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DestROYed

Side Stories: Roy
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Vorwort zu diesem Kapitel:
◓ Bedeutung von der Angabe 'Jahr 3': Raelene ist seit 3 Jahren der Champ von Galar. In anderen One-Shots gibt es große Zeitsprünge und sie werden nicht immer chronologisch sein, also ist das einfach nur für eine bessere Übersicht gedacht.

◓ Alter der Charaktere: Roy ist 21 Jahre und Raelene 13 Jahre alt.

◓ Inhalt: Nach einer erneuten Niederlage gegen den aktuellen Champ von Galar ist Roy frustriert. Er versucht anschließend heimlich das Stadion von Claw City zu verlassen, weil er nicht will, dass jemand etwas von seinen wahren Gefühlen erfährt. Dummerweise trifft er unterwegs auf Raelene und sagt ihr einige unschöne Dinge, was er hinterher sehr bereut.

◓ Sonstiges: Raelenes Sicht des Gespräches könnt ihr bei 'Champ Snapshots' nachlesen.
http://desu.de/ffk_1309058 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
◓ Bedeutung von der Angabe 'Jahr 3': Raelene ist seit 3 Jahren der Champ von Galar. In anderen One-Shots gibt es große Zeitsprünge und sie werden nicht immer chronologisch sein, also ist das einfach nur für eine bessere Übersicht gedacht.

◓ Alter der Charaktere: Roy ist 21 Jahre und Raelene 13 Jahre alt.

◓ Inhalt: Bei diesem One-Shot handelt es sich um eine Fortsetzung von '[Jahr 3] Ich muss das kitten'. Roy lädt den Champ zum Eis essen ein, womit er sich für sein Verhalten entschuldigen will. Als aber plötzlich eine komplett neue Raelene vor ihm steht, entwickelt sich das Treffen ganz anders als erhofft. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
◓ Bedeutung von der Angabe 'Jahr -5': Raelene ist erst ab Jahr 0 der Champ von Galar. In anderen One-Shots gibt es große Zeitsprünge und sie werden nicht immer chronologisch sein, also ist das einfach nur für eine bessere Übersicht gedacht.

◓ Alter der Charaktere: Roy und Delion sind beide 13 Jahre alt.

◓ Inhalt: Ein Rückblick in die Kindheit/Jugend. Roy ist aufgefallen, dass Delion in letzter Zeit erschöpft wirkt, weshalb er ihn mit einem Spiel ablenken will. Außerdem gibt er dem jungen Champ von Galar auch noch einen Rat mit auf dem Weg, aufgrund von persönlichen Erfahrungen ... Komplett anzeigen

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[Jahr 3] Ich muss das kitten

Das Stadion bebte. Pausenlos prasselten von allen Seiten begeisterte Jubelschreie auf Roy ein, jedoch galten sie nicht ihm, sondern der Siegerin: Raelene, die den Ausgang des Kampfes, drei gegen drei, augenscheinlich noch nicht richtig realisieren konnte.

Goldenes Scheinwerferlicht war auf sie gerichtet und mehrere Kameras fingen den Moment live für die Zuschauer vor den Bildschirmen ein. Laute Musik dröhnte aus den Boxen in jeder Ecke des Stadions und verlieh der Szenerie die passende Dramatik. Hin und weg beglückwünschte der Moderator des heutigen Schaukampfes Raelene zu ihrem grandiosen Sieg über Roy, den sie noch dazu in seinem eigenen Revier erlangt hatte. In Claw City.

Unbeholfen versuchte Raelene die Fragen des Moderators zu beantworten. Allmählich wandelte sich ihre irritierte Mimik und versprühte nun die Freude, die man von einem Sieger erwartete. Da sie aktuell noch voll und ganz im Fokus stand, rief Roy derweil Duraludon zurück in den Pokéball. Bis auch Roy einige Worte zu diesem Kampf äußern müsste, blieb ihm nur zu warten. Auf der abgedunkelten Seite des Kampfplatzes, wo es nichts zu feiern gab.

Wie immer zeigte Roy sich aber über seine Niederlage gelassen und zuckte nur unbewegt mit den Schultern. Sein Smart-Rotom schwirrte um ihn herum und vibrierte dabei bereits ununterbrochen – mit Sicherheit trudelten in dieser Sekunde haufenweise Nachrichten von seinen Fans ein, mit tröstenden Worten. Mitfühlend sah Rotom ihn an und spielte einige kurze Klingeltöne ab, als wolle er mit Roy kommunizieren.

Sacht klopfte Roy mit den Fingerknöcheln gegen das Gehäuse des Smart-Rotoms. „Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich nicht so mitleidig ansehen musst? Alles gut. Es war ein super Kampf. Solange du ein paar tolle Schnappschüsse machen konntest, haben wir auch gewonnen.“

Rotom versprühte einige Funken und sein Gesicht wirkte äußerst zufrieden, also hatte er während des Kampfgeschehens tatsächlich einige sehenswerte Fotos schießen können. Darauf war Roy schon gespannt, denn diesmal hatte er bewusst die Sicht mit einem noch dichteren Sandsturm manipuliert. Falls dabei wirklich der eine oder andere Schnappschuss aufgenommen worden war, konnte man Rotom wahrlich als genial bezeichnen.

Leider war der Sandsturm nicht genug gewesen, um Raelene endlich zu schlagen. Irgendwie hatte sie schon wieder gewonnen. Einfach unglaublich.

Einer der Scheinwerfer schwenkte schließlich in Roys Richtung und das Licht blendete ihn unangenehm, als es ihn einhüllte. Trotzdem grinste er unbekümmert und winkte den Zuschauern mit einer Hand zu, wofür er nun ebenfalls reichlich Applaus erhielt. Anschließend richtete er einige nette Worte an die Siegerin und lobte ihr Team, bis der Moderator zufrieden war. Bald darauf wurde das Ende der Veranstaltung angekündigt. Das Zeichen für Roy, sich vom Schauplatz zurückzuziehen.

Raelene wurde noch von einigen Mitarbeitern und ein paar ausgewählten Fans eingekesselt, Roy dagegen konnte problemlos zu einem der Seitengänge laufen. Sein Smart-Rotom folgte ihm, ohne jegliche Aufforderung. Auch als er in den Schutz der Innenräume verschwand und somit nicht mehr für irgendwelche Kameras sichtbar war, blieb Roys Miene unberührt. Nach und nach ließ mit jedem weiteren Schritt der Lärm aus dem Herzstück des Stadions nach. Bald waren nur noch die hastigen Schritte einiger Mitarbeiter zu hören, die durch die Gänge liefen.

Roy steuerte eine der Umkleidekabinen an und schloss bemüht leise die Tür hinter sich. Erst als er sich mit dem Rücken gegen die nächstbeste Wand lehnte, verfinsterte sich sein Gesicht schlagartig. An sich machten ihm Niederlagen absolut nichts aus, denn sie gehörten bei einem Pokémon-Kampf dazu. Wo bliebe der Reiz an der ganzen Sache, wenn man andauernd nur als Sieger hervorging?

Womit er aber ein großes Problem hatte, war die Tatsache, dass er Delion nicht hatte schlagen können. Egal, wie oft er diesen herausgefordert hatte. Obendrein kam ihm dann noch eines Tages, wie aus dem Nichts, dieses zehnjährige Mädchen zuvor, eine frisch gebackene Trainerin und somit eigentlich noch eine blutige Anfängerin, und stahl ihm den Sieg gegen den einst unbezwingbaren Champ. Noch ärgerlicher war, dass Roy nun gegen Raelene jedes Mal verlor, womit sich dieser Fluch fortsetzte. Seit drei verdammten Jahren.

Das kann doch einfach nicht sein!

Angespannt ballte er die Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Einzig der Bildschirm von Smart-Rotom erhellte in diesem Moment den Raum ein wenig, weil Roy nicht danach war, den Lichtschalter umzulegen. In der Dunkelheit der Umkleidekabine fühlte er sich wesentlich wohler als im Schatten des Champs von Galar zu stehen. Schon wieder. Jedes Mal.

Sie ist nur ein Kind!

Warum gelang es ihm also nicht, sie endlich zu schlagen? So schwer konnte das nicht sein. Alles, was er wollte, war, wieder gegen Delion anzutreten und zu gewinnen. Nur ein einziges Mal. Mehr wollte er gar nicht. Sonst würde er für immer und ewig nur auf der Stelle treten, ohne sich weiterzuentwickeln. Zumindest kam es Roy so vor, als hätte er sich jahrelang umsonst abgerackert. Nach all der Zeit wollte er einfach mal etwas mehr sein. Nicht nur der angeblich stärkste Arena-Leiter, dem aber traurigerweise das nötige Etwas fehlte, um Champ zu werden.

Fluchend stieß Roy sich von der Wand ab und schrie seinen Frust heraus. Etwas, das er niemals öffentlich zu tun plante – und auch nicht wollte. Wie könnten ihn diese ständigen Niederlagen gegen dieselbe Person nicht frustrieren? Jeder käme sich wie ein Loser vor, wenn man alles gab, aber nicht vorwärts kam. Wenn er wenigstens wüsste, woran es genau lag. Was für einen Fehler machte er?

Nervös hatte Rotom ein wenig Abstand eingenommen und sah ihn aus sicherer Entfernung besorgt an. Außer ihm und Roys Pokémon gab es niemanden, dem er diese Seite von sich zeigte. Sie waren die einzigen, denen er vertraute. Darum entschuldigte Roy sich leise bei seinem Smart-Rotom und rieb sich mit den Fingern über die brennenden Augen.

„Ich weiß, ich bin ein Idiot“, murmelte er zerknirscht. „Mir gefällt mein Posten als Arena-Leiter und ich liebe meine Fans. Ich habe echt viel Spaß bei dem, was ich tue. Aber ...“

Zögerlich schwebte Rotom wieder auf ihn zu und zog einige beruhigende Kreise in der Luft. Roy beobachtete seine Bewegungen eine Weile schweigend. Eigentlich konnte er nicht mal wirklich sagen, warum genau ihn das Ganze so mitnahm. Selbst wenn er Champ werden würde … was änderte sich dann? Hätte er mehr Fans? Aufregendere Kämpfe? Mehr Ansehen? Im Grunde hatte er das alles schon.

Wollte er sich einfach nur selbst beweisen, dass er so schwierige Gegner wie Delion und Raelene besiegen konnte, wenn er sich nur genug anstrengte?

„Ich bin müde.“ Seufzend griff Roy nach seinem Smart-Rotom. „Gehen wir heim. Heute werden die meisten eh nur Autogramme und Fotos von dem Champ haben wollen.“

Normalerweise ließ Roy keine Gelegenheit aus, um mit seinen Fans in Kontakt zu treten, auch nicht nach einer Niederlage. Heute kam er sich allerdings selbst zu dünnhäutig vor, ganz und gar nicht wie ein stolzer Drache. Nur ein falsches, unbedachtes Wort eines Außenstehenden könnte genügen, um ihm sein wahres Gesicht zu entlocken. Das wollte Roy um jeden Preis vermeiden.

Halbherzig klopfte er sich einen Teil des Sandes von seiner Kleidung, den er aus dem Kampf mitgenommen hatte. Libelldra sollte er später ausgiebig für die heutige Leistung loben. Mit dieser meisterhaften Wetterkontrolle hatten sie sich diesmal eindeutig selbst übertroffen. Zumindest dieser Punkt sorgte dafür, dass Roys Lippen sich zu einem leichten Lächeln formten.

Zu guter letzte zog er die Kapuze seiner Jacke über den Kopf. Somit hatte sein bewährter Schutzschild einen höheren Level erreicht und wirkte, hoffentlich, noch effektiver als vorher. „Das muss reichen. Richtig frisch machen kann ich mich zu Hause.“

Von Rotom folgte ein zustimmendes Surren. Daraufhin atmete Roy kurz durch, bevor er sich umdrehte und die Umkleidekabine wieder verließ. Jedes Stadion besaß mehr als einen Ein- und Ausgang. Also könnte er durch ein Hintertürchen verschwinden, ohne vorher nochmal irgendwem zu begegnen. In diesem Augenblick müssten nämlich alle eher beim Eingangsbereich beschäftigt sein, also war sein Fluchtweg gesichert.

Zügig lief er durch die Gänge und tippte unterwegs auf dem Smart-Rotom herum, eine Hand in die Jackentasche vergraben. Tatsächlich brannte das Internet aktuell, was nach einem Schaukampf relativ normal war. Viele Fans lobten Roy und seine Pokémon für ihre Leistung im Kampf – er verteilte einige Likes, während er unbeirrt weiterging. Dummerweise waren auch wieder Trolle aus ihren Löchern gekrochen gekommen, mit dem Ziel, allen ihre Weltanschauung aufzudrängen.

Sofort fielen Roy jene Postings ins Auge, in denen darüber diskutiert wurde, dass Raelene nur eine billige Kopie von Delion war und sie zu unrecht ihren Titel trug. Manche Aussagen klangen ziemlich gemein, selbst für Roys Geschmack. Und doch konnte er nicht anders, als sich zu fragen, ob an diesen Behauptungen vielleicht etwas dran war. Falls Raelene mit irgendwelchen Tricks arbeitete, eventuell sogar betrog, würde das alles erklären.

Bevor er sich tiefer in dieses Gedankenspiel verlieren konnte, riss ihn etwas abrupt in die Realität zurück.

POFF!

Etwas war gegen Roy gestoßen. Der Zusammenprall war, zumindest für ihn, kaum spürbar gewesen, weshalb er irritiert blinzelte und sich umdrehte. Sofort kam es ihm so vor, als hätte jemand einen Eimer mit Eiswasser über ihn ausgeschüttet – und diese Attacke war bei Drachen sehr effektiv.

Ausgerechnet der Champ, Raelene, hatte ihn soeben angerempelt, gemeinsam mit ihrem Liberlo. Statt Roy umzureißen, hatte sie der Zusammenstoß nach hinten geworden und ihnen einen kurzen Schmerzenslaut entlockt. Beide hielten sich die Nase und kniffen die Augen zusammen. Entweder war Roy so standhaft wie eine Salzsäule oder die beiden hatten etwas mehr körperliches Training bitter nötig.

„Oh, na toll“, brummte Roy vor sich hin. „Was treibt ihr denn bitte hier?“

Blinzelnd hob Raelene den Kopf und kaum erblickte sie ihn, schien sie zutiefst irritiert zu sein. Vermutlich lag es an dem finsteren Gesichtsausdruck, mit dem er auf sie hinab sah. Unter seiner Kapuze müsste das aber eigentlich nur schwer zu erkennen sein, jedenfalls baute er darauf. Ausgerechnet Raelene wollte er nicht offenbaren, dass er nicht immer der unerschütterliche Drachen-Trainer war, für den ihn Galar hielt.

Angespannt stellten sich der Champ und sein Partner möglichst aufrecht hin. Sofort bemerkte Roy, wie viel Sand auch noch überall an den beiden haftete. Dieses Souvenir würden sie also ebenfalls aus ihrem heutigen Schaukampf mitnehmen.

„Äh, wir“, begann sie, nuschelnd, „sind auf dem Weg zum Hintereingang.“

Roy schnaubte zurückhaltend. „Wieso das? Keine Lust auf Fangejubel und Autogramme im Eingangsbereich? Du verpasst gerade garantiert ein paar geniale Schnappschüsse mit deinen Anhängern.“

„Also, ehrlich gesagt, kann ich mich daran einfach nicht so richtig gewöhnen ...“

Zu recht machte Raelene einen reumütigen Eindruck, kaum dass sie diese Worte ausgesprochen hatte. Besonders der Kontakt mit den Fans war mit das Beste, sobald man in Galar gefeiert wurde. Und genau das trat sie mit Füßen? Darüber konnte Roy nur verständnislos seufzen und zog, zur Vorsicht, die Kapuze noch tiefer in sein Gesicht. Sonst könnte sie doch noch sehen, wie der Frust ihn innerlich zerfraß.

„Wow“, entgegnete Roy, sicher etwas zu abweisend. „Delion hatte damit nie Probleme.“

Seltsam erschrocken wich Raelene einen Schritt zurück. „Wie?“

„Ich meine ja nur. Macht keinen guten Eindruck, wenn der Champ sich heimlich über den Hintereingang hinaus schleicht, während einige treue Fans da draußen sicher auf ein Treffen hoffen.“

Gerade als Champ sollte sie sich mehr zusammenreißen … aber eigentlich war Roy in dieser Sekunde kein bisschen besser als sie. Schließlich plante er auch sich heimlich aus dem Staub zu machen und ließ seine Fans somit im Stich. Manche Leute warteten vielleicht schon seit Stunden vor dem Stadion, darauf hoffend, wenigstens einen kurzen Blick auf ihr Idol erhaschen zu können. Bestimmt waren sie enttäuscht, sobald sie merkten, dass weder Raelene noch Roy sich blicken lassen würden.

Nun nagte das schlechte Gewissen an ihm. Sein Verhalten ihr gegenüber war nicht fair, zumal sie noch ein Kind war. Für sie musste der ganze Trubel oft etwas zu viel sein. Nicht mal Roy konnte sich davon freisprechen, dass die ganze Aufmerksamkeit am Anfang manchmal anstrengend gewesen war. Erfüllend, keine Frage, aber es konnte auch erschöpfend sein. Und wenn er sie sich etwas genauer ansah, wirkte sie tatsächlich erledigt.

Roy öffnete den Mund, gewillt, sich zu entschuldigen und ihr anzubieten, gemeinsam die Kurve zu kratzen, doch sie kam ihm zuvor.

„Es ist nicht so, als wäre das der einzige Grund“, warf Raelene hastig ein. „Ich bin auch total erledigt und dachte deshalb, ich gehe besser direkt nach Hause. Du hast heute echt noch härter gekämpft als sonst. Du hättest mich fast besiegt.“

Ihre Worten trafen einen extrem wunden Punkt bei ihm, schnürten ihm die Kehle zusammen. Ja, wie oft war er schon kurz davor gewesen, gegen Delion zu gewinnen? Auch bei Raelene war es schon mehrmals recht knapp gewesen. Fast hätte er gewonnen. Fast hätte sich die ganze Arbeit ausgezahlt. Fast wäre er mal nicht wieder der Verlierer gewesen. Der Versager. Fast.

Fast war einfach bei weitem nicht genug.

Die Atmosphäre wurde schlagartig von einem frostigen Schleier eingehüllt, der ihn selbst zu lähmen versuchte. In dieser Sekunde kam so etwas wie Hass in ihm hoch. Obwohl er Raelene regelrecht mit seinem Blick durchbohrte, konnte er selbst nicht sicher sagen, ob dieses Gefühl ihr galt oder er sich selbst gerade nicht ausstehen konnte.

Fast“, wiederholte Roy, mit knirschenden Zähnen. „Dann dürftest du gegen Delion eigentlich absolut keine Chance haben. Mysteriös, dass du ihn damals überhaupt schlagen konntest.“

Etwas in Raelene schien zu zerbrechen. Nervös zupfte sie am Zipfel ihrer Uniform herum und ließ den Blick sinken. Auch Liberlo behagte die Stimmung nicht. Er hatte längst hinter seiner Trainerin Schutz gesucht, als könnte ihn sonst eine Lawine zu Boden reißen. Falls Raelene am liebsten selbst ein Schild gehabt hätte, um sich vor Roys stechendem Blick zu schützen, versteckte sie das unheimlich gut. Wahrscheinlich war sie aber schlicht naiv.

„W-wie meinst du das?“, hakte Raelene nach, richtig kleinlaut.

„Das wüsstest du, wenn du dich selbst mal etwas mehr um Social Media bemühen würdest.“ In einer fließenden Bewegung warf er sein Smart-Rotom in die Luft, das anschließend zögerlich um ihn herum flog, und schob die nun freie Hand in die andere Jackentasche. „Der Großteil der Leute verlangt schon lange nach einem Rematch von dir und Delion. Viele glauben, du hättest damals unter fairen Bedingungen sicher nicht gewinnen können.“

Das hatte gesessen. Entgeistert hielt Raelene die Luft an und starrte ihn mit großen Augen an. Zitterte sie etwa? Auf einmal sah sie so ängstlich aus, dass sich jeglicher Groll in Roy in Luft auflöste. Hiermit war er eindeutig zu weit gegangen. So etwas hätte er nicht sagen dürfen. Raelene war noch so klein – sie hatte ihre Worte sicher nicht so abwertend gemeint, wie sie bei ihm angekommen waren.

Rasch wandte Roy sich ab und murmelte sich selbst eine strenge Verwarnung zu. Er musste weg von ihr. In seinem jetzigen Zustand konnte er nicht mit ihr reden, ohne noch mehr Schaden anzurichten. Also schritt er zügig davon und winkte ihr über seine Schulter hinweg zu.

„Vergiss es einfach!“, betonte er. „Du hast mich echt auf dem falschen Fuß erwischt, Kleine.“

Durch seine großen Schritte gewann Roy schnell den Abstand, den er benötigte. Erst als er davon überzeugt war, sich nicht mehr in ihrem Sichtfeld zu befinden, verfiel er in einen Sprint, um das Stadion endlich zu verlassen. Gerade, als er den Hintereingang erreichte, schrieb Delion ihm eine Nachricht, mit der Frage, wo er abgeblieben sei. Darauf konnte Roy aber gerade beim besten Willen nicht antworten, ohne sich direkt zu verraten. Also schnappte er sich das erste Krarmor-Taxi, das ihm ins Auge sprang, und ließ sich nach Hause fliegen.

 
 

***

 

„Scheiße!“, schrie Roy aufgebracht.

Seit er in seiner Wohnung angekommen war, lief er unruhig hin und her. Seine Jacke hatte er sich förmlich vom Leib gerissen und auf das übergroße Sofa im Wohnzimmer geworfen. Überfordert vergrub Roy eine Hand in sein Bandana. Er wusste, dass er Mist gebaut hatte. Deswegen vermied er es in der Regel, sich mit irgendwem zu treffen, wenn er zu aufgewühlt war.

„Das ist nicht gut. Ich muss das kitten.“

Ziellos lief Roy weiter durch die einzelnen Räume, Rotom folgte ihm auf Schritt und Tritt. Seine Wohnung war sehr modern eingerichtet, obwohl das Gebäude an sich einen altertümlichen Touch besaß. Diese Gegensätzlichkeiten mochte Roy an Claw City. Es strahlte den Anmut und die Stärke vergangener Zeiten aus, blieb jedoch technisch auf dem neuesten Stand. Ähnlich war es mit seinen eigenen vier Wänden. Nur traute ihm sicher kaum jemand zu, dass er gut darin war Ordnung zu halten und regelmäßig sauberzumachen – Frauen reagierten darauf überaus positiv, was er ab und zu vielleicht mal zu seinem Vorteil nutzte.

Für Einzelpersonen war die Wohnung, realistisch betrachtet, viel zu groß. Bedachte man aber, dass auch seine Drachen-Pokémon genügend Raum für sich benötigten, besaß er sogar noch viel zu wenig Platz. Zumindest in seinen Augen. Bei Möbelstücken wie das Sofa oder das Bett, auf das Roy sich im Schlafzimmer soeben seufzend fallen ließ, wählte er daher stets die Familien-und-Party-Deluxe-Edition. Immerhin wollte er seinen Pokémon die Möglichkeit bieten bei ihm zu sein, sofern ihnen danach war. Und oft wollten sie das alle gleichzeitig.

„Heute ist echt kein guter Tag.“

Plötzlich leuchtete einer seiner Pokébälle auf, was ihn kurz zusammenzucken ließ. Viscogon materialisierte sich aus eigenem Willen, nur um sich direkt auf Roy zu stürzen und ihn innig zu umarmen. Das sie dabei ihren Schleim überall auf ihn verteilte, war er gewöhnt. Daran hatte er sich noch nie gestört. Vielmehr verwunderte es ihn, warum sie einfach eigenmächtig ihren Pokéball verließ.

„Hey, hey~“, grüßte Roy Viscogon und tätschelte liebevoll ihren Kopf. „Was ist los? Bist du nicht noch erschöpft vom Kampf?“

Viscogon gluckste nur leise und drückte sich fest an ihm, beinahe als hätte sie Angst, er könnte sich sonst in Luft auflösen. Ein trauriges Lächeln huschte über Roys Lippen. Schon als sie noch ein kleines Viscora gewesen war, suchte sie immerzu Roys Nähe und war sehr anhänglich. Wenn sie aber sogar von selbst aus ihrem Pokéball herauskam, nur um ihn zu umarmen, bedeutete das, sie machte sich Sorgen um ihn. Seine Pokémon spürten es jedes Mal sofort, sobald seine Stimmung im Keller war.

„Weißt du, eine Umarmung hab ich heute aber trotzdem nicht verdient. Ich hab etwas echt Blödes getan.“ Ohne ihn anzusehen gab Viscogon einen fragenden Laut von sich, weshalb er eine Erklärung hinzufügte. „Ich hab dem Champ Angst eingejagt. Und mich wie ein Troll aufgeführt. Du weißt schon, diese Idioten, die gemeine Dinge behaupten, nur damit andere sich schlecht fühlen und sie sich darin suhlen können.“

Roy machte eine kurze Pause. „Uncool, oder?“

Bevor Viscogon darauf etwas erwidern konnte, leuchteten auch seine anderen Pokébälle allesamt auf und einer nach dem anderen materialisierte sich auf dem Bett – das unter dem Gewicht von Duraludon, Libelldra, Tortunator, Qurtel und Brockoloss mit einem lauten Krachen in sich zusammenbrach. Erschrocken hielt Roy sich an seinen Pokémon fest, als er nach unten sackte. Stille kehrte ein.

„Wow“, kommentierte er, zunächst mit trockener Stimme. Dann musste er aber lauthals lachen. „Und das war das dritte Bett diesen Monat. Das ist ein neuer Rekord!“

Amüsiert drückte Roy seine Pokémon an sich, die sich besorgt an ihn schmiegten. „Wisst ihr, das Modell hat mir eh nicht gefallen.“

Während Brockoloss schuldbewusst von den Trümmern des Bettes stieg, rückte Duraludon noch dichter an Roy heran und musterte ihn streng, ohne sich daran zu stören, dass unter ihm das Lattenrost eine Melodie der Zerstörung spielte. Dabei war Duraludon gar nicht so schwer, wie manche dachten.

„Ja, ist schon gut. Ich weiß Bescheid.“ Beruhigend strich Roy über das helle Metall, aus dem Duraludon bestand. „Ihr mögt es nicht, wenn ich mich nicht mal euch anvertraue. Sorry~.“

Roy wies seine Pokémon an, ihm etwas Freiraum zu geben, damit er aufstehen könnte, und riet ihnen das gleiche zu tun. Sicher, sein Team war robust und hielt einiges aus, dennoch konnten kleine Splitter den größten Schmerz verursachen. Und er wollte nicht, dass sich jemand an den kümmerlichen Einzelteilen des Bettes verletzte. Ein wenig Vorsicht schadete nie.

Da Viscogon ihn als einzige nicht loslassen wollte, hielt Roy sie fest, als er vorsichtig aufstand. „Tja, also schlafen wir heute wohl wieder auf dem Sofa.“

Seltsamerweise war das noch nie unter ihnen zusammengebrochen. Lastete auf Roy auch noch ein Fluch, der sich speziell gegen Betten richtete? Zu schade, dass die Firma, von der er das Sofa gekauft hatte, außer solchen Wohnzimmergarnituren nichts anderes herstellte. Sonst würde er glatt von ihnen sein Schlafzimmer neu einrichten lassen.

„Duraludon, Libelldra, Viscogon“, sagte Roy streng, wobei er eine Hand in die Hüfte stemmte. „Ich will, dass ihr drei euch schön ausruht. Schließlich habt ihr einen harten Kampf hinter euch.“

Nach diesen Worten grinste er stolz. „Ihr wart heute übrigens echt klasse~! Macht euch keine Gedanken um mich. Ich spring schnell unter die Dusche und dann ruhen wir uns zusammen aus.“

Auf seine Ansage erhielt er zustimmende Rufe, was Roy zufrieden nicken ließ. Sobald er sich frisch gemacht hatte, konnte er sich immer noch bei seinen Pokémon ausheulen. Daran waren sie gewöhnt, sie forderten es sogar ein. Sobald sie merkten, dass er alles in sich hineinfraß, überfielen sie ihn regelrecht mit Aufmerksamkeit, wie gerade eben. Also gab es sowieso kein Entkommen.

Lächelnd schüttelte Roy den Kopf und zog sein Bandana aus, das er spontan Viscogon überzog – die sich darüber sichtlich freute.

„Und macht euch wegen dem Bett keine Sorgen, das ist nicht so schlimm“, betonte er, um Brockoloss zu beruhigen, der deswegen geknickt wirkte. Scheinbar dachte er, es wäre zum Großteil ihm zu verschulden, dass das Möbelstück unter ihnen nachgegeben hatte. „Wie ich schon sagte, mir gefiel das Modell eh nicht. Keine Ahnung, was ich mir dabei gedacht habe. Nächstes Mal nehmen wir dieses stahlblaue Doppelbett. Das sah cooler aus.“

Roy bat Tortunator, Qurtel und Brockoloss darum, dafür zu sorgen, dass die anderen sich wirklich ausruhten, solange er im Bad wäre. Nur mit viel Geduld und ruhigen Worten gelang es ihm, Viscogon davon überzeugen, sich kurz von ihm zu trennen, so dass er in Ruhe duschen könnte. Danach dürfte sie ihn sofort wieder für sich haben – das hatte sie letztendlich überzeugt.

Auch Rotom musste für die nächsten Minuten, schweren Herzens, bei den anderen bleiben. Klar, Roy konnte nie genug Fotos von sich haben, aber unter der Dusche war sogar er mal lieber ganz gerne nur für sich. Auf dem Weg ins Badezimmer geriet er bereits wieder ins Grübeln. Was sollte er nun wegen der Sache mit Raelene machen?

Eine Entschuldigung war fällig, mindestens. Nicht nur bei Raelene, sondern auch bei Delion. Schließlich hätte Roy ihn darüber in Kenntnis setzen müssen, dass er nach dem Schaukampf einfach direkt nach Hause gehen wollte. Irgendwie hatte Roy aber befürchtet, dass Delion nachhaken könnte, weshalb er sich diesmal nicht freudestrahlend auf die Fans stürzte. So wie man es von Roy gewohnt war. Dafür bräuchte er eine glaubhafte Ausrede.

Während Roy duschte würde er auf jeden Fall schon mal darüber nachdenken, was wohl der beste Schritt wäre, um seine heutigen Fehler möglichst schnell zu bereinigen.

[Jahr 3] Champ zu sein ist wohl kein Zuckerschlecken

Hey.

Sorry, wegen vorhin. Ich war idiotisch und kindisch. Manchmal hat man das schon mal …

Im Ernst, vergiss, was ich gesagt habe. Das ist ein Sumpf, den du nicht erleben willst. Lass uns ein Eis essen gehen und wieder Spaß haben. Ist doch schließlich sowas wie dein Motto, oder? Das mit dem Spaß?

Okay, schreib mir einfach, wann du Zeit hast.

Bis dann!

Oh, und: Du warst heute auch verdammt gut. Kleine Kampfmaschine! >:3

So lautete die Textnachricht, die von Roy an Raelene verschickt worden war. Am Abend des Tages, als er es mächtig verbockt hatte. Zu seiner Erleichterung kam die Einwilligung ihrerseits überraschend schnell, weshalb er sich bereits drei Tage später am äußeren Rand von Claw City am vereinbarten Treffpunkt aufhielt.

Roy stand vor den Toren der Schatzkammer, wo er nun schon lange auf seine Verabredung wartete. Natürlich war er viel zu früh vor Ort gewesen, inzwischen verspätete Raelene sich aber mehr und mehr. Er hatte ihr vorgeschlagen, dass er ihr seinen Lieblingsladen in Sachen Eis zeigen könnte. In Claw City, deshalb hatte er den kürzeren Weg. Bei dem Champ sah es anders aus, womöglich war sie aus dem Grund spät dran.

Leider fand gerade kein Pokémon-Kampf auf dem Platz gegenüber statt, dem er solange beiwohnen könnte. In diesem Moment wurde ihm wieder bewusst, wie froh er war, stets einen Zugang zu Social Media bei sich zu haben. Während Roy geduldig auf Raelene wartete, tippte er daher auf seinem Smart-Rotom herum. Für die meisten Leute in Claw City war er nämlich schon ein vertrauter Anblick, also musste er sich größtenteils anderweitig beschäftigen.

Kamen doch mal einige Fans begeistert auf ihn zu, kaum dass sie ihn entdeckten, schenkte er ihnen natürlich sofort seine ganze Aufmerksamkeit. Da er oft in demselben Outfit herumlief, war es für seine Anhänger nie sonderlich schwer, ihn zu erkennen. Warum sollte er sich, so wie Kate, die Mühe machen und etwas komplett anderes als sonst anziehen, nur um in der Öffentlichkeit untertauchen zu können? Roy wollte erkannt werden – sofern er nicht gerade einen schwachen Moment durchlebte.

Gerade ahmte ein kleiner Junge seine Kampfpose nach, während Roy hinter ihm mitmachte und sie ein Foto davon schossen. Dafür nutzten sie natürlich das Handy des Kindes, doch Rotom machte jedes Mal auch einige Aufnahmen. Zum einen als Erinnerung für Roy, zum anderen falls das Foto auf den Geräten seiner Fans nichts geworden war. In dem Fall ließ er ihnen hinterher über Social Media nochmal eine anständige Version zukommen.

„Das ist so cool~“, hauchte der Kleine, voller Bewunderung für Roy. Anscheinend war das Foto auf seinem Handy gelungen. „Vielen, vielen, vielen, Dank, Mister Roy!“

„Nenn mich einfach nur Roy.“ Sanft tätschelte er den Kopf des Jungen, wobei er breit grinste. „Schließlich sind wir doch jetzt Freunde~.“

Unzählige Sterne schienen in den großen Augen aufzuleuchten. „Echt? Ganz wirklich?“

„Echt-wirklich! Und ich freunde mich nur mit Leuten an, in denen eine Menge Potenzial steckt.“

„... Was steckt in mir?“

Lachend zwinkerte Roy ihm zu. „Das heißt, du hast es drauf. Also streng dich an, damit wir beim nächsten Mal unsere Pokémon gegeneinander kämpfen lassen können.“

„Ja!“, rief der Junge glücklich und hüpfte auf der Stelle. „Ja, ja, ja! Ich werde mir ganz doll Mühe geben, Roy! Danke!“

Mit diesen Worten verabschiedete das Kind sich und rannte freudestrahlend zu seinen Eltern zurück, die beinahe genauso zufrieden wirkten. Dankbar nickten sie Roy zu, bevor sie ihren Sohn jeweils an eine Hand nahmen und weitergingen. Lächelnd folgte er ihnen mit seinem Blick, konzentrierte sich bald aber wieder auf sein Smart-Rotom.

Jedes Mal, wenn er Kindern eine solche Freude machen konnte, musste er an die Zeit zurückdenken, als er noch so klein gewesen war. Was hätte er damals dafür gegeben, nur ein bisschen Aufmerksamkeit von einem beliebten Idol zu bekommen? Nur eine kleine Unterhaltung wie gerade eben konnte schon das Leben einer Person verändern und in eine positive Richtung lenken. So etwas hätte Roy auch gerne erlebt. Dadurch wäre einiges leichter und vor allem erträglicher geworden …

Das Surren von Rotom lenkte ihn ab, bevor er zu tief in die Vergangenheit abdriften konnte, wofür Roy ihm dankte. Eigentlich dachte er nicht gerne an seine Kindheit zurück, denn das spielte alles keine Rolle mehr. Inzwischen war er jemand, der anderen das geben konnte, was er niemals erlebt hatte. Deswegen nahm er sich stets Zeit für seine Fans, besonders für die jungen. Selbst wenn sie am Ende nicht als Challenger bei ihm ankämen, konnte Roy hoffentlich dafür Sorgen, dass sie etwas mehr an sich selbst glaubten.

„Na, wo bleibt denn unser Champ?“, murmelte Roy vor sich hin und hob den Kopf. „Will sie mich als Strafe in der Sonne verbrutzeln lassen?“

Es war einer dieser Herbsttage, die sich noch an den Sommer klammerten. Eigentlich war es viel zu warm, um mit einer Jacke draußen herumzulaufen, doch Roy würde sein Schutzschild garantiert nicht ablegen. Wer sich mehrmals erbitterte Kämpfe mit Delion geliefert hatte, dem machte Hitze hinterher sowieso nicht mehr allzu viel aus.

Im Schein der Sonne wirkten die dunklen Fassaden der Gebäude in Claw City noch majestätischer und somit geheimnisvoller. Leider hatten die meisten Leute keinen Blick dafür, weil sie beschäftigt waren, sei es mit Arbeit oder anderen Dingen. Daher zogen sie wie ein rauschender Fluss an der Schönheit vorbei, von der sie umgeben waren. Wirklich schade.

„Ich glaube nicht, dass Drachen sich so leicht verbrutzeln lassen“, ertönte plötzlich eine Mädchenstimme neben ihm.

Ohne den Blick vom Himmel zu lösen, wusste Roy, wer endlich eingetroffen war. „Wäre das etwa sonst eine Option, die du in Erwägung ziehst?“

„Weiß nicht“, erwiderte sie, verdächtig monoton. „Würde vermutlich zu dem Bild passen, das einige von mir haben.“

Stirnrunzelnd senkte Roy den Kopf wieder, um sie anzuschauen. „Was soll das denn hei-“

Die Worte blieben ihm Hals stecken. Auch Rotom erstarrte. Vom Gesicht her war es zwar Raelene, die neben ihm stand, doch der gesamte Rest hatte sich verändert. Bei ihrem letzten Treffen waren ihre Haare noch lang gewesen, nun waren sie kurz, reichten ihr nicht mal mehr bis zur Schulter. Und ihr Kleidungsstil war so … rebellisch. Irgendwie sah sie ein wenig wie eine kleiner Punkerin aus.

Sicher, Raelene war von Natur aus eher der sportliche Typ. Abgesehen von einigen speziellen Werbepostern hatte Roy sie noch nie in mädchenhafter Kleidung gesehen. Trotzdem war die Richtung, die sie auf einmal eingeschlagen hatte, etwas erschreckend. Ein deutlicher Stilbruch, verglichen mit ihrem bisherigen Auftreten. Als wäre das nicht schon genug, trug sie diese Stiefel mit unverschämt hohen Plateausohlen, mit denen sie ein gutes Stück größer war als vorher. Noch dazu dieser auffallend ernste und kämpferische Gesichtsausdruck …

Scheiße, was ist in den letzten paar Tagen mit dir passiert?

Überfordert griff Roy nach seinem Bandana und starrte sie nur schweigend an, was ihr eindeutig nicht gefiel. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen.

„Was?“, sagte sie trotzig, und verschränkte die Arme vor der Brust. „Gibt es ein Problem?“

„Tja ...“

Mehr konnte Roy darauf nicht sagen. Wahrscheinlich wäre ohnehin alles falsch, was er von sich geben würde, bezogen auf ihre optische Veränderung. Also blieb er lieber zurückhaltend. Vielmehr bereitete ihm etwas anderes Magenschmerzen. Das Wissen, wer für Raelenes Imagewechsel verantwortlich war – oder zumindest den Anstoß dazu gegeben hatte.

Ich habe es wirklich richtig hart verbockt.

Hatte seine Nachricht Raelene zu spät erreicht? Oder war sie zu dem Zeitpunkt bereits verloren gewesen? Bestimmt hatte sie im Internet einige Foren besucht und viele schreckliche Dinge über sich gelesen. Soweit er wusste filterte die Liga ihre Fanpost, jedenfalls meinte Delion so etwas mal während einer Unterhaltung in einem Nebensatz. All diese Negativität musste Raelene daher regelrecht überrollt haben. Mehr, als jemand, der bislang nichts mit Hatern oder Trollen zu tun hatte, ertragen konnte.

„Eins sag ich dir, mir ist scheißegal, ob dir mein Stil nicht gefällt“, betonte Raelene genervt. „Also leb damit, sonst kann ich auch wieder gehen.“

Scheißegal. Solche Worte aus ihrem Mund zu hören, war … falsch. Mühsam unterdrückte Roy ein Seufzen, weil er sie nicht unnötig reizen wollte. Stattdessen setzte er ein Lächeln auf und winkte ab.

„Alles cool, keine Panik! Warum sollte mich irgendwas an dir stören?“

„Ich könnte die Liste jetzt runterrattern“, meinte sie trocken. „Wenigstens hast du mit anderen Kindern keine Probleme.“

Moment, war sie etwa doch schon länger in der Nähe gewesen und hatte Roy beobachtet? Zwischen seinem Verhalten ihr und dem Jungen von eben gegenüber lagen tatsächlich Welten. Erst recht wenn man ihr letztes Gespräch im Stadion bedachte. Falls sie das zufällig mitbekommen hatte, dann gute Nacht. Das konnte er sicher nicht mehr kitten. Nicht ohne …

Nein, das geht schon noch. Ich muss dafür nicht mit offenen Karten spielen.

Nur eine Sache verwunderte ihn. War Raelene in diesem Aufzug etwa noch nicht in der Öffentlichkeit unterwegs gewesen? Eigentlich hätte das Internet längst mit Fotos von ihr explodieren müssen, es sei denn, sie hatte erst vor wenigen Stunden angefangen sich ein neues Image zuzulegen. Eventuell könnte er also noch etwas retten, bevor zu viele Wind davon bekämen.

Lässig klopfte Roy ihr auf die Schulter. „Ich habe auch mit dir kein Problem! Sonst hätte ich dich nicht eingeladen. Komm schon, lass uns heute einen schönen Tag haben~.“

„Mal sehen ...“ Zweifelnd schob sie seine Hand von ihrer Schulter. „Also, wo ist diese bombastische Eisdiele?“

„Nicht weit von hier, wir kommen über ein paar Hintergassen schnell dorthin.“ Schmunzelnd griff er nach seinem Smart-Rotom. „Keine Sorge, ich werde dich auch nicht heimlich umlegen oder so.“

„Ha ha ...“

Einen Erfolg konnte Raelene mit diesem Imagewechsel bereits verbuchen: Vorher war sie Roy wirklich sympathischer gewesen. Diese Offenbarung traf ihn leider zu spät. Dennoch ließ er sich nicht abschrecken und winkte sie mit sich, um ihr den Weg zu zeigen. Mit großen Schritten ging er voran.

„Warte! Nicht so schn-“

Mitten im Satz stockte sie und stieß einen Schmerzensschrei aus, der dafür sorgte, dass Roy direkt herumfuhr und fragte, ob alles in Ordnung sei. Offenbar war Raelene gestolpert und lag nun, mit dem Gesicht voraus, auf dem Boden. Zwar sagte Roy es nicht laut, doch in den Stiefeln, die Raelene gerade trug, würde auch er sich sofort den Hals brechen. Anscheinend war sie es noch nicht gewohnt, in ihrem neuen Schuhwerk zu laufen.

Roy ging neben ihr in die Hocke und zögerte kurz. „Als ich klein war, bin ich auch ständig hingefallen. Einmal hab ich es geschafft, mir die Nase zu brechen, weil ich gestolpert bin, einfach so. Es lag nicht mal was im Weg. Weißt du, welchen Rat man mir gegeben hat?“

Langsam richtete Raelene sich auf, sichtlich beschämt. „Nein ...“

„Ich soll die Füße richtig hochheben.“

„Das … ist nicht hilfreich.“

„Eben.“

Ihre Augen waren etwas glasig, als sie ihn ratlos ansah. Also steckte Raelene noch irgendwo in ihr, das beruhigte Roy etwas. Im Verlauf des Tages könnte er vielleicht doch ein bisschen was erreichen. Vorerst mussten sie aber zur Eisdiele kommen, möglichst ohne weitere Unfälle. Da es nicht so aussah, als hätte sie sich ernsthaft bei dem Sturz verletzt, könnten sie direkt weitergehen. Also drehte er sich mit dem Rücken zu ihr.

„Steig auf~.“

„Was?!“ Empört stieß sie Luft zwischen ihren Lippen aus. „Kommt nicht in Frage!“

„Warum? Was ist bitteschön cooler und epischer, als auf einem waschechten Drachen zu reiten?“

„Ich bin kein kleines Kind mehr!“

„Hey, das hat Delion auch manchmal gesagt, als er in deinem Alter war.“ Nachsichtig lächelte Roy ihr über die Schulter hinweg zu. „Damit hat das aber nichts zu tun.“

„Du … du bist ...“ Krampfhaft suchte Raelene nach Worten, fand jedoch keine, was sie sauer machte. „Du bist blöd! Ich hasse dich!“

 
 

***

 

Aurora war eine extrem beliebte Kette in Galar, die damit warb, königlich köstliche Eiscreme anzubieten. Auf jeden Fall bei dem Laden, den Roy mit Raelene aufsuchen wollte, hielten sie dieses Versprechen. Obendrein boten sie ihren Kunden regelmäßig gute Unterhaltung, indem sie das Eis vor den Augen der Kunden von Pokémon zubereiten ließen.

Wenn ein Snibunna mit seinen scharfen Krallen flink alles auf die richtige Größe brachte, war das schon ein riesiges Highlight. Hin und wieder kamen auch Galar-Flampivians zu den einzelnen Tischen und boten den Gästen an, sich aus dem Schneeball auf ihrem Kopf kostenlos eine zusätzliche Leckerei zu suchen. Ein Pantifrost führte zusammen mit einigen Galar-Pantimos nebenbei kleine Kunststücke auf oder tanzten einfach nur. Langweilig wurde einem bei Aurora also so schnell nicht.

Das allerbeste an dem bunten Angebot des Ladens war ein ganz bestimmtes, bei dem viele schwach wurden: Eiscreme in Form eines Seemops, wahlweise auch Galar-Flampion oder Quiekel. Wie sollte man da nicht schwach werden? Sogar Roy hatte öffentlich schon mehrmals zugegeben, wie niedlich diese Eis-Sorten einfach waren. Noch dazu schmeckten sie wirklich gut und die Preise waren unerwartet günstig.

Roy hatte Raelene bis zur Eisdiele getragen. Das Argument, dass sie in den versteckten Gassen kaum auf Menschen treffen würden, war am Ende überzeugend genug gewesen. Nun saßen sie an einem der Tische im Laden, in der hintersten Ecke, um in Ruhe für sich sein zu können. Schließlich wollte Roy sich mit Raelene versöhnen und dafür musste er ausnahmsweise auf ständige Unterbrechungen von Fans verzichten.

Soeben lieferte ein Galar-Flampivian ihnen ihre Bestellungen, die Roy übernommen hatte, um Raelene zu überraschen. Als ihr Seemops-Eisbecher vor ihr stand, mit all den liebevollen Details, fingen ihre Augen an zu leuchten. Sie musste sich sichtlich zusammenreißen, nicht vor Begeisterung aus ihrer neuen Rolle zu fallen, was traurig anzusehen war.

Und ich bin schuld daran …

Für sich selbst hatte Roy einen Arktip-Eiskaffe bestellt, der entsprechend schneeweiß und blau verfärbt war. Die Sahneschicht formte das Pokémon. Ein Gefühl sagte ihm, dass er etwas Koffein noch brauchen könnte. Wenn er schon mal in der Eisdiele war, wollte er sich aber auch etwas in der Richtung gönnen und nicht nur stumpf stinknormalen Kaffee trinken. Da war er sehr eigen.

„Wenn du es nur die ganze Zeit anstarrst, schmilzt dir das Seemops noch weg“, kommentierte Roy schmunzelnd.

Nervös zuckte Raelene zusammen und räusperte sich, ehe sie den Löffel in die Hand nahm. „D-das weiß ich selbst! Du brauchst mich auf so etwas nicht hinzuweisen.“

„HALT!“

„Was?!“, erschrak sie. „ Mann, soll ich jetzt essen oder nicht?! Entscheide dich mal!“

„Du“, sagte Roy ernst, „hast noch kein Foto von dem Eis gemacht.“

Fassungslos starrte Raelene ihn an. „Dein Ernst?!“

Nickend deutete er zu Rotom, der ihr ohne Kommentar das – perfekte – Foto von seinem Eiskaffee präsentierte. Das hatten sie geschossen, als Raelene noch darin vertieft gewesen war ihr essbares Seemops zu bewundern. Daraufhin gerieten sie in eine kleine Diskussion darüber, ob es sinnvoll oder schwachsinnig war, sein Essen zu fotografieren, was für Roy eher witzig war. Erst recht weil Raelene sich viel zu sehr in dieses Thema hineinsteigerte, bis sie beschloss, das Gespräch für beendet zu erklären.

Hastig fing sie danach an ihr Eis zu essen, mit diesem gespielt trotzigen Blick. Roy widmete sich derweil seinem Eiskaffee, beobachtete Raelene jedoch nachdenklich. Eigentlich hatte er keine Ahnung, was er ihr sagen sollte, bezüglich ihres anderen Gesprächs vor drei Tagen. Bei Kindern genügte es oft, wenn man mit ihnen etwas Schönes unternahm, so wie er es gerade mit Raelene tat. Ob das in diesem Fall genügte, blieb abzuwarten.

Darum beschloss er, zunächst über triviale Dinge zu quatschten. Vorrangig über Pokémon und natürlich Kämpfe. Egal, wie desinteressiert Raelene die ganze Zeit wirkte, er sprach einfach weiter und zeigte ihr auf dem Smart-Rotom sogar einige Aufnahmen, auf die er ziemlich stolz war. Wirklich viel hatte sie dazu nicht zu sagen, wovon er sich aber nicht kränken ließ.

„Sag mal“, unterbrach Raelene ihn irgendwann angespannt, „warum hast du mich zum Eis essen eingeladen, wenn du mich gar nicht leiden kannst?“

Roy blinzelte irritiert. „Wie kommst du darauf, dass ich dich nicht leiden kann?“

„Weil du schon immer etwas … komisch warst, zu mir, seit ich Champ geworden bin“, erklärte sie, den Blick auf den fast leeren Eisbecher fixiert. „Ich hab das nie verstanden. Durch unser Gespräch verstehe ich aber jetzt, warum du immer so bist. Deshalb begreife ich nicht, warum du mich dann eingeladen hast.“

Als sie den Blick hob und ihn ansah, wirkte sie viel zu erwachsen. „Eine einfache Entschuldigung hätte doch gereicht. Warum machst du dir jetzt die Mühe? Weil du ein schlechtes Gewissen hast?“

Hoffentlich war Roy nicht anzusehen, wie sich Panik in ihm ausbreitete. Auf ihre letzte Frage konnte er unmöglich einfach mit einem Ja antworten, in vielerlei Hinsicht. Ehrlich konnte er auch nicht sein, weil er sich sonst verraten würde. Sobald sie nur ansatzweise erahnte, wie es in seinem Inneren aussah … daran wollte er nicht mal denken.

Ich kann sie aber auch nicht in dem Zustand lassen.

Sein Schweigen machte das Ganze nicht besser. Nach einer Weile nickte Raelene verstehend und konzentrierte sich wieder darauf, die Reste von ihrem Eis zu essen.

„Du hast also echt nur ein schlechtes Gewissen.“ Zerknirscht schob sie das Eis in ihrem Becher hin und her. „Das kannst du dir sparen. Du hast nur die Wahrheit gesagt. Ich bin ein Fake-Champ. Aber nicht mehr lange, ich wer-“

„Das stimmt nicht!“, rief Roy dazwischen – was nicht nur ihn selbst, sondern vor allem Raelene zusammenzucken ließ vor Schreck.

Leise grummelnd zog Roy sein Bandana ein Stück tiefer ins Gesicht, denn die Kapuze aufzuziehen wäre zu auffällig gewesen. Statt darüber nachzudenken, beschloss er, einfach frei zu reden.

„Ich lasse nur sehr wenig Challenger durch, wenn sie bei mir ankommen. Rose hat mich damals deswegen immer getadelt und es dauert sicher nicht mehr lange, bis Delion das auch mal auffällt. Ich sehe eben nicht ein, warum ich blutige Anfänger in den Cup schicken soll, wo alle Arena-Leiter dann plötzlich richtig ernst machen und ihre starken Pokémon einsetzen. Davon hat doch niemand etwas.“

Im Augenwinkel bemerkte Roy, dass Raelene auf ihrem Sitz ein Stück tiefer rutschte.

„Soll ich dir verraten, warum ich dich damals als eine der wenigen Ausnahmen trotzdem durchgelassen habe?“, fuhr er fort. „Bestimmt nicht, weil ich unbedingt sehen wollte, wie du im Cup kläglich versagst. Ich habe gemerkt, dass du das gewisse Etwas hast.“

Genau das, was Roy offenbar fehlte. In diesem Moment war das aber zweitrangig. Es ging gerade darum, Raelene etwas klarzumachen – und sich selbst auch, wie ihm bewusst wurde.

„Du hast Talent, Rae. Und du hast gewonnen. Fair und ehrlich. Gegen mich und Delion. Dass du würdig bist, habe ich schon in dem Moment entschieden, als ich dir den Drachen-Orden gegeben habe.“

Richtig, sie war kein Fake-Champ. Raelene arbeitete nicht mit irgendwelchen Tricks, wegen denen er es so schwer hatte, gegen sie zu gewinnen. Gerade Roy hätte das wissen müssen, weil er derjenige war, der sie durchgelassen hatte. Egal, woran es genau lag, sie war gut in dem, was sie tat. Daran gab es nichts zu rütteln.

Als Roy sein Bandana wieder anhob, um ihr in die Augen zu schauen, liefen ihr bereits Tränen über die Wangen. Da wusste Roy, dass das, was auch immer Raelene gebrochen hatte, an diesem Tag nicht mehr zu kitten war, wenn überhaupt. Denn sie war längst von Zweifeln zerfressen, vermutlich schon lange vor ihrem unglücklichen Gespräch.

Roy murmelte eine leise Entschuldigung, woraufhin Raelene noch mehr in Tränen ausbrach. Er beneidete sie darum, dass sie vor ihm derart Schwäche zeigen konnte. Allerdings wuchs gleichzeitig die Angst davor, selbst eines Tages vor den Augen eines anderen derart auszubrechen. Es gab zu viele Leute, die das ausnutzen würden. Leider sprach er da aus Erfahrung.

Umso besser, dass er derjenige war, der Raelene gegenüber saß.

Nachdem sie eine gefühlte Ewigkeit geweint hatte, aß sie danach schweigend weiter und er trank seinen Eiskaffee, bis nichts mehr übrig war. Danach verabschiedeten sie sich vor der Eisdiele und gingen wieder getrennte Wege, mit der stummen Vereinbarung, das, was zwischen ihnen vorgefallen war, für sich zu behalten. Und das war gut so, für beide Seiten.

Würde Raelene sich fangen und wieder zu sich selbst finden? Wahrscheinlich nicht.

Nicht in nächster Zeit.

Trotzdem hoffte Roy, dass seine Worte dazu beigetragen hatten, sie von der Kante zurückziehen und vor dem endgültigen Absturz zu bewahren. Aus eigener Kraft war das nämlich kaum zu schaffen.

„Champ zu sein ist wohl kein Zuckerschlecken“, sagte Roy zu sich selbst, während er langsam durch die Stadt lief. Rotom gab einen zustimmenden Laut von sich. „Es wäre ja auch zu leicht, wenn es einfach ist, was?“

 
 

***

 

Wie Roy vorhergesehen hatte, blieb Raelene das folgende Jahr über schwierig. Oft überlegte er, nochmal mit ihr zu sprechen, aber er verwarf den Gedanken jedes Mal. Er war davon überzeugt, nur wieder Öl ins Feuer zu gießen, sobald sie ihn sah. Damit hätte er also alles schlimmer gemacht.

Manchmal dachte er darüber nach, zumindest Delion zu erklären, was mit ihr los war, weil er als Präsident durch den massiven Imagewechsel des Champs ziemlich gestresst wirkte. Auch diese Idee verwarf Roy, jedoch vielmehr aus egoistischen Gründen. Dafür beschloss er, lieber mehr an sich zu arbeiten. Seine eigene Schwäche noch effektiver wegzuschließen – denn so etwas wie mit Raelene durfte ihm niemals wieder passieren.

[Jahr -5] Ich bin ein hungriges Pescragon!

Roy lauschte gespannt. Er versteckte sich gerade in irgendeinem Besprechungsraum im Rose Tower, wo sich, außer ihm, jedoch niemand aufhielt. Da die Tür nicht abgeschlossen gewesen war, hatte er das als Einladung betrachtet und wartete an diesem Ort nun auf eine ganz bestimmte Person. Schon nach wenigen Minuten wurde Roy aber ungeduldig und überlegte bereits, ob er wieder gehen sollte. Allerdings beschloss er noch ein kleines bisschen zu warten.

Die Tür war nur angelehnt, damit er es hören könnte, sollte draußen jemand vorbeilaufen. Im besten Fall die eine Person, die er überraschen wollte. Seufzend zupfte Roy an seiner dicken Jacke und überlegte kurz, ob er sie besser ausziehen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Obwohl er die Drachen-Uniform nach wie vor mit Stolz trug, fühlte er sich mit seinem persönlichen Schutzschild einfach sicherer. An heißen Sommertagen wie heute war es trotzdem oft eine Quälerei.

Wenn Delion die ganze Zeit seinen protzigen Umhang tragen muss, schaff ich das auch!

Als plötzlich leise Schritte zu hören waren, vergaß Roy dieses Problem direkt und presste sich grinsend an die Wand neben der Tür. Eine Stimme ertönte, die ihm versicherte, dass es sich um Delion handelte, der sich seinem Standort näherte. Jackpot!

„Hey, Roy?“, sagte Delion leise, ein wenig nervös. „Hör auf damit. Ich hab doch gesagt, dass ich nicht Verstecken spielen will. Rose wartet auf uns ...“

Rose“, wiederholte Roy flüsternd. Genervt rollte er mit den Augen. „Der kann ruhig mal warten.“

Immer, wenn sie vom Liga-Präsidenten gerufen wurden, saßen sie meistens nur ewig in einer langweiligen Besprechung fest, von der Roy mindestens die Hälfte sowieso nicht richtig mitbekam. An solchen Terminen gab es nur einen einzigen Pluspunkt: Diese Tage waren eine seltene Gelegenheit Delion wiederzusehen und außerhalb eines Pokémon-Kampfes mit ihm abzuhängen.

Zumindest für kurze Zeit, denn in der Regel wurden sie schnell von irgendwem dazu angehalten sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Aber nicht mit Roy! Amüsiert zog er sich die Kapuze über, wodurch es nun so aussah, als wäre er ein richtiger Drache – diese Jacke war inzwischen eine Art Markenzeichen von ihm. Anschließend wartete er noch einige Sekunden, bis Delion nah genug bei der Tür war und dann …

„Roy, ich meine es ernst!“, zischte Delion, frustriert. „Ich will keinen Ärger bekommen!“

Wie auf Stichwort riss Roy die Tür auf und sprang Delion entgegen, mit einem lauten, möglichst bedrohlichen Brüllen. Erschrocken zuckte sein Opfer zusammen und sah ihn mit großen Augen an.

„Roy?!“

„Ich bin nicht Roy!“, knurrte er bedrohlich. „Ich bin ein hungriges Pescragon und werde dich fressen!“

Verwirrt blinzelte Delion ihn an. „Aber … ohne Wasser können Pescragons angeblich nicht atmen.“

„Ich muss nicht atmen!“ Voll und ganz in seiner Rolle versunken, baute Roy sich vor ihm auf. „Ich brauche nur kleine unachtsame Champs, die ich fressen kann!“

Beschwichtigend hob Delion die Hände und wich einen Schritt zurück, stolperte sogar fast über den viel zu langen Umhang. Leichte Beute für einen Drachen.

„Wir sind dreizehn“, erinnerte Delion ihn. „Sollten wir mit so etwas nicht langsam mal … aufhören?“

Genau das war der Grund, weswegen Roy dieses Schauspiel abzog. Ihm war schon lange aufgefallen, dass Delion irgendwie anders war als früher. Nicht mehr so gelassen und fröhlich. Manchmal wirkte er sogar erschöpft. Deshalb war dringend eine große Portion Spaß nötig, um ihn wieder in die richtige Spur zu bringen.

„Nee, ich will dich lieber fressen~“, betonte Roy, mit einem breiten Grinsen. „Ich zähle bis drei. Wenn du dann nicht wegrennst, stürze ich mich auf dich.“

Fassungslos hielt Delion den Atem an. „Was?!“

„Eins.“

„Roy, lass das endlich!“

„Zwei.“

„Muss das ausgerechnet hier sein?! Wir werden irgendwen stören!“

„Drei!“

Sofort schnellte Roy nach vorne und versuchte ihn mit beiden Händen zu packen, doch Delion wich geschickt aus. Plötzlich huschte ein leichtes Lächeln über seine Lippen, bevor er doch lieber die Beine in die Hand nahm und vor dem bösen Pescragon davonlief, das sofort die Verfolgung aufnahm. Immer wieder stieß Roy ein bestialisches Brüllen aus, während er Delion jagte.

Zu ihrem Vorteil war auf den meisten Gängen nichts los, wahrscheinlich waren die Erwachsenen alle irgendwo beschäftigt oder saßen einfach nur apathisch an ihren Schreibtischen. Also hatten sie freie Bahn.

„Mist!“, keuchte Delion, der mehrmals beim Rennen auf seinen Umhang trat.

„Hast du Probleme, Leckerbissen?! Mit diesem Ding wirst du nicht weit kom-“

Roy erschrak, als ihm auf einmal Delions Umhang entgegen flog und ihn stark ausbremste. Überrascht starrte er auf den roten Stoff, den er nun im Arm hielt, und sah zu Delion, der in der Zwischenzeit lachend einen Vorsprung gewann. So gefiel er Roy schon viel besser, aber verlieren würde er dieses Spiel deswegen garantiert nicht! Rasch warf er den Umhang weg und rannte Delion weiter hinterher.

Auf dieser Etage des Rose Towers, relativ weit oben, gab es überwiegend viele lange Gänge, mit wenigen Abzweigungen, weshalb Roy Delion nicht aus den Augen verlieren konnte. Nach und nach warfen einige Leute einen kurzen Blick aus ihren Büros, wegen des Lärms, und schüttelten verständnislos über die beiden den Kopf. Davon ließen sie sich jedoch nicht ablenken, denn dafür hatten sie zu viel Spaß an dieser Jagd.

Bald war es Roy gelungen, die Distanz zwischen ihnen so weit zu verringern, dass er ein riskantes Manöver wagte: Mit Schwung machte er einen ordentlichen Satz nach vorne, geradewegs auf Delion zu – den er tatsächlich erwischte!

Zusammen fielen sie zu Boden, wo Roy seine Beute fest mit Armen und Beinen umklammerte. Die Kappe von Delion flog dabei von seinem Kopf, auch Roys Kapuze rutschte wieder runter und somit sah er nur noch halb so bedrohlich aus. Seiner effektiven Fesseltechnik schadete das trotzdem nicht.

„Hab dich~“, rief er, so energiegeladen als hätte die Jagd ihn gestärkt statt ausgelaugt. „Du hast verloren!“

Lachend versuchte Delion sich aus seinem Griff zu befreien. „Okay, du bist der Sieger! Jetzt lass mich los.“

„Von wegen, es ist Essenszeit!“

So weit wie möglich öffnete Roy den Mund und näherte sich Delions Schulter, was diesen leicht in Panik versetzte. „Lass das! Du benimmst dich echt wie ein wildes Pokémon!“

„Hm?“ Roy hielt inne und grinste ihn an. „Sagt der, der sich die Haare wachsen lässt wie ein Höhlenmensch.“

„Idiot“, beschimpfte Delion ihn halbherzig.

„Falsch, ich bin ein Pescragon~!“

Wieder musste Delion herzlich lachen, wovon Roy sich anstecken ließ. Wie es aussah, war ihm diese Mission geglückt. Ein sagenhafter Erfolg! Darüber freute er sich vermutlich mehr als Delion, der nach Luft schnappte und versuchte sich zu beruhigen.

„Friss mich trotzdem nicht“, bat Delion lächelnd. „Sonst können wir keine Pokémon-Kämpfe mehr austragen.“

„Guter Einwand. Dann mache ich mal eine Ausnahme, weil du es bist~.“

Mit diesen Worten lockerte Roy seinen Klammergriff und entließ Delion in die Freiheit, der sich auf die Seite rollte. Sein Gesicht hatte durch das Fangspiel richtig an Farbe gewonnen. Äußerst zufrieden richtete Roy sich auf und atmete tief durch. Bald darauf gelang es auch Delion sich anständig hinzusetzen und sah ihn eindringlich an, worauf Roy unschuldig mit den Schultern zuckte.

„Also echt, für so etwas ist es eigentlich viel zu heiß“, merkte Delion an.

Obwohl Roy in der Tat schweißgebadet war, gab er sich ratlos. „Heiß? Ich merke nichts.“

„Du merkst so einiges nicht~.“

„Das ist meine Stärke, weißt du?“

Leider wurde die gelöste Stimmung schlagartig von einer kühlen Frauenstimme unterbrochen, die aus dem Nichts zu kommen schien: „Wahre Stärke erlangt man sicher nicht, indem man anderen Probleme bereitet.“

Nicht nur Delions Lächeln starb augenblicklich, auch Roy war alles andere als begeistert, denn sie kannten diese Stimme nur zu gut. Synchron lenkten sie den Blick zur Seite. Tatsächlich, da stand Olivia, nur wenige Meter entfernt. Die gefürchtete, strenge Assistentin von Rose. Ihre hellen Augen musterten sie ausdruckslos, dafür sprach ihre Körperhaltung Bände. Fehlte nur noch, dass ihr langes, blondes Haar verheißungsvoll im Wind wehte.

In einer Hand hielt sie Delions Umhang und in der anderen seine Kappe, beides musste sie unterwegs aufgelesen haben.

„Ist euch bewusst, dass der Präsident schon auf euch wartet?“, fragte sie, in einer unheimlich tiefen Tonlage. „Im Gegensatz zu euch ist sein Tag lückenlos verplant, mit weiteren Terminen, zu denen er sich nun, dank euch, durchgehend verspäten wird. Und das sehen Geschäftspartner gar nicht gerne.“

Schuldbewusst senkte Delion den Kopf. „Entschuldige, Olivia. Wir kommen sofort.“

„Gut, sonst können wir uns die Mühe in Zukunft auch sparen, die wir uns mit euch geben.“

Zu gerne hätte Roy sich gegen diese verbale Spitze gewehrt, doch er wollte Delion nicht noch mehr Ärger zumuten. Außerdem sollte er Olivia besser keinen weiteren Grund dazu geben, sich bei Rose über ihn zu beschweren, sonst kostete ihn das am Ende nur seinen Posten als Arena-Leiter. Besonders vor dieser Frau wollte Roy nicht schwach erscheinen, weshalb er ihren stechenden Blick standhaft erwiderte.

Dummerweise traf er scheinbar dennoch irgendeinen Nerv bei Olivia, da sie ein wenig die Nase rümpfte. „Ich denke, für heute genügt es, wenn nur Delion seinen Termin noch wahrnimmt. Deine Anwesenheit ist nicht zwingend nötig. Sämtliche Belange bezüglich deiner Person können warten.“

Übersetzt sollte das wohl bedeuten, dass Roy nicht wichtig war. Schmerzhaft. Seine Fans würden ihr bestimmt widersprechen, eventuell sogar Rose selbst, leider waren sie jedoch gerade nicht vor Ort. Sonst könnte Olivia einpacken. Davon war Roy überzeugt – jedenfalls versuchte er, sich das einzureden.

Besorgt sah Delion ihn an, doch Roy zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. „Pff, na schön. Ich genieße eh lieber das Wetter, statt wie ihr bei dieser Hitze in einer Besprechung festzusitzen.“

„Grandios, demnach bekommen wir alle, was wir wollen“, fasste Olivia schnippisch zusammen. „Gehen wir, Delion.“

Nickend sprang er auf und nahm dankend seine Sachen von ihr entgegen, während Roy etwas weniger enthusiastisch war. Einen Teil des Weges legte er zusammen mit Olivia und Delion zurück, bis er an einer Stelle abbiegen musste, um zum Aufzug zu gelangen. Ein Glück, das frostige Schweigen zwischen ihnen war schlimmer als jeder Eisstrahl oder Blizzard.

„Bis dann, Roy!“, verabschiedete Delion sich.

Träge warf er einen Blick über die Schulter und bemerkte, dass Delion ihm heimlich durch einige Gesten noch etwas zu sagen versuchte. Roy verstand keine einzige davon, weil keine ansatzweise Sinn zu machen schien. Wenn Delion auf so eine Art der Kommunikation zurückgriff, sollte er sie wirklich besser beherrschen. Der hoffnungsvolle Gesichtsausdruck, mit dem er Roy ansah, machte es nur noch schlimmer.

Bevor Olivia misstrauisch werden konnte, nickte er Delion zu. „Ja, bis dann!“

Anschließend gingen sie getrennte Wege. Kurz darauf fuhr Roy bereits mit dem Aufzug nach unten, Richtung Freiheit, und versuchte krampfhaft zu überlegen, was Delion von ihm gewollt hatte. Irgendwann stieß er einen leisen Fluch aus.

„Mann, du weißt genau, dass ich nicht gerne nachdenke!“

 
 

***

 

Etwas mehr als eine Stunde verging. Gelangweilt hatte Roy die ganze Zeit unten in der Lobby gewartet und sich schrecklich gelangweilt. So sehr, dass er sich zusammenreißen musste, nicht einfach irgendwelche Leute anzusprechen, die zufällig in der Nähe standen. Schlimmstenfalls gammelte er vollkommen vergeblich an diesem Ort ab, weil er nicht wusste, ob Delion überhaupt auftauchen würde – immerhin wäre es möglich, dass er von der Spitze des Rose Towers von einem Krarmor-Taxi abgeholt wurde.

Eine Weile hatte Roy sich zwar mit seinem Handy ablenken können, doch das war schnell am Ende seiner Kräfte gewesen. Wann erfand endlich jemand ein Gerät, dem niemals der Saft ausging und mit dem man problemlos jederzeit überall ins Internet oder Fotos machen konnte? Wäre das zu viel verlangt? Außer ihm gab es sicher noch mehr, die sich darüber freuen würden.

Jedes Mal, wenn sich die Aufzugstür öffnete, hielt Roy erwartungsvoll den Atem an. Bislang waren es aber nur Nieten gewesen. Niemand, über den er sich freuen konnte. Nach einer gefühlten Ewigkeit sollte seine Geduld endlich belohnt werden, denn irgendwann war es tatsächlich Delion, der die Lobby betrat. Und sein Gesicht strahlte sofort, kaum dass er Roy erblickte.

„Da bist du ja!“ Eilig lief er zu ihm. „Gut, du hast mich also verstanden~.“

„Tja ...“, erwiderte Roy trocken. „Ehrlich gesagt, hatte ich keine Ahnung, was du von mir wolltest. Du bist echt mies in Zeichensprache.“

Sichtlich verwundert neigte Delion den Kopf. „Und trotzdem hast du hier auf mich gewartet?“

„Sieht so aus, oder?“

„Warum?“

Schnaubend tippte Roy ihm gegen die Brust. „Frag doch nicht so blöd. Du weißt genau warum.“

„Ach so!“ Delions Gesicht fing an zu strahlen. „Klar~.“

Irgendwie zweifelte Roy daran, dass er tatsächlich verstand, was gemeint war. Vorerst ließ er es dennoch so stehen und nahm Delion lieber genauer in Augenschein. „War es eigentlich sehr schlimm?“

„Was meinst du?“

„Die Besprechung mit der Schmalzlocke und der Schreckschraube.“

„Hey, sei nicht so gemein“, wies Delion ihn zurecht, dessen Lächeln etwas schwächer wurde. „Sie meinen es nur gut. Sei froh, dass die beiden für uns die ganzen komplizierten Sachen übernehmen und alles regeln lassen.“

„Du bist viel zu nett“, urteilte Roy, ein wenig genervt.

„Ist das schlecht?“

„Hm ...“

Einige der Anwesenden in der Lobby starrten die beiden neugierig an und tuschelten leise über sie. In der Regel störte Roy sich sonst nicht an dieser Art von Aufmerksamkeit, gerade erschien es ihm jedoch lästig. Darum winkte er Delion mit sich und ging Richtung Ausgang. Er wollte nicht noch länger als nötig in diesem Gebäude bleiben. Ihm gefiel es hier ohnehin nicht. Etwas am Rose Tower fühlte sich falsch an. Vielleicht reagierte Roy aber nur schlicht allergisch auf das stressige Arbeitsklima. Pokémon-Kämpfe machten eindeutig mehr Spaß.

Draußen war es schon wesentlich angenehmer, sogar Delion holte tief Luft. „Ah, schön~.“

Wolkenloser Himmel. Sonnenschein. Meikros und Dusselgurrs zogen friedlich ihre Bahnen über ihnen. Die lebhafte Geräuschkulisse einer Großstadt um sie herum. Ja, es war definitiv schön. Etwas trübte trotzdem immer noch Roys Stimmung.

Misstrauisch warf er nochmal einen Blick zum Rose Tower, bevor er sich ernst an Delion wandte. „Hör mal, pass bitte etwas besser auf dich auf.“

Ehe Delion fragen konnte, was genau er meinte, stolperte er erneut über den Umhang und flog plötzlich nach vorne. So schnell, dass Roy nicht rechtzeitig reagieren konnte, sonst hätte er versucht ihn festzuhalten. Im nächsten Augenblick lag Delion aber schon auf dem Boden und nuschelte etwas vor sich hin, wovon Roy kein einziges Wort verstehen konnte.

Hastig kniete er sich neben Delion. „Ey, so passt man nicht auf sich auf!“

Darauf folgte nur abermals unverständliches Nuscheln.

„Hast du dir wehgetan?“

„... Nein“, antwortete Delion, der sich daraufhin wieder aufrappelte und seufzte. „Ich kann nur nicht laufen.“

„Mit dem Ding könnte niemand richtig laufen.“

Kaum standen sie wieder, griff Roy kurzentschlossen nach dem Umhang und nahm ihn Delion ab, der nicht mal dagegen protestierte. Statt ihn zurückzugeben, warf Roy ihn sich nur über die rechte Schulter, um ihn für Delion zu tragen, solange sie zusammen unterwegs waren. Schließlich war er ein gutes Stück größer. Auf den Kommentar hin, dass Delion zu wenig Drachengene in sich habe und deswegen einfach nicht richtig wuchs, lachte er nur amüsiert.

„Eines Tages überhole ich dich“, sagte Delion entschlossen. „Wirst schon sehen!“

„Nee, wirst du nicht. Garantiert nicht.“

„Was macht dich da so sicher?“

Stolz reckte Roy das Kinn nach vorne. „Na, weil ich die Drachengene habe, die dir fehlen~.“

„Vielleicht stimmt das sogar“, meinte Delion schmunzelnd. „Als Pescragon warst du sehr überzeugend. Diese Drachen-Masche hast du voll drauf.“

„Das ist keine Masche“, korrigierte Roy ihn.

„Wenn du meinst~.“ Lächelnd faltete Delion die Hände hinter dem Kopf und blickte in den Himmel. „Okay, was wolltest du mir eben sagen? Bevor ich hingefallen bin.“

Ohne Umschweife fuhr Roy direkt da fort, wo er unterbrochen worden war: „Rose und Olivia. Sei bei den beiden vorsichtig. Offenbare dich ihnen gegenüber nicht zu sehr, sonst nutzen sie das eines Tages nur aus. Zu deinem Nachteil.“

„Wow ...“, hauchte Delion, und zog die Augenbrauen zusammen. „Du kannst sie echt nicht ausstehen, was?“

Grummelnd überholte Roy ihn, mit einigen großen Schritten, bis er sich Delion in den Weg stellen konnte, so dass dieser den Blick vom Himmel löste und ihn unsicher ansah.

„Wahrscheinlich nutzen sie dich schon aus, ohne dass du es merkt, weil du so … naiv bist.“ Wütend huschte Roys Blick ein weiteres Mal kurz zum Rose Tower. „Ich will nicht, dass dir was passiert. Glaub mir, ich weiß, dass man nicht blind jedem trauen kann.“

„Was soll mir denn passieren?“ Vollkommen überfordert gestikulierte Delion mit den Händen. „Und woher willst du das so genau wissen?“

„Ich weiß es eben!“, schrie Roy aufgebracht.

Schockiert starrte Delion ihn an. So laut war er noch nie geworden, was auch Roy selbst überraschte. Normalerweise hielt er sich stets zurück. Die Unsicherheit musste ihm anzusehen sein, denn Delions Mimik entspannte sich schnell wieder. Nervös wandte Roy sich ab und zog sich die Kapuze über den Kopf. Innerlich sprach er mehrere Flüche aus.

Warum war er ausgerechnet vor Delion so emotional geworden? Sicher, Roy mochte ihn. Mit ihm abzuhängen war lustig und er verstand viel von Pokémon. Deswegen war es schade, dass sie sich meistens nur zu besonderen Anlässen sahen. Seiner Meinung nach waren das trotz allem nicht genug Gründe, die Fassade bröckeln zu lassen. Vielleicht lag es daran, dass …

Delion ist mein erster, richtiger Freund, seit das mit Sho damals passiert ist.

Auf einmal verlor Roy das Upgrade seines Schutzschildes, obwohl er es gerade eben erst aktiviert hatte, denn Delion zog die Kapuze vorsichtig von seinem Kopf und lächelte ihn beruhigend an. Unruhig wich Roy zurück und überlegte, ob er am besten wegrennen sollte, doch das wäre zu auffällig. Wenn er sich möglichst gelassen gab, könnte Delion seinen Ausbruch vorhin nur als einzigartige Ausnahme werten.

„Ich werde besser auf mich aufpassen“, versprach Delion, mit diesem unverschämt unschuldigen Grinsen. „Danke, dass du dir solche Gedanken um mich machst~.“

„Ach, das ist nur … weil ...“ Verzweifelt rang er nach Worten. „Weil du der einzige ernstzunehmende Gegner bist! Ich mag die Pokémon-Kämpfe mit dir. Das ist alles.“

„Gut, die mag ich nämlich auch~.“

Diese gesamte Situation war schon peinlich genug, diese Gutmütigkeit setzte dem Ganzen nur noch die Krone auf. Hoffentlich hätten sie nie wieder so ein Gespräch. In Zukunft musste Roy dringend besser aufpassen und nachdenken, statt drauflos zu reden – etwas, worin er grottenschlecht war.

Genervt setzte Roy sich wieder in Bewegung, Delion folgte ihm gut gelaunt.

„Also, was machen wir jetzt? Du warst schließlich derjenige, der wollte, dass ich warte“, hakte Roy nach, während er ziellos weiterlief – Hauptsache weit weg vom Rose Tower. „Wolltest du mich nur unbedingt nochmal sehen, bevor wir uns wieder ewig nicht zu Gesicht bekommen? Gib es ruhig zu, dann schenk ich dir zu deinem nächsten Geburtstag ein Foto von mir~.“

Freundschaftlich boxte Delion ihm gegen die Schulter. „Ich hab schon genug Fotos von dir. Lass uns lieber etwas unternehmen! Alleine verlaufe ich mich in Score City immer, also dachte ich, wir könnten zusammen eine Rundtour machen.“

Erstaunt starrte Roy ihn an. „Willst du mir etwa weismachen, du hast die Stadt noch nie richtig erlebt? Du warst doch schon so oft hier.“

„Ich lande aber immer nur in irgendwelchen dunklen Ecken oder in der nächsten Stadt“, erklärte Delion, wobei er weiter unschuldig lächelte.

Natürlich wusste Roy, wie schlecht es um Delions Orientierungssinn bestellt war, doch er ahnte nicht, dass es so grausig sein sollte. In dem Fall gäbe es in der Tat einige spannende Dinge, die er ihm zeigen könnte. Das weckte spontan die Motivation in ihm.

„Also gut, dann spiele ich heute gerne den Stadtführer für dich~“, verkündete Roy.

Begeistert bedankte Delion sich bei ihm. Eigentlich lud er Roy sonst nicht von sich aus dazu ein, etwas zusammen zu unternehmen. Ein Grund mehr, diesen Tag so richtig zu genießen. Also griff Roy nach Delions Hand und rannt mit ihm los, wobei er schon im Vorfeld begeistert darüber sprach, was man in Score City gesehen haben muss und vor allem wo man die besten Schnappschüsse machen konnte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich wollte ich mir Zeit lassen, bevor ich wieder etwas Neues hochlade, aber ... heute ist das 3. Jubiläum von Pokémon Schwert und Schild! ♥
Und da ich den ersten One-Shot hierfür schon herumliegen hatte, konnte ich dann doch nicht widerstehen. :3 Komplett anzeigen

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