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Eine Begegnung verändert alles

Daryl und Matt
von

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Poser und Könner


 

Daryl

 
 

Playboys im Auto: Chromprinzen

Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger

 

 

Es hallt wie Donnerschläge durch die Nacht. Das Geräusch elektrisiert die Leute und lässt sie Jubeln und Grölen. Ich verstehe sie. Auch mir jagt es einen angenehmen Schauer durch die Nerven. Es liegt Benzin in der Luft, Motoren röhren und die Bässe hämmern. Die Stimmung ist aufgeheizt und ausgelassen. Es wird gewettet, geflucht und gefachsimpelt.

Ich dränge mich durch die Menge. Die Leute stehen am Rand der Strecke oder um die Autos versammelt, die ungeduldig auf ihren Einsatz warten. Wieder donnern zwei Karren von der Startlinie los und vernebeln mit Rauchzeichen aus den Radkästen kurz die Umgebung.

Amateure und Playboys. Ihnen geht es mehr um die Show wie alles andere. Nicht, dass es bei mir an manchen Abenden um anderes gegangen wäre wie Schulterklopfen, Glückwünsche, bewundernde Blicke und eindeutige Angebote der Mädels.

Manchmal reicht es aber nicht der Playboy zu sein. Manchmal muss es die Geschwindigkeit sein, der Rausch, das Adrenalin. Das Brüllen des Stiers und die Kraft von 700 Pferden die vorwärts schnellen … Ein Wettkampf; Mann gegen Mann, Fahrer gegen Fahrer. Manchmal braucht man das, um zu vergessen …

Manchmal hilft aber auch das nicht … Das sind die besonders schlimmen Tage …

Doch heute ist ein guter Tag und ich bin weder für das eine noch für das andere hier. Tatsächlich bin ich nur hier, um mich mal wieder blicken zu lassen und um die Ohren etwas aufzustellen um zu erfahren was es Neues gibt. Ein netter Abend, vielleicht mit einem netten Highlight, wenn ich mir die Fleischauswahl hier so ansehe.

Eine Blondine wirft mir einen Blick zu, der mich direkt einlädt mit ihr unanständige Dinge zu tun. Sie ist nicht anders, wie die anderen hier. Mehr nackt wie angezogen, aufpumpt und genügend Make-Up, dass man meinen könnte sie trägt eine Maske. Doch mich stört das nicht, ganz im Gegenteil. Eine heiße Nacht um etwas Dampf abzulassen und fertig. Wäre nicht meine erste Nacht dieser Art, und definitiv wird es auch nicht meine letzte sein.

Blondie kommt auf mich zu und setzt ein verführerisches Grinsen auf. Ihre Bewegungen sind geübt und einstudiert. Ihre Hand fährt über meinen Brustkorb als sie nahe genug ist und hoch in meinen Nacken.

Ich beiße mir auf die Lippe und mustere sie von oben herab. Ja, die Ware gefällt und spricht mich an, also lasse ich sie gewähren. Der Tanz kann beginnen.

Ihre Hand in meinem Nacken zieht leichte Kreis und sie schlägt die Augen nieder. Lasziv leckt sie über die Lippen und schleicht um mich herum.

Macht der Gewohnheit wandert mein Blick kurz über die Menge, aus Sicherheitsgründen, und um vielleicht ein bekanntes Gesicht zu erspähen. Tatsächlich fällt mir etwas ins Auge, aber weder aus den einem, noch aus dem anderen Grund.

Hinter einer Gruppe junger Männer, die in Fachgespräche über Fächerkrümmer und Gewindefahrwerke vertieft sind, steht eine Frau. Sie ist seitlich in meine Richtung gedreht und hat den Blick gesenkt. In den Straßen von New York würde sie im Alltag wohl kaum auffallen. Ihre Klamotten sind unscheinbar und normal, was gerade hier, zwischen den ganzen halbnackten Püppchen, heraussticht.

Die lange, lockere Stoffhose sitz auf ihrem Becken, umschmeichelt trotzdem ihren runden Hintern perfekt und rückt ihn ins rechte Licht. Die Seitentaschen der Hose scheinen voll zu sein, zumindest sind die ausgebeult. Ein wenig wirkt es, als hätte sie eine Arbeitshose an; nur, dass sie schwarz ist, anstatt blau. Das Oberteil, ebenfalls schwarz, liegt im Gegenzug hauteng um ihre Figur und zeichnet deutlich ihre Silhouette ab.

Ausladende Hüfte, schmale Taille, perfekt proportionierte Brüste – soweit ich das von hier beurteilen kann. Das Haar versteckt sich unter einer schlichten Stoffmütze, lediglich der Pony schaut heraus und macht es schwer einzuschätzen, was sie da unter der Beanie versteckt.

Die Hand von Blondie zeichnet Schnörkel auf meinem Rücken, aber das merke ich kaum, weil es mir gerade herzlich egal ist. Diese Frau dahinten, die so völlig aus dem hier üblichen Rahmen fällt, fordert im Moment meine ganze Aufmerksamkeit – und ich könnte nicht mal sagen warum genau. Sie passt auf den ersten Blick einfach nicht hier her; und gleichzeitig scheint sich niemand an ihre zu stören. Auch sie selbst macht nicht den Eindruck, als wäre sie das erste Mal bei einer derartigen Veranstaltung, die eher nicht zum normalen Tagegeschehen gehört. Zumindest für normale Leute.

Der Blick der Unbekannten ist auf ihre Smartphone gerichtet, welches sie in Brusthöhe hält. Erst jetzt fällt mir das breite Lederband auf, welches sich quer über ihren Oberkörper befindet. Ich folge der Spur und finde Ungewöhnliches. Im ersten Augenblick dachte ich, dass da eine Handtasche baumeln würde, aber nein. Am Ende des Bandes, seitlich neben ihrer Taille, hängt eine Fotokamera. Ein ziemliches Gerät sogar. Ich kenne mich damit nicht aus, aber das scheint mir keine gewöhnliche Alltagskamera zu sein. Sie wirkt professionell und teuer.

Interessant. Und ungewöhnlich.

Blondie murrt irgendwas und faucht regelrecht, als sie sich von mir entfernt. Ich bin mir sicher, dass ihr Frust über mein Desinteresse nicht von langer Dauer sein wird. Sie wird sich schnell mit dem nächsten trösten, so wie ich es umgekehrt wohl auch gemacht hätte.

Mir ist das gerade alles egal; die Unbekannte dahinten hat etwas an sich, dass mich in ihren Bann zieht. Sie ist so anders wie der Rest hier, vielleicht ist es das. Bestimmt. Ein anderer Grund fällt mir nicht ein.

Ich gehe auf sie zu, mein Blick auf sie gerichtet, damit sie mir nicht entwischt. Als ich näher dran bin, erkenne ich ihre Gesichtszüge. Sie sind weich, und wirken warm und sympathisch. Ich erkenne ein kurzes Schmunzeln auf ihren Lippen, dass etwas Schelmisches hat und mir einen elektrischen Schlag versetzt, den ich ignoriere.

Sie steckt das Smartphone in ihre Hosentasche. Ihre Augen richten sich nach oben und schweifen kurz über die Leute und das Setting.

Selbst mit der chaotischen Beleuchtung aus Scheinwerfern und farbigen Innenraum- und Unterbodenbeleuchtungen erkenne ich jedes Detail. Sie sind blau, ihre Augen sind blau. Und was für eins! Ein Eismeer umgeben von einem dunklen Tiefseegraben.

Einen Moment hoffe ich, dass sich unsere Blicke kreuzen. Dass ich sie zum Stehen bleiben bringen kann; denn ich ahne bereits an ihrer Haltung, dass sie sich jeden Moment umdrehen und in der Menge verschwinden wird.

Die Zeit bleibt stehen, als sich mein Wunsch erfüllt. Meine Augen nehmen ihre gefangen. Ihr Blick ist offen und neugierig – und hat gleichzeitig etwas schelmisch Verwegenes. Ich spüre, wie sich etwas in mir entlädt, und anschließend durch meinen Körper zuckt wie Starkstrom.

Der Kontakt bricht ab, als jemand quer durch mein Sichtfeld läuft und die Unbekannte ist verschwunden. Ich strecke mich und versuche sie irgendwie ausfindig zu machen – ohne Erfolg.

Unfassbar, wie sie mir vorhin so auffallen konnte und sich jetzt einfach in Luft aufgelöst hat!

Was für eine Scheiße!

 

Das Verschwinden der Unbekannten hat mir ordentlich die Stimmung vermiest; auch wenn ich mir das nicht so recht eingestehen will. Ich hatte mich auf diesen Abend gefreut. Ich war schon lange nicht mehr bei einem Streetrace gewesen – und jetzt das!

Es röhrt kaum zwei Meter neben mir und Flammen brenne sich in den Asphalt, als zwei weitere Kontrahenten sich messen.

Ja, der Anblick der schönen schnellen Autos nimmt mich kurz gefangen. Vielleicht sollte ich doch auf die Piste gehen; nur um es mal wieder gemacht zu haben – und um mich abzulenken. Eine Renne: Mann gegen Mann; Auto gegen Auto. Der Gedanke ist verlockend.

Gemächlich flaniere ich weiter; Grüße bekannte Gesichter und verliere mich in ein paar Gesprächen.

Ich komme an der Nebenstrecke an; der Parkplatz der Veranstaltung, wenn man so will. Hier stehen die Autos um bewundert zu werden, bevor oder nachdem sie auf der Strecke waren, oder einfach so, weil der Besitzer eben hier ist, wie es bei meinem roten Aventador der Fall ist.

Hier gibt es alles, was das Herz begehrt und wonach einem der Sinn steht. Teure Luxus-Boliden, Import-Racer und Tuning-Karren. Sprinter und Drifter. Poser und Könner. Die Streetrace-Szene bietet für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas.

Mein Blick wandert über die Karossen und bleibt an einem Auto ganz hinten hängen. Eigentlich erkennt man auf den ersten Blick einen Racer; aus den unterschiedlichsten Gründen. Es gibt nicht dieses eine Merkmal, an dem man es ausmachen kann, trotzdem sieht man es. Jeder Wagen hier auf der Nebenstrecke schreit förmlich „Illegales Autorennen“, nur einer nicht. Dieser eine nicht.

Ganz hinten, etwas unscheinbar auf den ersten Blick, steht ein BMW Z3. Noch dazu ein Coupé und ein M, was unwahrscheinlich selten ist. Selbst in seiner Heimat ist der Gebrauchtwagenmarkt fast abgegrast; und dass was man noch bekommt, ist entweder Schrott oder sündhaft teuer – für ein Auto dieser Jahrgangsklasse, versteht sich.

Obwohl der Wagen goldgelb ist fällt er nicht wegen der Farbe auf – sondern eher, weil er nicht so recht hierhergehört. Das ist kein Auto für die Rennstrecke, auch wenn er den nötigen Bumms dafür hat, so einige jüngere Karren zu schlagen. Das ist ein Liebhaber-Fahrzeug das man hegt und pflegt und nicht den Gefahren junger Rowdys auf einer Rennstrecke aussetzt. Also was treibt seinen Besitzer hier?

Auch wenn man nicht unbedingt an der Veranstaltung teilnehmen muss, wird es in der Szene nicht gern gesehen, wenn man dauerhaft nur zum Zuschauen kommt. Zuschauer haben nicht die Notwendigkeit Stillschweigen zu bewahren, wenn mal etwas sein sollte. Nur wer aktiv Rennen fährt, hat auch einen Grund die Schnauze zu halten, falls doch die Bullen auftauchen.

Ich laufe um den Wagen herum und begutachte ihn. Zart und zierlich, trotzdem wunderbar kurvig und rassisch. Temperamentvoll, mit genügen Pfeffer im Hintern, um einen gehörig in Schwierigkeiten und zum Schwitzen zu bringen, gleichzeitig seidenweich und elegant. Pure Freude und Herausforderung in einem …

Ein Klicken holt mich zurück nach New York, in das Industriegebiet außerhalb der Stadt, wo ich gerade ein fremdes Auto begaffe. Ich drehe mich um und kann meine Überraschung im ersten Augenblick nicht ganz verbergen.

Da steht die Unbekannte und grinst mich neckisch mit hochgezogener Augenbraue an. Sie hat die Kamera im Anschlag und wohl gerade ein Foto gemacht. Ich bin kurz überrumpelt, und das passiert mir nicht oft.

„Deiner?“, fragt sie provozierend nach und legt den Kopf schief, was fürchterlich unschuldig und unbedarft aussieht. Das Grinsen auf ihren Lippen ist spielerisch und verlockt geradezu Unvorsichtig zu sein.

Irgendwas sagt mir aber, dass ich lieber auf der Hut bleiben sollte. Dieses Weib hier, ist nicht was sie auf den ersten Blick scheint; da bin ich mir sicher. „Nein. Er ist nett, aber nicht mein Stil“, antworte ich herablassend und deute mit dem Kopf Richtung BMW.

Sie lacht, ehrlich und ausgelassen; und es klingt großartig. Ihre Stimme ist eher etwas dunkler und samtig, was man auch an bei ihrem Lachen heraushört. Die Unbekannte beruhigt sich wieder und sieht mich neckisch an. „Hätte mich auch gewundert. Du wirkst eher nicht so …“ Sie macht eine lose fahrige Bewegung mit der Hand in meine Richtung.

„So?“, frage ich nach und ziehe die Augenbraue hoch. Spinne ich, oder will sie sich wirklich mit mir anlegen?

„So wie jemand, der Wert auf etwas Besonderes dieser Güte legt“, antwortet die Unbekannte sarkastisch und grinst herausfordernd.

Innerlich muss ich feixen, äußerlich setze ich eine gekränkte Miene auf. Sie ist erfrischend anders, und das wirft mich etwas aus der Bahn. Aber das werde ich ihr nicht zeigen. „Wie wirke ich denn?“

Sie tippt mit dem Objektiv in ihre Hand während sie nachdenkt und ihren Blick dabei unverhohlen über mich wandern lässt.

Ja, die Art wie ihre blauen Augen meinen Körper und mein Gesicht studieren gefällt mir und lässt ein angenehmes Prickeln auf meiner Haut entstehen. Gleichzeitig beginnen meine Alarmglocken sich langsam aber sicher zu melden.

„Roh … und … Kraftvoll“, ist ihr Urteil, welches sie mir schließlich mitteilt. „Und arrogant“, fügt sie nonchalant noch an.

Ich gebe es ungern zu, aber sie hat mich erwischt und ich fühle mich ertappt. Tatsächlich bin ich es nicht mehr gewohnt, mich ernsthaft mit einem weiblichen Wesen zu unterhalten. Vor allem mit meinen eindeutigen Hintergedanken. Ich würde lügen, würde ich behaupten, dass ich sie nicht gern mit zu mir nehmen würde um mit ihr zu tun, was ich vor einigen Stunden eigentlich mit Blondie geplant hatte.

Doch zunächst heißt es aufmerksam bleiben, denn das Gespräch gewinnt zunehmend an Würze. „Und das entspricht dann welchem Auto?“, hake ich interessiert nach ohne auf ihre kleine Spitz einzugehen.

Ihre blauen Augen mustern mich eindringlich; ein amüsiertes Schmunzeln zuckt an ihrem Mundwinkel. Sie versucht mich gerad einzuordnen und meiner handhab zu werden … Viel Spaß beim Versuch, Kleines.

„Hmm. Da gibt es einige. Aber wenn ich einen Tipp abgeben müsste …“, entgegnet sie mir mit einem süßlichen Unterton, während ihr Blick mich weiter sondiert um meine Reaktion einzuschätzen.

Ja, mein Sicherheitssystem hatte recht. Ich muss konzentriert bleiben. Ich habe hier kein Kätzchen vor mir, dass ein wenig spielt und mal ein bisschen die Krallen zeigt. Ihre Haltung, ihr Ton und ihr Blick verraten sie – zumindest, wenn man es richtig einzuordnen weiß.

Ich rücke näher, mache einen Schritt auf sie zu um mich zu vergewissern das ich Recht habe mit meiner Vermutung. Sie weicht nicht zurück; wie ich erwartet habe.

Die Unbekannte hebt ihren Kopf um mich anzusehen; ohne Scheu oder Verlegenheit.

Provozierend lasse ich meinen Blick in ihren eintauchen. „Ich höre“, fordere ich harsch.

Das Eismeer in ihren Augen funkelt und macht mich verrückt. Ich sollte es lassen, mich zurückziehen und verschwinden. Irgendetwas sagt mir, dass ich mir Probleme mit ihr einhandle.

Probleme der persönlichen, emotionalen Art. Sie ist kein leichtes Mädchen, keine die man nach einer Nacht vergisst. Bereits jetzt wird es mir schwerfallen, morgen nicht an diese Begegnung zu denken, egal wie der Abend zu Ende gehen mag.

Ein reißerisches Lächeln bildet sich auf ihren Lippen. „Ich tippe … auf einen Lamborghini.“

„Und warum?“, frage ich sarkastisch zurück, um meine Verwunderung darüber zu verbergen, dass sie richtiglag.

„Weil er dir entspricht. Roh und kraftvoll“, erklärt sie zunächst süßlich. „Großspurig, laut, aggressiv“, fügt sie danach abwerten an. „Alles in allem eben etwas drüber. Ein Auto für kleine Jungs, die etwas her machen wollen um beachtet zu werden“, schließt sie trocken ab.

Ich knurre in mich hinein. Zumindest lag ich mit meiner Vermutung richtig. Sie ist kein Kätzchen, sondern eine ausgewachsene Raubkatze. Mein Blick fährt ihre appetitliche Figur ab. Ich sollte es wirklich lassen, aber es reizt mich dann doch zu sehr. Jemanden wie ihr begegnet man zu selten um die Chance verstreichen zu lassen.

Die Unbekannte legt den Kopf schief. Sie grinst breit und siegessicher. „Volltreffer, nehme ich an?“

„Wer weiß“, gebe ich vage zurück. „Aber deine Meinung über Lamborghini scheint ja recht stupide und vorurteilbelastet zu sein.“ Ich lächle schelmisch um sie zu ärgern, und um sie aus der Deckung zu locken.

„Das denke ich nicht“, gibt sie schnippisch zurück und funkelt verärgert.

Volltreffer. Tja, was du kannst kann ich auch, Schätzchen. „Ich denke schon. Ich denke, du hast eine vorgefertigte Meinung und steckst alles und jeden in Schubladen wo sie verstauben und nie die Möglichkeit haben dich vom Gegenteil zu überzeugen.“

Die Unbekannte mustert mich mit hochgezogener Augenbraue. Sie fühlt sich ertappt und ist verärgert darüber.

Einige Momente herrscht Schweigen, nur das Dröhnen von Motoren ist in einiger Entfernung zu hören. Wir sehen uns an, taktieren uns; wie zwei Raubtiere es eben tun, wenn sie sich auf offenem Terrain begegnen.

Plötzlich lächelt sie mich an; offen und herzlich. „Tja, du willst scheinbar auch nicht die Chance ergreifen und mich vom Gegenteil überzeugen“, schnurrt sie und ihr Lächeln wird provozierend.

Ja, ich bin verblüfft wegen ihrer Reaktion und es wirft mich ein wenig aus der Bahn, weil … Ja, weil sie mir eine Chance einräumt? Ich habe damit nicht gerechnet. Sie wirkt nicht wie eines der Mädchen, die mit einem Unbekannten einfach eine schamlose Nacht verbringen und dann wieder ihrer Wege ziehen …

Irgendwo ganz hinten in meinem Verstand warnt mich etwas davor, diese Möglichkeit zu ergreifen. Die Unbekannte ist viel zu stolz und selbstbewusst; und zu schlagfertig. Ich ahne, dass ich mich ins Verderben stürzen könnte mit ihr …

Aber vielleicht … vielleicht habe ich wirklich ihr Interesse geweckt.

Vielleicht bin ich ihre Ausnahme der Regel, wie sie irgendwie meine ist.

Vielleicht ist das hier den Anfang, von etwas anderem wie sonst …

Ich grinse sie spielerisch an und halte ihr den Arm hin, damit sie sich unterhakt. „Wir sollten erst einmal prüfen, ob du mit deiner Vermutung überhaupt richtiglagst.“

Heiß, wild und süß


 

Daryl

 
 

Die Wollust liebt die Mittel, nicht den Zweck.

Hugo von Hofmannsthal

 

 

Eine Frau die auf Fahrzeuge abfährt … und das nicht unbedingt wegen dem was sie symbolisieren. Nicht wegen dem Geld was dahinter steht, oder dem Status. Schon ungewöhnlich … aber auch sehr spannend, und anziehend.

Ihre Augen haben gefunkelt als sie den Aventador gesehen hat. Sie hatte ihre Begeisterung offen kundgetan, auch während der Fahrt. Sie hatte mir erzählt, dass sie schon seit sie ein kleines Mädchen ist, alles was mindestens zwei Räder hat großartig findet. Und auch völlig unabhängig von dem Warenwert, Pferdestärken oder sonstigem. Entweder ein Fahrzeug gefällt, oder nicht.

Offenbar fällt mein Auto unter die Kategorie gefällt. Ich hoffe, dass ich auch unter diese Kategorie falle …

Wir haben uns unterhalten, über den Wagen und über ihre generelle Vorliebe für Autos. Und ja, sie weiß wovon sie redet, das hat man gemerkt. Keine Tussi die sich nur dafür interessiert was es gekostet hat, sondern wie es klingt, sich anfühlt und welche Emotionen es auslöst … Ihre Leidenschaft war unüberhörbar und hat ein angenehmes Prickeln auf meiner Haut ausgelöst. Ich habe mich noch nie so auf eine Nacht gefreut.

Sie ist anders, besonders.

Das macht sich deutlich bemerkbar, als wir endlich bei mir sind. Sie ist angetan von meinem Heim, dem Pool, der gesamten Anlage.

Angetan, nicht beeindruckt.

Mia, so ihr Name, ist zu … bodenständig, zu realistisch um sich von Geld und Schein beeindrucken zu lassen. Nicht wie die Frauen mit denen ich sonst so zu tu habe. Die interessiert nicht wer du bist, nur was du zu bieten hast, vielleicht noch dein Name, falls er etwas zu bedeuten hat. Aber der Mensch dahinter interessiert nicht …

Im Haus kann ich mich dann nicht mehr zurückhalten; kaum, dass wir durch die Tür sind, ziehe ich sie zu mir und stehle mir den ersten Kuss. Er ist heiß, wild und süß zugleich.

Sie packt mich mit einer Hand selbstbewusst im Nacken, während die andere über meinen Brustkorb abwärts gleitet.

Eine Raubkatze, durch und durch die Kleine. Ich spüre ihr Feuer und ihre Leidenschaft, und auch die Sanftheit darunter. Es befeuert mein Verlangen und ich falle zunehmend gieriger über ihren Mund her. Ich fahre mit den Händen ihre Seiten entlang, über ihre Taille zu ihrem Becken und schließlich zu ihrem Hintern.

Mia streckt sich mir entgegen, drückt sich an meine Brust und ich spüre wie ihr Körper bebt.

Ich packe ihre Pobacken und hebe sie hoch. Ihre Beine legen sich sofort um meine Hüfte und ich knurre angetan, wegen dem Gegendruck den sie dadurch auf meine wachsende Erregung ausübt.

Sie löst ihren Mund von meinen und sieht mich an, ein amüsiertes, anrüchiges Lächeln auf Lippen. Das Blau ihrer Augen erinnern mich inzwischen eher an eine Südseelagune; warm, einladen und sie glitzern wie tausend Diamanten. Sie küsst mich, knabbert und saugt an meiner Unterlippe und macht mich völlig wahnsinnig.

Der Platz in meiner Hose ist bereits komplett ausgereizt, meine Lenden ziehen sich zusammen und mein Herz pumpt wie verrückt. Ich will sie, wie ich noch keine vor ihr wollte.

Ich will, dass sie mir gehört, mit allem, was sie ausmacht. Und gleichzeitig, will ich ihr genauso gehören.

Ihre Haut an meiner; unsere Körper vereint und aneinander geschmiegt das nichts mehr dazwischen passt. Sie stöhnt meinen Namen und ihre Fingernägel verewigen sich in meiner Haut, wenn ich sie zum Orgasmus bringe. Die Vorstellung allein bringt mich schon beinahe um den Verstand; und fast schon zum Höhepunkt.

Ich drücke sie fest an mich und setze mich in Bewegung. Wir durchqueren das Wohnzimmer. Einen Moment zögere ich doch dann gehen ich die Treppe mit ihr hoch.

Ich stoße die Tür zu meinem Schlafzimmer auf. Eilig geht es zum Bett und ich lege sie darauf; begrabe sie förmlich unter mir. Meine Hände wandern über ihren Körper. Sie erkunden ihn ausführlich, erst über dem Stoff, schließlich gleiten sie darunter und berühren ihre weiche und warme Haut.

Mia erzittert und keucht in unseren Kuss. Sie bäumt sich mir entgegen und schafft Platz, damit ich sie ausziehen kann.

Und das tue ich auch; schnell und ungeduldig. Keine Ahnung warum, aber ich brauche sie. Jetzt. Sofort. Das Bedürfnis sitzt so tief und ist derart verzehrend, dass ich das Gefühl habe, es frisst mich jeden Moment auf.

Ihr scheint es ähnlich zu gehen, denn sie reißt mir das Hemd förmlich vom Leib und küsst anschließend gierig meine Haut. Ihr heißer Atem und ihre Zunge streichen darüber und bringen mich zum Glühen. Ihre Hände wandern hinunter über meinen Bauch und öffnen dann meinen Gürtel.

Ich knurre ungestüm, als sich ihre Finger unter den Stoff schieben und über meine strammstehende Männlichkeit tänzeln. Gierig küsse ich sie, umfasse den Saum ihre Hose und ziehe ihr sie mit einem Ruck über die Hüfte.

Kuss um Kuss wandere ich diesem wohlgeformten Körper hinunter, ergötze mich an ihrem Geschmack und ihrem genussvollen Stöhnen.

Am Bauchnabel angekommen stoppe ich. Ich löse mich kurzzeitig von ihr. Schnell und präzise entledige ich sie ihrer Hose, inklusive Unterhöschen und mich selbst meiner eigenen restlichen Bekleidung gleich mit.

Wir sehen uns an; lustvoll und gierig. Es steht außer Frage, dass es ein langes Vorspiel gibt; dafür bin ich viel zu überreizt – jetzt schon. Die Wirkung die sie auf mich hat verwirrt mich, und reizt mich gleichzeitig über alle Maßen.

Ungeniert wandert Mias Blick über mich und ein vorfreudiges Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. „Auf was wartest du?“, fragt sie lasziv und beißt sich auf die Unterlippe.

Ich gehe zum Bett klettere hinauf, direkt zwischen ihre Beine, und schiebe mich über sie. Meine Augen tauchen in dieses wunderschöne Blau der ihren ein. Ein leidenschaftlicher Kuss entbrennt; gierig, dringlich, alles verzehrend.

Mia scheint auch nicht der Sinn nach großem Vorgeplänkel zu sein. Ihr Oberschenkel streicht sinnlich über meinen und ihr Unterbauch reibt über mein Epizentrum während ihre Hände in mein Haar wandern.

Mit meinem letzten bisschen Vernunft strecke ich mich Richtung Nachttisch. Ich öffne die obere Schublade ohne unseren Kuss zu unterbrechen und fische ein Kondom heraus.

Die kleine Raubkatze beobachtet das aus dem Augenwinkel. Ihre Hand wandert meinen Arm entlang und nimmt mir das Päckchen aus den Fingern. Ohne ein weiteres Wort öffnet sie es und ihre Hand verschwindet zwischen unseren Körpern.

Ich kann mich nicht zurückhalten und knurre unkontrolliert, als sie mir den Schutz überstreift. Diese Berührung ist nicht einfach zweckdienlich, sie ist sinnlich und aufreizend. Ich bebe und muss mich zusammennehmen, dass mich dieser Körperkontakt nicht direkt zum Explodieren bringt. Sie ist geübt und weiß was sie da tut; und genießt sichtlich ihre Wirkung auf mich.

Mias Beine legen sich um meine Hüfte, ihre Hand bringt mich in Position. Ich sauge ihre Unterlippe ein, beiße sacht darauf und vereine unsere Körper schließlich mit einer langsamen kontrollierten Bewegung.

Wir stöhnen beide befreit auf.

Es ist eng, heiß und absolut berauschend. Unsere Körper berühren sich großflächig, kleben aneinander und lassen dem anderen kaum Luft zum Atmen.

Wir verschmelzen förmlich, kriechen uns gegenseitig unter die Haut.

Wir schmecken und kosten einander; wild, heiß und süß zugleich.

Wir stöhnen, zittern und vibrieren zusammen.

Mias Beine umschließen sich immer kräftiger um mich, unterstützen jede meiner Bewegungen. Sie drückt sich mir entgegen, keucht wimmernd.

Ich kann mich auch kaum noch beherrschen, werde ungezügelter.

Sie drückt ihren Hinterkopf ins Kissen, bietet mir ihre Kehle preis. Ihr Rücken krümmt sich, ihre Nägel drücken sich in meine Oberarme.

Alle meine Sinne laufen schon auf Hochtouren, aber jetzt verstärken sie sich noch einmal. Ich lecke über ihren Kehlkopf, intensiviere meine Beckenbewegungen und dann erlöse ich sie … und sie mich.

Die Art, wie Mia meinen Namen stöhnt und sich an mich presst raubt mir den Verstand. Ich ergebe mich, entlade mich mit sanften Stößen und verharre schließlich in ihr.

Ich laste auf ihr, bemühe mich trotz meiner Atemlosigkeit, sie nicht zu erdrücken.

Mias Brustkorb bewegt sich ebenfalls hektisch. Ihre Hände tasten sich meine Oberarme hoch, streichen über meine Schulterblätter.

Ich vergrabe meine Nase in ihrem Nacken, atme tief durch um ihren Geruch in mich aufzunehmen. Normalerweise ist der Austausch von Zärtlichkeiten nach dem Liebesspiel nichts, was bei mir vorkommt. Ich erdulde es, wenn es sein muss und ich die Aussicht auf eine zweite Runde habe.

Mias Liebkosungen fühlen sich allerdings verdammt gut an. Ihre Hände, die sanft und sinnlich über meinen Rücken streichen, ihre Lippen, die vorsichtig über meine pochende Halsschlagader tippen. Ich erdulde es nicht, ich genieße es in vollen Zügen.

Ich löse mich aus ihr und nehme im selben Augenblick ihren Mund in Beschlag. Ein Kuss, sinnlich und verführerisch. Eine Hand schiebe ich unter ihr Becke, mit der anderen stütze ich mich ab. In einer fließenden Bewegung drehe ich uns.

Ich entledige mich des Gummis, lasse ihn neben dem Bett auf den Boden fallen. Die Sauerei die das unverknotete Ding anrichtet, ist mir gerade herzlich egal. Der Anblick den Mia mir bietet, entschädigt für fast alles.

Sie sitzt aufrecht und stolz auf meinem Unterbauch. Ihr Blick ist auf mich gerichtet und ihre langen hellbraunen Haare fallen weich über ihre Schultern und umschmeicheln ihren Busen. Unfassbar wie sie es geschafft hat diese Pracht unter dem Stoffmützchen zu verstecken.

Mia lächelt zufrieden und verführerisch. Ihre Hände gleiten über meinen Körper, fahren die Konturen meines Tattoos ab das sich auf meiner linken Brust befindet.

Ich lasse meine Finger über die weiche Haut ihres Oberschenkels tänzeln, streiche über ihren Bauch und bemächtige mich ihres Busens. Ich knete und liebkose ihn. Schneller wie ich gedacht hätte bin ich wieder bereit. Gerade als ich mich aufsetzen will, um an ihren steifen Nippeln zu saugen, drückt sie mich bestimmt zurück auf die Matratze. Ihr raubtierhaftes Grinsen lässt mich vorfreudig zittern.

Mia gibt mir einen zarten Kuss auf den Mund, auf mein Kinn, auf mein Schlüsselbein. Ihre Lippen wandern weiter, über meinen Brustkorb, mein Tattoo und die Rippen hinunter. Ihre Hand fährt auf der anderen Seite die gleiche Linie ab. Ihre Zunge leckt über die empfindliche Haut die sich über meinen Hüftknochen spannt und danach beißt sie aufreizend hinein.

Ein Stromschlag jagt durch meine Nerven und ich stöhne rau. Ich werde unruhig unter ihren Liebkosungen, ihren gezielten Quälereien. Als ihr Mund endlich angekommen ist und sich um mich schließt, stöhne ich erneut.

Es ist warm und weich; ihre Zunge erkundungsfreudig. Ich vergrabe eine Hand in ihrem Haar, kraule ihr fast schon weggetreten den Hinterkopf. Keine Ahnung warum sie eine derart starke Wirkung auf mich hat, warum sie mich so um den Verstand bringt. Ich kann auch gar nicht darüber nachdenken, sie vereinnahmt mich viel zu sehr.

Heiser fluche ich, keuche rau ihren Namen und fordere sie mit sanften Zug auf zu mir hoch zu kommen. Ich würde das nicht länger aushalten.

Die kleine Raubkatze folgt meinem Wunsch und ich nutze die Gelegenheit das nächste Kondom aus der Schublade zu holen. Während eines heißen und leidenschaftlichen Kusses ziehe ich es mir über. Bestimmt packe ich ihre Hüfte und setze sie auf mich. Ihr Stöhnen, das unsere erneute Vereinigung begleitet, erzeugt bei mir Gänsehaut am ganzen Körper.

Ich begleite ihre Bewegungen, wie sie vorhin meine begleitet hat. Schub um Schub arbeiten wir uns vor.

Wir küssen uns, streicheln uns und stöhnen gemeinsam.

Wir geben uns dieser unbändigen Lust hin die uns immer weiter antreibt.

Wir erlösen uns gegenseitig, und genießen die Wellen des Höhenpunktes.

Mia löst sich von mir und legt sich an meine Seite. Das Kondom wandert ebenfalls ohne Knoten zu dem anderen; ist jetzt eh egal. Ihr Kopf ruht an meiner Schulter und ihre Hand unterhalb meiner Brust.

Mit zwei Fingern zeichne ihre Wirbelsäule nach; auf und ab. Sie schnurrt zufrieden und schmiegt sich enger an mich.

Wir genießen schweigend diesen Moment. Ihr warmer, verschwitzter Körper an meinem fühlt sich gut an; zu gut. Deutlich spüre ich wie mein Herz, was immer noch wie verrückt pumpt, wieder beginnt mein Blut in andere Regionen zuleiten.

Scheinbar bin ich nicht der einzige, der noch nicht genug hat, denn ihre Finger begeben sich ebenfalls auf Wanderschaft. Sie zeichnet meinen Brustmuskel nach, meine Tattoo und ziehen anschließend kreise um meine Brustwarze.

Ich lege meinen Finger unter ihr Kinn und hole ihr Gesicht zu mir. Ihre Augen glänzen lustvoll und ein neckisches Grinsen umschmeichelt ihren Mund.

Meine Lippen wandern über ihr Gesicht, meine Hand drückt sie stärker gegen meine Seite.

Mia räkelt sich, ihr Bein wandert an der Innenseite von meinem hinauf …

Wild, heiß und süß zugleich …

Das wird eine lange Nacht, und ich freue mich auf jeden einzelnen Moment.

Perfekter Samstag


 

Matt

 
 

Gutes und Böses kommt unerwartet dem Menschen.

Johann Wolfgang von Goethe

 
 

Glücklich und zufrieden, und vor allem mit vollem Magen, verlasse ich das Diner. So, und nur so, sollte man einen sonnigen Samstag verbringen. Eine Tour mit dem Motorrad, ein leckeres Essen, gebracht von einer äußerst netten Bedienung und dann wieder aufs Bike und …

Hoppla. Was ist denn hier los?

Mit dem Helm unterm Arm stehe ich etwas verwirrt auf dem Parkplatz. Ich habe meine Maschine extra abseits geparkt, damit sie nicht von irgendwelchen unvorsichtigen Leuten zerkratzt oder gar umgeschmissen wird.

Das Bild was ich gerade sehe ist irritierend.

Vor meinem Motorrad, in zwei Metern Entfernung, hockt jemand mit einer Kamera. Eine Frau, wie ich mich mit dem zweiten Blick rückversichere. Da kniet eine Frau und fotografiert mein Bike …

Ich habe schon einiges erlebt, aber dass definitiv noch nicht. Langsam nähere ich mich dieser eigenartigen Szene. Ich bin echt unsicher was ich davon halten das soll.

Die Frau ist so in ihr Tun vertieft, dass sie mich gar nicht mitbekommt, obwohl meine Stiefel hörbar auf dem Kies knirschen. Einen Moment stehe ich unschlüssig da und beobachte sie. Was macht sie da? Und warum?

„Da wird sie sich aber freuen“, rufe ich schließlich belustigt um irgendetwas zu tun. Ich fühle mich ein wenig eigenartig und unbeholfen mit der Situation.

Die Unbekannte nimmt die Kamera runter, betrachtet aber weiter meine Maschine während sie amüsiert antwortet, „Das ist doch wovon Jede träumt: einmal der Star eines Fotoshootings zu sein.“ Sie dreht ihren Kopf zu mir und lächelt begeistert. Einen Moment runzelt sie dann aber kurz die Stirn und mustert mich, grinst aber wieder im nächsten Augenblick. „Deine Lady?“

Frauen interessieren sich erfahrungsgemäß nicht für Motorräder, und wenn, dann sehen sie sie wohl eher als Konkurrenz. Sie hier offenbar nicht. Ihre blauen Augen strahlen mit ihrem Lächeln um die Wette, als sie mein Bike als Lady bezeichnet. Lady! Den Ausdruck find ich klasse!

„Ja, meine Lady“, antworte ich begeistert von meiner Maschine, und auch von der Frau irgendwie, auch wenn ich noch nicht so richtig weiß warum.

Die Unbekannte steht auf und lässt die Kamera sinken, so dass sie an ihrer Taille hängt. Ihr Blick schweift wieder über mein Motorrad. „Eine kostspielige Dame, oder?“

Ich nicke. „Ja, so sind sie, die Frauen. Ziehen ihren Männern das letzte Geld aus der Tasche“, witzle ich, und bin gespannt auf ihre Reaktion. Ich bin mir bewusst das dieses witzereißen im Grunde nur ein Schutzmechanismus ist, der die Leute davon abhalten soll hinter die Fassade zu sehen. Aber er ist trotzdem ein Teil von mir, den ich gerade in Situationen wie jetzt sehr zu schätzen weiß.

Sie lacht. Nicht gespielt, sondern ehrlich und herzlich. „Na ja, so lange es sich lohnt und man sich sicher ist, dass sie es Wert ist, ist doch alles okay, oder?“

Ihr neugieriger Blick trifft mich mit voller Wucht und mein Magen dreht einen Looping. Ich verliere mich kurz in diesem hellen Blau ihrer Augen und frage mich, warum sie ihre Haare wohl unter der Stoffmütze versteckt. „Ja, so lange sie es wirklich wert ist, gibt man auch mit Vergnügen das letzte Hemd“, stelle ich ein wenig verträumt klingend fest.

Die Unbekannte schürzt amüsiert die Lippen, sie hat scheinbar Spaß an unserem Geplänkel. „Was ja durchaus im Sinne der Frau sein kann“, stichelt sie und zieht neckisch die Augenbraue hoch.

Nun ist es an mir herzlich zu lachen. Ja, diese kleine Frau hier, denn sie ist einen ganzen Kopf kleiner als ich, hat etwas an sich, was mir durchaus gefällt. Ziemlich gut gefällt sogar. Sie ist eher zierlich, ich schätze so Mitte Zwanzig und scheinbar ein sehr offener und fröhlicher Mensch – genau so, wie ich es mag.

„Und wo kann ich meine Lady dann bewundern?“ Ich deute auf ihre Kamera die an dem breiten Lederband hängt.

„Das weiß ich noch nicht. Ich habe im Moment keinen speziellen Auftrag oder so“, antwortet sie mir und legt den Kopf ein wenig schief und mustert mich interessiert.

„Also bist du wirklich Fotografin?“, hake ich nach und versuche das Gefühl zu verdrängen, welches ihr Blick in mir auslöst.

Sie nickt und lächelt. „Ja. Freie Fotografin. Ich suche mir aus, mit wem ich arbeite und für was. Eigentlich bin ich immer auf Achse und mache Bilder. Man weiß nie, was man gebrauchen kann. Manchmal brauchen Kunden kurzfristig ein Exposé und dann ist es gut, immer eine große Auswahl zu haben. Ich verkaufe auch Bilder, an Marketing-Firmen oder privat Personen.“

„Das klingt spannend. Aber ist finanziell etwas unsicher, oder?“ Ich verkneife mir, ihr zu sagen, dass wir offenbar noch mehr Gemeinsamkeiten haben, außer der Begeisterung für meine Lady.

Meine Arbeit bei der Carter Corp. ist ihrer, vom Fotografieren selber abgesehen, womöglich sehr ähnlich. So als Grafikdesigner mache ich am Ende wahrscheinlich nicht viel anderes.

„Ja, schon. Aber, wenn man etwas liebt, nimmt man eben auch gelegentliche Armut in Kauf. Und es gibt schlimmeres, wie einen ganzen Monat Makkaroni und Käse zu essen.“

Ihre sanfte, warme Stimme lullt mich ein bisschen ein und ich höre nur mit dem halben Ohr zu. In meinem Kopf rattert es unablässig.  Ich würde sie zu gern nach ihrer Handynummer fragen, wenn ich ehrlich bin. Normalerweise frage ich nicht, eigentlich nie. Wenn ich merke, dass mein Gegenüber interessiert ist, ignoriere ich das meist aus gewissen Gründen. Das führt dann allerdings dazu, dass ich meistens die Nummern einfach zugesteckt bekomme.

Doch hier ist die Lage anders; ich hätte ihre Nummer gern, weiß aber nicht wie ich das am besten anstelle. Irgendetwas lässt mich vermuten, dass sie mir die direkte Frage übelnehmen könnte; oder ich rede mir das ein, weil ich mich nicht traue … Plötzlich kommt mir eine Idee. „Wie erfahre ich denn nun, wenn meine hübsche Lady irgendwo auf einer Titelseite auftaucht?“, frage ich neugierig nach.

Die Frau sieht mich an und scheint zu überlegen. Ein wohlwollendes Lächeln bildet sich auf ihren Lippen, dass mir einen kleinen Schauer den Rücken hinunter jagt. Sie greift in eine der Seitentaschen ihrer Hose und holt ihr Smartphone heraus. Aus der Hülle zieht sie eine Visitenkarte und reicht sie mir. „Schreib mir einfach, dann hinterlege ich dich als Kontakt bei den Bildern und sag dir Bescheid, wenn es soweit ist.“

Ich bewundere kurz die Karte. Sie ist schlicht, aber hochwertig. Mein Blick fällt auf ihren Namen. Mia. Mir fällt direkt ein, dass ich mich gar nicht vorgestellt habe. Ich sehe sie an, lächle etwas peinlich berührt und strecke ihr die Hand entgegen.

Die Fotografin lacht, weil sie scheinbar weiß, was mir gerade bewusstgeworden ist. Sie reicht mir die Hand.

„Ich bin übrigens Matt“, stelle ich mich verspätet vor und grinse wie ein Idiot.

„Freut mich Matt, ich bin Mia“, lacht sie amüsiert.

Himmel ich kann einfach nicht von ihren Augen lassen. Sie glitzern wie das Meer im Sonnenschein. Es gehört verboten, jemanden mit diesem Blick anzusehen, da fällt selbst dem prüdesten Klosterbruder das Denken schwer. Aber ich muss denken. Was hatte sie vorhin gesagt? „Also, ich schreibe dir und du hinterlegst mich?“

„Ja, aber schreib dazu, dass es um die hübsche Lady geht. Nicht das ich mich wundere, wer mir da textet.“

Ihre Augen lassen von mir ab und sehen zu meinem Bike. Auch wenn mir dieses hübsche Blau sofort fehlt, bin ich froh. Mein Gehirn setzt sich endlich wieder in Bewegung. „Und wenn ich dir einfach so schreiben möchte?“, taste ich mich vorsichtig heran. Ich kann mir echt nicht erklären warum mir das hier gerade so schwerfällt und wovor ich Angst habe.

„Kannst du gerne machen. Aber nicht morgens um 2 Uhr oder so.“ Mia sieht mich wieder an und wirkt ernst, bemüht ernst.

Ich sehe das kurze Zucken an ihrem Mundwinkel, dass den Scherz hinter ihrer Aussage verrät.

„Hmm … um 3 Uhr wäre aber okay?“, steige ich direkt mit ein und feixe amüsiert.

„Ja, um drei ist okay“, lacht sie und reibt sich etwas verlegen über die Schläfe.

Ich gebe mir einen Ruck, wo es einmal so gut läuft. „Ein Kaffee vielleicht?“, frage ich betont lässig und deute auf das Diner hinter uns.

Sie mustert schweigend das Gebäude einen Moment und scheint zu überlegen.

Kein gutes Zeichen. Ich erahne die Antwort bereits und merke, wie mir das Herz etwas schwer wird. Gerade als ich ansetzen will, die Situation irgendwie noch zu retten, passiert etwas Unerwartetes: Mia kommt mir zuvor.

„Heute ist schlecht, ich habe noch zu viel auf meiner To-Do-Liste.“ Sie grinst und zwinkert mir zu. „Aber falls du magst; ich hätte ich morgen Zeit.“

Ihre hübschen blauen Augen und ihr hübsches zartes Gesicht lassen mich beinahe alles vergessen, was ich mir eben noch in meinem Kopf zurechtgelegt habe. Statt einfach nein zu sagen bietet sie mir tatsächlich eine Option an, dich ich schnell nutzen sollte! „Cool. In Sheepsheads Bay gibt es ein Restaurant, dass ziemlich abgefahrenen Fisch servieren soll.“

„Das klingt doch vielversprechend … oder todesmutig“, lacht sie amüsiert und legt den Kopf schief. „Und? Wann und wo treffen wir uns?“

Ich könnte mir ein Auto von einem Kumpel leihen, allerdings fürchte ich, dass es Fragen aufwerfen könnte. Sie scheint Motorräder zu mögen, also vermute ich, dass sie kein Problem damit hätte, wenn ich sie mit dem Bike abholen würde … Allerdings hätte ich ein riesen Problem damit. Und das möchte ich nicht erklären … also … Eine Alternative muss her! „Der Parkplatz, 15te Straße, in der Nähe der Schule? 16 Uhr?“ Inständig hoffe ich, dass sie es mir nicht übelnimmt, dass ich sie nicht abhole.

„Geht klar.“ Mia sieht mich an und strahlt über das ganze Gesicht. „Ich freu mich. Ich muss jetzt aber.“ Sie deutet lose in die Luft.

„Na dann, gute Jagd noch“, scherze ich und deute auf ihre Kamera. „Bis morgen.“

„Bis morgen.“ Mia sieht mich warm an und schmunzelt. „Und gute Fahrt weiterhin.“

Ich sehe ihr nach, während sie davonläuft. Sie geht quer über den Parkplatz und ich glotze ihr ungeniert auf den Hintern, der knackig und ansehnlich ist. Die Kleine ist echt eine Hausnummer, so jemanden bin ich noch nicht begegnet. Ich freu mich extrem auf morgen. Ein angenehmes Kribbeln macht sich in meinem Magen bemerkbar und ich fühle eine deutliche Vorfreude.

Mias Ziel ist goldgelber BMW in den sie einsteigt und davonfährt.

Ich grinse blöd vor mich hin. Genau so, verläuft ein perfekter Samstag!

Gerade, als ich das Bein über die Maschine schwingen will, vibriert mein Smartphone. Ich krame es aus meiner Jackentasche und mir rutscht das Herz in die Hose.

Hektisch gehe ich ran. „Daryl? Alles in Ordnung?“

„Was soll dieser besorgte Ton, Brüderchen? Machst du dir etwa Sorgen um mich?“, witzelt es ironisch am anderen Ende der Leitung.

„Ha, ha“, antworte ich sarkastisch. „Wenn du mich anrufst, hat das meist wenig erfreuliche Gründe.“ Traurig aber wahr, wir telefonieren meistens nur, wenn die Kacke sprichwörtlich bereits am Dampfen ist.

Ein Seufzen ertönt – ein wenig genervt, ein wenig schuldbewusst. „Was machst du heute?“

Zutiefst verwirrt runzle ich die Stirn. Das Verhältnis zwischen mir und meinem Zwillingsbruder ist oft angespannt. Wir hassen uns nicht, ganz im Gegenteil, aber trotzdem ruft er mich nie an, um mich zu fragen, was ich mache. „Was ist los? Und speis mich nicht mit ,nichts‘ ab.“

„Du nun wieder“, brummt es genervt. „Vielleicht habe ich mir vorgenommen in Zukunft etwas interessierter an meiner verbliebenen Familie zu sein.“

Okay, irgendwas stimmt definitiv nicht. „Daryl …?“, frage ich sanft und hoffe, dass es Wirkung zeigt.

„Ich …“ Es folgt Stille. „Ich … keine Ahnung. Ich könnte etwas Gesellschaft gebrauchen, denke ich“, erklärt sich mein Bruder leise und betreten.

„Gib mir eine halbe Stunde“, antworte ich sofort.

Wir legen auf, ohne uns zu verabschieden.

Daryl klang niedergeschlagen. Und, dass nicht wie … sonst. Sonst ist er real niedergeschlagen, weil er sich wieder in irgendwas reinziehen lassen, oder sich mit den Falschen angelegt hat und ihm ordentlich die Fresse poliert wurde.

Das jetzt klang aber … emotional? Das letzte Mal habe ich ihn so erlebt als …

Hastig schüttle ich den Kopf um die Gedanken zu verdrängen.

Ich packe mein Smartphone weg und steig auf mein Motorrad. Langsam fahre ich vom Parkplatz um dann mit Tempo die Straße hinunter zu brettern.

Ich liebe dieses Gefühl. Die Straße, die Maschine und ich. Freiheit und Adrenalin – die perfekte Mischung. Doch ich kann es gerade nicht richtig genießen.

Ich mache mir Sorgen.

Um Daryl.

Mal wieder.

Zweifel und Bedenken


 

Matt

 
 

Nur ein einziges Mal einer großen Versuchung nachzugeben heißt nicht,

sie dadurch zu besiegen, sondern sie um ein Vielfaches zu vermehren.

Gabi Künzel

 

 

Ich war pünktlich am Treffpunkt – ohne meine Maschine. Im letzten Moment hatte ich mich dagegen entschieden, um nicht in die Verlegenheit zu kommen meinem Date sagen zu müssen, dass ich sie nicht nach Hause fahren kann.

Kaum war ich dort bog ein Taxi um die Ecke und Mia stieg aus. Was für ein Anblick! Ich glaube ich habe wirklich große Augen gemacht.

Und da war sie nicht einmal extrem herausgeputzt; nur ein wenig hübsch gemacht: ein perfekt sitzende Jeans, ein enganliegendes Top mit einem rockigen Print und ihre langen hellbraunen Haare waren zu einem lockeren Franzosenzopf auf der Seite geflochten.

Ihr dezentes Make-Up und das schelmische Lächeln haben mir ungewollt Herzklopfen beschert. Ich war hin und weg … und das machte mir ein wenig Sorgen.

Schnell drängte ich das beiseite und begrüßte sie herzlich, freute mich offen und ehrlich, dass sie gekommen war. Wir schlendert los; die Emmons Aveanue entlang.

Das Wetter hätte besser sein können. Es war zwar angenehm warm, aber der Himmel versteckte sich unter schweren grauen Wolken. Rechts von uns flüsterte das Wasser und lag eher dunkel in der Bucht. Die Pedestrian Bridge spannt sich, von uns ungenutzt, zu unserer rechten über das kalte Nass.

Wir liefen immer weiter. Wir hatten uns lose unterhalten; über das eher trübe Wetter, darüber, dass Mia es fast ein wenig bereute nicht ihre Kamera mitgenommen zu haben und darüber, was ich eigentlich so mache.

Die Boote lagen unruhig und wogen sich in den Wellen, als wir am Restaurant ankamen.

Mias Seitenblick hatte mich amüsiert. Ich habe gescherzt, ob sie gedacht habe, ich würde sie zu einem Imbiss ausführen. Sie hatte gelacht, herzlich und ein wenig entschuldigend.

Wir haben im Liman Restaurant gegessen und uns ein wenig Wein gegönnt, danach sind wir weiter. Immer weiter die Wasserlinie entlang, an den Yacht Clubs vorbei, bis hinunter zum Plumb Beach.

Auf Grund des Wetters war der gesamt Weg über den Strand … wie für uns gemacht. Ein älteres Ehepaar mit einem kleinen Hund war unsere einzige Begegnung, ansonsten waren wir ganz für uns.

Es war … berauschend. Mias offene und herzliche Art, gepaart mit ihrem Witz und dieser Weichheit die sie ausstrahlt, hatte mich umgarnt und … unvorsichtig werden lassen.

Dieses warme Gefühl und dieses kräftige Herzklopfen hätten mich warnen sollen, mir sagen sollen, dass ich mich zu weit aus meiner Deckung begab und ich Gefahr lief eine große Dummheit zu begehen. Aber ich konnte nicht hören; wollte ich irgendwie auch nicht. Es fühlte sich viel zu gut an …

Wir hatten uns ein windstilles Eckchen gesucht, abseits des Strands, aber immer noch mit Blick auf das Meer. Die grauen Wolken und das ebenso graue Wasser konnten nicht verhindern, dass ich mich wohl fühlte mit ihr. Sie saß neben mir, leicht an mich gelehnt und sah in die Ferne.

Und ich, ich sah sie an. Ich konnte einfach nicht anders, als ihre weichen Gesichtszüge wieder und wieder mit meinen Augen abzufahren. Und ihre Lippen zu betrachten und mich zu fragen wie sie wohl schmeckten, sich anfühlten.

Keine gute Idee, schrie mein Verstand.

Was ist schon dabei, meinte meine Lust.

Es war lange her, dass ich mich bei einer Frau so gefühlt hatte … und ich war mir nicht sicher, ob ich schon so weit war. Ich wünschte mir ehrlich nichts sehnlicher, als Mia zu küssen, sie zu schmecken und zu berühren … aber … ich hatte unfassbare Angst davor, was danach passieren würde.

Also nicht direkt danach, sondern morgen, oder übermorgen. Konnte ich das? Wollte ich das? Was wollte sie? Machte ich mir zu viele Gedanken?

Mia leckte sich unbewusst über ihre Lippen und ich konnte nicht mehr. Alle Frage und aller Widerstand waren plötzlich vom Winde verweht.

Ich beugte mein Gesicht zu ihr und flüsterte ihr ihren Namen ins Ohr. Als sie sich zu mir drehte gab ich ihr keine Chance zu reagieren und legte meine Lippen auf ihre.

Nicht zart, nicht vorsichtig; auch wenn ich das eigentlich gewollt hatte um ihr die Möglichkeit eines Rückziehers einzuräumen. Aber ich konnte nicht. Meine Mund eroberte ihren; leidenschaftlich und kräftig. Ich brauchte das so dringend.

Sie erwiderte den Kuss, mit der gleichen Intensität und alles war dahin. Selbstbeherrschung, Ängste und Bedenken – alles weg.

Ihre Hand vergrub sich in meinen Haaren und meine huschte unter dem Stoff ihres Tops. Ich fuhr ihre Wirbelsäule hoch, wodurch sie sich fest gegen mich drückte.

Unser Kuss wurde immer hitziger.

Mia keuchte, als meine andere Hand über ihren Busen strich.

Ich brummte erregt, als ihre Hände über meinen Bauch nach oben wanderten.

Meine Jacke hatte ich bereits vorhin ausgezogen und sie als Deckenersatz in den Sand gelegt. Ihre kleinen Hände glitten immer höher und schoben mein Shirt dadurch hoch.

 Ich ließ sie es mir ausziehen und revangierte mich direkt, in dem ich sie ihres Tops entledigte. Wie Mia so auf meinem Schoß saß, mit nichts mehr außer ihrem BH obenherum, überkamen mich dann doch plötzlich wieder Zweifel. Das ging alles zu schnell, oder?

Sie schien es zu spüren. Liebevoll nahm sie mein Gesicht in ihre Hände und ihre glitzernden Augen tauchten in meine eine; schienen tief in mich hinein zu sehen. Sie gab mir einen Kuss, sanft und vorsichtig, als hätte sie Sorge mich zu verschrecken.

Diese Geste berührte mich sehr. Und holte mich aus meinen dunklen Gedanken die sich für den Moment hochgedrückt hatten.

Ich wollte sie, sehr sogar; aber nicht hier, nicht so. Es musste nicht perfekt sein, aber ich wollte sie nicht hier erobern. Ich wollte sie für mich, für mich allein.

Ich legte meine Arme um ihren Rücken und drückte sie an mich. Der folgende Kuss war lang, intensiv und unfassbar erotisch. Ich hatte das Gefühl jeden Moment doch meiner Lust zuerliegen, hier und jetzt. Ich löste mich und flüsterte ihr rau ins Ohr: „Lass uns zu mir gehen.“

Mia gab mir einen Kuss auf meine nackte Schulter und nickt.

Wir zogen uns an und kehrten dem Strand den Rücken.

Jetzt, eine Taxifahrt später, sind wir bei mir.

Auf meinem Bett.

Nackt.

Sie stöhnt rau und zitternd unter meinen Händen, während ich jeden Zentimeter ihres Körpers erkunde, fühle und schmecke. Ich fahre mit den Fingerspitzen über ihren Oberschenkel, küsse und liebkose ihren Busen mit meinem Mund und schmiege meinen Körper so eng wie möglich an ihren.

Sie ist weich, zart und trotzdem spürt man eine gewisse Kraft die in dieser zierlich wirkenden Frau steckt. Ihre Muskeln sind definiert, sie treibt auf jeden Fall Sport. Meine Zunge arbeitet sich weiter hinab, spielt mit ihrem Bauchnabel, während meine Finger zum ersten Mal ihre Weiblichkeit berühren.

Mia zuckt und vergräbt ihre Hand im Laken. Sie stöhnt, als mein Mund ebenfalls sein Ziel erreicht.

Meine Zunge fährt jeden Winkle ab, meine Lippen necken die ihren und ich sauge immer wieder spielerisch an ihrem Zentrum. Ich halte ihre Hüft fest und presse sie regelrecht in die Matratze damit sie mir nicht entwischt. Die Kleine hat wirklich Kraft, aber gegen einen Boxer wie mich kommt sie nicht an.

Ihr Griff in das Laken wird immer fester, ihr Stöhnen ist eher noch ein Keuchen und ihre Muskeln sind angespannt. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich schnell, ihre Haut schimmert durch den Schweiß und verleiht ihr einen wunderschönen Glanz.

Der Anblick der sich mir zwischen ihren Schenkeln hindurch bietet ist atemberaubend. Und unfassbar erregend. Zwischen meinen eigenen Beinen zieht es schon mächtig, aber ich will einfach nicht von ihr lassen.

Leidenschaftlich labe ich mich immer weiter an ihr, wie ein ausgehungertes Tier, dass fürchtet nie wieder so etwas Köstliches geboten zu bekommen. Ich habe das Gefühl selbst völlig die Beherrschung zu verlieren, als Mia sich ihrem Höhepunkt ergibt. Kraftvoll und rau stöhnt sie und ihr Körper spannt sich bis zum äußersten an.

Ich löse mich von ihr, nachdem ihre Muskeln wieder weicher werden. Mein Blick gleitet über sie und ich muss schmunzeln, als ich sie betrachte.

Mia hat die Augen geschlossen und ihr immer noch schneller Atem lässt ihren Busen verführerisch tanzen. Sie ist sichtlich bemüht, wieder Herrin ihrer Sinne zu werden.

Etwas, von dem ich im Moment noch nicht möchte, dass es passiert. Ja, ich bin zufrieden mit meinem Werk, doch wir sind noch nicht am Ende. Ich will sie viel lieber noch etwas mehr in den erotischen Wahnsinn treiben, und auch mich selbst.

Es fühlt sich so großartig an, sich einfach mal wieder diesem Spiel hinzugeben, noch dazu auch auf emotionaler Ebene. Ich mag sie, sehr so gar. Und das macht es um einiges intensiver, wenn auch gefährlicher für mich. Doch das ignoriere ich erst einmal.

Ich ziehe mir das Kondom über und bringe mich über ihr in Position. Während ich ihren Hals entlang knabbere, dringe ich langsam in sie ein. Mein Stöhnen gleicht mehr einem Grollen und ein Schauer, wie eine elektrostatische Entladung, jagt meinen Rücken hinunter. Das ist einfach nur großartig und entfacht ein kleines Feuerwerk der Sinne.

Ihr Körper ist noch etwas entkräftet, das merke ich. Aber ihr Verhalten macht mir deutlich, dass mein Handeln völlig okay für sie ist.

Mia saugt sinnlich an meiner Oberlippe und brummt angetan, ermutigt mich weiter zu machen. Unser Kuss vertieft sich wieder.

Ich fahre mit dem Arm unter ihr Becken und hebe es an; drücke sie gegen meinen Unterbauch und erhöhe die Kraft meiner Stöße.  Als würde ich ihre Lebensgeister damit erwecken, spüre ich wie wieder mehr und mehr Spannung in den zierlichen Körper unter mir kommt.

Mia bewegt sich mir entgegen, schlingt ihre Beine um meine Hüfte und krallt sich in meine Schultern.

Hitzewelle um Hitzewelle jagen durch meine Lenden, während ich mich völlig in dem Rausch verliere, den sie auslöst. Ihr Geruch, ihre Stimme und ihre Haut auf meiner … Das werde ich nicht mehr lange aushalten. Ich spüre die nahende Erlösung bereits …

Im letzten Moment stoppe ich und hole mir einen langen Kuss von ihr, während ich warte, dass sich der Druck wieder etwas legt. Ich will nicht, dass es schon endet.  Doch ich habe die Rechnung ohne Mia gemacht.

Sie nimmt Schwung rollt uns herum. Sie ist auf mir und grinst siegessicher.

Ich setzte mich schnell auf bevor sie es verhindern kann und küsse über ihre Schulter, ihren Nacken und knete genussvoll ihren knackigen Hintern.

Sie schnurrt und legt den Kopf auf die Seite, um mir mehr Platz zu lassen. Ihre Hände umgreifen meine Schultern und ihre Becken setzt sich in Bewegung; mit einer sinnlich kreisenden Bewegung, die mich überrumpelt und dazu bringt den Kopf in den Nacken zu legen um laut zu Stöhnen.

Mia küsst meinen Hals, saugt an meinem Ohrläppchen und flüstert: „So einfach kommst du mir nicht davon.“

Sie setzt zum Gegenangriff an. Diese kleine Frau weiß was sie da tut. Jeder Schub ihrer Hüfte lässt mich tief in sie vordringe. Die kreisende Bewegung erzeugt wandernden Druck und eine Armee Ameisen breitet sich explosionsartig in mir aus.

Meine Hände krampfen um ihren Po. Ich könnte, wenn ich wöllte; aber ich will nicht. Nein, ich will sie nicht aufhalten; ich will sie genießen. Jeder Schub, jeder Kuss – alles in betonter Sinnlich- und Langsamkeit, um mich voran zu bringen, ohne mich kommen zu lassen.

Ich knurre, keuche und beiße die Zähne zusammen. Ich schmelze unter ihren Bewegungen und Liebkosung dahin. Ein unsäglicher Druck baut sich in mir auf. Ich will dem nachgeben, gleichzeitig nicht, weil ich sie gern noch etwas länger hätte. Diese süße Qual kurz zuvor, dieses heiße Kribbeln …

Doch ihre Bewegungen und ihr Rhythmus sind einfach zu gut und ich kann bald nicht mehr. Meine Stimme ist tief und rau und ich erkenne sie selber kaum wieder, als ich sie bitte, erbarmen walten zu lassen. Nein, ich bitte nicht, ich flehe regelrecht.

Mit wenigen gezielten, druckvollen Schübe erlöst sich mich, und begleitet mit kurzen geschmeidigen Bewegungen meinen Höhepunkt, den ich animalisch kundtue.

Ich vergrabe mein Gesicht in ihrem Haar während ihr Kopf an meiner Schulter ruht. Eng umschlungen genießen wir das sanfte Nachbeben, als mir plötzlich etwas in den Sinn kommt und ich spüre, wie mich doch wieder Zweifel und Bedenken überkommen. Wie wird es nun weitergehen? Wird sie morgen früh noch hier sein?

Gerade die letzte Frage brennt sich unter meiner Haut und ich würde sie gern stellen. Allerdings merke ich, wie Mias Körper sich allmählich entspannt und eine gewisse schwere bekommt. Ich lege sie hin und gebe ihr einen sanften Kuss, den sie noch erwidert, bevor sie einschlummert.

Während ich das Kondom entsorge, frage ich mich, was in mich gefahren ist. Das hier war wunderschön, heiß und sexy. Der Nachmittag war locker, lustig und angenehm. Ich spüre Herzklopfen und ein sanftes Kitzeln tief in meinem Bauch … Ich fühle mich gut, großartig sogar.

Doch der einzige Gedanke, der mich am Ende beschäftigt während ich diese hübsche Frau betrachte ist ein anderer …

Es ist zu früh!

Oder?

Miese Entscheidung


 

Daryl

 
 

Die Entscheidung ist nur der Anfang von etwas.

Unbekannt
 

Es ist Freitag. Die Sterne leuchten bereits am Nachthimmel. Ich sitze im Liegestuhl und starre in den Pool, als würde an seinem Grund die Antwort auf alle meine Fragen liegen.

Neben mir, ebenfalls in einem Liegestuhl, sitzt mein Bruder und starrt genauso in den Pool.

Würde ein Unbekannter vorbeikommen und uns so sehen, würde er wahrscheinlich an seiner geistigen Gesundheit zweifeln. Wir sehen genau gleich aus. Statur und Mimik, alles gleich. Unsere braunen Haare, unsere braunen Augen, unser goldener Hautton. Zwillinge, deren Wurzeln unübersehbar in Puerto Rico liegen. Einwandererkinder, durch und durch. Gleich und doch so verschieden.

Doch das alles spielt gerade keine Rolle.

Zwei Wochen ist es her. Zwei. Scheiß. Wochen. Und ich denke immer noch an sie. Trotz allem, was ich inzwischen weiß.

Ich hatte ja schon geahnt, dass sie mich wohl über diese Nacht hinaus beschäftigen würde, aber dass es so extrem wird, damit hatte ich nicht gerechnet. Wirklich nicht.

Mein Privatleben bestand eigentlich immer nur aus One-Night-Stands und ich war nicht unglücklich damit gewesen. Schon einige Male war ich vom anderen Geschlecht bitterbös enttäuscht worden und legte einfach keinen Wert auf eine weitere dieser Geschichten.

Außerdem hatte ich bei meinem Bruder mitansehen müssen, was Liebe im Katastrophenfall anrichtet kann. Was passiert, wenn einer geht und einer zurückbleibt … Nein, das am eigenen Leib zu erfahren, darauf lege ich keinen Wert.

Ich mache mir nichts vor, mein Leben ist gefährlich. Ich bewege mich kontinuierlich zwischen komplett Illegal und rechtlicher Grauzone. Die schlimmsten Zeiten liegen zwar hinter mir, aber deswegen bin ich noch lange nicht raus aus der Szene.

Bei Matt ist das anders. Er hat nach dem Unfall all dem den Rücken gekehrt und den Absprung geschafft … Beeindruckend, wenn ich ehrlich bin. Er glaubt aber auch immer an das Gute im Leben, und in den Menschen. Er hatte immer noch Hoffnung, wo ich schon lange nichts mehr erwartet habe, von wem auch immer. Auch in mich setze er noch Hoffnung, obwohl ich das anders sehen.

Ich, ich bin geblieben; aus verschiedenen Gründen. Inzwischen bin ich zwar raus aus der Gang, aber sie wird immer Teil meines Lebens bleiben. Und damit auch eine Gefahr. Für mich; was mich eher weniger stört. Für meinen Bruder; was ich mir nie verzeihen würde. Für jeden anderen; der in mein Leben tritt, oder treten sollte. Deswegen gibt es da niemanden … Deswegen wollte ich da niemanden …

Doch jetzt komme ich nicht umhin darüber nachzudenken wie es wäre wenn … Ob es vielleicht doch möglich wäre … Vielleicht mit jemanden dem das alles nicht unbekannt ist …

Und ich mache mir nichts vor: Mia ist der Grund dafür.

Ich hatte die Puppen immer, falls sie morgens noch da waren, in ein Taxi gesetzt und auf Nimmerwiedersehen. Ich wollte die Mädels immer auf dem schnellsten Wege wieder loswerden.

Dieser Morgen war anders. Ich öffnete die Augen und sie war noch da, und ich freute mich darüber. Allein schon dieser Umstand sorgte für eine vorübergehende Übelkeit bei mir.

Wir hatten irgendwann gefrühstückt, nachdem wir uns vorher noch anderen Dingen gewidmet hatten; sehr ausführlich gewidmet hatten.

Es war schön sie da zu haben. Ihre freche Art hatte mir wirklich den Tag verschönert. Von dieser natürlichen Sanftheit die von ihr ausging ganz zu schweigen. Gegen Mittag ist sie dann los und … das Haus hatte sich eigenartig leer danach angefühlt. Leer und auch … Kalt.

Wir hatten telefoniert und geschrieben. Meine Geschäfte hatten in der darauffolgenden Woche ein erneutes Treffen unmöglich gemacht. Dieser Umstand hat mich fürchterlich genervt, ließ sich aber auch nicht ändern.

Gleichzeitig hat es mich genervt, dass es mich genervt hat.

Mich haben zunehmend Gefühle geplagt, mit denen ich mich noch nie in dieser Form und Intensität konfrontiert gesehen hatte. Ich fühlte mich wie ein Ertrinkender, der nach Halt suchte aber keinen fand.

Am Ende der Woche sah ich mich nicht mehr dazu in der Lage, dass alles nur mit mir selbst auszumachen. Mir wurde klar, dass ich … Hilfe brauchte; oder zumindest jemanden, dem ich das alles erzählen konnte um mich danach, hoffentlich, leichter zu fühlen. Schließlich hatte ich am Samstag dann Matt angerufen. Ich … Ich brauchte eine zweite Meinung. Und wer kennt mich besser, als mein Bruder? Niemand, so viel steht fest.

Ich habe mich versucht zu drücken; was albern war, weil ich ihn ja extra herbestellt hatte und auch extra meinen eigentlichen Termin verschoben hatte. Trotzdem hatte ich mich schwer getan damit, ihm endlich zu sagen, was mich plagte.

Ich habe irgendwann angefangen ihm von Mia erzählen. Rein hypothetisch und ohne konkret zu werden. Ich habe von ihr gesprochen, ohne sie zu nennen. Einmal angefangen konnte ich gar nicht mehr aufhören. Ihre Art, ihr Charme, die blauen Augen … Ja, die kleine Raubkatze hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich habe erzählt … und erzählt … und irgendwann angefangen zu schwärmen, auch wenn ich nur ungern zugebe, dass ich das tatsächlich gemacht habe.

Es war schrecklich das alles so zu offenbaren. Ich hatte mich noch nie so nackt und verletzlich gefühlt wie in diesem Moment. Das ist auch der Grund, warum ich Matt als Gesprächspartner ausgesucht hatte. Wir kennen uns, unsere Geschichte. Ihm muss ich nicht erklären, warum ich mich so unwohl fühle, warum ich mich so schwer tue mit dem Ganzen. Er weiß es.

Dennoch hatte ich es zwischenzeitlich bereut mich ihm anzuvertrauen. Wie er dasaß und mich ansah. Furchtbar. Dieses Funkeln in seinen Augen und dieses dämliche Grinsen. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen, nur um zu verhindern, dass er es laut aussprach.

„Du bist verliebt“, hatte er begeistert frohlockt und in die Hände geklatscht wie ein kleines Kind, dass nicht wusste wohin mit seiner Freude.

Ich hatte meinen Bruder angefaucht, er solle seinen Müll für sich behalten, was ihm ein herzliches Lachen entlockt hatte.

Wir wussten beide, dass er recht hatte mit seiner Einschätzung. Doch es so gesagt zu bekommen, hatte sich wie ein Faustschlag in die Magengrube angefühlt. Und ich nur weiß zu gut, wie sich das anfühlt.

Ich bin nicht dämlich, mir war natürlich selber klar, dass es so war. Zumindest irgendwo ganz hinten in meinem Verstand. So weit hinten, dass ich es bis zu dem Moment ignorieren konnte.

Schweigen legte sich über uns. Ich wollte nicht weiter darauf eingehen und Matt spürte das. Also erzählt er mir, dass er am folgenden Tag eine Verabredung hatte.

Mir fiel sofort die Unsicherheit in seiner Stimme auf. Der Unfall und der damit einhergehende Verlust lag zwar schon ein paar Jahre zurück, aber verheilt waren die unsichtbaren Wunden noch lange nicht. Das wussten wir beide. Und genau deswegen wunderte mich, dass er sich darauf eingelassen hatte. Nein, sogar selber die Initiative ergriffen hatte.

„Warum?“, hatte ich ihn gerade heraus gefragt.

Matt wendete den Blick ab und druckste herum. „Sie ist anders …“, hatte er schließlich geflüstert.

Es tat weh ihn so zu sehen. Zu sehen, wie er sich selbst quälte. Gleichzeitig freute ich mich, dass er sich doch langsam wieder aus seinem Kokon wagte.

Ich sprach ihm Mut zu. Es würde wahrscheinlich gegen die Wand laufen und der Kleinen womöglich das Herz brechen, aber das war mir zu dem Zeitpunkt egal. Mein Augenmerk lag auf meinem Bruder, und ihm würde es nicht schaden, mal etwas Dampf abzulassen.

Hätte ich geahnt was folgt, hätte ich … ihm davon abgeraten. Der Gedanke tut weh, und ich verabscheue mich dafür. Aber so ist es nun einmal. Ich hätte gesagt, dass es zu früh ist und er das Date absagen soll.

Das Date.

Mit Mia.

Ich spüre das Brennen tief in meinem Magen. Eine Mischung aus Wut, Eifersucht und Enttäuschung. Nichts davon ist berechtigt. Mia hat mir nichts versprochen. Wir haben uns nicht mehr gesehen und nur losen Kontakt gehabt. Dass sie mit einem anderen ausgegangen war, war ihr gutes Recht …

Trotzdem grämt es mich und es zerrt unweigerlich an einigen alten Narben die ich mir in den Jahren zugelegt habe. Doch das Schlimmste war, dass es ausgerechnet mein Bruder gewesen war. So sehr wir uns liebten, so sehr waren wir auch schon immer Konkurrenten gewesen.

Verdammt, hatte sie die frappierende Ähnlichkeit nicht bemerkt? Oder war es am Ende der Grund? Ich würde sie es gern fragen, aber ich bekomme bereits seit Sonntag keine Nachrichten mehr von ihr. Wenn ich sie versuche anzurufen, geht sie nicht ran.

Das einzig beruhigende ist, dass es Matt nicht anders geht. Sie hatten wohl am Dienstag nochmal telefoniert, danach war Funkstille.

Das kleine Biest hüllt sich in Schweigen und scheint zu versuchen von der Bildfläche zu verschwinden. Ob ihr bewusstgeworden war, dass sie offenbar mit Zwillingsbrüder ausgegangen war? Schämte sie sich deswegen? Oder nutze sie es als Vorwand, um uns beide abzuservieren?

Matt neben mir seufzt schwer.

Ich bin hin und her gerissen. Ich weiß, dass wir wegen derselben Frau hier sitzen; er nicht. Soll ich es ihm sagen? Ihm sagen, dass die kleine Raubkatze und seine Fotografin ein und dieselbe Frau sind?

Er war am Mittwoch zu mir gekommen. Verwirrt und unruhig. Er hat mir alles erzählt, alles. Und nichts davon wollte ich wissen, nachdem ich eins und eins zusammengezählt hatte. Ich hatte nicht lange gebraucht um zu begreifen, dass seine Mia und meine identisch sind. Mein Bruder hatte offen von ihr gesprochen, im Gegensatz zu mir die Tage zuvor.

Eine kurze Recherche im Internet zu Matts Fotografin und ich hatte die Gewissheit, die ich lieber nicht wollte.

Ich würde ihn gern schützen und aufbauen. Gleichzeitig kann ich nicht, weil … weil ich sie für mich möchte. Schon verrückt, aber an meine Gefühle ihr gegenüber haben sich durch das Ganze nicht wirklich verändert. Ich will sie in meinem Leben, nicht in dem von meinem Bruder. Aber ich will meinem Bruder nicht weh tun, ihn aber auch nicht anlügen.

Außerdem stellt sich mir noch eine andere Frage: Wieviel hat Mia mit der Szene zu tun? Sie war bei dem Streetrace. Das ist keine Veranstaltung über die man mal eben so stolpert. Noch dazu, hatte ich nicht den Eindruck, dass sie das erste Mal bei so einem Event dabei war. Und es hat sich auch niemand an ihr gestört, so als wäre sie bereits bekannt und würde dazugehören.

Mein Bruder hat mit all dem nichts mehr zu tun, und ich möchte, dass das so bleibt. Die kleine Raubkatze könnte womöglich also für noch viel größeren Ärger sorgen …

Dennoch bin ich eine Erklärung schuldig. Ich kann ihn nicht weiter im Unklaren lassen. Ich habe eine Entscheidung getroffen, eine, die ich sicherlich bereuen werde. Eine miese Entscheidung; für uns beide.

„Matt … Ich muss dir etwas sagen.“ Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er sich zu mir dreht. Mein Blick klebt weiter auf der glitzernden Wasseroberfläche. „Die kleine Raubkatze … sie…. ihr Name ist Mia. Sie ist Fotografin. Sie fährt einen goldgelben BMW Z3.“

Eine unerträgliche Stille legt sich über uns. Ich muss das nicht weiter ausführen. Er ist nicht dumm und weiß, was ich ihm da gerade offenbart habe und versucht es einzuordnen.

Er steht ruckartig auf und fährt sich durch die Haare. „Seit … seit wann …“, stammelt er.

Ich höre die Wut heraus, mag sie auch noch so unterschwellig sein. Wir kennen uns zu gut, zu genau. „Seit Mittwoch“, antworte ich kurz angebunden. Ich bemühe mich stoisch und desinteressiert zu wirken, obwohl ich weder das eine noch das andere bin.

„Heute ist Samstag“, knurrt er außer sich. Sein wütender Blick bohrt sich in mich hinein. Er kommt auf mich zu, die Fäuste geballt.

Plötzlich dröhnt Motorenlärm die Allee hinauf. Er ist rau und kräftig; und trotzdem irgendwie seidenweich.

„Erwartest du Besuch?“, fragt mich Matt misstrauisch.

„Nein.“ Ich stehe schnell auf und versuche auszumachen, wer sich da gerade ohne Vorankündigung auf mein Grundstück begibt. Es gibt da so einige Möglichkeiten …

„Das gibt es doch nicht …“, haucht mein Bruder ungläubig.

Ein goldgelber BMW taucht plötzlich auf. Was zum Teufel …?!

Merkwürdiger Verdacht


 

Matt

 
 

Wer einen Verdacht hat, denkt oft nicht falsch.

Erhard Horst Bellermann
 

Es ist Freitag. Die Sterne leuchten bereits am Nachthimmel. Ich sitze im Liegestuhl und starre in den Pool, als würde ich etwas in diesem glitzernden Wasser suchen, oder hoffen zu finden.

Neben mir, ebenfalls in einem Liegestuhl, sitzt mein Bruder und starrt genauso in den Pool.

Würde ein Unbekannter vorbeikommen und uns so sehen, würde er wahrscheinlich an seiner geistigen Gesundheit zweifeln. Wir sehen genau gleich aus. Statur und Mimik, alles gleich. Unsere braunen Haare, unsere braunen Augen, unser goldener Hautton. Zwillinge, deren Wurzeln unübersehbar in Puerto Rico liegen. Einwandererkinder, durch und durch. Gleich und doch so verschieden

Doch das alles spielt gerade keine Rolle.

Vier Tage ist es her. Nur vier Tage. Und ich denke ständig an sie. Ich hatte ja schon befürchtet, dass sie mich wohl über dieses Date und die Nacht hinaus beschäftigen würde, aber, dass es so extrem wird, damit hatte ich nicht gerechnet.

Mein Privatleben besteht eigentlich nur aus meinem Bike, meinem Bruder, Colin und dessen Band der ich hinter der Bühne aushelfen, meiner Trainingshalle und den Kids, und einigen unverfänglichen Flirts. Mehr lief nicht. Mehr habe ich mich nicht getraut. Das weiß natürlich niemand und ich gebe mir alle Mühe es zu überspielen. Gut, niemand stimmt auch nicht; Colin und Daryl wissen es, aber sonst niemand.

Und ich war nicht extrem unglücklich damit. Es war okay, so wie es war. Außerdem hatte ich am eigenen Leib erfahren, was Liebe im Katastrophenfall mit einem macht. Was passiert, wenn einer geht und einer zurückbleibt. Ich mache mir nichts vor, ich bin dahingehend ziemlich … deformiert und kaputt. Ich habe nach dem Unfall all dem den Rücken gedreht und den Absprung geschafft. Ich habe immer auf etwas Besseres gehofft, und wurde belohnt.

Dank Colin. Dank Daryl.

Daryl.

Er ist geblieben. Inzwischen ist er zwar raus aus der Gang, aber sie wird immer Teil seines Lebens bleiben. Und damit auch eine Gefahr. Für ihn, was mich wahnsinnig macht. Ich habe schon so viel verloren, ich würde es nicht ertragen auch noch ihn …

Er ist kein schlechter Kerl. Er hat sein Leben auf die Szene ausgerichtet, und auch sein Auftreten und Benehmen. Aber das ist nicht er. Ein Teil von ihm, aber nicht alles. So wie ich der witzereißende Idiot in der Öffentlichkeit bin, ist er der sarkastische Arsch. Wir spielen beide unsere Rollen gegenüber dem Großteil unseres Umfelds. Nur wir beide wissen die Wahrheit, und kennen die Gründe dafür. Und die wahren Ortegas hinter diesen Fassaden.

Ich würde mir für ihn einfach etwas Besseres wünschen wie dieses Szeneleben in Saus und Braus. Diese oft so oberflächliche Welt, die dich frisst und ausspuckt, wenn du nicht stark genug bist, oder schnell genug, oder bekannt genug, oder, oder, oder.

Scheinbar, wurde ich erhört. Völlig unerwartet.

Als er mich am Samstag angerufen hatte, hatte ich im ersten Moment die schlimmsten Befürchtungen. Zu oft geriet er in die schlimmsten Szenarien. Doch es kam alles anders.

Er brauchte jemanden zum Reden. Zum Reden! Oder besser; er brauchte jemanden der ihm zuhört. Ich war total baff deswegen.

Wir haben schon viel miteinander erlebt und durchgemacht, aber das mein Bruder reden wollte, war so noch nie passiert. Vor allem nicht, wenn es um seine Gefühle ging.

Obwohl er mich extra zu sich gebeten hatte, hatte er sich schwergetan damit endlich mit der Sprache herauszurücken. Er hatte rumgedruckst und gestammelt. Das habe ich noch nie erlebt. Ich musste mich zusammennehmen, nicht los zu lachen, weil er sich so affig hatte.

Er hatte mir, rein hypothetisch und ohne konkret zu werden, von einer Frau erzählt. Einmal angefangen, konnte er gar nicht mehr aufhören. Die kleine Raubkatze, wie er sie irgendwann nannte, hat einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen, dass merkte ich sofort. Die Art wie er von ihr sprach unterschied sich komplett davon, wie er sonst so über Frauen redete.

Er hatte erzählt … und erzählt … und irgendwann angefangen zu schwärmen. Es war großartig ihn so zu erleben. Ich hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben, dass ich ihn mal so sehen würde. Bisher hatte er nicht unbedingt ein gutes Händchen bei seiner Partnerinnenwahl gehabt. Er wurde so oft beschissen, dass er sich nur noch „auf das Wesentliche“ konzentriert, wie er mir einmal sagte. Das Wesentliche heißt Sex – und mehr nicht.

Doch nun, rein hypothetisch, konnte ich das Funkeln in seinen Augen sehen, dass deutlich machte, dass ihm die Kleine unter die Haut gekrochen war. Ich hatte zwar keine Ahnung warum und wie sie das geschafft hatte, aber es war mir für den Augenblick auch herzlich egal.

Ich wusste, dass es schrecklich für ihn war, dass alles so zu offenbaren. Das war auch der Grund, warum er mich als Gesprächspartner ausgesucht hatte. Wir kennen uns, unsere Geschichte. Mir muss er nicht erklären, warum er sich so unwohl fühlt, warum er sich so schwer tut mit dem Ganzen. Ich weiß es.

Dennoch konnte ich es nicht verhindern: das Funkeln in meinen Augen und ein breites Grinsen auf meinen Lippen. „Du bist verliebt“, hatte ich begeistert frohlockt und in die Hände geklatscht wie ein kleines Kind, dass nicht wusste wohin mit seiner Freude.

Daryl hatte mich angefaucht, ich solle meinen Müll für mich behalten, was mir ein herzliches Lachen entlockt hatte.

Wir wussten beide, dass ich recht hatte mit meiner Einschätzung. Doch es so gesagt zu bekommen, hatte sich für ihn wie ein Faustschlag in die Magengrube angefühlt, das habe ich ihm angesehen.

Schweigen legte sich über uns. Er wollte nicht weiter darauf eingehen und ich spürte das. Also beschloss ich von mir zu erzählen. Ich erzählte ihm, dass ich am folgenden Tag eine Verabredung hatte.

„Warum?“, hatte er mich gerade heraus gefragt.

Ihm fiel natürlich sofort die Unsicherheit in meiner Stimme auf. Der Unfall und der damit einhergehende Verlust lag zwar schon ein paar Jahre zurück, aber verheilt waren die unsichtbaren Wunden noch lange nicht. Das wussten wir beide. Warum also hatte ich Mia zu einem Date eingeladen? Eine Frage, die ich mir bereits auf dem Weg zu Daryl mehrfach gestellt hatte. Der Grund war am Ende irgendwie … banal?

Ich hatte weggesehen und druckste herum. „Sie ist anders …“, hatte ich schließlich geflüstert und gehofft, dass er nicht weiter nachfragte.

Meine Emotionen schwankten zwischen Angst und Vorfreude. Auch wenn ich mir nicht ganz sicher war mit dem Date, so war es doch generell ein gutes Zeichen, dass ich mich wieder heraus traute. Also so richtig und nicht so flapsig und spielerisch wie bisher.

Daryl sprach mir Mut zu. Irgendetwas in seiner Stimme verriet mir aber, dass er sich zwar freute, aber wohl eher nicht mit einem Happy End rechnete – zumindest langfristig. Aber er war halt jemand, der die letzten Jahre ausschließlich von One-Night-Stands lebte; was sollte ich also anderes von ihm erwarten. Mir kam der Gedanke, dass wir vielleicht später besser über so etwas reden könnten, wenn die kleine Raubkatze wirklich einen festen Platz in seinem Leben erhalten würde.

Das Date bereitet mir eher weniger Kopf zerbrechen. Ich hatte schon ein paar Dates seit dem Unfall gehabt. Doch sie endeten alle gleich. Ich trat die Flucht an, wenn ich das Gefühl bekam das sich die Frau mehr erhoffte. Und ich hatte Angst, dass es mit Mia womöglich ähnlich werden könnte. Und noch mehr Angst was passieren könnte, wenn ich eben nicht die Flucht antrat.

Wenn sie wirklich so anders war, wie ich dachte. Wenn sie mich dazu bringen konnte, mich zu entspannen und gut zu fühlen. Wenn ich die Nacht selber wollte.

Eine unverfängliche Nacht, was wäre schon dabei? Irgendwie mochte ich den Gedanken, und gleichzeitig nicht. Das machten so viele inzwischen …

Tja, und dann kam das Date … und die Nacht …

Das Mia am Montagmorgen noch da war, hatte etwas Unwirkliches. Es heizte das Herzklopfen noch etwas mehr an und ich fühlte mich langsam wirklich überfordert.

Ich rief Gabriel, meinen Chef an, und sagte ihm, dass ich später zur Arbeit kommen würde.

Wir frühstückten und quatschten. Alles war gut, entspannt irgendwie. Mia schaffte es mit ihrer Art dafür zu sorgen, dass ich mich gut fühlte, trotz Nervenflattern. Allerdings fiel mir auf, dass sie mich immer wieder intensiv musterte, wenn sie dachte ich merkte es nicht. Ich konnte das nicht einordnen; war das gut, oder nicht?

Am Dienstagnachmittag telefonierten wir. Alles war easy. Ich sagte ihr, dass ich noch bei meinem Bruder vorbei muss und daher nicht viel Zeit hätte. Plötzlich war sie merkwürdig. Sie hakte dazu nach, viel zu gezielt, als dass man es als einfache Höflichkeit abtun konnte.

Und dann, verlor sie sich in Schweigen.

Ein Schweigen, dass bis heute anhält. Sie antwortet nicht und geht nicht ran, wenn ich sie anrufe.

Mir kam dann ein merkwürdiger Verdacht. Sie hatte mich bei unserer ersten Begegnung ganz am Anfang kurz stutzig angesehen. Ich hatte dem keine große Bedeutung beigemessen. Aber beim Frühstück hatte sie mich auch so eingehend gemustert … als würde sie überlegen ob wir uns schon einmal begegnet sind … vielleicht …

Ob sie Daryl kennt? Es würde erklären, warum sie mich so angesehen hat. Sollte ich ihn fragen? Er hat ein gutes Gedächtnis, falls sie sich mal begegnet sein sollten, würde er sich bestimmt daran erinnern. Andererseits; will ich es wirklich wissen? Mein Bruder und die Frauen … Im Idealfall hat er sich wie ein Arsch benommen; im schlimmsten Fall … hat er sie sich ins Bett geholt. Wahrscheinlich in eines seiner Zimmer im Erdgeschoß irgendwo.

Ich erinnere mich, wie ich ihn verdutzt angestarrt hatte, als er mir mal bei einer Gelegenheit sagte, dass er keine der Püppchen mit in sein Schlafzimmer nimmt. Er ist da eigen. Die obere Etage im Haus ist … er, privat. Die untere ist eher so … der Szene-Bad-Boy, wie er wahrgenommen werden will, muss.

Ich seufze schwer.

Ich war am Mittwoch zu ihm gekommen. Verwirrt und unruhig. Ich habe Daryl alles erzählt, alles. Ich war so durcheinander, dass ich nicht einmal mehr sagen könnte, wie mein Bruder eigentlich reagiert hat. Vielleicht hätte sein Benehmen mir einen Hinweis geliefert. Was wenn die beiden sich tatsächlich kannten? Was wenn …

„Matt … Ich muss dir etwas sagen.“

Ich dreh meinen Kopf zu meinem Bruder, dessen Blick weiter auf der glitzernden Wasseroberfläche des Pools klebt.

„Die kleine Raubkatze … Sie…. Ihr Name ist Mia. Sie ist Fotografin. Sie fährt einen goldgelben BMW Z3.“

Eine unerträgliche Stille legt sich über uns. Die rein hypothetische Frau, die kleine Raubkatze, wie er sie im Laufe seiner Erzählung genannt hatte, war real; dessen war ich mir die ganze Zeit sicher. Aber … aber … Meint er gerade, was ich denke?! Mia. Fotografin. Z3. Die blauen Augen von denen er gesprochen hatte. Das hellbraune lange Haar. Konnte das wirklich sein?!

Ich stehe ruckartig auf und fahre mir durch die Haare. Eine fürchterliche Wut überkommt mich. Zu viele Fragen auf einmal rasen mir durch den Kopf; einige von ihnen, will ich lieber gar nicht stellen. Doch eine brennt sich mir in den Geist. Eine ist wichtig für mich.

Ich bemühe mich, meine kochenden Emotionen, nicht zu sehr durchklingen zu lassen. „Seit … seit wann …“, stammle ich.

„Seit Mittwoch“, antwortet er kurz angebunden.

„Heute ist Samstag“, knurre ich außer mir. Mein wütender Blick bohrt sich in Daryl hinein. Er weiß es seit vier Tagen und rückt erst jetzt mit der Sprache raus! Nun macht es Sinn, dass Mia nach Erwähnung meines Bruders so komisch war. Sie wird eins und eins zusammengezählt haben und begriffen haben das … das …

Ich balle die Fäuste. Ein unbändiges Verlangen etwas zu schlagen kommt in mir hoch. Ohne sagen zu können warum, mache ich einen Schritt auf meinen Bruder zu.

Plötzlich dröhnt Motorenlärm die Allee hinauf.

„Erwartest du Besuch?“, frage ich misstrauisch. Tausend Szenarien spuken mir sofort durch den Kopf. Die Gang? Irgendjemand den Daryl beschissen hat? Waffen? Wie viele Männer?

„Nein.“ Mein Bruder steht schnell auf und versucht auszumachen, wer sich da gerade ohne Vorankündigung auf sein Grundstück begibt.

Als ich das Auto erkenne, bin ich verblüfft und verwirrt. „Das gibt es doch nicht …“

Da brettert ein goldgelber BMW die Allee hoch und legt eine Vollbremsung in Höhe des Pools hin. Was ist hier los?!

Hässliche Gedanken


 

Daryl
 

Oft sind unvernünftige Gründe, die helfen, besser

als vernünftige Gründe, die nicht helfen.

Matthias Claudius

 

Da steht sie. Einfach so.

Doch ich freue mich nicht. Ich bin im ersten Moment einfach nur verwirrt, weil sie hier aufgetaucht ist; und vor allem wie. Einfach mit Vollgas auf mein Grundstück zu brettern ist alles andere als subtil … Doch dann bin ich zu tiefst beunruhigt.

Mias Augen sind rot und panisch, ihre Wangen nass von Tränen und ihr Oberteil ist mit roten Flecken übersät. Sie wirkt überfordert, ängstlich und besorgt. Kein Ton kommt über ihre Lippen, sie starrt Matt und mich einfach nur an und atmet heftig, als hätte sie einen Marathon hinter sich.

Und wir starren einfach nur zurück; stehen da wie zwei Idioten und sind irgendwie auch überfordert mit der Situation.

„Ich brauche Hilfe“, flüstert sie heiser nach einigen Sekunden und bemüht sich um Beherrschung. Sie macht dennoch den Eindruck, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.

Zeitgleich laufen mein Bruder und ich los. Es ist völlig egal, was da noch zu klären ist. Völlig egal, dass sie hier einfach so aufgetaucht ist ohne eine richtige Erklärung zu liefern. Wir waren zu lange auf den Straßen unterwegs, zu lange in krumme Dinger verwickelt, als dass wir uns wirklich wundern über Augenblicke wie diese. Es ist wie früher; unsere Gehirne schalten einfach um und wir tuen was getan werden muss. Mia braucht Hilfe und nur das zählt gerade.

„Ich … Ich …“, stammelt sie und schlägt die Hände über den Kopf. „Es hört nicht auf zu bluten“, schluchzt sie schließlich und bricht in Tränen aus. „Ich weiß nicht weiter.“

Sie wirkt verloren, klein und zerbrechlich. Die junge Frau, die hier gerade vor uns steht, hat im Augenblick nichts mit der kleinen Raubkatze, oder der neckischen, wortgewandten Fotografin gemein. Da ist nichts Leichtes, nichts Sanftes an ihr. Nur Angst und Überforderung.

Matt geht vorsichtig auf sie zu, als hätte er ein verängstigtes kleines Tier vor sich. Er umfasst vorsichtig ihren Arm und dreht sie zu sich. Sein Blick fängt ihren ein und ich sehe genau, wie Mia langsam etwas runterfährt.

Ich bewundere meinen Bruder mal wieder für die Ruhe die er ausstrahlt, obwohl es in ihm anders aussehen dürfte. Seine Fähigkeit, seinem Gegenüber Sicherheit zu vermitteln, ohne dafür etwas zu tun, kenne ich. Ich war oft genug das Gegenüber, dass beruhigt oder zur Vernunft gebracht werden musste. Das jetzt von außen zu beobachten hat etwas eigenartiges.

„Wo blutest du?“, fragt er sanft und streicht langsam mit den Daumen über ihre Oberarme.

Mia sieht ihn verwirrt an. Sie runzelt die Stirn und scheint nicht zu verstehen was er meint. Sie überlegt kurz, dann fällt bei ihr scheinbar der Groschen und ihre Miene hellt sich ein wenig auf. „Nicht ich.“ Sie dreht sich zu ihrem Wagen um und deutet darauf. „Er.“

Ich warte nicht auf eine weitere Erklärung und laufe sofort los, um das Auto herum. Ich öffne die Beifahrertür und der Anblick ist alles andere als angenehm.

Da sitzt ein bewusstloser junger Mann, etwa mein Alter. Vermutenderweise ein Russe oder Osteuropäer. Er sieht schlimm aus. Aufgeplatzte Lippe, geschwollene linke Gesichtshälfte. Ihm steht Schweiß auf der Stirn und sein Atem geht schwer. Sein Hemd ist aufgeknöpft und sein Oberkörper entblößt. Hämatome sind deutlich sichtbar und ein Verband an der linken Schulter der durchgeblutet ist.

Mia und Matt sind inzwischen hinter mir. Ich höre meinen Bruder fluchen, als er den Beifahrer sieht und ich kann ihn verstehen. Keine Ahnung warum oder was hierzu geführt hat, aber der Kerl sieht nicht gut aus. Da hat jemand ordentlich Frust an ihm abgelassen.

Ich spüre, wie meine Bedenken wieder hochkommen, was Mia und ihr Kontakt in die Szene angeht. Ich öffne den Mund und will Matt sagen, dass er verschwinden soll. Das ist inzwischen schon fast ein Reflex, so sehr hat sich dieser Umstand in mein Verhalten eingefressen. Mein Bruder ist meine oberste Priorität, immer. Doch ich komme nicht dazu. Besser so, denn es wäre wahrscheinlich, nein sogar sicher, eh vergebene Liebesmüh gewesen.

„Es hört nicht auf zu bluten“, wiederholt die kleine Raubkatze wie in Trance, während ihr Blick sich nicht von ihrem Begleiter abwendet.

„Warum hast du ihn nicht ins Krankenhaus gebracht?“, fragt mein Bruder mit einem merkwürdigen Unterton, der zwischen Frust und Unverständnis schwankt.

Ja, er ist manchmal etwas schwer von Begriff. Die Antwort liegt doch klar auf der Hand, bzw sitz deutlich auf dem Beifahrersitz. Der junge Mann wurde brutal zusammengeschlagen, und ich habe auch eine starke Vermutung, was unter dem Verband ist und nicht aufhört zu bluten. Deswegen hat sie ihn nicht ins Krankenhaus gebracht, sondern ist hier. Sie ist hier bei mir und das löst etwas in mir aus …

„Wie soll ich dem Krankenhaus seinen Zustand erklären?!“, brüllt Mia völlig aufgelöst und starrt Matt entsetzt und auch ein wenig wütend an. „Von dem Durchschuss in der Schulter ganz zu schweigen!“

Ah, sie hat meinen Verdacht bestätigt. Ich drehe mich um und sehe sie an; meinen Bruder, der betreten zu Boden sieht ignoriere ich erst einmal. „Sicher, dass es ein Durschuss ist?“, hake ich neutral nach.

„Ja.“ Sie nickt abwesend. „Ich habe ihn verbunden und die Kugel ist definitiv auf der anderen Seite raus. Aber es hört einfach nicht auf zu bluten.“ Ihre Stimme hat wieder etwas an Kraft gewonnen und ihr Gesicht an Farbe. Der erste Schreck scheint verflogen; was aber nichts heißen muss.

„Bring ihn ins Haus“, weise ich Matt an, der bemüht ist Mias Blick auszuweichen. „Ich rufe den Doc an, damit er herkommt“, erkläre ich der kleinen Raubkatze und sehe ihr dabei bewusst tief in die Augen ums sicherzustellen, dass sie mir zu hört.

Mein Bruder protestiert nicht. Er nickt und macht sich daran den Unbekannten vorsichtig aus dem Auto zu bugsieren. Der Situation kommt zugute, dass Fremde offensichtlich bewusstlos ist, allerdings ist das gesundheitlich nicht das beste Zeichen.

Ich fasse Mia am Handgelenk und ziehe sie mit mir, damit Matt Platz hat. Schnell suche ich den Doc aus meinen Kontakten und rufe ihn an, während ich mit ihr einige Schritte vom Wagen weggehe. Die kleine Raubkatze wehrt sich nicht, lässt sich einfach von mir führen. Schlechtes Zeichen. Ich spüre deutlich wie sie zittert. Je mehr Ruhe jetzt in ihren Körper kommt, umso mehr wird sich der sinkende Adrenalinspiegel bemerkbar machen. Von der großen Sorge, die sie für den Kerl da empfindet ganz zu schweigen.

Ich ignoriere sämtliche Emotionen, die der Gedanke in mir auslöst und konzentriere mich auf mein Smartphone. Während ich dem Doc sage, dass er sofort zu mir kommen muss, fällt mein Blick auf den BMW. Das Gezeter des Alten am anderen Ende der Leitung bekomme ich kaum mit.

Der hübsche Wagen vor mir, hat eine Delle auf der Haube, die Frontscheibe hat einen Einschlag und ich erkenne Blut. Man muss kein Genie sein, um zu begreifen, dass Mia offensichtlich jemanden umgefahren hat. Was zum Teufel ist passiert? Worin ist sie verwickelt? Wer ist der Russe und warum ist er ihr so wichtig?

Ich sehe, wie Matt mit dem Unbekannten im Haus verwindet. Der Doc sagt mir genau in diesem Augenblick, dass er in etwa 20 Minuten da ist und ich mich auf eine saftige Rechnung einstellen kann. Die Tür zu meiner Villa fällt zu und ich beende das Gespräch am Telefon. Ich stecke gerade das Smartphone weg, als passiert, was ich befürchtet hatte.

Im letzten Augenblick bekomme ich die kleine Raubkatze noch zufassen bevor sie zusammensackt. Ich lege meine Arme um ihren oberen Rücken und drücke sie an mich um sie zu halten. Ihr Atem ist hektisch und sie beginnt wieder zu schluchzen. Behutsam lege ich meine Wange auf ihren Kopf und bemühe mich, so ruhig wie möglich sein, um ihr Stabilität zu vermitteln; auch wenn ich mich alles andere als stabil fühle.

Das ihr der Mann so wichtig ist, kann ich einfach nicht mehr ignorieren. Es trifft mich hart und stechenden in meiner Brust. Der hässliche Gedanke, dass ich diesem Typen vielleicht lieber nicht helfen sollte kommt einen Moment hoch, doch ich schlucke ihn zusammen mit dem andern Gefühl hinunter so gut ich kann.

Was ich nicht wegschieben oder ignorieren kann, ist sie.

Mia.

Hier.

In meinen Armen.

Ihre Nähe ist, trotz der Umstände unseres Wiedersehens, berauschend. Ich blende alles andere einfach aus um das hier so gut wie möglich zu genießen. Ihr Geruch und ihr warmer Körper; es fühlt sich gut an, sie hier zu haben in meinen Armen. Und etwas Anderes ist noch viel besser: sie ist zu mir gekommen. Die kleine Raubkatze hat an mich gedacht, als sie Hilfe brauchte.

Dieser Umstand löst tiefe Genugtuung und auch ein Überlegenheitsempfinden in mir aus, über das ich lieber nicht im Detail nachdenken möchte. Etwas eigenartig Dunkles meldet sich und streckt seine Klauen nach ihr aus. Ich verdränge das und konzentriere mich auf sie. Sie ist an meine Halsbeuge geschmiegt und ich spüre, wie langsam Ruhe in ihren Körper einzieht. Ich streiche mit dem Daumen über ihr Schulterblatt und schließe einen Moment die Augen. Dieser Moment fühlt sich unfassbar innig und irgendwie intim an, obwohl er es nicht sollte. Mias warmer Atem streicht über mein Schlüsselbein, verteilt sich unter meinem Shirt und beschert mir Gänsehaut.

„Tut mir leid, dass ich hier so aufgekreuzt bin“, flüstert sie. „Ich wusste nicht wohin ich sonst hätte gehen sollen ...“

„Schon gut. Der Doc kommt gleich und dann wird das schon wieder“, antworte ich ruhig und so überzeugend wie möglich. Dieser Augenblick wird gleich vorbei sein, und ich möchte es einfach noch genießen bevor es so weit ist. Ich drücke sie noch etwas fester an mich, konzentriere mich einzig allein auf sie.

Endlich reagiert auch die kleine Raubkatze und legt ihr Arme um meine Taille und erwidert die Umarmung. Sie drückt sich an mich und atmet mehrfach tief durch.

Liebend gern würde ich mit ihr hierbleiben, aber das geht nicht. „Wie sollten reingehen und du dich erstmal hinsetzen.“ Ich muss mich dringend sortieren. Etwas mir noch nicht bergreifliches passiert mit mir; und ich habe die Ahnung, dass es nichts wirklich Gutes ist.

Mia protestier nicht, nickt stadtessen reserviert und löst unseren Moment. Sie scheint generell ziemlich weit weg. Mental zwar wieder gefangen, sieht man ihr aber deutlich an, dass es in ihrem Kopf wild durcheinander geht.

Ich lege meinen Arm um ihre Schulter und führe sie ins Haus. Wir gehen am Pool entlang und durch die Terrassentür ins Haus, direkt ins Wohnzimmer.

Matt hat den Unbekannten auf die Couch gelegt. Der Anblick sorgt dafür das der kleinen Raubkatze sofort wieder die Tränen kommen. Allerdings ohne einen Ton, sie laufen einfach stumm über ihre Wangen. Der Schmerz in ihren blauen Augen bricht mir das Herz; und auch meinem Bruder, der mich fragend und hilflos ansieht. Wir kennen Mia kaum, den Mann gleich gar nicht. Wir wissen beide nicht so recht, was wir sagen sollen.

Draußen ertönt erneut Motorenlärm. Ich kenne dieses Geräusch, wie ich den Klang der Hayabusa meines Bruders kenne. Der Lincoln der Doc`s.

Ich gehe raus und nehme ihn in Empfang. Die Mimik des Arztes spricht Bände. Die Falten sind tiefer und seine schmalen Augen noch etwas schmaler wie sonst. Wiesel nenne ihn einige. Und er macht seinem Namen oft alle Ehre. Trotz seiner fast 50 Jahre ist er fit; und vor allem ausgefuchst. Wenn man ihm blöd kommt, braucht man nie wieder bei ihm anrufen. Und wenn man Pech hat, verschwindet man einfach von der Bildfläche.

Er knurrt mich regelrecht an, erinnert mich an die Grundlagen der Zusammenarbeit mit ihm. Ein Unbekannter bedeutet immer ein gewisses Risiko. Er könnte den falschen davon erzählen und der Doc würde seine Zulassung verlieren.

Ja, der Mann ist tatsächlich Arzt; ein richtiger Mediziner. Auch in der Gangsterwelt gibt es ein Klassen System, welches sich deutlich an der medizinischen Versorgung zeigt. Pfuscher, Tierart, realer Arzt; und die Königsklasse: ein Leib-Arzt.

Das wird sich am Ende im Preis niedergeschlagen, genau wie die Tatsache, dass er einen ihm Unbekannten behandeln soll. Und ja, das wird teuer werden; sehr teuer. Aber im Moment ist es erstmal egal.

Wir betreten das Wohnzimmer und Mia ist immer noch an der Stelle, wo ich sie habe stehen lassen. Ihr Blick ist auf den verletzten Mann gerichtet, geht aber eigentlich ins Leere. Ich deute Matt das er mit ihr nach nebenan soll. Eigentlich würde ich lieber mit ihr gehen, aber ich kann nicht. Ich muss hier beim Doc bleiben, so will das Gesetz.

Mein Bruder legt der kleinen Raubkatze den Arm um die Schulter wie ich es vorhin gemacht habe und geht mit ihr Richtung Küche. Der Anblick ärgert mich, gleichzeitig bin ich froh, dass Mia in guten Händen ist. Plötzlich kommt mir wieder meine Sorge in den Sinn, was die Verwicklung Matts in illegale Machenschaften betrifft …

Die Tür geht hinter ihnen zu und ich bleibe mit dem Doc, dem unbekannten Verletzten und einem hässlichen Brennen in Magen zurück.

Zwischen Hoffen und Bangen


 

Matt
 

Trost, ehrlicher Trost, ist ein Neffe der Liebe.

Stefan Wittlin

 

Wie sie da vorhin stand und uns angestarrt hatte. Völlig panisch und ängstlich. Die Tränen auf ihren Wangen, das Blut auf ihrem Oberteil und dann …

„Es hört nicht auf zu bluten.“

Ich dachte ich müsste mich übergeben im ersten Moment. Alles in mir hatte sich schlagartig verkrampft und die Bilder der Vergangenheit schossen sofort wieder hoch. Der Laster, die zarten Hände die meine Hüfte losließen als sich mein Bike auf die Seite legte …

Im Augenwinkel sah ich wie Daryl sich in Bewegung setzte und das holte mich zurück. Wir gingen zu Mia und ich konnte nicht anders. Ich musste sie berühren, sie ins Hier zurückholen, denn sie wirkte völlig neben der Spur. Da ich nicht wusste was passiert war, wollte ich kein Risiko eingehen. Womöglich hatte ihr jemanden Schlimmes angetan und ich wollte sie nicht verschrecken. Vorsichtig umfasste ich ihren Arm und drehte sie zu mir.

Ich habe ihr tief in die Augen gesehen und hatte das Gefühl, dass das was ich da sah, mich jeden Moment zerstören konnte. Schmerz und Angst tobten durch ihre blauen Augen wild durcheinander wie Flocken in einem Schneesturm.

„Wo blutest du?“, fragte ich sanft und strich langsam mit den Daumen über ihre Oberarme.

Mia sah mich verwirrt an. Sie runzelte die Stirn und überlegte kurz. Dann hellte sich ihre Miene auf. „Nicht ich.“ Sie drehte sich zu ihrem Wagen um und deutete auf ihn. „Er.“

Mir viel ein Stein vom Herzen. Ihr ging es gut, zumindest körperlich. Ich musste mich zusammenreißen, nicht zu lachen, oder zu weinen, oder umzukippen vor Erleichterung.

Daryl war schon um den BMW gelaufen und hatte die Beifahrertür geöffnet, während ich mein Gefühlschaos bändigte. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände und sorgte dafür, dass ich mich wieder konzentrieren konnte.

Mia und ich folgten ihm.

Ich konnte den Fluch nicht unterdrücken, als ich den jungen Mann sah. Er sah schlimm aus. Aufgeplatzte Lippe, geschwollene linke Gesichtshälfte. Ihm stand Schweiß auf der Stirn und sein Atem ging schwer. Sein Hemd war aufgeknöpft und sein Oberkörper entblößt. Hämatome waren deutlich sichtbar und ein Verband an der linken Schulter, der durchgeblutet war.

Mich überforderte was ich da sah. In meinem Kopf bildete sich ein Knoten, der sich immer fester zusammenzog. Nicht der Russe, zumindest vermutete ich, dass der Unbekannter einer war, und sein Zustand sorgten dafür, dass mein Kopf den Dienst quittierte. Daryl und ich waren zu lange auf den Straßen unterwegs gewesen, wir hatten schon zu viel erlebt und gesehen. Die Gangs, die illegalen Kämpfen … und noch einiges mehr, an das ich mich lieber nicht erinnern wollte.

Was für meine Unfähigkeit sorgte, dass hier zu begreifen war eher Mia. Trotz ihrer offensichtlichen Sorge und Angst wirkte sie nicht so, als wäre ihr das unbekannt. Um ehrlich zu sein, wirkte sie absurderweise fast schon routiniert mit der Situation. Noch dazu war sie zu Daryl gekommen, als wüsste sie, dass er ihr helfen könnte … In mir kam ein Verdacht hoch, dem ich nachgehen musste.

„Warum hast du ihn nicht ins Krankenhaus gebracht?“, fragte ich sie, weil ich eigentlich etwas Anderes wissen wollte, mich aber nicht traute zu fragen.

„Wie soll ich dem Krankenhaus seinen Zustand erklären?!“, brüllte Mia mich völlig aufgelöst an. „Von dem Durchschuss in der Schulter ganz zu schweigen!“

Ich sah zu Boden; meine Vermutung war bestätigt. Als mir mein Bruder vorhin sagte, dass seine kleine Raubkatze und meine Fotografin dieselbe Person waren, rumorte es sofort in mir. Nicht unbedingt wegen der Tatsache, dass wir offenbar mit derselben Frau geschlafen hatten, eher wegen … dem hier. Mia hatte Kontakt in die Szene, egal welche genau und wie tief sie da mit drinsaß. Deswegen war sie zu Daryl gekommen, sie wusste, dass er ihr diskret helfen konnte. Krankenhaus hieß Polizei, vor allem bei Schusswunden.

„Sicher, dass es ein Durschuss ist?“, hakte mein Bruder neutral nach.

„Ja.“ Sie nickte abwesend. „Ich habe ihn verbunden und die Kugel ist definitiv auf der anderen Seite raus. Aber es hört einfach nicht auf zu bluten.“ Ihre Stimme hatte wieder etwas an Kraft gewonnen.

„Bring ihn ins Haus“, wies mich Daryl an. „Ich rufe den Doc an, dass er herkommt“, erklärte er noch an Mia gewandt.

Ich tat was er sagte, hauptsächlich um mich der Situation zu entziehen. Und ihrer Gegenwart. In meinem Kopf ging es drunter und drüber. Ein Durschuss, ich habe ihn verbunden. Das hier war nicht das erste Mal, dass sie so etwas erlebt hatte.

Ich hob den jungen Mann aus dem Auto und brachte ihn ins Haus. Vorsichtig legte ihn auf die Couch und setzte mich auf den Boden daneben. Der arme Kerl sah wirklich schlimm aus. Wenn man jemanden zum ersten Mal so sieht gefriert einem das Blut in den Adern und man bekommt Angst. Mia hatte auch Angst und Panik gehabt, aber nicht so, wie es normalerweise wäre.

Es war nicht ihr erstes Mal.

Dieser Satz lief in Dauerschleife durch meinen Kopf bis ich die Terrassentür hörte. Mein Bruder und sie kamen herein. Ihr Blick ging zu dem Verletzten und sofort kamen ihr wieder die Tränen. Allerdings ohne einen Ton, sie liefen einfach stumm über ihre Wangen.

Der Schmerz in ihren blauen Augen brach mir das Herz; und auch meinem Bruder, der mich genauso fragend und hilflos ansah, wie ich ihn. Wir kennen Mia kaum, den Mann gleich gar nicht. Wir wussten beide nicht so recht, was wir sagen sollten.

Draußen ertönte erneut Motorenlärm; der Lincoln des Doc`s. Daryl verließ das Haus und ich blieb mit Mia zurück.

Ich fühlte mich gelähmt, unfähig zu denken oder etwas zu sagen. Ehe ich irgendetwas zustande bekam, war mein Bruder schon zurück. Er deutete mir mit der Kleinen nach nebenan zu gehen.

Und das tat ich.

Nun sind wir hier in der Küche. Ich setze Mia auf einen der Barhocker und gehe wieder ein paar Schritte zurück. Unschlüssig beobachte ich die junge Frau. Sie starrt vor sich hin und massiert sich die Schläfen.

Und ich, ich muss mich erstmal sortieren. Ich starre ihren Rücken an, während mein Gehirn heiß läuft vor lauter Fragen. Wer ist der Kerl? Wer hat ihm das angetan? Wie tief steckt die Kleine da mit drin? Wie viel hat sie mit der Szene zu tun? Und mit welcher? Was hat sie da mit meinem Bruder und mir gemacht? War es gewollt? Zufall?

Da ich so schnell keine Antworten bekomme werde, konzentriere ich mich erstmal auf das hier. Ich nehme mir den anderen Barhocker und stelle ihn nah neben sie. Seufzend setzte mich und erstaune mich danach selbst. Mein Arm legt sich wie von selbst um sie, dann ich stelle die einzige Frage, die tatsächlich über meine Lippen kommt, weil sie die einzige ist die gerade wichtig ist: „Wurdest du auch verletzt?“

Mia schüttelt den Kopf und lehnt sich sachte gegen mich; irgendwie schüchtern und betreten. Die Situation ist ihr unangenehm, das spürt man. Trotzdem nimmt sie meinen Trost an …

Und ich? Ich fühle mich … zwischen Hoffen und Bangen. Vielleicht ist das hier alles nur ein Missverständnis … Vielleicht gibt es eine einfache Erklärung … Für alles.

„Er … Sein Name ist Juri“, flüstert die Kleine schließlich leise.

Reden hilft die Gedanken zu ordnen, zumindest ist das bei mir so. Und dann sollte man nicht unterbrochen werden, ist jedenfalls meine Meinung dazu. Also schweige ich einfach und streiche ihr sanft über den Arm.

Mia seufzt und bemüht sich um Fassung. „Er … Er ist ein guter Freund …“, erklärt sie weiter.

Ich brumme leise um ihr zu zeigen, dass ich sie verstanden habe. Zumindest akustisch verstanden … Guter Freund. Das kann alles und nichts heißen. Ich spüren wie Frust in mir hochkocht. Das Bild welches ich von ihr hatte beginnt sich hässlich zu verzerren … Ist sie so eine? Eine die Männer sammelt? Irgendwie schwer vorstellbar. Andererseits hatte sie definitiv etwas mit meinem Bruder, und kaum eine Woche danach mit mir … also könnte es ja sein …

„Juri … er … er ist Familie, weißt du? Wie ein großer Bruder. Ich kenne ihn schon fast mein ganzes Leben … wenn … wenn …“ Sie kommt nicht weiter. Heftiges Schluchzen schüttelt sie und Tränen laufen aus ihren Augenwinkeln.

Ich drücke sie etwas fester an meine Seite. Mir wird gleichzeitig leicht und schwer ums Herz. Ich verstehe diese unbändige Angst und Sorge die sie empfindet. Ich habe mich oft genauso gefühlt wegen Daryl, selbst heute noch oft genug. Dieser Gedanke zupft an alten Narben und schmerzt. Mein Bruder und ich sind mehr als nur einmal dem Tod von der Schippe gesprungen; wir haben mehr als nur einmal Ängste und Sorgen wegen dem jeweils anderen ausgestanden … Gleichzeitig macht sich Erleichterung breit, dass er ihr wichtig ist, weil er Familie ist und nicht in anderer Form. Das ändert zwar nicht den kompletten Umstand, aber lässt hoffen, dass es auch für meinen Bruder und mich eine Erklärung gibt.

„Du siehst gar nicht aus, als hättest du Wodka im Blut“, witzle ich und hoffe, sie etwas aufmuntern zu können. Aus dem Augenwinkel sehe ich Mia lächeln; nur schwach, aber immerhin.

„Familie im Geiste“, präzisiert sie.

Plötzlich vibriert es an meinem Bein. Ich bin verwirrt und kann es für den Moment nicht zu ordnen.

Die Kleine löst sich von mir und setzt sich aufrecht hin. Ihre Hand wandert zwischen unsere Beine. Als ihr Handrücken der über meinen Oberschenkel streift, versetzt mir das einen Hitzeschlag, für den ich mich schäme. Sie wühlt in ihrer Seitentasche und holt ihr Smartphone heraus. Ohne nachzusehen legt sie es auf den Tresen und schiebt es weit weg von sich.

Das Handy liegt da und brummt rhythmisch vor sich hin.

Stille.

Wieder beginnt das Smartphone zu vibrieren.

Stille.

Ich sehe Mia an, doch sie starrt einfach nur ein Loch in den Tresen und scheint zunehmend frustrierter zu sein.

Erneut erwacht das Handy zum Leben.

„Willst du nicht wenigstens nachsehen?“, frage ich irritiert.

„Ich weiß, wer mich da anruft“, knurrt sie als Antwort.

Jetzt bin ich noch verwirrter. Da ist Wut und … Frust? Ablehnung? in ihrer Stimme. Irgendetwas von beidem. Dieser emotionale Umschwung überfordert mich. Mia wirkt verspannt, fast steif und furchtbar eisig. Hat das mit dem Anrufer zu tun? Und der wiederum etwas mit Juri? Ich vermute es stark. Bevor ich noch etwas sagen kann geht die Tür auf und Daryl kommt herein.

Mia springt förmlich vom Stuhl und geht zwei Schritte auf meinen Bruder zu. Sie steht da und sieht ihn mit großen Augen an. Hoffnung und Sorge stehen ihr ins Gesicht geschrieben.

„Alles gut. Der Doc hat die Wunde genäht. Dein … Freund, braucht Ruhe und dann wird das wieder“, erklärt er leicht genervt.

Die Kleine sackt vor Erleichterung förmlich in sich zusammen. Dann verspannt sie sich schlagartig, als das Brummen ihres Telefons wiedereinsetzt. Wutentbrannt geht sie zum Tresen, schnappt es sich und geht ran. „Hör auf mich anzurufen!“, faucht sie außer.

Ich sehe verwirrt zu Daryl, dieser zuckt mit den Schultern als wäre es ihm egal. Wir nicken uns schließlich zu und verlassen die Küche Richtung Wohnzimmer.

„Er hätte sterben können!“, hören wir Mia hinter uns brüllen, bevor die Tür zu geht.

Wir stehen da und sehen uns an. Ich lese deutlich die Sorge aus den Augen meines Bruders. Sorge, dir mir gilt. Seine Sorge rührt und nervt mich gleichermaßen, aber ich löse mich, um dem nicht weiter ausgesetzt zu sein. „Bringen wir Juri rüber“, sage ich und deute auf den Verletzten auf der Couch.

„Juri?“, hakt Daryl verwundert nach.

Die Situation zwischen uns und Mia mag nicht klar sein, aber zwischen ihm und mir ist sie es. Er ist mein Bruder und ich werde ihn nicht im Unklaren lassen. Nicht, nachdem was ich in seinen Augen gesehen habe, als er mir zum ersten Mal von der kleinen Raubkatze erzählt hat. Es wäre ungerecht ihm gegenüber, egal was ich empfinde. Noch dazu, wo ich mir noch nicht so ganz im Klaren bin, was ich empfinde; vor allem nach den jüngsten Ereignissen.

„Ja. Juri. Ihr großer Bruder im Geiste“, erkläre ich, um Daryl zu beruhigen und auf den neusten Stand zu bringen.

Nicht die feine Art


 

Daryl

 
 

Der Angriff weiß, was er will.

Die Verteidigung befindet sich in dem Zustand der Ungewißheit.

Helmuth von Moltke
 

Ich stehe da und sehe dem schwarzen Motorrad nach, das von meinem Grundstück fährt. Es hat mich einiges an Überzeugungskraft gekostet meinen Bruder dazu zubringen endlich zu gehen. Er hat ein gutes, und vor allem normales Leben und ich möchte, dass das so bleibt. Die Geschehnisse von heute zeigen deutlich, dass ich ihn von ihr fernhalten sollte. Mia wäre kein guter Umgang für ihn. Sie ist, trotz aller Angst und Sorge, recht routiniert mit der Situation umgegangen. Sie wusste, dass sie bei mir auf entsprechende Hilfe hoffen konnte. Und sie war bei dem Streetrace, wo sie auch nicht wirklich deplatziert wirkte.

Ich will, muss, meinen Bruder schützen. Deswegen will ich ihn von ihr fernhalten. Er ist schon oft genug durch mich in Gefahr, da braucht es nicht noch jemanden, der ihn womöglich wieder in dubiose Machenschaften verwickelt. Genau das rede ich mir ein, mit mehr oder weniger erfolgreich.

Ein genervtes Seufze verlässt meine Kehle. Ein letzter Blick auf den glitzernden Pool, der mich auf merkwürdige Wiese an sie erinnert und dann gehe ich nach drinnen. Gegenüber der Terrassentür steht die Couch auf der Mia sitzt.

Ihre Füße sind auf der Sitzfläche und sie hat die Beine an den Körper gezogen. Ihr Kopf liegt im Nacken und ist auf der Lehne abgelegt. Sie starrt leer an die Decke und scheint tief in ihren Gedanken versunken.

Ich stehe in der Terrassentür, mit verschränkten Armen an den Rahmen gelehnt, und betrachte sie. Mein Blick wandert sie ab und ich spüre eine nicht definierte Unruhe hochkommen. Da ist sie, die kleine Raubkatze, die sich in mein Leben geschlichen und so viel durcheinandergebracht hat. Und auch bei meinem Bruder.

Der Gedanke lodert hoch und brennt wie Höllenfeuer. Ich muss mich zusammenreißen sie nicht anzufauchen wegen der Tatsache, dass sie mit Matt in der Kiste war. „Wir sind kein Paar. Wir sind einander nichts verpflichtet.“ Ich rede es mir ein, aber … Das Mantra verfehlt seine Wirkung. In mir kocht es immer mehr, ich habe das Gefühl jeden Moment die Beherrschung zu verlieren.

„Es tut mir leid“, flüstert es plötzlich leise und kaum hörbar.

Überrascht ziehe ich die Augenbraue hoch. Ihre Stimme klang aufrichtig und ehrlich betroffen. Dennoch kann ich nicht aus meiner zweiten Haut, aus dem Schutzpanzer den ich mir über die Jahre zugelegt habe. Und auch das beständige Brennen in meinem Magen beruhigt sich nicht.

„Das müsstest du schon konkretisieren. Es gibt so einiges, für das du dich entschuldigen könntest“, spotte ich herablassend, weil ich einfach nicht anders kann.

Mia knurrt genervt und hebt den Kopf. Ihre blauen Augen treffen mich mit voller Wucht; sie funkeln sauer und angriffslustig. Dann schließt sie sie kurz und atmet durch. Als sie die Lider wieder hebt wirkt ihr Blick trüb und … gebrochen.

Mir tut mein Kommentar sofort leid, aber ich verberge meine Reue; man zeigt keine Schwäche, da wo ich herkomme, da wo ich die letzten Jahre verbracht habe. Reue und Mitgefühl haben keinen Platz in der Unterwelt. Fressen oder Gefressen werden ist der Leitkodex an dem ich mich die letzten Jahre strickt gehalten habe.

„Alles“, seufzt sie müde und kraftlos. „Alles tut mir leid.“ Ihr Blick, der immer noch auf mich gerichtet ist, wird weich und zart.

Ich muss an mich halten nicht zu ihr zugehen um sie in den Arm zunehmen. Ich bin ein wenig erschrocken darüber, dass sie es schafft derartige Gefühle in mir auszulösen. Ich hasse es und gleichzeitig mag ich es, weil ich mich dadurch wieder etwas menschlicher fühle. 

Eine schwere Stille legt sich über uns, während wir uns abwartend betrachten. Ein wenig unsicher, ein wenig lauernd sehen wir uns an. Zwei Raubtiere auf fremden Terrain die nicht wissen wie sie miteinander umgehen sollen.

Ich will mein Bruder schützen. Ich sage es mir immer wieder in meinem Kopf, in der Hoffnung mich selbst zu überzeugen. Es stimmt auch; aber es ist am Ende nur ein Bruchteil der Wahrheit. Ich sehe die kleine Raubkatze in ihr. Selbst vorhin als sie krank vor Sorge um Juri hier aufgetaucht ist habe ich sie gesehen, sie war die ganze Zeit da. Sie ist kein Püppchen, keine die davonläuft, oder das Weinen bekommt, wenn sie sich die Hände schmutzig macht. Sie ist taff, schlagfertig und zäh. Und trotzdem weiblich, sanft und liebevoll. Eine Eigenschaftenkombination, die ich so bisher bei keiner Frau angetroffen habe.

Sie ist anders …

Matt hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Ja, ich will meinen Bruder hier raushalten. Mia hat offenbar einen regulären Job als Fotografin, aber trotzdem scheint sie sich in der gesellschaftlichen und rechtlichen Grauzone ziemlich souverän zu bewegen. Schlimm genug, dass ich Matt oft genug ungewollt wieder in irgendwelchen Scheiß reinziehe. Und … nun ja …

Ja, verdammt, ich will sie für mich. Ich will sie besitzen, will das sie mir, und nur mir, gehört. Trotz der Geschichte mit meinem Bruder. Und deswegen soll er weit weg bleiben.

Wir sind Zwillinge. Wir sind uns sehr ähnlich, aber dennoch verschieden. Ich weiß um seine Wirkung auf das andere Geschlecht. Nicht, dass meine Erfolge unbedingt weniger sind aber … Er ist der gute Junge, der charmante Witzbold. Matt ist der stärkere von uns beiden. Er ist das Licht, ich bin die Dunkelheit. Die Entscheidungen der Damenwelt waren meist recht schnell gefallen. Wer will schon die Finsternis, außer für ein Abenteuer?

Mein Blick fällt auf ihr Smartphone, das friedlich auf dem Tisch liegt. „Hat er aufgegeben oder hast du ihn direkt durch die Leitung zerfleischt?“ Nachdem Gespräch in der Küche hatte der Anrufer nicht aufgegeben. Das Smartphone hatte immer wieder vibriert und sie es immer genervter ignoriert.

Mia zieht die Augenbraue hoch und legt den Kopf schief. Sie mustert mich, dann huscht ein amüsiertes Schmunzeln über ihre Lippen. „Ich habe es ausgeschaltet“, erklärt sie. „Stell dir vor, ich weiß wie das geht.“

Die Anspannung zwischen uns löst sich allmählich auf und ich gehe zu ihr. Ich setze mich neben sie auf die Couch, mit etwas Abstand. In mir kämpfen gerade so einige Dinge gegeneinander um die Vorherrschaft und ich bin mir nicht sicher wer gewinnen wird.

Wieder hüllt uns Stille ein, aber sie ist weich und angenehm diesmal – fast schon friedlich.

„Ich zahle dir das Geld zurück“, flüstert Mia nach einer Weile vor sich hin, ohne mich anzusehen.

„Lass stecken. So nötig habe ich dein Geld nicht“, knurre ich frustriert. Glaubt sie wirklich, dass mir die Kohle wichtig ist? Ich fühle mich gekränkt. Das Thema ist heikel für mich, so ehrlich muss ich mit mir selbst sein.

Ich sehe im Augenwinkel, wie sich ihr Kopf in meine Richtung dreht. „Arschloch.“

„Zicke.“

„Idiot.“

„Heulsuse.“

Mia sieht mich entsetz an. „Das nimmst du zurück“, fordert sie angefressen.

Ich sehe sie ebenfalls an und Grinsen herausfordernd. „Nein“, antworte ich betont süßlich. Gleich habe ich sie soweit.

Die kleine Raubkatze ballt das Gesicht zur Faust und boxt mich gegen den Oberarm.

Sie hat ganz schön Kraft, das muss ich gestehen. Aber viel wichtiger ist, dass sie zurück ist. Die kleine Kratzbürste ist wieder da und das stimmt mich glücklich. Viel glücklicher, wie ich selbst gedacht hätte. „Willst du dich mit mir anlegen?“, frage ich arrogant und mustre sie offen.

„Du scheinst vergessen zu haben, dass ich dich schon mal aufs Kreuz gelegt habe“, kontert sie mit einem süffisanten Grinsen.

Nein, das habe ich nicht vergessen. Dieser göttliche Anblick, als sie auf mir saß und ich sie in ihrer ganzen Pracht bewundern konnte hat sich tief in meinen Verstand gebrannt. Die Erinnerung schießt mir in die Lenden … und der nächste sorgt für einen unschönen Krampf in meinem Magen. Ich kann nicht anders und pfeffre ihr ihn eisig an den Kopf: „Und meinen Bruder auch.“

Für einen Moment habe ich den Eindruck, dass sich Packeis in ihren blauen Augen bildet. „Heul doch“, faucht sie mich an und steht auf. Ohne ein weiteres Wort oder einen Blick verlässt sie den Raum.

Ich hasse mich, gleichzeitig hatte ich alles Recht der Welt das zu sagen. Allerdings wäre ein anderer Rahmen wohl vernünftiger gewesen. Sie hatte Todesangst um den Russen im Nachbarzimmer und einen heftigen Streit mit jemandem am Telefon. Ein emotional überladener Abend … und ich greife sie auch noch an. Als hätte sie noch nicht genug durchgemacht. Ja, mit mir wurde auch oft nicht besser umgegangen, aber das ist nicht ihre Schuld.

Genervt von mir selbst stehe ich auf und folge ihr. Ich betrete das Nachbarzimmer, das im Dunkeln liegt. Juri liegt im Bett, sein Zustand ist stabil, aber er war noch nicht wieder bei Bewusstsein. Keine Raubkatze zu sehen … Mein Blick schweift durch den Raum und fällt nach rechts. Da ist sie.

Mia sitzt neben der Tür, die Arme um die abgewinkelten Beine gelegt und starrt das Bett an.

Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter und auch meinen verdammten Stolz für einen kurzen Augenblick. „Ich … hätte das vielleicht anders …“

„Schon gut“, unterbricht mich die kleine Raubkatze und sieht zu mir auf. „Ist dein gutes Recht. Ich bin schließlich selbst dran schuld.“ Schwermut und Schuld schwingen in ihrer Stimme mit.

Es war trotzdem nicht die feine Art. Nun gut, jetzt ist es eh zu spät. Ihr Blick geht wieder zu dem Russen und meiner auch. Ich war ziemlich angefressen wegen dem Kerl. Matt hat es natürlich gespürt und mich an seinem Wissen teilhaben lassen. Ihr Bruder im Geiste. Ich war … beruhigt nach dieser Information; was mich wiederum beunruhigte.

„Juri also?“, biete ich einen Themenwechsel an.

„Ja. Wir sind zusammen aufgewachsen … irgendwie“, steigt Mia ein. Sie sieht mich dankbar an und schenkt mir ein kleines Lächeln.

„Wie wächst man den irgendwie zusammen auf?“, hake ich nach. Ich gehe zu ihr und lehne mich mit dem Rücken an die Wand. Langsam lasse ich mich runter gleiten und sitze schließlich neben ihr; und an ihr. Ich habe mich bewusst dafür entschieden den Kontakt aufzubauen; so nah wie möglich an sie heran zu rutschen. Ihr Körper an meinem … das fühlt sich verdammt gut an.

Und auch dieses Angebot nimmt die kleine Raubkatze an und legt ihren Kopf an meine Schulter. „Wie man im Kinderheim halt aufwächst. Irgendwie eben“, flüstert sie bedrückt.

„Du warst im Heim?“ Ich finde den Gedanken grässlich. Matt und ich hatten wenigstens unsere Großmutter, die uns aufgenommen hat. Wir hatten trotz allem eine Familie nachdem Tod unserer Eltern, auch wenn wir das damals anders gesehen haben.

Mia nickt. „Ja. Ich war … fünf. Meine Mutter starb bei einem Raubüberfall. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Ein Kollateralschaden zweier Idioten, die für 50 Mäuse über Leichen gingen.“

Mein Herz krampft. Fünf. Mein Bruder und ich waren acht als der Unfall geschah. Wir können uns schon kaum an unsere Eltern erinnern, bei ihr dürfte da gleich gar nichts sein. Stellt sich aber die Frage … „Und dein … Vater?“, hake ich behutsam nach und hoffe, dass ich nicht in ein zu großes Fettnäpfchen tappe.

Sie zuckt mit den Schultern. „Hat sich aus dem Staub gemacht, bevor ich überhaupt auf der Welt war“, erklärt sie kühl.

Feigling ist das erste was mir dazu einfällt. Wie kann man sein Ungeborenes im Stich lassen? Wut überkommt mich und ich brumme verärgert.

„Bei Juri war es anders“, erzählt die kleine Raubkatze weiter. „Sein Dad wollte, konnte aber nicht so. Er hat gearbeitet und einfach keine Zeit gehabt. Das Jugendamt hat Juri dann einkassiert. Aber sein Vater hat sich trotzdem immer gekümmert, hat ihn alle zwei Wochen für die Wochenenden heim geholt … und später dann, manchmal auch uns alle.“

Zum Ende hin wird ihre Stimme immer weicher und glücklicher. Die Erinnerungen scheinen ihr zu gefallen. Doch mich verwundert etwas. „Uns alle?“

„Mich, Liam, Chris und Juri eben. Wir … wir waren Familie. Wir haben uns unsere eigene kleine Welt geschaffen, waren für einander da und haben uns um einander gekümmert.“ Mia spannt sich an und ihr Ton wird gedämpfter. „Auch nach der Zeit im Heim.“

Ich bin verwundert, wegen dem Umschwung in ihrer Stimme. „Das klingt doch gut“, versuche sie zu ködern. Irgendetwas ist da noch.

„Wir waren uns selbst überlassen. Die Gegend in der das Heim war, war nicht gerade die beste. Die Erzieher waren überfordert und eigentlich froh, wenn so viele Kids wie möglich draußen ihre Zeit verbrachten …“ Die kleine Raubkatze legt eine Pause ein und holt tief Luft. „Vier Halbstarke, in einer schlechten Gegend, die sich selbst überlassen waren …“

Ich verstehe nur zu gut, worauf sie hinauswill. Uns ging es nicht anders. Unsere Großmutter hatte sich immer nach Kräften bemüht, aber zwei Jungs von unserem Kaliber Herr zu werden war eigentlich unmöglich. Die Geburtsstunde des Ortega-Tornado. Und dann fällt man irgendwann den falschen Leuten auf, folgt dem Ruf des schnellen Geldes und ehe man sich versieht, hängt man in der Scheiße. „Keine gute Kombination“, seufze ich schwermütig.

„Nein“, pflichtet mir Mia bei und verfällt in Schweigen.

Ich lege meinen Arm um sie und drück sie an meine Seite. Sie folgt dieser Aufforderung und schmiegt sich an mich. Ich weiß wie schwer es ist, solche Dinge jemanden zu erzählen und es schickt eine warme Woge durch meine Nerven, dass Mia sich mir zumindest ein wenig anvertraut hat. Da ist noch mehr, das fühle ich. Aber für heute ist erstmal gut. Auch wenn ich immer noch nicht weiß, was heute passiert ist. Mit dem armen Juri. Mit dem BMW. Und mit der kleinen Raubkatze.

Doch das rückt alles in den Hintergrund. Ihr warmer weicher Körper an meinem, ihr Duft in meiner Nase und die Tatsache, dass sie sich mir gerade ein wenig geöffnet hat, lassen mein Herz ein, zwei Takte schneller schlagen. Ich fühle, wie sich einige meiner Emotionen verbünden zu scheinen um die Anderen in die Schranken zu weisen.

Scheiße.

Matt hatte wohl recht mit seiner Einschätzung was mich betrifft …

Leer, kaputt und hoffnungslos


 

Daryl

 
 

Wenn manche Frauen einen anschauen, weiß man nicht,

ob man Jäger oder Beute ist.

Michael Marie Jung

 

Ich tue das einzige, dass mir einfällt. Das, was ich immer tue, wenn ich nicht weiter weiß in emotionalen Dingen. Ich hole mir Zerstreuung und Ablenkung. Normalerweise heißt das, eine Party veranstalten und irgendein Püppchen abschleppen. Eine heiße Nacht mit einer Unbekannten deren Namen mich bereits währenddessen schon nicht mehr interessiert.

Allerdings ist Party ist gerade schlecht; Püppchen in gewisser Weise ebenso … Zugegeben habe ich eine Möglichkeit neben mir sitzen.

Meine Alarmglocken schreien mich an, dass das eine ganz schlechte Idee ist. Vor allem, mit dem Chaos, dass immer noch in meinen Emotionen herrscht. Aber das ist mir herzlich egal. Man(n) muss Chancen nutzen, wenn sie sich einem bieten; und Möglichkeiten genauso. Ich bin nur da wo ich heute bin, weil ich wusste Gelegenheiten zu nutzen sobald sie sich ergaben und ich habe nicht vor, an meinem Vorgehen etwas zu ändern.

Ich stehe auf und ziehe Mia mit mir. Ohne etwas zu sagen, oder sie anzusehen verlasse ich mit ihr an der Hand das Zimmer. Sie folgt mir ohne Fragen zu stellen oder sich zu wehren.

Wir gehen hoch, in die obere Etage, in meine Etage – wie das letzte Mal auch. Kaum in meinem Schlafzimmer angekommen ziehe ich sie an mich heran und küsse sie. Hitzig und dringlich.

Die kleine Raubkatze erwidert mein Tun, leidenschaftlich und fordernd. Ihre Hände packen mein Shirt und ziehen mich näher zu ihr.

Unsere Körper schmiegen sich perfekt aneinander, als wären sie für einander gemacht. Ich dränge sie rückwärts bis es nicht mehr weiter geht. Kräftig drücke ich mich an sie und kessle sie zwischen mir und der Wand ein. Ich spüre ihren Körper überdeutlich an meinem. Jeden Atemzug, jedes Zittern und ich könnte schwören, dass ich sogar ihren Herzschlag fühle.

Wir küssen uns, als würde unser Leben davon abhängen. Verschlingen uns, liebkosen uns und fordern uns heraus.

Ihre Hände packen mich an den Schultern und ihre Beine schlingen sich um meine Hüfte. Kraftvoll drückt sie mich an sich und stöhnt verheißungsvoll in unseren Kuss, als sie meine harte Beule in ihrem Schritt spürt.

Etwas steigt in mir hoch, dass ich schlecht Kontrollieren kann. Unbändige Hitze schießt mehr und mehr durch meine Venen. Die kleine Raubkatze weckt Dinge in mir, die ich eigentlich nicht wirklich offenbare möchte. Weder ihr gegenüber noch jemand anderen. Jeder hat seine Charakterschwächen für die er sich schämt und von denen er nicht möchte, dass sie jemand kennt.

Meine schlimmste übernimmt gerade mein Handeln ohne, dass ich es verhindern kann. Ich hätte auf meine Alarmglocken hören sollen, doch nun ist es zu spät. Eifersucht brodelt in mir wie ein Vulkan und bringt mich zum überkochen. Ich knurre roh und presse mich noch stärker an sie. Meine Küsse sind fast schon brutal und ich will sie übernehmen, besitzen; sie mir einverleiben und zu der meinen machen. Sie soll nie wieder an einen anderen denken. Nie wieder. Vor allem nicht an ihn.

Mia stöhnt lasziv und erregt unter meinen Küssen und meinen Händen, die sich in ihren Hintern krallen. Sie wehrt sich nicht, widersetzt sich mir nicht. Ganz im Gegenteil. Ich spüre wie sie weich wird, sich flach macht und den Druck den ich auf ihren Körper ausübe willkommen zu heißen scheint. Sie gibt sich meinem Verlangen hin, ich habe sogar das Gefühl, dass sie es will.

Mein Hirn setzt vollends aus und ich reiße uns von der Wand los. Ohne einen Moment von ihr abzulassen gehe ich zum Bett, lege sie rücklinks darauf und vergrabe die kleine Raubkatze unter mir und meinem glühend heißen Bedürfnis. Ich ziehe sie aus, labe mich an der Haut die ich freilege.

Ich küsse, lecke, beiße. Ungeniert und ohne Zurückhaltung. Ich nehme ihren Körper in Beschlag und mache ihn mir Untertan.

Und Mia? Sie stöhnt, bäumt sich auf, vergräbt ihre Hand in meinen Haaren. Ich kann ihre Erregung förmlich riechen, was mich nur noch mehr in Wallung bringt.

Was auch immer hier gerade passiert, es scheint uns beide von den Füßen zu reißen. Ich brauche sie, jetzt, sofort. Haut an Haut. Schnell entledige ich mich meiner eigenen Klamotten. Mit meinem Mund erobere ich ihren, ergreife Besitz von ihrer Zunge und dringe schließlich mit einem kräftigen Stoß in ihre Mitte ein.

Die kleine Raubkatze wirft den Kopf in den Nacken und stößt einen Lustschrei aus, der mir den letzten Rest Verstand und Vernunft raubt. Ihre Nägel bohren sich in meine Nieren und ihr Becken drückt sich meinem entgegen. Ihr Blick sucht meine und nimmt ihn gefangen. Das helle Blau glänzt und scheint mich zurufen, mich zu locken.

Sie will es. Sie will das ich sie erobere und zu der meinen mache, dass lese ich deutlich aus ihren Augen heraus. Und ich tue es.

Meine Stöße sind kräftig und tief. Ich kann mich einfach nicht kontrollieren, zurückhalten. Jeder Schub entreißt Mia ein Stöhnen, Keuchen oder einen erotischen Schrei. Unsere Zusammenkunft ist roh, animalisch und völlig fern von jedem Sex, den ich je hatte.

Ich bin Besitzergreifend und Eifersüchtig, wenn mir etwas wichtig ist. Mein Auto ist ein Paradebeispiel dafür. Niemand rührt es an. Niemand außer mir fährt es. Bei einer Frau hatte ich das noch nicht wirklich. Keine hat in mir je dieses Gefühl ausgelöst, nicht mal ansatzweise. Doch sie kitzelt diese Seite an mir mit Leichtigkeit hervor. Diese Kombination aus Lust und Eifersucht berauscht mich immer mehr.

Ihr Inneres kocht und engt mich mehr und mehr ein. Ich schiebe einen Arm unter ihre Schulterblätter und drücke sie an mich, immer fester, je enger ihre Mitte wird. Wir verschmelzen zu einer Einheit, untrennbar miteinander verbunden. Die kleine Raubkatze schreit zittrig meinen Namen und spannt sich an. Ihr Höhepunkt reißt mich mit und ich stöhne grollend. Stoß um Stoß entlädt sich mein Druck tief in dieser pulsierenden Hitze.

Wir keuchen und atmen heftig. Ich vergrab mein Gesicht in ihrem Nacken und genieße das Gefühl ihrer Nähe, ihren unnachahmlichen Duft. Sie schmiegt ihre Wange an meinen Kopf nachdem sie mir einen zarten Kuss unter das Ohr gegeben hat.

„Dafür sollte ich dich eigentlich zerfleischen“, flüstert sie nach einiger Zeit etwas heiser.

Ich hebe den Kopf und sehe sie an. „Du wolltest es doch. Deine Augen haben dich verraten.“

Neckisch zieht Mia die Augenbraue hoch und legt den Kopf schief. „Mag stimmen, aber ein Gummi wäre trotzdem nicht schlecht gewesen.“

Ein merkwürdiger Krampf zuckt durch meinen Körper. Scheiße! Sie hat recht. Meine verdammte Eifersucht und Besitzgedanken haben alles andere ausgeschaltet. Der Rausch war einfach zu heftig; und so unerwartet …

„Keine Sorge. Ich nehme die Pille“, sagt die kleine Raubkatze trocken. Sie haucht mir einen Kuss auf die Lippen bevor sie weiterredet. „Und bisher habe ich tatsächlich jeden zerfleischt, der mir ohne Kondom zu nahegekommen ist, also hast du vor mir weniger zu befürchten, wie ich vermutlich vor dir …“

„Vor mir hast du nichts zu befürchten. Als ob ich meinen Freund schutzlos diesen Puppen ausgesetzt hätte …“ Auch wenn man meinen könnte, dass ich mir und dementsprechend auch meine Gesundheit, egal sind, hat weit gefehlt. Kondom ist immer Pflicht, schon aus weiterführenden Gründen. Allein bei dem Gedanken, mit einer dieser wenig vertrauenswürdigen leichten Mädchen, ungewollt Nachwuchs zu produzieren, läuft es mir kalt den Rücken hinunter.

Sanfte Lippen, die vorsichtig über meine tasten, holen mich aus meinen Gedanken. Ich tauche wortlos in das blaue Meer ihr Augen ein. Erkunde diese warme Südsee-Lagune und hoffe darauf wenigsten ein paar Antworten zu finden …

Habe ich sie für mich beansprucht? Oder ist es am Ende ganze anders, und sie hat mich für sich vereinnahmt?

Viel wichtiger: wie stehen wir nun zueinander?

Eigentlich wollte ich nur für Ablenkung sorgen, etwas Entspannung. Das es derart aus den Fugen gerät und so eskaliert, hätte ich nicht für möglich gehalten.

Ich küsse sie, leidenschaftlich, aber sanft.

Mia erwidert es und schnurrt zufrieden; eine waschechte Katze eben.

Ich rolle mich von ihr runter und bleibe auf der Seite liegen. Sie nutzt die Chance und dreht sich zu mir; ihr Rücken liegt an meiner Brust und meinem Bauch. Wortlos nimmt sie meine Hand und zieht sie zu sich. Sie gibt mir einen Kuss auf die Handinnenfläche, der mir Gänsehaut beschert, und schmiegt dann ihre Wange hinein und legt sich hin. Es dauert nicht lange und das Kätzchen schläft … im Gegensatz zu mir.

Ich bin unsicher, nervös und überfordert wegen dem, was hier passiert ist und bekomme daher trotz Müdigkeit kein Auge zu. Ich liege da und denke nach.

Mir kommen die absurdesten Ideen. Ich grüble zwischenzeitlich tatsächlich, ob Mia meinen Eifersuchtsanfall über sich ergehen lassen hat um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Und danach, ob es womöglich die Bezahlung für die Rechnung vom Doc ist. Ich muss mir wohl oder übel eingestehen, dass mein Frauenbild über die Jahre ziemlich gelitten hat.

Ich spüre ihren Atem über meinen Unterarm streichen, gleichmäßig wie ihr Herzschlag, den ich an meinem Brustkorb fühle. Wärme überkommt mich, flutet mich wie vorhin die brennende Lava, nur, dass das hier angenehmer ist. Irgendwie wohlig … und … geborgen …

Vorsichtig ziehe ich meine Hand unter Mias Kopf hervor und rücken von ihr weg. Fast schon hektisch verlasse ich das Bett. Anschließend stehe ich verloren in meinem Schlafzimmer und sehe sie an.

Die kleine Raubkatze.

Meine kleine Raubkatze?

Der Gedanke verstört mich. Ich sammle meine Hose ein und verlasse den Raum. Im Flur ziehe ich mich an und laufe nach unten. Ich weiß gerade nicht, wo unten und oben ist, das ist mir noch nie passiert. Ich gehe Richtung Küche, als mich ein Geräusch ablenkt.

Ein gedämpftes Stöhnen ist aus dem Zimmer zu hören, in dem Juri liegt. Ich gehe zu ihm um nachzusehen ob alles in Ordnung ist. Ich lasse das Licht aus und gehe festen Schrittes zum Bett. Der junge Mann regt sich und stöhnt wieder.

„Hey, Kumpel“, spreche ich Juri leise an und beuge mich leicht zu ihm.

Mühsam öffnet er die Lider und sieht mich verwirrt an. „Wer …?“ Seine Stimme ist krächzend und heiser.

„Mia hat dich hergebracht. Ein Arzt hat dich versorgt – du kommst wieder auf die Beine“, erkläre ich grob. Der Russe macht nicht den Eindruck, als wäre wirklich Aufnahmefähig, also wäre es vergebene Liebesmühe, dass weiter auszuführen.

„Mia?“

Das Gesicht von Juri verzieht sich, seine Augen weiten sich und das, was ich darin erkenne beunruhigt mich. Da ist Angst, blanke Angst. Vor Mia?

„Ist sie hier?“, fragt er. Seine Atmung wird schneller und hektischer. Er versucht sich aufzusetzen, doch hat nicht die Kraft dafür und fällt zurück.

Misstrauisch wegen der Situation nicke ich nur langsam als Antwort. Was wird hier gespielt?

„Du … Du bist ein Freund, richtig? Sonst hätte sie … Sie mich nicht hergebracht“, mutmaßt Juri angestrengt.

Wieder nicke ich nur.

„Du musst … Du musst sie wegbringen.“ Er schließt die Augen und stöhnt schmerzbedingt.

„Weg bringen?“, frage ich irritiert. Irgendetwas ist gehörig faul an der Sache hier.

„In Sicherheit bringen“, präzisiert der Russe. „Du musst sie in Sicherheit bringen, wenn … wenn er sie findet … oh, Gott, …“, er bricht ab, stöhnt wieder und verliert das Bewusstsein.

Ich richte mich auf und bin irritiert. Mia? In Sicherheit bringen? Und wer ist er?

Plötzlich fangen meine Nerven an zu flattern und meine Muskeln zittern. Die beiden stecken offenbar in einer ziemlichen Scheiße, und irgendjemand ist nicht zimperlich mit Juri umgegangen. Wegen der kleinen Raubkatze? Mein Magen dreht sich ruckartig auf Links.

Matt!

Ich muss ihn schützen, um jeden Preis. Er darf auf keinen Fall in irgendetwas hineingezogen werden; und das würde er, wenn ich in etwas hineingezogen werden. Alles andere spielt auf einmal keine Rolle mehr. Das Gefühlschaos und die Emotionen die ich empfinde sind egal; nur Matt ist wirklich wichtig.

Ich muss die beiden loswerden, jetzt sofort.

Zum Glück hat Mia den Schlüssel des BMW stecken lassen. Ich trage Juri nach draußen und setze ihn auf den Beifahrersitz. Danach gehe ich zurück ins Haus und nach oben.

Einen Moment stehe ich da und sehe das schlafende Kätzchen an. Zweifel überkommen mich, doch Matt ist wichtiger. Ich sammle ihre Klamotten ein und packe sie schließlich am Unterarm. Erbarmungslos zerre ich sie aus meinem Bett.

Mia ist im ersten Moment viel zu überrumpelt um zu reagieren. Im Flur drücke ich ihre Sachen in die Hand. Ich bemühe mich, so viel Verachtung und Wut wie möglich in meine Stimme und meinen Blick zu legen. „Verschwinde hier. Sofort“, knurre ich.

Der Unglaube weicht aus dem Gesicht der kleinen Raubkatze und macht Hass platz, und Enttäuschung, aber das versucht sie zu verbergen. Ihre Augen werden kalt und brechen mir das Herz.

Ehe ich reagieren kann, hat sie ausgeholt und mir eine Ohrfeige verpasst. Meine Wange brennt, aber ich zeige keine Reaktion.

Mia dreht sich um und verschwindet wortlos. Sie zieht sich im Gehen an und schnappt sich ihr Smartphone vom Couchtisch und verlässt mein Haus.

Ich stehe da, warte und lausche. Der BMW erwacht und fährt davon.

Einige Augenblicke später ist es still. Ich fühle mich leer, zerstört und … hoffnungslos.

Rede und Antwort


 

Matt
 

Wer glaubt, Motorräder seien heute verzichtbar,

hat noch nie so ein Tier zwischen den Beinen gespürt.

Franz Hubmann

 

Ich bin mit meinem Motorrad unterwegs, fahre einfach durch die Gegend um … um zu verstehen. Und um zu vergessen. Das Rasen hat mir schon immer geholfen, den Kopf frei zu bekommen. Einfach alles einige Zeit hinter mir zu lassen; weit weg. In gewisser Weise einfach von den Dingen davon zu fahren.

Es ist inzwischen einige Tage her, trotzdem lässt mich das alles nicht los. Mia, Juri, Daryl. Die Ereignisse an dem Abend als sie bei meinem Bruder aufgetaucht ist, und das, was zuvor passiert war zwischen ihr und mir. Mein Herz wird schwer bei dem Gedanken an Daryl. Ich bin am nächsten Tag gleich früh zu ihm gefahren um zu sehen wie es Mia und Juri geht. Angekommen sah ich sofort das etwas nicht stimmte. Der goldgelbe BMW war nicht mehr da gewesen. Und mein Bruder saß da und starrte in den Pool.

Ich habe ihn noch nie so gesehen. Es war, als hätte ich einen Zombie vor mir. Ich wollte von ihm wissen was los ist, was passiert war, aber nichts. Kein Wort kam über seine Lippen. Ich bin fast wahnsinnig geworden. Ich konnte mir auch so gar keinen Reim darauf machen, was los sein könnte, was passiert sein könnte.

Irgendwann hob er den Kopf und sah mich an, als hätte er gerade eben erst registriert, dass ich überhaupt da war. Seine Augen waren leer, traurig und verloren. Mein Herz zersprang in tausend Teile. Ich weiß, dass Daryl nicht der harte Hund ist, der er immer vorgibt zu sein, aber so zerstört habe ich ihn ehrlich noch nie erlebt. Noch nie! Und er hat schon viele wirklich schlimme Sachen erlebt.

„Ich habe sie rausgeschmissen. Es ist besser so“, war alles was er sagte. Keine Erklärung, keine Details. Seine Stimme war dumpf und brüchig.

Mehrfach hatte ich versucht ihn zum Reden zu bringen. Mit Liebe, mit Wut, mit Angriffen … Nichts. Er hat mich einfach ignoriert, so getan, als wäre ich nicht da.

Gegen Abend tauchten dann plötzlich die ersten Autos und Gäste auf. Es wurde emsig gewerkelt, Boxen aufgebaut und Getränke ausgeladen.

Daryl und seine verdammten Partys! Ich bin ausgeflippt und habe ihn angebrüllt, ob er glaubt, dass das seine Probleme lösen würde. Er hat abgewunken und mich förmlich rausgeschmissen.

Ich bin mir bewusst, dass für ihn diese Partys das sind, was für mich das Fahren mit dem Motorrad ist. Ablenkung, den Kopf freimachen; den ganzen Scheiß einige Stunden vergessen. Und trotzdem war ich nicht der Meinung, dass es ihm unter den Umständen und seinem Zustand wirklich helfen würde. Aber wie immer hat er nicht auf mich gehört.

Wutentbrannt habe ich sein Grundstück verlassen. Seitdem herrscht Funkstille zwischen uns.

Mal wieder.

Es ist nicht das erste Mal; und wird wohl auch nicht das letzte Mal sein. Wir sind Brüder, wir sind uns nah. Manchmal auch einfach zu nah und dann explodiert es zwischen uns. So war es schon immer, so wird es wohl auch immer bleiben. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir irgendwann auch ohne Notsituationen einander nah sein werden. So wie früher, als wir noch Kinder waren …

Dann dachte ich an Mia. Ich hatte gehofft, dass sie mir sagt, was passiert ist, aber ich konnte sie nicht erreichen. Entweder sie ging nicht ran oder ihr Handy war aus. Meine Nachrichten hat sie auch nicht beantwortet.

Ich drehe am Gashahn und der Motor unter mir heult auf. Das Geräusch lässt mich immer lächeln, egal wie es in mir aussieht. Der Wind rauscht an mir vorbei, zieht an meinen Schultern und kriecht unter meine Jacke. Die Straße wird schmaler, genau wie die Landschaft, je schneller die Hayabusa mich voranbringt. Mein Herz klopft aufgeregt und das Adrenalin rast durch meinen Körper, wie ich über den Asphalt.

Freiheit, pure Freiheit. Es ist wenig Verkehr auf der Schnellstraße und ich kann mich richtig austoben. Ich schieße an Autos vorbei, lege mich in die Kurven und genieße es in vollen Zügen. Es gibt nichts Großartigeres wie das hier!

Als ich an einem Laster vorbei schieße sehe ich etwas im Augenwinkel. Sofort nehme ich das Gas weg und wechsle zur Sicherheit die Spur. Ein gelber Pfeil donnert brüllend die Auffahrt hoch und schnippt kurz vor dem LKW rüber, der wütend Dampf ablässt und lautstark hupt. Der Motor des Autos heult auf und es schießt davon.

Mir stockt kurz der Atem, und der Herzschlag auch. Dieses Auto ist einmalig. Von der Sorte gibt es kaum welche und in der Farbe gleich gar nicht.

Mia!

Ich beschleunige und nehme die Verfolgung auf. Sie fährt schnell und aggressiv, als wäre der Teufel hinter ihr her. Trotzdem wirkt es kontrolliert und präzise. Mir fällt wieder ein, dass Daryl erzählt hatte, dass er sie bei einem Streetrace getroffen hatte. Er meinte zwar, sie wäre wohl zum Fotografieren dort gewesen, aber das was ich hier sehe, lässt mich stark vermuten das sie auch an welchen teilnimmt … oder -nahm.

Mein Instinkt sagt mir im letzten Moment, dass ich vorsichtig sein sollte. Mein Bruder wird seinen Grund gehabt haben sie rauszuschmeißen und vor dem Hintergrund wo sich die beiden begegnet sind, sollte ich lieber vorsichtig sein.

Ich hefte mich weiter an ihre Fersen, halte aber Abstand. Es geht die Schnellstraße entlang, die in einem Bogen um die Stadt führt. Sie nimmt rasant eine Abfahrt und ein Blick auf das Schild verrät mir, das wir zum Containerhafen fahren.

Ich folge ihr, nehme aber zunehmend Tempo raus und bin verwirrt. Ein ungutes Gefühl überkommt mich. Was will sie hier nur?

Wir fahren auf das Gelände, zwischen den Metallschluchten hindurch. Emsig wuselt es überall. Gabelstapler, Laster, Menschen – alles bewegt sich und geht seiner Arbeit nach. Niemand scheint Notiz von ihr und mir zunehmen.

Ich sehe, wie der BMW um eine Ecke fährt und verschwindet. Ich stoppe unschlüssig. Was tue ich hier überhaupt?! Habe ich wirklich das Recht sie zur Rede zu stellen? Ich will zwar wissen, was passiert ist, aber geht mich das überhaupt etwas an? Daryl war extrem abweisend und das mit Sicherheit nicht grundlos. Außerdem ist da ja noch die Sache mit dem armen Juri. Von den One-Night-Stands ganz zu schwiegen. Ich starre vor mich hin und weiß nicht so recht, da vibriert plötzlich mein Handy.

Genervt von der Störung setze ich meinen Helm ab und lege ihn auf den Tank. Ich krame mein Smartphone aus der Innentasche meiner Jacke und bekomme direkt Panik als ich sehe wer mich anruft. Meine Hände werden schwitzig und mein Herz beginnt zu rasen.

Hastig gehe ich ran. „Daryl?“, frage ich zittrig, ohne zu wissen, warum ich direkt vom Schlimmsten ausgehe. Wahrscheinlich weil er mich nie so zum Spaß anruft. Außer das letzte Mal; da wollte er reden. Und das ist ja letzten Endes auch nicht gut ausgegangen.

„Nicht ganz“, antwortet eine dunkle Männerstimme die ich nicht kenne.

Alles in mir verkrampft sich. Wer ist das und warum hat er das Telefon meines Bruders? Warum konnte ich nicht ein einziges Mal falsch liegen?! Schreckliche Bilder flitzen vor meinem inneren Auge durch. „Wer bist du?!“, brüllen ich ungehalten ins Telefon. „Wenn du meinem Bruder …“, drohe ich direkt.

„Keine Sorge“, unterbricht mich der Unbekannte arrogant und kühl. „Daryl geht es gut. Etwas zerkratzt vielleicht, aber nichts Gravierendes.“

Ich fluche und kann mich nur schlecht beherrschen. Ein unbändiges Bedürfnis auf etwas einzuschlagen überkommt mich. Warum nur passiert das meinem Bruder immer wieder?

„Ich bin auf der Suche nach jemandem“, erklärt der Mann süßlich.

Mir schläft das Gesicht ein. Es gibt natürlich tausend Möglichkeiten, aber irgendwie … Mein Blick wandert wie automatisch zu der Stelle, wo der Z3 verschwunden ist. Ist es möglich das …?

„Eine kleine hübsche Frau. Blaue Augen, hellbraune Haare, hört auf den Namen Mia. Klingelt da was?“, fragt der Unbekannte, als ob er die Antwort bereits kennt.

Ich habe das Gefühl mich übergeben zu müssen. Daryl ist mein Bruder, er ist mein Leben. Wenn man ihn bedroht, bedroht man auch mich. Aber Mia ist … unschuldig? Gute Frage. Ich weiß nicht, was der Typ von ihr will, warum er auf der Suche nach ihr ist. Mir kommt Juri wieder in den Sinn. War er so zugerichtet, weil er in Kontakt mit der Kleinen stand? Ich kenne sie immerhin kaum … trotzdem sträubt sich irgendetwas in mir diesem Fremden in die Karten zu spielen, egal was er von ihr will.

Allerdings geht es hier gerade womöglich um das Leben meines Bruders. Ich weiß einfach nicht, was richtig und was falsch ist. Was soll ich jetzt tun?! Es hilft nichts, ich muss mich jetzt erst einmal auf Daryl konzentrieren. „Sie ist nicht bei mir“, sage ich mit fester Stimme ins Telefon.

„Schade … für deinen Bruder.“

Ein Schuss ist zu hören. Ein Schrei.

Ich brülle panisch ins Telefon und weiß nicht weiter. Soll ich zu ihm fahren? Mia suchen? Meine Gedanken überschlagen sich, während um mich herum das Leben ungerührt weiterläuft.

„Ich rate dir sie ausfindig zu machen und her zu bringen. Sonst sitzt der nächste Schuss“, erklärt der Unbekannte eisig.

Ich höre noch das Schmerzstöhnen und Fluchen von Daryl, dann ist die Leitung tot. Mechanisch packe ich das Handy weg. Adrenalin schießt durch meinen Körper, genauso wie Angst. Ich setze den Helm wieder auf und gebe meinem Bike die Sporen.

Keine Ahnung was hier los ist, aber Mia wird mir Rede und Antwort stehen! Ich muss meinem Bruder helfen! Die Frage ist nur, wie weit ich bereit bin dafür zu gehen. Während ich um eine Ecke fahre, frage ich mich, ob Daryl irgendetwas wusste und sie deshalb rausgeschmissen hat. Plötzlich taucht der BMW direkt vor mir auf und ich lege eine Vollbremsung hin. Das Hinterrad bricht aus und das Motorrad legt sich auf die Seite. Mein Kopf knallt auf den Boden und trotz Helm ist der Aufprall so stark, dass mir kurz schwarz vor Augen wird.

Ich bin benommen und verwirrt. Dumpf höre ich eine Frauenstimme, die meinen Namen ruft. Meine Sicht wird langsam wieder besser und registriere, wie mein Visier hochgeklappt wird. Zwei hellblaue Augen sehen mich erschrocken und besorgt an.

„Scheiße, Matt. Was machst du hier?“, fragt mich Mia vorwurfsvoll.

„Du … Daryl …“ Mein Schädel brummt und meine Gedanken lassen sich im ersten Moment nicht ordnen.

„Daryl?“, hakt sie angefressen und hörbar sauer nach.

„Daryl … der … der Mann …“, stottere ich immer noch benommen. Ich setze mich mit ihrer Hilfe auf und sehe sie an.

„Welcher Mann?“ Die Stimme der Kleinen ist argwöhnisch. Sie scheint zu ahnen, um welchen Mann es sich handelt.

„Ein Mann ist bei Daryl. Er … bedroht ihn …“ Wut packt mich und ich sehe Mia an. „Der Kerl will dich“, fauche ich.

Es bricht mir fast das Herz. Ihre Augen werden trüb und feucht. Ihr zartes Gesicht verzieht sich, als hätte sie fürchterliche Schmerzen. „Es tut mir leid“, flüstert sie und legt sich die Hand auf die Stirn. Ihr Blick geht gen Boden. „Ich hätte nicht gedacht … Ich … Scheiße …“ Einen Augenblick scheint sie Verzweiflung zu übermannen, doch plötzlich packt sie etwas Anderes. Sie sieht mich an, entschlossen und mit einer unglaublichen Stärke. „Wir müssen los“, sagt Mia schlicht und steht auf.

Sie kennt den Typen und dann dieser Stimmungsumschwung … Ich bin verwirrt. Aber das ist egal. Wir müssen los, und damit hat sie völlig Recht.

Ich gehe zu meinem Bike und hebe es auf. Die Kleine verschwindet in Windeseile in ihrem Auto. Wir wechseln noch einen Blick, dann fahren wir los. In Höllentempo donnern wir über die Schnellstraße. Ich fahre voraus und Mia folgt. Schon nach wenigen Minuten höre ich auf in den Seitenspiegel zu schauen ob sie noch da ist und Schritt hält. Sie ist eine exzellente Fahrerin, das muss ich gestehen.

Als wir in die Straße einbiegen, in der Daryls Haus steht, gibt mir die Kleine Lichthupe und hält am Straßenrand. Ich halte ebenfalls und warte, was sie vorhat.

Mia steigt aus dem Auto und kommt zu mir gelaufen. Ich nehme den Helm ab und steige vom Motorrad. Sie kommt vor mir zum Stehen. Ihr Blick ist schuldbewusst und entschuldigend. Trotzdem steht dahinter eine unfassbare Entschlossenheit, die mir Mut macht. Keine Ahnung was hier los ist, aber ich schöpfe Hoffnung, dass alles gut wird.

„Matt … Ich … Es tut mir wirklich aufrichtig leid. Ich hätte nicht gedacht, dass er meiner Spur bis zu deinem Bruder folgt. Ich … Es war nie meine Absicht euch in Gefahr zu bringen“, erklärt sie mit fester Stimme.

Ich sage nichts, sehe sie nur an, lang und intensiv. Ich versuche zu sehen, was dahinter ist; hinter diesem blauen Eismeer das sich gerade vor mir erstreckt. Da ist ein Schmerz in ihren Augen, der mir merkwürdig bekannt vorkommt; und auch ein Panzer, der sehr vertraut wirkt.

„Ich weiß, dass ist jetzt viel verlangt, aber du musst mir vertrauen.“ Mia geht los. Ihre Schritte sind fest und entschlossen. „Ich weiß was ich tue.“

Ich hoffe es, um meines Bruders Willen.

Absolutes No-Go


 

Daryl
 


 

Wer mit den Wölfen heult, wird mit den Wölfen gejagt

aus Finnland
 

Mein Bein schmerzt wie die Hölle. Dieser blöde Mistkerl hat es tatsächlich gewagt auf mich zuschießen! Leider muss ich mir eingestehen, dass ich unvorsichtig war. Meine Emotionen haben mich zu sehr beschäftigt … Sie hat mich zu sehr beschäftigt und ich habe zu spät gemerkt, dass sich jemand in mein Haus geschlichen hat.

Viel zu spät.

Der Schlag kam aus dem Nichts. Der Kerl wusste was er tat. Jeder Schlag hatte gesessen. Ich habe mich gewehrt, hatte aber keine wirkliche Chance. Als er mich endlich am Boden hatte zog er die Knarre.

Nicht das erste Mal das ich diese Situation hatte, allerdings wunderte ich mich. Der Typ hatte eine Waffe, schlug mich aber zusammen um mich fertig zu machen bevor er mich bedrohte. Das hatte eher persönlichen Charakter, aber ich kenne ihn nicht. Und dann …

„Sie ist nicht mehr hier … Wo ist sie?“, fragte er mich und aus seinen Augen glühten vor Verachtung.

Sie. Ich wusste sofort, dass er Mia meinte, aber ich stellte mich dumm. Und bereute es. Zwei Schläge, perfekt platziert, und mir kam meine Tagesration Essen hoch. Und die Vermutung, dass ich hier denjenigen vor mir hatte, der Juri so zugerichtet hatte. Das konnte noch witzig werden.

„Wo ist sie?“, fragte er erneut.

„Keine Ahnung“, hustete ich schließlich.

Ich wusste es ja wirklich nicht. Nachdem ich sie und Juri vor die Tür gesetzt hatte, hatte ich alles versucht um mich abzulenken. Partys, Rennen fahren … nichts hat wirklich geholfen. Mein schlechtes Gewissen plagte mich, obwohl ich mir sicher war, dass es richtig war sie rauszuschmeißen. Ich habe es nicht mal fertiggebracht, eines der Püppchen abzuschleppen. Ich konnte es einfach nicht. Ich wusste, dass es nicht so wie mit ihr sein würde. Wusste, dass es einfach nur so wie sonst sein würde; leer und bedeutungslos. Außerdem geisterte mir immer wieder die Frage im Kopf herum, was wäre, wenn sie dringend Hilfe braucht. Und dann redete ich mir immer wieder ein, dass es für den Schutz meines Bruders war …

Und doch. Sie fehlte mir, ich machte mir Sorgen um sie und mehr als einmal war ich kurz davor nachzugeben und sie anzurufen.

Mit einem, „Na dann frage ich mal deinen Bruder …“ riss mich der Kerl aus meinen Gedanken. Mir gefror das Blut in den Adern. Ich hatte geflucht, ihn bedroht, versucht ihn zu provozieren; alles um zu verhindern das er Matt in diese Sache hineinzog. Auf keinen Fall wollte ich, dass er ihn anrief … Aber ich konnte es nicht verhindern. Der Typ knackte mein Handy mit einem Gerät das er anschloss und ich konnte nur hilflos dabei zusehen, wie er meinen Bruder anrief.

„Nicht ganz“, antwortete der Kerl mit einem eisigen Lächeln als Matt ranging.

Alles in mir verkrampfte sich. Ein Horrorszenario nach dem anderen zog vor meinen inneren Augen vorbei.

„Wer bist du?!“, hörte ich Matt am anderen Ende der Leitung brüllen. „Wenn du meinem Bruder …“

„Keine Sorge“, unterbrach der Unbekannte arrogant und kühl. „Daryl geht es gut. Etwas zerkratzt vielleicht, aber nichts Gravierendes.“ Die blauen Augen des Unbekannten sahen zur mir und er grinste reißerisch. „Ich bin auf der Suche nach jemandem“, erklärte er dann süßlich, ohne seinen Blick von mir abzuwenden.

Wut ätzte sich durch meine Venen; Wut auf Mia, aber vor allem auf mich selbst. Es war alles meine Schuld! Ich hätte die kleine Raubkatze direkt wegjagen sollen, als sie mit Juri aufgetaucht war … Aber ich hatte es nicht gekonnt. Meine Freude über das Wiedersehen und die Tatsache, dass sie zu mir gekommen war, war zu überwältigend gewesen und hat mich vergessen lassen, in welcher Welt ich mich befand.

„Eine kleine hübsche Frau. Blaue Augen, hellbraune Haare, hört auf den Namen Mia. Klingelt da was?“, fragte der Unbekannte, als ob er die Antwort bereits kannte.

Ich hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen. Ich kenne meinen Bruder; er würde sich auf die Suche nach ihr begeben; oder noch schlimmer: einfach hier auftauchen. Beides waren Dinge, die ich verhindern wollte … aber nicht konnte. Jeder Atemzug schmerzte. Es würde mich nicht wundern, wenn ein oder zwei Rippen tatsächlich gebrochen wären. Der Scheißkerl wusste was er tat.

Matt antwortete mit fester Stimme, aber ich verstand nicht was er sagte.

„Schade … für deinen Bruder.“

Der Typ richtete die Waffe auf mich und drückte ab; ohne Vorwarnung. Ein brennender Schmerz bohrte sich in meine Wade und ich schrie auf.

„Ich rate dir, sie ausfindig zu machen und her zu bringen. Sonst sitzt der nächste Schuss“, erklärte der Unbekannte eisig. Er legte auf und warf das Handy einfach auf den Tisch.
 

So sitzen wir nun hier. Ich an der Wand Richtung Treppenhaus, er auf der Couch. Nachdem der erste Schmerz nachgelassen hatte, hatte ich mich mit meinem Shirt notdürftig selbst verbunden. Ein glatter Durchschuss im Unterschenkel, immerhin.

Es ist schon ein wenig bizarr. Der Kerl hockt auf meinem Sofa, entspannt und als wäre es das normalste der Welt. Seine Gesichtszüge sind reglos und seine blauen Augen sehen durch die Glasfront hinaus zur Einfahrt. Ich schätze, er ist etwa in meinem Alter, vielleicht zwei, drei Jahre älter. Er ist einen halben Kopf kleiner als ich, aber gut durchtrainierter und sehnig. Ein Kämpfer, wie er bereits unter Beweis gestellt hat.

Wir sitzen da und warten … Zu viel mehr bin ich leider auch nicht in der Lage. Das war wohl von Anfang an der Plan. Deswegen hat er mich so übel zusammengeschlagen, damit er sich nicht mehr mit mir befassen muss. Ein Profi, der weiß was er tut. Die Schläge saßen und der Plan ist perfekt durchdacht. Er wirkt zwar ungeduldig, aber keines Falls unsicher.

In mir wächst die Sorge, dass das hier alles schiefgeht und böse endet. Ich kenne meinen Bruder; er ist manchmal sehr impulsiv und unüberlegt. Das kann für einen Überraschungseffekt sorgen, aber diesen Kerl hier überrascht man nicht – ich würde meine Karre darauf verwetten. Doch noch immer stellt sich die Frage, wie Mia in das ganze passt und was genau der Unbekannte von ihr will. Ist er wirklich der Böse in der Geschichte? Oder ist es am Ende Mia? Falls letzteres der Fall ist, wünsche ich mir, dass Matt sie nicht findet …

Der Kerl macht plötzlich einen langen Hals und grinst zufrieden.

Ich versuche meine Position etwas zu verändern um zu sehen, was ihn so dämlich Lächeln lässt, aber sofort zieht ein stechender Schmerz meine Seite hoch. Fuck!

„Ganz ruhig. Unser Besuch wird gleich hier sein“, sagt er, ohne mich anzusehen. „Und er ist in Begleitung.“ Ein breites Grinsen bildet sich auf seinem Gesicht, dass zwischen amüsiert und hämisch schwankt.

Keine Ahnung, aber irgendwie kommt mir das Lächeln bekannt vor, genau wie seine blauen Augen. Doch das ist egal. Mein schlimmster Albtraum wird gerade wahr. Matt kommt die Einfahrt hoch; mit Mia. Immer noch weiß ich nicht, was hier los ist und worum es geht; und das macht mich verrückt.

Der Kerl steht auf und strafft seine Haltung.

Die Kleine Raubkatze läuft vornweg. Die Art wie sie läuft, der Ausdruck in ihren Augen – sie ist auf Krawall gebürstet. Sie lässt jetzt im Moment keinen Zweifel daran, dass sie ein Jäger ist und keine Beute. Festen Schrittes kommt sie zur Terrassentür herein, dicht gefolgt von meinem Bruder. Ihre Augen wandern zu mir und mein Herz klopft etwas schneller und lauter so lange der Blickkontakt hält. Da blitzt etwas in ihren Augen auf, kurz bevor sie sich dem Unbekannten zu wendet. Sie drückt den Rücken durch, verschränkt locker die Arme vor der Brust und sieht den Kerl herausfordernd an.

Matts Blick klebt an mir, er sondiert meinen Gesundheitszustand. Jahrelange Erfahrung lässt uns schnell erkennen wie es um den anderen steht. Eine tiefe Falte bildet sich auf seiner Stirn und ich sehe wie Wut in ihm hochkocht. Hoffentlich macht er jetzt keinen Blödsinn.

„Da bin ich“, eröffnet Mia das Gespräch sarkastisch.

Der Blick des Unbekannte verfinstert sich sofort. „Witzig“, antwortet er und scheint wenig begeistert.

„Was hast du erwartet, nachdem was du mit Juri angestellt hast?“, pfeffert sie ihm entgegen und ihr Augen erdolchen ihn förmlich.

Oha, also stimmt meine Vermutung. Doch was mich am meisten beschäftigt ist die Tatsache, dass die beiden sehr vertraut wirken. Die kennen sich, und das nicht nur einfach so. Etwas verbindet sie, und diese Feststellung lässt mir unweigerlich die Galle hochkommen. Aus mehrerer Gründen. Mia wusste augenscheinlich um die Gefahr die von diesem Typen ausgeht, trotzdem ist sie zu mir gekommen und hat mich mit hineingezogen. Und damit unweigerlich auch meinen Bruder. Den anderen Grund schiebe ich lieber beiseite …

„Du hast mich überfahren“, säuselt der Unbekannte und zieht die Augenbraue hoch.

„Offensichtlich nicht richtig“, kontert Mia zynisch und ihre Haltung wird noch eisiger.

Da sind verletzte Gefühle im Spiel, das spürt man direkt. Doch meine Gedanken werden unterbrochen, als ich sehe, dass Matt die Gunst der Stunde nutzt um sich langsam in meine Richtung bewegt. Ich bemühe mich meine Panik nicht nach außen dringen zu lassen um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Was macht der Dummkopf nur?!

„Wo ist er?“ Die Stimme des Unbekannte ist mehr ein Knurren, wie alles andere.

„Juri?“, fragt die kleine Raubkatze scheinheilig zurück.

Scheiße, sie scheint es darauf anzulegen den Typ auf die Palme zu bringen. Ich sehe wie er vor Wut förmlich bebt, gleichzeitig bewegt sich Matt immer weiter in meine Richtung.

„Witzig. Du weißt was ich meine“, faucht der Kerl.

„Vergiss es!“, donnert Mia los. „Das Ding hat nur Probleme gemacht. Es war von Anfang an eine dämliche Idee! Sieh dich doch an, sieh was du getan hast!“

Der Schmerz und die nahenden Tränen sind nicht zu überhören. Mia kämpft mit ihren Emotionen und ihr gebrochener Blick sticht mir ins Herz. Ich bin so sehr mit ihr und dem Versuch beschäftigt, dass hier irgendwie zu verstehen, dass ich gar nicht mehr auf meinen Bruder achte.

„Erzähl keinen Scheiß! Er könnte uns endlich hier rausbringen!“, brüllt der Kerl und gestikuliert wild.

„Zu welchem Preis?“, schluchzt die kleine Raubkatze leise.

Dann geht es plötzlich schnell. Matt ist fast bei mir und der Unbekannte bemerkt es. Er reagiert blitzschnell und zieht die Waffe.

Ich schreie, aus Angst um meinen Bruder.

Matt schreit, aus Angst um mich.

Doch dann ist es schlagartig still.

Der Unbekannte hält die Knarre am ausgestreckten Arm; fest, sicher, tödlich. Sein Blick ist kalt und unbarmherzig.

Mein Herz stolpert vor sich hin und Matt geht zwei Schritte rückwärts in meine Richtung. Schreck und Unglaube sind deutlich in sein Gesicht geschrieben.

Zwischen meinem Bruder, mir und dem sicheren Tod, steht Mia; die Mündung der Waffe direkt auf ihren Kopf gerichtet. Da ist keine Verzweiflung mehr, keine Wut in ihrer Ausstrahlung, nur unfassbar tiefe Traurigkeit. Völlig unpassend dazu ist ihre Stimme kräftig und stark, und frei von jedem Zweifel als sie ruhig spricht, „Nur über meine Leiche. Ich werde das nicht zulassen. Nicht noch einmal.“

„Warum willst du es einfach nicht verstehen?“, fragt der Typ beinahe verzweifelt. „Wir könnten endlich hier weg. So wie wir es immer wollten …“

Ich sehe Mias Gesicht nicht, weil sie mit dem Rücken zu mir steht. Aber ich sehe ihre Schultern und ihre zitternden Fäuste. Die Verzweiflung scheint überhand zu nehmen. „Hör auf, Liam. Du jagst einem Hirngespinst nach. Es wird nicht aufhören … Sie werden uns suchen … Wir würden ein Leben auf der Flucht führen … Das will ich nicht. Außerdem ist der Preis jetzt schon zu hoch!“

Liam, einer der Jungs mit denen sie aufgewachsen ist. Und trotzdem passt es irgendwie nicht zusammen. Sie war Juri gegenüber anders. Das hier ist viel vertrauter, viel näher und enger. Ein Liebespaar?

Matt holt mich aus meinen Grübeleien. Er dreht sich zu mir um und geht direkt vor mir in die Hocke, was ich bemerkenswert finde. Er dreht dem Gegner den Rücken; eigentlich ein absolutes No-Go. Offenbar vertraut er darauf, dass die kleine Raubkatze diesen Typen im Griff hat. Seine braunen Augen, die meinen so sehr gleichen, sehen mich intensiv an. Ein stummes Gespräch wie wir es schon tausende Male geführt haben. Er vertraut Mia, und ich solle es ihm gleichtun; genau das lese ich heraus. Ich nicke vorsichtig und ein kleines Lächeln huscht über das Gesicht meines Bruders.

„Wenn du nicht für mich bist, bist du gegen mich“, sagt Liam mit belegter Stimme und ich höre, wie er den Abzugshahn der Waffe spannt.

„Wer mit den Wölfen heult …“, flüstert Mia traurig. Sie hat aufgegeben, das sieht man auch an ihrer Haltung recht deutlich. „Wird auch mit ihnen gejagt“, fügt sie mit brechender Stimme hinzu und senkt den Blick.

Ein Schuss ertönt.

Ich Schreie, aus Angst um Mia.

Matt schreit, aus Angst um Mia.

Dann ist es schlagartig still …

Die Stunde der Wahrheit


 

Mia
 


 

Alle Menschen sind Brüder, bis auf die Schwestern.

Klaus Klages

 

Ein grässlicher Schmerz durchzuckt mein Herz. Es zerreißt mich förmlich und fühlt sich einfach nur unerträglich an. Liams Schrei besteht mehr aus Verzweiflung, wie aus Leid; und das macht es noch schlimmer.

„Mia …“, wimmert er und sieht mich fassungslos an.

Die Zeit steht still, aber nicht auf die gute Weise. Es ist dieser Stillstand, der sich anfühlt als würde sich alles in nichts auflösen. Als wäre die Welt gerade explodiert. Der Moment, nachdem es nie wieder wie vorher sein wird.

Ich gehe in die Hocke, meine Augen immer noch auf ihn gerichtet. Dieses Blau, dass meinem so ähnlich ist und das nicht nur wegen der Farbe. Auch der Schmerz der sich darin spiegelt, ist der Gleiche … doch es ändert nichts … Langsam hebe ich seine Waffe auf; nehme sie routiniert auseinander. Magazin und Schlitten entferne ich und lege alles auf die Kommode neben mir.

Meine Augen können einfach nicht von ihm lassen. Er bricht mir das Herz; mal wieder, schon wieder. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft das in den letzten Monaten passiert ist, in den letzten Jahren. Jetzt ist Schluss, es muss endlich aufhören. Ich höre Matt und Daryl hinter mir, sie reden leise miteinander. Mein Herz schlägt schwer. Ich habe die beiden ganz schön in die Scheiße geritten. Aber als Juri einfach nicht aufhörte zu bluten, wusste ich nicht so recht wohin. Zu unserem üblichen Arzt konnte ich nicht; ich war mir sicher, dass Liam ihn überwachen würde um unserer handhab zu werden. Daryl kam mir sofort in den Sinn … und das aus mehreren Gründen.

Ich traue mich nicht mich umzudrehen und die Brüder anzusehen. Ich schäme mich, bin verunsichert und verwirrt. Alles Gefühle die ich sonst nicht unbedingt habe, vor allem nicht in dieser Kombination. Ich fühle mich hilflos und überfordert. Mein Freund kommt mir zu Hilfe, ohne es zu wissen. Juri betritt das Wohnzimmer, seine Waffe bereits wieder zerlegt und in seiner großen Umhängetasche verstaut. Man sieht ihm immer noch die Spuren des letzten Zusammentreffens mit Liam an. Sein Gesicht ist noch deutlich mit Hämatomen gezeichnet, sein Gang schwerfällig. Doch er ist gekommen. Ich habe auch nie daran gezweifelt; an seiner Zielsicherheit allerdings … Er hat trotz seiner verletzten Schulter einen perfekten Schuss gesetzt. Ein Profi auf seinem Gebiet eben.

„Wie konntest du nur?“, faucht Liam unseren gemeinsamen Freund an. Er hält seinen Unterarm fest und versucht die Blutung einzudämmen.

Es bricht mir das Herz. Er ist so … so … fremd. Ich erkenne ihn wirklich nicht mehr wieder. Ich habe diesen Umstand lange verdrängt, zu lange vielleicht. Nein, nicht vielleicht, sondern sicher. Ich sehe Juri an, dessen Blick auf Liam gerichtet ist. Er sagt nichts, er weiß auch, dass es sinnlos ist inzwischen. Seufzend senkt er kurz die Augenlider, dann wendet er sich den Brüdern zu.

„Daryl, richtig?“

„Hm“, antwortet der Angesprochene hinter mir gedämpft.

„Ich konnte mich noch nicht Bedanken, also jetzt: Danke“, erklärt Juri mit seinem typischen Akzent und seiner typischen Gelassenheit.

Man könnte ihn in einem Kriegsgebiet abwerfen und er würde trotzdem die Hände in die Hosentaschen stecken und lässig davon Schlendern als wäre nichts. Ich habe ihn schon immer dafür bewundert; und beneidet.

Zu gern würde ich mich umdrehen um die Reaktion der Zwillinge sehen, aber ich stehe wie angewurzelt da und rühre mich nicht. Da ist so viel, dass ich erklären muss, so viel, für das ich mich entschuldigen muss. Ich habe Angst davor, Angst vor der Reaktion, Angst davor, wie es weitergeht.

„Bring ihn zum Arzt“, sage ich zu Juri, um mich endlich selbst aus dieser Situation zu lösen. „Ich bereinigen jetzt endlich den Rest.“ Das hätte ich schon vor Wochen tun müssen. Ich hätte gleich meinem ersten Impuls nachgeben sollen, aber Liam hatte es mal wieder geschafft, mich um den Finger zu wickeln. Zumindest teilweise. Er war sehr überzeugend im ersten Moment, ich hatte die wahnwitzige Hoffnung, dass es vielleicht doch funktionieren könnte.

Egal jetzt. Mein russischer Freund packt Liam und zerrt ihn unsanft hoch. Er bugsiert ihn unter Schmerz- und Protestschreien zum Haus hinaus. Der weiße Mustang steht dort, ich bin an ihm vorbeigelaufen als ich mit Matt herkam. Ich erinnere mich wie stolz Liam war und ihn mir präsentiert hatte; da war es zwar schon nicht mehr in Ordnung, aber immerhin noch gut …

Ich seufze, wegen meiner Nostalgie und wegen dem was nun für mich folgt … Die Stunde der Wahrheit.

Ich drehe mich um und mein Blick fällt auf Matt. Er hat mir vorhin vertraut, obwohl er keinen Grund dazu hatte. Er ist ein guter Kerl, der alles für seinen Bruder tun würde. Ich erkenne mich in ihm wieder, wahrscheinlich haben wir uns deshalb auf Anhieb so gut verstanden. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, dass er nur ein Lückenbüßer war an dem Abend. Der krampfhafte Versuch, mich selbst daran zu hindern wo anders zu sein in dem Moment. Das hat er nicht verdient, wirklich nicht, aber ich konnte nicht anders …

Liam hatte mir erzählt, dass er den Deal festmachen wird. Er wollte das ich ihn begleite, ich habe abgelehnt; ihn angefleht es sein zu lassen. Doch er wollte nicht hören; mal wieder, schon wieder. Die Einladung kam mir daher gelegen, um nicht doch schwach zu werden. Das ich aber bei Matt schwach werde, war nicht gewollt. Doch irgendetwas an ihm hat in mir den Wunsch geweckt, ihm etwas Gutes zu tun. Er wirkte so verloren; so wie ich manchmal. So wie ich an diesem Abend. Zwei verlorengegangene Geschwister … Das er Daryl so schrecklich ähnlich sah, hat es sogar noch einfacher gemacht nachzugeben.

„Schon gut“, sagt Matt leise und sieht mich mit einem warmen Lächeln an.

Ich bin unsicher, was er glaubt in meinem Blick gelesen zu haben. Hat er verstanden, was uns verbindet? Hat er gesehen, dass ich ihn schätze, aber eben auch nicht mehr? Das es mir leid tut, dass der Abend so verlaufen ist?

Ein schelmisches Grinsen huscht über seine Lippen. „Ich kann damit leben. Immerhin hast du meinen Bruder gerettet.“

„Ich habe ihn aber auch erst in Gefahr gebracht“, flüstere ich und sehe unsicher zu Daryl. Liam hat ganze Arbeit geleistet, eine Gesichtshälfte ist dabei ordentlich anzuschwellen. Ich spüre, dass mir die Tränen kommen.

„Stimmt“, lacht Matt amüsiert. „Normalerweise schafft er das ganz gut allein. Das war mal eine angenehme Abwechslung.“

Ich muss lachen. Er ist wirklich ein guter Kerl.

Mein Blick haftet immer noch auf Daryl, der genervt knurrt und seinem Bruder einen gereizten Blick zu wirft. Mein Herz klopft und mein Magen flattert. Im Gegensatz zu seinem Bruder, war unser Treffen freiwillig und gewollt. Sein glühender Blick hatte mich sofort gefangen genommen an dem Abend. Ein angenehmes Kribbeln ist meinen Rücken hinunter gehuscht, als er mich aus der Menge gepickt hatte.

Trotzdem hatte ich mich erstmal rargemacht, ihn aus der Ferne beobachtet und versucht einzuschätzen. Als ich ihn an meinem Wagen gesehen hatte, konnte ich nicht anders. Wie seine Augen über die Karosse gewandert waren … Als würde er eine schöne Frau bewundern. Und ja, ich hatte mir gewünscht, dass er mich mit derselben Faszination und Leidenschaft ansieht. Ich hatte den Moment genutzt und ihn fotografiert; ein kleines Andenken, falls der Abend doch anders verlaufen wäre … Doch er verlief gut, eine Mischung aus Provokationen, Schabernack und Schmeicheleien. Und schließlich aus Lust und Leidenschaft.

Ich bin noch nie bei einem Mann zum Frühstück geblieben, aber bei ihm konnte ich nicht anders. Seine Nähe, seine Art hatten mich zu sehr vereinnahmt. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag geblieben, aber meine Unruhe wurde immer größer. Ich musste schließlich weg und nach Liam sehen.

Jedes Telefonat, jede Nachricht in den Tagen danach haben Wohlbefinden in mir ausgelöst. Bis auf bei den Jungs und Liam hatte ich das noch nie bei einem Mann. Und auch nicht den Wunsch, ihn wiederzusehen. Zu gern hätte ich diesen dämlichen Sonntagabend mit ihm verbracht. Doch er konnte nicht. Ich hatte überlegt, ob ich ihm sage, dass ich dringend Ablenkung und Gesellschaft brauchen würde … Ich bin mir fast sicher, dass er einen Weg gefunden hätte, mir meinen Wunsch zu erfüllen. Doch ich hatte Angst ihm dann zu sagen zu müssen was los war und warum ich ihn brauchte. Ihn zu brauchen fühlte sich schon eigenartig genug an, es zu sagen hätte ich mich wohl eh nicht getraut.

Ich wollte es mir auch nicht eingestehen, bis zu dem Abend mit Juri. Da Matt ebenfalls da war, hatte ich die Vermutung, dass sie womöglich über mich gesprochen hatten. Falls dem so war, hat es aber keine Rolle gespielt für den Moment. Er hat mir geholfen, einfach so. Das hat sich verdammt gut angefühlt, warm und geborgen.

Und wie er mich später geliebt hat; als würde ich ihm gehören. Das hat mich völlig um den Verstand gebracht und so einige Blockaden in mir aufgelöst. Ich mag dieses Besitzdenken eigentlich überhaupt nicht. Liam hat das immer gemacht, in einem anderen Kontext zwar, aber ich habe es grundsätzlich gehasst. Doch bei Daryl fühlte es sich großartig an. Ich wollte ihm gehören; damit er mir gehörte.

Das Ende war … schmerzhaft. Ich glaube ich war noch nie so sauer und enttäuscht. Keine Ahnung, was der Grund am Ende war, aber ich hatte es verdient – daher hatte ich weder protestiert, oder mich anderweitig zu Wehr gesetzt. Die Ohrfeige war mehr Reflex … Macht der Gewohnheit halt.

Ich atme durch. Wo fange ich nur an? Am besten an der grundlegenden Situation … „Liam“, beginne ich schwerfällig, „Er … Wir …“ Scheiße, warum nur fällt mir das so schwer? „Er ist mein Bruder“, flüstere ich und spüre Tränen meine Wangen hinunterlaufen. Schmerz überkommt mich, den ich nur schwer in Worte fassen könnte.

„Bruder?“, fragte Daryl argwöhnisch nach.

Ich verstehe das; Juri habe ich ja immerhin auch als meinen Bruder bezeichnet. Nur das es hier anders ist … „Ja. Mein Bruder. Mein Zwillingsbruder, um es genau zu sagen.“ Die erstaunten Blicke der Ortegas lassen mich kurz lächeln. „Wir, also er, ich, Juri und Chris, wir haben irgendwann angefangen Autos zu klauen, als wir so … keine Ahnung 10 bis 14 Jahre waren. Schrottkarren um mit ihnen einfach durch die Gegend zu kurven. Nur zum Spaß. Es ging uns nie ums Geld oder so. Irgendwann wurden die Autos höherwertiger, die Herausforderung lockte einfach zu sehr. Vor allem mich, muss ich gestehen. Es ist schwieriger ein Auto mit elektrischer Wegfahrsperre zu klauen wie einen uralten Oldie … Wir haben angefangen mit den geklauten Karren an Rennen teilzunehmen, die kleinen, außerhalb … Ihr wisst schon. Alles war gut und dann …“

Ich breche ab. Eine Flut an Erinnerungen überwältigt mich und ich muss pausieren. Schuldgefühle drängen sich wieder hoch, von denen ich dachte, dass ich sie endlich los wäre. Ich hatte noch nie einen Sportwagen geknackt, auch nie den Wunsch gehabt – bis zu dem Tag. Ich habe es immer noch genau vor Augen; der wunderschöne Porsche und wie ich dastand und ihn unbedingt wollte. Ich habe mich belesen, an ähnlichen Modellen und Marken getestet. Ich wollte es so unbedingt! Wenn ich um die langfristigen Folgen gewusst hätte …

Matt und Daryl sagen nichts, sehen mich einfach nur verstehend an und geben mir die Zeit mich zu sortieren.

„Als wir plötzlich den ersten Sportwagen unter dem Hintern hatten, veränderte sich bei Liam etwas. Er roch das große Geld und die damit verbundenen Möglichkeiten … das veränderte ihn“, seufze ich und fahre mit zittriger Stimme fort, „Irgendwann kam Liam und meinte, da wäre jemand der uns bezahlen würde, wenn wir bestimmte Autos besorgen würden. Ich wollte nicht, Juri auch nicht. Aber Liam und Chris. Sie … Sie haben uns überzeugt, wir waren schließlich Familie; und die hält zusammen. Es ging eine Weile gut. Ich habe mir mein zweites Standbein aufgebaut mit der Fotografie. Ich mochte die Autos und die Renen und so … aber die Richtung in die sich das alles durch die Diebstähle entwickelte … Ich habe mich Stück für Stück aus dem Geschäften abgeseilt. Ich hielt natürlich den Kontakt und war oft bei den Rennen dabei, aber mit den Diebstählen hatte ich nichts mehr zu tun. Bis vor zwei Monaten.“

Ich fahre mir übers Gesicht und sehe kurz zur Decke. Die Bilder der Nacht zucken vor meinen Augen vorbei; schnell und überlichtet. Das Blut, die leeren Augen, der verdammte Unglückswagen der der Grund für alles ist. „Liam rief mich an – völlig aufgelöst und panisch. Ich bin hingefahren, zu unserem Versteck. Chris er … er war blutüberströmt … und atmete nicht mehr.“ Tränen bilden sich in meinen Augenwinkeln. Ich stand ihm nie so nahe wie Juri, aber trotzdem riss es ein Loch in mein Herz. Er war tot. Tot. „Sie hatten ein Auto geklaut, dass sie nicht hätten klauen sollen. Ich … Ich habe die Karre versteckt, während Liam und Juri …“, ich schluchze und wische mir über die Wange, „Unseren Freund … verschwinden ließen. Ich dachte, es wäre vorbei, aber Liam er … Er wollte von dem Gedanken nicht ablassen das Auto zu veräußern … Und ich, ich wollte ihm nicht sagen, wo ich die Karre versteckt habe … Ich wollte ihn schützen, vor sich selbst ... das alles so kommt, dass … dass …“ Ich weine, nicht zum ersten Mal wegen dem ganzen Scheiß. Aber diesmal fühlt es sich eigenartig gut an, befreiend irgendwie.

„Was machst du jetzt?“, fragt mich Matt nach einer Weile.

„Ich werde sehen, dass das Auto zu seinem Besitzer zurückkommt und Liam …“ Ich drehe mich um. Der weiße Mustang meines Bruders fährt gerade vom Grundstück. „Keine Ahnung“, hauche ich traurig. Ich bin wirklich überfragt was das angeht. Ich drehe mich wieder zu den Brüdern. „Mir tut es wirklich leid. Ich hätte nicht gedacht, dass er so weit gehen würde …“ Mein Blick wandert über Daryl und bleibt an seinen Augen hängen.

Wir sehen uns lange und intensiv an, bis Matt sich amüsiert räuspert.

„Ich rufe mal den Doc an“, flötet er fürchterlich unpassend zu der Gesamtsituation und steht auf. Er nimmt das Handy seines Bruders und geht nach nebenan.

Wir registrieren das kaum. Unsere Augen kleben an einander und versuchen den jeweils anderen zu erkunden. Ich kenne die Geschichte der Brüder nicht, aber ich vermute, sie ist unserer nicht unähnlich.

„Es war nicht gelogen …“, flüstere ich und spüre eine kribbelnde Woge. Alles war echt, jeder Moment zwischen dir und mir, möchte ich anfügen, kann es aber nicht. Ich habe Angst vor seiner Reaktion, seinen Worten, seinem Blick.

Daryl sagt nichts, muss er auch nicht. Seine Augen werden weich und warm; das reicht mir als Antwort.

Ich drehe mich um und gehe. Ich sehe nicht zurück, weil ich befürchte dann nachzugeben und hier zu bleiben. Aber andere Dinge haben jetzt Vorrang. Vor allem dieser unheilbringende Bugatti.

Schnellen Schrittes verlasse ich das Grundstück und gehe zu meinem Auto. Ich habe ihn vor der Einfahrt stehen lassen, damit Juri wusste wohin er musste. Endlich im Inneren spüre ich die Anspannung von mir abfallen. Ich starte den Motor und das Surren des Sechszylinders beruhigt mich zusätzlich. Ich lege den Gang ein und fahre los …

Zweite Chance


 

Daryl
 


 

Wenn ein Mann einer Frau die Autotür öffnet;

ist entweder die Frau oder das Auto neu.

Unbekannt
 

Es ist drei Wochen her. Auf den ersten Blick ist auch alles wieder gut. Soll heißen, ich sehe wieder vorzeigbar aus.

Der Durchschuss im Unterschenkel wird wohl aber noch etwas brauchen und so humple ich dezent. Aber das ist mir gerade herzlich egal. Ich musste dringend raus! Drei Wochen hing ich zu Hause fest; mit Matt. Mein Bruder hat sich zu meinem Pfleger auserkoren. Er hat sich Urlaub genommen und sich in meinem Haus einquartiert. Grässlich!

Vor allem, weil er sich mehr um mein seelisches Befinden bemühte, wie um mein körperliches. Er ging mir gehörig auf den Wecker. Aber ich brauchte einfach Zeit um das alles für mich zu ordnen und zu verstehen. Für mich, allein, ohne das mein Bruder ständig verbal in meinen Gefühlen herumwühlte. Ich verstand selber nicht was ich nun genau empfand, oder nicht. Und Matt war keine Hilfe …

Anfang der zweiten Wochen bekam ich eine Nachricht von ihr; sie erkundigte sich nach meinem Befinden.

Ich habe mich gefreut, mehr wie ich gedacht hätte … und trotzdem erst am nächsten Tag geantwortet, weil ich nicht wusste was ich antworten sollte. Matt hatte sich kaputtgelacht und gemeint, ich würde mich wie ein unerfahrener Teenager bei seinen ersten „Gehversuchen“ benehmen. Ich hasste ihn dafür, vor allem, weil er recht damit hatte. Ich erkannte mich selber nicht wieder. Ich wusste nicht so wirklich was ich empfand, und erst recht nicht, was ich nun eigentlich wollte …

Aus den Nachrichten wurden einige Telefonate – doch an dem Chaos in meinem Herzen änderte es nichts.

Nun bin ich also hier bei einem Streetrace. Laute Bässe und Motorenlärm dröhnen durch die Nacht und tief in meine Magengrube. Ich fühle mich gut, trotz Schmerzen im Bein. Ich lasse mich Treiben und sauge die Atmosphäre in mich auf. Ich habe das so dringen gebraucht!

„Öfters hier?“, werde ich von hinten gefragt.

Die Stimme erkenne ich sofort; dunkel und seidig. Ich drehe mich um und sehe sie an. Ihre blauen Augen mustern mich, ein verspieltes Lächeln huscht über ihr Gesicht.

Ich spiel mit, nicke lässig und antworte: „In Zukunft wieder öfter.“

Mia lacht und ihr Blick verfängt sich in meinem; und meiner in ihrem. Wir müssen nichts sagen, es reicht, dass wir hier sind.

Sie streckt mir die Hand entgegen und nickt mit dem Kopf Richtung Parkplatz. „Ich möchte dir jemanden vorstellen“, erklärt sie kryptisch und grinst mich an.

Ich bin verwirrt und ein wenig misstrauisch, trotzdem lege ich meine Hand in ihre. Zielstrebig führt sie mich durch die Massen, doch das registriere ich kaum. Ich kann meine Augen nicht von unseren ineinander verschränkten Händen lassen und dem, was es in mir auslöst.

Wir stoppen, um uns sind jetzt erheblich weniger Menschen, und vor uns steht ein Mercedes GT AMG; in gelb.

Ich ziehe die Augenbraue hoch und sehe zu Mia, die neben mir steht. Sie strahlt übers ganze Gesicht und verursacht damit Herzklopfen bei mir.

„Meiner … also so richtig“, witzelt die kleine Raubkatze und schaut zu mir auf.

Bevor ich antworten kann kommen einige Männer vorbei und beglückwünschen Mia zu ihrem Sieg vorhin. Als sie weg sind sehe ich sie fragend an und bekomme amüsiertes Schulterzucken als Reaktion.

„Ich fahre dich nach Hause?“, fragt sie belustigt.

Ich grummle. Tatsächlich bin ich mit dem Taxi hergefahren, weil ich mit dem Bein noch nicht selber fahren kann. Woher weiß sie das? Egal, ich nutze die Gelegenheit. Ich trete näher und öffne die Fahrertür. Mit einer übertriebenen Geste deute ich ihr einzusteigen.

Sie lacht herzlich und folgt meiner Aufforderung. Zwischen Tür und Einstige bleibt sie stehen und sieht mich an. Mia stellt sich auf die Zehnspitzen und gibt mir einen Kuss, sanft und liebevoll.

Warum habe ich gleich noch gezweifelt? Ich weiß es nicht mehr; ich weiß nur, dass ich mehr hiervon möchte. Mehr von ihr. Mehr sie, mehr Zeit mit ihr … einfach alles.

Sie steigt ein und ich schließe die Tür. Ich bemühe mich nicht zu sehr zu humpeln, als ich um den Wagen herumlaufe; ich habe immerhin noch meinen Stolz. Nachdem ich eingestiegen bin sehen uns an, sagen aber nichts. Die kleine Raubkatze startet den Wagen und fährt los. Auf halber Strecke suche ich mein Handy heraus.

„Wen rufst du an?“, fragt Mia neugierig.

Meine Antwort kommt prompt, „Matt.“

Sie lacht, herzlich und amüsiert. „Das brauchst du nicht.“

Argwöhnisch sehe ich sie an; ungewollt gerät mein Blut wieder in Wallung. „Warum?“

„Er hat mich angerufen. Er hat mir gesagt, dass du mit dem Taxi weg bist und er jetzt nach Hause fährt. Er meinte, er könne nicht weiterzusehen, wie du dich wie ein Vollpfosten aufführst, also solle ich etwas unternehmen … aber ich solle dich schonen, dein Bein wäre noch nicht richtig fit und wir sollten nichts Kompliziertes machen …“, lacht sie.

„Ich bringe ihn um, wenn ich ihn das nächste Mal sehe“, murre ich trocken, muss aber breit Grinsen dabei.


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