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Urisen

von

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Teil: 01 / 24

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Kommentar: Viel Spaß mit dem diesjährigen Adventskalender :3 Komplett anzeigen
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Warnings: Häusliche Gewalt

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Teil: 24 / 25

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Kommentar: Ich wünsche euch allen Frohe Weihnachten... tjaha... was soll ich sagen: Nope, wir sind noch nicht am Ende :-P Tatsächlich hat dieser Adventskalender 25 Türchen. Warum? Öhm... das 25. Türchen ist einfach die Bescherrung, denn nicht in allen Ländern, die eine Adventszeit und Weihnachten haben werden am 24. die Geschenke ausgepackt, sondern erst am 25. Also viel Spaß beim vorletzten Kapitel :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 25 / 25

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Kommentar: Ich möchte allen Leser und Leserinnen danken, die mit mir gemeinsam diese Adventszeit verlebt haben. Insbesondere möchte ich mich bei allen Kommi-Schreiber und -Schreiberinnen bedanken. Ich habe mich über jeden Kommi und jeden Favo gefreut. Übrigens freu ich mich auch darüber, wenn ihr mir mitteilt, wenn euch eine Story nicht gefällt und warum sie euch nicht gefällt. Daraus kann ich dann meine Lehre für den nächsten AK ziehen :) Habt alle ein besinnliches und ruhiges Weihnachtsfest. Belibt gesund und kommt gut ins neue Jahr :3 Komplett anzeigen

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Das Leben von Jonouchi Katsuya

Jonouchi Katsuya war kein Musterschüler. Seine Noten waren bestenfalls ausreichend, eher mangelhaft. Sein Glück war, dass es im japanischen Schulsystem eine automatische Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe gab. Andernfalls hätte er sicherlich die eine oder andere Ehrenrunde gedreht.

Gelangweilt hatte er seinen Kopf auf die verschränkten Arme vor sich auf seinem Schulpult gebettet und blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Dabei blickte er nichts Bestimmtes an. Er hing lediglich seinem Wunsch, ganz weit weg zu sein, nach. Beobachtete wie eine breite, graue Wolkenfront sich über die Stadt schob und Regen mitbrachte. Keine Seltenheit im Herbst.

Als ein Schatten auf seinen Tisch fiel musste er nicht aufschauen, um zu wissen, dass der Englischlehrer vor ihm stand. Jetzt würde sicherlich wieder ein dummer Spruch kommen und der Siebzehnjährige sollte nicht enttäuscht werden.

"Für einen Halbamerikaner beherrschst du deine Muttersprache aber nicht sehr gut", merkte der Lehrer streng an. Jonouchi lenkte seinen Blick von draußen auf den Lehrer, ohne seinen Kopf zu heben.

"Vatersprache", merkte er nur resigniert an.

"Was?", fragte der Lehrer irritiert.

"Egal", meinte der Schüler und blickte wieder nach draußen. Der Lehrer seufzte nur laut und legte die Englischarbeit vor Jonouchi.
 

Jonouchis Vater, ein hochgewachsener, blonder Amerikaner war im Zuge seines Dienstes bei den United States Marine Corps nach Camp Mctureous in der Kantoregion versetzt worden. In Tokyo hatte er dann Jonouchis Mutter kennen gelernt und sich in sie verliebt. Was anfänglich als lockere Beziehung begann entwickelte sich rasch zu etwas Handfestes. Nicht zuletzt deshalb, weil sie nach wenigen Wochen bereits von ihm schwanger geworden war. Sein Vater musterte aus, heiratete in ihre Familie ein und war betört von der Exotik der japanischen Kultur.

Doch die Faszination hielt nicht lange. Schon kurz nach Jonouchis Geburt begann es zwischen seinen Eltern zu kriseln. Was mit Schreien begann entwickelte sich schließlich schnell zu Handgreiflichkeiten. Die zierliche Japanerin, die seine Mutter damals gewesen war, hatte dem durchtrainierten, gestandenen Amerikaner kaum was entgegen zu setzen. Dennoch wollte sie ihre Ehe nicht aufgeben.

Schließlich wurde sie erneut schwanger und im ersten Moment wirkte es auf den Dreijährigen, der Jonouchi damals gewesen war, als würde sich alles zum Besten wenden. Seine Eltern hörten auf sich anzuschreien und schienen sich auf das neue Kind zu freuen, dass auf dem Weg war. Tatsächlich würde Jonouchi heute sagen, dass es die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen war.

Nach der Geburt seiner Schwester Shizuka fing der Kreislauf aber wieder von vorne an. Da seine Eltern oft mit schreien und streiten beschäftigt waren, oblag es oft seiner Verantwortung die kleine Schwester zu versorgen. Als gewitzter Vierjähriger baute er eine Art Kissenburg in den Wandschrank, in den er sich mit ihr dann zurück zog und ihr dann eine Geschichte erzählte.

Es war sein siebter Geburtstag als sich seine Eltern erneut heftig in die Wolle bekamen. Sein Vater schlug seine Frau wieder hart ins Gesicht und sie stürzte gegen die Küchenanrichte. Das hatte das Fass bei ihr zum Überlaufen gebracht. Sie packte die fast dreijährige Shizuka und verließ mit nichts als den Klamotten am Leib die gemeinsame Wohnung. Sie kehrte nie wieder zurück.

Wenige Monate später waren seine Eltern geschiedene Leute und Jonouchi hatte nie verstanden, warum seine Mutter ihn zurück gelassen hatte. Noch heute wartete der siebenjährige, blonde Junge darauf, dass seine Mama zurück kommen und ihn holen würde. Die Gewissheit, dass sie das nie getan hatte, schmerzte.

Während sich seine Mutter ein neues Leben aufbaute, sah Jonouchi mit an, wie sein Vater immer mehr in die Alkoholsucht abglitt und in den Mahjongstuben der Yakuza einen Großteil seines Einkommens verlor.
 

"Boa, Herr Kawasaki nervt", maulte Jonouchi, als er mit seinen Freunden in die Mittagspause aufbrach.

"Der schnallt eben nicht, dass nur weil man eine Sprache fließend sprechen kann noch lange keinen Schimmer von der Theorie dahinter haben muss", stimmte Honda, sein ältester und bester Freund, zu. Sie hatten sich auf der Mittelschule kennen gelernt. Damals hatte Jonouchi zu einer Gang gehört, ohne zu realisieren, was das bedeuten konnte. Doch Honda hatte sich davon nicht abschrecken lassen. Als Jonouchi einmal Prügel von einer gegnerischen Gang bezog war er zu ihm geeilt und hatte sich eingemischt. Daraufhin hatten sie beide noch mehr Prügel eingesteckt. Doch das war der Grundstein ihrer Freundschaft. Nach der Prügel hatte Honda ihn mit zu sich nach Hause genommen und Hondas Mutter hatte ihre Platzwunden versorgt.

"Adjektive, Adverben, Substantive, klingt alles gleich, wenn ihr mich fragt", strahlte Yugi sie breit grinsend an. Mutou Yugi war kaum größer als ein Grundschüler und wartete nur darauf endlich einen Wachstumsschub zu bekommen und endlich die 1,60 Meter-Marke zu knacken. Solange machte er sich durch eine auffällige, mehrfarbige Punkfrisur etwas größer.

"Der macht sich doch nur wichtig. Da brauchst du keinen Pfifferling drauf geben", meinte Otogi, der seit letztem Jahr an ihrer Oberschule war. Selbst in der Schule verzichtete er weder auf das rot-schwarze Stirnband, noch den modischen Kajalstrich unter seinem linken Auge.

"Wichtigtun oder nicht, er kann einem damit die Aufnahme an einer Uni versauen", wandte Bakura auf seine eher schüchterne Art ein. Bakura und Jonouchi hatten eines gemeinsam: Sie waren beide Halbjapaner. Während Jonouchis Vater Amerikaner war, war Bakuras Mutter Britin gewesen.

Das waren Jonouchis Freunde: Ein bunter Mix aus den verschiedensten Typen und doch verstanden sie sich alle herzlich.

"Versager", zischte es plötzlich leise, als ein hochgewachsener Mitschüler an ihnen vorbei schritt. Kaiba Seto. Sohn eines Industriellen, der sich vor wenigen Jahren das Leben genommen hatte. Kaiba hatte mit 15 Jahren die Firma übernommen und gründlich umstrukturiert. In manchen Kreisen wurde er Genie und Wunderkind genannt. Aber für Jonouchi war Kaiba nur ein arroganter Arsch ... und sein heimlicher Crush.

"Was hast du gesagt?", keifte er dem Brünetten mit den stechend blauen Augen nach.

"Hey, nicht, Jou... das ist der Geldsack doch nicht wert", beruhigte Honda ihn sofort und zog ihn weiter mit ihnen.

"Der glaubt auch, der kann sich alles erlauben, weil er Geld hat", maulte Jonouchi weiter.

"Hey, nicht jeder, der etwas Geld hat, ist ein Arsch", wandte Otogi gespielt empört ein. Immerhin führte auch er eine Firma, wenn auch kaum vergleichbar mit dem Spieleimperium Kaiba.

"Der Beweis dafür stünde noch aus", neckte Jonouchi frech und grinste. Dafür kassierte er von Otogi einen sanften Schlag gegen die Schulter.
 

Als sie in der Mensa ankamen studierten sie kurz die Auslage, bevor sich einer nach dem anderen von ihnen für eines der drei Essen entschied. Jonouchi wartete, bis er der letzte war. Yugi und Bakura waren bereits an der Ausgabe und ließen sich ihr Essen geben, während Otogi noch überlegte, worauf er eigentlich Hunger hatte und seine Optionen mit Honda diskutierte.

Jonouchis Magen knurrte. Er hatte Kohldampf. Am liebsten hätte er sich gleich zwei Portionen gegönnt. Die Sache hatte nur einen Haken: Er hatte kein Geld.

"Hey, Jou... wartest du auf besser Wetter?", rief Honda ihm zu. Jonouchi setzte ein Grinsen auf, schnappte sich ein Tablett und schloss zu Otogi und Honda auf. Otogi hatte sich endlich für eines der Essen entschieden und ließ es sich gerade reichen. Dann gab Honda seine Wahl über die Theke an die Dame der Essensausgabe.

"Scheiße... ich hab was vergessen. Geht schon mal vor, ich komme nach", meinte Jonouchi, als die Frau sich ihm zuwandte. Er nahm sein Tablett von der Führungsschiene, verließ die Schlange und verschwand aus der Mensa. Honda blickte ihm nur belämmert hinterher, nahm seinen Teller entgegen und legte noch zwei verpackte Sandwiches auf sein Tablett.

"Man, der hat's aber eilig", merkte Otogi ruhig an. Honda zuckte mit den Schultern, bevor sie weiter zur Kasse gingen. Kurz davor griff Honda noch nach zwei Trinkpäckchen, sowie einen Schokoriegel. Dann zahlte er.
 

Die Freunde saßen an ihrem Stammtisch in einer Ecke der Mensa mit Fensterblick. Eigentlich waren solche Tische immer rasch weg, doch diesen hatten sie sich durch ihre Beständigkeit erkämpft und keiner würde wagen, sich an diesen Tisch zu setzen. Plötzlich kam Jonouchi mit einem Tablett und einem reichlich gefüllten Teller, sowie einem Trinkpäckchen zu ihnen.

Erstaunt musterte Honda das Essen des Blonden und verstand die Welt auf einmal nicht mehr. Er hätte seine Hand darauf verwettet, dass Jonouchi pleite war und deshalb den Rückzieher an der Ausgabe gemacht hatte. Deshalb hatte er die Sandwiches und das zusätzliche Trinkpäckchen mitgenommen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er Jonouchi etwas unauffällig ausgab, denn er wusste, dass Jonouchi sich niemals direkt einladen lassen würde. Einerseits war es Jonouchi peinlich zugeben zu müssen kein Geld zu haben und anderseits wollte der andere keine Almosen.

"Hier", meinte Jonouchi plötzlich zu ihm und grinste ihn an, während er ihm einen Schokoriegel hinhielt. Es war der gleiche, den auch Honda für Jonouchi gekauft hatte. In der Packung waren zwei Riegel und sie hatten ihn sich immer geteilt. Baff nahm Honda den Riegel an und erwiderte das Lächeln kurz.

"Was hattest du denn vergessen?", fragte er Honda.

"Hä?", kam es verwirrt von Jonouchi, während er sich die erste Gabel von seiner doppelten Portion in den Mund schaufelte.

"Schon gut", winkte Honda ab, bevor er selbst weiterass. Doch die Frage, woher Jonouchi plötzlich das Geld fürs Mittagessen hatte, ließ ihn nicht los.
 

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Wiedersehen

Shizuka war eine aufgeweckte Dreizehnjährige, mit braunem Haar und grün-braunen Augen. Ihr Lachen war hell und ehrlich, während sie gerade die Schule verließ. Dabei unterhielt sie sich mit einem Klassenkamerad über die letzte Stunde, in denen sie Geschichte gehabt hatten. Im allgemeinen Trubel des Schulschluss überquerten sie den Hof der Mittelschule und verließen das Gelände durch das gusseiserne Tor.

Sie waren erst ein paar Schritte gegangen, als sich große Hände über ihre Augen legten und sie erschrocken aufschrie.

"Wer bin ich?", flüsterte ihr eine männliche Stimme ins Ohr, die ihr so vertraut war, dass sie freudig quietschte. Ihr Klassenkamerad blickte sie erschrocken an, doch ehe er etwas unternehmen konnte streifte Shizuka die Hände von ihrem Gesicht, drehte sich um und fiel ihrem Bruder glücklich um den Hals.

"Katsuya", begrüßte sie ihn freudig. "Was machst du denn hier?"

"Na mein Schwesterchen von der Schule abholen", antwortete der blonde Oberschüler breit grinsend. "Möchtest du mit mir einen Tee trinken gehen?"

"Klar", kam es mehr als erfreut von der jungen Frau, deren Augen regelrecht zu strahlen begonnen hatte. Dann sah sie ihren Kameraden und ihre Wangen röteten sich leicht. "Oh, bitte entschuldige, wo hab ich meine Manieren. Katsuya, das ist Mokuba-kun. Wir gehen in die gleiche Klasse."

"Hey Mokuba", grüßte Jonouchi den Schwarzhaarigen und war verwundert, dass er eine solche Mähne an der Mittelschule tragen durfte.

"Und das, Mokuba-kun, ist mein großer Bruder Katsuya", stellte sie nun ihren Bruder vor.

"Erfreut", kam es höflich von dem jungen Mann, der kaum älter als Shizuka war.

"Möchtest du mitkommen?", fragte Jonouchi ebenso höflich zurück, da er Shizukas Freund nicht ausgrenzen wollte. Doch dieser winkte ab und schüttelte seinen Kopf.

"Danke, aber ich werde abgeholt", meinte der Jüngere nur, bevor er sich von ihnen verabschiedete und dann weiterlief.

Katsuya nahm Shizuka ihre Schultasche ab und hängte sie sich um die Schulter über die eigene Tasche. Dann legte er einen Arm um Shizukas Schultern und sie überquerten zügig die Straße, um eine nahe Teestube aufzusuchen.
 

Sie hatten sich in eine der traditionellen Nischen gesetzt und ihren Tee, sowie etwas Gebäck bestellt. Jonouchi konnte gar nicht glauben, wie groß seine Schwester schon geworden war. Vorsichtig strich er ihr eine Strähne hinters Ohr.

"Man, wie die Zeit vergeht", begann er und sie lächelte ihn über beide Ohren hinweg an.

"Das musst du grad sagen. Du hattest seit dem letzten Mal voll den Wachstumsschub, oder?", fragte sie ihn und legte ihre Hand vorsichtig auf seinen Unterarm.

"Na ja, du bist auch groß geworden... richtig erwachsen", erwiderte der Blonde und konnte kaum glauben, dass er wirklich neben ihr saß. Am liebsten hätte er ihr einen Arm umgelegt und sie an sich gedrückt. Doch er riss sich zusammen.

"Wie lang ist das letzte Mal her?", fragte sie ihn und überlegte.

"Hm, zwei Jahre sind es bestimmt schon", meinte Jonouchi nachdenklich.

"Nein, ich glaube es sind eher drei Jahre", widersprach sie traurig. "Du warst eine Woche bei uns und am Ende hat sich Mutter total aufgeregt."

Jonouchis Blick richtete sich peinlich berührt auf den niedrigen Tisch, an dem sie knieten. Die Bedienung kam und servierte den Tee und das Gebäck, bevor sie lächelnd die Nische wieder verließ.

"Es war ja noch nie sehr schwer, sie sich aufregen zu lassen", kam es betrübt von Jonouchi. Er konnte in sich wieder dieses Gefühl spüren, wie sein siebenjähriges Ich immer noch darauf wartete, dass sie ihn holen kommen würde.

"Das stimmt allerdings", meinte Shizuka nun etwas gedrückt. "Um was ging es denn damals?"

"Keine Ahnung", log Jonouchi und spürte den Blick seiner Schwester auf sich ruhen. Er bereute das Gespräch, dass er damals mit ihrer Mutter gehabt hatte, denn es hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Sie hatte daraufhin sogar versucht ihm den Kontakt mit Shizuka zu verbieten. Doch nachdem die beiden gemerkt hatten, dass seine Briefe von ihr abgefangen worden waren, hatte Shizuka eine Freundin gebeten seine Briefe an ihre Adresse richten zu dürfen. So waren sie in Kontakt geblieben, ohne dass die Mutter etwas davon mitbekam und so hatte Shizuka ihm erzählt, dass sie wieder nach Domino City ziehen würden.

"Ich freu mich, dass ihr jetzt wieder hier wohnt", setzte er, die traurigen Gedanken verdrängend, an und lächelte sie wieder an. "Jetzt können wir uns wieder gelegentlich sehen."

"Ja", strahlte sie ihn zurück an. Dann überkam es sie und sie musste ihn einfach noch einmal umarmen. Es war einfach zu lange her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten und sie hatte ihn so furchtbar vermisst. Auch er legte einen Arm um ihren Rücken und legte sein Gesicht in ihre Nackenbeuge. Der Moment wurde jedoch viel zu früh durch das Klingeln von Shizukas Handy gestört. Sie kramte es aus ihrer Tasche und verdrehte genervt die Augen. Sie legte kurz einen Finger auf ihre Lippen, als sie den Anruf annahm.

"Hi, Mama", kam es von ihr und Jonouchi konnte ihre Mutter selbst ohne Lautsprecher deutlich reden hören.

"Wo bist du, Schatz? Ich wollte dich von der Schule abholen, doch du warst wohl schon weg", kam es aus dem Telefon und Jonouchi war beeindruckt davon, wie mütterlich sie doch klingen konnte.

"Ich bin mit einer Freundin aus der Schule einen Tee trinken", gab Shizuka eine halbe Lüge als Antwort. Jonouchi hasste es, wenn sie wegen ihm lügen musste.

"Oh, schön, dass du schon eine neue Freundin gefunden hast. Wie heißt sie denn?", wollte die Mutter wissen, wobei ihre Stimme einen prüfenden Unterton bekam.

"Kaori", antwortete Shizuka prompt, was Jonouchi sichtlich überraschte.

"Ah, gut, gut, sag mir wo die Teestube ist, dann komm ich dich abholen und wir gehen gemütlich etwas essen. Ich lad auch deine Freundin ein", schlug die Mutter gut hörbar vor.

"Ich hab keine Ahnung wo wir sind, ich kenn die Straßen noch nicht mit Namen, Mama", erwiderte sie und hoffte, dass ihre Mutter jetzt Ruhe geben würde.

"Hm... ich glaube in der Nähe deiner Schule gibt es nur eine Teestube, ich komm hin", meinte ihre Gesprächspartnerin und ehe Shizuka etwas erwidern konnte schob sie noch ein 'Bis gleich' hinterher, ehe sie auflegte. Shizuka sah verzweifelt das Telefon in ihrer Hand an.

"Tut mir leid, Katsuya, aber ich muss los", meinte Shizuka ehrlich betrübt zu ihrem Bruder.

"Schon okay...", lächelte Jonouchi sie an. "Ist besser, wenn sie uns nicht zusammen sieht, dann regt sie sich nur wieder auf."

Shizuka lächelte, umarmte ihn noch einmal, bevor sie ihre Tasche nahm und die Teestube eilig verließ. Durch die große Frontscheibe beobachtete Jonouchi, wie seine Schwester in Richtung ihrer Schule lief und am Ende direkt in die Arme ihrer Mutter stolperte. Das war echt knapp gewesen, kam es Jonouchi in den Sinn, der sich etwas nach hinten lehnte, damit die Topfpflanze ihn mehr verbarg, falls die Frau, die ihn zurück gelassen hatte, durch die Scheibe reinschauen würde.

Die Bedienung kam heran und Jonouchi zahlte den Tee und das Gebäck, ehe er sich das Gebäck einpacken und den Tee in einen Becher to go umfüllen ließ. Er wartete noch ein paar Minuten, dann verließ auch er die Teestube.
 

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Trautes Heim

Traurig zog Jonouchi durch die Mall von Schaufenster zu Schaufenster und betrachtete sich die Auslage. Das meiste interessierte ihn nicht, aber es lenkte ihn davon ab, dass er doch nicht so viel Zeit mit Shizuka hatte verbringen können, wie er es sich gewünscht hatte. Im Gegenteil. Sie hatten kaum Zeit gehabt sich gegenseitig auf den neusten Stand der Dinge zu bringen, als ihre Mutter sie störte. Als ob diese Frau ein Gespür dafür hatte.

Ärger wallte in Jonouchi auf. Wut auf seine Mutter. Nein, er musste sich selbst berichtigen, denn sie hatte ihm ja verboten sie jemals wieder so zu nennen. Noch so eine Enttäuschung und bittere Erkenntnis, die ihm nicht erspart geblieben war. So viel zur bedingungslosen Elternliebe, aber wenigstens waren seine Eltern in diesem Punkt konsequent.

Dann kam er an ein Schaufenster eines Spieleladens und blieb stehen. Auf einem großen Plakat wurde das neue Booster Deck für Duel Monsters vorgestellt. Er studierte es akribisch, griff dann in seine Hosentasche und zog die wenigen Scheine, die er noch hatte, hervor. Er zählte schnell sein Geld und wog dann ab, ob er sich ein Booster Pack leisten oder das Geld lieber für den nächsten Schultag aufheben sollte.

Schließlich steckte er das Geld wieder zurück in seine Hosentasche, stopfte seine Hände, die sich zu Fäusten geballt hatten, in die Taschen seiner Jacken, während er sich vom Schaufenster abwandte und davon stapfte. Er verließ zügig die Mall, um nicht noch einmal in Versuchung geführt zu werden und machte sich auf den Heimweg. Mit etwas Glück wäre sein Vater schon in einer der Mahjongstuben und würde wieder ein ordentliches Sümmchen verlieren.
 

Nach mehr als einer halben Stunde erreichte er das hohe Wohnhaus, in dem er mit seinem Vater wohnte. Da der Aufzug standardmäßig nicht funktionierte stieg er die Treppen hinauf in den dritten Stock und wandte sich in die Richtung der Wohnungstür. Gerade als er den Schlüssel ins Schloss schieben wollte wurde die Tür von innen aufgerissen und sein Vater blickte ihn mit unverhohlenem Ärger an.

"Rein", zischte ihn sein Vater an und nach einem kurzen Zögern wurde Jonouchi von dem Älteren gepackt und rein gezerrt. Schnell ging er im Kopf durch, ob er etwas vergessen hatte, doch wenn ja, wusste er es nicht. Doch der Zustand der Wohnung überraschte ihn, denn es sah so aus, als ob jemand den gesamten Inhalt des Mülleimers im Wohnzimmer verteilt hatte.

"Was fällt dir ein?", begann sein Vater ihn anzuschreien, nachdem er die Tür wieder ins Schloss geschlagen hatte. Dann schlug er mit der offenen Handfläche gegen Jonouchis Stirn, was er immer dann tat, wenn er ihm Dummheit vorwarf. "Wieso musst du sie nur immer so provozieren?"

Sie? Jonouchi begann zu dämmern, was los war. Doch ehe er was erwidern konnte traf die Hand seines Vaters bereits auf die Wange und ließ ihn ein, zwei Schritte zur Seite stolpern. Die Wange begann sofort höllisch zu brennen und Jonouchi legte instinktiv seine Hand über sie.

"Ich hatte gerade ein unerfreuliches Telefonat mit der werten Wächterin", blaffte ihn sein Vater an. Da wusste Jonouchi sicher, von wem sein Vater sprach, denn 'Wächterin' war dessen Bezeichnung für seine Ex-Frau. "Sie hat mir gesagt, dass du dich mit deiner Schwester rumgetrieben hast."

Woher sie das wusste, war Jonouchi ein Rätsel. Sicherlich hatte sie irgendeinen Ansatz bei Shizuka gefunden und so lange Druck in irgendeiner Form ausgeübt, bis sie ihr das gestand. Er machte seiner Schwester keinen Vorwurf, denn er kannte die Methoden seiner Mutter. Sie waren nicht körperlicher Art, wie die seines Vaters, der ihn wieder gerade hinstellte und erneut zulangte.

"Du wirst dich nicht mehr mit ihr treffen, solang eure Mutter das nicht will, verstehst du das?", schrie sein Vater ihn an, während er ihm weiter ins Gesicht schlug, so dass Jonouchi irgendwann auf den Boden sank, in der Hoffnung so den Schlägen zu entgehen. Doch das brachte den Alten noch mehr in Rage.
 

Als sein Vater endlich am Ende seiner 'Predigt' war ließ dieser sich auf die alte Couch fallen, legte die in Stiefel steckenden Füße auf den Fernsehtisch und zündete sich eine Zigarette an.

"Räum hier auf und dann mach was zu essen", blaffte sein Vater zu ihm, bevor er die Fernbedienung in die Hand nahm und einen Sportsender einschaltete. "Das gibt's doch nicht, haben sie den Quarterback durch 'ne Pussy ausgewechselt?"

Jonouchi brauchte einen langen Moment, bevor er sich zusammenrollen konnte, um sich langsam aufzusetzen. Ihm war schwindlig und das Gesicht tat ihm weh. Die Hitze schien ihm unerträglich. Dann zog er sich an der Küchentheke hoch und brauchte einen Moment, bis er seinen Beinen zutraute, ihn zu tragen.

Mühsam schleppte er sich ins Badezimmer und wusch sich das Blut aus dem Gesicht, welches aus der Nase gelaufen war. Dabei kühlte er sich die Blessur auf der rechten Wange mit einem feuchten Handtuch, welches er vorher unter das fließende Wasser gehalten hatte.

Das heftige Anklopfen an der Badezimmertür ließ ihn zusammenfahren.

"Was ist? Haste deine Tage bekommen oder was brauchst du so lange da drin? Schaff dich endlich raus, ich muss pissen", dröhnte die gereizte Stimme seines Vaters durch die Tür. Sofort sprang er auf und richtete das Badezimmer kurz. Dann öffnete er die Tür und wurde sofort von dem scharfen Blick seines Vaters taxiert. Vorsichtig schob er sich an dem ehemaligen Militärangehörigen vorbei ohne diesen zu berühren, bevor dieser ins Badezimmer ging und auch diese Tür lautstark ins Schloss fallen ließ.

Sofort machte sich Jonouchi dran die Wohnung aufzuräumen, bevor er dann - als sein Vater wieder vom Klo kam - sich dem Essen machen widmete. Nach zwanzig Minuten hatte er seinem Vater ein Ramen zubereitet und theoretisch war genug für eine zweite Portion übrig. Er brachte dem Älteren dessen Schüssel.

"Wird auch Zeit", knurrte dieser und sah missbilligend auf die Schüssel. "Wieder so ein Fraß?"

"Du hast nicht gesagt, was du möchtest", erwiderte Jonouchi leise. "Kann... kann ich mir den Rest nehmen?"

"Den Rest?", hakte sein Vater nach. "Welchen Rest?"

"Es ist noch etwas in der Küche", antwortete der blonde Oberschüler.

"Da ich ja so lange auf mein Essen warten musste, hab ich jetzt natürlich Bärenhunger. Also nein. Geh dir selbst was kaufen", blaffte der Amerikaner ihn wieder an.

War klar, dachte Jonouchi sich. Vor drei Jahren hatte seine Mutter ihrem Ex-Mann brühwarm erzählt, was Jonouchi ihr anvertraut hatte und sein Vater war davon noch viel angepisster gewesen als sie. Als Jonouchi damals heim gekommen war hatte er eine ordentliche Tracht Prügel bekommen. Damals hatte es begonnen, dass sein Vater ihn zwar hier wohnen ließ, aber ansonsten seinen Sohn sich selbst überließ, was die Versorgung betraf.

Also zog sich Jonouchi noch einmal um, warf seine Schuluniform in die Waschmaschine und wusch das Blut heraus. Dann verließ er die Wohnung, um sich am Conbini noch schnell etwas zu holen. Doch kaum hatte er die Wohnung verlassen und war einige Meter gegangen brachen die Tränen aus ihm heraus.
 

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Lügen

Jonouchi stand im Badezimmer in dem der Nebel der heißen Dusche hing, was den Vorteil hatte, dass er sein eigenes Spiegelbild nicht ertragen musste. Er wusste auch ohne den Blick in die spiegelnde Oberfläche, dass seine rechte Wange auf der Höhe seines Auges blau war. Die Nase war zum Glück nicht geschwollen, gebrochen oder verfärbt, tat aber immer noch dumpf weh von der bezogenen Prügel am Vorabend.

Sein verfärbtes Handgelenk und den Bluterguss an seinen Rippen würden seine Klamotten gut verbergen. Also musste er sich nur für das Gesicht ein Märchen ausdenken. Er war 'alten Freunden' begegnet? Nein, das würde Honda aufschrecken, den das Ganze an ihre Mittelschulzeit erinnern würde. Gegen etwas gelaufen? Aber gegen was könnte man Laufen, um sich genau da anzuschlagen? Die Tür eines Hängeschranks in der Küche? Das klang doch gut und glaubwürdig. Moment. Wann hatte er das letzte Mal sowas ähnliches behauptet? Er würde nachschauen müssen.

Mit diesem Gedanken im Kopf und einem Handtuch um die Hüfte verließ er das Badezimmer, nachdem er dessen Fenster auf Kipp gestellt hatte, damit der Wasserdampf abziehen konnte. Leise durchquerte er das Wohnzimmer zu einer Wandnische, die mit einem Vorhang vom restlichen Raum abgetrennt war. Dahinter standen sein Bett und eine Kommode, in der seine Klamotten lagen.

Seinen Vater konnte er aus dessen Schlafzimmer schnarchen hören. Immer, wenn er ordentlich gebechert hatte, schnarchte er unüberhörbar. Eigentlich war das Schlafzimmer mal sein Zimmer gewesen, aber nachdem seine Mutter ihn verraten hatte, hatte sein Vater nur gemeint, dass die Nische mehr als ausreichend für ihn wäre, bis er ihn mit 18 endlich vor die Tür setzen könnte. Jonouchi hatte keinen Zweifel daran, dass sein Vater das genauso meinte, wie er es gesagt hatte.

Nachdem Jonouchi seine Schuluniform von der Leine, die er quer durch die Nische gespannt hatte, genommen hatte und festgestellt hatte, dass sie noch leicht feucht war stöhnte er innerlich. Dennoch zog er sie in Ermangelung einer Alternative an, bevor er seine Schultasche mit den notwendigen Heften und Büchern bestückte, die er heute brauchen würde.

Dann zog er den Vorhang der Nische zu und ging vor dem Bett in die Knie. Vorsichtig tastete er die Unterseite seines Lattenrosts ab und fand, was er suchte. Er zog ein kleines schwarzes Notizbuch, welches schon rege gebraucht war. Ein Lesezeichen zeigte ihm, wo er den letzten Eintrag getätigt hatte und er schlug die entsprechende Stelle auf. Er nahm einen Bleistift von der Kommode und trug einen Betrag von 2500 Yen (~20 Euro) mit dem gestrigen Datum ein. Dahinter notierte er ein Schriftzeichen, welches nur einen Teil eines Namens darstellte. Darunter listete er das Mittagessen in der Mensa, sowie den Besuch in der Teestube mit den Ausgaben auf. Dabei knirschte er leise mit den Zähnen, was ihn an den dumpfen Schmerz in seiner Wange erinnerte.

Schließlich blätterte er in die Mitte des Notizbuches zurück. Dort fand er eine Liste mit verschiedenen 'Gründen', die er verwendete, um seinen Freunden zu erklären, wieso er so aussah, wie er es heute wieder tat. Dahinter standen erneut Daten und er suchte den letzten Eintrag mit der Schranktür. Zufrieden stellte er fest, dass es fast drei Monate her war, dass er zuletzt diese Erklärung verwendet hatte. Also trug er ihn am Ende der Liste mit dem heutigen Datum ein.

Ein lautes Quietschen, welches vom Bett seines Vaters stammte, ließ ihn aufschrecken, das Büchlein zuschlagen und sich in die hintere Hosentasche stecken.

"Katsuya?" hörte er seinen Vater kaum verständlich nach ihm rufen. Er sprang auf, schnappte sich seine Tasche und eilte aus seiner Nische zur Wohnungstür, öffnete diese so leise es ihm möglich war, bevor er aus der Wohnung schlüpfte und die Tür so lautlos wie möglich hinter sich schloss. Dann rannte er den Flur entlang.
 

Jonouchi stand an der Ecke des Blocks, in dem seine Schule lag. Er sammelte sich noch einmal für diesen Tag. Als er erneut versuchte zu grinsen durchzog ihn erneut ein Schmerz im Gesicht. Er verfluchte seinen Vater, der ihm immer wieder ins Gesicht schlug, weil es ihm egal war, ob andere etwas sahen oder nicht. Der Alte hatte relativ schnell gecheckt, dass sich Japaner so gut wie nie in fremde Angelegenheiten einmischten.

In der Mittelschule hatte mal eine Lehrerin sie zuhause aufgesucht, um mit seinem Vater über die häufigen blauen Flecken zu sprechen. Doch der Alte hatte ihr erzählt, dass er sich oft rumtrieb und in Ärger geriet. Die Lehrerin hatte das geglaubt und Jonouchi als schwieriges Kind abgestempelt. Also hatte Jonouchi begonnen sich rumzutreiben.

Das erste Läuten der Schule war bis hier her zu hören und Jonouchi beschloss endlich den restlichen Weg zur Schule zu bewältigen. Beim zweiten Klingeln betrat er das Schulgebäude und nahm die Treppen nach oben. Er kam in die Klasse und zog sofort die Aufmerksamkeit aller auf sich. Doch er quittierte diese Aufmerksamkeit nur mit einem dümmlichen Grinsen, während er zu seinem Tisch ging.

Auch seine Freunde starrten ihn an, Yugi stand sogar der Mund offen. Doch auch Kaiba schien sich für sein äußeres Erscheinungsbild zu interessieren. Doch so sehr er dessen Aufmerksamkeit sonst genoss, so unangenehm war diese ihm in dieser Situation.

"Himmel, Jou-kun", kam es zuerst von Yugi. "Was ist denn passiert?"

"Dusseligkeit", antwortete der Blonde grinsend und setzte sich auf seinen Platz, bevor er seine Tasche an den Tisch hängte. Dabei sah er im Augenwinkel, wie Kaiba sich etwas in ein PDA notierte.

"Dusseligkeit?", wiederholte Ryou bohrend.

"Hab die Spülmaschine daheim ausgeräumt, hab aber vergessen eine Tür zu schließen und römms... volle Kanne mit dem Gesicht gegen die offene Tür gerannt", erzählte Jonouchi und gestikulierte dabei anschaulich mit den Armen.

"Man, du treibst Sachen", kam es von Yugi, als es zum dritten Mal läutete und der Lehrer direkt hereinkam, was sofort das Gespräch beendete.
 

Nach der ersten Stunde verließ der Lehrer den Klassenraum und die zweite Lehrerin ließ auf sich warten. Yugi wandte sich wieder zu Jonouchi um.

"Warst du beim Arzt?", fragte der Kleinste seiner Freunde.

"Beim Arzt?", wiederholte Jonouchi verwirrt.

"Na, weil du dir den Kopf gestoßen hast", erklärte der Bunthaarige.

"So schlimm gestoßen hab ich mir den Kopf nun auch wieder nicht", winkte Jonouchi grinsend ab und der Schmerz erinnerte ihn daran, dass Lügen nicht ohne Konsequenzen blieb.

"Du hast dir voll den Mega-Bluterguss geschlagen", widersprach Yugi besorgt.

"Hey, Yug... mir geht es gut. Ich ärgere mich nur über meine eigene Dusseligkeit. Also komm schon, Kumpel, mach dir nicht so viele Gedanken", versuchte Jonouchi ihn zu beruhigen, als die Lehrerin endlich reinkam und ihre Schüler bat ihr Buch für den Unterricht aufzuschlagen. Jonouchi beugte sich zu seiner Tasche und kurz wurde ihm etwas schwindelig. Als er das Buch aus der Tasche gezogen hatte sah er wie Kaiba, der hinter ihm saß, ihn kritisch musterte. Doch Jonouchi ignorierte dessen Blick und setzte sich wieder gerade hin.

Doch dem Unterricht konnte er nicht folgen. Immer wieder fragte er sich, warum Kaiba ihn so kritisch angeschaut hatte.

Dachgespräch

Yugis Besorgnis hatte Jonouchi den letzten Nerv gekostet und weil er spürte, wie ihm seine Maske zu entgleiten drohte hatte er sich in der Mittagspause auf das Dach der Schule abgesetzt. Er wollte einfach eine Weile für sich alleine sein. Nicht grinsen müssen. Keinen Schmerz deswegen ertragen. Einfach für eine halbe Stunde sich an eine Wand lehne und die Ruhe genießen.

Als er auf das Dach kam fühlte er sich für einen Moment von allen Lasten befreit. Doch als er sich der Brüstung zuwandte stellte er fest, dass er gar nicht alleine war. An dem umlaufenden Zaun, der die Gefahr des Runterfallens auf null senken sollte, stand ein anderer Schüler. Nicht irgendein Schüler.

Der andere wandte sich um und wollte wohl sehen, wer ihn hier oben störte. Mit einer Hand nahm er eine Zigarette aus dem Mundwinkel, während er Jonouchi mit stechendblauen Augen musterte. Dann wandte er sich desinteressiert wieder dem Zaun zu.

Die Tatsache, dass Kaiba hier oben rauchte, verblüffte Jonouchi kurz. Doch da der andere sich scheinbar nicht an seiner Anwesenheit störte beschloss der Blonde zu bleiben. Langsam und mit unsicheren Schritten schloss er zu seinem Klassenkamerad auf und stellte sich neben ihn an den Zaun, um seinen Blick schweifen zu lassen. Unter ihnen drang der Lärm aus dem Schulhof herauf.

Jonouchi suchte schon seit längerem einen Ansatz, um mit Kaiba mal ins Gespräch zu kommen. Von den wenigen Gelegenheiten, wenn ein Lehrer wagte Kaiba aufzurufen, wusste Jonouchi, dass der Brünette eine ruhige, warme Stimme hatte. Eine Stimme, der man gerne zuhörte.

"Haste mal ne Kippe für mich?", fragte Jonouchi leise. Kaiba wandte seinen Blick auf ihn und schien ihn wieder zu mustern. Dann zog er ein Lederetui aus der Hosentasche seiner Schuluniform, öffnete dieses und entnahm ihm eine Zigarette. Diese reichte er Katsuya, der sie überrascht annahm. Dann schloss Kaiba das Etui wieder und steckte es zurück in die Hosentasche.

Jonouchi steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und klopfte sich ab, als suchte er nach Feuer. Er wusste, dass er weder ein Feuerzeug, noch Streichhölzer dabei hatte. Plötzlich hielt ihm der andere die Flamme, die von einem edlen Feuerzeug gespeist wurde, hin. Als entzündete der Blonde seine Zigarette an dem Feuer und nickte Kaiba dankend zu.

Es war nicht seine erste Zigarette. Nichts desto trotz hasste er diese Dinger. Sie hinterließen einen fahlen Geschmack und noch Stunden später übertünchten sie den Geschmack von Essen oder veränderten den von Getränken. Aber manchmal brauchte er einfach eine. Doch dies war keiner dieser Momente. Diese Zigarette sollte nur Mittel zum Zweck sein.

"Und die Schranktür hatte wieder schlechte Laune?", fragte Kaiba plötzlich unerwartet. Überrascht und etwas verwirrt blickte der Blonde seinen Klassenkamerad an.

"Hä?", war alles, was er als Gegenfrage artikulieren konnte.

"Vor elf Wochen bist du auch schon gegen die Schranktür gelaufen", merkte Kaiba beiläufig an, nachdem er den Blickkontakt mit Jonouchi gebrochen hatte und wieder in die Ferne blickte. "Und vor 24 Wochen."

"Was geht? Führst du Buch darüber, wie oft ich gegen den Scheißschrank renn, oder was?", fauchte Jonouchi ihn an, da er nicht wusste, wie er sonst reagieren sollte.

"Ja, tu ich", kam es trocken von Kaiba, der weiter unbeteiligt nach vorne schaute. Verblüfft, weil er niemals damit gerechnet hätte, dass der Geldsack das wirklich zugeben würde, blickte Jonouchi den Brünetten an. Dabei stand sein Mund offen.

"Du verschluckst noch eine Fliege, wenn dein Mund die ganze Zeit so weit offen steht", kommentierte der Brünette nur weiter.

"Du... du führst Buch darüber, wie oft ich gegen den Küchenschrank renn?", fragte Jonouchi noch einmal. Plötzlich wandte sich Kaiba zu ihm um und blickte ihm in die Augen.

"Nein, nicht wie oft du gegen den Küchenschrank rennst, sondern wie oft du so zugerichtet in die Schule kommst und was du deinen Freunden für ein Märchen erzählst", klärte Kaiba auf.

"Was geht dich das an?", kam es defensiv, aber noch immer geschockt von dem Blonden.

"Tut dir jemand weh?", ignorierte sein Gegenüber die Frage.

"Was?", kam es wieder verwundert von Jonouchi.

"Ob dir jemand weh tut?", wiederholte Kaiba seine Frage.

Etwas in Jonouchi begann zu vibrieren und er spürte, wie die Tränen in ihm erneut aufstiegen. Doch er rief sich in Erinnerung wo er war und wer ihm gegenüber stand.

"Scheiße, nein", fauchte der Blonde plötzlich. "Jeder, der es versucht steckt selbst kräftig ein."

Kaiba musterte ihn nachdenklich, dann nickte er, bevor er wieder nach vorne durch den Maschendraht des Zaunes blickte und noch einmal an seiner Zigarette zog. Auch Jonouchi zog an der Zigarette und verzog angewidert sein Gesicht, bevor er die vordere Spitze ausschnippte und sich die restliche Zigarette hinters Ohr klemmte.

"Ich hasse Zigaretten", meinte Jonouchi schließlich.

"Warum rauchst du dann?", hakte Kaiba ruhig nach.

"Keine Ahnung... weil man manchmal eine braucht?", antwortete er ehrlich. "Warum rauchst du?"

"Weil man manchmal eine braucht", wiederholte Kaiba Jonouchis vorherige Antwort und lächelte für einen kurzen Augenblick. Doch dieser Augenblick reichte, um Jonouchi ihn fasziniert anstarren zu lassen. Noch nie zuvor hatte er den Brünetten auf diese Weise lächeln sehen. Da hatte kein Spott oder Niedertracht in dem Lächeln gelegen. Es war einfach nur ein Lächeln gewesen.

"Jonouchi, es ist keine Schande um Hilfe zu bitten, wenn man Hilfe braucht. Das ist kein Zeichen von Schwäche", meinte der Brünette zu ihm und schaute ihn erneut mit diesen unglaublich faszinierenden, blauen Augen an.

Dieses Mal brach Jonouchi den Blickkontakt ab, während er sich langsam abwandte und plötzlich strauchelte. Nur Kaibas beherzter Griff um seinen Oberarm und ein Zug zu sich, änderte die Fallrichtung vom Boden zu ihm. Er schlang den zweiten Arm um Jonouchi. Das ließ den Blonden schmerzhaft aufkeuchen, als seine angeschlagenen Rippen auf Tuchfühlung mit der Brust des Brünetten gingen.

Für einen kurzen Moment lehnte er an Kaiba, bis der Schmerz nachließ. Dann löste er sich hastig von dem Brünetten und eilte zur Tür, die vom Dach führte. Dort blieb er noch einmal stehen.

Kurz spielte er mit der Vorstellung Kaiba so etwas zu sagen, wie, dass ihm das Lächeln stand und er ruhig öfters lächeln könnte. Doch dann verwarf er den Gedanken und verließ das Dach ohne ein weiteres Wort.
 

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Outing

Jonouchi lehnte an der Hauswand gegenüber von Shizukas Schule und wartete darauf, dass ihr Unterricht für heute endete. Er stand schon eine halbe Stunde hier, die Hände tief in den Taschen seiner Jacke. Diese war für die immer kühler werdenden Temperaturen viel zu dünn, aber in Ermangelung einer Alternative blieb ihm nichts anderes übrig, als sie zu tragen.

Sein letztes Treffen mit seiner kleinen Schwester war nun gut zwei Wochen her und der Bluterguss im Gesicht war nur noch ein schwacher Schatten, der kaum noch auffiel. Shizuka hatte ihn in den vergangenen zwei Wochen mehr als einmal auf dem Handy angeschrieben und ihn gefragt, ob sie sich mal wieder sehen könnten. Das hatte Jonouchi wirklich sehr gefreut. Doch solange der Bluterguss im Gesicht so deutlich zu sehen war hatte er sie vertrösten müssen. Das Letzte, was er wollte, war, dass sie sich Sorgen um ihn machte.

Die Schulglocke läutete und riss Jonouchi aus seinen Gedanken. Er stieß sich von der Hauswand ab und überquerte die Straße. Da er die meisten Mittelschüler überragte hatte er einen guten Überblick. Schließlich erblickte er eine pechschwarze Mähne, die er vom letzten Mal noch kannte. Daneben sah er die braunen Haare seiner Schwester. Also bahnte er sich einen Weg durch die Menge und legte - wie beim letzten Mal - seine Hände über die Augen seiner Schwester.

"Na, wer bin ich?", flüsterte er ihr erneut zu und sie quietschte freudig, während sie ihm um den Hals fiel. Das ließ ihn kurz keuchen, denn sein Vater war vor ein paar Tagen wieder der Meinung gewesen, dass er ihm etwas Disziplin einprügeln müsse. Daher hatte er einen ziemlichen Bluterguss unterhalb seines linken Schulterblatts.

"Katsuya...", quietschte sie und Mokuba musste lächeln.

"Na, Schwesterchen... geht es dir gut?", fragte er sanft und strich ihr eine Strähne hinter das Ohr.

"Klar, ich geh jeder Erkältung aus dem Weg", meinte sie strahlend.

"Das ist gut", meinte Jonouchi liebevoll. "Hat mein Schwesterchen Lust mit mir einen Tee trinken zu gehen?"

"Klar", meinte sie freudig. Nie hätte sie eine Einladung ihres Bruders abgelehnt. Dazu liebte und vermisste sie ihn viel zu sehr.

"Möchtest du mitkommen, Mokuba?", fragte Jonouchi wieder höflich Shizukas Freund. Doch ehe der Schwarzhaarige antworten konnte, hörte Jonouchi eine Stimme, die er kannte, und die nach Mokuba rief. Dieser begann auf einmal zu strahlen und zur Bordsteinkante zu laufen, an der eine Oberklassenlimousine gestoppt hatte und Kaiba ausgestiegen war.

"Ni-sama", rief Mokuba, ehe er Jonouchis Klassenkamerad um den Hals fiel. Irritiert beobachtete der Blonde dieses Schauspiel und verstand erst nicht genau, was er da sah. Dann verstand er, dass Mokuba scheinbar Kaibas jüngerer Bruder war. Auch Kaiba sah ihn überrascht an.

Ehe Jonouchi etwas sagen konnte spürte er, wie eine Hand sich schmerzhaft um seine Schulter legte und ihn herum riss.

"WAS GEHT HIER VOR?", schrie ihn seine Mutter an. Mit ihr hatte der Blonde nicht gerechnet und stolperte einen Schritt zurück, doch sie zerrte ihn nur wieder zu sich. "HAB ICH MICH NICHT DEUTLICH AUSGEDRÜCKT?"

"Mama, bitte... nicht so laut", versuchte Shizuka sie zu beschwichtigen. Doch ihre Mutter hatte sich ganz auf ihren Sohn fixiert.

"WIE OFT NOCH, KATSUYA? DU SOLLST MEINE TOCHTER IN RUHE LASSEN", keifte sie weiter und zog damit noch mehr Aufmerksamkeit von den Mittelschülern auf sie, die stehen blieben und verwirrt zu den drei starrten.

"Maaa-maaa, bitte. Lass uns wo anders hingehen", flehte Shizuka regelrecht. Sofort richtete sich der strenge Blick ihrer Mutter auf sie.

"Wenn du nicht in Verlegenheit gebracht werden willst, Shizuka, dann musst du dich nur an die Regeln halten", schalt ihre Mutter sie und Shizuka zog ihren Kopf etwas ein.

"Lass sie in Ruhe", kam es jetzt von Jonouchi. "Sie kann nichts dafür, ich hab sie überrascht."

Daraufhin fing er sich eine Backpfeife von seiner Mutter ein, woraufhin er noch einmal einen Schritt nach hinten taumelte und sich die Wange, die gerade verheilt war, mit der Hand hielt. Dieses Mal hatte seine Mutter ihn los gelassen. Sie zeigte drohend mit dem Finger auf ihn.

"Ich hab versucht Geduld mit dir zu haben, aber wenn es nicht anders geht, kann ich auch eine Abstandsverfügung erwirken und solltest du die ebenfalls ignorieren, fährst du in den Jugendknast ein", drohte sie ihm. Er sah sie verzweifelt an.

"Was hab ich denn getan, dass du mich so behandelst?", keifte er schließlich zurück. "Ich bin immerhin dein Sohn."

Ein weiteres lautes Klatschen hallte über die umstehenden Personen.

"Wag dich nicht, dass noch einmal zu behaupten, du missratener...", zischte sie ihm zu.

"Aber er hat doch Recht", wandte nun Shizuka kämpferisch ein. "Und er ist mein Bruder und ich WILL ihn sehen."

"Shizuka, du hast ja keine Ahnung...", meinte die Mutter beschwichtigend zu Shizuka.

"Dann sag es mir doch endlich", zischte die junge Frau ihre Mutter an. "Was... Was hat Katsuya so schlimmes gemacht, dass du ihn seit drei Jahren meidest und mir den Kontakt verbietest?"

Die Mutter sah Jonouchi an, der sie mit großen Augen anblickte.

"Soll ich es ihr sagen, Katsuya?", fragte sie ihn scharf.

"B... Bitte, nicht hier", kam es gebrochen von dem Blonden.

"Warum denn nicht?", zischte seine Mutter überlegen. "Du willst also wissen, was so schlimm ist, Fräulein? Dein Bruder ist eine Abartigkeit, deren Einfluss ich von dir fern halten möchte. Ich mach das nicht, um dich zu ärgern oder zu quälen, sondern weil ich mir Sorgen mache und ich nicht möchte, dass seine Verderbnis auf dich übergreift."

"Mama... bitte...", kam es noch einmal flehend und mit Tränen in der Stimme von Jonouchi. Shizuka blickte zu ihm und dann zu ihrer Mutter. Sie verstand nicht, was ihre Mutter ihr damit sagen wollte.

"Dein Bruder teilte mir vor drei Jahren mit, dass er homosexuell ist. Er ist ein warmer Bruder, eine Schwuchtel, eine widernatürliche Missgeburt", führte sie in aller Schärfe und Deutlichkeit aus und versuchte ihn regelrecht mit ihrem Blick zu erdolchen. Der Blonde hatte jegliche Farbe im Gesicht verloren, wodurch die Rötung durch die Backpfeife noch deutlicher hervortrat und auch der Schatten des fast verheilten Bluterguss sich abhob. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Shizuka sah ihre Mutter schockiert an. Dann wandte sich die Frau von Jonouchi ab, packte ihre Tochter am Oberarm und zog sie mit sich fort.

Die umstehenden Mittelschüler begannen langsam ihren Weg um ihn herum fortzusetzen. Sie musterten ihn alle ebenfalls erschrocken, schockiert, teils verwirrt. Jonouchi wollte sich umdrehen und in die andere Richtung weggehen, als sein Blick wieder auf Kaiba und seinem jüngeren Bruder fiel, die ihn ebenfalls total geschockt ansahen.

"Was glotzt ihr denn so", zischte Jonouchi wütend, aber so leise, dass die beiden es unmöglich hatten hören können. Dann stapfte er davon.
 

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Flucht

Nachdem er sich in irgendeiner Gasse hinter einem Müllcontainer ausgeheult hatte, war Jonouchi langsam und mit wenig Motivation nach Hause gegangen. Er brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis er die Treppen in den dritten Stock hinauf gestiegen war. Schon als er aus dem Treppenhaus trat konnte er die Stimme seines Vaters schreien hören. Was dieser sagte konnte Jonouchi nicht wirklich verstehen. Nur langsam schob er sich den Gang weiter nach vorne. Vereinzelte Worte drangen zu ihm.

"Schrei mich nicht so an", brüllte sein Vater in der Wohnung und ließ Jonouchi inne halten.

"Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich mich um ihn kümmere", schrie er weiter. Ein Schauer lief Jonouchi über den Rücken, als er das hörte. Er presste seine Lippen fest aufeinander.

"Ich werd's ihm schon verständlich machen", drang die raue, wütende Stimme seines Vaters durch die geschlossene Tür. Der Blonde wusste, was das bedeutete. 'Verständlich machen' war der Euphemismus für Prügel. Nein, heute würde er keine Prügel beziehen, beschloss der Oberschüler, machte kehrt und eilte wieder zurück zum Treppenhaus. Noch ein paar Schritte vor dem Treppenhaus hörte er, wie hinter ihm die Tür aufgerissen wurde und schwere Schritte auf den Flur traten.

"KATSUYA", brüllte sein Vater, was den Blonden nur noch mehr Fersengeld geben ließ. Er stürmte ins Treppenhaus und stürzte regelrecht die Treppen hinunter, federte sich mit den Händen immer von den Wänden ab, bevor er die nächste Treppe nahm.

"KOMM SOFORT ZURÜCK, DU BENGEL", hörte er seinen Vater von weiter oben ihm nachschreien.
 

Jonouchi war fast zehn Blocks gerannt, bevor er in eine Gasse einbog und dort anhielt, um sich den Luxus zu gönnen, nach Luft zu japsen. Er ging sich durch das schweißnasse Haar und ging seine Optionen durch. Heute oder in den nächsten Tagen noch einmal nach Hause zu gehen war keine Option, dass wusste er. Solang sein Vater wütend war, wäre er so gut wie tot. Aber die Temperaturen fielen nachts mittlerweile schon unter die Gefriergrenze, also war der Park auch keine Option. Vielleicht das Obdachlosenheim? Aber wenn er daran dachte, lief es ihm bereits kalt den Rücken hinunter.

Als er wieder Luft bekam richtete er sich auf, blickte in die Richtung, in der er die Gasse betreten hatte und aus der ihm die Neonlichter der Hauptstraße entgegen schlug. Dann blickte er in die andere Richtung, wo es ruhiger war. Sein Weg führte ihn über die Bahngleise in eine gesittete Wohnsiedlung mit freistehenden Einfamilienhäusern. In den meisten Häusern brannte das Licht, da es bereits dunkel geworden war. Doch als er schließlich sein Ziel, eines der Häuser am Ende der Straße, erreicht hatte, blieb er einfach stehen.

Die Kälte kroch durch die dünne Jacke und seine Schuluniform auf seine Haut und dann bis auf die Knochen. Er konnte durch die Vorhänge die Schatten von Personen sehen, die darin beschäftigt schienen. Durfte er sie wirklich stören oder sich ihnen aufdrängen? Wie sollte er auch erklären, dass er hier aufschlug? Wieder presste er die Lippen fest aufeinander und war den Tränen nahe, dann wandte er sich wieder vom Haus ab und wollte die Straße wieder zurück gehen.

"Jou?", hörte er plötzlich hinter sich die Stimme seines besten Freundes. Er blieb abrupt stehen, wandte sich nur langsam zu ihm um und versuchte zu grinsen.

"Hey Honda", meinte er und verfluchte seine Stimme, dass sie auf Grund der Kälte und der Ereignisse am Nachmittag zitterte.

"Willst du mitessen?", fragte Honda. Das sich der Brünette nicht mit der Frage, was er hier tat, aufhielt, rechnete Jonouchi ihm hoch an. Denn darauf hatte er keine Antwort, die er bereit war zu formulieren.

"W... was gibt's denn?", erwiderte Jonouchi und wollte eigentlich witzig klingen, doch seine Stimme wollte dieses Spiel nicht mitmachen.

"Na komm, Kumpel. Meine Mutter freut sich, wenn du mal wieder bei uns bist", meinte Honda und ging - nachdem er den Müllbeutel in die Tonne gestopft hatte - zurück zur Haustür, die er nur angelehnt hatte. Nach einem kurzen Zögern folgte Jonouchi dem anderen und trat schließlich in die Wärme des Hauses. Erst jetzt konnte Honda die gerötete Wangen und Augen des Blonden erkennen, aber er fragte nichts.

"Maaa? Legst du bitte noch ein Gedeck auf? Wir haben noch einen Kampfesser", meinte Honda locker und wusste, dass seine Mutter verstehen würde, wen er meinte.

"Jonouchi?", kam es mit freudiger Stimme aus der Küche von Hondas Mutter, die sofort heran kam.

"Hallo Frau Honda", rief ihr Jonouchi entgegen. Die etwas rundlichere Frau breitete ihre Arme aus und umarmte ihn. Für einen Moment wünschte er sich, dass sie seine Mutter wäre und nicht dieses Biest, die ihn öffentlich vor seiner Schwester und Kaiba geoutet hatte. "Oh, Schätzchen, du bist ja total verfroren, komm nimm doch noch schnell ein Bad zum Aufwärmen, Hiroto kann dir ein paar Klamotten leihen."

Jonouchi nickte, bevor er mit Honda die Treppe hinauf in den oberen Stock stieg und ihm in dessen Zimmer folgte. Der Brünette suchte ein paar Klamotten für ihn zusammen und legte ihm noch zwei Handtücher dazu. Jonouchi wollte nach den Sachen greifen, als Honda ihm eine Hand an die unverletzte Wange legte und den Blickkontakt mit ihm suchte. Dann zog er ihn einfach zu sich und hielt ihn einen langen Moment in den Armen.

Jonouchi sträubte sich kurz, doch dann schlang er seine Arme um seinen Freund und schluchzte erneut auf.
 

Es hatte gedauert, bis Jonouchi soweit war, dass er sich von Honda lösen konnte. Dann war er ins Badezimmer gegangen, hatte sich gründlich gewaschen und abgeduscht, bevor er in das Wannenbad gestiegen war. Die Temperatur des Wassers lag bei 40° Celsius und tat den verspannten Muskeln mehr als gut. Jonouchi schloss kurz seine Augen und genoss die Hitze. Schade, dass sie zuhause nicht auch so ein Wannenbad hatten, sondern nur eine Dusche. Aber ein Wannenbad hätte ihm eh nur selten was genützt, denn nur zu oft hatten sie gar kein heißes Wasser.

Nachdem er sich angezogen hatte verließ er das Badezimmer und stellte fest, dass Honda vor der Tür auf ihn gewartet hatte. Gemeinsam gingen sie zum Abendessen. Hondas Mutter hatte sich mal wieder beim Kochen übertroffen. Sie waren heute nur zu dritt. Hondas Vater war auf Geschäftsreise und die Schwester vor einigen Wochen ausgezogen. Jonouchi versuchte gesittet zu essen und nicht zu schlingen, doch Hondas Mutter hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt - was ihn kurz zusammenzucken ließ - und gemeint, dass er sich nicht zurückhalten muss.

Schließlich hatten sie Frau Honda noch beim Abwasch geholfen, bevor Honda ihn wieder mit auf sein Zimmer nahm. Dort bot Honda ihm sein Bett an, während er für sich einen Futon aus dem Schrank holte.

"Quatsch, lass mich doch auf dem Futon schlafen", meinte Jonouchi verlegen.

"Ach was, die Abwechslung tut mir ganz gut", meinte Honda grinsend und legte das Bettzeug ordentlich vor sein Bett. Zögerlich legte sich Jonouchi schließlich ins Bett und sah über die Kante runter zu seinem Freund.

"Sie hat es ihr erzählt", meinte er ganz ruhig und kaum hörbar zu dem Brünetten.

"Deine Mutter Shizuka?", hakte der andere vorsichtig nach. Jonouchi nickte nur und presste die Lippen wieder fest zusammen, als die Worte seiner Mutter in seinem Kopf wiederhallten und ihm wieder die Tränen in die Augen trieben.

"Sie nannte mich eine Abartigkeit und das ich einen schlechten Einfluss auf Shizuka haben würde und wenn sie mich nicht fernhalten würde, ich meine Schwester verderben würde", erzählte er mit brüchiger Stimme. "Und dann sagte sie ihr, ich sei ein warmer Bruder, eine Schwuchtel und eine widernatürliche Missgeburt."

Wieder rannen ihm die Tränen über das Gesicht. Honda wechselte von dem Futon ins Bett und nahm Jonouchi in seine Arme, um ihn zu trösten.

"Deine Schwester liebt dich und sie wird dich nicht fallen lassen", versprach Honda ihm und hoffte, dass er sich nicht irren würde.
 

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Mitgenommen

"Und Jungs, was habt ihr heute noch so vor?", fragte Frau Honda am Frühstückstisch.

"Hm, abhängen und entspannen und später wollten wir mit Freunden in einen Club oder ins Kino", antwortete Honda seiner Mutter, während er sein Rührei, dass sie heute zubereitet hatte, genoss.

"Ist das heute?", kam es überrascht von Jonouchi.

"Es ist Samstag, Kumpel", erwiderte Honda neckend.

"Dann muss ich vorher noch mal schnell heim, Klamotten holen und so", meinte der Blonde und versuchte beiläufig zu klingen.

"Dann lass uns gleich nach dem Frühstück los", schlug Honda vor, während Frau Honda ihre Stirn in Sorgenfalten legte. Der Blonde war in den letzten Jahren immer mal wieder überraschend zu Besuch gekommen, meist zierten irgendwelche blauen Flecken oder Schwellungen sein Gesicht oder hier und da hatte sie Blutergüsse an seinem Oberarm gesehen, die er unter dem T-Shirt zu verbergen suchte. Doch der junge Mann hatte immer recht deutlich signalisiert, dass er darüber nicht reden wollte. Die rote Wange vom Vortag war heller geworden und kaum noch zu sehen.

"Ähm, ich geh gegen 18.00 Uhr schnell und treff dich und die anderen dann bei Burger World... wann wollten wir uns da treffen?", erwiderte Jonouchi abwiegelnd.

"Gegen 21.00 Uhr", antwortete Honda und man konnte ihm anhören, dass ihm das nicht gefiel.

"Werde pünktlich sein", meinte Jonouchi und grinste seinen besten Freund neckisch an.
 

Nachdem sie den halben Tag gemeinsam auf der Play Cube gezockt hatten, hatte sich Jonouchi seine Klamotten, die Frau Honda gewaschen hatte, angezogen und war gegangen. Als er vor dem hohen Wohnhaus, in dem sein Vater und er lebte, ankam blickte er an der Fassade nach oben, bis er die Fenster ihrer Wohnung sah. Es war bereits dunkel, obwohl es erst halb sieben war, und aus der Wohnung kam kein Licht. Das war ein deutliches Indiz dafür, dass sein Vater nicht da war.

Also überquerte Jonouchi hastig die Straße, stieg eilig die Treppen hinauf und bemühte sich so leise zu laufen, wie es ihm möglich war. Dann schloss er in Zeitlupe die Tür auf, um so wenig Geräusche wie möglich zu machen, und schlüpfte in die dunkle Wohnung. Er zögerte kurz, versuchte in die Dunkelheit zu lauschen, konnte aber nichts hören. Also wagte er es den Lichtschalter zu betätigen und das Licht einzuschalten.

Zu seiner Erleichterung war die Couch leer. Ein riesiger Stein fiel von ihm und ließ ihn erleichtert aufatmen. Dann eilte er in die mit einem Vorhang abgetrennte Nische und stellte fest, dass sein Vater seine Wut an der Kommode abreagiert hatte. Die Schubladen waren auf das Bett geworfen und deren Inhalt verteilt worden, während die Kommode an sich zertrümmert an ihrem Platz lag.

Sie zu betrauern, dafür hatte der Blonde keine Zeit. Er sammelte ein paar Sachen zusammen, eilte in das Badezimmer und zog sich um. Die saubere, kaum getragene Schuluniform, die er für den Nachhauseweg angehabt hatte, stopfte er in eine Sporttasche, so wie ein paar andere Klamotten.

Dann tastete er unter seinem Bett nach dem kleinen, schwarzen Notizbuch und... fand es nicht. Sein Tasten wurde hektischer. Doch es war nicht da. Er durchsuchte das Chaos, doch nirgends war es zu finden. Leise fluchte er und raufte sich die Haare. Die Frage, ob sein Vater es möglicherweise gefunden haben konnte, ging ihm durch den Kopf, doch dann verneinte er die Möglichkeit. Wann hatte er das Buch das letzte Mal gesehen.

Schließlich traf es ihn wie ein Blitz: Als die Stimme seines Vaters ihn vor zwei Wochen aus der Wohnung getrieben hatte, hatte er es in seine hintere Hosentasche seiner Schuluniform gesteckt und mitgenommen. War das tatsächlich schon zwei Wochen her? Es war nicht unüblich, dass er seine Einnahmen nicht immer zeitnah eintrug, daher hatte er es wohl die ganze Zeit nicht gemerkt. Aber wo war es nun?

Es war nicht in der Tasche seiner Schuluniform und auch nicht in seinem Rucksack mit den Schulsachen... und hier schien es auch nicht zu sein. Hatte er das Notizbuch verloren? Nun ja, da sein Name nirgends in dem Buch stand und er mit Kürzel arbeiteten dürfte niemand aus dem Büchlein, der nicht wusste, um was es ging, Schlüsse ziehen können. Dennoch ging das mulmige Gefühl in seiner Magengegend nicht weg.

Er stopfte alle seine Schulsachen in seinen Rucksack, nahm die Sporttasche, in der fast alle seine Sachen waren, und verließ die Wohnung wieder. Eilig lief er zum nahen Bahnhof, stieg die Treppe hinauf auf den Steg und wartete dort auf die Bahn. Als sie einfuhr stieg er ohne gelösten Fahrschein ein, denn er war total abgebrannt. Er konnte nur hoffen, dass kein Kontrolleur in der Bahn war.

Tatsächlich schien er endlich mal Glück zu haben. Er stieg einmal um und kam schließlich am Bahnhof des Kommerz- und Verwaltungszentrums Dominos an. In diesem Viertel standen die höchsten Häuser der Stadt, unter anderem auch der alles überragende Kaiba Corp Tower.

Er verließ den Bahnsteig und suchte im Untergeschoss die Schließfächer auf. In einer Ecke, in der gerade niemand war, stopfte er seinen Rucksack und die Sporttasche hinein und konnte die Tür mit einem Trick davon überzeugen, er hätte für zwei Tage Pfand eingeworfen. Also nahm er den Schlüssel und band ihn sich um das Fußgelenk unter seiner Hose.

Jonouchi verließ den Bahnhof nicht auf der Seite des Kommerzviertels, in dem man von den zahlreichen Neonlichter, Reklametafeln und Werbebanner geblendet wurde, sondern auf der Rückseite. Was die wenigsten wussten war, dass dort ein sehr spezielles Vergnügungsviertel lag. Zahlreiche Schwulenclubs, -bars, -saunen, und -discos zierten die Straßen. Versuchten mit Sonderangeboten und Programme potentielle Kunden hinein zu locken. Immer wieder wurde die Straße links und rechts von Gassen gesäumt und in einer dieser Gassen bog Katsuya schließlich ab.

Es war keine Hinterhofgasse, die dunkel dalag und von Müllcontainer gesäumt war, sondern lediglich eine kleine Straße, die nur für Fußgänger offen war. Die Straßenlaternen spendeten schwaches Licht, was der ganzen Szenerie eine verruchte Atmosphäre verlieh. Links und rechts standen in verschieden großen Abstände Jungs und Männer, froren und warteten. Schließlich kam der Blonde zu einer größeren Lücke und reihte sich ein.

Er hasste es hier her zu kommen. Hasste es zu warten, wobei er nie lange warten musste, denn mit seinem naturblonden Haar war er denjenigen gegenüber klar im Vorteil, die sich ihr dunkles Haar blondiert hatten. Sein Blond wirkte nicht künstlich oder aufgesetzt und ließ ihn etwas exotisch wirken.

Jonouchi stand keine zehn Minuten, als der erste Mann, der durch die Straße schlenderte auf ihn zuhielt. Im Magen des Blonden begann sich ein Knoten zu bilden. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre weggelaufen. Hätte auf den Typen und sein Geld geschissen und das bisschen Würde, was er noch hatte, gerettet. Aber... er brauchte das Geld. Er wollte sich am späteren Abend nicht von seinen Freunden aushalten lassen und von irgendetwas musste er die kommende Woche leben.

Die Kommunikation verlief wortlos. Der Mann war vor ihm stehen geblieben, hatte ihn gemustert und dann mitgenommen. So lief es immer. Seit fast drei Jahren. Seit sein Vater beschlossen hatte, dass er seinen Sohn nicht länger mitversorgen wollte. Und Jonouchi hasste diesen Teil seines Lebens...
 

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Party

"Wo bleibt er denn?", fragte Yugi verfroren und trat von einem Bein auf das andere.

"Keine Ahnung. Er meinte vorhin noch, dass er pünktlich da sein würde", erklärte Honda.

"Dann lasst uns schon mal reingehen und was bestellen. Wir setzen uns ans Fenster, damit er uns gleich sehen kann", schlug Otogi vor. Die anderen stimmten zu und sie betraten Burger World. Sie bestellten sich ihre jeweiligen Menüs und gingen mit den Tabletts an einen Tisch am Fenster, um zu beraten, worauf sie an diesem späten Abend Lust hatten. Schließlich einigten sie sich auf einen Club, als Jonouchi gerade reinkam.

"Hey Leute, sorry, ich kam nicht schneller los", meinte er breit grinsend und konnte den besorgten Blick von Honda nicht ignorieren. Doch zu Hondas Erleichterung konnte er keine neuen blauen Flecke an seinem Freund feststellen.

"Ah, da bist du ja endlich", meinte Otogi spitz. "Wir haben gerade entschieden, dass wir in den Club gehen."

"In den Club?", kam es überrascht von Jonouchi und für einen Moment wich sein Lächeln, bevor er umso breiter Grinste. "Klingt nach 'nem Plan. Wobei aber heute Nacht auch ein Movie-Spezial mit klassischen Horrorfilmen läuft."

"Wär 'ne Option gewesen, wenn du pünktlich gewesen wärst. Jetzt haben wir die Diskussion Kino vs. Club schon hinter uns", meinte Otogi etwas genervt.

"Achso, sorry... ja, klar", meinte Jonouchi abwinkend und weiter grinsend. "Dann lasst uns aufbrechen."

"Willst du dir nicht erst was zu essen holen?", fragte Honda.

"Hab schon gegessen", meinte Jonouchi, doch so wirklich konnte Honda ihm das nicht glauben.

"Na dann mal auf", meinte Otogi, der sich mit einer Serviette die Mundwinkel nachfuhr und sie dann auf sein Tablett warf. Dann stand er auf, nahm das Tablett und brachte es zum Servicewagen. Yugi und Ryou folgten ihm. Als Jonouchi aufstehen wollte legte Honda eine Hand auf Jonouchis Unterarm, den dieser instinktiv wegzog. Für einen Moment blickte der Blonde seinen besten Freund erschrocken an, bevor er wieder lächelte.

"Hey, wirklich alles in Ordnung? Wenn du Hunger hast, dann geb ich dir gern einen Burger oder so aus", meinte Honda leise zu ihm. Doch Jonouchi grinste ihn nur an.

"Wie gesagt, hab schon gegessen. Aber danke fürs Angebot", meinte Jonouchi. "Komm, sonst hängen uns die anderen noch ab."

Damit wandte er sich zum Gehen und Honda seufzte stumm, bevor er sein Tablett nahm. Waren sie sich gestern Abend noch so nah gewesen hielt Jonouchi ihn nun wieder auf Abstand. Nicht zum ersten Mal. Immer wieder hatte der Blonde Phasen, da grinste und lachte er übermäßig viel, machte sich zum Clown oder demonstrierte eine Dusseligkeit, die nicht zu ihm passte. Und immer wieder fragte Honda sich, was diese Phase auslöste. Doch eine Antwort wollte sich ihm nicht erschließen.
 

Dank Otogis Verbindungen hatten sie trotz ihrer Minderjährigkeit keine Probleme in den Club zu kommen. Der wummernde Beat schlug ihnen entgegen, kaum dass sie den Vorhang durchquert hatten. Der Eingang lag auf einer Empore, die links und rechts Treppen bot. Die eine diente dem Eintauchen in dieser spektakulären Welt der Musik, während die andere als Ausgang diente.

Neonlichter und Scheinwerfer wechselten im Takt der Musik und ließ alles fantastisch wirken. Viele der Club-Besucher hatten ihr Make up und Outfit danach ausgerichtet, dass sie im spärlichen Licht lumineszierten. Das Ganze erinnerte einfach an die Tim Burton-Filme aus den frühen 90ern.

Sie bahnten sich als Gruppe einen Weg die Treppe hinunter und durch das chaotische Getümmel rund um die überfüllte Tanzfläche. An der Bar beugte sich Otogi zum Barkeeper, gab dem Mann einen 10.000 Yen-Schein, der nickte und winkte eine Bedienung heran. Diese lächelte Otogi charmant an, der flirtend zurückgrinste.

Dann bahnte sie ihnen einen Weg durch den Club und führte sie eine weitere Treppe hinauf, die auf eine weitere Empore führte. Diese war in verschiedenen Séparées untergliedert. Als auch der letzte ihrer Gruppe in den durch den niedrigen Tisch und die Rundcouch dominierten Raum eingetreten war zog die Dame einen schweren Vorhang vor. Die Couch stand an einer ebenso gebogenen Brüstung, von der aus man ungehindert runter auf die Tanzfläche und die pulsierende Menschenmasse schauen konnte.

Alle setzten sich erst einmal und bestellten über die elektronische Karte in der Mitte des Tisches die erste Runde Getränke. Als die Bedienung mit den Getränken kam zog Jonouchi zwei Scheine und bezahlte die Runde, verbunden mit einem Trinkgeld für die Bedienung. Wieder konnte er den besorgten Blick von Honda auf sich spüren. Daher grinste er umso mehr, als er die Getränke auf dem Tisch verteilte.

"Dann auf, wir sind ja nicht nur zum Zuschauen hier", meinte Otogi, als er einen Schluck genommen hatte. Damit schob er auf der einen Seite Yugi und Ryou von der Couch. Auch Honda stand auf und blickte verwirrt zu Jonouchi, der sitzen geblieben war.

"Kommst du?", fragte er seinen besten Freund.

"Gleich, muss vorher noch mal aufs Klo", erwiderte Jonouchi. Honda nickte und folgte den anderen.
 

Als Jonouchi endlich allein war wich sein Grinsen aus seinem Gesicht. Er stützte seine Ellenbogen auf den Tisch, verschränkte die Finger hinter seinem Nacken und schloss seine Augen. Die Übelkeit in ihm war heute besonders langanhaltend. Meist ließ sie eine Stunde nach dem letzten Kunden nach. Doch heute nicht.

Er hatte so gehofft, dass sie heute einen Kinoabend machen würden. Sie alle, gemeinsam, in einem dunklen Raum, sitzend. Dann hätte er sich in aller Ruhe erholen können. Stattdessen waren sie jetzt in diesem Drecksclub. Die Musik war scheiße und auf dem Weg zum Séparée wäre er fast drei Mal ausgetickt, als ihn jemand zufällig an der Schulter gestreift hatte. Zum Glück hatte er das Schlusslicht gebildet und so war das an seinen Freunden vorbei gegangen.

Aber er konnte unmöglich die nächsten Stunden bei jedem Aufbruch zur Tanzfläche mit der Toilette als Ausrede kommen. Er orderte sich über die elektronische Karte einen Shooter, der wenige Augenblicke später mit einem kritischen Blick der Bedienung serviert wurde. Jonouchi zahlte ihn und kippte ihn mit einem Schluck hinunter, wo er höllisch brannte. Dann setzte er sich wieder. Zumindest für diesen Moment konnte er sich nun damit rausreden, dass er die anderen nach dem Klo nicht gefunden hatte.
 

"Auf zum letzten Tanz", meinte Otogi erneut. Jonouchi blickte auf seine Uhr und stellte fest, dass sie fast halb vier hatten. Viereinhalb Stunden waren sie schon hier, das entsprach neun Tanzphasen, wie es der Schwarzhaarige so gern nannte. Jede Phase bestand aus 20 Minuten auf der Tanzfläche rumhüpfen und 10 Minuten hier oben etwas trinken und wieder zu Atem kommen. Die erste Phase hatte Jonouchi aussetzen können. Danach hatten sie ihn abwechselnd mitgezogen.

Jonouchi tat alles um über den Schmerz hinwegzutäuschen, damit sich keiner seiner Freunde Sorgen machte oder nachfragte. Doch Hondas Blick ruhte immer wieder auf ihn. Bohrend. Das trieb ihn fast um den Verstand.

"Geht mal, ich passe", meinte Honda plötzlich.

"Schon K. O.?", fragte Otogi provozierend nach.

"Jap... also hop... nutzt das Humpa-Humpa solange es noch gespielt wird", grinste Honda, dann wandte er sich an Jonouchi.

"Leistest du mir Gesellschaft?", fragte er ihn plötzlich. Jonouchi nickte, bevor es ihm klar war.

"Was seid ihr nur für müde Säcke, ihr beiden", meinte Otogi, der mit Yugi und Ryou das Séparée verließ, um ein letztes Mal für diesen Besuch auf die Tanzfläche zu gehen.

"Teilen wir uns gleich ein Taxi?", fragte Honda müde.

"Teilen?", fragte Jonouchi verwirrt.

"Hab keine Lust auf Laufen", meinte der Brünette ehrlich.

"Ich bring dich gern heim...", meinte Jonouchi.

"Meine Ma hat sicherlich das Futon auch schon vorbereitet", meinte Honda müde. "Müssen wir noch am Bahnhof vorbei?"

Sein Freund kannte ihn einfach zu gut. Irgendwann hatte er Honda mal erzählt, dass er gelegentlich etwas Abstand von seinem Alten brauchte und er dann seine Sachen in einem Schließfach deponierte.

"Kann ich auch morgen noch holen", meinte Jonouchi, bevor Honda sich an ihn anlehnte.

"Ach was, das Taxi kann ja warten, während du deinen Kram holst. Meine Ma hat nichts dagegen wenn du ein paar Tage bei uns bleibst, bis es bei dir wieder ruhiger geworden ist", meinte Honda nuschelnd. Jonouchi sah ihn verblüfft an.

"Das... das geht doch ni...", wollte er abwiegeln, doch Honda boxte ihn nur gegen die Schulter.

"Halt die Klappe. Du kommst mit zu mir und gut ist", schimpfte Honda gespielt ernst. "Komm Jonouchi, dafür sind doch Freunde da, oder nicht? Dass sie einem beistehen, wenn es mal nicht so läuft."

Jonouchi ließ die Worte auf sich wirken und nickte dann. Die Frage, ob Honda ihn noch als Freund betrachten würde, wenn dieser erfahren würde, woher Jonouchi das Geld für diesen Abend hatte, begann wieder an ihm zu nagen. Zwar hatte er sich bezüglich seiner sexuellen Orientierung seinem besten Freund offenbart, aber seine Geldbeschaffungsmethoden waren was gänzlich anderes.

"Danke, Kumpel", meinte er leise.

"Ach, doch nicht dafür", winkte Honda ab und legte einen Arm um Jonouchi, während er seinen Kopf wieder an dessen Schulter bettete.
 

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Albtraum

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Unerwartet

Als Jonouchi das Krankenhaus erreichte war es bereits viertel vor zwei. Er humpelte zur Aufnahme und sah die diensthabende Schwester am Telefon. Also wartete er. Was blieb ihm auch anderes übrig? Als diese auflegte notierte sie sich etwas und blickte dann zu ihm.

"Ja, bitte?", fragte sie harsch.

"Ich... wurde zusammengeschlagen", flüsterte Jonouchi. Seine Stimme war vom vielen Schreien rau und mitgenommen.

"Kannst du bitte etwas lauter sprechen?", kam es auffordernd von der Dame hinter dem Tresen.

"Ich wurde zusammengeschlagen", wiederholte Jonouchi etwas lauter. Sie reichte ihm ein Clipboard und einen Stift.

"Füll das aus und bring es mir wieder", meinte sie nur und wandte sich dann etwas anderem zu. Jonouchi nickte nur resigniert, nahm das Clipboard und den Stift mit der gleichen, unverletzten Hand und humpelte in den Wartebereich. Doch dieser war voll belegt. Der Schmerz wütete in ihm und sein Körper forderte, dass er sich hinsetzte. Also ging er zu den Automaten und ließ sich daneben an der Wand entlang auf den Boden rutschen, bis er in der Hocke angekommen war. Ein erneuter Schmerz durchzog ihn. Dann versuchte er den Anmeldebogen auszufüllen. Als er nach einer gefühlten Ewigkeit fertig war zog er sich mit Mühe wieder in den Stand, ging zum Tresen zurück und wollte der Schwester den Bogen geben.

"Setz dich, es kann etwas dauern, bis du aufgerufen wirst", meinte sie nur. Jonouchi nickte nur und strich sich die Träne am Auge weg, bevor sie über die Wange kullern konnte.
 

Irgendwann war ein Platz im Wartebereich frei geworden und er hatte sich setzen können. Nervös kaute er an den Fingernägeln der unverletzten Hand, während er die andere, die mittlerweile pulsierte und wummerte, fest an seinen Körper presste. Das löste aber an seinem Bauch einen stechenden Schmerz aus, dort wo der Schuh des Freiers ihn getroffen hatte. Als er an die Wanduhr blickte stellte er fest, dass es bereits halb sechs war. War er echt schon fast vier Stunden hier? Sein Mund fühlte sich so trocken an.

Durch die beeinträchtigte Sicht sah er nur Schemen. Bunte Farbkleckse, die irgendwo Menschen zu sein schienen. Daher kam es nicht selten vor, dass wenn jemand nah an ihm vorbei ging er schreckhaft zusammenzuckte. Seine Jeans fühlte sich irgendwie klamm und feucht an. Auch sein Shirt schien an ihm zu kleben. Er raffte seine Jacke enger um sich.

"Jonouchi?", hörte er auf einmal eine Stimme, auf die er jetzt gut verzichten könnte. Dennoch versuchte er in die Richtung zu schauen, aus der die Stimme gekommen war. "Himmel, was ist denn mit dir geschehen?"

Vor ihm stand Kaiba Seto in einem dunkellila Mantel, darunter schien er einen schwarzen Wollkragenpulli und eine dunkle Hose zu tragen, die in seinen Stiefeln steckten.

"Bin die Treppe runter gefallen", log Jonouchi mehr aus Reflex, als wirklich gewollt.

"Aha...", kam es trocken von seinem Gegenüber.

"Wa... was machst du hier, Kaiba?", fragte Jonouchi und hatte alle Mühe sich zu beherrschen.

"Mokuba hatte einen Blinddarmdurchbruch und wurde bis eben operiert", antwortete Kaiba.

"Oh, Scheiße... ist die OP gut gelaufen?", fragte Jonouchi sofort besorgt. Kaiba musterte ihn kurz verwirrt. Der Blonde sah aus, als hätte er 10 Runden in einem Boxring hinter sich und dennoch fragte er nach Mokubas Wohlergehen.

"Ja, die OP ist gut gelaufen und er war sogar schon kurz wach. Aber jetzt schläft er und daher wollt ich heim", erzählte Kaiba.

"Na dann komm gut heim", krächzte Jonouchi leise.

"Wie lange sitzt du schon hier?", fragte Kaiba und war vor dem Blonden in die Hocke gegangen, wodurch er nun von unten zu ihm aufsah. Das störte Jonouchi irgendwie, denn so hatte er das Gefühl dem stechenden Blick der blauen Augen nicht mehr ausweichen zu können.

"Noch... noch nicht sehr lange... vielleicht... ähm... vier Stunden, oder so?", erzählte er und wusste selbst nicht, wieso er ihm ehrlich antwortete.

"Vier Stunden schon? Das gibt es doch nicht. Warte, ich such dir einen Arzt", meinte Kaiba besorgt.

"Nein... nein schon gut... ich komm bestimmt gleich dran", meinte Jonouchi, als ein weiterer Patient aufgerufen wurde, der erst nach ihm gekommen war. Als dieser dicht hinter ihm vorbei ging zuckte er schreckhaft zusammen und begann wieder zu zittern.

"Man, warum rennst du nur in Sommerklamotten rum. Du bist total durchgefroren", meinte Kaiba und zog seinen Mantel aus, um ihn über Jonouchis Schulter zulegen. Doch dieser erschrak dadurch noch mehr.

"Lass den Scheiß, ja", fauchte Jonouchi ihn an. "Ich... ich hab dich nicht um Hilfe gebeten, also... kümmer dich um deinen Scheiß."

"Du magst mich nicht um meine Hilfe gebeten haben, aber du brauchst sie definitiv", meinte Kaiba ruhig. Dann stand er auf und ging zur Anmeldung. Dort wechselte er ein paar Worte mit der Schwester, die ihn erst wirsch zurechtweisen wollte. Doch Kaiba wär nicht Kaiba, wenn er sich das gefallen lassen würde. Also schenkte er der Schwester ein. Jonouchi wusste nicht, was der Brünette zu der Dame an der Anmeldung gesagt hatte, doch diese sprang auf einmal auf und kam nur zwei Minuten später mit einem Arzt zurück. Diesen führte Kaiba dann zu Jonouchi.

"Dann komm mal mit", bat der Arzt. Jonouchi stand langsam und mit viel Mühe auf, nicht bemerkend, dass er eine blutige Spur auf dem Sitz hinterließ, die Kaiba aber sofort ins Auge sprang. Er nahm ein Taschentuch aus seiner Hosentasche, wischte das Blut damit weg und folgte dem Blonden schließlich.

Der junge Arzt führte Jonouchi in einen Behandlungsraum, der offensichtlich sonst Privatpatienten vorbehalten war, die Wert auf Diskretion und Privatsphäre legte. Als Seto eintreten wollte versperrte der Mann ihm den Weg.

"Ich weiß wer Sie sind, Herr Kaiba", flüsterte der Arzt ihm ruhig zu. "Aber ich muss Sie dennoch bitten, dass Sie hier draußen warten, denn ich glaube nicht, dass mir ihr Bekannter die Wahrheit darüber sagt, was wirklich geschehen ist, wenn Sie dabei sind."

Kaiba überlegte kurz und nickte schließlich. Er nahm auf einem Stuhl neben der Tür Platz, während der Arzt erleichtert die Tür schloss.

Der Arzt wandte sich Jonouchi zu, der versuchte aus seiner Jacke rauszukommen, es aber nicht schaffte.

"Warte, ich helf dir", meinte der junge Arzt und griff nach der Jacke, um ihm heraus zu helfen, was Jonouchi erschrocken zusammenfahren und herumwirbeln ließ. Sofort hob der Arzt seine Hände, um Jonouchi zu zeigen, dass er nichts in der Hand hatte. "Es ist alles gut. Ich möchte dir nur helfen die Jacke auszuziehen."

Jonouchi nickte und ließ sich helfen. Die Erinnerung an den Freier kam in ihm hoch und er versuchte die Tränen wegzublinzeln, was ihm aber nicht ganz gelang. Dann half der Arzt dem verletzten Oberschüler auf die Behandlungsliege.

"Möchtest du mir erzählen, was geschehen ist?", fragte der Arzt.

"Wurde zusammengeschlagen", war die wenig informative Antwort des Blonden.

"Hm, das sieht mir aber nur nach einem Teil der Wahrheit aus", konterte der Arzt. "Dein Shirt ist am Rücken blutig. Darf ich mir deinen Rücken ansehen?"

Jonouchi überlegte und nickte dann. Der Arzt war schockiert von dem Anblick der blutigen Striemen. Vorsichtig reinigte er den Rücken und versorgte die verletzte Haut.

"Ich denke nicht, dass da Narben bleiben, wenn es erst einmal verheilt ist", meinte er in einem Smalltalk-Tonfall und kam wieder vor Jonouchi, nachdem er ihm etwas aufgetragen hatte. "Hast du Schmerzen im Arm?"

"Er... er wurde mir auf den Rücken gedreht", erzählte Jonouchi leise und mit brüchiger Stimme. Vorsichtig nahm der Arzt den Arm in die Hände und sofort wimmerte Jonouchi.

"Wir werden ihn röntgen müssen", kündigte der Arzt an. "Darf ich mir deine Brust und den Bauch anschauen?"

Wieder überlegte Jonouchi kurz, bevor er schließlich nickte. Der Arzt bat ihn sich auf den Rücken zu legen und der Blonde schluckte, bevor er der Aufforderung nachkam. Es tat weniger weh, als er gedacht hatte, was sicherlich an dem lag, was der Arzt eben aufgetragen hatte. Dann wurde sein Shirt hochgeschoben.

"Da hatte aber jemand Wut auf dich", meinte der Arzt behutsam.

"Möglich", meinte Jonouchi ausweichend.

"War das dein Vater?", fragte der Arzt vorsichtig weiter.

"Nein... dieses Mal war es nicht mein Vater", antwortete der Blonde erschöpft. Der Arzt tastete ihn ab und Jonouchi musste ein paar Mal scharf die Luft einziehen.

"Okay, dass muss auch geröntgt werden", kommentierte der Arzt, dem der Blutfleck auf dem Bezug der Liege aufgefallen war, wo Jonouchi bis eben noch gesessen hatte.

"Hat dir wer auch immer noch anderweitig weh getan?", fragte der Arzt behutsam und Jonouchi begann wieder zu zittern, während er sich unsicher auf die Unterlippe kaute. "Ich frage, weil du scheinbar blutest."

Der Blonde kämpfte gegen seine Tränen an, doch er spürte, wie er immer mehr den Kampf verlor. Er presste seine Lippen fest aufeinander und versuchte durch die Nase zu atmen, in der Hoffnung, so seine Gefühle besser kontrollieren zu können.
 

Kaiba hatte fast zwei Stunden vor dem Zimmer gewartet. Dann ging die Tür auf und Jonouchi kam humpelnd heraus. Er trug einen Gips vom Oberarm bis zum Handgelenk an dem Arm, den er so an sich gepresst hatte und der nun in einer Schlinge ruhte.

"Komm bitte in einer Woche wieder und frag direkt nach mir", meinte der junge Arzt. Jonouchi nickte. Kaiba stand auf und musterte ihn.

"Sie lassen ihn gehen?", fragte er den Arzt. Der Arzt lächelte mild.

"Ich kann ihn nicht gegen seinen Willen aufnehmen", erklärte er dem Brünetten.

"Ich brauch noch die Rechnung", meinte Jonouchi erschöpft.

"Wird geschickt", meinte der Arzt ruhig.

"Ich würd sie lieber gleich begleichen", erwiderte der Blonde.

Der Arzt wechselte einen Blick mit Kaiba, der sich dann räusperte.

"Es gibt nichts zu begleichen", meinte Kaiba auf einmal. Jonouchi zog seine Stirn kraus und musterte Kaiba prüfend.

"Das... das kann ich nicht annehmen", widersprach der Blonde schließlich.

"Wir klären das, sobald du wieder fitter bist. Komm ich bring dich heim", meinte Kaiba. Jonouchi ließ sich von ihm weg vom Arzt führen, der offensichtlich beruhigt darüber war, dass er nicht alleine sein würde. Doch vor dem Krankenhaus blieb Jonouchi stehen und raffte seine Jacke so gut es ging um sich.

"Also bis dann", meinte der Blonde und wollte sich abwenden.

"Ich sagte, ich bring dich nach Hause", wiederholte Kaiba und wollte Jonouchi am unverletzten Oberarm packen, der wimmernd zusammenzuckte. "Was ist nur geschehen, Jonouchi?"

"Nichts...", kam es abwehrend von dem Blonden. "Ni... Nichts was dich was angehen würde."

"Ich werde dir nichts tun", meinte Kaiba beschwichtigend.

Jonouchi wollte etwas erwidern, doch dann wurde ihm schwindelig und er begann das Gleichgewicht zu verlieren. Sofort war Kaiba zur Stelle und fing ihn auf, bevor der junge Arzt, der ihnen wohl gefolgt war, heran eilte und einigen Pfleger Anweisungen zurief, die sofort mit einer Liege angerollt kamen.

"Jetzt kann ich ihn als Patient aufnehmen", meinte der Arzt zu Kaiba, der nickte.

"Er ist ein persönlicher Freund von mir und genauso sollte er auch behandelt werden. Die Rechnung schicken Sie mir", meinte Kaiba. Der Arzt nickte und sah dann, wie Kaiba sich abwandte und ging.
 

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Verschwunden

Es war Donnerstag und Kaiba saß auf seinem Platz in der Klasse, vor sich der aufgeklappte Laptop mit den aktuellen Quartals- und Jahreszahlen. Doch Kaiba konnte sich nicht auf die Zahlen konzentrieren. Seine Gedanken schweiften immer wieder zu Jonouchi.
 

Er hatte den Blonden Sonntagfrüh im Krankenhaus in der Aufnahme gesehen. Schlimmer zugerichtet als jemals zuvor. Also hatte er sich ihm zugewandt und festgestellt, dass der sonst so taff wirkende Blonde völlig traumatisiert gewesen war. Jede Bewegen um ihn herum ließ ihn schreckhaft zusammenfahren und er kämpfte so offensichtlich mit seinen Tränen, das er ihn am liebsten...

Der junge Geschäftsmann führte den Gedanken nicht weiter aus. Er hatte alles in seiner Macht stehende getan, damit Jonouchi ordentlich untersucht und versorgt wurde. Dann wollte der Blonde das Krankenhaus verlassen und war davor zusammen geklappt. Also hatte Kaiba ihn in ein Privatzimmer bringen lassen und die Rechnung übernommen.

Als er später am Sonntag Mokuba besuchen wollte, wollte er auch bei Jonouchi vorbei schauen. Doch das Zimmer, in dem der Blonde hätte liegen sollen, war leer. Erst nach einer energischen Nachfrage bei der diensthabenden Stationsärztin bekam er die Auskunft, dass Jonouchi von seinem Vater abgeholt worden war.

Diese Information hatte ihm Bauchschmerzen bereitet. Er hatte sich Zugriff auf das Krankenhausnetzwerk verschafft und nach Jonouchis Adresse gesucht. Erst dann war er zu Mokuba gegangen, der sofort merkte, dass etwas seinen Bruder beschäftigte. Also hatte der Jüngere das getan, was er in solchen Momenten immer tat: nachgebohrt. Schließlich hatte Kaiba ihm alles erzählt und auch Mokuba begann sich Sorgen um den älteren Bruder seiner Klassenkameradin zu machen.

Nachdem die Besuchszeit geendet hatte war Seto zu der angegebenen Adresse gefahren, nur um festzustellen, dass es sich dabei um ein nicht bebautes Grundstück handelte. Der Blonde hatte eine falsche Adresse angegeben. Er seufzte und fuhr zu ihrer Schule. Auch dort hackte er sich in das Netzwerk. Es half, dass fast alle öffentlichen Einrichtungen eine Software seiner Firma verwendeten. Doch zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass dort die gleiche Adresse angegeben war, wie in der Krankenakte. Er fluchte leise.

Am Dienstag war Mokuba von seiner Klassenkameradin, Jonouchis Schwester, besucht worden. Da Jonouchi an diesem Tag nicht in der Schule gewesen war fragte Kaiba sie gegen Ende ihres Besuchs, ob sie ihm die Adresse ihres Bruders geben könnte. Sie hatte ihn gemustert und verneint. Nicht, weil sie nicht wollte, sondern weil sie nicht konnte. Ihre Briefe hatte sie stets an ein Postfach gerichtet gehabt, damit sie nicht vom Vater abgefangen worden waren.

Die Frage nach Jonouchis Adresse alarmierte sie und sie fragte, ob etwas mit ihrem Bruder wäre. Kaiba log sie an und meinte, dass er etwas mit dem Blonden zu klären hätte und das nicht in der Schule machen wollte. Skeptisch hatte sie ihn gemustert und er war sich nach wie vor unsicher, ob sie ihm die Lüge geglaubt hatte. Aber sie hatte ihm Jonouchis Handy-Nummer gegeben.

Kaiba versuchte die Nummer anzurufen, landete aber immer wieder auf einer anonymisierten Mail-Box. Als er an diesem Abend nach Hause kam setzte er sich an seinen Laptop, rief die Homepage von Jonouchis Anbieter auf - den er anhand der Vorwahl erkannt hatte - und versuchte sich als Jonouchi auszugeben. Er wollte die Handyortung nutzen, die dem Inhaber eines Handys ermöglichte ein verlorenes Handy wiederzufinden. Doch scheinbar war dieses ausgeschaltet und eine Ortung damit nicht möglich.
 

Jonouchis Freunde kamen in die Klasse. Sie hatten sich am Anfang der Woche gewundert, dass der Blonde fehlte und hatten kurz darüber spekuliert, was dafür wohl der Grund war. Dabei war Kaiba aufgefallen, dass Honda sich wenig daran beteiligte und immer wieder besorgt zu dem Tisch des Blonden blickte. Und mit jedem verstreichenden Tag schien der andere Brünette sich mehr Sorgen zu machen.

Kaiba stand auf und ging direkt auf Honda zu.

"Hey, kann ich dich mal kurz sprechen?", fragte er den verblüfften Honda. Auch die anderen drei blickten ihn an, als hätte er sich gerade als Außerirdischer offenbart.

"Sicher, was gibt es?", fragte Honda.

"Unter vier Augen", erwiderte Kaiba. Honda wechselte kurz einen Blick mit seinen Freunden, nickte aber dann. Sie wollten gerade das Klassenzimmer verlassen, als Jonouchi eintrat. Geschockt blieben beide stehen. Honda, weil er nicht erwartet hätte, Jonouchi derart zugerichtet zu sehe. Kaiba, weil ihm auffiel, dass zu den Verletzungen von Sonntag gerade im Gesicht noch einige dazu gekommen waren.

Jonouchi blickte sie ebenso geschockt an, bevor er seinen Blick schambehaftet senkte.

"Jou-kun", kam es entsetzt von Yugi, als dieser den Blonden sah. Der Blonde versuchte kess zu grinsen, als er sich an den beiden Brünetten vorbei schob und zu seinem Platz humpelte.

"Scheiße, was ist denn mit dir passiert?", fügte Otogi hinzu. Auch die Blicke aller anderen in der Klasse waren auf den Blonden gerichtet, was ihm sichtbar unangenehm war.

"Wurde überfallen", meinte er nur mit brüchiger Stimme, als würde das alles erklären.

"Überfallen?", hakte Ryou entsetzt nach. "Von wem?"

"Keine Ahnung... irgend so ein Penner. Hat mich von hinten erwischt und gegen eine Wand geworfen. Als ich am Boden lag hat er auf mich eingetreten und eingeschlagen", erzählte Jonouchi und kleidete einen Teil der Wahrheit in eine Lüge.

"Und was ist mit deinem Arm?", fragte Yugi.

"Ähm... Spiralbruch... wird wohl vier bis sechs Wochen dauern, bis ich den Gips wieder los bin", antwortete Jonouchi.

"Kaiba?", sprach Honda den Jungunternehmer an, der fassungslos Jonouchi hinterher geschaut hatte.

"Was?", fragte dieser völlig aus dem Konzept gebracht.

"Du wolltest mit mir reden?", erwiderte Honda.

"Ähm... ja, stimmt", gab Kaiba ihm Recht und verließ nach einem erneuten Zögern mit dem anderen die Klasse. Als sie auf dem Dach ankamen fröstelten beide auf Grund der winterlichen Kälte.

"Also, was gibt es?", wollte Honda fragen.

Kaiba sah ihn nur stumm an und blinzelte. Er öffnete zwei oder drei Mal den Mund und wollte ihm was sagen, doch ihm fehlten jedes Mal die Worte.

"Es ging um Jonouchi, oder?", hakte Honda schließlich nach.

"Ich wollte dich nach seiner Adresse fragen", meinte Kaiba und musste sich kurz räuspern.

"Seine Adresse?", kam es verblüfft von dem anderen Brünetten.

Kaiba fiel nichts ein, was er dem anderen glaubwürdig erwidern konnte, warum er nach Jonouchis Adresse fragen wollte.

"Du weißt mehr darüber, wieso Jonouchi so aussieht, wie er es tut, oder?" stocherte Honda ins Blaue hinein. Kaiba schluckte und nickte dann.

"Ich hab ihn Sonntagfrüh im Krankenhaus gesehen und hab dafür gesorgt, dass sich ein Arzt endlich um ihn kümmert, nachdem er vier Stunden gewartet hatte", offenbarte Kaiba und wusste selbst nicht genau, warum er es tat.

"Du weißt seit Sonntag, dass er so aussieht und sagst kein Wort, während wir rätseln, was los ist?", keuchte Honda fassungslos und kämpfte gegen das Klappern seiner Zähne an.

"Ich wollte seine Privatsphäre wahren", meinte Kaiba ehrlich. "Ich mein, wenn er gewollt hätte, dass einer von euch davon weiß, dann hätte er sich doch gemeldet, oder?"

"Nein... hätte er nicht", gestand Honda mit einem bitteren Unterton. "Er hätte sich viel zu sehr geschämt."

"Na ja, jetzt ist er ja wieder aufgetaucht", meinte Kaiba und wollte sich schon der Tür zuwenden, als er noch einmal zu Honda schaute. "Aber einige seiner Verletzungen, die man sehen kann, sind erst nach Sonntag entstanden, Honda. Das solltest du vielleicht wissen."

Dann verließ Kaiba das Dach und ließ einen verblüfften Honda stehen.
 

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Einladung

Die Dunkelheit hatte sich bereits vor Stunden über die Stadt gelegt und von seinem Büro aus dem Kaiba Corp Tower lagen die Lichter wie ein Meer zu seinen Füßen. Er blickte auf die Uhr, die ihm verriet, dass es bereits nach 22.00 Uhr war. Genug, für diesen Tag und diese Woche. Also wandte er sich seinem Schreibtisch zu, speicherte alle Dateien und fuhr dann den Laptop runter. Er nahm sein Smartphone zur Hand und schrieb Isono, dass er nach Hause wollte. Nur zu gut wusste er, dass, sobald er in der Tiefgarage ankam, Isono dort mit dem Wagen schon auf ihn warten würde.

"Guten Abend, Herr Kaiba", grüßte Isono ihn und hielt ihm die Tür auf, als der Fahrstuhl ihn in der Tiefgarage wieder entließ.

"Guten Abend, Isono", meinte er freundlich. Isono gehörte seit seiner Adoption zu seinem Leben. Er war von Anfang an für ihn da gewesen und hatte ihn unterstützt. Auch in der Firma war er seine rechte Hand. Eine kompetenter Assistent und Stellvertreter. Dennoch hatten sie stets eine gewisse Distanz gewahrt.

Als Kaiba eingestiegen war schloss Isono hinter ihm die Tür und stieg auf den Fahrerplatz der Oberklassenlimousine. Nachdem der Motor gestartet worden war drifteten Kaibas Gedanken wieder ab. Zu ihm. Jonouchi. Der Blonde hatte sich nach seinem Auftauchen deutlich von ihm distanziert. Er mied den Blickkontakt und war auch nicht mehr auf dem Dach aufgetaucht. In der Klasse versuchte er ihn zu ignorieren, wenn er doch mal in sein Sichtfeld geriet.

Der Jungunternehmer wusste, dass das daran lag, dass er etwas gesehen hatte, was Jonouchi niemanden zeigen wollte. Diese Verletzlichkeit und Verzweiflung, die er vor fast zwei Wochen im Krankenhaus gesehen hatte... er wusste, dass Jonouchi nicht die volle Wahrheit erzählt hatte, als es darum ging, was wirklich geschehen war.

Sie fuhren am Bahnhof des Stadtviertels vorbei und zum ersten bemerkte Kaiba, dass der Stadtteil dahinter weitaus dunkler war, als die restliche Stadt. Nicht gänzlich unbeleuchtet, aber wesentlich gedämpfter.

"Isono?", sprach er seinen Vertrauten an.

"Ja, Herr Kaiba?", reagierte dieser sofort.

"Was ist das für ein Stadtteil?", fragte der Firmenchef.

"Das ist das Schwulenviertel, Herr Kaiba", antwortete Isono sofort.

"Das Schwulenviertel?", hakte Kaiba nach.

"Clubs, Bars, Discos, Massagestudios, Badehäuser, Bordelle und Stundenhotels für Homosexuelle", erläuterte Isono.

Der Oberschüler war erstaunt, dass es so etwas gab und dann noch so nah an dem Viertel, in dem seine eigene Firma angesiedelt war. Also bat er Isono in das Viertel einzulenken und einmal hindurch zu fahren. Er war neugierig geworden. Isono folgte der Bitte ohne Kommentar und lenkte den Wagen auf die zentrale Straße, die durch diesen Stadtteil ging. Dabei reduzierte er das Tempo auf Schrittgeschwindigkeit.

Kaiba war fasziniert von dieser Welt, die schon beim Vorbeifahren irgendwie verrucht und sexualisiert wirkte. Als sie auf der anderen Seite des Bahnhofs ankamen wendete Isono, um die gleiche Straße noch einmal hochzufahren, da erregte etwas Kaibas Aufmerksamkeit: Etwas weiter vorne bog gerade ein blonder Mann in eine Seitenstraße. Sofort saß Kaiba senkrecht in seinem Wagen und zog die Aufmerksamkeit von Isono auf sich.

"Alles in Ordnung, Herr Kaiba?", fragte dieser über den Rückspiegel zu ihm blickend.

"Ja, sei so gut und halt da vorne an der Seitenstraße an", meinte Kaiba.

Diese Bitte gefiel Isono sichtbar wenig, dennoch kam er der Aufforderung nach und brachte den Wagen an der gewünschten Stelle zum Stehen.

"Warte bitte hier auf mich", meinte Kaiba und stieg aus, ehe Isono protestieren konnte. Kaiba betrat die Seitenstraße und fühlte sich auf einmal wie in eine andere Welt versetzt. Links und rechts standen junge Männer, wie Perlen auf einer Schnurr aufgereiht, und boten sich ihm an. Versprachen ihm die Nacht seines Lebens. Wild zu sein. Zärtlich. Dominant. Unterwürfig. Es gab scheinbar nichts, was sie ihm nicht versprechen würden.

Dann näherte sich der junge Geschäftsmann der Mitte des Sträßchens und stellte fest, dass er sich nicht geirrt hatte: Dort an einer Wand gelehnt stand Jonouchi, seine dünne Jacke eng um sich geschlungen, mit gesenktem Blick. Der Atem des anderen war deutlich beim Ausatmen zu sehen, als er in der Kälte kondensierte. Kaiba begann irgendeine Gottheit anzubeten, dass der andere sich nicht genötigt sah, hier anzuschaffen. Das Jonouchi einfach aus Unkenntnis sich hier mit jemanden treffen wollte. Er trat näher an den Blonden heran, der immer noch nicht aufsah, aber schließlich seine Schuhe sehen konnte.

"Blasen kostet 5000, Schlucken extra", meinte Jonouchi mit zittriger Stimme, und hob erst danach seinen Blick. Der Schock traf ihn so hart, wie ein Schlag in die Magengrube und er riss seine Augen weit auf, als er Kaiba erkannte. Die Blutergüsse in seinem Gesicht waren noch deutlich zu sehen und auch der Gips zeichnete sich eindeutig unter der dünnen Jacke ab. Kaiba konnte erkennen, wie Jonouchis Augen feucht wurden und er plötzlich die Welt nicht mehr verstand.

Etwas zerbrach in Kaiba als seine Hoffnung den Bach runterging und seine Ahnung zur Gewissheit wurde. Vorsichtig hob er eine Hand und legte sie an die weniger verletzte Wange des Blonden. Das schien diesen aus seiner Schockstarre zu holen und er schlug unwirsch Kaibas Hand von sich. Ein Magenknurren unterbrach die unangenehme Stille.

"Hunger?", fragte Kaiba behutsam. Jonouchi funkelte ihn giftig an.

"Sonst würd ich hier nicht stehen", zischte der Blonde.

"Dann komm... ich lad dich ein", meinte der Brünette.

"Ich brauch deine Almosen nicht", versuchte Jonouchi so bissig wie möglich zu klingen.

"Das sind keine Almosen, Jonouchi", widersprach Kaiba und zog einen 5000er Schein aus seinem Mantel und hielt ihn dem Blonden hin. Jonouchi sah sprachlos auf den Schein und zermarterte sich seinen Kopf, wie er das jetzt zu verstehen hatte. Mit klammen, zittrigen Fingern griff er nach dem Schein.

"Wo willst du's machen?", fragte er und hatte seinen Blick längst wieder gesenkt. Die Scham war ihm deutlich anzuhören.

"Worauf hast du hunger?", fragte Kaiba.

"Was?", fragte Jonouchi verwirrt und blickte wieder zu ihm auf.

"Du hast Hunger und ich hab mir deine Zeit gekauft, um dich zum Essen einzuladen. Ich esse nicht gern alleine und Mokuba wird sicherlich schon im Bett sein", erklärte Kaiba und zog seinen Mantel etwas enger um sich. Dann wandte er sich um und ging zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Jonouchi starrte auf den Schein in seiner Hand und dann hinter dem anderen her. Dann lief er ein paar Schritte um zu Kaiba aufzuschließen und ging neben ihm her. Am Ausgang des Sträßchens stand die Oberklassenlimousine und Isono hielt Kaiba die Tür auf. Isono musterte Jonouchi geringschätzig, so dass dieser seinen Kopf einzog, bevor er ebenfalls in das Auto einstieg. Isono schloss die Tür hinter ihm und stieg dann wieder ein, um den Wagen in Bewegung zu setzen.

"Also, auf was hast du hunger?", wiederholte Kaiba seine Frage und sah sehr wohl den kritischen Blick von Isono über den Spiegel.
 

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Stolz

Jonouchi rieb sich seine Hände und versuchte die Kälte zu vertreiben, die in ihnen steckte. Kaiba griff nach den Händen und der Blonde zog sie erschrocken weg. Mit großen, angsterfüllten Augen sah er Kaiba kurz an, dann zog der Jungunternehmer etwas aus seiner Manteltasche und reichte es Jonouchi. Es sah aus wie ein Gelpack, dass man zum Kühlen von Prellungen verwendete, doch als er es berührte stellte er fest, dass es warm war. Zögerlich nahm er es an und schloss kurz die Augen, so gut tat die Wärme.

"Herr Kaiba?", kam es von dem Fahrersitz.

"Ja?", reagierte Kaiba ruhig.

"Wohin, Herr Kaiba?", fragte Isono, da sie kurz davor waren dieses Viertel zu verlassen.

"Nach Hause bitte, Isono", antwortete Kaiba. Isono zögerte kurz.

"Jawohl, Herr Kaiba", meinte er schließlich und bog in die entsprechend Richtung ab. Jonouchi blickte überrascht auf, sagte aber nichts. Wenig später fuhr der Wagen unter einem hohen Haus in die Tiefgarage und hielt auf dem reservierten Parkplatz. Kaiba stieg aus und hielt die Wagentür offen, damit auch Jonouchi aussteigen konnte, der ihm zögerlich folgte. Auch Isono stieg aus.

"Herr Kaiba, auf ein Wort?", sprach er seinen Chef erneut an. Kaiba ging um den Wagen zu seinem langjährigen Vertrauten. "Herr Kaiba, sind Sie sicher, dass sie einen Stricher mit in das Penthouse nehmen möchten?"

In der Tiefgarage war die Akustik ausgezeichnet und die Worte waren dort, wo Jonouchi stand und wartete, gut zu verstehen. Wieder zog er beschämt den Kopf ein und presste seine Lippen fest aufeinander.

"Isono, das ist Jonouchi Katsuya. Er ist kein Stricher, sondern ein Freund", erwiderte Kaiba ruhig, wandte sich dann ab und ging zurück zu Jonouchi, der ihn verwirrt anblickte. Dann zeigte Kaiba auf den Aufzug und wartete darauf, dass der Blonde vorging. Dieser folgte der wortlosen Einladung und stieg zuerst in den Aufzug, bevor Kaiba folgte.

Während der gesamten Aufzugsfahrt sprachen sie kein Wort. Jonouchis Blick haftete an der Stockwerksangabe. Als die Anzeige schließlich 102 anzeigte hielt der Aufzug und öffnete seine Türen. Sofort eröffnete sich der beeindruckende und einschüchternde Eingangsbereich des Penthouses.

"Willkommen", meinte Kaiba behutsam und lud Jonouchi mit einer Geste erneut ein den Aufzug zu verlassen. Dieser stolperte einen Schritt vor. Kaum hatte Jonouchi einen Schritt aus dem Aufzug gesetzt fühlte er sich wie in ein Wunderland versetzt. Alles wirkte so strahlend und edel. "Ich bin mir sicher, wir werden noch etwas vom Abendessen in der Küche finden."

Damit schritt Kaiba an ihm vorbei in das Penthouse, bevor er seinen Mantel ablegte und an einer Garderobe auf einen Bügel hängte. Jonouchi pellte sich mit viel Mühe aus seiner Jacke und legte sie auf den Sessel, der neben der Garderobe stand. Doch Kaiba nahm sie und hängte sie ebenfalls auf einen Bügel.

"Komm", meinte Kaiba und legte vorsichtig eine Hand auf Jonouchis Schulter, der instinktiv zusammen zuckte und einen Schritt wegschreckte.

"Sorry", nuschelte Jonouchi leise.

"Macht nichts", meinte Kaiba sanft lächelnd. Dann ging er voraus in den großen Wohnraum, dessen Außenwände komplett verglast waren und einen fabelhaften Ausblick auf die Stadt gewährte. Der Anblick fesselte Jonouchi, als er folgte. Zu dem Wohnraum gehörte eine offene Küche mit Kücheninsel und Tresen. Aber auch ein Esstisch mit bequem aussehenden Stühlen war vorhanden.

"Was ist aus der Villa geworden?", fragte Jonouchi verwirrt.

"Du meinst das Herrenhaus?", hakte Kaiba nach und der Blonde nickte. "Da wohnen wir seit über einem Jahr nicht mehr. Das ist jetzt ein Waisenhaus."

"Ah", meinte Jonouchi der sich mit Mühe auf einen der Hocker am Tresen quälte. Kaiba ging an den Kühlschrank und fand tatsächlich noch die Reste des heutigen Abendessens. Also begann er sie aufzuwärmen und auf zwei Teller anzurichten. Dann trug er die Teller zum Esstisch und deutete Jonouchi zu ihm aufzuschließen, bevor er sich setzte. Jonouchi folgte auch dieser Einladung. Das letzte Mal, dass er was Warmes zu essen bekommen hatte lag schon eine Weile zurück und war bei Honda gewesen. Als er das Essen probierte war er überrascht, wie gut es schmeckte.

Kaiba gingen tausende Fragen durch den Kopf, die er nur zu gerne Jonouchi gestellt hätte, doch er wusste, dass diese den Blonden nur verschrecken würde. Also schluckte er seine Fragen hinunter und übte sich in Geduld.

"Wenn du möchtest kannst du gerne für heute Nacht das Gästezimmer beziehen, heiß duschen oder ein Bad nehmen und morgen mit meinem Bruder und mir frühstücken", bot Seto schließlich gegen Ende der Mahlzeit an. Jonouchi sah ihn aus dem Augenwinkel heraus an. Er hatte sich sehr bemühen müssen zivilisiert zu essen.

"Das... ist sehr großzügig von dir, aber ich denke ich sollte nach dem Essen wieder gehen", meinte Jonouchi.

"Wirst du noch irgendwo erwartet?", hakte Kaiba nach.

"Vielleicht", gab Jonouchi zurück.

"Jonouchi, das sind keine Almosen", bekräftigte Kaiba. "Und es ist kein Zeichen von Schwäche Hilfe anzunehmen, wenn man sie braucht."

"Was... und du kannst beurteilen, wann jemand Hilfe braucht?", kam es abwehrend von dem Blonden.

"So war das nicht gemeint, Jonouchi", beteuerte Kaiba.

Dass es nicht so gemeint war wusste Jonouchi. Eigentlich war das hier seit Beginn der Oberschule sein Traum gewesen: Kaiba, der ihn von der Straße weg rettete, mit nach Hause nahm und ihn aufnahm. Fehlte nur noch ein Liebesgeständnis und sein Traum wäre voll aufgegangen.

Doch Jonouchi wusste es einfach besser: Das hier war falsche Hoffnung. Kaiba war jetzt freundlich und wenn es ihm in den Kram passte, würde er alles was er über ihn wusste, gegen ihn verwenden. Bevor er sich so verletzten ließ musste er den anderen von sich stoßen, so dass dieser sich von ihm abwandte. Das bedeutete auch, dass seine Gefühle niemals erwidert werden würden. Also ging der Blonde zum Angriff über.

"Ich brauch keinen weißen Ritter in strahlender Rüstung, der mich aus dem Turm vorm Drachen rettet... oder einen Richard Gere, der - wie sagte dein Fahrer noch gleich so nett - einen Stricher von der Straße rettet. Ich kann für mich sorgen", brauste Jonouchi auf und wusste selbst nicht so genau, woher seine Wut auf einmal kam. Nur, dass er hier weg musste. Also stand er auf und verließ den Tisch.

Kaiba fluchte innerlich. Er hatte gewusst, dass er Jonouchis Stolz nicht ankratzen durfte und doch war es ihm nicht gelungen, es zu vermeiden. Also sprang er auch auf und folgte Jonouchi.

"Jonouchi, warte... bitte", rief er ihm hinterher und sah, wie der Blonde die Garderobe erreichte und seine Jacke vom Bügel zerrte. Er musste etwas fummeln, bis er mit dem Gips in den Ärmel kam. "Jonouchi, bitte... es tut mir leid, ich habe mich falsch ausgedrückt und es nicht so gemeint, wie es rüberkam."

"Ist schon okay, Kaiba", wiegelte Jonouchi ab. "Ich... ich weiß was ich bin und wo ich hingehöre und ich brauch dein Mitleid nicht."

"Du denkst, das wäre Mitleid? Dann irrst du dich", wiedersprach Kaiba energisch.

"So, was soll es denn sonst sein?", erwiderte Jonouchi, während er endlich seine Jacke übergestreift hatte. "Wenn es geht, wie eine Ente, und so klingt, wie eine Ente, dann wird es eine Ente sein."

Der Blonde ging rückwärts die zwei, drei Schritte zum Aufzug und betätigte den Rufknopf. Der Aufzug hatte sich nicht bewegt und so glitten die Türen prompt auseinander. Jonouchi betrat ihn und drückte den Knopf für das Erdgeschoss. Durch die sich schließenden Türen sah er den verzweifelten Ausdruck in Kaibas Augen.

"Liebe", kam es endlich aus Kaibas Mund, als die Türen längst geschlossen waren. Traurig wollte er sich vom Aufzug abwenden, als ihm auffiel, dass etwas aus seiner Manteltasche ragte. Er trat näher, griff danach und erkannte den 5000 Yen-Schein, den er zuvor Jonouchi gegeben hatte, damit er mitgekommen war. "Verdammt."
 

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Nicht aufgeben

Kaiba saß auf seinem Platz in der Klasse und beobachtete, wie Jonouchi gerade mit einem Teil seinen Freunden in die Klasse kam. Der andere würdigte den Brünetten mit keinem Blick. Seit Kaiba ihn auf dem Schwulenstrich entdeckt und mit zu sich nach Hause genommen hatte mied der Blonde selbst den kleinsten Blickkontakt zu ihm. Die kleine Gruppe verteilte sich auf ihre Plätze, wobei Jonouchis Platz direkt vor Kaibas lag.

Honda beugte sich zu Jonouchi, als Ryou und Otogi kurz über die bevorstehende Schulstunde sprachen und legte eine Hand auf Jonouchis Unterarm. Kaiba beobachtete den Ansatz eines Zuckens, den der Blonde jedoch rasch unterdrückte.

"Meine Ma lässt fragen, ob du heute nicht zum Essen kommen möchtest", flüsterte Honda seinem besten Freund zu. Dieser grinste verschmitzt.

"Deine Mom liebt mich", erwiderte Jonouchi neckend.

"Soweit würde ich nicht gehen", grinste Honda kess zurück. "Aber du bist ihr wichtig."

"Das ist lieb von ihr, aber ich hab heute Abend schon was vor", meinte Jonouchi und versuchte dabei unbeschwert zu grinsen. Sein Arm war immer noch in Gips und bislang hatte er jede Einladung von Honda abgelehnt. Kaiba vermutete, dass der Blonde nicht wollte, dass Hondas Mutter ihn so sah. Scheinbar war ihm ihre Meinung wichtig.

"So?", fragte Honda verblüfft.

"Ja, ich koch für meinen Dad und mich heute", meinte Jonouchi.

"Also bist du wieder bei ihm?", hakte Honda erstaunt nach.

"Sicher... wo sollte ich sonst sein? Kann ja nicht ständig auf Achse sein", konterte Jonouchi und etwas in seiner Stimme ließ Kaiba vermuten, dass das eine glatte Lüge war. Auch Honda musterte einen langen Moment seinen Freund, bevor er nickte.

"Okay... aber wenn was ist, kannst du jederzeit vorbei kommen", beteuerte der andere Brünette erneut und Jonouchi grinste umso breiter.

"Hey... es ist alles okay, wirklich", wiederholte der Blonde erneut, als Yugi in die Klasse kam. Er eilte zu seinem Platz, der vor Jonouchis lag, bevor er sich zu ihm umdrehte und ihm einen Kamm reichte.

"Hast du vorhin bei uns vergessen", meinte Yugi nur strahlend, bevor er sich wieder nach vorne drehte, um sich in Ryous und Otogis Gespräch einzuklinken. Kaiba beobachtete Jonouchis Rücken ganz genau. Scheinbar war dieser gerade beim Lügen aufgeflogen. Honda musterte ihn einen weiteren Moment lang. Jonouchi hatte seinen Kopf gesenkt und schien den Kamm langsam zu sich zu holen, bevor er ihn in seiner Tasche verschwinden ließ. Dann kam auch schon der Lehrer herein.
 

Als die Mittagspause begann hatte es Jonouchi recht eilig, aus dem Zimmer zu kommen. Er hatte Honda gesagt, dass sie schon mal vorgehen sollten und er nachkommen würde. Doch als Kaiba auf das Dach kam stellte er überrascht fest, dass der Blonde am Zaun stand und auf den Hof hinunter schaute.

Da dies eigentlich sein Refugium war, sah es Kaiba gar nicht ein das Dach wieder zu verlassen. Also ging er an seinen Stammplatz und stellte sich neben Jonouchi. Für einen Moment standen sie schweigend neben einander, bevor Kaiba die Stille brach.

"Kein Hunger heute?", fragte er ruhig.

Jonouchis Finger krallten sich um den Draht aus dem der Zaun bestand und knirschte mit den Zähnen.

"Nein", log der Blonde.

"Lügner", kam es etwas offensiver von dem Jungunternehmer.

"Was geht dich das an?", zischte Jonouchi ihn an.

"Nichts", antwortete der Brünette. "Aber du solltest aufpassen, wen du anlügst. Deine Freunde lieben dich und ich wette, wenn du ihnen offen sagst, dass du Probleme hast, wären sie sofort für dich da und würden für dich die Welt aus den Angeln heben."

"Meine Probleme gehen niemanden etwas an", erwiderte der Blonde trotzig und zog dabei die Nase hoch.

"Warum willst du dir nicht helfen lassen? Und warum lügst du, wenn du dir helfen lässt?", hakte Kaiba interessiert nach.

"Weil ich sie nicht mit meinem Scheiß belasten will", fauchte Jonouchi etwas mehr.

"Das würdest du nicht... da bin ich mir sicher", gab Kaiba zu bedenken. "Weiß einer von ihnen, dass du ein Urisen bist?"

Jonouchi warf dem Unternehmer einen mörderischen Blick zu, der nicht weniger als eine Drohung war, dieses Wort niemals wieder in den Mund zu nehmen. Dann blickte er wieder durch die großen Maschen des Zaunes und sah, wie seine Freunde gerade den Hof zur Mensa überquerten.

"Sie müssen nicht alles von mir wissen", murmelte er schließlich.

"Ich werde nichts sagen... das steht mir nicht zu", versprach Kaiba dem Blonden. "Aber ich verstehe nicht, warum du mein Angebot nicht annehmen möchtest? Du könntest solange du willst in unserem Gästezimmer wohnen oder wann immer du einen Platz zum Bleiben brauchst. Daran sind keine Bedingungen geknüpft und du müsstest nicht deine Freunde durch wechseln."

"Ich wechsel doch nicht meine Freunde durch", begehrte Jonouchi auf einmal auf.

"Wirklich? Du hast Honda erzählt, dass du wieder bei deinem Vater bist, aber scheinbar hast du heute bei Mutou übernachtet. Ich wette, wenn sie gleich in der Mensa zusammen sitzen, wird Honda Mutou darauf ansprechen und was meinst du, wie Bakura und Otogi reagieren", gab der Brünette zu bedenken, während Jonouchi mit den Zähnen knirschte.

"So oft penn ich gar nicht bei ihnen", kam es schließlich leise von Jonouchi.

"Wo pennst du dann?", hakte Kaiba nach.

"Mal hier, mal da?", antwortete der Blonde vage.

"Hier und da?", wollte der Jungunternehmer genauer wissen.

"Es gibt Einrichtungen, wo man ein oder zwei Nächte pennen kann", meinte Jonouchi leise und ließ seinen Kopf hängen.

"Und wenn die voll sind? Es ist recht schnell sehr kalt geworden und ich geh mal davon aus, dass mehr Personen diese Einrichtungen aufsuchen, als diese Platz haben. Was machst du dann?", wollte Kaiba weiter wissen.

"Entweder geh ich heim oder...", setzte Jonouchi zur Antwort an, bevor er verstummte.

"Oder du pennst draußen?", bohrte der Brünette weiter. "Jonouchi, bei den Temperaturen ist es lebensgefährlich draußen zu schlafen."

"Ich hab so meine Stellen, wo es sicher ist", erwiderte Jonouchi.

"Draußen ist es nie sicher", setzte Kaiba weiter nach und reichte dem Blonden dann eine elektronische Karte. Jonouchi blickte auf die Karte.

"Was ist das?", fragte er leise.

"Eine Zugangskarte. Sie öffnet den Hintereingang des Hauses. Hältst du sie im Aufzug gegen das Sensorfeld bringt sie dich direkt in unser Penthouse", erklärte Kaiba. "Bitte, bevor du draußen schläfst, komm zu uns. Bei uns bekommst du etwas Warmes zu essen und einen Platz zum Schlafen und wir werden nichts von dir verlangen."

Jonouchi sah die Karte lange an und konnte sich doch nicht überwinden sie anzunehmen.

"Ich muss jetzt zu meinen Freunden", meinte er leise und wandte sich von der Dachumzäunung ab. Kaiba griff vorsichtig noch einmal nach seiner Schulter. Doch Jonouchi zuckte erschrocken zwei Schritte weg. Kaibe folgte, ohne Jonouchi noch einmal direkt zu berühren und steckte ihm dann wortlos die Karte in die Jackentasche. Schließlich drehte sich der Jungunternehmer wieder zum Dachrand. Jonouchi blieb noch einen Moment stehen, bevor er schließlich ging.
 

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Rückkehr

Jonouchi seufzte. Wieder ein Abend in der Seitengasse. Was sonst nur ein Mal pro Woche oder alle zwei Wochen notwendig war, musste er im Winter fast täglich tun. Das lag einfach daran, dass die Anzahl der Freier sich in der kalten Jahreszeit drastisch reduzierte. Wenn er im restlichen Jahr an einem Abend, drei oder vier Freier abfertigen konnte war es im Winter alle zwei Tage vielleicht einer. Und er brauchte das Geld... er musste schließlich was essen.

Er war nur froh, dass die Lüftung in seinem Rücken warme Luft entließ und die Kälte so etwas ertragbarer machte. Andernfalls drohte er ernsthaft zu erfrieren. In den Nachrichten war gesagt worden, dass es heute die bislang kälteste Nacht in diesem Winter werden würde. Er raffte seine Jacke etwas mehr um sich. Vielleicht konnte er heute noch einmal bei einem seiner Freunde schlafen? Doch bei wem?

Bei Yugi war er gestern gewesen. Ryou hatte ihn am Wochenende bei sich schlafen lassen. Zu Honda wollte er nicht, solange er noch so angeschlagen war. Dessen Mutter würde mit ihrer Herzlichkeit und Fürsorge nur die Dämme zum Brechen bringen. Und Otogi... mit Otogi war er nie sehr eng befreundet gewesen. Außerdem spielte er als Ladenbesitzer in einer anderen Liga und würde ihn sicherlich nicht ohne weiteres bei sich übernachten lassen. Unter welchem Vorwand hätte er sich auch an ihn wenden sollen?

Der Blonde kam zu dem Schluss, dass seine Freunde für heute keine Option waren. Vielleicht war der Platz hinter dem kleinen Restaurant hier um die Ecke noch frei. Dort gab es ein Bodengitter aus dem immer recht warme Luft kam, auch wenn sie teils bestialisch stank. Oder im Park in der Nische der Unterführung. Wenn er sich ein paar alte Zeitungen besorgte könnte er für etwas Dämmung sorgen.

Aber, ging es ihm plötzlich durch den Kopf, vielleicht sollte er sich einfach auf eine Parkbank setzen und darauf warten zu erfrieren. Dann hätte das alles endlich ein Ende. Und ein großer Verlust wäre er ohnehin nicht. Klar, seine Freunde würden trauern, aber er war sich sicher, dass sie ihn schon ein paar Wochen später vergessen hätten. Seine Schwester wäre traurig, sofern sie davon erfahren würde. Oder nur betroffen? Seinen Eltern wäre es egal. Da war er sich sicher.

Im Augenwinkel nahm er wahr, wie einer der älteren Jungs auf ihn zukam. Sofort spannte er sich an. Es wäre nicht das erste Mal, dass er seinen Platz hier verteidigen müsste. Seine Hände ballten sich in seinen Jackentaschen bereits zu Fäusten.

"Hey", sprach ihn der andere an, der vielleicht zwei oder drei Jahre älter war und definitiv ein Drogenproblem hatte.

"Das ist mein Platz", keifte Jonouchi sofort abwehrend.

"Ja, schon klar...", erwiderte der andere.

Jonouchi hatte sich nie mit den anderen Urisen in dieser Straße abgegeben und war für sich alleine geblieben. Eigentlich hatte er sich nicht selbst als einen Urisen gesehen, bis Kaiba ihn so genannt hatte. Da hatte ihn die Wahrheit wie ein Schlag getroffen. Dennoch hatte er eigentlich keinen Kontakt zu seinen Konkurrenten.

"Ich will ihn dir nicht streitig machen, aber ich möchte dich warnen", meinte der Junkie.

"Warnen? Vor wem?", wollte der Blonde wissen, immer noch bereit einen eventuellen Angriff abzuwehren.

"Ich weiß nicht, ob du Ken und Shuntaro kennst", begann der Urisen und Jonouchi schüttelte seinen Kopf. "Egal, aber in den letzten Wochen geht hier einer um, der Jungs mit in ein Love Hotel nimmt. Dort lässt er sich erst einen blasen, dann schlägt er einen fast bewusstlos und dann vergewaltigt er sie stundenlang."

Bilder kamen in Jonouchi hoch, die er mit aller Mühe wieder runterschluckte. Sein Zittern hatte zu genommen und das war nicht der Kälte geschuldet. Er presste seine Lippen fest aufeinander, was seine Zähne nicht vom Klappern abhielt.

"Am Ende peitscht er mit einem Gürtel auf einen ein. Ken hat er mit einem Messer das Wort 'Sünder' in den Rücken geritzt. Shuntaro auch, aber... dem hat er auch die Kehle durchgeschnitten. Ich wollt dich nur warnen, damit du auf dich aufpasst", erzählte der gefärbte Rothaarige zu Ende. Dann wandte er sich ab, um zu seinen Freunden zurück zu gehen.

Jonouchi blickte ihm fassungslos hinterher. 'Sünder', hallte eine tiefe, hasserfüllte Stimme in seinen Gedanken wieder. Das hatte er auch immer wieder gesagt, während er seinen Gürtel über seinen Rücken gezogen hatte. 'Sünder'. Immer und immer wieder.

"Sünder", hörte er das Wort erneut und hätte schwören können, dass es dieses Mal nicht nur in seinem Kopf erklungen war. Doch er verdrängte den Gedanken rasch wieder und schrieb es seiner Nervosität zu, die seit dem 'Überfall' sein ständiger Begleiter war.

"Sünder", hallte es erneut leise hinter ihm. Jonouchi schluckte und wandte seinen Blick in die Gasse, an deren Ecke er stand. Sie lag dunkel dar und die Umrisse der Müllcontainer der Bars und Clubs, deren Eingang vorne an der Hauptstraße lagen, zeichneten sich ab. Dampfschwaden stiegen auf, dort wo warme Luft durch irgendwelche Lüftungsschlitze in die Kälte drang.

"Sünder", kam es dieses Mal etwas näher aus dieser Gasse und Jonouchi wurde sich bewusst, dass es doch nicht nur Einbildung gewesen war. Er stieß sich von der Hauswand ab und drehte sich etwas, so dass er besser in die Gasse schauen konnte. Eine Bewegung ließ ihn sich mehr anspannen. Dann löste sich der Schatten einer Person aus der Umgebung.

"Sünder", erkläng es ein weiteres Mal und dieses Mal klang Abscheu und Ekel in der Stimme mit. Diese Stimme ließ Jonouchi ein Schauer über den Rücken laufen. Er kannte sie. Stundenlang hatte er ihr zugehört, wie sie ihn beschimpft hatte. Wie sie über ihm gekeucht und sein Betteln und Flehen ausgelacht hatte. Langsam stolperte er einige Schritte von der Hauswand und der Gasse weg. Dann trat der Mann in dem maßgeschneiderten Anzug und dem superteuren Mantel aus der Gasse und fixierte Jonouchi mit einem irren Blick.

Als der Typ versuchte nach ihm zu greifen erwachte Jonouchi aus seiner Schockstarre und der Fluchtinstinkt übernahm. Er wandte sich dem Ende der Seitenstraße zu, die ihn aus dem Schwulenviertel heraus führen würde und gab Fersengeld. Er schoss an den wenigen Urisen vorbei, die bei dem Wetter hier noch standen und spürte, dass der Pseudo-Geschäftsmann ihm folgte. Der Blonde wagte nicht über seine Schulter zu schauen, um sich zu vergewissern, ob sein Gefühl ihn belog hatte oder um abzuschätzen, wie nah der Mann tatsächlich war.

Schließlich erreichte er das Ende der Seitenstraße und wollte über die tagsüber stark befahrenen Straße hechte, die um die Uhrzeit eher wenig genutzt wurde. Wenn er es über die Bahngleise schaffte konnte er in der nächsten Wohnsiedlung den Mann abhängen. Davon war er überzeugt.

Das Hupen und Quietschen von Reifen riss ihn aus seiner Überlegung, er blieb geschockt stehen und sah die Scheinwerfer eines Oberklassenfahrzeuges auf sich zu kommen. Er streckte seine Arme der Motorhaube entgegen, als könne er den Wagen damit abbremsen. Doch zu seinem Glück verfügte das Auto über ausgezeichnete Bremsen und Winterreifen mit gutem Gripp.

Dann wurde er bereits an seinem unverletzten Arm gepackt und sah in das Gesicht des Mannes, der ihn mehrfach vergewaltigt hatte. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht als er den irren Ausdruck in dessen Augen sehen konnte.

"Hab ich dich", zischte er ihm atemlos entgegen. Die Schockstarre ergriff den Blonden erneut. "Mir entkommt keiner."

Nur am Rande hörte Jonouchi, wie jemand aus dem Auto stieg und etwas fragte. Doch die Worte verstand der Blonde nicht. Es war, als würde er sie aus sehr großer Entfernung wahrnehmen. Doch die Antwort des Mannes, der womöglich einen der Urisen auf dem Gewissen hatte, grinste nur höflich an Jonouchi vorbei, während er wem auch immer antwortete und irgendetwas von Sohn faselte. Der Wortabschlag der beiden Männer ging in einem Rauschen unter. Alles, was Jonouchi denken konnte war, dass er nicht sterben wollte!
 

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Hilfe

Trotz der Decke um seine Schultern konnte Jonouchi nicht aufhören zu zittern. Sein Körper fühlte sich eigenartig fremd und schwer an, während er im Aufzug stand und nicht so recht begriff, wie er hier her gekommen war.

"Du bist jetzt in Sicherheit", hörte er eine vertraute Stimme vorsichtig in sein Ohr flüstern. Sein Inneres bebte und seine Zähne klapperten unfassbar laut, so dass er Angst hatte, dass diese zersplittern könnten. Er schluckte und ein helles Bing signalisierte, dass sie die gewünschte Etage erreicht hatten. Da er sich nicht von sich aus bewegte spürte er eine Hand in seinem Rücken, die ihn sanft nach vorne schob. Stolpernd verließ er den Aufzug und betrat einen Ort, an dem er schon war.

"Ni-sama", erklang eine weitere Stimme, die Jonouchi kannte. Sie ließ ihn blinzeln und seine Umgebung etwas klarer wahrnehmen. Vor ihm stand Mokuba, der Schulfreund von Shizuka und Kaibas jüngerer Bruder. Kaiba. Der Blonde blickte neben sich und sah den Brünetten, der mit einer unglaublichen Sanftheit seinen Bruder anlächelte.

"Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, Mokuba. Ich hoffe es ist okay, dass wir heute einen Gast haben", meinte Kaiba mit einer warmen Stimme, die Hand nicht aus Jonouchis Rücken nehmend.

"Klar ist das okay", meinte Mokuba, der den Bruder seiner Schulfreundin ausgiebig und besorgt musterte. "Was ist denn geschehen?"

"Isono hätte fast Jonouchi überfahren", erklärte Kaiba und ließ die genauen Umstände dieser Tatsache im Dunkeln. Ungläubig und etwas geschockt blickte der Jüngere seinen Bruder an.

"Himmel, bist du verletzt, Jonouchi-kun?", fragte er schließlich den Blonden. Dieser begann mit dem Kopf zu nicken.

"Nein", meinte er abwesend und verwirrte Mokuba mit dieser Reaktion, der wieder zu Kaiba blickte. Dieser bedeutete ihm erst einmal nicht weiter zu fragen. Dieser nickte dann.

"Wie wär es: Setz dich doch mit Jonouchi an den Kamin, damit er ein wenig auftauen kann, während ich uns was koche", meinte Kaiba wieder in diesem ganz speziellen Tonfall, der allein seinem Bruder vorbehalten war. Dieser nickte und berührte Jonouchi vorsichtig an dessen Arm. Auf einmal zuckte dieser heftig zusammen. Sein Verstand raste und doch konnte er gerade nicht begreifen, was man von ihm erwartete.

Er wusste nur eines: Wäre er jemand anderem außer Kaiba vor die Motorhaube gesprungen, dann hätte der Typ, der ihn verfolgt hatte, ihn mitgenommen und womöglich wäre er dann am nächsten Morgen tot irgendwo aufgefunden worden. Kaiba hatte ihm das Leben gerettet.

"Hey, ist alles okay... geh ruhig mit meinem Bruder zum Kamin und wärm dich noch etwas mehr auf", flüsterte Kaiba ihm sanft zu. Doch Jonouchi schüttelte seinen Kopf. Er wusste nicht wieso, aber der Gedanke Kaiba im Moment von der Seite zu weichen, war für ihn unerträglich beängstigend.

"Ka... Kann ich bitte ein Glas Wasser haben?", fragte er mit rauer Stimme.

"Natürlich", meinte Kaiba, der ihn mit in den Küchenbereich des großen Wohnraumes nahm und ihn dort an den Tisch setzte. Mokuba setzte sich auf den Stuhl neben Jonouchi und behielt ihn besorgt im Blick, während Katsuya die Decke noch etwas enger um sich zog. Dann kam Kaiba mit einem großen Glas Wasser und reichte es Jonouchi. Als dieser danach griff zitterten seine Hände so sehr, dass er die Hälfte verschüttete.

"Oh... ähm... dass... dass tut mir furchtbar leid... dass... wollte ich nicht...", stammelte der Blonde hastig, während er das Glas abstellte und mit der Decke das Wasser auf dem Tisch wegwischen wollte. Das führte dazu, dass er das Glas umstieß, welches daraufhin zur Tischkante rollte und zu Boden fiel, wo es zersprang. Jonouchi zuckte bei dem lauten Klirren zusammen.

"Scheiße", murmelte er nur und wollte schon aufstehen, um die Scherben aufzusammeln. Doch Mokuba und Kaiba drückten ihn wieder auf den Stuhl.

"Ach was, das war doch nur ein Glas. Das ist nicht schlimm", meinte Mokuba beruhigend zu dem Blonden, der so völlig neben der Spur lief. Kaiba ging vor ihm in die Hocke und sammelte fix die Scherben auf, die einmal das Glas gewesen waren. Nachdem er diese im Müll entsorgt hatte ging er wieder an einen Schrank holte dieses Mal aber einen Plastikbecher. Als er dieses Mal den mit Wasser gefüllten Becher zu Jonouchi brachte ließ er das Trinkgefäß nicht los und half dem Blonden einen Schluck zu nehmen. Dann stellte er den Becher vor dem anderen ab und ging vor ihm in die Hocke.

"Es wird alles wieder gut", meinte Kaiba wieder sanft zu ihm. Dann stand der Brünette auf und ging die paar Schritte zur Anrichte, bevor er begann etwas zu kochen. Irgendwann registrierte Jonouchi, dass Mokuba einen Arm um seine Schulter gelegt hatte. Der Blonde konnte es sich nicht erklären warum, aber es störte ihn nicht.

Dann kam Kaiba zurück und stellte jedem eine Schüssel mit Reis hin, auf dem er in Scheiben geschnittenes Fleisch, mundgerechtes Gemüse und ein Ei gegeben hatte. Dann aßen sie gemeinsam. Jonouchi schaffte nicht einmal ein Viertel seiner Schale, bevor er nur noch verloren in ihr rumpflügte.

"Ich deck deine Schüssel ab, dann kannst du sie später weiter essen, wenn du hunger bekommst", meinte Mokuba sanft zu dem Blonden, der nur nickte und seine Stäbchen beiseitelegte. Mokuba stand auf, stapelte seine Schüssel in die seines Bruders und nahm in die andere Hand die noch gut gefüllte von Jonouchi.

Kaiba stand auf und hielt Jonouchi seine Hand hin. Dieser blickte die Hand kurz an, bevor er seine in sie legte und sich in den Stand helfen ließ.

"Ich geh Jonouchi mal unser Gästezimmer zeigen", meinte der Brünette zu seinem jüngeren Bruder, der nur nickte und die beiden leeren Schalen spülte. Dann führte Kaiba seinen Klassenkameraden in eines der Gästezimmer. Noch immer zitterte Jonouchi.

"Wie wär es mit einer heißen Dusche?", fragte Kaiba vorsichtig. Sofort zog Jonouchi seinen Kopf etwas mehr zwischen die Schulter und sah an sich herab. Unauffällig - jedenfalls in seiner Vorstellung - roch er kurz an seinem Shirt. Stank er und nahm es schon gar nicht mehr wahr?

"Um dich noch etwas mehr aufzuwärmen. Oder wie wär es mit einem heißen Bad?", erklärte Kaiba.

"Mit dem Gips ist das schwer", meinte Jonouchi nur leise.

"Ich... kann dir helfen, wenn du mich lässt", meinte Kaiba vorsichtig. Jonouchi sah nur verlegen an dem Jungunternehmer vorbei.

"Hast... du deinem Bruder von mir erzählt?", fragte Jonouchi plötzlich unerwartet.

"Er weiß, dass ich mir Sorgen um dich mache. Aber ich hab ihm nicht erzählt, dass du auf der Straße lebst und als Urisen arbeitest", beantwortete der Brünette die Frage. Da war es wieder, dieses Wort: Urisen. Es ließ Jonouchis Unterlippe beben, während er gegen die Tränen ankämpfte. Wieder versuchte er seine Gefühle, die sich seiner bemächtigen wollte, hinunter zu schlucken. Doch dann löste sich die erste Träne und brach den Damm. Behutsam nahm Kaiba den Blonden in seine Arme, zog ihn an seine Brust und hielt ihn fest, während dieser sich an ihm festkrallte und bitterlich weinte.
 

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Schmerzen

An diesem Morgen fühlte sich Jonouchi nicht sehr gut. Er hatte sich bereits zwei Mal übergeben und hatte immer wieder krampfartige Schmerzen im Unterleib. Doch er hatte sich einfach zwei Schmerztabletten reingeworfen, so dass der Schmerz erträglicher wurde, wenn er auch immer noch deutlich spürbar war. Dennoch hatte er Kaiba überzeugt, dass es ihm gut genug ging, um in die Schule zu gehen.

Wie gewünscht hatte Kaiba ihn dann drei Blocks von ihrer Schule abgesetzt und war, äußerst widerwillig, vorgefahren. Vor dem Schulgelände hatte er dann trotzdem gewartet, bis er Jonouchi an der Ecke des Schulgeländes sehen konnte. Neben dem Blonden ging Honda und Jonouchi wirkte auf einmal so wie sonst auch: Fröhlich und unbeschwert, obwohl er kaum Farbe im Gesicht hatte.

Also war Kaiba erneut vorgegangen, jetzt wo er wusste, dass Jonouchi nicht alleine war. Er kam als einer der ersten im Klassenzimmer an und ging zu seinem Platz. Doch statt wie üblich den Laptop aufzustellen und noch etwas zu arbeiten hatte er ein Bein über das andere geschlagen und seine Arme vor der Brust verschränkt.

Erst eine viertel Stunde später betrat Jonouchi im Kreis seiner Freunde den Klassenraum, der sich mittlerweile mit weiteren Schülern gefüllt hatte. Sie witzelten und neckten sich. Doch Kaibas Blick haftete weiterhin sorgenvoll auf Jonouchi, auf dessen Stirn sich ein paar Schweißperlen gesammelt hatten.
 

Kaiba erinnerte sich an ihr Gespräch, dass sie am Samstagmorgen geführt hatten, nachdem Jonouchi ihnen am Abend zuvor vor das Auto gerannt war. Mokuba hatte sich nach dem späten Frühstück auf den Weg zur Mall gemacht, wo er sich mit einigen Freunden treffen wollte.

Jonouchi hatte, wie am Vorabend, mit den Stäbchen sein Essen regelrecht gepflügt, also war Kaiba, der ihm gegenüber gesessen hatte, auf Mokubas Platz vorgerückt. Sanft hatte er seine Hand auf die des Blonden gelegt, mit der er die Stäbchen immer wieder durch den Reis und das Rührei zog. Sofort erstarrte Jonouchis Hand in ihrer Bewegung und ihr Besitzer hatte verstohlen aus den Augenwinkel zu dem Jungunternehmer geschaut. Ruhig hatte er versucht durch die Nase zu atmen und somit seinen Gefühlen Einhalt zu bieten.

"Möchtest du mir erzählen, warum du gestern vor diesem Mann weggelaufen bist?", fragte Kaiba behutsam. Der Blonde schluckte schwer, bevor er den Kopf schüttelte.

"Du hattest panische Angst vor dem Mann... hat er dir mal weh getan?", bohrte Kaiba vorsichtig weiter. Der Blick des Blonden haftete an seinem Frühstück. Kaiba konnte sehen, wie Jonouchi um die Kontrolle in seinem Inneren kämpfte. Wie in Zeitlupe zog Jonouchi seine Unterlippe in seinen Mund und kaute darauf herum.

"Okay, er hat dir also weh getan", stellte Kaiba ruhig fest, der Jonouchis Reaktion gekonnt interpretierte. "War das der, wegen dem du im Krankenhaus warst?"

Das Kinn des Blonden begann leicht zu beben und das Atmen durch die Nase wurde unregelmäßiger, während die Erinnerung an diese Nacht wieder in ihm aufstieg. Angestrengt schluckte er, in der Hoffnung die Erinnerungen, Gefühlen und Tränen einfach mit runterspülen zu können. Er hatte sich so sehr darauf konzentriert die Fassung zu wahren, dass ihn die Berührung des Jungunternehmers an seiner Wange zusammenzucken ließ.

"Sssh, Jonouchi", flüsterte ihm Kaiba sanft zu. "Du bist hier in Sicherheit, darauf hast du mein Wort. Alles was du mir hier anvertraust wird unter uns bleiben."

Es verging ein langer Augenblick, bevor sich Jonouchi an Kaibas Hand schmiegte. Dann hob er kurz seinen Blick zu den blauen Augen des Brünetten. Doch er konnte dem Blick kaum standhalten.

"Er... war ein Freier", begann Jonouchi stockend. "Es war so kalt und er meinte, er nimmt mich wohin mit, wo es warm wäre. Im Hotel wollte er einen..."

Der Blonde blieb hängen. Er wollte nicht 'Blow Job' sagen. Es war eine Sache es zu tun, aber eine völlig andere darüber zu sprechen und es zu benennen.

"Dienst?", versuchte Kaiba ihm zu helfen. Jonouchi nickte.

"Genau... er wollte einen Dienst in Anspruch nehmen. Ich hab ihm gesagt, was es kostet und er hat eingewilligt. Aber er... hat sich nicht an die Absprache gehalten und als ich ihn deswegen ansprach schlug er mir ins Gesicht", erzählte er leise. Kaiba drängte nicht und wartete darauf, dass Jonouchi von sich aus weitererzählte. Eine Träne löste sich aus dessen Augen.

"Er... beschimpfte mich und dann trat er mir in die Seite, bevor er mich wieder schlug. Ich war benommen von den Schlägen, als er mich am Haar packte und...", wieder stockte der Blonde. "Ich hab versucht mich zu wehren, da hat er mir den Arm auf den Rücken gedreht. Das hat so wahnsinnig weh getan."

Weitere Tränen begannen über sein Gesicht zu laufen und Jonouchi schlang seine Arme enger um seinen Oberkörper, jedenfalls soweit der große Gips an seinem einen Arm das zuließ. Er schluckte ein paar Mal.

"Ich vertrag einiges... ich jammer nicht gleich, wenn was weh tut, aber das... was... er dann gemacht hat...", seine Stimme brach vollends zusammen und er presste seine Lippen wieder fest aufeinander, während er sich hastig mit der gesunden Hand die Tränen vom Gesicht strich. Kaiba rückte etwas näher und zog Jonouchi wieder an sich, während er schützend seine Arme um ihn legte und zu seiner eigenen Überraschung ließ es Jonouchi zu. Er spürte, wie sein Hemd an der Stelle nass wurde, an der Jonouchi sein Gesicht gegen ihn presste. Vorsichtig streichelte Kaiba durch das frischgewaschene, blonde Haar. Erst als er merkte, dass der Blonde sich wieder etwas beruhigte, sprach ihn Kaiba an.

"Jonouchi, du solltest ihn anzeigen", meinte er vorsichtig, doch der andere schüttelte sofort seinen Kopf. "Warum nicht?"

"Weil mir eh keiner glauben würde", kam es mit brüchiger Stimme.

"Ich glaube dir", widersprach Kaiba.

"Aber die Polizei wird mir nicht glauben", wiederholte Jonouchi erneut. "Und sie würden mich zurück schicken."

Es brauchte einen Moment, bis Kaiba das Zurückschicken richtig deuten konnte.

"Du meinst, zurück zu deinem Vater?", fragte der Jungunternehmer. Jonouchi nickte nur.

"Der prügelt mich tot, wenn er davon erfährt", kam es verzweifelt von dem Blonden.

"Aber du trägst keine Schuld an dem, was geschehen ist", wandte Kaiba erneut ein.

"Das ist ihm egal. Er wird sagen, dass ich es verdient habe", weinte Jonouchi erneut gegen Kaibas Brust.

"Aber... weiß er es nicht schon?", fragte der Brünette vorsichtig.

"Woher?", kam es aufblickend von dem Blonden.

"Hat er dich nicht am nächsten Tag aus dem Krankenhaus geholt?", führte Kaiba seine Frage weiter aus.

"Doch, aber...", wollte Jonouchi schon antworten.

"Aber du hast ihm erzählt, du wärst überfallen worden?", hakte der Ältere nach. Jonouchi nickte.

"Er war sowieso wütend auf mich, weil ich 'ne Weile nicht daheim gewesen bin", erzählte der Blonde. "Immer wieder sagte er, dass er es dem, der mich überfallen hat, nicht verdenken könnte, dass er eine Schwuchtel, wie mich, klatschen wollte."

Die Wortwahl erschreckte Kaiba. Hatte Jonouchis Vater das wirklich so gesagt oder waren das die eigenen Worte des Blonden. Doch dann fiel Kaiba der Zwischenfall vor Mokubas Schule wieder ein, als Jonouchis Mutter ihn vor allen geoutet hatte und welche Wortwahl diese Frau verwendet hatte.
 

Der Lehrer kam in das Klassenzimmer und ging die Anwesenheit durch. Er ging einige Namen durch, bevor er Jonouchi aufrief, der aber nicht reagierte. Der Blonde saß etwas nach vorne gebeugt an seinem Pult.

"Jonouchi", wiederholte der Lehrer und man konnte deutlich aus seiner Stimme hören, wie genervt er war. "JONOUCHI!"

Erst als der Lehrer lauter wurde hob der Blonde seinen Kopf, während das Haar irgendwie feucht wirkte.

"Hier", kam es kaum hörbar von ihm, doch der Lehrer schien damit nicht zufrieden zu sein. Er stand auf und kam zu Jonouchis Pult. Dort blieb er stehen und musterte den Blonden, den er eigentlich energischer zurechtweisen wollte und es sich jetzt kniff.

"Was ist mit dir?", fragte der Lehrer.

"A... Alles bes...", weiter kam Jonouchi nicht, bevor er plötzlich von seinem Stuhl rutschte und zu Boden fiel, wo er bewusstlos liegen blieb.
 

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Krankenbesuch

Als Kaiba zum gefühlt tausendsten Mal auf seine Armbanduhr blickte schien die Zeit still zu stehen. Doch dann erklang die Schulglocke und beendete den Schultag. Er packte mit Eile, aber ohne hastig zu wirken, seine Sachen in die Tasche und bekam dabei das Gespräch von Yugi, Ryou und Otogi mit, die sich berieten, wie sie am schnellsten in das Krankenhaus kamen, in das Jonouchi vor einigen Stunde eingeliefert worden war. Honda hatte ihren Freund begleitet und war auch nicht durch den Lehrer davon abzuhalten gewesen.

Parallel hatte Kaiba unauffällig Isono eine Nachricht geschrieben, in der er seine rechte Hand bat alles zu veranlassen, damit Jonouchi die beste Behandlung und ein Einzelzimmer bekam. Eigentlich hatte er vorgehabt sofort ins Krankenhaus zu fahren, doch die Planung von Jonouchis Freunde ließ ihn seinen Plan ändern. Er hatte einen Deal mit dem Blonden: Dieser nahm seine Hilfe an, dafür wahrten sie weiterhin das Bild, dass sie nichts miteinander zu tun hatten. Daran würde sich Kaiba halten. Also würde er erst einmal in die Firma fahren.
 

Es war bereits nach 22.00 Uhr als Kaiba die Station betrat, auf der Jonouchi lag. Vor vier Stunden hatte die Besuchszeit geendet, aber das interessierte den Jungunternehmer nicht. Nur einmal hatte eine übereifrige Nachtschwester versucht ihn aufzuhalten, doch die Oberschwester hatte sie zurück gepfiffen, da sie Kaiba erkannt hatte. Sie wusste, dass er jährlich eine nicht unerhebliche Summe für das Krankenhaus, insbesondere die Kinderchirurgie, spendete, wenn auch offiziell anonym.

Schließlich kam er an dem Einzelzimmer an, in dem Jonouchi lag. Leise öffnete er die Tür, um den Blonden nicht zu wecken, falls dieser schon schlafen würde. Doch zu seiner Überraschung lief der Fernseher und Jonouchi zappte durch die verschiedenen Programme. Als er Kaiba sah schaltete er das Unterhaltungsgerät aus und versuchte sich aufzusetzen.

"Bleib liegen", meinte Kaiba ruhig und schloss hinter sich die Tür. Dann trat er näher und setzte sich auf einen Stuhl, der neben dem Bett stand. "Wie geht es dir?"

"Gut", kam es müde von Jonouchi, bevor sich der Blonde besann. "Besser, danke."

"Wofür danke?", hakte Kaiba nach. Jonouchi rollte kurz mit den Augen.

"Für das Zimmer...", erklärte Jonouchi. "Oder meinst du wirklich, ich bin so dämlich zu glauben, dass ich wegen einer ausgelasteten Kinderstation ein Einzelzimmer bekommen habe?"

"Ich halte dich nicht für dämlich", erwiderte Kaiba weiterhin ruhig und mit einer ungewohnten Milde in der Stimme. "Aber ich weiß, wie schwer es dir fällt, wenn man dir etwas Gutes tun möchte."

Jonouchi senkte ertappt seinen Blick und versuchte zu lächeln und Kaiba erfreute sich an dem ansatzweise gezeigten Lächeln. Es stand dem Blonden gut. Besser als das aufgesetzte Grinsen, dass er sonst zur Schau trug.

"Hattest du viel zu tun?", fragte der Blonde auf einmal und überraschte Kaiba erneut.

"Viel zu tun?", hakte dieser nichtverstehend nach.

"In der Firma? Du bist ziemlich spät dran", erklärte Jonouchi.

"Das übliche Tagesgeschäft", antwortete Kaiba und lächelte nun seinerseits etwas.

"Bist du immer solange in der Firma?", hakte der Blonde nach.

"Für gewöhnlich schon, manchmal aber auch länger", erwiderte der Brünette und genoss dieses unverbindliche Gespräch mit dem, für den sein Herz schlug.

"Und wann hast du mal Zeit für dich?", wollte Jonouchi wissen. Der Jungunternehmer zuckte mit den Schultern.

"Meine Arbeit ist Zeit für mich", erklärte er. "Viele denken bei Arbeit an eine lästige Pflicht. Aber für mich bedeutet Arbeit eine Möglichkeit mich und meine Vorstellungen zu verwirklichen."

"So hab ich das noch nie betrachtet", gestand Jonouchi. "Du hast bald Jahrestag, oder?"

"Jahrestag?", hakte Kaiba verwirrt nach.

"Ja, der Tag an dem du offiziell die Leitung der Firma übernommen hast mehrt sich nächste Woche, oder?", spezifizierte Jonouchi gedankenverloren.

"Das stimmt", meinte Kaiba überrascht. "Mir war nicht bewusst, dass sowas allgemein bekannt ist."

"Hm... war doch damals groß in der Presse", versuchte der Blonde davon abzulenken, dass er vor einer Weile recherchiert hatte. "Immerhin warst du der jüngste Firmenleiter eines so großen Unternehmens, der dann auch noch die Firma und ihren Schwerpunkt komplett umgekrempelt hat."

"Du bist gut informiert", lächelte Kaiba geschmeichelt. Jonouchis Wangen röteten sich ein wenig.

"Hast du Hunger? Ich hab noch etwas vom Abendessen übrig", meinte Jonouchi themenwechselnd und deutete auf das kaum angerührte Tablett, auf dem sein Abendessen stand.

"Hattest du keinen Hunger?", hakte Kaiba besorgt nach.

"Häng am Tropf, der versorgt mich mit allem, was ich brauch", erklärte der Blonde, was schon richtig war: Durch den Tropf hatte er kein Hungergefühl, dennoch hätte die Krankenschwester der Spätschicht es gern gesehen, dass der junge Mann etwas gegessen hätte. Daher hatte sie ihm das Tablett da gelassen.

Kaiba nahm die Schale mit der kalten Suppe und nippte kurz daran. Dann verzog er das Gesicht.

"Schmeckt grauenhaft. Kein Wunder, dass du den Tropf vorziehst", meinte er witzelnd.

"Ach, so schlecht ist das Krankenhausfutter gar nicht", meinte Jonouchi ruhig.

"War dein Vater da?", fragte Kaiba schließlich und das seichte Lächeln in Jonouchis Gesicht verschwand augenblicklich.

"Wenn, dann wäre ich wohl nicht mehr hier", meinte er nur gedrückt. Kaiba stellte die Schale zurück auf das Tablett und legte dann wie zufällig seine Hand auf die des Blonden, in deren Rücken die Nadel des Tropfes steckte. Jonouchi blickte auf die beiden Hände und wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte.

"Ich kann einen Personenschützer vor die Tür beordern, der deinen Vater auf Abstand hält", meinte Kaiba schließlich. Jonouchi hob seinen Blick und schaute in die blauen Augen. Er lächelte halbherzig.

"Nein, kannst du nicht. Solange er mein Vormund ist, kann ihn nichts und niemand von mir fernhalten", erwiderte Jonouchi.

"Schöner Vormund, der dich wie Dreck behandelt und dich dir selbst überlässt, nur weil er mit deiner Sexualität nicht einverstanden ist", kam es zischend von Kaiba, der über seinen Ausbruch selbst überrascht war. Jonouchi hatte seinen Blick betroffen gesenkt, als ihm wieder bewusst wurde, dass Kaiba anwesend war, als seine Mutter ihn vor seiner Schwester und allen anderen, die an diesem Tag vor der Schule gestanden hatten, geoutet hatte. Umso mehr überraschte es ihn, dass Kaiba sich so um ihn bemühte und ihm half.

"Dich... stört das nicht?", fragte er mit brüchiger Stimme, aus der deutlich die Angst vor der Antwort zu hören war.

"Nein", war die klare Antwort, die sofort und ohne Zögern von Kaiba erfolgte. Überrascht blickte er zu ihm auf. "Wissen deine Freunde, dass du schwul bist?"

"Honda, ja... die anderen... nein", antwortete nun der Blonde ruhig.

"Warum hast du es den anderen nicht erzählt?", fragte Kaiba vorsichtig weiter.

"Hm... Angst?", gab Jonouchi zu.

"Davor, dass sie so ignorant wie deine Eltern reagieren könnten?", riet der Geschäftsmann. Jonouchi antwortete nur mit einem Kopfnicken. "Deine Angst ist unbegründet."

Erneut blickte Jonouchi Kaiba überrascht an. Dieser lächelte sanft.

"Jonouchi, es gibt zwei Arten von Familien: Die, die wir uns nicht aussuchen können und jene, die wir uns selbst zusammenstellen", erklärte Kaiba. "Ich bin mir sicher, dass du deine Freunde weise gewählt hast und sie dich lieben, egal, ob du nun homo-, bi-, a- oder heterosexuell bist. Oder eine der anderen Sexualitäten, die es gibt. Und genauso würden sie dich weiterhin lieben, wenn du ihnen erzählen würdest, wie du dich über Wasser gehalten hast."

Dann stand Kaiba auf und löste seine Hand von Jonouchis.

"Ruh dich aus und egal, was geschieht, lass deinen Arsch in diesem Bett. Mit einer Nierenentzündung ist nicht zu spaßen", meinte er, bevor er schließlich ging.
 

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Schwesterliebe

Gelangweilt schaltete Jonouchi durch das Mittagsprogramm im Fernseher. Das Fernsehprogramm bot nichts, was ihn auch nur annähernd interessiert hätte. Als er beim Zappen erneut auf dem regionalen Nachrichtensender landete stoppte er und setzte sich abrupt auf, was ihn seine Niere sofort büßen ließ, die die ruckartige Bewegung nicht gut fand.

Auf der Mattscheibe sah er oben rechten ein Bild von dem Mann eingeblendet, der ihn letzten Freitag durch die Seitenstraße und vor Kaibas Auto gejagt hatte. Der Isono angelogen hatte, indem er behauptet hatte, er sei Jonouchis Vater. Doch seine Lüge war nicht aufgegangen, denn Kaiba war ebenfalls ausgestiegen und hatte sich zwischen Jonouchi und den Fremden geschoben. Dieser musste ihn dadurch loslassen und etwas zurück weichen. Schließlich hatte er die Flucht ergriffen und Kaiba hatte Jonouchi mit zu sich genommen.

Im roten Laufband am unteren Ende des Bildes stand in fetter Schrift, dass der Urisen-Schlitzer gefasst worden war. Weitere Bilder wurden eingeblendet. Bilder von jungen Männern, die Opfer des Mannes geworden waren. Die Portraitfotos wurden durch Bilder abgelöst, auf denen man blutige Rücken sah. Rücken, die dem von Jonouchi zum Verwechseln ähnlich sahen. Auf manchen dieser Rücken war das Wort 'Sünder' eingeritzt worden.

Der Nachrichtensprecher berichtete, dass der Mann seit drei Monate ein gutes Dutzend Urisen verletzt und vier getötet hatte. Zuletzt seien die Abstände zwischen seinen Taten immer kürzer geworden, als er eskalierte. Jonouchi musste an den jungen Mann denken, der ihn gewarnt hatte. Zu seiner Bestürzung fand sich auch dessen Bild unter den Opfern. Traurigkeit ergriff Jonouchis Herz. Er hatte den anderen nicht gekannt, aber das er ihn gewarnt hatte, hatte ihm das Leben gerettet.

"Das ist der Mann, der dich verfolgt hat", hörte er plötzlich Kaibas Stimme hinter sich und fuhr erschrocken zusammen, was seine Niere erneut mit einem Schmerz quittierte.

"Scheiße, erschreck mich doch zu Tode", kam es reflexartig von Jonouchi, der sich die Hand an die Brust hielt und dann nach Luft japste. Kaiba musste kurz kichern, was Jonouchi inne halten ließ. Diese Reaktion des Geschäftsmanns wirkte auf ihn total putzig.

"Sorry, wollt dich nicht erschrecken", meinte Kaiba und trat näher heran.

"Was tust du hier?", fragte Jonouchi, als ihm erneut die Zeit auf dem Fernsehbildschirm ins Auge fiel. Eigentlich wäre die Schule erst in einer Stunde zu Ende.

"Ich wollt dir nur das hier vorbei bringen", meinte Kaiba und hob eine flache Laptoptasche hoch. "Dachte mir, dass du dich vielleicht langweilst und wollt dir den hier bringen, damit du... keine Ahnung, im Internet surfen oder etwas zocken kannst."

Jonouchi runzelte die Stirn und war sprachlos. Kaiba legte die Tasche auf den Beistelltisch, packte den modernen Laptop, der kaum einen Zentimeter dick war, aus und klappte ihn auf. Der Monitor wirkte unglaublich groß auf Jonouchi.

"Da ich nicht genau weiß, was du gerne spielst hab ich mal die gängigsten Spiele vorinstalliert. Hier ist noch eine Maus und ein Joypad", erklärte der Brünette.

"Danke", meinte Jonouchi leise.

"Er hat eine SIM-Karte, ist also jederzeit unabhängig vom Krankenhausnetzwerk, onlinefähig", erzählte Kaiba weiter, als es plötzlich klopfte. Jonouchi blickte Kaiba an. Eigentlich waren alle seine Freunde noch in der Schule und sonst wusste er nicht, wer ihn besuchen könnte. Er schaltete den Fernseher aus.

"Ja?", rief er. Die Tür ging vorsichtig auf und dann kam seine Schwester herein. Im ersten Moment war der Blonde total geschockt, doch dann setzte er von jetzt auf gleich seine Maske auf und strahlte seine Schwester an.

Diese lächelte ihn zaghaft und etwas unsicher an, bis sein Lächeln ihr die Anspannung nahm und sie zu ihm rannte, um sich an seinen Hals zu werfen. Er schlang seine Arme um sie, wodurch ihr sofort der Gips am Arm auffiel.

"Was treibst du denn?", fragte sie streng. "Seit Wochen meldest du dich nicht mehr und jetzt musste ich über Mokuba-kun erfahren, dass du im Krankenhaus liegst. Was ist denn passiert?"

Jonouchi blickte kurz zu Kaiba, der entschuldigend lächelte und den Laptop, sowie das Zubehör wieder in der Tasche verstaute.

"Ach... ich hab nur eine Nierenentzündung", versuchte Jonouchi in einem Tonfall, als würde er über etwas Belangloses reden, seine Schwester zu beruhigen.

"Nur?", kam es empört von ihr und sie stemmte ihre Hände in die Seiten. "Und dein Arm?"

"Der hat damit nichts zu tun, der war schon vorher da", meinte Jonouchi abwinkend. Daraufhin verpasste seine Schwester ihm eine sanfte Kopfnuss.

"Warum erfahr ich sowas nicht?", fauchte sie besorgt. "Du bist doch mein Brüderchen und musst mir sagen, wenn es dir nicht gut geht."

Tatsächlich hatte Jonouchi seine Schwester das letzte Mal vor deren Schule gesehen, als seine Mutter ihn vor ihr geoutet hatte. Daraufhin hatte er sich von seiner Schwester ferngehalten. Aus Angst. Er hätte es nicht ertragen, wenn sie ihn - wie ihre Eltern - verstoßen hätte.

"Ich... ähm... hätte nicht gedacht, dass du dich noch dafür interessieren würdest, wie es mir geht", kam es leise von Jonouchi und brachte ihm eine weitere Kopfnuss ein.

"Warum sollte es mich nicht interessieren, wie es meinem Brüderchen geht?", kam es von ihr vorwurfsvoll.

"Weil... ich dich zuletzt vor deiner Schule so in Verlegenheit gebracht habe", meinte er etwas gedämpfter.

"Du?", wiederholte sie fassungslos. "Du hast doch gar nichts gemacht. Wenn mich jemand in Verlegenheit gebracht hat, dann Mutter."

Jonouchi sah wie Kaiba, der hinter Shizuka stand, sanft lächelte.

"Brüderchen... mir ist das egal, ob du Mädels magst oder Jungs oder beides... das ändert doch nichts daran, wer du bist und du bist mein Brüderchen, dass ich über alles liebe", meinte sie zärtlich lächelnd, während sie sich zu ihm auf die Bettkante setzte und ihre Hände auf die des Blonden legte. Er sah sie einen langen Moment an und konnte dann nicht anders, als sie erneut in die Arme zu schließen und an sich ranzuziehen. Sie erwiderte die Umarmung und hielt ihn fest.

"Mein dummes Brüderchen", murmelte sie leise. Als sie sich langsam wieder lösten bemerkte Jonouchi, dass Kaiba bereits gegangen war. Vorsichtig strich ihm seine Schwester über die noch leicht lädierte Wange.

"War das Papa?", fragte sie leise. Jonouchi senkte seinen Blick und schüttelte den Kopf.

"War so ein Wichtigtuer, dem ich es gezeigt habe", log er sie an und obwohl er wusste, dass sie ihm das nicht glaubte, war er dankbar, dass sie ihm die Lüge durchgehen ließ. Dann kuschelte sie sich neben ihn, in den gesunden Arm und erzählte ihm, was in den letzten Wochen so los war und wie sie ihre Mutter mit Schweigen strafte, solange diese Jonouchi gegenüber wie eine wild gewordene Irre auftrat.

"Sie macht sich nur Sorgen um dich und will dich beschützen", versuchte Jonouchi seine Schwester zu beschwichtigen.

"Vor meinem Bruder? Du hast nichts getan, dass dich zu einer Gefahr für mich macht", widersprach sie energisch.

"Sie liebt dich und ist nun mal anderer Ansicht", erwiderte der Ältere, als Shizukas Handy bimmelte. Sie verdrehte die Augen, kramte es aus ihrer Jackentasche und nahm den Anruf an. Die Stimme ihrer Mutter war deutlich zu erkennen.

"Die Schule hat mich angerufen, dass du die letzten zwei Schulstunden fehlst", kam es streng aus dem Telefon.

"Ich hab erfahren, dass Katsuya im Krankenhaus liegt und bin ihn besuchen gegangen", erwiderte Shizuka ungerührt.

"Wir haben doch darüber gesprochen...", wollte die Mutter ansetzen, wurde aber von ihrer Tochter unterbrochen.

"DU hast darüber gesprochen und ich hab dir gesagt, dass ich deine Ansichten nicht teile. Ich liebe Katsuya und ich werde mich nie wieder von dir von ihm fernhalten lassen", gab Shizuka ihr Zunder.

"Ich komm dich abholen", meinte die Mutter.

"Ich kann alleine nach Hause kommen, danke", widersprach die kesse 13jährige ihrer Mutter.

"Shizuka...", setzte die strenge Stimme der Mutter erneut an.

"Mama, wenn du vorbei kommen möchtest, um deinen Sohn zu besuchen, der übrigens mit einer Nierenentzündung im Krankenhaus liegt, danke dass du nachfragst, bist du willkommen. Aber wenn du nur herkommst, um Stress zu machen und einen Streit zu beginnen, kannst du dir den Weg sparen", meinte Shizuka beherzt. "Aber eines möchte ich dir noch sagen: Ich bin sehr enttäuscht von dir. Ich habe dich immer für eine kluge, moderne Frau gehalten, die über Vorurteile steht und Benachteiligung anderer ablehnt. Für eine Person, zu der ich aufgeschaut und der ich nachgeeifert habe."

Dann unterbrach sie das Gespräch und steckte ihr Telefon wieder weg.

"Sie wird sich das nicht gefallen lassen, dass weißt du, ja?", kam es leise von Jonouchi, der schon damit rechnete, dass seine Mutter in kürze wie eine Furie hier aufschlagen würde.

"Wenn es mir zu bunt wird, dann werde ich einfach zu Papa und dir ziehen", meinte sie lächelnd zu ihrem Bruder, der sofort den Blickkontakt brach und auf seine Hand des Gipsarms richtete.

"Was ist, Brüderchen?", fragte sie leise, hatte sie doch gemerkt, dass sie da einen wunden Punkt angesprochen hatte.

"Nichts, nur bist du bei Mama besser aufgehoben", meinte er leise und mit brüchiger Stimme.

"Wieso das?", hakte sie sofort nach. Als keine Antwort kam wandte sie sich ihrem Bruder etwas mehr zu, damit sie ihn besser ansehen konnte. "Brüderchen...?"

"Papa... war nicht begeistert davon, als Mama ihm damals von dem Gespräch mit mir erzählt hat", gestand er ihr schließlich.

"Hat... er dich auch beschimpft?", hakte sie nach. Es dauerte einen Moment bis der Blonde schließlich nickte.

"Was noch?", forderte sie mit sanfter Strenge. Jonouchi rang mit sich und wusste nicht, ob er seiner Schwester wirklich alles erzählen sollte. Doch dann nahm sie sein Gesicht zwischen ihre Hände und richtete seinen Blick auf sich. Da war so viel Liebe und Sorge in dem Blick, dass er schlucken musste.

"Er hat mir als erstes mein Zimmer weggenommen. Es ist jetzt sein Schlafzimmer", begann er langsam.

"Und wo schläfst du dann?", fragte sie geschockt.

"Mein Bett steht in einer Nische des Wohnzimmers, die mit einem Vorhang abgetrennt ist. Er beschimpft mich, wann immer es ihm passt und wenn er schlecht gelaunt ist, dann... klebt er mir schon mal eine", erzählte er ihr. Doch sie spürte, dass da noch was fehlte.

"Was noch, Brüderchen?", hakte sie nach.

"Er... meinte mal zu mir, dass er nicht einsieht einen perversen Tunichtgut mit durchzufüttern und das ich, wenn ich die Reste abbekommen möchte, mich im Haushalt nützlich machen muss", legte er ihr auch den Rest da. Sie zog kurz die Stirn in Falten.

"Papa gibt dir nichts zu essen?", wiederholte sie ungläubig.

"Jedenfalls nicht sehr oft", erwiderte Jonouchi kaum hörbar.

"Aber... er gibt dir Geld, damit du dir was holen kannst?", kam es hoffend von der jungen Brünetten. Doch der Blonde schüttelte nur seinen Kopf. "Und... wie kommst du dann an Essen?"

"Ich...", er konnte es ihr nicht sagen. Konnte es nicht vor sich selbst laut aussprechen, dass er seit fast drei Jahren Blow Jobs gegen Bezahlung anbot. Manchmal mehr. "Meine Freunde laden mich hin und wieder zum Essen ein."

Sie war fassungslos.

"Dann werde ich mit ihm reden. Das geht so nicht", meinte sie idealistisch und ein wenig naiv.

"Das brauchst du nicht... ich... wohn schon seit 'ner Weile nicht mehr bei ihm", meinte er leise.

"Und wo wohnst du dann?", hakte sie vorsichtig nach.

"Mal hier, mal da... Mokubas Bruder hat mir jetzt sein Gästezimmer angeboten", gestand er ihr. Sie seufzte schwer. Das alles gefiel ihr nicht und so beschloss sie, dass sie ihre Mutter noch mehr ins Gebet nehmen musste, damit sie nicht nur Frieden mit ihrem eigenen Sohn schloss, sondern einsah, dass dieser zu ihnen gehörte.
 

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Mutterliebe

Schon als Kaiba aus dem Aufzug stieg schlug ihm eine Stimme entgegen, die er irgendwoher kannte. Sie war laut, keifte rum und klang wie das Geräusch, welches eine Kreissäge beim Aufsetzen auf Metall von sich gab. Nach ein paar Schritten wurde ihm klar, dass sie aus Jonouchis Zimmer kam und zu dessen Mutter gehörte. Als er das Einzelzimmer des Blonden erreichte sah er, warum die Stimme ungehindert im ganzen Stockwerk zu hören war: Die Frau stand im Türrahmen.

"Was soll das heißen, dass du nicht mehr bei ihm wohnst?", keifte sie ins Zimmer.

"Bitte beruhigen Sie sich doch", hörte Kaiba plötzlich eine weitere Frauenstimme aus dem Zimmer, die ihm nicht geläufig war. Kaiba schob sich an Jonouchis Mutter vorbei, die kurz erschrak und ihn dann scharf musterte. Kaiba erkannte, dass Honda und eine rundliche Frau im Zimmer am Bett von Jonouchi standen. Fragend blickte er zu Honda und dann zu Jonouchi.

"Das heißt, dass ich meine Sachen dort geholt habe und nicht vorhabe, jemals wieder zu ihm zurück zu gehen", kam es nun kämpferisch von Jonouchi selbst.

"Du bist minderjährig. Das heißt, du hast gar keine andere Wahl, als zu ihm zurück zu gehen. Er ist dein Vater!", erwiderte seine Mutter laut.

"Das wird aber nicht passieren", erwiderte der Blonde zischend. "Selbst wenn du mich an den Haaren hin zerren würdest, würde ich dort nicht bleiben. Bei der erstbesten Gelegenheit würd ich wieder die Kurve kratzen."

"Und wo willst du wohnen? Deine Schwester sagte, dass dir jemand ein Gästezimmer angeboten hat. Meinst du dessen Eltern würden dich einfach so mit durchfüttern?", kam es ungehalten von der Frau im mittleren Alter.

"Frau Jonouchi, ich bitte Sie", versuchte erneut Frau Honda einzuhaken. "Dieses Gespräch führt so zu nichts."

Böse funkelte Jonouchis Mutter die von Honda an. Sie verschränkte die Arme vor sich.

"Ich kenne Sie nicht und verstehe daher auch nicht, was Sie sich in dieses Gespräch einmischen", kam es nur gepresst von ihr in Richtung Hondas Mutter, bevor sie sich erneut an ihren Sohn wandte. "Und zu dir: Ich werde jetzt deinen Vater anrufen und ihm sagen, dass er dich hier abholen soll. Sicherlich fragt er sich schon, wo du abgeblieben bist."

Jonouchi musste trocken auflachen.

"Wovon träumst du nachts?", warf er ihr schließlich verletzt und bitter entgegen. "Der ist doch froh, dass ich weg bin. Der bedauert höchstens, dass er jetzt keinen Sandsack mehr zum Einprügeln hat."

Als ihm bewusst wurde, was er gesagt hatte zuckte er zurück und zog den Kopf zwischen die Schultern. Peinlich berührt blickte er zu Hondas Mutter, die ihn geschockt ansah.

"Was meinst du damit, Großer?", fragte sie sofort besorgt.

"Gar nichts meint er damit. Er lügt, sobald er den Mund aufmacht", grätschte sofort Frau Jonouchi rein. Verwirrt sah Frau Honda zu ihr und dann zu dem Blonden. Vorsichtig legte sie eine Hand auf seine Schulter.

"Jonouchi-kun? Schlägt dich dein Vater?", fragte sie behutsam, während Jonouchis Mutter theatralisch seufzte, als könne sie nicht glauben, dass jemand auf das Schauspiel ihres Sohnes herein fiel. Jonouchi schluckte und schlang seinen unverletzten Arm um sich.

"Ja, das tut er", kam es auf einmal von Honda, der sofort einen Blick mit weit aufgerissenen Augen von seinem besten Freund erntete. "Sorry, Kumpel. Aber in den letzten drei Jahren sind die Prügel von deinem Vater immer schlimmer geworden und ich will nicht, dass er irgendwann so fest zu schlägt, dass du nicht mehr aufstehst."

"Du wusstest davon?", kam es entsetzt von Hondas Mutter. Dieser nickte.

"Ich hab es mir gedacht", gestand Honda. "So oft, wie du mit blauen Flecken im Gesicht angekommen bist oder sie auch auf dem Rücken und im Bauchbereich hattest."

Der Blonde zog seinen Kopf verlegen weiter zwischen die Schultern.

"Katsuya hat sich schon immer gerne in Schwierigkeiten gebracht", wandte seine Mutter plötzlich ein. "Es könnte also auch sein, dass die gar nicht von seinem Vater stammen."

"Wie können Sie so etwas über ihren eigenen Sohn sagen?", kam es nun verständnislos von Frau Honda, die ihre freie Hand in die Seite stemmte. "Als Mutter haben Sie immer ihrem Kind zu glauben, wenn es kommt und sagt, dass man ihm weh tut. Immer."

"Sie sind aber auch reichlich naiv", kommentierte Jonouchis Mutter die Ansichten der anderen Mutter.

"Hey", kam es plötzlich angriffslustig von dem Blonden. "Du kannst meinetwegen mit mir so reden, aber nicht mit Frau Honda, denn sie war in den letzten Jahren mehr Mutter zu mir, als du in meinem ganzen Leben."

Von dem plötzlichen Ausbruch ihres Sohnes erschrocken war sie einen Schritt zurück gewichen und blickte ihn empört an.

"Wie kannst du es wagen, so etwas zu behaupten", zischte sie ihrem Sohn zurück.

"Nicht doch, beruhigen Sie sich und du auch, Jonouchi-kun", bat Frau Honda erneut.

"Sie wird mir nicht glauben", begehrte Jonouchi verzweifelt auf. "Selbst wenn ich ihr die ganzen Krankenhausakten vorlegen würde, würde sie mir nicht glauben."

Mit Schmerz in den Augen sah Frau Honda zu dem Blonden und dann zu dessen Mutter.

"Warum sind Sie ihrem Sohn gege...", weiter kam Hondas Mutter nicht, als Jonouchis Mutter ihr ins Wort fiel.

"Nennen Sie ihn nicht meinen Sohn", fauchte sie. "Hätte ich gewusst, was mal aus ihm werden würde, dann... "

"Obacht", zischte nun Frau Honda. "Ich rate Ihnen ganz dringend, diesen Satz unvollendet zu lassen."

"Wissen Sie eigentlich, was er ist?", fragte Frau Jonouchi provozierend und halb triumphierend. Verwirrt sah Frau Honda wieder den Blonden an, der erneut seinen Kopf zwischen die Schultern zog.

"Was meinen Sie?", fragte Frau Honda immer noch etwas konfus.

"Willst du es ihr sagen, oder soll ich?", kam wieder die rhetorische Frage seiner Mutter, bevor sie zur Antwort ansetzte. Doch Kaiba hob seine Hand und ließ sie sich an ihrem ersten Wort verschlucken, was dazu führte, dass sie husten musste.

"Wie wär es, wenn Sie sich nicht noch mehr rausnehmen, als Ihnen zusteht?", kam es in einem eisigen Tonfall von dem Geschäftsmann. Empört blickte sie zu ihm, nachdem sie das Husten überwunden hatte. Kaiba trat an Jonouchi heran und legte nun eine Hand auf die Schulter des gebrochenen Armes. Doch dieser schüttelte nur den Kopf. Er konnte Frau Honda nicht sagen, dass er homosexuell war. Was, wenn sie ähnlich reagieren würde, wie seine Mutter.

"Willst du wirklich so feige sein?", fragte Frau Jonouchi ihn ernst und kassierte erneut einen bösen Blick von Kaiba.

"Ich denke, Sie sollten jetzt gehen", meinte er ernst.

"Wie bitte?", hakte sie nach.

"Sie haben mich schon verstanden", kam es weiterhin eiskalt von Kaiba. "Oder müssen wir erst den Sicherheitsdienst des Krankenhauses rufen?"

"Wie kannst du es wagen...", kam es empört von der älteren Frau. "Ich bin immerhin..."

"Was? Seine Mutter? Das weisen Sie aber bei jeder Gelegenheit von sich. Und soweit ich weiß liegt das Sorgerecht bei ihrem Ex-Mann. Im Grunde haben Sie nicht mehr Rechte, als wir andere, die Jonouchi besuchen."

Jonouchis Mutter wurde rot im Gesicht, bevor sie aus dem Zimmer stürmte und die Tür endlich zufallen konnte. Kurz sah der Blonde zu dem Jungunternehmer auf und dankte ihm wortlos.

"Jonouchi-kun", hörte er dann aber die Stimme von Hondas Mutter, das ihn daran erinnerte, dass sie immer noch eine Antwort oder Erklärung erwartete. "Großer, was meinte deine Mutter?"

Er zog seinen Kopf noch mehr zwischen die Schulter.

"Jonouchi, es gibt nichts, wofür du dich schämen musst", hörte er Kaiba ihm gut zureden. Er blickte kurz zu ihm auf und der Brünette lächelte ihn sanft und bestärkend an. Dann schaute er zu Frau Honda.

"Ich... bin... homosexuell", meinte er und erwartete, dass die Frau sofort ihre Hand von seiner Schulter zog und ihn ebenfalls ablehnen würde.

"Und weiter?", fragte sie. "Was ist jetzt das Schlimme?"

Verwirrt blickte Jonouchi sie nur an, bevor sie ihn in den Arm zog und ihn fest drückte.
 

.

Unverhofft kommt oft

Jonouchi war etwas weggedämmert, während eine der überdrehten Unterhaltungsshows im Fernseher leise gelaufen war, in der die Kandidaten aberwitzige Hindernisparcours absolvieren mussten. Doch er fand keine Ruhe. Immer wieder wachte er zusammenzuckend auf, blickte sich um, bevor er erleichtert wieder in das Kissen zurück fiel. Er atmete tief durch und starrte an die Decke. Wenn er morgen entlassen werden würde, dann würde er drei Kreuze in einem Kalender machen.

"Schätzchen", drang durch die offene Tür eine ihm vertraute Stimme an sein Ohr. Sofort war Jonouchi hell wach und saß aufrecht. Er blickte zweifelnd zum Fernseher. Vorsichtig griff er nach seiner Fernbedienung und schaltete das Gerät aus. Sicherlich hatten seine Sinne ihm einen Streich gespielt.

"Schääätzchen", kam es dieses Mal lang gezogen und mit deutlicher Ungeduld in der Stimme. Der Fernseher war aus und die stumme Hoffnung, dass es doch eine Sinnestäuschung gewesen war, erlosch in dem Blonden.

"Hey, wen muss ich hier flachlegen, um eine Auskunft zu erhalten", hallte es wieder über den Flur. Die Krankenschwester kam aus dem Bereitschaftszimmer, in dem sie gerade mit der Hausapotheke gesprochen hatte, um den Tagesbedarf für die Abendmedikamente durchzugeben. Sie musterte den ungepflegten Mann Mitte Vierzig, der in einem Flanellhemd vor ihr stand, das definitiv eine Wäsche notwendig hatte. Genau wie der Mann eine Dusche dringend brauchte.

"Schätzchen, ich bin nicht deine Kragenweite", meinte er mit einem Grinsen. "Aber vielleicht mach ich für dich eine Ausnahme."

"Ähm... Sie wünschen?", fragte die Krankenschwester verunsichert und leicht angewidert, wobei sie bemüht war, ihren Ekel nicht zu sehr nach außen dringen zu lassen.

"Was ich mir wünsche?", kam es süffisant von dem Mann, als würde er eine anzügliche Unterhaltung mit der jungen Krankenschwester führen. "Glaub mir, Schätzchen, dass möchtest du nicht wissen."

"...", sprachlos sah sie ihn an und wusste im ersten Moment nicht, was sie darauf erwidern sollte. "Vielleicht wenden Sie sich an die Info-Theke im Erdgeschoss."

"Oh, bist wohl so eine frigide Lesbe, die keinen Spaß versteht, was?", kam es spottend von ihm.

"Was wollen Sie denn hier?", kam es etwas resoluter von der jungen Frau.

"Hey, hey ... jetzt nur nicht zickig werden. Ich will zu meinem Sohn!", kam es angespannt von dem Mann mit dem leichten Bierbauchansatz.

"Und der Name ihres Sohnes ist ...?", fragte die Krankenschwester angestrengt weiter, die einen halben Schritt nach hinten wich, da der Körpergeruch des Mannes begann sich zu verteilen.

"Jonouchi", antwortete der Amerikaner genervt und kramte in seinen Taschen, bis er ein Päckchen Red Apple-Zigaretten hervor kramte und eine Zigarette raus zupfte.

"Das Rauchen innerhalb des Krankenhauses ist verboten", wies ihn die Krankenschwester hin.

"Und wer will mich daran hindern, mir die Kippe jetzt anzuzünden?", fragte er mit einem leicht aggressiven Unterton.

"Wenn nötig, der Sicherheitsdienst, Herr Jonouchi", erwiderte nun die junge Frau leicht angesäuert. Also klemmte der Blonde die Zigarette hinter sein Ohr.

"So, jetzt zufrieden? Also, wo ist jetzt der Nichtsnutz?", zischte der Alte ihr entgegen. Die Krankenschwester zögerte. Sie wollte diesen Mann nur ungern zu seinem Sohn lassen, doch rechtlich gesehen hatte sie keine Möglichkeit ihm das zu verwehren. Also blickte sie auf den Zimmerplan, auf dem die Belegung notiert war.

"Ihr Sohn liegt in Zimmer 16, am Ende des Flures", beauskunftete sie ihm schließlich und wollte hinter dem Tresen vorkommen.

"Mach dir keine Mühe, Schätzchen ... geh und lackier dir die Fingernägel oder schmink dich erst mal fertig oder verschaff dir mit 'nem Massagestab ein wenig Entspannung", winkte der Amerikaner ab, wandte sich von der Theke und ging den Flur entlang.

Die Krankenschwester schnappte kurz nach Luft. Also nahm sie den Hörer zur Hand und rief den Sicherheitsdienst, denn irgendwie befürchtete sie, dass das hier gleich sehr schnell eskalieren könnte. Dann folgte sie dem widerwärtigen Mann zum beauskunfteten Zimmer. Dieser war im Türrahmen stehen geblieben und als sie näher kam sah er sie verärgert an.

"Zu dumm den Belegungsplan abzulesen, was?", zischte er sie an.

"Ich muss doch sehr bitten. Ich hab mir ...", wollte sie sich jetzt echauffieren.

"... das Hirn vom Oberarzt rausvögeln lassen?", fiel der Amerikaner ihr ins Wort und vollendete den Satz.

"Sie müssen jetzt gehen", fauchte die Krankenschwester.

"Nicht bevor ich bei meinem Versager von Sohn war. Also Schätzchen, dackel mal ganz fix zurück zur Station und schau noch mal auf den Plan", widersprach der Blonde erbost.

"Nein", entgegnete sie ihm laut und standhaft.

"Ich kann sie auch anzeigen", kam es nun drohend von dem Älteren.

"Weswegen? Wenn, dann zeig ich Sie wegen ihrer sexuellen Belästigung an", gab sie nun erbost Konter. Daraufhin packte der Blonde sie grob an der Schulter und sie schrie erschrocken auf. Doch der Sicherheitsdienst war schon zur Stelle, griff nach dem Handgelenk des Säufers und löste die Hand von ihrer Schulter. Sie taumelte geschockt einen Schritt nach hinten, während der Ältere sofort loskeifte.

"Ich will zu meinem Sohn", schrie er laut. Sie schob sich an ihm vorbei in das Zimmer und sah das Bett verlassen dastehen. Die Infusion ergoss sich auf dem Boden, da die Nadel wohl ziemlich hastig entfernt worden war ohne den Schlauch zu schließen. Der schmale Schrank, in dem die Kleidung des Teenagers gehangen hatte, war leer. Ebenso fehlten seine Schuhe, doch auf dem Boden lag eine einzelne Socke. Das ließ sie vermuten, dass er seinen Vater gehört und das Weite gesucht hatte.

"Scheinbar wollte aber ihr Sohn Sie nicht sehen und ist verschwunden, während sie mich an der Theke so dumm angemacht haben", giftete sie ihn an, bevor sie dem Sicherheitsdienst mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, dass der Herr nun gehen wollte. Unter lautem Protest wurde er von der Station und dem Stockwerk entfernt, während sie zu ihrer Theke zurück eilte. Sie griff nach einer Visitenkarte, die am Korkbrett festgepinnt war, und wählte die Nummer, die darauf handschriftlich vermerkt war.

"Es tut mir leid, aber ich muss Ihnen leider sagen, dass Herr Jonouchi eigenmächtig das Krankenhaus verlassen hatte. Sein Vater ist aufgetaucht und hat sich nach ihm lautstark erkundigt. Daraufhin hat der junge Mann das Weite gesucht", berichtete sie ihrem Gesprächspartner. "Ja, ich verstehe. Natürlich. Es tut mir wirklich sehr leid."

Dann wurde auf der anderen Seite aufgelegt.
 

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Verloren

Kaiba legte das Telefon weg und blickte aus dem Fenster seines Heimbüros über die Stadt hinweg. Es war bereits dunkel und die Stadt erstrahlte in zahlreichen Lichtern und Farben. Warum hatte er keinen Personenschützer vor das Zimmer des Blonden gestellt? Vielleicht wäre dieser dann nicht getürmt, als er seinen Vater hatte kommen hören. Zumindest hätte der Personenschützer diesen begleitet und er wüsste nun, wo Jonouchi wäre.

Er stand auf, zog sich ein Jackett über, dass er vorhin über die Rückenlehne seines Bürostuhls gehängt hatte. Seinen Rechner ließ er in den Schlafmodus wechseln und verließ dann das Büro. Er ging zu Mokuba, der vor dem Fernseher saß und eine Serie auf Netflix schaute.

"Mokuba, ich muss noch einmal weg. Möglicherweise komm ich erst spät oder morgen früh wieder nach Hause", meinte er zu seinem kleinen Bruder, der die Folge pausierte und sich zu ihm umwandte.

"Ist was passiert?", fragte der Schwarzhaarige besorgt, denn wenn sein Bruder erst einmal Zuhause war, kam es eigentlich nie vor, dass er noch einmal weg musste.

"Jonouchi ist aus dem Krankenhaus weggelaufen", antwortete Kaiba wahrheitsgemäß. Sofort sprang Mokuba auf seine Knie und beugte sich über die Rückenlehne der Couch.

"WAS?", kam es geschockt von ihm. "Ich komm mit."

"Ich brauch dich hier, falls er her kommt", widersprach Kaiba ruhig und wuschelte Mokuba über den Kopf, denn er wusste, dass diese passive Rolle seinem Bruder nicht gefallen würde.

"Verstehe", kam es von diesem nur. "Okay, aber ich will stündlich einen Statusbericht."

"Ist gut", lenkte Kaiba ein und wandte sich dann zum Aufzug. Dort schlüpfte er in seinen Mantel und verließ das Penthouse.
 

Honda saß an seinem Schreibtisch in seinem Zimmer und war über die Hausaufgaben gebeugt. Diese fielen ihm heute - wie auch in den letzten Tagen - schwer, denn gedanklich war er immer wieder bei seinem besten Freund im Krankenhaus.

Morgen würde dieser entlassen werden und wie es aussah wollte dieser nicht zurück zu seinem Vater und seine Mutter würde ihn nicht aufnehmen. Also fragte er sich, ob der Blonde in einem Heim landen würde. Er wollte es nicht hoffen, denn in den letzten Jahren hatten immer wieder Missbrauchsfällen in Heimen Schlagzeilen gemacht. Vor allem Kinder gemischter oder ausländischer Herkunft waren davon betroffen gewesen. Vielleicht gab es ja noch eine andere Möglichkeit?

"Hiroto", hörte er seine Mutter von unten rufen. Er stand auf, verließ sein Zimmer und ging zum oberen Absatz der Treppe und blickte nach unten.

"Ja?", rief er zurück.

"Hier ist Kaiba-kun", kam es von seiner Mutter und kurz fragte sich Honda, ob er sich verhört hatte. Er stieg die Treppe hinunter und musste feststellen, dass er sich nicht verhört hatte. Vor der Haustür stand der brünette Jungunternehmer.

"Entschuldige bitte die Störung, Honda, aber ist Jonouchi hier?", fragte der Blauäugige ohne Umschweife.

"Hier?", kam es überrascht von Honda. "Nein. Ist er denn nicht im Krankenhaus?"

"War er, bis sein Vater auftauchte. Da ist er getürmt", informierte Kaiba ihn mit neutraler Stimmlage. "Ich suche ihn."

"Warum?", kam es verwirrt von Honda.

"Weil es eben begonnen hat zu schneien und er nur seine Schuluniform im Krankenhaus hatte", antwortete Kaiba und klang dabei, als wäre das doch sonnenklar.

"Überlass die Suche mir und seinen Freunden", meinte Honda, der ohnehin nicht verstand, warum Kaiba neulich im Krankenhaus aufgetaucht war.

"Jonouchi ist auch mein Freund", erwiderte Kaiba und ließ Honda ihn überrascht anstarren. "Er wohnt derzeit in meinem Gästezimmer."

"Was?", kam es ungläubig von Jonouchis bestem Freund.

"Ich hab jetzt keine Zeit dir das kindgerecht zu erklären. Fakt ist: Jonouchi ist aus dem Krankenhaus geflüchtet und es wird heute verdammt kalt. Wenn er nicht bei dir ist und auch nicht zu mir gekommen ist, wo könnte er dann sein?", fragte er etwas schnippig.

Honda schlüpfte in seine Schuhe und griff nach seinem Winterparka. Dann trat er vor die Tür zu Kaiba.

"Lass uns gehen", meinte er nur.

"Ich hab nicht vor ...", wollte Kaiba abwiegeln, doch Honda blickte ihn streng an und machte so wortlos klar, dass er mitkommen würde.

"Hiroto, meld dich bitte, wenn ihr ihn gefunden habt", hörten sie noch Hondas Mutter sagen, bevor sich Kaiba abwandte und zurück zu seinem Auto ging.

"Mach ich, Ma", meinte er und eilte Kaiba hinterher.
 

"Also hier ist er auch nicht", meinte Honda, als er wieder ins Auto einstieg. Unter einem Vorwand, der darauf hinaus lief, dass er sich im Tag geirrt hatte, hatte er gerade Yugi gefragt, ob Jonouchi bei ihm sei. Dieser hatte das verneint und daraufhin gewiesen, dass der Blonde doch erst am nächsten Tag aus dem Krankenhaus entlassen werden würde.

"Also, wir haben eure Clique abgefrühstückt, waren in der Schule, im Park ... gibt es noch einen Ort, von dem du weißt, dass er da mal unter gekommen ist?", fragte Kaiba angespannt.

"Nein", antwortete Honda ehrlich.

"Dann fahr ich dich jetzt nach Hause", meinte Kaiba und startete den Motor seines Autos.

"Vielleicht sollten wir zum Krankenhaus fahren", schlug Honda vor.

"Zum Krankenhaus?", hakte Kaiba überrascht nach.

"Das Krankenhaus ist riesig. Nur weil er aus seinem Zimmer abgehauen ist muss er ja nicht auch aus dem Gebäude geflohen sein", erklärte Honda.

"Klingt einleuchtend", erwiderte Kaiba, auch wenn er das nicht glaubte. "Auf dem Weg halten wir noch wo."
 

"Was tun wir hier?", wollte Honda wissen, nachdem sie seit einer halben Stunde parkten und in eine Gasse im Schwulenviertel starrten.

"Warten", war die schlichte Antwort, die Kaiba ihm gab.

"Auf was?", hakte Honda nach.

"Nicht was, wen", berichtigte Kaiba Honda. Dieser seufzte schwer.

"Auf wen?", kam es schließlich von dem anderen Brünetten.

"Sehen wir dann", erwiderte Kaiba. Er war nicht bereit jetzt schon zu offenbaren, dass er eine Seite an dem Vermissten kannte, die Honda fremd war.

"Man, Kaiba, was verschwenden wir hier unsere Zeit? Wir müssen Jou finden", wurde Honda energisch.

Immer wieder schritten Männer durch die Gasse, manchmal blieben sie stehen, redeten mit den Jungs, die an den Seiten wartend standen. In der Regel schloss sich der Angesprochene dann dem Fragenden an und verschwand mit diesem aus der Gasse. Die meisten dieser Jungs kamen nach fünfzehn bis dreißig Minuten zurück.

"Vermisst du dein Lieblingsstricher?", stichelte Honda. Kaiba blickte kurz zu ihm, musterte ihn missbilligend und richtete seinen Blick wieder nach vorne durch die Frontscheibe.

"Mal überlegt, dass die Jungs in dieser Gasse gar nicht da stehen und sich verkaufen wollen?", kam es ruhig von dem Jungunternehmer.

"Was?", kam es überrascht von Honda. Ihn überraschte nicht was Kaiba gesagt hatte, sondern dass er überhaupt Partei für die Männer dort in der Gasse ergriff.

"Manche brauchen einfach das Geld", ergänzte Kaiba. "Für die Miete oder einfach für etwas zu essen. Sie stehen da und bieten ihren Körper feil, weil sie Hunger haben."

"Worum geht es überhaupt?", fragte Honda etwas genervt. Wieder blickte Kaiba zu ihm. Stumm. Musternd. Plötzlich dämmerte es Honda. Kaiba wollte ihm damit etwas sagen. Er blickte in die Gasse und ließ sich die Worte des anderen noch einmal durch den Kopf gehen. 'Weil sie Hunger haben', wiederholte sich Kaibas Stimme in seinem Kopf und dann machte es Klick. Honda zog seine Stirn kraus und blickte wieder Kaiba an, dessen Gesichtsausdruck etwas trauriger wurde, bevor er nickte. Denn er war sich sicher, dass Honda es nun verstanden hatte. Erschüttert ließ sich Honda wieder gegen die Rückenlehne seines Sitzes fallen. Sie warteten noch eine halbe Stunde, nur um auf Nummer sicher zu gehen, doch Jonouchi tauchte nicht auf. Kaiba wusste nicht, ob er darüber erleichtert war, oder nicht. Immerhin hätten sie ihn dann gefunden gehabt.
 

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Gefunden

Nachdem sie auch das Krankenhaus und dessen unmittelbare Umgebung abgesucht hatten, hatte Kaiba Honda heim gefahren und war dann selbst nach Hause zurück gekehrt. Nachdem er sich geduscht und legere Kleidung angezogen hatte, legte er sich zu seinem Bruder ins Bett, zog diesen vorsichtig in seine Arme und drückte ihn sanft an sich. Mokuba brummte kurz, bevor er aufwachte.

"Hast du ihn gefunden?", fragte Mokuba verschlafen.

"Nein", antwortete Kaiba ehrlich.

"Das tut mir leid. Ich hab ihm eine Nachricht geschrieben, dass er zu uns kommen kann, aber er hat nicht geantwortet oder ist aufgetaucht", erzählte der Jüngere müde. Kaiba küsste ihn sanft auf das Haar.

"Gut mitgedacht", lobte der Ältere seinen Bruder.

"Wenn er sich nicht helfen lassen möchte, dann können wir das nicht ändern", ergänzte Mokuba traurig und Kaiba sah ihn an. Dafür, dass sein Bruder fünf Jahre jünger war, war er ganz schön weise. Er lächelte traurig, dann zog er Mokuba wieder an seine Brust und kraulte ihn sanft im Nacken. So schliefen sie schließlich erschöpft ein.
 

Die Nacht war kurz gewesen und trotzdem wirkte Kaiba frisch und fit. Jedenfalls für jene, die ihn nicht gut kannten. Seit er aufgestanden war, hatte er bereits vier Telefonate geführt und Leute auf die Suche nach Jonouchi angesetzt. Als Mokuba schließlich im Badezimmer fertig war und sie gefrühstückt hatten - wobei Kaiba kaum etwas zu sich genommen hatte, nicht mal seinen Kaffee - brachte er erst Mokuba zur Schule und versprach ihm Bescheid zu sagen, sobald er etwas Neues erfuhr.

Dann hatte Isono ihn zu seiner Schule gebracht. Er begehrte kurz auf, dass er doch nicht einfach seinen Alltag angehen konnte, solange Jonouchi verschwunden war, doch Isono hatte nur stoisch erwidert, dass er ihn informieren würde, sobald sich etwas Neues ergab. Für einen kurzen Augenblick fühlte sich Kaiba etwas veräppelt, hatte er doch eben genau das gleiche zu seinem jüngeren Bruder gesagt. Also war er ausgestiegen und hatte sich auf den Weg zur Klasse gemacht.

Auf diesem traf er Honda an den Spinden, an denen sie ihre Schuhe wechseln mussten, denn im Inneren des Schulgebäudes waren Straßenschuhe nicht erwünscht. Honda sah - höflich ausgedrückt - scheiße aus. Sie wechselten nur einen Blick miteinander und es wurde klar, dass keiner von ihnen etwas Neues zu berichten hatten. Also trennten sie sich wortlos und Kaiba ging Richtung Klassenzimmer.

Gerade als er das Zimmer betreten wollte blieb er abrupt stehen, als hätte ihn der Schlag getroffen. Honda, der wenige Meter hinter ihm ging, schloss auf und wollte schon fragen, was los sei, als er über Kaibas Schulter ins Klassenzimmer sah und Jonouchi erblickte. Er trug seine Schuluniform, saß auf seinem Platz und plauderte mit Yugi und Ryou.

Vorsichtig gab Honda Kaiba einen Stoß, so dass dieser einen Schritt nach vorne stolperte und Honda an ihm vorbei konnte.

"Jou?", kam es überrascht von Honda. Jonouchi blickte zu seinem besten Freund und grinste, wie ein Honigkuchenpferd.

"Überraschung", meinte der Blonde nur. "Bin gestern schon entlassen worden."

Noch während er log sah er Kaibas kritischen Blick und wusste sofort, dass dieser die Wahrheit kannte. Dennoch brach sein Grinsen nicht ab. Kaiba ging zu seinem Platz und ließ sich nichts weiter anmerken. Er nahm sein Smartphone und schrieb Isono und Mokuba eine Nachricht, damit sie wussten, dass die Suche vorbei war.
 

Die Glocke läutete zur Pause und Kaiba ging, wie gewöhnlich, auf das Dach. Er zog sein Lederetui hervor und entnahm eine Zigarette der Marke Red Apple. Gerade als er sie sich zwischen die Lippe klemmte und sein Feuerzeug zückte, um sie anzustecken, hörte er hinter sich die Tür. Doch davon ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen, zog einmal an dem Glimmstängel und steckte dann das Feuerzeug wieder in seine Hosentasche.

"Du weißt, dass dich das Zeug irgendwann umbringt, oder?", hörte er die erschöpfte Stimme des Blonden, der sich neben ihn gesellte.

"Dich doch auch", konterte er nur.

"Ich bin nur Gelegenheitsraucher", erwiderte Jonouchi.

"Ich auch", gab Kaiba zurück.

"Wirklich?", hakte Jonouchi skeptisch nach.

Kaiba sah kurz aus dem Augenwinkel zu dem Blonden und dieser schaute zurück. Es verging ein langer Moment.

"Wenn du es dir wünschen würdest, würde ich auf der Stelle damit aufhören und nie wieder anfangen", meinte Kaiba schließlich mit belegter Stimme. Jonouchis Miene blieb unverändert.

"Ja, ich würde es mir wünschen", meinte Jonouchi ruhig. Ohne Hast nahm Seto die Kippe aus dem Mund und drückte die Glut aus. Dann zog er sein Lederetui, steckte die angerauchte Zigarette wieder hinein, schloss es und warf es über den Sicherheitszaun. Dem Etui folgte das Feuerzeug. Jonouchi sah ihn ehrlich überrascht an, denn er hätte nicht gedacht, dass Kaiba es ernst meinen würde.

"Wo warst du heute Nacht?", fragte Kaiba ihn schließlich.

"Ich hab da ein Plätzchen", meinte Jonouchi nur schwammig.

"Warum bist du nicht zu mir gekommen?", hakte Kaiba vorsichtig nach.

"Wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen", war die simple Antwort des Blonden.

"Schwierigkeiten?", kam es verwirrt von dem Jungunternehmer.

"Meine Mutter weiß, dass du mir dein Gästezimmer angeboten hast. Wenn das Krankenhaus sie informiert hätte, dann wäre sie doch zuerst bei dir aufgeschlagen und hätte mich gezwungen, mit ihr zu gehen und hättest du dich ihr in den Weg gestellt, dann ... hätte sie dir Schwierigkeiten machen können", erklärte der Blonde leise. "Du magst ja mittlerweile 18 sein, aber ich werde es erst im neuen Jahr."

"Ich kann dir helfen", meinte Kaiba nach einem langen Augenblick der Stille.

"So?", kam es skeptisch von Jonouchi.

"Wir könnten für die paar Wochen eine vorläufige Mündigkeit beantragen", meinte Kaiba. Überrascht blickte Jonouchi nun Kaiba an. Dann lächelte er bitter.

"Hab kein Geld für einen Anwalt, der das erwirken kann", wiegelte er wieder ab.

"Geld soll nicht das Problem sein, Jonouchi", meinte Kaiba sanft. Jonouchi musterte ihn.
 

Als die Schulglocke zum Abschluss klingelte räumten die Schüler und Schülerinnen ihre Sachen in die Tasche und strebten dann zu den Spinden, in denen ihre Straßenschuhe und Jacken hingen. Kaiba folgte der Clique, was nicht unbemerkt blieb.

"Wir haben einen Stalker", meinte Otogi spottend. Jonouchi wandte sich etwas um und sah was der Schwarzhaarige meinte.

"Er ist kein Stalker", wandte der Blonde ein. "Er ist ein Freund."

Überrascht blickten Yugi, Ryou und Otogi den Blonden an, Honda schmunzelte nur. Für ihn war das keine Neuigkeit.

"Ach echt?", kam es zweifelnd von Ryou.

"Jap, echt", bekräftigte Jonouchi. "Auf ihn kann man sich verlassen."

Kaiba wusste nicht wieso, aber sein Herz machte einen Hüpfer. Natürlich wirkte er nach außen unverändert und hätte man es ihm doch angesehen, hätte er es nie zugegeben. Aber tatsächlich bedeutete es ihm eine Menge, dass Jonouchi ihn einen Freund nannte.

Als sie ihre Straßenschuhe endlich an hatten, sie in ihre Jacken und Mäntel geschlüpft waren und ihre Schulschuhe in den Spinden verstaut hatten verließen sie das Schulgebäude. Just in dem Moment, in dem sie ins Freie traten, wurde Jonouchi mulmig zumute. Es war nichts greifbares, was ihm auf den Magen schlug, nur eine Art Vorahnung. Und als sie sich zum Schultor wandten, wusste er auf Anhieb, dass es nichts Gutes bedeuten konnte, dass vor dem Schultor seine Mutter, Hondas Mutter und eine weitere, streng gekleidete Frau standen.

Er wollte auf dem Absatz kehrt machen, doch hinter ihm ging Kaiba, der seine Hände auf Jonouchis Schulter legte.

"Bleib ruhig", meinte er nur sanft zu Jonouchi, der ihn verwirrt ansah. Honda trat neben Jonouchi und griff nach seiner Hand des gesunden Armes.

"Alles wird gut", versprach er seinem besten Freund.

Die anderen der Clique sahen nicht verstehend zu ihnen. Jonouchis Herz schlug bis zum Hals und als er sich an die letzten beiden Treffen mit seiner Mutter erinnerte wurde ihm schlecht. Bei dem ersten hatte sie ihn vor seiner Schwester geoutet, beim zweiten vor Hondas Mutter. Zum Glück hatten sich die beiden als nicht so intolerant wie seine eigene Mutter erwiesen. Doch wie würden Yugi, Ryou und Otogi reagieren, wenn sie erfahren würden, dass er schwul war. Das wollte er nicht rausfinden und so versuchte er sich loszureißen. Doch Kaiba und Honda hielten ihn weiterhin auf.

"Hab doch Vertrauen", bat Kaiba ihn und etwas, was Jonouchi noch nicht deuten konnte, schwang in seiner Stimme mit. Langsam wandte Kaiba ihn wieder in Richtung des Tores und schob ihn vorsichtig vorwärts. Jonouchi hätte sich am liebsten übergeben, doch er hatte nichts im Magen, was er hätte hochwürgen können.

"Jonouchi Katsuya", fragte die ihm fremde Frau, als sie das Schulgelände endlich verließen und Jonouchi war klar, dass sie von der Fürsorge kam. Er presste seine Lippen fest aufeinander und kämpfte gegen die Tränen an.

"Ja, das ist er", meinte seine Mutter in einem unerbittlichen Tonfall. Hondas Mutter kam zu ihm und strich ihm eine verlorene Haarsträhne hinter das Ohr, bevor sie sich neben ihn stellte und einen Arm um ihn legte. Die fürsorgliche Art der Mutter seines besten Freundes tat gut.

"Mein Name ist Sagisawa Mitsuko. Ich arbeite für die Fürsorge. Wir haben erfahren, dass Ihre gegenwärtige Unterbringung bei ihrem Vater nicht ausreichend gesichert ist und er Ihnen eine gewisse Grundversorgung vorenthält", begann die fremde Frau. Jonouchis Wangen röteten sich vor Verlegenheit. Es mochte die Wahrheit sein, aber deswegen musste sie es doch nicht vor seinen Freunden hinaus posaunen.

"Ich komme klar", versuchte er mit unsicherer Stimme die Frau abzuwimmeln.

"Ich fürchte, dass entspricht nicht den Tatsachen", meinte die Angestellte der Stadt. "Würden Sie uns bitte begleiten, dann reden wir in aller Ruhe darüber."

Der Fluchtimpuls wurde wieder stärker. Giftig sah er seine Mutter an. Warum machte sie sein Leben noch komplizierter, als es ohnehin schon war.

"Wo... wozu der ganze Aufwand. In ein paar Wochen werde ich 18", versuchte sich Jonouchi dem ganzen Thema zu entziehen.

"Jonouchi, es wird alles gut, ich versprech es dir", meinte Frau Honda in einem ruhigen Tonfall und wie immer, konnte er sich gegen die liebevolle Art dieser Frau nicht erwehren. Also ließ er sich von ihr mitziehen und folgte der Frau von der Fürsorge und seiner Mutter in ein nahes Cafe.
 

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Offenbarung

Es war schon spät, als Kaibas Smartphone sich meldete. Es war eine automatisierte Nachricht, dass der Aufzug sich gerade in Richtung seines Penthouses in Bewegung gesetzt hatte. Also stand er von seinem Schreibtisch auf und verließ sein Heimbüro. Als er vor dem Aufzug ankam, erreichte dieser gerade das Stockwerk. Langsam glitten die Türen zur Seite und gaben den Blick auf Jonouchi frei. Ein Lächeln umspielte Kaibas Mundwinkel.

"Willkommen", begrüßte er den Blonden, der aus dem Aufzug stieg. Sein Blick war zum Boden gerichtet. Doch Kaiba fiel auf, dass Jonouchi endlich einen gescheiten Parka trug und auch die Jeans schien neu zu sein.

"Frau Honda hat jetzt die Vormundschaft für mich übernommen", meinte Jonouchi leise.

"Das klingt doch gut", erwiderte Kaiba, der eine einladende Geste Richtung Wohnzimmer machte. Doch Jonouchi rührte sich nicht von der Stelle.

"Sie und ihr Mann haben mir das alte Zimmer von Hondas Schwester gegeben und mir ein paar Klamotten gekauft", erzählte der Blonde leise weiter. Immer noch war sein Blick zu Boden gerichtet.

"Ist das schlecht?", fragte Kaiba verwirrt nach.

"Es ist sehr großzügig", antwortete Jonouchi.

"Aber?", hakte der Jungunternehmer nach. Er befand, dass Jonouchis Verhalten nicht wirklich zu den Nachrichten passte, die er ihm gerade erzählte.

"Kein aber. Sie verlangen keine Gegenleistung. Tatsächlich geben sie mir sogar Taschengeld", kam es mit brüchiger Stimme von Jonouchi.

"Aber du wirkst nicht gerade so, als würdest du dich freuen", merkte Kaiba behutsam an.

"Es ... es gab nur eine Person, die ... die wusste, womit ich mich über Wasser gehalten habe", setzte Jonouchi an und sofort wusste Kaiba, worum es ging. Betroffen senkte er seinen Kopf und kratzte sich am Hinterkopf. Eine dicke Träne kullerte über die Wange des Blonden. "Du hast mir versprochen, dass du es niemanden sagen würdest."

"Ich hab es niemanden gesagt", erwiderte Kaiba und wusste, dass seine Argumentation faktisch richtig, aber tatsächlich falsch war. "Honda ... ist von alleine darauf gekommen."

"Nachdem du mit ihm vor dieser Scheißgasse geparkt und Andeutungen fallen gelassen hast", kam es jetzt etwas energischer von dem Blonden.

"Wir haben dich gesucht und ich habe befürchtet, dass du anschaffen würdest", gestand Kaiba ehrlich. "Ich bin Honda einfach nicht losgeworden."

"Ich ... ich hab dir vertraut", flüsterte Jonouchi kaum hörbar.

"Hat er dich darauf angesprochen?", fragte Kaiba. Jonouchi nickte. Weitere Tränen kullerten ihm über das Gesicht. Der Anblick zerriss Kaiba fast. "Und ... was hat er gesagt?"

"Das er froh ist, dass ich nie wieder etwas tun muss, dass ich nicht will", wisperte der Blonde.

"Sonst nichts?", hakte Kaiba interessiert weiter nach. Jonouchi schüttelte den Kopf.

"Aber, ... ist das nicht gut? Er weiß es und hat dich nicht weggestoßen oder schätzt dich geringer", wandte Kaiba hoffnungsvoll ein.

"Das ... das konntest du nicht wissen. Was, wenn er es seiner Mutter oder meinen Freunden erzählt hätte? Was wenn meine Schwester davon erfahren hätte?", zischte Jonouchi verzweifelt.

"Aber das hat er nicht. Und sie wird es erst erfahren, wenn du denkst, es ihr erzählen zu können", versuchte Kaiba zu argumentieren.

Auf einmal konnte sich Jonouchi nicht länger beherrschen und schluchzte laut auf. Er schlug sich die unverletzte Hand vor das Gesicht. Jetzt konnte auch Kaiba sich nicht länger bändigen. Er überwand, was sie trennte und zog Jonouchi in eine Umarmung.
 

Kaiba stellte eine Tasse frischen Tee vor Jonouchi auf den Tresen, bevor er sich neben ihn setzte. Jonouchi starrte in seine Tasse und gelegentlich tropfte eine Träne von seinem Gesicht in das Heißgetränk.

"Es tut mir aufrichtig leid, Jonouchi", kam es schließlich von Kaiba.

"Schon gut", erwiderte der Blonde mit rauer Stimme.

"Nein, ist es nicht", widersprach der etwas Ältere. "Ich hab die Konsequenzen nicht bedacht. Aber ich war mir sicher, dass Honda ein aufrichtiger und echter Freund ist."

"Ich sagte doch: Schon gut", wiederholte Jonouchi. Tatsächlich war er auf dem Weg hier her so enttäuscht und wütend auf Kaiba gewesen, doch jetzt war davon nichts mehr übrig. Wahrscheinlich hatte diese Info Honda veranlasst seine Mutter erst auf die Idee mit der Vormundschaft zu bringen. Jedenfalls wollte Jonouchi das glauben. Dann wäre Kaibas Verrat kein wirklicher Verrat gewesen und seine Gefühle würden nicht so stark im Widerspruch zueinander stehen.

"Ich bin in dich verliebt", kam es kaum hörbar von Jonouchi und Kaiba blickte ihn überrascht an. Damit hatte er jetzt nicht gerechnet. "Schon seit dem ersten Tag in der Oberschule."

"Warum ... erzählst du mir das?", fragte Kaiba vorsichtig.

"Weiß nicht", kam es ehrlich von Jonouchi. "Weil ich wenigstens eines meiner Geheimnisse selbst offenbaren wollte?"

Mit verweinten Augen hob er endlich seinen Blick zu Kaiba und sah etwas, was er nicht erwartet hätte: Kaiba lächelte ihn glücklich an. Es brauchte einen langen Moment, bevor es bei dem Blonden Klick machte.

"Du ... bist in mich verliebt?", kam es unsicher von ihm.

"Seit dem ersten Tag in der Oberschule", gestand Kaiba immer noch breit lächelnd.

"Deshalb wolltest du mir helfen", erkannte der Blonde schließlich. "Das ... waren keine Almosen. Du wolltest mir helfen, weil du etwas für mich empfindest."

"Es tut mir leid, dass ich nicht den Mut hatte, es dir zu sagen", meinte Kaiba aufrichtig, während sein Lächeln verblasste. "Ich hatte befürchtet, dich mit einem Liebesgeständnis zu verschrecken."

"Hättest du vermutlich auch", gestand Jonouchi und blickte wieder auf seinen Tee. Er hob die Tasse an und nahm endlich einen Schluck. Der Tee schmeckte herrlich und die Wärme tat ihm echt gut.

"Und jetzt?", fragte Kaiba vorsichtig.

"Jetzt?", kam es verwirrt von dem Blonden.

"Wenn ... ich dich um ein Date bitten würde, würde dich das verschrecken?", hakte er mit etwas Unsicherheit in der Stimme nach.

"Du ... bist immer noch an mir interessiert?", fragte Jonouchi geschockt.

"Warum nicht?", erwiderte Kaiba verwirrt.

"Weil du all diese Dinge über mich weißt", kam es schamhaft von Jonouchi.

"Dennoch bist du immer noch du. Daran hat sich nichts geändert", meinte Kaiba und seine Stimme war wieder sanft geworden, so wie auf dem Schuldach am Mittag. Jonouchi schien einen langen Moment darüber nachzudenken, dann sah er zu Kaiba auf.

"Nein, es würde mich jetzt nicht verschrecken", kam es plötzlich von dem Blonden. Das ließ Kaiba wieder lächeln.

"Jonouchi?", haucht er ihm entgegen.

"Ja?", fragte der Blonde.

"Darf ich dich küssen?", fragte Kaiba gerade so laut, dass Jonouchi ihn verstehen konnte.

"Wenn du das willst", kam es ebenso leise von Jonouchi.

"Nein ... nur wenn du es willst", erwiderte der Brünette ruhig und strich seinem Schwarm mit dem Daumen sanft über die Wange, während die restlichen Finger der Hand um das Ohr fassten und in den Haaransatz glitten.

"Ich würde mich sehr freuen, wenn du mich küssen würdest", meinte Jonouchi schließlich. Kaiba beugte sich langsam vor, bis sich ihre Lippen fast berührten. Ihr Blickkontakt war so intensiv und er konnte in Jonouchis Blick die Angst ablesen, dass er ihn jetzt auflaufen lassen würde.

"Ich liebe dich, Katsuya", wisperte Kaiba, bevor er seine Lippen auf die des Blonden legte, der zaghaft den Kuss erwiderte und vor Glück erneut Tränen vergoss.
 


 

~ Owari

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Kommentare zu dieser Fanfic (141)
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Von:  Kaleel
2022-03-15T13:40:51+00:00 15.03.2022 14:40
Mir gefällt, daß die Geschichte eher im Sinne der japanischen Kultur geschrieben ist, die sich von unseren Sitten und Gebräuchen unterscheidet. Auch, daß Du die japanischen Namen benutzt und es eben wichtig ist, sich mit dem Nachnamen anzusprechen - selbst die besten Kumpels - weil der Vorname doch sehr persönlich ist. :) Allerdings erreicht man die Volljährigkeit in Japan mit zwanzig Jahren.
Etwas zwiespältig bin ich immer was die Prostitution angeht und damit eingehende Vergewaltigungen, aber es gab genug Hinweise und Warnungen und wenn ich die Geschichte nicht hätte lesen wollen, dann würde ich hier jetzt nicht schreiben. ^^ Zumal es ja nun zu der Geschichte gehört, Joeys Situation und sein Leiden erklärt. Ebenso die Gewalt - und da wird gerade auch im Manga ja nicht mit gespart.
Die Geschichte hat mich gefesselt und das Ende gefällt mir besonders. :)

Danke für die Geschichte in eine andere Welt. ^__^

Antwort von:  MAC01
15.03.2022 17:41
Hallo Kaleel,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

ich liebe die japanische Kultur und das Land. Ich versuche mich da sehr an der Realität zu halten, was nicht immer klappt. Die Umbenennung von Charakteren lehne ich grundsätzlich ab, vor allem, wenn sie nicht konsequent umgesetzt wird. Da haben die Amis Jonouchi umbenannt, damit die Kids sich mehr mit ihm identifizieren können, aber Yugi, Seto und Ryou... bei denen ist der japanische Name schon okay? Aber meine Geschichten basieren auch nicht auf dem Anime, sondern auf dem Manga und da haben wir in Deutschland ja Glück, dass in diesem die japanischen Namen genutzt werden.

Es freut mich, dass dich die Geschichte gefesselt hat und dir das Ende besonders gefallen hat :-)

Bis zur nächsten Geschichte :3
Von:  empress_sissi
2020-12-25T13:47:12+00:00 25.12.2020 14:47
Ende gut alles gut ❤️
Ich habe jeden Tag mitgefiebert und bin auch total begeistert von der Geschichte 🤩

Dankeschön für die tolle Zeit mit den Adventskalender(n).
Antwort von:  MAC01
25.12.2020 14:54
Hallöchen empress_sissi,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

*sich verbeugt* Es war mir ein Vergnügen euch diesen Adventskalender präsentieren zu dürfen und ich freu mich, dass du jeden Tag mitgefiebert und mich hin und wieder mit einem Kommentar belohnt hast :)

Bis zur nächsten FF oder zum nächsten Kapitel von Ippo :3
Von:  Evi1990
2020-12-25T12:15:53+00:00 25.12.2020 13:15
Hach was für ein wunderbares Ende 😍😍😍 ich mochte die Story unheimlich gern, vielen lieben Dank dafür 🥰🥰🥰 dir und deiner Familie wunderbare Weihnachten 🎄 🎄 🎄 und komm gut ins neue Jahr ❤
Antwort von:  MAC01
25.12.2020 13:20
Hey Evi1990,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Es freut mich sehr, dass dir das Ende gefallen hat und du die Story mochtest :) Ich wünsche dir und deiner Familie ebenfalls wunderbare Feiertage und kommt gut und gesund ins neue Jahr.

Bis zur nächsten FF oder dem nächsten Ippo-Kapitel :3
Von:  solty004
2020-12-25T11:36:55+00:00 25.12.2020 12:36
Bei,
ein Kommentar privat die Story und lautet bin totall begeistert. Ich hab mich jeden Tag auf neues Türchen gefreut um es zu kessen da so gefesselt war von der Geschichte,

LG solty
Antwort von:  MAC01
25.12.2020 13:12
Hey solty004,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Es freut mich sehr, dass dir die Story gefallen hat und du dich jeden Tag auf ein weiteres Türchen gefreut hast :)

Bis zur nächsten FF oder dem nächsten Kapitel von Ippo :3
Antwort von:  solty004
25.12.2020 13:16
😍😘☺
Von:  CharlieBlade1901
2020-12-25T09:12:19+00:00 25.12.2020 10:12
Das waren 25 Tage die ich mit Adventskalendern verbracht habe. Und es war mega. Du bist ein geborener Drama Autor.
Ich hatte Tränen in den Augen. So schöne Momente wo ich mir dachte, wow was ein Talent. Mach weiter so.
Antwort von:  MAC01
25.12.2020 10:14
Guten Morgen CharlieBlade1901,

vielen lieben Dank für deinen Kommi und dem wahnsinnigen Lob :3

*tiefverbeugen* Ich danke dir für das Lesen meines Adventskalender und jeden einzelnen Kommi, den du mir im Gegenzug geschenkt hast. Es freut mich, wenn mein Geschreibsel dich emotional berührt hat und du sogar Tränchen in den Augen hattest :)

Bis zur nächsten FF oder dem nächsten Kapitel bei Ippo :3
Von:  Alistor
2020-12-25T08:55:23+00:00 25.12.2020 09:55
Awwww wie schön <3
Ich bin so froh. Das ist ein gutes Ende und es hat einfach gepasst.
Hatte Tränen der Rührung in den Augen.

Vielen lieben Dank, für eure Mühe, uns so schöne Tage der Spannung und des Mitfieberns zu schenken.
25 Geschenke, jeden Tag. Wir wurden mehr als reich beschenkt. Und das gleich doppelt von eurer anderen Story.
Ich wünsche euch beiden eine wundervolle Zeit, voller Licht und Liebe
Bleibt gesund und schreibt weiter so schön.
Und ja, wenn ich was zu bemängeln habe, werde ich mich nicht scheuen, es dir zu schreiben. Nur so kann man sich verbessern.

Liebe Grüße

Alistor
Antwort von:  MAC01
25.12.2020 10:08
Guten Morgen Alistor,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

*sich tief verbeugen* Ich freue mich, dass ich mit meiner Story dir jeden Tag ein Geschenk machen konnte :) Danke für deine täglichen Kommis.

Du weißt ja sicherlich als treue Leserin das nach dem Adventskalender vor dem Adventskalender ist und nächstes Jahr der nächste auf euch warten wird :D

Bis zur nächsten FF oder dem nächsten Kapitel bei Ippo :3
Von:  Neko20
2020-12-25T06:40:35+00:00 25.12.2020 07:40
Schön, dass sich die beiden aussprechen konnten und sich ihre Gefühle gestanden haben.
Das Hondas Mutter die Vormundschaft für Katsuya bekommen hat. Eine sehr gute Lösung.
Ein sehr schöner Abschluss der Kuss.
Du hast uns dieses Jahr mit dem Adventskalender in eine sehr düstere Welt entführt. Es war spannend bis zum Schluss und man konnte richtig mitfiebern. Gut das es zum Schluss gut ausgegangen ist.
Arigato gozaimasu, dass du uns mit diesem Adventskalender die Zeit so versüßt hast!
Ich freue mich schon, wieder von dir zu lesen.
Wünsche dir einen schönen Tag.
LG Neko20
Antwort von:  MAC01
25.12.2020 07:54
Guten Morgen Neko20,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

*sich tief verbeugen* Es ist mir immer wieder eine Ehre euch zu unterhalten :) Ich danke dir für das Lesen und dem fleißigen Kommentieren, sowie die ein oder andere Mutmaßung, die du mir per ENS zukommen gelassen hast :D

Bis zur nächsten FF oder dem nächsten Kapitel bei Ippo :3
Von:  -Pharao-Atemu-
2020-12-25T00:19:25+00:00 25.12.2020 01:19
*schmacht
Sie haben sich ausgesprochen
*freu
Antwort von:  MAC01
25.12.2020 01:21
Schönen guten Abend -Pharao-Atemu-,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Ja, sie haben sich ausgesprochen :) Ich möchte dir für deine Treue und jeden deiner Kommentare danken :)

Bis zur nächsten FF oder dem nächsten Kapitel bei Ippo :3
Von:  Neko20
2020-12-24T06:00:52+00:00 24.12.2020 07:00
Ich bin erleichtert, dass Katsuya wieder aufgetaucht ist.
Das Gespräch auf dem Dach war super. Hier merkt man, wie viel die beiden einander bedeuten!
Hat es mit einem Gespräch auf dem Dach nicht auch angefangen, dass Seto ihm offenbart hat, dass er Bescheid weiß und sich Sorgen macht?
Es ist gut das Hondas Mutter bei diesem Gespräch mit der Fürsorge auch dabei ist. Hoffentlich wird eine gute Lösung für Katsuya gefunden, gibt ja zwei Möglichkeiten die für ihn gut wären.
Freue mich riesig, dass es morgen noch ein Türchen gibt!
Bin sehr gespannt wie es weitergeht und freue mich auf das nächste Türchen!
Wünsche dir frohe Weihnachten und einen schönen Tag.
LG Neko20
Antwort von:  MAC01
24.12.2020 07:08
Guten Morgen Neko20,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Ja, es hat auf dem Dach angefangen, dass hast du noch gut im Kopf :) Hm... welche zwei Möglichkeiten wären das denn? Magst du mir das per ENS verraten? Wäre schon sehr gespannt, welche zwei Optionen du siehst :)

Bis zum letzten Türchen :3
Von:  Alistor
2020-12-23T23:40:36+00:00 24.12.2020 00:40
Oh du machst es aber auch spannend
Finde ich super, dass noch ein Kapitel kommt
Antwort von:  MAC01
24.12.2020 00:42
Hey Alistor,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Freut mich, dass du es gut findest, dass noch ein Kapi kommen wird und du es weiterhin spannend findest :)

Bis zum letzten Türchen :3


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