Zum Inhalt der Seite

Anfang aller Feindschaft

aus den Schatten der Vergangenheit
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Schatten

In meiner zweiten FanFic geht es relativ ernst zu. (Bin mir noch nicht sicher, ob mir das Dramatische liegt, aber ich gebe mein Bestes!) Die Geschichte ist recht lang. Sofern ich zu sehr ausufern sollte (diese Gefahr besteht bei mir...), sagt mir Bescheid und ich versuche es auszubremsen. Sagt mir ruhig auch, wenn etwas zu übertrieben, kitschig, daneben oder sonst wie wirkt. Und sagt natürlich, was euch an der Geschichte gefällt. Kommentare sind immer sehr, sehr gern gesehen.
 

Eine Warnung noch vorweg: Inu Yasha Fans müssen sich noch sehr gedulden. Der geliebte Halbdämon taucht erst im letzten Drittel der Story auf (denn zunächst ist er schlichtweg noch nicht geboren!). Auf Kagome, Miroku, Sango, Kirara und Shippo müsst ihr leider, leider ganz verzichten, denn meine Geschichte spielt vor deren Auftauchen (Nur Kagome taucht am Ende auf gewisse Weise einmal kurz auf, doch davon verrat ich noch nix). Andere Charaktere werden euch jedoch sehr bekannt vorkommen...

Zweite Warnung: vielleicht erscheinen euch einige Charaktere in ihrer Art teilweise nicht völlig passend. Dabei bitte ich zu bedenken, dass wir uns in der Vergangenheit befinden und einige Personen sich bis zum Beginn der uns allen bekannten Geschichte eventuell verändert haben. So ist beispielsweise Sesshomaru zunächst nicht immer so eiskalt und auch noch nicht so stark wie wir ihn kennen. Selbstverständlich habe ich stets versucht jeden Grundcharakter möglichst beizubehalten und realitätsnah rüberzubringen. Hoffe, das ist mir gelungen.

Letzte Warnung: gewisse Ungereimtheiten, die nicht zur 'offiziellen' Inu Yasha-Story passen, erklären sich dadurch, dass mir viele Details bis dato nicht bekannt waren (beispielsweise wusste man sehr lange nichts über Sesshomarus Mutter, daher bin ich davon ausgegangen, dass diese sehr früh starb). Lasst euch davon bitte nicht stören.
 

Soweit die Vorrede, nun endlich zur Geschichte.

Viel Spaß beim Lesen des Prologs:
 


 

Als er geboren wurde, herrschte pechschwarze Dunkelheit.
 

Eigentlich hatte der Tag erst sehr freundlich angefangen. Es war ein warmer, goldener Herbsttag. Nichts deutete darauf hin, dass sich am Abend ein gewaltiger Sturm zusammen brauen würde. Doch genau das geschah und eine plötzlich heraufziehende Gewitterfront tauchte alles in undurchdringliche Finsternis.
 

Zunächst blieb alles still. Drückende Schwärze legte sich auf das gebirgige Land, in das wir uns geflüchtet hatten. Bleigraue Wolkenmassen verhüllten den Himmel und kauerten sich zusammen wie eine jagende, lauernde Katze vor dem Sprung. Dann brach die Hölle los.

Ein Sturmgewitter brauste über die mit Kirschbäumen bewachsenen Berghänge, riss die Bäume zu Boden und peitschte über einen naheliegenden Fluss. Das Wasser trat über die Ufer und überflutete zusammen mit nicht enden wollenden Regenbächen die Erde. Blitze zuckten, der Wind heulte, Erdrutsche lösten sich und donnerten zu Tal. Tiere wie Menschen versteckten sich und das Land schrie vor Angst. Und in diese Schreie mischten sich die Schmerzensschreie einer Frau.

Einer Frau? Nein, sie war keine gewöhnliche Frau, sie war ein Dämon. Ein Wesen der Nacht. Wie ich. Aber sie hatte die Gestalt eines Menschen, eine wunderschöne und verletzlich wirkende Gestalt, und in dieser Stunde teilte sie die Schwäche der Menschen. Zusammengekauert lag sie auf einer von Kirschbäumen umgebenen Lichtung neben einer kleinen Felsenquelle, weit oben versteckt in den Berghängen, und schrie ihre Qual in den tosenden Sturm. Inmitten der tobenden Naturgewalten kämpfte sie ganz allein einen schmerzhaften Kampf. Den Kampf einer Frau, den Kampf um ein neues Leben.
 

Die Geburt kam zu früh und hatte sie überrascht. Genau wie der Gewittersturm mit seiner plötzlichen Finsternis. Doch das Leben lässt uns selten eine Wahl und geht seine eigenen Wege. Es ist sinnlos sich gegen das Schicksal aufzulehnen und keiner wusste das besser als sie.

Ich konnte nur schweigend und hilflos zusehen. Sie war stolz, sehr stolz, und wollte meine Hilfe nicht. Ich konnte nur warten. Musste warten, denn ich hatte ihr ein Versprechen gegeben.

Der Sturm um uns flaute schließlich langsam ab, doch die Dunkelheit blieb. Die Lichtung, auf der sie kauerte, war übersät von eisigen Hagelkörnern. Schwerfällig erhob sie sich, in ihren Händen hielt sie das neue Leben. Sie schwankte auf mich zu und drückte mir ihre kostbare Last in die Arme.

"Nimm ihn", flüsterte sie, "schnell, nimm ihn und geh!"

"Ich lasse dich nicht einfach zurück!"

Sie fauchte und schlug mir hart ins Gesicht.

"Nimm ihn und geh!" wiederholte sie: "Du hast es mir versprochen. Mich kannst du nicht retten, aber ihn. Also geh!"

Zögernd sah ich auf das winzige Bündel in meinen Armen herab. Es war ein Junge. Seine Haut war hell, bleich und sein Körper war dicht bedeckt von einem zarten, weißlichen Flaum, der nach einigen Tagen abfallen würde. Auf seiner Stirn prangte eine blaue Mondsichel, das Zeichen seiner Mutter. Die purpurnen Streifen an seinen Wangen dagegen waren eher ein Erbstück seines Vaters, genau wie die schon schulterlangen, weißen Haare, die feucht an seinem Kopf klebten. Er hielt die Augen geschlossen und atmete schwach. Sein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei, so dass man bereits die milchigen Spitzen seiner später scharfen Eckzähne sehen konnte, die wie seine Krallen bald wachsen würden.
 

"Nun geh endlich!"

Ihre Stimme riss mich aus meinen Betrachtungen. Sie warf einen letzten Blick auf ihren neugeborenen Sohn. Dann bohrten sich ihre Augen in die meinen.

"Rette ihn. Bringe ihn zu seinem Vater. Geh, und schau nicht mehr zurück!"

Es tat weh, doch ich tat, was sie verlangte.

Wortlos wandte ich mich ab und ging ohne noch einmal zurück zu blicken. Ich ahnte, ich würde sie nie wieder sehen. Ihre Verfolger waren nah und würden sie finden, früher oder später. Es war nur eine Frage der Zeit und sie war bereit. Mich jedoch würde niemand finden und ihren Sohn auch nicht.
 

Langsam folgte ich einem gewundenen Pfad hinab durch die mit Kirschbäumen bewachsenen Berghänge. Die Wolkendecke verzog sich, aber immer noch blieb es sehr finster. Nur die Sterne funkelten einsam am Himmel, denn es war eine mondlose Nacht.

Nichts erinnerte mehr an den warmen, milden Herbsttag. Es war bitterkalt, überall lagen Hagelkörner und überall hatte der heftige Gewittersturm seine Spuren hinterlassen. Schlammlawinen hatten die Hänge aufgerissen und Täler überrollt. Entwurzelte, zerrissene Bäume und Überschwemmungen zeigten ein Bild der Zerstörung. Vielleicht waren es diese Eindrücke von Tod und Verwüstung dieser unheilvollen Nacht, die dem Dämonenkind in meinen Armen später seinen Namen gaben: Sesshomaru.
 

Viel Zeit ist seit jener stürmischen und finsteren Gewitternacht vergangen und vieles ist vergessen worden. Doch nicht von mir. Zeit bedeutet für unsereins nicht soviel wie für die Menschen und meine Erinnerungen gehen tief. Und die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Jene Nacht warf ihre Schatten voraus auf einiges, das geschehen sollte. Sie warf ihre Schatten auf die Geschichte eines Vaters und seines Sohns. Sie warf ihre Schatten auf den Beginn und das tragische Ende einer verachteten Liebe. Sie warf ihre Schatten auf einen uralten Hass zwischen Hunde und Wölfe. Und sie warf einen Schatten auf mich, denn so gern ich es auch vermieden hätte, ich konnte es nicht verhindern, dass ich in diese Geschichte mit hinein gezogen wurde.

Das Leben spielt oft grausame Streiche. Meine Kräfte sind heilender Natur, es ist meine Aufgabe dem Leben zu dienen. Doch ein ständiger Begleiter des Lebens ist der Tod. Manchmal beneide ich die Menschen, sie besitzen etwas, dass den meisten Dämonen fehlt. Sie besitzen das Wissen, dass die Liebe stärker ist als der Tod...
 


 

Soweit der Prolog.

Neugierig geworden? Dann lest weiter. Im Laufe der Geschichte wird dann auch klar, wer den Prolog gesprochen hat. Und für alle die Ich-Erzählungen nicht mögen: nein, keine Angst, es geht überwiegend nicht in Ich-Form weiter.
 

Das Rätsel um Sesshomarus Mutter sowie die genauen Geschehnisse in der Nacht von Sesshomarus Geburt hatte ich absichtlich so geheimnisvoll gestaltet. Ich wollte das ursprünglich nie weiter ausführen, denn ich fand es immer extrem reizvoll, wenn das alles ein wenig im Dunkeln bleibt. Mittlerweile passt der Prolog und daher auch einige andere Details meiner Fanfic später nicht mehr ganz zur Inuyasha-Story, denn (ACHTUNG SPOILER!) Rumiko Takahashi hat sich entschlossen das Geheimnis um Sesshomarus Mutter zu lüften d.h. diese taucht (durchaus lebendig) im Manga auf... als ich mit meiner Fanfic angefangen habe, war leider noch nichts darüber bekannt. Also lasst euch bitte nicht davon stören, dass meine Story hierin abweicht!
 

Danke für eurer Interesse! Ich bin sehr gespannt auf eure Reaktionen.

Wölfe und Hunde

Ich danke für die ermunternden Kommentare zum Prolog meiner zweiten FanFic. Sie haben mich sehr gefreut (denn ich LIEBE den Prolog und habe viel ,Herzblut' da rein gesteckt...:)). Hoffentlich werde ich eventuellen Erwartungen mit dem weiteren Verlauf der Geschichte gerecht.

Endlich folgt nun das erste Kapitel. Ein kleiner Zeitsprung führt uns in die konfliktbetonte Welt von Wolfs- und Hundedämonen, in dessen Streitereien Koga und Sesshomaru involviert werden...

Enjoy reading!
 


 

Tief in einem der zahlreichen, urwüchsigen Wälder, die die westlichen Gefilde Japans überzogen, nahm eine kleine Gruppe Wildschweine genüsslich ein Schlammbad. Keines der Tiere bemerkte, dass sie von einem Paar funkelnder Augen aus einem Busch heraus beobachtet wurden.

Ein kleiner Frischling entfernte sich weiter von seiner Mutter und näherte sich am Boden schnüffelnd arglos dem Busch. Das stets besorgte Muttertier grunzte ermahnend, doch eine Warnung kam bereits zu spät.

Lautes Krachen ertönte, eine Gestalt sprang blitzartig aus dem Busch auf den abtrünnigen Frischling zu und packte das kleine Tier am Genick. Der Frischling quiekte schrill auf und die restlichen Wildschweine stoben hastig davon in die schützenden Schatten des Waldes.
 

"Pah, das reicht ja gerade mal für den hohlen Zahn."

Auf dem schlammigen Waldboden, in dem sich gerade noch die Schweine gesuhlt hatten, stand jetzt ein kräftiger, mit Wolfsfellen bekleideter, junger Bursche mit schwarzem Haar. Er hielt das eben erbeutete Ferkel in der Hand. Seine harten, krallenartigen Fingernägel hatten sich fest in den Nacken des Tieres gebohrt. Ein wenig enttäuscht schnüffelte er an seiner Beute herum.
 

"Koga", rief in diesem Moment eine Stimme, "hey, bist du da irgendwo?"

Der schwarzhaarige Jäger zuckte kurz und schnupperte in den Wind. Dann grinste er und entblößte dabei seine dolchartigen Eckzähne. Weiterhin grinsend klemmte er sich sein erbeutetes Ferkel unter den Arm und schlich lautlos in Richtung der eben gehörten Worte, zu denen sich nun eine weitere Stimme gesellte:

"Ach Mann, Ginta. Du hast bestimmt wieder nur irgendeinen Mist gerochen. Das war doch bloß eine Horde Wildschweine!"

Nahe der Wildschwein-Suhle tauchten nun zwei weitere junge, mit Wolfsfellen und hartem Leder bekleidete Kerle zwischen den Bäumen hervor auf. Sie sahen wie 15-17 jährige Menschen aus, ihre spitzen Ohren verrieten jedoch, dass sie Dämonen waren. Der etwas jüngere der beiden hatte kurzes, weißes Haar mit einer breiten, pechschwarzen Strähne in der Mitte, die sich von seiner Stirn über den Scheitel zog. Sein Kumpan wirkte etwas größer, was aber hauptsächlich auf die hoch aufragende Irokesenschnitt-Frisur zurückzuführen war. Unschlüssig blieben die beiden stehen und sahen sich um.

"Ich hab dir ja gleich gesagt, dass Koga sich hier nicht rumtreibt", meinte Letzterer von beiden. "Wär ja auch schön blöd von ihm sich ausgerechnet hier im Revier von... AAAaaah... AU!"
 

"Wer ist hier blöd?!"

Plötzlich lag der Dämon mit der Irokesenfrisur bäuchlings auf dem Boden. Auf seinem Rücken hockte der schwarzhaarige Jäger mit seinem Schwein im Arm und grinste den zu Boden Gestoßenen schief an.

"Meine Fresse", sagte er, "was seid ihr zwei für Nieten. Erst schreit ihr den halben Wald zusammen und dann kriegt ihr nicht mal mit, wenn ich direkt vor eurer Nase auf einen Baum klettere. Euch kann man überfallen wie menschliche Dorftrottel!"

"Äh, hallo Koga", murmelte der bedauernswerte Kerl am Boden und drehte sich etwas. Koga sprang von seinem Rücken und der Überfallene stand schwerfällig auf, wobei er schmerzerfüllt seinen Nacken rieb.

"Hey, Koga", meldete sich nun der weißschwarzhaarige Dämon zu Wort, "wir haben dich überall gesucht. Ist alles in Ordnung?"

"Klar, Ginta, was glaubst du denn", antwortete Koga. Er warf sein erbeutetes Ferkel zu Boden, setzte sich davor und begann das Tier mit bloßen Händen zu zerlegen.

"Habt ihr Hunger? Hier, Haggaku, nimm, damit du mal etwas Fleisch auf die Rippen kriegst!"

Der Angesprochene hörte auf seinen schmerzenden Nacken zu reiben, setzte sich ebenfalls und nahm dankbar das dargereichte, blutige Fleischstück entgegen. Auch Ginta setzte sich dazu und nahm sich ein Teil des zerlegten Frischlings.
 

"Puh", meinte Koga daraufhin kauend, "das muss echt mein Glücktag heute sein. Erst nur so ein mickeriges Schwein und jetzt fressen das mir auch noch meine Pfeifen von Freunde weg. Was wollt ihr eigentlich hier? Kriegt ihr damit keinen Ärger von Chugo?"

"Pöh", erwiderte Haggaku schmatzend, "was mit dir ist, interessiert unseren Leitwolf nicht. Solange du nicht wieder bei unseren Höhlen aufkreuzt und dich sonst auch aus allen Angelegenheiten des Rudels raus hältst, ist es ihm wurscht, ob wir noch Kontakt mit dir haben."

"Außerdem sorgt sich deine Mutter um dich", ergänzte Ginta und fügte dann stolz hinzu: "Und wir sind auch noch wegen was anderem hier. Stell dir vor, irgendein Hund hat fünf unserer Wölfe kalt gemacht. Einfach so!"

Überrascht hörte Koga auf zu essen und sah Ginta an: "Was? Wer und wieso?"

"Was genau passiert ist, weiß keiner", fuhr Ginta eifrig fort, "Fakt ist, dass zwei unserer Leute mit einigen Wölfen hier in der Nähe jagen wollten. Die Wölfe haben was gewittert und sind abgehauen. Unsere Leute sind ihnen gefolgt und haben sie schließlich auf einer Lichtung hier im Wald gefunden. Alle waren tot, regelrecht zerfetzt. Und auf der Lichtung roch es verdächtig nach Hundedämon."

"Wenn die Wölfe auf einen Hundedämon gestoßen sind, hätte er sie doch nicht gleich töten müssen", knurrte Kog erbost. "es hätte völlig ausgereicht sie zu verjagen. So ein Mistkerl! Na wartet, den kauf ich mir."

"Aber Koga", rief Ginta erschrocken, "das kannst du doch nicht machen. Du sollst dich doch nicht mehr in die Angelegenheiten des Rudels mischen. Und außerdem hat Chugo gesagt, wir sollen nichts überstürzen. Wir sollen nur rauskriegen, was genau passiert ist. Das hier ist Inu Taishos Gebiet und wir sollen uns ja nicht mit den Hunden anlegen."

"Pfft", spuckte Koga aus, "da hat sich Chugo ja zwei schöne, brave Schwachköpfe ausgesucht. Ihr findet ja nicht einmal einen Köter, wenn er schwanzwedelnd vor euch steht. Außerdem ist mir völlig schnuppe, was Chugo sagt. Ich bin vom Rudel ausgeschlossen, also hat er MIR auch nix mehr zu befehlen. Sag schon, wo ist diese Lichtung mit den toten Wölfen?"

Als ihm keiner seiner Freunde antworten wollte, sprang Koga erregt auf und packte Ginta am Kragen. Wild schüttelte er ihn durch.

Der so unsanft Behandelte verschluckte sich an seinem Fleisch und hustete. Widerwillig antwortete er schließlich keuchend: "So ein oder zwei Stunden von hier in südöstlicher Richtung, nicht weit von der Grenze zum Drachenreich. Du kannst sie nicht verfehlen..."
 

Weitere Erläuterungen wartete Koga nicht ab. Er ließ seinen Freund wieder los und war im Nu hinter den Bäumen Richtung Südosten verschwunden.

"Na toll," sagte Haggaku und wischte sich seinen Mund ab, "das gibt Ärger! Wieso musstest du ihm auch davon erzählen? Kannst du nicht einmal deine Klappe halten? Du weißt doch wie er ist. Vor allem seit Chugo ihn besiegt und verstoßen hat."

Ginta sah zu Boden. Es stimmte, es war wirklich nicht sehr klug gewesen Koga von den getöteten Wölfen zu erzählen. Allerdings hätte er nie gedacht, dass sich der verstoßene Wolfsdämon zur Zeit noch um Belange des Rudels kümmern würde. Außerdem war Ginta einfach zu stolz auf seinen ersten richtigen Auftrag, mit dem sein Anführer Chugo ihn und Haggaku betraut hatte. Er hatte unbedingt davon erzählen müssen, sonst wäre er geplatzt.

Seufzend stand Ginta auf.

"Besser wir gehen ihm nach, sonst stellt er wer weiß was an und wir müssen es ausbaden."
 

Haggaku schlang schnell noch den Rest vom Wildschweinmahl herunter. Schließlich musste man es seines Erachtens ausnutzen, wenn einem so einfach etwas zu essen vor die Nase gesetzt wurde.

Nach einem ausgiebigen Rülpser folgte er seinem Kumpan und Koga nach Südosten.
 

* * * * *
 

"Sesshomaru-sama, bitte. Ihr solltet endlich damit aufhören und lieber mit mir ins Schloss kommen. Ich habe es Eurem Vater versprochen. Ihr seid jetzt schon seit Wochen fort... Hach,... es ist hoffnungslos..."
 

Am Rande einer ausladenden Wiese hockte ein winziger Flohdämon auf dem Zweig eines Rosenstrauchs und beobachtete kopfschüttelnd die Szenerie, die sich vor ihm abspielte.

Inmitten von wogenden Gräsern und üppigen Blumen standen sich zwei junge Männer gegenüber. Wie deren spitze Ohren und scharfe Krallen an den Händen bewiesen, handelte es sich bei ihnen ebenfalls um Dämonen, genauer gesagt um Hundedämonen. Beide trugen weite Hosen aus edler Seide, ihre Oberkörper waren nackt, und jeder von ihnen hatte ein glänzendes Schwert in der Hand.

Einer von ihnen hatte schneeweißes, fast hüftlanges Haar. Seine Haut war hell und in seinem Gesicht waren je zwei rote Streifen auf den Wangen und ein blauer, abnehmender Sichelmond auf der Stirn zu sehen. Mit goldglänzenden Bernsteinaugen beobachtete der Dämon aufmerksam sein Gegenüber.

Dieser war dunkelhäutig. Sein Körperbau war derber und kräftiger, und er hatte schulterlanges, kastanienbraunes Haar, das er als knappen Zopf in seinem Nacken bändigte. Mit tiefblauen Augen erwiderte er den herausfordernden Blick seines weißhaarigen Gegners.
 

Im nächsten Moment sprangen sich die beiden Kontrahenten an. Ihre Schwerter trafen aufeinander, blitzten in der Sonne hell auf und brachen wieder auseinander. Die beiden Dämonen wichen voneinander weg, umkreisten sich kurz und griffen sich wieder gegenseitig an. Erneut traf Stahl auf Stahl.
 

Der Flohgeist im Rosengebüsch beobachtete den temperamentvollen Kampf und schüttelte wieder seinen Kopf.

"Hach, wieso überträgt mir Inu Taisho-sama immer nur solch undankbare Aufgaben. Ich bin wirklich nicht dafür geeignet Aufpasser zu spielen oder seinen Sohn zu erziehen. Meine Nerven, irgendwann bringt mich das ins Grab..."
 

Ein heftiger Aufprall lenkte die Aufmerksamkeit des Flohdämonen wieder auf die Wiese vor ihm.

Dort lag nun der braunhaarige Dämon entwaffnet am Boden und starrte entgeistert auf die scharfe Klingenspitze, die ihm sein Kontrahent an den Hals hielt. Der dunkle Dämon schluckte, dann hob er leicht seine Hände zum Zeichen der Aufgabe und begann laut zu lachen.

"Hey, was war das nun wieder für ein Trick, Sesshomaru? Ich habe nicht einmal gemerkt, was du eigentlich gemacht hast."

"Das war kein Trick, Yoshio", kam die kühle Antwort des weißhaarigen Dämonen, "das war Können."

Sesshomaru zog sein Schwert vom Hals seines Gegners weg und trat einige Schritte zurück. "Willst du es noch einmal versuchen?"

"Nein danke, mir reicht es für heute!" Ächzend stand der Dämon namens Yoshio auf und suchte seine verlorene Waffe im Gras.

Währenddessen steckte Sesshomaru sein Schwert in die Scheide, ging zum Rosenstrauch, in dem der Flohgeist saß, und griff nach seinem daneben abgelegten Obergewand. Der Floh sprang plärrend aus dem Gebüsch auf seine Schulter.

"Bitte Sesshomaru-sama, können wir jetzt endlich zu Eurem Vater gehen?"

"Schrei mir gefälligst nicht so ins Ohr, Myoga, das nervt!"

"Entschuldigt, Sesshomaru-sama", sagte der Flohdämon deutlich leiser und mit ängstlichem Unterton, "aber ich..."

Ein kräftiges Schnippen mit scharfen Krallen beförderte den Winzling, bevor er weiter sprechen konnte, zu Boden. Sesshomaru lächelte neckisch und wandte sich ab. Verzweifelt hüpfte ihm der Flohgeist nach und schimpfte kaum vernehmbar vor sich hin.
 

"Gib es auf, Myoga", sagte Yoshio, der mittlerweile sein Schwert wiedergefunden hatte und dabei auf den Flohdämonen zwischen den Grashalmen stieß. "Er hört eh nicht auf dich. Und seinen Alten will er zur Zeit sicher sowieso nicht sehen."

Sesshomaru blieb ruckartig stehen, versteifte sich und drehte sich zu Yoshio um.

"Rede nicht so respektlos von meinem Vater und deinem Herrn!" fauchte er und fixierte mit goldfunkelnden Augen seinen Begleiter.

"He, ist ja gut. Habe es nicht so gemeint. Meine Güte, bist du heute wieder geladen..."

Wortlos wandte sich Sesshomaru wieder um und ging weiter. Yoshio folgte ihm schweigend und nahm Myoga, der auf ihn gesprungen kam, auf seiner Schulter mit.
 

Die Drei ließen die Wiese hinter sich, überquerten einige Hügel und rasteten nach einer kurzen Weile an einer kleinen Quelle. Genussvoll erfrischten die beiden Hundedämonen ihr Gesicht und ihre Arme in dem kühlen Nass, während der Flohgeist Myoga unverständlich vor sich hin brabbelte.

Plötzlich hob Sessshomaru den Kopf und lauschte. Sein Gefährte sah ihn erstaunt an: "Was ist?"

"Blut...", sagte Sesshomaru leise, "Schreie, Menschen... und Wölfe."

"Wölfe?" Yoshio schnupperte in die Luft. "Du hast recht. Scheint, als hätten Wolfsdämonen eins von den Dörfern angegriffen, die nahe der Grenze nach Osten liegen. Stehen die nicht unter Inu Taishos Schutz?"

"Nein", antwortete Myoga an der Stelle von Sesshomaru, "die Menschen dort haben zu große Angst vor möglichen Angriffen der Drachendämonen, die die östlichen Länder beherrschen. Inu Taisho-sama geht selten zur Ostgrenze, um die Drachen nicht zu provozieren und damit die dort wohnenden Menschen zu gefährden."

"Na, dann gehen wir am besten auch nicht da hin, oder?" sagte Yoshio heiter.
 

Sesshomaru erhob sich schweigend. Erstaunt sah Yoshio, dass er Kraft sammelte und sich offenbar zum Fliegen bereit machte. Myoga erkannte diese Anzeichen auch und sprang sofort entsetzt in die Höhe.

"Nicht, Sesshomaru-sama. Ihr wisst genau, dass Inu Taisho-sama befohlen hat neue Streitigkeiten zwischen Wolfs- und Hundedämonen zu vermeiden!"

"Ich lasse nicht zu, dass respektlose Wölfe ständig unsere Reviere missachten. Das ist nicht ihr Jagdgebiet und sie haben hier nichts zu suchen."

Mit einem schnellen Sprung katapultierte sich Sesshomaru in die Höhe und verschwand in den Lüften Richtung Osten.
 

"Ah, wie ich seine Herumfliegerei hasse", schimpfte Yoshio und spannte seinen Körper an. "Ich kann dann immer sehen wie ich nach komme. Halt dich gut fest Myoga!"

"Ach, vielleicht ist es besser wenn ich hier blei..."

Der Flohgeist wollte von Yoshios Schulter springen, doch in diesem Moment verwandelte sich der dunkle Dämon in einen fast drei Meter großen, schwarzbraunen Wolfshund und preschte los. Myoga wurde vom Laufwind erfasst, fiel kopfüber auf den Rücken des riesigen Hundes und blieb betäubt zwischen dessen Fellhaaren hängen.

Rasend schnell lief Yoshio ostwärts seinem verschwundenen Freund hinterher.
 

* * * * *
 

Einige Zeit später erreichte der schwarzbraune Wolfshund ein kleines abgelegenes Dorf, das sich an einen buckeligen, von blütenreichen Wiesen überzogenen Höhenrücken schmiegte. Bei dieser menschlichen Siedlung handelte es sich um eine Ansammlung weniger, bescheidener Hütten, die von kleinen Ackerflächen und umzäunten Viehweiden umrahmt wurden.

Die Menschen, die hier wohnten, waren nicht reich. Sie besaßen gerade das Notwendigste, um zu überleben. Doch nun war ihnen selbst dieses bescheidene Leben genommen worden.

Schon von der Weite konnte Yoshio den süßlichen Blutgeruch wahrnehmen, den der Wind von den Holzhütten zu ihm trieb. Es war der Geruch von Männern, Frauen und Kindern. Ein Geruch des Todes. Jemand hatte alle Bewohner des Dorfs ausnahmslos getötet. Und dieser Jemand roch nach Wolf.
 

Ein Stück vor Yoshio war Sesshomaru gelandet und stand reglos im Gras in Sichtweite des unglückseligen Dorfs. Starr blickte er zu der Siedlung, seine weißen Haare flatterten unruhig im vom Blutgeruch verpesteten Wind.

Yoshio verwandelte sich von seiner Wolfshundegestalt zurück in seine menschliche Form und kam zu seinem Freund. Myoga beäugte ängstlich die Siedlung vor ihnen.

"Haaah, Wölfe!" schrie der kleine Flohgeist auf und hüpfte erschreckt von Yoshios auf Sesshomarus Schulter. Furchtsam versteckte er sich in den langen, weißen Haaren des Dämons.
 

Aus dem Dorf raste in diesem Moment eine Horde von etwa zwanzig Wölfen mit bluttriefenden Mäulern jaulend und unter drohendem Knurren auf die beiden Hundedämonen zu. Yoshio wich vorsichtig ein Stück zurück. Sesshomaru blieb unbewegt stehen und sah den angreifenden Tieren ruhig entgegen.

Als die ersten Wölfe den weißhaarigen Dämon fast erreichten, durchzog ein roter Schimmer seine goldfarbenen Augen. Der Körper des Hundedämonen spannte sich unmerklich an und dann, mit einer blitzartigen, heftigen Armbewegung, schleuderte Sesshomaru den ersten Wolf, der ihn zähnefletschend ansprang, zurück. Das Tier prallte gegen die nachfolgenden Wölfe und blieb betäubt am Boden liegen. Leicht verängstigt jaulten die Wölfe auf und zogen sich etwas zurück. In einem achtsamen Abstand umkreisten sie drohend die beiden Hundedämonen, wagten jedoch vorerst keinen weiteren Angriff.
 

"Oh, sieh mal einer an. Wen haben wir denn da?"

Eine glockenhelle, weibliche Stimme mischte sich in das Geschehen.

Sesshomaru und Yoshio wandten ihre Aufmerksamkeit von der Wolfshorde ab und sahen nun eine schlanke, aber kräftige und äußerst attraktive Frau aus dem Dorf auf sie zukommen. Sie hatte langes, nussbraunes, zu einem Zopf geflochtenes Haar, das fast zu ihren Kniekehlen reichte. Gekleidet war sie in die seltenen Felle weißer Hirsche. Ein schmaler, filigran gearbeiteter Silberreif mit einem Smaragd in der Mitte schmückte ihre Stirn. Ihre Augen waren strahlend grün, wie ein frisch ausgetriebenes Laubblatt.

Amüsiert lächelnd musterte die weibliche Schönheit die beiden Hundedämonen, die ihr staunend entgegen sahen, und enthüllte dabei ihre glänzend weißen, scharfen Eckzähne. Eine starke dämonische Aura ging von ihr aus und ein wilder, aber sehr erregender Duft umhüllte sie. Ein Duft ähnlich dem der Wölfe, die weiterhin Sesshomaru und Yoshio umkreisten. Der Duft einer Wolfsdämonin.
 

"Wer bist du?" fragte Yoshio mit belegter Stimme. Bewundernd starrte er die Schönheit unverwandt an.

"Für dich heißt das ,wer seid Ihr', du unverschämtes, niederes Kötermischblut!" antwortete die faszinierende Wolfsdämonin scharf.

Yoshio zuckte zusammen. Er war es zwar gewohnt von Wolfsdämonen und auch von einigen Hundedämonen verächtlich behandelt zu werden, weil er in ihren Augen ein sogenanntes ,Mischblut' war, dennoch schmerzten ihn solch abfällige Kommentare immer noch. Vor allem, wenn sie von einem so attraktiven Wesen kamen. Es ließ sich zwar nicht verleugnen, dass Yoshios Mutter eine Wolfsdämonin gewesen war, doch darin lag prinzipiell keine Schande. Als schändlich galten eigentlich nur Halbdämonen, diese verdorbenen Mischungen aus Dämon und Mensch. Was bedeutete es da schon, dass in seinen Adern neben Hunde- auch Wolfsblut floss? Trotzdem war er schließlich ein vollwertiger Dämon und Hundedämonen wie Inu Taisho hatten ihn längst als einen der ihren akzeptiert. Yoshio war überzeugt davon ein mindest genauso wertvoller Hundedämon wie Sesshomaru zu sein, auch wenn er nicht so stark war. Doch dieses hochnäsige Wolfsdämonen-Biest sah das wohl anders.
 

Die stolze Wolfsdämonin kümmerte sich nicht mehr um den gekränkten Hundedämon, stattdessen wandte sie sich lächelnd an Sesshomaru.

"Ich bin Fuyuko, Anführerin der Wolfsdämonen", sagte sie.

Sesshomaru betrachtete sie nachdenklich.

"Ich dachte, der Anführer der Wolfsdämonen von hier ist ein Mann namens Chugo."

"Pah", meinte Fuyuko verächtlich, "mit diesem Schwächling und seinem noch schwächlicheren Rudel aus den westlichen Bergen habe ich nichts zu tun. Seine Gruppe hat sich schon vor ewiglangen Zeiten von der unseren abgetrennt. Ich bin nicht von hier, ich bin die Leitwölfin des Rudels aus dem Norden. Die Wölfe des Nordens sind dir sicherlich bekannt, nicht wahr?"

"Wenn du aus dem Norden kommst", sagte Sesshomaru unbeeindruckt, "haben du und deine Wölfe hier noch weniger etwas zu suchen als Chugos Wölfe. Und du hast vor allem kein Recht hier deine Wölfe auf ein Menschendorf loszulassen."

"Und wer bist du, um mir Vorschriften machen zu wollen?" fragte die Wolfsdämonin schnippisch.

"Mein Name ist Sesshomaru und das hier ist das Reich von Lord Inu Taisho. Kein Dämon überschreitet diese Grenzen ohne seine Erlaubnis. Erst recht keine ungebetene Wolfsprinzessin aus dem Norden!"

"Oh, sieh mal einer an", kicherte Fuyuko, "der Sohn des Hundefürsten erweist mir die Ehre und will mich über Grenzen aufklären. Sehr amüsant. Als ob es mich interessieren würde, was Inu Taisho erlaubt oder nicht. Mit diesem Hund, der meinen Vater ermordet hat, habe ich sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen!"

Sesshomaru knurrte leicht und seine Augen verengten sich zu Schlitzen.

"Das war kein Mord, meine liebe Prinzessin, das weißt du genau. Der Wolfsfürst hat meinen Vater herausgefordert und wurde im fairen Kampf besiegt. Es war eine Fehde auf Leben und Tod. Dein Vater wusste genau, worauf er sich einließ. Sein Tod war seine eigene Schuld!"

"Von wegen", fauchte die Wolfsdämonin wütend, "dein Vater hat nicht fair gekämpft. Für diese unverschämte Lüge werde ich dich von meinen Wölfen zerreißen lassen!"

"Versuch es", sagte Sesshomaru kalt, "und deine Haustiere sind allesamt tot!"
 

"Anmaßendes Großmaul!"

Fuyuko pfiff ihre Wölfe zurück, die daraufhin sofort von den beiden Hundedämonen abließen und sich hinter der Wolfsdämonin versammelten. Die Dämonin ging etwas vor und zog ein helles, silberverziertes Schwert. Auffordernd stellte sie sich in Kampfposition und blickte Sesshomaru mit grünglitzernden Augen zornig an.

"Dann lass mich doch mal sehen, wie stark du bist, dreister, widerlicher Hund. Wie mein Vater einst den deinen fordere ich nun dich. Kämpfe mit mir auf Leben oder Tod!"

Sesshomaru erwiderte den auffordernden Blick der stolzen, schönen Wolfsdämonin schweigend. Lange sahen sich die beiden Dämonen unverhohlen und stumm an. Keiner senkte die Augen und eine unerträgliche Spannung erfüllte die Luft.
 

Zaghaft sah Yoshio von einem der Kontrahenten zum anderen und schluckte. Was würde geschehen?

Myoga kam aus Sesshomarus Haaren hervor gekrabbelt und sprang bestürzt in die Höhe.

"Sesshomaru-sama", flehte der Flohgeist inständig, "denkt daran, was Euer Vater dazu sagen würde. Ihr dürft auf keinen Fall kämpfen!!!"

Das flehentliche Gekreische des Flohdämonen entlockte Fuyuko ein höhnisches Grinsen. Sie ging einen weiteren Schritt vor und hob keck ihr Schwert in die Höhe.
 

Sesshomarus goldschimmernde Augen wurden hart und ein rötlicher Glanz überzog die bernsteinfarbene Iris. Mit einem heftigen Handrückschlag beförderte er den verzweifelt bettelnden Flohgeist von seiner Schulter auf den Boden. Halb besinnungslos kullerte Myoga ins Gras.

Bedächtig zog der weißhaarige Hundedämon sein Schwert.

"Ich nehme deine Herausforderung an", sagte er langsam und ging auf die Wolfsdämonin zu.
 


 

Soweit das erste Kapitel.

Hat es euch gefallen?

Bitte hinterlasst mir doch wieder ein paar Kommentare. Dankeschön!

Dunkle Mächte

Gefrustet von meiner Arbeit hat mich gestern eine wahre Schreibwut überfallen und so ist prompt ein weiteres Kapitel fertig geworden. Ich konnte mit dem Schreiben gar nicht mehr aufhören. (Konnte wohl meinen ganzen Frust angenehm in dem beschriebenen fight abreagieren, *grins*) Meine erste Fanfic hat von dieser Produktivität auch profitiert, allerdings gefällt mir da das Entstandene noch nicht so recht. Fans der ,unzertrennlichen Brüder' müssen sich also noch etwas mit der Fortsetzung gedulden, insbesondere, da ich ein paar Tage wegfahre. Vielleicht kann ich euch ja hiermit ein wenig darüber hinweg trösten...

Also weiter mit Kapitel 2: Während Koga im Wald unterwegs ist, um herauszufinden, wer einige Wölfe seines Rudels getötet hat, legt sich Sesshomaru mit einer attraktiven Wolfsdämonin an, die ein Menschendorf überfallen hat. Ein heißer Kampf auf Leben oder Tod entbrennt...

Enjoy reading!
 


 

Mit einem schrillen Schrei stürzte sich Fuyuko ohne weiter zu zögern auf Sesshomaru. Ihr hell glänzendes Schwert traf klirrend auf die Klinge des Hundedämonen. Sesshomaru parierte den Schlag und stieß die Dämonin heftig zurück. Doch diese fing sich sofort, wich geschickt einem weiteren Hieb aus und sprang seitlich in die Höhe. Sie vollführte einen eleganten, flinken Überschlag und drang von oben wieder auf ihren Gegner ein.

Der Hundedämon konnte gerade noch ausweichen und den Angriff abfangen. Die Kontrahenten sprangen auseinander, musterten sich gegenseitig kühl berechnend und fielen erneut blitzschnell übereinander her. Wieder klirrten die Schwerter hart zusammen und versprühten Funken.
 

Atemlos sah Yoshio dem Kampf zu. Er hatte schon viele derartiger Auseinandersetzungen gesehen und wusste sofort, dass es für keinen der beiden Gegner leicht werden würde. Und beide meinten es bitterernst.

Es gab kein vorsichtiges Abtasten, kein Bemühen den Gegner zunächst behutsam auszutesten und keine Worte wurden mehr gewechselt. Das Duell steigerte sich stattdessen sofort in tödliche Brillianz .

Mittlerweile kam Myoga wieder zu sich und verfolgte mit zunehmenden Entsetzen das Gefecht. Hektisch sprang er auf und ab und rief irgendetwas, doch niemand hörte ihn.
 

Immer hitziger und schneller wurden die Schwerthiebe.

Sesshomaru gelang es, seine Gegnerin mit einer genialen Finte zu verwirren und von hinten zu überraschen. Seine Klinge fuhr der Wolfsdämonin tief in den Oberschenkel.

Fuyuko taumelte und keuchte kurz auf. Stöhnend presste sie ihre linke Hand auf die kräftig blutende Wunde. Dann sprang sie jedoch wendig mit dem unverletzten Bein beiseite, drehte sich, schoss wieder auf Sesshomaru zu und sauste knapp an ihm vorbei.

Der Hundedämon wehrte ihren Schwertschlag ab und spürte im selben Moment einen scharf stechenden Schmerz. Er schnellte zurück, fasste sich an die Seite und sah an sich herab. Ein faustgroßer, stacheliger Wurfstern hatte sich durch seine Kleidung und, da er keine schützende Rüstung trug, fest in seine Haut gebohrt. Unbemerkt hatte Fuyuko das Geschoss auf ihn werfen können, als er von ihrem Angriff abgelenkt worden war. Nun steckte der perfekt gezielte, eherne Stern eisern zwischen seinen Rippen, stach schmerzhaft tief bis in seine Lunge, erschwerte seine Atmung und lähmte seinen Schwertarm.

Matt erwiderte Sesshomaru einen erneuten Angriff der Wolfsdämonin und wurde von einem weiteren Wurfgeschoss getroffen, diesmal von einer kleinen, stählernen, dolchartigen Klinge, die in seinen rechten Arm stach und den bereits betäubten Arm zusätzlich marterte. Sesshomaru biss gequält die Zähne zusammen und verlor sein Schwert.

Sofort nutzte Fuyuko die vermeintliche Schwäche ihres Kontrahenten und sprang ihn triumphierend aufschreiend an. Doch Sesshomaru fasste sich und startete einen Gegenangriff. Mit bloßen Händen preschte er auf Fuyuko zu, tauchte unter ihrem Schwert weg und schlug ihr seine Krallen in die rechte Schulter. Gleichzeitig verpasste er ihr einen starken Schlag ins Gesicht und kratzte mit seinen scharfen Nägeln hinab bis in ihren Hals.

Aufjaulend stürzte Fuyuko zurück zu Boden und richtete sich mühsam mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder auf.

Sesshomaru nutzte den Moment, um sich die beiden behindernden Wurfgeschosse herauszuziehen. Die mit Widerhaken versehenen Waffen rissen tiefe Wunden in seine Seite und seinen Arm. Nur unter großen Schwierigkeiten konnte der Hundedämon einen Schmerzenslaut unterdrücken. Er versuchte die Geschosse wütend zurück auf ihre Besitzerin zu schleudern, traf sie jedoch nicht, denn Fuyoko wich ihnen rechtzeitig aus. Immerhin konnte er mit diesem ablenkenden Manöver zurück an sein Schwert gelangen. Rasch packte er den Stahl und kämpfte, da sein rechter Arm nicht mehr zu gebrauchen war, mit links weiter.

Auch Fuyuko hatte ihren Schmerz überwunden und warf sich mit neuer Erbitterung ins Gefecht. Die Klingen der unversöhnlichen Gegner blitzten in der Sonne auf und fuhren metallisch kreischend wieder aufeinander.
 

Obwohl niemand auf ihn hörte, hatte Myoga unaufhörlich weiter geschrieen. Nun versagte ihm die Stimme. Heiser röchelnd wandte er sich an den erstarrt zuschauenden Hundedämonen neben sich.

"Yoshio-sama..., bitte..., so tut doch etwas..."

"Was soll ich schon tun?", gab der Angesprochene zurück, "ich kann die beiden doch nicht aufhalten. Sollte ich das versuchen, bringen die mich in ihrer Raserei glatt um!"

Hilflos starrten beide wieder auf das Duell.

Gelähmt, aber gleichermaßen fasziniert und mit einem undeutbaren Glitzern in seinen tiefblauen Augen beobachtete Yoshio, wie es der Wolfsdämonin nach einigen, blitzschnellen Schwertschlägen glückte hinter Sesshomaru zu springen und ihm einen kraftvollen Hieb auf den Rücken zu verpassen. Die langgezogene Schnittwunde färbte Sesshomaru Kleidung und einen Teil seiner weißen Haare rot. Zornig fuhr er herum, griff ebenfalls an und erwischte Fuyuko an ihrem linken Arm.
 

Yoshio wurde bewusst, dass der Kampf wohl nicht mehr lange dauern würde. Beide Gegner waren geschwächt und fügten einander immer mehr Verletzungen zu. Die dämonische Aura um die verbissen Kämpfenden nahm zu, wurde dunkler und begann zu brodeln. Es war eindeutig, dass beide ihre letzten Energiereserven aktivierten und mit all ihren verborgenen Mächten aufeinander los gehen würden. Nun kam es nun noch darauf an, wer als erstes seine Achtsamkeit und Kraft verlieren würde.
 

Sesshomaru spürte in sich ein heißblütiges Brennen. Seine dämonischen Kräfte in ihm vibrierten und begannen ihre Macht zu entfalten. Immer, wenn er in die Enge getrieben wurde, wenn Wut oder Schmerz überhand nahmen, fand er zu seiner vollen Stärke. Doch noch war er nicht in der Lage und geübt genug seine Macht zu kontrollieren und effektvoll zu nutzen. Und es war gefährlich. Oft genug hatte seine in ihm wachsende Macht sich gegen ihn selbst gewandt, wenn er sie nicht beherrschen konnte.

Fluchend wehrte Sesshomaru einen neuen Angriff Fuyukos mit dem Schwert ab. Er hätte nicht gedacht, dass ihn diese Wolfsdämonin in solche Schwierigkeiten bringen würde. War er denn immer noch nicht stark genug?

Das Brodeln und Beben in ihm wurde energischer. Sesshomaru spürte, dass er nicht genügend vorbereitet für den Einsatz seiner dämonischen Kräfte war, doch wenn er sich jetzt nichts einfallen ließ, könnte es dem Weibstück tatsächlich noch gelingen ihn zu töten. Er entschloss sich das Risiko einzugehen und gab dem Drängen seines diabolischen Blutes nach.
 

Als Fuyuko auf den Hundedämonen zustürmte, sammelte dieser seine Energie in seiner Hand und warf diese den Arm ausstreckend gegen die heranpreschende Gegnerin. Ein brennendes Zischen erfüllte die Luft und ein länglicher, hell aufleuchtender Energiestrahl peitschte der Wolfsdämonin ins Gesicht. Fuyuko wurde zurück geschleudert, verlor ihr Schwert und landete heftig aufprallend inmitten ihrer Wölfe, die aufjaulend von ihr weg sprangen.

Etwas Ätzendes brannte auf Fuyukos Haut, sie wimmerte kurz leise und sah auf. Gerade rechtzeitig, denn wieder schoss die Energiepeitsche auf sie zu. Hastig sprang die Wolfsdämonin auf, wich dem Angriff aus und suchte hektisch nach ihrem Schwert, konnte ihre Waffe jedoch nicht finden.
 

Währenddessen sammelte Sesshomaru erneut dämonische Kraft in seiner Hand, um einen weiteren Angriff damit zu starten. Ein schwindelerregendes Würgen erfasste ihn. Mein Gift..., dachte er.

Das ätzende Gift in ihm war eine besondere und ungewöhnliche dämonische Kraft, die sonst kein Hundedämon und auch kaum ein anderer ihm bekannter Dämon besaß. Leider hatte ihm daher auch keiner sagen können wie er diese Waffe gezielt einsetzen könnte. Bisher überfiel ihn das Gift meist zufällig als Begleiterscheinung, wenn er irgendeine Art von Dämonenenergie einsetzte und ließ sich nicht steuern. Unglücklicherweise beeinträchtigte ihn diese ungelenkte, giftige Wirkung dann selbst und bereitete ihm allerschlimmsten Schwindel und Übelkeit. Doch das war Sesshomaru im Moment egal, Hauptsache es half ihm sich irgendwie zu verteidigen.

Mühsam konzentrierte er sich wieder auf seine Energie und seine Gegnerin.
 

Auch Fuyuko machte sich bereit dämonische Kraft einzusetzen und fasste den Entschluss sich in ihre wahre Dämonengestalt zu verwandeln. Sie hatte bemerkt, dass ihr Gegner furchterregende, wahrscheinlich ihr überlegene Macht besaß, aber offensichtlich noch Probleme damit hatte diese Macht zu nutzen. Wenn sie schell genug war und es geschickt anstellte, würde sie ihn vernichten können.

Beide Widersacher wussten, dies würde der letzte Angriffsversuch sein, der letzte Schlagabtausch. Und der Verlierer würde sterben.
 

Die gegnerischen Dämonen ballten die Mächte in ihrem Inneren zusammen und stürmten aufeinander zu.

Doch gerade als Sesshomaru seine Energie loslassen wollte und Fuyuko ihre Gestalt zu verändern begann, drängte sich eine gewaltige Kraft zwischen beide und warf sie zurück. Sesshomaru stürzte betäubt gegen einen Baum, Fuyuko wurde wieder zu ihren Wölfen geschleudert und blieb halb bewusstlos zwischen den Tieren liegen. Ihre Verwandlung stoppte und machte sich rückgängig.
 

Auch Yoshio wurde von einem stürmischen Luftzug von den Füßen gerissen und landete unsanft auf seinem Hinterteil.

Myoga flog durch den plötzlichen Wind einige Meter davon und segelte dann unbeholfen zu Boden. Sein geringes Gewicht ersparte ihm eine ungemütliche Landung und so war er auch als erstes wieder auf den Beinen.

Verblüfft von dem Ereignis sah er hoch und blickte dann erleichtert auf die Stelle, an der vorher noch Sesshomaru mit der Wolfsdämonin gekämpft hatte. Überglücklich wirkend hüpfte er auf die Stelle zu.

"Inu Taisho-sama", rief Myoga entzückt, "welch ein Glück, dass ihr hier seid!"
 

Yoshio richtete sich schwerfällig auf und sah nun vor sich auf dem Kampfplatz die hochaufragende, stolze Gestalt eines riesigen, weißen Hundes stehen. Erstarrt blickte er in die blutroten, glühenden Augen des gewaltigen Tieres und wollte etwas sagen, doch er brachte keinen Ton heraus.

Die Luft erzitterte, ein sanftes Leuchten umhüllte den prachtvollen Hund und ließ ihn mit einem Mal leicht zusammen schrumpfen. Im nächsten Moment wurde Yoshio von einem grellen Licht geblendet und schloss kurz die Augen.

Als er die Augen wieder öffnete, stand vor ihm ein Mann in schneeweißen Kleidern und einem aufwendigen Brustharnisch. Sein seidiges, zu einem Zopf zusammengebundenes Haar war hüftlang und ebenso weiß wie sein Gewand unter der Rüstung. Mit ausdruckslosem Gesicht sah er Yoshio entgegen, nur seine dunkelgoldenen Augen funkelten in einem rötlichen Schimmer.

"Lord Inu Taisho..." hauchte Yoshio und wiederholte dann fast mechanisch Myogas Worte : "wie gut, dass Ihr hier seid."
 

Inu Taisho, der Fürst aller Hundedämonen und Herrscher der westlichen Lande, wandte sich wortlos ab und näherte sich Fuyuko, die ihre Benommenheit abgeschüttelt hatte und sich unter Schmerzen bemühte auf die Beine zu kommen.

Der Dämonenfürst ging auf die Wolfsdämonin zu und reichte ihr schweigend eine Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Wütend schlug Fuyuko die ihr dargebotene Hand von sich weg.

"Ich brauche Eure Hilfe nicht, Hund aller Hunde. Und Eure Einmischung brauch ich schon gar nicht!"

"Das ist mein Land", antwortete der Fürst ruhig, "alles, was hier geschieht, geht mich etwas an, ob es dir gefällt oder nicht."

Fuyuko schnaubte abfällig und rappelte sich mühselig auf.

"Du bist schwer verletzt", stellte Inu Taisho sachlich fest, "mein Heiler wird deine Wunden verbinden."

"Ich sagte, ich brauche Eure Hilfe nicht", raunzte die Wolfsdämonin, "besser gesagt, ich will sie auch nicht. Am allerwenigsten von dem Mörder meines Vaters!"

"Deine Erbitterung ist unangebracht", betonte Inu Taisho scharf, "die Blutfehde zwischen den Wölfen des Nordens und den Hunden des Westens ist seit dem Tod deines Vaters beendet. Es ist lange genug Blut vergossen worden und ich werde keinen neuen Streit mit dir beginnen. Du solltest die Vergangenheit ruhen lassen."

Stolz richtete sich Fuyuko auf.

"Ich werde nichts dergleichen tun. So leicht vergesse ich nicht. Ich habe geschworen meinen Vater zu rächen."
 

Inu Taisho musterte die Wolfsdämonin eine Zeitlang schweigend, dann seufzte er kaum hörbar.

"Wenn du dich unbedingt rächen willst, steht es dir frei mich herauszufordern, sobald du glaubst stark genug dafür zu sein. Es gibt dir allerdings kein Recht ein unschuldiges Menschendorf in meinem Reich auszulöschen oder einen Kampf gegen meinen Sohn auszufechten. Weder die Menschen noch Sesshomaru haben mit deiner Rachsucht etwas zu tun."

"Der Angriff auf das Dorf war gerechtfertigt", platzte Fuyuko wutentbrannt heraus, "ich habe mich nur für einen Angriff von eurer Seite aus gerächt. Ihr Hunde habt mehrere Wölfe meines Rudels getötet und seid selbst schuld. Ihr habt angefangen!"

"Von einem Angriff auf Tiere deines Rudels ist mir nichts bekannt", erwiderte Inu Taisho besänftigend, "ich würde dergleichen auch nicht billigen. Sollte dir oder den deinen durch einen Hundedämon Unrecht geschehen sein, kannst zu das jederzeit bei mir einklagen. Sofern Berechtigung zu deinen Klagen besteht, wirst du von mir entschädigt werden. Kein Grund für einen privaten Rachefeldzug."

Die Wolfsdämonin schnaubte wieder verächtlich.

"Wer kann euch Hunden schon trauen? Entschädigung, pah, davon werden meine Wölfe nicht wieder lebendig. Wir werden uns wiedersehen, Hundefürst, und dann werde ich den Kampf gegen Euch und Euren Sohn beenden."
 

Mit einem leisen Pfiff versammelte Fuyuko ihre Wölfe um sich und wandte sich ab. Sie fand ihr zu Boden gefallenes Schwert, hob es auf und verließ langsam und etwas schwerfällig hinkend den Ort.

"Sei gewarnt," sagte Inu Taisho bedrohlich leise hinter ihr her, "Ich will keinen Krieg, doch ich werde keine weiteren Aggressionen deiner Wolfsdämonen hinnehmen. Fordere mich nicht unüberlegt heraus!"

Fuyuko reagierte nicht und ging wortlos weiter, doch sie hatte jedes einzelne Wort gehört. Mit gesenkten Kopf und geballten Fäusten verschwand sie mit ihren Wölfen in den Wäldern.
 

Inu Taisho sah der Wolfsdämonin mit undurchdringlichem Blick nach.

Aus dem Menschendorf kam nun ein weiterer Dämon in menschlicher Gestalt und ging auf den Hundefürsten zu. Er trug lange, wallende Gewänder und hatte bis zu seinen Knöcheln herabfallendes, silbergraufarbendes Haar. In seiner rechten Hand hielt er einen langen, verschlungenen Holzstab und in seinem linken Arm trug er ein junges, vielleicht zehnjähriges und ohnmächtiges Menschenmädchen mit tiefen Schürfwunden an Armen und Beinen.
 

Yoshio sah den Neuankömmling ein wenig unbehaglich an. Obwohl er diesen Dämon fast genauso lange kannte wie Inu Taisho und Sesshomaru, war er ihm immer noch unheimlich. Sein Name war Ieyasu und er war ein Heiler mit beachtlichen magischen Kräften, der Inu Taisho schon lange diente. Seine Gedanken waren unergründlich. Er half jedem, der seine Hilfe benötigte, gleichgültig, ob Freund oder Feind, gleichgültig ob Tier, Mensch oder Dämon. Inu Taisho vertraute Ieyasu mehr als jedem anderen seiner Diener. Irgendetwas verband die beiden, doch Yoshio hatte niemals herausfinden können, was.
 

Der Heiler kam zu Inu Taisho, verneigte sich knapp und zeigte ihm das Menschenmädchen in seinen Armen.

"Sie ist die einzige Überlebende, die ich finden konnte."

Der Fürst betrachtete das ohnmächtige Mädchen kurz.

"Offensichtlich stammt sie nicht aus dem Dorf. Sie ist zu kostbar gekleidet."

"Ja", bestätigte Ieyasu, "ich habe eine Sänfte im Dorf gesehen. Und eine Eskorte. Bewaffnete, reich gekleidete Männer, die versucht haben gegen die Wölfe zu kämpfen. Doch auch sie sind getötet worden. Wahrscheinlich war die Kleine auf der Durchreise und ihre Gruppe hat in dem Dorf Rast gemacht."

"Wir werden sie mitnehmen und herausfinden, wohin sie gehört."

"Wie Ihr wünscht, mein Herr."

Ieyasu verneigte sich, legte das Mädchen behutsam am Boden ab und ging nun zu Sesshomaru, der weiterhin bewusstlos neben dem Baum lag, gegen den er geschleudert worden war. Geübt untersuchte der Heiler seine Verletzungen und weckte den Hundedämonen mit seinen vorsichtigen Berührungen aus dem Dämmerzustand.

Sesshomaru schüttelte leicht seinen Kopf, schob den Heiler unwirsch von sich weg und stand auf. Zornig versuchte er seine Benommenheit abzuschütteln und unterdrückte ein Stöhnen. Dann blickte er auf und sah seinem Vater in die Augen. Blitzartig versteinerte er.
 

Inu Taisho sah seinen Sohn ebenfalls regungslos an. Myoga kam zum Dämonenfürsten gesprungen und hüpfte etwas ängstlich auf seine Schulter.

"Verzeiht, Inu Taisho-sama", plapperte der Flohgeist drauf los, "also wirklich, ich wollte schon längst zu Euch kommen und ich wollte selbstverständlich auch verhindern, dass so was hier geschieht, aber ich bin eben nur ein kleiner, einfacher Floh..."

Ein scharfer Blick aus dunkelgoldenen Augen brachte Myoga zum Schweigen. Er duckte sich und versteckte sich dann zaghaft unter der Rüstung des Dämonenfürsten. Inu Taisho wandte seine Aufmerksamkeit vom Flohdämonen wieder auf Sesshomaru.

"Du wirst mir ins Schloss folgen", sagte er knapp, "wir haben ein Wörtchen miteinander zu reden."

Der Hundefürst drehte sich um und nahm das von Ieyasu am Boden abgelegte Mädchen in den Arm. Ohne sich noch einmal umzusehen, sprang Inu Taisho in die Höhe und verschwand in den Lüften.
 

Seufzend näherte Ieyasu sich Sesshomaru.

"Bitte", sagte er sanft, "lasst mich Eure Wunden versorgen. Ihr seid schwer verletzt."

Sesshomaru schüttelte den Heiler energisch von sich ab und schubste auch Yoshio, der ihm ebenfalls helfen wollte, heftig von sich weg. Mühselig und mit leicht schmerverzerrtem Gesicht stützte er sich am Boden ab und sammelte seine verbliebende Kraft zusammen.

"Ihr solltet Euch nicht zu sehr anstrengen", bat Ieyasu, "ich bitte Euch, lasst mich Euch helfen."

Als Antwort stieß sich Sesshomaru vom Boden ab und erhob sich in die Luft, wo er, wie sein Vater zuvor, schließlich verschwand.
 

Erneut seufzte Ieyasu auf.

"Ein Hund sturer als der andere. Komm, Yoshio, lass uns ebenfalls gehen. Zumindest das kleine Menschenmädchen wird meine Hilfe benötigen."

Yoshio wich dem freundlichen Blick des Heiler aus und schüttelte den Kopf.

"Geht alleine. Ich, ähm..., ich habe noch etwas zu erledigen."

"Wie du willst."

Ieyasu schloss die Augen und umfasste seinen Stab. Ein schimmerndes Licht leuchte auf und umhüllte ihn. Bedächtig begann der Schimmer den Heiler zu umkreisen und schien seine Gestalt aufzulösen. Das Licht wurde heller und verlöschte dann plötzlich wieder. Ieyasu war zusammen mit dem erloschenen Licht verschwunden.
 

Der zurückgebliebene Hundedämon wartete eine Weile und konzentrierte sich aufmerksam lauschend und witternd. Als er sich sicher war völlig alleine zu sein und auch keine dämonische Aura mehr in der Nähe zu spüren war, machte er sich auf den Weg.

Er durchquerte das überfallene Dorf, ohne die bedauernswerten Menschenleichen auf irgendeine Weise zu beachten, und wanderte den hinter der Siedlung gelegenen Höhenrücken hinauf.

Oben angekommen blieb er kurz stehen und betrachtete ruhig das sich vor ihm ausbreitende, weit nach Osten reichende Land. Das Reich der Drachen.

Mit einem undefinierbaren Lächeln überschritt Yoshio die unsichtbare Grenze von Inu Taishos Herrschaftsgebiet und ging weiter ostwärts. Er aktivierte seine dämonischen Energien und verschwamm mit der Umgebung, so dass er nur noch einem davonhuschenden, kaum erkennbaren, formlosen Schatten glich. Gleichzeitig verflüchtigte sich sein Geruch und verhallte jegliches Geräusch, das er machen konnte. Jede mögliche verräterische Spur von ihm verschwand wie Spuren im Sand, die das Wasser hinfort spült.

Yoshio lächelte. Niemand wusste von seiner Fähigkeit spurlos wie der davontreibende Wind zu verschwinden, niemand würde je davon erfahren. Und niemand würde wissen, wer er wirklich war.
 


 

Soweit das zweite Kapitel.

War der Kampf okay? Vielleicht war Sesshomarus ,Schwäche' ein wenig verwunderlich, aber er ist hier eben noch jünger und hat auch noch nicht ganz zu all seinen Kräften gefunden (vgl. Charabeschreibung). Inu Taisho kam hoffentlich nicht zu unsympathisch rüber. Doch von jemand hat Sesshomaru schließlich seine kalte Schale geerbt. ;)

Würde mich sehr über weitere Anregungen, Lob und Kritik freuen!

Zorn, Trauer und Wärme

Danke für eurer freundliches feedback zum letzten Kapitel. Scheinbar sind Kampfbeschreibungen eine kleine Stärke von mir. (Hätte ich ursprünglich nie von mir erwartet...) Diesmal wird sich zeigen, ob ich auch etwas weniger actionhaltige Kost gut und interessant verarbeiten kann.

Das dritte Kapitel folgt: Inu Taisho konnte seinen Sohn Sesshomaru und die rachsüchtige Wolfsdämonin Fuyuko glücklicherweise rechtzeitig voneinander trennen, bevor Schlimmes passiert. Zusammen mit Sesshomaru, seinem Heiler Ieyasu und einem verwundeten Menschenmädchen, das einzig Fuyukos Angriff auf das Dorf überlebt hat, kehrt der Dämonenfürst in sein Schloss zurück. Fuyuko verzieht sich verletzt und keineswegs versöhnungsbereit in den Wald. In der Nähe streift Koga herum, immer noch auf der Suche nach dem Mörder an den Wölfen seines Rudels...

Enjoy reading!
 


 

"KOOOGAAA???"

Laut hallte die quengelnde Stimme des jungen Wolfsdämonen aus dem Wald: "Wo bist du, warte doch auf uns..."

Koga, der außerhalb des Waldes schnuppernd am Rande einer kleinen Quelle hockte, richtete sich auf und schaute genervt zum Waldrand. Warum, überlegte er verärgert, müssen meine sogenannten besten Freunde ausgerechnet die lästigsten und dämlichsten Nervtöter von allen Wölfen sein?

Gerade, als Koga diesen Gedanken nachhing, tauchten besagte Nervtöter zwischen den Bäumen hervor auf und kamen auf ihn zu.

"Hey, Koga", rief Ginta erleichtert und rannte unbeherrscht los. In seiner Hast übersah er einen Stein und stolperte. Haggaku, der Ginta eilig folgte, prallte gegen den Stolpernden und beide plumpsten ungeschickt ins Gras.

Koga verdrehte unwillig die Augen. Womit habe ich das bloß verdient, dachte er gequält.
 

Haggaku sprang auf und verpasste Ginta für dessen Ungeschicklichkeit wütend eine heftige Kopfnuss. Ginta jammerte kläglich, drückte seine Hand auf den schmerzenden Schädel und stand dann nach einem Blick auf Koga verlegen grinsend auf.

Koga seufzte: "Wieso bitteschön, rennt ihr zwei Idioten mir nach?"

"Äh wir", meinte Ginta, "wir müssen doch aufpassen, dass du keinen Blödsi... autsch!"

Eine weitere Kopfnuss von Haggaku brachte Ginta zum Verstummen.

"Wir dachten, wir könnten dir helfen", sagte Haggaku mit gekünstelt fröhlichem Grinsen.

"Ah, wirklich? Wie toll", knurrte Koga, "eine bessere und nützlichere Hilfe als euch kann ich mir gar nicht vorstellen..."

"Was machst du hier am Waldrand?" fragte Ginta neugierig, ohne Kogas ironisch beißenden Unterton zu beachten: "Hast du etwas entdeckt?"

Koga deutete unwirsch auf die kleine Quelle neben sich.

"Wenn ihr zwei Schwachköpfe euer Geruchsorgan nutzen würdet, würdet ihr auch merken, dass vor nicht langer Zeit zwei Hundedämonen hier waren. Sie kamen von den gegenüberliegenden Wiesenhügeln und haben hier wohl kurz gerastet. Die Spur von dem einen verliert sich irgendwie in der Luft, die des anderen ist noch klar zu riechen und führt nach Osten zur Grenze zum Drachenreich."

"Glaubst du, die beiden haben was mit unseren getöteten Wölfen zu tun?" fragte Haggaku.

"Keine Ahnung", antwortete Koga leicht stirnrunzelnd, "die Gerüche bei den toten Wölfen auf der Lichtung waren so komisch verschwommen und nicht eindeutig zuzuordnen. Aber wer soll es denn sonst gewesen sein? Andere Hundedämonen konnte ich hier in der Gegend sonst nicht ausfindig machen."
 

"Und was machen wir jetzt?" fragte Ginta ein wenig ängstlich: "Willst du diesen Hunden folgen?"

Koga sah seinen Freund durchdringend an.

"Was ist los? Hast du etwa Schiss vor zwei Hündchen?"

"Naja", murmelte Ginta leise, "du hast vorher gesagt, die Spur von dem einen Hundedämon verliert sich in der Luft. Das heißt doch, der Typ ist geflogen, oder?"

"Ja, und?"

Ginta wurde zunehmend nervöser.

"Äh, nun ja, soweit ich weiß, können nur ziemlich mächtige Hundedämonen fliegen. Solche wie Inu Taisho. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es eine gute Idee ist sich mit so jemanden anzulegen. Was, wenn das Inu Taisho persönlich war, wir sind hier schließlich in seinem Gebiet..."

"Pah, Feigling, wegen so was mach ich mir nicht gleich in die Hose. Ich finde heraus, was mit unseren Wölfen passiert ist! Und wenn ich den Hundefürsten selbst dafür zur Rechenschaft..." Plötzlich stockte Koga und witterte erstarrt in die Luft. Ginta und Haggaku sahen ihn perplex an.

"Was ist denn?"
 

Koga antwortete nicht, er witterte nochmals und sprang dann mit einem blitzschnellen Satz weg von seinen Freunden in den Wald.

Verdutzt sahen die beiden Wolfsdämonen ihm nach. Erst danach bemerkten auch sie den geheimnisvollen Duft, der in der Luft hing. Es war ein fremder, aber irgendwie auch vertrauter Geruch. Es roch nach Wölfen und dem Blut eines wolfsartigen Dämonen.
 

* * * * *
 

Mit einem von Schmerz und Wut gezeichneten Gesicht saß die Wolfsdämonin Fuyuko in weichem Moos unter einem Baum und drückte einige Kräuter auf die tiefe Schnittwunde an ihrem Oberschenkel. Ihre Wölfe umringten sie. Ein Tier leckte sanft und zärtlich über ihr verletztes Gesicht.

"Verflucht", stöhnte die stolze Dämonin zornig und legte vorsichtig weitere Kräuter auf ihren linken Arm, "dieser arrogante Hund hat mir ganz schön zugesetzt. Das wird der Dreckskerl mir büßen. Das nächste Mal krieg ich ihn und dann mach ich ihn kalt. Und seinen überstolzen Vater auch!"
 

Die Worte Inu Taishos kamen der Wolfsdämonin wieder in den Sinn: "... die Blutfehde zwischen den Wölfen des Nordens und den Hunden des Westens ist beendet. Es ist lange genug Blut vergossen worden... Du solltest die Vergangenheit ruhen lassen..."

Fuyuko biss die Zähne zusammen. Die Vergangenheit ruhen lassen? Niemals. Wie könnte sie das, wenn die Schatten der Vergangenheit ihr ständig folgten? Der Geist ihres Vaters schrie nach Rache. Im Träumen und im Wachen sah Fuyuko immer wieder seine Gestalt. Die Gestalt eines großen, schwarzen Wolfs mit gütigen, dunkelbraunen Augen, die liebevoll auf sie herab blickten. Immer wieder hörte sie sein schmerzhaftes Heulen, seinen letzten jaulenden Schrei. Dann sah sie einen gewaltigen Hund im Nacken ihres Vaters. Einen riesigen, weißen Hund mit rotglühenden Augen, der sich erbarmungslos auf sein Opfer stürzte. Und sie sah wie der warme Blick ihres Vaters brach. Der Wolf fiel und über ihm stand mit blutigen Lefzen der weiße Hund.

Mühsam unterdrückte Fuyuko ihre Tränen, als die Erinnerung sie überrollte.

Nein, niemals würde sie vergessen, niemals vergeben. Die Zeit war reif. Inu Taisho würde leiden für das, was er ihr angetan hatte. Alle Hunde sollten dafür leiden!
 

Ein warnendes Knurren riss die Wolfsdämonin aus ihren düsteren Gedanken. Etwas erschreckt stand sie auf und ging vorsichtig in Abwehrstellung. Deutlich spürte sie eine dämonische Aura, die sich ihr flink näherte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. In ihrem Zustand war sie für einen weiteren Kampf mit einem feindlichen Dämon nicht in der Verfassung. Beunruhigt versuchte sie etwas zu wittern, doch der Wind kam aus der falschen Richtung.
 

Eine Gestalt brach geschwind zwischen den Büschen hervor und blieb wenige Meter vor Fuyuko schlagartig stehen. Die Wölfe der Dämonin stellten sich schützend vor ihre Herrin und knurrten den Eindringling drohend an. Dieser knurrte zurück und Fuyuko sah ihn überrascht an. Der Ankömmling verstand die Sprache der Wölfe, er war ein Wolfsdämon wie sie!

"Wer bist du und was willst du?" fragte sie ihn neugierig und gleichermaßen misstrauisch.
 

Der angesprochene, schwarzhaarige Bursche starrte Fuyuko mit einem Ausdruck im Gesicht an, als wäre sie ein vom Mond gefallenes Wesen.

"Was ist", keifte Fuyuko ungeduldig, "hast du noch nie einen anderen Wolf gesehen?"

Ihr Gegenüber antwortete ihr nicht. Mit leicht geöffneten Mund starrte er sie weiterhin unentwegt dümmlich an.

Im selben Moment kamen noch zwei weitere Kerle aus dem Wald hinzu, blieben hinter dem schwarzhaarigen Burschen stehen und glotzten ebenso erstaunt.

Unter anderen Umständen hätte Fuyuko das ganze Theater vielleicht als schmeichelhaft empfunden. Doch im Moment gingen ihr diese gaffenden und verdutzt dreinblickenden Visagen vor ihr gehörig auf die Nerven.

"Sieh mal einer an", sagte sie böse und richtete sich so stolz wie nur irgend möglich auf, "drei dämliche Milchbubis ganz allein im Wald. Habt ihr euch auf dem Weg zu eurer Mami verlaufen und vor lauter Angst nun eure Zunge verschluckt?"

Ihre spottenden Worte weckten den schwarzhaarigen Kerl aus seiner Erstarrung. Eine steile Zornesfalte bildete sich auf seiner Stirn.

"Blöde Zicke", zischte er wütend los, "glaubst du etwa, du und deine Wolfbabys beeindrucken mich? Pass gefälligst auf, was du sagst, oder ich kleb dir eine!"

Oho, dachte Fuyuko leicht amüsiert, was für ein Gentleman. Wirklich zu niedlich, wie er gleich an die Decke geht. Zuckersüß lächelte sie ihn an.

"Du könntest dich zumindest vorstellen, bevor du einer Dame Ohrfeigen schenkst!"

Verdattert glotzte der Wolfsdämon sie wieder wortlos an. Einer der Gesellen hinter ihm meldete sich nun etwas schüchtern zu Wort:

"Äh, das ist Koga. Ich bin Haggaku und der Typ neben mir heißt Ginta. Wir sind vom westlichen Wolfsrudel... ähm, wir wollten eigentlich nur... öh, Koga, äh, was wollen wir eigentlich, ich meine... äh, Koga?"

"Halt die Klappe, Idiot!"
 

Belustigt beobachtete Fuyuko wie der Wolfsdämon namens Koga seinem Gefährten überreizt einen deftigen Schlag über den Schädel zog und sich dann möglichst imponierend und stolz in Pose warf. Betont kühl wandte er sich ihr zu.

"Ich habe dich und deine Wölfe gerochen und dachte du könntest vielleicht Hilfe brauchen. Wie es scheint bist du bei einem Kampf verletzt worden. Was ist passiert und was machst du hier?"

"Ich glaube kaum, dass dich das etwas angeht", meinte Fuyuko mit spöttelnden Unterton, "und ich glaube auch nicht, dass ich als Leitwölfin des nördlichen Rudels Hilfe von einem schwächlichen Wolf aus Chugos Rudel brauche!"

"Du... du bist...", stotterte Ginta, "bist du etwa Fuyuko, die Wolfsprinzessin aus dem Norden?"

"Oh, sieh mal einer an", höhnte Fuyuko, "unter euch gibt es jemanden, der sogar denken kann. Wirklich erstaunlich! Wenn ihr Süßen mich jetzt entschuldigen würdet. Es wird Zeit für mich, dass ich nach Hause zu meinem Rudel zurückkehre, ich habe noch einiges zu erledigen..."

"Warte", hielt Koga sie hastig auf und packte sie am Arm, "du riechst irgendwie nach Hund... Bist du zufällig zwei Hundedämonen begegnet?"
 

Das Gesicht der Wolfsdämonin wurde zornrot. Heftig riss sie ihren Arm los und verpasste Koga eine schallende Ohrfeige.

"Was fällt dir ein mich einfach so anzufassen?" schrie sie.

"He, was soll das?" schimpfte Koga kleinlaut, nachdem er sich von seiner Verblüffung erholt hatte: "Dumme Pute, ich habe doch nur eine einfache Frage gestellt. Ich will doch bloß wissen, ob du vielleicht diesen verdammten Kötern begegnet bist, die unsere Wölfe auf dem Gewissen haben.
 

Sofort veränderte sich Fuyukos wütendes Gesicht. Erstaunt und fragend sah sie Koga an.

"Ein Hundedämon hat auch Wölfe aus eurem Rudel getötet?"

"Ähm ja", antwortete Koga leicht verwirrt, "auf einer Lichtung nicht weit von hier. Und die einzigen verdächtigen Hundedämonen, die in letzter Zeit hier in der Gegend waren, riechen genau wie die Hunde, denen du scheinbar kürzlich begegnet bist."

"Sesshomaru", fluchte Fuyuko aufgebracht, "er muss es gewesen sein. Dieses scheinheilige Unschuldslamm tötet also einfach heimlich unsere und eure Wölfe und sein Vater beschützt ihn auch noch!"

"Sesshomaru?" fragte Haggaku zögerlich und sah die Dämonin verdutzt an: "Meinst du etwa den Sohn von Inu Taisho? Wieso sollte der so etwas tun? Ich würde es ja noch verstehen, wenn er deine Wölfe aus dem Norden angreift. Schließlich wart ihr und die Hunde des Westens lange verbitterte Feinde. Aber Chugo und wir haben immer friedlich mit Inu Taisho zusammen gelebt. Weder er noch sein Sohn hätten einen Grund dafür unserem Rudel etwas anzutun, solange wir sie nicht reizen."

"Hunden sollte man lieber niemals trauen", fauchte Fuyuko und wandte sich dann an Koga: "Vielleicht erweist es sich noch als nützlich, dass wir uns getroffen haben, mein Süßer. Bringt mich zu eurem Leitwolf! Ich glaube, es wird Zeit, dass sich die Wölfe aus dem Norden und aus dem Westen wieder verbünden..."
 

* * * * *
 

Ein Tag und eine sternenklare Nacht waren vergangen.

Mild schien nun die Morgensonne auf die steilen Gebirgshänge und blühenden Bergwiesen herab, die eine versteckte Hochebene mit einem einsamen Schloss umgaben. Das Schloss war bereits sehr alt, aber prächtig, mit Wänden aus edlem, dunklen und unverwüstlich scheinenden Holz, das überaus reichhaltig mit kostbaren Schnitzereien verziert war. Ein großer, halb überwucherter Garten mit alten Bäumen und plätschernden Bächen, die von Bergquellen gespeist wurden, umrahmten das imposante Gebäude.

Seltsamerweise führte jedoch kein einziger erkennbarer Pfad oder Weg zu dem Schloss in die Berge hinauf. Allein und abgeschlossen schien sich das prachtvolle Haus vor dem Rest der Welt in den Bergen verstecken zu wollen und erschien unauffindbar.
 

In der obersten Etage des Gebäudes stand der Herr des Schlosses. Regungslos lehnte er am Rahmen einer aufgeschobenen, mit Papier bespannten Holztür und sah auf ein offenes Gartenstück mit einem kleinen Brunnen herab. Dort unten auf dem Rasen, zwischen einigen jungen, frischgepflanzten Kirschbäumen, bewegte sich eine weißhaarige, helle Gestalt. Sie hatte ein Schwert in der Hand und kämpfte einen stummen Kampf mit sich selbst. Die langen Haare des Kämpfenden flogen im Wind seiner geschmeidigen Bewegungen und reflektierten hellsilbern glänzend die morgendlichen Sonnenstrahlen.

"Mein Herr...?"

Der Schlossherr löste sich von dem Anblick der Gestalt im Garten und drehte sich um.

"Was gibt es, Ieyasu?"

Sein Diener verneigte sich höflich.

"Verzeiht, Lord Inu Taisho, wenn ich Euch störe. Doch Ihr wolltet benachrichtigt werden, wenn das kleine Menschenmädchen aufwacht."

Inu Taisho nickte knapp und wandte sich wieder der geöffneten Schiebetür und ihrem Ausblick zu.

"Danke, ich werde gleich zu ihr gehen", sagte er und verfiel wieder in Schweigen.
 

Ieyasu betrachtete den Dämonenfürsten eine Zeitlang und trat dann lautlos neben ihn. Er folgte dem Blick seines Herrn und sah nun ebenfalls auf die im Garten mit sich selbst kämpfende Gestalt herab.

"Ihr solltet Eurem Sohn untersagen schon wieder zu trainieren", meinte der Heiler daraufhin, "seine Auseinandersetzung gestern hat ihn sehr geschwächt und seine Wunden sahen nicht besonders gut aus. Wenn er sich überanstrengt, werden seine Verletzungen wieder aufbrechen."

Inu Taisho seufzte: "Ein gut gemeinter Rat, mein Freund, aber wohl kaum durchführbar. Ich fürchte, diesbezüglich wird Sesshomaru mir nicht gehorchen. Und ich kann ihn ja schlecht im Keller anketten."

Ieyasu schmunzelte leicht.

"Tja, Kinder sind und bleiben immer die größte Sorge, vor allem, wenn sie flügge werden. Vielleicht solltet Ihr etwas milder mit ihm umgehen. Auch Eure gestrige Strafpredigt war vielleicht nicht gerade das richtige Mittel, um Euren Sohn zu zähmen."

Der Dämonenfürst schwieg. Ieyasu wandte sich schließlich ab und verließ so lautlos wie er gekommen war das Zimmer.
 

Inu Taisho beobachtete weiterhin seinen Sohn und versank in seinen Gedanken. Wie ähnlich Sesshomaru seiner Mutter ist, dachte er. Äußerlich sieht er eigentlich fast aus wie ich, doch sonst... seine stolze Haltung, seine weichen Bewegungen, sein kühler, undurchdringlicher Blick, all das erinnert nur an sie...

Die Gedanken des Dämonenfürsten schweiften ab. Sie schweiften zurück zu dem Morgen vor vielen, vielen Jahren, als Ieyasu mit einem winzigen Bündel in den Armen zu ihm kam. Unglücklich dachte er zurück an diesen längst vergangenen, doch unvergesslichen Morgen nach einer dunklen und zerstörerischen Gewitternacht. Diese Nacht hatte Inu Taisho genommen, was ihm am meisten in seinem Leben bisher bedeutet hatte. Seitdem kämpfte er verzweifelt und erfolglos gegen den schmerzlichen Verlust, den er sich nicht eingestehen wollte. Er wollte den Schmerz des Verlustes nicht wahrhaben, denn Dämonen lieben und weinen nicht. Aber jedes Mal, wenn er seinen Sohn sah, stand die Erinnerung vorwurfsvoll vor ihm und quälte ihn. Selbst nach all der langen Zeit.

Warum nur kann ich Sesshomaru nicht ansehen, ohne an SIE denken zu müssen...
 

Unwillig drängte Inu Taisho seine Gedanken von sich und wendete seinen Blick vom Garten ab. Leise schloss er die Schiebetür, drehte sich um und verließ den Raum.
 

* * * * *
 

Staunend sah das Mädchen sich um. Sie konnte sich einfach nicht erklären, wie sie hierher gekommen war.

Sie erinnerte sich noch an das arme, aber gastfreundliche Dorf, in dem sie und ihre Begleitung, erschöpft von der langen Reise, Rast gemacht hatten. Dann war alles so schnell gegangen. Wölfe, jaulend und grimmig wie Ungeheuer aus einer anderen Welt waren über das Dorf hereingebrochen und hatten alles getötet, das lebte. Ängstlich hatte sich das Mädchen zu seiner Sänfte und in die Arme ihrer Kinderfrau geflüchtet. Die Frau hatte sie beschützend fest umklammert, verzweifelt geschrieen und war dann umgefallen. Sie begrub das kleine Mädchen unter sich und alles wurde schwarz.
 

Als das Mädchen aufgewacht war, befand es sich in einem schlichten, aber eleganten Raum und blickte auf eine dunkelbraune, mit wundervollen, ihr unbekannten Verzierungen geschmückte Holzdecke. Und sie lag in einem Bett am Boden unter einer kostbaren Seidendecke, viel kostbarer als alles, was sie daheim in ihres Vaters Schloss je gesehen hatte. Verwundert fasste das Mädchen sich an seine Arme, ein wohlriechender Verband wickelte sich darum, ebenso wie um ihre schmerzenden Beine. Was war nur geschehen?
 

Leise öffnete sich eine Tür. Verängstigt sah das Mädchen jemanden in das Zimmer kommen. Die hochgewachsene Gestalt eines Mannes näherte sich ihr langsam und setzte sich ruhig neben ihrer Liegestatt auf den Boden. Scheu musterte das Mädchen ihn und fuhr erschreckt zusammen.
 

Wer auch immer neben ihr saß, er war kein Mensch. Er hatte merkwürdige Markierungen in seinem Gesicht, seine Augen funkelten in einem unnatürlichen Goldton und sein hüftlanges, zu einem Zopf zusammen gebundenes Haar war schneeweiß. Er wirkte uralt und gleichzeitig ewig jung, eher so, als wäre er ohne Alter. Angstvoll wich sie vor ihm zurück und keuchte.

"Dämon", flüsterte sie furchtsam.

"Du brauchst keine Angst zu haben, ich werde dir nichts antun." sagte er mild und lächelte leicht. Seine goldenen Augen wirkten freundlich. Doch das Mädchen wich noch ein Stück von ihm weg und starrte ihn mit verängstigt aufgerissenen Augen an.

"Wie heißt du", fragte er.

Unsicher sah das Mädchen den Dämonen weiterhin starr an. Zitternd zog sie die Seidendecke eng um sich.

"Izayoi", antwortete sie schließlich leise.

"Ein schöner Name." Er lächelte erneut. "Woher kommst du?"

"Ich... ich war auf dem Weg zurück von meiner Tante. Mein Vater ist der Herrscher über Ländereien am Fuße der westlichen Berge. Ich wollte... wir wollten nach Hause und dann..."

"Schon gut", beruhigte er sie, "du brauchst dich nicht mehr zu fürchten. Es ist vorbei. Ich werde dich zurück nach Hause bringen. Doch zuvor solltest du etwas essen. Meine Diener werden dir etwas Speise und neue Kleidung geben."
 

Er stand auf und verließ sie wieder.

"Warte", rief Izayoi hinter ihm her, "wer... wer bist du?"

Der Dämon wandte sich noch einmal kurz zu ihr um, sein Gesicht lag nun im Schatten, doch das Mädchen glaubte trotzdem wieder sein Lächeln zu sehen.

"Nenn mich einfach 'weißer Hund'" sagte er sacht und ging.
 


 

Tja, soweit das dritte Kapitel.

Es hat euch hoffentlich nicht gelangweilt. Keine Ahnung, ob ich es geschafft habe, all die Stimmungen und Gefühle, die ich ausdrücken wollte, richtig rüberzubringen. Gefallen euch die Charaktere noch?

Bitte beehrt mich wieder mit ein paar konstruktiven Kommentaren. Dann schreib ich auch fleißig weiter. Vielen Dank!

Dämmerung

Das vierte Kapitel ist fertig. Ich hoffe, mein Geschwafel ist nicht zu sehr ausgeartet, ähem, es war gar nicht so einfach alles, was ich schreiben wollte, in den Kontext zu bringen und auszudrücken. Sagt mir ruhig, wenn etwas unverständlich, unpassend oder zu ausufernd ist. Ich will euch ja nicht verwirren...

Okay, also weiter: Fuyuko will sich mit den Wölfen des Westens gegen die Hundedämonen verbünden. Sie ist überzeugt davon, dass Sesshomaru die Wölfe ihres und des westlichen Rudels getötet hat, und will sich rächen. Auch Sesshomaru ist wütend, er hat allerdings mehr mit dem angespannten Verhältnis zu seinem Vater zu kämpfen. Und während sich ein kleines Mädchen fragt, ob sie in einem Traum gefangen wurde, brauen sich im Rücken der Hunde und Wölfe noch ganz andere Dinge zusammen...

Enjoy reading!
 


 

Chugo, der Leitwolf des Westens, war ein alter, erfahrener Anführer.

Schon seit fast vier Jahrhunderten leitete der alte Wolfsdämon nun das Rudel in den westlichen Bergen und hatte jede Art von Höhen und Tiefen erlebt. Unter seiner Führung war das Wolfsrudel gewachsen und stark geworden. Er hatte seinen Schutzbefohlenen ein gutes, geschütztes und friedvolles Leben beschert.

Der ruhige Leitwolf hielt sich, soweit es ging, stets von sämtlichen Streitigkeiten fern. An Macht und Landbesitz hatte er kein Interesse. Alles, was er wollte, war Frieden und ein sicheres Überleben für sein Rudel.
 

Das Revier von Chugo und seinen Wölfe lag in den westlichen Bergen, entlang der Grenze von Inu Taishos Land. Es lebten verhältnismäßig wenig Menschen dort. Nur vereinzelte Dörfer und eine kleine Stadt säumten die Täler zu Fuße des Bergmassivs, in dem die Höhlen des Wolfsrudels lagen.

Von den Bergen aus bedeckten ausgedehnte, üppige Wälder, die sich weit bis in Inu Taishos Gebiet zogen, das Land. Diese Wälder nutzten die Wölfe als Jagdgebiet. Die Hundedämonen hatten nichts dagegen, dass Chugo und seine Untergebenen auch in ihren Gebieten jagten, solange das Rudel keine Hundedämonen oder Menschen angriff und sich an die Jagdreviergrenzen hielt. Schon lange bestand darüber ein friedfertiges Abkommen zwischen dem Lord der westlichen Lande und dem Leitwolf der westlichen Berge.

Es gab keinen Grund für Streit. Zumindest bis jetzt nicht.
 

Seit zwei Tagen jedoch wurde Chugos Frieden bedenklich gestört.

Alles hatte mit einer Jagd in den Wäldern begonnen und mit dem Tod von fünf Wölfen geendet. Der Verlust der Tiere schmerzte, denn die Wolfsdämonen betrachteten ihre tierischen Begleiter in ihrem Gefolge nicht nur als einfache Jagdgefährten, sondern als fast gleichwertige Freunde. Wenn jemand daher von einem Wolf sprach, war oft nicht klar, ob damit nun ein Wolfsdämon oder ein Tier gemeint war.

Für die Wolfsdämonen war das nicht von Belang und es störte sie auch nicht mit ihren tierischen Freunden gleichgesetzt zu werden. Für sie zählte nur das Rudel, so einfach war das. Wer zum Rudel gehörte, gleichgültig, ob Tier oder Dämon, war ein Freund und musste beschützt werden. Wer das Rudel angriff, egal, ob Tier oder Dämon, war ein Feind und musste bekämpft werden.

Und nun hatte ausgerechnet ein Hundedämon Angehörige des Rudels angegriffen und getötet. Ausgerechnet einer von den Hunden, mit denen Chugo und seine Wölfe bisher immer in Frieden gelebt hatten.
 

Der Leitwolf war verunsichert. Er wollte keinen Streit mit den Hunden.

Bis vor einigen Jahrzehnten hatten die Hundedämonen erbittert gegen die Wölfe des Nordens gekämpft. Diese alte Feindschaft ging schon viele Jahrhunderte zurück, bis weit vor die Zeit, als sich Chugos Gruppe vom nördlichen Rudel abtrennte, um irgendwo ein neues, friedliches Leben anzufangen. Niemand wusste heute mehr, was die Blutfehde und den Hass zwischen den Hunden des Westens und den Wölfen des Nordens ursprünglich entzündet hatte, doch dieser ewiglange Konflikt hatte auf beiden Seiten tiefe Wunden gerissen und schwelte weiter.
 

Vor einigen Jahrzehnten hatte Inu Taisho die Fehde durch einen Zweikampf mit dem Wolfsfürsten aus dem Norden beendet. Doch die Wölfe des Nordens waren stolz, zu stolz, um zu vergeben, und so stand der endlich erreichte Sieg und Waffenstillstand von Inu Taisho auf tönernen Füßen. Ein Funke bereits würde genügen und die Fackel des Krieges würde wieder brennen.
 

Chugo war es bisher gelungen sich bei den Konflikten zwischen den Hunden des Westens und den Wölfen des Nordens neutral zu verhalten, doch wie lange würde er das weiterhin können, wenn wieder eine Fehde ausbrach?

Sein Rudel war nicht mehr dasselbe wie vor vier Jahrhunderten.

Viele seiner dämonischen Schützlinge waren junge Heißsporne, denen das friedfertige Leben in den Bergen nicht ausreichte. Sie hatten die Schrecken und schmerzlichen Verluste, die ein Krieg mit sich brachte, nie direkt erlebt und fürchteten die Aussicht auf Auseinandersetzungen nicht. Ja, sie sehnten Streit sogar herbei.

Nur wenige von Chugos Rudel wussten den Wert des Friedens noch zu schätzen. Viele wollten nur Rache für ihre getöteten Freunde.
 

Wie lange würde es dauern bis der Leitwolf des Westens und seine Gefährten in Streitereien mit hineingezogen würden, sollte der Krieg zwischen Hunden und Wölfen wieder ausbrechen? Und was würde solch ein Krieg dieses Mal kosten?
 

Chugo seufzte innerlich, während er seinen Gedanken nachhing und dabei die vier Wolfsdämonen betrachtete, die vor ihm standen.

Einer von ihnen war Koga und er war ein typischer Vertreter all dieser jungen Heißsporne, die dem Leitwolf Sorgen machten. Eigentlich war Koga ein ganz ordentlicher Kerl, doch es mangelte ihm sehr an Weitsicht, Geduld und Erfahrung. Er verstand Chugos friedliche Ambitionen nicht, er sah sie als Schwäche an. Koga wollte mehr für sein Rudel erreichen als nur ein einfaches Leben in den Bergen und viele der jüngeren Wölfe im Rudel teilten seine Ansicht.

Irgendwann wusste sich Chugo nicht mehr anders zu helfen und reagierte schließlich auf die immer unverschämteren Herausforderungen des jungen Wolfs mit einem Kampf. Koga verlor und nach den Gesetzen des Rudels musste er gehen. Seine Verbannung war die einzige Möglichkeit gewesen den Heißsporn zu zähmen und hatte kurzfristig wieder für Ruhe im Rudel gesorgt.

Doch nun war Koga wieder da und er kam nicht allein.

Fuyuko, die Leitwölfin des mächtigen nördlichen Rudels, war bei ihm und damit wurden die schlimmsten Befürchtungen Chugos wahr.
 

Auch im Rudel des Nordens waren vor einigen Tagen Wölfe unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Ebenfalls getötet von einem Hundedämon. Chugo wusste, dass Fuyuko diesen Angriff nicht ungesühnt bleiben lassen würde, denn die stolze Wolfsdämonin suchte schon seit langem nach einer Möglichkeit den Krieg zwischen Hunden und Wölfen wieder zu entzünden. Sie wollte Rache für ihren Vater und hatte Inu Taisho dessen Tod niemals vergeben. Nun war in ihren Augen die Gelegenheit gekommen.
 

Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, verdächtigte Fuyuko ausgerechnet Sesshomaru die Wölfe getötet zu haben. Sollte der Sohn Inu Taishos und künftige Lord des Westens tatsächlich für den ungerechtfertigten Tod der Tiere verantwortlich sein, kam das einer Kriegserklärung der Hunde gleich.

Fuyuko forderte deshalb, dass sich die Wölfe des Westens und des Nordens wieder vereinigen und ein Bündnis gegen die Hundedämonen schließen sollten.

Chugo spürte, dass er sich mit seinem Bestreben nach Frieden auf hauchdünnem Eis bewegte und sehr vorsichtig sein musste, wenn er seinen Frieden bewahren wollte.
 

"Wie lange wollt ihr Schwächlinge euch noch von den Hunden provozieren lassen?" schimpfte Fuyuko gerade.

Chugo bemerkte unglücklich, dass ihre Hetztiraden bei seinem Rudel durchaus einige willige Zuhörer fanden.

"Ich werde mit Lord Inu Taisho reden", antwortete der Leitwolf besänftigend.

"Reden! Und wieder reden," spuckte Fuyuko verächtlich aus, "reden ist alles was ihr feigen Memmen aus dem Westen könnt. Mit Hunden kann man nicht reden, die verstehen nur die Sprache des Blutes. Schaut meine Verletzungen an, dann wisst ihr, was ich meine. Wenn Inu Taisho mit seinem Gerede nicht dazwischen gekommen wäre, hätte ich unsere Wölfe schon längst gerächt und seinen mörderischen Sohn ins Jenseits verabschiedet!"

"Du hast keinen Beweis dafür, dass Sesshomaru die Wölfe getötet hat", unterbrach Chugo die flammende Rede der Wolfsprinzessin. "Ein verschwommener Geruch beweist gar nichts. Der Wolfshundedämon, der Sesshomaru begleitet hat, hätte es genauso gut sein können oder sonst wer."

Von diesem Einwand ließ sich Fuyuko jedoch keineswegs beeindrucken.

"Wer auch immer es war", meinte sie böse, "es war auf jeden Fall ein Hundedämon. Und er wird es wahrscheinlich wieder tun. Meinetwegen könnt ihr euch in euren Höhlen verkriechen und warten bis die Hunde all eure Freunde umgebracht haben. Ich für meinen Teil werde mich vorbereiten und mich für einen Kampf gegen die Hunde rüsten. Wer so klug ist und mir folgen will, kann das tun. Wer nicht... nun, der kann meinetwegen verrecken!"
 

Zornerfüllt drehte sich Fuyuko um und pfiff ihre Wölfe zusammen. Mit hoch erhobenem Haupt und verächtlichen Blicken in die Runde verließ sie die Höhlen des westlichen Rudels.
 

Murmelnd und verunsichert blieben Chugos Schützlinge zurück. Der Leitwolf war über die aufgeheizte Stimmung nicht sehr erfreut und wandte sich nun an Koga:

"Großartig, Kleiner, einen sehr erfreulichen Besuch hast du uns da mitgebracht... Teilst du Fuyukos Ansichten?"

Koga, der unter der Anrede ,Kleiner' erzürnt zusammengezuckt war, richtete sich stolz auf und nickte: "Ja, das tue ich. Und ich werde mich Fuyuko anschließen!"

"Dann geh", knurrte Chugo erbost. "Du hast hier eh nichts mehr verloren. Wenn du glaubst, dass das der richtige Weg ist, so probier ihn aus. Aber halte dich vom Rudel fern. Ich werde nicht zulassen, dass du irgendwen von uns da mit hineinziehst!"

Koga schnaubte und zog sich wütend zurück. Ginta und Haggaku sahen ihm unsicher nach.

"Und ihr vergesst ganz schnell, was ihr mit Koga im Wald erlebt habt", sagte Chugo nun zu ihnen, "und Koga vergesst ihr am besten auch. Habt ihr mich verstanden?"

Ginta und Haggaku nickten zaghaft.
 

Chugo erhob sich seufzend von seinem Platz und warf einen zutiefst besorgten Blick auf die Angehörigen seines Rudels, die um ihn herum saßen und ihn irritiert anblickten.

Schwere Zeiten standen dem Leitwolf bevor, das war sicher.
 

* * * * *
 

Erschöpft und schweißüberströmt saß Sesshomaru in der milden Nachmittagssonne und blickte starr in das kristallklare Wasser des Brunnens neben sich.

Seit den frühen Morgenstunden hatte er pausenlos trainiert, stundenlang gegen sich selbst im Garten gekämpft und sich dabei völlig verausgabt. Seine Muskeln schmerzten, sein verwundeter Schwertarm fühlte sich taub an und seine übrigen, teils wieder aufgebrochenen Verletzungen brannten wie Feuer. Dennoch hätte er am liebsten weiter trainiert, immer weiter, um endlich diesen aufgestauten, inneren Druck loszubekommen, der ihn nieder presste und zu überwältigen drohte.

Sesshomaru war zornig. Er war wütend auf diese überhebliche Wolfsdämonin, die es gewagt hatte ihn herauszufordern. Wütend darauf, dass sie es geschafft hatte ihn zu verletzten, ja fast sogar zu besiegen und zu töten. Er war wütend auf seine mangelnde Stärke, auf seine unkontrollierbare Kraft, die er nicht richtig lenken konnte, und wütend auf seine Unbeherrschtheit, durch die er sich zu dem Kampf mit Fuyuko hatte hinreißen lassen. Und er war wütend auf seinen Vater, der ihn noch immer wie ein Kind behandelte, der ihn maßregelte und zurechtwies.

Nein, am meisten war Sesshomaru zornig auf sich selbst. Wütend und verzweifelt, denn er war nicht so wie er es sich selbst wünschte, nicht so wie es sich Inu Taisho wünschte.

Verdammt, dachte Sesshomaru, ich bin einfach nicht stark genug und ich habe ich habe ihn enttäuscht...
 

Leichte Schritte, ein bekannter Geruch und eine vertraute Stimme weckten den vor sich hin brütenden Hundedämonen aus seinen Gedanken.

"Ah, hier steckst du", rief Yoshio fröhlich, "ich habe schon den halben Garten nach dir abgesucht."

Sesshomaru reagierte nicht und zeigte nicht, dass er seinen Freund gehört hatte. Schweigend und reglos starrte er in das Brunnenwasser.

"Ähm, alles in Ordnung? Also, ich will ja nicht unhöflich erscheinen, aber du schaust irgendwie ziemlich fertig aus. Vielleicht solltest du dich mal eine längere Weile ausruhen oder..."

"Mir geht es gut", sagte Sesshomaru harsch. Er stand auf und schob sein Schwert, das er bisher fest umkrampft in der Hand gehalten hatte, in seine Scheide. Nur flüchtig warf er Yoshio einen Blick zu.

"Wo warst du die ganze Zeit?"

"Ach, nur...", erwiderte Yoshio, "...nur so ein wenig unterwegs. Hast du morgen vielleicht Lust auf einen kleinen Ausflug? Ich meine, sofern es dir wirklich wieder einigermaßen geht. Ich hätte einen Vorschlag: ich habe erst kürzlich eine ziemlich interessante Schlucht entdeckt, also, die ist echt..."

"Nein!"

Yoshio zerbiss sich weitere, begeisterte Ausführungen und Aufheiterungsversuche auf der Zunge. Zögernd sah er in Sesshomarus abweisend kalte Augen.

"Hm... ähm, verstehe, du hast keine Lust... äh, und wahrscheinlich hast du auch... sozusagen Hausarrest, oder?"

Sesshomarus Augen blitzten gefährlich funkelnd auf.

"Eh, t'schuldigung," zuckte Yoshio zurück, "ich sag ja schon gar nichts mehr..."

Energisch schob Sesshomaru seinen Freund beiseite, ging an ihm vorbei und verließ zügig das Gartenstück.
 

"Du solltest ihn lieber eine Weile in Ruhe lassen", sagte kurz darauf eine ruhige, aber deutliche Stimme.

Erschrocken fuhr Yoshio herum und sah von der gegenüberliegenden Seite Inu Taisho auf sich zu kommen. Wie schafften er und Sesshomaru es nur sich immer so lautlos und unbemerkt anzunähern, ohne dabei irgendwelche dämonischen Kräfte zu benutzen? Es war Yoshio einfach völlig schleierhaft.

Der Dämonenfürst musterte Yoshio mit unbewegter Miene.

"Wo warst du?" fragte er ihn.

Eine beliebte Frage heute, dachte Yoshio unruhig und suchte fieberhaft nach einer angemessenen Antwort.

"Nirgendwo besonders, nur etwas unterwegs", sagte er schließlich zögernd, "ich brauchte nur etwas Zeit für mich allein."

"So?" meinte Inu Taisho, "in Zukunft wirst du ebenso wie Sesshomaru nicht mehr im Nirgendwo herumstreunen. Und vor allem hältst du dich zukünftig auch von Streitigkeiten oder irgendwelchen anderen Abenteuern fern. Habe ich mich klar ausgedrückt?"

"Äh ja", murmelte Yoshio geduckt.

Der Dämonenfürst sah ihm fest in die Augen.

"Und jetzt wirst du mir noch eine Frage beantworten. Hast du die Wölfe getötet?"

Yoshio zuckte zusammen.

"Was? Äh, was meint Ihr..."

"Du weißt genau, wovon ich spreche. Ein Hundedämon hat in den letzten Tagen grundlos erst sechs Wölfe aus Fuyukos Rudel und dann fünf weitere aus Chugos Rudel umgebracht. Heute Mittag habe ich erfahren, dass zwei weitere getötete Tiere gefunden worden sind. Diesmal wieder Tiere vom Wolfsrudel aus dem Norden."

"Aber...", stotterte Yoshio, "Ihr glaubt doch etwa nicht, dass ich oder Sesshomaru..."

"Ich weiß, dass Sesshomaru es nicht getan hat!" sagte Inu Taisho ungehalten. "Bei dir bin ich mir allerdings nicht so sicher. Antworte, hast du sie getötet?"

"Natürlich nicht, so was würde ich nie..."

"Ich hoffe für dich, dass du mich nicht belügst", unterbrach Inu Taisho ihn: "Hier gehen mehr als merkwürdige Dinge vor und ich habe den Verdacht, dass dabei noch etwas anderes am Werk ist als bloße Rachsucht einiger Wölfe!"

Yoshio wandte seinen Blick von den stählernen Augen des Dämonenfürsten ab und sah nervös zu Boden.

"Ich habe nichts mit den getöteten Wölfen zu tun", beteuerte er.

"Gut", sagte Inu Taisho hart. Er schloss kurz die Augen und sah Yoshio gleich darauf wieder durchdringend an.

"Ich werde einige Zeit unterwegs sein. Ich möchte, dass du währenddessen Ieyasu begleitest und ihm etwas zur Hand gehst. Es könnte nützlich für dich sein einige Fertigkeiten von ihm zu erlernen. Danach habe ich weitere Aufgaben für dich."

Yoshio schluckte und blickte wieder zu Boden.

"Ja... wie ihr wünscht, Inu Taisho-sama."
 

Der Dämonenfürst wandte sich ab und ging. Beunruhigt und mit leicht zornigem Ausdruck sah Yoshio ihm nach.

Ich habe ihn unterschätzt, dachte der Wolfshundedämon, er lässt sich nichts mehr von mir vormachen. Er ahnt etwas und jetzt lässt er mich überwachen und will mich beschäftigen. Ich darf keinen Verdacht mehr erregen, ich werde weitaus vorsichtiger sein müssen...
 

* * * * *
 

Zwei Wochen später, weitab von Inu Taishos Heimstatt, saß ein kleines Mädchen auf dem Holzboden eines etwas verstaubten Raums und betrachtete verträumt eine alte Malerei an der Wand. Das Bild war ein alter Familienschatz und erzählte die Geschichte ihrer Familie. Es war die Geschichte einer alten, vornehmen Fürstenfamilie, die schon lange ein nicht sehr reiches, aber schönes und friedliches Land am Fuße der westlichen Berge regierte. Und auch das kleine Mädchen war nun auf gewisse Art und Weise ein Teil dieser Geschichte.
 

"Izayoi?"

Das kleine Mädchen schrak aus seinen Träumereien auf und drehte sich um. Ihre ältere Schwester stand in der Türe und sah das kleine Mädchen verwundert an.

"Was machst du denn in diesem gammeligen Zimmer?"

"Ich habe mir nur das Bild angeschaut", antwortete Izayoi.

"Ach so, das alte Bild... hängt das immer noch hier? Vater wollte es doch längst woanders hinhängen. Aber was findest du eigentlich nur so toll daran?"

Etwas beschämt sah Izayoi zu Boden. Wenn sie darauf ehrlich antwortete, würde ihre Schwester sie nur wieder auslachen.

"Äh... ich, ich finde es halt einfach hübsch."

"Wegen dem Hund, was?" kicherte Izayois Schwester.

Wieder blickte Izayoi auf den Boden und malte mit den Zehen verlegen einige Kreise in den Staub.

"Du solltest diesen Unsinn mit dem weißen Hundedämonen echt mal vergessen", meinte ihre Schwester, "niemand nimmt dir diesen kindischen Unsinn ab. Komm, lass uns lieber in den Garten gehen und etwas spielen. Ich langweile mich zu Tode."

"Na gut", sagte Izayoi, "geh schon mal vor, ich komme gleich nach."
 

Während ihre Schwester wieder den Raum verließ, warf Izayoi nochmals einen Blick auf das Bild an der Wand. Wehmütig betrachtete sie die feinen Tuschezeichnungen der darauf abgebildeten Landschaft mit ihren Häusern und Menschen, die ihre Vorfahren zeigten. Alles war wunderschön filigran gezeichnet und ehrte die Ahnen.

Doch das Schönste in Izayois Augen war die Darstellung eines großen Hundes, der über den Himmel zu fliegen schien.

Ihre Großmutter hatte ihr einst erzählt, dass dieser Hund einen mächtigen Dämonen aus jahrhundertealten Legenden darstellte, der über das Land herrschen und es behüten sollte. Nur wenige Menschen hatten ihn je gesehen.
 

Alle glauben, es war nur ein Traum, dachte Izayoi betrübt, doch ich weiß, es war kein Traum. Ich habe ihn gesehen, ich war auf seinem Schloss, ich habe mit ihm gesprochen und er hat mich getragen. Ich bin in seinen Armen durch die Luft geflogen und dann...

Verzweifelt versuchte Izayoi sich zu erinnern, doch ihre Erinnerungen brachen ab. Nichts als Nebel und ein undeutbares Gefühl blieben zurück. Sie erinnerte sich erst wieder daran, dass sie auf dem Wagen eines Händlers aufwachte, der sie schließlich nach Hause in das Schloss ihres Vaters brachte. Der Händler behauptete, er hätte sie verletzt in einem überfallenen Dorf gefunden, versorgt und mitgenommen. Anhand des Familienwappens an der Kleidung ihrer getöteten Begleiter hätte er erkannt, wo sie hingehörte. Gut belohnt und ohne viel von sich preiszugeben, war der Händler, nachdem er das kleine Mädchen zuhause abgeliefert hatte, wieder verschwunden.
 

Izayois Geschichte, dass sie ein Dämon gerettet und in sein Schloss mitgenommen hätte, glaubte ihr niemand. Alle dachten, durch den Schock des Überfalls und des Todes ihrer Begleiter hätte sich das Mädchen in eine Phantasiewelt geflüchtet.

Es ließ sich zwar nicht leugnen, dass Dämonen sehr wohl öfters in die Geschicke der Menschen eingriffen, doch taten sie das so gut wie nie zu deren Wohle. Wenn Dämonen Menschen mochten, dann höchstens als Futter. Dort, wo Izayoi lebte, gab es kaum Dämonen, höchstens harmlose und kleine Geister, die leicht ausgetrieben werden konnten. Richtig gefährliche Dämonen sahen die meisten Menschen selten und wenn, überlebten sie das entweder nicht oder versuchten es lieber zu verdrängen. Niemand wollte mit diesen Wesen der Dunkelheit etwas zu tun haben.

Wer sollte einem kleinen Mädchen da schon eine fantastische Geschichte über einen weißen Dämonen glauben, der sie in sein Schloss entführte?
 

Traurig wandte sich Izayoi ab.

Ich weiß, was ich erlebt hat, dachte sie trotzig, aber auch leicht zweifelnd. Oder war vielleicht doch alles ein Traum?

Goldglänzende Augen und langes, weißes Haar kamen Izayoi in den Sinn und eine sanfte Stimme, die sagte ,Nenn mich weißer Hund'. Dann verwischten ihre Gedanken wieder und verschwanden in undurchdringlichem Nebel.

Das kleine Mädchen schüttelte sich und lief dann schnell hinaus in den lachenden Sonnenschein. Sie könnte ein anderes Mal über alles nachdenken.
 

Im Spiel mit ihrer Schwester vergaß Izayoi ihre Gedanken schnell wieder und bemerkte dabei auch die wachenden Blicke nicht, die seit ihrer glücklichen Rückkehr ständig heimlich auf ihr ruhten.

Diese wachsamen Augen gehörten einer alten Dienerin, die sich als einzige niemals über Izayois märchenhafte Geschichte lustig machte und die seitdem dem Mädchen lautlos wie ein behütender Schatten folgte. Sie war anders als alle übrigen, sie glaubte Izayoi.

Denn die Dienerin hatte bemerkt, was sonst keinem aufgefallen war: das Mädchen war neu eingekleidet worden, und das Material ihres Gewands war aus einer feinen Seide, die keine Menschenhand gesponnen hatte.
 

* * * * *
 

Kurz vor Sonnenaufgang, im Reich, das den Drachen gehörte, standen zwei Dämonen ungeduldig wartend in einer tiefen Schlucht.

Die beiden hatten zwar eine menschliche Gestalt, wirkten aber dennoch sehr furchterregend. Nicht nur, weil sie sehr groß waren und gefährlich scharfe Klauen anstatt Fingern hatten, sondern vor allem durch ihre rotleuchtenden Augen mit schlitzförmigen Pupillen, in denen die Höllenglut zu brodeln schien. Das Unheimlichste an ihnen jedoch, war ihre Stirn. Genau zwischen den Augenbrauen trugen beide Dämonen ein weiteres, maskenartiges Gesicht in ihrem Antlitz, so als hätten sie sich eine kleine, bösartig dreinschauende Maske auf die Stirn geklebt.

Jemand, der sich mit Dämonen auskannte, hätte die beiden sofort als Drachendämonen erkannt und wäre sogleich, sofern er klug wäre, vor ihnen geflüchtet.

Niemand legte sich unbedacht mit einem Drachendämonen an.
 

"Er lässt lange auf sich warten", sagte einer der beiden Drachendämonen mit grollender Stimme, "der Morgen bricht schon an. Wenn er noch länger braucht, kann er den Pakt und seine Ansprüche vergessen."

"Sei nicht so ungeduldig, Bruder", antwortete der andere, "er wird schon kommen. Die Paradiesvögel sind gierig, solch eine Gelegenheit wird der Gokuraku sich nicht entgehen lassen. Diese Vogelbiester sind schon lange scharf auf Chugos Gebiet in den westlichen Bergen"

Der erste der Drachendämonen schnaubte verächtlich.

"Ich verstehe nicht, wozu wir diese Piepmätze überhaupt brauchen. Wenn alles nach Plan läuft, werden sich die Wölfe und die Hunde gegenseitig auffressen und wir brauchen nur noch die Überreste beseitigen, um das Land zu übernehmen. Wozu also die Vögel zur Party einladen?"

"Man sollte immer für alle Gegebenheiten gerüstet sein", meinte der zweite Dämon hinterlistig lächelnd. "Ich persönlich verlasse mich lieber nicht nur auf einen Plan."
 

Schweigend warteten die beiden Dämonen weiter.

Kurze Zeit darauf war Flügelschlagen zu hören und eine große, kugelförmige Gestalt mit scharfen Krallen, Flügeln an der Seite, einem breiten, zahnbewehrten Maul in der Mitte und einem menschenartigen Oberleib landete vor ihnen.

"Ich grüße Euch Lord Bundori", sagte der seltsame Vogel schnarrend, "und auch Euch Ryokossei-sama. Verzeiht meine Verspätung, doch ich wollte keinen Verdacht erregen. Lord Inu Taisho scheint in den letzten Tagen sehr vorsichtig geworden zu sein, seine neugierigen Hunde lauern überall."

Der erste der Drachendämonen wandte sich dem Paradiesvogel zu.

"Lassen wir die Förmlichkeiten und kommen wir sofort zur Sache. Sind die Paradiesvögel bereit uns gegen die Hunde und Wölfe zu unterstützen, sofern es zum Kampf kommen sollte?"

"Jederzeit. Ihr könnt auf uns zählen", krächzte der Gokuraku, "sofern Ihr Euer Versprechen haltet und uns die westlichen Berge sowie einen Teil von Inu Taishos Ländereien überlasst."

"Ausgezeichnet", meinte der Drachendämon zufrieden und betrachtete die über den Schluchtrand glutrot aufgehende Sonne, mit der nun ein neuer Tag begann. "Die Saat ist gesät. Nun muss die Frucht nur noch wachsen und mit ein bisschen Geduld kann in einigen Jahren die Ernte eingebracht werden."
 


 

Soweit das vierte Kapitel.

Allerlei komplexe Verwicklungen, nicht wahr? Seid ihr noch einigermaßen durchgestiegen? (Hoffentlich...)

Für Kritik, Lob und andere Kommentare bin ich immer sehr dankbar!

Bis das nächste Kapitel kommt, kann es allerdings leider etwas dauern (meine FF1 (und auch meine Arbeit) hat Vorrang).

Rot wie Blut

Mann, dieses Kapitel hat mich ganz schön Nerven gekostet. Ich dachte, ich krieg das nie auf die Reihe. Doch jetzt habe ich es geschafft und hoffe, es ist einigermaßen gut geworden.

Diesmal bekommt ihr die volle Macht von Inu Taisho und seinem Schwert zu spüren. (*hehe*) Und damit meine ich nicht Tessaiga, das er hier bisher noch gar nicht besitzt... Wer den dritten Inu Yasha-Film kennt, wird wissen, welches Schwert ich meine...(und wer den Film nicht kennt, wird hoffentlich trotzdem mitkommen, ich habe hoffentlich alles verständlich genug beschrieben)

Also auf zum 5.Kapitel: Die Wolfsdämonin Fuyuko hat sich nicht von ihrem rachsüchtigen Pfad abbringen lassen und bricht schließlich einen Krieg vom Zaun. Unbeirrbar verfolgt sie ihr Ziel die ihr verhassten Hundedämonen zu vernichten und nimmt dafür sogar die Hilfe der bösesten Dämonen in Anspruch. Auf einer Ebene am Fuße der westlichen Berge zwingt sie Inu Taisho schließlich zur Schlacht...

Enjoy reading!
 


 

Ich hasse Krieg.

Krieg ist niemals gerechtfertigt und er ist immer grausam, aber dennoch scheint er oft unvermeidbar zu sein. Manche meiner Art lieben den Krieg sogar, er stillt ihren Durst nach Blut. Grausamkeit steckt in der Natur meiner Rasse. Die meisten Dämonen sind in dieser Hinsicht leider nicht besser als Menschen.
 

Auch dieser mittlerweile längst vergangene, neu entflammte Krieg zwischen Wolfs- und Hundedämonen schien damals unvermeidlich zu sein. Die Feindschaft zwischen Nord und West war wohl einfach zu tief in den Herzen von Wölfen und Hunden verwurzelt, um Verzeihen zu ermöglichen. Nur wenige waren gewillt einen Konflikt zu vermeiden.

Derjenige, der sich am meisten von allen um den Frieden bemühte, war mein Herr, der Lord der westlichen Lande.

Dabei hatte Inu Taisho eigentlich am ehesten einen Grund dafür die Wölfe des Nordens zu hassen, denn sie waren es gewesen, die ihn einst vor langer Zeit verraten und fast gebrochen hatten. Doch er hasste sie nicht, er wollte die Vergangenheit vergessen.

Aber die unversöhnliche Wolfsprinzessin aus dem Norden ließ ihm keine Wahl. Nach mehreren, mysteriösen Morden an ihren Wölfen begann sie einen sechs Jahre dauernden Guerillakrieg gegen die Hunde des Westens. Ihre Rache wurde zunehmend grausam und genauso unerbittlich und erbarmungslos wurde die Antwort der Hundedämonen. Denn auch unter den Hunden gibt es viele hartherzige Geister, die sich die Angriffe keinesfalls gefallen ließen.
 

Es war eine unschöne und schmerzvolle Zeit, die alte Wunden aufriss, die eigentlich hätten heilen sollen.

Niemand ahnte, dass hinter diesem ganzen entsetzlichen Werk eigentlich ein völlig anderer Plan steckte, den andere, dunkle Seelen in ihrer Grausamkeit und Machtgier entworfen hatten.

Und so nahm das Unheil seinen Lauf bis es fast zu spät war.
 

Wenn ich heute in die Vergangenheit zurückblicke, frage ich mich manchmal, was wohl damals geschehen wäre, wenn Fuyuko und ihre Wölfe aus dem Norden die Kriegsfackel nicht wieder entzündet hätten.

Was wäre geschehen, wenn statt Rachsucht der Friedenswille und die Versöhnungsbereitschaft gesiegt hätten? Ja, was nur wäre passiert, wenn die Wölfe die Hunde nicht angegriffen hätten und es die darauffolgenden sechs Jahre mit ständigen, feindlichen Auseinandersetzungen zwischen Wolfs- und Hundedämonen nie gegeben hätte?

Nun, ich weiß es nicht. Ich bin ein Heiler und kein Wahrsager. Vielleicht hätten wir eben sechs Jahre Frieden gehabt und sechs Jahre weniger Leid. Vielleicht auch nicht.
 

Ich weiß nur eines:

Hätte es die sechs Jahre des neu entflammten Krieges zwischen Wolfs- und Hundedämonen nie gegeben, hätte mein Herr vielleicht niemals dieses Menschenmädchen wiedergesehen. Vielleicht wäre dann die Zukunft ganz anders verlaufen und vielleicht wäre Inu Taisho so heute noch am Leben.

Der Zufall wollte es anders und führte stattdessen zwei Liebende zusammen, die ohne Krieg und Hass wohl nie zusammen gekommen wären.
 

Ja, das Leben ist seltsam.

Manchmal entwächst all dem Leid ein Keim der Hoffnung und manchmal liegt im Anfang aller Feindschaft ein Neubeginn der Liebe...
 

* * * * *
 

Mit stahlhartem Blick sah der Dämonenfürst der westlichen Lande auf die vor ihm liegende Grasebene am Fuße der westlichen Berge und musterte seine dort versammelten Feinde.

Diesmal war die Leitwölfin des Nordens in ihrer Rachsucht eindeutig zu weit gegangen. Nicht nur, dass sie zur Provokation diesmal zuerst fast eine ganze Stadt unschuldiger Menschen vernichtet und niedergebrannt hatte, nun hatte sie sich auch noch Hilfe vom übelsten Abschaum niederer Dämonen geholt. In ihrem Wahn und ihrem unerbittlichen Wunsch nach Rache hatte sie eine riesige Armee der Bosheit aufgestellt und unzählige Dämonen um sich versammelt, die nur eines kannten: Mordgier und Blutlust.
 

Inu Taishos Augen verengten sich zu Schlitzen. Heute würde er es beenden. Sechs Jahre andauernder Konflikte mit den Wölfen waren genug. Diesmal blieb ihm keine Wahl mehr und diesmal würde es kein Entkommen mehr geben.

Entschlossen zog der Dämonenfürst das an seinem Rücken befestigte Schwert hervor und wandte sich an seine Untergebenen hinter sich.

"Zieht euch zurück. Alle!"

Seine Getreuen, etwa dreihundert Dämonen, meist Hundedämonen, aber auch Wesen anderer Art, beobachteten ihn verunsichert.

"Ich sagte, ihr sollt euch zurückziehen", befahl der Fürst erneut.

Zögernd und verängstigt befolgten die Dämonen den Befehl, nur vier von Inu Taishos Gefolgsleuten blieben bei ihrem Herrscher zurück. Einer von ihnen zog nun ebenfalls sein Schwert und kam auf Inu Taisho zu.

"Lass mich an deiner Seite kämpfen, Chichi-ue", sagte er.

"Nein!" Unwillig sah Inu Taisho den auf ihn zu kommenden Dämonen an. "Du gehst mit Ieyasu und Yoshio in die naheliegende, zerstörte Stadt und bringst die überlebenden Menschen dort in Sicherheit."

"Warum das? Ich bin nicht hier, um irgendwelche Menschen zu schützen. Wir sind schließlich hier, um zu kämpfen!"

"Das war keine Bitte, Sesshomaru", sagte Inu Taisho schneidend, "das war ein Befehl. Und du wirst meiner Forderung Folge leisten!"

Sesshomaru sah seinem Vater kurz in die Augen und blickte dann zu Boden. Schweigend steckte er sein Schwert wieder ein, drehte sich um, sprang in die Luft und verschwand dann in einem davon schwebenden Energieball. Einer der übrigen Dämonen, die hinter Sesshomaru gewartet hatten, verwandelte sich daraufhin in einen riesigen, schwarzbraunen Wolfshund und rannte der fort fliegenden Kugel hinterher. Auch der dritte, daneben stehende Dämon verließ kurz darauf den Ort, indem er sich in ein leuchtendes Licht hüllte und schließlich in Nichts auflöste.
 

Inu Taisho wandte sich nun seinem letzten zurückgebliebenen Gefolgsmann zu. Dieser war ein großer, stattlicher Fuchsdämon in halb menschlicher Gestalt mit hell schimmerndem Fell und einem buschigen Schwanz.

"Bleib in der Nähe", sagte der Dämonenfürst zu ihm, "möglicherweise werde ich dein Fuchsfeuer benötigen. Die Atmosphäre hier ist mit zuviel bösartiger Energie vergiftet. Das könnte den Geist meines Schwertes wecken, wenn ich es einsetze. Sollte das passieren, musst du auf mein Zeichen hin sofort alle von mir Getöteten mit deinem Kitsunebi verbrennen. Verstanden?"

Der Fuchsdämon nickte zaghaft, dann fragte er: "Wollt Ihr wirklich ganz allein gegen diesen riesigen Haufen böswilligen Abschaums kämpfen?"

"Mein Schwert braucht keine Hilfe", antwortete Inu Taisho. Seine Stimme war leise, hart und undeutbar.

"Verzeiht meine Neugier, mein Lord", meinte der Fuchsdämon vorsichtig, "aber wenn ihr solch ein mächtiges Schwert besitzt, warum habt Ihr es nicht schon viel früher eingesetzt?"

"Die Macht dieses Schwertes sollte man nicht leichtfertig anwenden. Es ist äußerst gefährlich. Ich benutze es nur, wenn mir keine andere Wahl mehr bleibt."

Die Neugierde des Fuchsdämonen war mit dieser Antwort keineswegs zufrieden gestellt, doch als er den grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht des Dämonenfürsten sah, verkniff er sich jede weitere Frage. Stattdessen zog er sich auf einen kleinen Hügel zurück und verfolgte aus sicherer Entfernung das weitere Geschehen.
 

Inu Taisho wartete noch eine längere Weile und ging dann schließlich sehr langsam über die Ebene auf das ihn erwartende, feindliche Dämonenheer zu. Das Schwert in seiner Hand schimmerte leicht violettfarben. Merkwürdige, dunkle Wolken zogen am Himmel auf und schienen den Dämonenfürsten zu begleiten.
 

Auf der gegenüberliegenden Seite beobachteten zahllose, aggressive Augenpaare das Herannahen des Hundedämonen.

Hinter den massenhaften Reihen aus niederen, bösartigen Dämonengeistern stand Fuyuko. Neben und hinter ihr hatten sich etwa fünfzig, kampferprobte Wolfsdämonen und fast dreifach so viele zähnefletschende Wölfe versammelt. Unter den Wolfsdämonen waren nicht nur Rudelmitglieder aus dem Norden, sondern auch einige Angehörige von Chugos westlichem Rudel, die sich der Leitwölfin angeschlossen hatten. Auch Koga war dabei.
 

Die Wölfe waren ziemlich siegesgewiss. Sie hatten ihre Offensive sorgsam geplant und sich bestens vorbereitet. Mit ständigen, kleinen und stets überraschenden Guerillaüberfällen in die westlichen Lande hatten sie in den letzten sechs Jahren den Hundedämonen immer wieder empfindliche Verluste zugefügt und ihre Gegner dadurch deutlich geschwächt.

Schließlich war es Fuyuko auch gelungen eine große Anzahl äußerst verderblicher und bösartiger Dämonen zu rekrutieren. Die Beschwörung und Beihilfe solcher niederrangigen und ruchlosen Geister war zwar unehrenhaft und war auch ziemlich gefährlich, da diese schwarzen Wesen in ihrer Mordgier schwer zu beeinflussen waren. Aber mit Hilfe dieses gewaltigen, unheilvollen Dämonenheeres waren die Wolfsdämonen den Hundedämonen eindeutig überlegen und würden sie besiegen können. Inu Taisho und seine Verbündeten hatten keine Chance.
 

Im Bewusstsein ihrer Überlegenheit waren die Wolfsdämonen daher umso erstaunter, als sie sahen, wie der Herr der westlichen Länder seine Getreuen fortschickte und sich dann völlig allein seiner feindlichen Übermacht stellte.

"Was hat der Hund vor?" fragte Koga stirnrunzelnd: "ist der wahnsinnig geworden?"

"Vielleicht will er sich ja für seine Untergebenen opfern", meinte Fuyuko neben ihm missfällig, "soll mir recht sein, wenn er glaubt, sein Tod würde uns zufrieden stellen und uns von unserem Vorhaben abbringen. Das macht alles nur leichter. Sobald wir ihn erledigt haben, verfolgen wir seine Gefolgsleute und stoßen weiter ins Land vor. Dann haben wir bald alle Hunde vernichtet."
 

Koga betrachtete verunsichert den Hundefürsten, der nun nicht mehr weit entfernt war und schließlich ruhig abwartend auf der Ebene stehen blieb.

Das Ganze gefiel ihm ganz und gar nicht. Er hatte schon immer einen sehr ausgeprägten Instinkt gehabt und dieser Instinkt warnte ihn plötzlich mehr als überdeutlich. Irgendetwas war hier nicht geheuer.

"Fuyuko, ich glaube, wir sollten mit unseren Wölfen schleunigst von hier verschwinden..."

"WAAAS?!" Fassungslos starrte die Wolfsprinzessin Koga an: "Verschwinden, sagst du? Ich soll den Schwanz vor einem einzelnen Köter einziehen und abhauen? Jetzt, wo wir endlich die Chance haben Inu Taisho und seine Hunde endgültig zu zerschmettern? Ich habe doch nicht umsonst sechs Jahre lang gekämpft, um jetzt grundlos davonzulaufen."

"Da stimmt was nicht", flehte Koga inständig, "ich habe ein ganz mieses Gefühl. Bitte, wir müssen schnellstens hier weg!"

"Du bist komplett verrückt geworden!" Kopfschüttelnd ging Fuyuko einige Schritte vor und hob gebieterisch ihre Hand. Die Heerscharen der böswilligen, blutrünstigen Dämonen vor ihr brüllten in ohrenbetäubendem Lärm auf und stürzten dann gemeinsam auf Inu Taisho zu.
 

Fuyuko lächelte.

Endlich war es soweit. Heute würde sich ihre Rache vollenden. Alle Hunde würden sterben und für ihre zahlreichen Taten in der Vergangenheit mit ihrem Blut bezahlen.
 

Inu Taisho stand ausdruckslos mitten auf der Ebene und erwartete mit hartem, rotglänzendem Blick seine auf ihn zustürzenden Feinde. Das Gras, in dem er stand, wogte in einem beißenden Wind. Schwärzliche Nebelschwaden und ein dumpfes, dunkelviolettes Leuchten umgab ihn.

Als die ersten Angreifer ihn erreichten, reckte der Dämonenfürst sein Schwert steil in die Höhe und schwenkte es in einem grell aufblitzenden Licht.

"GOKURYUUHA!" schrie er laut und schwang den Stahl in seinen Händen mit einem gewaltigen Schlag wieder herab.
 

* * * * *
 

Nicht allzu weit von der Ebene entfernt flüchteten verängstigte Menschen aus einer zerstörten, brennenden Stadt.

Ohne zu wissen warum, waren sie zum Spielball in einem Kampf geworden, den höhere Mächte rücksichtslos in ihrem Rücken austrugen. Nun standen sie hilflos, verzweifelt und allein vor den Scherben ihrer Welt und wussten nicht wohin. Sie wussten nur eins: wer zwischen die Fronten der dunklen Mächte geriet, war verloren. Sie mussten fliehen, so schnell und so weit weg wie nur irgend möglich.
 

In völliger Verzweiflung versammelten sich die Überlebenden außerhalb der flammenden Stadt um ihren Herrn. Der ruhigen und mutigen Entschlossenheit ihres Regenten hatten die Menschen es zu verdanken, dass noch keine komplette Panik ausgebrochen war.

Mit Hilfe eines kleinen, verbündeten Kriegsheeres, das zufällig an diesem unheilvollem Tag in der Stadt weilte, hatte der Herrscher eine Verteidigung gegen die Dämonen, die unerwartet über die Menschen hergefallen waren, organisiert. So konnte er zumindest einen Teil seiner Schutzbefohlen retten und die Dämonen zeitweise abwehren, auch wenn er nicht verhindern konnte, dass seine Stadt völlig zerstört wurde.
 

Glücklicherweise zogen sich die Dämonen nach einiger Zeit plötzlich zurück und verschwanden in Richtung einer nicht weitab liegenden Grasebene, wo sie sich sammelten und etwas zu erwarten schienen. Die Menschen konnten die Dämonen dort zwar nicht sehen, spürten aber die gewaltigen, dämonischen Kräfte, die sich auf der Ebene zusammenballten. Offensichtlich waren die Menschen zu Opfern in einem Dämonenkrieg geworden.

Um nicht zwischen den gefahrvollen Mühlen der dunklen Mächte zermahlen zu werden, versuchte der Regent nun eine schnelle Flucht in die Wälder und die westlichen Berge zu organisieren. Doch seine Bemühungen schienen ziemlich fruchtlos zu sein. Seine Soldaten besaßen nur noch wenige Pferde, viele Menschen waren verletzt und mit den vielen hilflosen Frauen und Kindern würden sie nur langsam vorankommen. Vielleicht war es sogar schon zu spät, die sich am Himmel zusammenziehenden, schwarzen Wolken verhießen jedenfalls nichts Gutes.
 

Ein greller, ängstlicher Aufschrei riss den Herrscher aus seinen sorgenvollen Gedanken. Er drehte sich herum und sah eine Schar völlig verschüchterter und panisch laufender Frauen auf sich zukommen. Schreiend flüchteten sie sich hinter einige Krieger und deuteten verschreckt zum naheliegenden Waldrand.

"Oni, Oni", schrieen sie laut.

Nun sah der Regent auch den Grund für die Aufregung der Frauen. Am Waldrand waren wie aus dem Nichts drei Personen aufgetaucht und kamen nun langsam auf die neben ihrer brennenden Stadt versammelten Menschen zu.

Auf den ersten Blick wirkten die plötzlich aufgetauchten Gestalten nicht besonders gefährlich, doch ihre Natur war keinesfalls so menschlich wie sie aussahen.

Sofort hob der Fürst befehlend seine Hand, worauf alle Soldaten einen schützenden Kreis um die erschrockenen Menschen bildeten und ihre Waffen drohend gegen die Neuankömmlinge richteten.

"Bitte", sagte der vorangehende der drei unheimlichen Besucher, der einen hölzernen Stab in der Hand hielt, besänftigend, "wir sind nicht gekommen, um euch etwas anzutun. Wir sind hier, um euch zu schützen."
 

Ungläubig starrten die Menschen die drei Wesen an. Einer der Soldaten, offensichtlich ein hochrangiger Samurai, ging ihnen einige Schritte entgegen und zog warnend sein Schwert.

"Welche grausamen Spiele wollt ihr nun mit uns spielen, Mononoke?" fragte er erbost: "Ich warne euch, egal, was ihr vorhabt, ich werde nicht wehrlos sterben!"

"Takemaru!" unterbrach der Regent den wütenden Krieger in seiner Rede: "Es sieht nicht so aus, als wären diese zum Töten gekommen. Zügle deinen Zorn! Nicht alle der Mächte, die über uns stehen, sind uns feindlich gesonnen."

Respektvoll näherte sich der Fürst den drei Dämonen und beugte vor ihnen sein Knie.

"Ich danke Euch für Eure Hilfsbereitschaft und Euren Schutz, ehrenwerte Herren. Sagt mir, was ich tun soll, und ich werde es befolgen."

"Zieht euch in den bewaldeten Hang hinter uns zurück", sagte nun der zweite der Dämonen mit fast hüftlangem, silberweißem Haar. Seine Stimme wirkte teilnahmslos und kalt. "Was immer auch geschieht, verhaltet euch ruhig und stört uns nicht."

"Und beeilt euch", fügte der erstere, gütig wirkende Dämon mit einem besorgten Blick zum Himmel hinzu, "wir haben nicht mehr viel Zeit."
 

Hastig befolgten die Menschen die Anweisungen ihrer unerwarteten Beschützer und flüchteten in die neben der Stadt gelegenen, bewaldeten Berghänge.

Der erste der Dämonen steckte nun seinen Stab in die Erde und wandte sich an den weißhaarigen, stolzen Dämonen hinter sich.

"Ich brauche soviel von Eurer Kraft wie ihr mir geben könnt, Sesshomaru-sama. Meine Kräfte allein werden nicht ausreichen, um einen Schutzkreis gegen solch eine gewaltige Macht wie die Gokuryuuha zu errichten und zu halten."

Sesshomaru ging wortlos an seinem vor ihm stehenden Begleiter vorbei und ergriff den im Boden steckenden Holzstab. Er schloss seine Augen und konzentrierte sich. Ein weißliches, teils auch grünlich schimmerndes Licht umspielte seine Hand und floss auf den Stab über.

"Brauchst du auch meine Kräfte, Ieyasu?" fragte daraufhin der dritte der Dämonen.

"Danke nein, Yoshio, das ist nicht nötig. Unsere beiden, vereinten Kräfte werden genügen." Besorgt sah der Heiler wieder in den Himmel, der sich zunehmend verdüsterte, und blickte dann zu Sesshomaru. Dessen Haltung hatte sich mittlerweile leicht verkrampft und er wirkte ermüdet.

"Pass auf Sesshomaru-sama auf", sagte Ieyasu zu Yoshio, "die kräftezerrende Energieübertragung auf meinen Stab wird ihn möglicherweise nachträglich kurzfristig in Bewusstlosigkeit fallen lassen. Sorge dafür, dass er sich ungestört ausruhen kann, während ich den Schutzbann halte."

Yoshio nickte.

In diesem Moment ließ Sesshomaru den Holzstab los und wandte sich ab. Sein Gesicht war unbewegt, aber seine Augen zeigten einen fiebrigen Glanz und auf seiner Stirn hatten sich vereinzelte Schweißperlen gebildet. Mit leicht unsicherem Gang zog er sich zum Waldrand zurück und verschwand zwischen den Bäumen. Yoshio folgte ihm.
 

Ieyasu fasste nun ebenfalls nach dem im Boden steckenden Holzstab und aktivierte behutsam seine Kräfte.

Er musste vorsichtig sein. Die Vereinigung unterschiedlicher, dämonischer Energien war gefährlich, vor allem, wenn es sich um solch starke Kräfte wie die von Sesshomaru handelte. Wenn er nicht aufpasste, würde die fremde Energie, die Sesshomaru in den Stab übertragen hatte, sein eigenes Youki abstoßen und zerstören.

Glücklicherweise war der Heiler recht erfahren im Umgang mit Energieströmen und vereinigte daher seine Kraft erfolgreich mit der Sesshomarus.

Der hölzerne Stab in Ieyasus Händen begann zu vibrieren und verwandelte sich plötzlich in glänzenden Kristall. Ein glitzerndes Licht breitete sich vom Stab aus und legte sich über die nähere Umgebung mit den waldigen Hängen, in die sich die Menschen geflüchtet hatten.
 

Der schützende Zauber, den der Heiler mit Sesshomarus Unterstützung gewebt hatte, kam keinen Augenblick zu früh.

Denn kaum hatte sich der Schutzkreis um die drei Dämonen und die Waldhänge hinter ihnen geschlossen, kam ein gewaltiger Sturmwind auf. Mit lautem Dröhnen brauste ein gigantischer, von schwarzem Nebel und einem purpurvioletten Licht begleiteter Energieausstoß heran. Diese kolossale Kraft kam von der Ebene, auf der Inu Taisho allein mit seinen Feinden zurückgeblieben war, und zerstörte alles, was in ihrem Weg lag.

Eine unglaubliche Spur der Vernichtung folgte dieser destruktiven Kraft und zermahlte Bäume, Mauern, Häuser, Felsen, sogar ganze Berge zu Staub. Nur eine riesige, verwüstete und tote Schneise blieb in der Landschaft zurück.
 

In bodenloser Furcht beobachteten die Menschen die über sie hinweg rasende Zerstörungswut. Sie konnten sich nicht erklären, was passierte. Was hier geschah, überstieg ihr Fassungsvermögen. Es schien, als wären die Mächte der Hölle über sie hereingebrochen. Gewissermaßen stimmte das auch und es waren wirklich höllische Kräfte am Werk, doch davon ahnten die Menschen nichts. Das einzige, was sie fühlten, war ihre Angst.

Aber der Schutzkreis bewahrte sie. Die bewaldeten Berghänge, in die sie sich geflüchtet hatten, blieben von der Vernichtung verschont.

Dämonen hatten die Menschen angegriffen und getötet. Dämonen hatten ihre Heimat zerstört. Und Dämonen hatten sie gerettet.
 

Schließlich legte sich der Staub und eine fast unnatürliche Stille breitete sich über das Land. Es war vorbei.

Zaghaft wagten sich die Menschen wieder aus ihren Verstecken hervor und kamen die bewaldeten Berghänge herab. Die drei Dämonen, die sie beschützt hatten, waren fort. Jedenfalls waren sie nirgendwo mehr zu erblicken. Sie waren genauso unbemerkt verschwunden wie sie aufgetaucht waren, und keiner wusste, wohin sie gegangen waren.

Fassungslos erreichten die Menschen letztendlich den Ort, an dem einst ihre Stadt gestanden hatte. Nichts davon war mehr zu sehen, alles war bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert. Sogar ein kompletter Berg, der scheinbar unverwüstlich hinter der Stadt in die Höhe geragt hatte, war vernichtet als hätte es ihn nie gegeben. Das Bett eines naheliegenden Fluss war ebenfalls verheert. Das Wasser folgte nun einem völlig anderem Lauf und hatte die einstigen Reisfelder zerstört.

Die Menschen standen vor dem Nichts.
 

Grimmig betrachtete einer der Soldaten die Verwüstung und wandte sich dann an seinen Fürsten.

"Das Werk eines Mononoke... Seht es Euch an: das ist es, wozu Dämonen in der Lage sind. Das ist die wahre Natur dieser verachtenswerten Kreaturen der Dunkelheit!"

"Ja, du hast recht, Takemaru", sagte der Regent ruhig, "sie besitzen gewaltige, zerstörerische Kräfte. Aber sie haben uns auch beschützt. Wir wissen nicht, warum das alles geschehen ist. Dämonen leben in ihrer eigenen Welt und tun oft Dinge, die wir nicht verstehen. Doch wer auch immer und warum dieses hier getan hat, er hat uns auch vor Schaden bewahren wollen und unser aller Leben gerettet."

"Hah", spuckte Takemaru aus, "eine schöne Rettung. Unser nacktes Leben, ja, das mag vielleicht gerettet sein. Aber unsere Lebensgrundlage ist zerstört. Wir besitzen nichts mehr."

"Nein, das ist nicht wahr. Eine zerstörte Stadt kann wieder aufgebaut werden. Ich regiere über ein gesundes, starkes Land. Ein Unglück kann uns nicht aus der Bahn werfen. Zudem haben wir noch unsere Verbündeten, Familien und Freunde, die uns helfen werden. Und die Dämonen, die uns angegriffen haben, sind fort, sie können uns nichts mehr anhaben."

"Pah, diese elenden Wesen", murmelte Takemaru leise, "man sollte diese verdammten Dämonen alle in die Hölle schicken, wo sie hingehören."
 

"Mein Herr!"

Eine schon sehr alte, gebrechlich wirkende Frau kam auf den Fürsten und den Samurai zu. Sie hinkte schwerfällig und war völlig außer Atem. Als sie schließlich erschöpft vor ihrem Herrn ins Gras sank, erkannten die Männer sie. Es war eine alte Dienerin, die sich immer um die Töchter des Fürsten kümmerte.

"Was gibt es?" fragte der Regent sie.

"Oh, mein Herr", jammerte die Dienerin verzweifelt, "ich weiß nicht wie es geschehen konnte. Wir... wir waren alle so durcheinander. Keiner wusste mehr so recht, was der andere tat und dann, als wir in die Wälder flüchteten, kurz bevor dieser entsetzliche Sturm losbrach... irgendwie habe ich sie aus den Augen verloren und nun weiß keiner, wo sie ist..."

"Was ist geschehen? Wo ist wer?"

"Eure Tochter", weinte die Frau und rang unglücklich ihre Hände, "Izayoi, sie ist weg!"

"Izayoi?" Takemaru horchte auf und sah die weinende Dienerin erschrocken an.

"Ja, Takemaru-sama", bestätigte die Dienerin, "sie ist irgendwo in den Berghängen verschwunden."

"Ich werde sie sofort mit meinen Männern suchen", sagte Takemaru zum Fürsten, "vielleicht ist ihr etwas zugestoßen. Außerdem wissen wir nicht, ob diese drei Dämonen vielleicht noch in der Nähe sind. Das könnte gefährlich für sie werden."

Der Regent nickte besorgt.

Takemaru scharte einen Teil seiner Krieger um sich und sammelte rasch einige der Pferde zusammen, die den Menschen noch geblieben waren. Dann brach er schleunigst zur Suche nach der verlorenen Prinzessin auf.
 


 

Soweit das fünfte Kapitel.

War der Bruch zu den letzten Kapiteln bzw. der Zeitsprung zu hart oder seid ihr gut mitgekommen? Ich bin sehr unsicher, ob meine Fortführung der Story so okay war. Sechs Jahre Krieg zu beschreiben, fand ich zu ermüdend und habe eben stattdessen einen in Ich-Form geschriebenen Einstieg aus Ieyasus Sicht gewählt (passend zum Prolog). Keine Ahnung, ob mir damit eine überzeugende Überbrückung des Zeitsprungs gelungen ist.

Äh, und keine Sorge, ihr erfahrt schon noch, was mit Koga und Fuyuko passiert ist. Ist ja klar, dass Koga nicht tot sein kann... tja, und ab dem nächsten Kapitel kommt dann endlich auch mal ein wenig Liebe mit ins Spiel... ;)

Kommentare, positiv wie negativ, würden mich wieder sehr freuen!

Folgenschwere Begegnungen

Danke, danke und nochmals danke für eure Kommentare zum letzten Kapitel. Euer freundliches Feedback freut mich riesig und hilft mir sehr, denn ich tue mir nicht gerade leicht mit dieser Geschichte. Ich hoffe, ihr bleibt mir weiterhin so treu und helft mir mit Lob und Kritik. :) (*alle fest umarm*)

Nun kommt das 6.Kapitel: Inu Taisho wurde nach einem sechs Jahre dauernden Krieg mit Fuyukos Wolfsdämonen gezwungen sein Schwert Sou'unga einzusetzen. Während die Wölfe nun ihre schweren Verluste betrauern und überraschende Hilfe bekommen, hat der Dämonenfürst des Westens eine verwundernde und mehr als interessante Begegnung (welche könnt ihr euch ja wahrscheinlich denken)...

Enjoy reading!
 


 

Überall Feuer. Beißender Rauch, angstvolle Schreie, Schmerz und Tod.

Blut und Tränen, das war alles, was sie sah, als sie mit ihren Schwestern durch die brennende Stadt rannte. Um ihr Leben rannte.

Von einem Tag auf den anderen war ihre friedliche, milde und sonnige Welt zusammengebrochen. War zerstört worden innerhalb eines winzigen Augenblicks. Zerstört durch den Augenblick, als lautes Wolfsgeheul durch die Straßen der Stadt der hallte.
 

Vor längerer Zeit, sechs Jahre war es nun wohl her, hatte Izayoi schon einmal Wolfsgeheul vernommen.

Damals war sie ein Kind gewesen. Unschuldig und klein. Es war in einem Dorf gewesen, weit weg im Osten und lange genug her, doch sie hatte es niemals vergessen. Genau wie heute waren Wölfe und Dämonen über ihre heile Welt hereingebrochen und hatten Tod und Zerstörung mit sich gebracht. Niemals hätte Izayoi gedacht, dass sich so etwas Furchtbares nochmals ereignen und sich wiederholen könnte. Doch es geschah.

Warum? Warum nur musste das geschehen?. Gab es irgendeinen Grund für all diese schrecklichen Dinge? Hatte es je einen gegeben?

Izayoi verstand es nicht. Sie war nun erwachsen, kein kleines Kind mehr und doch war sie immer noch zu jung, um zu verstehen. Sie konnte einfach nicht glauben, dass das Schicksal so grausam sein konnte und das Leben so schmerzvoll. Denn noch wusste sie nicht, dass das Leben manchmal mehr Leid bereit hält, als ein Mensch ertragen kann.
 

Zusammen mit ihren Schwestern und einigen Dienern erreichte Izayoi glücklicherweise unversehrt den Stadtrand. Dort hatten sich auch alle übrigen überlebenden Menschen versammelt und scharten sich nun ängstlich um ihren Fürsten mit seinem kleinen Kriegsheer. Keiner wusste, wie es nun weitergehen sollte. Die Menschen waren zu Spielsteinen in einem Dämonenkrieg geworden. Wohin sollten sie fliehen, um den Nebenwirkungen, die dieser Krieg mit sich bringen würde, zu entkommen? Die Lage war verzweifelt.
 

Dann tauchten drei Dämonen auf, doch diese drei Dämonen waren nicht zum Töten gekommen, sondern zum Schutz, und irgendetwas in den beruhigenden Worten des einen Dämonen berührte Izayois Seele.

"Wir sind nicht gekommen, um euch etwas anzutun", hatte er gesagt. Izayoi erinnerte sich daran wie irgendwann jemand ähnliches zu ihr gesagt hatte. "Du brauchst keine Angst zu haben", sagte diese Erinnerung, "ich werde dir nichts antun..."

Plötzlich spürte Izayoi eine Wärme aus Kindertagen, die sie genau wie das Wolfsgeheul und die damit verbundenen schrecklichen Ereignisse niemals vergessen hatte. Es war die Wärme einer Erinnerung, die ihr wie ein Traum erschien und die sie dennoch mehr liebte, als alles, was sie bisher erlebt hatte.

Während sie sich daran erinnerte, sah sie einen der drei Dämonen genauer und im gleichen Moment vergaß sie alles um sich herum. Sie sah nur noch sein silberweißes Haar, das im Schein der brennenden Stadt funkelte wie der Glanz des Morgentau auf feuerroten Lotosblüten. Was er sagte, konnte sie nicht hören, und es war ihr auch egal. Allein sein Anblick genügte um ihren alten Traum zu erwecken, der sie mit aller Gewalt überrollte und schlagartig real zu werden schien.

Goldglänzende Augen und langes, weißes Haar...,dachte Izayoi wehmütig, ich kenne diese Augen, ich kenne dieses Haar... und dann hörte sie in ihrem Inneren eine sanfte Stimme, die sagte ,Nenn mich weißer Hund'...
 

Izayoi war nicht fähig sich von ihrer Erinnerung und noch weniger von dem Anblick des weißhaarigen Dämons loszureißen. Als die Menschen um sie herum auf Anweisung der dämonischen Beschützer in die naheliegenden Wälder flüchteten, folgte sie ihnen nur zögerlich und blieb schließlich unbemerkt zurück.

Die drei Dämonen schienen sie nicht zu bemerken oder nicht auf sie zu achten. Izayoi beobachtete wie der Dämon mit dem silberweißen Haar, der sie so faszinierte, irgendetwas mit einem hölzernen Stab anstellte, den sein Begleiter in den Boden gesteckt hatte. Danach wandte er sich ab und kam auf sie zu zum Waldrand.

Die junge Frau versteckte sich schnell hinter einem Gebüsch und beobachtete den auf sie zukommenden Dämonen weiter. Er bemerkte sie immer noch nicht. Vielleicht war er dazu auch nicht in der Lage, denn er sah sehr erschöpft aus und schien Mühe zu haben sich überhaupt auf den Beinen zu halten. Stur ging er nah an ihr vorbei und in den Wald hinein. Ihm folgte ein dunkelhäutiger Dämon mit kastanienbraunem Haar und stahlblauen Augen, der ebenfalls keinen Blick für Izayoi übrig hatte.

Izayoi sah die Beiden zwischen den Bäumen verschwinden und starrte ihnen unverwandt hinterher. Das letzte, was sie erblickte, war ein silberweißes Aufschimmern zwischen den Zweigen.

Sie wusste nicht, was sie dazu trieb, doch sie konnte einfach nicht anders und ihre Beine gehorchten ihr nicht mehr. Angezogen von einer unerklärlichen Macht lief Izayoi den beiden Dämonen hinterher.
 

Yoshio hatte die hinter ihnen leise her huschende Frau sofort bemerkt, genau wie sicherlich auch Sesshomaru. Doch ebenso wie sein Freund kümmerte sich der Wolfshundedämon nicht darum. Wahrscheinlich war dieses gerade dem Kindesalter entwachsene Mädchen einfach nur neugierig. Yoshio kannte die Faszination, die ein Dämon auf Menschen ausüben konnte, nur zu gut.

Natürlich war ihm bewusst, dass es vor allem Sesshomaru war, der die Menschenfrau bezauberte. Wie immer hatte Sesshomaru ihm mal wieder etwas voraus. Er war stärker, geschickter, mutiger und wirkte offensichtlich auch anziehender. Stets war er der strahlende Prinz und Yoshio der schlichte, dunkle Schatten, den niemand beachtete. So war es schon immer gewesen und so würde es wahrscheinlich immer sein.

Unbewusst ballte Yoshio die Fäuste. Sesshomaru bemerkte in seiner Arroganz und seinem Stolz überhaupt nicht, was er alles besaß, was ihm sozusagen in den Schoß gelegt worden war, sondern er nahm es als selbstverständlich hin und gierte nur nach mehr. Yoshio interessierte sich bestimmt nicht für die Bewunderung einer Menschenfrau. Doch dieses alberne Mädchen, das Sesshomaru fasziniert folgte, erinnerte den Wolfshundedämon wieder daran, um was er den Dämonenprinzen, den er seinen Freund nannte, eigentlich alles beneidete. Und dieser Neid zerfraß ihn.
 

Eine milde, fast liebevoll erscheinende Kraft, die auf einmal die gesamten Waldhänge zu umhüllen schien, erweckte schließlich Yoshios Aufmerksamkeit. Er bemerkte, dass der Heiler Ieyasu offensichtlich den Schutzzauber vollendet hatte, der sie alle samt den hilflosen Menschen vor Inu Taishos höllischer Macht schützen sollte.

Wie nötig dieser Schutz war, sollte sich auch gleich zeigen, denn direkt darauf brach die Hölle über sie herein.

Yoshio hatte die in Inu Taishos Schwert innewohnende Kraft der Gokuryuuha noch nie wirklich erlebt. Er kannte nur wenige Andeutungen darüber, zu was dieses mysteriöse Schwert namens Sou'unga fähig sein sollte. Doch was er nun beobachtete, überstieg seine Erwartungen bei weitem. Diese ganze Zerstörungswut war einfach unglaublich und jagte ihm mehr als nur einen Schauer über den Rücken. Für einen kurzen Moment glaubte Yoshio, dass der von Ieyasu und Sesshomaru erwirkte Schutzkreis nicht halten würde, und in diesem Moment überfiel ihn wahre Todesangst.
 

Sesshomaru schien im Gegensatz zu seinem Freund nicht eine Sekunde Furcht oder Zweifel zu hegen. Er achtete überhaupt nicht darauf, was rings herum geschah, sondern ging selbstsicher und kühl weiter. Ihn schien so gut wie gar nichts aus der Fassung bringen zu können.

"Wie ich ihn doch für seine Selbstsicherheit hasse", dachte Yoshio verärgert und unterdrückte wütend seine aufgekommene Angst.

Im selben Augenblick sah er wie Sesshomaru leicht schwankte und plötzlich in die Knie brach. Überrascht eilte der Wolfshundedämon zu ihm und fing ihn auf, bevor er zu Boden fiel. Yoshio musterte seinen gestürzten Freund und bettete ihn dann zu Füßen eines mächtigen Baums auf den Boden.

Nun war passiert, wovor Ieyasu gewarnt hatte. Der Energieverlust, den Sesshomaru durch seine Kräfteübertragung erlitten hatte, hatte den Hundedämonen in Ohnmacht fallen lassen. So wie es aussah, war Sesshomaru mit der Übergabe seiner Kräfte zu großzügig gewesen und hatte es wohl übertrieben.

"Wieder einmal typisch für ihn", brummte Yoshio mürrisch, "wie immer musste er seine Stärke beweisen und sich am besten wieder selbst übertreffen, sogar wenn ihn das vielleicht einmal das Leben kostet."

Leicht unwillig betrachtete Yoshio den Bewusstlosen und konnte sich einer gewissen Schadenfreude, die sich dabei in ihm breit zu machen begann, nicht erwehren.

"Wie hilflos er jetzt ist... wenn ich wollte, könnte ich ihn jetzt problemlos töten..."

Yoshio zuckte innerlich zusammen: "Was denke ich denn da?! Doch nicht ihn, doch nicht so... oder doch... vielleicht irgendwann... vielleicht sogar bald...?!"

Eine jähe Vorstellung überfiel Yoshio, wie es wohl wäre, wenn Sesshomaru tot wäre. Mit leichter Beunruhigung, aber auch mit einem gewissen Interesse bemerkte er, dass ihn diese Vorstellung gar nicht abstieß, nein, im Gegenteil gewissermaßen sogar erfreute!
 

Ein sanfter Wind, eher nur ein Hauch, lenkte Yoshio wieder von seinen aufwühlenden und düsteren Gedanken ab.

Der Wolfshundedämon sah hoch und entdeckte eine blauweißliche Energiekugel, die zu ihm und Sesshomaru herabschwebte. Diese Energie erkannte er sofort, denn diese mächtige Aura konnte nur einem gehören.

"Lord Inu Taisho", murmelte Yoshio leise und wich von Sesshomaru und dem ankommenden Energieball zurück.

Die helle Kugel verformte sich und aus ihr bildete sich die Gestalt des Dämonenfürsten. Sein Gesichtsausdruck war unbewegt, doch seine Augen wirkten kalt und hart und irgendwie auch etwas leer. Er schien völlig unverletzt zu sein, abgesehen von einigen kleinen Schrammen, die bereits begannen zu heilen. Aber er wirkte sehr müde und diese Müdigkeit verstärkte seine traurige Ausstrahlung.

Inu Taisho nickte Yoshio kurz zu, sah dann seinen am Boden liegenden Sohn und blickte daraufhin wieder den Wolfshundedämonen an.

"Er hat sich bei der Errichtung eines Schutzbanns mit der Übergabe seiner Kräfte verausgabt", beantwortete Yoshio die unausgesprochene Frage.

Der Fürst nickte erneut und setzte sich neben Sesshomaru ins Gras.

"Ich werde bei Sesshomaru wachen bis er wieder aufwacht. Du kannst mit Ieyasu zu den übrigen zurückkehren. Sag ihnen, dass der Krieg vorbei ist."

"Dann sind Fuyuko, ihre Wölfe und das ganze Dämonenheer also... tot?"

"Ich glaube nicht, dass einer von ihnen überlebt hat." Die Stimme Inu Taishos war rau. Es sprach kein Triumph daraus. Er wandte seinen Blick von Yoshio ab und starrte mit einem grimmigen Ausdruck in den Augen zum Himmel.

Yoshio wusste, dass der Dämonenfürst keine weiteren Worte mehr verlieren würde und verließ ihn.
 

Inu Taisho blieb allein bei Sesshomaru zurück. Nachdem er scheinbar endlos in den Himmel gestarrt hatte, betrachtete er nun seinen ohnmächtigen Sohn.

Sesshomaru lag in einer Art Tiefschlaf, der es Dämonen nach starker Schwächung ermöglichte ihre Kräfte schnell und effektiv zu regenerieren. Dieser praktische Heilmechanismus hatte allerdings auch seine Nachteile, denn in dieser kurzen Zeit tiefer Bewusstlosigkeit war ein Dämon völlig schutzlos seiner Umgebung ausgeliefert. Sogar ein schwaches, kleines Menschenkind könnte einen in solch einem Heilschlaf gefangenen Dämonen ohne Schwierigkeiten töten. Auch die Macht eines Dämons hatte eben seine Grenzen.

Er ist wieder über seine Grenzen hinaus gegangen, dachte Inu Taisho während seiner Betrachtungen und spürte dann einen leichten Anflug von Bedauern in sich aufsteigen. Sesshomaru macht dieselben Fehler wie ich einst, er sucht nach Stärke und Macht und glaubt darin Erfüllung zu finden. Auch ich habe einst geglaubt, wenn ich stark und hart wäre, würde mich nichts mehr verletzten können. Ich war überzeugt davon, Stärke könnte mich selbst und andere schützen und es mir ermöglichen, mein Leben zu beeinflussen. Doch dann musste ich erkennen, dass all meine Macht schmerzliche Verluste nicht verhindern konnte. Selbst der Mächtigste kann fallen und das einzige, was dann bleibt, ist Einsamkeit... Wie gern würde ich Sesshomaru einen anderen Weg zeigen, doch ich war bisher nie dazu fähig. Ich habe versagt, denn ich werde wohl nicht verhindern können, dass mein Sohn dem selben Pfad folgt wie ich einst. Einem Pfad, der so leicht in die Dunkelheit führen kann...
 

Der Wind rauschte durch die Baumkronen und trug zahlreiche Gerüche mit sich. Inu Taisho roch fernen Brandgeruch und das Blut vieler Menschen. Spuren des Todes, die der Krieg mit sich gebracht hatte.

Auch das habe ich nicht verhindern können, dachte der Dämonenfürst traurig und drehte sich schließlich etwas. Er verdrängte seine bedrückenden Gedanken und schloss kurz die Augen. Dann lächelte er plötzlich unmerklich, seufzte leicht und sah letztendlich durchdringend auf ein nur wenige Meter entferntes Gebüsch.
 

"Wie lange willst du eigentlich noch dort herumsitzen? Wenn du unbedingt hier sein möchtest, kannst du genauso gut aus deinem Versteck herauskommen!"

Ein leichtes Rascheln folgte den Worten des Dämonenfürsten, dann tauchte eine junge Menschenfrau zwischen den Sträuchern hervor auf und blieb nach einigen zögerlichen Schritten beschämt im Schatten einer Tanne stehen.

Auch für die Maßstäbe eines Dämonen, der schon sehr viele Frauen gesehen hatte, war diese Frau sehr schön. Sie stand in der Blüte ihrer Jahre, gerade dem Kindesalter entwachsen, und hatte überlanges, bis über die Knöchel herabfallendes, schwarzglänzendes Haar. Inu Taisho war sich nicht ganz sicher, was ihm besser gefiel: der verschämte, obsidianschwarze Blick oder die zarte, purpurne Röte, die das feine Gesicht des ertappten Mädchens überzog.

Auf jeden Fall schenkte ihm der Anblick des schamroten, unbehaglich auf der Stelle herumtretenden Menschenmädchens ein wenig Fröhlichkeit, die sein wundes Herz glücklich aufsog.
 

Izayoi bemerkte den leicht belustigten Blick des Dämonen und sah betreten zu Boden. Es war nicht ihre Absicht gewesen so lange zu bleiben und die Dämonen weiterhin zu beobachten. Eigentlich wollte sie ihnen ja gar nicht folgen. Oder eigentlich doch?

Die geheimnisvolle Anziehung, die der silberweißhaarige Dämon nach seinem Auftauchen bei der brennenden Stadt, auf sie ausgelöst hatte, konnte sie sich nicht erklären. Sie war einfach da und Izayoi musste ihr folgen, ob sie wollte oder nicht. Dann hatte sie gesehen wie der weiße Dämon vor Erschöpfung zusammengebrochen war und eine unerklärliche, große Sorge hatte sie befallen. So war sie geblieben und hatte ängstlich weiter zugesehen.

Sie wusste nicht warum, aber sie konnte einfach nicht weg.
 

Und als wäre das alles nicht schon aufregend genug gewesen, war dann auch noch plötzlich ihr Traum leibhaftig wieder vor ihr aufgetaucht. So als wäre sie wieder ein kleines Mädchen in einem fremden Schloss, unter einer fremden Seidendecke und all die Jahre dazwischen wären niemals vergangen.
 

"Sehr gesprächig bist du offensichtlich nicht. Auch gut."

Izayoi sah wieder auf und starrte den Dämonen an. Wie vertraut ihr doch seine dunkle, warme Stimme war. Er war es, kein Zweifel, er war...

"Der weiße Hund..."

"Was?" Trotz seines extrem guten Gehörs hatte Inu Taisho die erstickt geflüsterten Worte der jungen Frau nicht richtig verstehen können.

"Du bist der weiße Hund", wiederholte sie leise.

Leicht verwundert sah der Dämonenfürst sie an: "Du kennst mich?"

"Ich habe dich nie vergessen."

Inu Taisho verlagerte sein Gewicht und sah das schwarzhaarige Mädchen vor sich stirnrunzelnd an. Ihr Geruch kam ihm bekannt vor, aber er konnte diesen Duft keiner seiner Erinnerungen zuordnen. Es gab so viele Menschen und deren Leben war so kurz. Im Fluss der Zeiten bedeuteten sie nichts.
 

"Ich weiß, dass du dich nicht mehr an mich erinnern kannst. Wir Menschen sind nur unbedeutende Insekten für euch. Und sicher interessiere ich dich auch jetzt nicht besonders. Aber ich für meinen Teil konnte dich niemals vergessen!"

Verdutzt starrte Inu Taisho sie an und musste dann unwillkürlich kurz lachen. Menschen überraschten ihn doch immer wieder. In vielfacher Hinsicht ähnelten sie Dämonen und waren doch so anders. Selbst nach vielen Jahrhunderten wurde Inu Taisho aus Menschen einfach nicht schlau.
 

Das zunächst so ängstlich erscheinende Mädchen hatte nun offenbar jede Schüchternheit abgelegt und kam einige Schritte näher. Augenscheinlich war ihr nicht bewusst wie gefährlich Dämonen waren. Er hätte sie spielend töten können. Das hätte er allerdings auch schon tun können, als sie noch versteckt im Strauch saß. Scheinbar ahnte sie, dass er sie nicht als Bedrohung ansah oder nicht die Absicht besaß ihr etwas anzutun.

"Wie heißt du?" fragte er sie.

"Izayoi." Ihre Stimme gefiel ihm.

"Ein schöner Name."

"Das hast du schon damals gesagt."

"Hmm... habe ich das?"

Sie kam noch etwas näher. "Du hast mich gerettet."

Inu Taisho war sich nicht ganz sicher, ob sie das auf die aktuelle Situation oder die Vergangenheit bezog. "Vielleicht habe ich das", antwortete er.

"Wer ist das", fragte Izayoi mit einem Blick auf Sesshomaru, "ich dachte zuerst, er wäre du. Er sieht dir sehr ähnlich."

"Er sollte mir wohl auch ähnlich sehen", meinte Inu Taisho schmunzelnd, "er ist mein Sohn."

"Oh." Irgendwie empfand Izayoi die Vorstellung, dass Dämonen eine Familie hatten, als seltsam. Noch seltsamer waren jedoch die merkwürdigen Gefühle, die durch die Erklärung des Dämonen in ihr aufkeimten. Sie fühlte sich beinahe enttäuscht.

"Dann hast du auch eine Frau?" Was fragte sie da eigentlich, was machte sie überhaupt hier? Izayoi verstand sich selbst nicht mehr.

"Nein." Die Stimme des Dämonen hatte sich leicht verändert, blieb aber undeutbar. Doch das Thema schien ihm nicht mehr zu gefallen. Schnell versuchte Izayoi ihn abzulenken, denn sie wollte nicht, dass er ungehalten werden würde. Sie hatte keine Angst vor ihm, aber sie hatte Angst, dass er vielleicht fort gehen könnte.

"Was ist mit ihm?" fragte sie und setzte sich neben Inu Taisho und Sesshomaru zu Boden. Mit einem leicht besorgten Gesichtsausdruck berührte sie Sesshomaru vorsichtig am Knie.

Inu Taisho lächelte wieder. Er wusste, dass Sesshomaru eine solche Berührung, hätte er sie mitbekommen, niemals zugelassen hätte. Vor Berührungen wich er zurück wie vor dem Biss einer Schlange. Mit Zärtlichkeiten konnte er nichts anfangen, sie waren ihm fremd.

"Keine Sorge, er schläft sozusagen nur und wird bald wieder aufwachen."

"Ich wusste nicht, dass Dämonen schlafen."

"Es gibt wohl einiges, was du über Dämonen nicht weißt."

Betreten rückte Izayoi wieder etwas zurück und blickte auf ihre Füße. Offensichtlich machte sich der Dämon über sie lustig. Vielleicht war das der Grund, warum er sie noch nicht getötet hatte. Warum er sie hier duldete und mit ihr sprach. Er betrachtete sie wahrscheinlich nur als amüsanten Zeitvertreib.
 

"Du solltest jetzt besser gehen."

Erschrocken sah Izayoi wieder auf. Hatte sie ihn jetzt verärgert, war er ihr schon überdrüssig geworden?

"Es scheint, als würde jemand nach dir suchen. Jedenfalls sind weitere Menschen hierher unterwegs. Du gehst besser zu ihnen, denn ich möchte ihnen lieber nicht begegnen."

"Magst du Menschen nicht?" Was für eine törichte Frage stelle ich ihm denn jetzt wieder, dachte Izayoi verwirrt. Doch die Frage brannte ihr einfach auf der Zunge und war schneller ausgesprochen als sie nachdenken konnte.

"Ich fürchte, Menschen mögen mich nicht besonders. Nach dem, was hier geschehen ist, kann ich es ihnen auch nicht verdenken. Schließlich ist die Zerstörung eurer Heimat auch mein Werk. Und ich bin kein so freundliches Wesen wie es dir vielleicht erscheinen mag."

Zögerlich stand Izayoi auf und sah den Dämonenfürsten lange an. Sein goldener Blick war unbewegt und ausdruckslos, aber dennoch wunderschön.

"Ich glaube nicht, dass du bösartig bist", sagte sie schließlich.

"Warum glaubst du das?"

"Dein Sohn hat uns beschützt und du beschützt nun deinen Sohn... und auch mich... Jemand, der etwas beschützen will, kann nicht böse sein."

"Ich bin ein Dämon, vergiss das nicht."

Izayoi schwieg, immer noch sah sie in die unbewegten, goldglänzenden Augen und glaubte darin zu ertrinken. Der Blick des Dämonen schien ihre ganze Seele zu ergründen, sie fühlte sich nackt und bloßgestellt. Angst erfüllte sie, aber zugleich auch Sehnsucht. Sie wollte fort von hier, weit, weit fortlaufen, doch gleichzeitig konnte sie sich nicht rühren und wollte unbedingt bleiben.

"Werde ich dich wiedersehen?"

Auf Inu Taishos Gesicht zeichnete sich kurz Überraschung ab, dann verbarg er seine Miene wieder hinter einer undurchdringlichen, ausdruckslosen Maske.

"Warum solltest du das wollen? Und warum sollte ich das wollen? Du solltest mich vergessen."

"Ich habe und werde dich niemals vergessen." Mit diesen Worten drehte Izayoi sich um und huschte in den Wald. Verwundert sah Inu Taisho ihr nach.

Menschen..., dachte er, ich werde sie nie verstehen. Kopfschüttelnd wandte er seinen Blick wieder ab und wachte über seinen ruhenden Sohn.
 

* * * * *
 

Nicht nur Inu Taisho bewachte den Schlaf eines Vertrauten, auch Koga hockte zur gleichen Zeit neben einer am Boden liegenden, bewusstlosen Gestalt und brütete dumpf vor sich hin.

Er und Fuyuko waren die einzigen Überlebenden aus einer grauenvollen Dämonenschlacht, die ursprünglich ganz anders hätte verlaufen sollen. Eigentlich konnte man es gar keine Schlacht nennen, denn sie waren überhaupt nicht dazu gekommen zu kämpfen. Wie nannte man so was stattdessen, wenn ein einziger Dämon mit einem einzigen Schwerthieb Hunderte seiner Feinde tötet und nebenbei auch noch einen ganzen Landstrich so verwüstet, dass ein Jahrzehnt wohl kein Grashalm mehr dort wächst?
 

Purer Instinkt war es gewesen, der Koga gerettet hatte. Als Inu Taisho sein Schwert in die Höhe hob, hatte er überhaupt nicht mehr nachgedacht. Er hatte Fuyuko neben sich gepackt und war einfach nur gerannt, so schnell wie nie zuvor in seinem Leben. Ein hinter ihm wahrzunehmendes gewaltiges Dröhnen und Beben hatte genügt seinen Lauf sogar noch mehr zu beschleunigen. Sich umzudrehen wagte er nicht und hätte ihm wahrscheinlich das Leben gekostet. Wie er daher der zerstörerischen Kraft hinter sich entkommen konnte, war ihm absolut schleierhaft, doch irgendwie hatte er es geschafft. Aber was war der Preis?

Fuyuko und er hatten ihre Freunde und Untergebenen im Stich gelassen.

Die grässlichen, niederen Dämonen, die Fuyuko beschworen und angeheuert hatte, waren sicher nicht bedauernswert. Das waren grausliche, verderbliche und böseste Wesen gewesen, die nichts als Unheil gebracht hätten. Koga hatte nicht verstanden, warum Fuyuko überhaupt auf die Idee gekommen war deren Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber nicht nur dieser Abschaum war nun tot, sondern auch viele Wolfsdämonen und Wölfe, die in den letzten sechs Jahren zu Kogas Rudel geworden waren. Sie alle waren zu Staub zermahlen und er war einfach davongelaufen...
 

Ein Ächzen weckte Koga wieder aus seinen Gedanken. Fuyuko regte sich und setzte sich verwirrt auf. Mit schmerzhaft verzogenem Gesicht presste sie eine Hand an ihren Hinterkopf, wo sie etwas Hartes getroffen haben musste, und sah sich verwirrt um.

"Was ist passiert, wo bin ich?" stöhnte sie und blieb mit ihrem verschwommenen Blick schließlich bei Koga hängen.

"Keine Ahnung, wo wir sind, irgendwo in irgendeinem Wald... immerhin in Sicherheit..."

"Die Schlacht... Inu Taisho... dieses, dieses Schwert... oh nein", hauchte Fuyuko und ihre Augen weiteten sich in begreifendem Entsetzen, "Koga, was ist geschehen?"

"Was geschehen ist?", erwiderte Koga bissig, "den Arsch aufgerissen hat man uns. Vernichtet hat man uns. Du wolltest den Hundefürsten zerschmettern und er hat uns zerschmettert. Mit einem einzigen Schwerthieb. Sie sind alle tot. Alle!"

"Tot...", flüsterte Fuyuko. Ihre Stimme brach und sie starrte mit glasigen, leeren Augen zu Boden. Fest krallten sich ihre Hände in den Waldboden. Dann sprang sie mit einem wütenden Schrei Koga an die Kehle und drückte ihn zu Boden.

"Wieso hast du mich gerettet? Wie konntest du es wagen, mich mit dir fort zu reißen?! WARUM? WARUM HAST DU MICH NICHT MIT IHNEN STERBEN LASSEN?!"

Fuyukos Schreien steigerte sich in hysterisches Kreischen. Wie eine Furie hieb sie mit einer Hand auf Koga ein und presste mit der anderen Hand gegen seinen Hals. Koga wehrte sich verzweifelt und versuchte vergeblich die Rasende zu bändigen.

Kurz bevor er fast erstickt wäre, ließ Fuyuko jäh von ihm ab und brach weinend zusammen. Mühselig rappelte sich Koga auf und stand schließlich hilflos neben der weinenden Wolfsprinzessin. Am liebsten hätte er es ihr gleichgetan und ebenfalls einfach geheult oder den ganzen Wald zu Kleinholz verarbeitet, aber in ihm war alles nur tot und leer.
 

"Was für ein erbärmlicher Anblick!" spottete plötzlich eine Stimme aus den Waldesschatten, "ich dachte, ihr Wölfe wärt aus einem etwas härteren Holz geschnitzt."

Koga drehte sich blitzschnell um und spreizte drohend seine Klauen. Auch Fuyuko schrak auf und sah zu zwei Bäumen, zwischen denen eine große, menschliche Gestalt im Schatten stand.

"Ey, wer auch immer du Spinner bist", rief Koga gereizt, "ich warne dich. Ich bin keineswegs in guter Laune und zeig dir gleich mal aus welchem Holz ein Wolf geschnitzt ist!"

"Große Töne und nichts dahinter", höhnte der Unbekannte, "als ob eine jämmerliche Flohkiste mir gefährlich werden könnte!"

Die im Schatten stehende Gestalt trat etwas vor und stellte sich grinsend Koga gegenüber, der reflexartig bei dem Anblick einen Schritt zurückwich.

Befriedigt nahm der Aufgetauchte Kogas Schrecken zu Kenntnis: "Na, du Mondanheuler, hast du mich jetzt erkannt oder soll ich erst meine wahre Gestalt annehmen, um euch beiden ein wenig Respekt beizubringen?"

Auch Fuyuko erkannte nun, wer vor ihnen stand und zuckte leicht zusammen.

"Ein Drachendämon!"

"Ganz recht", antwortete der Unbekannte und seine rubinroten Augen blitzten, "ein Drachendämon. Und ich bin hier, um euch meine Hilfe anzubieten."
 


 

Soweit Kapitel Nummer sechs.

Haben euch die Begegnungen gefallen? Wie man sich denken kann, werden die alle noch ihre Folgen haben... Kommentare sind wie immer sehr willkommen!

Und keine Sorge an diejeniegen, die jetzt schimpfen, ich würde meine FF1 vernachlässigen. Sie ist nicht vergessen, auch daran arbeite ich weiter. :))

Eis und Träume

Diesmal ging das Weiterschreiben ganz schnell, weil ich einen großen Teil dieses Kapitels schon hatte und nur noch ausfeilen und zusammenfügen musste. Deswegen kann ich euch schon wieder neues Lesefutter bieten.

Zu Kapitel Nummer sieben: Sollte Inu Taisho glauben, dass ihm nach seinem bitteren Sieg endlich wieder Frieden erwartet, wird er bald eines Besseren belehrt werden. Denn seine Feinde haben längst nicht aufgegeben und suchen nun nach einem neuen, vielversprechenderen Mittel den Dämonenfürsten zu brechen. Ausgerechnet in dieser bedrohenden Situation beginnt das äußerst seltsame Verhalten einer Menschenfrau Inu Taisho massiv abzulenken...

Enjoy reading!
 


 

"Was wollt Ihr von uns?" fragte Fuyuko unbehaglich und sah dabei in die kleine bösartig dreinschauende Maske, die wie ein zweites Gesicht auf der Stirn des hämisch grinsenden Drachendämonen klebte.

"Die Frage ist wohl eher, was wollt ihr von mir! Vielleicht kann ich euch geben, was ihr begehrt..."

"Wir wollen nichts von dir, Drache", unterbrach Koga ihn barsch, "lass uns in Ruhe. Wir haben heute schon genug erlebt."

"Wie wahr", kicherte der Drachendämon, seine milde, fast melodisch klingende Stimme passte überhaupt nicht zu seinen grausam wirkenden Zügen: "Inu Taisho hat euch ganz schön zugesetzt, was? Ich muss sagen, ich war selbst ein wenig überrascht, ich hätte nicht gedacht, dass er so mächtig ist. Wir haben ihn wohl alle ein klein wenig unterschätzt."

"Was soll das", schimpfte Koga wütend, "was weißt du überhaupt davon? Und was geht dich das alles eigentlich an?"

"Hmph, sagen wir es mal so, ich und so einige andere beobachten schon länger mit gewissem Interesse euren kleinen Streit mit den Hunden. Er ist höchst interessant und sehr amüsant."

"AMÜSANT?!" Koga schnappte nach Luft: "Du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank. Dieser sogenannte kleine Streit hat vielen meiner Kameraden das Leben gekostet und du stehst hier und machst dich darüber lustig. Mag sein, dass du dich für einen starken, tollen Kerl hältst , aber das wird mich nicht davon abhalten dich für deine Beleidigungen windelweich zu schlagen."

"Ach, wirklich niedlich", lächelte der Drachendämon, "dein Temperament gefällt mir. Aber du bist so unbeherrscht und dämlich. Warum nutzt du deinen Hass nicht klüger. Es gibt viel effektivere Methoden als einen Frontalangriff."
 

Nun reichte es Koga endgültig. Ohne Rücksicht darauf, dass er dem Drachendämonen eindeutig unterlegen war, wollte er wütend auf ihn losgehen, doch Fuyuko hielt ihn zurück. Die Leitwölfin war seltsam ruhig und ihre Augen wirkten merkwürdig kalt.

"Warum wollt Ihr uns helfen? Und was verlangt Ihr als Gegenleistung dafür?" fragte sie.

"Hah, zumindest einer von euch scheint noch einigermaßen vernünftig geblieben zu sein und benimmt sich anständig", erwiderte der Drachendämon zufrieden, "ich verlange nichts Besonderes von euch. Ich habe nur eine spezielle Abneigung gegen einen gewissen Dämonenfürsten und fände es eigentlich ganz schön ihn und seine Sippe tot zu sehen. Nebenbei herrscht er über ein nettes Land. Ich glaube, dort würde es mir und den Meinen ganz gut gefallen..."

"Also auf Inu Taishos Macht und sein Land seid ihr Drachen aus", meinte Fuyuko, "warum geht ihr nicht einfach und holt es euch. Was für eine Hilfe könnte ich euch noch bei euren Eroberungsgelüsten bieten."

"Oh, gegen einen kleinen Eroberungsfeldzug hätte keiner von uns etwas einzuwenden. Aber wie du selbst wohl schmerzlich erfahren musstest, ist das nicht ganz so einfach. Auf solch einem direkten Weg kommt keiner von uns weiter."

"Was habt ihr feuerspeienden Ungeheuer dann vor?" mischte sich Koga wieder in das Gespräch ein. Ihm gefiel diese ganze Unterhaltung überhaupt nicht und er wäre lieber schleunigst von hier verschwunden.
 

"Ihr impulsiven Wölfe versteht so wenig von wahrer Macht", höhnte der Drachendämon abfällig, "ihr wisst nicht einmal etwas von der wunderbaren Macht andere zu beeinflussen und zu manipulieren. Nichts wisst ihr. Ihr seid so unerfahren und dumm. Von wahrem Hass, wahrer Rache und wirklicher Genugtuung habt ihr keine Ahnung... Doch wenn ihr wollt, werde ich sie euch zeigen: die wahre Macht den Stolz der Stärksten zu brechen, die Macht eure verhassten Feinde in den Staub zu zwingen und sie zu windenden, jammernden Würmern zu degradieren. Wenn ihr wollt, zeige ich euch, wie ihr Inu Taisho wahrlich vernichten könnt. Ich zeige euch, wie ihr die Seele des angeblich so kaltblütigen, starken Hundefürsten entblößen und zerreißen könnt. Und wie ihr ihm Schmerzen zufügen könnt, die über alles Fassbare hinausgehen.
 

Koga schauderte bei den Worten des Drachendämonen zusammen. Ihm war plötzlich sehr kalt und sein Wunsch davonzulaufen wurde übermächtig. Das hier hatte nichts mit einfacher Rache, mit Wut oder mit der Hoffnung auf Wiedergutmachung zu tun. Was aus der Rede des Drachen sprach, war pure Bosheit, Hass in seiner reinsten Form und eine vollkommene Lust an Grausamkeit. Eine Grausamkeit, die Koga mindestens genauso erschreckte wie es die zerstörerische, unheimliche Kraft von Inu Taishos Schwert getan hatte.

Auch Fuyuko war blass geworden und starrte den Drachendämonen wie eingefroren an. Doch dann stahl sich ein kaum wahrnehmbares Glitzern in ihre geweiteten, strahlend grünen Augen.

"Zeigt mir diese Macht", flüsterte sie, "zeigt mir die Macht Inu Taisho zu brechen und ich werde alles dafür tun!"
 

* * * * *
 

Zum wahrscheinlich zehnten Mal stand Inu Taisho kurz vor Morgenanbruch auf einer kleinen, felsigen Anhöhe inmitten bewaldeter Hänge und sah auf das zu Füßen der westlichen Berge liegende Gebiet herab. Der Winter hielt das Land in eisernem Griff und wehte winzige, harte Eiskristalle in das Gesicht des Dämonenfürsten. Der beißend kalte Wind machte ihm jedoch wenig aus, Dämonen störten sich meist nicht besonders an Hitze oder Kälte. Anders sah das allerdings für Menschen aus.

"Ob sie heute wohl wieder kommen wird? Auch bei diesem eisigen Schneesturm?" fragte Inu Taisho leise in den Wind, der seine kaum hörbaren Worte sofort wieder verwehte.
 

Der Dämon war sich nicht ganz sicher, was er hier überhaupt wollte. In den letzten zwei Monaten war er häufig in die westlichen Berge gekommen. Weitaus häufiger als üblich. Immer wieder zog es ihn in die Nähe des Ortes, wo vor mittlerweile über acht Wochen die vernichtende, letzte Schlacht mit den Wolfsdämonen des Nordens stattgefunden hatte.

Zuerst war es reine Besorgnis oder vielleicht auch ein Schuldgefühl gewesen, das Inu Taisho immer wieder dorthin trieb. Er wollte sich einfach versichern, dass es den Menschen, die in der Gegend lebten, wieder gut ging, nachdem auf so schreckliche Weise ihre Lebensgrundlage zerstört worden war. Zumindest glaubte er das.

Erstaunlicherweise kamen die Menschen mit der Katastrophe recht gut zurecht. Wie zähe kleine Ameisen bauten sie ihre Stadt und ihr Leben wieder auf. Es überraschte Inu Taisho immer wieder wie ausdauernd diese an sich recht schwachen Wesen waren. Sie besaßen viel Hoffnung und einen enormen Lebenswillen, wodurch sie sich einfach nicht unterkriegen ließen. So schwach und doch so stark, es war faszinierend.
 

Am faszinierendsten an all dem war jedoch eine junge Menschenfrau.

Als Inu Taisho das erste Mal, fünf Tage nach der zerstörerischen Schlacht, erneut in die westlichen Berge gekommen war, hatte er dieses Menschenmädchen schon fast wieder vergessen gehabt. Sein Ziel waren die Höhlen von Chugos Wolfsrudel, das ebenfalls in den westlichen Bergen lebte. Chugo hatte sich zwar in dem Krieg mit Fuyuko neutral verhalten, hatte aber auch einige seiner Gefolgsleute verloren, die der Leitwölfin aus dem Norden gefolgt waren. Inu Taisho wollte nicht, dass sich daran wieder ein neuer Konflikt entzündete und traf sich mit dem alten Leitwolf des Westens, um den Frieden zu sichern und neue Bündnisse zu schließen.

Seine Friedensverhandlungen waren erfreulicherweise sehr gut verlaufen, auch wenn dabei sicher eine gehörige Portion Angst mit im Spiel gewesen war. Dem Dämonenfürsten war durchaus bewusst, dass viele der Wolfsdämonen vor allem daher sehr versöhnungsbereit gewesen waren, weil sie sich fürchteten. Sie hatten Furcht vor Inu Taisho und vor seinem höllischen Schwert. Schließlich hatten sie fast hautnah miterlebt, zu was er fähig war. Eine Erkenntnis, die für einen großen Teil der Wölfe im Norden zu spät gekommen war.

Eine friedliche Basis auf Angst aufzubauen, war zwar nicht gerade das, was sich Inu Taisho wünschte, aber es war zumindest ein Anfang und auf jeden Fall besser als neuer Streit.

Nach dem erfolgreichen Abschluss seiner Friedensbemühungen war der Dämonenfürst am frühen Morgen noch ein wenig in den bewaldeten Berghängen umher gestreift, um seine Gedanken zu ordnen. Er liebte solche einsamen Streifzüge, eine Eigenschaft, die er mit seinem Sohn gemeinsam hatte. Ob es nun Zufall war oder nicht, aber dieser Streifzug führte ihn ausgerechnet an den Ort, an dem er vor fünf Tagen kurz nach der Schlacht über Sesshomaru gewacht hatte und dieses merkwürdige Menschenmädchen getroffen hatte. Und ob auch das Zufall war oder nicht, war sie wieder da!
 

Als Inu Taisho sie sah, glaubte er zunächst sich zu täuschen. Aber der Geruch bewies es eindeutig, es war haargenau das gleiche Mädchen mit den obsidianschwarzen Augen und dem liebevollen, sanften Gesicht, das behauptet hatte ihn niemals vergessen zu können. Das Mädchen mit dem Namen Izayoi.

Sie saß zu Füßen eines großen Baums, genau an der Stelle, an der Sesshomaru für knapp eine Stunde bewusstlos gelegen hatte, und kämmte sich ihre überlangen, schwarzen Haare. Inu Taisho verbarg sich lautlos auf einem Baum, ohne dass sie ihn bemerken konnte, und beobachtete sie. Sie sang leise vor sich hin und schien zu träumen. Warum war sie hier? Er konnte es nicht verstehen, doch es faszinierte ihn.
 

Weitere zehn Tage später, zur selben frühen Tageszeit, verschlug es Inu Taisho erneut in die Waldhänge der westlichen Berge. Wieder suchte er den Ort auf, an dem er Izayoi gesehen hatte, wieder war sie da und wieder sah er ihr heimlich zu. Genau wie nochmals zehn Tage später. Sie schien jeden Tag für ein, zwei Morgenstunden dorthin zu gehen, sich unter den großen Baum zu setzen und ihren Träumen nachzuhängen. Tag für Tag, selbst jetzt im Winter, gleichgültig wie unangenehm das Wetter war. Warum tat sie das? Es war einfach nicht zu begreifen, doch irgendwie gefiel es ihm.
 

Nun stand Inu Taisho wieder in den Waldhängen der westlichen Berge und sah ungeduldig in den Himmel. Der Morgen brach an. Es war Zeit, ihre Zeit...

Neugierig musterte der Dämonenfürst das sich unter ihm ausbreitende Land. Sein Blick richtete sich auf die kleine, halb wieder aufgebaute Stadt zu Füßen der Berge und verweilte an einem, kleinen Tor, das zu einem Schlossgebäude führte.

Tatsächlich, dort war sie wieder! Tief eingehüllt in dicke Umhänge trat eine junge Frau aus dem Tor, verließ die Stadt und kämpfte sich mühsam durch den Schnee die Berghänge hinauf.

Inu Taisho verließ seinen gut versteckten Aussichtspunkt und zog sich in die verschneiten Berghänge zurück. Kurz darauf erreichte er einen bereits wohl bekannten Ort und setzte sich auf die Zweige eines ebenso vertrauten, gut verbergenden Baums. Er musste diesmal länger als gewohnt warten, der Schneesturm machte der Erwarteten offensichtlich zu schaffen. Aber er hielt sie dennoch nicht ab.
 

Schwer atmend und erschöpft erreichte Izayoi den Ort. Mühselig stapfte sie durch den Schnee und hockte sich dann seufzend vor einem mächtigen Baum nieder. Mit steifen, kalten Fingern berührte sie die raue Rinde des Baums, lehnte sich gegen den Stamm und schloss die Augen.
 

Nun war sie glücklich. Wie jedes Mal, wenn sie diesen Ort erreichte. Nichts ließ sich mit dieser heimlichen, kleinen Freude vergleichen, die sie immer wieder überfiel, wenn sie hier war. Dieses kleine Glücksgefühl trieb sie jeden Tag erneut aus der Geborgenheit ihres Zuhauses hinaus in die Berghänge zu diesem Ort.

Izayoi wusste nicht, warum das so war. Sie wusste nicht, was sie immer wieder an diesen Ort zog, unabänderlich wie ein Magnet. Doch seitdem sie vor vielen, vielen Tagen das erste Mal an einem Tag des Schreckens einem weißhaarigen Dämonen hierher gefolgt war, rief es sie immer wieder her. Und sie fand keine Ruhe bis sie den Ort erreicht hatte, an dem ihr Traum wahr geworden war. Der Ort, an dem sie IHN wieder gesehen hatte.
 

Sie konnte ihn einfach nicht vergessen. Immer wieder sah sie ihn vor sich: wie er hier zu Füßen des Baumes saß, an der Seite seines schönen, schlafenden Sohnes und schützend mit goldglänzenden Augen auf diesen herabblickte. Dieses Bild verfolgte sie, wohin sie auch ging, woran sie auch dachte. Sie sah es in ihren Träumen, sie sah es, wenn sie am Morgen die Augen aufschlug und aus dem Fenster sah. Überall nur sah sie ihn.

Lag es daran, dass er ein Dämon war? Hatte er sie verhext, hatte er sie schon damals verzaubert, als er sie als kleines Mädchen mit auf sein Schloss genommen hatte? Doch, wenn er das getan hatte, warum war er dann nicht hier, warum sah sie ihn nicht wieder? Wollte er sie quälen? Hatten Dämonen Spaß daran junge Mädchen zu verzaubern und sie dann damit zu peinigen? Was bezauberte sie denn eigentlich so an ihm? Sicher er war schön und anziehend, aber das waren andere Männer auch. Vielleicht zog seine Mischung aus Schönheit und Gefährlichkeit sie an, doch es gab sicher auch Menschen, die gefährlich waren wie er. War es sein zeitloses Alter? Wie alt mochte er wohl sein? Jahrzehnte, Jahrhunderte oder noch mehr?

"So wunderschön und so unerreichbar wie die Sterne", flüsterte Izayoi und eine winzige Träne rollte ihre Wange herab, "wenn ich ihn doch nur ein einziges Mal wieder sehen könnte. Ich würde sterben dafür, nur einmal noch in seinen goldenen Augen ertrinken zu dürfen, einmal noch seine Stimme hören zu können..."
 

Ruckartig stieß sich Izayoi schließlich von dem Baum ab und stand auf. Sie war völlig durchfroren. Vorsichtig trat sie auf der Stelle herum, um ihre tauben, steifen Füße wieder etwas aufzuwärmen und rieb ihre Hände. Dann drehte sie sich um, um sich auf den Nachhauseweg zu machen.

Kaum hatte sie sich umgedreht, stockte ihr der Atem und das Blut in ihren Adern gefror zu Eis. Gleichzeitig wurde ihr so heiß als würde sie nicht in Schnee, sondern flüssiger Lava stehen.
 

Nur wenige Schritte vor ihr stand jemand.

Seine hellgewandete Gestalt verschwamm fast im stürmischen Schneetreiben und sein wehendes Haar spielte unruhig mit den Schneeflocken im Wind. Ruhig und ausdruckslos sah er ihr entgegen und sofort versank Izayoi in seinen Augen. Sie wollte etwas sagen, doch jedes Wort erstickte bevor sie es aussprechen konnte. Zitternd brach sie in die Knie und starrte unverwandt in das dunkle Gold seines Blicks. Dann umrauschten tausend Farben sie, Schwärze umhüllte sie und sie sank wie leblos zu Boden.
 

* * * * *
 

"Aaaah, dieser Scheißschnee, dieser Scheißwind, dieser Scheißberg und dieser Scheißwinter... und überhaupt, was soll der ganze Scheiß?! Wieso habe ich mich bloß von Ginta zu diesem absolut bescheuerten Schwachsinn überreden lassen... der tickt doch nicht mehr richtig?!"

Leise vor sich hin grummelnd stapfte ein junger Wolfsdämon mit einer schneeverkrusteten Irokesenfrisur mühevoll durch den Schnee und versuchte vergeblich seine Augen vor dem kalt beißenden Wind zu schützen. Ihm voraus kämpfte sich ein weiterer, noch jüngerer Wolfsdämon einen kleinen verschneiten Berg hinauf. Er war ebenfalls erschöpft, schien aber weitaus motivierter als sein nachfolgender Kumpan zu sein.
 

Nach einigen Stunden hatten die beiden Wolfsdämonen den Berg überquert und gelangten nun in einen dichten, schützenden Wald. In der Nähe rauschte ein Fluss, der seit etwa zwei Monaten einen völlig anderen Verlauf hatte und dadurch die gesamte Landschaft zu Fuße der westlichen Berge verändert hatte. Der Flussverlauf war nicht das einzige, was sich an der hiesigen Landschaft vor acht Wochen verändert hatte, aber darüber dachten die Wolfsdämonen meist lieber nicht nach. Es waren nicht gerade angenehme Erinnerungen, was das betraf.
 

"Hier ist der Ort, Haggaku", rief der vorangehende Wolfsdämon aufgeregt, als die Zwei eine winzige Lichtung nahe des Flussufers und mitten im Wald erreichten: "Jetzt wirst du gleich sehen, dass ich recht habe!"

Fiebrig suchte der Wolfsdämon auf der Lichtung herum und wühlte wild im Schnee. Nach einiger Zeit erregten Suchens hielt er schließlich triumphierend einen steifgefrorenen Gegenstand aus Leder in die Höhe.

"Siehst du, das ist der Armschoner von Koga. Glaubst du mir jetzt, dass er noch am Leben ist?"

"Ach Ginta", seufzte der Angesprochene, "das ist doch völliger Quatsch. Was beweist so ein Ding denn schon. Woher willst du überhaupt wissen, dass das von Koga ist? Man riecht doch überhaupt nix mehr."

"Du bist echt blöde", erwiderte Ginta ungeduldig und zeigte eindringlich auf das Lederteil in seinen Händen, "schau dir mal diese feine Stickerei darauf an. Das ist eindeutig Aois, Kogas Mutter, Werk! Wie viele Wolfsdämonen beherrschen sonst noch das Besticken von Leder, häh?! Welcher Dämon macht sonst noch so was? Also, ich würde sagen keiner. Und ich weiß noch ganz genau wie Aoi ihm das angefertigt hat. Sie hat es Koga geschenkt, als er damals vom Rudel verbannt wurde, erinnerst du dich nicht mehr?"

"Ja, schon", meinte Haggaku unsicher, "aber das muss doch nicht heißen, dass Koga hier gewesen ist. Ich meine, es könnte doch sein, dass es das Ding hierher geschleudert hat, als er... als er... ich meine, der muss von dieser Energiewelle doch regelrecht zerfetzt worden sein..."

"Das ist doch gerade der Punkt!" ereiferte Ginta sich. "Von allen, die durch Inu Taisho getötet worden sind, ist nicht einmal ein Krümel übrig geblieben. Jeden, den seine tödliche Schwertkraft getroffen hat, hat sich völlig in Staub aufgelöst. Also bitte, wie kannst du es dir sonst erklären, dass hier noch ein völlig kompletter und heil gebliebener Armschoner von Koga rumliegt? Ich sag dir, er lebt noch!"
 

Schweigend starrten sich die beiden Wolfsdämonen an.

"Und was machen wir jetzt?" fragte Haggaku schließlich zögerlich: "Wenn er noch lebt, wo steckt er dann? Das Ganze ist doch schon zwei Monate her. Wenigstens seiner Mutter hätte er doch ein Lebenszeichen von sich geben können."

"Wir müssen ihn einfach suchen", fasste Ginta einen Entschluss, "vielleicht versteckt er sich ja irgendwo. Kann ja sein, dass er Angst vor Inu Taisho hat, oder so. Irgendwie stand er Fuyuko ja ziemlich nahe. Die Hundedämonen haben jedenfalls eine Menge Gründe nicht gut auf ihn zu sprechen zu sein. In seiner Verliebtheit und seinem Stolz hat er sich ja wie ein saudummer Gockel aufgeführt. Und vielleicht schämt er sich ja wegen seiner getöteten Freunde. Das muss ihn echt schwer getroffen haben."

"Hm, da könntest du recht haben."
 

Grübelnd legte Haggaku seine Stirn in Falten. Natürlich freute er sich, dass Koga eventuell noch leben könnte. Trotz allem, was geschehen war, war er immer ein guter und treuer Freund gewesen, und sein vermeintlicher Tod hatte Haggaku tief getroffen. Aber trotzdem wusste er nicht, ob Gintas Idee Koga zu suchen, wirklich so gut war. In den letzten sechs Jahren war einfach zuviel geschehen und zwei Monate nach der vernichtenden Schlacht konnte Koga wer weiß wo sein. Eine Suche würde schwierig werden und Haggaku war sich nicht sicher, ob er seinen einstigen Freund überhaupt wieder finden wollte. Die letzten sechs Jahre hatten Koga verändert, die letzten zwei Monate nach der verlorenen Schlacht könnten ihn noch mehr verändert haben.

"Also, ich weiß nicht, Ginta. Wenn Koga wirklich noch am Leben ist, sollten wir vielleicht besser warten, ob er nicht von selbst auftaucht. So eine Suche ist doch sinnlos und, wenn Chugo das erfährt, reißt er uns den Kopf ab!"

Ginta grinste: "Sag bloß, du hast jetzt plötzlich Angst vor unserem Leitwolf. Dauernd hast du mich in den letzten Jahren mitgeschleift, wenn du dich wieder heimlich mit Koga getroffen hast. Ich habe wahre Todesängste ausgestanden und nur du wolltest dauernd da hin. Also, was ist jetzt? Willst du Koga nicht mehr wieder sehen?"

Haggaku zuckte zusammen. "Na gut, also schön. Dann suchen wir eben nach Koga. Mir wird schon was einfallen, mit was wir diesmal den ollen Leitwolf überlisten können. Irgendwie sind wir es Aoi vielleicht auch schuldig. Sie ist so unglücklich seitdem sie vermeintlich ihren Sohn verloren hat. Und ich kann heulende Weiber einfach nicht ausstehen... Aber wenn was schief geht, gib nicht mir die Schuld!"

"Okay", freute sich Ginta, "dann lass uns dem Flusslauf nach Osten folgen. Ich könnte mir vorstellen, dass das der wahrscheinlichste Weg sein könnte, den Koga eingeschlagen hat. Über die Berge zu latschen, wäre wahrscheinlich etwas mühsam und vielleicht war er ja auch verletzt."
 

Voller Tatendrang marschierte Ginta los. Haggaku folgte ihm etwas schwerfälliger und schaute seufzend in das Schneetreiben. Der Wind war noch kälter und stürmischer geworden. Sein Kumpan hatte sich wirklich einen herrlichen Tag und wundervolles Wetter für seine Tour ausgesucht.

Eigentlich könnte ich jetzt gemütlich an einem Lagerfeuer in einer unserer Höhlen sitzen, dachte er. Ich könnte mich zwischen die gemütlichen Felle einiger Wölfe kuscheln und es mir gut gehen lassen. Stattdessen laufe ich an diesem Scheißtag einem Bekloppten mit Wahnvorstellungen hinterher und krieg wahrscheinlich nichts als Ärger. Und alles nur, um einen Deppen zu finden, der wahrscheinlich eh nichts mehr von uns wissen will. Ich glaube, ich hätte in der Wahl meiner Freunde etwas sorgfältiger sein müssen...
 


 

Soweit das siebente Kapitel

Mag sein, dass ich einige Charaktere ein wenig zu einseitig darstelle (z.B. Fuyuko und die Drachendämonen), oder?! Liegt eigentlich nicht in meiner Absicht solche Schwarzweißmalerei zu betreiben. Aber was die Drachendämonen mit Fuyukos Hilfe in Folge Inu Taisho und Sesshomaru antun werden, ist wirklich nicht schön und dafür kann ich einfach keine halbfreundlichen Charas brauchen... Hmm, ich hoffe, unter dem Gesichtspunkt sind meine Darstellungen so noch okay. Drachenfans mögen übrigens bitte entschuldigen, eigentlich liebe ich Drachen, aber in dieser FF nehmen sie eben die Stellung der oberbösen Buben ein (zumindest die zwei, die hier eine Rolle spielen)...

Fällt euch sonst vielleicht noch etwas auf, das nicht so ganz passt? Vielleicht war ja z.B. die ,Liebesszene' zu kitschig?! Ich gebe zu, es war etwas albern, dass Izayoi beim Anblick ihres ,Geliebten' gleich in Ohnmacht kippt... ähm, nehmt es mir nicht übel. Stellt euch einfach vor, dass es scheißkalt, sie völlig erschöpft/durchgefroren war und wahrscheinlich noch nicht gefrühstückt hatte, ja und das war dann halt zuviel... ;)) Und ob ihr es glaubt oder nicht (und mich jetzt wahrscheinlich massiv auslachen werdet), mir ist vor längerer Zeit mal was ähnliches passiert, wenn auch in einem anderen Zusammenhang und es (so ein Glück) keiner mitbekommen hat. So ganz unwahrscheinlich ist Izayois Verhalten also nicht...(*kicher*)

Oje, ich labere wieder viel zuviel...

Würde mich wieder sehr über Kritik und Lob freuen! Danke.

Flügelschläge

Hier bin ich endlich wieder zurück mit einem neuen Kapitel. Ich hoffe, ihr seid gespannt wie es mit Izayoi und Inu Taisho nach der ,umwerfenden' Begegnung im Schneesturm weitergeht.

Ein herzliches Dankeschön für eure hilfreichen Kommentare. Es war gut zu wissen, dass Izayois Ohnmachtsanfall doch nicht so lächerlich wirkte wie ich zunächst geglaubt habe. Danke vor allem auch Hrafna für die freundliche und sehr nützliche Kritik! Traut euch doch ruhig diesem Beispiel nachzueifern und auch nicht so Gutes anzumerken. Ich vertrage das und kann solche Hinweise gebrauchen.

Nun folgt das achte Kapitel: Eine erneute Begegnung zwischen Izayoi und Inu Taisho bringt die Welten von Dämonen und Menschen aneinander näher und gleichermaßen durcheinander. Zudem bleibt das rätselhafte Verhalten des Menschenmädchens bzw. des Dämonenfürsten nicht ganz unbemerkt und sorgt für so einige Verwunderung...

Enjoy reading!
 


 

Im Schloss des gütigen und besonnenen Landesfürsten, der über die kleine, halb wieder errichtete Stadt am Fuße der westlichen Berge regierte, humpelte eine gebeugte, alte Dienerin mühselig durch die zahlreichen Gänge. Frierend rieb sie ihre Hände aneinander und erreichte schließlich einen kleinen, hübschen Raum im Trakt der fürstlichen Töchter. Mühselig zog die alte Dame die Schiebetür zum Zimmer auf und steckte ihren Kopf hinein.

"Izayoi-san, es ist höchste Zeit aufzustehen... Izayoi?
 

Verwundert schob die Alte die Türe noch weiter auf und betrat den Raum. Sie betrachtete die leere Bettstatt in einer Ecke und blickte dann besorgt zu einer weiteren Tür, die in den Schlossgarten hinaus führte.

"Sie hat sich schon wieder heimlich am frühen Morgen davongeschlichen", murmelte die Frau und öffnete die Tür in den Garten. Kleine zierliche Fußabdrücke, die der tobende Schneesturm schon fast völlig wieder verweht hatte, zeichneten sich draußen im Schnee ab. Die Spuren führten aus dem Schlossgarten hinaus in Richtung eines abgelegenen Stadttors.

Die nachdenklichen Sorgenfalten auf der Stirn der alten Frau vertieften sich bei diesem Anblick.
 

Erst ein zaghaftes, höfliches Räuspern riss die Dienerin aus ihren Gedanken. Sie wandte sich um und sah im Schatten des Türrahmens zu Izayois Gemach einen Mann in soldatischer Ausrüstung stehen.

"Verzeiht", sagte er, "ich wollte Izayoi-sama meine Aufwartung machen bevor ich morgen mit dem Heer für einige Zeit fortziehen muss. Ich... ich wollte mich gerne von ihr verabschieden. Kann ich sie einen Augenblick allein sprechen?"

"Es tut mir leid, Takemaru-sama, Euch enttäuschen zu müssen", erwiderte die Dienerin höflich, "aber... Izayoi ist zur Zeit nicht hier."
 

Überrascht kam der Soldat in das Zimmer und sah sich etwas misstrauisch um. Sein Blick fiel auf die geöffnete Gartentüre und die von dort hinfort führenden Schneespuren im Garten.

"Ist Izayoi-sama etwa bei diesem gefährlichen Schneesturm außer Haus gegangen? In letzter Zeit scheint sie sich ja wirklich etwas merkwürdig zu benehmen. Ständig erscheint sie so abwesend, als wäre sie mit ihren Gedanken woanders. Und ich weiß auch nicht, in manchen Dingen tut sie so geheimnisvoll... Hat sie irgendetwas zu verbergen?"

"Ich glaube kaum, dass Euch das, sollte es so sein, etwas angeht", meinte die Dienerin kühl, "wenn Ihr etwas an der Prinzessin zu kritisieren habt, besprecht das bitte mit ihrem Vater. Und nun verlasst bitte unverzüglich dieses Zimmer, es ist sehr unhöflich ohne ausdrückliche Erlaubnis das Gemach einer Dame zu betreten!"

Verlegen neigte der Soldat kurz seinen Kopf und zog sich zur Tür zurück.

"Verzeiht bitte vielmals, ich wollte nicht unhöflich erscheinen. Ich... ich mache mir nur Sorgen um Eure werte Herrin. Wisst Ihr, ich... ich verehre Izayoi-sama sehr. Ich möchte nur nicht, dass ihr etwas zustößt. Seit der Zerstörung unserer Stadt, als sie kurzfristig verschwunden war, hat sie sich so verändert. Ich frage mich nur, ob sie vielleicht etwas erlebt hat, das sie verstört hat, und würde ihr in diesem Falle gerne helfen. Ich möchte sie nur schützen."

"Ich danke Euch für Eure Anteilnahme", sagte die alte Dienerin nun etwas freundlicher, "ich werde es Izayoi ausrichten. Sie ist zur Zeit wahrscheinlich nur ein wenig durcheinander. Junge Frauen haben nun mal eine Menge Träume und brauchen Zeit, um über ihre Zukunft nachzudenken."

"Bestellt Izayoi-sama einen Gruß von mir", murmelte Takemaru leise, "ich werde sie wieder besuchen, wenn ich in einigen Wochen aus dem geplanten Feldzug zurückkomme. Sagt ihr, ich... werde immer an sie denken. Nein, sagt ihr lieber nichts, grüßt sie einfach nur."
 

Der Soldat setzte sich seinen Helm auf, den er bisher im Arm getragen hatte, und entfernte sich. Die alte Dienerin blieb in Izayois Zimmer zurück und sah ihm seufzend nach.

Armer Takemaru, dachte sie traurig, er scheint Izayoi tatsächlich sehr zu mögen. Seit fast einem Jahr beobachtet er sie heimlich und versucht vorsichtig ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Doch Izayoi erwidert seine Gefühle nicht. Selbst an diesem schicksalsvollen Tag bei diesem Dämonenangriff, als Takemaru die dabei verschwundene Prinzessin gesucht und sicher heimgebracht hat, hat Izayoi nicht einmal einen richtigen Blick für ihren Retter übrig gehabt. Irgendetwas ist hier nicht geheuer! Und warum geht Izayoi jeden Morgen heimlich in die Berghänge? Glaubt sie, sie könnte das vor mir, ihrer treuen alten Amme, verbergen? Wo ist sie nur?
 

* * * * *
 

Die wohltuende Wärme eines prasselnden Feuers durchdrang die kalte Dunkelheit, in die Izayoi gefallen war, und weckte sie. Zitternd regte sie sich und öffnete leicht verwirrt die Augen.

"Wo bin ich?" fragte das Mädchen leise und richtete sich verwundert auf. Sie lag eingehüllt unter ihren wollenen Umhängen auf einem roten, festen Stoff am sandigen Boden einer kleinen, engen Höhle. Neben ihr brannte ein Feuer und spendete angenehme Wärme und Licht.

Izayoi schob ihre Umhänge beiseite und stand zögerlich auf. Etwas verständnislos dreinschauend ging sie ein paar Schritte und sah schließlich aus einem schmalen Felsspalt, der den Eingang zur Höhle bildete. Draußen tobte noch immer ein Schneesturm und es war unmöglich etwas genau zu sehen oder zu erkennen, wo sie sich befand. Eisige Kälte drang herein. Frierend schlang Izayoi ihre Arme um ihren Körper, ging zurück zum Feuer und streckte ihre durchfrorenen Hände den Flammen entgegen. Währenddessen versuchte sie sich angestrengt zu erinnern, was geschehen war und wie sie hierher gelangt war.

Richtig, jetzt fiel es ihr wieder ein: ihr gewohnter, morgendlicher Gang in die Berghänge, ihre Gedanken und Träume zu Fuße des großen Baums und dann die vertraute und ersehnte Gestalt, die plötzlich im Schneetreiben vor ihr aufgetaucht war.

Scheu sah Izayoi sich erneut in der kleinen Höhle um. Hat ER mich hierher gebracht, fragte sie sich, ist er hier irgendwo in der Nähe? Doch die felsigen Wände der schützenden Höhle gaben ihr keine Antwort, sie war allein.

Izayois Blicke wanderten weiter über den sandigen Höhlenboden bis ihr der grellrote Stoff neben ihren Umhängen auffiel, auf dem sie gelegen hatte. Neugierig nahm das Mädchen das ihr unbekannte Gewebe in die Hände und breitete es vor dem Feuer aus, um es genauer betrachten zu können. Der fremde Stoff war groß genug, um ein komplettes Gewand daraus zu schneidern. Er fühlte sich leicht rau, aber sehr angenehm und unvergleichlich robust an. Gedankenverloren strich Izayoi über das Gewebe, so einen seltsamen Stoff hatte sie noch nie gesehen.
 

"Ah, du bist wach!"

Erschreckt fuhr die junge Frau herum und sah wie sich jemand durch den felsspaltartigen Höhleneingang zwängte. Dieser Jemand war Izayoi einerseits so vertraut und erschreckte sie andererseits so sehr, dass sie vor Freude und Schrecken beinahe erneut in Ohnmacht gefallen wäre. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an und brachte keinen Ton heraus.

Goldfarbene, leicht belustigt schimmernde Augen blickten zurück.

"Sehe ich so furchterregend aus, dass du mich nicht einmal ansehen kannst ohne gleich in Ohnmacht zu fallen? Eigentlich war ich bisher überzeugt meine menschliche Form wäre relativ passabel." Lächelnd kam Inu Taisho auf Izayoi zu und reichte ihr einen frisch getöteten, weißen Hasen: "Ich dachte mir, du könntest vielleicht eine Stärkung gebrauchen. Zubereiten müsstest du das Fleisch allerdings selbst. Mit menschlichen Koch- und Essgewohnheiten kenne ich mich nur wenig aus."

Izayoi erwachte aus ihrer Erstarrung, nahm hölzern den dargebotenen Hasen entgegen und drehte sich wieder zum Feuer um. Dabei bemerkte sie, dass der fremde, rote Stoff, den sie zur Betrachtung vor dem Feuer ausgebreitet hatte, an einer Ecke Flammen gefangen hatte und nun munter vor sich hin brannte. Mit einem Schreckensschrei zog Izayoi den Stoff hastig vom Feuer weg und trampelte wild um sich schlagend darauf herum bis sie die Flammen erstickt hatte. Mit beschämt zu Boden gerichteten Blick hob sie dann das Gewebe auf und hielt es Inu Taisho hin.

"Verzeih mir meine Tollpatschigkeit", brachte sie flüsternd heraus, "ich wollte dein Eigentum nicht zerstören."

"Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", antwortete der Dämonenfürst ihr, "es ist ja nichts passiert."

Izayoi sah auf und erkannte verblüfft, dass der Stoff, den Inu Taisho nun sorgfältig zusammen faltete, nicht die geringste angesenkte Stelle und nicht einmal einen Rußfleck aufwies.

"Was ist denn das für ein seltsamer Stoff", fragte sie erstaunt, "macht Feuer dem gar nichts aus?"

"Nein. Er ist aus Feuerrattenhaar", erwiderte Inu Taisho und steckte das zusammengefaltete Gewebe unter seinen Brustpanzer.

"Feuerratten? Davon habe ich noch nie gehört."

Inu Taisho lächelte wieder: "Sei froh. Feuerratten sind keine angenehmen Zeitgenossen, sie sind eine äußerst lästige, dämonische Plage. Das letzte Mal, als ich mir diese parasitären Biester ungewollt ins Haus geholt habe, hätten mein Schloss und meine Nerven das fast nicht überlebt. Doch zumindest gibt ihr Fell einen wunderbaren, feuerfesten und perfekt schützenden Stoff ab."
 

Izayoi setzte sich ans Feuer und zog wärmesuchend ihre Umhänge um sich.

"Ich erinnere mich an dein Schloss", sagte sie schließlich zögerlich, " du hast mich als Kind einst dorthin gebracht. Lange Zeit dachte ich, dass das alles nur ein Traum gewesen sei."

"Vielleicht hätte es ein Traum bleiben sollen", meinte Inu Taisho und setzte sich ihr gegenüber, "die Welten von Menschen und Dämonen sollten sich möglichst wenig berühren."

"Warum bist du dann wieder gekommen und warum kümmerst du dich um mich?"

Die Augen des Dämonen funkelten vergnügt im Feuerschein. "Wäre es dir lieber gewesen, ich hätte dich wunschgemäß, nachdem du mich ein letztes Mal gesehen hast, im Schnee erfrieren lassen?"

Blitzartig fielen Izayoi ihre letzten, vor sich hin geflüsterten Worte ein, die sie ausgesprochen hatte bevor sie den Dämonenfürsten im Schneesturm gesehen hatte und ohnmächtig geworden war: ...ich wollte sterben dafür, um ihn nur ein einziges Mal wieder sehen zu können... Eine sanfte Röte überzog Izayois Gesicht. Hatte er ihre Worte etwa gehört und spielte nun darauf an? Wie hatte er das bloß mitbekommen können, hatte er sie etwa schon länger vorher beobachtet und belauscht?

"Sind alle Dämonen eigentlich so fürsorglich?" fragte sie und versuchte vergeblich ihre Verlegenheit zu unterdrücken.

Inu Taisho lachte kurz: "Nein, ganz bestimmt nicht."

"Da kann ich ja froh sein ausgerechnet dich getroffen zu haben."

Der Dämonenfürst lachte wieder: "Ja, wahrscheinlich kannst du das."

Betreten sah Izayoi ins Feuer. Offensichtlich stellte sie eine gelungene Belustigung dar und besaß ein ungeahntes Talent sich zu blamieren. Weshalb machte seine Anwesenheit sie auch so nervös, dass sie nicht mehr klar denken konnte?
 

"Willst du nicht etwas essen?"

Bei seiner Frage fiel Izayoi wieder der Hase ein, den er ihr mitgebracht hatte und den sie immer noch unbewusst umklammerte.

"Ähm... ich habe kein Messer, um das Tier zu zerlegen und zu braten..."

"Oh, entschuldige, an so etwas habe ich gar nicht gedacht. Warte, ich helfe dir." Inu Taisho kam zu ihr, nahm ihr den Hasen ab und setzte sich direkt neben sie. Izayoi schrak zusammen, als er mit einem Ruck dem Tier das Fell abzog und es darauf blutspritzend mit bloßen Händen zerlegte. Entsetzt beobachtete das Mädchen seine Krallen bei dem blutigen Werk.

"Du bist wirklich ein Dämon..." hauchte sie.
 

Inu Taisho sah hoch, blickte verdutzt in ihr erschrockenes Gesicht und sah dann verstehend auf seine blutigen Finger.

"Verzeihung", murmelte er, "ich wollte dich nicht erschrecken..."

Hastig und ungewohnt verlegen stand er auf und ging aus der Höhle, um sich seine blutverschmierten Hände im Schnee zu reinigen. Gute Güte, dachte er dabei, ich bringe es noch fertig und erschrecke das Mädchen zu Tode. Doch warum kümmerte ihn das eigentlich? Warum wollte er verhindern, dass sie sich vor ihm ängstigte? Er wollte doch sowieso nichts mit ihr zu tun haben. Oder etwa doch?
 

Izayoi war nicht weniger verunsichert als der Dämonenfürst. Ich verhalte mich wie eine Närrin, dachte sie verärgert, ich werde ihn noch beleidigen, wenn ich mich so offensichtlich als Zimperliese aufführe und vor seinem für ihn natürlichen Benehmen zurückschrecke. Er wollte mir schließlich doch nur helfen.

Nachdenklich nahm sich Izayoi ein Stückchen des blutigen, zerlegten Fleisches und spießte es auf einen neben dem Feuer liegenden Holzstecken. Inu Taisho kam zurück und setzte sich wieder neben sie. Wort- und bewegungslos sah er ihr beim Braten und Essen des Fleischs zu.
 

"Magst du auch etwas davon essen?" fragte Izayoi nach einer Weile.

"Danke nein. Ich brauche nichts."

"Müssen Dämonen nichts essen?"

"Das kommt auf den Dämon an. Ich persönlich benötige nicht viel. Aber andere Dämonen haben einen sehr ausgeprägten Appetit."

"Was essen Dämonen? Mögen sie auch von Menschen zubereitete Nahrung?"

"Das ist sehr unterschiedlich. Viele lehnen von Menschen zubereitetes Essen ab, einige essen es dagegen sehr gern. Mein Sohn zum Beispiel behauptet immer wieder Menschennahrung nicht zu mögen. Als er aber noch ein Kind war, habe ich ihn öfters erwischt, wenn er frisch gebackenen Honigkuchen aus Menschendörfern gemopst hat. Ich weiß nicht, vielleicht hat er diese heimliche Schwäche für diesen süßen Kuchen sogar immer noch."

Belustigt sah Izayoi auf. Ein Dämon mit einer heimlichen Schwäche auf Kuchen? Das war eine witzige Vorstellung. Dann kam ihr jedoch ein neuer, weitaus weniger vergnüglicher Gedanke.

"Essen Dämonen auch... isst du auch Menschenfleisch?"

Inu Taisho verzog leicht angewidert das Gesicht: "An dieser von einigen Dämonen gern praktizierten Angewohnheit habe ich bisher keinen Gefallen gefunden. Obwohl..." Grinsend musterte der Dämonenfürst Izayois Gesicht: "...wenn ich dich so anschaue, könnte ich vielleicht noch auf den Geschmack kommen. Viele meiner Art würden sich sämtliche Finger nach so einer Köstlichkeit ablecken."

Beschämt wandte Izayoi sich ab und fingerte einen roten Fächer aus ihrem Gewand hervor, mit dem sie nervös herumspielte.

"Sehr galant bist du nicht gerade", sagte sie und versuchte möglichst hochmütig zu klingen, "wenn du mich hübsch findest, hättest du das auch netter sagen können."

Innerlich ziemlich fröhlich ging Inu Taisho frech auf ihr Spiel ein: "Dachtest du etwa ich wollte ein Kompliment auf deine Schönheit machen?"

Izayois mühsam errichteter Stolz brach in sich zusammen und verwandelte sich in deutliche Enttäuschung: "Du... du findest mich gar nicht hübsch?"

Irrte Inu Taisho sich oder glitzerte da eine verräterische Träne in ihren Augenwinkeln?

"Im Gegenteil", beeilte er sich zu sagen, "ich finde dich sogar sehr hübsch."

Ihr daraufhin freudig lächelndes Gesicht machte ihn glücklich. Warum, konnte er sich allerdings nicht erklären.
 

"Darf ich dich noch etwas fragen?"

"Aber bitte sehr", lächelte Inu Taisho.

"Ähm, du hast doch einen Sohn..."

"Ja, und?"

"Also... ich habe mich nur gefragt... ich würde nur gerne wissen... dein Sohn, äh... ist der auf normale Art und Weise auf die Welt gekommen?"

"Auf normale Art und...", völlig verwundert sah Inu Taisho sie an, "was meinst du damit?"

"Äh, nun..." Izayoi wurde immer verlegener. Die purpurne Röte auf ihren Wangen, die dem Dämonenfürsten so gefiel, wurde immer intensiver. Schließlich fuhr sie drucksend weiter fort: "Ich weiß ja, dass Dämonen auch anders entstehen können, z.B. durch irgendwelche Geschehnisse oder durch Energieansammlungen, die durch bestimmte intensive Gefühle entstanden sind... manche Dämonen können auch Abkömmlinge abspalten, nicht wahr? Das habe ich jedenfalls gehört... aber bei uns Menschen gibt es ja nur eine Art und Weise wie wir geboren werden können... und ich wollte wissen, ob Dämonen auch auf diese Weise...äh..."

Inu Taisho starrte sie noch eine Weile perplex an, dann begann er lauthals zu lachen.

"Ich wusste ja, dass du mich jetzt auslachst..." murmelte Izayoi leise. Ihr schamroter Kopf ähnelte farblich mittlerweile auffallend dem roten Fächer in ihrem Schoß.

Inu Taisho verschluckte sich an seinem immer unbeherrschbareren Lachen und hustete schließlich, um wieder zu Atem zu kommen. Es dauerte eine kleine Weile bis er endlich wieder sprechen konnte. So gelacht hatte er schon lange nicht mehr, wirklich, diese Frau war einfach wunderbar.

"Entschuldige", brachte er schließlich heraus, "ich wollte dich nicht auslachen oder beschämen. Es ist eigentlich auch nichts albern oder lächerlich an deiner Frage, es ist nur... Na, auf jeden Fall, um deine Frage zu beantworten: mein Sohn ist auf normale Art und Weise, wie du es ausgedrückt hast, auf die Welt gekommen, wie ich übrigens auch. Dämonen können auch auf eine sehr menschenähnliche Art und Weise geboren werden. Und ja, bevor du mich fragst, wir besitzen dafür auch dieselben nötigen körperlichen Einrichtungen. Und sie sehen auch genauso aus und funktionieren auch auf dieselbe Art und Weise wie bei euch Menschen. Jedenfalls bei den Dämonen, die eine menschliche Gestalt haben und das so wollen."
 

Izayoi schlug ihren Fächer auf und verbarg dahinter halb ihr Gesicht.

Warum musste sie auch nur ständig irgendwelche komischen Fragen stellen? Und wieso musste sie auch immer gleich erröten, das war wirklich eine lästige Eigenschaft. Doch noch schlimmer war eigentlich ihre Neugierde, die jetzt noch mehr Futter bekam und längst nicht zufrieden gestellt war. Schade, dass es Winter und so kalt ist, dachte sie, ansonsten würde er vielleicht nicht dieses mantelartige Fell tragen und seine Rüstung auch nicht und vielleicht weniger bedeckte Kleidung und... Himmel, was dachte sie denn jetzt schon wieder?

"Es braucht dir nicht peinlich sein", sagte Inu Taisho amüsiert und Izayoi schrak hoch. Was hatte er gesagt? Ahnte er, woran sie dachte? Konnten Dämonen Gedanken lesen?

"Ich kann sowieso nicht verstehen, warum Menschen immer ein solches Getue um ihre Fortpflanzung machen", sprach Inu Taisho fröhlich weiter. "Es ist doch ein ganz natürlicher Teil des Lebens. Tiere denken sich doch auch nichts weiter dabei."

Jetzt reichte es wirklich. Jetzt hatte er sich wirklich genug auf ihre Kosten belustigt.

"Wir Menschen sind eben keine solch tierischen Wesen wie ihr. Und wir leben unsere Triebe nicht einfach aus. Wir... wir machen das eben mehr... mit mehr Gefühl und...äh, Respekt! Ich bin schließlich keine läufige Hündin!"

"Solltest es mal ausprobieren", kicherte Inu Taisho, "ist eigentlich ganz angenehm... Und viele Menschen, die ich so beobachtet habe, sind auch nicht weniger hemmungslos übereinander hergefallen."

"Also, wenn du wie ein wildgewordener Hund über die hergefallen bist, mit der du deinen Sohn gezeugt hast, möchte ich lieber nicht mit ihr tauschen. Für mich gehört da schon etwas mehr als ein pures Lustgefühl dazu."
 

Schlagartig war es still.

Izayoi ließ ihren Fächer sinken und sah den Dämonenfürsten erschrocken an. Sein gerade noch so fröhliches Gesicht hatte sich völlig verändert. Sein Lächeln war gefroren, seine Haltung war leicht erstarrt und seine zuvor warmen Augen waren plötzlich eiskalt und steinhart. Und noch etwas sprach aus seinem Blick, das Izayoi zunächst nicht ganz deuten konnte. Erst allmählich begriff sie, was es war, und erschrak noch mehr. Es war Schmerz.

"Habe ich etwas Falsches gesagt? Ich... ich wollte dich nicht beleidigen."

Inu Taisho regte sich wieder und etwas wie ein leises Stöhnen kam aus seiner Kehle. Er schloss ganz kurz, wie für einen Wimpernschlag, die Augen. Als er Izayoi wieder ansah, war sein Blick wieder warm und freundlich.

"Du hast nichts Falsches gesagt, ich weiß, dass du nur scherzen wolltest. Ich habe mich dabei nur an etwas erinnert, das..."

"Sie ist tot, nicht wahr?"

"Was?"

Izayoi lächelte sanft. Ihre Augen glänzten liebevoll und mild. Ihr Anblick war einfach unbeschreiblich schön und schenkte Inu Taisho eine Wärme, die wunderbarer war als alles, das er kannte.

"Die Mutter deines Sohnes...", fuhr Izayoi ruhig und verständnisvoll fort, "du hast sie verloren. Und du trauerst immer noch um sie, denn du hast sie geliebt."

"Es ist sehr lange her", sagte Inu Taisho gedämpft, "es hat keine Bedeutung mehr. Es ist nicht wie bei euch Menschen. Dämonen lieben und weinen nicht. Wir können nicht trauern."

Izayoi lächelte erneut und sagte nichts. Auch Inu Taisho schwieg. Mit leicht melancholischem Ausdruck sah er aus dem Höhleneingang in das Schneetreiben hinaus.
 

Menschen und Dämonen sind sich gar nicht so unähnlich, dachte Izayoi schmunzelnd und rückte ein wenig näher an das wärmende Feuer und den in Gedanken versunkenen Dämonen neben sich heran. Dämonen sind uns sogar sehr ähnlich. Genau wie wir Menschen machen sie sich selbst oft etwas vor und sie sind innerlich genauso verletzlich wie wir.
 

"Ich muss gehen."

Plötzlich stand Inu Taisho auf und ging zum Höhleneingang. Erschreckt stand Izayoi ebenfalls auf und eilte ihm nach. "Wenn ich dich verärgert oder verletzt haben sollte, tut es mir leid", rief sie.

"Es ist nicht wegen dir", sagte Inu Taisho und drehte sich noch einmal zu ihr um, "draußen wartet jemand auf mich. Du bleibst besser hier bis der Schneesturm abflaut und kehrst danach in deine Heimatstadt zurück. Das Schloss deines Vaters ist nicht weit, es liegt direkt unterhalb dieses Hangs. Wenn das Wetter aufklart, wirst du es sehen können."

"Du weißt, wo ich wohne und wer mein Vater ist?" Verblüfft sah Izayoi den Dämonenfürsten an. Dann stahl sich ein kleines, wissendes Lächeln auf ihr Gesicht. "Sind Dämonen allwissend oder hast du mich längere Zeit beobachtet?"

Inu Taisho schwieg. Durchdringend und ein wenig flehentlich sah die junge Frau in seine goldenen Augen. "Werde ich dich wiedersehen?" flüsterte sie leise.

"Warum solltest du das wollen und warum sollte ich das wollen?" wiederholte Inu Taisho ebenso leise seine Worte von ihrer letzten Begegnung vor zwei Monaten.

"Ich weiß nicht", murmelte Izayoi, "doch ich werde auf dich warten... und vielleicht wirst du wiederkommen."

Der Dämonenfürst sah sie noch eine längere Weile an. "Vielleicht werde ich wiederkommen", sagte er schließlich und wandte sich dann ab. Er verließ die Höhle und verschwand augenblicklich im dichten Schneetreiben.
 

Izayoi blickte ihm nach und streckte sehnsuchtsvoll ihren Arm aus dem Höhleneingang in den eisigen Wind. Hauchfeine Schneekristalle, wundervoll glitzernde Wunderwerke des Winterhimmels, schmolzen in ihrer Hand. Sie ähnelten den Tränen, die unwillkürlich ihre Wangen herabrannen.
 

* * * * *
 

"Ich werde auf dich warten..." Diese Worte hallten in Inu Taishos Gedanken, als er dem verwischten Geruch einer vertrauten Witterung folgte.

Flink sprang der Dämonenfürst einen schneebedeckten Hang hinauf und landete schließlich elegant auf einem kleinen Felsvorsprung. Dahinter, im Schutze eines mittelgroßen, immergrünen und tief verschneiten Baums stand eine Gestalt und erwartete ihn.

"Sesshomaru", sagte Inu Taisho, "suchst du nach mir? Was willst du hier?"

"Ich habe die Spur einiger ungebetener Gäste verfolgt", antwortete der Angesprochene kühl, "Irgendwelche fremden Dämonen waren so dreist und meinten wohl sie könnten den Schneesturm ausnützen, um unbemerkt über die Grenzen zu schleichen. Ich dachte, du wärest auch wegen ihnen hier, Chichi-ue, ist dem nicht so?"

"Nein", erwiderte sein Vater wahrheitsgemäß und runzelte geistesabwesend die Stirn, "ich habe bisher keine mir unbekannten oder bedrohlichen dämonischen Energien bemerkt."
 

Sesshomaru trat unter dem Baum heraus, ging einige Schritte auf seinen Vater zu und musterte ihn kurz. Prüfend sog er kaum merklich etwas Luft ein.

"Du hast eine Menschenfrau getroffen", stellte er daraufhin mit undeutbarer Stimme fest.

"Das stimmt. Ich habe einem Menschenmädchen geholfen und es zum Schutz vor dem Schneesturm in eine Höhle gebracht."

"Der Geruch dieses Mädchens, der dir anhaftet...", fuhr Sesshomaru langsam fort, "auch wenn ich ihn nicht so recht zuordnen kann, ich kenne diesen Duft irgendwoher..."

"Mag sein. Stört dich etwas daran?"

"Du bist in letzter Zeit häufig in den westlichen Bergen, Chichi-ue..."

"So tatsächlich, bin ich das?" meinte Inu Taisho und wurde zunehmend ungehalten: "Interessant, dass dies dir aufgefallen ist. Geht mein Sohn neuerdings der unehrenhaften Tätigkeit als Spion nach? Bist du vielleicht der Meinung es gäbe einen Grund mich überwachen zu müssen? Ich würde mal sagen, als Herr der westlichen Lande habe ich es nicht nötig mich für mein Verhalten zu rechtfertigen."
 

Schweigend sah Sesshomaru zur Seite. "Vielleicht sollten wir uns lieber um die unbekannten Eindringlinge kümmern, denen ich gefolgt bin", bemerkte er dann leise nach einer Weile, "ich glaube, bevor ich ihre Spur verloren habe sind sie bei einem nahegelegenen Felsplateau verschwunden."

"Gut", erwiderte Inu Taisho, "so folgen wir ihnen dorthin. Sollten sich wirklich Dämonen mit feindlichen Absichten unerlaubt in mein Gebiet eingeschlichen haben, bin ich neugierig, wer solch eine Dreistigkeit besitzen könnte."
 


 

Soweit das achte Kapitel.

Kleine Bemerkung zu dem köstlichen Essen, das Inu Taisho für Izayoi erlegt hat: auch in Japan gibt es Hasen! Ob dort allerdings auch der bei uns heimische Europäische Feldhase lebt, weiß ich nicht genau, bezweifle es aber (so weit geht dessen Verbreitungsgebiet wahrscheinlich nicht). Inu Taisho hat wohl eher den in Japan verbreiteten Kurzschwanz- oder Japanischen Hasen (Lepus brachyurus) erwischt. Dessen Fell verfärbt sich in den nördlichen Regionen im Winter weiß (wie beim Schneehasen). Nur so bisschen Zoologie am Rande, falls es euch interessiert... schmecken tut das Tier wahrscheinlich genauso... *kicher*.

Gefiel euch das Wiedersehen bzw. die Unterhaltung zwischen Izayoi und Inu Taisho? Ich habe mich sehr bemüht das Ganze möglichst realistisch, nett und niedlich bzw. amüsant aufzubauen. Hoffentlich ist es jetzt nicht zu langatmig geworden, aber ein bisschen Zeit müsst ihr den beiden ja schon lassen. Ich denke mal, dass deren Beziehung schließlich keine Hals-über-Kopf-Expressaffäre war, oder? *grins*

Kritik/Lob/Anregungen wären wieder wunderbar!

Geheimnisse der Finsternis

Hier bin ich wieder mit dem nächsten Kapitel meiner FF Nummer 2. Freut mich, dass euch die Liebesszenerie in Kapitel 8 zwischen Inu Taisho und Izayoi gefallen hat. Habt Dank für eure Kommentare.

Nun geht es etwas weniger liebevoll weiter, denn es wird langsam wieder dramatisch. Zwei neugierige Wolfsdämonen treffen auf ein paar unangenehme Dämonen und bringen sich damit in eine brenzlige Lage. Auch Inu Taisho und Sesshomaru folgen der Spur dieser mysteriösen Dämonen und stöbern sie in ihrem bisher geschickt verborgenen Versteck auf. Und das ist nicht die einzige geheimnisvolle Entdeckung, die auf sie wartet...

Enjoy reading!
 


 

In den weit ausgedehnten Bergen des Westens waren nicht nur der Dämonenfürst dieses Landes und sein Sohn unterwegs. Auch zwei zerzaust aussehende Wolfsdämonen mit eisverkrusteten Haaren und Fellen ließen sich durch den stürmischen Wind und Schnee nicht von einer Wanderung entlang eines zerklüfteten Höhenrückens abhalten. Wobei einer von ihnen von diesem Kampf gegen das Schneetreiben mittlerweile überhaupt nicht mehr begeistert war.

"Verdammt noch mal, Ginta", schimpfte er und verschluckte sich dabei am Schnee, den der Wind ihm ins Gesicht trieb: "Ich sag es dir jetzt nur noch einmal. Wenn du nicht sofort umdrehst und mit mir zusammen nach Hause in unsere Höhlen zurückkehrst, bist du mein Freund gewesen! Was soll dieser Blödsinn noch? GINTA !!!"

Der vorangehende Wolfsdämon ignorierte das Gebrüll seines Begleiters und stapfte unbeirrt weiter den Höhenrücken zu einem Felsplateau hinauf. Weder Kälte, Wind noch Müdigkeit vermochten ihn zu bremsen. Ihn trieb etwas voran, gegen das er einfach nicht ankam: seine Neugierde.
 

Die Neugierde war eine Schwäche Gintas, gegen die niemand, nicht einmal er selbst, etwas ausrichten konnte. Zu gern steckte er seine Nase immer wieder in Dinge, die ihn nichts angingen. Eine Tatsache, die ihn schon ab und zu in Schwierigkeiten gebracht hatte. Glücklicherweise war seine Angst meist genauso groß wie seine Neugier und verhinderte so oft das Schlimmste. Doch manchmal reichte diese Furcht nicht aus, um den jungen Wolfsdämonen zu zügeln.
 

Vor etwa einer Stunde hatten Ginta und Haggaku bei ihrer bisher vergeblichen Suche nach ihrem vermissten Freund Koga eine seltsame Witterung in die Nase bekommen. Der Geruch war eindeutig dämonischen Ursprungs und erinnerte an Puder, Meerwasser und Vogelfedern. Es war ein Geruch, der den beiden jungen Wolfsdämonen völlig unbekannt war und hatte schließlich Gintas unbezähmbare Neugierde geweckt. Seitdem folgte er der geheimnisvollen Fährte, die von einem hochgelegenen Felsplateau herabwehte.

Haggaku konnte seinen Freund davon nicht abbringen und musste resignierend einsehen, dass dieses Mal die Neugierde stärker als Gintas Ängstlichkeit war. Fluchend folgte er ihm. Die spontane Idee seinem Kumpan einfach eine über die Rübe zu ziehen und ihn nach Hause zu schleppen, verwarf er wieder. Haggaku hatte keine Lust seinen Freund meilenweit durch den Schneesturm zu tragen. Allein zurücklassen wollte er ihn auch nicht, denn kein Wolf ließ ein Rudelmitglied im Stich. Er ahnte jedoch, dass er das bereuen würde.
 

Eine weitere Stunde später erreichten die Wolfsdämonen endlich das Plateau, zu dem der mysteriöse Geruch führte, und sahen sich um. Doch es war nichts zu entdecken. Nur ein paar kahle Bäume und einige verstreute Felsen ragten aus dem Schnee.

Richtung Südosten fiel das langgestreckte Felsplateau steil ab und hätte sicher einen großartigen Rundblick über die Berge und das zu deren Füßen liegende Land gewährt, wäre nicht der alles vernebelnde Schneesturm gewesen, der jede Weitsicht unmöglich machte. In die andere Richtung begrenzte ein mit dornigem Gestrüpp überwucherter und tief verschneiter Hang die weitgehend leere und unverdächtige Fläche der Felsebene.

"So, und was jetzt?" fragte Haggaku genervt seinen Kumpan: "Hier ist eindeutig nix und es geht auch nirgendwo weiter. Willst du also noch länger irgendwelchen komischen Gerüchen hinterher stapfen? Ich dachte, wir wollten Koga suchen. Alles andere braucht uns doch nicht zu interessieren!"

Schnuppernd umrundete Ginta das Plateau und inspizierte letztendlich neugierig den Hangfuß des Steilhangs westlich davon. Aufmerksam durchsuchte er die dort wachsenden Büsche.

"Da ist doch irgendwas...", murmelte er vor sich hin, "ich spüre es genau... Wenn ich doch nur wüsste, woher genau dies...Uuuaaaah!"

"Hey, Ginta, wo bist du, ist dir was passiert?" Erschrocken lief Haggaku zu einigen Büschen am Hangfuß, zwischen denen Ginta plötzlich aufschreiend verschwunden war. Zwischen den dichten Sträuchern entdeckte er einen gut versteckten, breiten Spalt im Boden, der leicht schräg, ähnlich einer Rutsche, nach unten in die Tiefe führte.

"Ginta?" Ängstlich kniete sich Haggaku am Rand des Spaltes nieder und sah vorsichtig hinab.

"Schnell, komm runter", antwortete ihm die aufgeregte Stimme Gintas von unten, "hier führt ein unterirdisches Gangsystem tief in den Berg. Da sind lauter Höhlen. Und ich glaub, hier hat sich jemand versteckt!"

"Äh... Ginta..." Haggaku wurde zunehmend nervös. "Vielleicht wäre es besser, wenn wir hier schnell verschwinden. Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist, wenn wir... Ginta???"

Das gibt es doch nicht, dachte Haggaku entsetzt, der Kerl geht einfach weiter da rein. Ist der jetzt völlig durchgedreht? Na warte, jetzt kann er aber was erleben...
 

Wütend sprang Haggaku den Spalt hinab und folgte seinem Freund in das geheimnisvolle, dunkle Höhlensystem. Seine geschärften Wolfssinne halfen ihm Ginta schnell wieder zu finden.

"Sag mal, spinnst du, wie kannst du..."

"Psst!" Hastig hielt Ginta seinem zornigen Kumpel den Mund zu.

Nun hörte Haggaku es auch: mehrere wispernde, leicht krächzende Stimmen, die nicht weit entfernt aus einer größeren, felsendomartigen Höhle drangen.

Vorsichtig folgten die Wolfsdämonen den Lauten, schlichen leise näher und versteckten sich hinter einem riesigen Tropfsteingebilde, von wo aus sie in die Höhle spähten.

Ein schwaches, eigenartiges Licht erfüllte die Höhle. Es ging von einer merkwürdigen, winzigen Kugel aus, die in der Mitte des unterirdischen Raums am steinigen Boden lag und teils rosefarben, teils fast schwärzlich schimmerte. Um diese murmelartige Kugel herum hockten vier, relativ große Dämonen mit einem rundlichen, gefiederten Unterleib und einem zahnbewehrten Maul inklusive bösartig dreinschauender Augen auf dem Bauch. Der Oberleib dieser Dämonen war menschenartig. Als Füße besaßen sie große, scharfe Vogelkrallen. Sie unterhielten sich leise schnarrend und redeten offenkundig über die seltsame, leuchtende Murmel auf der Erde.

"Ich sehe nicht ein, warum wir dieses Ding Bundori und Ryokossei überlassen sollen", sagte einer der Monstervögel gerade, "wir haben viele Opfer bringen müssen, um es endlich in die Hände zu bekommen. Und jetzt sollen wir es einfach so den Drachen geben? Warum benutzen wir es nicht selbst, vergessen diesen blöden Pakt und jagen die Drachen in die Hölle? War eh eine bescheuerte Idee sich mit denen gegen Inu Taisho und die Wölfe zu verbünden."

"Idiot", erwiderte ein anderer der Vogeldämonen, "dieses Ding ist stark verunreinigt. Es unwissentlich zu benutzen, ist gefährlich. Der letzte Dämon, der es besaß, ist total wahnsinnig geworden. Außerdem sind die Drachen sehr stark. Wenn wir sie verraten und hintergehen, kann das böse enden."

"Dann sollen diese dämlichen Drachen gefälligst endlich was tun", meinte der erste Dämon wieder: "Ich habe keine Lust mehr mich noch länger hier zu verkriechen und weiterhin jahrelang auf die Erfüllung von deren Plänen zu warten. Immer dürfen wir nur die Drecksarbeit für die erledigen. Es war schon scheußlich und lästig genug damals diese stinkigen Wolfsköter abzumurksen und Hundespuren vorzutäuschen, um einen Krieg zwischen Hunden und Wölfen anzufachen. Und alles war bisher sowieso umsonst. Das mit dem Krieg hat zwar geklappt, aber Inu Taisho hat die Wölfe schließlich spielend fertig gemacht und jetzt herrscht seit Wochen wieder Friede, Freude, Eierkuchen zwischen Hund und Wolf. Diese intriganten Spielchen Ryokosseis sind allesamt für die Katz!"

"Keine Sorge", lachte ein dritter der dämonischen Vögel daraufhin höhnisch, "das nächste Mal wird Lord Bundori dem Hundefürsten richtig weh tun. Soweit ich weiß, haben er und sein Bruder einen feinen und mörderischen Plan wie sie Inu Taisho in die Falle lock..."
 

Eine unauffällige Handbewegung des vierten Monstervogels unterbrach das Gespräch abrupt.

Ginta und Haggaku, die atemlos der Unterhaltung gelauscht hatten, sahen sich schreckerfüllt an. Waren sie etwa entdeckt worden? Möglichst schnell und leise wollten sie zurück nach draußen schleichen. Doch dafür war es schon zu spät.

Kaum hatten sich die Wolfsdämonen zur Flucht umgedreht, stand ihnen plötzlich einer der monsterartigen, furchterregenden Vogeldämonen mit peitschenden Flügeln und aufgerissenem Maul gegenüber.

"Na, wen haben wir denn da?" höhnte der Vogel: "Zwei kleine, wölfische Spione, die ihrem Rudel davon gelaufen sind? Wie nett! Dann bekommen wir ja endlich mal ein bisschen Abwechslung in unser eintöniges Leben und haben zudem noch ein kostenloses Abendessen..."

Haggaku erstarrte und warf einen Seitenblick auf Ginta, der ebenfalls vor Angst versteinert war und kurz vor einer Ohnmacht stand.

Ich habe es geahnt, dachte Haggaku unglücklich, es war eine saublöde Idee Ginta zu folgen. Und ich wusste es, irgendwann treibt mich dieser neugierige, übermäßig bescheuerte Volltrottel ins Verderben...
 

* * * * *
 

Ungefähr zur selben Zeit, als Ginta und Haggaku begannen sich ernsthafte Sorgen um ihre Zukunft zu machen, erreichten Inu Taisho und Sesshomaru ebenfalls das Felsplateau, das die Wolfsdämonen zuvor in die Höhlen und in Lebensgefahr geführt hatte. Der Dämonenfürst und sein Sohn hatten ebenfalls den seltsamen Geruch entdeckt, der von dem Plateau kam und waren ihm gefolgt. Auch die hinterlassenen Spuren der Wolfsdämonen blieben ihnen natürlich nicht verborgen.

"Offensichtlich waren zwei von Chugos Wölfen ebenso neugierig wie ich", kommentierte Inu Taisho nachdenklich die wölfische Fährte: "Ich frage mich, was zwei Wolfsdämonen ursprünglich hierher getrieben haben könnte. Sie haben sich auffallend weit von ihren heimatlichen Höhlen entfernt. Auf der Jagd waren sie sicher nicht."
 

Sesshomaru trat an die Seite seines Vaters und prüfte die Luft. Den Geruch von Wölfen erkannte er sofort, doch der weitere Geruch, den er am Plateau wahrnehmen konnte, war ihm unbekannt. Bemüht nicht zu unhöflich oder zu neugierig zu wirken, sah er Inu Taisho schweigend an.

"Paradiesvögel", beantwortete der Dämonenfürst die unausgesprochene Frage seines Sohnes: "Normalerweise leben Gokuraku auf einigen Inseln weit im Osten, nahe des Drachenreichs. Ich habe schon sehr lange keinen dieser Dämonenvögel mehr gesehen. Doch nun haben sich hier offensichtlich einige eingenistet. Merkwürdig, dass wir sie erst jetzt entdeckt haben. Sie müssen hier schon länger leben und einen Weg gefunden haben sich geschickt vor uns zu verstecken."

"Pech für sie, dass sie nun wohl unvorsichtig geworden sind", sagte Sesshomaru dazu und knackte mit seinen Krallen.

Inu Taisho sah ihn aus den Augenwinkeln an. "Du bleibst hier", befahl er daraufhin scharf.

"WAS?! Warum..." Kaum hatte er das gesagt, biss sich Sesshomaru auf die Zunge, sah zu Boden und schluckte mühsam seine folgenden Worte herunter. Es ziemte sich nicht einen Fürsten zu kritisieren oder ihm Widerworte zu geben, am allerwenigsten, wenn dieser zudem sein Vater war.

Noch weniger gehörte es sich die Selbstbeherrschung zu verlieren, doch es fiel Sesshomaru sehr schwer seine ausdruckslose Fassade aufrecht zu halten. Warum nur hielt sein Vater ihn ständig zurück und aus allem heraus? Traute er ihm nichts zu? Oder glaubte er, Sesshomaru wäre zu schwach oder hätte sich nicht unter Kontrolle?

Es stimmte zwar, dass Sesshomaru noch immer Schwierigkeiten mit dem Umgang seiner dämonischen Energien hatte, aber er war dennoch ein ernst zu nehmender Gegner und wusste sehr gut sich und andere zu verteidigen. Außerdem war er kein Kind mehr. Warum verweigerte sein Vater ihm daher immer wieder die Ehre und Möglichkeit ihm helfen zu dürfen?

Alles im Innersten von Sesshomaru zog sich vor Wut und Trauer schmerzlich zusammen. Warum vertraute sein Vater ihm nicht... warum ließ er ihn niemals an sich heran... warum nur verweigerte ihm jede Art von wahrer Anerkennung...? Warum... was nur hatte er getan, um diese stille, heimliche und unbegreifliche Ablehnung seines Vaters zu verdienen?
 

Äußerlich ließ sich Sesshomaru nichts von seinen in ihm tobenden Gefühlen anmerken. "Wie du wünscht, Chichi-ue...", sagte er leise mit höflich gesenktem Blick.

Inu Taisho betrachtete ihn und spürte Sesshomarus Verbitterung. Augenblicklich bereute er fast seine Entscheidung. Doch er war nicht gewillt sich davon wieder abbringen zu lassen oder seine scharfen Worte zurückzunehmen. Außerdem wäre es unsinnig, sich zu zweit unnötig in Gefahr zu bringen. Noch wusste er schließlich nicht, was ihn bei den Paradiesvögeln möglicherweise erwartete.

"Verberge dein Youki", ergänzte er seine Befehle an Sesshomaru, "diese Vogeldämonen sollen uns nicht plötzlich entdecken. Warte hier auf mich und unternehme nichts, sofern nicht wirklich Gefahr droht. Falls mir etwas passieren sollte, hole zuvor einige unserer Untergebenen zu Hilfe. Ich möchte nicht, dass du einen kühnen Alleingang oder ähnliche Aktionen vollführst."

Sesshomaru nickte gehorsam, sah nicht auf und schwieg.
 

Inu Taisho wandte sich ab und ging nun den Spuren von Ginta und Haggaku im Schnee nach. Kurz darauf entdeckte er dadurch den gut verborgenen Spalt, der in das unterirdische Höhlensystem führte, das den beiden Wolfsdämonen ihre unangenehme Begegnung mit den Paradiesvögeln beschert hatte.

Lautlos glitt der Dämonenfürst in die Höhlen hinab und folgte den vogelartigen und wölfischen Gerüchen durch die dunklen Gänge, bis sich ihm ein erschreckendes Bild bot.

In einer kuppelförmigen, größeren Höhle mit mehreren riesigen Tropfsteinen lagen zwei jugendliche Wolfsdämonen am Boden. Über ihnen hockte ein monsterartiger Vogel und hielt die beiden mit seinen Krallen fest. Ein zweiter Dämonenvogel saß daneben, zerkratzte den wehrlosen Gefangenen genüsslich die Beine und entlockte seinen Opfern damit schmerzerfüllte Schreie. Zwei weitere Paradiesvögel beobachteten diese Folter hohnlachend und feuerten ihre Gefährten bei ihrem grausigen Tun an.

Dieser Anblick genügte, um Inu Taisho eine rasche Entscheidung treffen zu lassen. Blitzschnell sprang er aus dem Höhlengang in den unterirdischen Raum und tötete mit einem flinken Krallenschlag die zwei Paradiesvögel, die Ginta und Haggaku quälten. Die übrigen beiden Vogeldämonen wichen erschrocken zurück.
 

"Lord Inu Taisho! Was für eine Überraschung! Habt Ihr uns nun doch nach langer Zeit entdecken können? Wir haben Euch wohl unterschätzt und sind zu unvorsichtig beim Verwischen unserer Spuren geworden."

"In der Tat", meinte Inu Taisho knurrend, "eure Tarnung und euer Versteck war sehr gut, aber auf Dauer nicht gut genug. Was wollt ihr hier? Ich kann mich nicht erinnern einem von euch meine Erlaubnis gegeben zu haben sich hier in den westlichen Bergen anzusiedeln."

"Tut mir leid. Was wir hier machen, werdet Ihr wohl leider nie erfahren", erklärte einer der Paradiesvögel grinsend. Dann schnappte er sich plötzlich einen kleinen, kugelförmigen Gegenstand, der dunkelrosa leuchtend am Boden lag, und verschluckte ihn hastig. Weiterhin grinsend bezog er daraufhin, unterstützt von seinem Gefährten, Kampfposition.

Dieses Verhalten verwirrte Inu Taisho kurz. Er hatte die am Boden liegende, merkwürdige Murmel nicht sonderlich beachtet. Doch nun spürte er, dass auf einmal die dämonischen Kräfte des einen Paradiesvogel anzusteigen begannen. Was auch immer der Vogel da verschluckt hatte, es verstärkte seine Energien enorm und war äußerst gefährlich. Wenn der Paradiesvogel dieses Ding verdaut und absorbiert haben würde, würde es brenzlig werden.

Inu Taisho zog sein Schwert von seinem Rücken. Die Klinge vibrierte bedrohlich und schimmerte leicht violettfarben auf. Ein leises, kaum wahrnehmbares Lachen, das nur Inu Taisho hörte, ging davon aus.

Auch das noch, dachte der Dämonenfürst innerlich leicht entsetzt, Sou'ungas Geist ist wach. Hier müssen sehr bösartige Kräfte am Werk sein. Ich muss mich beeilen, ansonsten wird sich mein Schwert mit Boshaftigkeit voll saugen und versuchen einen eigenen Willen zu entwickeln. Das darf ich keinesfalls zulassen...

Ohne noch weiter zu zögern, sprang Inu Taisho rasend schnell auf seine Feinde zu. Sein Schwert flammte hell auf.
 

Ginta und Haggaku, die nach Inu Taishos Rettungsaktion zusammengekauert am Boden saßen und verblüfft zuschauten, sahen, dass die beiden Paradiesvögel in Fetzen gerissen wurden, und spürten eine unheimliche Druckwelle. Verängstigt klammerten sich die beiden Wolfsdämonen aneinander und kniffen die Augen zusammen.

"Könnt ihr mir helfen und Feuer durch eurer Youki hervorbringen?"

Haggaku riss erstaunt die Augen wieder auf und begegnete dem leicht rotschimmernden Blick von Inu Taisho. Der Dämonenfürst schien unter einer starken Anspannung zu stehen, als würde er innerlich gegen etwas ankämpfen. Sein Schwert lag fallengelassen neben ihm und glänzte in einem gruseligen, schwarzvioletten Licht.

"Äh... Feuer hervorbringen?" fragte Haggaku verdutzt. "Öhm, äh... nein, da können wir Euch leider nicht helfen. Für so was reichen unsere Kräfte nicht aus... äh, wozu braucht Ihr Feuer?"

Inu Taisho antwortete nicht. Er konzentrierte sich, ballte seine Fäuste und keuchte unwillkürlich kurz auf. Ein grell gleißendes Licht flammte rings um ihn auf und verbrannte daraufhin die eben getöteten Paradiesvögel zu Asche.

Verwundert beobachteten Ginta und Haggaku das Geschehen. Sie konnten sich nicht erklären, warum Inu Taisho die Leichen unbedingt verbrennen wollte, wagten aber nicht ihn danach zu fragen.
 

Haggaku wollte sich wenigstens irgendwie nützlich machen und sich zumindest ansatzweise für seine Lebensrettung bei Inu Taisho erkenntlich zeigen. Diensteifrig eilte er daher zu dem Schwert des Dämonenfürsten und wollte es respektvoll aufheben.

"Fass auf keinen Fall dieses Schwert an!"

Der äußerst scharf zurechtweisende Ton in Inu Taishos Stimme ließ Haggaku erstarren und zurückweichen. Der Herrscher über die westlichen Gefilde bückte sich und hob schwer keuchend und angespannt sein Schwert selbst auf. Als er die dunkel glänzende Klinge berührte, begann das geisterhafte Leuchten des Schwertes langsam schwächer zu werden und verlosch schließlich ganz.

Erleichtert aufatmend steckte Inu Taisho den Stahl in die Scheide an seinem Rücken zurück. Dann musterte er die beiden Wolfsdämonen kühl.

"Warum waren die Paradiesvögel hier?", fragte er sie, "Und warum seid ihr hier? Weshalb wollten die Gokuraku euch töten?"
 

Ginta durchlebte noch die Nachwirkungen seiner Todesangst und brachte keinen Ton heraus, deshalb übernahm Haggaku stotternd die verantwortungsvolle Aufgabe dem Dämonenfürsten zu antworten.

"Also, äh... warum die Vögel hier waren, wissen wir auch nicht so genau. Und wir, äh... wir waren zufällig hier, weil... äh, wir was gesucht haben..., äh, ich meine, wir wollten eigentlich nur mal die Gegend hier erkunden, die wir noch sehr wenig kennen... ja, und töten wollten uns diese Monster, weil sie meinten, wir hätten sie belauscht..."

"Und", fragte Inu Taisho weiterhin: "habt ihr sie belauscht?"

"Naja...", fuhr Haggaku zögerlich fort, "schon, aber so alles mitgekriegt und verstanden haben wir nicht..."

"Was haben die Vögel gesagt?" unterbrach Inu Taisho ihn, seine Stimme war eisenhart.

Haggaku schluckte. Er überlegte ein wenig und sprach dann weiter: "Also, zuerst haben sie von diesem komischen Kugelding da gesprochen, das sie wohl irgendwie erbeutet haben." Mit diesen Worten deutete der Wolfsdämon auf die rosa leuchtende Murmel, die glänzend auf einem der Aschehaufen, den kläglichen Überresten der Paradiesvögel, lag.

Inu Taisho warf einen Blick auf die Kugel, ging zu ihr und hob sie auf. Stirnrunzelnd betrachtete er das glasartige Ding.

"Sprich weiter!" forderte er Haggaku auf.

"Dann haben diese Monstervögel über Euren Krieg gegen die Wölfe des Nordens geredet. Sie und auch zwei Drachen namens... äh... Bundori und Ryokossei hatten offensichtlich was damit zu tun. Diese Vogelbiester haben unsere und Fuyukos Wölfe auf dem Gewissen und wohl noch mehr geplant gehabt. Sie sagten, sie wollten nicht noch länger jahrelang warten und irgendein Pakt sei eine bescheuerte Idee gewesen und alles hätte bisher gar nix gebracht... Äh, und zum Schluss, kurz bevor wir erwischt wurden, sagte ein Vogel noch, dass der Drache namens Bundori und sein Bruder einen neuen Plan haben, der dem Hundefürsten, äh... also, Euch, richtig weh tun soll..."
 

Haggaku verstummte und sah den Dämonenfürsten vorsichtig an.

Inu Taisho schwieg, er hatte seinen Blick abgewandt und schien nachzudenken. Seinem Gesicht war keine Regung abzulesen und es war völlig uneinsichtig, woran er dachte.

Schließlich blickte der Dämonenfürst wieder zu den beiden Wolfsdämonen.

"Ihr solltet jetzt lieber nach Hause zurückkehren. Was auch immer ihr hier gesucht habt, ihr lasst eure Suche in Zukunft lieber sein. Es wäre vielleicht besser, wenn ihr euch nicht mehr in Angelegenheiten einmischt, die euch nichts angehen. Ich hoffe, ihr habt mich verstanden?!"

"Äh... natürlich", beteuerte Haggaku, "ähm... habt Ihr irgendeine Ahnung, was die Paradiesvögel und die Drachendämonen vorhaben?"

"Das werde ich schon noch herausfinden", erwiderte Inu Taisho knapp, "geht jetzt. Und danke für eure Informationen."

"Hum, wir danken Euch...", murmelte Ginta leise, "ich werde es Euch nie vergessen, dass Ihr uns unser Leben gerettet habt."

Die beiden Wolfsdämonen rieben schmerzverzerrt ihre verletzten Beine, und verließen, sich gegenseitig stützend, die Höhle. Stöhnend schleppten sie sich durch die unterirdischen Gänge und kletterten durch den spaltartigen Ausgang wieder ins Freie auf das Plateau.

Der Schneesturm hatte endlich nachgelassen und es schneite nur noch wenig.

Langsam überquerten die verwundeten Wölfe das Felsplateau und machten sich mühsam auf den Nachhauseweg. Sesshomaru, der sich wartend nahe des Höhleneingangs zwischen einigen Sträuchern verborgen hatte und sie interessiert beobachtete, bemerkten sie dabei nicht.
 

Inu Taisho blieb in den Höhlen zurück und betrachtete weiterhin regungslos das murmelartige, leuchtende Gebilde in seinen Händen.

Bundori... Ryokossei..., dachte der Dämonenfürst besorgt, ich hätte es wissen müssen... Ich hätte wissen müssen, dass die Drachendämonen ihre Finger mit im Spiel hatten. Es trägt alles ihre Handschrift. Nur Ryokossei und Bundori konnten in ihrer Grausamkeit, Machtgier und Rachelust auf die Idee kommen mich in einen Krieg mit den Wolfsdämonen zu treiben... Ich hätte mich nicht davon täuschen lassen dürfen, dass sie sich Jahrhunderte lang ruhig, friedlich und versöhnlich verhalten haben. Es ist eindeutig, dass sie mich immer noch hassen. Was haben diese zwei Ungeheuer nun vor?

Tief in seinem Innersten kroch eine furchtsame Ahnung in Inu Taisho hoch und eisige Kälte, weitaus kälter als der zur Zeit herrschende Winter, umfasste seine Seele.

Ich werde höllisch aufpassen müssen, dachte er, ich darf mir keine Blöße geben. Um mich und die Meinen zu schützen, darf ich niemals irgendeine Schwäche zeigen...
 


 

Soweit das neunte Kapitel

Na, sind jetzt einige der vielen geheimnisvollen Fragen geklärt?

Ich denke mal, ihr habt erraten, welches seltsame kugelartige Ding Inu Taisho da in den Händen der Paradiesvögel entdeckt hat, oder?! Dieses Ding müsste euch irgendwie ziemlich bekannt vorkommen... ;)) Wenn nicht, wird euch das nächste Kapitel etwas aufklären...

Tja, nun wurde auch deutlich, dass die eigentlichen Fadenzieher hinter dem Krieg zwischen Wölfen und Hunden die Drachen (mit Unterstützung der Paradiesvögel) gewesen sind... was sie wohl noch weiter vorhaben und warum sie wohl so übel auf Inu Taisho zu sprechen sind? Ich hoffe, ihr seid gespannt auf Weiteres und meine ewig ausufernde Story wird nicht zu langweilig.

Wenn etwas unklar/unverständlich oder sonst irgendwie blöd war, lasst es mich wissen. Kommentare und Anregungen sehe ich wieder sehr gern.

Trockene Tränen

Wie versprochen ging es diesmal sehr schnell und ich will euch auch nicht lange aufhalten. Lest lieber weiter.

Inu Taisho hat in den westlichen Bergen nach seinem Wiedersehen mit Izayoi noch andere, mehr oder weniger geheimnisvolle Begegnungen gehabt. Dabei hat er auch ein mysteriöses Juwel erbeutet und viel Beunruhigendes erfahren. Unglücklicherweise bleibt es nicht dabei, denn die Sorgen des Dämonenfürsten werden immer größer und schlagen immer höhere Wellen...

Enjoy reading!
 


 

Langsam, aber sicher breitete sich nach vielen Wochen mit klirrender Kälte und reichhaltigem Schneefall wieder der Frühling aus. Die harte Zeit des Winters fand im Wechsel der Jahreszeiten sein Ende.
 

Auch auf einer gebirgigen Hochebene, auf der sich ein einsames, altes Schlossgebäude vor der Welt verbarg, waren die Mächte des Frühlings deutlich zu spüren. Die Schneeschmelze in den Bergen hatte eingesetzt und hatte die Quellbäche anschwellen lassen, die von den Berghängen herab durch den stattlichen Garten des Schlosses flossen.

Vögel sangen ihre Hochzeitslieder und bauten ihre Nester. Die zahlreichen Bäume rund um die Schlossanlage trieben frisches Laub und der Frühlingswind weckte mit seinem warmen Atem die im Boden ruhenden Blumensamen aus ihrem Winterschlaf.

Huldvoll schien die Sonne auf die liebliche Szenerie und wärmte dabei das gütige Antlitz eines menschlich aussehenden Dämonen mit metallgrauem Haar, der im Garten mit Kräuterpflücken beschäftigt war. Alles wirkte ruhig und friedlich.

Doch der friedvolle Eindruck täuschte. Auf dem Schloss ging es keineswegs so friedlich zu wie es den Anschein hatte.
 

Seufzend beendete der pflanzensammelnde Dämon seine Arbeit und ging bedächtig mit seiner Ernte im Arm durch den weitläufigen Garten auf das Schloss zu. Kurz darauf erreichte er ein dem Hauptgebäude vorgelagertes Lagerhaus und betrat dort einen ordentlichen, gut durchlüfteten Raum, in dem zahllose Krüge und Kisten standen. An der Decke des Raums baumelten viele Bündel getrockneter Pflanzen und verbreiteten einen herben Kräuterduft.

"Ieyasu-sama, habt Ihr schon wieder selbst neue Kräuter gesammelt? Warum überlasst Ihr diese Arbeit nicht mir? Ihr habt doch nun wirklich Wichtigeres zu tun als das. Wartet, ich helfe Euch!"

Ein jugendlicher, teils noch sehr kindlich wirkender Hundedämon eilte auf den in der Tür stehenden Dämonen zu und nahm ihm eifrig das Kräuterbündel in seinen Armen ab. Ieyasu beobachtete lächelnd wie der junge Bursche die Kräuter zu einem Tisch schleppte und sie fachkundig zu sortieren begann.

Kein Zweifel, der kleine Schüler des Heilers machte sich, er war fleißig, wissbegierig und sehr geschickt. Das zeichnete ihn als einen ungewöhnlichen Vertreter seiner Rasse aus, denn für gewöhnlich interessierten sich Hundedämonen nur wenig für Pflanzen, Kräuterkunde oder Landwirtschaft.

Sogar der Herr aller Hunde stellte sich im Umgang mit Pflanzen reichlich ungeschickt an und auch sein Sohn verhielt sich da nicht viel besser. Schmunzelnd erinnerte sich Ieyasu an die mühevollen Schulstunden vor längerer Zeit, als er Sesshomaru das nötige Wissen über Pflanzen und deren Verwendung beibringen musste. Der damals noch sehr junge Dämon war bei diesem Unterricht manchmal fast eingeschlafen, auch wenn er sich stets brav bemüht hatte seine Langeweile zu verbergen. Die Stärken von Hundedämonen lagen eben woanders. Umso mehr schätzte Inu Taisho dafür Ieyasus bestens ausgeprägte Kenntnisse und Fähigkeiten auf diesem Gebiet.
 

"Der Lord hat nach Euch fragen lassen", durchbrach der jugendliche Schüler Ieyasus die Gedanken seines Meisters, "er ließ Euch ausrichten, dass Ihr zu ihm kommen sollt, sobald Ihr Eure heutigen Arbeiten erledigt habt."

Ieyasu nickte dankend und machte sich daraufhin sofort auf zu seinem Herrn. Auf dem Weg in die obersten Etagen des Hauptgebäudes, in dem die Räume des Dämonenfürsten lagen, überlegte der Heiler, was Inu Taisho von ihm wollen könnte.

Ob es etwas mit diesem Juwel zu tun hatte, das der Dämonenfürst vor vielen Wochen von einer seiner Reisen in den westlichen Bergen mitgebracht hatte?

Seit Inu Taisho dieses murmelartige, harmlos erscheinende Ding besaß und in dem am besten gesicherten Raum seines Schlosses verwahrte, gab es in der Heimstatt des Fürsten ständig Ärger. Immer wieder drehten vereinzelte Dämonen, die in Inu Taishos Schloss dienten, völlig durch und spielten komplett verrückt. Oder es kam immer mal wieder zu Überfallsversuchen von feindlich gesinnten, teils wahnsinnig gewordenen Dämonen. Das Juwel hatte eine unheimliche Wirkung auf Dämonen und besaß gewaltige Macht.

Ieyasu wusste nicht viel über die ursprüngliche Herkunft des Juwels, er kannte nur dessen Namen, denn es war der Gegenstand vieler Legenden: das Juwel der vier Seelen.

Auch Inu Taisho wusste zunächst nur wenig über dieses magische Ding, doch je mehr er in der darauffolgenden Zeit darüber in Erfahrung brachte, desto mehr wurde er sich einer großen Verantwortung bewusst. Er erkannte die Macht und noch mehr die Gefahr, die von dem Juwel ausging. Das Juwel der vier Seelen war eine Verkörperung und Verschmelzung von Gut und Böse, von Dunkelheit und Licht. Es konnte höchstes Glück, aber auch tiefstes Verderben bringen, und es durfte niemals in die falschen Hände fallen.

Das Schloss eines Dämons war eigentlich nicht der richtige Aufbewahrungsort für das Juwel, denn Dämonen waren Wesen der Dunkelheit und konnten es nicht rein halten. Dämonenenergie weckte die finstere, verderbende Seite des Juwels und verunreinigte es. Doch bisher hatte Inu Taisho trotz aller Anstrengungen keine alternative Aufbewahrungsmöglichkeit oder eine Person finden können, der er diesen machtvollen, magischen Gegenstand anvertrauen konnte. So blieb ihm zur Zeit nichts anderes übrig als das Juwel der vier Seelen selbst zu beschützen und vor Missbrauch zu bewahren.
 

In Gedanken versunken erreichte Ieyasu die Räumlichkeiten, die der Dämonenfürst nutzte, wenn er in seinem Schloss weilte. Vor den Gemächern Inu Taishos stieß der Heiler auf eine unruhig in den Gängen hin und her laufende Gestalt.

"Yoshio", sprach er den Ruhelosen an, "was machst du da?"

Der Angesprochene zuckte zusammen und drehte sich um.

"Äh... ähm, ich warte nur auf Sesshomaru", stotterte er nervös, "wir wollten heute zu einer Reise Richtung Osten aufbrechen, um einigen Gerüchten über Fuyuko nachzugehen."

"Fuyuko", fragte Ieyasu erstaunt, "meinst du die Wolfsprinzessin des Nordens? Ich dachte, sie und fast alle Wölfe des Nordens sind tot."

"Naja", meinte Yoshio zögernd, "offensichtlich doch nicht. Es scheint einige Augenzeugen zu geben, die schwören sie gesehen zu haben."

"Weiß der Herr schon davon?"

"Auf jeden Fall. Sesshomaru ist gerade bei ihm, um von ihm die Erlaubnis zu erhalten Nachforschungen anstellen zu dürfen. Aber irgendwie... ähm... ich fürchte, es gibt da eine kleine Meinungsverschiedenheit... Kurz nach Sesshomarus Eintreffen hat der Lord alle seine Diener fortgeschickt, die Türen fest verschließen lassen und befohlen ihn und seinen Sohn allein zu lassen..."

"Oje, nicht schon wieder...", murmelte Ieyasu leise und bedrückt.

Das war eine weitere Sache, die neben dem Juwel der vier Seelen seit einiger Zeit für Unruhe in Inu Taishos Schloss sorgte: seit dem mysteriösen, winterlichen Ausflug der beiden in den westlichen Bergen stand es mit dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn nicht zum besten.

Inu Taisho war zwar schon immer ein strenger Vater gewesen, doch neuerdings übertrieb er es mit seiner Härte und gestand dem Kronprinzen fast gar keine Freiheiten mehr zu. Er sperrte Sesshomaru regelrecht ein und zügelte ihn mit vielen Verboten und Maßregelungen. Ieyasu meinte zu spüren, dass es väterliche Sorge war, die sich hinter diesem übertrieben strengen Verhalten des Dämonenfürsten versteckte. Aber wenn dem so war, hatte Inu Taisho den falschen Weg gewählt seinen Sohn zu zähmen und zu beschützen. Denn je mehr er das freiheitsliebende Wesen seines zunehmend stärker und stolzer werdenden Sohnes zu bändigen versuchte, desto mehr rebellierte Sesshomaru, der sich beweisen wollte und Anerkennung suchte, dagegen.

Äußerlich bekamen nur wenige von dem gespannten Verhältnis zwischen Inu Taisho und Sesshomaru etwas mit, da beide ihre widerstreitenden Gefühle sehr gut verbargen und ihre familiären Konflikte selbstverständlich nur hinter verschlossenen Türen austrugen. Aber jeder, der die beiden mächtigen Hundedämonen ein wenig genauer kannte, konnte zumindest ansatzweise erahnen, dass unter ihrem ruhigen Äußeren Orkane tobten. Und es war deutlich, dass beide zutiefst unter dieser Situation litten.
 

Selbst die Mächtigsten haben ihre Schwächen und tragen ihre Bürde, dachte Ieyasu bekümmert, vielleicht haben sie es sogar am schwersten von allen. Denn je mächtiger jemand ist, desto größer ist seine Last und Verantwortung. Der Weg der Macht war der gefährlichste von allen, denn er führte am leichtesten in Dunkelheit.
 

In diesem Moment wurde die Tür, die in einen der Räume Inu Taishos führte, aufgeschoben und Sesshomaru trat heraus. Sein Gesicht und seine Haltung war ruhig und emotionslos wie immer. Aber er wirkte leicht angespannt. Er warf einen kurzen Blick auf Ieyasu und wandte sich dann an Yoshio.

"Lass uns eine Weile im Schwertkampf trainieren", sagte er zu ihm.

"Ähm... und was ist mit unserer geplanten Tour zur Ostgrenze?", fragte Yoshio vorsichtig: "Du wolltest doch..."

"Diese Tour fällt aus", unterbrach der Dämonenprinz ihn, "ich warte im Garten auf dich." Mit diesen Worten ging Sesshomaru lautlos und schnell an Yoshio und Ieyasu vorbei und war augenblicklich verschwunden.

"Tja... äh, dann geh ich auch mal...", meinte Yoshio verlegen lächelnd und eilte rasch seinem Freund hinterher.

Ieyasu dagegen näherte sich den Gemächern seines Herrn und wartete höflich an der geöffneten Tür. Weiter brauchte er sich nicht bemerkbar zu machen, denn Inu Taisho spürte seine Anwesenheit sofort.

"Komm herein!"
 

Langsam und respektvoll betrat Ieyasu den Raum. Bis auf wenige am Boden ausgelegte Reismatten war er leer. Die hölzernen Säulen- und Deckenbalken waren jedoch mit mehreren, aufwändigen Schnitzereien und kostbaren Bemalungen geschmückt. Einige sehr wertvolle und alte Rollbilder zierten die Wände. So strahlte der Raum trotz seiner Schlichtheit Reichtum und beeindruckende Macht aus. Durch eine weitere aufgeschobene Schiebetüre auf Seiten der Fensterfront drang warme Frühlingsluft herein. Goldene Sonnenstrahlen überfluteten den Boden.

Nahe des Fensters saß Inu Taisho auf einer der Matten und blickte nach draußen. Sein langer Haarschopf schimmerte blendend weiß im Sonnenlicht und glitzerte silbrig. Ehrerbietig setzte sich Ieyasu in demütig kniender Haltung ihm gegenüber.
 

"Ich benötige deine Hilfe, Ieyasu", sagte der Dämonenfürst ruhig. Immer noch sah er dabei regungslos aus dem Fenster. "Ich möchte, dass du für eine Weile meinem Haushofmeister bei der Verwaltung des Schlosses und aller dazugehörigen Aufgaben behilflich bist. Weiterhin brauche ich deine Unterstützung bei der Errichtung eines neuen Schutzzaubers. Die Barriere, die den Raum mit dem Juwel der vier Seelen abschirmt und sichert, wird schwächer und droht zusammenzubrechen. Saya, den ich bisher mit der Errichtung des Schutzbanns beauftragt habe, wird damit nicht mehr allein fertig. Er soll sich eine Weile ausruhen, damit er seine Kräfte regenerieren kann."

"Ich werde mein Möglichstes versuchen", meinte der Heiler, "ihr könnt Euch auf mich verlassen."

Inu Taisho nickte leicht und fuhr dann fort: "Falls es Probleme geben sollte, zögere nicht nach mir schicken zu lassen. Ich werde mich für eine noch ungewisse Zeit in den westlichen Bergen aufhalten. Chugo, der Leitwolf des westlichen Rudels hat um meine Hilfe bei der Überwachung der Westgrenzen gebeten. Es gibt Hinweise darauf, dass Paradiesvögel planen sein Gebiet zu überfallen."

"Wollt Ihr Euch persönlich darum kümmern?" Ieyasu konnte die Überraschung in seiner Stimme kaum verbergen. Für gewöhnlich griff Inu Taisho nur sehr selten eigenhändig in die Angelegenheiten anderer Dämonenanführer ein, sofern diese keine ernsthafte Bedrohung darstellten oder Obliegenheiten seiner Herrschaft betrafen. Zudem war Chugo dem Herrn des Westens in Rang und Machtbefugnissen weit unterlegen. Wenn der Leitwolf um Hilfe bat, erwartete er keinen persönlichen Beistand Inu Taishos, insbesondere nicht, wenn es nur um einfache Überwachungsmaßnahmen ging. So etwas erledigten normalerweise Inu Taishos Untergebene.

"Das ist eine sehr günstige Gelegenheit für mich das Verhältnis zu den Wölfen wieder zu verbessern und den Frieden zu sichern", erklärte der Dämonenfürst seinem erstaunten Diener, "außerdem möchte ich gern für den Schutz der dort ansässigen Menschen sorgen. Sie haben in der Vergangenheit genug Leid durch Dämonen erfahren."

Diese Erklärung bewies das enge Vertrauensverhältnis, das Inu Taisho seinem Heiler entgegen brachte. Denn als Fürst brauchte er sein Verhalten natürlich niemals vor einem Diener rechtfertigen. Ieyasu fühlte sich durch das so geäußerte Vertrauen seines Herrn natürlich sehr geehrt, gleichzeitig machte ihn der letzte Teil der Bemerkung aber auch stutzig.

"Verzeiht, wenn ich zu neugierig erscheine", wagte er daher einzuwerfen, "aber warum liegen Euch diese bestimmten Menschen so sehr am Herzen? Ich weiß, Ihr wisst im Gegensatz zu den meisten Dämonen die menschliche Existenz zu würdigen und zu schätzen. Doch Ihr habt den Menschen, die zu Füßen der westlichen Berge leben, in letzter Zeit oft genug auf verschiedenste Weise unauffällig geholfen. Ihr braucht Euch für sie nicht mehr verantwortlich oder schuldig zu fühlen und Ihr vermeidet doch sonst Einmischung in menschliche Belange. Warum also habt Ihr ein solch starkes Interesse an einer bestimmten Stadt?"

Das erste Mal in ihrem Gespräch wandte Inu Taisho nach dieser Frage seinen Blick vom Fenster ab und sah Ieyasu direkt an. Er schwieg und seine Augen blieben ausdruckslos.

Ieyasu bemerkte, dass er keine Antwort bekommen würde und dass er mit seiner Frage irgendetwas berührt hatte, dem er besser nicht weiter nachging. Schnell wechselte er daher das Thema.

"Meint Ihr an den Gerüchten, dass Fuyuko den Krieg überlebt habt, ist etwas Wahres dran?"

Inu Taisho sah wieder zum Fenster. "Möglich, doch solange darüber keine Gewissheit besteht, braucht uns das nicht weiter zu beschäftigen. Anderes ist zunächst wichtiger."
 

Der Dämonenfürst stand auf. Ieyasu nahm das als Aufforderung, dass die Unterhaltung beendet war, stand ebenfalls auf und wandte sich mit einer Verbeugung zum Gehen.

"Kümmere dich um Sesshomaru", bat Inu Taisho ihn plötzlich noch, "achte unauffällig auf ihn. Am besten, du findest eine interessante Aufgabe für ihn, die ihn erfreut und ablenkt."

"Ähm... gut", antwortete Ieyasu, "habt Ihr dabei an etwas Bestimmtes gedacht?"

"Lass dir etwas einfallen", erwiderte der Dämonenfürst, "Hauptsache, es interessiert ihn, macht ihn glücklich und hält ihn sicher im Schloss. Vielleicht kann Myoga dir dabei helfen, ich lasse ihn dir als Berater da."

"Äh ja... ganz wie Ihr wünscht, mein Herr."

Erneut verneigte Ieyasu sich und verließ nun endgültig den Raum. Bedächtig und grübelnd ging er eine Treppe hinab und machte sich auf die Suche nach dem Haushofmeister. Vor dem treuen Diener lag eine gewaltige Aufgabe und Ieyasu wollte das Vertrauen seines Herrn in diesen schwierigen Zeiten keinesfalls enttäuschen. Doch er war sich nicht sicher, ob er der Herausforderung gewachsen war. Die ganzen Verwaltungsaufgaben und Schutzmaßnahmen für das Juwel der vier Seelen waren kein leichtes Unterfangen und würden seine ganze Aufmerksamkeit benötigen.

Am meisten Kopfzerbrechen machte Ieyasu jedoch der allerletzte Auftrag seines Herrn. Offensichtlich hatte Inu Taisho seinem Sohn befohlen auf keinen Fall das Schloss zu verlassen. Gleichzeitig schien der Dämonenfürst jedoch zu befürchten, dass Sesshomaru zum ersten Mal in seinem Leben nicht gewillt war auf seinen Vater zu hören und ihm zu gehorchen.

"Lass dir etwas einfallen..." wiederholte Ieyasu vor sich hin murmelnd die Anweisungen des Fürsten, "...eine Aufgabe finden, die Sesshomaru erfreut und ablenkt... wundervoll... wie bei allen Göttern soll ich DAS anstellen? Und die einzige Hilfe, die ich dabei bekomme, ist ein winziger, ängstlicher Flohgeist..."

Der Diener schüttelte verzweifelt den Kopf. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er tun konnte, um das Interesse und die Begeisterung eines Fürstensohns zu gewinnen, der sich in einer Welt aus Eis verbarg.
 

* * * * *
 

Auch Yoshio hatte derweil Probleme im Umgang mit dem Sohn des Dämonenfürsten. Seine freundschaftliche Beziehung zu Sesshomaru war zwar schon immer nicht einfach gewesen, doch zur Zeit hätte er am liebsten überhaupt nichts mehr mit ihm zu tun gehabt.
 

Missmutig ging der Hundedämon in einen fensterlosen Raum im Erdgeschoss des herrschaftlichen Hauptgebäudes und öffnete eine der schweren Truhen, die dort standen. Ein leichtes Knistern in der Luft verriet, dass der Raum unter einem schützenden Bann lag, der ungewollte Eindringlinge fernhielt. Dieser Bann bereitete Yoshio allerdings keinerlei Probleme, sondern ließ ihn ungehindert durch, denn ihm war das Betreten dieses Ortes erlaubt.

Wegen der im Raum vorherrschenden Dunkelheit konnte Yoshio nur sehr wenig sehen, doch die verschiedenartigen Gerüche nach Metall halfen ihm auch ohne Augen zu finden, was er suchte.

Er hatte schon lange kein Schwert mehr in der Hand gehabt und irgendwie empfand er es fast als ein fremdartiges Gefühl. In den letzten Monaten hatte er Inu Taishos Heimstatt nicht verlassen und für das Tragen eines Schwertes hatte es daher keinen Grund gegeben. Viele Dämonen gebrauchten sowieso keine Waffen und das Schloss des Dämonenfürsten war ein sehr gut geschützter Ort. Hier grundlos mit einem Schwert an der Hüfte herumzulaufen wäre ziemlich respektlos und unhöflich. Innerhalb der Schlossmauern besaßen nur der Fürst und sein Sohn das Recht auch formell eine Waffe zu tragen.
 

Normalerweise freute sich Yoshio über jede Gelegenheit sich aus Inu Taishos Waffenkammer bedienen zu können. Immerhin durften das nur wenige, und viele der alten, kostbaren und teils auch sehr geheimnisvollen Waffen, die hier lagerten, hatten den Hundedämonen schon immer fasziniert.

Doch heute hielt seine Freude sich sehr in Grenzen.

"Ich habe echt keine Lust mich beim Training mit Sesshomaru eventuell in Fetzen schneiden zu lassen, weil der mal wieder Streit mit seinem Vater hatte und sich abreagieren muss...", murmelte Yoshio. Verärgert schlug er nach der Auswahl eines Schwertes die Truhe zu und machte sich verstimmt auf den Weg nach draußen.
 

Nach einer Viertelstunde intensiven Suchens fand Yoshio seinen Freund endlich in einem abgelegenen, schattigen Teil des weitläufigen Schlossgartens. Die Sonne hatte den Boden dort erst halb getrocknet und in einigen Ecken lagen sogar noch Schneereste auf der Wiese.

Sesshomaru hatte seinen Oberkörper entkleidet und trug ebenfalls ein Schwert. Als Yoshio näher kam, wog er die gezogene, bloße Klinge gerade abschätzend in der Hand und vollführte dann damit einige schnelle und elegante Bewegungen in der Luft. Dieser Anblick verärgerte Yoshio noch mehr.

Wie immer sehr edel, äußerst geschickt und strahlend schön, dachte der Wolfshundedämon missgelaunt, warum nur musste Sesshomaru in allem immer so perfekt und überlegen sein?

Wenigstens hatte sein stolzer Freund zur Zeit Probleme mit seinem Vater und erhielt zumindest von diesem öfters einen Dämpfer. Yoshio konnte nicht leugnen, dass er jede Unstimmigkeit zwischen Inu Taisho und Sesshomaru innerlich zutiefst genoss. Er wusste, wie sehr Sesshomaru seinen Vater verehrte und bewunderte, und, dass ihn deshalb die strenge und manchmal unbegreiflich abweisende Haltung des Dämonenfürsten ziemlich schmerzte. Das gefiel Yoshio, denn jede Verletzlichkeit Sesshomarus war wie Balsam für seine Seele.

Im Grunde grenzte es an ein Wunder, dass Yoshio überhaupt der Freund des kalten Dämonenprinzen geworden war. Es war vielen ein Rätsel und Yoshio wusste es selbst nicht. Eigentlich hatte er das auch nie gewollt, es hatte sich von ganz allein gegeben. Nie hatte er etwas getan, um Sesshomarus Aufmerksamkeit zu erregen. Im Gegenteil, schon, als der Sohn Inu Taishos noch ein Kind war, hatte er ihn nicht besonders gemocht und sich von ihm ferngehalten. Sesshomaru war zwar ein ganz normales Dämonenkind gewesen, etwas zu ernst und zu zurückhaltend vielleicht, aber etwas an ihm fiel sofort auf und stieß Yoshio von Anfang an ab: Sesshomaru besaß Macht, in vielerlei Hinsicht. Und Yoshio konnte einfach nicht anders, er, dem es niemals richtig gelungen war stark zu sein, neidete Sesshomaru diese Macht.
 

Erfüllt von neidvollen und schadenfreudigen Gefühlen konnte Yoshio nicht widerstehen noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.

"Na, was war denn jetzt eigentlich oben im Schloss genau los? Hast du wieder einmal Zoff mit deinem Alten gehabt?"

Ehe er richtig nachdenken konnte, waren Yoshio diese Worte schon herausgerutscht. Und ehe er überhaupt einen weiteren Gedanken fassen konnte, hatte er plötzlich lange, schlanke Finger mit scharf glänzenden Krallen an der Kehle. Schmerzhaft wurde ihm bewusst, dass er mit seiner unpassenden Bemerkung zu weit gegangen war. Sesshomarus Geduld hatte seine Grenzen und, wenn er wirklich wütend war, sollte man es tunlichst vermeiden, ihn noch weiter zu reizen. Außer man legte Wert auf eine schnelle Reise ins Jenseits.

"Wa-warte", röchelte Yoshio, "ich habe es doch nicht so gemeint. Tu-tut mir leid... wirklich... ich wollte... nicht..."

Der Druck an seinem Hals verstärkte sich und Yoshio bekam keine Worte mehr heraus. In höchster Furcht starrte er in Sesshomarus eisiges Gesicht. Der Ausdruck seines Freundes war steinhart und wirkte mehr als bedrohlich. Yoshio spürte die machtvollen, dunkel brodelnden Energien, die von Sesshomaru ausgingen. Tief verborgen in seinen goldfunkelnden Augen brannte eine tobende Feuersglut. Hass, Zorn, Mordlust und abgrundtiefe Bosheit sprachen daraus.

Nur ganz am Rande, noch tiefer versteckt, sah der mit Todesängsten kämpfende Wolfhundedämon, noch etwas anderes, nämlich bodenlose Verzweiflung und einsamen Schmerz. Plötzlich erkannte Yoshio, dass er dabei etwas vom Innersten des Dämonen sah.

Für einen winzig kurzen Augenblick erblickte er Sesshomarus Seele und diese Seele schrie.
 

Sofort darauf wurde es Yoshio schwarz vor den Augen und halb besinnungslos brach er in die Knie. Schließlich verlor er kurz ganz das Bewusstsein und nahm daher nicht wahr, wie der harte Griff an seiner Kehle sich langsam wieder lockerte und dann löste. Grob fiel der fast Erwürgte zu Boden. Keuchend und hustend kam er erst allmählich wieder zu sich und richtete sich mühsam etwas auf.

Mit schmerzendem Kopf sah Yoshio sich um. Zunächst glaubte er, Sesshomaru wäre fortgegangen, doch dann entdeckte er ihn einige Meter entfernt unter einem fleißig austreibenden Kirschbaum stehend. Er wandte seinem Freund den Rücken zu und regte sich nicht. Yoshio spürte immer noch das von ihm ausgehende, aktivierte Youki, das sich nur langsam zurückzog.
 

"Se-Sesshomaru...", stammelte der am Boden liegende Hundedämon vorsichtig, er wusste nicht, was er sagen sollte. "Es tut mir leid...", brachte er schließlich noch heraus.

Sesshomaru antwortete nicht und drehte sich auch nicht um.

"Hör mal, ich habe eine Idee...", sprach Yoshio nach einer schier unerträglich lang andauernden Pause weiter, "was hältst du davon, wenn ich mich allein auf die Suche nach Fuyuko mache und versuche mehr über diese ganzen Gerüchte von ihrem angeblichen Überleben herauszufinden? Wenn wir deinem Vater Beweise liefern können, dass die Wolfsprinzessin tatsächlich nicht tot ist und nach wie vor eine Bedrohung darstellt, wird er gewiss eher gewillt sein deine Hilfe in Anspruch zu nehmen."

"Tu, was du willst", sagte Sesshomaru tonlos.

Yoshio stand auf und stieg dabei auf einen metallenen Gegenstand im Gras. Es war das Schwert, mit dem Sesshomaru trainieren wollte und das er fallengelassen hatte, als er Yoshio an die Kehle gesprungen war. Zögerlich hob der Wolfshundedämon die blendend spiegelnde Klinge auf ging langsam auf seinen Freund zu, um sie ihm zu geben.

"Hasst du mich?"

Diese plötzlich gestellte Frage ließ Yoshio blitzartig innehalten und versteinern. Völlig aus der Fassung gebracht starrte er auf die silberweißen Haare seines Freundes, der ihm immer noch den Rücken zuwandte.

"Ähm... äh... ich... Se-Sessho..."

Nun drehte Sesshomaru sich endlich um und sah Yoshio lange schweigend an. Seine Augen blieben völlig nichtssagend. Aber sie glänzten strahlend in der Sonne und erinnerten Yoshio an die Schönheit von purem Gold, wenn es beim Schmelzen zerfloss.

"Lass es gut sein", sagte Sesshomaru und nahm seinem Freund das Schwert ab, das dieser ihm versteift hinhielt, "wir brauchen kein Training mehr. Ich gehe ins Schloss zurück und möchte ein wenig allein sein."
 

Der Wolfshundedämon sah dem stolzen, weißhaarigen Dämonen nach, wie er sich langsam und sacht entfernte und schließlich zwischen einigen Bäumen verschwand.

Unbewusst begann Yoshio zu zittern. Alles in ihm tobte, er war völlig durcheinander und es wollte ihm einfach nicht gelingen diese ganzen widerstreitenden Gefühle, die ihn überrollten, zu ordnen.

Das einzige, das er einigermaßen sicher spüren konnte, war eine seltsame Leere in seiner Seele, und, dass seine Augen brannten.
 


 

Soweit das zehnte Kapitel.

Ich muss zugeben ich habe mich hier ziemlich in allerlei Beschreibungen verstrickt, bevor ich jeweils mal zur Sache gekommen bin mit dem, was ich eigentlich ausdrücken wollte. Aber irgendwie hatte ich Lust auch ein bisschen tiefer auf das Leben in Inu Taishos Schloss einzugehen. Hoffentlich habe ich neben dem ganzen Drumherum damit auch meine eigentlich beabsichtigten Kernaussagen richtig und gut rübergebracht.

Für Kritik, Lob und Anregungen bin ich jederzeit offen!

Schicksalsfäden

Es wird wieder Zeit für ein bisschen Liebe... und Dramatik! Dieses Kapitel fängt wieder sehr geruhsam an, aber das wird sich zum Ende hin ändern...

Zum Inhalt: Inu Taisho ist in die westlichen Berge aufgebrochen, um den Wölfen dort zu helfen. Zudem gibt es dort noch etwas anderes, an dem der Dämonenfürst brennend interessiert ist. Sein Diener Ieyasu versucht derweil all seinen Aufgaben gerecht zu werden. Tatsächlich findet er sogar eine Möglichkeit, um Sesshomaru ein wenig glücklich machen zu können. Doch Glück ist eben eine sehr unbeständige Sache...

Enjoy reading!
 


 

Zu Fuße der westlichen Berge herrschte in einer wieder neu errichteten Stadt eine emsige Betriebsamkeit. Fast jeder der dort wohnenden Menschen war selbst am Abend noch mit irgendwelchen Vorbereitungen beschäftigt.

Die Menschen erwarteten freudig die Rückkehr eines Kriegsheeres und die Ankunft eines noch sehr jungen, aber sehr bedeutenden Landesfürsten, der benachbarte, weiter im Süden liegende und reiche Ländereien beherrschte. Dieser erwartete Fürst war ein wichtiger Bündnispartner für die Stadt und das dazugehörige Land. Er bot den in den westlichen Bergen ansässigen Menschen in Notlagen durch seinen Reichtum bedeutende Hilfe. Im Gegenzug bekam dieser Bündnispartner soldatische Hilfe, wenn er in einen kriegerischen Konflikt geriet.
 

Auch vor dem am Rande der Stadt gelegenen Schloss machte das fröhliche Treiben nicht Halt. Zumal sich dort ein weiteres und freudiges Ereignis anbahnte. Eine Hochzeit stand bevor und sorgte im Schloss, insbesondere bei einer der fürstlichen Töchter des Hauses, für allerlei Aufregungen.

Nur die jüngste der Prinzessinnen schien dafür kein Interesse aufzubringen. Eher gelangweilt beobachtete sie ihre nicht mehr lange ledige Schwester bei den Hochzeitsvorbereitungen und sah zu, wie diese verschiedene Seidenstoffe als Mitgift für ihre Ehe auswählte.

"Sieh mal, Izayoi", schwärmte die junge, zukünftige Braut gerade, "wie findest du diesen dunkelblauen Stoff? Es sind echte Goldfäden darin eingewebt! Er muss Vater ein Vermögen gekostet haben. Oder dieser hier? Das Muster ist atemberaubend... Izayoi? IZAYOI!"

"Hm?!" Die Angesprochene zuckte etwas zusammen. "Entschuldigung, hast du was gesagt? Ich habe nicht richtig zugehört."

"Also wirklich, Izayoi, du träumst mal wieder mit offenen Augen", bemerkte die ältere der beiden Prinzessinnen und legte die Seide in ihren Händen beiseite. "Was ist eigentlich los mit dir? Seit mehreren Wochen bist du sogar noch komischer, als nach diesem Dämonenüberfall auf unsere Stadt. Bist du immer noch unglücklich darüber, dass unser Vater dir vor zwei Monaten deine heimlichen Ausflüge in die Berghänge verboten hat, nachdem du einen halben Tag lang in einem Schneesturm verschollen warst?"

Wieder zuckte Izayoi zusammen.

"Unsinn", sagte sie, "die Berghänge interessieren mich überhaupt nicht mehr. Diese geheimen Morgenspaziergänge waren nur eine vorübergehende Laune von mir..."

Ihre Schwester lachte: "Komm schon, mich kannst du nicht so leicht beschwindeln. Ich weiß doch, dass du dir nach Vaters Verbot nächtelang die Augen aus dem Kopf geweint hast. Du hast wohl vergessen, dass mein Zimmer genau neben deinem liegt und die Wände hier sehr dünn sind, was? Sag schon, was hast du wirklich da in aller Früh täglich in den Berghängen gemacht?"

Izayoi biss sich krampfhaft auf die Unterlippe und schwieg beharrlich. Ähnliche Fragen hatte ihr Vater ihr auch schon gestellt und war dabei sehr ungehalten gewesen. Aber genau wie ihrer Schwester jetzt, verweigerte Izayoi jede Antwort auf diese Fragen.

Was hätte sie auch antworten sollen? Dass sie tagtäglich an einem Baum in den Bergen ihren Tagträumen nachgehangen war? Dass sie von einem Dämon geträumt hatte? Und dass sie diesen Dämon dann sogar leibhaftig getroffen hatte?
 

Der weiße Hund... dachte Izayoi wehmütig, ich kenne nicht einmal seinen wirklichen Namen... Ob er vielleicht wiedergekommen ist und in den Berghängen nach mir sucht? Ich habe gesagt, ich würde auf ihn warten. Ob er nun enttäuscht ist, weil ich nicht kommen konnte? Ob er glaubt, ich möchte ihn nicht mehr wiedersehen? Ob er mich überhaupt wiedersehen will?
 

"Izayoi, du träumst schon wieder", stichelte ihre Schwester.

Verärgert sah Izayoi auf. "Na und? Ist das verboten? Wenigstens träumen werde ich ja wohl noch dürfen. Ich bin halt ein wenig durcheinander..."

Ihre Schwester lächelte und sah sie frech lauernd an.

"Vielleicht weiß ich ja, was mit dir los ist?", neckte sie liebevoll, "Bist du so verwirrt, weil Setsuna no Takemaru in ein paar Tagen wiederkommt?"

"Takemaru?", fragte Izayoi verwundert, "was soll denn Takemaru damit zu tun haben?"

"Ach, Schwesterchen", kam die lachende Antwort, "ich heirate bald einen jungen Fürsten, den ich bisher nicht kenne und liebe, aber ich weiß dennoch sehr gut, was Liebe ist. Und ich kenne die Anzeichen dafür. Takemaru mag dich, er mag dich sogar sehr... Und du, du benimmst dich ihm irgendwie ziemlich ähnlich. Ihr beide benehmt euch wie jemand, den es ziemlich heftig erwischt hat!"

Unvermittelt wurde Izayoi rot. Wie sie diese Eigenschaft des schnellen Errötens doch hasste.

"Ich wusste es doch... meine keine Schwester ist verliebt... Warum zeigst du Takemaru nicht deine Zuneigung? Er wäre bestimmt sehr glücklich darüber. Vater wäre von dieser Verbindung sicher auch begeistert, denn er schätzt den Samurei sehr."

"Ich bin nicht in Takemaru verliebt", betonte Izayoi, "er ist wirklich nett und ich mag ihn. Aber ich liebe ihn nicht, nein, ihn nicht."

Izayois Gesichtsröte verschwand immer noch nicht. Zudem waren ihr ganz zuletzt zwei verdächtige Worte herausgerutscht, die ihrer Schwester sofort aufgefallen waren.

"Ihn nicht? Wenn es nicht Takemaru ist, dem du dein Herz geschenkt hast... wer ist es denn dann?"

"Niemand!", ereiferte Izayoi sich: "Ich bin in niemanden verliebt! Das bildest du dir alles nur ein... Ich.. ich gehe in den Garten... Ich brauche etwas frische Luft!"

Mit diesen Worten stand Izayoi hastig auf und verließ eilig das Zimmer ihrer Schwester, die ihr belustigt nachsah.
 

Draußen im Schlossgarten dämmerte es. Erleichtert stellte Izayoi fest, dass der frische Abendwind ihre glühenden Wangen abzukühlen begann. Bald würde sie nicht mehr leuchtend wie eine rote Laterne durch die Gegend laufen.

Tief aufatmend spazierte Izayoi zwischen einigen Bäumen nahe der Schlossmauer herum. Gern wäre sie noch weiter gegangen und hätte am liebsten auch die Mauern hinter sich gelassen, doch das war nicht mehr möglich. Seit einem bestimmten Tag im Winter, als sie, nach dem Abklingen eines heftigen Schneesturms, verspätet heim gekommen war und ihre geheimnisvollen, morgendlichen Ausflüge aufgeflogen waren, waren alle Tore für sie verschlossen. Ihr Vater hatte seitdem alle Schlosstore und Pforten bis auf das bewachte Haupttor verriegeln lassen. Auch die kleine Gartenpforte, die Izayois heimlicher Weg in die ihr vertrauten Berghänge, in ihre Freiheit und ihre Träume gewesen war, war nun für immer versperrt.
 

Traurig setzte Izayoi sich unter einen weitausladenden Ahornbaum und hing ihren Gedanken nach.

Sie würde den weißen Hund niemals wiedersehen. Dämonen besuchten keine Menschenhäuser, jedenfalls nicht in freundlicher Gesinnung. Wie sollte das auch gehen? Die meisten Dämonen verabscheuten Menschen und Menschen konnten Dämonen ebenso wenig leiden. Viele Menschen, würden einen Dämon, wenn sie ihn hier fänden, sofort töten wollen. Es war nur ein Traum.
 

"Es war nur ein Traum..." wiederholte Izayoi leise ihre letzten Gedanken. Dann brach ihre Stimme und erstickte in ihren stillen und mühsam unterdrückten Tränen.

In diesem Moment knackte etwas und ein kleines Aststück fiel direkt auf Izayois Schulter.

"Verflixt!", fluchte darauf eine Stimme von oben und fuhr leise murmelnd fort: "heute hat das Schicksal es aber wirklich auf mich abgesehen..."

Izayoi schrak zusammen, stand auf und erblickte über sich, relativ weit oben im Baum eine schemenhafte, helle Gestalt in den Zweigen sitzen. Sie saß locker im Geäst und schien fast zu schweben. Dass diese Gestalt auch tatsächlich schweben konnte, bewies sie sogleich. Denn im gleichen Moment, als Izayoi zu ihr hoch sah, sprang sie leichtfüßig vom Baum herab und glitt völlig lautlos vor Izayoi auf die Erde.

Sprachlos starrte Izayoi den hellen Schatten vor sich an. Goldfunkelnde Augen blickten zurück.

"Verzeihung, ich hatte nicht vor, dich mit Zweigen zu bewerfen. Aber irgendwie lässt meine Geschicklichkeit und mein Glück heute ein wenig zu wünschen übrig. Das Pech scheint mich zur Zeit zu lieben..."

Obwohl er kaum wahrzunehmen war, entging Izayoi nicht der hauchfeine, neckische Unterton, der in der Stimme des vor ihr stehenden Mannes lag. Er verschränkte etwas die Arme und erwiderte weiterhin fröhlich ihren erstaunten Blick. Der Abendwind spielte mit seinem weißen Haar und wehte vereinzelte Strähnen seines langen Zopfs in sein Gesicht.

Endlich fand Izayoi ihre Sprache wieder.

"Was machst DU denn hier?"

Das war eine gute und berechtigte Frage. Denn das wusste ihr Gegenüber eigentlich auch nicht so genau.

"Soll ich wieder gehen?"

"Ja... äh, nein", stotterte Izayoi, "... ich meine, ja, was ist, wenn dich jemand hier im Garten entdeckt?"

"Hier ist außer uns zur Zeit niemand."

"Woher willst du das wissen?"

"Das spüre und... na ja, rieche ich. Man könnte sagen in diesem Sinne bin ich sogar weitaus besser als jeder eurer netten Wachhunde. Sehr sympathische Tiere übrigens... Bis auf diesen frechen, kleinen Welpen, der beim Streicheln vor lauter Aufregung doch glatt sein Wasser über meinem Bein ablassen musste! Naja, es sei ihm verziehen. Ich war ja selbst schuld, ich hätte ihn ja nicht unbedingt auf den Schoß nehmen müssen..."

Irritiert sah Izayoi ihn an. Die Vorstellung von einem Dämon, der Hunde streichelte und einen kleinen Welpen liebkoste, passte irgendwie gar nicht zu dem gängigen Bild dieser gefährlichen Wesen der Dunkelheit. Fraglicher Dämon erkannte ihre Verwirrung und lächelte amüsiert.

"Nun, irgendwie musste ich sie ja frühzeitig freundlich begrüßen, damit sie von meiner Gegenwart wissen und nicht auf mich aufmerksam machen", erklärte er: "Hunde sind die einzigen Wesen hier, vor denen ich meine Anwesenheit nicht verbergen kann. Gewisse, verwandtschaftliche Beziehungen lassen sich eben nicht ignorieren."

Verwandtschaftliche Beziehungen? Izayoi verstand zuerst nicht so ganz, von was er redete, doch dann fiel es ihr ein. Der weiße Hund... Natürlich, er war ja ein Hundedämon. Irgendwie vergaß sie immer wieder, dass er kein Mensch war. Das alte Bild im Schloss ihres Vaters mit der Darstellung eines riesigen, über den Himmel fliegenden Hundes fiel Izayoi wieder ein. Ob er so in Wirklichkeit aussah? Das hatte sie sich schon als Kind gefragt.
 

Nachdenklich betrachtete Izayoi den Dämonen. Dann schrie sie plötzlich auf.

"Du bist ja verletzt!"

Besorgt ging sie nah zu ihm und griff nach seinem rechten Arm. Behutsam streifte sie den Armschoner ab, der seinen Unterarm weitgehend verbarg, und schob seinen leicht zerrissenen, blutbefleckten Ärmel hoch. Eine tiefe, rissartige Wunde zog sich auf der Innenseite seines Unterarms vom Ellenbogengelenk bis hinab zu seiner Hand. Den Dämonen schien diese Verletzung jedoch nicht besonders zu beeindrucken.

"Keine Sorge, ist nicht weiter schlimm. Es wird schnell hei..."

"NICHT SCHLIMM?" Izayoi wirkte plötzlich fast verärgert und drückte den Dämonen energisch neben dem Ahornbaum zu Boden."

"Du wartest hier!", befahl sie nachdrücklich. "Ich besorge etwas zum Verbinden. Diese Verletzung sieht ja grausig aus und muss versorgt werden. Ich bin gleich wieder da."
 

Völlig verdattert und verblüfft saß Inu Taisho am Boden und sah Izayoi nach, wie sie eilig ins Schloss lief. Seine Verblüffung rührte von der Tatsache her, dass er soeben einen ausdrücklichen Befehl erhalten hatte.

Schon sehr lange hatte niemand mehr Inu Taisho einen Befehl gegeben, auch wenn es sich dabei nur um die schlichte Aufforderung handelte irgendwo zu warten. Niemand wagte je dem mächtigen Dämonenfürsten vorzuschreiben, was er zu tun oder zu unterlassen hatte. Er war es schlichtweg nicht gewohnt.

Selbstverständlich wusste Inu Taisho, dass sich Izayoi bei ihrer Aufforderung rein überhaupt nichts gedacht hatte und es für sie eine völlig natürliche Wortwahl war. Dennoch war es für ihn derartig ungewöhnlich irgendeine Art von Befehl zu hören, das ihm regelrecht der Mund offen stehen blieb. Zu Inu Taishos Glück konnte Izayoi nicht mehr sehen, dass ihm in seiner Überraschung die Gesichtszüge entglitten waren und er kurz einen nicht sehr intelligenten, eher dümmlich dreinschauenden Eindruck machte.
 

Der Dämon hatte sich allerdings schnell wieder unter Kontrolle. Seine Verblüffung wandelte sich zunehmend in innerliche Amüsiertheit und schließlich begann ihm die ganze Situation extrem gut zu gefallen.

Belustigt betrachtete er seinen verletzten Arm. Offensichtlich war Izayoi in ihrer Aufregung überhaupt nicht aufgefallen, dass die Wunde schon länger nicht mehr blutete und bereits begonnen hatte zu heilen. Aus Erfahrung wusste Inu Taisho, dass sich die Heilung nun in diesem Stadium extrem beschleunigen würde. In weniger als einer Stunde schon würde nichts mehr an die für ihn völlig harmlose Verletzung erinnern.

Inu Taisho überlegte, ob er Izayoi über die oft beachtlichen und ihr offensichtlich unbekannten Selbstheilungskräfte von Dämonen aufklären sollte, entschied sich aber dann dagegen. Innerlich höchst vergnügt erinnerte er sich an ihre Besorgnis und ihr eifriges Bestreben sich um ihn zu kümmern. Zudem hatte es ihm irgendwie gut gefallen, als die junge Menschenfrau sanft seinen Arm berührt hatte, und die Aussicht von ihr verarztet und erneut berührt zu werden, gefiel ihm sogar noch mehr.
 

Der Dämonenfürst hob kurz seinen Kopf und sah sich prüfend um. Doch er konnte nichts Verdächtiges wittern oder spüren. Der abendliche Schlossgarten war menschenleer. Nur Izayois milder Duft hing noch bei ihm in der Luft.

Zufrieden lehnte sich Inu Taisho an den Baum hinter sich und wartete. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt sehr lange zu bleiben. Doch warum sollte er nicht noch ein wenig hier bleiben? Der Garten war hübsch und der Abend angenehm friedlich. Warum sollte er sich nach seinem anstrengenden Tag, an dem er ständig vom Pech verfolgt gewesen war, nicht ein paar Freundlichkeiten gönnen? Schließlich musste man es ausnutzen, wenn das Pech darüber nachdachte zu verschwinden und das Glück einem wieder gewogen war.
 

* * * * *
 

Weit entfernt von Izayois Heimatstadt, in einem anderen Schloss, schien ebenfalls das Glück zurückgekehrt zu sein.

Es war erst zehn Tage her, dass Inu Taisho in die westlichen Berge aufgebrochen war und seinem Diener Ieyasu die Verantwortung über mannigfaltige Aufgaben in seinem Schloss überlassen hatte. Doch für Ieyasu fühlte es sich an, als wären es Jahrzehnte. Seine Pflichten hatten den Heiler fast an seine Grenzen des Machbaren geführt.

Aber die Mühen hatten sich immerhin gelohnt. Ieyasu konnte zu recht von sich behaupten seine Arbeit sehr gut gemacht zu haben. Im Schloss lief alles seinen gewohnten und ruhigen Gang. Sogar die gefährliche Macht, die von dem Juwel der vier Seelen ausging, war momentan gebannt. Der Heiler hatte eine äußerst wirkungsvolle Barriere aufgebaut, die das Juwel und seinen Einfluss von der Außenwelt abschirmte. Diese Barriere würde zwar nicht übermäßig lange halten, aber für die Zeit, bis der Dämonenfürst zurückkam, würde sie sicher genügen. Zur Not würde eben wieder Saya helfen müssen, der sich zur Zeit genüsslich ausruhte.

Saya war ein Geist in Inu Taishos Diensten, der in der Lage war starke Schutzbanne und Schutzsiegel aufzubauen. Der Dämonenfürst nutzte seine Dienste hauptsächlich, um sein gefährliches Schwert Sou'unga zu versiegeln, wenn er die Klinge in Friedenszeiten zwischenzeitig ablegte. Doch da Inu Taisho dieses Schwert zur Zeit ständig bei sich trug und Sayas Dienste nicht benötigte, konnte der Schutzgeist schlafen oder seine Kräfte gegebenenfalls für andere Dinge verwenden, sollte es erforderlich sein.
 

Noch weitaus stolzer als über alle anderen gemeisterten Aufgaben war Ieyasu auf die Tatsache, dass es ihm geglückt war den Sohn Inu Taishos nachhaltig zu beschäftigen. Auch, wenn das eigentlich nicht sein Verdienst war, sondern eine gehörige Portion Zufall und die Naturgewalten eine Rolle dabei gespielt hatten. Das minderte seinen Stolz jedoch nicht, denn zunächst hatte es für Ieyasu diesbezüglich gar nicht gut ausgesehen.

Kurz nach der Abreise seines Vaters hatte sich Sesshomaru tagelang allein in sein Privatgemach zurückgezogen und niemanden an sich herangelassen. Nicht einmal sein Freund Yoshio kam mehr an den Dämonenprinzen heran.

Normalerweise konnte Sesshomaru geschlossene Räume nicht leiden. Deshalb hielt er sich, wenn er daheim weilte, überwiegend nur im weitläufigen Garten oder in einsamen Bereichen, in der nahen Umgebung des Schlosses auf. Aufgrund seiner Abneigung gegen alles, was Mauern hatte, besaß er nur einen einzigen, sehr schlichten Raum im Schloss mit auffallend vielen fensterartigen Schiebetüren und einem extra angebauten, luftigen Balkon.

Immer wenn sich der freiheitsliebende Dämon daher selbst in seinem Gemach einschloss und nicht einmal seine Balkonterrasse nutzte, war das ein äußerst bedenkliches und schlechtes Zeichen. Es zeigte deutlich, dass etwas mit dem Fürstensohn nicht in Ordnung war, und dies hatte Ieyasu große Sorgen bereitet.

Vergeblich hatte der Diener sich den Kopf zerbrochen, wie er Sesshomaru aufheitern und ihn längerfristig davon abhalten konnte irgendwann heimlich, entgegen der Anweisungen seines Vaters, zu verschwinden.
 

Ausgerechnet ein gefährliches Unheil stellte sich dann als Lösung für Ieyasus Problem heraus. In den Bergen oberhalb der Schlossanlage hatte aufgrund der zur Zeit sehr warmen Witterung und des sehr reichhaltigen Schneefalls im Winter eine ungewöhnlich starke Schneeschmelze eingesetzt. Die daher rührenden, gewaltigen Wasseransammlungen im Gebirge drohten schließlich die Hochebene, auf der Inu Taishos Schloss lag, zu überschwemmen.

Mit dieser Bedrohung erlangte Ieyasu überraschend Sesshomarus Aufmerksamkeit. Als er dem Sohn des Dämonenfürsten davon, wie es ihm gegenüber seine Pflicht war, berichtete, erwachte Sesshomaru aus seiner Lethargie. Verblüffend interessiert übernahm er sogar sofort persönlich die Leitung von Schutzmaßnahmen gegen die drohende Überflutung.

Seitdem war der Fürstensohn ständig draußen unterwegs, um sorgfältig alle erforderlichen Arbeiten zu überwachen, mit denen Dämme errichtet und die riesigen, gefahrvollen Wassermassen umgeleitet wurden.
 

Solch ein auffallendes Interesse Sesshomarus an Wasserbaumaßnahmen erstaunte Ieyasu zunächst, denn er konnte sich erst nicht erklären, was ausgerechnet daran so spannend sein sollte. Doch dann erinnerte er sich, dass Sesshomaru schon immer von Wasser sehr fasziniert gewesen war. Schon als Kind hatte er gern stundenlang am Ufer irgendwelcher Seen oder Flüsse gesessen und auf das Wasser gestarrt. Auch am Meer war er stets gerne gewesen. Der Anblick von großräumigen Wasserlandschaften schien ihn zu beruhigen und ihm sehr zu gefallen.
 

Diese zufällige Entdeckung einer Sache, die Sesshomaru Freude zu machen schien, brachte Ieyasu nachfolgend auf einen weiteren, guten Einfall. Der Heiler wusste, dass Inu Taisho schon länger plante, irgendwann eine diplomatische Reise an die Meeresküsten im Süden seines Reiches zu unternehmen. Nun kam Ieyasu die vorzügliche Idee seinem Herrn vorzuschlagen, Sesshomaru auf diese Reise mitzunehmen und ihm dabei einige, besonders schöne Orte am Meer zu zeigen.

Eine gemeinsame Reise mit seinem Vater an das Meer und die herrliche Aussicht auf den Ozean würde Sesshomaru bestimmt erfreuen. Vielleicht würde das auch dabei helfen, Vater und Sohn nach all den Unstimmigkeiten aneinander wieder näher zu bringen.

Überzeugt davon, dass sein Herr, sobald er zurückkäme, für diese Idee sicherlich ebenfalls zu begeistern wäre, begann Ieyasu frühzeitig alles für eine solche Reise vorzubereiten. Dafür spannte er auch Yoshio und Myoga ein. Die beiden bekamen die Aufgabe den Süden nach besonders sehenswerten Orten mit Meeresblick zu erkunden. Zudem sollten sie dort verschiedene Freunde und Bündnispartner Inu Taishos aufsuchen, um den Besuch des Dämonenfürsten anzukündigen und sich künftige Gastfreundschaft zusichern zu lassen.
 

Müde von all den Anstrengungen der letzten Tage, aber auch sehr glücklich über die Entwicklung all seiner Bemühungen, ging Ieyasu in einen abgelegenen und bestens abgesicherten Trakt in Inu Taishos Schloss. Der Heiler wollte dort den Raum aufsuchen, in dem sich das Juwel der vier Seelen befand und die Wirksamkeit seines Schutzzaubers überprüfen.

Kurz vor seinem Ziel hielt ihn jedoch ein leise knackendes und gedämpft quietschendes Geräusch auf, das vom Boden kam. Erstaunt blieb Ieyasu stehen und hob seinen Fuß. An der Stelle, auf die er eben getreten war, klebte etwas in der Größe eines Fingernagels auf den Holzdielen und stöhnte ächzend vor sich hin.
 

"Myoga!" sagte Ieyasu, bückte sich und sammelte verwundert den plattgedrückten Flohgeist vom Boden auf: "Was machst du denn hier? Ich dachte, du bist mit Yoshio im Süden, um die Reise ans Meer zu planen, die ich dem Lord mit seinem Sohn vorschlagen möchte. Wieso bist du schon wieder hier und versteckst dich in einer Ecke im abgelegensten Teil des Schlosses?"

"Ähm... äh... also...", stotterte der kleine Flohdämon in Ieyasus Fingern, "ich war ja mit Yoshio im Süden, aber dann... dann ist etwas passiert..."

"Etwas passiert?" Misstrauisch beäugte Ieyasu den Floh. Myoga schwitzte intensiv und sah zudem ziemlich ängstlich und auch sehr schuldbewusst aus. Dieser Anblick gefiel dem Heiler überhaupt nicht.

"Weiter, was ist passiert?"

"Äh, nun...", Myoga ertrank fast in Angstschweiß und fuhr nur zögerlich fort: "Yoshio wollte auf dem Rückweg unbedingt nebenbei noch einen Abstecher an die Ostgrenzen machen, um gewissen Gerüchten über die Wolfsprinzessin Fuyuko nachzugehen. Es schien ihm extrem wichtig zu sein... na ja, und dann sind wir nahe der Ostgrenze auf ein Menschendorf gestoßen, das erst kürzlich von Dämonen überfallen worden war... Yoshio wollte dieses Dorf genauer untersuchen und dann... äh..."

"WAS DANN?"

"Äh...", stammelte Myoga weiter, "dann haben sich die Gerüchte über Fuyukos Überleben sozusagen bestätigt... genauer gesagt, Yoshio wurde von der Wolfsprinzessin und einigen schlangenartigen Dämonen aus einem Hinterhalt heraus angegriffen und ist jetzt in ihrer Gewalt..."

"WAAAS?!"

Der Flohdämon zuckte erschreckt zusammen. Es war sehr ungewöhnlich Ieyasu lauthals schreien zu hören. Denn seine Gesinnung war normalerweise sehr ruhig und sanft.

"Und wie und warum bist du diesem Überfall Fuyukos entkommen? Bist du frühzeitig geflüchtet?" fragte Ieyasu weiter.

"Eigentlich nicht...", murmelte Myoga verschüchtert, "es war eher so, dass mich Fuyuko hat laufen lassen... Sie sagte, ich soll Sesshomaru-sama, und zwar nur ihm ganz allein, folgende Botschaft ausrichten: wenn er seinen Freund lebend wieder haben möchte, soll er allein zum Drachenfelsen an der Ostgrenze kommen und dort in einem Duell mit ihr um sein und das Leben Yoshios kämpfen..."

"WAAAAAS?!? Um Himmels willen", schrie Ieyasu und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen, "du hast Sesshomaru-sama diese Botschaft doch nicht etwa überbracht?!"

"Äh... tja... also... ich..."

"Nein, das darf doch nicht wahr sein", stöhnte Ieyasu und stürmte dann, so schnell er konnte, zu dem Schlosstrakt, in dem Sesshomarus Privatgemach lag. Ohne auf höfliche Umgangsformen zu achten, durchsuchte er hastig den schlichten Raum des Dämonenprinzen und die angrenzende, balkonartige Terrasse. Als er feststellte, dass an einem bestimmten Platz in Sesshomarus Räumlichkeit seine Rüstung und ein Schwert fehlten, bestätigten sich seine schlimmsten Vermutungen: Sesshomaru war fort. Ohne, dass irgendwer das Geringste bemerkt hatte, war er spurlos verschwunden.
 

"Wie lange ist das nun her, dass du Sesshomaru-sama von dem Überfall auf Yoshio und von Fuyukos Forderung erzählt hast?" fragte Ieyasu wütend Myoga, den er noch immer in seinen Fingern eingeklemmt festhielt.

"Äh... so ein paar Stunden..." bemerkte der Flohgeist flüsternd.

"Wie konntest du nur so überaus dämlich sein!" schimpfte der Heiler zornig: "Wie konntest du überhaupt zulassen, dass Yoshio ausgerechnet in den Osten geht? Und noch schlimmer, wie konntest du so unbedacht sein, Sesshomaru-sama von Fuyukos Überfall und ihrer Duellforderung zu berichten? Was glaubst du eigentlich, warum der Herr in seiner Abwesenheit den Prinzen unbedingt im Schloss halten wollte? Er hat Angst um ihn! Hättest du in letzter Zeit bei vertraulichen Ratssitzungen besser zugehört, wüsstest du, dass der Lord Feindseligkeiten von zwei alten Erzfeinden, zwei Drachen, befürchtet. Nun rate mal, wer wohl das naheliegendste Ziel der Drachen sein könnte, falls sie planen sollten unserem Fürsten etwas anzutun! Und was machst du, anstatt nachzudenken? Du bestellst Sesshomaru-sama den Gruß einer Wölfin, die seinen Freund gefangen hat und zu der er sowieso noch einen leichten Groll hegt. Und schickst ihn damit an die Ostgrenze. Ausgerechnet an die Ostgrenze... an die Grenze zum Drachenreich!!!"

"Ähm... glaubt Ihr, dass das Ganze vielleicht eine Falle der Drachen darstellt?" meinte Myoga bedrückt: "Das tut mir leid... äh, daran habe ich nicht gedacht..."

"Das glaube ich dir gern", zischte Ieyasu vor Zorn kochend, "deshalb hast du dich ja auch gleich verkrochen und versteckt, als dir klar wurde, welch dummer Fehler dir da unterlaufen ist! Du wirst dich jetzt sofort in die westlichen Berge aufmachen und den Herrn informieren. Ich werde derweil zusehen, dass ich so schnell wie möglich zum Drachenfelsen komme, um Sesshomaru-sama irgendwie aufzuhalten. Durch die Stunden, in denen du dich ängstlich versteckt hast, ist er vielleicht schon dort und begibt sich mit seiner einsamen Heldentat, um Yoshio zu retten, wahrscheinlich in höchste Gefahr. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht zu spät komme."

"Aber ich bin doch viel zu langsam", wagte Myoga furchtsam einzuwenden, "wie soll ich denn schnell in die westlichen Berge kommen, um Lord Inu Taisho zu informieren?"

"Keine Sorge, ich finde schon eine schnelle Transportgelegenheit für dich", murrte Ieyasu bedrohlich, "glaub ja nicht, dass du dich noch einmal aus deiner Verantwortung davonstehlen kannst."

"Aber... aber der Herr wird mich umbringen, wenn er erfährt, dass ich seinen Sohn eventuell in Gefahr gebracht habe..."

"Er wird noch ganz andere Dinge mit dir anstellen, wenn du dich vor Maßnahmen drückst, die das Schlimmste eventuell zu verhüten helfen!"
 

Mitleidlos hielt Ieyasu den Flohgeist in seinen Fingern fest und eilte los, um die noch nötigen Dinge zu erledigen, bevor er Sesshomaru zum Drachenfelsen folgen konnte. Er musste noch seinen magischen Stab holen und vor allem auch Saya wecken. Saya würde während Ieyasus Abwesenheit das Juwel der vier Seelen schützen müssen. Und dann musste noch schleunigst dieser dämliche Flohgeist per Zauber auf die Reise zu Inu Taisho geschickt werden. All diese Vorbereitungen kosteten weitere, wertvolle Zeit.
 

Ein paar Stunden..., dachte Ieyasu sorgenvoll. Vor ein paar Stunden hatte Myoga seine unheilvolle Botschaft unbedacht überbracht. Seit ein paar Stunden war Sesshomaru verschwunden.

In ein paar Stunden konnte viel geschehen.
 


 

Soweit das elfte Kapitel.

Na, ich denke, jetzt wird es langsam spannend, oder? Fuyuko und wohl auch die Drachen haben sich da offensichtlich etwas Fieses einfallen lassen, um Sesshomaru in die Falle zu locken. Was sie genau vorhaben und, ob es gelingt, werdet ihr im nächsten Kapitel erfahren. ;))

Hinterlasst mir doch wieder ein paar Kommentare, das wäre wunderschön!

Vertrauen und Verrat

Ja also, dieses Mal hat es wieder einmal länger gedauert, weil ich ein bisschen blockiert mit meinen Schreibkünsten war. Ohne Hotepneiths Hilfe (Danke sehr nochmals dafür!) würdet ihr wahrscheinlich noch immer nicht erfahren, wie es weitergeht. Vielleicht hätte ich mir eine etwas weniger wirre, komplexe storyline ausdenken sollen... öhem... sorry...

Kommen wir zu Kapitel 12: Die rachsüchtige Wolfsdämonin Fuyuko hat Sesshomarus Freund Yoshio in ihre Gewalt gebracht und fordert damit Sesshomaru zu einem tödlichen Duell heraus. Inu Taishos vertraute Untergebene mutmaßen zu Recht, dass dabei andere Feinde ihre Finger mit im Spiel haben, und befürchten eine Falle. Keine guten Aussichten für einen gewissen Dämonenfürsten, dem eher der Sinn nach Frieden und Liebe steht...

Enjoy reading!
 


 

Nahe der Ostgrenze, am sogenannten Drachenfelsen, herrschte mittlerweile Nacht. Der Mond ging auf und tauchte die schroffen Felswände einer gewaltigen, sich weit verzweigenden Bergschlucht in ein bizarres, gespenstisches Licht.

Am Rande und oberhalb der Schlucht, neben dem Drachenfelsen, stand eine schöne Wolfsdämonin. Ungeduldig sah sie in den Nachthimmel und beobachtete den Lauf der Sterne. Das Licht des fast vollen Mondes spiegelte sich in ihren grünschimmernden Augen. Zwei halbwüchsige Wölfe tapsten unruhig um sie her und winselten leise. Die Dämonin tätschelte die jungen Tiere sanft am Kopf, wandte sich um und ging vom Schluchtrand weg zum Saum eines kleinen, dunklen Waldes. Vor einem hochgewachsenen, kräftigen Baum blieb sie stehen und musterte verächtlich einen daran gefesselten Gefangenen.

"Dein Freund ist spät dran. Vielleicht hätte ich lieber einen anderen Boten als deinen altersschwachen, feigen Flohbegleiter wählen sollen."

"Er wird sowieso nicht kommen", antwortete der Gefangene ihr flüsternd und sah resignierend zu Boden, "Sesshomaru hat keinen Grund mich retten zu wollen..."
 

"Na, ich hoffe mal, dass du dich damit täuschst", sagte eine weitere Stimme daraufhin spöttelnd. Die Wolfsdämonin und der Gefesselte zuckten erschreckt vor den aus dem Wald kommenden Worten zusammen.

"Es wäre sehr schade, wenn dein lieber Freund dich im Stich lassen würde", fuhr die höhnische, sich nähernde Stimme fort: "Falls Sesshomaru dich nicht retten kommt, wirst du seinen Platz bei meinem Bruder einnehmen müssen. Das wäre bedauerlich für uns alle. An dir schwachem Angsthasen hätte Bundori sicher keine besondere Freude. Außerdem würde das zudem sämtlichen Spaß verderben. Ich möchte lieber Inu Taisho den Mond anheulen hören, wenn wir mit seinem hübschen Welpen fertig sind. Und auch mein süßer Lockvogel hier wäre sicher enttäuscht, wenn sie ihre Rache nicht richtig genießen könnte, nicht wahr?"

Mit den letzten Worten trat die große, beeindruckende Gestalt eines Drachendämonen in Menschenform aus den Waldesschatten und umfasste genüsslich die Hüfte der Wolfsdämonin. Diese wich schlagartig vor der Berührung zurück.

"Nimm sofort deine widerlichen Krallen von mir! Ich bin weder dein Spielzeug noch deine Sklavin, Ryokossei. Glaub ja nicht, dass du dir alles mit mir erlauben kannst. Ich bin eine Fürstentochter und kein niederrangigeres Wesen als du."

"Warum so spröde, Fuyuko?", lachte der Drachendämon: "Zieht mir die hochverehrte Wolfsprinzessin etwa diesen jämmerlichen, ihr ständig hinterher hechelnden Wolf vor? Dieser Trottel ist doch kein angemessener Partner für dich. Dieses weinerliche Baby hat ja nicht mal ein einigermaßen funktionierendes Gehirn. Nach ein paar Wochen hat er dich sicher schon vergessen..."

"Hör endlich auf, ständig auf Koga herumzuhacken und ihn zu beleidigen", erwiderte Fuyuko bissig, "schließlich ist er noch jung und unerfahren. Koga hat zumindest eine treue Seele. Etwas, das man von dir nicht behaupten kann. Du weißt ja nicht einmal, was Liebe ist."

"Sag bloß, du liebst diesen angeblich treuen, dir aber davongelaufenen Wolfsjungen noch", höhnte Ryokossei und entblößte seine glänzend weißen und spitzen Zähne. Seine roten Augen funkelten belustigt und auch das zweite, maskenartige Gesicht auf seiner Stirn grinste bösartig.

"Was ich für Koga empfinde, geht dich nichts an und braucht dich nicht zu kümmern", betonte Fuyuko und drehte sich ablehnend von dem grinsenden Drachendämonen weg. "Was willst du überhaupt hier? Glaubst du, ich werde mit Sesshomaru und diesem ganzen ekligen Spiel, das du dir für ihn ausgedacht hast, nicht allein fertig?"

"Aber nicht doch, meine Süße", spöttelte Ryokossei, "ich bin auf Anweisung meines geschätzten Bruders hier. Aus irgendeinem albernen Grund glaubt Bundori, dass Inu Taishos Sohn bedrohlicher und stärker sein könnte als du denkst. Außerdem steht mir der Sinn nach etwas sportlicher Betätigung und ich möchte zudem gerne selbst den Hundewelpen zerbrechen sehen."

Fuyuko schüttelte sich leicht. "Wie du willst, dann muss ich mir wenigstens nicht meine Finger an diesem dreckigen Spiel schmutzig machen."

"Was ist los, Fuyuko", meinte Ryokossei, "gefallen dir meine Einfälle nicht mehr? Bisher hat die Rache dir doch ganz gut geschmeckt. Wird der Geschmack dir jetzt zu bitter?"
 

Fuyuko antwortete nicht, sie verließ den Waldrand wieder und ging zum Drachenfelsen zurück. Dafür meldete sich nun der an den Baum gefesselte und verzweifelte Gefangene zu Wort:

"Bitte... Ryokossei-sama, bitte", flehte er inständig, "Ihr dürft das nicht tun. Bitte, bei allen Göttern und Dämonen... nicht so... nicht das... Bitte... ich kann nicht, ich will nicht, dass Se..."

"Hör auf zu winseln, Wolfsköter!", fuhr Ryokossei den Gefangenen an: "An deinem ganzen Dilemma bist du selbst schuld. Keiner hat dich schließlich gebeten dich in irgendwas einzumischen. Aber du hast wohl nach all der langen Zeit Angst und ein schlechtes Gewissen bekommen, was? Tja, dein Pech. Jetzt wirst du mir ein letztes Mal noch nützlich sein, mein lieber Yoshio. Und du kannst froh sein, wenn du dabei mit dem Leben davonkommst. Mein Bruder wäre sicher nicht so mitleidig wie ich."

Der Drachendämon lachte kurz und verstummte dann plötzlich. Mit einem bösartigen und freudigen Ausdruck in seinen rotfunkelnden Augen und dem Maskengesicht auf seiner Stirn sah er nach Westen.

Auch Yoshio spürte nun ebenfalls die sich von dort annähernde, dämonische Ausstrahlung und erstarrte innerlich vor Angst und Entsetzen. Sesshomaru kommt tatsächlich, dachte der Wolfshundedämon verzweifelt. Er gibt sich nicht einmal die Mühe sein Youki zu verbergen. Wahrscheinlich verbietet es ihm seine Ehre sich heimlich anzuschleichen. Vielleicht ahnt er auch, dass es eine Falle ist und will keine unnötigen Kräfte für das Verbergen seiner Energie verschwenden. Er kommt... er kommt trotz allem... er will einen Freund retten und rennt blindlings in sein Verderben...
 

Ryokossei zog sich lautlos in die Schatten des Waldes zurück.

Fuyuko stand währenddessen reglos neben dem Drachenfelsen und sah leicht zitternd in die tiefe, labyrinthartige Schlucht vor sich hinab. Der kühle Nachtwind umstrich ihr schönes Gesicht und ihre nackten Arme, doch seine Kälte war nicht der Grund für ihr Frösteln.

Koga... dachte Fuyuko traurig und schlang die Arme um ihren Körper. Der Gedanke an ihren jungen, treuen Wolfsfreund betrübte sie. Seit mehreren Tagen war Koga verschwunden und hatte sie verlassen. Fuyuko wusste nicht, wohin er gegangen war. Irgendetwas hatte ihn zutiefst beunruhigt und er war einfach fortgelaufen, ohne ihr etwas zu sagen.

Fuyuko konnte ihm sein Fortlaufen nicht verdenken. In letzter Zeit hatte sie sich nur noch mit Koga gestritten und Ryokossei hatte ihn ständig gehänselt. Es war verständlich, dass Koga endlich fort wollte. Er mochte die Drachen nicht, er traute ihnen nicht und er hatte große Angst vor ihnen. Fuyuko verstand sein Misstrauen und seine Furcht gut, ihr ging es nicht anders. An seiner Stelle hätte sie das Gleiche getan und sie wusste, dass er sie eigentlich gern mitgenommen hätte.

Sie vermisste Koga, konnte ihm aber auch nicht folgen. Koga würde sie niemals verstehen, er wollte fliehen, vergessen und neu anfangen. Irgendwo und irgendwie. Er hatte Hoffnung und besaß noch Träume, trotz allem, was geschehen war. Doch Fuyuko würde seine Hoffnungen niemals teilen können. Sie besaß nichts mehr, sie hatte alles verloren: ihre Ehre, ihren Stolz und ihre Ruhe. Den Großteil ihres Rudels hatte sie ins Verderben geführt und fast all ihre Freunde in den Tod getrieben. Die heulenden Geister ihres Vaters und ihrer getöteten Gefährten verfolgten sie und klagten sie an, wohin sie auch ging. Sie konnte nicht fliehen. Das einzige, was Fuyuko noch hatte, das einzige, an das sie sich klammerte, war ihre Rache. Rache war alles, das ihr blieb, und danach der eigene Tod.

"Koga", flüsterte Fuyuko, "es tut mir so leid. Ich wäre dir so gern gefolgt, ich wünschte, es wäre alles anders gekommen. Doch ich bin nicht wie du, ich kann nicht vergessen... ich kann es einfach nicht... für mich gibt es kein Licht und keinen Neuanfang mehr..."
 

Eine eisige Stimme durchbrach Fuyukos Gedanken:

"Wie es scheint, erfüllen sich deine Wünsche nach Rache endlich", sagte diese Stimme kalt, "lass Yoshio frei und dann bringen wir es hinter uns."

Fuyuko fuhr herum.

Hinter ihr stand Sesshomaru. Er hielt ein aufblitzendes, scharfes Schwert in der Hand und sah die Wolfsdämonin ausdruckslos an. Das Mondlicht überflutete seine stolze Gestalt und brach sich silbern schimmernd in seinem seidigen, weißen Haar. Das geheimnisvolle, bläuliche Mondsichel-Zeichen auf seiner Stirn glänzte wie das hell leuchtende Vorbild am Himmel. Der Hundedämon bot einen beeindruckenden Anblick, er wirkte edel und wunderschön.

Für einen kurzen Augenblick fühlte Fuyuko Mitleid. Bald würde Sesshomaru nichts mehr sein als ein bloßes Werkzeug in den Händen der Drachen. Ryokossei und Bundori würden ihn benutzen und ihn dabei genüsslich zerstören, genau wie seinen Freund Yoshio und wie seinen Vater. Und genau wie Fuyuko letztendlich sich selbst.
 

"Oh, sieh mal einer an," sagte die Wolfsprinzessin, "du bist meiner Aufforderung also tatsächlich gefolgt. Wie nett und wie dumm von dir. Denn leider bestimme ich nicht allein, was mit deinem jämmerlichen Freund und mit dir passiert. Es gibt noch jemanden, der dich unbedingt kennen lernen wollte."

Mit einer ausladenden Geste deutete Fuyuko seitwärts zum Waldrand. Sesshomaru folgte ihrem Hinweis mit seinem Blick und sah zu Yoshio, der dort an einem Baum gefesselt stand.

Neben Yoshio tauchte in diesem Moment eine große, menschenartige Gestalt auf und erstrahlte daraufhin in einem hell aufleuchtenden Blitzgewitter. Tief verborgene, machtvolle Energien entfalteten sich plötzlich und begannen die menschenähnliche Form des Ankömmlings zu verwandeln.

Nur wenige Sekunden später erhob sich am Waldrand die riesige Silhouette eines lindwurmartigen, fauchenden Drachens. Die Bäume hinter ihm wirkten ihm gegenüber lächerlich klein und die Luft vibrierte unter seinem äußerst starken, ausstrahlenden Youki.

Emotionslos blickte Sesshomaru wieder zu Fuyuko.

"Hast du deine Ehre schon soweit verloren, dass du andere für die Befriedigung deiner Rachegelüste kämpfen lässt?"

"Ehre", zischte Fuyuko, "was weißt du schon von Ehre? Ist Stolz und Ehre alles, das dir etwas bedeutet? Dann bist du zu bedauern, denn so etwas gibt es hier nicht mehr. Meine Ehre ist längst erloschen, dein Vater hat sie mit seinem Schwert der Hölle sämtlich getötet. Das ist alles, was wir beide hier noch finden werden: die Hölle!"

Sesshomaru schwieg und sah Fuyuko weiterhin kalt an. Die Wolfsdämonin konnte seinen Blick nicht deuten, doch im Spiegel seiner goldenen Augen sah sie ihre eigene Einsamkeit und eine bodenlose Traurigkeit.
 

Ein dröhnendes, aufforderndes Fauchen erfüllte die Luft und lenkte Sesshomarus Aufmerksamkeit von der Wolfsdämonin wieder ab. Schweigend ließ er seine leicht erhobene Schwertklinge sinken, drehte sich zur Seite und ging selbstsicher zum Waldrand, wo der Drache ihn erwartete.
 

Fuyuko sah dem stolzen Hundedämonen nach und verspürte plötzlich wieder Mitleid. Auf einmal brannte in ihr der übermächtige Wunsch die Augen zu verschließen. All ihre Rachegefühle, an die sie sich verzweifelt geklammert hatte, waren in diesem Moment wie fortgespült. Jedes Verlangen ihre endlich erfüllte Rache auszukosten ertrank in der gähnenden Leere, die nun ihr Innerstes erfüllte.

Die einst so stolze Dämonin wollte nicht länger zusehen. Leise pfiff sie ihre beiden, ängstlich wimmernden Wölfe zu sich und verschwand dann mit den Tieren blitzschnell einen kleinen Pfad hinab in die unter ihr liegende Schlucht.
 

Niemand nahm Notiz von der sich versteckenden Wolfsdämonin.

Sesshomaru stand ruhig vor der gewaltigen wahren Drachengestalt von Ryokossei. Neben Ryokossei starrte sein gefangener Freund Yoshio ihm zutiefst verängstigt und bestürzt entgegen.
 

Ryokossei lachte still in sich hinein. Dieser Dummkopf von Hundedämon ging tatsächlich haargenau und vorausberechnet auf alles ein, was für ihn vorbereitet worden war. Wie leicht Hundedämonen doch zu durchschauen waren. Wenn man ihre Schwächen kannte, folgten sie bedingungslos und blind ihrem Schicksal, wie der Hund seinem Herrn.

"Worauf wartest du noch?" hörte der Drache die kalte Stimme von Sesshomaru. Den weichen, warmen Unterton aus der Stimme seines Vaters hatte er offensichtlich nicht geerbt, auch wenn er Inu Taisho sonst sehr ähnlich zu sein schien.

"Wenn du mich beeindrucken willst, musst du schon mehr als deine Lindwurmgestalt zeigen."

Was für eine Überheblichkeit, dachte Ryokossei und musterte den Hundedämonen abschätzig. Er trug nur ein einfaches Schwert, von dieser Klinge war keinerlei Magie zu spüren. Wollte Sesshomaru etwa nur mit bloßem Metall und seinen Klauen auf einen Drachen losgehen? Kein Wunder, dass Inu Taisho seinen Sohn bisher so gut wie nie wirklich aus den Augen gelassen hatte. Dieser Hund war tatsächlich noch zu jung und viel zu unerfahren. Na ja, dachte Ryokossei, ich werde diesem Welpen schon noch Respekt beibringen.
 

Ohne weitere Vorwarnung ließ der Drache seinen Kopf vorschnellen und spie einen Ball aus kaltem, blauweiß leuchtenden Feuer aus. Sesshomaru wich dem verzehrenden Feuer geschickt aus, sprang Ryokossei von der Seite her an und ließ flink sein Schwert auf die Schulter des Drachen niedersausen. Das Schwert prallte wirkungslos von dem harten Panzer des Drachens ab und zerbrach klirrend in zwei Teile. Blitzartig wich Sesshomaru zurück und wappnete sich für einen neuen Angriff, eins der zerbrochenen Stücke seines Schwertes hielt er in seiner linken Hand.

Erneut spuckte Ryokossei grellweißes Feuer. Wieder wich Sesshomaru elegant aus und flog auf den Drachen zu. Dieses Mal griff er ihn frontal an und streckte dabei seinen rechten Arm aus. Ein grünlicher Energiestrahl schoss aus seinen Krallen hervor und traf Ryokossei wie eine Peitsche auf den Kopf.

Der Drache schüttelte kurz sein Haupt, seine Augen brannten leicht. Das kam unerwartet. Sesshomaru schien eine Art ätzendes Gift zu besitzen. Äußerst ungewöhnlich für einen Hundedämon und nicht ungefährlich, denn ätzende Säure würde auch den harten Panzer eines Drachen verletzen können.

Noch einmal schüttelte Ryokossei seinen Kopf und sah sich dann blinzelnd nach Sesshomaru um. Bemerkenswerterweise hatte der Hundedämon sich nach seiner erfolgversprechenden Aktion abgewandt und nicht weiter angegriffen. Ein kurzer Blick zu dem Baum neben sich genügte Ryokossei, um zu wissen, warum Sesshomaru das getan hatte. Der Baum, an den Yoshio gefesselt gewesen war, war leer. Die starken Fesseln, die den Wolfshundedämon gebunden hatten, lagen zerschnitten am Boden. Im Stamm des Baums steckte nur noch die zerbrochene Klinge von Sesshomarus Schwert.
 

Nicht schlecht, tatsächlich, dieser Hundewelpe ist wirklich nicht zu unterschätzen, dachte Ryokossei und sah wieder vor sich. Sesshomaru stand nun direkt vor ihm und spreizte seine grün aufleuchtenden Klauen. Yoshio flüchtete sich verängstigt in seinen Rücken.

Ryokossei grinste kurz und ringelte erwartungsvoll seinen langen, schlangenartigen Körper zusammen. Jetzt würde es erst richtig interessant werden. Als Sesshomaru hoch und auf ihn zusprang, wich der Drache ihm blitzschnell aus, drehte sich und schlug mit seinem so vorgelagerten Schweif zu. Der Hieb des Drachenschwanzes erwischte Sesshomaru mitten in der Luft und schleuderte ihn gegen einen Baum. Krachend fiel der Hundedämon, bevor er reagieren konnte, mit einigen zersplitternden Ästen zu Boden. Die dornigen Schuppen des Drachenschwanzes und die geborstenen Baumzweige hatten ihm die Seite aufgerissen und der harte Aufprall brach ihm die rechte Hand. Sesshomaru spürte Blut an seiner Hüfte und seinen Fingern herablaufen. Schwerfällig unterdrückte er ein Stöhnen und versuchte aufzustehen. Yoshio rannte zu ihm und packte ihn helfend an der Schulter. Er zitterte dabei heftig, aus seinem Gesicht sprach restloses Elend und absolute Verzweiflung.

"Los, verschwinde endlich und bring dich in Sicherheit", knurrte Sesshomaru seinen Freund an, "mit diesem Echsenscheusal werde ich schon fertig."

Kaum hatte er das gesagt, schoss ein weißglühender, blitzender Feuerball auf die beiden Hundedämonen zu. Yoshio sah bebend auf und wich schnell und angstvoll zurück. Hastig sprang Sesshomaru hoch und konnte dem Feuer im letzten Augenblick noch ausweichen.

Ryokossei bedachte beide Hundedämonen nacheinander mit einem unheilvollen Blick und lachte dröhnend.
 

Sesshomaru sah ein, dass er so nicht weiter kam. Er musste sich verwandeln. In seiner Menschengestalt hatte er keine Chance gegen den Drachen. In seiner wahren Hundeform dagegen würde er all seine Kräfte frei entfalten können und sein schwer kontrollierbares Gift, das ihm momentan zu allem Überfluss selbst größte Übelkeit und Schwindel bereitete, besser einsetzen können. Gerne verwandelte sich Sesshomaru nicht, denn in seiner wahren Gestalt wurden seine Kräfte manchmal völlig unbeherrschbar und konnten dann womöglich mehr Schaden als Nutzen anrichten. Doch das musste er eben riskieren.

Die Augen des Hundedämonen färbten sich blutrot, seine Pupillen verformten sich zu schmalen, sichelmondförmigen Schlitzen. Auf seinen Wangen und Händen verbreiterten und verlängerten sich die streifenartigen, dämonischen Markierungen und aus seinem verzerrten Mund blitzten dolchartig spitze Zähne hervor. Rotes Licht umloderte Sesshomaru.

Aber gerade als er seine Transformation weiterführen und abschließen wollte, stach plötzlich etwas scharf in seinen Rücken. Unter einem schmerzvollen Schrei zuckte Sesshomaru zusammen und verharrte in seiner halb begonnenen Verwandlung.

Ryokossei vor ihm lachte wieder dröhnend.

"Gefangen, Hundesöhnchen! Tut mir leid, aber wir müssen unsere nette Auseinandersetzung leider, leider abbrechen. Ich hätte mich gern noch weiter mit dir beschäftigt, aber du hast bedauerlicherweise noch eine weitere Verabredung mit meinem Bruder. Er wartet schon begierig auf dich und ich will ihn nicht länger warten lassen."

Sesshomaru stöhnte. Ein fürchterlich brennender Schmerz breitete sich rasend schnell von seinem Rücken in seinem gesamten Körper aus und lähmte seine Glieder. Mit letzter Kraft drehte er sich um und sah in die tiefblauen und weit aufgerissenen Augen seines Freundes Yoshio.
 

Yoshio starrte mit einer Mischung aus Schrecken, Fassungslosigkeit und Grauen zu seinem Freund zurück. In seiner Hand hielt er krampfhaft einen Dolch, der in einer magischen Aura orangefarben schimmerte. Blut tropfte zäh davon herab.

Leise keuchend, fast flehend streckte Sesshomaru seinen verletzten Arm nach Yoshio aus, seine zu Schlitzen verengten Pupillen fixierten ihn.

Dann fiel sein versteifender Arm wieder zurück und seine Knie gaben nach. Die Röte aus seinem Augen verschwand und ein trüber Glanz legte sich über seinen goldenen Blick.

"Verräter...", hauchte Sesshomaru kaum hörbar und stürzte schließlich bewusstlos zu Boden.
 

* * * * *
 

Bedächtig und unaufhaltsam folgte der Mond weiter seiner Bahn über den Nachthimmel. Sein Licht überstrahlte das Land von Ost nach West und bereitete den Weg für die langsam heraufziehende Morgendämmerung.

In einem ruhigen, friedlichen Garten beobachtete Inu Taisho nachdenklich die gemächlich verblassenden Sterne.

Bald würde ein neuer Tag beginnen, würde neue Freuden und Leiden bringen, unabänderlich, Stunde für Stunde, sich immer wiederholend und doch niemals gleich. Kein Sonnenaufgang glich dem anderem, was verloren war, würde niemals wiederkehren. Altes würde sterben und Neues geboren werden. Es war eines der vielen, großen Geheimnisse, wie das Leben so umfassend und gleichzeitig so einzigartig sein konnte.
 

Zögernd sah Inu Taisho auf die neben ihm im Gras liegende Gestalt herab.

Wie schön sie war. Der kaum spürbare Wind fuhr sacht durch ihr überlanges, dunkles Haar und strich zärtlich über ihre leicht geröteten Wangen. Seidene Wimpern lagen über ihren geschlossenen Augen und schimmerten im Licht des untergehenden Mondes. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre schmalen, rosefarbenen Lippen. Sie schien zu träumen, sie kuschelte sich tief in ihren seidenen Kimono und schmiegte sich dann leicht mit ihrem Kopf gegen sein Bein und sein mantelartiges Schulterfell.

Der Dämon streckte vorsichtig seine Hand aus und berührte sanft ihr Gesicht. Ihre glatte, weiche Haut war warm und verführerisch lebendig. Gern hätte er sie noch mehr berührt und mit seinen Fingern ihre Wangen liebkost. Doch er wollte sie nicht wecken und zog seine Hand nach der hauchfeinen, kurzen Berührung wieder zurück.

Lächelnd betrachtete Inu Taisho nun seine krallenbewehrten Finger und davon ausgehend seinen dick verbundenen Arm. Der Dämonenfürst kannte sich zwar nicht besonders gut mit menschlichen Heilmethoden aus, aber soweit er wusste, unterschieden sie sich nicht sehr von denen, die Dämonen anwandten. So war es für Inu Taisho leicht erkennbar, dass Izayoi nicht zu den heiltätigen Menschen gehörte, die etwas vom Anlegen eines Verbandes verstanden. Ihre unbeholfenen Verarztungsversuche waren dennoch sehr angenehm und amüsant gewesen und der Dämon bereute keine Minute, die er länger im Schlossgarten bei ihr geblieben war.

Lange würde er sowieso nicht mehr bleiben können. Der Morgen war nicht mehr fern und der neue Tag würde sicherlich neuen Ärger mit den Paradiesvögeln bringen. Von diesen Biestern tauchten täglich immer mehr in den westlichen Bergen auf und versuchten die Wölfe aus ihrer angestammten Heimat zu verdrängen. Sicherlich würden sie bald auch versuchen sich über die Berggrenzen hinaus im Westen zu verbreiten.

Die Gokuraku entwickelten sich allmählich zu einer regelrechten Plage und benahmen sich dabei untypisch strategisch und schlau. Inu Taisho vermutete, dass sie jemand anleitete, der im Hintergrund der Paradiesvögel die Fäden zog. Und er hatte einen schwerwiegenden Verdacht, wer das sein könnte. Sollte dieser Verdacht sich bestätigen, könnte es bald sehr gefährlich für den gesamten Westen werden.
 

Bedauernd stand Inu Taisho behutsam auf und sah zögerlich noch einmal auf Izayoi hinunter. Er lauschte ihrem leisen Atem und bewunderte wieder ihre Schönheit. Es war unbegreiflich schwer für ihn sich von diesem Anblick zu lösen.

In diesem Moment öffnete das Menschenmädchen seine Augen. Etwas verwirrt und schlaftrunken sah sie sich um und erwiderte dann den auf ihr ruhenden Blick des Dämonen.

"Oh, wo bin...", murmelte sie, "was... wie... bin ich eingeschlafen?"

Die sanfte Röte auf ihren Wangen verstärkte sich.

Wie peinlich, dachte Izayoi, ich setze mich nur neben ihn und schlafe dann einfach und grundlos neben ihm im Garten ein. Ich habe mich nicht einmal mehr mit ihm unterhalten oder so. Was wird er jetzt bloß von mir denken?

Verlegen sah Izayoi in den Himmel und sprang dann hastig und erschrocken auf. Es war ja schon fast Morgen! Hoffentlich hatte niemand bemerkt, dass sie über Nacht nicht in ihrem Zimmer gewesen war.
 

"Keine Sorge, die Schlossbewohner waren heute nacht, wie es scheint, zu beschäftigt, um auf den Schlossgarten zu achten", kommentierte Inu Taisho das unruhige, besorgte Verhalten von Izayoi: "Niemand hat mitbekommen, dass ein Dämon eure Stadt heimgesucht hat."

Izayoi seufzte erleichtert.

"Schon gut", meinte der Dämonenfürst daraufhin belustigt, "ich geh ja schon. Dann bist du mich endlich wieder los. Danke für deine aufmerksame, ärztliche Behandlung."

Grinsend hob Inu Taisho kurz seinen verbundenen Arm und sprang dann mit einem weiten Satz auf die Schlossmauer.

"Warte!" rief Izayoi überrascht und lief dem Dämonen übereilt nach. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich dabei vor einem Sturz abfangen, als sie sich bei ihrem hastigen Lauf in ihrer lästigen Kleidung verfing.

Inu Taisho drehte sich noch einmal zu ihr um und lächelte.

"Ist noch was?", fragte er schelmisch.

Mit glänzenden Augen sah Izayoi zu ihm hoch.

"Wirst du wiederkommen?"

"Vielleicht werde das."

Nun lächelte auch Izayoi.

"Ich werde auf dich warten", sagte sie.
 

Inu Taisho zeigte keine weitere Reaktion. Er wandte sich ab und sprang die Schlossmauer herab. Flink wie ein von der Sehne schnellender Pfeil und lautlos wie eine schwebende Feder verließ er das Schloss und die Menschenstadt.

Nur wenige Augenblicke später hatte er die bewaldeten Hänge der westlichen Berge erreicht und folgte ihnen hinauf ins Gebirge, in die Richtung, in der die Höhlen des westlichen Wolfsrudels lagen. Auf dem Weg entledigte er sich des Verbandes, den Izayoi mehr oder weniger stümperhaft um seinen rechten Arm gewickelt hatte. Der Dämonenfürst wollte lieber nicht wissen, welche Gesichtausdrücke Chugo und seine Wölfe zeigen konnten, wenn sie den Herrn des Westens verpackt wie eine Mumie vor sich aufkreuzen sehen würden. Seine Verletzung, die er sich im Kampf mit einem besonders störrischen Paradiesvogel zugezogen hatte, war erwartungsgemäß längst wieder geheilt.

Kurz überlegte Inu Taisho, was wohl Izayoi dazu sagen würde, wenn sie von der schnellen Heilung wüsste. Wahrscheinlich würde sie ihn mit ihren wunderschönen Augen aus Obsidian erstaunt ansehen und, verlegen über ihre Unwissenheit Dämonen gegenüber, erröten. Ein Anblick, der Inu Taisho weitaus besser gefiel als der schönste Sonnenaufgang.
 

Plötzlich stutzte der Dämonenfürst und bleib beunruhigt auf einer flachen Bergwiese stehen. Ein riesiger, silbergrauer Wolf lief auf ihn zu und kam rasend schnell näher. Noch während seines Lauf verwandelte sich dieser Wolf schimmernd in die menschliche Gestalt eines in Bärenfelle gekleideten Dämonen mit aschblondem, teils ergrautem Haar. Respektvoll und ernst kam er zu Inu Taisho und neigte kurz seinen Kopf.

"Chugo!" sagte der Dämonenfürst erstaunt und musterte den Wolfsdämonen vor sich besorgt: "Ist etwas geschehen?"

"Mein Herr... Inu Taisho-sama...", rief eine verängstigte Stimme dazwischen. Im gleichen Moment sprang etwas Winziges von Chugos auf Inu Taishos Schulter und begann wirr auf den Fürsten einzureden:

"Wie gut, dass ich euch gefunden habe... Ieyasu ist schon unterwegs... ich habe so nach Euch gesucht...es ist schrecklich, ich weiß... aber, macht Euch keine Sorgen... es wird schon nichts passiert sein... wart Ihr in dieser Menschenstadt? Was habt Ihr da gemacht? Ich dachte, Ieyasu hat einen Fehler gemacht, als ich da gelandet bin... dieser Heiler ist manchmal unmöglich... und ich möchte doch betonen, dass es nicht meine Schuld ist... Ieyasu hat unrecht, wenn er behauptet, dass es allein meine Schuld ist... und die Wölfe... ja, ich bin da hin, weil ich dachte, dass Ihr auch da seid... und dann... also diese Drachen sind ja fürchterlich... und..."

"STOPP!" Ungehalten packte Inu Taisho den kleinen Flohdämonen auf seiner Schulter und klemmte ihn fest zwischen seinen Krallen ein: "Myoga, ich verstehe kein Wort!"

Verschüchtert und schwitzend blickte Myoga seinen Herrn an.

"Inu Taisho-sama...", flüsterte er ängstlich, "ich fürchte, wir haben da ein paar kleine Probleme..."

Inu Taisho runzelte die Stirn und sah vom Flohdämonen zum Leitwolf.

"In der Tat", sagte Chugo daraufhin trocken und sein ernstes Gesicht verdüsterte sich, "wir alle haben Probleme. Und zwar gewaltige!"
 


 

Soweit das zwölfte Kapitel.

Oh, ich weiß, ich spann euch ganz schön auf die Folter und lass mir viel Zeit bis ich endlich alle offenen Fragen kläre. Tja, hmm, das gehört eben zu dieser dramatischen Story, dass sich alle Geheimnisse erst nach und nach (und vielleicht auch etwas überraschend) lüften. Nicht böse sein, die Geschichte geht ja weiter und ich werde mehr und mehr erklären. ;))

Wenn euch irgendwelche interessanten Gedanken gekommen sind oder ihr weitere Anregungen habt, lasst es mich wissen, damit die Geschichte weiterhin spannend für euch bleibt. Ich warte neugierig auf lobende und kritische Kommentare.

Ähm ja, und das nächste Kapitel ist erfreulicherweise schon so gut wie fertig. Es befindet sich sozusagen bereits in seinem Startloch und nennt sich ,Drachenkrallen'... Ich hoffe, ihr freut euch auf die Fortsetzung!

Drachenkrallen

Huh, jetzt wird es gruselig, denn Sesshomaru landet in den grausamen Krallen des Drachenlords Bundori... Dafür lösen sich vielleicht ein paar kleine Rätsel aus der Vergangenheit. Zumindest andeutungsweise... ;))

Das dreizehnte Kapitel (und die rabenschwarze Unglückszahl 13 passt perfekt dazu) folgt: Sesshomaru wurde von der Wolfsdämonin Fuyuko und dem Drachendämon Ryokossei in eine Falle gelockt und ist hilflos den Drachen ausgeliefert. Sesshomarus Freund Yoshio hat bei diesem Anschlag geholfen und seinen Freund damit mehr verletzt als der Dolch, den er dazu benutzt hat. Die Drachen haben ihr Ziel erreicht, das Unheil nimmt seinen Lauf...

Enjoy reading!
 


 

Yoshio zitterte.

Völlig fassungslos starrte er vor sich zur Erde und zerkratzte sich geistesabwesend seine rechte Hand. Er spürte weder die blutenden Wunden, die er sich dabei selbst zufügte, noch die wärmenden Sonnenstrahlen, die das aufgehende Tagesgestirn über den Drachenfelsen warf. Das einzige, das er fühlte, war eine wallende Finsternis, die echoartig fragend und anklagend in ihm tobte.

Vor Yoshios Füßen lag ein magischer Dolch, der aus seiner Hand gefallen war, und schimmerte in orangefarbenen Licht. Der orange Schimmer verstärkte sich im Schein der rotgolden aufgehenden Sonne und spiegelte sich in einer Blutlache, die langsam im Boden versickerte.

Blut..., dachte Yoshio. Blut, das ich verschuldet habe. Blut, das aus einer Wunde geflossen ist, die ich zugefügt habe. Blut, das einem Freund gehört...
 

Mit einem verzweifelten Schrei brach Yoshio in die Knie.

Was habe ich getan, was habe ich getan... Immer wieder hallten diese Worte in ihm wieder. Was bei allen Göttern, Geistern und Dämonen, was bei allen Mächten dieser Erde, des Himmels und der Hölle, was habe ich getan?

Plötzlich sah Yoshio das Bild seines Freundes vor sich: Sesshomaru, der beneidenswerte, strahlend schöne und starke Prinz. Der Unnahbare, der sich erhaben und stolz über alles stellte. Ein unerreichbarer, vollkommener, unverletzlich erscheinender und bewundernswerter Dämon, der niemals Schwäche zeigte. Schwäche war das, was Sesshomaru am meisten verabscheute... und das einzige, das er fürchtete...
 

Wieder schrie Yoshio qualvoll auf.

"WAS HABE ICH GETAN ?!"

Er fand keine Antwort auf seine Frage. Für das, was er getan hatte, gab es keine.

Ich habe ihn verraten, dachte Yoshio, er hat mir vertraut, er wollte mir helfen und ich habe ihn verraten. Er war mein einziger, wirklicher Freund, so wie ich der seine, er war bereit für mich in den Tod zu gehen, und als Dank habe ich sein Herz erdolcht. Alles, was die Drachen ihm noch antun werden, ist mein Werk. Sie werden ihn weiter quälen, seine Seele endgültig zerbrechen und ihn töten, aber ich habe ihm schon längst den Todesstoß versetzt. Das Blut meines Freundes klebt an meinen Händen!

Stöhnend und schmerzlich schreiend warf sich Yoshio auf die Erde, seine seidenen Ärmel und weiten Beinkleider verschmierten und tränkten sich mit dem dort zerflossenen, halb getrockneten Blut.
 

Was nur habe ich getan... Die Gedanken des schluchzenden Wolfshundedämonen flogen zurück in die Vergangenheit und rissen wirr Erinnerungsfetzen daraus hervor. Yoshio sah sich als kleines Kind, das verständnislos auf die Leichen seiner getöteten Eltern blickte. Er erinnerte sich an das gütig lächelnde Antlitz von Inu Taisho, als er den jungen Wolfshund nach langen Jahren der Einsamkeit und Verachtung bei sich aufnahm. Er hörte die vielen spöttelnden und bösen Stimmen, die ihn ein widerliches Mischblut nannten, dessen Mutter eine verhasste Feindin gewesen sein sollte. Unglücklich dachte er an seine Unbeholfenheit, seine Schwäche, sein ständiges Versagen, und er dachte an den Herrn des Westens, der ihm jeden Fehler verzieh und ihn immer wieder zu neuen Taten ermunterte. Inu Taisho war zu Yoshio sogar freundlicher gewesen als zu seinem eigenen, neugeborenen Sohn, den ihm später irgendjemand nach einer zerstörerischen Gewitternacht in sein Schloss brachte. Zu gut erinnerte sich Yoshio daran, wie schwer es dem Dämonenfürsten von Anfang an fiel seinen kleinen Sohn richtig anzusehen, wie sehr Sesshomarus Anblick ihm innerlich wehtat, ohne dass jemand den Grund dafür wusste.

Schließlich sah Yoshio erneut Sesshomaru vor sich, zunächst als Kind, das Yoshio nervend nachlief, wohin er auch ging. Dann als Heranwachsender, der in seiner Freiheitsliebe gerne abhaute und oft tagelang irgendwo verschwunden war. Oft hatte Yoshio ihn auf seinen abenteuerlichen, meist verbotenen Ausflügen begleitet. Einmal waren sie sogar heimlich am Meer gewesen und hatten sich kindisch wie zwei kleine Lausbuben an einer malerischen Küste versteckt. Wie lange war das nun her, ein Jahrhundert vielleicht? Die Strafpredigt, die Inu Taisho den beiden Herumtreibern danach verpasst hatte, war eines Denkmals würdig gewesen. Ein Grund, weshalb Yoshio diesen Ausflug niemals vergessen hatte. Der andere Grund, warum diese, längst vergangenen Tage am Ozean erinnerungswürdig waren, war eine alberne, spaßige Wasserschlacht, die Yoshio sich mit Sesshomaru im Meereswasser geliefert hatte. Sesshomaru war damals überraschenderweise auf jeden kindischen Spaß, den Yoshio sich mit ihm erlaubt hatte, eingegangen und hatte in einem besonders glücklichem Moment sogar lauthals gelacht. Es war das erste und einzige Mal, dass Yoshio seinen Freund richtig lachen gehört hatte. Nichts und niemand zuvor, nur Yoshio ganz allein, hatte ihm solch einen offenen Ausdruck seiner Freude entlockt.
 

Die versunkene Erinnerung an dieses einmalige, ehrliche Lachen Sesshomarus brach dem verzweifelten Wolfshundedämonen endgültig das Herz.

"Warum nur habe ich das getan...", flüsterte er, "wie konnte ich mich nur so blenden lassen, von falschen Versprechungen, von meinem Neid, von meiner Angst... wäre ich Ryokossei doch nie begegnet. Würde dieser Drache doch nur für immer und ewig in höllischen Feuern brennen... und hätte ich doch nie erfahren, was meine Eltern..."

"Yoshio!"

Erschrocken sah der Wolfshundedämon auf. Vor ihm stand Ieyasu und betrachtete ihn entgeistert. Seine Blicke wanderten über Yoshios blutverschmierte Kleidung und Hände, sowie über den auf dem Boden liegenden Dolch und die daneben vertrocknende Blutlache.

"Was ist geschehen? Wo ist Sesshomaru-sama?"
 

Yoshio sprang blitzartig auf und wich vor dem Heiler zurück. Bebend blieb er einige Meter vor Ieyasu stehen und spannte seine Krallen.

"Komm mir nicht zu nahe! Ich weiß, dass ich den Tod verdient habe", schrie er, "doch du wirst mich nicht töten. Keiner wird mich töten. Niemand wird mir etwas antun. Ihr werdet mich niemals finden. Niemals. Und Sesshomaru ist mir egal. Völlig egal, hörst du?! Ich hasse ihn, ich habe ihn immer gehasst! Soll Bundori ihn doch zu Tode foltern, es interessiert mich nicht. Und Inu Taisho interessiert mich auch nicht. Ich bin sowieso sein Feind. Ich bin der Feind aller Hunde und aller Wölfe!"
 

"Yoshio..." Behutsam ging Ieyasu auf den wahnsinnig wirkenden Wolfshundedämonen zu und streckte besänftigend seine Hand nach ihm aus.

"Fass mich nicht an! Siehst du das Blut? Fass mich nicht an, oder dein Blut wird ebenfalls an mir kleben!"

"Was auch immer hier geschehen ist, Yoshio" sagte Ieyasu leise und vorsichtig, "ich weiß, es ist sicher nicht deine Schuld... bitte..."

"Natürlich bin ich schuldig!", kreischte Yoshio, "Wir alle sind vom Bösen vergiftet! Wir sind Dämonen, wir sind Wesen Finsternis. WIR SIND DIE WERKZEUGE DER FINSTERNIS!"

"Die Dunkelheit ist nicht böse, Yoshio. Böses geschieht gleichermaßen am helllichten Tag wie in der finsteren Nacht. Ohne die Dunkelheit könnten wir die Sterne nicht sehen und ohne das Licht nicht die Wahrheit. Es gibt kein absolutes Böse oder Gut, es gibt nur zwei Seiten einer grenzenlosen und umfassenden Macht, die alles vereint. Das Leben zwingt uns oft zu grausamen Entscheidungen, doch es schenkt uns auch die Freiheit selbst über uns zu bestimmen. Fehler können vielleicht nicht immer wiedergutgemacht werden, aber sie können vergeben und vergessen werden, und neue, gute Früchte bringen!"
 

"Nein!"

Wieder wich Yoshio vor Ieyasu, der nun nah bei ihm stand und ihn zart berühren wollte, zurück.

Der Heiler wollte noch etwas sagen, doch Yoshios Gestalt verschwamm plötzlich wie das Spiegelbild in einem See, wenn Wellen darüber gleiten. Gleich darauf war er fort, als hätte es ihn nie gegeben.

Verwundert sah Ieyasu sich um und versuchte irgendetwas zu spüren, aber da war nichts. Keine Energien, keine Düfte, keine Geräusche, keine Zeichen, nicht einmal ein magisches Licht, einfach nichts. Yoshio war völlig spurlos verschwunden. Woher hatte er diese Fähigkeit? Weder Wölfe noch Hunde konnten sich so einfach ohne spürbare Magie in Luft auflösen. Dies war eine besondere Kunst, die normalerweise nur spezielle Dämonen beherrschten. Ieyasu besaß ähnliche Fähigkeiten des Verschwindens, doch diese funktionierten bei ihm nur mit Anwendung seines magischen Stabes, und auch dann nicht derartig vollkommen und nur unter größter Kraftanstrengung. Es war eigentlich unmöglich, dass Yoshio so etwas mit seinem nur relativ schwachem Youki vollbringen konnte.

Doch es machte keinen Sinn weiter darüber nachzudenken. Der unglückselige Wolfshundedämon war und blieb unauffindbar. Ieyasu konnte ihm nicht mehr helfen, er konnte nur hoffen, dass Yoshio von selbst wieder zu sich und zurück ins Licht finden würde.

Doch vielleicht war es stattdessen noch nicht zu spät, jemand anderen zu retten.
 

Nervös untersuchte Ieyasu den Ort unterhalb des Drachenfelsens. Er erkannte Kampfesspuren und entdeckte Sesshomarus zerbrochenes Schwert. Von der Blutlache aus, in der Yoshio bis zu Ieyasus Erscheinen gekniet hatte, führten vereinzelte, tropfenartige Blutspuren weg nach Osten. Nicht zu übersehen war eine gewaltige Schleifspur eines riesigen, langgezogenen, Körpers, die in eine labyrinthartige Schlucht hinabführte und darin verschwand.

Ieyasu blieb am Rand der Schlucht stehen und sah hinab. Er brauchte nicht lange zu grübeln, um sich ausmalen zu können, was geschehen war. Sesshomaru hatte gegen einen Drachen gekämpft und war nun von diesem ins Drachenreich verschleppt worden. Dass Yoshio bei dieser ganzen Aktion irgendwie geholfen hatte, war sicherlich Teil eines grausamen Spiels gewesen, das der Drachenfürst Bundori und sein Bruder nun mit Inu Taisho spielten.
 

"Diese verfluchten, missraten Kriechtierkreaturen", murmelte Ieyasu.

Womit konnte der unversöhnliche Hass dieser beiden Drachen endlich befriedigt werden? Reichte ihnen ihre bereits vor langer Zeit ausgekostete Rache denn nicht aus? Wie konnte es überhaupt zwei solch scheußliche Vertreter ihrer Gattung geben?

Es war nicht verwunderlich, dass alle vernünftigen Drachendämonen im Osten sich von ihren beiden schändlichen Fürsten fernhielten. Sich gegen sie auflehnen oder sie an irgendetwas hindern, würden sie allerdings auch nicht.

Drachen waren eine uralte und sehr rätselhafte Rasse. Sie hatten zwar auch hierarchische Strukturen, kümmerten sich aber meist nicht sehr um andere. Sie lebten meist einzeln für sich, und mischten sich normalerweise in gar nichts ein. Außer man provozierte sie oder Sippenangehörige ausdrücklich, und dann unterschrieb man damit gewöhnlich sein Todesurteil.

Unerlaubt ins Drachenreich zu spazieren, wäre eine gefährliche Provokation. Es wäre Wahnsinn, allein in die Schlucht hinab zu gehen und einen Rettungsversuch für Sesshomaru zu starten, das wusste Ieyasu nur zu gut. Abgesehen davon war Ieyasu ein Heiler, kein Kämpfer, und er kannte sich im Reich der Drachen nicht aus. Ihm blieb daher nichts anderes übrig als Inu Taisho Bericht zu erstatten und zu hoffen, dass sein Herr einen Weg finden würde seinen Sohn zu retten.

Der Heiler umfasste seufzend seinen Stab und konzentrierte sich auf seine magischen Kräfte. Sich bis in die westlichen Berge zu teleportieren, würde seine Energien fast restlos erschöpfen. Doch es musste sein, weitere Zeit durfte Ieyasu nicht verlieren. Er wollte lieber nicht wissen, für welche weiteren Spiele das grausame Drachenbrüderpaar diese Zeit nutzen würde.
 

* * * * *
 

Ein drückendes, würgendes Gefühl und ein dumpf pochender Schmerz in seinem Rücken weckten Sesshomaru aus der bodenlosen Schwärze, die ihn bisher umfangen hatte.

Sein Körper fühlte sich taub und hohl an. Seine Sinne waren verwirrt. Er konnte weder die um ihn schwebenden, schwefelartigen Gerüche noch irgendwelche Laute, die gedämpft an sein Ohr drangen, richtig zuordnen. Alles verwirbelte in einem unangenehmen Nebel.

Sesshomaru schluckte schwerfällig, sein Mund war trocken und seine Zunge fühlte sich pelzig an. Mühsam öffnete er die Augen und hob träge seinen Kopf.
 

Es dauerte eine Weile bis sein immer wieder verschwimmender Blick klar wurde und er endlich etwas sehen konnte. Erst langsam registrierte der Hundedämon, dass er aufrecht mit leicht erhobenen Armen gegen eine Felsenwand gepresst stand. Mehrere Meter rechts neben ihm befand sich ein bodenlos erscheinender Abgrund, eine tiefe Erdspalte, aus der leicht Dämpfe empor stiegen. Offenbar traten hier Gase aus dem Erdinnern an die Oberfläche hervor, daher kamen also die schwefelartigen Gerüche.

Vor Sesshomaru breitete sich der steinige, nur sehr spärlich bewachsene Boden einer langgezogenen, verwinkelten Schlucht aus. Von den steil aufragenden Felswänden dieser Schlucht mussten wohl öfters Steinlawinen herabfallen, denn überall lag scharfkantiges Geröll herum.

Der Hundedämon stöhnte leise, sein Kopf schwindelte und seine Arme schmerzten. Er wollte sich bewegen, bemerkte aber, dass er sich so gut wie gar nicht rühren konnte. Eiserne, leicht vibrierende Ketten fesselten ihn unlösbar an die steinige Wand hinter sich.
 

"Gib es auf, du kannst diese versiegelten Fesseln nicht lösen. Nicht einmal in deiner wahren Gestalt und mit all deinen Kräften könntest du diese Ketten zerreißen."

Erst jetzt fiel Sesshomaru auf, dass er nicht allein war. Etwa zwanzig Schritte vor ihm saß eine große, menschenähnliche Gestalt auf einem Stein und beobachtete ihn aus zwei verschiedenen Augenpaaren. Eines dieser Augenpaare mit senkrechten, schlangenartigen Pupillen war glühend rot, das zweite war kleiner und gehörte zu einer gesichtsartigen Maske, die der Unbekannte auf der Stirn trug.

"Erfreulich, dass du wieder aufgewacht bist. Ich dachte schon, die lähmende Magie meines schönen Dolchs, den ich extra für deinen Freund gefertigt habe, wäre ein wenig zu stark gewesen. Es wäre sehr bedauerlich gewesen, wenn ich deinen Besuch nicht mehr hätte genießen können. Ich wollte dich schließlich schon immer mal als Gast in meinem Reich willkommen heißen."

Endlich erkannte Sesshomaru, trotz seiner noch immer etwas verwirrten Sinne, wen er vor sich hatte. Vor weit mehr als einem Jahrhundert hatte er diesen Dämonen schon einmal gesehen, wenn auch in anderer, in wahrer Gestalt, und nur sehr kurz, doch er hatte diesen Geruch und diese Aura niemals vergessen. Angestrengt stemmte er sich gegen seine Ketten und versuchte sich loszureißen, doch die festen Fesseln, die seinen Körper banden, gaben nicht einen Zentimeter nach.
 

"Oh, ich sehe, du erkennst mich", sagte die menschenartige Gestalt und stand von ihrem Sitzplatz auf, "die gute Nase und Erinnerung von euch Hunden erstaunt mich immer wieder. Dabei warst du damals, als wir uns das erste und einzige Mal gesehen haben, noch ein Kind. Es ist sehr lange her, als ich deinen Vater das letzte Mal besucht habe. Ich weiß noch, wie erfreut und erleichtert er damals über mein vorgetäuschtes Versöhnungs- und Friedensangebot war. Es hat mich sehr viel Mühen gekostet, bis ich ihn endlich wirklich überzeugt hatte, dass er mich nicht mehr als Feind ansah. Und er ist auch weiterhin immer vorsichtig und misstrauisch geblieben. Wirklich, dein Vater ist tatsächlich bewundernswert klug. Leider nicht klug genug. Er hat wohl meine Geduld unterschätzt. Dabei sollte er eigentlich wissen, dass es nichts geduldigeres als einen Drachen gibt. Wir können sehr, sehr lange warten, um unsere Pläne zu erfüllen."

Sesshomaru fand keinen Grund auf diese Rede zu antworten und schwieg.

"Du bist deinem Vater sehr ähnlich, nicht nur vom Aussehen her. Dieses Schweigen in gewissen Situationen und dieses nette Talent jegliches Gefühl zu verbergen, hast du bestimmt von ihm geerbt. Hmmm, ich frage mich, was du wohl noch für Eigenschaften mit deinem Vater gemeinsam hast. Mal sehen, von was du dich beeindrucken lässt."

"Ihr beeindruckt mich überhaupt nicht, Lord Bundori, und Eure höhnischen Reden schon gar nicht. Ihr seid ein Nichts gegenüber meinem Vater." Sesshomarus Stimme klang nicht ganz so verächtlich wie er beabsichtigte, denn das Reden fiel ihm schwer.

Der Drachendämon vor ihm lächelte leicht.

"Hmmm, wirklich hübsch gesagt. Genau wie ich es von einem solch treuherzigen Hund erwartet habe. Gefällt mir. Gefällt mir sehr. Ich glaube, wir werden viel Freude miteinander haben und Inu Taisho, wenn er dich abholen kommt, noch viel mehr... Das heißt, sofern er dich überhaupt abholt... Vielleicht ist er ja ganz froh dich los zu sein, meinst du nicht auch?"

Sesshomaru schwieg.

"Ah, wie schön", sagte Bundori vergnügt, "da habe ich mir ja wirklich einen sehr treuen Hund eingefangen. Brav und geduldig hält er an seiner Verehrung und Liebe fest, bis zum bitteren Ende... Schade, dass dieser arme Hund niemals etwas von seiner Liebe zurückbekommen hat, was? Ich frage mich, ob der Hundefürst seinen kleinen Welpen nur ein einziges Mal wirklich gestreichelt und liebevoll umarmt hat?!"

Weiterhin schwieg Sesshomaru.

"Keine Antwort auf meine Frage? Nun, keine Antwort ist auch eine Antwort, nicht wahr? Würdest du eigentlich gern wissen, warum dein Vater dich trotz all deinem Betteln um Anerkennung nicht mag? Soll ich es dir verraten? Ich werde es dir sagen. Er kann dich einfach nicht leiden und wird dich auch niemals leiden. Denn du bist schuld daran, dass er etwas verlieren musste, das er über alles liebte. Er hasst dich für den Tod deiner Mutter."

Immer noch verharrte Sesshomaru in seinem Schweigen.

"Du glaubst mir nicht, nicht wahr? Dabei kenne ich deinen Vater schon so lange. Und ich kenne ihn sehr gut, viel besser als du ihn jemals kennen könntest. Ich kenne seine Schwächen, denn ich habe sie oft für meine Ziele ausgenutzt. Inu Taisho hat dir nie etwas aus seiner Vergangenheit erzählt, habe ich nicht recht? Hat er dir je erzählt, wer wirklich deine Mutter war? Nein, sicher nicht. Warum auch? Darüber gibt es nichts Schönes zu berichten. Deine Mutter war nur ein Werkzeug in meinen Händen, ein niederrangiges, elendes Dämonengeschöpf der untersten Stufe. Allein erschaffen für den Zweck deinen Vater zu vernichten und hervorragend an all seine Bedürfnisse angepasst. Dieses Werkzeug war sogar so perfekt, dass es deinen Vater vor lauter Liebe in den Wahnsinn trieb, er hätte alles für deine Mutter getan. Nur eine Fehlfunktion hatte dieses Werkzeug leider, es machte sich ein wenig selbstständig und erwiderte die Liebe deines Vaters. Dieser Fehlfunktion hast du dein Leben zu verdanken und aufgrund dieser Fehlfunktion musste deine Mutter sterben. Denn dafür, ein Kind zu gebären, war sie nicht geschaffen. Das war ihr verboten, das bedeutete ihren Tod."
 

"Warum sollte ich nur einem dieser wirren Worte Glauben schenken", sagte Sesshomaru nun, "ihr Drachen seid Meister der Lügen und Intrigen."

"Vielleicht sind wir das", meinte Bundori zufrieden darüber, seinem Gefangenen endlich eine Reaktion entlockt zu haben, "doch in jeder Lüge steckt auch ein Körnchen Wahrheit. Denk mal darüber nach. Vielleicht glaubst du meiner Geschichte ja eher, wenn ich dir erzähle, was ich sonst noch so über deinen Vater weiß. Er hat eine Schwäche für elende, niederrangige Geschöpfe, ist das nicht so? Beispielsweise mag er Menschen. Wer weiß, vielleicht verliebt er sich ja in so eine Kreatur?! Interesse hat er doch schon an so etwas gezeigt, oder? Oder hast du seine auffallend rührende Sorge um eine gewisse Menschenstadt in den westlichen Bergen etwa nicht bemerkt? Menschenliebe passt hervorragend zu Inu Taisho, denn er beschützt gern schwache, hilflose Wesen, die ihn stark und mächtig erscheinen lassen. Das ist übrigens der zweite Grund, weshalb er dich nicht leiden kann, denn du bist nicht schwach und hilflos. Im Gegenteil, du besitzt erstaunliche Kräfte und trägst fast nur das starke Blut deines Vaters in dir. Du könntest sogar stärker als er werden und ihn irgendwann besiegen. Sag mir, wie soll ein Vater einen Sohn lieben können, der irgendwann sein Untergang sein könnte? Sicherlich wäre ihm ein schwächerer Sohn viel lieber, ein Sohn mit schwachem Blut. Vielleicht sogar ein Sohn mit niederem Menschenblut..."
 

"Eure Worte und Ausführungen interessieren mich nicht", zischte Sesshomaru, "wenn Ihr glaubt, mich damit verwirren oder verletzen zu können, irrt Ihr Euch. Es interessiert mich weder, wer meine Mutter war, noch, welche Vorlieben mein Vater hat. Gleichgültig, ob Eure Aussagen gelogen oder wahr sind. Ich hänge an niemanden und bin auch nicht von irgendwem abhängig."

"Tatsächlich?" meinte Bundori: "Hmmm... interessant, dass du dich dann hier befindest... Wehrlos gekettet an eine Felsenwand. Völlig hilflos in meinen Händen. Und überlistet von einem wunderschönen Dolch, den dein angeblicher Freund, den du retten wolltest, dir in den Rücken gerammt hat. Sag mir, war es nur Abenteuerlust und Rachedurst an Fuyuko, die dich zum Drachenfelsen getrieben haben? Oder war es die Sehnsucht nach ein bisschen Vertrauen und Freundschaft? Und beantworte mir noch eine Frage: wie hat es sich dann angefühlt, diese brennende, verräterische Klinge, die deine Hoffnungen zerstach, zu spüren?"

Sesshomaru verfiel wieder in Schweigen und blieb völlig ausdruckslos.

"Wie ich sehe, hast du kein Interesse mehr daran, dich mit mir zu unterhalten. Nun, was soll's. Vielleicht kann dir ja tatsächlich alles gleichgültig sein. Du wirst eh nicht mehr lang genug überleben, um dir über den Wahrheitsgehalt meiner Aussagen Gedanken machen zu müssen. Und da es dir ja angeblich soviel Vergnügen macht allein und unabhängig zu sein, wirst du auch einsam und verlassen sterben."
 

Bundori trat etwas zurück und schloss seine großen, roten Augen. Nur das auf seiner Stirn haftende, kleine Maskengesicht lachte und sah Sesshomaru weiterhin durchdringend an. Ein tiefrötlicher Schimmer umhüllte den Drachendämon und seine menschliche Gestalt begann zu verschwimmen. Sein Körper vergrößerte sich und zog sich in die Länge. Auch sein Kopf verformte sich und bildete ein großes Maul mit einem furcherregenden Gebiss. Das rötliche Licht um den Drachendämonen nahm in seiner Intensität zu und wurde schließlich so grell, dass Sesshomaru geblendet die Augen schließen musste. Als er sie wieder aufschlug, stand ihm ein lindwurmartiger, gewaltiger Drache in rotgoldglänzendem Schuppenkleid gegenüber, der fast die gesamte Breite der Schlucht ausfüllte. Er reckte den vorderen Teil seines Körpers mit zwei, im Verhältnis relativ kleinen, klauenbewehrten Händen in die Höhe und starrte mit glutroten Augen auf Sesshomaru herab.
 

Der gefesselte Hundedämon sah unbeeindruckt zu dem in seine wahre Gestalt verwandelten Drachendämonen empor und blickte dabei auf Bundoris Stirn. Das dort sitzende, maskenartige und bösartig dreinschauende Gesicht, hatte sich durch die Verwandlung nicht verändert, nur etwas vergrößert. Mit diesem Gesicht begann Bundori nun wieder mit einer höhnischen Stimme an zu sprechen.

"Du gehörst mir", sagte er befriedigt zu Sesshomaru, "dein Leben, dein Tod, deine Seele und all dein Leiden gehören mir. Und glaube mir, du wirst lange leiden... Glaub nicht, dass irgendwer dich retten will. Niemand hat Interesse an dir. Weder dein verräterischer Freund, noch irgendwelche Untergebenen, die sich alle vor dir fürchten und dich hassen. Am wenigsten dein dich ablehnender Vater... Du bist allein. Du gehörst allein mir..."

Ein bronzenes, lautes Lachen folgte diesen Worten und dröhnte in Sesshomarus empfindlichen Ohren. Der Hundedämon zuckte leicht zusammen. Sein versteifter, verletzter Körper schmerzte. Am meisten schmerzte ihn die von Yoshio zugefügte und nur langsam heilende Wunde in seinem Rücken und fast noch mehr ein nicht körperlicher Stich in seinem Herzen. Chichi-ue..., dachte Sesshomaru und schloss die Augen. Doch er öffnete sie sofort wieder und blickte den hohnlachenden Drachendämonen kalt an. Er würde keine Schwäche zeigen, nein, niemals.
 

Erneut lachte Bundori und sein Lachen hallte in einem verstärkten Echo von den Felswänden.

"Du bist mutig, Hund. Sehr mutig und stark. Du bist bewundernswert und gleichzeitig so erbarmungswürdig in deinem einsamen Heldentum. Gefällt mir. Umso mehr Freude wird es mir bereiten deinen Körper und deine Seele zu brechen. Sei dir sicher, ich werde dich brechen. Niemand hat mir je widerstanden. Und der Tod wird lange warten, um dich endlich zu erlösen!"
 

Sesshomaru schwieg. Die ihn haltenden, magisch glimmenden Ketten fesselten sich wie von Geisterhand noch stärker um seinen Leib und drückten ihn schmerzhaft fest gegen den kalten Fels.

Bundori näherte sich mit glitzernden Blicken seinem Opfer und beugte seinen massigen Körper zu ihm herab. Bedächtig streckte er einen Arm aus, spreizte seine klauenartigen Finger und ließ langsam, fast zärtlich eine seiner Krallen über die Wange des Hundedämonen gleiten. Eine feine, schwach blutende Wunde bildete sich auf Sesshomarus Haut.

Der Drachendämon zog seine Klaue wieder zurück und betrachtete sein Werk. Sesshomaru zeigte nicht die kleinste Regung, auch sein Blick blieb unbewegt und starr. Die kleine Verletzung auf seiner Wange hörte schnell wieder auf zu bluten und begann danach sich wieder zu schließen und zu heilen.

"Sehr schön", bemerkte der Drache, "du besitzt perfekt funktionierende Selbstheilungskräfte... damit wird deine Qual schön lange dauern. Meine Gefangenen sind häufig zu schwach, um mir wirklich Vergnügen zu bereiten. Du dagegen wirst länger durchhalten als nur ein paar Stunden oder Tage."
 

Erneut beugte sich Bundori zu Sesshomaru herab und lachte. Sein Lachen klang diesmal leise und gefährlich. Sanft hauchte er seinem Opfer ins Gesicht und die weißen Haare des reglosen Hundedämonen wehten leicht in diesem warmen, milden Luftzug.

"Du wirst dir noch wünschen nie gelebt zu haben", flüsterte der Drachendämon in Sesshomarus Ohr.
 


 

Soweit das dreizehnte Kapitel.

Interessant, was der Drache da so alles aus der Vergangenheit erzählt hat, nicht wahr? Aber inwiefern er die Wahrheit eventuell verdreht hat... tja, das müsst ihr selbst rausfinden... Die Geschichte ist ja noch lange nicht zuende (so ein ewiglanger Roman, puh... *kicher*). Im nächsten Kapitel erfahrt ihr, was Inu Taisho derweil macht... er hat noch einige Überraschungen vor sich... Vater (und Herrscher) sein, ist eben schwer... dieses Mal müsst ihr euch aber wieder etwas gedulden, denn jetzt kommen meine ,Unzertrennlichen' (d.h. meine FF 1) erst mal wieder dran...

Bleibt mir treu, das würde mich sehr freuen, ebenso wie ein paar Kommentare.

Verzweifelte Hoffnung

Toll, dass ich immer noch einige treue Leser und Kommischreiber habe, die diese ewiglange Story interessiert verfolgen. Ich danke euch allen herzlich dafür und werde mich bemühen euch weiter bei Leselaune zu halten.

Kann meine Geschichte eigentlich noch dramatischer werden?!? Hmmm, vielleicht... jetzt trifft es nämlich auch noch Inu Taisho hart, mit dem Sohn muss eben auch der Vater leiden... ich glaub, ich bin ganz schön gemein zu all meinen Figuren... (tja, äh, wieso musste ich mir als Genre auch unbedingt ein Drama aussuchen...*g*)

Also weiter: Die beiden Drachenfürsten Ryokossei und Bundori haben einen grausamen Plan ersonnen, um ihren Feind Inu Taisho in die Knie zu zwingen. Und ihre bösartigen Spiele, bei denen sie unter anderem auch Sesshomaru in ihre Gewalt gebracht haben, scheinen bestens zu funktionieren. Der Dämonenfürst des Westens steht am Rande der Verzweiflung und vor der schwersten Entscheidung seines Lebens...

Enjoy reading!
 


 

Nie werde ich diesen Ausdruck in den goldenen Augen Inu Taishos vergessen, nachdem ich ihm erzählt hatte, was mit seinem Sohn geschehen war.

Mein Herr konnte seine Gefühle meist sehr gut verbergen, aber eben nicht immer. Und am allerwenigsten in diesem einen Augenblick. Es war nur ein kurzer, winziger Augenblick, ein Wimpernschlag, aber er genügte mir.

Diese eine Sekunde reichte mir, um zu wissen, wie es aussieht, wenn eine Seele vor Schmerz zerbricht.
 

Wie tückisch der ganze Plan der beiden Drachendämonen Bundori und Ryokossei wirklich war, wurde mir erst klar, als ich Inu Taisho aufsuchte, um ihm die Details der gewaltsamen Verschleppung seines Sohnes zu berichten.

Als ich, der dämonischen Aura meines Herrn folgend und fast völlig erschöpft, die Höhlen von Chugos Wolfsrudel in den westlichen Bergen erreichte, herrschte dort gewaltige Aufregung und diensteifrige Emsigkeit.

Außer den Wolfsdämonen hielten sich dort auch viele Hundedämonen und weitere Vertreter unterschiedlichster Dämonenrassen auf. Viele von ihnen kannte ich nicht und viele hatte ich auch schon länger nicht mehr gesehen.

So dauerte es eine kleine Weile, bis ich schließlich begriff, was da eigentlich vor sich ging. Bei all diesen Dämonen, die sich in den westlichen Bergen versammelten, handelte es sich um Untergebene und Verbündete Inu Taishos, die ihn in kriegerischen Konflikten unterstützten.

Mein Fürst sammelte seine Kämpfer zusammen und stellte ein Heer auf!
 

Schrecken erfasste mich. Stand uns etwa wieder ein Krieg bevor?

Ein silbergrauer, bewaffneter Fuchsdämon in halb menschlicher Gestalt, der Inu Taisho schon oft in kämpferischen Auseinandersetzungen geholfen hatte und mich von den jüngsten Ereignissen in Kenntnis setze, bestätigte meine Befürchtungen. Etwa zur gleichen Zeit, als ich den Flohgeist Myoga nach dem Verschwinden von Sesshomaru zu meinem Herrn geschickt und mich auf den Weg zum Drachenfelsen gemacht hatte, war ein riesiges, feindliches Dämonenheer im Westen eingefallen. Dieses Heer kam aus dem Osten, dem Drachenreich, es bestand aus Paradiesvögeln, Schlangen und drachenverwandten Dämonen. Mit einem überraschenden, nächtlichen Überfall hatten diese Angreifer einen ganzen Landstrich südlich der westlichen Berge zerstört und alles Leben dort vernichtet. Und nun stand ein weiterer, weitaus größerer Überfall, dieses Mal mit Ziel auf die westlichen Berge, bevor. Wenn niemand dieses Unheil aufhielt, stand zudem der gesamte Westen vor der Gefahr im Blut und Feuer eines gewaltigen, dämonischen Eroberungsfeldzugs zu ertrinken.
 

War es Zufall, dass dieses feindliche Dämonenheer aus dem Osten mit seinem bedrohlichen Angriff auf Inu Taishos Herrschaftsgebiet erst bis zu einer bestimmten Nacht gewartet hatte? War es Zufall, dass vereinzelte, vorangegangene Angriffe der Paradiesvögel in den westlichen Bergen Inu Taisho zuvor beschäftigt und abgelenkt hatten? War es Zufall, dass dann ein verheerender Überfall ausgerechnet in der Nacht stattfand, in der auch der Sohn meines Fürsten gefangen und verschleppt wurde? Nein, sicher nicht. Auch das war alles Teil eines hinterhältigen, finsteren Plans.
 

Zutiefst beunruhigt suchte ich meinen Herrn und fand ihn schließlich in einer der Wolfshöhlen, wo er sich die erschreckenden Berichte des Leitwolfs Chugo über den Stand der Invasion und über weitere Zerstörungen anhörte.

Als ich die Höhle betrat, stand Inu Taisho sofort auf und kam zu mir. Er sah mich eine Weile schweigend und undurchdringlich an. Auf seiner Schulter saß verschüchtert Myoga und starrte mir zutiefst verängstigt entgegen.

"Sesshomaru?" fragte Inu Taisho schließlich. Seine Stimme war leise, fast nur ein Flüstern.

Es fiel mir schwer ihm zu antworten:

"Verzeiht mir mein Versagen, mein Lord, ich bin zu spät gekommen. Ein Drache hat den Prinzen verletzt und gefangen. Yoshio hatte ebenfalls etwas mit dieser Entführung zu tun. Scheinbar wurde er irgendwie dazu gezwungen. Und wahrscheinlich wurde er auch schon länger als Werkzeug und als Spion benutzt. Möglicherweise haben Bundori und Ryokossei den Wolfshundedämon dazu auch mit magischen Kräften ausgestattet. Ich weiß es nicht. Yoshio war dem Wahnsinn nahe und ist dann plötzlich auf magische Weise verschwunden, bevor ich mehr herausfinden konnte. Sesshomaru-sama ist nun jedenfalls irgendwo im Drachenreich und, wie es scheint, in Bundoris Händen... ich fürchte, der Drachenlord wird Euren Sohn... er wird ihn..."

"Er wird ihn auf grausamste Weise zu Tode foltern." vervollständigte Inu Taisho dumpf meinen Satz und fuhr dann murmelnd fort: "Mit solchen und ähnlichen Methoden kennt dieser Drache sich ja bestens aus und mit meinem Sohn wird er sich sicher besonders freudig und intensiv beschäftigen. Und Sesshomaru... er wird keine Schwächen zeigen wollen... das wird seine zu erleidenen Torturen und Qualen verschlimmern, ins Unfassbare, Unerträgliche steigern und übermäßig verlängern..."

Inu Taishos tonlose und leise Stimme brach ab. Kurz sah er zu Myoga, der unter seinem Blick furchtsam zusammen zuckte, und wandte sich dann wieder an mich.
 

"Nun, Ieyasu, mein treuer Diener, weißt du noch einen Rat?", fragte der Fürst mich. Immer noch war seine Stimme ruhig, doch sie hatte ihren warmen Unterton verloren und klang hohl und kalt.

"Vielleicht... wenn ihr mir einige starke Kämpfer zur Seite stellen würdet... vielleicht gibt es ja einen Weg heimlich in das Drachenreich zu gelangen und Euren Sohn zu befreien..."

"Ich kann keinen meiner Kämpfer entbehren. Niemanden. Und ich selbst kann erst recht nicht fort. Du hast doch sicher von der Bedrohung erfahren, die uns und unseren Verbündeten seit vergangener Nacht bevorsteht?! Ich muss mein Land und meine Schutzbefohlenen verteidigen."

"Ich weiß... das ist... dieser Überfall und alles... das ist wohl ebenfalls das Werk der Drachen, nicht wahr? ... Könnt Ihr nicht Sou'unga einsetzen, um dem Ganzen ein möglichst schnelles Ende zu bereiten?"
 

Inu Taisho gab kurz ein schnaubendes Lachen von sich, doch dieses Lachen war frostig und bitter.

"Sou'unga...", fuhr mein Herr fort: "mein Schwert der Macht und mein Schwert des Verderbens... mit diesem Schwert könnte ich meine Feinde vielleicht besiegen. Doch dieses Mal kämpfe ich nicht gegen Feinde, die von dieser tödlichen Macht nichts wissen, und dieses Mal ist die Bedrohung weitaus größer. Bundori und Ryokossei kennen Sou'ungas Macht sehr gut und sie kennen auch genau den Geist, der in dieser Klinge wohnt. Ein Geist, der nur darauf wartet, endlich erwachen zu können... Ich würde den Drachen wahrscheinlich noch einen Gefallen tun, wenn ich Sou'unga mehrfach einsetze und mit meinem Hass die bösartige Seele meines Schwertes wecke. Und schließlich auf diese Weise durch meine eigene Hand mein Land zerstöre, letztendlich auch mich selbst vernichte..."
 

Wieder brach Inu Taisho kurz ab und sah dann hoch zur Höhlendecke. Er schien mit den Gedanken weit fort zu sein, als er schließlich weitersprach.

"Nein, mein Freund, Sou'unga kann und darf mir hier nicht helfen. Und auch sonst bleiben mir alle anderen Wege und Möglichkeiten versperrt. Ich bin der Herrscher des Westens. Dieses Land gehört mir und noch mehr gehöre ich diesem Land. Ich muss die mir Anvertrauten schützen. Selbst dann, wenn ich dafür ein überaus frevelhaftes Opfer bringen muss und ich mich damit zur ewigen Verdammnis verurteile... Ich habe keine Wahl..."
 

Noch einmal sah der Dämonenfürst mir für eine Sekunde in die Augen, und das war die Sekunde, in der ich seine Seele vor Schmerz und Pein weinen sah.

Und nun verstand ich endlich richtig, was die Drachen mit all ihren grässlichen, intriganten Spielen wirklich geplant und beabsichtigt hatten, und schließlich auch erreicht hatten. Sie wollten Inu Taisho vor eine schwere und äußerst entsetzliche Entscheidung stellen. Vor die Entscheidung sein Land und seine Schutzbefohlenen zu bewahren oder seinen Sohn zu retten.

Und die Drachen wussten, dass dem Fürsten nur eine Wahl blieb, die nun sein Innerstes zu zerreißen drohte.
 

Mit der Entscheidung sein Land zu schützen, zwangen Bundori und Ryokossei den Dämonenfürsten dazu, sein Erbe und seine Zukunft, sein Herz und seine Seele, sein eigenes Fleisch und Blut dem Tod preiszugeben. Sie zwangen ihn zur grausamen Opferung seines eigenen und geliebten Kindes...
 

* * * * *
 

Tief in unglücklichen Gedanken versunken hockte der Heiler Ieyasu am felsigen Boden in einer der Höhlen des westlichen Wolfsrudels und verband vorsichtig die verletzte Schulter eines noch sehr jungen Wolfsdämonen. Neben ihm saß noch ein Wolfsdämon, eine schöne, schon etwas ältere Frau mit kummervollen Gesicht und half Ieyasus Schüler bei der Zubereitung einer Kräutersalbe. Ein weiterer, jugendlicher Angehöriger von Chugos Wolfsrudel mit vereinzelten Schrammen im Gesicht kniete verschüchtert vor seinem verletzten Kumpan und sah Ieyasu bei seinen heilsamen Tätigkeiten zu.
 

"Es ist glücklicherweise nicht sehr schlimm", sagte der Heiler beruhigend zu den beiden Jugendlichen und reichte dem Verletzten eine Holzschale mit einer dampfenden Flüssigkeit: "Hier trink das, dann wirst du kaum noch Schmerzen haben und es wird das Schlangengift in dir neutralisieren. Du hast Glück gehabt, dass dein Gegner nicht mehr dazu gekommen ist, sich noch fester in deine Schulter zu verbeißen. Ansonsten hättest du die vollständige Ladung des Gifts abbekommen, dann hätte ich nichts mehr für dich tun können."

"Das habe ich nur Inu Taisho zu verdanken", antwortete der junge Wolfsdämon und senkte den Kopf, "er hat gesehen, wie diese Schlange mich angriff, und hat sie von mir weggerissen. Und für diese Hilfe wäre er beinahe von sechs weiteren Schlangendämonen, die daraufhin ihn angriffen, umgebracht worden."

"Das ist schon das zweite Mal, dass der Hundefürst Haggaku und mir das Leben gerettet hat", ergänzte der zweite, jugendliche Wolf, "und das, obwohl wir ihm in den Schlachten bisher nie eine große Hilfe waren und er Wölfe doch eigentlich hassen müsste."

"Die alte Blutfehde zwischen Hunden und Wölfen ging nur den Norden etwas an", antwortete Ieyasu: "Das westliche Wolfsrudel hatte damit nie etwas zu tun. Dank eurem weisen Leitwolf gab es für Lord Inu Taisho niemals einen Grund, etwas gegen euch zu haben oder an eurer Loyalität zu zweifeln. Und warum sollte er alle Wölfe hassen, nur weil einige Vertreter dieser Rasse in der Vergangenheit seine Feinde waren oder ihm Böses wollten. Der Lord würde sich niemals an Unschuldigen rächen."

"Dort kommen noch weitere Verletzte", sagte die Wolfsdämonin neben Ieyasu in diesem Moment und deutete zum Höhleneingang, "und die hat es offensichtlich weitaus schlimmer erwischt. Der diesmalige Angriff scheint besonders gefährlich zu sein... Wie viele Opfer es wohl heute wieder geben wird?"
 

Der Heiler seufzte schwer und stand auf. Er ließ kurz seinen Blick durch die Wolfshöhle schweifen. Die Behausungen von Chugos Rudel hatten sich mittlerweile in ein Lazarett mit vielen verwundeten Dämonen verwandelt und die Arbeit des Heilers nahm kein Ende.
 

Schon mehr als eine Woche und fast ununterbrochen tobte nun ein erbitterter Kampf in den westlichen Bergen. Eine furchtbare Dämonenschlacht, in der Inu Taisho mit allen Kräften gegen die Eroberung des Westens durch den Drachen Ryokossei und seine Untertanen kämpfte.

Die dämonischen Invasoren aus dem Osten gaben nicht auf. Immer wenn es Inu Taisho und seinen Getreuen gelang einen Angriff an einem Ort zurückzuschlagen, tauchten an einem anderen Ort neue Angreifer auf.

Der Herr des Westens schien an allen Fronten zugleich zu sein und verteidigte dort verbissen jeden Quadratmeter seines Landes. Stets stand er an den riskantesten Stellen, warf sich ungeachtet seiner eigenen Sicherheit grimmig jeder Gefahr entgegen und badete im Blut seiner getöteten Feinde.

Der Anführer von Inu Taishos Gegnern dagegen verhielt sich bedeckt. Zwar tauchte er auch bei jedem Angriff kurz auf und leitete seine Untertanen in die Schlacht. Doch er war auch genau so schnell wie seine überraschenden, Blitzüberfälle wieder völlig verschwunden. Ryokossei machte sich nicht selbst die Hände schmutzig, er ließ andere für sich kämpfen, und er war hinterlistig genug, jedes Mal dem Herrscher des Westens rechtzeitig auszuweichen, bevor dieser ihn stellen und eine Entscheidung herbeiführen konnte.
 

Ein heller Aufschrei der Wolfsdämonin, die Ieyasu und seinem Schüler bei der Versorgung der Verletzen half und die den neuen, herbeigetragenen Verwundeten am Höhleneingang entgegen gegangen war, lenkte Ieyasus Aufmerksamkeit auf sich.

"Aoi-san, was ist denn?" Beunruhigt eilte der Heiler zu ihr. Er befürchtete, dass sie etwas Schreckliches erfahren hatte. War vielleicht Inu Taisho gefallen? Das war eine Nachricht, vor der sich alle fürchteten, denn mit seinem Herrn würde auch der ganze Westen fallen.
 

Die Wolfsdämonin stand wie versteinert mit schreckensbleichem Gesicht am Höhleneingang und starrte einen jungen Wolfsdämonen an, der einen verletzten Hundedämonen mit blutüberströmten Gesicht stützte.

Irritiert sah Ieyasu von Aoi zu dem schwarzhaarigen Burschen. Er konnte sich nicht erinnern diesen jungen Wolfsdämonen schon einmal gesehen zu haben, doch er kannte das komplette Rudel von Chugo ja auch nicht.

Der Heiler ging zu dem ihm unbekannten Wolfdämon und nahm ihm den Verletzten ab. Ieayasus Schüler nahm sich währenddessen weiteren Verwundeten an, die ein braunweiß gefleckter Hundedämon in seiner wahren Gestalt auf seinem Rücken trug.

Als Ieyasu den Verletzten in seine Obhut genommen hatte, löste sich Aois Erstarrung und sie stürzte auf den fremden, schwarzhaarigen Wolfsjungen zu. Weinend umarmte sie ihn.

"Koga...", schluchzte sie, "Koga... du lebst... ich dachte, ich hätte dich verloren... damals, als... oh, Koga, mein Kind, mein Liebstes... bei allen gütigen Mächten des Himmels.... mein Kind... du lebst..."
 

Etwas verlegen über seinen Auftritt und Empfang drückte der Wolfsdämon Aoi kurz an sich und löste sich dann behutsam aus ihren Armen.

"Mutter", murmelte er verschämt, "ich bin doch kein kleines Kind mehr. Außerdem brauchst du doch nicht gleich zu heulen... ich denke, Dämonen haben keine Tränen!"

Aoi unterdrückte ihren Gefühlsausbruch und sah verlegen zu Boden. Sie wusste, es war sehr unziemlich sich derartig gehen zu lassen. Wölfe waren schließlich stolze Geschöpfe und sollten keine Schwächen zeigen, insbesondere nicht in solch einer kriegerischen Situation. Aber die Gefühle einer Mutter waren eben stärker als die des Stolzes.
 

"KOGA!" schrieen nun auch fast gleichzeitig die zwei jungen Wölfe, um die Ieyasu sich zuletzt gekümmert hatte: "Wo bist du die ganze Zeit gewesen? Du hast also wirklich überlebt... wir haben das geahnt und sogar schon heimlich nach dir gesucht. Lebt Fuyuko auch noch? Und wie und warum bist du hierher gekommen?"

Ieyasu, der den verletzten Hundedämonen in die Höhle schleppte und von weitem noch einige Worte mitbekommen hatte, wurde immer irritierter. Was war denn das für ein merkwürdiges Familientreffen und wovon redeten die Wölfe da? Besonders die Bemerkung zu Fuyuko ließ ihn hellhörig werden. Wer war dieser junge Wolfsdämon?

Schnell setzte der Heiler den Verletzten, der sich auf ihn stützte, in der Höhle ab und überließ ihn wie die übrigen Verwundeten der Pflege seines fleißigen Schülers. Glücklicherweise schwebte zur Zeit keiner seiner ihm anvertrauten Verwundeten in Lebensgefahr. So konnte sich Ieyasu ruhigen Gewissens wieder dem Gespräch der jungen Wolfsdämonen zuwenden.

"... und jetzt hör endlich auf mir die Luft abzudrücken, Ginta, sonst kann ich nicht weiter erzählen!" schimpfte der Wolfsdämon namens Koga gerade, während er sich aus den wüsten Umarmungen von einem seiner Kumpane befreite. Dann sprach er weiter:

"also... ich habe also diese niederen, doofen Schlangendämonen belauscht, als sie sich über die geplante Invasion auf die westlichen Berge unterhielten. Ich wusste schon vorher, dass die Drachen irgendwas in der Richtung vorhatten. Dieser durchtriebene Mistkerl von Ryokossei dachte wohl, ich sei zu blöd dazu, davon nichts mitzubekommen. Da hat er sich aber ausnahmsweise mal sehr geirrt. Leider konnte ich Fuyuko nichts mehr von all dem erzählen, sie war fort und damit beschäftigt, diesen Wolfshundedämon abzufangen und somit die Falle für Inu Taishos Sohn vorzubereiten. Ich habe stattdessen versucht so schnell wie möglich hierher zu gelangen, aber überall wuselten dauernd diese komischen Vogelviecher rum. Ich musste mich immer wieder verstecken und bin nur langsam vorangekommen und dann begann auch schon der Angriff, ohne dass ich noch jemanden warnen konnte. Es war ganz schön schwierig sich danach heimlich durch die Fronten zu schleichen, ohne in Gefahr zu geraten irgendwo auf beiden Seiten erkannt zu werden. Wenn mich Ryokossei erwischt hätte, wär alles aus gewesen. Und die Hunde hätten mich in ihrem Zorn wahrscheinlich ebenfalls sofort abgemurkst, bevor ich überhaupt irgendwas hätte erklären können. Sie wissen ja alle, dass ich auf Fuyukos Seite gestanden hatte. Zum Glück konnte ich dann vor kurzem einige Verletzte retten, die mir meine Geschichte glaubten. Sie haben mir geholfen jetzt unbemerkt zu den Höhlen und zu euch zu gelangen."
 

"Du warst im Drachenreich? An der Seite der Wolfsprinzessin Fuyuko? Du hast für Ryokossei und Bundori gearbeitet?" mischte sich Ieyasu nun in das Gespräch der Wolfsdämonen ein.

"Ja... das habe ich", gab Koga ehrlich zu und sah dann betreten zu Boden, "ich habe das alles vor allem für Fuyuko getan... sie hatte doch niemanden mehr. Das alles... in der Vergangenheit mit dem Krieg, das war ein großer Fehler, aber ich habe doch nicht gewusst, wie schlimm das alles werden würde. Und die Wölfe des Nordens sind doch auch irgendwie mein neues Rudel gewesen, ich war ja ein Verbannter. Kein Wolf kann lange ohne ein Rudel überleben... wir brauchen nun mal Freunde. Ich konnte einfach nicht anders, ich musste Fuyuko helfen, schon allein deswegen, weil... weil..."

"Weil du sie liebst?" fragte Ieyasu ruhig.

Koga wurde noch betretener. Seine Freunde Ginta und Haggaku starrten ihn verblüfft an, solch einen Gesichtsausdruck hatten sie bei ihm noch nie zuvor gesehen. Er verhielt sich absolut untypisch.

"Ja, gewissermaßen schon. Wenn ich auch weiß, dass es von ihr aus irgendwie anders ist. Ich bin wohl so was wie ein kleiner Bruder für sie..."
 

Mit einem Ruck richtete sich Koga dann plötzlich stolz auf.

"Ich habe Mist gebaut, ja. Und wenn mich jemand dafür verurteilen will, hat er alles Recht dazu. Aber trotz allem bin ich ein Wolf! Kein Wolf lässt seine Freunde im Stich oder verrät sie. Eher würde ich sterben. Als ich erfahren habe, was die Drachen alles wirklich vorhatten, und, dass auch die Wölfe des Westens angegriffen werden sollten, wollte ich mit all dem nichts mehr zu tun haben. Und die Hunde sind nicht mehr meine Feinde, denn Inu Taisho beschützt ja nun auch mein Rudel und meine Freunde. Wer meine Freunde schützt, ist mein Freund und ich der seine, und ich werde mein Leben für einen Freund geben. Dafür, dass der Herr der Hunde den Wölfen geholfen hat und immer noch hilft, werde ich nun auch ihm helfen... ich habe meine Zeit bei den Drachen gut genutzt und bin nicht so doof wie die denken. Ich kenne viele ihrer Geheimnisse und vor allem kenne ich einen geheimen Weg ins Drachenreich und weiß auch, wo Bundori seine Gefangenen versteckt... Ich bräuchte nur einen magiebegabten Dämonen, der mich begleitet und mir hilft mein Youki zu verbergen, was ich allein nicht kann. Dann könnte ich vielleicht unbemerkt bis zu Bundoris Heimstatt vordringen und den gefangenen Hundefürstensohn befreien. Zumindest könnte und würde ich es versuchen."

"Du willst ins Drachenreich, um einem Drachen seine Beute zu stehlen? Bist du verrückt?" Haggaku riss die Augen auf, er glaubte sich verhört zu haben. Sein Freund musste den Verstand verloren haben.

Koga wandte sich grinsend an ihn: "Ich könnte vielleicht Hilfe gebrauchen... Was ist, kommst du mit?"

"Du spinnst ja total. Nie und nimmer... ich bin doch nicht lebensmüde und außerdem würden wir sowieso..."

"Ich komme mit", sagte Ginta mit leicht verängstigter Stimme.

Haggaku schrie auf: "WAAAAAS?!? Hast du vorher in der Schlacht eine auf die Nuss gekriegt?! Du gehst nirgendwohin, ihr seid ja alle völlig durchgedreht. Das ist doch Blödsinn erster Sahne. Da kommt ihr nie lebend rein und vor allem nie wieder lebend raus. Keiner von uns ist nur ansatzweise stark genug für so eine gefährliche Sache. Und außerdem ist diese Befreiungsaktion doch absoluter Quatsch. Der Hundeprinz ist doch bestimmt schon längst tot. Ist euch eigentlich klar, wie viele Tage schon vergangen sind, seitdem der gefangen wurde?!?"

"Gut möglich, dass er tot ist", meinte Koga ruhig, "ich weiß, dass Bundori grässliche Dinge mit seinen Gefangenen anstellt. Andererseits ist dieser... äh, wie hieß er jetzt noch mal... ja der Sohn des Hundefürsten. Und der ist doch ziemlich stark, oder?, Wenn seine Gefangenen stark sind, genießt Bundori es besonders sie zu quälen und zieht es extrem in die Länge. Vielleicht hat der Hund deshalb bisher überlebt. Ansonsten können wir zumindest noch den Leichnam bergen. Ich denke mal, dass der Hundefürst seinen Sohn wenigstens ehrenvoll bestatten möchte."
 

Wortlos nickend stimmte Ieyasu Koga zu. Zuversicht und Glück überflutete ihn. Gab es vielleicht doch noch einen Weg Sesshomaru zu retten, nachdem er bereits zum Tode verurteilt worden war? Ieyasu wagte es kaum zu hoffen, doch er musste jede erdenkliche Chance nutzen, um all das Leid, das geschehen war, zu mildern. So wie es die Aufgabe seines Herrn war sein Land und seine Schutzbefohlenen zu schützen, so war des Heilers Aufgabe den Schmerz aller Wunden, die das Schicksal schlug, zu lindern.
 

"Aoi-san, wirst du mit meinem Schüler allein mit der Versorgung der Verwundeten zurecht kommen?", fragte Ieyasu die Wolfsdämonin neben sich, die sich alles bisher schweigend angehört hatte.

Aoi betrübte die Aussicht, möglicherweise ihren Sohn zu verlieren, nachdem sie ihn gerade erst wiedergefunden hatte, sehr. Doch sie kannte Koga besser als jeder andere und sie wusste, dass sie nichts daran ändern konnte. Koga wollte seine Würde, seine Ehre und seine Seele zurück gewinnen, und sei es für den Preis seines Lebens. Sie konnte und durfte ihn nicht aufhalten.

"Ich werde es schaffen, Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen, Ieyasu-sama. Euer Schüler und ich werden uns gut um alle Verletzten kümmern."

"Gut, dann gehen wir. Sorge bitte dafür, dass Lord Inu Taisho möglichst lange nichts von meinem Verschwinden und unserem Rettungsversuch erfährt. Er leidet schon genug und wir sollten jetzt auf keinen Fall irgendwelche falschen Hoffnungen wecken." Ieyasu wandte sich nun an Koga: "Ich besitze magische Kräfte und werde euch begleiten. Durch meine Magie kann ich uns per Teleport bis an die Grenzen zum Drachenreich bringen. Von dort aus müssen wir zu Fuß weiter, ansonsten würde meine Magie auffallen. Und ich möchte zudem meine Kräfte schonen, wir brauchen sie sicher noch, um aus dem Drachenreich wieder herauszukommen. Solange wir uns im Drachenreich befinden, kann ich eine unauffällige Schutzbarriere erschaffen, die unser Youki abschirmt, dann dürfte uns kein Drache oder sonstiger Dämon vorzeitig entdecken können. Wir dürfen uns dazu allerdings nie allzu weit voneinander entfernen."

"Alles klar", sagte Koga, "dann mal los. Wir müssen zunächst zur Dornenwiese, südlich des Drachenfelsens. Dort befindet sich ein kleines magisches Portal, dass direkt in Bundoris schluchtartige Heimstatt führt. Ich weiß, wie man dieses Tor öffnet. Das hat mir so ein wunderbarer, quasselfreudiger und dämlicher Greif verraten, der unter Bundori dient. Mit dieser Schnapsdrossel habe ich einmal eine äußerst interessanten Abend mit gestohlenem Reiswein verbracht... Tja, so kommen wir jetzt völlig unbemerkt durch den unsichtbaren und schützenden Bannkreis, der das ganze Drachenreich umgibt und die Drachen vor ungewollten Eindringlingen warnt."

Ieyasu schmunzelte innerlich, eines war sicher, langweilig würde das Abenteuer nicht.
 

Haggaku beobachtete, wie Ieyasu seinen hölzernen Stab zur Hand nahm und seine dämonischen Energien aktivierte. Koga und Ginta stellten sich zu ihm. Ein schimmerndes und immer helleres Licht begann den Heiler und die zwei Wolfsdämonen zu umkreisen.

"Wartet auf mich", rief Haggaku plötzlich. Rasch lief er hinzu und drückte sich dann ungestüm an Kogas Seite. Beinahe hätte er seinen Kumpan dabei über den Haufen gerannt und umgeworfen.

"Verdammt, du Idiot, was sollte das denn", fluchte Koga und verpasste Haggaku einen derben, aber auch freundschaftlichen Stoß in die Rippen.

"Tja...äh...", grinste Haggaku und rieb verlegen seine verbundene, leicht schmerzende Schulter, "wie du schon gesagt hast... kein Wolf lässt seine Freunde im Stich, oder? Und eigentlich wollte ich schon immer mal einem Drachen einen Streich spielen... ich denke, das könnte hochinteressant werden..."

Nun grinste auch Koga. Und sogar Ginta brachte trotz all seiner Angst und der ernsten Situation ein Lächeln zustande.

Ieyasus Licht strahlte daraufhin kurz blendend auf, dann waren die drei Wolfsdämonen zusammen mit dem Heiler verschwunden.
 


 

Soweit das vierzehnte Kapitel.

Na, ob das Erfolg verspricht? Drei jugendliche, eher tölpelhafte Wolfsdämonen samt einem friedfertigen Heiler auf Rettungsmission im gefährlichen Drachenreich? Den Dummen hilft bekanntlich das Glück, vielleicht haben sie dadurch ja tatsächlich eine Chance. Ob sie allerdings nicht schon viel zu spät dran sind, das ist eine andere Frage...

Der arme, noch ahnungslose und verzweifelte Inu Taisho hat jedenfalls weiterhin keinen Grund zur Freude. Sein Land ist nach wie vor bedroht und seinen Sohn glaubt er verloren. Doch in einem haben die Drachen sich ein klein wenig verrechnet, die Seele des Hundeherrn ist noch nicht völlig gebrochen. Denn er hat ja noch was, das er beschützen muss... ihr ahnt es, im nächsten Kapitel gibt es ein Wiedersehen mit Izayoi (für alle die unser süßes Liebespärchen schon vermisst haben) und... freu dich, Hrafna (und wer sonst noch auf ihn wartet), Takemaru tritt auch wieder auf!

Falls es irgendwelche Wünsche und Kritiken gibt, immer her damit!
 

Noch eine ängstliche Frage meinerseits zum Schluss:

Geht euch dieser ewiglange Roman eigentlich langsam auf den Keks?!?

Tja, hmmm, der Grundriss bzw. der weitere Fortlauf der Story und auch vereinzelte künftige Textpassagen stehen ja schon. Ich kann allerdings dennoch nicht abschätzen, wie viele Kapitel es genau werden, wenn alles so bleibt, wie geplant. Wir sind jetzt ungefähr bei der Hälfte, also die 30 knacke ich wahrscheinlich leicht... Ihr bräuchtet also schon noch viel Geduld hiermit...^^ Schlimm?!?

Spuren im Wind

Als kleine Erholung von der schockenden Entscheidung (Land oder Sohn) und als kurze Atempause nach aller Dramatik gibt es für Inu Taisho (und für euch) jetzt wieder ein bisschen Liebe... Und dann wird es auch langsam Zeit, Sesshomaru aus den grausamen Krallen Lord Bundoris zu befreien, nicht wahr?

Kapitel 15 folgt: Die Schlacht um den Westen nähert sich einer entscheidenden Phase. Auch die Menschen spüren, dass Unheimliches in den Bergen vor sich geht. Und die Ruhe vor dem Sturm ist trügerisch, das weiß auch Inu Taisho. Doch das hält den Dämonenfürsten nicht davon ab, einer gewissen Sehnsucht zu folgen...

Enjoy reading!
 


 

Wieder neigte sich ein Tag dem Ende zu. Die rotgoldenen Strahlen der späten und tiefstehenden Nachmittagssonne brachen durch das Gitterfenster in den eleganten Raum eines Schlosses.

Auf dem Boden, vor einem kleinen, niedrigen Tisch, saß Izayoi und hielt einen silberverzierten, glattpolierten Metallspiegel in der Hand. Vor sich hatte sie eine Vielfalt kostbarer Schminkutensilien ausgebreitet. Eine alte Dienerin kämmte ihr sorgfältig das lange, schwarze Haar.

Ich habe fast kein Lippenrouge mehr, dachte Izayoi betrübt, und dabei hätte ich so gerne welches. Ob ich meinen Vater bitten kann, mir welches mitzubringen, wenn er an die Meeresküsten reist? Ich hätte so gern richtig schöne, rote Lippen...
 

"Woran denkst du, meine Kleine?"

Aus ihren Gedanken gerissen löste Izayoi sich von ihrem Spiegelbild und wandte sich zu der alten Dienerin hinter sich um.

"Ich denke an... an nichts. Und warum nennst du mich ,meine Kleine'? Ich bin doch kein Kind mehr."

"Nein...", antwortete die alte Frau und lächelte leicht, "du bist jetzt eine erwachsene und schöne Dame... Verzeih mir, für mich bist du eben immer noch das kleine Mädchen, das in meine Obhut gegeben wurde. Eine alte Amme wie ich ist wie ein alter Baum. Den kann man nicht mehr zurechtbiegen oder verpflanzen... Wie möchtest du dein Haar haben? Soll ich es hochstecken?"

Izayoi blickte wieder in ihren Spiegel.

"Lass mein Haar offen. So gefällt es mir am besten."
 

Die alte Dienerin räumte den Kamm fort und betrachtete ihren Schützling eine Weile. Dann setzte sie sich unvermittelt schräg vor Izayoi zu Boden und sah die Prinzessin durchdringend an.

"Izayoi, mein Kind, ich bin dir immer wie eine Mutter gewesen. Warum vertraust du mir nicht mehr? Willst du nicht einmal mir dein kleines Geheimnis verraten?"

Erschrocken zuckte Izayoi zusammen und legte den Spiegel in ihren Händen beiseite. "Wovon sprichst du?", fragte sie.

Izayois Amme seufzte.

"Ach Kind, wovon sollte ich wohl sprechen? Glaubst du etwa, eine alte, vertrocknete Frau wie ich weiß nicht mehr, was Liebe ist? Ich sehe doch, was mit dir los ist. Jeder, der darauf achtet, kann es sehen. Jemand hat dir dein Herz gestohlen!"

"So ein Unsinn", beteuerte Izayoi, drehte sich zur Seite und versuchte schnell ihre errötenden Wangen zu überschminken.

"Unsinn?", fragte die Dienerin: "Warum versteckst du dich dann jeden Nachmittag in deinem Zimmer und probierst stundenlang einen Kimono nach dem anderen an? Warum zeigst du neuerdings solch brennendes Interesse an Rouge, Puder und Schmuck? Und warum spazierst du jeden Abend wie eine in den Wind seufzende Weide im Garten herum?"

"Da-das ist... ist eben... eben so eine vorübergehende Laune von mir."

"Aha...", meinte die Amme, "eine vorübergehende Laune also... Ist das genau so eine Laune wie deine vergangenen Morgenspaziergänge im Winter?"

"Du weißt also auch davon!", beschwerte Izayoi sich: "Reicht es dir und meinen neugierigen Schwestern nicht, dass mein Vater mich dafür ausgeschimpft und eingesperrt hat? Müsst ihr mich alle denn nun immer damit aufziehen, weil ich eine Zeitlang Lust dazu hatte ein wenig in den Berghängen herumzustreifen? Und was ist so komisch daran, wenn ich mich neuerdings etwas hübsch machen möchte?"

"Etwas hübsch machen? Du benimmst dich ja tausendmal schlimmer als deine ältere Schwester vor ihrer Hochzeit..."

"Was kann ich denn dafür, wenn ich immer so schrecklich aussehe?", antwortete Izayoi daraufhin ungehalten: "Warum musste meine Mutter mir auch so widerborstige Haare vererben? Und wieso habe ich eigentlich so blasse Lippen? Und außerdem bin ich viel zu dürr... und... o nein... da ist ja ein Pickel auf meinem Kinn..."
 

Kopfschüttelnd beobachtete die alte Dienerin Izayois Verhalten und lächelte kurz. Doch dann wurde sie plötzlich sehr ernst.

"Setsuna no Takemaru hat sich, seitdem er zurück ist, jeden Tag nach dir erkundigt. Und fast jeden Tag lässt er dir ein kleines Geschenk überbringen. Er verehrt dich und bemüht sich um dich, doch du beachtest ihn nicht. Du möchtest ihn nicht einmal sehen. Stattdessen versteckst du dich in deinem Gemach und schenkst deine Schönheit nur dem Spiegel und dem Wind, wenn du am Abend im Garten spazieren gehst... sag mir, mein Kind, welcher Traum hat dich gefangen, dass du das wahre Glück nicht mehr siehst, das zu deinen Füßen liegt?"

"Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest", sagte Izayoi und spielte nervös mit ihrem Haar, "und was weißt du schon von meinen Träumen?"

"Ich erinnere mich an einen Tag vor fast sieben Jahren", fuhr die Amme nun noch ernster fort, "du warst damals noch ein Kind. Ein Händler brachte dich damals nach einer Reise zurück nach Hause. All deine Begleiter waren tot, getötet bei einem Überfall, in einem armen Dorf weit im Osten, so wurde erzählt. Du selbst hast etwas anderes erzählt, du hast immer behauptet ein Dämon hätte dich damals gerettet und auf sein Schloss gebracht..."

"Aber das war doch nur ein kindischer Traum", fiel Izayoi ihrer Amme erschrocken und auffallend hastig ins Wort.

"Ein Traum sagst du...", meinte die Dienerin weiterhin sehr ernst, "ja, es war ein Traum... dein Traum, nach dem du dich immer gesehnt hast und auch immer noch sehnst. Und ich glaube, dass es nicht nur ein Traum ist. Damals, bei deiner Rückkehr vor sieben Jahren, trugst du ein Gewand aus fremdartiger Seide. Deine seltsam klingende Geschichte, die dir außer mir keiner geglaubt hat, war wahr. Du wurdest tatsächlich von einem Dämonen gerettet. Und dieser Dämon, wer auch immer er ist, ist irgendwann wieder gekommen, nicht wahr? Du hast ihn irgendwann wirklich wiedergesehen..."

"Und wenn es so wäre? Was stört dich daran?"

"Izayoi, mein Kind, bitte hör mir zu. Ich habe dich niemals verraten und werde das auch niemals tun. Niemand weiß, was ich weiß. Du kannst mir vertrauen, aber ich möchte dich warnen. Dämonen leben in einer anderen Welt. Wenn Menschen die Grenzen in das Reich der Dämonen überschreiten, bringt das Leid. Menschen und Dämonen gehören nicht zusammen. Schenke dein Herz nicht einem Wesen der Nacht, denn das wird euch beide ins Unglück stürzen. Das möchte ich nicht, ich möchte, dass du glücklich wirst."

"Wenn du möchtest, dass ich glücklich werde", flüsterte Izayoi kaum hörbar, "dann vergiss, was du zu wissen glaubst, und sprich niemals mehr davon."
 

Schweigend sahen sich die beiden Frauen lange an. Dann stand die alte Dienerin leise ächzend auf und humpelte langsam aus dem Zimmer. An der Türe, die hinaus in die Schlossflure führte, drehte sie sich nochmals um.

"Sei vorsichtig, Izayoi-san, ich bitte dich. Was auch immer du tust und wofür du dich entscheidest, denke stets daran, dass Freude und Leid Brüder sind. Und es gibt nichts, das mehr Freude und mehr Leid mit sich bringt, als die Liebe..."
 

Nachdem ihre Amme gegangen war, nahm Izayoi wieder ihren Spiegel zur Hand und sah lange in ihre eigenen, tiefschwarzen Augen.

Ich bin nichts als ein ganz gewöhnlicher, unbedeutender Mensch, dachte sie wehmütig, jede Dämonenfrau ist sicher tausendmal schöner und interessanter als ich... und sicherlich kommt er deshalb sowieso nicht wieder, in Wirklichkeit interessiert er sich bestimmt gar nicht für mich. Und ich weiß, dass es kein Glück für ihn und mich gibt. Aber trotz allem kann ich ihn nicht vergessen, ich kann es einfach nicht... wo ist er nur, ich vermisse ihn so sehr...

Seufzend schlug Izayoi ihren Spiegel in ein Tuch ein und verstaute ihn zusammen mit ihren Schminkutensilien in einer kleinen, verzierten Truhe. Dann erhob sie sich und schob die in den Garten hinausführende Türe ihres Gemachs auf.
 

Sehnsüchtig blickte die junge Frau in den Himmel, den die mittlerweile untergehende Sonne in einen rosefarbenen Schleier hüllte, und trat schließlich langsam ins Freie. Mit bedächtigen Schritten ging sie weiter in den Garten bis zu einem Ahornbaum und berührte sacht dessen raue Rinde.

"Wo bist du?", flüsterte Izayoi und sah in die frischgrüne Baumkrone empor: "Wann nur sehe ich dich endlich wieder? Wo bleibst du nur, ,weißer Hund'?"

In Träumen und Sehnsucht versunken schloss das Mädchen seine Augen und lauschte dem sanften Wind, hoffend, der Atem des Himmels könnte ihr eine Antwort auf ihre Fragen geben. Doch nur das Zirpen einer einsam singenden Grille und Blätterrauschen war zu hören.
 

Plötzlich knackte etwas. Izayoi riss die Augen auf und sah sich freudig suchend um. Im Schatten der Schlossmauer, halb verborgen hinter einer jungen Kiefer, sah sie die Gestalt eines Mannes stehen. Erwartungsvoll eilte Izayoi zu ihm, stockte dann aber überrascht und wich einige Schritte zurück.

"Verzeiht mir vielmals, Izayoi-sama, ich wollte Euch nicht erschrecken!"

Izayoi wich noch einen Schritt zurück, sie sah enttäuscht aus: "Ach, Takemaru", sagte sie, "Ihr seid das... was tut Ihr hier?"

Der Mann neben der Schlossmauer trat aus dem Schatten hinter der Kiefer hervor und lächelte entschuldigend.

"Verzeiht mir, ich weiß, es schickt sich nicht, sich heimlich in den Garten zu einer Dame zu schleichen. Ich wollte Euch auch nicht belästigen, ich wollte Euch nur kurz sehen... ich habe Euch so lange nicht mehr gesehen und... Ihr seid so wunderschön."

Verblüfft und stumm starrte Izayoi ihn an, sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

"Oh, verzeiht, ich wollte nicht aufdringlich oder unhöflich sein... ich wollte eigentlich... ich wollte... Ich glaube, ich störe Euch nur und werde besser gehen. Ihr scheint ja jemanden zu erwarten..."

"Was?" Izayoi erwachte aus ihrer Erstarrung und sah Takemaru alarmiert an: "Wie kommt Ihr darauf, ich würde jemanden erwarten? Habt Ihr mich etwa belauscht, habt Ihr gehört, was ich vorher gesagt habe?"

Der Samurei lächelte wieder zaghaft, doch seine Augen sahen traurig aus.

"Ich habe es schon länger geahnt, dass Ihr Euer Herz bereits verschenkt habt. Eine so wunderbare Frau wie Ihr... welcher Mann würde sich nicht in Euch verlieben? Und wer auch immer dieser geheimnisvolle ,weiße Hund' ist, wie Ihr den von Euch geliebten Verehrer neckisch zu nennen scheint, ich beneide diesen glücklichen Menschen zutiefst..."

Wieder versteinerte Izayoi. Eine leichte Röte zierte ihre Wangen.
 

Takemaru lächelte nochmals traurig und wandte sich ab.

"Bleibt nicht zu lange draußen", sagte der Samurei im Gehen, "die Nacht ist gefährlich. Seit fast zwei Wochen geschehen sehr unheimliche Dinge in den Bergen. Überall ist sehr starkes Youki zu spüren und es gibt Gerüchte über heftige Dämonenkämpfe. Im Süden soll ein ganzer Landstrich mitsamt allem Leben vernichtet worden sein. Es scheint, dass die dunklen Mächte wieder einen Krieg ausfechten."

"Dämonen, die Krieg führen?", fragte Izayoi bestürzt.

"Habt keine Angst", antwortete Takemaru, "Euer Vater hat bereits viele Schutzmaßnahmen getroffen. Es werden nicht noch einmal solch schreckliche Dinge geschehen, wie zu der Zeit, als unsere Stadt zerstört wurde. Dieses Mal sind wir vorbereitet. Der Fürst hat von überall Hilfe angefordert. Auch im Schloss leben seit wenigen Tagen mehrere gut ausgebildete Mönche und einige, sehr erfahrene Dämonenjäger, die unsere Stadt vor jedem Dämonenangriff schützen werden."

"Mönche? Dämonenjäger?" Izayois Stimme verwandelte sich in leichte Panik. "Können diese Jäger... können sie denn jeden Dämon spüren?"

"Aber sicher!", erwiderte der Samurei und fuhr dann beruhigend fort: "Macht Euch keine Sorgen. Sie werden jeden Dämon, so gut er sich auch zu tarnen versucht, aufspüren und vernichten. Sie haben überall im Schloss und im Garten unsichtbare Bannkreise gelegt, die uns rechtzeitig vor jeder dämonischen Energie warnen werden. Und auch ich werde Euch immer mit meinem Leben schützen, das verspreche ich Euch."

"Ich danke Euch, Takemaru", flüsterte Izayoi und blickte zu Boden, "Ihr seid wirklich ein treuer Freund..."
 

Der Samurei lächelte noch einmal bekümmert und ging.

Izayoi sah ihm nach und starrte dann angsterfüllt in den Himmel.

Wo bist du, ,weißer Hund', dachte sie verzweifelt, was ist mit dir geschehen? Bist du in einem Kampf gefallen? Haben dich Dämonenjäger gefangen und getötet, als du zu mir kommen wolltest? Alles ist gegen uns, ich darf dich nicht wiedersehen. Doch wie nur soll ich meine Sehnsucht stillen, die im Wind nach dir ruft? Wo bist du... komm zu mir zurück...
 

Der Wind frischte auf und fuhr durch Izayois langes Haar. Eine glitzernde Träne rann über ihre Wange. Aufschluchzend schlug sich das Mädchen die Hände vor das Gesicht und rannte weinend in ihr Zimmer zurück. In ihrer Hast stolperte sie über die Türschwelle und fiel.
 

Eine starke Hand fing sie auf und hielt sie fest.

Erschrocken schrie Izayoi leise auf, drehte sich herum und sah in goldene Augen. Im dunkel werdenden Raum, im Schatten direkt neben der Schiebetüre, stand Inu Taisho, seine Hände umgriffen schützend Izayois Arme.

"Du...", hauchte sie und schrak dann entsetzt vor ihm zurück, "Bei allen Göttern... was ist geschehen?! Du siehst ja schrecklich aus!"

Izayois Blicke huschten entgeistert über Inu Taishos Gestalt. Sein Anblick erklärte, warum die meisten Menschen maßlose Angst vor Dämonen hatten, denn der Dämon vor ihr sah wahrlich furchterregend aus. Sein zopfgebändigtes, weißes Haar war zerzaust und schmutzig, teils rotgefärbt, sein Gesicht war zerschrammt und seine Kleidung und Rüstung war blutbefleckt. Er sah aus, als ob er in Blut gebadet hätte, und in seinen rotgoldenen Augen brannte ein höllisches Feuer, das Izayoi einen eisigen Schauer über den Rücken jagte.
 

"Izayoi...", sagte er leise. Seine Stimme war hohl, leblos und traurig, aber auch leicht sehnsuchtsvoll. Diese Sehnsucht in seiner Stimme war wie ein Widerhall in Izayois Herzen und vertrieb schlagartig all ihre Furcht. Dafür fühlte sie eine andere Form der Angst: Sorge.

"Du musst schnell wieder fort", warnte sie ihn, "im Schloss sind Dämonenjäger und sie haben Bannkreise gegen Dämonen errichtet. Sie werden versuchen dich zu töten."

"Ich weiß", sagte Inu Taisho, "ich habe die Bannkreise gespürt, konnte sie aber bis jetzt umgehen. Dennoch habe ich nur sehr wenig Zeit. Meine Feinde versammeln sich, sie werden bald einen letzten, vernichtenden Angriff starten. Im Morgengrauen wird sich mein Schicksal und das meines Landes entscheiden. Dann werde ich siegen oder mit meinem Reich zugrunde gehen."

"Dein Reich?" Mit dieser Frage und in diesem Moment wurde Izayoi bewusst, wie wenig sie eigentlich von dem Dämonen wusste, der ihr dennoch immer so vertraut gewesen war und der sie stets in ihren Träumen begleitet hatte. Sie musste wieder an den alten Familienschatz denken, an das Bild, das ihre Ahnen und einen über den Himmel fliegenden Hund zeigte.

"Meine Großmutter hat mir, als ich noch ganz klein war, gern von einem jahrhundertealten, mächtigen Hundedämonen erzählt, der über den Westen herrscht und das Land behütet... Bist du dieser Dämon?"

Inu Taisho nickte. "Ja, der Westen ist mein Reich. Dieses Land gehört mir und ich gehöre diesem Land. Wir sind untrennbar miteinander verbunden und ich werde dieses Land behüten, was auch immer es mich kosten mag."

Langsam begann Izayoi zu verstehen.

"In den Bergen tobt eine Dämonenschlacht. Du verteidigst dein Land gegen feindliche Dämonen, die es erobern wollen, nicht wahr?" Eine tiefe Angst ergriff das Mädchen, als sie weitersprach: "Du wirst vielleicht sterben..."

Wieder nickte Inu Taisho, kam dann ruhig auf Izayoi zu und umfasste sanft ihre Arme.

"Izayoi, präge dir gut ein, was ich dir jetzt sage. Wenn ich heute in der Nacht versage, wird mein Land in die Hände von grausamen Dämonen fallen. Einige von ihnen werden dann die westlichen Berge übernehmen. Diese Dämonen verachten, töten und fressen Menschen. Sie werden diese Stadt und die umliegenden Dörfer auslöschen. Wenn ich sterbe, müsst ihr diese Stadt sofort verlassen und fliehen."

"Fliehen? Aber...", Izayois Stimme zitterte vor Angst und Sorge, "wohin?"

Der Dämonenfürst ließ sie los und drückte ihr etwas in die Hand.

"Flieht in den Nordwesten. Nimm dies hier mit dir. Es wird dich beschützen und euch in eine Gegend führen, in der ihr sicher seid."

Erstaunt sah Izayoi auf den elfenbeinfarbenen Gegenstand in ihrer Hand.

"Was ist das?", fragte sie.

"Mein Fangzahn", antwortete Inu Taisho ihr, "ich habe einen Teil meiner Macht in ihn eingeschlossen, die dich und alle, die dir folgen, über meinen Tod hinaus schützen wird. Diese Macht wird aktiv, wenn der Zahn zu leuchten beginnt, und dann weißt du auch, dass ich tot bin."
 

Krampfhaft umschloss Izayoi den Zahn mit ihrer Faust. Mit ihrer anderen Hand krallte sie sich verzweifelt an Inu Taishos Arm fest. Tränen schossen aus ihren Augen.

"Du darfst nicht sterben", flehte sie, "du wirst wiederkommen, versprich mir das!"

Inu Taisho schwieg und strich sanft durch ihre Haare.

"Was auch immer geschieht", sagte er schließlich leise, "ich werde nicht zulassen, dass mir noch ein einziges Mal etwas entrissen wird, das mir mehr wert ist als mein Leben. Mein eigenes Blut wurde mir bereits geraubt, denn ich habe mein eigenes Fleisch geopfert und geschlachtet... Meine Seele wurde zerrissen, doch sie wird weiterleben. Ich werde zu dir zurück kommen und ich werde immer bei dir sein, das verspreche ich dir!"

Mit seinen letzten Worten zog er Izayoi an sich und umarmte sie fest. Gleichermaßen erschrocken wie sehnlich presste Izayoi sich gegen seine harte Rüstung. Erneut füllten ihre Augen sich mit Tränen.

Unvermittelt ließ Inu Taisho sie wieder los.

"Ich werde wiederkommen", flüsterte er, "ich werde dich beschützen. Für immer. Ich verspreche es dir."
 

Izayoi sah auf, doch er war fort. Verschwunden, als wäre er niemals da gewesen. Doch ein daumengroßer Reißzahn in ihrer Hand bewies ihr, dass es kein Traum gewesen war.

Verzweifelt rannte Izayoi hinaus in den Garten. Tränen verschleierten ihren Blick, ihr Herzschlag raste. Sie wusste nicht mehr, ob sie wach war oder träumte, ob sie weinte oder lachte, ob sie lebte oder schon tot war.

Schließlich brach sie weinend im weichen Gras in die Knie und sah zu den ersten, am Abendhimmel aufgehenden Sternen empor.

"Ich werde auf dich warten", sprach sie in den Wind, "für immer."

Auch das war ein Versprechen.
 

* * * * *
 

Schatten gleich huschten drei Wolfsdämonen und ein weiterer, menschlich aussehender Dämon mit einem hölzernen Stab in der Hand durch eine tiefe und weit verwinkelte Felsenschlucht inmitten des Drachenreichs. Vorsichtig und flink arbeiteten sich die Vier über wackeliges und sperriges Geröll. Zwischenzeitig blieben sie immer wieder kurz lauschend und sich umsehend stehen und rannten dann weiter.

Die Spitze dieser vierköpfigen Gruppe bildete der junge Wolfsdämon Koga, der sich aufmerksam witternd seinen Weg durch die Schlucht suchte und zielstrebig voran eilte. Er stellte sich beim Klettern und Springen über herabgefallene Felsbrocken und verschiedenartige Spalten im steinigen Boden weitaus geschickter an als seine beiden nachfolgenden Freunde Ginta und Haggaku. Am Schluss des Trupps folgte Ieyasu den Wolfsdämonen und bewegte sich ebenso schnell wie sie und sehr anmutig, fast schwebend, vorwärts.
 

Zunehmend verängstigt sah sich Ginta während seines Lauf in der gewaltigen und ziemlich unheimlich wirkenden Schlucht um. Ihm gefiel es hier ganz und gar nicht, und er wäre am liebsten, wenn er die Wahl gehabt hätte, umgedreht. Mittlerweile bereute er zutiefst seine Entscheidung, dass er Koga, Haggaku und Ieyasu unbedingt hatte helfen wollen, Inu Taishos gefangenen Sohn aus den Händen der Drachen zu befreien. Doch für einen Rückzieher war es nun zu spät.

Ohne Ieyasu, der schützend mit seinen magischen Kräften das eigene und das Youki der drei Wolfsdämonen abschirmte, und ohne Koga, der sich als einziger in der labyrinthartigen, verwirrenden Schlucht auskannte, würde Ginta niemals unbemerkt und sicher aus dem Drachenreich herauskommen. Außerdem durfte er einfach nicht kneifen. Er hatte schließlich noch eine Lebensschuld abzutragen.

Wölfe waren meist ziemlich vergessliche Charaktere, aber an bestimmte Dinge erinnerten sie sich ihr Leben lang. Ginta würde niemals vergessen, dass Inu Taisho ihm und Haggaku das Leben gerettet hatte und dass er dem Hundefürsten auch aus anderen Gründen großen Dank schuldete. Der Dämonenfürst riskierte schließlich sein Leben, um den Westen und damit auch Gintas Wolfsrudel im Kampf gegen die Drachen zu verteidigen. Da war es nur gerecht, wenn Ginta und seine Freunde zum Ausgleich versuchten das Leben von Inu Taishos Sohn zu retten.

Dennoch konnte Ginta es nicht verhindern, dass er immer nervöser und vor Angst fast verrückt wurde. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, wie es ihm, seinen Freunden und Ieyasu gelingen sollte die Rettungsmission erfolgreich durchzuführen. Dafür war es im Drachenreich einfach viel zu gefährlich und sie alle viel zu schwach.
 

Als Ginta sich wieder einmal beunruhigt umsah und seinen verzagten Gedanken nachhing, übersah er einen rutschenden Stein und stolperte. Ungeschickt purzelte er vorwärts und stieß hart in Haggakus Rücken.

"Autsch" schimpfte der Angerempelte, "pass doch auf, du Tollpatsch!"

Kaum hatte Haggaku das gesagt, presste er erschrocken seine Hand auf seinen Mund. Denn seine etwas zu laut ausgesprochenen Worte wurden mehrfach wiederholend von den umgebenden Felswänden zurückgeworfen."

"Oh, scheiße...", flüsterte Ginta, nachdem das Echo wieder verklungen war, und lauschte ängstlich.

"Ja, scheiße!", wiederholte Koga leise zischend: "Ich habe euch Idioten doch gesagt, ihr sollt leise und vorsichtig sein. Wollt ihr, dass Bundori oder irgendwelche anderen Drachen uns frühzeitig entdecken?"

Mit angstgeweiteten Augen glotzten Ginta und Haggaku ihn an. Koga starrte kurz wütend zurück und witterte dann gründlich. Aber in der Schlucht blieb alles ruhig und still.

"Also weiter", flüsterte Koga, "es dürfte nicht mehr weit sein."
 

Plötzlich zerriss ein entfernter, aber äußerst entsetzlicher und gequälter Schrei die Stille.

Alarmiert zuckten die drei Wolfsdämonen zusammen und drängten sich reflexartig aneinander. Auch Ieyasu kam hinzu. Furchtsam sahen sich alle an und lauschten, doch der grauenvolle Laut wiederholte sich nicht.

"Wa-wa-was war denn das?", stotterte Ginta leise und zitternd: "Da-das kla-klang ja echt gruselig."

"Hmm", meinte Koga zögernd, "hörte sich fast an wie eine Art Todesschrei... auf jeden Fall klang es verdächtig nach Hund..."

Ginta erstarrte. "Mei-meinst du, es war..."

"Wir müssen weiter", bemerkte Ieyasu leise dazu, "ich fürchte, wir haben nicht mehr viel Zeit."
 

Hastig liefen die vier Dämonen weiter, bis Koga seine zwei Freunde auf einmal aufhielt.

"Wartet mal, riecht ihr das?"

Haggaku sog prüfend etwas Luft ein. "Du hast recht, es riecht irgendwie nach Schwefel, Feuer und eindeutig auch nach Drache. Und nach noch was... nach Blut, Hundeblut!"

"Heißt das, wir sind am Ziel?" fragte Ginta flüsternd.

Koga überhörte diese überflüssige Frage und murmelte: Es riecht nach Bundori. Er ist hinter einer der nächsten Biegungen der Schlucht und scheint mit seinem Gefangenen allein zu sein. Scheint so, als hätten wir Glück. Der Drache hat sein Werk offenbar immer noch nicht ganz beendet und ist wohl immer noch damit beschäftigt den Sohn des Hundefürsten zu foltern."

"Glück nennst du das?" fragte Ginta bibbernd: "Was machen wir jetzt?"

Ieyasu legte nachdenklich seine Stirn in Falten. Bis jetzt hatte er noch die winzige Hoffnung gehabt, dass die Drachen ihren Gefangenen für eine Zeit irgendwo allein gelassen hätten. Doch diese Hoffnung war eindeutig vergeblich, bei Bundori, der sich aufgrund seiner Grausamkeit gern am Leid anderer weidete, eigentlich auch nicht sehr verwunderlich. Sie würden also kämpfen müssen, um Sesshomaru oder seine Leiche zu befreien. Das war keine erfreuliche und eine sehr negative Perspektive.

Haggaku sah sich derweil etwas unschlüssig in der Schlucht um. Seine Blicke wanderten zerstreut über die Felswände. Dann grinste er plötzlich und trotz der ernsten Situation blitzte der Schalk in seinen Augen auf.

"Ich glaub, ich habe da eine Idee..."
 


 

Soweit das fünfzehnte Kapitel.

Keine Sorge, ihr erfahrt bald, welche glorreiche Idee Haggaku da zugeflogen ist. Das nächste Kapitel wird dieses Mal weitaus schneller kommen, es ist nämlich schon so gut wie fertig, und dann haben die Wölfe ihren grandiosen (oder total in die Hose gehenden) Auftritt.

Ich weiß, die Liebesszenerie zwischen Izayoi und Inu Taisho war etwas kurz und dramatisch (und wahrscheinlich auch etwas kitschig, obwohl ich mich bemüht habe das zu vermeiden), aber ich hoffe, es war trotzdem alles zumindest ein bisschen zufriedenstellend. Ich bitte um Vergebung, wenn mir in diesem Kapitel etwas misslungen ist, und gelobe mich zu bessern. Mit all dieser Verflechtung von Romantik/Dramatik und Spannung tue ich mir eben noch ein bisserl hart...^^

Lob/Kritik und Anregungen in Form von Kommentaren sind sehr erwünscht!

Vielen Dank für all eure Kommentare bisher, die mir schon oft sehr geholfen haben. Und ganz lieben Dank für eure Treue/Geduld mit dieser langen Geschichte!

Wolfsgesang

So, die große Rettungsaktion steigt. Jetzt könnt ihr mal erleben, dass ein junger, nervtötender Wolfsdämon und seine Streiche sogar mal nützlich sein können...

Noch eine Bemerkung vorneweg: Sesshomaru-Fans mögen bitte entschuldigen, was ich mit dem Hundedämonen angestellt habe. Und zu eurer Beruhigung: da ich Folter verabscheue und mich ausdrücklich von solcher (und anderer) Gewalt distanziere, gibt es genauere Beschreibungen von so was bei mir nicht!!! Dieses Kapitel ist trotz aller Dramatik jugendfrei, denn gewaltverherrlichenden Adult-Inhalt mag ich absolut nicht! Ihr braucht also nicht befürchten, dass ich großartig auszumalen beginne, was Sesshomaru alles genau erlitten hat. Das überlasse ich per Andeutung eurer Fantasie.

Das musste ich vorher noch sagen (nicht, dass mich jemand mit meiner Figur ,Bundori' gleichsetzt...;)) und damit geht es jetzt weiter.

Kapitel 16: Während Inu Taisho in der entscheidenden Schlacht für sein Land und seine Schutzbefohlenen kämpft, versuchen Ieyasu und Koga mit seinen Freunden den Sohn des Dämonenfürsten zu retten. Aber einem Drachen seine Beute wegzuschnappen, kann sehr gefährlich sein, und die Zeit für die Lebensrettung wird äußerst knapp...

Enjoy reading!
 


 

Unter seinem Fellschurz zog Haggaku einen kleinen Lederbeutel hervor. Koga, Ginta und Ieyasu umringten den jungen Wolfsdämonen und sahen ihn zweifelnd, aber auch sehr neugierig an.

"Du hast also eine Idee... und was für ein grandioser Einfall soll das sein?" fragte Koga seinen Kumpan.

Haggaku grinste wieder, öffnete seinen Beutel und holte zwanzig kleine, blauschwärzliche Kugeln daraus hervor.

"Nein...", stöhnte Ginta, "sag nicht, dass DAS deine Idee ist. Das glaubst du doch wohl selber nicht, dass deine fuchsdämonischen Scherzartikel uns irgendwie helfen können..."

"Warum nicht?", meinte Haggaku: "Damit lenken wir den Drachen ab und locken ihn weg. Soweit ich weiß, haben Drachen doch sehr gute und empfindliche Ohren. Sie sind für meine kleinen Spielzeuge daher die idealen Opfer. Es müsste also klappen, dieses Reptil eine Weile damit abzulenken und zu beschäftigen. Währenddessen befreien wir den Gefangenen. Mit seiner Magie kann uns Ieyasu dann alle nach der Befreiung von hier fort teleportieren."

"Nein, so geht das nicht", mischte Ieyasu sich jetzt ein, "auch, wenn es euch gelingt den Drachen irgendwie abzulenken, ich kann uns hier nicht magisch wegschaffen. Jedenfalls nicht innerhalb des Drachenreichs. Hier gibt es zuviel von den Drachen produzierte, störende Magie. Meine Kraft reicht hier nicht aus, um für uns alle einen Teleport durchzuführen. Innerhalb des Drachenreichs könnte ich höchstens mich selbst und vielleicht noch eine einzige, weitere Person auf diese Weise fortbringen."

"Gut, dann versteck dich hier irgendwo, bis wir den Drachen weggelockt haben", sagte Koga zu dem Heiler: "Wenn Bundori seinen Gefangenen allein gelassen hat, befrei den Hundeprinzen und bring ihn schnell weg zur Grenze. Wir treffen uns dann am Drachenfelsen. Ich werde versuchen mich mit Ginta und Haggaku zu Fuß dorthin durchzuschlagen, solange der Drache durch Haggakus Streich abgelenkt ist."

"A-aber da-das schaffen wir doch nie", stammelte Ginta ängstlich, "dieser Drache wird uns verfolgen und Hackfleisch aus uns machen bevor wir die Grenze erreichen..."

"Tja, dann musst du eben ein bisschen schneller rennen", bemerkte Koga dazu, "oder du haust dem Drachen eben eine in die Fresse, wenn er dich verschlingen will. Und falls er dich trotzdem frisst, machst du dich eben unverdaulich und hüpfst solange in seinem Magen rum, bis er dich wieder auskotzt."

"Haha, wirklich sehr komisch...", murmelte Ginta furchtsam und verstummte dann. Er fand die ganze Idee überhaupt nicht gut, hatte aber auch keinen anderen Vorschlag zu bieten.
 

Haggaku lief derweil einige Meter weg und legte die erste seiner murmelartigen Kugeln versteckt auf den Boden.

Verwirrt sah Ieyasu dabei zu, wie der Wolfsdämon dann noch weiter fortlief und die zweite seiner Kugeln auslegte. Koga bemerkte die Verwirrung des Heilers und erklärte ihm leise flüsternd, was es mit Haggakus mysteriösen Murmeln auf sich hatte.

Nachdem Koga ihm erklärt hatte, wie Haggakus Plan aussah, machte Ieyasu kurzfristig ein Gesicht, als ob er in einem Tollhaus gelandet wäre. Dann lächelte er aber und meinte: "Gut, versuchen wir es. Viel Glück!"

"Das wünsch ich dir ebenso, wir sehen uns am Drachenfelsen", antwortete Koga und eilte hinter Haggaku her.

Ginta schloss sich verzagt seinen Kumpanen an. Ieyasu ging in die andere Richtung und suchte sich ein Versteck.
 

Misstrauisch beobachtete Ginta, wie Haggaku den Rest seiner schwarzblauen Kugeln in mehreren Metern Abständen voneinander entfernt in der Schlucht verteilte und versteckte.

"Meinst du wirklich, dass das klappt? Was, wenn der Drache deine Zauberspielzeuge zu schnell entdeckt und frühzeitig auf uns aufmerksam wird? Ich weiß echt nicht, ob diese Idee so toll ist..."

"Keine Sorge", kicherte Haggaku, "mit diesem liebenswerten Streich habe ich in der Vergangenheit nicht nur dich und unser gesamtes Rudel in den Wahnsinn getrieben. Ich habe es schon an den vielfältigsten Dämonen und Menschen erprobt und habe damit eine Menge Erfahrung. Glaub mir, das klappt sicher!"

"Ein Drachendämon war aber bisher noch nicht auf deiner Liste der Leute, die du damit verarscht und geärgert hast", wagte Ginta ängstlich einzuwenden: "Ich will lieber nicht wissen, was Lord Bundori mit uns anstellt, wenn er uns bei diesem Lausbubenstreich erwischt..."

"Hör endlich auf zu jaulen", knurrte Koga genervt, "mir gefällt der ganze Mist ja auch nicht. Aber es bleibt uns wohl nix anderes übrig als es zu versuchen, wenn wir diesen... verflixt, wie heißt er jetzt noch mal... egal, diesen Köter retten wollen. Vielleicht ist Haggakus Idee ja tatsächlich dermaßen bescheuert, dass sie sogar funktioniert."
 

Haggaku beendete seine Vorbereitungen und legte die vorletzte seiner merkwürdigen, schwarzblauen Murmeln versteckt auf den Boden. Dann rannte er wieder ein Stück weiter, nahm die letzte seiner Murmeln und hauchte sie zwischen seinen Händen reibend an. Daraufhin holte er tief Luft und stieß ein kurzes, gewaltiges Jaulen in Richtung dieser Kugel aus. Koga und Ginta unterstützten ihren Freund und heulten ebenfalls lauthals die Murmel in Haggakus Hand an.

Dieses kräftige Wolfsgeheul war jedoch nicht lange zu hören, sondern verstummte sofort wieder, als stünden die Wolfsdämonen in einem schalldichten Raum, der alle Laute verschluckte. Die Murmel in Haggakus Hand dagegen begann nach dieser seltsamen Behandlung dunkelblau und dann immer heller und heller zu glühen.

"Okay", sagte Haggaku und versteckte die immer intensiver leuchtende Kugel auf dem Boden unter einem Stein, "Jetzt nix wie weg hier. Die Schrei-Kugel hat unser Heulen in sich aufgenommen und wird es bald wieder von sich und an all die anderen meiner süßen Schrei-Kügelchen abgeben. Die netten Echowände hier werden das Übrige tun. Bald wird die ganze Schlucht in diesem Bereich von einem Wolfskonzert nur so dröhnen."
 

Hastig entfernten sich die drei Wolfdämonen ein Stück und versteckten sich im Eingangsbereich eines Seitenarms der Schlucht unter einigen Felsen. Gespannt verfolgten sie alles Weitere.

Kaum hatten die Wölfe ihr Versteck erreicht, hörten sie plötzlich ihr eigenes Wolfsgeheul wieder. Dieses Jaulen ging von Haggakus zuletzt ausgelegter Murmel aus, verstärkte sich und sprang auf die nächste ausgelegte Kugel über, die nun auch zu heulen anfing. So ging es immer weiter bis alle von Haggaku in der Schlucht verteilten Schrei-Kugeln lauthals heulten und zusammen mit den Echowänden der Schlucht einen gemeinsamen, exorbitanten Chor mit Wolfsgesang bildeten.
 

Einige Zeit später sahen Koga und seine Freunde eine massive, gewaltige Gestalt auftauchen, die sich fauchend und suchend in der Schlucht auf und ab bewegte. Es war die überaus beeindruckende Gestalt eines rotgolden glänzenden, lindwurmartigen Drachens mit blutverschmierten Krallen, und er sah äußerst ungehalten aus. Wild schwenkte er seinen mächtigen Kopf mit seinen rotglänzenden Augen hin und her, bewegte heftig seine Ohren und gebärdete sich wie wahnsinnig. Das auf seiner Stirn sitzende, maskenartige Gesicht war schmerz- und wutverzerrt.

"Hah", stieß Haggaku freudig aus, "ich wusste doch, dass unser schönes Geheul den Kerl hierher weglocken würde. Für das feine und empfindliche Gehör eines Drachens muss dieses riesige, unaufhörliche Gejaule ja noch unerträglicher sein. Zum Glück sind Drachenaugen und deren Nasen nicht ganz so gut. Er wird daher wohl eine Weile beschäftigt sein bis er meine fleißig kreischenden Schrei-Kugeln alle entdecken und zerstören kann."

Seine Freunde hatten seine Worte zwar nicht verstanden, weil sie sich krampfhaft die Ohren zuhielten, ahnten aber, was er gesagt hatte. Denn bei der Beobachtung des in der Schlucht herumsuchenden und wütend tobenden Drachen hegten sie ähnliche Gedanken.

Gleichzeitig aber wurde Koga und seinen Freunden klar, dass sie schleunigst so weit wie möglich flüchten mussten. Denn der Drachendämon fand den ablenkenden Kinderstreich der Wölfe sicherlich nicht lustig. Nach der Entdeckung und Ausschaltung von Haggakus Schrei-Kugeln würde er höchstwahrscheinlich nach den unverfrorenen Übertätern suchen. Außerdem bestand dann die Gefahr, dass er das freche Spiel sehr schnell durchschaute. Und dann sah es schlecht für Ieyasu und seinen Versuch, Sesshomaru zu befreien, aus.
 

Unauffällig und flink zogen Koga, Ginta und Haggaku sich in das neben ihnen liegende Seitental der Schlucht zurück und rannten schnellstens dort weiter hinein. Nun konnten sie nur hoffen, dass Haggakus Schrei-Kugeln den Drachenfürsten lange genug wahnsinnig machten und erfolgreich von allem anderen ablenkten. Und dass sie alle schnellstens aus dem Drachenreich herauskamen, bevor sie in höchste Gefahr gerieten.
 

* * * * *
 

Ieyasu hatte unterdessen, ebenfalls gut versteckt, auf die Durchführung von Haggakus Ablenkungsmanöver und das Auftauchen von Bundori gewartet. Als das überall in der Schlucht gut zu hörende Jaulkonzert der Wölfe beziehungsweise ihrer Schrei-Kugel einsetzte, brauchte er darauf nicht lange zu lauern.

Relativ schnell nach dem ersten Ertönen und echoartig sich ausbreitenden Wolfsgesang erzitterte leicht die Erde in der Umgebung von Ieyasus Versteck. Gleich darauf schob sich die immense und wahre Drachengestalt von Bundori durch die Schlucht und an dem verborgenen Heiler vorbei auf die Quelle des nervtötenden und immer lauter werdenden Heulens zu.

Das Manöver mit den überaus nervigen Schrei-Kugeln erwies sich tatsächlich als erfolgreich.

Ieyasu ließ den Drachendämon an sich vorbei, verließ dann schleunigst sein Versteck und folgte schließlich der nur äußerst schwach zu spürenden, dämonischen Ausstrahlung von Sesshomaru. Noch eine andere dämonische Energie konnte er nicht wahrnehmen. Folglich war Bundori, wie Koga richtig vermutet hatte, mit seinem Gefangenen glücklicherweise allein gewesen.
 

Eilig lief der Heiler vorwärts, umrundete einige Felsen und blieb dann unvermittelt geschockt stehen. Obwohl er geahnt hatte, was ihn wahrscheinlich erwarten würde, brauchte er eine Weile, um sich von seinem Entsetzen zu erholen. Denn der Anblick, der sich ihm nun bot, war einfach nur noch furchtbar.

Fest an die ihm gegenüberliegende Felsenwand gekettet, entdeckte Ieyasu die leblose, menschliche Gestalt von Sesshomaru. Seine Haltung wirkte völlig unnatürlich und verkrampft. Weiteres war zunächst nur schwer erkennbar, denn ein wahrer Sturzbach von Blut überströmte den Leib des Hundedämonen und floss träge in eine daneben liegende Felsspalte.

Ieyasu schluckte hart und widerstand nur schwer der übermächtigen Versuchung sich abzuwenden und fortzulaufen. Nun wurde ihm erst richtig bewusst, was für eine grausame Gesinnung Bundori wirklich besaß. Denn was der Drache da alles mit seinem Opfer angestellt hatte, entzog sich jeglicher Beschreibung.
 

Mühsam schüttelte Ieyasu seine Erstarrung wieder ab, eilte zu dem gefolterten Gefangenen und suchte hektisch die ihn fesselnden Ketten ab. Schließlich fand er, was er suchte, und riss ein winziges, an den Ketten klebendes Siegel aus Holz ab, das magisch schimmerte. Kaum hatte er das Siegel entfernt, lösten die Ketten sich in Luft auf und gaben den gefangenen Körper frei.

Der Heiler fing den zu Boden sinkenden, reglosen Leib auf und untersuchte ihn flüchtig. Wieder musste er schwer schlucken, um sein erneutes Entsetzen und ein starkes Übelkeitsgefühl zu unterdrücken.

Eine deutliche Lebensreaktion zeigte sich zwar nicht, aber der verkrampfte, zerschmetterte Körper in Ieyasus Armen war warm und zitterte leicht, und der heilende Dämon meinte einen leise ächzenden, kaum wahrnehmbaren Atemhauch zu spüren.
 

Hastig zog sich Ieyasu die äußere Schicht seines mehrlagigen Seidenkimonos aus und wickelte den Schwerstverletzten vorsichtig darin ein. Dann nahm er schnell seinen Stab zur Hand und rammte ihn in den Boden. Äußerst sanft und behutsam hob er daraufhin den eingehüllten Körper Sesshomarus auf, schloss die Augen und konzentrierte sich fieberhaft. Er durfte keine Zeit mehr verlieren, denn es war höchste Zeit endlich fortzukommen.

Das bisher beständig in der Schlucht zu hörende Wolfsgeheul hatte bereits die Hälfte seiner Lautstärke eingebüßt. Offenbar hatte Bundori die Schrei-Kugeln entdeckt und sie systematisch zu zerstören begonnen. Nicht mehr lange und der Wolfsspuk war vorbei. Sobald der Drachendämon merken würde, was hier geschah und, dass jemand versuchte seinen Gefangenen zu befreien, würde es wirklich brenzlig werden. War der mächtige Drache ihnen allen erst einmal auf den Fersen, würde jede Flucht aus dem Drachenreich ziemlich schnell unmöglich sein.

Die Luft um Ieyasu begann zu flirren und ein von seinem Stab ausgehender Schimmer umkreiste ihn. Gleich darauf löste sich die Gestalt des Heilers und die des Leblosen in seinen Armen in einem blendenden Licht auf und verschwand.
 

* * * * *
 

Auch Koga, Ginta und Haggaku waren auf der Flucht. Während sie durch die sich immer weiter verzweigenden Seitentäler der Drachenschlucht rannten, bemerkten sie, dass das entfernte, von Haggakus Schrei-Kugeln ausgehende Geheul verstummt war. Wie lange würde es wohl dauern bis der Drachendämon den Sinn des ganzen Spiels verstanden hatte? Wie schnell würde Bundori entdecken, dass sein Gefangener verschwunden war? Und wann würde er die unverfrorenen Befreier verfolgen?

Lange brauchte Bundori dazu nicht, das stellten die Wolfsdämonen sofort fest, denn plötzlich dröhnte die ganze Schlucht unter einem wütenden Fauchen. Zudem war die Ansammlung und Zunahme einer gewaltigen, dämonischen Kraft zu spüren.

Koga, Ginta und Haggaku rannten weiter, immer schneller, in der verzweifelten Hoffnung wider Erwarten vielleicht doch noch einen rettenden Ausweg zu finden. Dadurch, dass sie gezwungen gewesen waren, in ein fremdes Seitental zu fliehen, damit Bundori sie nicht schon inmitten des Manövers mit den Schrei-Kugeln entdeckte, mussten sie sich jetzt auf unbekanntem Terrain fortbewegen.

Auch Koga kannte sich in diesem Bereich des labyrinthartigen Schluchtsystems nicht besonders gut aus wie in dem Bereich des Herwegs. Zudem hatten die Wolfsdämonen den Schutz von Ieyasu verloren, der ihr Youki verborgen hatte, denn der Heiler war nicht mehr in ihrer Nähe. Das bedeutete sie waren leichter auffindbar. Und auch wenn Drachendämonen vielleicht nicht eine ganz so gute Nase wie Wölfe hatten, die Fähigkeit Dämonenenergie zu spüren, war bei ihnen mindestens genauso gut ausgeprägt.
 

"Oh sieh mal einer an. Wen haben wir denn da?"

Eine glockenhelle Stimme stoppte den verzweifelten Lauf der Wölfe mitten auf einer Kreuzung von zwei engen Seitentälern. Ruckartig blieb Koga stehen und starrte versteinert die wenige Meter vor ihm stehende Frau an. Seine beiden Freunde hinter ihm prallten gegen seinen Rücken und fielen übereinander purzelnd zu Boden.

"Sieh an, immer noch die gleichen, ungeschickten Milchbubis wie eh und je. Ich frage mich wirklich, wie ihr drei Hohlköpfe bisher überleben konntet."

"Fuyuko...", sagte Koga und verstummte dann wieder.

Die laubgrünen Augen der Wolfsdämonin blitzten.

"Du Dummkopf bist also zurückgekommen. Und dann ziehst du hier eine so lächerliche Show ab. Du bist noch genauso dämlich wie vor ein paar Jahren. Also, du Verräter, wie willst du es haben? Willst du warten bis Bundori dich einholt und dich in Fetzen reißt? Oder willst du lieber von meinem Schwert aufgespießt werden? Dann können wir gemeinsam sterben."

"Ich habe dich nicht verraten, Fuyuko", sagte Koga leise, "wir wurden beide verraten. Die Drachen haben uns nur für ihre dreckigen Intrigen benutzt und dann weggeworfen wie ein verbrauchtes Spielzeug. Die Wölfe waren ihnen schon immer völlig egal, und sie waren es, die uns alle in den Krieg gegen die Hunde getrieben haben. Wir wurden von Anfang an nur betrogen."
 

Ein lautes Fauchen erfüllte die Schlucht. Ginta und Haggaku sprangen auf und klammerten sich entsetzt aneinander.

"Der Drache kommt... verdammt", kreischte Haggaku, "wir müssen hier weg!"

Fuyuko zog ihr Schwert. Ginta und Haggaku wichen erschrocken vor ihr zurück und pressten sich ängstlich an eine Felswand. Koga blieb ruhig stehen und bewegte sich nicht.

"Ich werde nicht gegen dich kämpfen", sagte er.

"Ach Koga...", seufzte Fuyuko und warf ihr Schwert vor ihm zu Boden, "was bist du doch für ein Idiot. Glaubst du, ich bin hier, um mich nach all der Schuld, die ich auf mich geladen habe, nun endgültig zu verdammen? Ich weiß, warum ihr hier seid und warum ihr das tut. Ich weiß, was alles geschehen ist, ich weiß es, ich habe alles erfahren... Und ich habe beobachtet, was Bundori dem Sohn des Hundefürsten alles angetan hat. Nur wenige Stunden habe ich dabei zugesehen und glaube mir, dieser Anblick allein hat ausgereicht, um jeden Rachewunsch für ewig aus mir auszubrennen. Ich bin blind gewesen. Blind und der größte Idiot von allen. Es tut mir leid, ich habe den Wölfen nur Unheil gebracht und ich war niemals eine würdige Leitwölfin."

Koga starrte sie an. Der filigrane Silberreif mit dem Smaragd an ihrer Stirn glänzte. Fuyuko drehte sich etwas und wies in die hinter ihr liegende Schlucht.

"Das ist der kürzeste Weg zum Drachenfelsen", fuhr die Wolfsdämonin fort, "folgt diesem Schluchttal bis zur nächsten scharfen Biegung. Dort steht ein vereinzelter, verkrüppelter Baum. Hinter diesem Baum zweigt versteckt ein kleiner Pfad ab, der euch aus der Schlucht hinaus, direkt hinauf zum Drachenfelsen führt. Beeilt euch, ich werde den Drachen so lange es nur irgend geht aufhalten."

"Nein!" rief Koga erschrocken: "Ich lass dich hier nicht zurück. Du hast keine Chance gegen den Drachen, du kommst mit uns. Wir werden gemeinsam fliehen oder gemeinsam sterben."

"Sei vernünftig, Koga, wem sollte das nützen?", sagte Fuyuko und lächelte mild: "Mein Leben ist schon lange verwirkt. Ich hätte bereits damals auf dem Schlachtfeld zusammen mit meinen Gefährten sterben sollen. Und bevor ich meinen Freunden ins Jenseits folge, möchte ich wenigstens noch einmal erhobenen Hauptes kämpfen dürfen. Diese letzte Würde ist alles, was mir noch bleibt. Wie soll ich ehrenvoll meinem Vater gegenüberstehen, wenn du daneben stehst? Ich will nicht, dass du dich für mich opferst. Du hast dein Leben noch vor dir. Mache in meinem Namen wieder gut, was ich falsch gemacht habe. Werde stark und ein guter Beschützer der Wölfe!"
 

Erneut war ein gewaltiges Fauchen und Dröhnen zu hören, Bundori konnte nicht mehr weit sein. Fuyuko sah hoch in den Himmel. Es war ein sonnenklarer Tag. Weit oben kreiste ein Vogelschwarm über der Schlucht. Ein wunderbarer Tag, dachte Fuyuko, schloss kurz die Augen und sah dann wieder zu Koga.

"Nun verschwinde schon. Und komm ja nicht auf die Idee eine Träne für mich zu vergießen. Du weißt doch sicher: Wölfe heulen, aber sie weinen nicht."

"Was für ein saublöder Spruch ist denn das jetzt?!" empörte Koga sich: "Natürlich würde ich niemals flennen. Kein Dämon lässt irgendwelche wehmütigen Tränen kullern. Dämonen können ja überhaupt nicht weinen!"

"Du weißt, dass das nicht stimmt", sagte Fuyuko und lächelte. In diesem Moment wurde Koga wieder bewusst, wie schön sie eigentlich war.

"Und jetzt hau ab, du zahnloser Milchbubi, und besorg dir ein paar scharfe Krallen, damit du weiterhin und möglichst lang in dieser beschissenen Welt überlebst. Ich habe echt keine Lust darauf, dass du mir im Jenseits auch noch auf die Nerven gehst!" Mit diesen Worten stieß Fuyuko Koga heftig von sich, lächelte noch einmal und wandte sich um.

Koga, der bei dem Schubs zu Boden gefallen war, setzte sich schwerfällig auf und sah sie an. Er wollte noch etwas sagen, doch ihm fiel nichts mehr ein. Stumm beobachtete er wie die Wolfsprinzessin ihre dämonischen Kräfte sammelte und dann begann sich in ihre wahre Gestalt zu verwandeln. Die Gestalt einer großen Wölfin mit nussbraunem Fell und weißen Läufen.
 

Ginta und Haggaku rannten zu Koga, zogen ihn mit vereinten Kräften vom Boden hoch und rissen ihn mit sich. Sie flüchteten in das Schluchttal, das Fuyuko ihnen als Ausweg gewiesen hatte. Koga ließ sich von ihnen mitzerren, nur einmal noch blickte er zurück und sah wie Fuyuko in ihrer wahren Gestalt davonstürmte, Bundori entgegen. Dann versperrten ihm einige hochaufragende Felsen, die er mit Ginta und Haggaku umrundete, die Sicht.

Die drei Wolfdämonen rannten weiter und fanden den verkrüppelten Baum, hinter dem ein steiler Pfad in die Höhe führte. Mit ihren letzten Kräften flüchteten Koga und seine beiden Freunde hinauf und erreichten schließlich gehetzt den Drachenfelsen. Völlig erschöpft und keuchend rangen sie um Atem.
 

"Dem Himmel sei dank, ihr habt es geschafft!"

Die erschöpften Wolfsdämonen wandten sich seitwärts und sahen plötzlich einige Meter entfernt Ieyasu neben dem Drachenfelsen stehen. Helles Licht umspielte den magiebegabten Heiler und seinen Stab, der vor ihm eine Handbreit senkrecht über dem Boden schwebte. Auch Ieyasu keuchte vor Anstrengung. Er trug einen in feine Seide fest eingehüllten Körper in seinen Armen.

"Schnell, kommt zu mir!" forderte er die Wolfsdämonen auf.

Ginta und Haggaku rannten sofort zu ihm. Nur Koga zögerte und blickte zurück in die hinter und unter ihm liegende Schlucht. Entfernt konnte er eine Staubwolke sehen und hörte das fauchende Brüllen von Bundori. Das dröhnende Gebrüll des Drachen verstärkte sich und wurde von einem mutig herausfordernden, heulenden Schrei eines Wolfs beantwortet.

"Fuyuko...", murmelte Koga leise.
 

"KOGAAA! Komm endlich!"

"Ist ja gut, ich komm ja schon", murrte Koga und lief nun ebenfalls zu Ieyasu.

"Berührt meinen Stab und übertragt darauf einen Teil eurer dämonischen Energien", sagte Ieyasu, "allein habe ich nicht mehr genug Kraft, um ein ausreichendes Dimensionsportal für uns alle zu öffnen. Aber zusammen mit eurem Youki bin ich dazu in der Lage und kann auch euch von hier weg bringen. Bleibt so nah wie möglich bei mir, dass der Zauber für diesen Teleport richtig wirken kann."

Die drei Wolfsdämonen taten das Verlangte und drängten sich dann dicht an Ieyasu. Dabei vermieden sie es allerdings tunlichst sich die Last anzuschauen, die der Heiler in seinen Armen trug.

Normalerweise hätten Koga, Haggaku und Ginta gerne erfahren wie der Fürstensohn des Westens, den sie nie persönlich kennen gelernt hatten, eigentlich aussah. Doch unter den momentanen Umständen waren sie im Gegensatz dazu sehr froh darüber, dass ein bedeckender Stoff ihnen jeden genaueren Blick verwehrte. Selbst Gintas Neugierde war nicht groß genug, als dass er wissen wollte, was sich da genau unter der verhüllenden, blutdurchtränkten Seide verbarg. Er hatte viel zu große Angst davor, dass ein genauerer Blick ihm schlimmste Übelkeit bereiten würde.
 

Ieyasu sammelte seine letzten Kräfte zusammen, konzentrierte sich und verband sein Youki mit dem der Wölfe. Sein magisches Licht flammte auf, umhüllte alle und brachte den Heiler und die Wolfsdämonen fort nach Westen.
 


 

Soweit sechzehnte Kapitel.

Puh, jetzt ist zumindest die Befreiungsaktion endlich überstanden. ;))

Ich hoffe, alles war spannend und gut dargestellt. Sollte irgendetwas aufgrund vereinzelter, dramaturgisch nötiger Andeutungen im Text zu hart und schrecklich gewirkt haben, bitte ich um Verzeihung. Eigentlich habe ich mich bemüht das zu vermeiden, wollte aber natürlich auch nichts verharmlosen.

Das nächste Kapitel wird dann wieder ziemlich dramatisch, *schluchz*, aber hoffentlich dennoch schön... Neugierig auf den Kapiteltitel? Okay, ich verrat ihn euch, er lautet: ,Sternensplitter'.

Wie immer wäre ich über kritische und lobende Kommentare sehr dankbar.

Sternensplitter

Nun kommen wir zu einem meiner Kernkapitel und einem der Höhepunkte. Ob es mir gelungen ist, müsst ihr beurteilen. Gerade bei den wichtigsten Sachen, macht man ja häufig Fehler. Wenn es zu traurig wird, denkt an den Ausspruch von Izayois Amme aus Kapitel 15: Freude und Leid sind Brüder. Also je dramatischer es wird, desto glücklichere Momente wird es geben. Und ich verspreche, trotz aller Traurigkeit wird meine FF ein glückliches, hoffnungsfrohes Ende finden (was aber noch dauern wird, ich habe euch ja gewarnt, 30 Kapitel sind das mindeste^^)!

Es geht weiter: Eine bange Nacht und ein aufregender Tag sind vergangen. Inu Taisho hat eine schwere, verlustreiche Schlacht hinter sich. Ieyasu hat währenddessen zusammen mit den Wolfsdämonen Koga, Ginta, Haggaku und Fuyuko, die dafür ihr Leben gelassen hat, Sesshomaru aus der Gewalt des Drachendämons Bundori befreit. Der Heiler bringt den Fürstensohn zu seinem Vater, doch die Zeit verrinnt, Sesshomaru liegt im Sterben...

Enjoy reading!
 


 

Weit oben in den westlichen Bergen, in einer der Wolfshöhlen, kümmerten sich Kogas Mutter Aoi und Ieyasus jugendlicher Schüler aufopfernd um die letzten Verletzten in ihrer Obhut. Sorgenvoll sah Aoi dabei immer wieder aus der Höhle hinaus in den freundlichen, goldenen Schein der Abendsonne. Sie fürchtete sich vor der nahenden Nacht.

Die vorige Nacht und der nun vergangene Tag gehörten zu den schrecklichsten Nächten und Tagen ihres Lebens. Es waren Stunden des Grauens, des Leidens und des Todes gewesen.

Auf einer langgezogenen Hochebene, nicht weit von den Wolfshöhlen entfernt, hatte vor etwa zwanzig Stunden die letzte, entscheidene Schlacht um den Westen begonnen. Ein letztes Mal kämpfte Inu Taisho mit den letzten seiner Getreuen gegen die immer noch gewaltigen Massen seiner Feinde aus dem Osten. Lange schon waren keine weiteren Verwundeten mehr zu Aoi gekommen, es gab keine mehr. Wer in den letzten Stunden auf dem Schlachtfeld fiel, der fiel für immer. Jeder dort kämpfte bis zum letzten Atemzug. Es gab nur noch die Wahl zwischen Sieg oder Tod.
 

Mehrere Schatten tauchten am Höhleneingang auf. Aoi bemerkte sie, erhob sich zitternd und ging den Gestalten entgegen. Sie zählte etwa dreissig unterschiedliche Dämonen. Kaum einer von ihnen war unverletzt und alle waren am Ende ihrer Kräfte. Ängstlich wandte sich die Wolfsdämonin einem Fuchsdämonen zu, dessen silbernes Fell in der Abendsonne gelblich schimmerte, und sah ihn stumm flehend an. Mit blauen Augen erwiderte der Fuchsdämon ihren fragenden Blick und nickte dann erschöpft lächelnd.

"Es ist vorbei", sagte er beruhigend, "wir haben gesiegt, der Westen ist gerettet."

Aoi seufzte erleichtert. Dann musterte sie beunruhigt die Krieger.

"Sind das alle, die überlebt haben?"

"Bis auf die Verletzten in den Wolfshöhlen, einige weitere Verwundete und noch ein paar, die zur Zeit die Toten beerdigen, ja. Es war eine verlustreiche Schlacht. Doch die Verluste unserer Feinde waren weitaus höher. Sie wurden fast völlig vernichtet. Nur Ryokossei und einige Paradiesvögel sind entkommen. Doch der Drache wurde stark verletzt, dem Lord ist es gelungen seinen Panzer zu durchbrechen. Fast hätte er dieses Ungeheuer getötet, doch er war leider zu geschwächt, um den Drachen endgültig von dieser Welt zu jagen."

"Wo ist der Hundefürst jetzt?", fragte Aoi.

"Er ist nach der Schlacht bewusstlos zusammengebrochen. Zwei seiner Untergebenen haben ihn zu den Wasserquellen oberhalb der Höhlen gebracht. Keine Sorge, bis auf einige, harmlose Verwundungen schien er weitgehend unverletzt zu sein. Der Hundedämon, der für unsere Ausrüstung verantwortlich ist, hat dem Fürsten frische Kleidung besorgt und kümmert sich jetzt um ihn."

"Und... Chugo, unser Leitwolf?"

"Er ist gefallen... viele Wölfe sind gefallen. Sie haben überaus mutig gekämpft."

Trauernd sah Aoi zu Boden. Mühevoll unterdrückte sie ihre Tränen und blickte dann wieder auf.

"Braucht ihr meine Hilfe? Oder reicht es, wenn Ieyasus Schüler sich um euch kümmert? Ich würde gern nach Inu Taisho sehen."

"Wir kommen schon zurecht, danke", meinte der Fuchsdämon, "geht ruhig!"
 

Aoi verließ die Wolfshöhle und eilte einen halb überwucherten Pfad zu einer einsamen Bergwiese hinauf. Am Rande der Wiese neben einem von hohen Felsen herabsprudelnden Bach stand Inu Taisho. Sein langes, weißes Haar war offen und nass und glitzerte leicht im Sonnenschein. Er hatte sich offensichtlich gewaschen, neu eingekleidet und war nun mit dem Anlegen einer neuen Rüstung beschäftigt. Ein braunhaariger Hundedämon half ihm dabei. Neben Inu Taisho im Gras lag seine alte, zerborstene Rüstung, zerrissene, blutbesudelte Gewänder und ein langes, schmales Zweihänderschwert in seiner Scheide.

Als Aoi zu ihm kam, sah der Dämonenfürst auf.

"Du bist Aoi, richtig? Die Zweitälteste des westlichen Rudels, soweit ich mich richtig erinnere. Du wirst nun die Wölfe führen müssen."

Stumm nickend stimmte die Wolfsdämonin ihm zu und betrachtete den Fürsten eine Weile.

"Ihr seht sehr müde aus.", meinte sie dann, "Ihr solltet eine Weile schlafen, Ihr braucht dringend Ruhe."

"Ich werde keine Ruhe finden... Ist Ieyasu zur Zeit sehr beschäftigt?"

Aoi schluckte, diese Frage hatte sie befürchtet. Was sollte sie ihm nun sagen? Fieberhaft nachdenkend beobachtete sie, wie Inu Taisho sein Schwert vom Boden aufhob und an seinem Rücken befestigte.

"Wo... wohin wollt Ihr?", fragte Aoi ablenkend.

"Ins Drachenreich", antwortete der Dämonenfürst knapp und band sein Haar zu einem Zopf zusammen.

Aoi zuckte leicht erschreckt: "Wollt Ihr Euren Sohn retten? Aber... aber Eurer Sohn lebt doch nicht mehr, oder? Oder doch?"

Inu Taisho blickte zur Seite.

"Ich weiß es nicht... Manchmal glaube ich etwas zu spüren und manchmal höre ich tief in meinem Innersten einen Schrei... Vielleicht ist es nur eine vergebliche Hoffnung, aber irgendetwas scheint nach mir zu rufen..."
 

"Nein, Inu Taisho-sama, das dürft Ihr nicht!", kreischte auf einmal jemand. Aoi sah erstaunt einen kleinen Flohdämonen von ihrer auf Inu Taishos Schulter springen. Wo kam der denn so plötzlich her?

"Bitte", flehte der kleine Floh, "stürzt Euch nicht ins Verderben! Nicht jetzt, nachdem Ihr gewonnen habt und der Westen wieder sicher ist."

"Ich habe nicht gewonnen", sagte Inu Taisho ungehalten, "Ryokossei ist entkommen. Solange er und sein Bruder am Leben sind, wird es keinen Frieden geben!"

Der Dämonenfürst hob seine Hand, um den verängstigten, besorgten Flohgeist von seiner Schulter zu schnippen, ließ aber dann unerwartet seine Hand wieder sinken und erstarrte.

Verwundert drehte sich Aoi um. Einige Meter hinter ihr war ein schimmerndes Licht aufgetaucht und strahlte immer heller, bis die Wolfsdämonin geblendet die Augen schließen musste. Blinzelnd sah sie erneut hin und erblickte vier Dämonen, die dicht aneinander gedrängt auf der Wiese standen.

"Koga! Ieyasu-sama! Ihr seid zurück. Ihr... habt Ihr..."

Die letzten Worte blieben Aoi im Hals stecken. Entsetzt starrte sie die in blutdurchtränkter Seide eingehüllte Gestalt an, die Ieyasu in den Armen trug. Koga und seine beiden Freunde wichen einige Schritte hinter dem Heiler zurück und sahen unruhig zu Boden.

"Aoi-san", bat Ieyasu, "begleitest du Koga, Ginta und Haggaku hinunter zu den Höhlen und kümmerst dich um sie? Und sorge bitte dafür, dass ich mit Lord Inu Taisho allein gelassen werde."

Aoi nickte mechanisch und zog sich mit ihrem Sohn und seinen Freunden zurück. Kurz vor dem Pfad, der zu den Wolfhöhlen hinabführte drehte sie sich noch einmal kurz um und beobachtete, wie Ieyasu vor seinem Herrn niederkniete und die Last in seinen Armen sacht ins Gras legte. Dann begann der Heiler die durch seinen Rücken vor Aois Sicht verdeckte Gestalt vorsichtig zu enthüllen und legte die blutige Seide neben sich beiseite.

Der Flohgeist auf Inu Taisho Schulter kreischte lauthals auf. Der Hundedämon neben dem Fürsten schlug mit weit aufgerissenen Augen seine Hände vor den Mund und wandte sich dann unter einem Brechreiz würgend ab. Inu Taisho sah mit steinernem Blick zu Boden und sank dann langsam in die Knie. Die Wolfsdämonin hatte genug gesehen, sie wandte sich ab und ging.
 

Ieyasu wandte sich an den entsetzten Hundedämonen neben Inu Taisho.

"Kannst du mir einige Tücher, heißes Wasser und schmerzstillende Kräuter besorgen? Beeil dich!"

Der Hundedämon nickte und rannte sofort weg.

Der Heiler beugte sich vor, berührte den im Gras liegenden Körper sanft und versenkte sich in eine tiefe Trance. Der Flohgeist sprang auf seine Schulter, sah noch einmal kurz davon herab und versteckte sich dann furchtsam zwischen Ieyasus langen, grauen Haaren.
 

Nach einigen Minuten löste Ieyasu sich wieder aus seinem tranceartigen Zustand und sah zu Inu Taisho. Die steinharten, goldenen Augen des Dämonenfürsten blickten undurchdringlich zurück. Doch Ieyasu verstand seine unausgesprochene Frage.

"Es tut mir leid... Sesshomaru hat keine Selbstheilungskräfte mehr und die Verletzungen sind viel zu schwer. Seine Seele löst sich bereits und die Boten des Todes warten. Ich kann ihm nicht mehr helfen... Es ist ein unbegreifliches Wunder, dass er überhaupt bisher noch überlebt hat."
 

Inu Taisho griff behutsam nach Sesshomaru, zog den gefolterten Leib seines Sohnes in seinen Schoß und bettete ihn vorsichtig in sein Mantelfell und seine Arme. Wortlos sah er in Sesshomarus unversehrtes Gesicht.

Ieyasu ahnte, dass Bundori das Gesicht des Fürstensohns nicht zufällig oder aus mitleidigen Beweggründen unverletzt gelassen hatte, er hatte das mit Absicht getan. Der grausame Drache hatte gewollt, dass Inu Taisho das schöne Antlitz seines Sohnes noch einmal sah.
 

Sesshomarus kaum hörbare Atemzüge verwandelten sich in ein keuchendes, flatterndes Beben. Sein schweißnasses Gesicht verzerrte sich und sein gebrochener Körper versteifte sich krampfartig. Seine bisher fest geschlossenen Lider öffneten sich etwas und seine unter Schmerzen tränenden Augen begegneten dem goldenen Blick seines Vaters.

"Chichi-ue..." brachte Sesshomaru kurz flüsternd hervor, verkrampfte sich daraufhin wieder und keuchte noch einige Male schmerzerfüllt auf. Dann entspannte sich sein bleiches Antlitz plötzlich. Inu Taisho spürte, wie der harte, versteifte Körper in seinen Armen sich lockerte und dann leblos zurücksank.

Behutsam legte der Dämonenfürst seinen Sohn wieder ins weiche Gras am Boden ab. Sanft strich er ihm einige blutverklebte Haarsträhnen aus dem Gesicht und verweilte dann eine Zeitlang mit seinen Fingerspitzen auf dem sichelmondförmigen Zeichen auf Sesshomarus Stirn. Schließlich ließ er seine Hand herabgleiten, schloss seinem Sohn sacht die Augenlider und stand dann langsam auf.
 

"Ieyasu..."

Der Heiler stand ebenfalls auf und sah seinen Herrn kummervoll an.

Inu Taisho griff unter seine Rüstung und sein Gewand und reichte seinem Diener eine schwarze Perle.

"Dies ist ein Geschenk meines alten Freundes Hosenki", sagte der Fürst leise, "es sollte meine letzte Ruhestätte sein, wenn meine Zeit gekommen ist, und mich an die Grenzen zum Jenseits führen. Nun soll es das Grab meines Sohnes sein. Bitte, kümmere dich ein letztes Mal um ihn. Du hast ihn einst zu mir gebracht, nun bringe ihn zurück zu seiner Mutter. Bereite ihn für seinen letzten Weg vor."

Ieyasu nickte schweigend und nahm die Perle von Inu Taisho entgegen.

"Ihr geht fort?", fragte er dann.

"Ich muss Bundori und Ryokossei finden und vernichten. Diese beiden Drachen haben genug Übel angerichtet. Ich hätte ihnen niemals wieder trauen dürfen. Meine naive Hoffnung auf Versöhnung damals war ein großer Fehler. Ich kann mein törichtes Verhalten, das viele Tode verschuldet hat, nicht wieder gut machen, aber ich kann versuchen zu verhindern, dass noch mehr Unheil geschieht."

"Ihr solltet nicht allein gehen."

"Diesen Weg muss ich allein gehen. Ich habe diese Konflikte einst verschuldet, ich muss sie austragen. Und ich darf niemand weiteren mehr darin verwickeln."

"Und Euer Land?", fragte Ieyasu weiter: "Wollt Ihr das auch allein lassen? Ihr und Eurer Reich haben den einzigen Erben verloren. Und was ist, wenn Ihr durch Euren Racheakt neue Feindseligkeiten mit Drachen heraufbeschwört"

"Mach dir keine Sorgen, mein Freund", antwortete Inu Taisho ruhig, "ich werde Sesshomaru nicht in den Tod folgen. Bundori und Ryokossei werden mich nicht besiegen. Die Drachenbrüder haben keine Verbündeten mehr, sie haben einen Friedenspakt und ihren Eid gebrochen. Und sie haben unberechtigt auf feige und grausamste Weise meinen Sohn ermordet. Keiner der letzten Drachenclans wird den beiden schändlichen Fürsten noch Unterstützung gewähren oder mich an etwas hindern."
 

Ieyasu senkte den Kopf.

"Ihr habt wohl recht. Dennoch bitte ich Euch, seid vorsichtig. Und... verzeiht mir mein Versagen..."

"Was sollte ich dir verzeihen, Ieyasu? Weder du noch Myoga noch sonst wer trägt eine Schuld an dem, was geschehen ist. Wenn jemand versagt hat, dann nur ich. In meinem Bestreben vor den Schatten der Vergangenheit zu fliehen, habe ich mich in Eis eingeschlossen und meinen Sohn in die Einsamkeit, die Kälte und den Tod getrieben. Und dennoch haben mich die Schatten schließlich eingeholt. Niemand von uns ist ohne Fehler. Unsere Mangelhaftigkeit und unsere ständige Suche nach Vollkommenheit und Erfüllung ist die Kraft, die uns im Leben vorwärts treibt."
 

Inu Taisho warf einen letzten Blick auf seinen toten Sohn, atmete einmal tief ein und wandte sich dann ab. Seine Augen färbten sich tiefrot. Unter einem lauthals klagenden Schrei verwandelte sich der Herr aller Hunde in seine wahre Gestalt und stürmte in Richtung der untergehenden Sonne davon.
 

Myoga krabbelte zaghaft unter Ieyasus Haaren hervor auf die Schulter des Heilers und sah zu, wie der riesige, weiße Hund die bewaldeten Hänge hinabsprang und schließlich zwischen den Bergen verschwand. Die Augen des Flohdämonen weiteten sich, dann begann er lauthals und weinerlich an zu kreischen.

"Nein, das ist doch nicht wirklich wahr, oder? Oder?! Oh nein... Mein armer Herr... und ich bin schuld. Ich bin so ein Versager. Und was ist, wenn Inu Taisho nun auch noch getötet wird? Was soll denn jetzt werden, wie soll es weitergehen, was sollen wir..."

"MYOGA! Hör auf zu plärren. Das hilft uns jetzt auch nicht mehr weiter. Und du hast es doch gehört, niemand gibt dir mehr eine Schuld an irgendwas. Es lässt sich nicht ändern, so ist das Leben. Und zum Leben gehört eben auch der Tod."

Schlagartig beendete Myoga sein Geschrei. Unglücklich warf er einen kurzen Blick auf Sesshomarus bleiches, aber friedlich wirkendes Gesicht und sprang dann hastig neben Ieyasu ins Gras.

Der Heiler seufzte leise, schaute kurz auf die kleine, schwarze Perle in seiner Hand und kniete sich neben Sesshomaru nieder.
 

"Ich werde Euch helfen den Toten zu waschen und einzukleiden", sagte eine sanfte Frauenstimme im Hintergrund. Ieyasu drehte sich herum.

"Aoi-san, das ist... sehr freundlich von dir. Aber du brauchst mir nicht helfen. Lass es lieber... Der tote Prinz ist... bis auf sein weitgehend unversehrtes Antlitz ist er... es... es ist kein schöner Anblick."

Die Wolfsdämonin schlug die Augen nieder und lächelte dann zaghaft. In den Händen trug sie eine hölzerne Schüssel, viele weiße Leinentücher sowie einen fein gewebten Haori und Hakama.

"Ich habe einen von Inu Taishos Untergebenen in das Schloss des Lords geschickt, damit er noch eine Rüstung und ein Schwert für den Fürstensohn besorgt, wie es sich für die letzte Reise eines stolzen, ehrenhaften Kriegers gehört... und bitte, ich würde Euch so gerne helfen, verwehrt mir diese Ehre nicht. Der Anblick schreckt mich nicht... Wisst Ihr, vor sehr langer Zeit habe ich jemanden verloren, der auch in die Hände des Drachenlords fiel und ebenfalls sehr grausam sterben musste. Und das nur, weil ich versehentlich einen dummen Fehler begangen hatte und er mich schützen wollte. Damals war es mir nicht vergönnt meinem Retter dafür eine ehrenvolle Bestattung zu ermöglichen. Bundori hat seinen Leichnam von einer Meute aus abscheulichen, rattenartigen Monstern zerreißen und auffressen lassen... das sehen zu müssen... das hat am meisten weh getan... Wir Wölfe vergessen leicht, aber gewisse Dinge vergessen wir niemals... Und Sesshomaru-sama tut mir so leid... er hätte doch auch mein Sohn sein können, er ist... ich meine, er war doch etwa in Kogas Alter. Und er war am Ende so allein... und er hat nie eine Mutter gehabt..."
 

"Aoi-san...verzeih, ich... Danke. Ich nehme deine Hilfe gerne an"

Der Heiler stand auf und nahm ihr die Holzschüssel und die Stoffe ab. Bewundernd betrachtete er dann die Kleidung, die Aoi ebenfalls in Händen hielt. Es waren nicht sehr kostbare Gewebe, aber sehr aufwendig gearbeitet und überaus kunstvoll bestickt.

Leicht verlegen sah die Wolfsdämonin zu Boden.

"Es sind keine wirklich fürstlichen Gewänder. Ich habe leider noch nie Seide in Händen gehabt, so etwas besitzen wir Wölfe ja nicht... aber ich habe mir gedacht, vielleicht... vielleicht ist es ja trotzdem würdig genug..."

Freundlich nahm der Heiler ihr nun auch die Kleidungsstücke ab.

"Sie sind wunderschön und mehr als würdig. Selbst Lord Inu Taisho hat niemals ein derartig schönes Gewand besessen. Und Wölfe erstaunen mich immer wieder... ich habe nicht gewusst, dass es Wolfsdämonen gibt, die weben und sticken können."

Ein feines Lächeln zeichnete sich auf Aois Gesicht ab.

"Ich bin eben eine außergewöhnliche Wolfsdämonin", sagte sie dann, "das Schicksal hat sich bei mir ein paar merkwürdige Späße erlaubt. So hat es mir eben verrückte Talente und einen noch verrückteren Sohn geschenkt. Dabei wollte ich eigentlich immer eine Tochter haben, mit der ich meine Leidenschaft für das Nähen und Weben hätte teilen können. Stattdessen brachte ich einen unbezähmbaren, wölfischen Hitzkopf zur Welt, der für Kunst und andere schöne Dinge nur wenig Sinn hat. Ist schon seltsam, welchen Pfaden das Leben folgt, nicht wahr?"
 

Ieyasu schmunzelte kurz, nickte leicht und wandte sich dann wieder Sesshomaru zu, um ihm die letzten Ehren zu erweisen.

Aoi nahm die mitgebrachte Holzschale zur Hand, füllte sie mit Wasser und kniete sich neben den Kopf des Verstorbenen. Dann begann sie behutsam Sesshomarus blutverkrustete Haare zu waschen und sorgfältig zu kämmen.

Myoga sah den beiden Dämonen wehmütig bei ihren traurigen Tätigkeiten zu und wurde immer unglücklicher. Er fühlte sich winzig und völlig hilflos.

Warum nur bin ich bloß ein einfacher, kleiner Flohdämon, dachte er und sah bedrückt zum Himmel.

Doch der rotschimmernde Abendhimmel und die ersten auftauchenden Sterne gaben ihm keine Antwort.
 

* * * * *
 

Am Fuße der Berge stand Inu Taisho vor den Mauern einer Menschenstadt. Er hatte sich in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt und sah in die hinter der Stadt liegenden, bewaldeten Gebirgshänge empor. Die Sonne war bereits verschwunden und hatte die Herrschaft einer mondlosen Nacht übergeben. Kronen mit weißen bis rosafarbenen Blüten vereinzelter, verblühender Kirschbäume leuchteten matt im Sternenglanz wie Schaumkronen auf dem Meer. Der Westwind kam von den Hängen herab und sang ein wortloses Lied.
 

Inu Taisho lauschte dem Wind und ließ den immerwährenden Gesang seines Landes in sich klingen bis auch sein trauerndes Herz endlich bereit war anzunehmen, was bisher nur sein Verstand akzeptierte.

"Er ist frei...", murmelte Inu Taisho leise, "frei wie der Wind in den Bergen. Frei wie die weit über das Meer ziehenden Vögel... frei und fort von mir für immer..."

Der Dämonenfürst schloss kurz seine Augen und wendete seinen Blick dann der Stadt zu, die vor ihm lag. Mit wenigen lautlosen Sprüngen näherte er sich den Mauern und verbarg sein Youki tief in sich. Aufmerksam ließ er all seine Sinne schweifen, um die unsichtbaren Bannkreise zu spüren, die menschliche Magie als Abwehr und Schutz gegen Dämonen errichtet hatte.

Vorsichtig bahnte sich Inu Taisho einen heimlichen Weg durch die Straßen der schlafenden Stadt und erreichte schließlich das aus mehreren Gebäuden bestehende Schlossgebäude. Er sprang flink über die Schlossmauer in den Garten und folgte dann einem zarten, vertrauten Duft. Innerhalb des Schlosstrakts wurde es immer schwieriger für ihn den dort verteilten Bannkreisen auszuweichen, doch er schaffte es, näherte sich einem Seitenflügel des Hauptgebäudes und schob sacht eine Türe beiseite.
 

In dem kleinen, aber eleganten Holzraum empfing ihn tiefe Dunkelheit. Der Dämon hörte die leisen Atemzüge eines jungen Menschenmädchens. Geräuschlos kam er näher und kniete neben einer Bettstatt nieder, er roch Spuren von vertrockneten Tränen. Das Mädchen vor ihm musste sich in den Schlaf geweint haben. Eine ihrer schemenhaft erkennbaren Hände ballte sich zu einer Faust, mit der sie etwas fest umklammerte. Inu Taisho wusste, was das war. Es war sein Fangzahn.
 

Zärtlich strich er über Izayois Wangen. Das Mädchen murmelte leise und schlug die Augen auf. Sofort richtete sie sich kerzengerade auf, ihr seidener Kimono raschelte leise. Ihre eine Hand ballte sich noch fester um den dämonischen Fangzahn, mit der anderen streckte sie ihre zierlichen Finger nach Inu Taishos in der Dunkelheit schimmerndem Haar aus.

"Bist du ein Traum?", fragte sie flüsternd und zaghaft.

"Ja", antwortete Inu Taisho und nahm ihre Hand, "komm mit mir. Ich bin ein Wesen der Nacht. Die Nacht und die Träume werden uns gewähren, was die raue Wirklichkeit uns versagt."

Sehnsüchtig umfasste Izayoi seine Arme und ließ sich an ihn ziehen. Inu Taisho nahm sie in seine Arme und trug sie aus dem Zimmer und dem Schloss heraus.

Erneut wich er geschickt den im Garten errichteten Bannkreisen aus und sprang mit allen Kräften in die Höhe. Als er weit über der Stadt schwebte, ließ er sein Youki aufflammen und verwandelte sich in einen hell leuchtenden, warmen Energieball.

Izayoi versank in seinem schützenden Licht und schloss die Augen.

Jegliches Zeitgefühl löste sich in ihr auf. Nur ihr Herz klopfte rhythmisch wie das pulsierende, blendende Licht, das sie umhüllte. Namenloses Glück und eine unendliche Freude erfüllten sie.
 

Immer noch in diesem namenlosen Glück gefangen öffnete sie wieder die Augen, als sie spürte, wie sie sanft abgesetzt wurde und ihre Füße den Boden berührten.

Izayoi sah kurz hoch in Inu Taishos goldene Augen und drehte sich dann herum.

Sie stand auf einer von Kirschbäumen umgebenen Lichtung neben einer kleinen Felsenquelle, irgendwo weit oben in ihr völlig unbekannten Berghängen. Nach Westen hin öffneten sich die steilen Felswände und gaben einen überwältigenden Blick frei auf eine sanfte, hügelige, mit weiteren, hunderten Kirschbäumen bewaldete Landschaft. Ein malerischer, breiter Fluss schlängelte sich durch die Hügel und mündete in der Ferne im Meer. Die plateauartige Lichtung, auf der Izayoi und Inu Taisho standen, war übersät von weißen und rosafarbenen Blütenblättern. Über allem wölbte sich der tiefschwarze Himmel der mondlosen Nacht mit Milliarden glitzernder Sterne.
 

Verwundert sah Izayoi sich um. Die umfassende und einzigartige Schönheit der nächtlichen Natur rings um sie herum raubte ihr den Atem.

"Wo sind wir?", hauchte sie staunend.

"Auf dieser Lichtung wurde vor langer Zeit mein Sohn geboren", erklärte Inu Taisho ihr leise: "Als ich damals zum ersten Mal hierher kam, um die Spur seiner Mutter zu verfolgen, sah es hier völlig anders aus. Ein Gewittersturm hatte diese Gegend völlig verheert und die tobenden Naturgewalten hatten fast jegliches Leben hier vernichtet. Das einzige, das ich bei meiner verzweifelten Suche fand, war ein zerrissenes, seidenes Haarband. Das war alles, was mir von meiner ersten und einstigen Geliebten blieb. Bis heute weiß ich nicht, was genau in dieser längst vergangenen Gewitternacht geschah, die mir meine Liebe raubte. Ich weiß nur, dass ich zu spät kam, um sie zu beschützen und zu retten. Und dass sie nie ein Kind von mir hätte bekommen dürfen. Als mein Sohn geboren wurde, tötete er gewissermaßen seine Mutter. Er konnte natürlich überhaupt nichts dafür, es war nicht seine Schuld, und doch habe ich ihm diesen Tod nie verzeihen können. Er war so schön wie sie und ich konnte seinen Anblick einfach nie ertragen. Er hat mich immer an seine Mutter erinnert, und es tat weh. Es tat so schrecklich weh, ihn nur anzusehen... und nun ist alles zu spät."
 

Izayoi musterte sein Gesicht, ihr Blick wurde traurig und Mitleid spiegelte sich in ihren Augen.

"Was ist geschehen? Was ist mit deinem Sohn?"

"Er ist tot", sagte Inu Taisho tonlos.

Izayoi zitterte leicht, dann umarmte sie ihn und drückte sich fest an ihn. Seine harte Rüstung presste sich schmerzhaft gegen ihre Brust, doch das spürte sie nicht. Eine winzige Träne rollte langsam ihre Wange hinab.

Inu Taisho regte sich etwas, er fing Izayois Träne mit einem seiner krallenbewehrten Finger auf und betrachtete den salzigen Tropfen intensiv.

"Dämonen können und dürfen nicht weinen", sagte er leise, "jedenfalls dachte ich das immer und habe es mir eingeredet. Genauso wie ich mir immer eingeredet habe, dass ich nie und nichts mehr wieder lieben dürfte..."

Zaghaft umgriff der Hundedämon Izayois Arme, schob sie etwas von sich weg und sah ihr fest in die Augen.

"Ich liebe dich", sagte er leise: "Was auch immer geschieht oder was auch immer gegen uns steht, ich kann nicht leugnen, dass ich dich liebe. Und ich möchte, dass du das weißt. Oft genug bleiben wichtige Worte ungesagt, und dann ist es zu spät."

Mit einem warmen, glücklichen Ausdruck in ihren tränenschimmernden Augen strich Izayoi sanft über die streifenartigen Markierungen an seinen Wangen und berührte sacht sein seidiges Haar. Der Glanz unzähliger Sterne spiegelte sich in ihrem liebevollen Blick und leuchtete darin wie Silbersplitter in schwarzem Samt.

"Ich liebe dich", wiederholte Inu Taisho, zog sie zurück in seine Umarmung und küsste sie.

Ein Flammenschauer durchfuhr den Leib der jungen Frau. Sie schlang ihre Arme um ihn und verkrallte unwillkürlich ihre Hände in seinen Nacken. Warm erschaudernd sank sie zu Boden und zog den Dämonen mit sich ins blütenbedeckte, taunasse Gras.
 

Die verblühenden Kirschbäume rings um das Liebespaar und der in den diamantenen Glanz unzähliger, ferner Lichter getauchte Himmel schwiegen. Unbeeindruckt vom Leben und Sterben auf der Erde drehten die funkelnden Sterne sich weiter.
 


 

Soweit das siebzehnte Kapitel.

Tja, und jetzt ratet mal, was wohl in dieser lauen, sternenüberstrahlten und mondlosen Frühlingsnacht passiert (bzw. wer da entsteht, *kicher*)... ich hoffe, es war eindeutig und vor allem romantisch genug.^^

Falls mir dieses gefühlsbetonte Kapitel nicht so gelungen ist, tut es mir leid. Ich habe mir zwar sehr viel Mühe gegeben, aber... na ja, so was kann halt auch schief gehen.

Aber Moment mal, werden viele sicher denken, da hat Lizardchen doch was falsch gemacht... Sesshomaru kann doch gar nicht tot sein?!

Er ist es aber, glaubt es ruhig. Ganz ehrlich, kein Blödsinn, er ist tatsächlich tot! Tja... *rätsel, rätsel*... was das jetzt wohl soll... Ich sag nur: weiterlesen. Ehe ihr übrigens fröhlich weiter herumzurätselt, denkt dran: Tensaiga gibt es noch nicht, das kann und wird also nicht als Rettungsanker herhalten. Aber auf gewisse und andere Art und Weise wird dieses Schwert (und auch Tessaiga) schon etwas mit all dem zu tun haben...

Ich hoffe, ich habe euch wieder ganz neugierig auf die Fortsetzung gemacht und es hat euch gefallen. Über Kritik/Lob/etc. wäre ich sehr dankbar.

Schmerz und Liebe

Okay, zunächst: Gomen nasai! Bitte nicht böse sein, dass ich euch so extrem lange habe warten lassen. Das wollte ich echt nicht. Ich musste aber die ganze Dramatik erst selbst verdauen, bevor ich weiterschreiben konnte. *g*

Das folgende Kapitel ist möglicherweise wieder mal ein klein bisschen langatmig und kitschig (naja, was erwartet ihr sonst bei solch einem Kapiteltitel...^^°). Doch ich wollte hier eine der letzten Chancen in meiner Story nutzen, um unserem Liebespärchen noch ein bisschen mehr Raum und Zeit zu schenken!^^

Also weiter, zu Kapitel 18: Inu Taisho hat sein Land gerettet und zu seiner Liebe gefunden, aber seinen Sohn verloren. Schnell offenbaren sich auch die ersten Widerstände, die sich der verachteten Liebe zwischen einem Dämonen und einem Menschen entgegenstellen. Und das Leben bleibt unvorhersehbar. Unerbittlich holt das Schicksal all jene wieder ein, die vor der rauen Wirklichkeit fliehen wollten...

Enjoy reading!
 


 

Stille und Finsternis beherrschten die gebirgige Hochebene, in der die Heimstatt des Herrn des Westens verborgen lag. Das dort befindliche Schlossgelände wirkte ebenso dunkel und einsam. Denn nur der Haushofmeister, die kampfunfähige Dienerschaft und einige alte Veteranen hüteten während der Abwesenheit ihres Fürsten das Schloss. Mehr Schutz war eigentlich auch nicht nötig, da Inu Taishos Schloss und das umgebende Bergland durch einen unsichtbaren, mächtigen Bannkreis gesichert wurde. Dieser Bannkreis ließ nur diejenigen ungehindert und ohne Warnung durch, die keine feindlichen Absichten verfolgten.
 

Abgesehen von einigen Käuzen und Fledermäusen auf ihren nächtlichen Streifzügen bemerkte niemand die schattenhafte Gestalt, die sich an das Dämonenschloss heranpirschte und problemlos den schützenden Bann durchschritt. Der nächtliche Besucher erreichte völlig unbemerkt die Steinmauer, die den Schlossgarten umgab, sprang hinauf und überblickte das Gelände. Lange betrachtete er den großzügig angelegten, teils verwilderten Park. Seine Blicke schweiften über die vielen jahrhundertealten Bäume, über die leise glucksenden Bäche und über die im Nachtwind wogenden Wiesen. Schließlich sah er weiter zu den Lagerhäusern, Werkstätten sowie den Diener- und Soldatenunterkünften. Zuletzt starrte er auf das herrschaftliche Hauptgebäude, das über allem thronte.

Dieses alte, ehrwürdige Bauwerk war sein Zuhause gewesen, das ihm Sicherheit, Schutz, Wärme und Geborgenheit geschenkt hatte. Er hatte jeden Holzbalken des Schlosses, jeden Baum und jeden Grashalm des umliegenden Gartens geliebt. Dies war seine Heimat. Seine Heimat, die er verraten hatte...
 

Mit einem erstickten Laut der Verzweiflung griff sich Yoshio an den Hals und wartete kurz, bis sich sein rasender Herzschlag wieder beruhigt hatte. Dann holte er tief Atem und sprang die Schlossmauer herab.

Flink durchquerte der Wolfshundedämon den riesigen Park, umrundete den bebauten Vorhof und schlich sich am bewachten Haupteingang vorbei seitwärts an das Schloss heran. Mit einem kraftvollen Satz sprang er auf eine ausladende Balkonterrasse und gelangte von dort zu einem Raum mit auffallend vielen Fenstern und Schiebetüren.

Leicht zitternd streckte Yoshio die Hand nach einer der Türen aus und schob sie langsam beiseite. Der Raum, der sich nun vor ihm öffnete, war sehr einfach eingerichtet. Einige kleine, dünne Reismatten, eine kaum genutzte Bettstatt und zwei Holztruhen waren die einzigen Einrichtungsgegenstände. An einer Wand hingen einige kostbare Schwerter. Daneben befand sich eine regalartige Nische, in der mehrere Schriftrollen, Schreibwerkzeuge und andere kleine Dinge lagen.

Yoshio sah sich unbehaglich um und schluckte. Es fiel ihm nicht leicht den Raum vor sich zu betreten. Denn dieses Zimmer war Sesshomarus Gemach und es erweckte viele quälende Gedanken und Ängste, die der Wolfhundedämon mühsam zu unterdrücken versuchte.

Schwer atmend konzentrierte Yoshio sich auf sein Vorhaben. Er durfte sich jetzt nicht ablenken lassen, er musste seine Gefühle unter Kontrolle halten. Wenn er seine Fehler wieder gut machen und seinen Freund retten wollte, musste er hier durch. Und er würde es schaffen!
 

Während der Wolfshundedämon nervös Sesshomarus Zimmer durchquerte, fiel sein Blick auf eine der Truhen. Einige weiße, frisch duftende und sorgsam zusammengefaltete Untergewänder lagen darauf. Wahrscheinlich hatte eine Dienerin diese Kleidungsstücke gewaschen und für den Dämonenprinzen dort bereit gelegt. In Inu Taishos Schloss schien noch niemand genau zu wissen, was alles in den letzten zwei Wochen geschehen war und dass der Thronerbe vielleicht niemals zurückkehren würde...
 

Die Verzweiflung begann Yoshio zu übermannen. Vor zwei Wochen hatte er Sesshomaru verraten und ihn den Drachen ausgeliefert. Waren es wirklich zwei Wochen oder vielleicht auch mehr? War es vielleicht schon zu spät? Er wusste nicht so recht, wie viel Zeit seit jener schrecklichen Nacht vergangen war. Er wusste nicht einmal mehr, was er in dieser Zeit eigentlich getan hatte. Seine Erinnerungen rissen in dem Moment ab, als er Sesshomaru einen Dolch in den Rücken stieß, und endeten danach in einem schwarzem Loch. Der Wahnsinn hatte von ihm Besitz ergriffen.

Irgendwann allerdings hatte sein Überlebenswille über die dunklen Schatten seiner Seele gesiegt. So hatte sich Yoshio eines Tages am Ufer eines kleinen Waldsees wiedergefunden, total entkräftet, verwirrt und zerschrammt. Halb verdurstet hatte er sich auf das Wasser gestürzt, das kühle Nass tat gut. Für einen kurzen Augenblick hatte er sich befreit gefühlt, beinahe glücklich. Bis ihm wieder einfiel, was geschehen war, wovor er vergeblich geflüchtet war. Und dann hatte er erkannt, wo er war.

Unbewusst musste er nach Nordwesten gelaufen sein, ins Innerste von Inu Taishos Reich. In die Nähe der gebirgigen Hochebene, auf der das Schloss des Dämonenfürsten lag. Sein Zuhause.

Plötzlich war Yoshios Geist wieder völlig klar gewesen und mit einem Mal wusste er, was er tun konnte. Noch war nicht alles verloren. Es gab eine Möglichkeit seine Tat wieder gut zu machen und seinen Freund zu befreien. Er konnte Sesshomaru retten!
 

Yoshio schüttelte sich, schob seine Erinnerungen beiseite und riss seinen Blick von der Truhe mit den darauf abgelegten Kleidungsstücken los. Entschlossen verdrängte er seine Zweifel und Sorgen, dass es vielleicht schon zu spät sein könnte, und ging weiter. Er erreichte eine Schiebetüre, die in die Schlossflure führte, und ließ Sesshomarus Zimmer hinter sich.

In den Gängen war alles ruhig. Dennoch musste der Wolfshundedämon sehr aufpassen, um nicht entdeckt zu werden. Seine magischen Kräfte, die ihm völlige Unsichtbarkeit verliehen, wirkten innerhalb des Schlossgeländes nicht. Äußerst vorsichtig huschte Yoshio weiter bis in den abgelegensten Teil des Schlosses und kam schließlich zu einem kleinen, verschlossenen Raum.
 

Direkt vor dem geheimnisvollen Raum, über einem schmalen Holzbalken, der die Türe versperrte, schwebte ruhig eine etwa kopfgroße, geisterhafte Gestalt. Diese war völlig weiß, leicht durchsichtig und ähnelte dem Aussehen nach einem alten Mann. Der Geist achtete nicht auf den Wolfshundedämonen und rührte sich nicht.

Kaum zu glauben, stellte Yoshio aufgeregt und glücklich fest, Saya schläft. Dieser senile und faule Geist verlässt sich offenbar völlig auf den Schutz des Schlosses und vergisst in seiner seligen Ruhe seine Aufgabe. Was für ein unfassbares Glück, das macht es mir leicht. Das Schicksal ist auf meiner Seite!

Bestärkt in seinem Glauben, das Richtige zu tun, schob Yoshio sacht den seelenruhig weiter schlafenden Schutzgeist beiseite und löste die Türverriegelung. Dann schlüpfte er in den Raum.

Ein mattes, violettfarbenes Schimmern und eine vibrierende Aura aus gewaltigen, widerstreitenden Kräften erfüllte den Ort. Fasziniert betrachtete Yoshio den murmelartigen Gegenstand, von dem dieses Leuchten und die mächtige Ausstrahlung ausging: das Juwel der vier Seelen.

Mit dem Juwel würde er Sesshomaru retten können, da war sich Yoshio sicher. Er wusste, dass Bundori und Ryokossei schon lange heimlich überall nach diesem wundersamen Gegenstand gesucht hatten. Der Drachenlord und sein Bruder schienen das Juwel gut zu kennen und wollten wahrscheinlich seine Macht nutzen. Ob die Drachen ahnten und sich darüber ärgerten, dass ein weiteres Objekt ihrer Begierde im Besitz ihres verhassten Feindes war? Vielleicht war Bundori bereit das Juwel für Sesshomaru einzutauschen. Wenn nicht, würde Yoshio die Macht dieser magischen Kugel eben selber nutzen, um seinen Freund zu befreien. Das Shikon no tama verlieh Dämonen angeblich gewaltige Stärke. Möglicherweise würde Yoshio damit sogar so mächtig werden, dass er jeden Gegner schlagen konnte. Er würde niemals mehr schwach sein und kein Verräter mehr sein...
 

Das Juwel funkelte. In seinem Schein glaubte Yoshio ein Gesicht zu sehen. Ein von weißen Haaren umrahmtes Antlitz mit bernsteinfarbenen Augen, die ihn stumm und traurig ansahen. Der Wolfshundedämon erkannte diesen goldenen Blick. Es war der gleiche Blick, mit dem Sesshomaru ihn angesehen hatte, nachdem er Yoshio eine Frage gestellt hatte. Die Frage einer verletzten, vereinsamten Seele: Hasst du mich?

"Ich dachte immer, ich würde dich hassen", flüsterte Yoshio: "Denn ich habe dich um deine Macht, um deinen Rang, um alles beneidet und habe nie erkannt, welch hohen Preis du dafür zahlen musstest. Dein Leben war niemals beneidenswert. Ich weiß jetzt, dass ich mich geirrt habe, dass ich dich in Wirklichkeit niemals gehasst habe. Ich habe dich nicht freiwillig verraten, ich wollte das nicht, ich wollte dich nicht verletzen. Ich bin dein Freund und ich werde dich nicht im Stich lassen!"

Yoshio streckte die Hand aus und ergriff das schimmernde Juwel vor sich. Zögernd sah er auf die murmelartige Kugel zwischen seinen Fingern herab. Er hatte fast erwartet, dass irgendwas passieren würde. Doch es geschah nichts. Das Juwel lag ruhig in seiner Hand, es schien ihn weder ablehnen noch unterstützen zu wollen.

Der Wolfshundedämon kümmerte sich nicht weiter darum, er hatte, was er wollte. Es war ganz leicht gewesen und das überzeugte ihn, dass er richtig handelte. Alles würde nun gut werden.
 

Mit klopfendem Herzen und erwartungsvoll stürmte Yoshio hinaus in die Schlossflure und lief auf demselben Weg zurück, wie er gekommen war. In seiner Aufgeregtheit hätte er fast seine Vorsicht vergessen. Kurz vor Sesshomarus Gemach mit der nach draußen führenden Balkonterrasse erschrak er daher überrascht. Licht strahlte ihm entgegen. Im Gang vor der Schiebetüre zu Sesshomarus Räumlichkeiten stand ein junger, braunhaariger Hundedämon in soldatischer Ausrüstung und zwei Wachen mit Lichtern in den Händen, die ihn flankierten.

Hastig wich Yoshio in einen dunklen Seitengang zurück und beobachtete versteckt die Szenerie. Glücklicherweise schien ihn niemand bemerkt zu haben. Die Aufmerksamkeit des soldatischen Hundedämonen und der Wachen war auf einen alten, ebenfalls dämonischen Diener gerichtet, der in diesem Moment aus Sesshomarus Zimmer trat. Yoshio erkannte in ihm den Haushofmeister. Mit einer leichten, höflichen Verbeugung überreichte er dem jungen Soldaten eines von Sesshomarus Schwertern.

"Dies ist eines der Schwerter, die der junge Herr gerne nutzt... ähm, ich meine, genutzt hat. Benötigt Ihr sonst noch was?"

"Eine Rüstung", erwiderte der Hundedämon knapp.

"Oh, da müsste ich eine aus dem Lager holen. Der junge Herr trug seine Rüstung ja, als er zuletzt fortging. Und er hat immer nur eine in seinem Zimmer... das heißt, er hatte... Verzeihung, ich bin völlig durcheinander. Ich kann das alles einfach noch nicht glauben. Was ist eigentlich genau geschehen , ich meine, wie ist der junge Herr denn..."

"Er wurde zu Tode gefoltert", unterbrach der Soldat den Haushofmeister brüsk und fuhr dann etwas leiser fort: "seid froh, dass Ihr nichts von all dem mitbekommen habt. Ich wünschte, ich wäre nicht bei Lord Inu Taisho gewesen, als Ieyasu-sama mit dem Sterbenden dort auftauchte... Ich habe schon viel gesehen, aber das... Es war grausig. Und niemals zuvor habe ich einen solch harten Ausdruck in den Augen des Lords gesehen. Es muss ihm die Seele zerrissen haben. Kurz darauf starb Sesshomaru-sama in den Armen seines Vaters."

"Bei allen gütigen Mächten...", murmelte der alte Diener flüsternd, sah kurz zu Boden und schob fahrig die Türe zu Sesshomarus Gemach zu. Daraufhin wandte er sich wieder dem Hundedämonen zu: "Bitte folgt mir in die unteren Räume, ich werde Euch noch die gewünschte Rüstung geben."

Der Haushofmeister, der soldatische Hundedämon und die beiden Wachen gingen. Im Gang wurde es wieder dunkel und still.
 

Yoshio stand versteinert in seinem Versteck und umklammerte krampfhaft das in seiner Faust verborgene, gestohlene Juwel.

Es war zu spät, all seine Hoffnung war vergebens, alles war verloren.

Er ist tot... er ist tot... er ist tot...

Unaufhörlich wiederholte Yoshio diesen Satz in seinen Gedanken und spürte, wie die Dunkelheit um ihn herum zunahm und sein Wesen völlig vereinnahmte.

Er ist tot...

Nichts würde nun mehr gut werden.
 

* * * * *
 

Als Izayoi die Augen aufschlug, war es immer noch Nacht. War die Zeit stehen geblieben? Oder war alles nur ein Traum gewesen? Träumte sie immer noch?

Ein durchdringender, schwerer und betörender Duft umhüllte sie und machte sie schwindelig. Leicht benommen schüttelte die junge Menschenfrau ihren Kopf und rekelte sich. Ein weiches Fell umschmeichelte ihren nackten Körper. Sie spürte feste Arme und Hände, die ihre Hüfte und ihren Bauch umfassten. Hinter ihr saß Inu Taisho und hielt sie schützend in seinem Schoß. Izayoi schmiegte sich an ihn und sah empor in sein Gesicht.

Der Dämon blickte gedankenverloren und unbewegt über Izayoi hinweg nach Westen in das nächtliche Land. Vereinzelte Kirschblütenblätter segelten auf ihn herab.

"Woran denkst du?"

Inu Taisho wandte seinen Blick von der Ferne ab und sah in Izayois Augen.

"Du bist wunderschön...", antwortete er ihr schließlich leise.

Lächelnd und etwas errötend zog Izayoi sein Fell, das er halb über sie gebreitet hatte, enger um sich und setzte sich auf. Sie schaute nun ebenfalls in die Ferne und betrachtete gemeinsam mit Inu Taisho das weite Land, das sich vor ihnen ausbreitete.
 

"Ich bin sehr glücklich", durchbrach Izayoi nach einer Weile das Schweigen, "ich habe von dir geträumt, seit ich ein kleines Mädchen war. Obwohl ich kaum etwas über dich weiß, habe ich dich schon immer geliebt. Dabei kenne ich nicht einmal deinen Namen."

"Ich habe viele Namen", erwiderte Inu Taisho ruhig, "sie haben keine große Bedeutung für mich. Es zählt nur, wer und was ich bin. Der Name meiner Geburt ist Meigetsumaru, doch dieser Name ist schon lange in Vergessenheit geraten, wie viele andere auch. Ich bin der weiße Hund, Inu Taisho, der Herrscher und Hüter des Westens."

"Inu no Taisho, der Herr der Hunde...", murmelte Izayoi, "du bist ein Dämonenlord. Ein Daiyoukai, nicht wahr? Aber wie ist es dann möglich, dass wir zusammen... Ähm, ich habe einmal gehört, dass das Blut eines Daiyoukais besonders stark sein soll. Ein Mensch, so hat man mir erzählt, soll es nicht ertragen können und dabei verbrennen..."

Inu Taisho verlagerte leicht sein Gewicht und strich zärtlich durch Izayois Haare. "Das ist wahr, das Blut eines Daiyoukais ist zu stark für einen Menschen. Es ist sehr gefährlich dieses Blut mit menschlichem Blut zu vereinen. Doch ich kann die Kräfte meines Dämonenbluts unterdrücken und versiegeln. Auf diese Weise bestand keine Gefahr für dich."

"Was wäre geschehen, wenn du dein Dämonenblut nicht versiegelt hättest?"

"Wenn ich meinem Dämonenblut nachgegeben hätte, hätte es dich getötet. Zudem hätte ich mich in meine wahre Gestalt verwandelt. Und das wäre nicht nur gefährlich für dich gewesen...", Inu Taisho lächelte neckisch, "es hätte unsere Vereinigung sicher auch sehr kompliziert. Meine dämonische Gestalt ist etwas... groß."

Izayoi errötete, sie wollte nicht schon wieder verlegen sein, aber vieles war einfach noch zu neu und fremd für sie. Und es gab noch so viel, das sie unbedingt wissen musste.

"Aber wenn ich ein Kind von dir bekommen würde, bekäme es doch trotzdem dein Blut vererbt, oder?"

"Du kannst kein Kind von mir bekommen. Das ist unmöglich. Da mein Blut zu stark für einen Menschen ist, würde es die ungeborene Frucht schon bei seiner Entstehung in deinem Leib töten."
 

Ich kann also keine Kinder von ihm bekommen, dachte Izayoi betrübt, kann er denn eine Frau lieben, die ihm keine Kinder und Erben schenken kann?

"Sei nicht traurig", tröstete Inu Taisho sie, "es ist sicher besser so. Ein Halbdämon hätte ein sehr schwieriges Leben."

"Dein Sohn ist tot... Hast du denn noch weitere Erben?"

"Nein. Ich wollte mich niemals mehr binden und ich habe keine weiteren Kinder. Außerdem wurde meine Blutlinie fast komplett ausgelöscht. Vor einigen Jahrhunderten starben meine letzten engeren Verwandten in einem Krieg zwischen Hunden und Wölfen. Mein Land ist ohne Erbe, doch es wird sich nach meinem Tod selbst einen neuen Herrscher erwählen."

"Hast du sehr viele Feinde, musst du oft kämpfen?"

"Ja."

Hast du dabei schon viele Dämonen getötet?"

"Ja."

"Auch Menschen?"

"Ja."
 

Ein eisiger Schauer fuhr über Izayois Rücken. Sie schwieg. Nach einiger Zeit fragte sie weiter:

"Wie ist dein Sohn gestorben? Ist er in der Schlacht, in der du für dein Land gekämpft hast, gefallen?"

"Gewissermaßen ist er das", sagte Inu Taisho gedämpft, "ich habe mein Land gerettet und habe ihn dafür sterben lassen."

Wieder erschauderte Izayoi. Sie verstummte erneut, kuschelte sich fröstelnd an den geliebten Dämonen und sah lange in das nächtliche Land.

"Gehört diese Lichtung und die ganze Umgebung hier zu deinem Reich?", fragte sie ihn schließlich.

Der Dämonenfürst nickte. Izayoi überlegte ein wenig und fuhr dann fort:

"Das Land, über das mein Vater gebietet, die angrenzenden Länder und die ganzen westlichen Berge gehören auch zu deinem Reich, nicht wahr? Und noch mehr, oder?"

Wieder nickte Inu Taisho.

"Du besitzt ein großes Land."

Dieses Mal schüttelte Inu Taisho den Kopf.

"Ich besitze das Land nicht. Es ist mein Land, ja, aber es gehört mir nicht in dem Sinne wie ihr Menschen das versteht. Dieses Land verleiht mir meine Macht, es hat mich auserwählt. Es ist, so könnte man sagen, die Quelle meines Daseins und es ist an mich gebunden. Für alles, das hier geschieht, trage ich Verantwortung. Je nachdem, ob ich ein guter oder schlechter Herrscher bin, wird das Land blühen oder verdorren. Und wenn ich sterbe, wird ein Teil von mir in diesem Land weiterleben, zum Guten oder zum Schlechten."

"Du bist sicher ein sehr mächtiger Herrscher", stellte Izayoi fest.

"Mag sein", meinte Inu Taisho, "aber meine Macht schützt mich nicht vor Fehlern. Je größer die Macht, desto größer ist auch die Gefahr, die davon ausgeht. Es ist eine schwere Bürde, die zu viel von mir verlangt. Ich wünschte, ich müsste diese Last nicht mehr tragen. Ich habe meinem Land und meiner Macht schon mehr geopfert als ich ertragen kann."

Die verborgene Traurigkeit in seiner Stimme schnitt Izayoi ins Herz. Erneut schmiegte sie sich an ihn.

"Ich wünschte, ich könnte dir helfen."

Inu Taisho lächelte. "Das hast du schon längst getan."

Er zog sie fest an sich, beugte sich zu ihr und küsste sanft ihren Hals. Izayoi erschauderte unter seinen Berührungen. Sein Kuss brannte wie Feuer auf ihrer Haut. Am liebsten hätte sie sich von diesen Flammen verzehren lassen, doch er löste sich von ihr, stand auf und begann sich langsam anzukleiden.

"Es wird bald Morgen, ich werde dich zurück nach Hause bringen."
 

Zögernd tastete Izayoi nach ihrem abgestreiften Gewand, das neben ihr im taunassen Gras lag, und zog sich ebenfalls an. Zurück nach Hause? Wovon sprach er? Sie war bereits daheim.

"Du bist mein Zuhause. Du bist mein Gebieter, so wie du der Herrscher des Westens bist. Ich gehöre dir, für immer."

Inu Taisho sah Izayoi ernst an.

"Ja, ich habe dich zu der Meinen gemacht", sagte er bedachtsam, "unter Hundedämonen gilt dieses Versprechen bis in den Tod. Ich werde dich immer als die Meine betrachten und dich dein Leben lang beschützen. Doch du bist ein Mensch und an dieses Versprechen nicht gebunden. Es steht dir frei einen anderen Menschen zu heiraten und eine Familie mit ihm zu gründen."

"Ich werde niemals einen anderen als dich lieben", empörte Izayoi sich, "und ich werde auch niemanden sonst heiraten. Wie kannst du nur so etwas denken oder mir so etwas vorschlagen?!"

"Izayoi", sagte Inu Taisho mild und fasste sie an den Schultern, "ich zweifle nicht an deiner Liebe und Treue zu mir. Und du darfst mich nicht falsch verstehen. Ich möchte dir nur die Möglichkeit geben ein freies Leben zu führen. Du bist meine Schwäche. Wenn meine Feinde von dir erfahren, werden sie dich benutzen, um mich zu vernichten. Auf diese Weise habe ich meinen Sohn verloren. Ich werde dich gerne als meine Gemahlin auf mein Schloss bringen, falls du das möchtest. Dort wärst du in Sicherheit, aber vielleicht einsam und unglücklich. Du wärst der einzige Mensch in einem Dämonenschloss. Und die meisten Menschen werden dich um meinetwillen verachten und hassen. Unsere Liebe gilt als schändlich."
 

Die Verbindung zwischen einem Dämonen und einem Menschen ist eine Schande, dachte Izayoi und zuckte innerlich entsetzt zusammen. Auf einen Schlag wurde ihr die ganze Tragweite dieser Aussage bewusst. Inu Taisho dachte dabei nur an sie, er sorgte sich um sie und wollte ihr Kummer und Leid ersparen. Doch ihn selbst würde die Schande ebenfalls treffen. Sogar viel schlimmer als sie. Genauso wie die meisten Menschen Izayoi verachten würden, weil sie einen Dämon liebte, würden die meisten Dämonen Inu Taisho verachten, weil er einen Mensch liebte. Zudem war er ein Dämonenfürst, eine schändliche Beziehung konnte ihn seine Ehre, sein Ansehen, die Anerkennung und das Vertrauen seiner Getreuen kosten. Und das wiederum konnte seine Herrschaft zunichte machen und seinen Untergang bedeuten. Das wollte Izayoi nicht, das durfte nie geschehen, entschloss sie, niemals. Ihre Liebe durfte niemals offenbar werden.
 

Entschieden unterdrückte Izayoi ihre Tränen und ließ sich in Inu Taishos Umarmung fallen. "Bring mich zurück", flüsterte sie, "ich möchte bei den Menschen bleiben. Doch was auch geschieht, mein Herz wird immer dir gehören!"

Der Dämon lächelte, nickte leicht und nahm sie auf seinen Arm. Ein blauweißes, warmes Licht umhüllte Izayoi, Inu Taisho verwandelte sich in einen Energieball und trug sie zurück an den Rand der westlichen Berge, in ihre Heimatstadt.
 

In kurzer Zeit fand sich Izayoi im Garten ihres Zuhauses wieder. Sie sah sich kurz um und ergriff dann Inu Taishos Arme.

"Was wirst du nun tun?", fragte sie ihn.

Inu Taishos Blick verdüsterte sich etwas. "Ich werde die Mörder meines Sohnes suchen und seinen Tod rächen. Meine Schuld kann ich damit nicht begleichen, aber es ist das einzige, was ich noch für ihn tun kann."

Izayoi zwang sich zu einem Lächeln und zog etwas unter ihrem Gewand hervor.

"Sei vorsichtig und nimm das mit dir."

Verdutzt nahm der Dämon den elfenbeinfarbenen Gegenstand aus ihrer Hand entgegen und betrachtete ihn. Es war sein Fangzahn. Kopfschüttelnd wollte Inu Taisho ihr den Zahn zurückgeben:

"Dieser Zahn trägt einen Teil meiner Macht, ich habe ihn dir als Unterpfand für meinen Schutz gegeben. Behalte ihn, er gehört dir."

"Nein", erklärte Izayoi, "ich brauche ihn nicht mehr. Für mich ist er ein Symbol unserer Liebe. Nimm ihn mit, dadurch wird meine Liebe dich begleiten und immer bei dir sein."

Erst noch ein wenig verblüfft, dann zunehmend verlegen verbarg Inu Taisho den Zahn unter seinem Brustpanzer. "ihr Menschen seid wirklich eine seltsame Rasse...", murmelte er dabei.

Izayoi freute sich, dass sie ihn mit ihren Liebesbeteuerungen aus der Fassung und sogar in Verlegenheit bringen konnte.

"Dämonen sind auch eine merkwürdige Rasse", neckte sie, "aber dann passen wir beide ja perfekt zusammen, nicht wahr?"
 

Ein Lächeln huschte über Inu Taishos Gesicht. Er strich noch einmal über Izayois Wange und durch ihr langes, schwarzes Haar.

"Ich werde wiederkommen", versprach er ihr. Dann wandte er sich rasch ab, sprang auf die Schlossmauer und verschwand. Die junge Frau blieb im Garten zurück und sah in den Himmel. Die Nacht ging vorüber, zaghaft berührten die ersten rosafarbenen Finger der Morgenröte den Horizont.

"Der Himmel und die Sterne sind so schön und unerreichbar wie unsere Träume", flüsterte Izayoi, "doch die Sterne waren unsere Zeugen und vielleicht werden sie uns eines Tages unseren Traum erfüllen."
 


 

Soweit das achtzehnte Kapitel.

Izayoi kann also eigentlich gar keine Kinder von Inu Taisho bekommen??? Tja, das hat der liebe Daiyoukai gedacht. Und dann, denkste... Überraschung!!! Inu Yasha ist eben immer für eine Überraschung gut und sorgt von Anfang an für Ärger. (*hihi*) Doch ich werde mal nicht zu viel verraten...^^
 

Der Name Meigetsumaru ist übrigens nicht meine Erfindung, er geht auf eine Idee von Hrafna zurück. Dieser Name bedeutet Herbstmond (falls ich jetzt was Falsches gesagt habe, korrigiere mich bitte, Hrafna!). Ich bedanke mich ganz herzlich dafür, dass ich diesen Namen hier verwenden durfte. Wie Inu Yashas Vater eigentlich heißt, ist bisher nicht bekannt. Inu Taisho ist strenggenommen kein Name, sondern eher so was wie ein Titel (der korrekterweise Inu no Taishou lauten müsste), genau wie auch Oyakata-sama (wie er im dritten movie auch angesprochen wird). Ich habe mir die künstlerische Freiheit genommen, Inu Taisho wie einen Namen zu verwenden, weil das assoziativ so schön zu Inu Yasha passt. Das wollte ich bei dieser Gelegenheit kurz erklären.
 

Wer sich übrigens fragt, ob und wie ich aus dem Dilemma mit Sesshomarus Tod herauskommen will, muss weiterhin Geduld haben. Das dauert noch etwas. Zunächst wartet ein wenig Action auf euch, denn Inu Taisho wird dem Drachenlord Bundori seine Aufwartung machen. Und das wird sicher kein Höflichkeitsbesuch...

So, und jetzt dürft ihr wieder mit Lob, Kritik und Anregungen um euch werfen. Ich würde mich sehr über Kommentare freuen!

Feurige Stürme

Wer bisher gedacht hat, dass Inu Taisho eigentlich ein ganz lieber, harmloser Kerl ist, wird in diesem Kapitel wahrscheinlich eine Überraschung erleben. Denn nun wird der Dämonenfürst mal zeigen, was passiert, wenn das Feuer seines Zorns entfacht wird. Cave canem, hütet euch vor dem Hunde!

Es folgt Kapitel 19: Nach seinem heimlichen Liebesversprechen macht sich Inu Taisho auf in den Südosten, um die Herrschaft des Dämonenlords Bundori zu beenden und den grausamen Tod seines Sohnes zu rächen. Ohne Rücksicht auf Verluste räumt er mit Sou'unga jedes Hindernis aus dem Weg bis schließlich die gigantischen Mächte von Hund und Drache, von West und Ost, aufeinander prallen...

Enjoy reading!
 


 

Nachdem er seine Liebe in den westlichen Bergen zurückgelassen hatte, stand der Herr des Westens auf einem Felsen und sah in ein wüstenartiges Land, das durch einen gewaltigen Canyon und viele Schluchten geprägt war. Es handelte sich um ein weitgehend verdorrtes Land im Südosten Japans, das genauso seelenlos und vertrocknet wie das dunkle Herz des dort herrschenden Fürsten war. Es war das Kernland eines uralten Drachenclans. Das Reich des Drachenlords Bundori.
 

Äußerlich völlig ruhig erscheinend zog Inu Taisho das lange, an seinem Rücken befestigte Schwert hervor und betrachtete die Klinge.

"Sou'unga...", sagte der Dämonenfürst leise, "dein Geist sehnt sich nach Hass und Zerstörung. So wie sich der meine. Lange Zeit habe ich dich beherrscht, du bist an mich gebunden und ich an dich. Und dieses Mal werde ich dich nicht aufhalten. Mein Blut schreit nach Rache... ich kann es nicht mehr ertragen. Begleite mich! Und wenn es der Wille der höllischen Mächte ist, dass ich jetzt für meine Blutschuld an dem eigenen Kind mit dem Leben bezahle, so folge mir in den Tod!"

Sein Schwert mit beiden Händen fest umklammernd sprang Inu Taisho von dem Felsen herab und durchbrach einen unsichtbaren Bannkreis, der das Land Bundoris begrenzte.

Nur wenige Minuten später, nachdem er die Grenze überquert und den warnenden Bannzauber durchschritten hatte, erwartete ihn das erste Empfangskomitee. Eine etwa zehnköpfige Horde niederer, schlangenartiger Dämonen und zwei bewaffnete Drachen in menschlicher Gestalt stellten sich ihm drohend entgegen. Inu Taisho wartete erst gar nicht ab, ob sie irgendetwas zu sagen hatten, sondern hob nur nebensächlich seine Arme. Sou'unga in seinen Händen leuchtete kurz auf. Seine Gegner bemerkten nicht einmal, dass sie angegriffen wurden. Im nächsten Augenblick waren sie bereits tot. Während Inu Taisho achtlos den getöteten Dämonenhaufen übersprang, erzeugte er durch seine dämonischen Kräfte ein Feuer und verbrannte die Leichen zu Asche.

Auf ähnliche Weise erledigte er auch die nächsten beiden Wachtruppen, die ihn bremsen wollten. Weder dreißig noch fünfzig weitere Dämonen hielten ihn in irgendeiner Weise auf. Wie lästige Insekten räumte er sie aus dem Weg. Auch als sich ihm schließlich über hundert von Bundoris Untergebenen entgegenstellten, hatte er keine nennenswerten Schwierigkeiten.

Kühl berechnend und ohne erkennbare Emotion in seinen dunkelgoldenen Augen tötete er jeden, der den Mut und die Dummheit besaß ihn anzugreifen oder sich nur in seine Nähe wagte. Das waren allerdings sehr schnell nicht mehr sehr viele. Dem mörderischen Duo aus Dämon und Schwert, beide von dem gleichen Willen getrieben, hatte niemand etwas entgegen zu setzen.
 

Schließlich befand sich Inu Taisho völlig allein in einer etwas düsteren, sich immer wieder verzweigenden Schlucht. Einige qualmende Erdspalten machten deutlich, dass tief unter der Erde teilweise vulkanische Aktivitäten herrschten. Scharfkantiges Geröll, das durch Erdbeben von den Steilwänden gelöst worden war, bedeckte den Boden. Doch der Untergrund war kühl und ruhig.

Der Dämonenfürst folgte der Schlucht bis in einen breiten Seitenarm, der schließlich in einer Sackgasse vor einer hohen, glatten Felswand endete. Die Luft stank nach Schwefel und anderen widerwärtigen Ausdünstungen. Ein besonders unangenehmer Geruch ging von der glatten Felswand aus, der Inu Taisho nun gegenüberstand. Sie roch nach getrocknetem Blut, Schweiß, Tränen und Angst. Nach unvorstellbarem Leid und Schmerz. Und nach seinem Sohn.
 

"BUNDORI!!! Zeig dich endlich, du verfluchtes, verdammtes Kriechtier! Ich weiß, dass du mich beobachtest. Du wartest doch schon lange hier auf mich. Worauf wartest du jetzt noch? HIER BIN ICH!"

Zunächst regte sich nichts. Stille umgab den Hundefürsten und schürte seinen innerlichen Zorn. Erst nach einigen Minuten antwortete ihm plötzlich eine melodische, fast sogar wohlklingende Stimme:

"Ich grüße dich, Herr der Hunde. Wie erfreulich, dass der Herrscher des Westens nun doch seinen Weg in meine bescheidene Heimstatt gefunden hat. Unsere letzte Begegnung ist lange her, nicht wahr? Ich hoffe, du hast sie noch in guter Erinnerung, wie all unsere Begegnungen bisher."

Inu Taisho drehte sich herum. Etwa zwanzig Meter entfernt erblickte er nun eine aus dem Nichts aufgetauchte, große, menschenähnliche Gestalt, die auf einem Stein sitzend dem zornigen Hundefürsten entgegen sah. Es war ein Mann in schwarzer Rüstung und mit leicht rötlicher, sonnengebräunter Haut. Sein bronzefarbenes Haar war hüftlang und durchsetzt von mehreren schwarzen, teils geflochtenen Strähnen. Er bot einen prachtvollen Anblick, doch der Ausdruck in seinen tiefroten Augen ließ ihn furchterregend und bedrohlich wirken. Am erschreckensten wirkte sein zweites, grausames Gesicht, das gleich einer kleinen Maske auf seiner Stirn saß.
 

"Dies ist unsere letzte Begegnung, Bundori", sagte Inu Taisho gepresst und ging einige Schritte auf den Wartenden zu.

Bundori lächelte und stand auf. Mit einer ausladenden Geste zeigte er auf die ekelerregende, blutbefleckte Felsenwand neben Inu Taisho.

"Eigentlich hätte diese schöne Felsenwand dir meinen hübschen Willkommensgruß darbieten sollen. Leider haben einige selbstmordlustige, idiotische Wölfchen mir diese Überraschung für dich ein wenig verdorben und mir meine niedliche Beute vorzeitig gestohlen. So kann ich dir mein Geschenk nicht persönlich überreichen, aber ich denke mal, es kam trotzdem ganz gut bei dir an, oder?"

Ein leises Knurren entrann Inu Taishos Kehle.

"Oha", grinste Bundori, "der Hund fängt an zu knurren. Verärgert, Hundefürst? Macht der jämmerliche Rest deiner erlöschenden Familie dich traurig? Geht es deinem geliebten Welpen nicht gut? Wie schade, er ist also von uns gegangen. Ich hatte gehofft, dein Heiler würde ein kleines Wunder vollbringen und das langsame Sterben deines Sohns noch ein bisschen herauszögern..."

Inu Taishos Augen verfärbten sich rötlich und verengten sich zu Schlitzen, doch er ließ sich keine weitere Gefühlsregung anmerken und gab dem spottenden Drachen keine Antwort. Dieser genoss die Situation sehr, hob seine Hände und betrachtete spielerisch seine krallenbewehrten Klauen.

"Ich muss zugeben, du kannst sehr stolz auf deinen Sohn sein", fuhr Bundori in fröhlichem Plauderton fort: "Er hat einen neuen Rekord aufgestellt. Ich konnte meine schönsten Foltermethoden und -werkzeuge an ihm ausprobieren und es hat erstaunlich lange gedauert, bis er mir nicht mehr widerstehen konnte. Bis seine schöne, stolze Fassade endlich zusammengebrochen ist, bis er sich unter seinen Qualen wand und flehentlich bettelnd wie ein weinendes Kind nach dir geschrieen hat... Bedauerlicherweise warst du nicht da, um ihn zu trösten und zu retten... Tja, das kommt davon, wenn man immer den perfekten Herrscher spielen will. Und so dann den ungewollten Nachwuchs vernachlässigt, der versehentlich während eines heimlichen, verbotenen Techtelmechtels entstand. Anstatt was aus den Fehlern deiner Vergangenheit zu lernen, hast du dich immer nur in deiner Trauer um deine verlorene Geliebte versteckt und nichts mehr an dich heran gelassen. Und dein vereinsamter Welpe, der dich über alles verehrt hat, der alles für nur ein winziges Zeichen liebevoller Anerkennung von dir getan hätte, hat es letztendlich ausbaden müssen. Was für eine tragische Geschichte!"

Mit erneutem Knurren versteifte Inu Taisho seine Krallen und ging mit leicht erhobenem Schwert auf Bundori zu.

"Du kannst froh sein, dass ich keine Lust habe, nur eine Sekunde meines Lebens zuviel an dich zu verschwenden", antwortete er dem Drachendämon wütend, "ansonsten würdest du einen noch unangenehmeren Weg ins Jenseits finden als mein Sohn."

"Hmmm...", meinte Bundori, musterte Inu Taisho genau und lachte dann lauthals.

"Wirklich, du gefällst mir", höhnte der Drachendämon weiter, "äußerlich tust du immer so schön hart und ruhig. Aber ich weiß, innerlich zerreißt es dich vor Schmerz. Du bist und bleibst zu weichherzig. Selbst deinen ärgsten Feind könntest du nicht grausam strafen. Du könntest nicht einmal ansatzweise tun, was ich deinem Sohn angetan habe. All deine Macht ist nur hohler Schein, du würdest es nie wagen die Vorzüge wahrer Macht auszukosten. Dein treuherziges Hundeblut ist zu schwach dafür, für einen wirklichen Daiyoukai taugt es nicht. Deine ganze Familie, dein gesamter Hundeclan taugt nichts."

Der Hundedämon blieb stehen und ließ sein Schwert sinken. Mit einem seltsamen, wissenden Ausdruck in seinen rötlich schimmernden Augen sah er den Drachendämonen an. Bundori blickte höhnisch zurück, doch tief in seinem Innersten machte sich leichte Verunsicherung breit. Etwas lag in dem merkwürdigen Ausdruck auf Inu Taishos Gesicht, das der Drache nicht richtig deuten konnte. Um seine Unsicherheit zu überspielen, entschloss er sich den Hundeherrn noch weiter zu reizen.

"Soll ich dir noch ein Beispiel deines schwächlichen Blutes vor Augen führen? Nehmen wir doch das Beispiel deines Cousins, der sich vor ein paar Jahrhunderten heimlich in eine verfeindete Wölfin verlieben musste und dich verriet. Verbotene Beziehungen einzugehen und mit dem Feuer zu spielen scheint eine reizvolle Herausforderung für euch Hunde zu sein. Ich habe mich oft gefragt, ob du den Mut aufgebracht hast und die verräterischen Liebenden damals persönlich umgebracht hast. Das hingerichtete Liebespaar ließ ein bedauernswertes, verlassenes Waisenkind zurück, um das du dich natürlich gleich schuldbewusst gekümmert hast. Leider lief auch da die Kindererziehung schief, was? Das arme, kleine Waisenkind hat die gleichen, verräterischen Neigungen wie seine Eltern entwickelt. Yoshio wurde ein schwacher, neidischer und dummer Feigling, der lange Zeit nicht einmal gemerkt hat, dass ich ihn nur für meine Zwecke verwendet habe. Es war spielerisch leicht für meinen Bruder und mich diesen jämmerlichen, ängstlichen Wolfshund zu manipulieren und zu benutzen... Das alles hat dein Blut hervorgebracht: deine ganze Familie war ein Haufen aus verweichlichten, idiotischen Schwächlingen!"
 

"Mein Blut ist also schwach...", murmelte Inu Taisho und lächelte dann plötzlich. Betont langsam und bedeutungsvoll drehte er das Schwert in seinen Händen.

"Ein schönes Schwert, nicht wahr?", sagte der Hundedämon zu dem Drachen: "Es muss eine enorme Freude für dich gewesen sein, als du dieses Höllenerbstück deiner Vorfahren vor langen Zeiten zufällig gefunden und auf die dir suspekte Menschheit losgelassen hast. Wie ärgerlich, dass deine netten Pläne, die Menschen damit von der Welt zu tilgen, nicht aufgegangen sind. Ich hätte zu gerne dein dummes Gesicht gesehen, als du damals erfahren hast, dass es jemanden gelungen war Sou'unga zu zähmen. Du hast nie damit gerechnet, dass irgendwer mit dieser Klinge fertig werden könnte. Es gibt etwas in meinem angeblich so schwachen Blut, das stärker als Sou'unga ist. Und natürlich hast du dich darüber immens geärgert, wie über so vieles anderes auch... Seitdem hast du versuchst meine Blutlinie komplett auszulöschen, damit niemand mehr der Erweckung und Befreiung von Sou'ungas zerstörerischem Geist im Wege steht. Das ist dir auch ganz gut gelungen, bis auf mich sind nun alle tot, die Sou'unga führen könnten. Doch etwas ist dir nicht gelungen. Du konntest niemals das Geheimnis ergründen, was genau das in meinem Blut ist, das mir die Macht verleiht Sou'unga zu beherrschen. Und soll ich dir etwas verraten? Du wirst dieses Geheimnis auch niemals ergründen, denn das ist eine Form der Macht, von der du nichts verstehst, von der du nie etwas verstanden hast!"

"Was interessiert mich deine jämmerliche Macht und Sou'unga?!", erwiderte der Drachendämon abfällig, einen Anflug von Verärgerung in seiner Stimme konnte er dennoch nicht verbergen. Inu Taisho lächelte daraufhin wieder. Das fachte Bundoris Wut weiter an.

"Dein Lächeln wird dir schon noch vergehen, Köter! Ich werde dich in Fetzen schneiden. Im Gegensatz zu deinem Sohn wird von dir nichts mehr übrig bleiben, das noch irgendwer betrauern kann. Und dein Land, alles, das an dich erinnert, werde ich in vulkanischen Lavaströmen ertränken. Die Zeiten deiner so sehr bewunderten und verehrten Herrschaft sind vorbei!"

"Im Gegensatz zu meinem Sohn bin ich nicht wehrlos an eine Felswand gekettet", sagte Inu Taisho verächtlich, "und im Gegensatz zu dir weiß ich, was ich meinem Land und meinen Getreuen schuldig bin. Es wird Zeit, deine schändliche Anwesenheit von der Erde zu tilgen!"
 

Bundori schnaubte und trat einen Schritt zurück. Mühsam unterdrückte er seinen aufwallenden Ärger. Wie sehr er diesen Hund und sein Auftreten doch hasste. Wie konnte Inu Taisho immer noch so selbstsicher sein? Er hätte doch gebrochen am Boden liegen müssen, nachdem seine verachtenswerte Brut tot war. Stattdessen stand der Hundeherr unverändert stark vor ihm. Als das beneidenswerte Musterbeispiel eines mächtigen, furchtlosen und perfekten Dämonenfürsten, der von seinem Volk verehrt und überall bewundert wurde. Ich hasse ihn, dachte Bundori und spannte seine Klauen. Ich hasse ihn!
 

Inu Taisho zögerte nicht länger. Mit einem flinken Satz und erhobener Klinge preschte er auf den Drachenfürsten zu. Der Angegriffene gab ein abfälliges Schnauben von sich und wich beiseite. Seine Gestalt flimmerte leicht golden, löste sich auf und verschwand.

Der Herr des Westens bremste und drehte sich im Sprung. Geschickt landete er zwischen einigen lockeren Felsen und sah sich gleichsam wachsam wie aufgebracht nach dem Verschwundenen um.

"Lass deine albernen Versteckspielchen! Dein Unsichtbarkeitszauber wird dich nicht vor dem Untergang bewahren!"

Kaum hatte er seine Worte ausgesprochen, zuckte Inu Taisho instinktiv zusammen. Einer innerlichen Ahnung folgend sprang er rasch in die Höhe und entging so einem plötzlichen, unsichtbaren Schwertstoß, der auf seinen Rücken gezielt hatte.

Kurz darauf wurde Bundoris Gestalt wieder erkennbar, er tauchte einige Meter vor dem Hundefürsten auf und zog grinsend seinen ausgestreckten Arm zurück. In der Hand hielt er ein gerades, zweischneidig geschliffenes Schwert, das orangefarben leuchtete.

"Deine Sinne und Reflexe sind ausgezeichnet, Hund! Nur sehr wenige sind in der Lage meine Bewegungen zu erahnen, wenn ich mich tarne und völlig unsichtbar mache. Doch wie oft wird es dir wohl nochmals gelingen meinem Schwert auszuweichen? Und wie willst du gegen jemanden kämpfen, den du weder sehen, hören noch riechen kannst? Du kannst mich nicht besiegen..."

Brennende Feuersglut lag in Inu Taishos Augen, mit einem wütenden Schrei griff er den Drachen erneut an. Wieder entging Bundori Sou'ungas tödlichem Hieb, indem er blitzschnell auswich und in die Unsichtbarkeit flüchtete. Knurrend trat Inu Taisho einen Schritt zurück und witterte gründlich. Einen Moment später riss er schnell sein Schwert hoch und parierte erst einen von rechts und dann von links kommenden Schlag aus dem Nichts.

"Du bist wirklich gut", kommentierte die höhnische Stimme des unsichtbaren Drachens die gelungene Verteidigung, "aber wie lange willst du das durchhalten? Nur ein Treffer mit meiner magischen Klinge und du wirst dich nicht mehr bewegen können. Dieses Schwert habe ich aus einem meiner Giftzähne geschmiedet. Der lähmenden Wirkung meines Gifts kannst auch du nicht widerstehen. Dann wird dir auch Sou'unga nicht mehr helfen, dann gehörst du mir!"

Inu Taisho antwortete nicht. Er konzentrierte sich intensiv auf seine Instinkte und wehrte geschickt eine neue Angriffswelle aus rasch hintereinander geführten Hieben und Stichen seines unsichtbaren Feindes ab. Doch der Hundedämon wusste, er folgte seinem Gegner damit in ein tückisches, gefährliches Spiel. Bundoris Taktik war klar, er wollte Inu Taisho ermüden und reizen. Und das gelang ihm gut, Inu Taisho brauchte alle Aufmerksamkeit, um die überraschenden, wendigen und immer schneller werdenden Attacken aus dem Nichts abwehren zu können. Für einen eigenen Angriff bekam er keinen Augenblick Zeit und der Kampf gegen einen Unsichtbaren zerrte an seinen Nerven. Früher oder später würde Bundori Erfolg haben, einen Treffer erzielen und Inu Taisho mit seinem lähmenden Schwert außer Gefecht setzen. Dann wäre er dem Drachen ausgeliefert. Hilflos ausgeliefert wie sein Sohn, wie sein Land, wie alle, die er je geliebt hatte und die den ständigen Intrigen seiner Feinde zum Opfer gefallen waren...
 

Grenzenlose Wut und unbändiger Hass ergriffen Inu Taisho, Sou'unga in seinen Händen fing an zu vibrieren. Der Herrscher des Westens spürte es und ließ sein Schwert gewähren. Widerstandslos ließ er zu, dass die blutrünstige, zerstörungswütige Waffe erwachte und gierig seinen Hass aufsog. Der diabolische Geist des Höllenschwertes und Inu Taishos rachsüchtige Dämonenseele begannen sich zu verbinden.

Nimm all meine Feindschaft, meinen Groll, meine Verbitterung, sprach Inu Taisho in Gedanken zu seinem höllischen Schwert, nimm all meine Kraft und die schwärzesten Teile meiner Seele. Vereine deinen verdorbenen, boshaften Geist mit mir und dann suche ihn... Suche meinen Feind, Sou'unga, suche und vernichte ihn!

Die dämonischen Mächte des Fürsten und die seines Schwertes verschmolzen und ballten sich zu einer düsteren, hasserfüllten Aura zusammen, die hungrig nach einem Ziel suchte. Mit verstärkten Kräften ließ Inu Taisho seine Sinne schweifen und bemerkte dann plötzlich die Ausstrahlung einer anderen, verborgenen Dämonenaura, die ihn lauernd umkreiste. Bundori! Nun konnte sich der Drache nicht mehr verstecken. Sein und Sou'ungas Hass hatten dem Unsichtbaren die Maske entrissen und das Ziel gefunden.

Inu Taisho riss sein aufleuchtendes Schwert hoch und ließ die in dem Stahl aufgestauten Kräfte der Hölle frei.

"GOKURYUUHA!"
 

Mit einem ohrenbetäubenden Kreischen lösten sich die monströsen Energien aus Böswilligkeit und Zerstörung von Sou'unga und rasten in Form einer purpurvioletten Lichtkugel gegen eine Felswand. Die Wand zerbarst, die Felsen zerfielen zu Staub, der Boden dröhnte. Dichte, pechschwarze Wolken verhüllten den Himmel. Heulende Sturmwinde begleiteten die tödlichen Kräfte, die sich einen vernichtenden Weg durch die Landschaft bahnten und dabei den gesamten Canyon, der Bundoris Kernreich durchzog, umpflügten und verformten.

Inmitten des tobenden Höllensturms stand Inu Taisho und umklammerte krampfhaft sein Schwert. Die um ihn brausenden, freigewordenen Energien zerrten an ihm und drohten ihn zu zerreißen. Angestrengt hielt der Dämonenfürst dagegen und brach schließlich in die Knie. Mit letzter Kraft baute er einen Schutzbann um sich auf, drückte sich auf den Boden und kämpfte darum bei Bewusstsein zu bleiben.
 

Leere, Kälte, Dunkelheit und Todesstille folgten.

Keuchend stand Inu Taisho auf und sah sich um. Vor ihm gähnte ein gewaltiger Abgrund. Nichts war dort mehr außer bodenlose Schwärze und fein aufgewirbelter Staub, der in den verdunkelten Himmel aufstieg.
 

"Beeindruckende Leistung... gefällt mir... Ja, ich muss schon sagen, das ist wirklich ein fantastisches Schwert. Was für eine Schande, dass eine so wunderbare Waffe von dreckigen Hundepfoten gehalten und beschmutzt wird."

Alarmiert fuhr Inu Taisho herum, hinter ihm stand Bundori.

"Närrischer Hund!", sagte der Drachendämon geringschätzig: "hast du etwa gehofft, ich wäre nicht fähig und stark genug einen Schutzkreis zu erschaffen und mich damit abzuschirmen?"

"So wie du aussiehst", gab Inu Taisho zurück, "konntest du dich gerade mehr schlecht als recht retten. Und du hast eine Menge deines Youkis verloren, nicht wahr? Denn interessanterweise versteckst du dich nicht mehr feige. Du hast wohl nicht mehr genug Kraft, um dich unsichtbar machen zu können?!"

"Um mit dir fertig zu werden, reicht meine Macht noch leicht aus", fauchte der Drache, aktivierte seine verbliebenen Kräfte und verwandelte sich in seine wahre Gestalt.

Inu Taisho wich an den Rand des Abgrunds hinter sich zurück, hob sein Schwert und stellte sich in Verteidigungsposition. Der riesige, vor ihm aufragende lindwurmartige Drache ringelte sich etwas zusammen, betrachtete kurz nachdenkend seinen Gegner und entblößte daraufhin grinsend seine messerscharfen Zähne. Das maskenartige Gesicht auf Bundoris Stirn lachte und begann dann höhnisch zu sprechen:

"Hmmm... Verstehe, du hast alles auf eine Karte gesetzt und den Großteil deiner Kräfte für Sou'ungas Attacke geopfert. Nun wirst du die Gokuryuuha nicht so schnell wieder einsetzen können, denn du hast dich etwas zu sehr verausgabt. In diesem Falle solltest du lieber auf Sou'unga verzichten und dich ebenfalls verwandeln anstatt in erbärmlicher Menschenform mit einem müden Schwert zu kämpfen!"

Der Hundedämon reagierte nicht und gab keine Antwort.

"Narr!", schnaubte Bundori, stieß einen blendend hellen Feuerball aus und holte mit seinem Schwanz aus. Flink sprang Inu Taisho beiseite, das verzerrende Feuer und der heftige Hieb des Drachenschwanzes gingen neben ihn in die Leere. Der Drachendämon ließ seinen Kopf vorschnellen und schnappte blitzschnell zu. Gerade noch rechtzeitig riss Inu Taisho sein Schwert hoch, Bundori biss in das Metall. Ein grässlich knirschendes Geräusch war zu hören, die Zähne des Drachens zerbarsten, ein Stück davon bohrte sich in Inu Taishos Hand. Rasend schnell zog Bundori danach seinen Kopf zurück, drehte sich etwas und hieb wieder mit seinem Schweif zu. Dieses Mal traf er. Der stahlharte Schwanz erwischte den Hundedämonen schräg von der Seite und zerschlug seine Rüstung. Inu Taisho fühlte wie seine Rippen brachen sowie ein Teil seines Beckenknochens und seines Oberschenkels zersplitterte. Unbewusst schrie er auf, taumelte und stürzte halb besinnungslos in die Tiefe des gewaltigen Abgrunds, den Sou'ungas Zerstörungswut geschaffen hatte.
 

Bundori lachte.

"Das ist dein Ende, du Hund! Du hättest niemals meinen Weg kreuzen dürfen... Nun werde ich die Kräfte meines Reiches wecken und dich hier begraben.", sagte er und schlug mit seinem Schwanz fest auf den Boden.

Ein leises Grollen aus den tiefsten Erdschichten drang empor und verstärkte sich stetig. Dann bebte die Erde, tiefe Risse zeichneten sich am Boden ab und verbreiterten sich. Im nächsten Moment schien die Umgebung wahrlich zu explodieren. Glutrote, lodernde Feuerfontänen schossen aus dem Untergrund hervor, Asche und schwarzer, dichter Rauch quoll aus den Erdspalten und unerträgliche Hitze dehnte sich aus. Schließlich teilte sich dröhnend der Boden und gab den Weg frei für einen enormen Strom aus Feuer und Magma.

Bedächtig, aber unaufhaltsam wälzte sich der Lavastrom vorwärts und folgte dem gefallenen Hundedämonen hinab in den Abgrund.
 


 

Soweit das neunzehnte Kapitel.

Keine Sorge, so leicht lässt sich keiner der Kontrahenten besiegen, der Kampf der Giganten ist noch nicht vorüber...

Hoffentlich seid ihr mir nicht zu böse, dass ich wieder so lange mit dem Schreiben gebraucht habe und euch dann auch noch einen Cliffhanger beschert habe. Über Kommentare freue ich mich natürlich wie immer sehr!

Atem der Hölle

Hotepneith hat mich gebeten ihr folgenden Wunsch zu erfüllen: ‚mach Bundori richtig schön fertig’! Also dann, schauen wir mal, ob und wie es Inu Taisho gelingt seinen Feind zu besiegen. Dazu muss er allerdings erst ein gewisses Lava-Problem aus dem Weg räumen.

Noch ist nichts entschieden, wir kommen zu Kapitel 20: Inmitten eines gewaltigen Canyons im südlichen Bereich Japans, in der Heimstatt des Drachenlords Bundori, fechten der Herrscher des Westens und der Gebieter über den Osten ihren Kampf aus. Für Inu Taisho jedoch sieht es gar nicht gut aus, er ist verletzt und der Drache hat mittlerweile sogar die vulkanischen Kräfte seines Reichs entfesselt, um den endgültigen Sieg zu erringen...

Enjoy reading!
 


 

Aus kurzer Besinnungslosigkeit erwachend schlug Inu Taisho die Augen auf. Er lag bäuchlings auf einem steinigen Untergrund. Um ihn herum herrschte fast völlige Finsternis.

Der Dämonenfürst stützte sich vorsichtig mit den Händen am Boden ab, richtete sich halb auf und winkelte seine Knie an. Als er versuchte aufzustehen, durchzog ein heftig stechender Schmerz seinen gesamten Körper. Eines seiner Beine und seine Hüfte waren schwer verletzt und trugen ihn nicht mehr. Auch seine gebrochenen Rippen schmerzten und nahmen ihm die Luft zum Atmen.

„Verdammt...“

Leise fluchend verharrte Inu Taisho in seiner kauernden Position und tastete suchend die nahe Umgebung ab. Seine Finger berührten einen metallenen Gegenstand: sein Schwert. Der Hundedämon umfasste den Griff von Sou’unga, zog die Klinge zu sich heran und blickte prüfend in die Höhe.

Ich bin sehr tief gefallen, stellte er überrascht fest.

Wie hatte er einen solchen Sturz überleben können? Inu Taisho konnte nicht ganz nachvollziehen, was geschehen war. Er konnte sich nur an den Moment erinnern, als er von Bundoris Drachenschweif getroffen in die Tiefe geschleudert worden war. Bei seinem Sturz musste er das Bewusstsein verloren haben und hätte nun eigentlich tot sein müssen. Doch irgendetwas hatte ihn vor dem tödlichen Aufprall bewahrt.

War da nicht ein geheimnisvolles, nachtblaues Leuchten gewesen, das ihn umhüllt hatte? Hatte er etwa unbewusst einen Bannkreis um sich herum aufgebaut? Oder hatte ihn etwa Sou’unga geschützt?

Nein, Inu Taisho war sich sicher, dass die Kraft, die ihm unerwartet das Leben gerettet hatte, weder von ihm selbst noch von seinem Schwert ausgegangen war. Aber von was dann?
 

Im nächsten Moment erbebte die Erde. Ein dumpfes Grollen erfüllte die Luft.

Der Dämonenfürst wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen und spannte sich alarmiert an. Ein plötzlicher, stürmischer Wind fuhr durch seine Haare. Dem Wind folgte enorme Hitze. Kurz darauf konnte Inu Taisho die Ursache für all das sehen: ein gewaltiger Lavastrom floss hinab in den Abgrund, breitete sich dort aus und kam auf ihn zu.
 

Bundori hat die Kräfte seines Landes entfesselt, erkannte Inu Taisho entsetzt. Dieses machtbesessene, wahnsinnige Untier, ich hätte nicht gedacht, dass er so weit gehen würde...

Wie jeder auserwählte Dämonenfürst, der über ein Land herrschte, war auch der Drachenlord mit seinem Reich verbunden und bezog einen Teil seiner Macht und Existenz aus den Naturgewalten, die seinem Reich innewohnten. Wenn er wollte, konnte er diese Urkräfte auch direkt benutzen, doch so etwas wagte kaum jemand. Es galt als sehr gefährlich und als verantwortungslos die verborgenen Magien des eigenen Landes zu rufen, denn diese waren Teil der gesamten Schöpfung, der Unendlichkeit, des Lebens selbst. Der Gebrauch solch einer Macht ließ sich nicht kontrollieren und brachte meist nur völlige Vernichtung mit sich.

Fieberhaft nachdenkend betrachtete Inu Taisho die zerstörerischen Lavamassen, er musste das Unheil unbedingt aufhalten. Nicht nur, um sein eigenes Leben zu retten, sondern auch um das Leben vieler tausend anderer zu schützen. Die erweckten, vulkanischen Kräfte der Erde konnten sich ausbreiten, sie konnten eine Kettenreaktion auslösen, die das ganze Herrschaftsgebiet Bundoris und alle daran angrenzenden Reiche mit in den Untergang reißen würde.

Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte der Herr der Hunde erneut aufzustehen und brach gleich wieder unter einem Schmerzenslaut in die Knie.

„Verdammt, ich bin zu sehr geschwächt“, schimpfte er: „Was kann ich tun?!“

Währenddessen kam der Lavastrom immer näher, bald würde er den tiefen Abgrund, in dem sich Inu Taisho befand, und schließlich auch die gesamte Schlucht, die Bundoris wüstenartiges Land durchzog, erfüllen. Es blieb nur noch wenig Zeit.

Reflexartig umklammerte der Hundedämon fest den Griff seines Schwertes und witterte prüfend. Die heiße Luft machte eine genaue Witterung zwar unmöglich, aber ganz schwach konnte er in der Ferne den Geruch des Meeres ausmachen.

„Das Meer...“, flüsterte er leise. Plötzlich kam dem Fürsten ein Gedanke, was er tun konnte, um die vulkanischen Mächte aufzuhalten und ihr Feuer zu löschen. Er rief sich die Topographie des Drachenreichs ins Gedächtnis.

Der riesige, bogenförmige Canyon von Bundoris Reich begann unterhalb der Umgebung einer zentral in Japan gelegenen, reichen Stadt, welche die Menschen Heian nannten, und zog sich von da bis weit in den Süden. Im Süden gabelte sich der Canyon vor dem Berg Aso in zwei ebenso gewaltige Schluchtsysteme auf, die schräg westlich und östlich bis fast an die Küsten des Meeres führten.

„Wenn es mir gelänge mit Sou’unga weitere Schneisen in die Erde zu schlagen“, überlegte der Dämonenfürst murmelnd, „wenn ich so die Küsten zum Ozean durchbrechen könnte und die Schluchten mit dem Meer verbinde, würde das Wasser den gesamten Canyon mit der Lava überfluten...“

Zögernd blickte Inu Taisho in die sich immer weiter ausbreitende und immer näherkommende Feuersglut. Für so eine Aktion würde er große Macht brauchen, weitaus größere als ihm oder Sou’unga allein zur Verfügung stand. Daher würde er ähnliches tun müssen, was Bundori getan hatte, und die Magie und Seele seines Landes zur Hilfe rufen. Nur mit solch übermächtigen Kräften konnte er Sou’unga genug Stärke verleihen, um sein Vorhaben durchzuführen. Zudem war dieser Plan sehr riskant. Denn alles überflutende Wasserströme konnten ebenso Verderben und Vernichtung bringen wie Bundoris feurige Lavamassen, er würde Tod mit Tod bekämpfen müssen...
 

„Ihr Mächte des Universums, vergebt mir!“

Schwer atmend schloss Inu Taisho die Augen und konzentrierte sich. Sein Geist löste sich und suchte nach dem Gesang des Windes, der aus Westen kam. Flüsternd sprach er uralte, halb vergessene Beschwörungsworte und verband sich so gedanklich mit der Seele des Landes, das er beherrschte und das zu schützen er geschworen hatte.

„Erde meiner Geburt, Quelle meines Daseins, Wurzel meiner Stärke... ich bin dein und du bist mein... Du nährst mich, ich schütze dich... Schenk mir deine Macht, ich weihe dir mein Leben und Blut... Wir sind Schatten und Licht. Aus Dunkelheit wurde das Licht geboren, Dunkelheit wird ewig es bewahren. Gleich Tag und Nacht, Schöpfung und Zerstörung, wir sind eins...“

Die Luft um den Dämonenfürsten begann leicht zu flimmern. Inu Taisho fühlte einen enormen, unangenehmen Druck, der ihn zusammenzupressen schien und immer stärker wurde. Etwas drang in ihn ein und durchströmte seine Adern. Eine fremde und gleichzeitig vertraute Macht vereinigte sich mit ihm und erhöhte sein Youki bis ins Unermessliche. Jede einzelne Faser seines Körpers schien sich unter dem ungeheuren Druck bis zum Zerreißen anzuspannen, es schmerzte unerträglich.
 

Aufschreiend umkrampfte Inu Taisho Sou’unga und lenkte die sich in ihm aufbauenden Energien in sein Schwert. Er wusste, er durfte die geschenkte und in ihm tobende Naturgewalt nicht zu lange in sich behalten, sonst würde ihn das umbringen. Niemand konnte solch eine Kraft, die nur dem Leben und Tod selbst gehörte, ertragen.

Sou’unga übernahm die gefährliche Macht, die Inu Taisho gerufen hatte, und leuchtete hellweiß auf. Mit einem weiteren Aufschrei drehte sich der Dämonenfürst auf den Knien herum, rammte das höllische Schwert vor sich in den Boden und aktivierte es.

„GOKURYUUHA!“

Schwarz und weiß brodelnde Energien in der Form von vielen überdimensionalen Blitzkugeln lösten sich von der Klinge und sausten in unfassbarer Geschwindigkeit leicht schräg in zwei verschiedene Richtungen von Inu Taisho davon. Dieser sah nicht, was weiter geschah, erschöpft ließ er den Griff von Sou’unga los und ließ sich auf seine unverletzte Seite zu Boden fallen.

Kurz darauf war in der Ferne ein unheimliches, mächtiges Donnern zu hören, als wäre ein Meteorit eingeschlagen. Die Erde erzitterte und beruhigte sich nur langsam. Daraufhin mischte sich ein neues Geräusch in das beständige Grollen des näherkommenden Lavastroms. Es war das entfernte Rauschen und Toben gewaltiger Wassermassen.
 

Mühselig versuchte Inu Taisho seine Flugfähigkeiten zu aktivieren, um sich in Sicherheit zu bringen. Aber es gelang ihm nicht, irgendetwas lähmte und blockierte seine dämonischen Kräfte. Er warf einen Blick auf seine rechte Hand und bemerkte ein kleines Zahnstück, das sich dort unbemerkt in die Haut gebohrt hatte. Zornig zog er es heraus.

„Dieses abscheuliche Drachenvieh hat es letztendlich also doch geschafft mich zu kriegen“, murmelte er, „verflucht seien seine Giftzähne! Ich hätte mich nicht von meinem Zorn und Hass hinreißen lassen dürfen und besser aufpassen müssen!“

Müde sank Inu Taisho zurück auf den Boden, legte sich auf den Rücken und schloss resignierend seine Augen.

Es ist vielleicht besser so, dachte er, es ist wohl mein Schicksal hier in Feuer und Wasser zu sterben... Izayoi... verzeih mir, dass ich mein Versprechen gebrochen habe und nicht wiederkommen werde. Doch mein Geist wird dich niemals vergessen und verlassen. Ich danke dir, dass du mir etwas zurück gegeben hast, das ich für immer verloren glaubte...
 

Ein knirschendes Geräusch und eine Bewegung schreckte den Dämonenfürst wieder aus seinen Gedanken.

Sou’unga hatte sich plötzlich von allein aus der Erde gelöst und schwebte nun aufrecht neben seinem Besitzer in der Luft. Rasch raffte sich Inu Taisho in die Knie auf und griff nach dem schwebenden Schwert, das davonfliegen wollte.

Ein düsterer, violetter Nebel verdichtete sich um Sou’unga und eine dunkle, verärgerte Stimme war zu hören.

„Lass mich los!“

„Das würde dir so passen, du verdammte Klinge, dass du den kurzen Moment meiner Schwäche ausnutzen kannst! Nein, du entkommst mir nicht, du bleibst hier!“

Krampfhaft umklammerte Inu Taisho das Schwert an der bloßen Schneide. Die scharfe Klinge schnitt sich tief in seine Hände, während Sou’unga versuchte sich loszureißen.

„Wenn du elender Hund hier sterben willst, ist das deine Sache. Ich bin nicht so töricht und werde dir nicht folgen! Ich werde frei sein, du hast jetzt keine Kraft mehr, um mich länger gefangen zu halten. Lass mich los, oder ich werde dir die Hände abschneiden!“

„NEIN!“

Inu Taisho bekam den Griff von Sou’unga zu fassen, umschlang das Schwert mit beiden Armen und warf sich schließlich gänzlich mit seinem Körper darauf. Mit allem Willen kämpfte er gegen den boshaften Geist Sou’ungas an, unterdrückte ihn und hielt das Schwert fest.
 

Immer mehr Hitze breitete sich aus. Der Dämonenfürst sah zur Seite, der Lavastrom hatte ihn fast erreicht. In seinem Rücken hörte er das stets lauter werdende Rauschen und Dröhnen einer heranbrausenden Flutwelle. Nur wenige Sekunden noch und das Wasser würde ihn zusammen mit der Feuersglut und allem anderen überspülen.

Leicht lächelnd umkrampfte er weiterhin Sou’unga.

Ich werde dich niemals loslassen, du wirst niemals frei sein, ich werde die Welt vor dir schützen... Das waren Inu Taishos letzte Gedanken, bevor ihn eine bläulich schimmernde Schwärze umhüllte und er überraschend darin verschwand.
 

* * * * *
 

Etwas Seltsameres hatte Inu Taisho niemals zuvor erlebt. Er hatte das Gefühl sich aufzulösen und in ein zeitloses Loch zu fallen. Und ehe er sich richtig bewusst wurde, was eigentlich geschah, fand er sich am Rande einer winzigen Insel wieder.

Sanfte, kleine Meereswellen berührten seine Füße. Sou’unga lag neben ihm im steinigen Sand und rührte sich nicht, der dunkle Geist der Klinge hatte aufgegeben, sich zurückgezogen und schwieg. Es war beängstigend still.
 

Erstaunt setzte sich der Dämonenfürst auf und sah sich um. Helligkeit blendete ihn. Es war später Nachmittag, die Sonne stand bereits tief. Wenn er die Zeit richtig einschätzte, mussten mehrere Stunden vergangen sein, obwohl es ihm so vorgekommen war, dass es nur ein Augenblick war. Seine Verletzungen hatten begonnen zu heilen.

Wo war er? Und vor allem, was war geschehen? Wie war er hierher gekommen?

Er fühlte etwas Warmes auf der Haut seiner Brust, weiterhin verwundert fasste Inu Taisho unter seine zerborstene Rüstung und holte einen elfenbeinfarbenen Gegenstand darunter hervor, seinen Fangzahn. Dieser leuchtete matt.

Die schützende Macht, die ich für Izayoi in den Zahn eingeschlossen habe, hat sich aktiviert und mich gerettet, dachte er verwirrt, wie ist das möglich?! Ich habe den Zahn Izayoi geschenkt, er hätte eigentlich nur bei ihr funktionieren dürfen.

Während er darüber nachdachte, erinnerte sich Inu Taisho an Izayois Worte. Nein, hatte sie zu ihm gesagt, ich brauche den Zahn nicht mehr. Für mich ist er ein Symbol unserer Liebe. Nimm ihn mit, dadurch wird meine Liebe dich begleiten und immer bei dir sein...

Nun verstand er. Izayois Wunsch, ihre Sorge um ihn und ihre intensiven Gefühle zu ihm hatten sich unbeabsichtigt auf den Fangzahn übertragen und schließlich die darin verborgenen Schutzmächte verstärkt und erweckt, als Inu Taishos Leben in Gefahr war. Das war kaum zu glauben und doch schien es genau so zu sein. Auf diese Weise hatte die Liebe eines einfachen Menschenmädchens dem Dämonenfürsten zweimal das Leben gerettet.
 

„Na also, du Hund, ich wusste es doch! Meine stundenlange Suche hat sich gelohnt, ich hatte es im Gefühl, dass du überlebt hast. Wie auch immer du das fertiggebracht hast, ich bin froh darum. Dann kann ich dir jetzt mit meinen eigenen Händen das Herz aus dem Leibe schneiden!“

Inu Taisho fuhr erschreckt zusammen und sah auf. Nur wenige Schritte neben ihm war wie aus dem Nichts Bundori aufgetaucht. Er hatte seine menschliche Gestalt angenommen und hielt sein zweischneidiges Schwert in der Hand.

Schnell wollte Inu Taisho nach der eigenen Waffe greifen, doch Bundori war schneller. Mit einem flinken Satz sprang der Drache zu dem Herrn des Westens und stieß Sou’unga mit dem Fuß aus seiner Reichweite.

„Darauf wirst du dich wohl nicht mehr verlassen können.“ Grinsend entblößte Bundori seine scharfen Eckzähne und richtete seine Schwertspitze auf Inu Taisho. „Du konntest eh niemals richtig mit dem Höllenschwert umgehen. Du bist seiner nicht würdig.“

Vorsichtig wich der Hundedämon etwas zurück und stand mühsam auf. Beinahe wäre er wieder in die Knie gebrochen, denn seine Verletzungen waren noch nicht ganz geheilt. Auch die lähmende Wirkung von Bundoris Gift war noch nicht völlig abgeklungen. Angestrengt hielt er sich auf den Beinen.

„Ich muss sagen“, fuhr Bundori fort, „du hast mich ein letztes Mal wirklich beeindruckt. Du hast die Hälfte meines Reichs überflutet und restlos zerstört. Mich hättest du damit ebenfalls fast ertränkt. Das hast du nicht allein mit Sou’unga geschafft, nicht wahr? Du hast wie ich auf die Magien deines Landes zurückgegriffen, richtig? Diese Kräfte werden bald mir gehören, wenn ich dein Reich übernehme. Dann wird alles mein sein und meine Macht grenzenlos. Du hast verloren!“

„Noch lebe ich. Und an mein Land kommst du nur über meine Leiche.“

Der Drache lachte: „Wunderbar! Dann lass es uns zu Ende bringen. Ich bin sehr gespannt, wie eine jämmerliche Töle mit gebrochenen Knochen, stumpfen Zähnen und Krallen sowie blutenden Pfoten sich verteidigen will.“
 

Hasserfüllt standen sich die beiden Kontrahenten auf der kleinen Insel gegenüber. Um sie herum rauschte leise das Meer. Das Licht des Tagsterns schimmerte in ihren langen, im Wind wehenden Haaren, die weißsilbern und hellgolden in diesem Schein aufglänzten. Ein Beobachter hätte den stolzen Drachendämon und den ebenso majestätisch wirkenden Hundedämon für eine menschliche Verkörperung von Sonne und Mond halten können. Aber niemand sah ihrer letzten Auseinandersetzung zu, sie waren allein.
 

Bundori griff an, er hob seine Waffe und preschte auf seinen Feind zu. Inu Taisho duckte sich unter der Schwertattacke weg, sprang in Bundoris Rücken und versetzte ihm einen Krallenhieb. Der Schlag fügte allerdings keinerlei Schaden zu, er prallte wirkungslos an der schwarzen Rüstung des Drachendämons ab. Blitzartig drehte sich Bundori um und stieß erneut mit seinem Schwert zu. Mit dem linken Unterarm blockte der Hundedämon den Angriff ab, sein harter Armschoner verhinderte, dass die giftige Klinge seines Gegners sich in sein Fleisch schnitt. Gleichzeitig schlug er mit dem anderen Arm fest gegen Bundoris rechtes Handgelenk.

Der Drachendämon stöhnte kurz schmerzlich und verlor seine Waffe. Ein darauffolgender Handkantenschlag des Hundefürsten gegen Bundoris Schläfe ließ ihn benommen zurücktaumeln. Doch der Drache fasste sich schnell wieder und griff nun ebenfalls mit bloßen Händen an. Seine Krallen verfehlten nur um Haaresbreite Inu Taishos Halsschlagader.

Keuchend sprangen die beiden Kämpfer wieder auseinander und umkreisten sich lauernd wie Tiger.

„Du hast fast keine dämonischen Kräfte mehr“, stellte Bundori mit einem boshaften Lächeln fest.

„Du ebenfalls nicht mehr“, antwortete Inu Taisho trocken, „oder gibt es einen anderen Grund, dass du dich ausnahmsweise mal nicht verwandelst oder irgendeine andere Art von feiger, unehrenhafter Magie anwendest?!“

„Ich werde dir zeigen, welche Kräfte ich noch besitze“, schrie der Drachenlord wütend, sammelte seine letzten Reserven dämonischer Energie in seiner Hand und ließ sie auf seinen Widersacher los. Inu Taisho konnte nicht mehr rasch genug ausweichen, die geballte Ladung Youki traf ihn frontal und schleuderte ihn bis an den gegenüberliegenden Rand der Insel. Bundori setzte ihm sofort nach.

Gerade noch rechtzeitig raffte sich der Hundedämon auf. Er fasste sich mit der rechten Hand in eine seiner zahlreichen Wunden, die in seinen Oberkörper gerissen worden waren, und versteifte seine bluttriefenden Finger.

„Hijinkesso!“

Aus Blut geformte, sichelartige Klingen schossen auf den angreifenden Drachendämonen zu und trafen seine ungeschützten Beine. Bundori stürzte zu Boden.

„Verwünschter Köter, das wird dir auch nichts mehr nützen“, grollte der Drache, sprang wieder auf und fiel mit einem weiteren Satz über Inu Taisho her. Jeder packte den anderen am Hals. Sich gegenseitig würgend wälzten sich die beiden Dämonenfürsten halb im Wasser, halb im Kies am Inselrand entlang. Als Inu Taisho an einem glitschigen Stein abrutschte, gelang es Bundori den Hundedämonen wegzudrängen und unter sich auf den Boden zu pressen. Mit aller Macht rammte er ihm von hinten seine Krallen in den Leib.

Inu Taisho ächzte kurz, rollte sich beiseite und stieß seinen Gegner von sich weg. Zu mehr hatte er keine Kraft mehr, völlig geschwächt und gegen die Besinnungslosigkeit ankämpfend blieb er auf dem bauch liegen.

Hämisch grinsend stand Bundori auf und sah auf Inu Taisho herab. Mit einem Fußtritt drehte den zusammengebrochenen Hundedämon auf den Rücken.

„Das war’s dann wohl!“

Weiterhin lächelnd beugte sich der Drache herab, spannte seine krallenbewehrten Finger an und senkte seine Hand. Doch das grausame Lächeln gefror auf seinen Lippen, er kam nicht mehr dazu seinen tödlichen Hieb fertig auszuführen.
 

Gleich einem todeswunden, aufbäumenden Tier, das sich in letzter Verzweiflung und mit einem letzten Kraftakt dem Kampf um sein Leben stellt, riss Inu Taisho, als sich der Drachendämon zu ihm herabbeugte, seinen Arm hoch. Bundori spürte, wie seine Rüstung durchstoßen wurde, wie seine Haut aufgeschlitzt wurde und sich etwas Spitzes tief in seine Brust bis zu seinem Herzen bohrte. Stöhnend wich er zurück, brach in die Knie, fasste ungläubig nach seiner tödlichen Wunde und zog etwas daraus hervor.

„Ein Zahn...“, keuchte er fassungslos, „was ist das für eine Macht, wie konntest du damit meinen Panzer durchbrechen?“

„Das ist die eine Macht, von der du nichts verstehst“, antwortete Inu Taisho schwer atmend. Nicht weit von sich entfernt entdeckte er Sou’unga. Der Herrscher des Westens erhob sich langsam und sammelte das Schwert vom Boden auf. Mit der höllischen Klinge in den Händen ging er schleppend zu dem knienden Drachen zurück und legte die scharfe Klinge an seinen Hals.

„Nun wirst du noch das Schwert spüren, das du einst aus der Hölle in diese Welt gebracht hast!“

„Hah“, spuckte Bundori verächtlich aus, „was weißt du schon von Sou’unga?! Den darin wohnenden Geist und die Gokuryuuha magst du beherrschen, die wahren Kräfte dieses Schwertes jedoch sind dir unbekannt. Wenn du Sou’unga richtig nutzen könntest, hättest du deinen Welpen damit zurück ins Leben holen können. Doch gegen die Mächte des Jenseits wagst du wohl nicht zu kämpfen, was?!“

Überrascht zog Inu Taisho seine Waffe zurück.

„Was sagst du da?“

„Hast du das etwa nicht gewusst?“, fragte der Drachendämon scheinheilig: „Das wundert mich. Wo du doch sonst immer alles zu wissen glaubst...“

Inu Taisho packte ihn mit seiner freien Hand am Hals.

„Sag mir, was du darüber weißt, oder ich werde dir ein Ende bescheren, das sich mit keiner deiner Foltermethoden vergleichen lässt!“

Der Drache lächelte wieder, Blut rann aus seinen Mundwinkeln.

„Wenn du unbedingt darauf bestehst, werde ich dir verraten, wie du mit Sou’unga ein einziges Mal einen Toten wiedererwecken kannst. Wie du ihn wirklich erweckst, nicht als Zombie erschaffst, nein, richtig wieder lebendig machst! Du musst dazu ins Jenseits gehen und den Tod persönlich zu einem Kampf herausfordern. Sou’unga als das beherrschende Schwert der Unterwelt gewährt dir das Recht dazu und wird dich zu ihm führen. Wenn du den Tod besiegst, wird er dir eine einzige gewünschte Seele überlassen. Wenn du verlierst, bleibst du im Jenseits gefangen und Sou’unga ist frei. Doch auch wenn du gewinnst, wird dich der Tod nicht kostenlos mit einer Seele aus dem Jenseits gehen lassen. Du wirst einen Preis dafür zahlen müssen...“

Inu Taisho verengte misstrauisch die Augen und starrte den Drachendämon an.

„Welchen Weg ins Jenseits muss ich dazu nehmen?“, fragte er schließlich.

„Suche das Tor in den Bergen... im Lande des Feuers... die Wächter werden dich hindurch lassen, da du eine Waffe trägst, die nicht aus dieser Welt stammt... wenn du es tun willst, tu es bald... Du hast nur wenig Zeit. Wenn der Körper dessen, den du wiedererwecken willst, in Verwesung übergegangen ist, kann die Seele nicht in ihn zurückkehren...“

Bundoris Stimme wurde rau, seine Worte kamen nur noch stockend. Er sackte zusammen und rutschte aus Inu Taishos Hand zu Boden. Kaum hörbar flüsterte er weiter:

„Versuch dein Glück, Hund! Doch was auch immer du versuchst... Sou’unga ist das Schwert der Zerstörung... es wird dir niemals Glück bringen...“

Der Drachendämon lächelte ein letztes Mal höhnisch. Dann fiel sein Kopf zur Seite, er war tot.
 

Mit ergrimmtem Ausdruck in den Augen stand Inu Taisho reglos und schweigend neben der Leiche seines besiegten Feindes.

Nach einer Weile beugte er sich zu Bundori herab und nahm ihm den Fangzahn ab, den er in die Brust des Drachendämons gestoßen hatte. Danach holte er eine leicht glasige, goldglänzende Kugel mit schwarzglänzenden Äderchen aus der Todeswunde seines Widersachers hervor: das Herz des Drachens.

Knackend zerbrach Inu Taisho diese Kugel in seiner Hand und verstreute die Splitter im Meer. Schließlich hob er sein Schwert und sah in sein Spiegelbild auf der schimmernden Klinge.

„Das Schwert der Zerstörung... Ich glaube nicht, dass mir Bundori dein kleines Geheimnis ohne Hintergedanken verraten hat. Er hoffte wohl, dass du mich ins Verderben führst. Doch was macht das schon... So sei es eben, wir sind aneinander gebunden und irgendwann wirst du mich sowieso ins Verderben stürzen. Aber zuvor wirst du mir jetzt ein einziges Mal noch dienen und ich schwöre dir, ich werde danach einen Weg finden auch dich zu vernichten!“
 

Am Horizont ging die Sonne unter und färbte das Meer glutrot.

Entschlossen steckte Inu Taisho sein Schwert in die Scheide auf seinem Rücken, alle Gedanken und Hoffnungen auf seinen Sohn gerichtet, sammelte er seine letzten Kräfte zusammen und machte sich zum Fliegen bereit.

„Also dann komm, mein Verderben, und lass uns in die Hölle gehen!“

Sou’unga antwortete nicht, lachte aber leise.
 


 

Soweit das zwanzigste Kapitel.

Vielleicht ist es ja irgendjemandem aufgefallen: ganz nebenbei habt ihr hier nun eine Erklärung geliefert bekommen, warum Japan so zerstückelt aussieht bzw. wie die innere Meeresenge entstanden ist, welche die beiden großen Inseln Shikohu und Kyushu von der Hauptinsel Honshu trennt. (*grins*) Mit seiner Überflutungsaktion hat Inu Taisho also eine deutliche Spur in Japan hinterlassen. Und das ist noch nicht alles. Der Daiyoukai wird später nochmals ein bisschen in Japans Geschichte eingreifen... Ich habe das als kleinen Gag eingebaut für alle, die sich wie ich gern mit Geschichte und Natur beschäftigen.

Das in diesem Kapitel erwähnte Heian ist übrigens der alte Name für die Kaiserstadt Kyoto (von daher kommt auch die Bezeichnung für eine frühe Epoche namens Heian-Zeit).
 

Ansonsten stellt mich vieles an diesem Kapitel selbst nicht so recht zufrieden, ich habe mich zugegebenermaßen sehr hart damit getan. Hoffentlich ist es trotzdem verständlich, spannend und einigermaßen gut gewesen.

Verbesserungsvorschlägen gegenüber bin ich jederzeit offen!

Wege, Grenzen und Überschreitung

Nach über einem Monat (entschuldigt die lange Wartezeit!) melde ich mich mit einen neuem Kapitel meiner FF II zurück: es wartet schließlich noch so einiges auf euch! Bisher habe ich euch erzählt, wie Inu Yashas Eltern zueinander fanden, nun werde ich die tragischen Ereignisse ins Rollen bringen, welche die beiden wieder auseinander und in den Tod reißen...
 

Bevor es weitergeht, noch eine Anmerkung: mittlerweile hat Rumiko Takahashi bei der Fortsetzung ihres Mangas neue Details enthüllt, die mir bis dato nicht bekannt waren und die mir jetzt leider einige Aspekte meiner Story zerstören. Meine Fanfic ist daher kein perfektes Prequel mehr. Ich hoffe inständig, dass euch das nicht stört und dass ihr trotzdem noch weiterlesen möchtet, auch wenn jetzt so einige Dinge nicht mehr zum Original-Manga passen.
 

Soweit die Vorrede, zurück zur Fanfic, Kapitel 21 ist fällig: Inu Taisho hat den grausamen Drachenfürsten Bundori besiegt, nun will er sogar den Tod persönlich herausfordern, um seinem Sohn ein neues Leben zu schenken. Seine geliebte Izayoi hat nun mehrere Gründe um ihren weißen Hund zu bangen, denn überall gibt es gewisse Grenzen, die man lieber nicht überschreiten sollte...

Enjoy reading!
 


 

Es war eine milde, laue Frühlingsnacht, als sich Izayoi lautlos und vorsichtig an den Räumlichkeiten ihres Vaters vorbei schlich. Sie wusste, sie hatte hier absolut nichts zu suchen. Zudem durfte sie eigentlich ohne Erlaubnis und vor allem ohne schickliche Begleitung den Frauentrakt nicht verlassen.

Doch die junge Prinzessin warf alle Bedenken über Bord. Der Gang, der am Empfangs- und Besprechungsraum des Fürsten vorbei führte, war der einzige Weg zur Küche, den Vorratskammern und wieder zurück. Und die leckeren, lockenden Düfte, die ihre Esslust geweckt hatten, ließen sich leider nicht ignorieren.

Ein bisschen schämte sich Izayoi für ihr Benehmen, sie verhielt sich wie eine Maus auf diebischer Suche nach Speck. Aber jemanden sagen oder zeigen zu müssen, dass sie nach einem reichhaltigen Festessen immer noch hungrig war, wäre ihr noch peinlicher gewesen. Die vielen Gäste und Diener hatten sie eh schon äußerst verwundert angeschaut und spottend getuschelt, als Izayoi jede Köstlichkeit, die ihr am Abend serviert worden war, regelrecht in sich hinein gestopft hatte. Neuerdings hatte sie einfach ständig Appetit und auf dem abendlichem Festmahl, mit dem ein gewinnträchtiges Geschäftsbündnis gefeiert worden war, hatte ein plötzlicher Heißhungeranfall sie jeden höfischen Anstand vergessen lassen. Mit dieser überraschenden, unerklärlichen Gefräßigkeit hatte sie sich und ihre Familie wahrscheinlich gründlich blamiert.

Izayoi wollte lieber nicht daran denken, wie sehr sich alle erst über sie lustig machen würden, wenn sie nun jemand nach ihrem heimlichen Abstecher in der Küche mit einer Handvoll stibitzten Essensresten erwischte. Auf leisen Sohlen huschte sie weiter.
 

Gedämpftes Gemurmel drang aus dem Raum neben ihr.

„All diese Neuigkeiten sind alarmierend“, hörte Izayoi die Stimme ihres Vaters, „wir müssen unbedingt mehr tun, um uns vor Dämonen zu schützen. Insbesondere, wenn sich ausgerechnet hier ein solch gefährlicher Youkai herumtreibt. Sagt mir also alles, was Ihr darüber wisst, o-bou-sama!“

Izayoi stockte und ging näher an die Holzwände heran. Lauschend lehnte sie sich an eine Schiebetür und linste zaghaft durch einen schmalen Spalt.

„Wir müssen weiterhin sehr wachsam sein“, sagte nun ein älterer, aber sehr kräftiger Mann in einem Mönchsgewand. Er saß Izayois Vater gegenüber auf einer Matte am Boden. Hinter ihm im Halbkreis hockte ehrerbietig eine Gruppe niederrangiger Mönche.

Etwas entfernt, an der Wand hatte sich eine weitere Gruppe niedergelassen, sie bestand aus fünf jungen Männern und zwei Frauen. Die beiden Frauen trugen ebenso wie die Männer seltsam anmutende Rüstungen und waren bewaffnet. Das mussten Dämonenjäger sein, Izayoi hatte schon viele abenteuerliche Geschichten über sie gehört, aber noch nie einen dieser geheimnisvollen Kämpfer gesehen.

Ansonsten waren noch zwei Soldaten anwesend, einer von diesen war Setsuna no Takemaru.

„Seit wir unsere heiligen Bannkreise ausgelegt haben“, fuhr der hochrangige Mönch fort, „habe ich dreimal die Anwesenheit des Dämons gespürt, je an zwei Abenden und zuletzt nochmals in der kurz darauf folgenden Morgendämmerung. Er hatte sein Youki immer gut verborgen. Ohne das von mir gehütete Heiligtum unseres Klosters und ohne meine ganz spezielle Ausbildung hätte auch ich beinahe nichts von ihm bemerkt. Die Fähigkeit dieses Dämons unseren Bannkreisen ausweichen zu können beweist, dass er sehr mächtig ist. Vielleicht mächtiger als wir uns vorstellen können. Seine Aura gleicht einer Ausstrahlung, welche in den letzten Wochen ständig hier in der Gegend zu spüren war. Zu ihm gehören offensichtlich viele der Dämonen, die sich bis vor wenigen Tagen in den Bergen gegenseitig bekriegt haben. Ich vermute, er ist eine Art Anführer, ein Dämonenlord.“

„Ein Dämonenlord?“, mischte sich Takemaru in das Gespräch ein: „Was wollte er hier? Warum schleicht sich solch ein Wesen heimlich in eine Menschenstadt?“

„Das weiß ich nicht“, antwortete der Mönch, „vielleicht verfolgte er damit keine bestimmte Absicht. Vielleicht kam er zufällig hierher, wollte bloß nichts mit Menschen zu tun haben und hat sich deshalb vor uns versteckt.“

„Ich glaube nicht an Zufälle, vor allem nicht, wenn es um einen Mononoke geht“, murrte Takemaru leise: „Es wäre nicht das erste Mal, dass Dämonen uns Menschen für ihre Zwecke missbrauchen.“

Der Samurai schwieg kurz und wandte sich dann weiter fortfahrend an den Fürsten:

„Mein Herr, dürfte ich euch einen Vorschlag machen? Wir sollten weitere Hilfe anfordern und alle Vorsichtsmaßnahmen verstärken. Und dann sollten wir dieses dämonische Ungeheuer, das in unserer Stadt herumschleicht, suchen, finden und schleunigst unschädlich machen.“

„Ihr schlagt also vor, diesen mysteriösen Youkai zu jagen?“, fragte eine Dämonenjägerin.

„Ja, warum denn nicht? Angriff ist die beste Verteidigung. Wir sollten nicht weiter warten bis dieser Dämon wieder von selbst auftaucht, dann ist es vielleicht zu spät. Was ist, wenn er beispielsweise von jemanden Besitz ergreift, sich hier unbemerkt einnistet und dann irgendwann über uns herfällt oder uns sonst wie benutzt? Was auch immer dieser Mononoke hier gesucht hat, er hat sich äußerst verdächtig verhalten und wir müssen seinen bösen Plänen unbedingt zuvor kommen!“

„Dämonenjagd ist kein Kinderspiel“, warnte ein anderer Dämonenjäger, „erst recht nicht, wenn es um solch gefährliche Mächte geht, um die es sich hier zu handeln scheint!“

„Pah“, spuckte Takemaru aus, „bekommt ihr heldenhaften Jäger etwa Angst, sobald es um etwas Großes geht? Solch eine Gelegenheit bekommen wir vielleicht nie wieder. Wenn es uns gelänge einem Dämonenanführer den Garaus zu machen, könnten wir uns auf einen Handstreich von einer großen Bedrohung befreien. Einer Schlange schlägt man am besten immer den Kopf ab!“

„Ich finde nur, wir sollten nicht unbedacht handeln“, meinte der Dämonenjäger leicht erzürnt.

„Ihr habt recht, ehrenwerter Taijiya“, lenkte Izayois Vater beschwichtigend ein, „aber auch Takemaru hat recht. Es ist zu viel Erschreckendes passiert. Und nun mehren sich die Gerüchte von noch schlimmeren Dingen, die weiter südöstlich geschehen sein sollen, wie diese Erdbeben. Erdbeben kommen zwar auch natürlich vor, aber den Berichten zufolge waren in diesem Fall Dämonenkräfte am Werk. Auch von einer unvorstellbaren Überflutung wird berichtet. Das alles behagt mir gar nicht. Daher werde ich auf Takemarus Vorschlag eingehen und versuchen Verbündete zu gewinnen. Zunächst müssen wir unbedingt mehr über den Dämon herausfinden, der in unsere Stadt kam. Wir brauchen gute Vorbereitung und jede erdenkliche Unterstützung, wenn wir diese Gefahr beseitigen wollen!“
 

Gerade noch rechtzeitig, bevor sie jemand hätte hören und entdecken können, unterdrückte Izayoi einen Schreckensruf und biss sich hart auf die Lippen.

Geliebter, dachte sie benommen, sie wissen von dir! Des Menschen Herz ist voller Furcht, Misstrauen und Vorurteilen. Sie werden dich jagen. Sie werden dich entdecken. Sie werden dich umbringen! Du darfst nicht wiederkommen, ich muss dich warnen. Doch wo finde ich dich, was soll ich nur tun? Am besten gehe ich fort. Wenn ich nicht hier bin, gibt es keinen Grund für dich hierher zu kommen... ich muss schleunigst fort von hier!“

Panisch rannte Izayoi zurück in ihr Gemach und begann wüst in ihren Sachen zu kramen. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen und warf alles durcheinander. Geweckt von dem Poltern kamen zuerst eine junge Dienerin und dann Izayois Amme in ihr Zimmer.

„Izayoi-san... mein Kleine... was tust du da? Ist etwas geschehen? Beruhige dich, du bist ja völlig außer dir!“

Mit einer befehlenden Handbewegung schickte die alte Dienerin ihre junge Kollegin wieder aus dem Raum und ging dann rasch zu Izayoi. Zärtlich nahm sie die aufgelöste Prinzessin in ihre Arme.

„Ganz ruhig“, sagte sie leise zu ihrem Schützling, „alles ist gut... wir sind allein. Was auch immer passiert ist, du kannst mir alles erzählen... ich bin für dich da...“

Verzweifelt schluchzend klammerte sich Izayoi an die alte Frau.

„Du musst mir helfen... Bitte! Ich muss fort von hier. Ganz schnell! Bitte, sie werden ihn sonst töten!“

„Wovon redest du? Wen töten?“

Tränenblind sah Izayoi der Amme in die Augen.

„Meinen Gebieter...“, antwortete sie flüsternd, „sie werden den Gebieter meines Herzens töten!“
 

Die alte Dienerin erstarrte, nach einigen Sekunden holte sie tief Luft und betrachtete Izayoi intensiv. Behutsam hielt sie das Mädchen an den Armen fest und setzte sich mit ihr auf den Boden. Leise fragte sie weiter.

„Deinen Gebieter... meinst du damit den Dämonen aus deinen Träumen?“

Izayoi nickte stumm.

„Es ist kein Traum mehr, nicht wahr?“

Wieder nickte Izayoi. Tränen glitzerten auf ihren Wangen.

„Du hast dich also für ihn entschieden?“

„Ja...“, hauchte Izayoi, „ich kann nicht anders, ich liebe ihn.“
 

Mit einem leisen, kummervollen Seufzen drückte die Amme die weinende Prinzessin fest an sich und wiegte sie tröstend in ihren Armen.

„Ach, Izayoi... mein Augenstern, mein Kind, meine Kleine... nicht weinen. Es wird alles gut werden, wir werden einen Weg finden... es gibt immer einen Weg... immer... nicht weinen.“

Langsam beruhigte sich Izayoi und richtete sich etwas auf. Ihre treue Dienerin wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht.

„So... und jetzt erzählst du mir alles ganz genau. Alles von Anfang an. Aber sprich ganz leise, meine alten Ohren hören noch sehr gut und außer uns beiden braucht niemand sonst dein Geheimnis zu erfahren. Und wenn du mir alles erzählt hast, überlegen wir gemeinsam in Ruhe, was wir tun können.“
 

Izayoi nickte erleichtert. Sie wusste, mit ihrer Entscheidung hatte sie einen harten, leidvollen Weg gewählt. Doch nun wusste sie auch, dass sie auf ihrem schweren Weg nicht allein war. Jemand würde mit ihr gehen.
 

* * * * *
 

Keiner kann heute mehr sagen, welcher Weg der wirklich entscheidende war, der meinen Herrn schließlich in sein Schicksal führte.

Viele geben allein Izayoi die Schuld. Viele sagen, es war nur die verachtenswerte Liebe zu einer Menschenfrau, die Inu Taisho den Tod brachte.

Ich bin mir da nicht sicher.
 

Vielleicht war auch noch eine andere Liebe mit schuld daran. Eine weitere Liebe, die in einer stürmischen Gewitternacht geboren wurde. Jene tief verborgene, niemals offen gezeigte Liebe zu seinem ersten Sohn, dem sich Inu Taisho ebenso opferte wie Izayoi und Inu Yasha.

Um das Leben seines Sohnes willen überschritt Inu Taisho eine verbotene Grenze, er forderte mit Sou’unga den Tod und dadurch das Schicksal heraus.

Sesshomaru weiß nichts davon. Keiner weiß etwas davon. So sollte es sein.

Mein Herr hat viele seiner Geheimnisse mit ins Grab genommen. Er hatte mir strengstens untersagt jemals irgendwelche Fragen zu jenen Geschehnissen zu stellen, die sich nach seinem Kampf und Sieg über Bundori ereigneten. Und ehrlich gesagt, fiel es mir immer sehr leicht dieser Anordnung zu folgen. Als Heiler und Diener des Lebens habe ich nicht gern mit den Angelegenheiten des Todes zu tun.

Darum weiß auch ich nichts.
 

Ich glaube, letztendlich trägt niemand eine Schuld an Inu Taishos Tod, mein Herr besiegelte sein Schicksal selbst. Es war seine Entscheidung. Jeder von uns ist selbst verantwortlich für sein Handeln.
 

Mir bleibt nur Erinnerung.

Oft denke ich zurück an die mondlose Nacht, in der Sesshomaru starb. Damals erschien sie mir wie die dunkelste Nacht meines Lebens. Zusammen mit der Wolfsdämonin Aoi hatte ich alles getan, um den toten Dämonenprinzen für eine ehrenvolle Bestattung vorzubereiten. Doch aus irgendeinem unerfindlichen Gefühl heraus wollte ich meine Arbeit nicht beenden und die schwarze Perle, die Inu Taisho mir gegeben hatte, noch nicht benutzen. Also entschloss ich mich zu warten, bis der Fürst von seinem Kampf gegen seine Feinde zurückkehrte. Es erschien mir klüger, wenn Inu Taisho seinen Sohn selbst zu Grabe trug, das würde helfen die Trauer zu verarbeiten. Darum brachte ich den Leichnam in das Schloss meines Herrn.

Ich ahnte nicht, was mich daraufhin alles erwarten sollte.
 

Zunächst einmal war das Schloss in heller Aufregung. Bald erfuhr ich den Grund dafür: jemand hatte das Juwel der vier Seelen gestohlen.

Aufgebracht suchte ich deshalb nach Saya, der das Juwel bewachen sollte. Erst nach langen Stunden intensivsten Suchens fand ich ihn endlich in einer Truhe im Keller. Er hatte denselben schuldbewussten Ausdruck im Gesicht wie Myoga, wenn er die Flucht ergriff. Ich zog den Geist aus seinem Versteck heraus.

„Sag mal, du verkalkter Greis“, fuhr ich ihn an, „wie konnte dir jemand das Shikon no tama direkt unter der Nase wegschnappen? Hast du etwa gepennt?“

„Ähm...“, versuchte Saya sich zu rechtfertigen, „du musst das verstehen, ich bin schließlich noch älter als du und ich brauche zwischendrin kleine Ruhephasen. Es war ein unglücklicher Zufall, dass mich der Dieb ausgerechnet in einem schwachen Moment aufgesucht hat...“

Ich glaubte nicht recht zu hören.

„Bin ich hier denn nur von Idioten umgeben?! Du und Myoga, ihr seid dem Herrn wirklich keine großartige Hilfe!“

„Also bitte“, gab Saya verärgert zurück, „ich habe immer treue Dienste geleistet. Ich bin der Einzige außer Inu Taisho, der Sou’unga zähmen kann. Aber einen Schutzbann für dieses seltsame Juwel aufzubauen und zu halten war unheimlich schwierig und kräftezerrend. Du weißt ja gar nicht, was du da von mir verlangt hast! Und außerdem ist das Schloss eigentlich selbst schon durch einen Bann geschützt. Beschwer dich doch lieber bei den Wachposten, die haben wohl auch geschlafen!“

Ich seufzte.

„Nun, es ist eh schon zu spät, es ist geschehen... Und mit einer Sache hast du sogar recht. Nur diejenigen, die Inu Taisho und den Seinen gegenüber keine böse Absicht verfolgen, kommen ungehindert ins Schloss... Der Dieb muss also jemand unserer Vertrauten gewesen sein und er wollte das Juwel offensichtlich nicht aus selbstsüchtigen Motiven stehlen...“

„Vielleicht solltest du nach dem Juwel und seinem Dieb suchen“, schlug Saya mir vor.

Lächelnd sah ich den Geist an.

„Ja, das werde ich tun. Und du und Myoga, ihr werdet mir helfen!“

„Wie bitte?!“

„Spar dir deinen Protest, das ist die ideale Aufgabe für zwei solch weise Alte wie euch. Wir gehen jetzt gemeinsam zu dem Raum, in der das Shikon no tama aufbewahrt war, und verfolgen von dort seine Spur. Das Juwel müsste eine magische Aura hinterlassen haben, auf diese Weise finden wir sicher heraus, wo der Dieb das Schloss verlassen hat und in welche Richtung er verschwunden ist.“

Weder Saya noch Myoga waren sonderlich begeistert über meinen Vorschlag, aber ich wusste die beiden zu überzeugen. Ich brauchte sie nur daran zu erinnern, wie Inu Taisho reagieren würde, wenn er von dem Versagen seiner Diener erfuhr. Selbst die oft erstaunliche Nachsicht und Milde meines Herrn mit seinem Gefolge erreichte irgendwann seine Grenzen.
 

Viel Zeit verging. Im Schloss hielt die Aufregung an, unsichere und erschreckende Nachrichten von den Auswirkungen eines übermächtigen Dämonenkampfes im Südosten waren eingetroffen. Jeder konnte sich vorstellen, was oder eher wer dahinter steckte. Auch von Naturgewalten war die Rede, ein großer Teil des Südens sollte vom Meer überflutet worden sein. Ich hoffte inständig, dass mein Herr sein Versprechen halten würde, seinen Feind besiegen und seinem Sohn nicht in den Tod folgen würde.

Um mich abzulenken, konzentrierte ich mich auf meine Arbeit und auf die Suche nach dem Juwel der vier Seelen.

Die Nachforschungen hatten meinen Verdacht bestätigt. Der Dieb des Juwels hatte sich sehr gut im Schloss ausgekannt. Er hatte die Balkonterrasse von Sesshomarus Gemach benutzt. Der Balkon, der extra für den Fürstensohn angebaut worden war, stellte die einzige Möglichkeit dar an den bewachten Eingängen vorbei ins Schloss und wieder heraus zu kommen. Außer den Dienern, welche die Räume sauber hielten und sich um alle sonstigen Bedürfnisse der Fürstenfamilie kümmerten, hätte es niemand gewagt Sesshomarus Privatbereich zu betreten. Niemand, außer vielleicht Sesshomarus Freund: Yoshio.

Warum hatte der Wolfshundedämon das Juwel gestohlen? Er hatte es offenbar nicht für sich haben wollen, doch wofür dann? Und wo war er nun?

Ich wollte ihn finden, bevor ein anderer das tat. Eigentlich war Yoshio ein Verräter und dem Tode geweiht. Aber das wussten nur mein Herr, Myoga und ich. Und ich war entschlossen Yoshio zu helfen, sofern er noch einen Funken Gutes in sich trug, das war meine Pflicht.

Doch dann durchkreuzte ein plötzliches, gänzlich unerwartetes Ereignis meine Pläne und stellte meine bisherige Weltansicht völlig auf den Kopf.
 

Es geschah in der Nacht, als ich die schwarze Perle benutzen und Sesshomarus Leichnam darin versiegeln wollte. Ich konnte das nun nicht mehr länger aufschieben. Dämonische Körper verhalten sich zwar anders als die von Menschen oder Tieren. Sie verwesen etwas später und langsamer, sofern sie sich nach dem Tod nicht sofort völlig auflösen. Aber die Folgen des Todes lassen sich auch bei Dämonen nicht dauerhaft aufhalten, irgendwann verfällt alles und jeder zu Staub.

Myoga und Saya begleiteten mich zu Sesshomarus Zimmer, in dem der tote Dämonenprinz aufgebahrt lag.

Unsere Stimmung war sehr bedrückt. Inu Taisho war seit mehreren Tagen verschwunden, er war wie vom Erdboden verschluckt. Bundori war tot, das hatten wir von den wenigen überlebenden Drachen des Ostens erfahren, doch von unserem Herrn fehlte jede Spur. Hatte er den Kampf gegen seinen Feind nicht überlebt?

Wir sollten es bald erfahren.

Mitten im Gang vor Sesshomarus Räumlichkeiten zeriss plötzlich ein schwärzlicher Blitz die Luft. Direkt vor mir öffnete sich eine Art Portal in eine fremdartige Dimension, in eine unendliche Leere. Ich spürte einen frostigen Wind. Dieser Luftzug war nicht normal, denn er bewegte nichts, kein einziges meiner Haare rührte sich dabei. Eine Stille, wie ich sie niemals zuvor erfahren hatte, breitete sich aus: Totenstille. Die Zeit schien stillzustehen und ich meinte zu Eis zu gefrieren. Myoga auf meiner Schulter war ebenfalls vor Angst versteinert

Entsetzt riss ich mich von diesem Gefühl der absoluten Starre los und wich von der beklemmenden, gruseligen Leere vor mir weg. Das Portal weitete sich, ich glaubte in das Innere eines schwarzen Lochs zu sehen, das mich anzog, das an mir saugte und das mich gleichzeitig vor Grauen lähmte. Tief in mir spürte ich, was da vor mir war. Ich sah in das Land meines verhassten Feindes, in das Reich des Todes.

Ein Schatten schien sich aus der grauenhaften Schwärze zu lösen und kam auf mich zu. Ich wich noch einen Schritt zurück, grenzenlose Furcht packte mich. Der Schatten verfestigte sich zu einer Gestalt und trat aus der kalten Leere heraus, hinter ihm schloss sich der Spalt so plötzlich wie er aufgetaucht war.

„Oyakata-sama! Inu Taisho-sama!“, schrie Myoga erstickt auf.

Ich fiel reflexartig auf die Knie und starrte den Dämonenfürsten an. Es war Inu Taisho, ohne Zweifel, doch er sah schrecklich und unheimlich aus. Seine Rüstung war zerborsten, seine Kleidung zerrissen. Unzählige Wunden überzogen seinen Körper, einige davon heilten bereits, waren vernarbt oder fast verschwunden, andere bluteten frisch. Doch am schlimmsten wirkte sein Gesicht. Es war geisterhaft bleich und zeigte den Ausdruck von Jemanden, der etwas Unaussprechliches, etwas überaus Entsetzliches gesehen und erlebt hatte.

„Mein Herr...“, brachte ich schließlich heraus.

„Wo ist der Körper meines Sohnes?“, fragte er mich. Der gespensterartige Klang seiner Stimme erschreckte mich. Daher dauerte es etwas bis ich antwortete:

„Hier... er ist hier in seinem Zimmer. Ich habe ihn dort aufgebahrt, ich habe ihn noch nicht in der schwarzen Perle versiegelt, weil...“

„Gut.“

Ohne mich, Myoga oder Saya, der sich flugs in eine Ecke verkrochen hatte, weiter zu beachten, ging Inu Taisho in Sesshoumarus Gemach und kniete sich neben der Liegestatt des Toten nieder. Rasch und völlig verwirrt lief ich ihm hinterher und bemerkte erst jetzt, dass der Fürst etwas in seinen Armen trug. Es war ein kleines, halb durchsichtiges und weißlich leuchtendes Gebilde ohne klare Konturen, das der Form nach an einen kleinen, schlafenden Hundewelpen erinnerte. Inu Taisho breitete vorsichtig die Arme aus und ließ den geisterhaften Schemen über seinem toten Sohn frei.

Das durchscheinende Gebilde zerfloss in einen schimmernden Nebel, der Sesshomaru einhüllte und sich dann auflöste. Mir stockte der Atem, als mir klar wurde, was hier geschah.
 

Zaghaft berührte Inu Taisho Sesshomarus Gesicht und strich sanft einige weiße Stirnhaare beiseite, die das sichelmondförmige Zeichen auf seiner Stirn bedeckten. Wie gebannt sahen Myoga, Saya und ich dabei zu.

Schließlich geschah das Unfassbare. Ein leichtes Zittern erfasste den toten, kalten Körper, er schien sich zu erwärmen, all seine Todesverfärbungen, die ersten Zeichen der begonnenen Verwesung, verschwanden und seine Brust hob sich leicht zu einem Atemzug.
 

Inu Taisho drehte sich zu mir herum.

„Wirst du all seine Verletzungen heilen können, Ieyasu?“

Zweifelnd und verunsichert kam ich näher und berührte nun ebenfalls zaghaft Sesshomaru. Behutsam strich ich über eine der zahllosen, grausigen Verwundungen seines gefolterten Körpers. Ich spürte Wärme, ich sah die schwachen Bewegungen des Atmens, fühlte Blut, das wieder zu fließen begonnen hatte, und hörte einen dumpf pochenden Herzschlag. Ich konnte es nicht glauben, doch es war wahr: der gebrochene Leib, der auf jeden Fall hätte tot sein müssen, lebte!

„Ich kann euch nichts versprechen, mein Herr. Das wird ein sehr schwieriger, schmerzhafter und langwieriger Heilungsprozess werden. Doch ich werde alles tun, was in meinen Kräften steht, und mit Hilfe meines Schülers kann ich es vielleicht schaffen.“

„Gut“, sagte Inu Taisho wieder und stand auf. „Ich lasse Sesshomaru in deiner Obhut. Bundori ist vernichtet, doch Ryokossei wird sich sicherlich rächen und das Werk seines Bruders vollenden wollen. Daher werdet ihr alle schweigen und nur den wenigen meiner vertrautesten Diener erzählen, was hier geschehen ist. Offiziell erklären wir Sesshomaru weiterhin für tot. Zumindest solange bis ich auch Ryokossei gefunden und ausgeschaltet habe... Saya!“

Der Geist schwebte etwas ängstlich heran und sah fragend auf.

Inu Taisho nahm Sou’unga von seinem Rücken und legte das Schwert in seiner Scheide am Boden ab.

„Myoga kommt mit mir“, fuhr der Dämonenfürst fort, „Sou’unga bleibt währenddessen hier, ich möchte es nicht dabei haben. Du wirst das Schwert solange versiegeln, Saya. Pass sehr gut darauf auf, es besitzt jetzt noch stärkere Kräfte und wird sich nur schwer beherrschen lassen.“

„Verzeiht, Inu Taisho-sama“, mischte sich Myoga ein, „wohin gehen wir?“

„Wir werden einen alten Freund besuchen. Er soll etwas für mich anfertigen.“

„Bevor Ihr geht, solltet Ihr noch etwas wissen“, wandte ich hastig ein: „Das Juwel der vier Seelen wurde gestohlen. Ich denke, es war Yoshio.“

Der Fürst stutzte und überlegte kurz.

„Wenn es Yoshio war, ist das meine Angelegenheit. Und ich werde mich später selbst darum kümmern.“

„Ich verstehe... wie Ihr wünscht, mein Lord. Darf ich Euch noch eine Frage stellen?“ Als Inu Taisho nickte, fuhr ich fort: „Sofern ich das richtig sehe, seid Ihr im Jenseits gewesen, um Sesshomarus Seele zurück zu holen... ich vermute, Sou’unga hat Euch irgendwie dabei geholfen... aber... der Tod schenkt normalerweise nichts, er lässt sich auch nicht betrügen und lässt nicht mit sich handeln. Was also habt ihr getan, was habt Ihr für das Leben Eures Sohnes zahlen müssen?“

„Diese Frage solltest du lieber nicht stellen, mein Freund“, meinte der Fürst ruhig, „und ich werde sie dir daher nur zum Teil beantworten. Du hast recht, Sesshomarus Leben wurde mir nicht umsonst geschenkt. Ich habe darum kämpfen müssen. Ich habe zwar gewonnen, aber trotzdem noch etwas zahlen müssen. Doch ich darf nicht darüber sprechen, das war eine der Bedingungen. Niemand, vor allem mein Sohn nicht, darf etwas darüber erfahren! Sesshomaru hat vergessen, dass er gestorben ist, und darf sich keinesfalls mehr daran erinnern, sonst wird seine Todeserinnerung ihn zurück ins Jenseits reißen. Es ist den Lebenden nicht gestattet zu viel über den Tod und sein Reich zu wissen.“
 

Ich wagte nicht weiter zu fragen und nickte stumm.

Inu Taisho sagte nichts mehr, mit Myoga auf der Schulter verließ er den Raum.

Immer noch in einer Mischung aus Zweifeln, Ungläubigkeit und Staunen gefangen, blieb ich mit Saya bei Sesshomaru zurück, bis mich dessen Anblick schließlich an meine Pflichten als Heiler ermahnte. Eilig erhob ich mich und rannte schnell vom Hauptgebäude zu den Lagerschuppen, um Verbände, Kräuteressenzen und alles, was ich sonst noch benötigte, zu holen.
 

Mit einem seltsamen, zwiespältigen Hochgefühl lief ich ins Freie. Das unglaubliche Wunder, das ich gesehen hatte, beglückte mich zutiefst. Zugleich ahnte ich jedoch, dass nun andere tragische Dinge ihren Lauf nahmen, die irgendwo in längst vergangenen Zeiten ihren Anfang genommen hatten und die nun nicht mehr aufzuhalten waren.
 


 

Soweit das einundzwanzigste Kapitel.

Ich weiß, ich habe jetzt all jene, die auf eine spannende Reise ins Jenseits gewartet haben, zutiefst enttäuscht. Doch was Inu Taisho alles im Reich des Todes erlebt hat, möchte ich lieber ins Geheimnisvolle hüllen. Ein paar Details davon werde ich in künftigen Kapiteln noch preisgeben, der Rest bleibt im Dunkeln (schließlich lässt sich Gevatter Tod nicht gerne in die Karten schauen).

Ich hoffe, euch hat trotzdem alles gefallen und hoffentlich sind jetzt auch wieder alle versöhnt, die mir wegen Sesshomarus Tod am liebsten den Kopf abgerissen hätten. Allerdings wird der Fürstensohn auch zukünftig noch so einiges durchmachen müssen. Meine Fanfic bleibt ja weiterhin dramatisch und wird auch immer düsterer/trauriger... leider...
 

Kritik und Lob jederzeit willkommen!

Wiedergeburt

Schon wieder habe ich euch lange warten lassen... sorry, sorry, doch es geht leider einfach nicht schneller.

Dafür komme ich jetzt auch gleich zur Sache d.h. zu Kapitel 22: Nachdem Inu Taisho den Drachen Bundori besiegt und seinen Sohn von den Toten zurückgeholt hat, muss er sich nun gegen neue Gefahren rüsten. Denn nicht nur bei Izayoi und den Menschen braut sich neues Unheil zusammen...

Enjoy reading!
 


 

Heftige Frühlingsstürme suchten den Osten Japans heim. Taifunartige Winde brausten mit kräftigen Regengüssen über die Meeresküsten, zerstörten Fischerdörfer und peitschten das Meer auf. Viele der dort lebenden Menschen waren ins Landesinnere geflohen und hatten ihre ganze Habe den Launen der unbeherrschbaren Natur ausgeliefert.

Die, die nicht fliehen konnten oder wollten, hatten Zuflucht in Tempeln, in Schreinen oder an den heimischen Altären gesucht und beteten verzweifelt um ihr Leben. Die Menschen hatten Angst. Stürme waren schließlich nicht das erste Naturphänomen, das ihre Existenz bedrohte. Voller Furcht erinnerten sich die Menschen wieder an den Tag vor mehr als einer Woche, als eine gewaltige, unbegreifliche Macht einen Teil der Küste gesprengt und dem Meer einen neuen Weg geebnet hatte. Daraufhin waren riesige, tiefgelegene Gebiete des Landes für immer von einem Tsunami verschlungen worden. Wer wusste schon, was nun geschehen würde.
 

Nur eine einsame Gestalt, die entlang eines Strandes auf ein halb zertrümmertes, verlassenes Dorf zu wanderte, ließ sich offensichtlich weder von Sturmwind noch von sintflutartigem Regen beeindrucken. Es war ein hochgewachsener Mann, der eine harte, schwarzglänzende Rüstung aus Leder trug. Ein unerfahrener Beobachter hätte sein Alter vielleicht auf dreißig Jahre eingeschätzt, wäre mit dieser Einschätzung allerdings völlig falsch gelegen. Denn so menschenähnlich der Unbekannte auch aussah, er gehörte einer Rasse an, die schon Jahrtausende länger auf der Erde existierte als die Menschen.

Seine Augen leuchteten unheilvoll rot in der Düsternis der stürmischen Regenfälle, sein mittellanges, zu einem Zopf gebundenes Haar flatterte wild im Wind und erinnerte an blaugrau glänzenden Meeresschaum. Er hinkte leicht und presste seine Arme fest gegen seine rechte Seite, die verletzt zu sein schien. Dennoch wirkte sein Gang äußerst geschmeidig, federnd und schnell. Flott erreichte und durchquerte er das verlassene Menschendorf, betrachte abfällig die vom Sturm zerfetzten Hütten und Boote und schlug dann einen schmalen, versteckten Pfad hinter dem Dorf ein, der eine schwindelerregend hohe Felsenküste hinaufführte.

Der Pfad endete im Nichts, direkt vor einer glatten, hochaufragenden Felswand. Doch als der Unbekannte sich der Wand näherte, begann diese zu schimmern, wurde durchsichtig und gab den Weg frei in eine höhlenartige, etwa vier Meter hohe, rundliche Steinhalle, die tief in den Küstenfelsen hinein geschlagen worden war. Überall am Boden dieser Halle lagen vereinzelte, meist schon verfallene und verstaubte Skelette unterschiedlicher Herkunft herum. In der Mitte brannte ein kleines Feuer, eine schmächtige, gebückte und grauhaarige Frau hockte davor und stocherte in der Glut. Neben sich hatte die Frau eine Matte, Holz und einige Krüge ausgebreitet, dazwischen lagen verschiedene Kräuter und andere seltsame Kleinigkeiten. In einem hölzernen Käfig gackerten zwei verschreckte Hühner. Als der geheime, magische Zugang zu ihrer steinernen Halle sich öffnete, blickte die alte Frau am Feuer auf. Ihre Augen schimmerten weißlich im Feuerschein, sie war blind.

„Ryokossei-sama...“, sprach sie den eintretenden Mann demütig an, ihre Stimme klang rau und krächzend, ihre Worte waren ziemlich undeutlich. Beim genaueren Hinsehen konnte man erkennen, dass ihr mehrere Zähne und ein Stück ihrer Zunge fehlte.

Der Angesprochene stieß die Frau grob beiseite, so dass sie beinahe ins Feuer gefallen wäre, und streckte sich neben ihr auf der Matte am Boden aus.

„Kümmere dich um meine Wunde“, befahl er barsch, „sie ist wieder aufgebrochen! Und gib dir Mühe, ich warne dich! Wenn du dieses Mal keine bessere Heilung zustande bringst, wirst du es bereuen.“

„Ich habe Euch doch gesagt, dass ihr Euch nicht so viel bewegen dürft...“

Mit einem heftigen Schlag, der krallenartige Striemen im Gesicht der Frau hinterließ, unterbrach der Drachendämon den zaghaften Einwand.

„Schweig, nichtsnutzige Sklavin. Tu deine Pflicht und wage es ja nicht mich zu belehren! Oder ich reiße dir deine Zunge komplett heraus!“

Leise wimmernd richtete die Geschlagene sich wieder auf und kniete sich neben ihren Herrn. Vorsichtig nahm sie ihm die harte Lederrüstung ab, entkleidete seinen Oberkörper und entfernte einen festen, blutverkrusteten Verband. Eine grässliche, tiefgehende Fleischwunde an Ryokosseis rechter Seite, ausgehend von seiner Schulter bis in seinen Bauch, wurde nun ersichtlich. Behutsam tastete die blinde Frau untersuchend die eiternden Wundränder ab und griff dann nach einem kleinen, kupfernen Kessel mit dampfenden Kräuterwasser, der am Rande der Feuerstelle stand.

Ryokossei biss fest die Zähne zusammen, als die versklavte Heilerin seine Verletzung zu reinigen begann und der heiße Kräutersud sein Fleisch berührte. Ansonsten ließ er sich jedoch nichts von seinen Schmerzen anmerken. Wachsam beobachtete er die alte Dienerin bei ihrem Tun und betrachtete dabei genüsslich ihre Hände, die nur noch wenige Finger aufwiesen. Diese Verstümmelungen waren Spuren vergangener Bestrafungen, mit denen Bundori sich jeden seiner Untertanen äußerst erfolgreich gehorsam gemacht hatte.
 

Auch diese niederrangige Dämonensklavin wird meinen Bruder niemals vergessen, dachte Ryokossei mit grimmiger Befriedigung. Bundori ist gefallen, sein Geist zersplittert und für immer im Nichts verstreut, aber er wird unvergessen bleiben, jedes einzelne seiner Opfer wird sich ewig an ihn erinnern. Und ich werde ihm ein weiteres, unsterbliches Denkmal setzen. Ich werde sein Werk fortführen und unserem Clan die Stellung zurückgeben, die er einst inne hatte und die er verdient. Irgendwann werde ich das ganze Land, vielleicht sogar die ganze Welt beherrschen und nach meinem Willen formen.

Doch zuallererst musste endlich dieser verdammte Köter verschwinden. Erbittert ballte Ryokossei seine Fäuste. Sogar am Rande der Verzweiflung, in tiefstem Schmerz und im Angesicht größter Gefahr war der Herrscher des Westens nicht zu bezwingen gewesen. Doch immerhin waren nicht alle Bemühungen umsonst gewesen. Ryokossei lächelte boshaft. Inu Taisho besaß keine Zukunft mehr, seine Hoffnung, seinen letzten Erben hatte er verloren, seine Verbündeten waren geschwächt und auf dem Festland entwickelte sich eine interessante, neue Bedrohung. Bald würde der Hundeherr sich neuen Herausforderungen stellen müssen. Alles, was Ryokossei jetzt noch brauchte, um Vergeltung zu üben und seine Ziele zu erreichen, war ein wenig Geduld, ein bisschen Vorsicht und weiteres Wissen...
 

Der Drachendämon unterbrach seine Überlegungen und hob seinen Kopf, als ein weiteres dämonisches Wesen in die versteckte, hallenartige Höhle kam, eher flatterte. Dieses Wesen war kaum größer als Ryokosseis Faust. Es sah aus wie eine pummelige Raupe mit Glubschaugen und Fledermausflügeln oder wie die Witzfigur eines kindlichen Minidrachens. Ryokossei verzog leicht angewidert die Mundwinkel. Irgendwann würde er das Drachengeschlecht von derartigen Missgeburten, welche die Natur bedauerlicherweise manchmal hervorbrachte, säubern. Doch noch konnte er den kleinen Wurm gut gebrauchen, seine Harmlosigkeit und seine kindische Kuscheltiererscheinung machten das niedliche Kerlchen zum perfekten Spion. Und mit der Auswahl seiner Spione hatte Ryokossei schon immer viel Geschick bewiesen.

Der winzige Drache flog zögernd zu Ryokossei, blieb vor ihm in der Luft hängen und deutete eine schüchterne Verbeugung an.

„Na, endlich!", knurrte Ryokossei: „Wo hast du solange gesteckt? Ich warte schon seit über zwei Tagen auf dich!“

„Ähm... ich... Entschuldigung“, stammelte der babyartige Drache verängstigt, „ich bin vom Sturm abgetrieben worden... und...“

„Erspar mir deine Ausflüchte, komm zur Sache. Hast du herausgefunden, wohin der Hund nach dem Kampf gegen meinen Bruder verschwunden ist, was er vorher getan hat und was er jetzt macht?“

„Äh, ähm...“, stotterte der kleine Drache weiterhin furchtsam, „ich weiß nichts Genaues. Es war sehr gefährlich sich in der Nähe von Inu Taishos Schloss aufzuhalten, alle da waren sehr misstrauisch, weil angeblich etwas gestohlen wurde. Aber ich habe herausgefunden, dass der Hundefürst in den Norden gegangen ist, wo er ein altes Heiligtum der Hunde suchen wollte. Wo er vorher war, weiß keiner. Ein freundlicher, geschwätziger Berggeist hat mir allerdings berichtet, dass er Inu Taisho, bevor der Hundefürst für einige Tage spurlos verschwand, im Land des Feuers gesehen hat.“

Ryokossei horchte auf.

„Inu Taisho war im Land des Feuers? Na, so was, das ist ja interessant... was wollte er denn da? Und was war das, das aus Inu Taishos Schloss gestohlen wurde? Und was soll das für Heiligtum der Hunde sein, nach dem Inu Taisho nun sucht?“

„Das... das weiß ich doch nicht.“

„Dann finde es gefälligst heraus“, gab Ryokossei verärgert zurück. Er packte den winzigen, vor ihm fliegenden Wurm und presste ihn fest in seiner krallenbewehrten Hand zusammen. Der kleine Drache schrie auf.

„Ich muss mehr wissen, ich muss alles über Inu Taisho wissen... Komm mir ja nicht wieder unverrichteter Dinge zurück“, fügte Ryokossei drohend hinzu und schleuderte das kindliche Wesen aus der Höhle hinaus in den Sturmregen.
 

Die alte Heilerin, die gerade Ryokosseis Wunde mit Kräutersalben bestrich und dann neu verband, lächelte unauffällig. Sie hatte zwar ihr Augenlicht verloren, war aber dennoch nicht blind. Die endlosen Jahre in Gefangenschaft der Drachen und im Dienst ihrer beiden grausamen Herren hatten sie genug gelehrt, um Ryokosseis Verhalten und seine Stimmungen richtig deuten zu können. Der unerwartete Tod seines Bruders musste ihn schwer getroffen und sehr verunsichert haben.

Fast hätte auch Ryokossei die Schlacht gegen den Westen nicht überlebt, auch er war nicht unverwundbar, nicht unbesiegbar. Diese Tatsache spendete der geschundenen Seele der Sklavin ein wenig Trost und erweckte ihren lange vergrabenen, lange hoffnungslosen Traum von Freiheit.
 

* * * * *
 

Dunkelheit, Leere, ein bodenloser Abgrund...

Immer wieder stürzte er darin hinab. Er spürte bittere Kälte, die ihn umfing, fühlte zerrende, eiserne Ketten, die ihn umschlangen und zu erwürgen drohten, und hörte ein klägliches Winseln. Sein eigenes, verzweifeltes Flehen, das er nicht unterdrücken konnte, als er sich unter seinen Qualen wand.

So sehr er sich auch zu wehren versuchte, es gab kein Entkommen. Unaufhaltsam riss es ihn in die finstere Tiefe, hinab in beißende, schwarze Flammen aus Eis. Nirgendwo fand er einen Halt und grauenvolle Schmerzen waren seine einzige Begleitung.

Gefesselt und gemartert fiel er in die einsame, eisige und endlose Schwärze hinab, bis er es nicht mehr ertrug. Bis er vor seinen beängstigenden Schwächen kapitulierte und damit auch das letzte, das er noch besaß, dahingab: seinen Stolz, seine Würde, die sich in einem lauten, gepeinigten Schrei verloren...
 

„Ihr müsst aufhören, Ieyasu-sama, er erträgt es nicht mehr!“

„Nein, noch nicht! Lass ihn ja nicht los, es ist gleich geschafft, halt ihn ruhig!“

Ieyasus Stimme war heiser vor Anstrengung, sein Gesicht war gerötet und schweißüberströmt. Er kniete mit geschlossenen Augen am Boden eines schlichten Zimmers und beugte sich in tranceartiger Stellung über eine Bettstatt. Seine Hände leuchteten in einem gleißenden, hellweißen Licht. Bedächtig strich der Heiler damit über die rechte Brusthälfte und Schulter sowie über den rechten Arm des vor ihm ausgestreckten Körpers, den Ieyasus Schüler krampfhaft festhielt.

Die schlanken Finger des Heilers tauchten tief in Blut und Fleisch. Das flammende Licht, das seinen Händen entströmte, vernichtete faulende Geschwüre und abgestorbene Zellen, es verbrannte zerrissene, entzündete Sehnen, Nerven und Fasern und verschmolz zertrümmerte Knochen und Knorpel. Es war ein verzehrendes Feuer, das Krankes zerstörte und dadurch der Heilung den Weg ebnete für langsam nachwachsendes, gesundes, sich neubildendes Gewebe.

Das gleißende Licht strahlte stärker, erhellte kurz den gesamten Raum und verlosch dann plötzlich.

„So... zumindest das hätten wir nun auch...“

Erleichtert aufseufzend öffnete Ieyasu die Augen und setzte sich auf. Danach wusch er sich seine blutverschmierten Hände in einer neben ihm abgestellten Wasserschale, wischte sich den Schweiß von der Stirn und wandte sich an seinen Schüler:

„Du bist sehr blass... Ist alles in Ordnung?“

Der junge Hundedämon nickte zaghaft.

„Mir geht es gut, sensei, ich bin nur etwas müde. Und manchmal habe ich von all dem einfach genug.“

Mühsam stand Ieyasu auf und legte seinem Lehrling verständnisvoll eine Hand auf die Schulter.

„Unsere Arbeit ist oft mit viel Leid verbunden, es ist nicht immer ein Segen, ein Heiler zu sein. Verbinde Sesshomaru-samas Seite und schiene seinen gerichteten Arm. Dann ruh dich aus, morgen machen wir weiter.“

„Ja, sensei.“

Erneut nickte der junge Hundedämon und griff nach bereitgelegten, kräuterduftenden Bandagen.
 

Ieyasu stand eine Weile schweigend hinter seinem Schüler und sah ihm bei der Arbeit zu. Jeder Handgriff des Lehrlings war geübt, sicher und sehr sanft. Sesshomaru war ohne Bewusstsein und reagierte nicht auf die Berührungen, er hatte nun auch jede reflexbedingte Gegenwehr aufgegeben, lag jetzt völlig ruhig und atmete flach. Seit seiner wundersamen Wiederbelebung vor über einer Woche war der Fürstensohn in einem komaähnlichen Zustand gefangen.

Ein Schlaf voller Albträume, dachte Ieyasu unglücklich. Der Heiler musste nur in Sesshomarus Gesicht blicken, um die Qual zu sehen, die er mit all seinen heiltätigen Behandlungen verursachte. Gegen die unvermeidbaren, ständigen Schmerzen wirkte kein Betäubungsmittel und Sesshomaru konnte ihnen nicht einmal in seiner tiefen Bewusstlosigkeit entfliehen.

Schuldbewusst sah Ieyasu auf seine Hände. Diese Hände sollten nicht wehtun, nicht verletzen. Doch sie taten es. Die Kräfte, die Ieyasu bei Sesshomaru zur Heilung anwenden musste, waren sehr ähnlich denen, die der Drachendämon Bundori genutzt hatte, um zu foltern. Manchmal gab es keine klare Grenze zwischen Heil und Leid.

Nein, es war wirklich nicht immer ein Segen, ein Heiler zu sein...
 

Ieyasu wandte sich ab, öffnete eine der Schiebetüren von Sesshomarus Gemach und trat hinaus auf die anschließende Balkonterrasse. Von Osten her zog Regen heran, eine dunkle Wolkenwand verhüllte den Himmel, es war stürmisch.

In Gedanken versunken verfolgte Ieyasu den Zug der Wolken und schüttelte dann verwundert den Kopf. Eine der Wolken benahm sich äußerst seltsam, sie wurde nicht vom Wind vorwärts getrieben, sie flog gegen den Wind!

Ungläubig sah Ieyasu noch einmal genauer hin und dieses Mal erkannte er auch, dass es sich bei der Wolke um einen Schwarm vieler kleiner, fliegender Wesen handelte. Kleine Vögel vielleicht oder auch Schmetterlinge. Aber Tiere wichen normalerweise einer schlechten Witterung instinktiv aus und dieser Schwarm schien sich auch nicht verflogen zu haben. Im Gegenteil, er schien die dunklen Wolken als Deckung auszunutzen und flog planmäßig über das Land, fast so als wolle er es unauffällig auskundschaften...
 

Ein heller, erschrockener Aufschrei lenkte Ieyasu ab. Er sah zurück ins Zimmer und eilte dann bestürzt zu seinem Lehrling. Dieser lag schmerzgekrümmt auf der Seite am Boden und presste wimmernd seine Arme gegen seine Brust.

„Um Himmels willen, was ist denn passiert?“

Hastig kniete sich Ieyasu neben den jungen, stöhnenden Hundedämonen und drehte ihn behutsam zu sich herum.

„Du meine Güte...“

Die Hände und Unterarme des Schülers waren völlig verätzt. Ein giftiger, grünfarbener Schimmer fraß sich durch seine Haut. Ieyasu sah zu Sesshomaru und zuckte dann verstehend zusammen. Schleunigst packte er seinen verletzten Lehrling, zerrte ihn vom Boden neben der Bettstatt des Dämonenprinzen weg und stieß ihn ungestüm beiseite.

„Schnell, verschwinde!“

„Aber, Ieyasu-sama...“

„Mach, dass du hier rauskommst!“
 

Der junge Hundedämon kam stolpernd auf die Beine und befolgte den Befehl seines Lehrmeisters. Rasch flüchtete er aus dem Zimmer.

Ieyasu wartete bis sein Schüler in Sicherheit war und kniete sich dann sehr langsam neben Sesshomarus Liegestelle nieder. Mit äußerster Vorsicht und geflüsterten, beruhigenden Worten streckte er besänftigend eine Hand aus.

Ein drohendes Knurren antwortete ihm. Der gefährlich lauernde Blick eines tiefrot glühenden Augenpaars verfolgte argwöhnisch jede seiner Bewegungen. Es war der erwachte, dämonische Blick von Sesshomaru und es war der Blick eines Raubtiers.
 

* * * * *
 

„Verdammt noch mal, was hast du da nur gemacht?! Was hast du dir dabei gedacht? Bist du wahnsinnig geworden? Wie konntest du nur? Habe ich dich nicht immer gewarnt, du sollst vorsichtig sein? O nein, o nein, o nein... wie konntest du nur... das darf doch nicht wahr sein...“

Laut vor sich hin klagend und jammernd hockte ein alter Dämon auf steinigem Boden. Seine menschenähnliche Gestalt wirkte sehr zerbrechlich, sein Kopf war größtenteils schon kahl, der Rest seines grauen Haars war zu einem kurzen Zopf zusammengebunden. Er trug ein grünschwarz gestreiftes Gewand, das seine besten Tage auch schon hinter sich hatte und bestenfalls noch als Sackleinen durchgehen konnte. Im Großen und Ganzen machte er einen recht schäbigen Eindruck, genau wie seine in einem Vulkan gelegene Behausung, die wie ein riesiges Fischskelett aussah.

Doch seine Erscheinung und seine Umgebung schienen den alten Dämon nicht zu interessieren, seine ganze Aufmerksamkeit war auf ein Metallstück gerichtet, das völlig verbogen vor ihm lag.

„Uah, du hast mein kostbares Werk vernichtet, meinen Stolz, mein Prachtstück... Du absoluter Trottel, du unfähiger Blödian!“

Die übergroßen Augen des Alten verschwammen in Tränen. Dann verwandelte sich sein weinerlicher Gesichtsausdruck von einem Moment auf den anderen in überschäumenden Zorn. Mit unerwarteter Gewandtheit sprang er blitzartig auf und ergriff einen langstieligen Hammer.

„Na warte, ich prügle deine Tollpatschigkeit aus dir heraus. Ich benutze deinen Schädel als Übungsstück und hämmere dir die Kunst des Schmiedens an deinen eigenen Knochen ein! Bleib hier, du Taugenichts!“

Erstaunlich agil rannte der greisenhafte Dämon nun hinter einem anderen, viel jüngeren und flink flüchtenden Dämonen her. Der alte Dämon machte einen großen Sprung, holte mit seinem Hammer aus und lachte triumphierend. Da er allerdings nicht besonders darauf achtete, wohin er sprang, prallte er plötzlich mit dem Gesicht frontal gegen eine harte Rüstung, purzelte zu Boden und blieb besinnungslos wie ein Käfer auf dem Rücken liegen.
 

Ein leises Seufzen war zu hören.

„Ich glaube, deine Vermutung war richtig, Myoga, Totosai hat sich überhaupt nicht verändert.“

Der alte Dämon am Boden regte sich wieder und richtete sich halb auf. Er kratzte sich den Kopf, begutachtete, gegen was er geprallt war, und sprang dann blitzartig ganz auf.

„Oha, oller Köter... öh, ich meine, Oyakata-sama! Nett, dass Ihr mal vorbei schaut. Lange nicht gesehen, was?“

Ein kleiner, ängstlich schwitzender Floh sprang auf die Schulter des Greis.

„Hör auf damit, Totosai“, zischte er, „der Herr hat keine gute Laune.“

„Ah, sieh an, Myoga“, sagte der alte Dämon namens Totosai und grinste breit, „dich habe ich ja auch schon ewig nicht mehr gesehen. In welchen Mäuselöchern hast du dich die ganze Zeit verkrochen?“

„Äh, wer seid denn Ihr?“, mischte sich nun noch jemand ins Geschehen ein, es war der jugendliche Dämon, der vor Totosai geflüchtet war. Seine Gestalt wirkte mehr tierisch als menschlich und er hatte einen buschigen Schwanz. Er war ein Fuchsdämon. Totosai gab ihm eine Ohrfeige.

„Dämlicher Bengel! Du bist ja noch unfähiger als ich dachte, wenn du nicht einmal den weißen Hund kennst!“

Der Fuchsdämon rieb sich die Wange und machte große Augen. Neugierig musterte er den weißhaarigen Dämonen vor sich.

„Ihr seid Inu Taisho? Irgendwie habe ich mir den aber ganz anders vorgestellt, ich dachte immer, das ist ein Riesenhund.“

„Tut mir leid, wenn mein Aussehen dich enttäuscht“, gab Inu Taisho amüsiert lächelnd zur Antwort, er nahm dem jugendlichen Fuchsdämon die vorlauten Worte augenscheinlich nicht übel. „Dem Geruch nach müsstest du Zuisou sein, richtig? Dein Vater ist ein sehr guter Krieger, ich war froh, ihn bei der letzten Schlacht an meiner Seite zu haben.“

„Pah“, grummelte Zuisou, „ein sturer Bock ist der, nichts weiter. Er sieht einfach nicht ein, was für ein absonderlicher Fuchs er ist, und er hat sich nie damit abgefunden, dass ich nicht wie er ein Kämpfer werden will. Ich möchte eine Familie gründen und einfach nur in Freude und Frieden leben. Doch statt mir endlich seinen Segen zum Heiraten zu geben und mich mit dem Kriegshandwerk in Ruhe zu lassen, schickt mich mein Vater nun in die Lehre zu diesem alten Zausel. Auf diese Weise glaubt er wohl, mich zumindest für das Schwerterschmieden begeistern zu können! Und dann sagt er noch, er will nur das Beste für mich. Pah, was für ein Idiotenvater!“

Inu Taisho lächelte wieder, auch wenn seine Augen nun traurig wirkten.

„Leider macht auch ein Vater Fehler, vor allem dann, wenn er das Beste will... Wenn du möchtest, spreche ich mit deinem Vater, bevor er vielleicht irgendwann einen unverzeihlichen Fehler begeht, den er ewig bereuen wird.“

Der Fuchsdämon starrte den Fürsten überrascht und perplex an.
 

„Was führt Euch zu mir, Oyakata-sama?“, durchbrach Totosai das nachfolgende, betretende Schweigen.

Inu Taisho wandte sich ihm zu.

„Ich möchte auf dein altes Versprechen zurückkommen und mir ein Schwert von dir schmieden lassen.“

Totosai blinzelte kurz überrascht.

„Tatsächlich? Ein Schwert? Was für ein Schwert?“

„Ein Schwert, das es mit Sou’unga aufnehmen kann. Doch eine Waffe anderer Art, ein Schwert mit der Macht des Lebens, ein schützendes Schwert.“

„Ein Schwert, das es mit Sou’unga aufnehmen kann, sagt Ihr?“, Nachdenklich wackelte Totosai mit seinem Kopf und tippte mehrfach mit seinem Zeigefinger gegen seine Stirn. „Da bestellt Ihr ein Ding der Unmöglichkeit. Für so ein mächtiges Schwert bräuchte ich außergewöhnliches Ausgangsmaterial. Ich wüsste aber nicht, was dafür in Frage käme. So was kann ich nicht schmieden.“

„Auch damit nicht?“, fragte Inu Taisho und stellte einen länglichen Kasten aus Holz und Elfenbein vor Totosai am Boden ab. Dieser beäugte das Kästchen misstrauisch.

„Los doch“, ermunterte ihn Myoga aufgeregt, „öffne es!“
 

Totosai bückte sich und klappte den Kastendeckel auf. Dann schnappte er nach Luft und plumpste voller Erstaunen auf sein Hinterteil.

„Das gebrochene Schwert“, japste er atemlos, „wie kommt Ihr da ran? Wie konntet Ihr das Siegel des Todes brechen? Und was soll ich nun damit? Soll ich das Ding wieder richten? Das würde ich ja gern, aber das geht nicht.“

„Was ist das für ein Ding?“, fragte Zuisou neugierig und blickte nun ebenfalls in den Kasten. Er sah darin ein in schwarze Seide eingeschlagenes, in zwei Stücke zerbrochenes Kataana. Die Klinge schimmerte perlmuttfarben wie ein Opal. Der Fuchsdämon hatte selten eine so fremdartige und schöne Waffe gesehen.

„Das gebrochene Schwert“, erklärte Myoga belehrend, „ist der Legende nach eine Waffe, die erschaffen wurde, als die Macht des Lichts gegen die Macht der Dunkelheit kämpfte. Das Schwert wurde dabei von beiderlei Kraft erfüllt, doch es konnte diese beiden, widerstreitenden Mächte aus Schöpfung und Zerstörung nicht ertragen und zerbrach dadurch in zwei Hälften. Da erkannten die kämpfenden Mächte, dass sie einander nicht besiegen konnten, dass sie zwei gleichstarke Teile einer Einheit waren, und versöhnten sich. Das gebrochene Schwert wurde, um die schöpferischen und zerstörerischen Mächte darin vor Missbrauch zu schützen, tödlich versiegelt und in die Obhut eines Dämonen gegeben.“

„In die Obhut eines Hundedämonen“, ergänzte Inu Taisho und fügte mit einem Lächeln hinzu: „seit Jahrtausenden wurde das gebrochene Schwert von uns Hunden beschützt. Im Bewachen sind wir eben unschlagbar, es ist unsere Natur und unsere größte Stärke. Hunde sind die besten Beschützer der Welt.“
 

Der Hundedämon wandte sich wieder an Totosai.

„Ich weiß, das gebrochene Schwert erscheint nutzlos, denn es stimmt, man kann es nicht wieder richten. Die beiden Bruchstücke lassen sich nicht wieder aneinander fügen, sie stoßen sich gegenseitig ab. Doch es gibt eine andere Möglichkeit die Mächte im gebrochenen Schwert zu nutzen...“

Inu Taisho griff unter seinen Brustpanzer und holte etwas darunter hervor.

„Dies ist mein Fangzahn. Der Zahn trägt einen Teil meiner Macht, den mächtigsten Teil aller Stärken, die ein Hundedämon dir geben kann: die Macht des Schützens. Nimm ihn, Totosai, und schmiede zwei Schwerter daraus. Diese beiden Schwerter kannst du dann jeweils mit den beiden Bruchstücken des gebrochenen Schwertes verschmelzen.“

Die riesigen, kugelrunden Augen des Dämonenschmieds leuchteten freudig auf. Ohne lange zu zögern schnappte er sich den Zahn, den Inu Taisho ihm hinhielt, und packte das gebrochene Schwert. Verzückt betrachtete er die magischen Stücke in seinen Händen.

„Wunderbare Idee, erstklassiges Material“, lobte er und schnalzte mit der Zunge, „das wird mein Meisterwerk, äh, meine Meisterwerke, ich werde...“

„Wie lange brauchst du?“, unterbrach ihn Inu Taisho.

„Sechs Tage, drei für jedes Schwert.“

„Gut“, erwiderte der Hundedämon, „Myoga, wir gehen!“

Totosai achtete nicht mehr auf den Dämonenfürsten, er hüpfte begeistert in seine seltsame Behausung und dort drinnen von einer Ecke zur anderen, um verschiedene Werkzeuge zu durchwühlen. Schließlich fand er eine Säge und begann damit Inu Taishos Fangzahn fein säuberlich der Länge nach zu halbieren.

Zuisou sah seinem Lehrmeister etwas zweifelnd bei der Arbeit zu.

„Soll ich Euch irgendwie helfen?“

Eine Zange flog dem Fuchsdämonen entgegen und verfehlte knapp seine Stirn.

„Ich lass mir meine Meisterwerke doch nicht von einem unnützen Fuchs versauen. Raus hier und lass mich in Ruhe arbeiten!“
 

Geschickt wich Zuisou einem weiteren fliegenden Werkzeug aus, verließ grinsend Totosais Werkstatt und seinen Vulkankrater und suchte nach Inu Taisho. Doch der Hundedämon war verschwunden.

Schade, dachte Zuisou. Er hätte gern mehr mit dem Dämonenfürsten gesprochen. Der Herrscher des Westens schien so ganz anders zu sein als gedacht. So nett. Und er hatte helfen wollen, weil Zuisou Ärger mit seinem Vater hatte.

...Wenn du möchtest, spreche ich mit deinem Vater, bevor er vielleicht irgendwann einen unverzeihlichen Fehler begeht, den er ewig bereuen wird...

Der Fuchsdämon erinnerte sich, wie traurig Inu Taisho ausgesehen hatte, als er das gesagt hatte. Diese Trauer war sehr verständlich, Zuisou hatte davon gehört, dass der Herrscher des Westens seinen Sohn verloren hatte. Scheinbar trauerte Inu Taisho in diesem Zusammenhang auch über einen begangenen Fehler, den er nun nicht wiedergutmachen konnte. Was für ein Fehler mochte das wohl sein?

Irgendwie tat Zuisou das alles sehr leid, er wollte den freundlichen Hundefürsten trösten, ihm eine Freude machen. Er überlegte eine Weile und dachte dabei an die Schwerter, die Totosai zu schmieden begonnen hatte. Das brachte ihn auf eine Idee.

Aufgeregt und voller Vorfreude rannte der Fuchsdämon von den Vulkanbergen hinab und schlug einen Weg in Richtung eines weit abgelegenen, urwüchsigen Waldes ein.
 

Vielleicht war Zuisou kein mutiger Kämpfer und wohl auch kein begabter Schmied, aber er hatte andere Talente und es gab ein Handwerk, das ihm großen Spaß machte. Er konnte sehr gut schnitzen.

Die beiden Schwerter für Inu Taisho würden die besten Scheiden bekommen, die in ganz Japan zu finden waren!
 


 

Soweit das zweiundzwanzigste Kapitel.

Tja, Izayoi kam nicht vor, auch von den Wölfen war schon länger nichts mehr zu hören und Yoshio scheint komplett verschwunden zu sein... Doch noch mehr konnte ich nun wirklich nicht in dieses Kapitel packen, es ist eh schon lang genug geworden... Ihr müsst euch also leider wieder gedulden, dann werden auch Izayoi und die Wölfe wieder auftauchen (nur Yoshio bleibt noch länger verschwunden.^^).
 

Gefiel euch Zuisou? Wenn ja, dann schaut doch mal bei Hrafna in ihrer Fanfic „Soul Agony“ vorbei (sehr lesenswert!). Dort kommt der Fuchsdämon nämlich ursprünglich her, ich habe mir diese Figur mit Hrafnas Erlaubnis von dort ausgeborgt. Allerdings ist Zuisou bei mir natürlich schon um einiges älter als in Hrafnas Geschichte, die viel, viel früher spielt.
 

Ich hoffe, ihr wart mit Kapi 22 und mir zufrieden, natürlich dürft ihr auch gerne Kritik äußern. Ich freue mich über jeden helfenden Kommentar!

Reise ins Ungewisse

Tja, dieses Mal habe ich, denk ich, einen neuen Rekord gebrochen. So lange habe ich bisher noch nie für ein neues Kapitel gebraucht... Zum Teil lag das daran, dass ich meinen ursprünglich geplanten Plot etwas umgebaut, erweitert und verändert habe sowie einige Ideen verworfen und dafür neue Konzepte entworfen habe (diese Geschichte hat sich mittlerweile ein bisschen verselbstständigt, so dass es nun schwierig wird alle Erzählfäden in der Hand zu halten... *grins*)

Gomen für die lange Warterei und jetzt nix wie weiter mit dem 23. Kapitel: Allerlei neue Ereignisse bahnen sich an. Während der Drachendämon Ryokossei an neuen Intrigen bastelt, Sesshomaru aus seinem Trauma von Folter und Tod erwacht und Inu Taisho derweil zwei besondere Schwerter schmieden lässt, versucht Izayoi ihr bedrohliches Liebesgeheimnis zu bewahren. Doch das ist nicht leicht, vor allem, da nun noch ein neues Geheimnis dazu kommt...

Enjoy reading!
 


 

Wie ein Schleier überzog feiner Sprühregen einen lichten Birkenwald, der zur späten Nachmittagsstunde von einer Reisegruppe durchquert wurde. Es waren bewaffnete Reiter, die mehrere von Ochsen gezogene, zweirädrige Wagen eskortierten. Die zum Teil hochbeladenen Wagen kamen auf dem aufgeweichten Waldweg nur sehr langsamen voran. Ab und zu blieben vereinzelte Gefährte stecken und mussten mühsam aus der weichen Erde herausgezogen werden. Am hinteren Ende des trägen Wagenzugs folgte eine vornehme Sänfte, ebenfalls begleitet von berittenen Soldaten.

Als das Vorwärtskommen der Gruppe wieder einmal durch einen steckengebliebenen Wagen ins Stocken geriet, schob eine zierliche Hand einen der Sänftenvorhänge beiseite. Eine junge Frau blickte hinaus und wandte sich zaghaft an einen Samurai, welcher direkt neben der Sänfte her ritt:

„Takemaru“, bat sie ihn, „könnte ich kurz in den Wald gehen? Ich... verzeiht... aber, mir ist schon wieder übel.“

„Natürlich, Izayoi-sama.“

Der angesprochene Kriegeradlige stieg von seinem Pferd und gab den Sänftenträgern einen kurzen, befehlenden Wink, woraufhin diese behutsam ihre Last absetzten. Begleitet von ihrer Amme verließ Izayoi die Sänfte und eilte in den Wald. Neben einem jungen Birkensprössling ließ sich die Fürstentochter auf die Knie fallen, beugte sich über den feuchten Waldboden und übergab sich. Izayois Amme bewahrte die Privatsphäre der Prinzessin in dieser peinlichen Situation, indem sie sich vor ihren Schützling stellte und ein großes Tuch als Sichtschutz hochhielt.

Einige Meter entfernt stand Takemaru. Er war den beiden Frauen in respektvollem Abstand gefolgt und wartete auf sie, die Hand wachsam an seinen beiden Schwertern.
 

Tief aufatmend stand Izayoi wieder auf und warf einen kurzen Blick auf den wartenden Samurai.

„Ich wünschte, er würde aufhören mir ständig und überall hinterher zu laufen“, meinte sie flüsternd.

„Er tut nur seine Pflicht“, antwortete Izayois Amme ebenso leise, „er ist immerhin für deine Sicherheit verantwortlich. Ärgere dich nicht über den Begleitschutz, so eine Reise ist schließlich nicht ungefährlich. Und bald haben wir es ja geschafft, ich glaube, es ist nicht mehr weit. Geht es dir jetzt wieder besser?“

Izayoi nickte und die beiden Frauen kehrten zur Sänfte zurück.

In der Zwischenzeit war auch der steckengebliebene Wagen befreit worden und die Reisegruppe setzte sich wieder in Bewegung.
 

Etwa eine Stunde später erreichten die Reisenden ihr Ziel: das fürstliche Schlossgelände eines jungen Daimyo, der vor über zwei Monaten eine von Izayois älteren Schwestern geheiratet hatte.

Wegen ihrer Erschöpfung hätte sich Izayoi nach der Ankunft am liebsten sofort schlafen gelegt. Aber das war unmöglich, denn ihre Schwester hatte schon sehnsüchtig auf sie gewartet und so stand zunächst ein geselliges, abendliches Festessen auf dem Programm.

Beim Anblick der vielen aufgetischten Köstlichkeiten, vergaß Izayoi schnell ihre bisherige Übelkeit und Müdigkeit. Ihre Schwester beobachtete ihren ausgeprägten Appetit belustigt.

„Du futterst, als hättest du monatelang gehungert. Hat Vater dich für eine Weile zum meditativen Fasten in ein Kloster geschickt?“

„Nach so einer gräßlichen Reise, wie ich sie hinter mir habe, hättest du auch Hunger“, erwiderte Izayoi verdrossen: „Tagelang habe ich keinen einzigen Bissen heruntergebracht. Mir war so schlecht wie nie. Ich habe mir fast die Seele aus dem Leib gewürgt!“

Die junge Fürstin lachte.

„Das kommt mir bekannt vor“, scherzte sie: „Weißt du, ich bin nämlich guter Hoffnung und da erlebe ich ähnliche Dinge... Vielleicht bist du ja auch schwanger... Sag, welcher schöne Mann hat dich denn verführt, kleine Schwester?“

Izayoi verschluckte sich am Reis und rang hustend um Atem. Weiterhin lachend klopfte ihr ihre Schwester auf den Rücken.

„Hoppala, habe ich mit meinem Witz vielleicht einen schwachen Punkt erwischt? Bist du etwa immer noch heimlich verliebt?“

„Wie kommst du nur ständig auf solch einen Unsinn?“, schimpfte Izayoi, kämpfte willentlich gegen eventuelles Erröten an und fasste hastig nach einer Tasse Tee. Dabei sah sie sich verstohlen um, ob irgendjemand der Unterhaltung zuhörte. Zu ihrer Erleichterung waren alle übrigen Gäste mit eigenen Gesprächen beschäftigt.

„Eine Schwärmerei ist doch kein Unsinn“, fuhr Izayois Schwester gut gelaunt fort und senkte ihre Stimme zu einem schelmischen, verschwörerischen Flüstern: „Soll ich dir mal mein kleines Geheimnis verraten? Ich war auch mal schrecklich verliebt. Erinnerst du dich noch an diesen jungen Wandermönch, der vor einigen Jahren in Vaters Schloss übernachtete und uns unsere Zukunft prophezeit hat? Hach, der sah so gut aus und und er war so charmant, ich war hingerissen von ihm. Sogar nach Jahren habe ich manchmal von ihm geträumt. Und dann, nach meiner Hochzeit, als mein Gemahl das erste Mal zu mir kam, habe ich mir heimlich vorgestellt, dass jener Mönch bei mir liegt. Diese harmlosen Träumereien haben mir die Angst genommen und mir dadurch letztendlich viele schöne Nächte und eine glückliche Ehe beschert. Du siehst also schwärmerische Mädchenträume können durchaus sehr positive Folgen haben.“
 

Zufrieden lächelnd streichelte die junge Fürstin über ihren Bauch. Stumm und verlegen sah Izayoi zu ihr.

Ach Schwester, dachte sie dabei, du hälst mich nur für eine naive Schwärmerin, die sich kindischen Liebesträumereien hingibt. Wenn du wüsstest, dass die Zeit der Träume für mich schon längst vorbei ist...

Genau in diesem Moment überkam Izayoi plötzlich ein merkwürdiges, beklemmendes Gefühl, ähnlich einer mit Angst vermischten Ahnung. Zeitgleich lag ihr ebenso blitzartig eine Frage auf der Zunge:

„Woran, außer an Übelkeit, kann man eigentlich sonst noch merken, dass man ein Kind erwartet?“

Wieder lachte die Fürstin.

„Ich dachte immer, unsere alte Amme hätte dich gründlich aufgeklärt“, neckte sie, „es gibt doch genug Anzeichen für eine Schwangerschaft. Keine Angst, du wirst es sicher merken, wenn du irgendwann geheiratet hast und es für dich wichtig wird einen Erben zu gebären.“

Izayoi begann unwillkürlich zu schwitzen, ihr beklemmendes Gefühl verstärkte sich.

„Ähm... entschuldige, nee-san, aber ich... es ist so stickig hier und die lange, anstrengende Reise zu dir hat mich ziemlich fertig gemacht. Ich bin so müde... Macht es dir etwas aus, wenn ich mich jetzt zurückziehe?“

„Aber nein, das ist schon in Ordnung. Ruh dich aus. Wir können uns ja morgen weiter unterhalten. Dann erzählst du mir von Vater, ja? Ist es wahr, dass er künftig verstärkt gegen Dämonen vorgehen möchte? Ich bin ja so gespannt, welche Familienneuigkeiten es sonst noch gibt. Und dann zeige ich dir das Schloss und die Gärten. Mein Gemahl hat wunderschöne Gärten anlegen lassen, sie werden dir gefallen. Vielleicht könnten wir sogar ein richtig schönes Gartenfest veranstalten. Ich könnte ein paar gute Heiratskandidaten einladen, es wird ja schließlich höchste Zeit, dass du dich nach einer guten Partie umsiehst. Und du musst unbedingt mal meine neuen Kimonos anprobieren, ich habe herrlichen Brokat vom Festland bekommen. Und hast du schon mal auf einem Shamisen gespielt? Du probierst doch gerne Instrumemte aus, nicht wahr? Ah, es ist so schön, dass du hier bist... “
 

Es dauerte noch eine Weile bis sich Izayoi von ihrer plauderfreudigen Schwester losreißen und sich von einer Dienerin in ihr Gastgemach führen lassen konnte. Als die Prinzessin endlich allein war, saß sie im Dunkeln auf ihrer Bettstatt und dachte gründlich nach.

Es war fast drei Wochen her, als Izayoi und Inu Taisho in einer sternenüberstrahlten Neumondnacht ihre heimliche Liebe besiegelt hatten. Seitdem hatte Izayoi nichts von ihrem geliebten Dämonen gehört. Sie wusste nicht einmal, ob er noch am Leben war. Allerdings hatte er ihr versprochen wieder zu kommen und irgendwie war sich Izayoi sicher, dass er sein Versprechen halten würde. Und um zu verhindern, dass nun ausgerechnet dieses Versprechen Inu Taisho zum Verhängnis wurde und er Dämonenjägern zum Opfer fallen könnte, hatte Izayoi unter dem Vorwand Schwester und Schwager besuchen zu wollen ihre Heimatstadt verlassen.
 

Die Liebe zwischen dem Dämonenfürsten und der Menschenprinzessin durfte niemals offenbar werden...

Doch was war, wenn aus dieser Liebe etwas entstand, das sich nicht geheimhalten ließ?
 

Prüfend fasste Izayoi nach ihrem Bauch.

Nein, da war nichts zu spüren, sie war nicht dicker geworden. Auch ihre Brüste waren nicht voller geworden. Eigentlich fühlte sie sich insgesamt ganz normal. Abgesehen vielleicht von diesen seltsamen Heißhungerattacken und der unangenehmen, seit drei Tagen andauernden Übelkeit. Außerdem war ihre Monatsblutung überfällig. Konnten das irgendwelche Anzeichen für irgendwas sein? War das überhaupt möglich, nach nur drei Wochen? Wie lief überhaupt eine Schwangerschaft ab, wenn man ein Dämonenkind erwartete?

Sei keine Närrin, schalt sie sich, was bilde ich mir denn da ein?! Er hat doch gesagt, dass ich gar nicht von ihm schwanger werden kann!

Und doch...

Immer noch war da dieses beklemmende, ahnungsvolle Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Sie musste sich Gewissheit beschaffen. Morgen würde sie mit ihrer Amme sprechen. Die alte, treue und weise Dienerin, die als einzige von Izayois geheimen Liebesverhältnis wusste, konnte sicher helfen. Izayoi war froh, dass sie mit ihren Nöten und Fragen nicht mehr allein sein musste.

Doch was dann...

Was, wenn...

In diesem Augenblick fühlte sich Izayoi einsamer als je zuvor.

„Liebster“, flüsterte sie leise, „ich habe Angst. Und... ich sehne mich so nach dir.“
 

* * * * *
 

Bis tief in die Nacht hinein regnete es ununterbrochen.

Auch die im Westen gelegenen Lande der zentralen japanischen Hauptinsel blieben nicht von Schauern verschont. In den westlichen Bergen hielt sich der Regen besonders hartnäckig. Naturgemäß war es hier zur späten Frühlingszeit zudem weitaus kälter.

Nässe oder Kälte war ein Zustand, der einen Dämonen nicht besonders störte. Oder, besser gesagt, nicht besonders stören sollte.

Aber irgendetwas an dieser weitläufigen Meinung, überlegte Myoga, konnte nicht ganz richtig sein. Denn den alten Flohgeist störte Nässe und Kälte beidermaßen gewaltig. Momentan hatte er sogar einen derartigen Zustand des Unbehagens erreicht, der seiner Ansicht eine Beschwerde rechtfertigte.

„Inu Taisho-sama“, meldete er sich daher zu Wort, „wollen wir uns nicht einen Unterschlupf suchen? Wir laufen nun schon seit Stunden durch die regnerische Dunkelheit und Ihr seid ja schon ganz durchnässt.

„Freundlich von dir, dass du dich um mich sorgst“, erwiderte der angesprochene Hundedämon ironisch lächelnd, „findest du unter meiner nassen Kleidung keinen angenehmen Platz mehr?“

„Das ist nicht witzig!“, betonte Myoga, „meinen alten Knochen tut solch kalte Feuchtigkeit gar nicht gut. Ich bin schließlich kein Wasserfloh! Und Ihr seid kein Seehund! Weshalb lassen wir uns so durchweichen? Warum haben wir eigentlich nicht bei Totosai gewartet? Oder warum sind wir nicht ins Schloss zurückgegangen? Was wollt Ihr denn schon wieder hier in den westlichen Bergen? Und wieso fliegen wir denn nicht, das wäre doch viel komfortabler...?“

„Wenn ich meine dämonischen Kräfte einsetzte, verrate ich nur meine Anwesenheit“, unterbrach Inu Taisho den wissbegierigen Redeschwall seines winzigen Dieners: „Ich will jedoch nicht auffallen oder zeigen, wo ich mich derzeitig befinde.“

„Warum diese Heimlichtuerei?“, fragte Myoga weiter: „Eure Feinde sind doch alle erledigt.“

„Du hast wohl Ryokossei vergessen“, gab der Dämonenfürst zurück, „und nach ihm werden neue kommen, es gibt immer Feinde.“

„Ach... sind wir deshalb hier? Um die momentane Feindeslage auszukundschaften? Wollt Ihr die Spur Ryokosseis verfolgen?“

„Ja, das auch...“

Plötzlich stockte Inu Taisho und blieb stehen.

Myoga fiel nicht auf, dass die Aufmerksamkeit seines Herrn sich nun auf die Umgebung gerichtet hatte, er fragte neugierig weiter:

„Das auch? Ryokossei ist nicht der einzige Grund, warum Ihr hierher gekommen seid? Was wollt Ihr denn sonst noch hi...?“

„Sei still!“

Mit diesem scharfen Befehl brachte Inu Taisho den Flohdämonen zum Verstummen und begann intensiv zu wittern.

Ein seltsames Gefühl beschlich Myoga. Es war ein ihm wohlbekanntes Gefühl, das der Wirkung nach einer Alarmglocke glich und normalerweise der Auslöser für reflexartiges Fluchtverhalten war. Gefahr lag in der Luft.
 

Der Herr der Hunde schloss seine Augen und zwang sich zur konzentrierten Ruhe. Ohne sich seinen innerlichen Schreck anmerken zu lassen, prüfte er erneut die verschiedenen Gerüche, die ihm ein kaum spürbarer Wind aus Richtung eines Berghügels zutrug. Der Regen verwischte und erschwerte die Witterung, doch der Hundedämon vermochte sie trotzdem zu deuten.

„Nein...“, murmelte er daraufhin bestürzt, „nein, das kann, das darf doch nicht wahr sein... wie... warum... Nein, es kann nicht wahr sein!“

Erstaunt starrte Myoga den Dämonenfürsten an, selten hatte er ihn dermaßen verwirrt und verunsichert erlebt.

„Was ist, mein Herr?“

Der Flohgeist bekam keine Antwort. Im nächsten Augenblick jagte Inu Taisho mit fliegenden Sprüngen voran. Wie ein gehetztes Tier hastete er durch die bewaldeten Berge, ohne Baumzweige zu beachten, die ihm immer wieder ins Gesicht peitschten. Myoga hielt sich krampfhaft in seinem Haarzopf fest und war hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis treu zu dienen oder feige davonlaufen zu wollen.
 

Schließlich erreichte der Hundeherr einen abgeflachten Berghügel und blieb dort oben auf einer Waldlichtung stehen. Neugierig geworden hüpfte Myoga auf seine Schulter.

„Ach, du liebes Bisschen, was ist denn das hier?“

Trotz der Dunkelheit konnte Myoga einige Schemen auf der Lichtung ausmachen. Offenbar waren es Tiere, die auf dem Boden lagen. Inu Taisho kniete sich neben eines von ihnen. Nun erkannte Myoga, dass es sich um Wölfe handelte, sie waren tot.

„Oje, oje, das ist gar nicht gut, das gibt sicher wieder Ärger“, stöhnte der Flohgeist, „so eine Geschichte mit toten Wölfen, die hatten wir doch schon mal. Was für ein Dämon hat sie denn dieses Mal umgebracht?“

„Das war kein Dämon“, sagte Inu Taisho und stand wieder auf, seine Stimme war sehr ernst: „Das waren Menschen.“
 

* * * * *
 

Währenddessen fand nicht sehr weit entfernt in den Höhlen des westlichen Wolfsrudels eine erbitterte Diskussion statt.

Die Wölfe der westlichen Berge waren nur noch wenige. Der vergangene Kampf des Westens gegen den Osten hatte viele Todesopfer unter ihnen gefordert. Das war sehr schmerzhaft gewesen. Wolfsdämonen trauerten zwar nicht offen, aber unter ihrer rauen Schale befand sich dennoch ein sehr empfindsamer Kern. Ein Wolf war nur in der Gruppe stark, für sein Rudel tat ein Wolf alles, ohne sein Rudel war er nichts. Jeder Verlust von Rudelmitgliedern, egal, ob es sich dabei um Dämonen oder Tiere handelte, war daher für sie schwer zu ertragen.

Umso härter traf es die Wolfsdämonen, dass sie vor einigen Stunden erneut einige ihrer Kamaraden verloren hatten. Ihre Freunde waren auf der Jagd plötzlich von Menschen angegriffen und getötet worden. Für diese plötzliche Aggressivität der Menschen gab es jedoch keinen ersichtlichen Grund.

Seit die Wolfsdämonen sich unter ihrem Anführer Chugo in den westlichen Bergen angesiedelt hatten, hatten sie sich von Menschen und deren Besitztümern ferngehalten. Hin und wieder hatten sie ein Haustier gerissen oder sich nach menschlichen Kriegshandlungen von Schlachtfeldern bedient, meistens ernährten sie sich jedoch von Wildtieren. Nach Chugos Tod führte die neue Anführerin Aoi diese friedfertige Lebensweise fort.

Nachdem sie nun grundlos von Menschen angegriffen worden waren, reagierten viele Wolfsdämonen mit übermäßiger Wut. Nur drei Wochen nach dem letzten Krieg stand der gewonnene Friede wieder vor einer Zerreißprobe.
 

„Ich finde, wir sollten diese vermaldeite Menschenstadt angreifen und komplett plattmachen, genau so wie der Hundefürst das damals mit seinem Höllenschwert gemacht hat. Und zwar schnell, bevor sich da noch mehr Dämonenjäger versammeln. Rotten wir sie aus, bevor sie uns ausrotten!“

Der junge, schwarzhaarige Wolfsdämon, der diesen Vorschlag gemacht hatte, hielt das für eine äußerst brilliante Idee.

„Koga!“ wies ihn jedoch sofort Aoi zurecht: „Hast du aus deiner Vergangenheit denn überhaupt nichts gelernt? Diese Stadt, das ganze Land hier steht unter Inu Taishos Schutz, auch die Menschen. Vor drei Wochen haben wir an seiner Seite für dieses Land gekämpft und nun willst du den Friedensvertrag zwischen uns und den Hunden brechen? Du weißt, dass der Hundefürst niemals eine Tötung der Menschen zulassen würde. Willst du uns in einen neuen Krieg treiben und enden wie Fuyuko?

Beschämt sah Koga zu Boden.

„Aber wir würden doch nicht unbegründet töten“, versuchte er dann zu argumentieren, „wir müssen uns doch irgendwie verteidigen. Was sollen wir denn sonst tun?“
 

„Ihr müsst fortziehen.“

Überrascht sahen die Wölfe zum Höhleneingang. Ein weißhaariger, gerüsteter und vollkommen durchnässter Dämon in Menschengestalt hatte die Höhle betreten.

„Inu Taisho“, begrüßte ihn Aoi höflich, „wie schön, Euch wiederzusehen! Wir haben von Eurem Sieg über Bundori gehört. Ich war sehr erleichtert, dass Euch nichts geschehen ist. Bitte, setzt Euch zu mir ans Feuer und wärmt Euch auf. Euer Besuch ehrt uns, auch wenn ich nicht damit gerechnet habe, Euch so schnell zu treffen. Offenbar habt bereits von den neuesten Ereignissen erfahren...“

„Ja, ich habe zufällig eure getöteten Tierfreunde gefunden“, erklärte Inu Taisho und ließ sich neben der Wolfsanführerin nieder, „außerdem entdeckte ich die Spuren einer Läuterung. Wieviele Rudelmitglieder habt ihr durch die Menschen verloren?“

„Mit den Tieren auf der Lichtung starben zwei Dämonen“, erzählte die Rudelführerin, „ein dritter, Ginta, konnte gerade noch flüchten. Die Täter waren ausgebildete Dämonenjäger, begleitet von einem älteren, kräftigen Mönch. Sie haben systematisch nach einer dämonischen Aura gesucht und sind dabei auf unsere Kameraden gestoßen. Wir haben Glück gehabt, dass diese Menschen nicht auch noch unsere Höhlen gefunden haben und sich das Wetter verschlechterte. Als es anfing zu regnen, haben sie ihre Suche abgebrochen und sind in die Stadt am Fuße der Berge zurückgekehrt. In der Stadt geht es schon seit mehreren Tagen nicht mit rechten Dingen vor, die Menschen dort scheinen ihre Vorkehrungen gegen Dämonen zu verstärken. Irgendetwas scheint sie extrem erschreckt zu haben. Sie fürchten uns mehr den je. Ich schätze, bald werden sie ihre Dämonenjagd fortführen.“

„Deshalb müsst ihr diese Gegend verlassen.“, meinte Inu Taisho, „es gibt keine andere Möglichkeit, um einem Kampf mit den Menschen zu vermeiden.“

„Wir sollen also fortziehen“, mischte sich Koga ungeniert ein: „Warum ausgerechnet wir? Das ist unsere Heimat. Wir leben schon viel länger hier als die Menschen und ich sehe nicht ein, warum wir uns von solchen kümmerlichen Lebewesen vertreiben lassen sollen!“

Inu Taisho wandte sich dem vorlauten Wolfsdämonen zu und sah ihn lange schweigend an. Sein Gesichtsausdruck war bar jeder äußerlichen Emotion. Aber seine goldschimmernden Augen glänzten wie frisch geschliffenes Metall.

„Du hast meinen Sohn Bundoris Klauen entrissen“, sagte er schließlich ruhig: „Ich werde dir dafür ewig dankbar sein, doch es wird mich nicht daran hindern, dich zu töten, wenn du nur einen einzigen der hier lebenden Menschen ermordest!“

Koga schluckte. Der eisige, drohende Unterton in der Stimme Inu Taishos war nicht zu überhören gewesen. Spätestens jetzt sah er ein, dass die Suche nach einer neuen Heimat vielleicht eine reizvolle Alternative sein könnte.

„Wir könnten nach Norden ziehen“, schlug Aoi versöhnlich vor, „ich würde gerne nach den restlichen Überlebenden des Nordrudels suchen. Nicht alle haben sich damals an Fuyukos Rachefeldzug beteiligt. Fuyukos Vater hatte mehrere Brüder, die ihre eigenen Rudel geführt haben. Vielleicht könnten wir uns mit einigen von ihnen zusammenschließen, denn unser Rudel ist sehr klein geworden... Wärt Ihr damit einverstanden, wenn wir uns im nordwestlichen Kernland Eures Reiches niederlassen?“

Mit ihrer letzten Frage gewann Aoi wieder die volle Aufmerksamkeit des Hundefürsten.

„Ihr dürft gehen, wohin Ihr wollt“, antwortete ihr Inu Taisho bereitwillig: „Jeder Bereich meines Landes steht euch offen, mein Schutz und meine Hilfe bleibt euch ebenso gewährt. Solange ihr weiterhin meine Gesetze achtet.“

„Und Ihr habt auch nichts dagegen, wenn wir uns mit einigen von den Nordwölfen verbünden?“

„Warum sollte ich? Ich habe Chugo vertraut und ich vertraue auch dir. Ich weiß, dass du die alte Feindschaft zwischen Wölfen und Hunden nicht wieder aufleben lassen würdest. Vielleicht wird dir sogar gelingen, was mir nie gelang, und du wirst Hund und Wolf endgültig versöhnen.“
 

Aoi lächelte.

Inu Taishos Aussage freute sie und seine letzten Worte verrieten mehr über den Dämonenfürsten, als ihm vielleicht lieb war. Inu Taisho war einer der mächtigsten Dämonen seiner Zeit, vielleicht sogar der stärkste überhaupt. Doch er hatte nie den Wunsch besessen diese Macht auszunutzen. Alles, was er sich wünschte, war Frieden. Seine Herrschaft war zwar geprägt von häufigem Krieg und endlosen Kämpfen gegen seine Feinde, immer wieder wurde er verfolgt von Hass, Gewalt und Tod. Doch inmitten all dieser Feindschaft träumte er weiterhin von einem bescheidenen, friedvollem Leben in Glück. Dadurch zeigte der mächtige Dämonenfürst ein Stück seiner wahren Natur, das Stück einer gütigen, sanftmütigen Seele, die schwach war und verletzlich wie ein Kind. Dennoch oder sogar genau aus diesem Grund bewunderte Aoi ihn.

„Wohin wollt Ihr nun?“, fragte sie ihn, als sich Inu Taisho erhob und Anstalten machte die Wolfshöhle wieder zu verlassen: „Wollt Ihr nicht erst Eure Kleidung trocknen lassen und abwarten bis der Regen nachlässt?“

„Ich werde mich ein wenig in der Menschenstadt umsehen“, erwiderte der Dämonenfürst, „ich möchte wissen, was die Menschen weiter vorhaben.“

„Seid vorsichtig“, warnte Aoi, „die Mönche und Dämonenjäger, die seit längerem in der Stadt weilen, scheinen ihr Handwerk zu verstehen. Und wir wissen nicht, ob sie sich noch Verstärkung geholt haben.“

„Danke, ich werde auf mich aufpassen“, sagte Inu Taisho lächelnd, „Leb wohl, Aoi.“

„Lebt wohl. Vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder?“

„Vielleicht.“

Der Dämonenfürst verschwand.
 

Kaum war Inu Taisho draußen, fiel Myoga über ihn her.

„Mein Herr, das dürft ihr doch nicht machen“, beschwerte er sich, „ihr dürft auf keinen Fall in diese Menschenstadt gehen. Habt Ihr denn nicht richtig zugehört? Das ist gefährlich!“

Den Hundedämonen störten diese Beschwerden nicht, er ignorierte sie komplett und sprang munter die Berghänge hinab. Schnell kamen die ersten Menschensiedlungen in Sichtweite.

„MEIN HERR!“, kreischte Myoga voller Angst: „Ich bitte Euch, lasst das sein! Damit provoziert Ihr die Menschen doch nur und genau das, habt Ihr selbst gesagt, wollt Ihr doch vermeiden! Warum riskiert Ihr dann so etwas? Denkt dabei doch auch an meine kleine, besorgte Wenigkeit!“

„Oh, keine Sorge, ich denke schon an dich“, beruhigte Inu Taisho den kleinen Floh, „ich denke sogar sehr an dich. Du darfst sogar mal eine äußerst bedeutende Rolle spielen, denn ich brauche deine Hilfe. Du wirst für mich in die Stadt gehen.“

„Wa-wa-waaas?!?“

Der Flohgeist wurde von einem Moment auf den anderen derartig bleich, dass er wahrlich wie ein Gespenst aussah. Ich hätte abhauen sollen, dachte er.

„Dass die Menschen in den westlichen Bergen so verängstigt und in Alarmbereitschaft versetzt wurden, kann nur eines bedeuten“, erklärte Inu Taisho derweil: „Sie haben bemerkt, dass ich mehrmals in ihrer Stadt war. Der Krieg gegen die Drachen und mein Kampf gegen Bundori hat ihre Angst wahrscheinlich noch verstärkt. Und wenn Menschen Angst haben, reagieren sie meist aggressiv. Ich stimme dir daher zu, ich sollte ihre Stadt nicht mehr betreten. Deshalb wirst du das für mich erledigen, ein winziger Dämon wie du kann der Aufmerksamkeit von Dämonenjägern leichter entgehen.“

„A-a-aber was soll ich denn da?“, stotterte Myoga.

„Meine Gefährtin aufsuchen.“

„Eure...“

Schlagartig schwand Myogas Furcht und machte völliger Fassungslosigkeit Platz.

„Ich... soll... Eure... WAS aufsuchen?!?“

„Meine Gefährtin. Meine Gemahlin. Die Frau, die ich liebe. Ist das so schwer zu verstehen? Ihr Name ist Izayoi, sie ist die jüngste Tochter des hier herrschenden Menschenfürsten. Das dürfte als Information reichen, um sie zu finden.“

Myoga begann intensiv an seinem eigenen und Inu Taishos Geisteszustand zu zweifeln.

„Ihr habt eine Gefährtin?! Und... sie ist ein Mensch?“

„Das ist anzunehmen, wenn sie die Tochter eines Menschen ist, nicht wahr?“

„A-a-aber, mein Herr, wie...“

„Wir sind da, mach dich auf den Weg! Sag Izayoi, dass ich mein Versprechen halten werde und so bald wie ich kann zu ihr kommen werde. Und dann versuch herauszufinden, ob die warnenden Dämonenschutzkreise der Menschen irgendwelche Schwachstellen aufweisen. Und versuch nicht, dich heimlich aus dem Staub zu machen, sei dir sicher, das würdest du bereuen. Ich werde bis zum morgigen Mittag auf dich warten. Wenn du bis dahin nicht zurück bist, gehe ich davon aus, dass etwas schiefgegangen ist und besorge dir einen prachtvollen Grabstein zum Gedenken. Alles klar? Dann, viel Glück!“

„A-a-aber...“
 

All seine verzweifelten Einwände halfen nichts und all seine fassungslosen Fragen blieben unbeantwortet, Myoga musste sich in Schicksal fügen. Immerhin war er nun dermaßen perplex, dass er fast vergaß sich zu fürchten. Auf diese Weise ruhiggestellt hüpfte er davon.

Inu Taisho zog sich an den Rand der bewaldeten Berghänge zurück, verbarg all seine dämonischen Kräfte und setzte sich reglos wartend auf einen Baum. Der andauernde Regen tropfte wie Perlen von den Blättern, floß über seine Rüstung, tränkte seine seidene Kleidung und sein in der Dunkelheit schimmerndes, weißes Haar. Auch sein Fell war durchnässt und bot ihm nur wenig Schutz und Wärme. Doch diese Tatsache störte den Hundedämonen nicht. Geduldig wartete er weiter und auf eine seltsame Art und Weise war er glücklich. Glücklich in Erwartung auf die Erfüllung einer Sehnsucht.

„Liebste“, flüsterte er, „ich sehne mich so nach dir.“
 


 

Soweit das dreiundzwanzigste Kapitel.

Hoffen wir mal, dass alles gut geht und Inu Taisho und Izayoi sich bald wieder sehen können und ihnen wenigstens noch für eine kleine Weile etwas Glück gegönnt ist. Ehrlich gesagt, finde ich es gar nicht so toll, dass mein Drama zwangläufig leider nicht auf ein Happy End hinauslaufen kann... nun ja, was beschwere ich mich, selbst schuld...
 

Ihr würdet mir eine große Freude machen, wenn ihr mir wieder den einen oder anderen Kommentar schenkt. In diesem Zusammenhang möchte mich auch ganz herzlich für eure Geduld mit dieser Geschichte bedanken.

Verlockende Gefahr

Ausnahmsweise war ich mal ein ganz klein bisschen schneller mit dem Schreiben als zunächst gedacht und kann euch erfreulicherweise bereits heute ein neues Fanfic-Kapitel präsentieren.

Bevor es weitergeht eine Anmerkung:

In diesem Kapitel gibt es wieder einige Details, die möglicherweise vom Original-Manga abweichen. Das betrifft vor allem die Geschichte der beiden berühmten Schwerter Tessaiga und Tensaiga, bei denen sich Rumiko Takahashi wieder allerlei neue Dinge hat einfallen lassen. Ich habe deswegen lange herum überlegt, inwieweit ich meine Fanfic auf diese Neuerungen anpassen und umschreiben soll. Das hätte aber möglicherweise die künftige Story-Struktur zerstört, insbesondere, da ich ja nicht weiß, welche Überraschungen der Manga bis zu seinem Abschluss noch parat hält. Zudem muss ich ehrlich gesagt zugeben, dass mir Rumiko Takahashis neue Enthüllungen zu Tessaiga/Tensaiga teilweise nicht so ganz logisch vorkommen oder gefallen. So habe ich mich schließlich entschieden weitgehend bei der ursprünglichen Version meiner Fanfic zu bleiben. Trotz der Gefahr, dass meine Story kein perfektes Prequel mehr ist. Die Alternative wäre ansonsten abzubrechen und die Geschichte völlig neu zu schreiben, wenn Rumiko Takahashi mit Inu Yasha fertig ist... ob das die richtige Entscheidung wäre?!?

Nun kann ich nur auf eurer Verständnis hoffen und darauf, dass ihr die Geschichte trotzdem weiterhin mögt, auch wenn sie hin und wieder vom verehrten Original-Vorbild abweichen mag.
 

So...

Nachdem ich mir das vom Herzen geredet habe, möchte ich mich noch bei allen bedanken, die meine Illustration zu ‚Anfang aller Feindschaft‘ angeschaut und kommentiert haben. Hat mich sehr gefreut, dass das Bild (trotz seiner düsteren Stimmung) ganz gut ankam und so für eine gute Untermalung meiner Fanfic gesorgt hat. Vielleicht illustriere ich irgendwann wieder was... vielleicht... irgendwann... *g*

Doch jetzt endlich zur Geschichte, wir kommen zu Kapitel 24: Nach seinem Abstecher im Jenseits und seinem Besuch beim Schwertschmied Totosai treibt die Sehnsucht Inu Taisho in Izayois Heimat. Doch seine Vorfreude wird schnell gedämpft, denn die verängstigten Menschen in den westlichen Bergen haben mit Dämonenjagd begonnen. Izayoi hat deswegen vorsorglich ihre Heimatstadt verlassen. Noch weiß der Dämonenfürst nicht, dass das nicht die einzige Überraschung ist, die ihn erwartet. Und dass ihn und seine Lieben bald eine Welle weiterer Ereignisse überrollen wird...

Enjoy reading!
 


 

Neugierig bestaunte der junge Fuchsdämon Zuisou das weitläufige Schlossgelände und das vor ihm aufragende, prachtvolle Hauptgebäude, das der Dämonenfürst des Westens als Herrschaftssitz nutzte.

Niemals zuvor war Zuisou in einem Schloss gewesen. Füchse waren sehr naturverbunden, sie lebten lieber im Freien, in Höhlen, in Wäldern und Fluren. Am liebsten überall dort, wo es viel zu entdecken gab, denn auf gewisse Weise hatten sie einen sehr spielerischen Charakter. Aus Machtansprüchen und ähnlichen Dingen hielten sie sich dagegen vorzugsweise raus. Nicht dass Füchse zu feige oder zu schwach dazu gewesen wären, aber sie waren vorsichtig. Und sehr klug. Sie fanden immer genug Nischen, die ihnen ein schönes, erfülltes Leben im Verborgenen ermöglichten, fern von Gefahren und bösen Dingen, die das Leben der Mächtigen und Herrschenden bestimmten.

Natürlich war auch das Leben eines Fuchsdämonen nicht immer voller Sonnenschein und nicht immer einfach. Zuisou musste dabei nur an die Probleme mit seinem Vater denken. Der war nicht gerade das leuchtende Musterbeispiel von einem typischen Fuchs. Schon vor langer Zeit hatte der sich entschlossen den Weg eines tüchtigen Kämpfers einzuschlagen. Warum er das getan hatte, war Zuisou bis heute nicht so ganz klar, denn damit hatte er seiner Familie viel Leid gebracht. Zu gut erinnerte sich der junge Fuchsdämon noch an die vergossenen Tränen seiner alleingelassenen Mutter, die manchmal heimlich geweint hatte, wenn sie glaubte, ihr damals noch sehr kleiner Sohn würde es nicht bemerken.

Gut, es gab sicher Zeiten, da konnte man sich nicht aus allem heraushalten, da musste man Position beziehen und für die hoffentlich richtige, gute Seite kämpfen. Doch Zuisou hatte oft das Gefühl gehabt, dass sein Vater angebliche, kriegerische Pflichterfüllungen nur vorgeschoben hatte, um sich vor der Last der Verantwortung für seine Familie zu drücken. Er hatte ganz sicher nicht immer fort müssen, doch er kämpfte gerne, riskierte so auch gern sein Leben in manchmal wirklich unsinnigen Kämpfen und bescherte denen, die ihn liebten, dadurch zusätzlichen Kummer durch Sorgen. So etwas fand Zuisou nicht mutig oder ruhmvoll, sondern einfach nur egoistisch und mies, und das war auch der Grund, warum er dem Vorbild seines Vaters niemals nachgeeifert hatte. Wenn er mal eine Familie haben würde, würde er sich gut um sie kümmern und seinen Mut nur dann beweisen, wenn es wirklich nötig war.
 

Ein unwilliges Brummen des alten und krummbeinig neben ihm dahin wackelnden Dämonenschmieds holte Zuisou wieder aus seinen Gedanken.

„Also ein etwas kleineres Haus mit einem kleineren Garten hätte doch auch ausgereicht. Was wollen diese Fürsten nur immer mit ihren riesigen Schlössern? Da darf ich mir dann meine Hacken ablaufen, um eine Bestellung abzuliefern... Und wieso reagieren Wachposten eigentlich immer so cholerisch, was ist denn dagegen einzuwenden hier mit einer Kuh zu landen?“

„Vielleicht hättet Ihr nicht direkt auf dem Wachposten landen sollen, Meister“, bemerkte Zuisou: „Eure Kuh ist nicht gerade ein Leichtgewicht. Und der Kuhfladen, den Eurer Reittier dann auch noch mitten auf das Gesicht des fast erdrückten Soldaten platziert hat, war ebenfalls nicht sehr höflich...“

„Pah, gegen eine gute Verdauung ist doch ebenso nichts einzuwenden, das beweist doch nur, dass das Vieh gesund ist und was taugt! Außerdem ist es eine viel größere Frechheit, dass ich extra herkommen muss! Was soll denn das? Da erstelle ich ein grandioses Meisterwerk und der verehrte Kunde zeigt nicht einmal Interesse daran es abzuholen?!? Dieser blöde Köter, was fällt dem ein mich einfach so warten zu lassen?! ... Wenn meine Schwerter so gering geschätzt werden, mach ich in Zukunft eben nur noch Essbesteck, dann können sich die hohen Herren meinetwegen mit Suppenlöffeln die Köpfe einschlagen!“

Zuisou grinste. Die schimpfenden, beleidigenden Worte seines Lehrmeisters zeigten nur zu deutlich, wie sehr Totosai innerlich vor Eifer, Vorfreude und Stolz brannte. Er platzte geradezu vor Ungeduld sein Meisterwerk oder besser gesagt seine beiden Meisterwerke übergeben und präsentieren zu dürfen. Dass der Empfänger der Ware nicht gleich zum Termin der Fertigstellung erschienen war und seine Bestellung nicht sofort abgeholt hatte, hatte Totosai sehr verdrossen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es auf der ganzen Welt irgendetwas Wichtigeres geben konnte als die beiden Schwerter, die er geschmiedet hatte. Darum fühlte er sich zutiefst gekränkt.

Allerdings war Totosais gekränkte Eitelkeit nicht ganz unberechtigt. Er konnte wahrlich stolz auf seine Werkstücke sein, denn auch wenn diese rein äußerlich recht gewöhnlich aussahen, sie waren etwas ganz Besonderes!
 

Mit einem kurzen Blick sah der junge Fuchsdämon auf die beiden Schwerter, die Totosai neben seinem langstieligen Hammer in den Händen hielt. Der Griff des einen Schwertes wirkte zwar etwas stümperhaft in der Herstellung und würde wahrscheinlich schnell verfransen, denn in seiner Aufregung hatte Totosai bei diesem Erstlingswerk noch nicht auf ein schönes Erscheinungsbild geachtet. Doch das leicht schäbige Aussehen der Waffe tat dem Gelingen des Werks keinerlei Abbruch. Das zweite Schwert sah auch äußerlich sehr ordentlich aus, was der Tatsache zu verdanken war, dass Zuisou seinen Lehrmeister hatte überreden können ihm hier zumindest zuletzt bei der ästhetischen Abrundung helfen zu dürfen. Beide Klingen waren zudem wohl verwahrt in edel polierten Scheiden aus geschwärztem Magnolienholz. Diese Scheiden hatte ganz allein Zuisou gefertigt und auf sie war er nicht minder stolz als sein Meister auf die Waffen, die sie beherbergten. Totosai hatte bisher zwar nie anerkennende Worte dazu von sich hören lassen, aber er hatte die Scheiden widerstandslos für seine Meisterwerke akzeptiert und Zuisou wusste, dass das ein gewaltiges Lob war.
 

„Totosai... Das ist ja kaum zu glauben, du bist es wirklich! Ich dachte, nach der Sache mit diesem Kaijinbo hättest du dich völlig zurückgezogen. Aber als ich hörte, dass ein verrückter, alter Knacker mit Kuh und Hammer das Schloss überfallen und terrorisieren soll, konnte ich nicht an deiner Anwesenheit zweifeln...“

Der als verrückter, alter Knacker angesprochene Schmied kratzte sich am Kopf. Mit halb zusammengekniffenen Augen musterte er dann den Dämonen mit langen, silbergraufarbenen Haaren und wallenden Gewändern, der ihm auf der Treppe zum Herrschaftsgebäude entgegengekommen war.

„Aha, sieh an, den lieben Kurpfuscher Ieyasu gibt es auch noch! Dann war es wenigstens nicht ganz so unpraktisch hierher zu kommen. Hast du vielleicht ein gescheites Mittel gegen Rheuma?! Vielleicht ein schönes, heißes Kräuterbad? So was könnt ich jetzt gut gebrauchen.“

Ieyasu lächelte sanftmütig.

„Ein Bad und Gastfreundschaft kann ich dir und deinem jungen Begleiter sicher bieten. Aber das ist doch nicht der Hauptgrund, weshalb du hier bist, oder? Ich vermute, du suchst den Herrn. Leider ist er nicht da. Keiner weiß, wo er zur Zeit steckt.“

„Der Hund ist nicht hier?“

Diese Tatsache steigerte Totosais Verdruss. Sollte er seinem Auftraggeber etwa noch weiter hinterher laufen?

Die gleiche Frage stellte Zuisou auch, allerdings mehr aus Neugierde und eifriger Hilfsbereitschaft:

„Sollen wir Inu Taisho suchen? Mit den neuen Schwertern müsste das doch gehen, oder, Meister? Sie können uns zielsicher zu ihrem Besitzer führen!“

„Nein, noch haben die Schwerter ihn schließlich nicht als ihren Besitzer akzeptiert. Auch wenn sie aus seinem Fangzahn geschmiedet sind, sie haben durchaus ihren eigenen Willen. Das solltest du wissen, Grünschnabel! Und außerdem habe ich jetzt erst mal Hunger. In diesem riesigen Schloss gibt es hoffentlich auch eine Küche?!“ Fragend sah Totosai wieder zu Ieyasu.

Der Heiler lächelte erneut.

„Komm mit hinein, alter Freund. Ich werde den Haushofmeister beruhigen, dass es keinen Überfall gab, sondern dass wir Gäste haben, und ihm sagen, dass er etwas zu essen bereiten lassen soll. Dann kannst du mir ja erzählen, was es mit diesen Schwertern auf sich hat und was es sonst noch zu wissen gibt. Und vielleicht ist es ein Segen, dass du hier bist. Es gibt hier nämlich ein Problem, bei dem möglicherweise nur ein Schwertschmied helfen kann.“
 

Wenige Zeit danach saßen Zuisou, Totosai und Ieyasu in einem geräumigen Gastzimmer. Ein Diener brachte ihnen ein gewaltiges Tablett, auf dem einige frisch getötete Ferkel lagen. Totosai packte eines der Tiere an den Hinterbeinen und hob es geringschätzig in die Höhe.

„Na, von einer gehobenen Küche versteht Oyakata-sama ja immer noch nicht sehr viel. Essen hier etwa alle nur rohes Fleisch? Hach, die meisten Dämonen haben eben keinen Sinn für richtige Genüsse, da könnten sie von den Menschen noch was lernen!“

Nach diesen Worten blies der Dämonenschmied seine Backen auf und gab plötzlich einen gewaltigen Feuerstoß aus seinem Mund ab.

„AUA!“, schrie Zuisou. Er hatte ebenso wie das tote Schwein, auf das Totosais Feuer gezielt hatte, einiges von den Flammen abgekriegt. „Verdammt, Meister, Ihr könnt hier drinnen doch kein Grillfest veranstalten! Ihr fackelt noch das ganze Schloss ab!“

„Keine Sorge, dieses altehrwürdige Gebäude hat schon Schlimmeres erlebt. Und sein Holz ist ziemlich unverwüstlich“, beruhigte Ieyasu. Er schien die ganze Situation sehr zu genießen und sich prächtig zu amüsieren.

Vielleicht gab es im Schloss des Westens sonst nicht viel zu lachen, überlegte Zuisou, und vielleicht bot Totosai eine willkommene Abwechslung im täglichen Einerlei. Vielleicht galt er ja auch als senil und hatte Narrenfreiheit. Anders konnte sich der Fuchsdämon kaum erklären, warum niemand hier wirklich böse oder beleidigt auf das ungehobelte Verhalten des alten Schmieds reagierte.
 

Nachdem Totosai mit erstaunlicher Geschwindigkeit alle Ferkel gegrillt und komplett jeweils mit nur einem Schluck verdrückt hatte, betrachtete Ieyasu interessiert die beiden Schwerter, die der verschrobene Dämonengreis mitgebracht hatte.

„Hast du diese für Lord Inu Taisho geschmiedet?“

Totosai nickte, seine kugelrunden Augen nahmen einen völlig verzückten Ausdruck an. Ebenso begeistert und liebevoll streichelte er die vor sich liegenden Waffen.

„Es sind fantastische Schwerter“, schwärmte er, „mit nichts zu vergleichen... Und ihre Macht... Ja, einfach unvergleichlich! Wer diese beiden Schwerter in den Händen hält und sie zu führen vermag, wird Wunder vollbringen können. Ich kann es kaum erwarten sie in Aktion zu sehen. Es ist allerdings nicht ganz einfach damit umzugehen, würde ich sagen, sie sind ein bisschen... hmm, eigenwillig... Sie haben eine eigene Seele.“

Auf einen Schlag verdüsterte sich Ieyasus Blick.

„Eine eigene Seele? So etwas schmiedest du? Wie kannst du nur! Das hätte ich nicht von dir gedacht, dass du so etwas Verwerfliches tust. Willst du etwa Sou‘unga Konkurrenz machen?“

„Was sollen diese ungerechten Vorwürfe“, gab Totosai verärgert zurück, „der Herr hat ausdrücklich eine Waffe verlangt, die Sou‘unga ebenbürtig ist. Und er hat mir selbst das Material besorgt, mit dem ich so etwas erschaffen konnte. Genau wie Sou‘unga können diese Schwerter nun je eine Welt beherrschen, und zwar den den Himmel und die Erde. Aber sie sind nicht böse, sie tragen die Urkräfte des Lebens, die Vereinigung aus Werden und Vergehen, aus Schöpfung und Zerstörung in sich. Sie können nicht wahl- und grundlos morden. Um mit ihnen kämpfen zu können, muss der Schwertkämpfer ebenso das Leben achten und schützen wollen. Ohne ein mitfühlendes Herz geht da gar nichts!“

Ieyasu sah nun sehr nachdenklich aus. Er schwieg eine Weile, dann fragte er gedankenverloren weiter:

„Inu Taisho-sama wollte also eine Waffe haben, die es mit Sou‘unga aufnehmen kann... Weshalb kam er dann aber erst jetzt auf so eine Idee, wenn so etwas möglich ist... Das muss wohl etwas mit seinem Aufenthalt im Reich des Todes zu tun haben und mit der Tatsache, dass dort offenbar etwas mit Sou‘unga geschehen ist. Ob das möglicherweise auch etwas zu tun hat mit dem Preis für Sesshomarus Leben...?“

Erschreckt brach Ieyasu ab, als ihm bewusst wurde, dass er in seiner Verwirrung laut gedacht hatte und ihn Zuisou und Totosai nun ziemlich perplex und fragend anstarrten. Fast hatte er in seiner Unachtsamkeit etwas verraten, worüber fast niemand etwas wissen durfte. So etwas war ungewöhnlich für den Heiler, er handelte eigentlich immer sehr bedacht. Irgendwie mussten ihn all die letzten, dramatischen Ereignisse doch sehr mitgenommen haben. Verlegen sah er zu Boden.

„Ich... Ich habe nur etwas herumgegrübelt, bin etwas durcheinander... Achtet nicht auf meine Worte, sie haben keine besondere Bedeutung.“

Totosai ließ aber nicht so leicht locker, wenn etwas sein Interesse geweckt hatte. Insbesondere, wenn das etwas mit seiner Arbeit zu tun haben könnte. Beim Schwerterschmieden war ihm nämlich etwas Merkwürdiges aufgefallen und er wollte zu gern wissen, was das zu bedeuten hatte.

„Der Hund war also im Reich des Todes? Das würde einiges erklären... das eine Schwert da, das Schwert des Himmels hat nämlich eine komische Eigenschaft aus Inu Taishos Fangzahn übernommen, es hat eine Verbindung zum Jenseits. Darauf beruhen seine Fähigkeiten. Was hat Oyakata-sama denn mit dem Tod zu schaffen gehabt? Und was soll das mit seinem Sohn Sesshomaru, ich hab gehört, der ist ermordet worden?!“

„Bitte“, bat Ieyasu fast flehentlich und sah hektisch zu Zuisou, „ich darf dazu nichts sagen, es darf niemand erfahren, was da geschehen ist.“

„War der Hund etwa so wahnsinnig und hat seinen Sohn aus dem Jenseits rausgeholt?“ Totosai ließ sich nur selten das Wort verbieten. „Ich weiß, dass Sou‘unga irgendwas in der Richtung können soll, angeblich kann man damit den Tod höchstpersönlich herausfordern. Ich weiß allerdings auch, dass das eine sehr böse Sache ist, die man lieber lassen sollte. Ein teuflischer Pakt sozusagen... Und jetzt gibt es Probleme, oder? Typisch für unseren großartigen Köter... Was genau ist passiert?“

„Der Herr hat mir nichts Genaueres erzählt...“

Wieder brach Ieyasu kurz ab und sah zögernd von Totosai zu Zuisou.

„Also gut“, fuhr er schließlich fort, „ich sage euch beiden, was ich weiß. Denn ich könnte tatsächlich auch eure Hilfe brauchen. Ich denke, der Herr wäre damit einverstanden, aber ihr müsst natürlich versprechen ansonsten darüber zu schweigen... Es ist wahr, Sesshomaru ist nicht tot, er lebt, er wurde wiedererweckt. Sein Erwachen war zwar sehr... sehr traumatisch und er ist noch lange nicht über den Berg, aber er lebt.“

Ieyasu machte eine kurze Pause und überlegte, ob er noch mehr über die momentane Verfassung des Fürstensohns erzählen sollte, entschied sich aber sofort dagegen. Das ging niemanden sonst etwas an und wäre sehr taktlos. Es würde schon schwer genug werden dem Fürsten davon zu berichten. In diesem Sinne war Ieyasu fast froh, dass sein Herr nicht mitbekam, was Sesshomaru zur Zeit alles durchmachte. Sicherlich konnte Inu Taisho etwas von dem Leid und dem Trauma seines Sohns erahnen, aber richtig vorstellen konnte er es sich vermutlich bisher nicht. Es hautnah erleben zu müssen, war noch eine ganz andere Sache. Es hätte den Dämonenfürsten sicher zutiefst getroffen und in der Seele geschmerzt, hätte er seinen Sohn in seinem jetzigen Zustand gesehen. In dem Zustand eines gepeinigten, daher rasenden und zwanghaft gebändigten, gefangenen Raubtiers...

Der Heiler schüttelte kurz seinen Kopf und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch mit Totosai und dessen Schüler:

„Inu Taisho-sama war im Jenseits und hat die Seele seines Sohnes zurück ins Leben geholt. Ich weiß nicht, wie er das geschafft hat, was er getan hat oder eventuell dafür bezahlen musste. Und ich weiß auch nicht, was Sou‘ungas Beitrag dazu war, aber das Höllenschwert hatte sicher was damit zu tun. Es hat sich verändert, sagt Saya. Es ist stärker, noch gefährlicher geworden, es lässt sich kaum bändigen. Inu Taisho-sama hat es hier im Schloss gelassen und jetzt versucht es massiv sich aus seiner Gefangenschaft zu befreien. Wir müssen irgendwas tun bis der Herr zurück ist. Ich fürchte, er selbst hat Sou‘ungas Macht auch unterschätzt und wird es künftig sehr schwer haben den bösartigen Geist der Klinge zu unterdrücken.“
 

Zuisou hatte atemlos zugehört, von einer Minute zur anderen war er vertrauensvoll in Dinge eingeweiht worden, die so unheimlich waren, dass sie fast sein Verständnis überstiegen. Sou‘unga war ihm natürlich schon ein Begriff, sein Vater hatte dieses Schwert vor gar nicht so langer Zeit in Aktion erlebt. Totosai hatte Zuisou auch davon erzählt, als eingefleischter Schmied kannte sich der mit fast jedem Schwert aus. Aber die ganzen merkwürdigen Ereignisse drum herum, von denen Ieyasu nun erzählt hatte, waren fast noch spannender.

Inu Taisho war im Jenseits gewesen? Sein Sohn war nicht tot, war wiederbelebt worden? Und jetzt suchte der Hundefürst nach einem Weg, wie er das Höllenschwert besiegen könnte? Deswegen hatte er ja wohl von Totosai die beiden guten Schwerter schmieden lassen, oder? Oder wofür sonst? Wusste Sou‘unga davon und versuchte sich gegen diese Gefahr zu wehren? Was würde das alles letztendlich für Konsequenzen haben?
 

Totosai war ebenfalls in Grübeln versunken, nachdenklich kratzte er an seinem Kinn herum.

„Ich kann mir Sou‘unga ja gern mal angucken, aber helfen und was machen kann ich da sicher nicht. Direkt anfassen können wir es ja nicht, außer an seiner Scheide... Hmm, und Saya wird auch kaum mehr mit dem Schwert fertig, sagst du?!“

„Wer ist Saya?“, fragte Zuisou dazwischen.

„Ein Schutzgeist“, erklärte Ieyasu, „er kann sehr mächtige Bannkreise aufbauen und kann so auch Sou‘unga versiegeln, wenn der Lord es nicht bei sich trägt. Er schirmt Sou‘unga vor Missbrauch ab und schützt die gefährliche Macht der Waffe, quasi wie eine Scheide das Schwert. Daher auch sein Name. Doch wenn er nur einmal nicht richtig aufpasst, könnte das Schwert ihm vielleicht entkommen... Und Saya hat eine kleine Schwäche, er schläft sehr gerne...“

„Dann fesselt diesen Saya doch einfach magisch an Sou‘unga“, schlug Zuisou vor, „so, dass er unablösbar daran klebt, dass er sozusagen echt und selbst zur Scheide wird. Dann ist er immer da, wo das Schwert ist und Sou‘unga kann tun, was es will, es kann nix machen, ohne dass Saya es merkt!“

Totosai und Ieyasu starrten erst verblüfft den Fuchsdämonen, dann sich gegenseitig an. Auf so eine seltsame Idee wäre sogar der verrückte Schwertschmied nicht gekommen.

„Hey, manchmal ist dieser dämliche Fuchsbengel gar nicht so schlecht zu gebrauchen...“, meinte Totosai, „das könnte tatsächlich funktionieren! Zumindest für ‘ne Weile. Mit deinen magischen Kräften dürftest du so etwas hinkriegen, Ieyasu, ich helfe dir gerne und sag dir, worauf du achten musst.“

Der Heiler war sich zwar nicht sicher, wie es Saya gefallen würde, fesselte man ihn untrennbar an ein böswilliges Schwert. Aber es war zumindest vorübergehend vielleicht wirklich eine Lösung. Und eine Lösung musste her, und zwar rasch. Niemand, selbst Inu Taisho nicht, konnte schließlich sonst pausenlos auf das um seine Freiheit kämpfende Schwert aufpassen.
 

Ieyasus Blick wanderte nun noch einmal zu den beiden Schwertern, die Totosai geschmiedet und mitgebracht hatte. Welches Geheimnis, welche Macht verbarg sich in diesen? Sie waren außergewöhnliche Klingen, das spürte der magiebegabte Heiler, auch wenn er sich mit Waffen nicht gut auskannte. Vielleicht konnten sie sogar Sou‘unga besiegen. Doch irgendetwas an den Schwertern war auch sehr seltsam: einerseits waren sie wie Zwillinge, wie die Kinder eines Vaters und waren anderseits doch einander so unterschiedlich, dass sie sich gegenseitig abzustoßen schienen. Ieyasu war sich sicher, dass die beiden Waffen insbesondere, wenn sie gemeinsam eingesetzt wurden, eine erstaunliche Macht besaßen. Er war sich aber ebenso sicher, dass sie sich nicht von einer einzigen Person zusammen und gleichzeitig einsetzen ließen. Wenn Inu Taisho damit wirklich gegen Sou‘unga kämpfen wollte, wie wollte er das allein dann tun? Das war unmöglich, auch deswegen, weil er als Träger von Sou‘unga nicht gegen sich selbst kämpfen konnte. Oder hatte er einfach nur neue Waffen als Ersatz für Sou‘unga haben wollen, weil er sich davor fürchtete das Höllenschwert noch einmal einzusetzen? Was wusste oder wollte Inu Taisho? Was hatte er im Jenseits erlebt, als er mit Sou‘unga gegen den Tod und um das Leben seines Sohns gekämpft hatte?

Die Fragen nahmen kein Ende, doch es hatte keinen Sinn sich weiter damit zu beschäftigen, entschied Ieyasu. Vielleicht würden sich die Antworten irgendwann von selbst finden lassen, vielleicht würde das auch ewig ein Geheimnis bleiben.

Der Heiler stand auf.

„Nun gut, dann binden wir Saya an Sou‘unga. Vorläufig ist das wohl wirklich die einzige Lösung, um das Höllenschwert für eine Weile zu bändigen. Und dann hoffen wir, dass unser Herr bald zurückkehrt und dass er stets weiß, was er tut.“
 

* * * * *
 

Nicht immer wusste der Herrscher des Westens, was er tat. Die Gabe der Vorhersehung besaß er nicht, und hätte er solch eine Gabe besessen, hätte er wahrscheinlich nicht immer darauf geachtet. In vielerlei Hinsicht ähnelte der Hundedämon darin den Menschen, die manchmal aus einem Gefühl heraus etwas taten, das möglicherweise gegen jedes bessere Wissen lief.

Glücklicherweise ist Inu Taisho nicht allein, dachte der Flohgeist Myoga, sondern hat getreue Gefährten wie mich, die ihn zur Not warnen können. Sonst würde er sicher öfters blindlings in sein Verderben rennen. So wie beispielsweise jetzt, als er schnüffelnd auf Fährtensuche durch die Wälder Richtung Süden jagte, um etwas absolut Unvernünftiges zu tun.

Kein Zweifel, der sonst so übermächtige, scheinbar unbesiegbare und unfehlbare Dämonenfürst war nicht mehr ganz Herr seiner Sinne, es musste ihn tatsächlich schlimm erwischt haben!
 

Izayoi...

Dieser Name war fast alles, was Myoga bisher über die Frau wusste, die Inu Taishos Herz erobert hatte und die den Hund nun wortwörtlich zu seinem Frauchen rief. Wie hatte sie das nur geschafft? Sie war doch nur ein einfacher, schwacher Mensch, ein Wesen, das von den meisten Dämonen kaum geschätzt, sogar verachtet oder gehasst wurde.
 

Eine einfache Menschenfrau...

Auch Inu Taisho selbst konnte die Frage nicht beantworten, wie Izayoi es geschafft hatte sich in sein Herz zu schleichen und es zu heilen. Für Jahrhunderte hatte der Hundefürst seine intimsten Gefühle stets vor jedem und allem verborgen. Nachdem er einmal zu oft verletzt worden war, hatte er niemals mehr jemanden wirklich vertrauen wollen, niemals mehr jemanden lieben wollen. Seine Verschlossenheit war sein Schutz gewesen. Leider hatten so alle, die sich währenddessen vergeblich um seine Aufmerksamkeit bemüht hatten, insbesondere sein Sohn, schwer darunter gelitten, dass Inu Taisho sich niemandem mehr hatte öffnen können.

Eine einfache Menschenfrau hatte nun begonnen all diese Mauern einzureißen Durch ihre Liebe hatte Inu Taisho sein Vertrauen wieder gefunden. Als er dann auch noch seinen Sohn verloren hatte, ihm nur noch Izayoi geblieben war, hatte er erkannt, wie kostbar das war. So hatte er den Glauben an die Liebe zurück gewonnen. Einfach, weil diese Liebe da war und niemals verging, was auch immer sonst geschah.

Es war nicht verwunderlich, dass es Inu Taisho nun kaum mehr erwarten konnte seine Geliebte endlich wieder zu sehen.

Dementsprechend war seine Enttäuschung fast grenzenlos, als Myoga ihm berichtete, dass Izayoi nicht am vermuteten Ort war. Seine Niedergeschlagenheit verschwand allerdings schnell, als er mehr von seinem winzigen Diener erfuhr.
 

Der kleine, ängstliche Flohgeist hatte erstaunlicherweise mal eine beachtliche Leistung erbracht. Es war ihm gelungen völlig unbemerkt von Dämonenjägern, Mönchen und anderweitig magisch begabten Menschen in Izayois Heimatstadt und ihr Heimatschloss zu gelangen. Auch als Spion hatte er sich nicht ungeschickt angestellt. Er hatte rasch herausgefunden, dass die jüngste Prinzessin des Hauses mit einer größeren Begleitgruppe und vielen Geschenken Richtung Süden in den Herrschaftsbezirk eines jungen, der Familie angeheirateten Provinzfürsten gereist war. Izayois Vater hatte sich die Unterstützung seines Schwiegersohns sichern wollen und deswegen eine Gesandtschaft für politische Verhandlungen in den Süden geschickt. Izayoi hatte diese Gelegenheit angeblich nutzen wollen, um ihre Schwester zu besuchen, und war daher mitgekommen.

Inu Taisho versetzten diese Informationen nach dem Abklingen der ersten Enttäuschung in Hochstimmung. Izayoi hatte sich also an einen Ort begeben, den er um einiges leichter und unauffälliger erreichen konnte als eine von Dämonenjägern überfüllte, in höchste Alarmbereitschaft versetzte Stadt. Und er zweifelte keinen Augenblick daran, dass genau das Izayois Absicht gewesen war. Ohne Zögern setzte er sich deshalb sofort auf ihre Fährte.

Die Spur ausfindig zu machen war zwar nicht leicht, denn der andauernde Regen hatte alle Gerüche verwischt, aber Inu Taisho war schließlich nicht irgendwer. Er war der Herr der Hunde und mit seiner Spürnase konnte er fast alles und jeden finden.
 

Myoga konnte die Begeisterung seines Herrn nicht ganz teilen. Auch wenn es woanders vielleicht nicht von Dämonenjägern wimmelte, ungefährlich war es auch bei den Menschen weiter im Süden nicht. Im Gegenteil, gerade in diesen Landen hatten die Menschen ziemlichen Respekt vor höheren Mächten, weil sie damit schon oft Bekanntschaft gemacht hatten.

Vor mehr als sechs Jahren, vor dem Krieg gegen die Wölfe, hatte es beispielsweise mal ganz weit im Südwesten an der Küste einen kleinen dämonischen Konflikt gegeben, an dem auch Inu Taisho beteiligt gewesen war. Das Ganze war nur eine relativ kurze Sache gewesen, allerdings heftig. Die freigesetzten, dämonischen Energien hatten als Nebenwirkung einen Taifun entfesselt, der dann über die Meeresküsten gefegt war und dort versehentlich eine große, menschliche Flotte zerlegt hatte. Die in Japan lebenden Menschen waren über das Unglück zu Inu Taishos Erleichterung zwar überhaupt nicht betrübt gewesen, weil es sich bei der zerstörten Flotte um irgendwelche feindliche Invasoren gehandelt hatte, und der Taifun war sogar als kami kaze, als göttlicher Wind, gefeiert worden. Aber sonst brachten solche Demonstrationen überirdischer Kräfte meist nur Nachteile mit sich, weil sie zusätzlich Angst schürten. Ein weiteres Beispiel war Inu Taishos letzte Auseinandersetzung mit Bundori, als ganze Landmassen umgestaltet worden waren. Das hatte ja auch nicht dazu beigetragen, Ängste vor unbekannten, dunklen Mächten zu verringern.

All diese Bedenken bezüglich möglicher Gefahren waren jedoch sinnlos. Denn wie sollte ein kleiner Floh einen liebestollen Hund aufhalten? Mit vernünftigen Argumenten hatte er da bisher jedenfalls keine Chance gehabt. Außerdem konnte Myoga nicht verhehlen, dass er mittlerweile viel zu neugierig auf diese mysteriöse Izayoi geworden war. Er wollte, er musste unbedingt die Frau kennen lernen, die es geschafft hatte seinen Herrn derartig in ihren Bann zu schlagen. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen, und vielleicht konnte er, Myoga, sich dabei als nützlich erweisen, falls da böse Magie am Werk war. Gegen weibliche Hinterlist und tückische Verführungskünste war er immun, da war er sich sicher. Er kannte sich schließlich bestens mit jeder Art von Frauen aus, war aber nichtsdestotrotz ein eingefleischter Junggeselle, ihn konnte garantiert kein weibliches Wesen unwillentlich bezaubern!
 

Es wurde sehr mild. Der Regen hatte aufgehört und der Hundedämon kam mit seinem Flohbegleiter in eine wärmere Klimazone. Bambuswälder mischten sich unter die Vegetation. In kühleren Tälern herrschten Laubbäume vor. Zuletzt durchquerte Inu Taisho einen lichten Birkenwald und erreichte schließlich eine Anhöhe, von der aus er auf ein von Menschen besiedeltes und landwirtschaftlich genutztes Gebiet hinausschauen konnte. Die ersten Sonnenstrahlen brachen durch die dichte Wolkendecke und tauchten die Landschaft in ein angenehmes, goldenes Licht. Nicht weit entfernt befand sich ein Schlossgelände. Der Wind kam aus dieser Richtung und brachte die vielfältigsten Gerüche mit sich. Darunter auch eine winzig kleine, hauchfeine, kaum wahrnehmbare und doch bedeutungsvolle Witterung. Eine jedenfalls für Inu Taisho sehr bedeutende Witterung , denn dies war der Duft derer, die ihn her gerufen hatte.

„Izayoi...“

Endlich konnte er sein Versprechen erfüllen, endlich würde er sie wieder sehen.
 


 

Soweit das vierundzwanzigste Kapitel.

Ich weiß, einige von euch wollten unbedingt wissen, was mit Sesshomaru ist, und jetzt kam er schon wieder nur indirekt vor (*sorry*). Aber, wie ihr seht, hat Ieyasu das heikle Erwachen des Fürstensohns heil überstanden, es muss ihm also gelungen sein den physisch und psychisch stark angeschlagenen Dämonen zu zähmen. Was genau passiert ist, erfahrt ihr schon noch. Bedenkt bitte, wie angeknackst Sesshomaru ist, nachdem er gerade erst von den Toten auferstanden ist, da kann ich ihn nicht gleich wieder bei jeder Gelegenheit einsetzen. (Ihr müsst dem armen Kerl eben auch mal ein bisschen Ruhe und Erholung gönnen! *g*). Abgesehen davon gibt es ja genug andere Dinge, die ebenfalls noch erzählt werden müssen. Nach Ryokossei und Yoshio beispielsweise wurde ja schließlich auch gefragt...

Keine Sorge, kommt alles noch! Ich habe nie behauptet, dass diese Geschichte schnell zu Ende ist!^^
 

Noch ein informativer Nachtrag:

Die kami kaze, die soggenannten ‚göttlichen Winde‘, die in diesem Kapitel von Myoga gedanklich erwähnt wurden, gab es wirklich. Sogar zweimal. Im November 1274 kam es zu einem mongolischen Angriffsversuch auf Japan. Kublai Khan schickte dabei von Korea aus eine Flotte nach Kyushu. Die Mongolen besetzten, plünderten und zerstörten Hakata. Tags darauf kam es für die Angreifer jedoch zum Desaster, ein Sturm vernichtete fast ihre komplette Flotte, das gescheiterte Unternehmen soll über 13.000 Todesopfer gekostet haben. Für die Japaner dagegen bedeutete das eine wundersame Rettung. Nach fast sieben Jahren, im Sommer 1281, starteten die Mongolen mit ihren Verbündeten aus Korea und China einen neuen Angriffsversuch, der aber erneut scheiterte und nach zwei Monaten schließlich teils wieder in einem Taifun unterging. Danach wurde Japan von außen lange nicht mehr angegriffen und schottete sich viel später auch lange von der Außenwelt ab.

(Sicher habt ihr jetzt erraten, dass die ‘göttlichen Winde‘ in meiner Geschichte auch zum zweiten Mal eine kleine Rolle spielen werden, ich kann solchen Anspielungen einfach nicht widerstehen.^^)
 

Anmerkungen, Lob und nützliche Kritik sind jederzeit herzlich willkommen.

*alle Leser dankbar umarm*

Augenblick und Ewigkeit

Es ist mir gelungen zumindest die zweite, mir selbst gesetzte deadline einzuhalten. So präsentiere ich euch nun ganz stolz ein neues Kapitel meiner nicht enden wollenden Fanfic II (höchste Zeit wird‘s, herzlichen Dank für eure bestaunenswerte Geduld!).

Zu Kapitel 25: Nach seinem gefährlichen Kampf gegen Bundori, seinem noch gefährlicherem Gang durch die Hölle und den danach beunruhigenden Geschehnissen in den westlichen Bergen und auf seinem Schloss, findet Inu Taisho nach langer Suche zurück zu seiner geliebten Izayoi. Diese kämpft währenddessen mit einem einschneidenden Geheimnis und einer schweren Entscheidung. Denn die Liebe zwischen dem Dämonenfürst und der Menschenfrau blieb ja nicht ohne Folgen...

Enjoy reading!
 


 

Den Tagen des Regens folgten Tage voller Wärme und Sonnenschein. In Form von schwülen Nachmittagsstunden schickte der nahende Sommer seine ersten Vorboten. Trotz dieser drückenden Hitze herrschte in der reichen Provinz im Südwesten Japans reges Treiben. Nach der tagelangen schlechten Witterung trieb es die Menschen ins Freie und zur Arbeit auf die Felder.

Besonders im Herrschaftssitz des jungen Provinzfürsten ging es zu wie in einem emsig arbeitenden Bienenstock, denn dort wurde ein Gartenfest vorbereitet. Die Aussicht auf die kommenden Feierlichkeiten stimmte sämtliche Schlossbewohner ausgesprochen aufgeregt und fröhlich. Kein Mensch bemerkte daher, dass alles und jeder im Schloss genauestens von aufmerksamen Dämonenaugen beobachtet wurde. Allerdings war der Dämon, dem diese Augen gehörten auch dermaßen klein, dass er sehr leicht übersehen werden konnte.
 

Manchmal ist es vielleicht doch ganz praktisch nur ein winziger Floh zu sein, dachte Myoga, während er unbemerkt durch den Schlossgarten hüpfte und sich dabei überall eifrig suchend und neugierig umsah.

Wo steckte nur diese ominöse Izayoi?

Der kleine Flohgeist musste sich beeilen, er musste diese Menschfrau schnell finden und ihr seine Botschaft ausrichten. Ansonsten würde er wohl nicht verhindern können, dass sein Herr etwas ausgesprochen Dummes tat. Es war schon schwer genug gewesen Inu Taisho davon zu überzeugen vorerst noch weitere Vorsicht walten zu lassen und zu warten. Denn der ungeduldige Hund wäre am liebsten Hals über Kopf und ohne Gedanken an eventuelle Gefahren zu seiner Geliebten gestürmt.

Im Schloss von Izayois Schwager und Schwester schien es zwar keine Dämonenjäger zu geben, aber es war sicher besser kein Risiko einzugehen. Deshalb hatte Myoga dieses Mal freiwillig seine Dienste als Kundschafter und Bote angeboten, um seinen Herrn vor Schaden zu bewahren. Erfreulicherweise verrieten ihm seine unfehlbaren Instinkte zudem, dass er hier nichts zu befürchten hatte, also wohl auch nicht allzu viel riskieren würde. Und wenn Myoga ganz ehrlich war, gab es sogar noch einen dritten Grund, warum die Suche nach Inu Taishos neuer Gefährtin eigentlich eine sehr reizvolle Aufgabe sein konnte: es bot eine unwiderstehliche Chance einige angenehme Seiten des Lebens zu genießen.

Ein paar junge, hübsche Dienerinnen kamen vorbei und begannen Lampions im Garten aufzuhängen. Sie hatten verlockend rosige Haut und rochen herrlich. Myoga stierte die Menschenfrauen unverwandt an, er konnte die Adern an deren Hälsen pochen sehen und fühlte plötzlich unstillbaren Hunger. Sicherlich war es nicht besonders schlimm, wenn er die Suche nach Izayoi noch ein bisschen verzögerte. Inu Taisho würde schon einsehen, dass so eine Mission nun mal etwas Zeit benötigte. Um ein paar Minuten mehr oder weniger kam es sicher nicht an. Mit diesem tröstlichen Gedanken sprang der Flohdämon begierig den Dienerinnen nach.
 

Währenddessen saß die von Myoga gesuchte Person in einem anderen Teil des weitläufigen, prachtvollen Schlossgarten am Rande eines künstlich angelegten Seerosenteichs und blickte starr auf die spiegelglatte Wasseroberfläche. Sie war ganz allein und ihr trauriger Gesichtsausdruck passte nicht zu der sonst vorherrschenden Fröhlichkeit im Schloss. Eine Träne rann über ihre Wange, tropfte ins Wasser und verzerrte das schöne Gesicht, das ihr aus dem Teichspiegel entgegenblickte. Ihre zierlichen Hände umkrampften einen kleinen Seidenbeutel, der in ihrem Schoß lag und schwach nach Kräutern duftete.

„Ich kann das nicht“, flüsterte sie leise, „bei allen Göttern, ich kann das nicht! Ich will das nicht... aber was soll ich denn sonst machen? Ich weiß nicht, ich habe solche Angst und es tut mir so leid... Mein Kind... verzeih mir... Oh, ihr Götter, was soll ich nur tun...?!“

Izayois Worte erstickten in einem leisen Schluchzer, verzweifelt presste sie den kleinen Seidenbeutel in ihrem Schoß mit einer Hand gegen ihre Brust und fasste mit der anderen Hand an ihren Bauch.

Es gab keine Zweifel mehr. In ihrem Innersten hatte die Prinzessin die Wahrheit schon von Anfang an geahnt, sie hatte es nur nicht wahrhaben und glauben wollen. Und auch wenn sie immer noch nichts direkt spüren konnte, wusste sie es nun sicher: sie war schwanger.
 

Von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag fühlte Izayoi stärker, wie ein neues Leben in ihr wuchs. Es brannte förmlich in ihr. Manchmal hatte sie sogar das Gefühl, es würde sie von innen her verzehren.

Izayois Gedanken schweiften ab, sie hörte wieder die eindringliche Stimme ihrer Amme. Diese hatte den Verdacht einer Schwangerschaft bestätigt und danach ihren Schützling angesehen, mit einem Blick, der Trauer und Mitleid ebenso wie eine deutliche Warnung ausgedrückt hatte.

„Du darfst dieses Kind auf keinen Fall bekommen“, hatte die alte Frau gewarnt, „in dir wächst der Same eines Daiyoukai, es wird dich umbringen. Und falls du die Geburt wider Erwarten doch überleben solltest, wenn es nicht das Kind ist, das dich tötet, so wird es ein anderer sein. Weder Mensch noch Youkai werden dich und das Kleine jemals akzeptieren. Du wirst in ewiger Angst leben müssen, in Angst um euch beide, für immer von allen verfolgt, verachtet und gehasst.“

„Das würde ER nicht zulassen, er würde uns beschützen“, hatte Izayoi zaghaft eingewendet, im Wissen, dass Inu Taisho sie niemals im Stich lassen würde.

„Vielleicht... doch dann würdest du auch ihn in höchste Gefahr bringen“, hatte die alte Amme unerbittlich weiter gesprochen: „Er ist schließlich ein Dämonenfürst, jemand wie er darf sich keine Schwächen erlauben. Er würde durch dich seine Ehre verlieren, er wäre ein Geächteter unter seinesgleichen und seine Getreuen würden sich von ihm abwenden. Willst du das? Willst du schuld an seiner Vernichtung sein?“

Nein, das wollte Izayoi keinesfalls. Schweren Herzens hatte sie daher ihrer Amme zugestimmt. Inu Taisho durfte niemals von der Schwangerschaft erfahren und das Kind ihrer beider Liebe durfte niemals geboren werden.
 

Wenige Tage später hatte Izayoi von ihrer Amme heimlich einen Beutel aus Seide in die Hand gedrückt bekommen, den Beutel, den sie nun in Händen hielt. Darin war ein schwärzliches Pulver verborgen, zubereitet aus Wurzeln und Kräutern, die Rettung und Tod verhießen. Rettung für Izayoi und ihre Liebe, den Tod für das unschuldige, wachsende Wesen in ihrem Bauch.

„Tu es bald“, hatte Izayois Amme nochmals gewarnt, „zögere nicht zu lange, sonst ist es dafür zu spät. Die Entscheidung liegt allein in deiner Hand.“

Doch das war eine Entscheidung, die zu schwer für Izayoi war. Sie beugte sich über den idyllischen Teich, an dessen Ufer sie saß, sah in die Augen ihres Spiegelbilds und unterdrückte weitere Tränen. Wie sollte sie es nur über sich bringen ihr eigenes Kind zu ermorden?

Ich will das nicht, dachte sie verzweifelt, ich kann es nicht.
 

Ein leichter, kaum spürbarer Stich an ihrem Hals riss die Prinzessin aus ihren Gedanken.

„Aah... Das ist ja köstlich, einfach köstlich...“, ließ sich eine unsichtbare Stimme ganz nah vernehmen: „So langsam kann ich Oyakata-samas Geschmack verstehen, das ist ja süßer als alles, was ich bisher hier so gekostet habe...“

Die geheimnisvolle Stimme verstummte und Izayoi spürte ein weiteres Pieksen, nur wenig unterhalb des ersten Stichs. Blitzschnell schlug sie darauf und blickte dann äußerst verwundert auf ihre Handfläche. Darauf lag ein winziges, platt gedrücktes Wesen. Dieses Ding hatte gewisse Ähnlichkeit mit all dem lästigen Ungeziefer, das Mensch und Tier sonst belästigte, sah aber irgendwie doch völlig anders aus. Es war etwas größer als gewöhnliche Flöhe oder Wanzen, hatte sogar teils menschliche Gesichtszüge. Und was für ein seltsames Insekt konnte das denn sein, das Kleidung trug und sprechen konnte?

Der Winzling begann sich zu rühren, schüttelte sich etwas und blähte dann seine platt gedrückte Gestalt zu einem rundlichen Körper auf. Etwas verlegen sah er zu Izayoi auf, lüftete ein wenig einen imaginären Hut und verbeugte sich förmlich.

„Ist meine Annahme richtig, dass ich die Ehre habe mit der Hime Izayoi-sama zu sprechen?“

Für einen kurzen Moment glaubte Izayoi einer Halluzination erlegen zu sein. Vorsichtig sah sie sich um, ob sie jemand beobachten konnte, dann wandte sie sich wieder dem merkwürdigen Kerlchen auf ihrer Hand zu.

„Wer bist du?“, fragte sie: „Woher kennst du mich?“

„Verzeiht, ich vergaß mich vorzustellen. Mein Name ist Myoga. Ich bin der engste Vertraute und beste Berater des edlen Inu Taisho-sama, dem mächtigen Herrscher des Westens.“ Das mit dem engsten Freund und besten Berater war vielleicht etwas übertrieben, aber Myoga bekam nur selten die Möglichkeit seine Vorzüge herauszustellen, da musste er jede Gelegenheit nutzen.

Izayois Herz tat einen Sprung. Unbändige Freude und Erleichterung überflutete sie, verdrängte kurzfristig all ihren Kummer und ließ ihre dunklen Augen leuchten. Myoga musste zugeben, dass ihr strahlendes Gesicht sehr schön aussah. Und ihr Blut war im Vergleich zu allen anderen Frauen, von denen Myoga vorher gekostet hatte, wirklich besonders lecker. Irgendwie schmeckte es sogar seltsam vertraut, auch wenn der kleine Dämon nicht herausbekam, woran das lag und an was ihn ihr Blutgeschmack erinnerte. Diese Menschenfrau hatte wohl tatsächlich etwas Verführerisches an sich, mit dem sie den Herrn der Hunde hatte verzaubern können. Doch der Flohgeist blieb auf der Hut, vielleicht verbarg sich hinter diesem schönen Aussehen ja eine bösartige Hexe.

Izayoi bemerkte nichts von Myogas Misstrauen, arglos und wissbegierig stellte sie weitere Fragen:

„Inu Taisho? Er lebt, es ist ihm nichts geschehen? Ist er hier?“

Der Flohdämon nickte.

„Er wartet außerhalb des Schlosses im Wald auf Euch. In einem kleinen, verfallenen Schrein. Ich werde Euch zu ihm führen.“ Allerdings erst, wenn ich mich gründlich davon überzeugt habe, dass du keine zauberkundige Miko bist, die meinen Herrn vernichten will, dachte er dabei.

Außer sich vor Glück sprang Izayoi auf.

„Wohin muss ich gehen? Ich komme sofort mit dir!“

Hm, überlegte Myoga, ihre Begeisterung schien echt zu sein. Sie schien auf einmal an absolut nichts anderes mehr denken zu können als an ihren Geliebten. In ihrem Verhalten benahm sie sich auffällig genau so wie Inu Taisho selbst. Konnte es tatsächlich sein, dass sich die beiden wirklich aufrichtig liebten? Das war schon ziemlich ungewöhnlich. Es war natürlich Unsinn, dass Dämonen nicht zur Liebe fähig waren, aber sehr häufig gaben sie sich diesem Gefühl nicht hin, am allerwenigsten gegenüber einem Menschen. Irgendwie machte Myoga das nun fast mehr Angst als die Vorstellung, dass Izayoi eine Hexe sein könnte. Gegen Magie konnte man vielleicht etwas ausrichten, aber was konnte man schon tun gegen die Macht der Liebe?

„Nicht so hastig, Izayoi-sama“, beschwor der Flohdämon die junge Frau, „wie ich gesehen habe, wird hier ein Fest vorbereitet. Eure Abwesenheit dabei würde sicherlich auffallen, meint Ihr nicht auch? Wir sollten daher lieber bis tief in die Nacht warten. Nach der Feier werden die Menschen müde sein, dann können wir uns unbemerkt davonschleichen. Ich habe mich hier gründlich umgesehen. Im Hintertrakt des Schlosses gibt es eine unbewachte Hintertür, wahrscheinlich eine Art Geheimgang für den Fall, falls die Schlossbewohner mal wegen einer Gefahr flüchten müssten.“

Das Gartenfest, dachte Izayoi und wurde schlagartig aus ihrer Seligkeit zurück in die Wirklichkeit gerissen, das hatte sie ja völlig vergessen. Sie musste vorsichtig sein, nicht noch einmal durfte irgendein Mensch auf die Anwesenheit ihres geliebten Dämonen aufmerksam werden.

Aufgeregt eilte die Prinzessin in ihr Gastgemach. Sie musste sich noch umziehen, sich hübsch machen, wobei sie weniger an das bevorstehende Fest, sondern eher an denjenigen, den sie danach treffen wollte, dachte. Ihre Sorgen, ihre schmerzlichen Gedanken und den schrecklichen Seidenbeutel in ihrer Hand verdrängte sie. Sie wollte nur noch an eines denken: an ihn.

Auch den Flohgeist Myoga hatte Izayoi in ihrer Aufregung vergessen. Dieser hatte sich rasch unter ihrem kostbaren, mehrlagigen Kimono verborgen. Es ärgerte ihn zwar ein wenig, dass seine Person nun fast gar nicht mehr beachtet wurde, aber er sah schnell das Positive an der ganzen Sache. Dabei fielen ihm die vielen reizenden Dienerinnen im Schloss ein. Das versprach eine sehr amüsante Party und ein sehr angenehmer Abend zu werden.
 

* * * * *
 

Als Izayoi viele Stunden später durch das kollektiv schlafende Schloss schlich, war ihr Glaube an die Zuverlässigkeit von Inu Taishos winzigem Diener leicht erschüttert. Mehrmals schon war sie hinter Myoga durch die falschen Gänge geirrt, um die Geheimtür zu finden, durch die sie zu ihrem weißen Hund geführt werden sollte. Ihr kleiner Führer schien keinen Orientierungssinn mehr zu besitzen. Außerdem lallte er, wenn er mal was sagte, und hüpfte selten geradeaus, er torkelte eher durch die Gegend. Langsam bezweifelte Izayoi, dass sie auf diese Weise jemals an ihr Ziel gelangen würde, und wurde immer unruhiger. Zudem trug das Verhalten des Flohgeists nicht gerade dazu bei unauffällig zu bleiben.

„Hier ischt esch“, nuschelte der Floh in diesem Moment, „jetscht habe isch den rischtigen We-he... hicks... den rischtigen Weg gefunden, Itschayoi-scha...schama... hicks... fo-folgt mir...“

Nach diesen Worten prallte der Flohdämon gegen eine verborgene Tür und plumpste zurück auf den Holzfußboden. Besinnungslos blieb er dort liegen. Izayoi eilte herbei, hob den Winzling auf und betrachte ihn verärgert. Das durfte doch nicht wahr sein! Endlich war Inu Taisho wieder in ihrer Nähe und nun verhinderte ein offensichtlich völlig betrunkener Floh das so lang ersehnte Wiedersehen. Wie hatte dieser kleine Kerl sich nur in solch einen Zustand bringen können?
 

„Habt Ihr Euch verlaufen, Izayoi-sama?“

Die Prinzessin schrak zusammen und fuhr herum. Nicht weit von ihr stand ein soldatisch gekleideter Mann. Im dunklen Gang wirkte seine schattenhafte Gestalt bedrohlich. Hastig wich Izayoi einige Schritte zurück, schloss ihre Hand, mit der sie den Flohdämonen aufgehoben hatte, fest zu einer Faust und verbarg diese unter einer Falte ihres Gewands.

„Oh, Takemaru, habt Ihr mich erschreckt! Ich habe nicht erwartet, dass nach der Feier außer mir noch jemand wach ist.“

„Es ziemt sich nicht für einen Samurai sich Ausschweifungen hinzugeben“, erwiderte der Soldat ruhig und kam etwas näher, hielt aber weiterhin genug höflichen Abstand, „ich würde niemals meine Pflicht vergessen. Als ich Euch durch den Gang huschen sah, dachte ich zunächst ein Einbrecher hätte sich Zugang zum Schloss verschafft. Wir leben in gefährlichen Zeiten und es ist meine Aufgabe andere zu schützen, insbesondere Euch.“

„Ja, ich weiß, ich danke Euch“, murmelte Izayoi und musterte den Samurai vorsichtig. Zu ihrer Erleichterung schien ihm bisher sonst nichts weiter aufgefallen zu sein. Doch wie bekam sie ihn nun wieder los?

„Ich habe mich tatsächlich verlaufen“, meinte sie schließlich zögernd und lächelte schüchtern, „ich wollte mich erleichtern und auf dem Rückweg habe ich nicht mehr in mein Gastgemach zurück gefunden. Ich kenne mich im Schloss meines Schwagers eben noch nicht besonders gut aus.“

„Ich werde Euch zurück begleiten“, bot Takemaru an, „Ihr solltet Euch hier nicht weiter aufhalten. In der Nähe liegen die Soldatenunterkünfte. Und zur Schande meines Standes muss ich gestehen, dass einige Soldaten nur wenig Anstand besitzen, erst recht nach so einem Fest, wenn die Männer zu viel getrunken haben.“

Dieses freundlich gemeinte Angebot konnte Izayoi wahrscheinlich nicht ausschlagen, ohne sich verdächtig zu machen. Also folgte sie Takemaru.

Schweigend gingen beide nebeneinander durch die Schlossgänge.

„Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf“, durchbrach Takemaru schließlich das Schweigen, „Ihr seht heute besonders bezaubernd aus, Izayoi-sama. Ich konnte heute Abend kaum meinen Blick von Euch wenden.“

Ach, du meine Güte, dachte Izayoi und errötete, versucht er jetzt etwa auch noch mit mir zu flirten? Zeigt er etwa immer noch Interesse an mir? Das hatte ihr gerade noch gefehlt!.

„Eure Schwester hat Euch heute einige bedeutende Männer vorgestellt“, fuhr Takemaru langsam fort, „doch Ihr habt nicht viel Interesse für sie gezeigt. Seid Ihr einer möglichen Hochzeit denn so abgeneigt?“

„Ihr stellt sehr indiskrete Fragen“, antwortete Izayoi kühl, „ich glaube kaum, dass Euch meine Hochzeitspläne etwas angehen.“

„Natürlich nicht“, beteuerte der Samurai, „verzeiht. Ich dachte nur, ich wollte nur und hoffte, dass... Nein, vergesst, was ich gesagt habe.“

Wieder schwiegen beide. Kurz darauf erreichten sie einen halb offenen Gang, der den Blick in den Schlossgarten freigab. Der Mond schien.

„Ein abnehmender Sichelmond“, murmelte Takemaru, „bald ist wieder Neumond. Die schwarze Nacht, in der Dämonen ihre größte Macht besitzen.“

Der bittere Unterton in seiner Stimme ließ Izayoi erschauern.

„Ihr hasst Dämonen sehr, nicht wahr?“, fragte sie ihn: „Warum? Sie sind doch sicher nicht alle böse.“

Der Samurai wandte sich ihr zu, im schwachen Mondlicht wirkte sein Gesicht hager, fast sogar alt, so als hätten seine Augen Dinge gesehen, die sie niemals hätten sehen dürfen.

„Glaubt mir, Izayoi-sama, es gibt keine gute Dämonen. Ihre Seelen sind schwarz und verräterisch wie die dunkelste Neumondnacht. Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe es selbst erlebt. Ich habe gesehen, wozu sie fähig sind. Würde ich Euch mehr darüber erzählen, würde ich Euch für den Rest Eures Lebens Alpträume bescheren. Deshalb fragt mich nicht, warum ich Dämonen hasse. Ich kann Euch nur sagen, dass ich diese Wesen mein Leben lang bekämpfen werde und dass ich ihnen alles zurückzahlen werde, was sie mir und den Meinen angetan haben.“

Erstarrt sah ihn Izayoi an, sie brachte keinen Ton mehr heraus und ihre in den Falten ihres Gewandes verborgene Faust schloss sich noch fester um den darin versteckten Flohdämonen.

„Wir sind da“, sagte Takemaru und deutete auf den Gang im Frauentrakt, der zu Izayois Gastzimmer führte, „es tut mir leid, wenn ich Euch erschreckt haben sollte. Das wollte ich nicht... Wisst Ihr, ich... Ich verehre Euch, Izayoi-sama, daran wird sich niemals etwas ändern, auch wenn Ihr meine Gefühle vielleicht niemals erwidern könnt. Mein Leben gehört Euch. Wenn Ihr mich jemals brauchen solltet, werde ich für euch da sein. Ich werde immer für Euch da sein und alles für Euch tun.“

Damit verbeugte sich der Soldat und zog sich zurück. Sprachlos sah Izayoi ihm nach. Und plötzlich wurde ihr eisig kalt.
 

Erst als der Samurai verschwunden war, erwachte die Prinzessin aus ihrer Erstarrung und eilte denselben Weg, den sie mit Takemaru gegangen war, zurück. Dieses Mal blieb sie unentdeckt. Sie schlüpfte durch die geheime Tür, zu der sie Myoga, bevor er seinem Rausch erlegen war, geführt hatte, und fand sich kurz darauf in einem völlig verwilderten Gartenbereich wieder.

Wohin jetzt? Ratlos betrachtete Izayoi den Flohgeist in ihrer Hand, der kaum hörbar vor sich hin schnarchte. Myoga hatte etwas von einem Schrein im Wald gesagt. Vage erinnerte sich Izayoi daran, dass ihre Schwester ihr irgendwas von einem alten Schrein erzählt hatte, den Räuber vor vielen Jahren ausgeraubt und zerstört hatten und von dem man sich erzählte, dort würde es spuken. Kein Mensch traute sich mehr in dessen Nähe. Das musste der gesuchte Ort sein. Es war ein ideales Versteck.

So machte sich die Prinzessin ganz allein und ohne Führung auf den Weg. Und zu ihrem eigenen Erstaunen fand sie den Schrein ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Es war, als ob etwas oder jemand ihr unbewusst geholfen hatte den richtigen Weg zu finden. Auch die Dunkelheit des Waldes machte ihr nichts aus, irgendwie hatte sich ihre Sinneswahrnehmung verändert, sie sah und hörte alles besser, auch Gerüche schien sie intensiver wahrnehmen und sogar ein wenig deuten zu können.
 

Endlich lichtete sich der Wald. Izayoi erkannte einen umgestürzten Torbogen aus faulenden Holzbalken, dahinter führte eine weitgehend überwucherte Treppe zu einem verfallenen Schrein hinauf. Die junge Menschenfrau sah hoch und ihr Herzschlag setzte für einen Moment aus.

Auf der obersten Treppenstufe stand die weißgewandete Gestalt eines Mannes. Seine ebenso weißen Haare glänzten im schwachen Licht der abnehmenden Mondsichel. In der Düsternis schienen seine Augen zu glühen.
 

Für Izayoi gab es nun kein Halten mehr. Voller Verlangen stürmte sie die Treppe hinauf, verfing sich in ihren Kleidern, strauchelte über die verwachsenen Stufen, raffte sich wieder auf und rannte weiter.

Inu Taisho kam ihr entgegen und sie stürzte tränenblind in seine Arme. Überglücklich spürte sie seine harte Rüstung, die sich gegen ihre Brust presste, seine starken krallenbewehrten Hände, die sie krampfhaft und schützend festhielten, und seinen heißen Atem, der ihren Nacken streichelte.

„Izayoi... meine Izayoi...“, flüsterte er erstickt und drückte sie so fest an sich, dass sie beinahe keine Luft mehr bekam. Erstaunt bemerkte sie, dass er zitterte. Etwas Nasses schien ihre Haut zu berühren. Weinte er etwa? Hatte er ihr nicht gesagt, dass Dämonen nicht weinen können?

Behutsam löste sich Izayoi aus Inu Taishos Umarmung und sah in seine goldenen Augen. Diese verrieten allerdings nichts, es waren wohl doch nur ihre eigenen Freudentränen gewesen.

Der Dämonenfürst lächelte jetzt und nahm liebevoll ihre Hand.

„Komm“, sagte er sanft und führte sie das restliche Stück der Treppe hinauf.
 

Vor dem Schrein setzten sie sich ins überall wild wuchernde Gras.

Auf einmal fühlte Izayoi eine starke Befangenheit in sich aufsteigen. Wie sehr hatte sie sich nach diesem Augenblick gesehnt, wie sehr hatte sie sich gewünscht den geliebten Dämonen wieder bei sich zu haben, seine Nähe zu spüren und in seinen Armen zu liegen.

Doch nun, als der ersehnte Augenblick endlich da war, überfiel sie eine unerklärliche Angst. Eine Vision stieg in ihr auf, sie sah Feuer, ein einstürzendes Gebäude, hörte das Prasseln der Flammen und die verzweifelten Schreie eines neugeborenen Kindes. Dann sah sie Takemaru vor sich, ein Schwert in der Hand und ihren Namen flüsternd. Sein Antlitz verwandelte sich daraufhin in Inu Taishos Gesicht, auch er sagte leise ihren Namen und sah sie dabei schmerzlich lächelnd an. Schwarzviolettes Licht umhüllte seine von Pfeilen durchbohrte Gestalt und aus seinen Augen rannen Tränen. Es waren Tränen aus Blut.

Fast hätte Izayoi aufgeschrieen.
 

„Was ist, Izayoi... was hast du? Geht es dir nicht gut?“

Seine dunkle, angenehm warme Stimme durchbrach den dunklen Traum. Die junge Menschenfrau schüttelte ihre Benommenheit ab und blickte den Hundedämonen an, der sie besorgt musterte. Im selben Moment verschwand ihre Angst genauso schnell wie sie gekommen war, auch die Erinnerung an die erschreckenden, visionsartigen Bilder löste sich blitzartig auf.

„Es ist nichts“, beruhigte Izayoi ihren Geliebten, „ich bin wohl von meinen Gefühlen überwältigt worden. Ich habe dich so sehr vermisst... und jetzt fange ich wohl schon an zu phantasieren.“

Tröstend legte Inu Taisho seinen Arm um ihre Schulten und drückte sie an sich.

„Auch ich habe dich vermisst. So sehr, dass es mir fast den Verstand geraubt hätte. Und ich muss dir noch etwas gestehen: ich hätte fast mein Versprechen gebrochen. Ich musste über alle Grenzen und durch die Hölle gehen. Doch die größte Hölle war für mich, dass ich dich enttäuschen und nicht zu dir zurückkehren hätte können. Es tut mir leid, wenn ich dir Sorgen bereitet oder dir wehgetan habe.“

„Du bist da.“

Das war alles, was zählte.
 

Inu Taisho zog Izayoi noch enger an sich heran, beugte sich zu ihr, strich ihre Haare zurück und küsste zärtlich ihren Nacken.

„Wie sehr ich auch deinen Geruch vermisst habe. Er ist so wunderbar...“

Genüsslich gab sich Izayoi seinen Zärtlichkeiten hin, bis er plötzlich verwundert schnuppernd zurückzuckte.

„Merkwürdig...“, meinte er, „irgendwie hat sich dein Geruch leicht verändert... es ist immer noch dein Geruch, ein mehr als anregender Duft, aber irgendwas ist so anders...“

Izayoi spürte, wie sie erbleichte und sich innerlich versteifte. Oh Himmel, dachte sie, hat er etwa etwas von meiner ungewollten Schwangerschaft bemerkt? Schlagartig fiel ihr nun wieder das Seidenbeutelchen mit dem tödlichen, schwarzen Pulver darin ein, das zurückgelassen im Schloss auf seine Verwendung wartete. Was soll ich denn jetzt nur machen, überlegte Izayoi verzweifelt, ich darf ihm nichts erzählen. Er darf doch nichts erfahren, sonst wird er mich sicher von der geplanten Abtreibung abhalten, er wird mich und das Kind beschützen wollen und ich bringe ihn ins Unglück. Und erneut glaubte sie kurz eine warnende Vision von Feuer, Blut und einem weinenden Baby zu sehen.

Zu Izayois Erleichterung ging Inu Taisho dem Rätsel nicht weiter nach, denn ihm gefiel die leichte Veränderung in Izayois Geruch derartig gut, dass er nicht länger darüber nachgrübelte, sondern sich davon betören ließ und es einfach als gegeben hinnahm und genoss. Seine Zärtlichkeiten wurden intensiver, seine Berührungen drängender.

Erst ein seltsam schnarchendes Geräusch, das sämtliche Romantik zerstörte, ließ ihn nochmals innehalten.

„Verdammt noch mal, was ist denn das jetzt?“, knurrte der Dämonenfürst erbost über die unerwünschte Störung und fischte dann ein winziges, tief schlafendes Wesen aus Izayois Gewändern.

„Myoga! Das ist ja die absolute Höhe! Was macht der denn hier noch? Ich habe ihm doch eindeutig befohlen, er soll uns gefälligst allein lassen, sobald er dich hierher gebracht hat. Und was ist eigentlich mit ihm los? Er stinkt nach Sake. Hat er etwa Alkohol getrunken?“

Unwillkürlich musste Izayoi lachen.

„Meine Schwester hat ein Gartenfest ausgerichtet“, erklärte sie: „Dein großartiger Diener hat dort wohl ein bisschen mitgefeiert.“

„Ich hätte diesen greisen Flohidioten schon lange loswerden oder vierteilen sollen“, brummte Inu Taisho, „keine Ahnung, warum ich ihn eigentlich immer noch bei mir dulde. Ich bin auf meine alten Tage wohl etwas zu weichherzig und sentimental geworden.“

„Keine Sorge, ich mag deine sentimentale Ader“, meinte Izayoi scherzend.

Der Hundedämon lächelte, schnippte den betrunkenen Flohdämonen weit fort und wandte sich ihr wieder zu.

„Nun wird uns nichts mehr stören“, flüsterte er.

Izayoi nickte, ließ sich zurück in seine Arme sinken und schloss glückselig die Augen. Nichts war nun mehr wichtig, weder ihre bedrückenden Sorgen, noch ihre Angst, noch die vor ihr liegende Entscheidung um das in ihr wachsende Leben, nicht einmal die warnende Ahnung einer möglichen, bedrohlichen Zukunft. Nur das Jetzt zählte und das Wissen, dass jeder Augenblick der letzte sein konnte.

Was auch geschehen würde, die Erinnerung an diese kostbaren Augenblicke voller Glück würde ihr niemals jemand nehmen können.
 


 

Soweit das fünfundzwanzigste Kapitel.

Die lieben Männer scheinen hier alle auf einer etwas langen Leitung zu sitzen und offenbar nur an ihr Vergnügen zu denken. Aber mit der eigentlich unmöglichen Möglichkeit, dass er Izayoi geschwängert haben könnte, rechnet Inu Taisho eben absolut nicht.
 

Dieses Kapitel war ein weiteres Atemholen vor neuen Abenteuern. Ich dachte mir, ein bisschen Romantik und Herzschmerz kann nicht schaden, bevor es wieder dramatisch und actionhaltig wird. Ich fürchte, ich zögere das Kommende absichtlich etwas heraus, weil ich mich darauf gar nicht so recht freue... *vorzeitig heul*

Hoffentlich verzeiht ihr mir das. Würde mich sehr über Kommentare freuen. Im nächsten Kapitel erfahrt ihr dann, was die übrige Belegschaft derweil macht bzw. erlebt, dann kommt meine Story auch langsam wieder mehr in Fahrt.

Schwarze Seelen

So, ein neues Kapitel ist fertig und es ging für meine Verhältnisse sogar erstaunlich schnell (ich war selbst überrascht). Nachdem ich den Text+Inhalt zudem teilweise hochoffiziell habe absegnen lassen (danke Hotep für deine Hilfe!), dürft ihr euch jetzt darüber hermachen. Für alle Sesshomaru-Fans habe ich die freudige Nachricht: ja, er tritt ab hier wieder auf und spielt künftig auch wieder mehr in meiner Story mit (allerdings warne ich euch, dass manche Auftritte von ihm euch vielleicht hin und wieder etwas schocken werden).

Ab ins 26. Kapitel: Trotz aller Widerstände, Gefahren und drohender Vorahnungen sind Inu Taisho und Izayoi wieder zusammen. Während das ungewöhnliche Liebespaar wenige, heimliche Stunden des gemeinsamen Glücks genießt, stoßen Inu Taishos Freunde im Schloss und seine Verbündeten auf unerwartete Schwierigkeiten...

Enjoy reading!
 


 

Es war kalt und finster, als Sesshomaru zu sich kam. Der eisige Nachtwind stach wie abertausend Messer in seinen gepeinigten Leib. Ein hohles Ächzen entrann seiner ausgetrockneten, schmerzenden Kehle, als er mühsam Luft holte. Jeder Atemzug war die reinste Qual. Sesshomaru keuchte und verfluchte die Tatsache, dass sein starker, dämonischer Körper immer noch Kraft zur Regeneration besaß. Denn sein Geist hatte diese Kraft nicht mehr.

Ich will sterben... ich kann nicht mehr, keinen Augenblick mehr... Ich will endlich sterben...

Starr blickte er auf den steinigen, finsteren Boden der in trübe Schwärze getauchten Schlucht und war dankbar, dass er wegen der Dunkelheit nicht in sein eigenes Blut sehen musste. Auch der Anblick dessen, was sonst von ihm selbst übrig war, blieb ihm dadurch erspart. Glücklicherweise spürte er zudem von einem großen Teil seines Körpers fast gar nichts mehr. Vielleicht waren seine Selbstheilungskräfte mittlerweile doch endlich erschöpft.

Angestrengt wandte Sesshomaru seinen Blick nach oben.

Er war allein, Bundori war verschwunden. Allerdings sicher nicht für lange, der Drache hatte nur für eine kurze Weile von seinem bewusstlos gewordenen Opfer abgelassen, bis Sesshomaru sich soweit erholt hatte, dass er für eine erneute Folterphase bereit war.

Über dem gefangenen, gefesselten Hundedämonen strahlten die Sterne. Am oberen Schluchtrand verschwand gerade die Spitze einer schmalen, bleichen Mondsichel hinter den schroffen Felswänden. Es musste die letzte Nacht vor Neumond sein. Eine weitere von unzähligen, ewig andauernden und einsamen Nächten. Aber möglicherweise endlich die letzte Nacht seines Lebens.

Bald würde hoffentlich alles vorbei sein. Denn der Drache hatte sein Ziel schließlich erreicht, es gab nichts mehr, das Sesshomaru ihm noch an weiterer Genugtuung oder Befriedigung hätte bieten können, sein Wille war gebrochen.

Die funkelnden Sterne tanzten und verschwammen vor Sesshomarus Augen. Sie schienen sich in kristallene Spitzen zu verwandeln und wie Eisspeere auf ihn herabzustürzen. Von unerträglichem Schmerz und von völliger Verzweiflung überwältigt schluchzte er kaum hörbar auf.

Ein tief dröhnendes, bösartiges Lachen erfüllte daraufhin die Finsternis.

„Und nun, Welpe? Sag mir, wo sind sie?“, fragte eine höhnische Stimme: „Wo sind all jene, denen du vertraut hast, nach denen du dich gesehnt hast, für die du nun dein Leben lässt? Für wen und was hast du gekämpft und gelitten? Wofür hast du überhaupt gelebt? Alles war sinnlos, hoffnungslos, vergeblich...“

Nein... Chichi-ue...

„Hah, wo ist er? Wo ist dein Vater? Er hat dich alleingelassen, von sich gestoßen, hat dich geopfert und leiden lassen für sein wertloses Land, für seine jämmerlichen Getreuen, für die Rettung erbärmlicher Menschenwesen. Du hast ihm niemals irgendetwas bedeutet, warst ihm nie etwas wert, einen Dreck hat er sich um dich geschert... Du wolltest wie er sein, doch du weißt nicht einmal, wer er eigentlich ist. Und jetzt wirst du verächtlich sterben für nichts. Du bist nichts.“

Das ist nicht wahr, es ist nicht wahr... Chichi-ue...

„Er wird nicht kommen... Niemand wird kommen. Niemand hat sich je für dich interessiert... Du bist allein, bist niemand, nichts...“

Nein... CHICHI-UE!!!
 

Leise stöhnend fuhr Sesshomaru aus dem Schlaf hoch und richtete sich schweißüberströmt auf. Unwillkürlich krallte er eine Hand in die leichte Seidendecke, die über ihn gebreitet worden war, und presste krampfhaft seine andere Hand gegen seine fest verbundene Brust. Mit weit aufgerissenen, leicht rötlich schimmernden Augen starrte er auf die Wände seines schlichten Schlossgemachs.

In dem Zimmer war es so finster wie in dem Traum seiner erneut durchlebten Erinnerung. Die dunklen Wände um ihn herum erdrückten ihn. Eiserne, eiskalte Ketten schienen ihn zu umschlingen und zu erwürgen. Das war unerträglich. Schwer rang er um Atem und versuchte aufzustehen. Doch irgendwas hielt ihn zurück und immer wieder brachen seine schmerzenden Beine unter ihm weg. Erbost über seine Schwäche griff er schließlich nach der Wand hinter seiner Bettstatt, zog sich verbissen hoch und schleppte sich die Wand entlang. Jede seiner Bewegungen brannte wie Feuer.
 

Sesshomaru erreichte eine Türe und zog sie ungestüm auf. Bebend stützte er sich am Türrahmen ab und sah hinaus. Die Nachtluft blies in sein Gesicht und ließ seine Haare leicht wehen. Ein abnehmender Sichelmond beleuchtete matt die vor ihm liegende Balkonterrasse.

Mit eisernem Willen fasste Sesshomaru nach einem hölzernen Geländer, hielt sich daran fest und trat hinaus auf den Balkon. Die nächtliche Kühle ließ ihn leicht frösteln. Er trug nur einen dünnen, ärmellosen Kimono über den zahlreichen Verbänden, die seinen Körper bedeckten.

Nach einigen Schritten brach er in die Knie. Schmerzen packten ihn und dann eine tobende Wut. Zudem schien ihn wieder etwas zu fesseln und zwanghaft zurückhalten zu wollen. Mit einem ungeduldigen, ergrimmten Knurren drückte er seine Krallen in den Holzboden und sah in den unendlich fern und frei erscheinenden Himmel.
 

Frei sein..., dachte Sesshomaru. Nur dieser Gedanke hallte in ihm und beherrschte seinen Geist. Er hielt es nicht mehr aus. Er wollte, er musste fort.

Mühselig sammelte er all seine Kräfte zusammen und nahm eine kauernde Stellung ein. Der rötliche Schimmer in seinen Augen verstärkte sich, sein Gesicht verzerrte sich. Rötliches Licht begann seine Gestalt zu umhüllen. Eine aufwallende, dämonische Energiewelle brachte das Balkongeländer zum Bersten.

Sesshomaru legte seinen Kopf leicht in den Nacken, schrie in überschäumendem Zorn laut auf und verwandelte sich dann in seine wahre Gestalt. Als großer, weißer Hund stieß er sich vom hölzernen Boden ab, der unter ihm zusammenbrach, und sprang vom Schloss weg in den Garten. Seine Pfoten schienen kaum den Boden zu berühren, als er mit gewaltigen Sprüngen fortjagte. Fort von allen unsichtbaren Fesseln und erdrückenden Mauern, fort von verfolgenden Träumen und schmerzvollen Gedanken, in die Freiheit des sich vor ihm weit ausbreitenden Landes.
 

* * * * *
 

Sesshomarus wütender Schrei und das laute Krachen von splitterndem Holz holte Ieyasu aus seinen versenkten Gedanken. Verwundert schlug er die Augen auf und erhob sich von einer kleinen Reismatte, auf der er mit überkreuzten Beinen gesessen hatte.

Er verließ den winzigen, fenster- und schmucklosen Raum, in dem er meditiert hatte, und betrat ein weiträumiges, halbrundförmiges Zimmer, das zum Privattrakt des Fürsten gehörte und Teil der Räumlichkeiten war, die für besonders geschätzte oder hochrangige Gäste reserviert waren. Mit gerunzelter Stirn schob der Heiler ein sich zum Garten hin öffnendes Fenster auf und sah hinaus. Draußen war alles still. Nur der Wind rauschte leise in den Bäumen des Schlossgartens.
 

Ieyasu ließ seine Blicke über den Garten schweifen und sah dann überrascht und besorgt auf den großen, weitgehend zerstörten Balkon, der ein Stockwerk tiefer unter ihm lag.

In diesem Moment wurde eine Türe von einem der Gästezimmer geöffnet. Ein junger, verschlafen wirkender Fuchsdämon mit einem flackernden Licht in der Hand kam zu Ieyasu, gefolgt von dem leicht verärgert wirkenden Dämonenschmied Totosai.

„Was ist denn das für ein nerviger Krach?“, beschwerte Totosai sich: „Habt ihr nachts arbeitende Handwerker da? Und was war das für ein jaulender Schrei? Das war doch ein Hund, oder? Heulen Hunde hier etwa den Mond an?“

„Ich fürchte, das war kein gewöhnlicher Hund“, flüsterte Ieyasu und hetzte zur Schlosstreppe.

Totosai und der junge Fuchsdämon Zuisou neben ihm sahen sich kurz verdutzt an und eilten dann dem dämonischen Heiler nach.
 

Kurz darauf kamen der Schwertschmied und sein Lehrling in ein sehr schlicht gehaltenes Zimmer mit vielen Schiebetüren. Eine dieser Türen stand weit offen, sie führte hinaus auf eine zerborstene Balkonterrasse.

„Au weh“, entfuhr es Zuisou, „Das sieht ja arg aus! Ist hier irgendwas explodiert?“

Ieyasu, der vor einer zerwühlten, leeren Bettstatt stand, antwortete zunächst nicht. Sorgenvoll betrachtete er die Kratzspuren, die sich an der Holzwand neben dem Bett abzeichneten.

„Unfassbar...“, murmelte er dann vor sich hin, „er ist meinem Bann entkommen... wie hat er das nur geschafft?“

Interessiert kam Totosai näher.

„Hattest du hier jemanden eingesperrt?“

„Gewissermaßen“, antwortete Ieyasu, „das hier ist Sesshomarus Gemach. Vor einigen Tagen ist er ja aus seinem Koma erwacht. Verständlicherweise war er durch die Umstände und Nachwirkungen seines grausamen Todes völlig traumatisierst und daher nicht ganz bei Sinnen, was meinem Schüler und mir fast das Leben gekostet hätte. Um zu verhindern, dass Sesshomaru sich selbst und anderen in seiner unberechenbaren Raserei etwas antun kann, habe ich ihn mit einem beruhigenden Fesselbann belegt. Aber wie es scheint hat er diesen Zauber irgendwie gebrochen. Offensichtlich hat er sich verwandelt und ist fort gelaufen...“

„Willst du damit andeuten, dass jetzt ein durchgedrehter, tollwütiger Riesenhund durch die Gegend rennt?“

„Nun, so könnte man das vielleicht auch ausdrücken“, sagte Ieyasu vorsichtig: „Ich weiß nicht, inwieweit Sesshomaru sich mittlerweile beruhigt oder zu sich selbst gefunden hat. Aber ich würde sagen, gut geht es ihm sicher nicht. Das könnte für ihn selbst und alle, die ihm begegnen, ziemlich gefährlich werden... Wir müssen ihm schnellstens folgen! In seinem Zustand kann er eigentlich nicht weit...“

„Bist du bekloppt?“, unterbrach Totosai den Heiler: „Ich bin doch kein Hundefänger und leg mich doch nicht mit einer bissigen, wild gewordenen Töle an! Das ist wirklich nicht mein Problem, ich geh lieber wieder ins Bett.“

„Solltet Ihr nicht Inu Taisho informieren, Ieyasu-sama?“, mischte sich Zuisou ein: „der Hundefürst kann sich doch sicher am besten um seinen Sohn kümmern.“

„Das würde ich sofort tun“, meinte Ieyasu, „wenn ich bloß wüsste, wo der Herr eigentlich steckt.“

„Na, dann such ich ihn eben. Ich kann ja probieren mich von den beiden neu geschmiedeten Schwertern führen zu lassen. Damit werde ich Inu Taisho schon irgendwie finden.“

„Nix da, das kommt überhaupt nicht in Frage“, schimpfte Totosai, glaubst du etwa, ich vertraue meine kostbaren Prachtstücke einem solchen Fuchsidioten wie dir an?“

„Tja, dann müsst Ihr halt mit mir kommen, Meister. Ist eh besser, dann könnten wir die Kuh nehmen und kommen so viel schneller an unser Ziel.“

„Hmm“, brummte der Dämonenschmied missmutig, „also gut, meinetwegen. Obwohl es mir gar nicht passt diesem Köter nachzulaufen. Und dann auch noch mit miesen Nachrichten. Hoffentlich stören wir ihn nicht bei irgendwas Wichtigem, damit wir wenigstens nicht zusätzlich seine schlechte Laune ausbaden müssen.“

„Nehmt bitte auch Sou‘unga mit“, bat Ieyasu, „mir wäre bedeutend wohler, wenn der Herr das bösartige Schwert möglichst schnell wieder hat. Ein gefährlicher Flüchtling reicht mir.“

„Kommt Ihr denn wirklich vorerst allein zurecht?“, fragte Zuisou.

„Es wird schon gehen, ich werde vorsichtig sein“, meinte der Heiler, „Sesshomaru ist immerhin noch sehr geschwächt. Er dürfte also weder sehr weit kommen noch sich stark gegen mich wehren können. Und je weniger Aufsehen wir erregen, desto besser. Es soll ja geheim bleiben, dass der Fürstensohn lebt.“

„Pah, ich sag‘s ja“, grummelte Totosai und stapfte schwerfällig davon, um die Schwerter zu holen und seine Kuh zu suchen: „Mit Hunden hat man eben nix als Ärger!“
 

* * * * *
 

Weit entfernt, in Nähe der Gegend, in der vor etwa einem Monat der gewaltige, letzte Kampf zwischen den Herrschern von Ost und West stattgefunden hatte, waren im Morgengrauen weitere Dämonen unterwegs. Es waren drei jugendliche Wolfsdämonen. Sie wanderten am oberen Rand einer Steilküste entlang. Allerdings war nur der vorangehende, schwarzhaarige Wolfsdämon flott unterwegs, seine beiden nachfolgenden Begleiter schienen nicht ganz so viel Motivation zum Weiterlaufen zu besitzen.
 

„Sag mal, Koga“, meldete sich in diesem Moment prompt einer der beiden müde erscheinenden Burschen zu Wort und betastete kurz seinen Bauch, „wollen wir nicht mal eine Pause machen? Erstens glaube ich nicht, dass es hier noch was Neues zu entdecken gibt. Und zweitens habe ich Hunger. Gehen wir doch lieber wieder weiter zurück ins Landesinnere, da finden wir sicher eher was zum Jagen.“

„Du bist so nervtötend wie ein verfressener, fauler Dachs, Haggaku“, gab der schwarzhaarige Anführer des Trios zurück, „dein unersättlicher Bauch ist wohl alles, was dir wichtig ist, was?!“

„Ach Mann, Koga“, maulte der dritte Wolfdämon, „mir geht es genauso, ich mag auch nicht mehr. Ich bin müde und das ist doch echt öde hier. Diese Küste zieht sich ja ewig hin.“

„Jetzt nerv du mich nicht auch noch, Ginta“, schimpfte Koga ungeduldig, „ich will mich überall gründlich umsehen, um ein gescheites Zuhause zu finden. Mag ja sein, dass meine Mutter sich mit irgendeinem popeligen Erdflecken als neue Heimat für unser Rudel zufrieden gibt, aber ich bin da schon etwas anspruchsvoller. Ich will nicht mein ganzes Leben auf ein paar kargen Felsen verbringen, die uns ein paar alte, verkalkte Nordwölfe gnädigerweise als neues Revier überlassen haben. Auch im Gebiet der zentralen Höhlen gefällt es mir nicht. Da gibt es einfach zu viel Weiber mit ihren quietschenden Babys, das halt ich auf Dauer sicher nicht aus!“

„War doch toll da“, behauptete Haggaku grinsend, „die Mädchen waren super begeistert von dir. So wie die alle über dich hergefallen sind, hättest du ein ganzes Dutzend davon haben können. Und deine Mutter würde sich sicher sehr freuen, wenn du eine davon heiratest. Oder am besten gleich alle! Irgendwie muss unser Rudel ja auch wieder kräftig Zuwachs kriegen!“

„Hör bloß auf“, stöhnte Koga, „wenn es dir da so gut gefiel und du dich so um den Fortbestand der Wölfe sorgst, wieso spielst DU dann nicht beglückender Gockel und fürsorglicher Puter für die schnuckeligen Glucken und deren Küken?“

„Ach, auf mich standen die Mädels doch längst nicht so sehr wie auf dich. Außerdem bin ich, was die Auswahl meiner künftigen Braut angeht, sehr wählerisch. Die muss mir schon ordentlich was zu bieten haben.“

„Ja, zum Beispiel gut jagen und am besten auch noch kochen können“, bemerkte Ginta, „bei dir geht Liebe doch höchstens durch den Magen... Aber jetzt mal im Ernst, legen wir doch endlich mal eine Ruhephase ein! Wir sind die ganze Nacht hindurch gelaufen und mehr als diesen endlosen Meeresgraben haben wir bisher nicht gesehen.“

„Tja, ja“, meinte Haggaku seufzend, „dieser Meeresarm ist schon ziemlich beeindruckend. Kaum vorstellbar, was hier alles passiert sein muss. Vor einem Monat war hier noch eine Menge Land. Ich glaube, wir sind nicht weit weg von der Gegend, wo der Drachenfelsen stand und dieser gewaltige Canyon begann. Jetzt ist hier überall nur noch Wasser. Ich bin echt froh, dass wir weit weg waren, als das hier alles vom Meer überspült wurde. So ein krasser Kampf zwischen zwei Daiyoukai wäre zwar bestimmt sehr sehenswert gewesen, aber wohl ziemlich ungesund.“

Koga zuckte gleichgültig die Schultern.

„So ist das halt, wenn ein Hund seiner ungezügelten Seele nachgibt. Die Köter sind eben ein bisschen verdreht im Kopf. Das liegt wahrscheinlich am Widerspruch ihrer einerseits noch sehr wilden und andererseits domestizierten Ader. Wäre vielleicht besser gewesen, wenn sie völlig ungezähmt und unabhängig lebend geblieben wären, so wie wir Wölfe. Ein ungestümes, freiheitsliebendes Wesen verträgt sich nicht gut mit Heimatgefühl und Beschützerdrang, das gibt immer Ärger.“

„Du bist ja heute richtig philosophisch denkend drauf“, frotzelte Haggaku, „ich glaube, du brauchst ebenfalls dringend was zu futtern. Wenn du so klug daherredest, kann irgendwas nicht mit dir stimmen...“

„WAS?!? Was soll denn das heißen?! Das nimmst du sofort zurück, du...“
 

„Da liegt ja einer!“

Diese völlig deplaziert wirkende Aussage von Ginta sorgte dafür, dass die zwei zankenden Wolfsdämonen voneinander abließen, bevor sich ein deftiger Streit daraus hätte entwickeln können. Enttäuscht darüber, dass ihm die Chance für eine nette, kleine Prügelei zu entgehen drohte, ließ Koga Haggakus Hals los und wandte sich verärgert seinem anderen Freund zu. Ginta stand am Rand der steilen Küste und sah von einer Klippe hinab.

„Häh? Was soll das heißen: ‚Da liegt einer‚?“ Koga kam an Gintas Seite: „Wer denn? Und wo?“

„Na, da, im nassen Sand, direkt neben den spitzen Felsen!“ Eindringlich deutete Ginta nach unten: „Vielleicht ein Ertrunkener, vielleicht ist der bei der Auseinandersetzung von Inu Taisho und Bundori unabsichtlich zwischen die Fronten geraten.“

„Dann hat er sich aber ganz schön gut gehalten“, meinte Haggaku, „das mit dem Hunde-Drachen-Kampf ist ja schon eine ordentliche Weile her. Ist es ein Mensch oder ein Dämon?“
 

Koga hatte keine Lust zum langen Spekulieren, kurz entschlossen sprang und kletterte er den Küstenfelsen herab.

„Pass bloß auf“, warnte Ginta ihn, „das geht ganz schön weit und heftig da runter. Wenn du auf einem der Felszacken landest, wirst du gepfählt wie ein Schwein am Spieß!“

Doch Koga kam glücklich unten an, kniete sich neben die im Sand liegende, menschenähnliche Gestalt, drehte sie herum und untersuchte sie flüchtig. Es war ein jugendlich wirkender, braunhaariger Mann, den spitzen Ohren und krallenartigen Hände zufolge genauer gesagt ein Dämon. Er war nur wenig älter als Koga.

„Er lebt noch“, informierte der seine Freunde, „kommt runter und helft mir mal!“

Gerne kamen Ginta und Haggaku dieser Aufforderung nicht nach, keiner von ihnen hatte Lust auf eine lebensgefährliche Kletterpartie. Aber sie wollten ihren Kumpan auch nicht mit einem Problem sitzen lassen. Also taten sie das Verlangte.
 

Mit vielen Mühen schafften die drei Wolfsdämonen den Entdeckten schließlich nach oben. Als sie mit ihrer Last dort angekommen waren, legten sie den Unbekannten erschöpft ins Gras und betrachteten ihn dann genauer.

„Was ist das denn für einer?“, sprach Ginta die Frage, die sich alle Drei stellten, laut aus.

„Scheint ein Wolf zu sein“, meinte Haggaku, „komisch, wie kommt der denn da unten hin. Im Osten gab es bisher doch kaum Wölfe. Er hat auch nicht viel Ähnlichkeit mit den Wölfen, die in der näheren Umgebung leben. Ob das ein rudelloser Streuner oder so was ist?“

„Vielleicht hat er ja was angestellt und wurde verbannt“, überlegte Koga. Er fühlte Mitleid in sich aufsteigen. Was eine Verbannung für einen Wolfsdämon bedeutete, konnte er gut nachvollziehen, schließlich hatte er das selbst am eigenen Leib erfahren.

„Es war bestimmt kein Unfall, dass der da unten gelandet ist. Ich glaube, der wollte sich umbringen und ist von der Klippe gesprungen. Wahrscheinlich hat er das Alleinsein nicht mehr ertragen... Wir nehmen ihn mit, meine Mutter kann sich um ihn kümmern.“

Ginta war von Kogas Idee nicht begeistert, zweifelnd sah er den Bewusstlosen weiterhin an.

„Ich finde, das sollten wir lieber lassen. Wir wissen doch gar nicht, was das für ein Typ ist. Der ist doch irgendwie unheimlich. Ist euch aufgefallen, dass der nach überhaupt nichts riecht? Vielleicht wollte er ja auch gar nicht Selbstmord begehen, sondern wurde von der Klippe geschubst. Und vielleicht wollte ihn jemand aus gutem Grund töten.“

„So ein Schwachsinn“, hielt Koga dagegen, „der riecht nur deswegen kaum nach was, weil er im Meerwasser lag und noch ganz nass ist. Besonders stark oder gefährlich scheint er auch nicht zu sein, der hat ja fast gar kein Youki. Außerdem sind wir zu dritt, was soll da schon passieren? Wir können ihn hier doch nicht einfach so liegen lassen. Das hat kein Wolf verdient!“

Haggaku stimmte Koga zu und half dabei den Unbekannten aufzuheben. Ihn gemeinsam tragend machen sich die beiden Wolfsdämonen auf den Weg in Richtung ihrer neuen Heimat.
 

Zögernd folgte Ginta seinen Freunden, er wusste nicht so recht, was er von der ganzen Sache halten sollte. Eigentlich gab es tatsächlich nichts, was zu fürchten war, trotzdem konnte er sich eines unbestimmten Unbehagens nicht erwehren. Da war etwas an der sehr seltsamen Aura des gefundenen Dämons, das ihm bekannt vorkam. Irgendwo hatte er diese Ausstrahlung schon mal gefühlt. Aber wo und in welchem Zusammenhang, wollte ihm einfach nicht mehr einfallen. Auf jeden Fall war ihm das alles nicht geheuer, irgendwie hatte er das äußerst beunruhigende Gefühl, dass Koga und Haggaku ein zweischneidiges Schwert nach Hause trugen.
 


 

Soweit das sechsundzwanzigste Kapitel.

Unerwartete Entdeckungen haben oft unerwartete Folgen... Ich denke, ihr könnt erraten, wen die Wölfe da aus dem Meer gefischt haben, oder?

(Wie ihr seht, versuche ich brav an all meinen Erzählfäden weiter zu knüpfen und nix und niemanden zu vergessen.)

Im nächsten Kapitel schauen wir dann wieder zu unserem Liebespärchen. Denn die Erholungsphase für den Hundepapa ist nun leider eindeutig vorbei (neben Ärger mit den Kindern gibt es da ja beispielsweise auch noch einen gewissen Drachen namens Ryokossei, den habe ich auch nicht vergessen, *evilgrins*). Es kommt also wieder einiges auf Inu Taisho (und euch) zu.
 

Ich hoffe, ich bin bei meiner dramatischen Charakterdarstellung und -entwicklung bezüglich poor Sesshomaru nicht über das Erträgliche hinausgeschossen und im OOC gelandet. Es kann nur besser werden (hoff ich).^^°

Ihr dürft euch gerne kritisch über alles auslassen, ich bin dankbar für jeden helfenden Kommentar!

Morgenröte

In der Nachbemerkung des letzten Kapitels habe ich ja schon angedeutet, dass nun die Ruhe vor dem Sturm bevorsteht. Allerdings braucht ihr weiterhin viel Geduld, es erwarten euch noch mehrere Ereignisse. Denn bis Inu Yasha geboren wird dauert es ja immerhin noch viele Monate.

Wir sind bei Kapitel 27 angelangt: Allerlei mehr oder weniger drohende Dinge sind geschehen seit Inu Taisho den Verlockungen seiner heimlichen, verbotenen Liebesbeziehung folgte. Koga und seine Freunde haben bei einer Erkundungstour im Osten Japans einen mysteriösen Unbekannten am Meeresstrand gefunden. Währenddessen bereitet der traumatisierte Sohn des Hundefürsten den Getreuen von Inu Taisho große Sorgen. Es ist das letzte Mal, dass der Hundeherr Frieden findet bevor das Schicksal wieder unerbittlich zuschlägt...

Enjoy reading!
 


 

Der neue Morgen begann mild.

Gewohnheitsgemäß erwachte Izayoi bereits sehr früh. Noch etwas schlaftrunken öffnete sie die Augen, setzte sich auf und streckte gähnend ihre Arme. Die Dämmerung brach gerade erst an. Im Wald hatte sich über Nacht Feuchtigkeit angesammelt. Hauchzarte, mondweiß leuchtende Nebelschleier hingen verteilt zwischen den von Tau benässten Bäumen. Manchmal lösten sich vereinzelte Stücke aus dem schimmernden Dunst und schwebten als kleine, nur schemenhaft erkennbare Wolkenfetzen davon.

Die hohe Hügellage des verfallenen Schreins, vor dessen Schwelle Izayoi und ihr geliebter Dämon einige gemeinsame Stunden verbracht hatten, erlaubte einen weiten Ausblick ins Tal. Der östliche Himmel erhellte sich und bildete eine goldglänzende Linie am Horizont. Für einen flüchtigen , kaum fassbaren Augenblick schien es völlig still zu sein, so als würde die ganze Natur erwartungsvoll den Atem anhalten. Kurz darauf ging die Sonne auf.

Es war ein Augenblick unvergleichlicher Schönheit. Izayoi spürte, wie ihr vereinzelte Tränen über die Wangen liefen, einfach, weil sie so unbeschreiblich glücklich war. Sie erfuhr einen jener seltenen Momente absoluter Erfüllung, in denen das Leben seine Einzigartigkeit und das Gefühl allumfassender Ewigkeit offenbarte.
 

Der Augenblick ging vorbei. Izayoi wischte sich die Tränen aus den Augen und legte kurz die rechte Hand auf ihr freudig klopfendes Herz. Dann sah sie lächelnd neben sich. Leicht eingerollt an ihrer Seite, zum Teil auf seinem Fell, das sie beide umschmeichelte, lag Inu Taisho. Sein linker Arm ruhte auf ihrer Hüfte. Er schlief.

Der Hundedämon atmete ruhig und gleichmäßig, seine Augen waren locker geschlossen und seine Körperhaltung war gänzlich entspannt. Es war das erste Mal nach langer Zeit, dass Inu Taisho sich seiner Erschöpfung hingab. Nach all den schweren, teils kaum zu verkraftenden Ereignissen der letzten Wochen holten sich sein völlig verausgabter Körper und Geist nun die überfällige Erholung. Im schwachen Morgenlicht wirkte sein Antlitz sehr sanft und weich, nahezu verletzlich.

Mit dem ehrfürchtigen Empfinden etwas Einzigartiges und Intimes, sogar fast Sakrales und Verbotenes zu betrachten, schaute Izayoi ihn an. Intuitiv wusste sie, dass der Anblick des friedlich ruhenden Dämonenfürsten ein ganz besonderes Privileg war, das kaum jemandem zuvor jemals gewährt worden war.
 

Wieder wurde die junge Frau von unermesslicher Freude erfüllt. Behutsam beugte sie sich über den Schlafenden, strich ihm vorsichtig eine vereinzelte Strähne, die sich aus seinem silberweißen Haarzopf gelöst hatte, aus dem Gesicht und küsste ihn zärtlich.

„Ich liebe dich“, flüsterte sie.
 

Ihr Kuss holte Inu Taisho aus seinem Schlummer. Er begann sich leicht zu regen. Noch halb im Schlaf versunken ergriff er Izayois Handgelenk, zog die Menschenfrau zu sich heran und drehte sich auf den Rücken, so dass sie auf ihm zu liegen kam. Daraufhin öffnete er seine Augen und musterte seine Geliebte gründlich. Liebkosend spielte er dabei mit ihrem langen, schwarzen Haar und schnupperte genüsslich daran.

„Frieden...“, murmelte er schließlich leise, „du schenkst mir Frieden... Wie sehr und wie lange habe ich danach gesucht... Aber es hat sich gelohnt. Allein für nur einen einzigen Augenblick dieses wunderbaren Friedens hat sich alles gelohnt!“

Voller Verlangen erwiderte Izayoi seinen intensiven, goldenen Blick.

„Halte die Zeit an“, forderte sie sehnlich, „halte die Sonne auf, mach, dass die Nacht und diese Stunden niemals vorüber gehen!“

„Ich würde es tun“, antwortete er lächelnd, „wenn die ewigen Mächte des Alls, denen sich selbst ein Dämon beugen muss, mir gehören würden, würde ich die ganze Welt für dich zugrunde gehen lassen.“

Langsam ließ sich Izayoi noch enger auf ihn herabsinken, schmiegte sich mit dem Kopf an seine Brust und lauschte seinem dumpfen Herzschlag.

„Nein, das würdest du nicht tun“, meinte sie dann: „Du würdest die Welt immer beschützen. Darum bin ich so glücklich ein Teil dieser Welt zu sein. Denn auf diese Weise bin ich auch ein Teil von dir.“

Auf diese Worte fand Inu Taisho keine Antwort mehr. Schweigend strich er seiner Angetrauten durch das Haar und über den Rücken.
 

Wohlig seufzend genoss die Menschenfrau die Wärme des unter ihr liegenden dämonischen Körpers, bis Inu Taisho sich plötzlich versteifte und ruckartig aufrichtete. Verdutzt tat Izayoi es ihm gleich und setzte sich ebenfalls auf.

„Was ist?“

„Ein Mensch nähert sich dem Schrein. Weiß jemand, dass du hier bist?“

„Eigentlich nicht“, sagte Izayoi, „ich glaube auch nicht, dass mich jemand gesehen hat oder mir gefolgt ist. Aber vielleicht ist dieser Schrein nicht völlig verlassen, vielleicht kommt ab und zu noch jemand hierher.“

Der Hundedämon schob Izayoi rasch ihre Kleidung zu und griff danach nach seinen eigenen Gewändern. In diesem Moment hörten beide das Rufen einer alten Frau:

„Izayoi... Izayoi-san... Bist du hier, meine Kleine? Izayoi-san!“

„Das ist ja meine Amme“, stellte Izayoi überrascht fest, „wie kommt die denn hierher?“

Inu Taisho war aufgestanden und hatte flink seine Beinkleider angelegt. Als er den Rest seiner Kleidung und die Bestandteile seiner Rüstung zusammen sammeln wollte, hielt Izayoi ihn am Arm fest.

„Warte, du musst nicht gehen. Sie weiß von uns. Wir brauchen uns nicht vor ihr zu verstecken, wir können ihr vertrauen.“

Zögernd hielt der Dämonenfürst inne und blickte unschlüssig um sich. Darauf setzte er sich steif und etwas verunsichert wirkend neben Izayoi zurück auf den Boden. Die Menschenprinzessin hüllte sich notdürftig in die unterste Stoffschicht ihres Kimonos und sah zur Schreintreppe.
 

Auf der obersten Treppenstufe tauchte eine etwas gebückt gehende, vor Anstrengung keuchende Frau im Alter zwischen fünfzig und sechzig Jahren auf. Sie blieb kurz stehen, um sich nach dem anstrengenden Aufstieg zu sammeln und wandte sich danach dem verfallenen Schreingebäude zu. Ihr Blick fiel auf das außergewöhnliche Liebespaar, das vor dem Schrein zwischen einem bunten Haufen aus abgelegter Bekleidung im Gras saß.

Die alte Dienerin erstarrte. Dann ließ sie sich hastig auf die Knie nieder und senkte demütig ihr Haupt zu Boden.

„Verzeih Izayoi... ich meine, Izayoi-hime... ehrenwerter Herr... Ich wollte Euch keinesfalls stören...“

„Wie hast du mich denn hier gefunden?“, fragte Izayoi verblüfft. Sie war dermaßen verwundert, dass sie nicht einmal Verlegenheit empfand.

Ihre Amme hob etwas den Kopf, ein warmherziges Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Hast du etwa vergessen, dass ich dich und deine Schwestern aufgezogen habe, Izayoi? Als deine Mutter damals im Kindbett starb, versprach ich ihr immer für dich da zu sein. Es gibt nichts, das du vor mir verbergen kannst. Kaum jemand kennt dich so gut wie ich. Daher war es sehr leicht für mich dein Verhalten beim gestrigen Gartenfest und dein über Nacht verlassenes Zimmer richtig zu deuten. Ich musste nur noch überlegen, an welchem nahe gelegenen Ort sich am ehesten ein Dämon verstecken könnte.“

Zaghaft sah die alte Frau nun zu Inu Taisho.

„Ihr seid also der weiße Hund... Es freut mich sehr, dass ich am Ende meiner alten Tage noch das seltene Glück erlebe, den Herrn und Bewahrer des Westens kennen lernen zu dürfen.“

Über die kuriose Situation, in dem sich der Dämonenfürst bei diesem Kennen lernen befand, blickte die Amme höflich hinweg.

Inu Taisho selbst schwieg lieber.

„Wenn Ihr erlaubt“, fuhr die Dienerin fort, „würde ich Izayoi-sama gerne zurück ins Schloss begleiten. Sonst ist zu befürchten, dass die Abwesenheit der Prinzessin sehr bald auffällt.“

Zögernd stand Izayoi auf. Ihre Amme warf einen kurzen, um Erlaubnis heischenden Blick auf Inu Taisho und ging, als dieser ihr zunickte, zur Prinzessin, um ihr beim Ankleiden zu helfen.
 

Reglos und mit der seltsamen Vorahnung, dass nun unendlich kostbare Stunden unwiederbringlich zuende gingen, sah der Dämonenfürst den beiden Menschenfrauen zu. Er hätte gern etwas gesagt oder etwas getan, um den Moment festzuhalten, doch er wusste nicht was. Selten zuvor hatte er sich so hilflos gefühlt wie in diesem Augenblick, während er das Gefühl hatte die Zeit rinne wie Sand durch seine Finger.

Als Izayoi mit dem Ankleiden fertig war, sah sie bedauernd zu ihrem geliebten Dämon.

„Wirst du eine Weile hier bleiben? Dann komme ich am Abend wieder zu dir.“

Der Hundedämon lächelte und nickte.

„Ja, das werde ich. Ich werde auf dich warten.“

Izayoi gab ein Lächeln zurück, drehte sich um und folgte danach ihrer Amme zur Schreintreppe. Nach einem letzten Blick zurück war sie fort.

Weiterhin bewegungslos blieb Inu Taisho sitzen und starrte auf die Stelle, an der Izayoi die Treppe hinabgegangen war. Ihr Duft hing noch in der Luft, es war wie der letzte Nachhall jenes erfüllenden, glücklichen Friedens, nach dem der Hundedämon so lange gesucht hatte. Und er vermisste dieses Glück, das er in einer Menschenfrau gefunden hatte, bereits jetzt.
 

Langsam wurde es wärmer. Mittlerweile hatte die Sonne genug Kraft, um den morgendlichen Dunst im Wald gänzlich aufzulösen. Mit dem Nebel verschwand schließlich auch Izayois Geruch. Der Wind frischte etwas auf und brachte neue Gerüche mit sich. Leise seufzend schloss der Dämonenfürst die Augen und studierte die Nachrichten, die der Wind aus nordwestlicher Richtung zu ihm brachte. Irgendwie waren es keine guten Nachrichten, etwas Beunruhigendes musste geschehen sein.

Für einen kurzen Moment glaubte Inu Taisho den Hauch einer vertrauten Aura wahrnehmen zu können und die Stimme seines Sohnes, die anklagend nach ihm rief. Dieser Moment war allerdings so schnell vorbei, dass es wohl nur Einbildung war. Dennoch ergriff sofort tiefe Besorgnis und ein bohrendes Schuldgefühl von Inu Taisho Besitz. Hatte er etwa schon wieder einen schweren Fehler begangen, weil er seinen Sohn erneut alleingelassen hatte? Warum nur wollte diese plötzliche Angst und diese erdrückende Gewissensqual nicht weichen?

Wie eine Bestätigung auf Inu Taishos düstere Ahnungen verfinsterte sich auf einmal der sonnige Himmel. Alarmiert öffnete der Dämonenfürst die Augen und sprang verteidigungsbereit auf.
 

Ein greller, blendender Blitz zerriss den verdunkelten Himmel und vertrieb die kurzfristige Schwärze wieder. Direkt vor Inu Taisho stand nun eine dreiäugige, braune Kuh. Auf dem breiten Rücken des Tieres hockte mit überkreuzten Beinen ein alter, menschenähnlicher Dämon in einem verlotterten, grün-schwarz gestreiften Gewand. Auf seinem Schoß lagen drei Schwerter. Hinter ihm saß ein junger, neugierig dreinschauender Fuchsdämon.

„Totosai.“ Inu Taisho entspannte seine Haltung wieder. „Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich deine unerwarteten Blitzüberfälle nicht besonders leiden kann?“

„Was heißt hier unerwartet?“, empörte sich der Dämonenschmied und hüpfte von seinem Reittier: „Habt Ihr etwa vergessen, dass Ihr was bei mir bestellt hattet?“

Daraufhin reckte Totosai dem Hundedämonen die zwei Schwerter entgegen, die er neben dem gut versiegelten Höllenschwert Sou’unga in Händen hielt.

„Ach so, deswegen bist du hier?“ Musternd betrachtete Inu Taisho die beiden neuen Waffen. „Sind die sechs Tage schon um? Ich gebe zu, ich habe etwas die Zeit vergessen...“

„Wie bitte?“ Totosais Empörung wuchs: „Da erschaffe ich für Euch die großartigsten Klingen, welche die Welt je gesehen hat, und Ihr kümmert Euch gar nicht darum?! Was war denn bitteschön so wichtig, dass Ihr mich tagelang warten lasst?“

Die kugelrunden Augen des Dämonenschmieds wanderten verärgert über Inu Taishos eher dürftige Bekleidung. Als ihm klar wurde, was diese Erscheinung des Dämonenfürsten zu bedeuten hatte, war es mit Totosais Selbstbeherrschung endgültig vorbei.

„So ist das also. Während ich für Euch schufte, gebt Ihr Euch den Lebensfreuden hin. Wer ist denn dieses Mal die Glückliche oder eher die Bedauernswerte? Habt Ihr überhaupt noch einen Funken Verstand, Oyakata-sama? Müsst Ihr unbedingt die hündische Familientradition heimlicher und verkorkster Beziehungsgeschichten weiterführen? Fast alle derartiger Liebschaften in Eurer Familie sind schließlich schief gegangen...“

„Das reicht!“, unterbrach Inu Taisho den Schmied äußerst scharf: „Meine Privatsphäre geht dich nichts an. Wenn du nur hier bist, um mir eine Moralpredigt zu halten, gehst du besser wieder!“

Totosai erstarrte und sah erschreckt in die goldfunkelnden Augen des Hundeherrn. Ihm wurde klar, dass er in Entrüstung über die Missachtung seiner Meisterwerke sehr unüberlegt gehandelt hatte und mit seinen Äußerungen eindeutig zu weit gegangen war.

Der Fuchsdämon Zuisou, der das ganze Geschehen und den Dialog verfolgt hatte, kam nun zögernd hinzu und schüttelte kaum merklich den Kopf. Dieser alte Metallbieger besaß noch weniger diplomatisches Geschick als seine Kuh.

„Also eigentlich sind wir auch noch wegen etwas anderem hier“, wagte Zuisou vorsichtig einzuwerfen, „es geht um Eurem Sohn...“

Inu Taisho spürte eine eiskalte Hand nach seinem Herzen greifen.

„Sesshomaru? Was ist mit ihm?“

„Vielleicht hättet Ihr Euch nicht dem Tod entgegen stellen dürfen“, bemerkte Totosai, „es ist eben sehr gefährlich über solche Grenzen zu gehen und die natürliche Ordnung des Lebens durcheinander zu bringen... Was Sesshomaru angeht... nun ja, den hat die ganze Sache offensichtlich zu sehr mitgenommen. Wahrscheinlich ist er total wahnsinnig geworden, er ist abgehauen und rennt jetzt völlig außer Sinnen irgendwo durch die Lande.“

Zuisou sah Inu Taishos entsetzten, fassungslosen Blick und hätte Totosai für dessen mangelndes Feingefühl am liebsten erschlagen.

„Eurer Heiler, dieser Ieyasu, kümmert sich bereits darum“, versuchte der Fuchsdämon den Fürsten zu beruhigen, „es wird bestimmt alles wieder gut.“

Inu Taisho reagierte nicht darauf. Fieberhaft sammelte er seine restlichen Kleidungstücke zusammen, zog sich rasch fertig an und legte seine Rüstung an. Daraufhin suchte er hastig den Boden in der näheren Umgebung ab.

„MYOGA! Du verwünschter Floh, wo steckst du? Wenn du nicht augenblicklich herkommst, werde ich deine gesamte blutsaugende Sippe ausrotten!“

Mit leisem, gequältem Stöhnen meldete sich eine Stimme vom Boden:

„Wa-was ist denn los, mein Herr? Bitte...ah, mein Kopf... schreit doch bitte nicht so... ooh, mir geht’s gar nicht gut...“

Mitleidlos fischte Inu Taisho den verkaterten Flohdämonen unter Waldlaub heraus und hielt ihn zwischen seinen scharfen Krallen eingeklemmt in die Höhe.

„Du gehst zu Izayoi und erklärst ihr, dass wir uns eine Weile nicht mehr sehen können. Und dann bleibst du bei ihr und passt auf sie auf. Und wenn du jemals wieder Sake anrührst, ertränke ich dich darin!“

Nach diesen Worten schnippte der Hundedämon seinen winzigen Diener fort, verwandelte sich in einen blauweiß leuchtenden Energieball und war augenblicklich verschwunden.
 

„He! Moment mal!“

Wild gestikulierend sprang Totosai auf der Stelle herum und fuchtelte dabei heftig mit den Schwertern in seinen Händen in der Luft herum.

„Wartet, Ihr habt da schon wieder was vergessen, Oyakata-sama! Soll ich Euch denn ständig damit hinterher laufen? Ihr habt Euch meine Meisterwerke ja nicht einmal richtig angeschaut! Sind Euch die armen Schwerter denn egal? Nehmt mir dann doch wenigstens dieses grässliche Sou’unga ab! Hallo?!? Ja, so ein Mist noch mal, sind diese Köter denn alle völlig durchgedreht?!“

„Daran seid Ihr schuld, Meister“, meinte Zuisou, „Ihr hättet dem Hundefürsten das mit seinem Sohn ja wirklich etwas schonender beibringen können!“

„Kann mir mal bitte jemand erklären, was eigentlich vorgefallen ist?“, mischte sich Myoga ein. Er saß nun auf Totosais Schulter und rieb sich seinen schmerzenden Kopf.

„Ich hoffe, du kannst mir auch einiges erklären“, antwortete der alte Schwertschmied, „so wie es aussieht kommt künftig jede Menge Ärger auf uns zu. Und da sollte jeder von uns wenigstens einigermaßen wissen, was hier vorgeht, damit wir Oyakata-sama gegebenenfalls helfen können. Also fangen wir mal damit an: wer beim ewigen Höllenfeuer ist Izayoi?“

Myoga seufzte. Das zu erklären würde gewiss nicht leicht werden, schließlich verstand er doch selbst nicht so ganz, wie und warum die Liebesbeziehung zwischen dem Hundedämonen und einer Menschenfrau zustande gekommen war. Außerdem bezweifelte er, ob es gut war das alles ausgerechnet mit Totosai auszudiskutieren. Andererseits konnte sich der Dämonenschmied das meiste wahrscheinlich eh schon zusammenreimen und außerdem stimmte es, was Totosai gesagt hat. Man konnte Inu Taisho nur helfen, wenn man über alles Bescheid wusste. Und der Dämonenfürst würde künftig sicherlich jede Hilfe brauchen, die er kriegen konnte.
 

* * * * *
 

So wie sonst in ganz Japan herrschte auch in den westlichen Bergen seit mehreren Tagen sehr freundliches Wetter. Zwei ärmlich gekleidete Bauersfrauen nutzten den sonnigen Tag, um im Wald Beeren zu sammeln. Sie stammten aus einem abgelegenen Bergdorf nahe der ehemaligen, nun verlassenen Höhlen des fortgezogenen, westlichen Wolfsrudels.

Bisher hatten die Menschen die urwüchsigen Waldhänge, die von den Wolfsdämonen gerne als Jagdgebiet genutzt worden waren, eher gemieden. Doch seit einiger Zeit wagten sie sich immer weiter dort hinein vor, denn vor Dämonen hatten sie nun nichts mehr zu befürchten. Erst vor kurzem hatte eine Gruppe Mönche in Begleitung von Dämonenjägern das ganze Gebiet gründlich abgesucht, aber keine einzige dämonische Spur mehr gefunden.
 

Fröhlich miteinander schwatzend streiften die Frauen durch den Wald. Ihre Ausbeute an saftigen Beeren war beträchtlich, ihre Körbe waren bereits fast voll. Nach einiger Zeit erreichten sie einen hohen Hügel, der ihnen einen schönen Ausblick auf das umliegende Land bot und entschlossen sich dort eine Essenspause zu machen.

Sie hatte sich gerade hingesetzt und begonnen ihr mitgebrachtes Essen zu verzehren, als die jüngere der beiden plötzlich aufschrie und zitternd nach unten zu einer Waldlichtung zeigte.

„Sieh nur, da! Was ist das?“

Die andere Frau richtete sich auf und sah zu der bezeichneten Stelle. Am Rande der Waldlichtung, zwischen den hohen Bäumen bewegte sich etwas Großes, doch sie konnte es auf die Entfernung nur schemenhaft erkennen. Es sah aus wie ein riesiges, weißes Tier. Der seltsame Schemen kam näher bis zur Lichtung, verharrte dort auf der Stelle und schien sich umzusehen. Dann sackte er etwas zusammen und rührte sich nicht mehr.

Hin und her gerissen von Angst und Neugier sahen die beiden Bäuerinnen von ihrem Aussichtspunkt zu der rätselhaften Gestalt auf der Lichtung hinab. Die junge Frau, die zuerst darauf aufmerksam geworden war, rang sich schließlich zu einer Entscheidung durch und packte ihren Beerenkorb.

„Los, lass uns nachsehen, was das ist!“

Ihre Begleiterin war zunächst nicht damit einverstanden, aber nach einiger Zeit wurde auch bei ihr die Neugierde größer als die Angst. So gingen die zwei langsam den Waldhang hinunter.
 

Nach etwa einer halben Stunde hatten die Frauen ihr Ziel erreicht und starrten staunend auf die sonnige Lichtung. Dort lag im weichen Gras ein gewaltiger Hund. Er hatte ein langes, weißes, über den Schultern zu einem molligen Wulst verdichtetes Fell. Auf seiner Stirn trug er ein blaues, sichelmondförmiges Zeichen. Seine riesigen Pranken und die großen, dolchartigen Zähne, die in seinem leicht geöffneten Maul zu erkennen waren, wirkten beängstigend. Doch er schien die Frauen nicht bemerkt zu haben, denn er bewegte sich nicht und seine Augen blieben geschlossen.

„Ein mononoke“, flüsterte die ältere der Frauen furchtsam.

„Was macht der hier? Ist er tot?“, fragte die Jüngere und betrachtete den riesenhaften Hund nun mitleidig: „Er scheint stark verletzt worden zu sein. Sieh dir doch nur diese vielen, grausigen Wunden an.“

„Das sind schon ältere, verheilende Verletzungen“, meinte die erste Frau, „und er ist auch nicht tot, er atmet ja. Wahrscheinlich liegt er in einem Heilschlaf. Ich habe mal gehört, dass Dämonen in solch einen Zustand fallen, wenn sie übermäßig geschwächt sind, und dass sie sich auf diese Weise regenerieren... Wir müssen rasch etwas unternehmen, bevor dieses Monster wieder aufwacht, denn es könnte uns sicher alle mit Leichtigkeit töten. Wir kehren am besten schnell ins Dorf zurück. Bestimmt sind die Dämonenjäger, die gestern bei uns übernachtet haben und heute früh weiter ziehen wollten, noch nicht sehr weit gekommen. Wir schicken ihnen einen Boten hinterher, dann können sie zurückkommen und unseren Männern helfen diese Bestie zu vernichten.“

„Aber das können wir doch nicht machen! Dieser Hund hat uns doch gar nichts getan. Und er ist verletzt!“

„Was redest du da für einen Unsinn? Das ist ein Dämon!“
 

Die ältere Frau packte ihre jüngere Freundin energisch am Handgelenk und zog sie mit sich fort. Diese ließ sich widerstandslos mitzerren, warf aber nochmals einen letzten Blick zurück auf die Lichtung.

Erbarmen war eigentlich fehl am Platz. Dämonen waren Ungeheuer, das wusste jeder, das war ihr von Kindheit an eingehämmert worden, da hieß es fressen oder gefressen werden. Trotzdem konnte sich die junge Frau, während sie zu dem verletzten, schlafenden Hundedämon zurück sah, ihres Mitleids und ihrer Zweifel nicht ganz erwehren. Irgendwie fand sie es unfair einen nicht wehrfähigen Dämonen anzugreifen, das war irgendwie nicht richtig.
 

Manchmal erwuchs aus dem Bestreben ein Unheil zu bekämpfen ein noch viel größeres Unheil. Aber das war eine Erkenntnis, die allen Beteiligten leider zu spät kam.
 


 

Soweit das siebenundzwanzigste Kapitel.

Schlafende Geister sollte man eben nicht wecken.

Ich mag der Anblick von schlafenden Personen und Tieren sehr gerne, deshalb ist die Stelle, als Izayoi den friedlich schlafenden Dämonenfürsten betrachtet und ihn danach durch einen Kuss aufgeweckt (das ist ja wie bei Dornröschen, *lach*) eine meiner Lieblingsstellen. Ich hoffe, euch gefiel dieses Kapitel auch. Denn Romantik werde ich nun nicht mehr viel bieten, es wird wieder actionhaltiger.
 

Der Anfang des Kapitels ist übrigens durch das Lied 'Morning has broken' und durch eine andere Morgenstimmungsszene aus dem Jugendbuch 'Die Outsider' von Susan E. Hinton inspiriert.

Kritik, Lob und hilfreiche Anmerkungen in Form von Kommentaren sind wie immer heiß begehrt. Danke!

Verblassendes Licht

Endlich ist das neue Kapitel komplett. Zuvor möchte ich mich (mal wieder) ganz herzlich für eure bisherige (Kommi)Unterstützung und vor allem für eure Geduld (!!!) bedanken. Ich gebe ganz offen zu, dass mir die Fortsetzung dieser zunehmend dramatisch werdenden Fanfic schwer fällt. Schließlich bin ich auch nur einer von vielen, unerfahrenen Hobbyautoren und zweifle daher oft, ob ich alles in dieser Story wirklich gut genug durchdacht habe und passend darstelle. Ihr dürft mir deshalb gerne Löcher in den Bauch fragen, wenn euch was unklar ist.

Genug gelabert, kommen wir lieber zu Kapitel 28: Schon wieder muss Inu Taisho seine geliebte Izayoi allein lassen, um drohendem Unheil entgegen zu treten. Unglücklicherweise ist es dieses Mal ausgerechnet sein Sohn, der ihm erneut Sorgen bereitet. Sesshomaru hat zutiefst mit dem Trauma seines grausamen Todes zu kämpfen und keiner vermag einzuschätzen, welche Folgen das haben könnte...

Enjoy reading!
 


 

Seit ich mich erinnern kann, habe ich den Tod gehasst und erbittert gegen ihn gekämpft. Aber es war ein vergeblicher Kampf, letztendlich habe ich immer verloren.

Der Tod ist ein furchtbarer, ein gnadenloser Jäger. Ihm kann niemand entfliehen. Im Gegenteil, je mehr seine Beute ihm zu entfliehen versucht, desto eher holt er sie ein. Und wenn er nicht sofort das bekommt, was er will, so holt er sich Ersatz.

Oft genug musste ich in das höhnische Antlitz des Todes blicken, wenn ich ein Leben gerettet hatte und er sich dafür ein anderes nahm. Hilflos habe ich mich auslachen lassen müssen. Hilflos habe ich die trauernden Tränen der Hinterbliebenen ertragen müssen. Und hilflos bin ich, wenn mir der Tod seine nächste Herausforderung entgegen ruft und ich dem Ruf folgen muss, mit dem Wissen niemals siegen zu können. Diese Hilflosigkeit ist die schlimmste aller Qualen für einen Heiler.
 

Deshalb fühlte ich damals eine große Genugtuung, als mein Herr das Unglaubliche schaffte. Als Inu Taisho um das Leben seines Sohnes gekämpft und gesiegt hatte, als er dem Tod seine Beute entrissen hatte, war das ein wunderbarer Triumph für mich. Aber in meiner Schadenfreude hatte ich zwei Dinge übersehen. Erstens verdrängte ich die Tatsache, dass mein Herr noch den Preis für seine Herausforderung zu zahlen hatte, dass der Tod irgendwann Ersatz bei ihm einfordern würde. Zweitens dachte ich nicht daran, dass mein tückischer Feind sogar aus Verlusten Gewinne erzielen kann. Der Tod gab den ihm Geraubten nie wirklich frei, heimlich und auf hinterlistige Weise machte er ihn sich stattdessen zu Nutzen, und Sesshomaru wurde des Todes Vollstrecker.
 

Wenn ich heute in die Vergangenheit zurück blicke und mein Leben überdenke, wird mir klar, dass einer meiner größten Fehler die Überheblichkeit und Selbstüberschätzung war. Ich hätte von Anfang an meine Grenzen erkennen müssen und mir nicht so viel auf meine heilerischen Fähigkeiten einbilden dürfen. Einen verletzten Körper kann ich heilen, aber eine verletzte Seele heilen, das konnte ich nie.
 

Erst, wenn man sich seiner Schwächen bewusst ist und sie akzeptiert, kann man wahre Stärke entwickeln. Erst heute weiß ich, der Sieg liegt in Anerkennung der Niederlage.
 

Eine erste Ahnung von den Grenzen meiner Macht bekam ich damals, als ich die Spur Sesshomarus verfolgte, nachdem er traumatisiert davon gelaufen war.

Dafür, dass er eigentlich noch extrem geschwächt war, hatte sich der Hundedämon erstaunlich weit und schnell vom heimatlichen Schloss entfernt. Sein Weg führte in die westlichen Berge. Später, als ich alle Einzelheiten kannte, verstand ich, warum er ausgerechnet diese Richtung gewählt hatte. Er hatte den gleichen Weg genommen, den auch Inu Taisho einschlagen hatte. Eine wohl unbewusste Sehnsucht des Sohns nach seinem Vater hatte Sesshomaru wahrscheinlich dorthin getrieben.

In den Nachmittagsstunden des folgenden Tages erreichte ich das Gebiet des westlichen Wolfsrudels. Verwundert stellte ich fest, dass dort außer Sesshomarus Ausstrahlung überhaupt keine dämonischen Energien zu spüren waren. Offensichtlich waren alle Dämonen, die in den westlichen Bergen gelebt hatten, verschwunden oder hatten sich versteckt. Aber warum?

Ich fand keine Erklärung dafür und das steigerte meine Besorgnis. Hastig suchte ich weiter nach dem entflohenen Fürstensohn und fand ihn schließlich auf einer Waldlichtung. Am Ende hatte sein geschwächter, verletzter Zustand nun doch Tribut gefordert. Sesshomaru war in einen Heilschlaf gefallen, allerdings war er bereits in der Endphase davon, er konnte also jederzeit daraus erwachen. Zudem befand er sich immer noch in seiner wahren Hundegestalt. Das bedeutete, ich musste extrem vorsichtig sein, denn in ihrer wahren Gestalt reagieren die meisten Dämonen eher instinktiv statt rationell und das konnte gefährlich sein. Dass Sesshomaru sicher auch noch außer Sinnen war, komplizierte die Situation zusätzlich.

Langsam näherte ich mich dem riesigen Hund und überlegte krampfhaft, was ich tun sollte. Die Idee Sesshomaru erneut einen fesselnden Bann aufzuerlegen, ihn zurück ins Schloss zu schaffen und wieder einzusperren, verwarf ich schnell wieder. Diese Vorgehensweise war das letzte Mal ein unverzeihlicher Fehler von mir gewesen und dementsprechend auch schiefgegangen. Jemanden, der wie Sesshomaru das Trauma einer schrecklichen Gefangenschaft erlebt hatte, durfte und konnte man nicht gewaltsam festhalten. Doch was konnte ich sonst tun?

Das einzig Vernünftige war wohl auf meinen Herrn zu warten, seinen bewusstlosen, wehrlosen Sohn solange zu bewachen und sich dabei möglichst unauffällig zu verhalten, um keine Feinde anzulocken. Dummerweise war ein riesiger Dämonenhund von Sesshomarus Stärke nicht gerade unauffällig, die in seiner wahren Gestalt offen gezeigte Dämonenaura war wie eine Einladung und strahlte meilenweit. Ich entschloss mich daher den Fürstensohn in seine menschenartige Form zu verwandeln und mich mit ihm irgendwo zu verstecken.
 

Behutsam, damit er mich nicht als Bedrohung empfand und aus seinem Schlaf geweckt wurde, kniete ich mich neben den weißen Hund und streckte sacht eine Hand nach seinem Kopf aus. Meine Umgebung hatte ich fast völlig vergessen. Eine barsche Stimme holte mich aus dieser Unaufmerksamkeit.

„He du! Verschwinde da, du Narr!“

Überrascht drehte ich mich um und sah eine größere Gruppe Menschen am Rand der Waldlichtung stehen. Es waren ungefähr zwanzig, unterschiedlich alte Männer mit ebenso unterschiedlicher Bekleidung. Einige von ihnen trugen Rüstungen, andere einfache Bauernkleider, wieder andere hatten Mönchskutten an. Sie alle waren bewaffnet. Erstere mit Schwertern, Lanzen oder anderer typisch kriegerischer Ausrüstung, die Bauern mit Ackergeräten und die Mönche mit Holzstäben und Bannzetteln.

Es war nicht schwer zu erraten, was diese Menschen vorhatten. Ohne mir meine innere Unruhe und Sorge anmerken zu lassen, stand ich auf.

„Bitte, es gibt keinen Grund für aggressives Verhalten. Ich verfolge keine bösen Absichten. Lasst mich bitte friedlich meine Aufgabe erfüllen, dann wird nichts geschehen. Ich will nur helfen.“

„Passt auf, das ist auch ein Dämon“, rief einer der Mönche, „er will nur seinesgleichen schützen.“

„Nein“, versuchte ich zu beschwichtigen, „ich möchte uns alle schützen. Ich bitte euch nochmals, zieht euch zurück, lasst uns in Ruhe und bedroht uns nicht weiter. Ich verspreche euch, ihr werdet dann nie wieder von uns behelligt werden.“

„Das Versprechen eines Dämons“, höhnte einer von den Kriegern, ein noch sehr junger Mann: „Glaubst du etwa, auf so etwas fallen wir rein? Ich erzähl dir mal was: der letzte Dämon, dem ich mein Vertrauen geschenkt habe, hat meine gesamte Familie auf dem Gewissen. Kein Mensch kann sich vorstellen, was dieser Dämon alles mit uns gemacht hat. Nur mein älterer Bruder und ich haben wie durch ein Wunder überlebt. Und wir haben uns geschworen, dass wir das Land von euch Ungeheuern säubern werden. Dieses Hundemonster und du, ihr werdet uns nicht entkommen!“

„Bitte“, versuchte ich es noch einmal, „ihr wisst nicht, was ihr tut. Ihr wisst nicht, welche Mächte ihr zu wecken droht!“

Gleichsam einer Bestätigung meiner Worte hörte ich plötzlich ein bösartiges Knurren in meinem Rücken. Die Zusammenballung einer sich sammelnden und sich aktivierenden Dämonenenergie verdunkelte den Himmel.

Entsetzt blickte ich hinter mich und sah in glühend rote Dämonenaugen. Sesshomaru war aufgewacht! Grollend richtete er sich auf. Die Menschen wichen unwillkürlich einige Schritte vor dem angsteinflößenden Hund zurück. Doch sie fingen sich schnell wieder, insbesondere die Krieger und Mönche bezogen daraufhin Kampfposition.

Ich war wie gelähmt und verpasste so wahrscheinlich die letzte Chance ein Eskalieren der Situation zu verhindern. Mehrere Speere flogen an mir vorbei und bohrten sich in Sesshomarus Flanke, zu spät gelang es mir einen Schutzschild zu errichten, an dem alle weiteren Waffenattacken abprallten. Sesshomaru gab ein kurzes, schmerzerfülltes Winseln von sich und leckte kurz über die Speerwunde. Dann knurrte er wieder und preschte im nächsten Moment an mir vorbei wie wildgeworden davon.

„Verfolgt ihn, treibt den Mononoke in Enge“, brüllte ein älterer Krieger, „drängt ihn zum Dorf. Er flüchtet wie erhofft genau in unsere vorbereitete Falle!“

„Nein...“, stöhnte ich, „hört auf... lasst ihn... und versucht auf keinen Fall ihn zu fangen oder gar ihn zu fesseln!“

Ich war zu Boden gestürzt, als Sesshomaru an mir vorbei gerannt war. Verzweifelt raffte ich mich wieder auf und suchte hektisch nach meinem magischen Stab, der mir aus der Hand gefallen war. Ich wollte die Menschen aufhalten, doch ehe ich mich versah, war ich von vier Mönchen umstellt, die mir Perlenketten entgegen streckten. Ein schmerzhaftes Schwindelgefühl erfasste mich. Sie versuchten mich zu läutern, mir meine Dämonen- und Lebenskraft zu entziehen. Ich brach in die Knie, mein Bannkreis schützte mich nicht. Halb besinnungslos tastete ich nach meinem Stab.

Die Mönche hatten beachtliche Kräfte und verstanden diese hervorragend einzusetzen, derartig überrumpelt hatte ich keine Chance. Ich spürte, wie mein Youki entwich, mein Geist und Körper sich in brennendem Licht aufzulösen begann. Mit meinem letzten Bewusstseinsfunken bekam ich meinen Stab zu fassen, aktivierte meine letzte Energie und flüchtete in Unsichtbarkeit.
 

Es war beängstigend ruhig, als ich wieder zu mir kam. Panisch öffnete ich die Augen. Ich befand mich immer noch auf der Waldlichtung, auf der die Menschen Sesshomaru und mich angriffen hatten. Doch nun waren alle verschwunden. Die Mönche, die versucht hatten mich zu läutern, waren sicherlich überzeugt gewesen mich vernichtet zu haben. Sie hatten sich dann wohl der Treibjagd auf Sesshomaru angeschlossen.

Zitternd stand ich auf, ließ meine geschwächten Sinne schweifen und suchte nach dämonischen Ausstrahlungen. Doch ich spürte nichts direkt, nur noch eine hinterlassene Spur davon. Voller Angst, dass mich das eventuell zu einem toten Dämonenhund führen würde, folgte ich dieser Fährte.
 

Nach einiger Zeit entdeckte ich ein Menschendorf. Oder vielleicht eher das, was mal eine menschliche Siedlung gewesen war. Erschüttert blieb ich stehen.

Ich habe schon mehr Tote und Schlachtfelder gesehen als ich zählen kann. Dennoch schockt mich deren Anblick immer wieder. So war es auch dieses Mal.

Wie versteinert starrte ich auf zerstörte, teilweise völlig zertrümmerte oder brennende Hütten, dann auf eine Menge, überwiegend bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Menschenleichen und zuletzt auf einen flachen Krater. Inmitten dieses Kraters kauerte eine verletzte, menschenartige Gestalt. Diese war jedoch kein Mensch, es war eine dämonische Gestalt mit langen weißen Haaren, gespenstischen, glühenden Augen, nadelspitzen Zähnen und rotvioletten, gezackten Streifen auf den Wangen und Unterarmen. Sesshomaru.

Mit dem linken Arm stützte sich der Hundedämon am Boden ab und sah mir drohend entgegen. Lodernde Wut und hasserfüllte Bosheit sprach aus seinem Blick. Die langen, scharfen Krallen seiner Rechten umklammerten krampfhaft den Hals eines jungen Menschenkriegers mit gebrochenem Genick und verätzter Rüstung. Schauriges, rötlich wallendes Licht umloderte beide.
 

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort gestanden hatte, absolut regungslos, bis eine Hand, die sich plötzlich auf meine Schulter legte und diese schmerzhaft fest packte, mich aus meiner Erstarrung holte. Reflexartig drehte mich abwehrend beiseite, stockte dann aber mitten in der Bewegung.

Neben mir stand Inu Taisho.

Ebenso unbewegt und starr wie ich zuvor blickte mein Herr auf die vor ihm liegende, gruselige Szenerie, auf das entsetzliche Blutbad. Sein Gesicht war aschfahl. Der Griff seiner linken Hand, mit der er sich an meiner Schulter festhielt, verstärkte sich, sein ganzes Gewicht schien sich gegen mich zu lehnen. Er sah aus, als würde er jeden Moment zusammenbrechen, sofort fasste ich unter seinen linken Arm und stützte ihn.

„Oh, Ieyasu“, flüsterte mein Herr erstickt, „was ist hier geschehen?“

Nachdem er sich etwas von seiner Fassungslosigkeit erholt hatte, machte sich Inu Taisho tranceartig von mir los. Den rechten Arm ausstreckend trat er einige Schritte vor.

„Sesshomaru...“

„Nicht, mein Herr!“

Schnell ergriff ich Inu Taisho am Handgelenk und hielt ihn zurück.

„Kommt ihm nicht zu nahe!“

Zornig schüttelte der Fürst meine zurückhaltende Hand ab.

„Soll ich mich etwa vor meinem eigenen Sohn fürchten?“

„Er wird Euch nicht erkennen“, warnte ich ihn, „Eurer Sohn ist in dem Zustand eines verletzten, rasenden Raubtiers. Er muss sich erst wieder beruhigen und zu sich kommen. Überlasst das lieber mir. Glaubt Ihr nicht, dass das auch in Sesshomaru-samas Sinne ist? Er würde bestimmt nicht wollen, dass Ihr ihn in diesem Zustand seht.“

Inu Taisho zögerte kurz, schüttelte dann aber den Kopf.

„Es mag richtig sein, dass es gefährlich ist und Sesshomarus Stolz widerspricht. Doch was für ein Vater wäre ich, wenn ich mich jetzt von ihm abwenden würde? Ich werde vor meiner Verantwortung nicht davonlaufen.“

Damit setzte sich mein Herr wieder in Bewegung und ging langsam auf Sesshomaru zu.
 

Als Sesshomaru seinen Vater auf sich zukommen sah, ließ er den Leichnam des getöteten Menschen los, richtete sich aus seiner kauernden Stellung auf und nahm eine kampfbereitete Haltung ein. Sein ganzer Körper zitterte unter starker Anspannung. Ein bestialisches, warnendes Knurren entwich seiner Kehle.

Bang beobachtete ich, wie Inu Taisho fast direkt vor seinem Sohn stehen blieb und ihm langsam beide Hände entgegenstreckte. Sesshomaru duckte sich etwas, im nächsten Moment holte er mit der Rechten aus und sprang seinen Vater an. Ich sah, wie sich seine hellgrün aufschimmernden Krallen durch die Rüstung und Brust meines Herrn bohrten. Inu Taisho zuckte etwas zusammen, sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, doch er blieb standhaft stehen. Er packte seinen Sohn an den Schultern, schloss seine Arme um den rasenden Dämon und zog ihn fest an sich. Sesshomaru wand sich in der Umarmung und befreite sich schließlich daraus. Bebend wich er einen Schritt zurück und starrte seinen Vater mit weit aufgerissenen Augen an. Reglos und schweigend blickte Inu Taisho zurück, ohne auf die schreckliche Wunde zu achten, die sein Sohn ihm zugefügt hatte.

Einige unerträglich lang andauernde Sekunden vergingen, dann machte Sesshomaru noch einen Schritt zurück und sank plötzlich schwankend in die Knie. Sofort kam Inu Taisho zu ihm und hielt seinen stürzenden Sohn fest. Eine kaum erkennbare Weichheit legte sich daraufhin über Sesshomarus dämonische Gesichtszüge, seine Anspannung wich und die tiefrote Glut seiner Augen wandelte sich in glänzendes Gold. Etwas wie eine Erinnerung, eine Mischung aus ungläubigem Erkennen und vertrauensvoller Freude schien ihn zu erfüllen.

„Chichi-ue?“

Sesshomarus Stimme war nur noch ein Hauch, als er dieses Wort fragend aussprach. Seine goldenen Augen schlossen sich. Bewusstlos brach er in den Armen seines Vaters zusammen.
 

Mit einem kaum hörbaren und erleichterten Schluchzen drückte Inu Taisho seinen Sohn an sich.

Auch meine Erleichterung war grenzenlos. Hoffnungsfroh, dass sich nun endlich alles zum Guten wenden könnte, und mit dem Bestreben zu helfen gesellte ich mich zu den beiden.

„Ich werde es nicht zulassen, ich werde es nicht zulassen“, flüsterte mein Herr ständig wiederholend vor sich hin und streichelte seinem besinnungslosen Sohn dabei sanft über die Haare: „Ich werde es nicht zulassen... ich habe dich zurückgebracht und so werde ich dich beschützen, selbst wenn die warnende Prophezeiung des Todes sich erfüllt!“

Erschrocken und verwundert sah ich meinen Fürsten an, ich verstand nicht, was diese seltsamen Worte zu bedeuten hatten, noch nicht. Aber der Fürst beachtete mich nicht und daher erhielt ich keine Erläuterungen auf meinen fragenden Blick. So legte ich meine Hand auf Inu Taishos Schulter.

„Lasst uns gehen, Herr.“

Inu Taisho schaute kurz auf und nickte stumm. Er stand auf, hob seinen Sohn behutsam hoch und trug ihn fort aus dem vernichteten Menschendorf. Bevor er sich danach in einen blauweißlichen Energieball verwandelte und verschwand, blickte er noch einmal kurz in meine Richtung. Seine goldenen Augen wirkten hart und entschlossen, aber sie schimmerten auch, fast so, als habe er geweint.
 

Ich blieb allein zurück und sah mich nochmals kurz um. Doch es war deutlich, dass ich in der zerstörten Siedlung wohl kein überlebendes Wesen mehr finden würde. Ich konnte nichts mehr tun. Auch die Bestattung der Toten musste ich den Menschen selbst überlassen. Es war zu gefährlich sich noch länger hier aufzuhalten. Denn das, was hier geschehen war, war sicher nicht unbemerkt geblieben.

Mit deutlichem Unbehagen wandte ich mich ab und aktivierte meine Kräfte, um meinem Herrn zu folgen. Ich ahnte, dass das Ereignis noch Folgen haben würde. Doch ich wusste nicht, welch schwerwiegende. Wie hätte ich auch ahnen sollen, dass woanders weiteres Unheil entstand, das sich bald darauf mit dem Geschehenen zu einem wahren Unglück zusammen braute.
 

* * * * *
 

Die Nacht warf ihre düsteren Schatten über die Meeresküste.

Etwa drei Wochen waren vergangen, der Mond hatte seine volle Kraft überschritten. Sein mehr um die Hälfte reduziertes Licht reichte nicht aus, um die Schatten eines nahegelegenen Bergwaldes zu durchdringen, in dem sich die Gestalt eines Mannes verbarg. Dieser saß unterhalb einer Kiefer am Rande eines steilen Abhangs im Gras und betrachtete mit rot glimmenden Augen den weit entfernen Horizont der See. Ungeduldig rupfte er einige Grashalme aus und zerrieb sie in seinen klauenartigen Händen. Auf seiner Stirn war ein kleines maskenartiges Gesicht zu sehen, das schlief.
 

„Äh... Ryokossei-sama...“

Der Angesprochene rührte sich nicht, er sah nicht einmal beiseite. Neben ihm schwebte ein winziger, pummeliger Drache in der Luft.

„Rede!“

Der deutlich aggressive Ton, der in diesem kurzen Befehl lag, war nicht zu überhören. Offensichtlich war Ryokossei mal wieder sehr schlechter Laune, so wie fast ständig in letzter Zeit seit Bundoris Tod.

Der kleine Drache unterdrückte ein Seufzen. Er selbst vermisste den sadistischen Drachenlord nicht, er war froh gewesen, dass er nie etwas direkt mit diesem Ungeheuer zu tun gehabt hatte. Aber bedauerlicherweise war nun dafür der Umgang mit Ryokossei noch schwieriger geworden. Denn seit Bundoris Vernichtung verhielt der sich völlig unberechenbar und extrem böswillig. Von der gelegentlichen Unsicherheit, die Ryokossei immer geschickter hinter seiner zunehmenden Grausamkeit verbarg, ahnte der kleine Drache nichts.

„Ähm... also, ich war wie befohlen wieder im Westen und habe...“

Ruckartig wandte Ryokossei seinen Kopf, seine rotleuchtenden Augen schienen den neben ihm schwebenden Drachenwinzling geradewegs zu durchbohren. Auch das unheimliche Maskengesicht auf Ryokosseis Stirn war nun wach geworden und starrte dem Kleinen ebenso entgegen.

„Sag mir endlich, was mit dem Juwel der vier Seelen ist!“

„Äh, d-das weiß ich... im-immer noch nicht...“, stammelte der kleine Drache und wich etwas zurück, als er bemerkte, wie sich beide Augenpaare in Ryokosseis Gesicht zu Schlitzen verengten.

„Bi-bitte, Ryokossei-sama, ich habe getan, was ich konnte... Un-und ich versichere Euch, dass wirklich niemand, nicht einmal Inu Taisho, weiß, wo das Juwel abgeblieben ist... Es scheint spurlos verschwunden zu sein. Genau wie der, der es gestohlen haben soll...“

„Pah! Ausgerechnet dieser dämliche Yoshio“, fauchte der Drachendämon in Menschengestalt und spuckte verächtlich auf den Boden, „ich hätte diesen Jammerlappen abmurksen sollen. So vergnüglich es sein mag mit seinen Werkzeugen zu spielen, es ist besser, sie restlos zu zerstören, wenn sie unbrauchbar geworden sind.“

Ryokosseis kleiner Spion beschloss den letzten Satz als ernste Warnung zu verstehen und berichtete daher hastig weiter:

„Ich habe dafür Neuigkeiten von der südlichen Westküste. Dort sind viele Menschenschiffe vom Festland aufgetaucht. Es scheint eine Invasionsarmee zu sein, so wie die vor fast sieben Jahren. Ihr sagtet doch, Ihr wollt sofort informiert werden, wenn so etwas mal wieder passiert.“

„Kriegsschiffe vom Festland?“ Ryokosseis Stimmung hob sich augenblicklich. „Na, endlich! Gut. Wenigstens auf Menschen und ihre Eroberungsgelüste kann man sich verlassen. Dann dürfte ja jetzt die geheime Fracht angekommen sein.“

„Äh“, wagte der kleine Drache einzuwerfen, „was findet Ihr denn an irgendwelchen Eroberungszügen von Menschen und ihren Schiffen so toll? Und was für eine Fracht meint Ihr denn?“

„Mach dir mal nicht zu viele Gedanken, Würmchen“, bemerkte Ryokossei hintergründig lächelnd, „dafür taugt dein winziges Hirn nicht. Und du willst doch nicht, dass mir deine angeborene Naivität auf die Nerven geht, oder?“

Auf diese Frage folgte keine Antwort. Das Schweigen war Beweis genug, dass der kleine Drache nicht ganz so dumm war, wie Ryokossei es ihm vorgeworfen hatte, sondern sehr wohl ein funktionierendes Gehirn besaß.
 

Ryokossei beachtete seinen gekränkten und verängstigten Spion nicht mehr, er stand auf und streckte einen seiner Arme aus, auf seinem Zeigefinger landete plötzlich ein Nachfalter.

„Richte dem Hyoga aus, dass alles vorbereitet ist. Ich werde den Hund zum Wald ohne Wiederkehr locken. Dort soll er ihn erwarten. Während er den Köter beseitigt, werde ich mein Verspechen einlösen und ihm beim Fang von lebenden Seelen helfen. Sag ihm, er wird die Seelen aller hier lebenden Menschen bekommen!“

Der Nachfalter schlug mit seinen Flügeln, löste sich von der Krallenspitze des Drachendämonen und segelte davon. Total perplex sah Ryokosseis zwergenhafter Diener dem Schmetterling nach.

Hyoga? Was war denn bitte ein Hyoga? Was sollte das alles? Wer der Hund sein sollte, dem Ryokossei da offensichtlich eine Falle stellen wollte, war allerdings klar. Nur konnte sich der kleine Drache nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte. Immerhin waren schon ganze Armeen und Bundori an Inu Taisho gescheitert.

„So“, sagte Ryokossei in diesem Moment, „das wird hoffentlich für ein Weilchen für Ablenkung sorgen und mir genügend Muße für weitere Pläne verschaffen. Vielleicht bekomme ich so auch ein paar Antworten auf noch offene Fragen.“

Nach diesen Worten packte der Drachendämon seinen winzigen Artgenossen und lächelte ihn zweifach mit seinem normalen Gesicht und der auf seiner Stirn sitzenden Maske an:

„Sag mal... hattest du nicht erzählt, dass sich Inu Taisho vor seiner Rückkehr in sein Schloss zuletzt in den westlichen Bergen und südlich davon rumgetrieben hat?“

„Äh j-ja“, stotterte der Winzdrache, der sich keinen Reim darauf machen konnte, was die Frage sollte, „je-jedenfalls habe ich seine Dämonenaura da mal gespürt. Und in den westlichen Bergen kursierte unter Menschen zudem so ein komisches Gerücht, dass ein weißer Hund dort Amok gelaufen sein soll.“

„Schön“, meinte Ryokossei, „das scheint doch eine interessante Sache zu sein. Dann werden wir uns beide da mal ein bisschen genauer umschauen...“
 

Weiterhin lächelnd und seinen kleinen Diener fest umklammernd verließ Ryokossei die Meeresküste, zog sich ins Landesinnere zurück und schlug einen Weg nach Westen ein.

In den letzten Wochen hatte der Drachendämon gründlich nachgedacht, fleißig nachgeforscht und sämtliche Informationen, die er während dieser Zeit über Inu Taishos Tun gesammelt hatte, mit vergangenem Wissen vereint. Und dabei waren ihm einige Merkwürdigkeiten aufgefallen. Es war Zeit einige Vermutungen zu überprüfen.

Ryokosseis Lächeln verbreiterte sich zu einem Grinsen. Er war vielleicht nicht so mächtig wie sein älterer Bruder, aber er hatte einen ebenso intriganten Geist. In diesem Sinne war er teils sogar klüger, denn Bundoris Naturell hatte dem toten Drachenlord das Verständnis für bestimmte Dinge verwehrt.

Mit diesen Gedanken verschwand Ryokosseis unterschwellige Unsicherheit, ein triumphierendes Gefühl machte sich in ihm breit. Wenn sich seine Vermutungen bestätigten, war die Zeit der Rache gekommen. Dann würde er den Herrn der Hunde mit dessen eigenen Waffen schlagen können.
 

Soweit das achtundzwanzigste Kapitel.

Wer seit Kapitel 17 bezüglich der vergangenen Zeit mitgezählt hat (was gar nicht so einfach ist bei meinen ungefähren Zeitangaben, aber orientiert euch mal an den Mondphasen^^), der weiß, dass Izayoi mittlerweile im zweiten, bald im dritten Monat schwanger ist... also wird es langsam und unaufhaltsam immer gefährlicher, ein gewisser Höhepunkt rückt näher und näher... *jaul*
 

Das Kapitel war irgendwie ein hartes Stück Arbeit (vor allem die Vater-Sohn-Szene). Ich hoffe, es ist dementsprechend gelungen und nachvollziehbar (falls nicht, *sorry*). Hilfreiche Kritik wird durchaus gern gesehen. :)
 

Übrigens: bis mindestens zum Jahreswechsel ruht diese Fanfic weitgehend auf Eis, ich fordere daher (mal wieder) eure Geduld heraus. Als Ersatz und kleines Trostpflaster für alle, denen das zu lange dauert, habe ich mit dem Hochladen einer weiteren Story begonnen:
 

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/164767/
 

(das ist eine Art Prequel-Geschichte zu „Anfang aller Feindschaft“, ihr könnt ja mal reinschauen, wenn ihr mögt)

Qualen der Schuld

Erneut muss ich mich entschuldigen, dass es wieder so lange mit dem Weiterschreiben gedauert hat. Wegen meines chronischen Zeitmangels muss ich leider irgendwo meine Grenzen ziehen und das Schreiben fällt dabei bedauerlicherweise in die Kategorie der zu begrenzenden Hobbys. Außerdem habe ich mal einen größeren Abstand d.h. eine größere Pause von dieser Geschichte gebraucht, um unverkrampft weiter daran schreiben zu können (das war wohl so eine Art Fanfic-Burnout-Syndrom).

Trotz aller Widrigkeiten liegt mir diese Fanfic aber weiterhin sehr am Herzen, und so werde ich sie nicht aufgeben, sondern mich bemühen sie zu einem würdigen Abschluss zu bringen, egal wie lange das noch dauert. In diesem Zusammenhang bedanke mich nochmals bei allen, die mich bisher bei der Story unterstützt haben! Noch mehr herzlicher Dank geht an alle, die mich auch künftig noch dabei begleiten wollen.

Okay, kommen wir zum neuen Kapitel: Fest entschlossen seinen verhassten Feind in den Untergang zu treiben, beginnt der Drachendämon Ryokossei ein neues Netz der Intrigen zu weben. Dieses Mal sieht es auch ziemlich günstig für den Drachen aus, denn das Glück scheint sich von Inu Taisho abzuwenden. Das erste Unheil erlebt der Herrscher des Westens, als er seinen traumatisierten Sohn aus einem Zustand mörderischer Raserei holen muss. Und auch andere machen die schmerzliche Erfahrung, dass es Dinge und Fehler im Leben gibt, die sich nicht rückgängig oder nicht wieder gut machen lassen...

Enjoy reading!
 


 

Es war der Tag der Sommersonnenwende.

An diesem lauen Juniabend musste die Nacht lange auf den Beginn ihrer Herrschaft warten. Doch auch der längste Tag des Jahres muss dem ständig weiter strömenden Fluss der Zeit folgen und sein Ende finden.

Gleich einem Feuerball sank die Sonne zum Rand der Erde herab und färbte den Westhimmel in ein sattes, glühendes Rot. Die Natur bot ein grandioses, berauschend schönes Schauspiel, das gleichzeitig aber auch einen leicht beängstigenden Eindruck machte. Denn die wenigen, unten am Horizont hängenden Wolkenstreifen wirkten wie geronnenes Blut.
 

„Sonnenuntergang...“, flüsterte Izayoi, „das Ende eines Tages, das Symbol des Todes...“

Die junge Menschenfrau stand allein in einem abgelegenen Winkel des weiträumigen Schlossgartens ihres Schwagers und betrachtete gedankenversunken den rotgefärbten Himmelsrand. Sie zitterte. Trotz der noch anhaltenden Wärme an diesem sommerlichen Abend fror sie. Unwillkürlich fasste sie nach ihrem Bauch und strich mit der Rechten zaghaft über eine leichte, noch wenig merkliche Wölbung, die sich gut versteckt unter den vielen Lagen ihres kostbaren Seidenkimonos verbarg.

„Ich darf nicht mehr warten“, flüsterte sie weiter, „oder es ist zu spät. Ich habe schon viel zu lange gezögert, nun muss ich es endlich tun, denn es ist der einzige Weg... Ich muss es tun... muss es tun...“

Gebetsmühlenartig wie eine Beschwörungsformel sagte Izayoi diese Worte leise vor sich hin. Doch den gewünschten Effekt, sich damit selbst zu überzeugen, erzielte sie nicht. Stattdessen spürte sie in sich eine immer stärker werdende, fast unerträgliche Furcht, die mit eiskalten Krallen nach ihrer Seele griff.

Langsam ließ Izayoi ihre Hand von ihrem Bauch hinauf zu ihrer Brust gleiten und umschloss mit zitternden Fingern einen kleinen Seidenbeutel, den sie in einer Gewandfalte nahe ihres klopfenden Herzen verwahrte. Es war der Beutel, den die junge Prinzessin von ihrer Amme bekommen hatte, ein Stofftäschchen gefüllt mit todbringenden Kräutern.
 

„Ich muss es tun...“

Ein letztes Mal sah Izayoi zum Sonnenuntergang, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Widerwillig wischte sie mit dem Ärmel über ihr Gesicht, verdrängte ihre Zweifel und wandte sich um. Sie ging zu einem alten, nicht mehr genutzten Lagergebäude und öffnete die verschlossene Tür.
 

Im Inneren des kleinen, vom beginnenden Verfall gezeichneten Schuppens war es dunkel.

Dunkel wie der Schlund der Hölle, dachte Izayoi mit Schaudern und kämpfte erneut gegen ihre wieder hochkommenden Ängste an. Dazu gesellte sich jetzt auch ein quälendes Gefühl der Einsamkeit.

Die Vorstellung, bei dem Bevorstehenden allein sein zu müssen, erschreckte sie. Aber auf tröstenden Beistand musste sie verzichten. Hilfsbereite Zeugen wie Izayois Amme, die der Prinzessin prinzipiell gern beigestanden hätte, durfte es nicht geben. Denn ein Helfer und Zeuge würde sich sonst ebenfalls schuldig machen und hätte härteste Strafen riskiert, erst recht, wenn etwas schief ging. Izayoi wollte nicht, dass andere für sie büßen mussten, und hatte deshalb einen Zeitpunkt und Ort, an dem sie sicher allein war, für die Durchführung ihres Vorhaben gewählt. Sie würde die Konsequenzen, welche die Liebe zu einem Dämon erforderte, auf sich nehmen und alleine tragen.

Erst vor kurzem war die Prinzessin endlich auch das letzte mögliche Hindernis, das ihr noch entgegen hätte stehen können, losgeworden. Das war gar nicht mal so einfach gewesen. Denn bei dieser letzten, zu überwindenden Hürde handelte es sich um den alten Myoga, der ihr von ihrem geliebten Hundedämonen hinterlassen worden war, mit dem Auftrag auf Izayoi aufzupassen. Der kleine Flohgeist hatte seine Aufgabe überaus ernst genommen und sich auf diese Weise als extrem lästig erwiesen. Zum Glück besaß er aber einige hilfreiche Schwächen, die es Izayoi ermöglicht hatten ihren Bewacher für eine Weile abzulenken und auszuschalten. Nun hieß es die Gunst der Stunde auszunutzen und zu handeln.
 

Sorgfältig schloss die junge Frau die Türe hinter sich und setzte sich im Finsteren auf den Boden. Blind tastete sie nach dem an ihrer Brust verborgenen Seidenbeutel, entknotete die Schnüre, die den Stoff zusammenhielten, und befeuchtete das darin befindliche Kräuterpulver mit ihrem Speichel. Aus dem entstehenden, feuchten Kräuterbrei formte sie ein leicht einführbares Zäpfchen. Ein herbes, beißendes Kribbeln brannte dabei auf ihrer Zunge. Das war sicher nur ein geringer Vorgeschmack auf die lebenszerstörende Wirkung, die das Abtreibungsmittel bald in ihrem Bauch entfalten würde.

Erneut packte sie die Angst, doch sie kämpfte sie nieder. Tief Luft holend spreizte Izayoi ihre entblößten, angewinkelten Beine und führte ihre zitternden Finger, mit denen sie den zäpfchenförmigen Tod umfasste, zu ihrer Scheide.
 

Nun war es getan.

Bebend wartete sie darauf, dass das Todeskraut begann seine höllische Wirkung zu entfalten.
 

Sonnenuntergang...

Nochmals sah Izayoi den versinkenden, rotglühenden Feuerball vor ihrem geistigen Auge. Das Bild der am Horizont stehenden Sonne weckte viele Erinnerungen in ihr. Erinnerungen des Glücks, aber auch Erinnerungen an furchterregende, warnende Träume, die von Flammen, Blut und Vernichtung handelten. Diese Träume wurde sie einfach nicht mehr los, sie verfolgten die junge Menschenfrau jede Nacht seitdem sie Inu Taisho wiedergesehen hatte, und wurden immer grauenvoller. Diese düsteren, nächtlichen Schreckensbilder waren das Kehrbild ihres Glücks, waren wie ein verstecktes, hässliches Gesicht der sonst so holden Liebe.

Und als dann schließlich unerträgliche, brennende Krämpfe ihren Unterleib zerrissen, erkannte Izayoi, dass die Liebe wie die Sonne ist, eine verzehrende Lohe, lebensspendend und gleichzeitig zerstörend.
 

Einen weiteren Gedanken konnte sie nicht mehr fassen, das Feuer tobte unerbittlich in ihr und raubte ihr letztendlich jeden Bewusstseinsfunken. Alles, was sie wahrnahm, war brennender Schmerz. Doch Izayoi war dankbar dafür. Denn ihre Qualen verdrängten auch das schreckliche, aufkeimende Gefühl von Schuld und Trauer, als sie spürte, wie sich etwas tief in ihr ängstlich schreiend aufbäumte. Es war wie der Schrei aus ihrem Alptraum. Der weinende Schrei eines Ungeborenen, das verzweifelt um sein Leben kämpfte.
 

* * * * *
 

Irgendwo an der Grenze zwischen Raum und Zeit floh eine schemenhafte Gestalt vor der Dunkelheit. Es sah aus, als versuche ein Schatten sich von der Finsternis, der er angehörte, zu lösen. Doch so sehr der Schemen auch versuchte der umgebenden Schwärze zu entkommen, es wollte ihm nicht gelingen. Die Dunkelheit war ein Teil von ihm.

Vergeblich rannte er weiter. Immer weiter, verfolgt von ewiger Nacht, bis er die Aussichtslosigkeit seiner Lage nicht mehr ertrug und die Verzweiflung aus seiner Seele herausschrie. Aber selbst das verschaffte ihm keine Erleichterung. Sein Schrei verhallte ungehört, wurde verschluckt vom Dunkel, das ihm nachjagte und ihn ununterbrochen plagte.
 

Schließlich erreichte er einen Abgrund, einen Schlund, der hinabführte in ein absolutes Nichts. Keuchend und bebend blieb er am Rande der unendlichen Tiefe stehen, hin und her gerissen zwischen Furcht und Hoffnung.

Es konnte das Ende seiner Qualen sein, wenn er hier runter sprang, aber die Leere machte ihm Angst. Wenn er sich ins Nichts hinabstürzte, würde er selbst nichts mehr sein.

Während er zaudernd am Rande des Abgrunds stand, holte die Finsternis ihn ein. Sie umhüllte ihn, bedrängte ihn und schien höhnisch zu kichern. Wispernde Stimmen erfüllten das Dunkel, schwebten in den schattigen Wolken um ihn her und flüsterten ihm bösartig zu:

„Es gibt keinen Ausweg für dich, du kannst nicht fliehen. Du gehörst mir. Gib dich mir hin. Das ist alles, was dir noch bleibt. Das oder nichts.“

„Nein. Bitte, lass mich...“

Verzweifelt flehend fiel er in die Knie.

Die Dunkelheit um ihn herum verdichtete sich, umströmte ihn in einem sich immer schneller drehenden Wirbel und verfestige sich schließlich zu einer Form, die über dem Abgrund vor ihm schwebte.

„Du hast es selbst so gewollt“, sprach die unerbittliche Schwärze weiter: „Ich bin das Ergebnis deiner eigenen Schuld. Einer Schuld, von der du dich niemals mehr reinwaschen kannst. Warum verleugnest du das? Warum willst du deiner Verderbtheit nicht in die Augen sehen? Schau mich an!“

Zitternd hob der Kniende seinen Kopf und blickte zur Schwärze vor sich. Die Form der Dunkelheit hatte sich weiter verändert, sie hatte sich etwas aufgehellt und bildete nun die Gestalt eines jungen, dämonenartigen und weißhaarigen Mannes. Der Anblick war schrecklich, denn der nackte Körper dieses Mannes war bis auf das Gesicht fast völlig zerstört, bestand zu großen Teilen nur noch aus einem blutigen Skelett mit zersplitterten Knochen.
 

„Erkennst du mich? Weißt du, wer ich bin?“, fragte die grausige, schwebende Gestalt höhnisch: „Hast du etwa gehofft mich vergessen zu können? Glaubst du, du könntest Vergebung im Vergessen finden? Für das, was du getan hast, gibt es kein Verzeihen.“

Die gruselige Gestalt begann zu lächeln und streckte einen blutüberströmten Arm aus. Mit ihren knochigen, krallenbewehrten Fingern berührte sie den kauernden Schatten vor sich und schien ihn zu streicheln. Furchtsam wich dieser vor der unheimlichen Erscheinung zurück.

„Warum hat du Angst“, fragte das geisterhafte Bild weiter: „ist dieser Anblick nicht das, was du dir gewünscht hast? Was ich bin, ist schließlich dein Werk. Du hast mich beneidet und aus deinem Neid wurde Hass. Und so wolltest du mich schwach sehen, wolltest mich erledigt sehen. Was schreckt dich nun? Dein Wunsch ist in Erfüllung gegangen... mein Stolz, meine Hoffnung, mein Vertrauen, mein Körper und meine Seele wurden im Staub zertreten, ich habe vor Pein geschrieen und geweint, ich bin schwach gewesen... alles, was du wolltest, ist geschehen... Du hast mich verraten, hast mich gebrochen und vernichtet...“

„GEH WEG!“, schrie der Gequälte zurück, „Verschwinde, du grässliches Gespenst! Was willst du von mir, warum verfolgst du mich? Ich kenne dich nicht!“
 

Die Geistergestalt über dem Abgrund verschwamm und verwandelte sich erneut. Nun war sie wieder völlig schwarz, ohne klare Konturen. Nur ihre Augen blieben erkennbar und leuchteten. Es waren goldene Augen, in denen ein tiefrotes Feuer brannte.

„Wehr dich nicht mehr, mein Freund, versuch nicht mehr vor mir zu fliehen... was geschehen ist, hat auch sein Gutes. Du hast mein Dämonenblut gereinigt. Du hast alle jämmerlichen Schwächen und albernen Gefühle aus mir ausgebrannt. Nun wird mich niemals wieder etwas verletzen oder besiegen können. Komm, mein Freund, komm zu mir. Wir gehören zusammen. Wirf auch du deine Gefühle weg, nimm die Finsternis an. Lass uns unsere dunklen Seelen verschmelzen, dann werden wir mächtig sein. Mächtiger als alles in der Welt...“

„NEIN!“, kreischte der Angesprochene und schlug wie wahnsinnig auf den schwarzen Nebel ein, der ihn nun umhüllte: „Nein! Hör auf, lass mich in Ruhe... Wer auch immer du bist, was auch immer ich dir angetan haben soll, es tut mir leid! Verstehst du mich? ES TUT MIR LEID!“

Höhnisches Lachen war die Antwort.

„Was bist du doch für ein Narr... für Entschuldigungen ist es zu spät...“
 

Zu spät.

Diese Worte trafen ihn. Er taumelte, die Schwärze um ihn erdrückte ihn. Kraftlos versuchte er eine letzte Gegenwehr, doch er stolperte und stand dann wieder am Rand des Nichts. Inmitten dieser gähnenden Leere glaubte er ein Gesicht zu sehen. Ein bleiches, aber schönes Antlitz, umrahmt von langen, silberweißen Haaren und mit goldglänzenden, tränenerfüllten Augen. Und dieses Mal war das Bild nicht erschreckend, es sah ihn nur stumm und traurig an. Trotzdem war dieser Anblick schlimmer als alles andere bisher, es zerschnitt ihm das Herz.

Schmerzerfüllt keuchte er auf und stieß sich zuletzt fest von der Kante des Abgrunds ab. Laut aufschreiend sprang er in die Leere und stürzte sich in die Tiefe. Und da unter ihm absolut nichts war, wurde es ein Sturz in die Unendlichkeit...
 

Sein durchdringendes Schreien hallte durch eine geräumige Höhle und riss das dort ruhende, kleine Rudel aus Dämonen und Wölfen aus seinem friedlichen Schlummer.
 

„Nicht schon wieder...“

Genervt aufstöhnend vergrub ein schwarzhaariger, junger Wolfsdämon seinen Kopf unwillig zwischen dem Fell der neben ihm schlafenden Tiere. Vergeblich. Das Schreien war zu laut, um es dauerhaft ignorieren zu können. Daher sprang der Wolfsdämon schließlich erbost auf und rannte zur Höhlenseite, von der die störenden Laute kamen. Dort packte und schüttelte er unsanft einen anderen Wolfsdämon mit braunem Haar, der sich wie wild auf seinem Lager herumwälzte.

„Verdammt, du blöder Schreihals, hör endlich mal auf damit!“

Mit diesen Worten verpasste der schwarzhaarige Wolfsdämon dem Kreischenden ein paar heftige Ohrfeigen.

„Los, wach schon auf! Es ist alles in Ordnung!“

Endlich trat der gewünschte Erfolg ein, der Schreiende verstummte und schlug seine Augen auf. Völlig verwirrt starrte er sein Gegenüber an.

„Koga...“, flüsterte er, „bist du es wirklich...?“

„Klar, du Idiot. Jetzt beruhig dich wieder, okay?!“

„Was ist geschehen?“, fragte der andere leise und fasste an seine Stirn, er zitterte am ganzen Körper.

„Du hast wieder einen deiner Alpträume gehabt“, antwortete Koga, ließ seinen Artgenossen los und setzte sich seufzend neben ihn.

„Mit deinem Geplärre hast du mal wieder das ganze Rudel aus dem Schlaf gerissen.“

Der braunhaarige, zitternde Wolfsdämon sah sich schuldbewusst um. Die vielen missgelaunten Mienen weiterer Wölfe blickten ihm verärgert entgegen.

„Tut mir leid...“

„Schon gut“, murrte Koga. Ganz so versöhnungsbereit, wie es diese Worte vermuten ließen, war er allerdings noch nicht: „Du solltest echt mal lernen dich zu entspannen! Wenn du so weiter machst, treibst du dich und uns alle noch irgendwann in den Wahnsinn... Was träumst du da bloß ständig, kannst du dich wenigstens dieses Mal an was erinnern?“

„Nein, nicht so richtig...“ Bedauernd hob der Befragte die Schultern und begann zu grübeln: „Ich glaube, ich wollte vor etwas fliehen. Etwas Grässliches verfolgte mich. Und dann... ach, ich weiß es nicht mehr... Das einzige, an das mich vage erinnern kann, ist ein bleiches, verschwommenes Gesicht mit traurigen Augen, die mich anblickten. Irgendwoher kenne ich diese Augen. Wenn ich nur wüsste, wer das war... Doch so sehr ich es auch versuche, ich kann mich einfach nicht erinnern... ich kann mich immer noch an nichts erinnern...“
 

In diesem Moment gesellte sich Ginta dazu, verärgert schnaubend setzte er sich neben Koga und wandte sich nun auch an den braunhaarigen Wolfsdämon.

„Mir scheint, du willst dich auch gar nicht erinnern. Vielleicht verdrängst du auf diese Weise ja irgendein Verbrechen?!“

„Halt die Fresse“, schimpfte Koga zornig und versetzte seinem Freund einen heftigen Schlag auf den Schädel, „lass Umimaru doch mal in Ruhe! Seit er bei uns ist, hackst du ständig nur auf ihm herum! Was hast du eigentlich gegen ihn?“

Ginta starrte zu Boden und schwieg. Er konnte es sich selbst nicht erklären, warum er den braunhaarigen, fremden Wolfsdämon, den er zusammen mit Koga und Haggaku vor einigen Wochen am Meeresstrand gefunden hatte, nicht mochte. Denn objektiv betrachtet war der ein ganz normaler und netter Kerl, weswegen er auch bereitwillig ins Rudel aufgenommen worden war. Weil er das Gedächtnis verloren hatte und sich nicht einmal mehr an seinen eigenen Namen erinnern konnte, nannten ihn alle Umimaru, nach dem Meer, aus dem sie ihn geholt hatten und dessen salzigen Geruch er seltsamerweise dauerhaft angenommen hatte.

Abgesehen von seinen ständigen, nervenaufreibenden Alpträumen fiel Umimaru auch niemals negativ auf. Er war hilfsbereit, freundlich und wurde von allen anderen gemocht. Besonders Kogas Mutter Aoi, die Leitwölfin, hatte den neuen Rudelangehörigen ins Herz geschlossen und kümmerte sich von Anfang an äußerst liebevoll um ihn.

Nur Ginta konnte sich mit dem Neuen nicht anfreunden, er fühlte sich in dessen Gegenwart ständig unbehaglich. Er wurde das Gefühl nicht los, dass irgendwas an Umimaru nicht stimmte, dass der gar kein richtiger Wolfsdämon war. Denn wenn er ein richtiger Wolf war, warum roch er dann nicht danach? Von einem Wolf, der nur nach Meerwasser riecht, hatte Ginta bisher noch nie etwas gehört, das war doch mehr als seltsam. Dummerweise war er bezüglich dieser Tatsache der einzige, der sich darüber wunderte. Auch die merkwürdige, nur ganz schwach fühlbare Aura, die Umimaru verströmte, schien niemanden außer Ginta aufzufallen. Seit Wochen zerbrach sich Ginta vergebens den Kopf, wo er diese Aura schon einmal gespürt hatte, aber er kam nicht darauf. Und solange er keinen Beweis hatte, mit dem er sein Misstrauen gegen Umimaru begründen konnte, konnte er auch nichts gegen ihn und seine Anwesenheit tun.
 

„Wo ist Aoi-san?“

Ein Wolfsdämon, der zur nächtlichen Wache eingeteilt gewesen war, stürmte auf einmal wie gehetzt in die Höhle.

Von Ginta und Umimaru abgelenkt, stand Koga auf.

„Meine Mutter ist nicht da, sie ist heute Abend hoch in den Norden gereist. Sie wollte da irgendwas mit den alten Wölfen besprechen... Was ist denn los?“

„Ein Mottenschwarm ist in unser Revier eingedrungen!“

„Ach tatsächlich?!“, bemerkte Koga sarkastisch: „Auweia, wie schrecklich... ich scheiß mir gleich vor Angst in den Schurz! Ist das alles? Oder gibt es vielleicht noch einen gescheiten Grund für deinen dramatischen Auftritt?“

„A-aber...“ stammelte der aus dem Konzept gebrachte Wolfswächter: „Diese Motten... sie verfolgten und attackierten einen Hundedämon. Iki, der mit mir Wache geschoben hat, ist losgelaufen, um dem Hund zu helfen. Und ich kam hierher, um weitere Hilfe holen.“

„Ein Hund, der sich von Nachtfaltern in Bedrängnis bringen lässt? Ich glaub es einfach nicht... Wie dämlich ist das denn?!?“ Koga schüttelte den Kopf: „Diese Köter sind manchmal richtig peinlich... Na ja, ich denke mal, meine Mutter würde wollen, dass wir einer Töle helfen. Dann gehen wir halt auf Schmetterlingsjagd... Ginta, Haggaku, kommt mit! Umimaru auch! Das lenkt dich vielleicht ein bisschen von deinen Träumereien ab und die anderen können dann wenigstens in Ruhe weiterschlafen.“

„Ich finde, wir sollten mehr Leute mitnehmen“, wagte Ginta einzuwerfen.

„Das finde ich auch“, meinte Haggaku: „es könnte gefährlich sein!“

„Aber natürlich, klar doch“, gab Koga genervt zurück, „am besten stellen wir gleich eine ganze Armee gegen ein paar Motten auf... Also echt, Ginta, Haggaku, ihr alten Angsthasen! Manchmal glaube ich, ihr seid im falschen Fell geboren. Benehmt euch doch wenigstens einmal wie ein richtiger Wolf!“

Beschämt starrten Ginta und Haggku zu Boden. Umimaru trat zwischen sie und legte ihnen kameradschaftlich die Arme über die Schultern.

„Lasst den Kopf nicht hängen, Freunde! Eine kleine Prügelei ist doch vielleicht ganz lustig... Und es sind ja bloß Schmetterlinge...“

„Nimm gefälligst deine Krallen von mir, ich bin nicht dein Freund!“, fauchte Ginta unwirsch, heftig schubste er Umimaru von sich weg. Dann stapfte er wütend hinter Koga her, der bereits wie der Blitz aus der Höhle gerannt war.

Umimaru schwieg betroffen, Haggaku gab ihm einen freundlichen Rippenstoß.

„Mach dir nichts draus!“, tröstete er seinen gekränkten Artgenossen: „Ginta spinnt halt manchmal ein bisschen. Koga, ich und alle anderen hier sind auf jeden Fall deine Freunde!“

Das entlockte Umimaru ein glückliches Lächeln.

„Danke“, sagte er.

Haggaku grinste.

„Gern geschehen, Kumpel! Jetzt sollten wir aber schnell hinter Koga und Ginta her, sonst verpassen wir noch das Beste!“

Umimaru lächelte erneut und sie rannten los.
 

Kurze Zeit später liefen die vier Wolfsdämonen durch einen nahegelegenen Wald und erreichten nach etwa einer Viertelstunde einen lichten Abschnitt, durch den ein schmaler Bach floss. Dort lag direkt am Bachufer, im Gras, die leicht verkrümmte, reglose Gestalt eines Mannes. Neben diesem stand ein bewaffneter Wolfsdämon und wehrte mit einer Schwertlanze einen riesigen Mottenschwarm ab, der offensichtlich an den Reglosen am Boden heranzukommen versuchte. Es roch nach Blut.

Koga besah sich die Szenerie nicht lange und stürzte sich zusammen mit seinen Kameraden ins Getümmel. Die kleinen Nachtfalter hatten der geballten Kraft von mehreren dämonischen Wolfsklauen zwar nur wenig entgegen zu setzen, aber sie waren sehr zahlreich. Zudem verteilten sie mit ihren Flügeln ein betäubendes Pulver in der Luft.

Der Kampf gegen Schmetterlinge gestaltete sich daher schwieriger und länger als zunächst gedacht. Glücklicherweise gaben die Motten, als etwa die Hälfte von ihnen zerfetzt am Boden lagen, plötzlich auf und flogen davon.
 

„Puh, was für lästige Insekten!“, stöhnte Koga und wischte sich hastig den Schmetterlingspuder aus seinem Gesicht. Der Flügelstaub brannte schmerzhaft in seinen Augen.

„Alles in Ordnung bei euch?“, fragte er seine Gefährten.

Ginta, Haggaku und Umimaru nickten. Daraufhin wandte sich Koga an den Wolfsdämonen mit der Schwertlanze, der sich gerade neben den reglos am Boden liegenden Mann gekniet hatte und ihn nun prüfend musterte. Der Untersuchte war ein sehniger, schon etwas älterer und teils grauhaariger Hundedämon in kriegerischer Ausrüstung. An seiner linken Halsseite war eine böse, bissartige Verletzung zu sehen.

„Nun, Iki, wie steht es um den Köter?“, frage Koga.

Der Wolfsdämon namens Iki zuckte kurz bedauernd mit den Schultern und stand wieder auf.

„Pech gehabt, es ist zu spät. Er ist tot.“

„Zu spät? Er ist tot?“ Umimaru kam näher, ihm wurde plötzlich kalt. Irgendwie erweckten diese Worte eine unangenehme Erinnerung in ihm. Voller Unbehagen betrachtete er den toten Hundedämon. Der Anblick jagte ihm eisige Schauer über den Rücken. Aber warum? Was hatte er als Wolf mit einem Hund zu tun? Und warum musste er plötzlich wieder an das Gesicht aus seinen Träumen denken, dieses Gesicht mit weißem Haar und goldenen Augen...?

„Hey, Umimaru, was ist denn los mit dir? Kennst du den Kerl vielleicht?“

Aus seinen Gedanken gerissen sah Umimaru kurz von dem Toten weg und begegnete Gintas misstrauischem Blick.

„Nein, ich kenne ihn nicht“, erklärte er danach zögernd, „oder vielleicht doch... ich weiß nicht, er erinnert mich irgendwie an was, aber ich kann es noch nicht recht fassen...“

„Der Hund sieht aus wie ein Kundschafter“, mischte Haggaku sich ein, „ob er vielleicht etwas Bedrohliches entdeckt hat und deswegen zu seinem Herrn ins Schloss des Westens wollte?“

„Möglich“, meinte Iki, „er lief jedenfalls in diese Richtung. Das würde auch erklären, warum er angegriffen und verfolgt wurde... Doch woher kamen diese komischen Flatterviecher? Das waren doch keine normalen Motten!“

„Hm“, überlegte Koga, „vielleicht sollten wir uns das alles mal ein bisschen genauer ansehen und mögliche Spuren untersuchen. Ich laufe danach am besten nach Norden und suche meine Mutter. Und Iki informiert den Hundefürsten, was hier passiert ist. Das dürfte ihn ja sicher interessieren. Ginta geht zurück zur Höhle und sagt unserm Rudel Bescheid. Haggaku, du könntest mit Umimaru den Hund begraben.“

„Okay“, entgegnete Haggaku, ihm war das nur recht. Eine Beerdigung war weniger anstrengend als durch die Gegend laufen zu müssen und Haggaku bevorzugte bei all seinen Tätigkeiten stets die gemütlichste Variante.
 

Koga, Ginta und Iki verschwanden.

Schweigend begruben Haggaku und Umimaru den Toten.

„Sag mal, ist alles in Ordnung mit dir? Oder fehlt dir was?“, fragte Haggaku seinen Kumpan, als sie fertig waren und sich auf den Nachhauseweg machten. Sein Artgenosse war sehr bleich geworden, er sah regelrecht krank aus. Doch Umimaru wiegelte ab:

„Ja ja, alles klar... mir geht es gut...“

In Wirklichkeit ging es Umimaru aber keinesfalls gut. Unmerklich zitternd ging er hinter Haggaku her und starrte dabei unentwegt auf seine Hände.

Obwohl er sich nach der Beerdigung des Hundedämons die Hände gewaschen hatte, fühlten sich seine Hände immer noch schmutzig an, als würde daran etwas kleben, das sich nicht abwaschen ließ. In den Tiefen seiner verwirrten Seele begann sich eine vage Erinnerung zu regen. Und plötzlich überrollte ihn aus dem verschwommenen Meer der verdrängten Erinnerung eine Erkenntnis.

An meinen Händen klebt Blut, dachte er. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Ich weiß nicht, was ich genau getan habe, was geschehen ist. Und ich weiß auch nicht, was das ist, das mich immer nachts in meinen Träumen quält. Aber eines weiß ich nun ganz sicher: ich habe Blut vergossen... nicht irgendein Blut, sondern das Blut von jemanden, der mich mochte und mir vertraute. Das Blut eines Freundes...
 

Wer bin ich?

Warum kann ich mich nicht erinnern?

Schon seit mehreren Wochen, seit der Zeit, als er von Koga, Haggaku und Ginta an einer Meeresküste aufgefunden worden war und im Kreis von deren Rudel erwacht war, stellte sich Umimaru diese Fragen. Doch zunehmend fürchtete er sich auch davor.

Er war sich nicht mehr sicher, ob er die Antwort auf seine Fragen wirklich wissen wollte.
 


 

Soweit das neunundzwanzigste Kapitel.

Der hat wohl ein bisschen was von Kohaku, der arme Umimaru, was?! Ich denke, ihr wisst, wie er wirklich heißt bzw. wer er wirklich ist...
 

Üble Geschichte, für alle Beteiligten...

Besonders der erste Teil dieses Kapitels bereitete mir beim Schreiben ziemliches Unbehagen (es ging da ja immerhin um ein sehr heikles Thema), daher hoffe ich, ich habe genügend Fingerspitzengefühl bewiesen. Ich würde mich sehr über hilfreiche Kommentare freuen.
 

Im Folgenden rücken dann Geschehnisse im Schloss des Westens in den Vordergrund, sicherlich wollt ihr ja wissen, wie es mit Inu Taisho und seinem Sohn weitergeht. Ich bin dabei und bemühe mich auch mit dem nächsten Kapitel nicht wieder so lange zu brauchen.

Herzlichen Dank noch mal für eure Geduld und Treue.
 

- - - - -
 

Nachtrag am 11.07.08:

Es geht doch nicht... ich krieg das Fanfic-Schreiben einfach nicht mehr auf die Reihe... Es ist nur noch eine Belastung für mich.

Weil ich nicht möchte, dass sich das negativ auf die Geschichte auswirkt, stelle ich die Story vorerst ein.

Wenn jetzt viele die Lust verlieren weiter zu lesen, verstehe ich das.

Es tut mir wirklich leid, aber ich sehe keinen anderen Weg.

Dank euch allen für eure Unterstützung!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (433)
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11...30] [31...40] [41...44]
/ 44

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  exclusive_m3
2011-01-07T01:20:38+00:00 07.01.2011 02:20
die geschichte an sich ist muss ich sagen eine der besten nur was mich eben stört ist das es nich weitergeht ich versteh das auch das du ne auszeit brauchst aber was mir sorgen mach das du sie abbrichst da es ja eine ziemlich schöne ff ist und dazu noch das thema nicht wirklich oft vorkommt fänd ichs dramatischer als die geschichte selbst xD
Von:  Weissquell
2009-12-02T20:06:16+00:00 02.12.2009 21:06
Hi Lizzi!
Tja, nun melde ich mich auch mal wieder zu Wort!
Ich weiß gar nicht mehr genau, wann ich aufgehört hab diese FF zu lesen. Irgendwo kurz nachdem Sessi gerettet wurde, glaub ich. Hab mir heute einmal gedacht, lies mal weiter, bzw. lies noch mal! :-) Und nu bin ich durch, bzw. aufgeschlossen zum aktuellen Stand.

Ich hatte schon wieder vergessen, warum ich so begeistert war von deinem Schreibstil. Ich hatte dich noch in guter Erinnerung, aber wie gut du tatsächlich schreibst, hatte ich gar nicht mehr so im Bewußtsein. :-) Es macht auch gar nichts, dass du ein bisschen brauchst, beim schreiben. Habe festgestellt: Deine Geschichte ist wie Wein, je länger sie braucht umso besser wird sie. Nein wirklich mit jedem weiteren kapitel gefällt sie mir besser. Am anfang isses noch etwas zähflüssig und an einigen Stellen etwas unbeholfen, dochje mehr verwicklungen und Handlungsstränge hinzukommen, umso tiefgründiger und packender wird es.
Ich mag die Stellen zwischen Inu Taishou und Izayoi. Da steckt sehr viel Gefühl drin und auch ein guter Schuß erotik ;-)
Ich finde auch die Stellen mit Sesshomaru toll. Ich gebe zu ich bin ein klein wenig sadistisch, was ihn angeht. Du beschreibst sein Martyrium sehr eindrucksvoll und auch plausiebel. Auch die Art wie Inu Taishou zwischen seinem Reich, seinem Sohn und der Frau die er liebt hin und hergerissen ist, ist sehr faszinierend. Genau solche verwobenen, komplexen AStorys liebe ich. Verpackt in einen mitreißenden Schreibstil. Ein ganz ganz dickes Lob an dich.
An Fragen kommt jetzt auf: Wie und wann erfährt Inu Taishou von Izayois Schwangerschaft? Wie entwickelt sich sesshomarus gemarterte Seele und sein Verhältnis zu seinem Vater? Wie übersteht Izayoi (und ein uns bekannter und geschätzter Hanyou) den Abtreibungsversuch? Und welchen Preis musste Inu Taishou für seinen Sohn zahlen? (Ich vermute, dass er sein eigenes Leben, bei nächster sich bietender Gelegenheit angeboten hat, wies dann ja auch passiert...)
Antwort darauf kannst nur du liefern!

Glaub mir, ich kann nachvollziehen, wie anstrengend das Schreiben dieser FF für dich sein muss. Die vielen Charaktere, die vielen handlungsstränge, die starken Emotionen die man da hineinlegt und dann noch die Zeit und Rihe dafür zu finden. Ich kenn das. Mir geht es bei meiner aktuellen FF ähnlich. Aber ich möchte dir gerne Mut machen! Die Geschichte ist gut und interessant und man möchte gerne wissen wie es weitergeht.
Ich wünsche dir wirklich, dass du wieder die Muse findest um weiterzuschreiben. Es wäre wirklich schade darum, wenn wir von deinem Talent nichts mehr zu sehen bekämen. Ich kann zwar nur für mich sprechen, aber für mich wäre es ein Verlust!
Vielleicht kannst du dich ja doch noch mal mit dem Gedanken anfreunden, weiterzuschreiben. Hotepneth hilft dir bestimmt gerne, und ich auch wenn ich darf!
Bitte fühl dich jetzt einfach von mir ermutigt! Mach bitte weiter. Ich würde mich freuen mal wieder von dir zu hören!

Ganz liebe Grüße, dein treuer Fan Weissquell

P.S. Ich finde immernoch, dass einige Unserer Ansichten und Sichtweisen über bestimmte Figuren und Ereignisse übereinstimmen. So würde ich einiges sicher auch schreiben. Wenn ich darf, lass ich mich gerne von der einen oder anderen Überlegung deinerseits inspirieren, und wenn ich darf borg ich mir vielleicht auch mal n Charakter von dir aus. ;-)
Von:  Sha_Na
2009-04-28T15:03:45+00:00 28.04.2009 17:03
wow ich muss echt sagen, deine fic is eine der besten und am tollsten geschriebenen, die ich je gelesen hab!!! und keine sorge, ich lauf dir als gespannte leserin nicht davon^^ versteh ich voll und ganz mit der pause, obwohl sie dieses mal jaa wirklich lang dauert aber ich weiß, dass man nicht unter druck schreiben kann =)
ich bin eher aus zufall auf deine geschichte gestoßen, bin aber sehr froh drüber, um erlich zu sein is es eine der wenigen fanfics, bei denen ich fast geheult hab ^.^ du beschreibst die situationen der einzelnen charaktere soo schön und traurig *schwärm* !!! naja, wie gesagt lass dir zeit mim weiterschreiben aber bedenke, ich bin wahrscheinlich nicht die einzige die sehr neugierig darauf ist, wies weitergeht =D
lg deine Sha_Na
Von:  Minerva_Noctua
2008-09-18T14:06:57+00:00 18.09.2008 16:06
Endlich habe ich das Kapitel gelesen^^.
Die Gefühle hast du hervorragend beschrieben. Man kann sich gut in das Leid und die Verwirrung der Personen versetzen.
Ich freue mich auf das nächste Kapitel und verstehe, wenn du Zeit brauchst. Das geht mir auch so^^°.

Bye

Minerva
Von: abgemeldet
2008-07-25T15:41:53+00:00 25.07.2008 17:41
Irre schöne FF, kompliment ^^
Bitte schreib ganz schnell weiter und schick mir doch dann bitte ne ENS ;)
LG Kotori
Von:  Schalmali
2008-04-19T09:34:34+00:00 19.04.2008 11:34
Wusste doch dass ich noch vergessen hatte etwas zu kommentieren bzw. überhaupt zu lesen. Nettes Kapitel doch... arme Izayoi aber wenn das Kind Inuyasha sein sollte, wird er sich wohl durchschlagen... hmm witzig und wie passend, dann wüsste man wieso er sich von nichts und niemanden unterkriegen lässt wenn er selbst da schon so kämpfte xD Na man wird es noch sehen. Ja ich denke ich weiß wer der "Wolf" ist aber ich weiß nicht mehr den Namen ... Stimmt wenn man es so bedenkt ähnelt er etwas Kohaku. Freue mich auf das nächste Kapitel :)
Von: -Suhani-
2008-03-27T15:41:44+00:00 27.03.2008 16:41
Soa, fertig gelesen. ^^
Und was soll man da groß zu sagen? Das ist einfach der Wahnsinn! In deinen Schreibstil hab ich mich ja schon bei der anderen Story verliebt. Deine Ideen gefallen mir alle wirklich sehr gut, die Umsetzung ist klasse.
Dass du ab und zu aus der Sicht des Heilers schreibst, finde ich auch sehr gut, da kommt die Spannung noch besser rüber, solange man es damit nicht übertreibt und das hast du bis jetzt nicht.
In der Story stehen Action, Spannung und Drama im Vordergrund, aber meiner Meinung nach kommt die Romantik auch nicht zu kurz, das ist wirklich eine reife Leistung, wenn man bedenkt, was das Hauptthema der Story ist. An einigen Stellen ist deine Story wirklich hart an der Grenze zur Darkfic, vielleicht überschreitet sie diese Grenze auch manchmal, aber gerade das finde ich sehr fesselnd. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen. ^^
Das sehr schwierige Thema Abtreibung hast du meiner Meinung nach wirklich gut rübergebracht, die Gedanken, die Izayoi hatte, fand ich sehr realistisch und ich könnte mir gut vorstellen, dass eine Frau im realen Leben ähnliche Gedanken haben muss, wenn sie sich zu einer Abtreibung entschließt.
Nach deinen Erzählungen kann man wirklich nachvollziehen, wieso Sesshoumaru der kalte Dämon ist, den man aus Manga und Anime kennt. Seine Qualen konnte ich gut nachvollziehen und die Beschreibungen der Reaktionen von Leuten, die ihn so gesehen haben, haben ausgereicht um zu beschreiben, wie Inu Taishou's Sohn nach der Folterei ausgesehen haben muss.
Alles in allem kann ich nur sagen, dass die Story der absolute Oberhammer ist und ich schon tierisch gespannt darauf bin, wie es weitergeht.
lg
Pluschtierchen

Von: abgemeldet
2008-03-01T13:19:55+00:00 01.03.2008 14:19
Meine Güte was für ein Kapitel.
Ein trauriges, ziemlich trauriges Kapitel, wie ich finde. Aber es ist wie immer sehr gut geschrieben. Ich bin gespannt wie es weitergeht.

Das Warten hat sich jedenfalls wirklich gelohnt. Ich freue mich aufs nächste Kapitel, wo vielleicht ein wenig glückliche Momente aufleuchten.

Liebe Grüße
Henkersbraut_Julia
Von:  Hrafna
2008-02-27T17:37:13+00:00 27.02.2008 18:37
Hui, endlich geht es weiter! *hüpf*

Ich bin froh, dass du es dann doch noch geschafft hast, und deiner Leserschaft ein neues Kapitel präsentierst.
Insgesamt erscheint es mir als eine Art Zwischenkapitel, von den Geschehnissen her ruhig, aber voller mentaler Qual und Unruhe (schöner Gegensatz, viel innere Dynamik).

Yoshio durchlebt wirklich ein ganz eigenes Drama.
Eigentlich kann einem der arme Kerl nur leid tun, jetzt hat er auch noch sein Gedächtnis verloren und kommt dennoch nicht von seiner (schändlichen) Vergangenheit los.
Wie ein Fluch, möchte man meinen.

Besonders gut gefallen haben mir die lebendiger Gespräche der Wölfe (für die hast du ein Faible, oder?), raubeinig und derb, was ich sehr passend finde, wenn man ihr Wesen und ihre Lebensweise betrachtet.

Und Motten sind ja ganz niedlich, aber nicht in Schwärmen und schon gar nicht, wenn sie Lebewesen angreifen. o.O
Klingt nach Hyouga.


Bin sehr auf das nächste Kap gespannt!

Bless,
Hrafna

PS: Der Name "Iki" gefällt mir irgendwie. ^-^
Von:  SUCy
2008-02-26T17:27:49+00:00 26.02.2008 18:27
Hi^^
Oh das Kapitel war einfach wieder wundervoll geschrieben, es macht einfach richtig spaß deine Ff zu lesen und mit jedem Kapitel wird es spannender X3
Aber das mit Izayoi is so traurig >< trotzdem super beschrieben! Bei dem letzten Stück mit dem Schrei von dem Ungeborenen >< ich da kamen mir auch fast die Tränenen v.v ich hätt den Versuch nicht fertig gebracht.
Was wohl Inu Taishou dazu sagt? Ich hoffe doch die Beiden trefen mal wieder auf einander. Und wie es Sessy geht möcht ich natürlich auch wissen.
Einerseits tut Yoshiro einen leid anderreseits kann ich es ihm nicht verzeiehn was er mit Sess gemacht hat ò.ó jetzt muss er mit den Konsequenzen leben so wie Sesshoumaru seinerseits... was wohl passieren würde wenn die beiden noch einmal auf einander treffen?
Oh bitte schreib ganz geschwind weiter ><


Zurück