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London Dark

von

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Part One

London- Here

(by Tarou Komori)
 

"Hey, London!"

"Wer ruft mich in dieser Nacht?", sage ich leise. "Die Lichter sprechen heute nicht zu mir, selbst die Dunkelheit über mir schweigt.

Wen also verlangt es, mit mir zu reden?"
 

Ich wende mich langsam um, wieder in Richtung des weiten Platzes, dessen Ecken und Winkel noch immer belebt sind dank der zahlreichen Menschen, die das Nachtleben genau so schaetzen wie ich und ihre kostbaren Stunden nach Sonnenuntergang bevorzugt in diversen Bars, Diskotheken, Kinos oder Cafes verbringen und sehe einen mir unbekannten Jungen auf mich zu kommen.
 

"Yeah?", sage ich. "Mit wem habe ich die Ehre?"

"Unwichtig.", sagt er grinsend und stützt die Hände herausfordernd in die Hüften. "Ich hab nur gehört, dass du London heißt und ganz gute Absteigen kennst. Empfiehl mir was. Und rück ne Kippe rueber."
 

Ich verdrehe leicht die Augen und reiche ihm sowohl eine Zigarette, als auch ein Feuerzeug, während ich mir meine Haare zurechtstreiche und einzelne Strähnen schützend ins Gesicht fallen lasse, weil mein Körpergefuehl mir sagt, dass ich muede und erschoepft aussehen muss.
 

"Das Monopol.", zähle ich in gelangweiltem Ton auf. "Grembers, Dark Saloon, For You." Zwar reicht mein Repertoire noch aus, um weitere Minuten mit Namen zu füllen, doch bin ich nicht gewillt, mich laenger mit dem Kleinen aufzuhalten.

Sobald er mir zunickt, einen Glimmstaengel zwischen den geschürzten Lippen, und mir die Schachtel zuwirft, mache ich mich ohne weitere Worte zu verlieren erneut auf den Weg.
 

Die Helligkeit der Laternen blendet mich, die grellen Schriften aus Neon, die mich schon so oft haben fasziniert stehen bleiben lassen, sind heute nichts anderes mehr als zermürbend fuer mich.
 

Nun beschleunige ich meine Schritte, flüchte geradezu aus der Gesellschaft der Menge, die mir nun kalt und abweisend erscheint und mache erst in einer schmalen Nebenstraße Halt.

Auf der Motorhaube eines Mercedes lasse ich mich nieder, lasse mich zurückfallen, lasse mich haengen und vergrabe das Gesicht in den Händen, die rau und rissig sind.
 

Manchmal war ich nahezu durch die Gruppen getänzelt, mit der Leichtigkeit einer Person beflügelt, die soeben eine ganz neue Art der Freiheit erlangt hat und mit einem Lächeln auf den Lippen, das die Menschen verzaubert und mir lange hinterher blicken lassen hat. Nicht heute. Heute vermisse ich.
 

Es ist Ironie, dass ich verlassen bin, obwohl ich jeden Morgen neben einem anderen Zeitgenossen aufwachen koennte... Wobei dies nicht einem überragenden Aussehen zu verdanken waere, sondern einem stillen Glanz, der mir gegeben wurde, von irgend einer Macht, die auch den Himmel geschaffen hat, unter dem ich jetzt liege und den Tränen nahe bin.
 

"Sag, warum frierst du, wenn ich dich doch in den Armen halte?", fluestere ich leise, es sind Worte, die einst zu mir gesagt worden sind und die noch immer in mir brennen und reißen.

"Warum frierst du?" Nun rutsche ich seitlich von dem Auto herunter, pralle hart und ungebremst auf dem Pflaster auf und schluchze, während ich spüre, wie in mir ein neuer Stern zu leuchten beginnt. "Warum frierst du.."
 

Die salzigen Tropfen, die meine Wangen herunter rinnen, versiegen in meinem verfilzten Haar und färben den Kragen meiner Lederjacke mit kleinen dunklen Tupfen. Ich lache. Dann weine ich weiter, dieses Mal heftiger und verzweifelter als zu Anfang.

Ich koennte wieder auf den Markplatz gehen, meine Trauer verjagen mit Stimmen und Licht, oder mit körperlicher Liebe und Rauch, doch der verlassene Junge in mir schreit. So laut.... Ohne mir dessen bewusst zu werden, kratze ich mir die Fingerknöchel blutig, fahre mit Druck über den körnigen Untergrund, immer wieder.
 

"Ich bin wie die tanzende Nacht und der rote, rote Morgen..."
 

Ich setzte meinen Gang auf Knien und Händen fort, bewege mich parallel zum Rinnstein und bin so geschmeidig wie eine Katze mit gebrochenem Lauf.

"Und wohin jetzt?", frage ich mich selbst. Dabei weiß ich es.
 

Ich weiß es, dass es ein dunkelblaues Haus sein wird, um das eine Hecke ungebändigt wächst und an dessen Fassade Efeu rankt, so wild und hoch wie meine Liebe fuer denjenigen ist, der darin wohnt.

Und ich weiß, dass kein Lichtschimmer hinter den trüben Fenstern mit den gusseisernen Streben sein wird. Als ich endlich an meinem Ziel bin, finde ich all meine Vermutungen bestätigt.
 

"Er wird draußen sein, genau wie du. Und wenn er dich hier vorfindet, wird er an dir vorbei gehen und dir keinen einzigen Blick schenken."

So grausam es ist und so hart die Gewissheit, ich setze mich auf die Treppe, vor die schwarze Tür aus Buchenholz, und rauche eine weitere Zigarette. Krebsstäbchen.
 

Ich inhaliere tief, blase Ringe mit dem weißen Rauch, der vor mir in der Luft nach oben kriecht, wie sich eine Schlange um einen Stock windet.

Erst, als die Hitze des kleinen Brandherdes zu heiß und schmerzhaft wird in meiner Hand, werfe ich den Stummel fort. Im Gras leuchtet er weiter, wie ein einzelnes Glühwürmchen, das die Farbe gewechselt hat.

Der Gedanke ist lustig und nun muss ich kichern. Ich stehe neben mir, denke an ihn.
 

Als ich endlich aufstehe und mir vom Zittern so warm geworden, dass mein Shirt feucht geworden ist, lasse ich meine Jacke und meinen Pullover auf den Stufen liegen. Soll er doch sehen, dass ich ihn noch nicht vergessen konnte! denke ich mit dem Trotz eines Kindes. Eines Kindes, das ich noch bewahrt habe, trotz meiner eigenen Wohnung, trotz der Tatsache, dass ich auf dem Papier volljährig und im dreizehnten Jahrgang bin.
 

Der Heimweg, den ich in einem schnellen Tempo bestreite, obwohl meine Füße etwas zu oft den Tritt nicht finden und ich taumele, verläuft still und ich bin froh darüber.

Heute meide ich die Menschen.
 

Ich betrete den Gasthof, über dem mein Zuhause liegt, durch die Hintertür und halte mir die Ohren zu, als durch die schwere, abgestandene Luft der Klang von Technomusik und Gesprächen zu mir dringt.

Ich möchte nichts hören, nicht mehr fühlen.

Möchte, dass mein Wunsch erfüllt wird, spätestens morgen, wenn ich einen weiteren Schultag hinter mir habe und wieder Zeit ist, nach draußen zu gehen, wo das Nachtleben tobt und Existenzen aufeinandertreffen, um sich bei Sonnenaufgang wieder zu trennen und einander niemals wieder zu sehen.

Letzteres möchte ich nicht fuer mich, vor allem jetzt nicht, wo sein Zeichen ueber meinem Herzen ruht.
 

Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich noch zwei Stunden habe, bis ich erneut aufstehen und meine Sachen fuer die Schule packen muss.

Zwei Stunden, die zu Schlafen sich nicht lohnen.

Ich gehe taumelnd in die Küche, während vor mir die Luft flimmert und schwarze und weiße Punkte einander umkreisen. Dort rühre ich mir in einem Glas, an dessen gesprungenen Rändern Kalkspuren sind, eine Mischung aus Instantkaffee, Wasser und zu vielen Koffeintabletten zusammen, die ich trinke, ohne eine Miene zu verziehen.
 

Sobald die Wirkung des Gemischs eintritt und mein Körper von einer trügerischen Mobilität erfüllt wird, setze ich mich auf mein Bett und schlage meine Zeichenmappe auf.

Keine guten, künstlerisch anspruchsvollen Bilder. Keineswegs Kunstwerke.

Doch ich bin mir dessen gewiss: Wenn man genauer hinsah, erkannte man Seele darin. Wenn man das Pik sah, das aus bloßen Körpern hervorstach oder die Spuren aus Graphitblut. Ein Pik, das auch meine Haut ziert.
 

Manchmal holen mich Vorstellungen ein, wie es sein wuerde, mit freiem Oberkörper in die Schule zu gehen oder bei Sonnenlicht in die Stadt.

Manchmal will ich der Welt meine Verletzlichkeit zeigen und dass daraus Sterne werden können, die mir Kraft geben. Doch so etwas ist Schwachsinn.
 

Der Anblick der Bilder erfüllt mich mit Wärme, die in mir erstarrt.

Ich schlafe nicht mehr. Ich falle auf die Matratze, die nicht einmal bezogen ist, ruhe aufgewühlt inmitten des Chaos, welches in meinem Dachzimmer vorherrscht, versuche durch ein kleines gläsernes Viereck über mir Sterne zu erkennen, atme, atme, denke an Efeublätter und streiche wie von selbst über meine Haut.

Über meinen Brustkorb, meine Rippen, über die geformte Narbe, versinke darin, atme und weine, als meine Finger den Hosenbund erreichen und falle erneut. "Warum frierst du?"

"Weil du mich bald wieder von diesem Ort entlassen wirst. Und weil dann nichts anderes mehr sein wird, als Erinnerung und ein wenig Blut."

Part Two

London_Here - Part Two

(By Tarou Komori)
 

Ich frage mich, ob man mir meine Abneigung gegenüber meinem Umfeld ansieht, als ich mich mit leichten, von Aufputschmitteln beflügelten Schritten in den Klassenraum begebe und mich zwischen zwei Tischen hindurch zu meinem Platz zwänge.

Ich lasse meinen Militärrucksack neben meinem Stuhl fallen und betrachte fuer wenige Augenblicke das Geschehen.
 

Um mich herum ist Lärm, meine Mitschueler sitzen auf Fensterbänken und Boden und unterhalten sich und obwohl ich weiß, dass ich dem morgendlichen Smalltalk nicht entgehen kann, lasse ich meinen Kopf auf die Tischkante sinken und schütze mich mit darum gebetteten Armen.
 

In diesem kleinen selbst geschaffenen Zufluchtsort riecht es nach dem Putzmittel, mit dem die fuer die Reinigung der Schule zuständigen Menschen täglich meine Kritzeleien von der Tischplatte verbannen, nach Morgennebel, dem Rauch von Lucky Strike und der letzten Nacht.

Nach kaltem Wasser, billigem Duschgel und Trauer.
 

"Wie lange noch?", frage ich und erinnere, wie ich einst seinen Namen in einem Raster auf den Tisch geschrieben habe, immer wieder, bis der Plastiküberzug des Tisches unter schwarzer Tinte verschwunden war. Mit jedem Buchstaben, der aus meiner Feder geflossen war hatte ich mir eine neue Wunde gerissen, die nachtfarbene Flüssigkeit war mein Blut gewesen und meine zitternde Hand hatte mich verraten...
 

Als man mich an der Schulter berührt, rege ich mich, langsam und blicke dann in das Gesicht meines einen Sitznachbarn.

"Na?", spricht er mich an und fährt mir grob durch das Haar, wie er es stets zu tun pflegt. "Alles klar bei dir?"

"Ja.", antworte ich langgezogen.

"Du siehst ganz schön fertig aus.", stellt er fest, während er sich zu mir gesellt. Ich blinzele gegen die Deckenbeleuchtung an, Lampen hinter rostigem Eisengitter und werfe in einer leichtfertigen Geste die Arme hoch.

"Kann schon sein.", merke ich an und grinse, während der Hass und die nagende Einsamkeit in mir immer stärker wird.
 

Die letzte Nacht würde bald eine von vielen sein und doch in mir brennen, wie Salz in einem Schnitt; die Erinnerungen an das weiche Gras vor seiner Behausung, das im Licht von Neonsternen so dunkel war, fressen sich schon jetzt in meinen Geist und zerstören langsam aber sicher eine Empfindung mehr.
 

Auf einmal fühle ich mich, als ziehe sich all mein Blut bis in die aeußersten Regionen meines Koerpers zurück, um dann mit der Wucht eines brechenden Dammes wieder in Richtung Herz zu fließen.

Meine Augenlider flattern, unwillkürlich zuckt meine Hand in meine Magengegend und ich sacke vor ihm zusammen, einfach so und keuche auf.

Er reißt mich mit der Unbeholfenheit eines erschrockenen Kindes in eine aufrechte Position zurück. "London.", sagt er, "Was hast du?"

Und ich starre ihn an und schüttele mich, um die plötzliche Laehmung und die Kälte zu vertreiben. Mit geweiteten Augen hänge ich in seinem Griff, der von Unsicherheit und Angst erzählt.
 

"Warst du wieder draußen, heute Nacht?", erkundigt er sich und ich muss ihm zugestehen, dass er nicht dumm ist, obwohl er nie verstehen wuerde, was Rubin bedeutet.

"Ich bin auf die Jagd gegangen um Seelen und Farben zu fangen.", murmele ich.

Und dann: "Irgendwann fand ich eine verwundeten Katze, die im Straßengraben lag und deren Flanken zuckten. Ich nahm sie hoch und brachte sie an Ort, wo keine Autoabgase waren, weil ich nicht wollte, dass auch sie keine Ruhe findet..."

"Was redest du?", fragt er mich und rüttelt meine schlaffe, aber verkrampfte Hülle mit stummer Verzweiflung hin und her.

"Die Wahrheit!", antworte ich und huste. "Du laberst Scheiße!", fährt er mich an. "Wie viele Pillen hast du wieder geschmissen?"

Endlich klärt sich mein Blick und ich lächele ihn an, voller Zuneigung und Verachtung zugleich.

"Who cares?", sage ich sanft. "Du? Niemals! Solange du deine jetzige Denkweise behältst, siehst du die Belanglosigkeit um dich herum nie! Und so kannst du auch mich nicht sehen."

"Wie kannst du das sagen?", gibt er zurück und lässt nun ab von mir, da ich wieder ohne Hilfe gerade sitzen kann.

Nun verschränke ich die Hände im Nacken und bedenke ihn mit einem Blick, der sonst nur hübschen, verlassenen Nachtwesen gilt oder jungen Männern, die demjenigen ähneln, der mich gekreuzigt hat.

Ich öffne meine Lippen, leicht.

Meine Augen funkeln inmitten des blassen, von Müdigkeit gezeichneten Gesichts, ich gebe ihm zu verstehen, dass ich ihn haben könnte und ihn verabscheue.

"Ich..", sage ich betont und langgezogen, "Kenne nicht einmal deinen Namen, mein Freund."

Als er zurückzuckt und mir einen sowohl irritierten als auch schockierten Anblick bietet, tut er mir auf einmal leid.
 

"Sorry.", sage ich.

"Ich wollte damit sagen, dass wir einander fremd sind. Jeder hier ist mir fremd. Niemand kennt mich!" "Verdammt!", entfährt es ihm. "Wenn es so ist, will ich es ändern. Also: Wer bist du, London?"

Ich bin der Junge, der nicht mehr schläft, dessen engster Vertrauter den Namen Halbdelirium trägt und dessen wichtigstes Utensil die Schachtel mit viel zu starken Koffeintabletten ist.

Ich bin das Kind, das lieber alleine auf dem Asphalt der großen Straßen der Stadt spielt, als mit seinesgleichen.

Ich bin derjenige, der nach jedem Sonnenuntergang nach seiner Erfüllung sucht, an Orten, wo es keine Rolle spielt, ob man einen Namen trägt. Ich bin ich und ich ist schon halbtot.

All das denke ich und schweige.
 

"Antworte doch!", fährt er mich an. Ich schweige.

Eines hat man mich gelehrt: Dass es sinnlos ist, Wahrheiten auszusprechen, die nichts als belastend sind. Erst als er sich abwendet und einen resignierten Seufzer von sich gibt, spreche ich.

"Ich bin ein Spinner.", sage ich und lächele noch immer. "Gib nichts auf mein Gerede."

Diese Worte fallen auf mich selbst zurück und ich meine erneut die Ketten zu spüren, die er um meine Handgelenke und Fesseln gewunden hat. Da ist wieder die kalte, kalte Luft...
 

Nie wieder machst du dich schlechter, als du bist!, höre ich ihn.

Ich meine mich zu sehen, wie ich zusammenzucke, als mich das Messer trifft und ich werde blass. Vor mir in der Luft bildet sich ein Schleier aus roten Verästelungen, die Umgebung beginnt sich zu färben und zu pulsieren und unter anhaltenden, flehend gerufenen Worten verbrennt die Welt: Vergib mir!

Das ist der Wahnsinn, der hervorgerufen wird durch chemische Drogen und viel zu viele Medikamente.

Alleine durch meine Gedanken bringe ich den Weltenbrand, die Leiber der anderen, verglühen zu Asche.
 

Verzeih mir diese Lüge! Ich musste das sagen, er wuerde es nicht verstehen!

Du bist so dumm! - Verzeih mir! - Was suchst du noch nach mir, wenn du dich schon selbst verleugnest? - Oh, vergib mir! - Stirb doch wie deine Katze! - Vergib mir, verdammt, um alles auf der Welt! - Du willst mich, um nicht alleine zu sein? Und kannst nicht einmal eine einfache Freundschaft pflegen?

Das ist lächerlich, London! - Lass mich nicht allein! Verzeihmirverzeihmirverzeihmir...

Part Three

London Here - Part Three

(by Tarou Komori)
 

Anmerkung: Der Auszug des Songtextes im letzten Satz stammt ursprünglich aus der Feder von Peter Spilles, dem Sänger von "Project Pitchfork".

Das Lied "Self Knowledge" ist auf dem Album "Corps d' amour" zu finden.
 

Heute Morgen waren sie mir Amok gelaufen, die Bilder, die Bestien in meinem Innern.

Nun, am Abend, wo es in meinem kleinen Zimmer dunkel und draußen vor der Fassade in künstlichem Licht hell zu werden beginnt, ziehen sie mich in geordneter Form hinaus, treiben mich voran, wie ein Huskygespann einen Schlitten und lechzen danach, von Musik, fluoreszierendem Licht und Stimmen trinken zu dürfen, jagen mit lautem Kampfesgeheul vor die Tür, die Treppe in den Gasthof herunter, der bereits gefüllt ist mit Menschen und erstarren dann für einen kurzen Augenblick, als ihnen die Nachtluft entgegenschlägt, um dann mit erhobenen Köpfen in die Menge zu preschen.
 

Ich laufe mit flammendem Übermut, fliege so schnell wie die Lichtstreifen, welche die Scheinwerfer der Autos in der Schwärze hinterlassen oder wie die weißglühenden Punkte der Laserlichter am Himmel.

Dieser Körper ist schlank und wendig, ich der Boden unter meinen Füßen verschwimmt, und ich gewinne Zuversicht, während die Eindrucke des Tages von mir abfallen, mit jedem Schritt, jedem tiefen Atemzug.
 

Jetzt, endlich, spielt es erneut keine Rolle mehr, was vor Sonnenuntergang geschehen ist, was ich gelernt habe, was zu mir gesagt wurde, weil ich in dem Meer der Namenlosen scheinen würde, heller als der Mond.

Mein Leben war zu Wind zu werden, zu der Luft in gefüllten Diskotheken, zu einem stillen Beobachter von am Straßenrand sitzenden Jugendlichen und dem London, den ich retten wollte. Was tagsüber geschah, zählte nicht, zählte nie.
 

Ich wähle meinen Weg mit Bedacht und überquere ohne zu Zaudern die Straßen, laufe durch die Gassen um bald vor einem hohen Gebäude zu stehen, an dessen Seite sich eine silberne Tür befindet, vor der zahlreiche Personen stehen.

Es riecht nach Rauch, eine leicht süßliche Note darin spricht davon, dass die Umstehenden nicht nur Tabak rauchen und ich bitte einen Jungen in meinem Alter mit berechnendem Augenaufschlag um einen Zug.

Er versteht umgehend und reicht mir die leicht verfeinerte Zigarette.
 

"Was bekomme ich denn dafuer?", fragt er und rückt mit einem Lächeln näher, welches allerdings keineswegs unsympathisch ist, sondern verschmitzt und wissend.

Ich reiche ihm die Tüte mit einer eleganten Geste zurück und lasse es zu, dass er meine Hand ergreift und leicht darüber streicht.

"So glaube nicht, dass ich deine Einsamkeit vertreiben kann, mein schoener Freund, denn du kannst auch die meine nicht bannen.", sage ich.

"Das macht nichts.", erwidert er, ungeachtet der Kommentare seiner Freunde, die hinter seinem Rücken feixen und Grimassen schneiden, sich mit der Faust auf die Handfläche schlagen und pfeifen.

Er raucht den Joint auf, ohne mich loszulassen und zieht mich dann in die lichtdurchwobene Dunkelheit des For You.
 

Wir gehen nebeneinander die Treppe hinunter, um von den Klängen von Project Pitchfork eingehüllt zu werden, Elektrizitaet ist um uns herum, ich sehe Schatten, zuckende, geschmeidige Körper, und wittere ein Gemisch aus Parfum; Schweiß, Deodorant und Verlorenheit.

Mein Begleiter drängt sich an mich heran, legt seine Stirn gegen meine und auch wir beginnen zu tanzen, außerhalb der Tanzfläche, außerhalb des vorherrschenden Taktes, einfach so, vielleicht im Rhythmus unseres Herzschlages oder des Bebens unserer Lungenflügel.
 

Sein Atem ist geradezu kalt auf meinen Wangen und auf einmal weiß ich, warum ich ihn ausgewählt habe, er hat Augen wie Sterling und ein Hauch der Tiefe, die ich bei Sterling fand, schimmert auch in ihnen.

"Ich bin so ausgehungert, hilf mir.", höre ich ihn sagen und ich kann ihn nur ansehen, seine Augen, Eissterne, klares Wasser in dem sich Winterhimmel spiegelt und ich küsse ihn, seine Tränen laufen auch über meine Lippen und ich umfasse seine zitternde Gestalt.
 

"Das kann ich nicht.", flüstere ich und meine Stimme dringt durch den Lärm zu ihm hin und verzweifelt hält er mich fest, immer stärker, während ich meine, dass etwas in mir zerbricht und die Bestien wimmernd nach Blut schreien.
 

"Warum?", fragt er nur und ich beiße ihm leicht in den Hals, hoffend, dass ich eine leichte Spur hinterlasse, weil die Menschen selten sind, die nach anderer Musik tanzen können als der, die aus Lautsprecherboxen schallt und weiche dann vorsichtig zurück.

"Du bist nicht er.", sage ich und lasse ihn zurück, verschwinde in der Menge, lasse mich treiben, mit geschlossenen Lidern, es ist so leicht, eine Hoffnung zu zerschlagen, ich sehe Raben vom Himmel fallen und wie das erste Sonnenlicht durch die Stadt flutet und denke daran, dass ich auch den Namen dieses Jungen nicht kenne.
 

Während Spilles erneut die Worte: 'Father, why are the children crying there'? schreit, frage ich mich, wann die Person wieder da sein wird, die meine Trauer trinkt.



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von: abgemeldet
2008-06-24T17:00:11+00:00 24.06.2008 19:00
Wow!
Ich bin baff- Das war ja mal ´ne Naganagastory.
Ich meine, wie kommst du auf die genialen Metaphern in jeder Zeile.
Ich meine, ich hab es erst nur überflogen, und hab mich trotzdem mittendrin gefühlt.
Solche guten Storys ließt man ja selten.
Vor allem so welche, wo der Autor auf jeden Satz so viel Wert legt.
(Das ist dann lustig, wenn die Jugendlichen Personen so sprechen, wie im 19. Jahrhundert.)
Von:  jibundai
2005-08-20T21:34:50+00:00 20.08.2005 23:34
8 Kommentare? Das ist... verwunderlich...
Und warum gab es nicht mehr von dir? Vielleicht nicht hier?
und wieder komm ich zu spät >__>
Ich geb's zu, ich kenn sie erst, seit BKs Doujinshi, aber... jetzt weiß ich den Grund, kenn das Verlangen, sie in gemalte Bilder umwandeln zu wollen.
Hmm, wunderschön geschrieben, aber ich kann mich nicht so recht mit dem Hauptcharakter identifizieren - das liegt keinesfalls an dir, deiner Geschichte oder an deinem Schreibstil, viel eher an mir. Warum geht es mir nur wie dem namenslosen "Er", dass ich London am liebsten packen und aus seiner Lethargie rütteln würde? Und dabei doch zumindest ahne, was er denkt/nicht sagt...
Und doch Londons Sätze, die irgendetwas auf irgendetwas ganz tief unten treffen.

Soundtrack beim Lesen: Chili Peppers: "Venice Queen" in Endlosschleife
Von: abgemeldet
2004-08-23T10:55:40+00:00 23.08.2004 12:55
So!!!
Wie kommt es, dass noch kein Kommi von mir hier steht, obwohl ich es schon seit Urzeiten auf meiner Empfehlungsliste stehen hab?!
Gut, besser früh als nie!

Naja, du weißt ja schon, wie ich es finde... Habs dir ja schon gesagt, aber für die Nachwelt will ich hier noch mal fest halten, dass ich danach n Psychologen brauchte... *lol*

Aber es ist einfach nur hammergeil!!!

Das Beste (zusammen mit Interdependenz) was ich bisher gelesen habe und ich hoffe, du gibst mir mal bei Gelegenheit mehr von deinen Sachen... *bitte*

Naja, und wäre nicht schlecht, wenn du mir mal zustecken könntest, was ihr da auf diesen Scheibfreizeiten so alles gelernt habt... scheint ja echte Wunder vollbrachtzu haben!! *gg*

Ok, bis denne und mach weiter so! Bist klasse!!

Jassy
Von:  A_ri
2004-06-16T11:29:07+00:00 16.06.2004 13:29
Ein Pik soso.....
Gefällt mir sehr gut, da es sich wesentlich flüssiger ließt als Sturmnacht (jedenfalls die letzte Veresion, die ich gelesen habe) ohne dessen Ausdruckskraft zu missen.
Mal schauen ob ich noch die andren Kapitel lesen kann,
bevor ich zu Sport muss..
Von:  bishonenkiller
2004-06-04T14:59:43+00:00 04.06.2004 16:59
ToT

die wird ausgedruckt und über mein bett gehangen ;___; das is genau das gefühl was ich mit meinem rebirth bild zeichnen wollte, nur dass es in worte gefasst viel klarar greifbarer ist. zerreisst mich..
Von: abgemeldet
2004-01-04T10:57:16+00:00 04.01.2004 11:57
schade, dass wir nicht weitergeschrieben haben...
Von: abgemeldet
2003-12-09T09:15:11+00:00 09.12.2003 10:15
Ich bin durch die Empfehlungen auf Dich gestoßen und muss zugeben, ich bin absolut fasziniert! Dein Stil ist irrsinnig gut und die kalte, abwägende Athmosphäre, durchbrochen von stummen Hilfeschreien ist faszinierend. Du bist noch so irrsinnig jung, aber bei weitem einer der talentiertesten Autoren hier!
Bisher habe ich unter den Empfehlunge wenig gutes gefunden, besonders im ShonenAi-Bereich und schon gar nichts, was auch nur sprachlich den Anspruch gehabt hätte, als Kurzgeschichte oder Roman durchzugehen. Die meisten guten Schriftsteller hier sind Geheimtips. Du bist völlig zu recht auf der Liste. Hut ab vor solchem Talent!
ich möchte gerne mehr von Dir lesen!
Von:  Gabriel_deVue
2003-12-05T08:01:47+00:00 05.12.2003 09:01
was für eine odyssee... ohne Antworten, aber mit klarheit, die gerade im Paradox des Charakters entsteht.

Zum Wegschweben, ein granatrotes Ende, irgendwo im Samt... was für ein Verlangen.

Nun, meine liebe Tarou, ich hoffe, bald etwas von dir zu hören und vielleicht mehr von dir zu lesen.
Deine Sprache gefällt mir sehr gut. Ich möchte sie nicht missen.

Darin, dass kein offensichtlich abgeschlossener Plot vorliegt, sehe ich in dem Rahmen dieser Onlinegesellschaft eine kleine Gefahr, da trotz 'darkfic' hier sehr viel leichte Kost gewünscht wird - für den Geist :)

Ist dies nur eine der vielen Nebengeschichten oder Teil einer anderen?

Gab
Von:  Gabriel_deVue
2003-12-05T07:56:10+00:00 05.12.2003 08:56
Die Stimmung bleibt trotz des Umfeldes düster.

Es ist die innere Welt des Charakters, der Rahmen, de er der Welt gibt, die ARt, wie er sie wahrnimmt. Das ist die Schwierigkeit bei unzuverlässigen Erzählern. Man weiß nie genau, auf welcher Seite der Welt sie gerade stehen. Etwas twisted....
deshalb weiß ich nicht genau, ob der letzte Absatz eine Metapher oder ein direktes Schauspiel war... in der lichtwelt oder einen Zeitsprung später.

Mhhh....
mal schaun....

gab
Von:  Gabriel_deVue
2003-12-05T07:48:08+00:00 05.12.2003 08:48
Die Stimmung ist unglaublich wandelbar. Man beginnt locker, abgeschieden... irgendwo in der Nacht, erinnert mich wirklich an London Nacht .... in den Szeneecken in denen tausend Leute zusammen allein sind.


"Manchmal will ich der Welt meine Verletzlichkeit zeigen und dass daraus Sterne werden können, die mir Kraft geben. Doch so etwas ist Schwachsinn"

Träume, die mit standartisierten Gesellschaftsfloskeln abgetan werden.... so grau und kalt.

Diese Endstimmung ist wunderschön.

koffeintabletten und mitternachtsschlaf? das wäre das Einzige, was ich inhaltlich nicht ganz hätte zuordnen können.


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