Zum Inhalt der Seite

Birds

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Markerschütternde Schreie. Sie hallen durch die gekachelten Wände, werden zurückgeworfen und treffen meine Ohren erneut. Eine Explosion reiht sich an die nächste. Wände stürzen ein, die Lautstärke um mich herum vervielfacht sich stetig. Vollkommen ruhig verharre ich an meinem Platz, folge den Lichtblitzen und umherfliegenden Trümmern nur mit den Augen. Einige Männer an meiner Seite werden von umherfliegenden Ziegelsteinen niedergeschlagen. Scharfes Metall fliegt an mit vorbei, reißt einen Schnitt in meine Wange. Der Luftstrom lässt meine dunklen Locken tanzen, da spüre ich bereits das Blut mein Gesicht hinunter fließen. Wieder schreit er auf, beugt den Rücken fast unmenschlich nach hinten, während rote Lichtkugeln aus purer Energie um ihn herum schwirren. Auf seiner Haut sind rote Male zu erkennen. Seine Finger graben sich tief in das rote Haar, das ihm bis zum Kinn reicht als seine Augen sich weiten und den Blick auf reines Weiß freigeben. Seine Iris, die Pupille, alles ist verschwunden. Er wütet blind und ziellos, zerlegt ausnahmslos alles und jeden, der sich ihm nähert. Die Männer, welche noch an meiner Seite stehen, brüllen sich Kommandos zu. In ihrer Verzweiflung ziehen sie die Waffen und beginnen zu schießen. Schon bevor ihr Ziel reagiert, ist mir klar, dass dies wohl eine der schlechtesten Optionen ist, die sie hätten wählen können. Eine Energiewelle rollt über sie und mich, da drehen sich die Patronen in ihrem Flug um, schießen auf ihre Schützen zurück. Glucksende Geräusche dringen an mein Ohr als mehr und mehr Männer zu Boden gehen. Ich schiebe meine Hände tiefer in die Hosentaschen, beobachte das Schauspiel desinteressiert.

„Idioten!“, höre ich die Stimme vom Boss, der nun durch eine Tür in meinem Rücken den Raum betritt. „Und ich habe euch ausdrücklich gewarnt.“, knurrt er.

Ich sehe weiter nach vorne, schaue zu wie das Blut über seinen Mund und den Kiefer läuft als er hustet. Es läuft ihm aus Mund und Nase, auch sein Haar ist von dunklem Rot durchzogen, von Platzwunden an seiner Stirn, die er sich in seiner rücksichtslosen Wüterei selbst zugefügt hat.

„Er hat vollkommen die Kontrolle verloren.“, haucht der Boss kaum hörbar. „Er wird töten, bis er selbst stirbt.“

Ich schnaufe verächtlich. Was bringt es einem, wenn man eine solch mächtige Fähigkeit besitzt, doch man kann sie nicht kontrollieren, ja stirbt sogar, wenn man sie einsetzt. Vollkommen nutzlos. Wie langweilig.

„Dazai.“ Ich hebe den Blick, als der Boss mich anspricht. „Halt ihn auf.“

„Muss das sein?“, stöhne ich. „Er ist doch unbrauchbar.“

„Das entscheidest nicht du.“ Ich seufze.

„Vielleicht reißt er mich gleich mit in den Tod.“ Obwohl, das klingt gar nicht so übel, wenn ich genauer darüber nachdenke.

„Mach schon.“

Wie es aussieht habe ich keine Wahl. Mit schlurfenden Schritten gehe ich auf ihn zu. „Hey, Monster!“, rufe ich. Er gibt nur ein Krächzen von sich, stolpert von einem Bein aufs andere. Er ist ziemlich schwer verletzt. Ich bin mir nicht sicher ob er es überhaupt überleben wird, selbst wenn ich jetzt einschreite. „Hey!“ Er zuckt, wendet mir den Oberkörper zu. Sein Kopf kippt ungesund knackend hinterher. Ein roter Ball formt sich an seiner linken Hand den er auf mich zu schleudert. Unbeeindruckt hebe ich die Hand und lasse die rote Kugel an meiner Handfläche verpuffen. „Du bist wahrlich ein Monster. Zu dir passt meine Fähigkeit.“ Ich gehe weiter auf ihn zu, vernichte alle seine Angriffe, bis ich schließlich sein Handgelenk zu fassen bekomme. „Du seist als Mensch disqualifiziert.“ Blaue Ringe bilden sich um meine Hand, hüllen ihn in gleißendes Licht, bis seine Fähigkeit unter meiner Berührung spürbar zerbricht. Ein gequälter Luftzug presst sich in seine Lunge als seine nun blauen Augen mich fokussieren. Augenblicklich bricht er in sich zusammen, landet in einer Lache aus seinem eigenen Blut. Ich drehe mich um und entferne mich wieder, während ein paar Leute an mir vorbei rauschen. Auch das Medizinteam ist mittlerweile eingetroffen.

„Gut gemacht, Dazai.“, lobt mich der Boss mit einem knurrenden Seufzen. Naja, das muss er ja selber wissen. Ich höre ein Stöhnen hinter mir, schmerzverzerrtes Wimmern. Dieses Geräusch. Es hat sich tief in mein Gedächtnis gebrannt. Das war der erste Laut, den ich von dir gehört habe, in deiner menschlichen Form. Damals als wir uns das erste mal begegneten. Chuya.

Viele Missionen reihen sich an einander, Jahre vergehen. Wenn du gesandt wirst, muss ich meistens mit. Es ist lästig. Mehr als das, es ist unerträglich. Alles an dir geht mir furchtbar auf die Nerven. Dein gefälliges Auftreten, deine lose Zunge, diese furchtbare Stimme, die einem in den Ohren klingelt. Mehr als Beleidigungen werfe ich dir selten an den Kopf, doch das tust du bei mir auch. Wir haben so gar nichts für einander übrig. Doch der Boss steht irgendwie auf dich, auch wenn ich das nicht nachvollziehen kann. Er ist geblendet von deiner unvergleichlichen Kraft, mit der du selbst Gebäude aus dem Boden reißen kannst. Doch was nutzt es dir? Du kannst deine Macht nicht im Zaum halten, zerstörst dich selbst dabei. Jede Mission könnte deine letzte sein. Was wenn du ausrastest und ich... komme nicht rechtzeitig bei dir an?

„Was geht wieder in deinem Spatzenhirn vor, Dazai?“, dringt deine Stimme in mein Ohr, löst ein Gefühl aus, als würde jemand mit den Fingernägeln über eine Tafel kratzen. Ich schüttel mich während ich weiter neben dir her trotte. „Schmiedest du wieder Selbstmordpläne?“

„Aktuell nicht, auch wenn deine Stimme ertragen zu müssen, mich schon sehr dazu motiviert.“, gebe ich zurück ohne dich anzusehen. Du schnaubst, nuschelst etwas davon, dass ich die Klappe halten soll. Seufzend sehe ich auf. Wir haben das Gebäude erreicht, in welchem wir den Feind vermuten. Der Boss hat uns mal wieder gemeinsam losgeschickt. Die feindliche Organisation Kröte stört die Hafenmafia immer wieder bei Verhandlungen mit unseren Kunden. Sie unterbieten unsere Preise, was schlecht fürs Geschäft ist. Falls es nötig wird sie auszuradieren, hat er Chuya los gesandt. Und ich darf mal wieder seine Leine halten. Dummes unnützes Hündchen.

Wie gewohnt dringen wir zielsicher in das Gebäude ein, einen Stützpunkt der Kröte. Ich spaziere die Gänge entlang während du alle Leute auf unserem Weg platt machst. Im wortwörtlichen Sinne. Krachend schlagen ihre Körper in den Boden, als deine Fähigkeit ihr Gewicht vervielfacht. Ich trete die Tür des Büros ein, in welchem der Anführer der Kröte zu Zeit vermutet wird. Doch der Raum ist leer. Ich runzle die Stirn. Wie merkwürdig.

„Autsch.“, zischst du neben mir und ich drehe dir im Reflex den Kopf zu, sehe wie du deinen Nacken hältst. „Irgendein Vieh hat mich gestochen.“ Meine Augen werden groß als du die Hand wegnimmst und ich den roten Fleck an deinem Hals sehe. Ohne nachzudenken lasse ich mich zu Boden fallen. Irritiert siehst du zu mir runter, da trifft dich wohl etwas, denn du zuckst wieder zusammen. „Was zum...“ Mit finsterer Miene betrachtest du deinen Handrücken auf dem ein weiterer Fleck erscheint.

Ich drehe mich ruckartig um, entdecke das Gerät unter der Decke. „Mach das kaputt!“, rufe ich und sehe wie deine Fähigkeit das schwarze Gehäuse zerdrückt, bevor es zu Boden fällt. Ich sehe mich um, bevor ich aufstehe. Hier ist kein Mensch mehr, zumindest nehme ich keine Präsenz wahr. Etwas misstrauisch gehe ich zu dem zerbeulten Kasten, trete ihn mit dem Schuh, bis er sich umdreht. „Eine kleine Schussvorrichtung.“, beschreibe ich, was ich sehe. Was...? Ich kann meinen Gedanken nicht beenden, da höre ich ein Keuchen hinter mir. Gerade als ich mich umdrehe, spuckst du einen Schwall Blut vor deine Füße, gehst in die Knie. „Chuya.“, kommt es über meine Lippen und ich hocke mich zu dir runter. Dein ganzer Körper zittert, du ringst hörbar nach Atmen. Um die roten Punkte treten die Adern dunkel hervor. Mit schnellen Handbewegungen ziehe ich mein Handy hervor, wähle und drücke es ungeduldig an mein Ohr, bis jemand abhebt. „Wir brauchen Unterstützung! Chuya wurde vergiftet!“, rufe ich. Du beugst dich nach vorne, presst die Hand an deine Brust. Blut läuft dein Gesicht herab und beginnt auf den Boden zu tropfen. Ich neige mich runter, um deine Augen zu sehen. „Hilfe ist unterwegs.“, sage ich halblaut, merke wie sich deine Augen mit Tränen füllen. Erstaunt lege ich die Hand an deine Schulter, während du weiter verzweifelt nach Luft schnappst. „Versuch dich so wenig wie möglich zu bewegen.“ Ich setzte mich auf den Boden. Erste Tropfen rinnen über deine Wangen und ich erschrecke als sie weitere rote Schlieren auf dein Gesicht malen. Du weinst Blut. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Was ist das? Wahrscheinlich bin ich wütend auf mich selbst, dass ich nicht eher bemerkt habe, dass wir in eine Falle getappt sind. Außerdem hat die zweite Nadel dich auch getroffen, obwohl sie für mich bestimmt war. Dadurch dürfte die Auswirkung des Giftes erheblich heftiger ausfallen. Man sieht es ja schon. Ich schlucke. Das... Ich habe im Affekt gehandelt, mich als erstes geschützt und dich dabei in die Zielgerade gestellt. Ich hätte dich warnen müssen, hatte doch schon begriffen, was geschehen war. Doch das habe ich nicht. Hasse ich dich so sehr, dass ich deinen Tod auch als mein ungewollter, aber immerhin Partner, akzeptieren würde? Bin ich jetzt so drauf? Du hustest kurzatmig, dann kippst du nach vorne, dein Gesicht landet genau in meinem Schoß. Das mulmige Gefühl in mir wird stärker. Gebe ich mir gerade die Schuld hierfür?„Versuch wach zu bleiben und ganz ruhig zu atmen.“, flüstere ich, tätschele dein Haar. Es ist viel weicher als ich vermutet hätte. Gequälte Laute dringen zu mir hoch. Chuya. Du bist bei weitem nicht so stark, wie du immer tust, am Ende eben auch nur ein Mensch, Fähigkeit hin oder her. Du bist sterblich. Genau wie ich.

Endlich dringt ein Poltern in mein Ohr. Ich erkenne die Schritte der Hafenmafia schon als sie den Gang zu uns entlang rennen. Deinen Kopf lege ich auf den Boden und stehe auf, schiebe die Hände in die Hosentaschen als sie die Tür öffnen. Das Medizinteam rauscht hinein, stürzt sich förmlich auf dich. Kein Wunder, dass sie es eilig haben. Wenn du hier stirbst, dann wird der Boss uns alle dafür zur Rechenschaft ziehen.

Etwa eine Woche später. Ich schlendere ziellos durch die Gänge. Der Boss hat mich wegen des Gift-Zwischenfalls nicht weiter zum Schuldigen gemacht. Dennoch war er offenkundig enttäuscht, dass ich dich nicht warnen konnte. Natürlich ist er angefressen, dass du nun schon seit einer Woche bewusstlos im Bett liegst, demnach keine Mission unterstützen kannst. Immerhin konnte dein Leben gerettet werden, was wohl der Grund ist, dass der Boss nicht ausgerastet ist.

Als ich aufsehe, finde ich mich in einem Gang wieder, an dessen Ende zwei bewaffnete Männer den Raum hinter der Türe zwischen ihnen bewachen. Ohne nachzudenken laufe ich weiter auf sie zu. Die kahlen, weißen Wände ziehen an mir vorbei. Ich bin im medizinischen Bereich des Gebäudes der Hafenmafia gelandet ohne es zu bemerken. Mein Kopf fühlt sich so leer an, wie lange nicht mehr. Ich folge nur meinen Instinkten. Als ich bei den Männern ankomme, sehen sie zu mir runter.

„Lasst mich durch“, seufze ich und sie öffnen mir die Türe bereitwillig. Ich hatte nichts anderes erwartet, gehöre ich schließlich zur Führungsebene der Hafenmafia und sie sind nur kleine Spielfiguren des Bosses. Mit halb geöffneten Augen betrete ich den Raum, höre, wie die Tür hinter mir wieder ins Schloss gedrückt wird.

Der Raum ist ebenso weiß wie die Flure, auch das Bett, Laken und deine Kleidung. An deinen Armen und Brust recken Kabel aus deinem Hemd, führen zu Maschinen die unangenehm hohe Signaltöne von sich geben. Sie überwachen deine Körperfunktionen, das ist mir klar. Über Mund und Nase hat man mit ein paar hellen Klebestreifen eine durchsichtige Sauerstoffmaske auf dein Gesicht geklebt. Überall ist dein Körper mit dicken Pflastern bedeckt, deine Augen sind mit Bandagen verbunden. Das Gift hat nicht nur deine Lunge angegriffen, sondern auch für offene Wunden an deinem gesamten Körper gesorgt. Dein Augenlicht ist ebenfalls angegriffen. Sie haben dir teure Medikamente verabreicht, erhoffen deine vollständige Genesung. Doch dies bleibt abzuwarten, bis du erwachst und ihre Hoffnungen erfüllen oder zerschlagen wirst. Ich seufze tief.

Warum bin ich her gekommen? Es interessiert mich doch im Grunde genommen nicht, wie es dir geht. Wenn du stirbst, wäre ich ein lästiges Pflichtfeld meiner Aufgaben los. Helfen kann ich dir auch nicht, selbst wenn ich es wollte.

Ich streiche mir das Haar hinter das linke Ohr während ich langsam durchatme.

Irgendwie sind meine Gedanken im Moment wieder zerstreut. Dies kommt häufiger vor, seit ich erkannt habe, dass es den Sinn des Lebens nicht gibt. Es ist ein einziges Geacker, nur Mühe und Aufwand für keinerlei Entlohnung. Am Ende sterben wir. Alle. Wenn wir Glück haben schnell und würdevoll.

Ich wende mich von dir ab, will gerade die Hand an die Türklinke legen, da ertönen die Geräusche deiner Maschinen. Ohne mich umzudrehen, erkenne ich an den Signalen, dass dein Puls und auch die Atmung sich beschleunigt haben. Ruckartig wende ich mich dir wieder zu. Deine Hände gleiten über die Bettdecke, betasten sie unruhig. Du drehst den Kopf, wirfst die Schultern zurück. Wachst du gerade auf?

Mit skeptischem Blick sehe ich zu, wie du dir eine Seite der Maske vom Gesicht reißt und schwer atmest. In völliger Dunkelheit an einem unbekannten Ort aufzuwachen, erschreckt dich offensichtlich. Ich wende den Kopf ab.

Nun. Dies ist nicht mein Problem.

Du stöhnst, dann formen deine Lippen Laute. „Mh... Da... Dazai.“ Mit großen Augen sehe ich wieder zu dir rüber. „Dazai!“, schreist du mit gebrochener Stimme.

Was soll das? Warum rufst du meinen Namen?

Ich gehe zu dir rüber. „Dazai....“, wimmerst du halblaut mit zitternder Lippe.

Du bist sicher irritiert, kannst deine Umgebung nicht richtig wahrnehmen und ich bin das letzte was du gesehen hast, bevor das Gift deine Lichter ausgeknipst hat. Aufgebracht fahren deine Hände umher, als würdest du etwas suchen, verzweifelt einen Anhaltspunkt erhoffen, während dein Puls weiter steigt. Du bekommst noch einen Herzinfarkt.

„Chuya“, tritt es aus meinem Mund ich umfasse deine Hand. Du schreckst zusammen. „Ich bin es, Dazai. Ich bin hier.“

Ich nehme wahr, wie sich unsere Haut berührt, deine kühlen Finger in meinen liegen. Es überrascht mich, wie fest ich meine Fingerspitzen in deine Hand drücke. Warum...?

Du stöhnst, drückst die Brust hoch um keuchend durchzuatmen.

„Was ist...? Wo...?“ Deine Stimme ist wackelig, von Schmerz und Verwirrung gezeichnet.

Ich bewege meinen Daumen ein paar Millimeter über deinen Handrücken.

„Du wurdest vergiftet. Erinnerst du dich?“ Du brummst verunsichert, atmest hastig durch den Mund. „Du bist zusammengebrochen. Jetzt befindest du dich im medizinischen Bereich bei der Hafenmafia. Du wirst hier gut versorgt, doch dein Körper hat viele Wunden einstecken müssen.“

Du schluckst sichtbar, dann läuft mir ein Schauer über den Rücken, denn du schließt deine Finger um meine. Leicht verwirrt sehe ich zu unseren Händen hinunter.

„Das Gift hat deine Organe verletzt. Auch dein Augenlicht...“ Du ziehst erschrocken Luft durch die Nase ein. „Die Bandage ist eine Vorsichtsmaßnahme“, behaupte ich. „Sie gehen davon aus, dass du wieder sehen können wirst.“

Unruhig bebt der Atem in deiner Lunge. Das war wohl etwas viel Information auf einmal. Deine Finger bewegen sie leicht, drücken meine Hand. Dann lockert sich dein Griff.

Ich sehe in dein Gesicht, wie du dich langsam entspannst und dann ganz ruhig wirst. Bist du eingeschlafen?

Tiefe Atemzüge bestätigen meinen Verdacht. Ich atme mit geschlossenen Augen durch, dann entziehe ich meine Hand deinen Fingern.

Ich sollte wieder gehen, das hatte ich eh vor. Ich bin schon viel länger hier, als es gut für mich ist. Und ich muss mir die Hände waschen. Ich will mich umdrehen, da fällt mein Blick auf die schief hängende Maske an deinem Gesicht. Ein kurzes Zögern, dann strecke ich meine Hände zu dir aus. Ich fasse die Maske, positioniere sie wieder richtig und beginne die gekräuselten Klebestreifen auseinander zu ziehen, bis sie wieder soweit in Form sind, dass ich sie auf deine Wange kleben kann. Hält. Ich drehe mich um. Ohne einen Blick zurück, verlasse ich den Raum. Meine Hände fahren tief in die Hosentaschen während ich mich auf den Weg zum nächsten Waschbecken mache.

Ein paar Wochen vergehen. Wie viele genau halte ich nicht nach, es interessiert mich aber auch nicht wirklich. Gerade bin ich von einer Mission zurückgekehrt, laufe zur medizinischen Betreuung. Meine Hand hat einen Streifschuss abbekommen, der versorgt werden sollte.

Ich setzte mich auf den weißen Stuhl hinter dem zweiten Vorhang des Raumes, während die Schwester das Verbandszeug vorbereitet. Sie spricht kein Wort, versorgt mich nur gewissenhaft. Auch ich sage nichts, es gibt keinen Grund sich über irgendetwas auszutauschen. Auf dem Tisch neben mir entdecke ich eine aufgeschlagene Zeitung. Der Hauptartikel behandelt den weißen Tiger, der seit einiger Zeit in Yokohama sein Unwesen treibt. Ich bin gespannt, wie lange die Polizei sich noch vergebens mit dem Tier rum ärgern wird, ehe sie uns, der Hafenmafia den Fall übergeben. Wie zu erwarten, stellen sie sich hier mehr als minderbemittelt an.

Murmeln von außerhalb des Raumes, dringt an mein Ohr. Da kommt jemand. Ich höre, wie die Tür sich öffnet, kann aber durch den Vorhang nichts erkennen.

„Es ist ein wenig aufregend nicht wahr, Chuya?“ Ich horche auf. Das ist Kouyous Stimme. Sie kümmert sich seit einiger Zeit um dein Training und betreut dich natürlich auch während deine Verletzung ausheilt. Die Schwester wendet sich von mir ab, ist offenbar fertig. Ich rutsche mit dem Stuhl geräuschlos nach hinten, bis ich durch einen Spalt zwischen den Vorhängen sehen kann. Du trägst deine üblichen geschmacklosen Klamotten. Ich hebe eine Augenbraue. Bis auf deine noch verbundenen Augen siehst du überraschend genesen aus. Nur kleinere Pflaster zieren deine Haut an Armen und Hals. Ich hätte erwartet, dass du noch im Krankenbett liegst, habe ich schließlich nichts mehr von dir gehört. Auch der Boss hat dich nicht erwähnt. Mit zusammengepressten Lippen setzt du dich auf einen Stuhl, legst die Hände in den Schoß. Du wirkst nicht unbeholfen, obwohl du nichts sehen kann. Mit schmalen Augen mustere ich dich. Ah, das rote Leuchten. Es ist sehr schwach, doch klar für mich zu erkennen. Du verwendest deine Fähigkeit um dich zu orientieren? So etwas kluges hätte ich dir nicht zugetraut. Nun, wahrscheinlich war es nicht deine Idee, eher Kouyous. Das klingt plausibel. „Bist du bereit?“, fragt sie und setzt sich vor dich hin. Deine Hände ballen sich zu Fäusten. „Ich mache den Verband von deinen Augen ab.“ Dachte ich mir schon, dass es darauf hinaus läuft. Du wirkst angespannt, lässt es aber über dich ergehen, dass sie die Bandagen von deinem Kopf entfernt. Mit geschlossenen Augen und gesenktem Kopf verharrst du ganz ruhig auf dem Stuhl. Wobei ruhig unpassend ist, eher wie eingefroren. „Na?“, fragst sie mit heller Stimme, doch wohl auch ein wenig Aufforderung. Du rollst die Lippen ein, deine Fäuste werden fester. Kouyou neigt sich zu dir. „Tut es weh?“ Du schüttelst den Kopf. „Willst du denn nicht auch wissen ob es geklappt hat?“ Ich schlucke. Dann hast du seit wir zurück gekommen sind nicht mehr die Augen geöffnet? Keiner weiß ob du noch sehen kannst? Ich lehne mich ein wenig vor, um dich besser beobachten zu können. Deine Schultern zucken leicht. Du hast...

„Ich habe Angst.“, tritt es mit wackliger Stimme aus seinem Mund und ich nicke.

„Wovor?“, fragt Kouyou fast schon sachlich als wäre sie dein Arzt. „Was... Was wenn ich wirklich nichts mehr sehe? Dann... Dann bin ich doch vollkommen nutzlos für die Hafenmafia...“ Du beißt die Zähne zusammen, während sich ein warmes Gefühl in meiner Brust ausbreitet. Genieße ich es dich leiden zu sehen? Ich schüttle mich, merke dass das Gefühl vergeht, dann sehe ich wieder zu dir. Ich bin tatsächlich neugierig. Hm. „Der Boss wird wütend und dann... muss ich gehen...“ Du beugst den Rücken leicht nach vorne, was dich noch kleiner erscheinen lässt als du es eh schon bist. Kouyou legt ihre Hand auf deine Schulter.

„Selbst wenn es nicht geklappt haben sollte, ist das kein Weltuntergang.“ Du atmest auf. „Du hast in den letzten Wochen trainiert mit deiner Fähigkeit den Alltag in völliger Dunkelheit zu meistern. Wenn wir noch etwas weiter daran arbeiten, wirst du auch ganz ohne Licht kämpfen können.“ Sie lacht leicht auf. „Mein kleiner Chuya. Du bist eine Bereicherung für den Boss, mit oder ohne Augenlicht.“ Ich verziehe den Mund. Ist ja ekelhaft. Du hingegen scheinst durch ihre Worte motiviert zu sein, denn du richtest dich wieder auf. Ganz langsam heben sich deine Lider. Zwischendurch blinzelst du ein paar mal, wohl von der plötzlichen Helligkeit geblendet. Dann sind deine Augen soweit geöffnet, dass sie deine komplette, leuchtend blaue Isis freigeben. Ich neige mich leicht vor, da siehst du zu Kouyou auf. Sie lächelt dich an. „Sehr schön.“

Ein breites Grinsen schießt auf dein Gesicht. Du springst auf, betrachtest deine Hände mit freudig geöffnetem Mund. Ich erwische mich bei einem flüchtigen Lächeln. Dummer kleiner Hund. Jetzt wedelst du wieder mit dem Schwanz, was, Chuya?

„Ich muss los.“ Kouyou sieht überrascht zu dir auf, auch wenn du stehend kaum größer bist als sie im Sitzen. „Wo willst du hin?“ „Zu Dazai.“ Sofort schlägt mein Herz etwas schneller. Was? Wieso willst du zu mir? Das überrascht mich dann doch. „Ich will ihm zeigen, dass ich wieder gesund bin.“ Mit großen Augen blinzele ich dich durch den Vorgang an. Kouyou hebt beschwichtigend die Hände, ist wohl sprachlos angesichts deiner plötzlichen Euphorie. Dass du nicht ganz normal bist, sollte sie eigentlich schon begriffen haben. Und ich auch. „Ich muss los!“, rufst du und stürmst aus dem Raum. Kouyou sieht dir perlex hinterher und ich muss ein Lachen verkneifen.

Ich sehe zum Fenster hinaus bis Kouyou gegangen ist. Einen Moment später begebe ich mich auch aus dem Raum. Ich gehe in den Hinterhof des Gebäudes, setze mich auf eine Mauer hinter einer Bank und nehme mein Buch aus der Manteltasche. Ich bin gespannt, wie lange du brauchst um mich zu finden. Wahrscheinlich lange genug, dass ich mein Buch ausgelesen bekomme. Ich schlage die dritte Seite auf meinem Schoß auf und beginne zu lesen.

Etwa auf der Mitte von Seite 35 höre ich ein Schnaufen. „Dazai.“ Schuhe knirschen auf dem Kies vor mir. Da bist du ja. Ich hebe gelangweilt den Blick. Du stehst vor der Bank und siehst mit deinem dämlichen Grinsen zu mir auf.

„Wie ich feststellen muss, wurden meine Gebete wohl nicht erhört. Du weilst ja immer noch unter den Lebenden.“ Dein Gesicht verfinstert sich und du schnaubst verächtlich.

„Ja, sieh nur her. Ich bin wieder topfit. Ich könnte dir jederzeit den Kopf vom Hals reißen.“ Deine blauen Augen funkeln zwischen deinen roten Locken zu mir hoch.

„Ah, da ist das fiese Geräusch wieder.“ Ich stecke den Finger in mein linkes Ohr und wackle mit ihm hin und her. „Es war eine wahre Wohltat meine Ohren von dem Krächzen, dass du deine Stimme nennst, zu erholen.“ Du knurrst. „Jetzt klingelt es wieder. Wie lästig.“ Ich drehe den Finger vor und zurück.

„Ts. Du hast nur Schiss, weil deine größte Konkurrenz wieder auf der Bildfläche erscheint.“ Wieder bleckst du deine Zähne und ich sehe runter zu meinem Buch.

„Ja ja.“, winke ich ab. „Sonst noch was oder lässt du mich weiter lesen?“ Ich blättere die Seite um.

Du verschränkst die Arme vor der Brust. „Ich bin auch nicht scharf drauf Zeit mit dir zu verbringen.“ Mit ausladenden Schritten stapfst du davon. Belustigt sehe ich dir nach. Ja, ich habe auch keinen Bock auf dich, doch ich befürchte, dass wir nicht lange warten müssen, ehe der Boss uns wieder zusammen bringen wird. Im Sinne der Hafenmafia. Bla bla.

Meine Befürchtungen treffen leider viel schneller ein, als es mir lieb ist. Schon zwei Tage nach deiner „Genesung“ schickt der Boss uns gemeinsam auf Mission.

„Ich verstehe wirklich nicht, warum du hier bist.“, sagst du mit erhobenem Kinn, während du die Arme hinter dem Kopf verschränkst. „Es ist doch nur das Eintreiben von Schulden.“

Ich laufe neben dir her, die Hände in den Hosentaschen. „Wahrscheinlich sorgt sich der Boss um sein kleines Hündchen, weil seine Pfote noch verstaucht ist.“ Ich höre dich knurren. „Er traut dir nicht mal einen so winzigen, völlig ungefährlichen Auftrag alleine zu.“ Ich lache.

„Halt die Klappe, Dazai!“, fauchst du. „Ich wäre wegen dir fast verreckt.“ Etwas in mir zuckt zusammen, doch ich lasse mir nichts anmerken. „Sieh zu, dass es nicht doch noch passiert.“

Ich ziehe eine Augenbraue hoch und grinse dich an. „Ach, dann gibst du also zu, dass du mich brauchst, um deine Leine zu halten.“ Deine Augen funkeln zornig. „Kleiner Wuff.“ Du holst aus, doch ich ducke mich mit einer gleitenden Bewegung unter deinem Tritt hindurch und du schlägst eine unfreiwillige Pirouette. „Ich habe gehört, dass diese Leute, deren Schulden wir eintreiben sollen, wohl auch Schulden bei der Kröte haben.“, sage ich sachlich, sehe wieder nach vorne.

„Ja, der Boss sagte sowas.“, stimmst du mir zu.

„Vielleicht haben wir Glück und die Kröte hat sie schon pulverisiert. Dann hätten wir eine Menge Zeit und Mühen gespart.“, merke ich lächelnd an.

„Dann wären wir allerdings auch den ganzen Weg umsonst gekommen.“, grummelst du.

Hitzkopf. Du gehst nicht gerne Konfrontationen aus dem Weg. Wir sind wirklich wie Tag und Nacht.

Wir erreichen ein Fabrikgelände etwas außerhalb der Stadt. Hinter einem Nachbargebäude bleiben wir stehen und checken die Lage. Schon am Eingang sind bewaffnete Wachen postiert. Auf den ersten Blick erkenne ich reges Treiben durch die vergitterten Fenster. Hier sind auf jeden Fall einige Menschen, die auch irgendetwas durch die Halle befördern. „Wirkt als wäre das ihr Stützpunkt.“, sage ich nachdenklich.

„Worauf warten wir?“, fragst du ungeduldig, schiebst die Hände in die Jackentaschen. Ich seufze. Wie immer gehst du mir tierisch auf die Nerven. Ich weiß ja auch nicht warum ich unbedingt mit dir hier her gehen sollte. Du kannst deine Fähigkeit benutzen, alle platt machen, dem Anführer bedrohen, das Geld nehmen und wieder gehen. Ich werde wie ein Sidekick neben dir her trotten und rein gar nichts tun. Eigentlich könnte ich genauso gut hier warten und mein Buch lesen. Das wäre sogar von mehr Effizienz gekürt. „Dazai?“, holt mich deine ätzende Stimme aus den Gedanken.

„Schon gut.“ Ich winke ab. „Mach einfach, ich komme hinterher.“, seufze ich gelangweilt.

Du grinst mich an, dann schießt du los. Noch bevor ich um die Ecke gebogen bin, hast du bereits alle Menschen vor dem Gebäude nieder gestreckt. Mit geschlossenen Augen laufe ich durch die Furchen, die du in den Boden geschlagen hast. Es ist noch langweiliger als ich es mir ausgemalt hatte. Alles läuft genau wie vorhergesehen. Ohne irgendwelche Zwischenfälle kommen wir beim Anführer an. Es ist ein blonder Kerl Mitte 30, der in einem grauen Sakko hinter seinem Schreibtisch sitzt. Der Sessel wirkt protziger als man es bei der finanziellen Situation seiner Vereinigung erwarten würde.

„Wir kommen das Geld holen, was ihr der Hafenmafia schuldig seid.“, sage ich monoton.

Du lässt neben mir deine Finger knacken. „Lass es besser schnell rüber wachsen, sonst machen wir nicht nur deine Leute, sonder auch direkt dieses Gebäude dem Erdboden gleich.“, zischst du grinsend.

Der Typ steht auf und kommt um den Schreibtisch geschritten. Das Lächeln in seinem Gesicht erinnert mich an die vielen schmierigen Geschäftsleute, die zu unserem täglich Brot gehören. Einer von vielen. Gewöhnlich, langweilig. Ich bin es so satt.

„Meine Herren. Ich freue mich sehr, dass Sie sich her bemüht haben.“ Er sieht mir mit stechendem Blick in die Augen. „Geld haben wir leider nicht zu bieten. Dafür etwas anderes.“

Das Gebäude beginnt zu zittern. Irritiert sehe ich mich um, während der Blonde zu lachen beginnt. Ein bedrohliches Gefühl steigt in mir auf.

„Chuya, benutze es.“, sage ich schnell. Du siehst mich entgeistert an. „Irgendwas stimmt hier nicht...“ Deine blauen Augen fokussieren meine angespannt. Bevor du etwas sagen kannst, verschwindet jeder Schall und es wird gleißend hell. Eine Explosion, dann wird alles schwarz.

Als ich die Augen wieder aufschlage, spüre ich Schmerz im linken Arm und am Kopf. Ich sitze zusammengesackt am Boden, nur der linke Arm ist nach oben gestreckt. Was zur Hölle ist gerade passiert? Ich will mich bewegen, doch mein Arm wird zurück gehalten. Da erkenne ich die Stahlplatte, welche quer über mein linkes Handgelenk an der Wand neben mir fest geschweißt ist. Im Reflex versuche ich meinen Arm zu befreien, doch die Lücke zwischen Stahl und meiner Hand lässt nicht genug Platz um hindurch zu kommen. Am Daumen angelangt, bleibe ich stecken. „Versuchs nicht.“ Das ist die Stimme vom Blonden. Ich sehe auf. Er steht direkt neben mir. Grob packt er mich am Kragen und zieht mich zu sich hoch, bis ich auf meinen Füßen stehe. Mein Schädel dröhnt, der Kreislauf ist noch nicht wieder stabil.

„Was soll das?“, sage ich mit einem zusammen gekniffenen Auge.

Er lacht auf. „Alles läuft nach Plan.“

Ich erschrecke. Dann wende ich den Kopf. Von dem Gebäude steht kaum noch eine einzige Mauer. Du wütest durch die Trümmer, umzingelt von grausam zugerichteten Leichen. Ein paar Männer stehen noch, befeuern dich. Doch du lachst nur quietschend. Rote Male wandern über deine Arme und deine Wangen. Dies ist die wahre Gestalt deiner Fähigkeit. Das rücksichtslose Monster, welches dein Selbst übernommen hat, ist nicht zu übersehen. So habe ich dich kennengelernt. Ich schlucke. Du hast auf mich gehört, diese tödliche Fähigkeit angewandt, mal wieder. Finger graben sich in das Haar an meinem Hinterkopf und zerren es schmerzhaft nach hinten. Ich keuche auf.

„Sieh nur hin. Sieh gut hin.“, kichert der Mann neben mir.

„Das Lachen wird dir gleich vergehen. In diesem Zustand kennt Chuya keine Grenzen mehr. Er wird dich mit samt deiner gesamten Sippe in Staub zerbröseln.“, fauche ich wütend.

„Warum denkst du, bist du noch am Leben?“ Seine dunkeln Augen sind auf mich gerichtet. Ich blinzel, beiße die Zähne zusammen. „Weil ich will, dass du es mit ansiehst.“ Meine Augen weiten sich erstaunt. Dann dreht er meinen Kopf, dass ich wieder zu den Explosionen vor mir sehen muss. „Sie zu, wie wir unsere Mission erfüllen.“ Was? Du schreist, beschießt ein paar Männer mit roten Lichtkugeln, quetschst andere mit samt ihren Waffen in den Erdboden. „Denkst du wirklich es geht darum Schulden zu begleichen?“ Mein Herz setzt einen Schlag aus. „Viele Grüße von der Kröte... Osamu Dazai.“ Ich schnappe nach Luft, da trifft eine der Lichtkugeln den blonden Kerl und reißt ihn mit sich. Ich sehe ihm nicht nach. Mein Blick haftet auf dir. Blut rinnt dir aus Nase und Mund während du abartig lachst. Du bist vollkommen verrückt geworden. Ich zerre an meinem Arm, während ich dich anstarre. Die Stimme des Blonden hallt in meinem Kopf. Ihre wahre Mission? Ihr Ziel ist es nie gewesen, die Hafenmafia um ihr Geld zu betrügen. Viel zu spät erkenne ich, worauf sie es wirklich abgesehen haben, während ich feststelle, dass ich hier festgekettet bin, ohne Aussicht dich erreichen zu können. Ihr Ziel war nicht die Hafenmafia generell. Es warst einzig und allein du. Der Tod von Chuya Nakahara.

Verdammt, ich kann sie nicht gewinnen lassen! Verzweifelt zerre ich an meinem Arm, dass mein Handgelenk beginnt aufzuscheuern. Es hat keinen Zweck. Ruckartig drehe ich den Kopf zu dir. „Chuya!!“, brülle ich aus voller Brust. Du hörst mich nicht, lachst nur glucksend während dich deine Beine kaum noch aufrecht halten. Dennoch bombardierst du deine Umgebung. Ich schüttel den Kopf. Wie lange wütest du schon hier rum? Du siehst ein Vielfaches schlimmer aus als bei unserer ersten Begegnung. Ich beiße die Zähne fest zusammen und sehe meine Hand wütend an. Hastig durchsuche ich meine Taschen, doch die Waffe wurde mir weg genommen. Das Handy, welches ich aus der Hosentasche ziehe ist in zwei Teile gebrochen. Nein. Ich balle die rechte Hand zur Faust und betrachte meine linke Hand zornig. Wenn meine Hand nicht wäre, dann wäre ich frei. Ein unangenehmes Zucken fahrt durch meine Brust, bei dieser Erkenntnis. Meine Augen werden schmal und ich hole mit der rechten Faust aus. Mit einem tiefen Schrei, ramme ich meine Faust gegen das Gelenk am Daumen der linken Hand. Ich kann fühlen, wie die Knochen brechen. Beißender Schmerz strömt in meinen Arm. Ich ignoriere das kühle Brennen, zwänge die Hand stöhnend durch die schmale Öffnung, während das Blut, durch die aufgerissene Haut, meinen Arm hinunterläuft. Ich bin frei. Sofort fahre ich herum, renne zu dir. Von mir abgewandt wackelst du von einem Bein aufs andere, hast aufgehört zu lachen, gibst nur noch erstickte Laute von dir. Ich werfe mich nach vorne, schlinge meine Arme um deinen Körper, presse die Finger der rechten Hand an deinen Hals und deine Wange. „Du seist als Mensch disqualifiziert...“, hauche ich und meine Fähigkeit hüllt uns in blaues Licht, welches deine Fähigkeit zerschlägt. Ich spüre augenblicklich wie deine Muskeln entspannen. Vollkommen haltlos sackst du in meinen Armen in dich zusammen. Mein Hals schmerzt, es sticht in meiner Brust. Ich lasse dich an mir herunter gleiten, bis du in meinem Arm liegst. Der Blick auf dein Gesicht, nimmt mir die Luft zum atmen. Überall ist Blut, an deiner Nase, dem Mund, Kinn, Hals, Brust. Es läuft über deine Arme und nun auch über meine. Es tropft auf den Boden in die Lache unter dir. Du hast bestimmt bereits zwei oder drei Liter verloren und es wird stetig mehr. „Chuya...“, kommt es gepresst über meine Lippen, während sich mein Blick trübt. Deine Wange lehnt an meine Brust, deine Augen sind geschlossen. „Chuya... Mach die Augen auf...“, bitte ich dich, spüre Tränen über meine Wangen laufen. Du zuckst, dann heben sich tatsächlich deine Lider ein kleines Stück. Deine glasigen Augen suchen meinen Blick, als du mir in Zeitlupe den Kopf zuwendest. Mit jedem flachen Atemzug fließt ein Schwall Blut über deine Lippen. Dann fokussierst du mich plötzlich mit so gezieltem Blick, dass ich erschrecke. Ein Lächeln zieht sich über deine Lippen und ich beginne zu schluchzen. Dich so zu sehen...

„Ah, Dazai...“ Deine Stimme ist leise, fast weich. „Dein Gesicht... so herrlich von Tränen entstellt... Was für ein wunderschöner Anblick...“

Ich drücke die Finger in deine Schultern. „Ich bin zu spät...“, spreche ich meine dunkelste Angst aus. Ich bin zu spät... Nichts kann dich mehr retten und Hilfe kann ich auch nicht rufen.

Du blinzelst langsam, hältst dein Lächeln aufrecht. „Ja... Ich sterbe. Ich kann es fühlen...“

Warum wirkst du so unbeeindruckt? War es dir klar, dass es irgendwann so enden würde? Oder bist du einfach schon viel zu müde, um irgendetwas zu entgegnen? Ich schnappe nach Luft, lasse zu dass weitere Wassertropfen über mein Gesicht rollen. „Es tut mir leid...“ Ich schniefe. „Es tut mir so schrecklich leid...“ Ich kann rein gar nichts für dich tun. Diese lähmende Hilflosigkeit frisst sich in mein Herz und löst einen mir bis dahin völlig unbekannten Schmerz aus.

Du ziehst mitleidig die Augenbrauen zusammen. „Ich weiß... Schon gut.“ Was soll das heißen? Verzeihst du mir etwa, dass ich dich sterben lasse?! Ich blinzel irritiert, doch du lächelst einfach weiter. Dann stöhnst du auf, bewegst den Arm. Was machst du denn? „Dazai...“ Du hebst deine Hand mit großer Anstrengung an, legst sie an meine Wange. Ich spüre deine heißen, feuchten Finger auf der Haut. Ein warmer Schauer durchfährt mich. Was tust du denn da? „Hör zu.“ Ich nicke. „Ich...“, setzt du an, da füllen sich deine Augen mit Tränen. Chuya... „Ich... ich bin immer...“, wimmerst du, die Tränen laufen dein Gesicht hinunter. Du willst genauso wenig hier sterben, wie ich es von dir will. „Ich bin wirklich immer gerne... mit dir zusammen... auf Missionen ge...“ Mein Herz schlägt wild in der Brust. Was sagst du da? Bevor du weiter sprechen kannst, verschwindet der Ausdruck in deinen Augen. Erschrocken sehe ich zu, wie deine Hand meine Wange verlässt und über deinen Bauch auf den Boden rutscht. Du schließt die Augen in der selben Bewegung, mit der deine Wange gegen meine Brust kippt. Ich spüre, wie du deutlich schwerer in meinen Armen wirst und ein letzter Blutschwall aus deinem Mund auf mein Hemd fließt. Nein. Nein, das darf nicht sein. „Chuya...?“ Ich schüttel deine Schulter. Schlaff schwankt dein Körper mit meiner Bewegung mit. „Chuya?“ Stechender Schmerz breitet sich in meiner Brust aus. Vergeblich versuche ich zu atmen, doch meine Brust ist wie zugeschnürt. „Mach die Augen auf...“, flehe ich obwohl ich weiß, dass meine Bitte nicht erhört werden wird. „Chuya...“ Mein ganzer Körper zittert, auch als ich endlich Luft in meine Luge zwingen kann. Als wäre ein Staudamm in mir gebrochen, fließt all der Schmerz durch meine Adern, den ich schon seit Jahren nicht mehr gespürt habe. Ich schreie, so laut und verzweifelt, wie ich es noch nie zuvor getan habe. Krampfhaft presse ich deinen leblosen Körper an mich. Ein weiterer Schrei entfährt meiner Kehle, so heftig das mein Hals brennt. Du bist tot. All mein Schreien und Flehen wird dich nicht zurück bringen. Ich habe verloren. Ich habe dich verloren. Erstickte Laute dringen aus meinem Mund, während ich meine Tränenflut an deiner Schulter verreibe. Es tut so weh, mein Herz droht zu zerspringen. All die Jahre habe ich dich gehasst. Du konntest nicht weit genug von mir entfernt sein. Alleine deine Stimme zu ertragen, hat mich größte Mühen gekostet. Also warum? Warum zum Teufel fühlt es sich an, als würde mir jemand die Eingeweide herausreißen? Ich fahre mit der Hand in deine wirren Locken schmiege meinen Kopf an deinen. Warum? Warum kann ich nicht aufhören dich an mich zu drücken? Wir waren doch nie Freunde, du bedeutest mir nichts.

Langsam versiegen meine Tränen und ich beruhige meinen Atem. Erschöpft wandern meine Augen zu deinem Hut, der mir von einer Windböe ans Bein geweht wird. Dieses alberne Teil hast du immer voller Stolz getragen. Ich nehme deinen Hut vom Boden hoch und setze ihn auf deinen Kopf. Da gehört er hin. Das Feuer deiner Explosionen flackert um uns herum und hat begonnen den angrenzenden Wald in Brand zu stecken. Wir müssen hier weg. Oder soll ich einfach mit dir zusammen hier verbrennen? Nein. Mit festem Blick stehe ich auf, ziehe dich mit mir hoch, bis ich dich mit einem Arm über meiner Schulter tragen kann. Ich ignoriere die Schmerzen in meiner linken Hand, drücke dich an mich während ich damit beginne einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich muss zurück zum Boss. Die Kröte. Sie haben dich getötet. Dafür werde ich sie bezahlen lassen.

Als ich am Gebäude der Hafenmafia ankomme, werde ich sofort von einer Menschentraube umzingelt. Keine zehn Sekunden später, steht der Boss vor mir. Mit geschocktem Blick beobachtet er mich, wie ich dich vor mir auf den Boden lege. Ganz behutsam bette ich deinen Kopf auf den harten Steinboden, ziehe dir den Hut dabei leicht ins Gesicht, dass er deine Augen verdeckt. So siehst du aus als würdest du schlafen. Ganz friedlich.

„Dazai... erstatte Bericht.“, sagt der Boss mit betroffener Stimme. Als wäre es nicht eindeutig.

„Die Mission des Feindes hat sich als Hinterhalt herausgestellt. Es waren Söldner, bezahlt von der Kröte.“ Ich höre den Boss erschrocken einatmen. „Das Ziel des Feindes war die Eliminierung von Chuya Nakarara.“, fahre ich fort, schließe kurz die Augen während ich deinen Namen ausspreche. „Die Mission des Feindes war erfolgreich.“ Meine Brust fühlt sich leer an. Der Schmerz ist verflogen, hat nur Taubheit hinterlassen.

Schuhe schreiten auf mich zu. Der Boss geht vor mir in die Hocke und legt seine Finger an deinen Hals. Hörbar atmet er durch, dann richtet er sich wieder auf, schiebt in der selben Bewegung den Hut von deinem Kopf. Meinem leeren Blick entgegnet er mit stechendem Ausdruck in den Augen. Er holt aus und schlägt mir mit der flachen Hand auf die Wange, dass ich zur Seite stolpere. „Und deine Mission?“, zischt er.

Ich wende mich ihm wieder zu, senke den Blick. „Meine Mission war ein vollkommener Fehlschlag.“

„Das sehe ich.“, entgegnet er forsch, winkt Männer zu sich, gibt stumm Befehle. Zwei von ihnen neigen sich zu dir runter, heben dich an, um dich davon zu tragen. Ich sehe dir nicht nach, fokussiere überhaupt nichts. „Wir setzen umgehend zum Gegenschlag an.“ Jetzt sehe ich doch auf. Der Boss sieht wütend aus. Kein Wunder. Ich hab ihm sein liebstes Spielzeug zerbrochen nach Hause gebracht. „Die Vernichtung der Kröte hat äußerste Priorität. Der Angriff erfolgt Morgen Nacht. Dazai.“ Ich sehe ihn erwartungsvoll an. „Du wirst die Operation anführen.“ Was? „Das ist deine einzige Chance die Schmach, die du über dich gebracht hast, wieder auszugleichen.“ Ich nicke kaum merklich, während der Boss sich runter neigt und deinen Hut an sich nimmt. „Sieh zu, dass Chuyas Opfer nicht umsonst gewesen ist.“ Sein Blick durchbohrt mich förmlich. Er drückt mir deinen Hut in die Hand, woraufhin mein Herz kurz schneller schlägt.

Ich sehe ihm in die Augen, mein Blick wird fest. „Jawohl, Boss.“
 

Die Krankenschwester legt mir einen strammen Verband an der linken Hand an, der die Beweglichkeit der Finger trotz des gebrochenen Daumengelenkes wieder herstellt. Es tut weh, doch ich weiß, dass es nötig ist. Ich werde meine gesamte Kraft mobilisieren, um den Feind restlos auszuradieren.

„Versuch zu schlafen, Dazai.“, erklingt ihre helle Stimme.

Auch wenn ich darauf keine Zeit verschwenden möchte, so weiß ich, dass ich ausgeruht sein muss für den Gegenschlag. Diesmal darf mir kein Fehler unterlaufen. Ich drücke deinen Hut an meine Brust. Ich werde dich rächen, koste es, was es wolle.

Ich begebe mich zu meinem Zimmer und stoße vor der Türe auf eine Tageszeitung. Jeden Tag wird mir eine gebracht, damit ich über das Geschehen in der Stadt informiert bin. Nicht unbedingt inhaltlich, dafür haben wir andere Quellen, doch was die Bewohner Yokohamas angeht und was ihnen am Herzen liegt. Ich hebe sie auf mit einem mulmigen Gefühl, wissend dass die morgige Überschrift wohl das zerlegte Firmengelände betiteln wird. Die Schlagzeile heute betrifft jedoch wieder den Tiger. Ich beginne zu lesen. „Tiger getötet“ Dies ist wohl sein letzter großer Auftritt. „Nachdem der weiße Tiger, in Flussnähe, von mehreren Kugeln getroffen wurde, fiel er in das Fließgewässer. Eine Suche nach dem Kadaver im Flussbett blieb dabei ohne Erfolg. Statt dessen fand man die Leiche eines 18-jährigen Jungen, der wohl kurz zuvor von mehreren Pistolenschüssen getötet worden war.“, lese ich leise und hebe die Augenbrauen. Tja. Da hat er wohl das schlimmste überstanden.

Mit zwei Dutzend Männern im Schlepptau marschiere ich auf die Zentrale der Kröte zu, alles junge Anwärter. Die schwarze Eidechse, unser Spezialkommando, führte einen Sonderauftrag am anderen Ende der Stadt durch, weswegen sie mich nicht begleiten. So sagt zumindest der Boss. Ich weiß, dass er lügt. Dies ist ein Selbstmordkommando und ich weiß es. Der Boss ist meine Fehlschläge satt und will mich mit einem großen Knall ausradieren. Dass ich die Kröte mit in den Tod reiße, ist nur ein angenehmer Nebeneffekt. Soll er haben. Alles was mich interessiert ist dich zu rächen. Was aus mir wird, ist mir egaler den je.

Mit leerem Blick sehe ich zu dem Gebäude vor mir auf. Ich werde hier sterben. Ob ich wohl in den Himmel komme? Wohl eher nicht. Dann in die Hölle? Das wäre mir auch egal. Wahrscheinlich wartet sowieso das endlose Nichts auf der anderen Seite. Dennoch finde ich den Gedanken tröstlich, dass ich dich vielleicht dort wiedersehe. Schließlich sind unser beider Seelen schwarz wie die Nacht.

Wie erwartet ist die Kröte schwer bewaffnet. Taktische Schachzüge und meine Anweisungen führen jedoch dazu, dass sich mein Team mit kleineren Verlusten rasch vor arbeitet. Auch wenn man es mir nicht ansieht, so bin ich gut im Kampf ausgebildet und heute auch bis an die Zähne bewaffnet. Ich jage rücksichtslos ganze Komplexe des Gebäudes in die Luft. Heute wird „geklotzt statt gekleckert“, wie der Boss gerne zu sagen pflegt. Ich rücke schneller vor als die anderen, höre immer wieder Schreie, derer die zu Boden gehen. So kann es laufen, wenn man sich der Hafenmafia anschließt. Mit kleineren Wunden behaftet, meinem mangelnden Selbstschutz zu verdanken, erreiche ich die Führungsetage. Ich schalte die Wachen vor dem Zimmer aus, das ich für den Raum des Anführers halte. Als ich den Raum betrete, richten sich gleich mehrere Pistolenläufe auf mich.

„Sieh an, sieh an.“, dringt eine tiefe Stimme an mein Ohr. Sie kommt von dem schwarzhaarigen Mann im Sessel hinter dem Tisch. Provokant und scheinbare Überlegenheit demonstrierend hat er mir den Rücken zugewandt. Ich blinzle unbeeindruckt, habe schon ein paar Strategien ausgetüftelt die vier Männer, mit den Pistolen, auszuschalten. Der Anführer wendet sich mir zu, drückt seine Zigarette in einem gläsernen Aschenbecher aus. Hochmütig. „Osamu Dazai.“ Er sieht zu mir auf. „Du bist tatsächlich persönlich gekommen?“ Er lacht kehlig und ich seufze innerlich. „Wie hat dir mein kleiner Söldnertrupp gefallen?“ Er lehnt sich vor, während ich mich gar nicht bewege, verziehe keine Miene. „Ich habe gehört es wurden alle ausradiert.“ Er zuckt mit den Schultern, grinst grimassenhaft. „Dennoch war ihre Mission ein voller Erfolg.“ Er sieht mich mit stechendem Blick an. Anspannung kommt in mir auf, doch ich muss jetzt ruhig bleiben. Wenn ich mich jetzt von Gefühlen leiten lasse, war alles umsonst. „Wie ist das, seinen Partner zu verlieren?“ Ohne dass ich es abwenden kann, zucken Bilder durch meinen Kopf. Ich sehe dich schreien, ich sehe dich weinen, sehe dein Lächeln, fühle deine Finger an meiner Wange. Mit einem tiefen Seufzen balle ich die Hände zu Fäusten. „Wachst du nachts auf, weil du seine Schreie hörst?“ Das reicht.

Ich gehe in die Hocke, wodurch mich die ersten Schüsse verfehlen. Es kostet mich zwei Manöver und drei Streifschüsse alle Männer auszuschalten. Ich richte mich wieder auf, drehe mich mit finsterem Blick zum Anführer um. Das Blut rinnt meinen Arm hinunter, doch ziehe ich erst jetzt meine Waffe. Er tut es mir gleich, sieht mich mit festem Blick an. „Ich bin ein tadelloser Schütze.“, sagt er doch ich erkenne Schweißperlen auf seiner Stirn. Das ich seine Männer so leicht ausgeschaltet habe, scheint ihn doch zu überraschen. „Wenn du jetzt abdrückst, nehme ich dich mit. Lass uns reden, Da...“ Noch bevor er meinen Namen ausgesprochen hat, drücke ich ab. Mein Schuss trifft ihn in die Schulter, da er ausweicht. Ich sehe, wie er sich neu positioniert, den Lauf auf mich richtet. Ich sollte ausweichen, doch ich entscheide mich statt dessen seinen Kopf ins Ziel zu nehmen. Er schießt. Die Kugel durchbohrt meine Brust, doch bevor ich zucken kann, schieße ich ihm genau zwischen die Augen. Scheppernd geht er mitsamt seinem Aschenbecher zu Boden. Erst als seine Blutlache um den Tisch herum geflossen kommt, setzt der Schmerz in meinem Körper ein und ich sinke auf die Knie. Stöhnend hebe ich meine dunkle Jacke an, sehe den roten Fleck auf meinem Hemd, der sekündlich größer wird.

„Volltreffer...“, hauche ich mit einem bitteren Lächeln und gehe bäuchlings zu Boden. Der gelbe Teppich unter mir ist nicht halb so weich, wie ich erwartet hatte. Zumindest fühlt es sich kratzig an meiner Wange an. Ich atme flach, lächle vor mich hin während mein Blick ins Leere geht. Ich hab es geschafft, Chuya. Die Kröte gehört der Vergangenheit an. Gerade will ich die Augen schließen, bereit das Leben hinter mir zu lassen, da höre ich vereinzelte Tritte, die sich auf mich zu bewegen. Sind doch noch nicht alle ausgeschaltet?

„Dazai!“ Meine Augen weiten sich erstaunt. Diese Stimme... Das... „Dazai.“ Mit einem Rauschen gleiten Schuhe in mein Sichtfeld, dann Knie und schließlich dein Gesicht. Ich schlucke, starre dich an. „Hey, mach nicht schlapp!“ Besorgt ziehst du die Augenbrauen zusammen und schiebst deine Hand zwischen Teppich und meine Wange. Warm legen sich deine Finger an meine Haut.

„Chu...ya...“, stöhne ich überwältigt. „Das... das ist... du bist tot...“ Mein Blick trübt sich und ich spüre eine Träne auf meiner Wange, bis sie deine Hand erreicht.

„Red keinen Unsinn, Idiot. Ich bin doch hier.“ Du siehst kurz zur Seite, dann fangen deine blauen Augen meinen Blick erneut ein. „Sie haben mich gerettet. Ich habe überlebt.“

„Wie...?“, hauche ich, spüre wie feucht der Boden unter mir wird, getränkt von meinem Blut.

„Halte durch, ok? Ich bin nicht alleine gekommen. Sie kommt auch und sie wird auch dich retten.“ Du sprichst so schnell, dass sich deine Stimme fast überschlägt. Wovon redest du da?

„Wer...?“, hauche ich erstickt.

„Die Hafenmafia hat eine junge Frau rekrutiert. Erst vor drei Tagen, wir wussten nichts davon. Weil wir auf Mission waren, haben wir es nicht mitbekommen. Sie... sie ist eine Befähigte.“

„Befähigte...?, wiederhole ich deine Worte. Es wird immer schwerer zu atmen.

„Ja. Sie hat die Fähigkeit tödlich verwundete Menschen zu heilen. Vollkommen.“ Ich starre dich mit großen Augen an. „Sieh doch her. Ich habe keinen Kratzer mehr.“ Du lächelst und ich spüre, wie mir das Herz aufgeht. „Als ich gehört habe, dass du losgezogen bist, um die Kröte zu vernichten, bin ich dir umgehend gefolgt. Und jetzt bin ich hier. Also stirb mir hier jetzt nicht weg, ok?“

„Ich bin so froh dich zu sehen.“, hauche ich, spüre neue Tränen fließen.

„Halt durch, Dazai.“ Du siehst kurz über mich hinweg zur Türe, dann wieder in meine Augen. „Sie kommt jede Sekunde.“ Deine Finger bewegen sich an meiner Wange.

„Chuya...“ Die Tränen beginnen meine Stimme zu ersticken.

„Noch ein bisschen.“, machst du mir Mut mit einem sanften Lächeln auf den Lippen, dass mir richtig warm ums Herz wird.

„Chuya...“ Mit aller Kraft halte ich die Augen offen, will noch ein wenig länger im tiefen Blau deiner Augen versinken. „Es gibt nichts auf der Welt... was ich mir mehr wünsche... als dass du wirklich hier wärest.“ Tränen laufen über mein Gesicht, tropfen auf den Boden. Ich blinzel und du bist verschwunden. Mich umgibt wieder die Leere des Raumes, gefüllt mit Tod, als ich die Augen endgültig schließe. Chuya, ich komme zu dir. Ich drücke die Wange gegen den Teppich, atme aus und nehme die Dunkelheit an, die mich zu verschlingen beginnt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück