pfanne. Das Öl, das er in sie goss, nahm er aus einem der Küchenschränke, und entpackte die Kiste weiter, solange es zum Erhitzen brauchte. Es folgte ein Gefäß mit Deckel und zu Setos Verwunderung ein ordentliches Stück Lachs. „Ich habe keinen Fisch bestellt.“ Der Mann in der Küche lachte auf. „Das sagen sie alle und am Ende wollen sie ihr Rührei nie mehr anders. Auf der Liste steht, dass Sie Fisch mögen, und die Kombination aus Ei und Lachs ist ein wunderbarer Start in den Tag.“ Es folgten ein Schneidebrett und ein großes Messer, mit dem er sich daran machte den Lachs in kleine Häppchen zu zerlegen. „Welche Liste?“ - „Die Liste, die Ihr Bruder uns geschickt hat, mit Ihren persönlichen Essensvorlieben.“ Die Häppchen verschwanden in dem Gefäß, das nun mehrere Male gut geschwenkt wurde. Währende Seto noch über den Sinn einer solchen Liste und weiteren Möglichkeiten, was Mokuba für Informationen preisgegeben hatte, nachdachte, wurde der Gefäßinhalt in die Pfanne gegossen, im Toaster landeten zwei Scheiben Brot und er wurde gefragt, ob er Kaffee zu seinem Rührei wolle. Er bejahte und stellte dann die erstbeste Frage, die ihm in den Sinn kam: „Auf was für einen Typ Mensch steht Ihr Chef eigentlich?“ Er könnte sich ohrfeigen! Hatte er das tatsächlich laut ausgesprochen. „Entschuldigung, ich meinte natürlich“, versuchte er zu retten was zu retten war, „Was für ein Typ Mensch ist ihr Chef? Außerdem hat er mir gestern keinen Namen genannt.“ Der Koch, denn das war er offensichtlich, lachte erneut, ohne sich umzudrehen oder sein ständiges Rühren in der Pfanne zu unterbrechen. „Den braucht er auch nicht. Der Chef ist eben der Chef. Auch wenn das bei manchen Gästen für Verwirrung sorgt, weil sie eher jemanden wie mich hinter dieser Anrede vermuten. Mein Name ist übrigens Shin. Und ich bin zwar Koch, aber nicht der Chef der Küche. Bin dafür zu oft bei den Gästen und koche vor Ort. Aber nun zu Ihrer ersten Frage. Das Privatleben vom Chef ist seine Sache. Er erzählt nichts darüber und wir fragen nicht. Er allerdings auch nicht bei uns.“ Er nahm einen Teller aus dem Schrank und schaufelte einen riesigen Berg Rührei aus der Pfanne. Bewaffnet mit Besteck ging Shin an Seto vorbei und stellte alles auf dem Esstisch ab, machte kehrt und brachte auf einem kleineren Teller den Toast garniert mit etwas salziger Butter. „Ihr Frühstück ist fertig.“

Etwas skeptisch setzte sich Seto an den Tisch. Das Essen duftete verlockend. Dennoch fand er die Kombination aus Ei und Fisch noch etwas gewagt so früh am Tag. Doch dann siegte sein Körper, der nach Eiweiß verlangte. Mit der Gabel teilte er sich etwas ab und führte es in den Mund. „Mhm“, entrann sich ein verräterischer Laut seiner Kehle. Schnell nahm er einen zweiten Bissen. Wie hatte er sich all die Jahre mit normalem Rührei zufrieden geben können? Vielleicht würde er es nicht jeden Morgen essen wollen, aber während seines restlichen Aufenthalts würde er garantiert noch mehrmals darauf Lust haben. Er musste sich dazu zwingen nicht gleich alles auf einmal herunterzuschlingen, sondern jeden einzelnen Bissen zu genießen. Im Hintergrund hörte er den Koch räumen. Anscheinend reinigte er seine Pfanne und den Herd. Als er aufgegessen hatte, wurde ihm der Teller weggenommen und ebenfalls gründlich abgewaschen. „Sie haben Glück, dass die anderen Gäste bereits gefrühstückt haben, sonst hätte ich nicht auf Ihren Teller warten können“, meinte er vergnügt, während er schnell noch das Besteck abtrocknete. „Apropos. Es gibt heute Mittag Bananencurry – eines der Lieblingsgerichte vom Chef - , weil Sonntag ist. Wollen Sie auch etwas oder kochen Sie sich selbst eine Kleinigkeit.“ Sicherlich hatte Shin ihn nicht beschämen wollen, aber der letzte Teil des Satzes hatte gesessen. Er, der erfolgreiche Firmenboss, würde ohne fremde Hilfe vorm vollen Kühlschrank verhungern, ja, hatte sich noch nicht mal sein Frühstück selbst zubereiten können! Daher fiel ihm die Antwort mehr oder minder leicht: „Ja, ich nehme auch das Curry.“ Shin packte gerade die letzten Sachen in seine Kiste. „Prima. Es steht dann so gegen 13 Uhr bei Ihnen vor der Tür.“ Die Kiste unterm Arm ging er zu seinen Schuhen und schlüpfte wieder in sie hinein. „Dann wünsche ich Ihnen einen schönen ersten Tag bei uns.“

Langsam war Seto verwirrt. Waren die hier alle so fröhlich drauf? Er war lächelndes Personal gewohnt, hätte sich sogar beschwert, wenn es anders wäre, doch bis auf „den Chef“ war ihm bis jetzt nur echte Freundlichkeit begegnet. Wenn er angelächelt worden war, war das echt gewesen, die Wünsche für den Aufenthalt mehr als nur leere Floskeln. Gestärkt für den Tag ging er erneut vor dem Bücherregal auf die Knie. Es war Zeit herauszufinden, ob seine Lektüre ein Zufallsfund war oder ob sich dort noch ein paar mehr derartige Bücher versteckten.
 

Mit kräftigem Schritt ging Shin den Weg zurück in die Küche. Der neue Gast in Nummer 4 hatte sich ihm gegenüber erstaunlich brav verhalten, weswegen auch er sich benommen hatte. Vor knapp 20 Stunden hätte er ihm noch am liebsten den Hals umgedreht. Er war es nämlich gewesen, der Yuki eine heiße Schokolade gekocht und sie wieder aufgebaut hatte. Da hatte er ihn für einen blöden Arsch gehalten, der ohne Statussymbole nicht auskam, doch irgendwie schien er doch ganz sympathisch – hatte sogar ohne Murren die Riesenportion Rührei aufgegessen. Wahrscheinlich hatte ihn Yuki tatsächlich nur auf dem falschen Fuß erwischt. Er würde dennoch wachsam bleiben, man konnte ja nie wissen, und Yuki war ihm einfach zu wichtig, als dass er es mehr als einmal zu ließe, dass ein Gast sie so runterputzte. Die Schwierigkeit lag aktuell leider woanders. Sollte er dem Chef erzählen, dass man sich nach seinem Privatleben erkundigt hatte, oder besser nicht? Seine letzte Beziehung schien Ewigkeiten her zu sein und er brauchte definitiv etwas, neben seiner Arbeit. Aber ob da ein Gast, vor allem ein so schwieriger wirklich das Passende war? Der hatte auf jeden Fall etwas Dauerhafteres als einen Urlaubsflirt verdient. Also erst mal still sein und schauen, wie sich das Ganze entwickelte.
 

Seto Kaiba lag auf dem Boden und schüttelte sich vor Lachen. Das konnte man doch nicht ernsthaft schreiben! Wobei, anscheinend doch. Zu seiner großen Freude hatte er einen weiteren Shonen-Ai-Roman gefunden. Doch diesmal war er gespickt mit Klischees. Das hier konnte doch nicht wirklich der Ernst des Autors sein! Es war viel zu offensichtlich, wer später mit wem zusammenkam – nach 10 Seiten. Und dann erst diese Ausdrucksweise. Kein normaler Mensch sprach so! Trotzdem war er bereits bei Seite 50, denn irgendwie hatte die Story doch etwas, das ihn fesselte. Er wusste zwar nicht mehr, wann und wieso er sich nach hinten hatte umfallen lassen, doch musste er gestehen, dass der Holzboden gar nicht so unbequem war und wohl auch hier eine Fußbodenheizung eingebaut worden war. Also blieb er erst mal liegen, während seine Mundwinkel bereits wieder gefährlich nach oben zuckten. Wie konnte der Protagonist nur nicht kapieren, dass sein Mitschüler auf ihn stand? So wie die beiden sich immer an die Gurgel gingen, war es doch offensichtlich, dass da mehr im Spiel war als der normale Ärger.

Schlagartig rutschten seine Mundwinkel nach unten und er richtete sich auf. Er markierte sich die Seite mit dem Lesezeichen, das er zwischen den Seiten gefunden hatte, und legte das Buch zur Seite. Vielleicht war es doch nicht die richtige Lektüre für ihn. Schließlich hatte er selbst dabei versagt, damals seine Gefühle deutlich rüber zu bringen. Oh Mann, war vielleicht er selbst das Klischee? Der Typ der sich seine Gefühle einfach nicht eingestehen konnte, bis es zu spät war. Die geliebte Person mit jemand anderem zusammen kam und so viel glücklicher wurde als sie es mit ihm jemals hätte werden können oder eines Tages plötzlich weg war. Sollte er nicht einfach weiterlesen, um zu wissen, was hätte sein können? Um zu fantasieren und ein wenig zu bereuen. Oder hatte er mittlerweile genug Abstand zu damals, um das Ganze objektiv zu betrachten? Leicht errötend dachte er an den vorherigen Abend. Nein, Abstand hatte er noch nicht, doch könnte er sich beim Lesen ihn in der einen Rolle vorstellen und sich selbst in der anderen. Und seit wann bitteschön lies er sich von einem Buch unterkriegen?

Trotzig nahm er das Buch wieder in die Hand und las weiter. Wahrscheinlich hatte die Story eh wenig mit seiner eigenen gemein. Auf dem Boden blieb er sitzen, lehnte sich aber an die Wand und schlug an der markierten Stelle das Buch wieder auf.

Gegen halb eins knackte es kurz aus der Kontrolleinheit. Verwundert sah Seto auf. Er hatte sich immer noch nicht umfassend mit dem Gerät beschäftigt und war daher doch etwas überrascht, als er nun Shins Stimme hörte: „Ihr Mittagessen steht in fünf Minuten vor Ihrer Tür.“ Fünf Minuten also. Mal sehen, ob diese Zeitspanne auch exakt eingehalten werden würde. Er las die Seite fertig, legte das Lesezeichen in das Buch und stand auf. Seine Glieder ächzten ein bisschen als er sich ausgiebig streckte. Danach ging er in den Flur und öffnete leicht die Haustür. Der Blick auf die Uhr verriet, dass er noch genau eine Minute auf sein Essen warten würde, da hörte er Schritte. Durch den Türspalt schielend erblickte er Yuki, die eine kleine Styroporkiste trug. Diese stellte sie vor der Tür ab und hob die Hand um zu klopfen. Kurz zögerte sie, als sie bemerkte, dass die Tür bereits leicht offen stand, und schlug dann so kräftig gegen die Tür, dass Seto die Tür gegen die Nase drückte. Bevor er noch reagieren konnte, hatte sie sich umgedreht und lief den Weg zurück. Fluchend rieb sich Seto die Nase. Er glaubte zwar nicht, dass sie das mit Absicht gemacht hatte, denn dazu hätte sie wissen müssen, wo er stand, aber es tat trotzdem weh. Hoffentlich war das Essen wenigstens die Schmerzen wert. Die Kiste war schnell in die Küche befördert und unter großem Staunen ausgepackt. Reis, Fleisch, Bananen und Currysauce waren jeweils in einen eigenen Behälter verpackt worden und noch dampfend warm. Die Behälter selbst waren so stabil, dass sie sicherlich mehrmals verwendet wurden. Etwas von allem fand den Weg auf einen Teller und dieser auf den Esstisch. Vorsichtig nahm er eine Mischung aus Fleisch, Banane und Sauce auf die Gabel und probierte. Wenn das so weiter ging, würde er nach diesem Urlaub fünf Kilo mehr wiegen! Genieserisch aß er den Teller auf und holte sich dann den Rest aus der Küche.
 

Yuki hüpfte vor Freude auf den Fließen auf und ab. So verhielt sie sich bereits seitdem sie von der Essensauslieferung zurück war und Shin bezweifelte, dass sie sich in den nächsten Minuten beruhigen würde. Was er bis jetzt aus ihr herausbekommen hatte, klang wirklich äußerst amüsant. Anscheinend hatte der Gast aus Nummer 4 hinter der Haustür gewartet, um zu kontrollieren, ob das Essen auch wirklich innerhalb von fünf Minuten geliefert würde. Denn wirklich hungrig konnte er nach so kurzer Zeit und so gutem Frühstück noch nicht gewesen sein. Und sie hatte ihm mit ihrem gewohnten Klopfen die Tür gegen die Nase gedrückt. Zwar hatte sie sich nicht getraut, nachzusehen, doch allein das Wissen darum, versüßte ihr den Tag und versöhnte sie wieder.

„Was ist denn hier los?“, fragte plötzlich eine Stimme, was Yuki für einen kurzen Moment inne halten lies. Doch sie grinste immer noch so breit, dass Shin für sie antwortete: „Unser Lieblingsgast war neugierig, stand hinter der Tür und hat jetzt höchstwahrscheinlich dank Yuki eine platte Nase.“ Der Chef schaute für einen Moment skeptisch, zuckte dann aber mit den Schultern. Viel lieber konzentrierte er sich auf sein eigentliches Anliegen als seine Mitarbeiter darauf hinzuweisen, dass es nicht im Sinne der Hotelphilosophie war, die Gäste zu verletzen. „Ist das Essen schon fertig?“ Shin verdrehte die Augen. Der würde sich auch in einhundert Jahren wohl nicht ändern. „Ja, Chef. Ist fertig. So wie immer?“ Ein Nicken reichte aus, um aus den verschiedenen Pfannen das Gericht zusammen zustellen. Glücklich zog der Chef von dannen und setzte sich nebenan an den Tisch im Angestellten-Raum. „Ich liebe Sonntag“, erschall es noch, bevor die Mahlzeit vernichtet wurde. Einmal mehr war Shin froh, dass er auf die Idee gekommen war Sonntag die Lieblingsgerichte des Chefs zu kochen. So war wenigstens dieser Tag ruhig und sein Chef unter Garantie gut gelaunt – zumindest, wenn er genug gekocht hatte. „Kann ich Nachschlag haben?“ Bis zu diesem Moment hatte sich Yuki tatsächlich etwas beruhigt, doch jetzt musste sie wieder anfangen zu grinsen.
 

Seto grummelte vor sich hin. Nach dem opulenten Mittagessen hatte er abgewaschen. Zwar musste er so erwas normalerweise nicht machen, doch er hätte sich nicht wohl gefühlt, hätte das schmutzige Geschirr weiterhin in der Spüle gestanden. Die Schüsseln mit dem Essen hatte er zurück in die Kiste gestellt und diese in den Flur. Dort war sie wenigstens nicht im Weg. Dann war sein Koffer endlich ausgepackt und im Schrank versteckt worden. Er war begeistert von all dem Platz, den er auf Geschäftsreisen nicht immer für seine Anzüge zur Verfügung hatte. Bequem hätte in dem Schrank Wäsche für 4 Wochen Platz gefunden. Doch dann hatte er sich auf das Sofa gelegt für ein Nickerchen. Prompt übernahm die ihm nicht so wohl gesonnene Seite seiner Träume die Kontrolle. Vielleicht hätte er das Buch doch nicht weiterlesen sollen. Denn jetzt fühlte er sich berührt im Traum. Gestreichelt und gehalten von warmen Händen, die seinen ganzen Körper erkundeten. Überall, wo diese Hände auf nackte Haut stießen, kribbelte es. Doch da er derartige Berührungen nicht gewohnt war, empfand er sie fast schon als unangenehm und er wollte dort kratzen, damit dieses Gefühl endlich verschwände. Aber er konnte nicht. Eine der fremden Hände umfasste seine Handgelenke und hinderte ihn daran, während die andere weiter auf Erkundungstour ging. Was für Qualen! Er wollte schreien, jedoch war sein Mund zu trocken und es kam nur ein heiseres Krächzen hervor. Da lachte eine Stimme, zu der irgendwie die Hände gehörten, plötzlich kalt und herzlos auf.

Mit einem Schrei fuhr er hoch. Im ersten Moment war Seto verwirrt, dann registrierte er, wo er war und atmete erleichtert aus. Er hasste es, wenn er so etwas träumte. Immer wieder wurde er liebkost, doch konnte er sich nicht entspannen und es genießen. Und immer wieder wurde ihm in seinem Traum klar gemacht, dass man nur mit ihm spielte, man ihn nicht für würdig genug erachtete mehr zu sein als ein kleiner netter Zeitvertreib, der deutlich unter dem eigenen Niveau lag. Nach solchen Träumen fühlte er sich elend. Sein so gut verdrängter Minderwertigskeitskomplex kam zum Vorschein und quälte ihn zusätzlich. In solchen Momenten wäre er gern unter Menschen gewesen, aber dann auch wieder nicht. Schließlich suchten die meisten seine Nähe nur wegen seiner gesellschaftlichen Stellung. Und so saß er dann hin und hergerissen an der Stelle, wo er aufgewacht war und versuchte sich selbst zu beruhigen. Er war Seto Kaiba, erfolgreich, jung, gesund, hatte bereits jetzt alles, was sich manche Menschen ihr Leben lang wünschten. Das half wenigstens ein bisschen. Doch das Schlimmste war, dass er genau wusste weswegen er diesen Mist träumte! Es war die Rache seines Unterbewusstseins, dass sich immer wieder darüber beschwert hatte wie er bereits als Jugendlicher mit seinem Umfeld umgegangen war, genauer gesagt mit einer ganz bestimmten Person.

Wütend schlug Seto auf das Polster ein. Vielleicht verlor er so etwas von seinem inneren Zwist. Hätte er sich damals ein einziges Mal beherrscht, hätte er nicht immer den reichen Schnösel heraushängen lassen, hätte er damals eingesehen, dass er sehr wohl Freunde brauchte... Mokuba würde irgendwann aus der Villa ausziehen. So viel stand fest. Der Kleine beteuerte zwar immer, dass es ihm dazu, viel zu gut dort gefiele und er eher Angst hätte, sein großer Bruder würde ihm eines Tages den Stuhl vor die Tür stellen, damit er endlich sein eigenes Leben führte, doch irgendwann würde er gehen. Irgendwann würde er ein nettes Mädchen kennenlernen, dass tatsächlich ihn und nicht seinen Namen wollte, eine Familie gründen und wegziehen. Seit Jahren waren sämtliche Besuche in der Villa für ihn. Seto gab ab und zu Bälle in den unteren Räumlichkeiten, doch diese betrachtete er als Teil seiner Pflichten als Firmenchef. So würde er irgendwann einsam in diesem großen Haus sitzen, von der Welt zwar nicht vergessen, aber von ihr verlassen, und es würde seine Schuld sein. Eine Tatsache, die ihm jeglicher Möglichkeit beraubte, jemand anderen dafür runter zu machen, um seinen Frust kurzfristig los zu werden.

Langsam stand er auf und ging in die Küche. Bei Zurückstellen des Geschirrs hatte er Kaffeefilter gesehen. Irgendwo müsste daher wohl auch die Hauptzutat für sein ganz persönliches Lebenselixier versteckt sein. Nach dem zweiten eher wahllosen Öffnen einer Schranktür, wurde er auch bereits fündig. Der Wasserkocher dampfte bereits vor sich hin, als er sich endlich für eine Tasse und eine bestimmte Dosierung entschieden hatte. Jeden normalen Menschen hätte das Getränk bis weit nach Mitternacht wach gehalten, schließlich war bereits später Nachmittag. Er musste länger geschlafen haben als gedacht. Fast schon triumphierend ging er mit der Tasse in der Hand wieder ins Wohnzimmer und lehnte sich tief in die Kissen des Sofas zurück. Zufrieden nahm er den ersten Schluck. Sein vorheriger Zustand schien vergessen, eine kurze Phase, die keinerlei Bedeutung hatte. Doch was jetzt tun, mit diesem fast schon Abend? Das Buch hatte er gerade einmal bis zur Hälfte durch. Es war zwar nicht das erste, was er unter normalen Umständen gemacht hätte, aber hier war es vorerst das Naheliegendste, es fertig zu lesen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Alistor
2020-06-28T07:33:55+00:00 28.06.2020 09:33
Sehr spannend geschrieben
Ich kann Setos Einsamkeit und innerliche Zerissenheit förmlich fühlen
Und das gute Essen riechen.... jetzt hab ich Hunger

Antwort von:  flower_in_sunlight
28.06.2020 21:39
Danke ^^
Ja, das Essen... das wird noch interessant. ;-)
Von:  flower_in_sunlight
2015-05-31T16:34:23+00:00 31.05.2015 18:34
Darf man eigentlich wegen unnötigem Spoilern verwarnen? ;-)
Hätte es wohl nicht soo offentsichtlich machen dürfen.

Und keine Angst, in der zweiten Woche erzählt der Chef ein bisschen was - aber noch nicht alles. Die gesamte Geschichte werde ich wohl auch (noch) nicht erzählen.

Ansonsten freue ich mich, dass es bereits so viel Feedback gibt ^^

Liebe Grüße
flower_in_sunlight

Von:  Onlyknow3
2015-05-31T13:32:40+00:00 31.05.2015 15:32
Aha noch jemand der zwischen den Zeilen lesen kann. Der Unbekannte Chef ist Joey da war ich mir schon beim ersten Kapitel sicher. Das Seto ihn nicht erkannt liegt wohl daran das Joey nicht nur Körperlich sich verändert hat, sondern auch vom Aussehen eine änderung vorgenommen hat. Joey wird sich Seto aber nicht zu erkennen geben wer weiß schon warum er damals Domino verlassen hat. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  Lunata79
2015-05-29T10:20:07+00:00 29.05.2015 12:20
Wirklich sehr interessant.
Du bringt Seto´s Gedanken wirklich authentisch rüber. Das fasziniert mich am meisten.
Ich habe sogar den leisen Verdacht, dass der Unbekannte Joey sein könnte.
Freu mich schon aufs nächste Kapitel.

Lg
Lunata79
Von: AomaSade
2015-05-29T06:37:35+00:00 29.05.2015 08:37
Hallo flower_in_sunlight,

deine Kurzbeschreibung hat mich neugierig gemacht. Und dass du FFs mit Seto magst, lässt mich hoffen, dass es sich bei dem geheimnisvollen Hotelmanager um Joey handelt. Denn beide zusammen sind für mich das ultimative Yu-Gi-Oh-Paar. Aber davon abgesehen, sind deine ersten Kapitel super geschrieben. Aus der Sicht von Seto gibt es nicht so viele Storys. Darum freue ich mich immer, wenn ich eine neue entdecke. Du hast einen tollen Schreibstil, hinterlässt kein Rechtschreib- und Grammatikchaos und erweckst deine Charaktere zu richtigem Leben. Man glaubt, sie schon eine Ewigkeit zu kennen und fühlt sich richtig wohl beim Lesen deiner FF. Mach bitte weiter so und lade schnell das nächste Kapitel hoch.

Liebe Grüße
AomaSade
Antwort von:  flower_in_sunlight
29.05.2015 12:04
Vielen Dank für das Lob! *erröt*

Zur meiner Schreibgeschwindigkeit muss ich leider sagen, dass ich mehr als froh sein werde, wenn ich ein Kapitel (also einen Tag Urlaub) pro Woche schaffen werde. Das Konzept steht zwar bis zum 14.2. bereits genau und die zweite Woche ist grob ausgearbeitet, aber gerade weil ich auf Rechtschreibung und Grammatik und die Formulierungen achte dauert es immer relativ lange bis ich etwas fertig geschrieben habe... Bitte hab mit mir ein bisschen Geduld.

Zum Pairing: Ja, ich mag auch Seto x Joey. ^^ Aber eben auch andere Pairings. Daher lass dich einfach mal überraschen.

Liebe Grüße
flower_in_sunlight


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