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Whatever butters your Pancakes

manchmal bin ich im Krieg mit mir
von

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Wir wohnen jetzt hier!

Tja ... wo fange ich bloß an? Am besten gehe ich chronologisch vor, oder? Also fange ich mit meinem ersten Besuch bei einer Psychologin an. Wir schreiben das Jahr 1993 ... es muss Frühling oder Sommer gewesen sein, es war jedenfalls warm draußen. Kein Schnee, viel Sonne. Die Psychologin hat eine Identitätsstörung diagnostiziert. Damals war ich zarte drei Jahre alt und mein Leben hat bereits angefangen den Bach runter zu gehen. Naja, eigentlich gings von Anfang an nur bergab, ich muss auf einem hohen Berg geboren worden sein weil ich immer nur falle. So rein metaphorisch gesprochen. Vielleicht kann ich Berge deswegen nicht leiden.

Aber gut, du fragst dich bestimmt wie eine dreijährige zu einer Identitätsstörung kommt? Relativ einfach erklärt. Meine Mutter ist Französin und kennt sich mit Deutsch nicht besonders gut aus. Man versteht was sie meint, also so als erwachsener. Meine Mutter hat immer gesagt ich wäre zwei Personen weil ich zwei Staatsangehörigkeiten habe. Damals hat man bei der Geburt nämlich die Staatsangehörigkeiten beider Eltern bekommen und mein Papa ist Deutscher. Juristisch hat meine Mutter tatsächlich Recht, ich gelte durch meine doppelte Staatsangehörigkeit als zwei Personen. Meine Mutter bekommt auch Rente für zwei Kinder. Also insgesamt das Geld dass man für ein Kind bekommt weil ich Einzelkind bin, aber sie bekommt die Hälfte aus Frankreich für ein französisches Kind und die Hälfte aus Deutschland für ein deutsches Kind. Das versteht meine Mutter aber nicht. Und ich hab das mit meinen drei Jahren auch nicht verstanden. Ich hab für mich den Schluss gezogen dass ich zwei Persönlichkeiten brauche wenn ich zwei Personen bin. Da ist mein Biest entstanden. Ich war zu zweit. Das war aber irgendwie nicht in Ordnung, deswegen wurde ich zu einer Frau gebracht mit der ich dann gespielt habe. Damals habe ich auch mein bis heute Lieblingsbuch kennen gelernt, das kleine Ich bin Ich. Ich hab auch ein Ich bin Ich genäht ... keine Ahnung warum ich damals begabter war im nähen als heute, aber ich hab das Ding immer noch in meinem Bett liegen.

Ich weiß gar nicht mehr so genau was ich alles mit der Frau besprochen habe, aber sie hat mir viele Fragen zu meinen Eltern gestellt - die ich damals schon nicht unbedingt gut leiden konnte. Mein Papa war schließlich nie Zuhause, der ist zur Arbeit gefahren während ich geschlafen habe und kam nach Hause als ich wieder geschlafen habe. Und meine Mutter war von Anfang an mein Feind. Wir haben viel gestritten. Weil ich nichts richtig machen konnte und dann hat ihr mein Biest Sorgen gemacht, also war ich bei einer Psychologin. Nette Frau, glaub ich. Keine Ahnung, ist lange her. Sie hat mir nicht geholfen das Biest wieder los zu werden, also habe ich aufgehört über mein Biest zu reden und siehe da ... es gab kein Problem mehr. Für mein Umfeld jedenfalls nicht mehr. Mein Biest ist geblieben. Sie wurde meine Beschützerin und Beraterin. Ich bin also zu zweit seit ich drei Jahre alt war. Ich weiß nicht mehr wann genau, aber irgendwann damals ist sie irgendwie entstanden. Ich hatte schon immer eine blühende Phantasie.
 

Mit vier ist dann was passiert was ich hier nicht weiter ausbreiten möchte. Es fällt mir allgemein schwer darüber zu reden, ich schaffs nicht mal das Thema mit meiner aktuellen Psychologin anzusprechen, und auch im Freundeskreis wissen glaub ich etwa drei Personen davon. Das hat auch in so einem Text nichts weiter zu suchen, es ist passiert. Viele meiner Ängste und Störungen haben diesen Vorfall als Ursprung. So viel weiß ich mittlerweile, ich kann nur nicht rein grätschen um da irgendwas auszubremsen. Aber ich glaube dass auch mein Borderline damals entstanden ist. Jedenfalls wäre das der Zeitpunkt wenn ich einen fest pinnen müsste. Da hats irgendwie angefangen.

Ich kanns nicht haben wenn mir jemand zu nah kommt weil ich Angst vor so einem Übergriff habe. Auch wenn ich die Person schon lange kenne und ihm sehr vertraue, ich komm auf Nähe nicht besonders gut klar. Auch nur bei Männern, mit Frauen geht das ohne Probleme. Mit Behinderten komm ich auch nicht klar, was mir sehr Leid tut weil die nichts für ihren Zustand können ... es hat auch nichts mit der Person an sich zu tun, mehr damit dass ich mit meinen Flashbacks konfrontiert bin und noch keine Lösung dafür habe. Also vermeide ich diesen Trigger. Es sei mir bitte verziehen, ich hab einen wirklich guten Grund dafür und kann leider nicht drüber reden. Es tut mir Leid.

Allerdings habe ich damals durch diesen Vorfall eben noch eine Mitbewohnerin in meinem Dickschädel erhalten. Darf ich vorstellen...? Mein Kiddo. Ich bin leider sehr unkreativ mit Namen, deswegen wohnen bei mir eben mein Biest und mein Kiddo. Bisher hat sich aber auch kein passender Name für die beiden heraus kristallisiert und die beiden haben kein Problem damit, ich nenn sie immerhin seit gut zwanzig Jahren so. Beziehungsweise registriere ich mein Kiddo erst seit der Therapie so richtig ... ich hab immer noch keinen blassen Dunst wie ich mich um sie kümmern soll, sie weint viel und ich bin sehr überfordert mit ihr. Biest hat da irgendwie ein besseres Händchen für, aus welchen Gründen auch immer. Naja, mich hat sie ja auch immer gut beschützt und beraten, darin hat sie Übung.
 

Unsere Wohngemeinschaft ist ein bisschen komplizierter zu erklären. Das ganze ist übrigens keine offizielle Diagnose, so richtig habe ich die beiden noch bei keinem Therapeuten angesprochen weil es irgendwie keinen großartigen Grund dafür gibt. Mittlerweile macht jedenfalls das Biest kaum noch Probleme. Die beiden kommen sowieso nicht an die Oberfläche, wahrscheinlich sind sie irgendwas zwischen Psychose und Dissoziative Identitäts Störung, sprich Multiple Persönlichkeits Störung. Kennen lernen kann die beiden außer mir aber niemand. Ich switche nicht. Ich bin immer ich. Ich habe eben ... Beifahrer. Stark vereinfacht gesagt. Zwei sehr nervige Beifahrer. Die mein Leben kommentieren. Jeden Gedanken. Man kann sich das wie ein Haus vorstellen in dem wir zusammen wohnen. Jeder hat sein Zimmer. Es gibt eine Küche, einen Gemeinschaftsraum und einen Garten. Spontan ist das auch sehr flexibel anpassbar und nicht immer ist jeder Raum am selben Ort. Also die Zimmer können durchaus auch den Standort wechseln. Ich weiß nicht wie ich das erklären soll, manches muss man eben erlebt haben um es zu verstehen.

Ich mache jetzt seit gut sieben Jahren Therapie (Stand 2020) und lerne mit den beiden unfreiwilligen Mitbewohnern umzugehen, was absolut nicht einfach ist. Durch den Vorfall kann ich nämlich echt nicht mit Kindern umgehen. Auch hier liegt das nicht am Kind selbst, sondern daran dass ich direkt mit meinen Ängsten, Flashbacks und verdrängten Erinnerungen konfrontiert bin. Das blockiert mich. Ich versuche höflich und freundlich Kindern gegenüber zu sein und der kleine Bruder meiner besten Freundin ist auch eher selten tatsächlich problematisch. Allerdings ist der mit seinen zwölf Jahren auch genauso groß wie ich und da schaltet mein Hirn auf der ist in meinem Alter. Keine Ahnung warum, aber Alter hängt für mein Hirn offenbar von der Körpergröße ab. Allerdings auch nicht immer weil groß ist nicht gleich alt.
 

Ich bin mir ehrlich nicht sicher ob ich mein Borderline auch als Mitbewohner ansehen soll, aber irgendwie wohnt es eben auch bei mir. Zusätzlich haben wir noch alte Freunde die uns besuchen kommen. Suizidalität und Depression kommen immer mal wieder zu besuch und bleiben dann eine Weile. Mal länger, mal nicht so lange. So ein richtiger Teil von mir sind die beiden nämlich nicht, im Gegensatz zu Borderline, dem Biest und dem Kiddo.
 

Ich denke ich habe hiermit den Rahmen für die nächsten Kapitel gesetzt, du wirst das Biest und das Kiddo kennen lernen und erfahren wie ich die beiden erlebe. Ich möchte hier noch anfügen dass das wahrscheinlich ein bisschen übertrieben von mir dargestellt wird, aber im großen und ganzen erlebe ich das so wie ich es schreibe. Ich weiß noch nicht wie die einzelnen Kapitel aussehen werden, aber ich werde mir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Probleme und Situationen aus dem Alltag heraus suchen in denen mindestens eine der beiden aktiv war. Vielleicht wird das ganze ja unterhaltsam, vielleicht kann noch jemand was daraus lernen, vielleicht denkst du dir aber einfach fecking hell, zum Glück hab ich den Mist nicht! Alles völlig okay, jeder nimmt für sich mit was er oder sie möchte. Ich schreib den Mist nur, was du daraus machst ist dir überlassen! Ich finde den Ansatz das als Fanfic zu basteln ziemlich interessant und gucke einfach mal was draus wird :`D

Das Ding mit dem Dude

Ich habe ein Meeting einberufen. Alle anwesenden haben sich im Gemeinschaftsraum einzufinden. Als ich diesen betrete fällt mir direkt etwas auf. Ich habe es von Außen schon gespürt, seit der Therapie bin ich viel feinfühliger für das was im Innen vor sich geht und registriere viel schneller wenn wir wieder vor einer Krise stehen. Leider kann ich eher selten wirklich vorher etwas unternehmen, mein Handlungsspielraum beschränkt sich im wesentlichen darauf dass ich mich wieder runter skillen kann und einen strategischen Blick dafür entwickelt habe welche Baustelle wir als nächstes in Angriff nehmen können. Ich bin therapeutisch so weit dass ich mir gedacht habe ich könnte es ja mal wieder mit Dating versuchen, jetzt wo es da so einen Kerl gibt der anscheinend auch an mir Interesse hat ... ich konnte ja nicht ahnen was das mit meinem Haushalt anstellt...
 

Als ich die Tür zum Gemeinschaftsraum öffne ist das Bild ... irgendwie vertraut. Ich habe ja bereits erwartet dass der Haushalt in Aufrur ist und den aktuellen Zustand irgendwie nicht so gut verkraftet. Borderline ist es nicht gewohnt jemanden in unserer Nähe zu haben, das Biest ist mistrauisch weil uns zu oft in den Rücken gefallen wurde und das Kiddo ... heult. Ich kann verstehen warum, der Vorfall nimmt uns alle immer noch mit, auch wenn ich mich nicht mehr richtig erinnern kann weil mir das Biest die Erinnerungen quasi abgenommen hat. Ich weiß dass es schlimm war, dass es uns verstört hat und dass es uns zwei neue Mitbewohner eingebrockt hat. Ich bin nicht sicher ob ich mehr darüber wissen möchte, ich möchte viel lieber die Ängste die daraus resultieren los werden. Aber dafür muss ich mich mit dem Vorfall befassen und dafür bin ich noch nicht bereit. Aber der ist auch nicht das Thema heute. Naja ... vielleicht ein bisschen. Immerhin kommt uns gerade ein Kerl gefährlich nahe und das geht auch irgendwie alle etwas an.

Ich setze mich an den Tisch. "Alle da?" Keiner beachtet die Flammen die den Raum einnehmen. Natürlich brennt der Gemeinschaftsraum. Und wenn ich raten müsste hat Borderline ihn angezündet. Wahrscheinlich ist Borderline sehr nervös wegen dem neuen Kerl. Wir sind positive Emotionen allgemein nicht gewohnt und wissen alle nicht wie es sich anfühlt geliebt zu werden. Während der Therapie habe ich auch begriffen dass ich meinen Ex nie geliebt habe, das war mehr eine Form von Abhängigkeit weil ich nicht wusste wie ich an ihn ran gekommen bin und er etwas für mich über gehabt zu haben schien. Kompliziert, vielleicht greife ich das später mal auf ... heute geht es um den neuen Kerl.

Das Biest und Borderline nicken. Das Kiddo heult ... wie üblich. So ganz werde ich mich an diese Lärmquelle nie gewöhnen können, ich wäre schon froh wenn sie irgendetwas anderes tun würde. Mir fallen auch zwei Besucher auf. Ah, Suizidalität und Depression sind also auch da. Die werden immer von meinen Ängsten angelockt und nisten sich dann hier ein. Es ist schwer die beiden wieder los zu werden, die fühlen sich hier ein bisschen zu wohl. Ich seufze. Was solls, jetzt wo die beiden schon mal hier sind, können wir auch gemeinsam besprechen wie wir weiter vor gehen. Die Flammen stören hier niemanden wirklich, es ist ein gewohnter Anblick. Hier kann keiner wirklich sterben, niemand verbrennt, das ist dann wohl der Segen des Schädelinnenraums schätze ich.

"Warum hast du den Gemeinschaftsraum angezündet?" Frage ich Borderline und versuche dabei möglichst nicht wertend oder urteilend zu klingen. Auch das habe ich in meinem Klinikaufenthalt gelernt. Grundsätzlich finde ich das ziemlich gut, passt zu meiner Einstellung möglichst Vorurteilsfrei durchs Leben zu gehen. Borderline und das Biest kriegen das noch nicht so richtig hin, aber ich habe immerhin die Oberhand hier. Ich bin der Boss. Borderline zupft nervös an ihren Fingern. Das fluffige, lila Monster dass einem Gengar ähnelt wendet den Blick von mir ab. Sie kann mir nicht in die Augen sehen wenn ich sie anspreche, was ich verstehen kann. Der neue Kerl sagt immer wieder ich gucke laut, soll heißen ich habe einen bestimmten Blick drauf der andere irgendwie abstößt oder böse wirkt, keine Ahnung. Resting Bitchface nenn ich das. "I-ich war nervös!"

"Wegen dem Dude?" Borderline nickt abgehakt, das Biest rollt genervt mit den Augen. "Wie oft musst du eigentlich noch aufs Fressbrett knallen bis du lernst dass wir allein besser dran sind?!" Sie wirkt mehr als genervt, ein bisschen aggressiv. Ich wende mich dem Biest zu. "Wir haben da so eine Angst vor dem allein sein, erinnerst du dich? Ich würde das gern in Angriff nehmen, lässt sich super mit der Angst vor Nähe kombinieren. Außerdem ist er gar nicht so übel, ist n anständiger Kerl." Biest sieht mich skeptisch an. "Sagt wer?" fragt sie gegen. "Sage ich. Und meine Cousine und die Waifu. Zugegeben, grade ist er nicht gerade rücksichtsvoll, aber das wird auch seine Gründe haben und ich bin sicher dass er sich erklärt wenn er so weit ist." Das Biest lacht bitter auf und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, verschränkt die Arme unter der Brust und blitzt mir mit einem angriffslustigen Blick entgegen. "Weil wir bisher auch so viele Kerle kennen gelernt haben die sich erklärt haben. Sachma, lebst du hinterm Mond?!" Ich nicke. "Onni wohnt links hinterm Mond und ich rechts, haben wir als Kinder so beschlossen. Auch wenn Luni meint der Mond gehört ihm, wir wohnen da." Das Biest kann kaum anders als amüsiert den Kopf zu schütteln. "Du bist bescheuert."

"Ich weiß, wir haben Arztbriefe die das bestätigen."

Borderline kichert unsicher und sieht uns Hilfe suchend an. Ich seufze erneut und streiche mir mein Pony über den Kopf nach hinten um mich ebenfalls im Stuhl nach hinten zu lehnen und zu überlegen. "Wir können nicht jedes mal wenn sowas passiert das Haus abfackeln."

"Warum nicht?" fragt Borderline. Ich schätze, sie sieht den Flammen gerne zu. Ich muss zugeben dass das tatsächlich etwas therapeutisches hat. Ich verbrenne auch gern Dinge die ich nicht mag. Ich hab damals als das mit meinem Ex zu Ende war alles verbrannt was ich von ihm bekommen habe. Also alles bis auf die Bettwäsche und das Geschirr dass er mir geschenkt hat. Und die beiden Rosen die in der Küche hingen. Aber an die bin ich nicht ran gekommen, die hat Luni letztens abgehängt und dann hab ich sie verbrannt. Ich habe irgendwann aufgeschnappt dass Feuer die Seele rein wäscht, deswegen hat man damals Hexen verbrannt. Keine Ahnung wo meine Ambition zum Feuer her kommt, auch bei Pokémon habe ich eher einen Hang zu Feuer Pokémon. Glurak wird immer meine große Liebe sein, auch wenn ich in letzter Zeit bei Go eher zu Drachen tendiere. Zurück zum Thema.

"Irgendwie müssen wir mit der Situation umgehen."

"Wir könnten uns umbringen, das würde alle Probleme lösen." Suizidalität mischt sich ein und entlockt mir kaum mehr als ein müdes Augenrollen. Ich wische den Vorschlag vom Tisch. "Zur Kenntnis genommen, abgelehnt." Das Biest nickt mir zustimmend zu. Borderline scheint von der Idee angetan, aber unsicher zu sein ob wir so weit gehen sollten. "Vielleicht ist uns umbringen ein bisschen heftig." Ich hebe die Augenbrauen. Reflektiert Borderline da gerade...? "Wie wäre es mit einer Selbstverletzung? Das ist nicht ganz so heftig. Das hat auch früher schon funktioniert im Gegensatz zu den Suizidversuchen." Depression findet den Vorschlag super. Irgendwie. Es ist schwer sie zu lesen, sie hängt viel mit Suizidalität zusammen und ist eher auf ihrer Seite. Es fiel mir Jahre lang schwer gegen die beiden anzukommen weil sie grundsätzlich im Team arbeiten. Verständlich wenn man erstmal verstanden hat dass Depression kein traurig sein sondern ein gar nichts fühlen ist. Bedeutungslosigkeit. Und wenn alles bedeutungslos ist, kann man sich auch gleich aus dem Spiel nehmen. Logisch dass die beiden sich gut verstehen, beide sehnen sich nach dem Ende. Aber das ist nicht mein Ziel. Ich will auch dass die schlechten Zeiten enden, aber ich bin nicht bereit zu gehen. Grundsätzlich finde ich dass die beiden und Borderline in meiner Jugend zu viel Macht hatten, deswegen habe ich sie ihnen während der Therapie abgenommen. Jetzt bin ich wieder am langen Hebel. Gut, manchmal funkt mir Biest dazwischen, aber grundsätzlich fälle ich die Entscheidungen.

Ich seufze erneut schwer auf Borderlines Vorschlag. "Abgelehnt."

"Aber ... damit könnten wir ihn dazu bringen uns zu schreiben. Wenn er merkt wie schlecht es uns ohne ihn geht verlässt er uns nicht und Verlassensangst gibt wieder Ruhe!" Ich sehe sie einen Moment lang an, sie wirkt ein bisschen panisch. So unwohl sie sich auch mit ihm fühlt weil sie Nähe nicht gewohnt ist und er dieses süchtig machende, positive Gefühl in uns auslöst... so sehr scheint sie auch an ihm zu hängen. Wie üblich ist Borderline in beiden Extremen, gleichzeitig. "Ganz mieser Plan. Das könnte ihn abschrecken." mischt sich Biest wieder ein. "Fifty-Fifty Chance dass er bei uns bleibt." grätscht Borderline wieder rein, worauf ich den Kopf schüttel. "Ich hab ihm gesagt dass wir therapiert sind, außerdem wäre das höchst manipulativ. Ich will dass wenn er bleibt, er wegen uns bleibt. Nicht weil wir ihn dazu manipuliert haben." Borderline ist still und sieht auf ihre fluffigen Knie, zupft erneut an ihren Fingern herum. Biest sieht mich skeptisch an. "Du kennst dich am besten, glaubst du ernsthaft jemand bleibt wegen dieser Katastrophe oder kann dem irgendwas gutes abgewinnen?" Ich sehe sie ein bisschen eingeschüchtert an. Früher hätte ich ihr einfach Recht gegeben, hätte klein bei gegeben und hätte mich aus dem Leben des Kerls zurück gezogen. Wer will schon sowas wie mich? Aber ... ich habe auch ein neues Zimmer eingerichtet weil wir schon wieder einen Mitbewohner bekommen. Ich habe schwer dafür gearbeitet dass er einzieht. Ich habe über die letzten Jahre in der Therapie das Fundament gelegt damit er sich hier wohl fühlen kann und nicht direkt von Biest, Borderline, Suizidalität und Depression wieder abgeschreckt wird. Ich freue mich darauf wenn Selbstwert endlich richtig einzieht und für immer bleibt. Ich möchte in Zukunft mehr mit ihm zusammen arbeiten, auch wenn mich Biest immer gut beschützt hat und mich auf Unstimmigkeiten aufmerksam gemacht hat, ich finde, wir brauchen Selbstwert.

"Wir machen jetzt seit verdammten sieben Jahren Therapie."

"Du machst seit verdammten sieben Jahren Therapie." Hakt Biest ein.

"Ja ... ihr wollt ja nicht mitarbeiten. Obwohl es uns allgemein jetzt deutlich besser geht."

"Du hast uns raus geworfen!" beschwert sich Depression. Worauf ich einhake. "Ihr seid freiwillig gegangen, an euch habe ich gar nicht gearbeitet. Ich habe versucht Borderline besser kennen zu lernen damit ich verstehen kann was sie braucht. Ihr wart auf einmal weg." Depression und Suizidalität sehen mich etwas irritiert an. Die beiden wissen ganz genau dass ich Recht habe! Und überhaupt sind die beiden sowieso nur Folgeerkrankungen von Borderline! Bei mir jedenfalls. Borderline lächelt leicht. Sie freut sich dass ich angefangen habe mich um sie zu kümmern, das hat nicht nur mein Leiden abgeschwächt, auch sie scheint jetzt ruhiger zu sein. Sie muss nicht mehr ständig auf sich aufmerksam machen weil es irgendein Problem gibt. Die Alarmanlage geht nicht mehr alle paar Minuten los, es brennt nicht mehr gleich das ganze Haus. "Zurück zu Luni, was machen wir? Er schreibt nicht mehr, sieht für mich danach aus als hätte er die Schnauze voll von uns." lenkt Biest dezent genervt die Aufmerksamkeit wieder auf das eigentliche Thema. Wir verlieren viel zu schnell den Faden. Ich nicke. "Ich bin unsicher ob ich ihm seinen Freiraum lassen soll, das könnte bedeuten dass er tatsächlich das Interesse verliert und wir ihn nie wieder sehen. Dabei kam er echt gut damit klar dass ich nicht allein in meinem Kopf bin und Therapie mache." seufze ich. Es tut schon weh nichts mehr von ihm zu hören, drei Tage jetzt. Aber ich bin auch nicht mehr sicher ob ich ihn nicht doch falsch verstanden habe. Vielleicht habe ich ja wirklich nichts verbockt. "Aber wir brauchen auch ab und an unseren Freiraum ..." meldet sich Borderline mit ihrem unsicheren Stimmchen. Biest und ich nicken. Biest atmet hörbar und genervt aus. "Gut ... ich seh schon, los lassen können wir immer noch nicht. Solltest du dir auf die Liste setzen. Vorerst ... warten wir ab. Ein paar Tage bekommt der Kerl noch, vielleicht auch zwei Wochen, mal sehen wie schnell wir die beiden Pestvögel diesmal los werden."

"HEY!" Depression und Suizidalität beschweren sich lautstark, offensichtlich hat Biest die beiden gemeint, was mir ein Schmunzeln auf die Lippen legt als ich nicke. "Gut ... wir warten ab. Vielleicht erledigt sich das Problem auch von allein und wir-"

"Du."

"... ich habe mich zu sehr in was rein gesteigert was gar nicht ist. Mal wieder. Und in ein paar Tagen sehen wir dann weiter. Unter Umständen kriegen wirs ja auch hin in Go mit ihm Glücksfreunde zu werden, das würde ihn zu einem Treffen zwingen ... darauf warten wir schon länger, wir haben ein paar Viecher zum tauschen."

"Klingt nach einem Plan. Vielleicht kriegst dus dann auch hin ihn fest zu nageln." meint Biest amüsiert. Bestimmt, das hat ja in der Vergangenheit schon immer so hervorragend geklappt. Nicht. Ich bin nicht der Typ um zu sagen dass mir etwas nicht passt wenn das für mein Gegenüber unbequem ist. Auch deswegen hoffe ich dass Selbstwert bald so weit ist hier mit zu mischen, der wäre eine klasse Unterstützung dabei für mich einzustehen. Ein Verbündeter. Bei Kleinigkeiten kann er mir jetzt schon helfen, aber das hier wird wahrscheinlich noch eine Nummer zu groß für ihn sein. Leider. Ich könnte ihn jetzt wirklich brauchen, wir leiden nämlich gerade ziemlich. Hoffentlich ohne Grund, ich will einfach in dieser Situation jetzt nicht Recht haben. Ich wills nicht schon wieder verbockt haben.

"Wir sollten das nicht so einfach aufgeben." Biest und Borderline nicken. Er ist so ein Typ der Borderline den Wind direkt aus den Segeln nimmt, ihr gar keinen Grund liefert auf sich aufmerksam machen zu müssen. Und dadurch wie er mit Borderline umgeht, kriegt er auch mit Biest keine Probleme. Außerdem hat er mir versprochen mit mit dem Kiddo zu helfen. Apropo Kiddo ... ist mir gerade erst aufgefallen aber das Knacken der Flammen um uns herum übertönt gar nicht das Geheule. Es hat einfach aufgehört? Auch Biest, Borderline, Depression und Suizidalität sehen überrascht zum Kiddo. Sie lächelt nicht, aber sie heult auch nicht mehr? "Schätze damit können wir das Meeting beenden für heute. Löscht jemand das Feuer?" frage ich weil ich in der Außenwelt erwartet werde... von meinen beiden Katzen.

Borderline sieht mich traurig an. "Das Feuer beruhigt mich!" ... gut, in Anbetracht der Umstände werde ich es wohl noch ein bisschen verkraften können wenn der Gemeinschaftsraum brennt. "Tee?" Fragt Depression, steht auf und setzt Wasser zum kochen auf. "Gern." antwortet Suizidalität. Die beiden bleiben wohl auch noch eine Weile. Mein Stichwort wieder an die Oberfläche zu gehen ... das Problem ist zwar nicht geklärt, aber ich habe jetzt eine ungefähre Strategie. Auch wenn das bedeutet dass ich wieder nur aushalten kann und versuche mir immer wieder vor Augen zu führen dass er gesagt hat es liegt nicht an mir ... er ist nicht sauer auf mich, ich habe nichts verbockt....

Depression

Ich weiß nicht ganz genau wann Depression bei mir eingezogen ist. Irgendwann war sie einfach da. Und kurz darauf kam auch ihre beste Freundin Suizidalität ins Haus. Ich habe die beiden allerdings erst mit ungefähr zwölf identifizieren können und habe dabei festgestellt dass es nicht normal ist solche Mitbewohner zu haben. Dass sich nicht jedes Kind damit außeinandersetzen muss so sehr in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, dass man sterben möchte. Dass nicht jedes Kind so heftige und so viele Traumata hinter sich hat dass der Wunsch zu sterben überhaupt erst geboren wird. Diese Erkenntnis war ein harter Schlag ins Gesicht. Sie hat nicht nur mich, sondern auch Borderline stark verunsichert und durcheinander gebracht. Das Biest hat an diesem Punkt schon seit etwa vier Jahren um unser Überleben gekämpft, was keine von uns verstehen konnte. Irgendwie hat nichts wirklich eine Bedeutung, wir können nichts richtig machen, sind für nichts und niemanden gut genug, zu viele Erwartungen, zu viel Druck ... und doch passiert eigentlich gar nichts. Und wenn etwas passiert, können wir das nur schwer aushalten. Keine Ahnung warum man sich das weiter antun möchte, ich habe mich mehr mit Depression und Suizidalität verbunden gefühlt. Vielleicht sollte ich auch noch erwähnen dass Borderline zwar schon bei mir wohnt seit ich vier bin, ich sie aber erst mit dreiundzwanzig wirklich identifiziert habe. Beziehungsweise bin ich mit dreiundzwanzig zum Psychiater, weil Depression und Suizidalität zu schwer geworden sind und der Herr Doktor hat dabei Borderline diagnostiziert.
 

Tatsächlich fällt es einfacher mit etwas umzugehen wenn man einen Namen dafür hat. Damit werde ich heutzutage sehr oft misverstanden weil viele glauben dass ich mich hinter meinen Diagnosen verstecke. Aber das ist nicht der Grund warum ich so daran festhalte. In mir ist so unfassbar viel los, so viel Chaos, Reihenfolgen sind nicht so wirklich unser Ding, alles überfordert mich weil ich in einer ständigen Reizüberflutung lebe. Mein Gehirn kann nicht richtig filtern. Ich weiß wer in meinem System wohnt, ich weiß nicht wer Feind und wer Freund ist, das kann sich ständig ändern. Aber wenn ich einen Namen für den Mitbewohner habe, kann ich eine Strategie zurecht legen wie ich mit diesem Mitbewohner umgehen kann. Dafür nutze ich meine Diagnosen. Mit den Diagnosen kann ich Symptome zuordnen und Skills zurecht legen, das ist mein System und es funktioniert. Wenn ich die Diagnosen weg lasse, habe ich kein System mehr und keine Ordnung. Ich weiß nicht mehr was zu welchem Mitbewohner gehört und welcher Skill gegen welches Symptom hilft. Deswegen ist die Zuordnung für mich wichtig. Ich bin kein Borderliner, ich habe Borderline. Ich bin nicht meine Depression, sie wohnt bei mir. Ich bin nicht suizidal, ich habe Suizidalität in meinem System. Diese Unterschiede, das differenzieren, ist für mich extrem wichtig um mein System am laufen zu halten. Ich verstecke mich nicht hinter meinen Diagnosen, ich lerne aus ihnen.
 

Meine Unterhaltungen mit Depression verlaufen immer gleich. Das Thema mag sich ändern, der Trigger ein anderer sein und die Situation völlig anders als die letzte ... aber die Gespräche haben immer denselben Kern. Es geht mir schlecht. Ich leide. Depression setzt sich zu mir und verspricht mir alles aushaltbarer zu machen. Gesunde Menschen besitzen eine emotionale Haut, eine Art Filter der Emotionen abschwächt und aushaltbar macht. Uns Borderlinern fehlt diese emotionale Haut. Ich habe letztens gelesen dass Borderline mit Verbrennungen dritten Grades verglichen wird, weil diese emotionale Haut fehlt. Wir haben keine Filter. Alles kommt ungefiltert durch und ist wahnsinnig intensiv. Ich weiß nicht wie Emotionen für gesunde Menschen sind, mein System ist krank und kann nicht filtern. Für mich ist alles immer irrsinnig intensiv, ich bin es gewohnt. Es war nie anders. Ich bin eben Hypersensibel, das muss so. Erschwerend zu den nicht vorhandenen Filtern kommt dazu dass ich ADS habe, was mich im Alltag eher weniger beeinträchtigt. Allerdings fällt es mir damit noch schwerer brauchbare Filter zu installieren. Kein großer Nachteil weil mein Hirn das sowieso nicht geregelt bekommt, aber eben ein erschwerender Faktor.

Der Punkt ist dass Depression diese viel zu intensiven Gefühle zwar tatsächlich abschwächen und aushaltbar machen kann, ihre Methode allerdings ist eher nicht hilfreich. Ohne meine Zustimmung übernimmt sie einfach was gerade tobt und dann ist da nichts mehr. Depression bedeutet nicht dass man immer nur traurig ist und ständig heulen möchte. Depression bedeutet vor allem nichts zu fühlen. Sich bewusst zu sein dass nichts von Dauer ist, weil die Depression irgendwann wieder übernimmt und dann ist da nichts mehr. Das mag für Depressive schon schlimm sein, was heißt mag, es ist für alle depressiven tatsächlich die Hölle auf Erden, ich will das auf keinen Fall runter spielen! Aber ... wenn man sein Leben lang in völliger Reizüberflutung weil alles viel zu intensiv ist verbringt, und dann ist da plötzlich gar nichts ... das ist ein anderer Kreis der Hölle. Und irgendwie zeichnet das Borderline aus, dieses Gefühl der inneren Leere weil da plötzlich nichts mehr ist. Es ist schrecklich, es treibt uns in den Wahnsinn. Wir wissen nicht wie wir damit umgehen müssen und ich für meinen Teil gehe nach ein paar Stunden nichts fühlen schon die Wände hoch. Die meisten Borderliner reagieren auf nichts fühlen mit Selbstverletzung, um überhaupt wieder irgendetwas zu spüren. Wenn der emotionale Schmerz fehlt, greift man eben auf den körperlichen zurück. Und da fangen meine Probleme auch irgendwie an außer Kontrolle zu geraten. Wenn Depression erstmal alles übernommen hat und nichts übrig lässt, ist das im ersten Moment tatsächlich erleichternd. Dieses unfassbare Gefühl wenn der emotionale Schmerz erstmal weg ist. Ich bin ihr dankbar dass ich wieder durchatmen kann. Und dann wird alles in die Bedeutungslosigkeit gezogen weil ich nichts mehr fühle. Nichts hat mehr einen Sinn. Warum bin ich noch hier wenn alles so sinnlos ist? Wo führt uns unser Weg hin? Wir werden sowieso nichts erreichen ... und das öffnet Suizidalität die Tür. Wenn nichts eine Bedeutung hat, dann können wir schließlich auch einfach gehen, oder...?
 

An diesem Punkt wird es sehr schwer wieder auszusteigen, weil Depression und Suizidalität eng zusammen arbeiten und sehr überzeugend sein können. Borderline findet es zu krass uns umzubringen, sie ist eher in der Abteilung Selbstverletzung. Das bringt immerhin auch unsere Gefühle zurück und ist nicht ganz so endgültig. Ich habe Angst vor Schmerzen. Der Tod macht mir keine Angst, irgendwann holt er jeden einzelnen von uns. Der Gedanke warum ich noch abwarten soll schleicht sich ein. Selbstverletzung macht für mich keinen Sinn. Ich kann mich auch mental völlig abwerten ohne die Hülle zu verletzen. Damit mache ich niemandem Sorgen und ziehe niemanden in meine persönliche Hölle. Umbringen dagegen löst tatsächlich alle meine Probleme, weil die dann einfach nicht mehr existieren.

Wieder heult mein Kind. Ich kanns verstehen, ich wollte auch nicht dass das hier aus uns wird, es ist eben passiert, das hat sich meiner Kontrolle entzogen. Ich meide dennoch den Kontakt zu ihr weil ich mit ihr nicht umgehen kann. Sie triggert mich. Sehr hart.

Wenn ich mich von der Außenwelt zu sehr abkapsel, dann kommt auch von Außen kein Impuls der uns aus diesem Loch raus holt und ich verbringe Tage mit Depression und Suizidalität. Ich weiß dass mir das nicht gut tut, aber ich fühle mich wie gelähmt und kann das Zimmer nicht verlassen. Eigentlich haben die beiden ja Recht, wir arbeiten jetzt seit 2013 daran dass es uns besser geht und es wird wenn überhaupt nur für ein paar Tage oder im Bestfall ein paar Wochen gut und erträglich. Und dann geht wieder alles den Bach runter. Warum tu ich mir das noch an? Was erhoffe ich mir vom Leben dass ich weiter kämpfe? Liegt wahrscheinlich daran dass ich nichts anderes kann. Ich bin auf dem Schlachtfeld aufgewachsen, kämpfen kann ich. Frieden kann ich nicht. Ich fühle mich unwohl und komisch wenns zu lange harmonisch bleibt und kein neues Problem auftaucht. Ich bin irgendwie für den Kampf geboren, sobald der aufhört... habe ich keinen Grund mehr zu existieren. Und jetzt wo meine Eltern nach Ungarn ausgewandert sind, habe ich keine regelmäßigen Kämpfe mehr. Niemand sonst steht mir nah genug dass ich ihn wegen seiner Attitüde so sehr hassen könnte wie ich meine Mutter gehasst habe. Mittlerweile habe ich sogar Verständnis für meine Mutter. Ich kann sie immer noch nicht über längere Zeit aushalten, ertragen ... der Hass kommt immer wieder an die Oberfläche, aber ich kann jetzt besser damit umgehen. Ich habe keinen Grund mehr zu existieren ...
 

Und wenn es ihr zu viel wird, kommt das Biest und Bitch slappt mich zurück in die Realität. Weil ich angefangen habe zu depersonalisieren, zu derealisieren. Mich aus der Realität zurück gezogen habe, mich abgekapselt habe, Kontakte abgebrochen habe und nur noch allein in meinem Elend sitze. Das Biest zieht mich aus den Fängen von Depression und Suizidalität und setzt mich zurück auf Null. Ihre Methoden sind nicht die besten, aber sie funktionieren. Sobald ich meine emotionale Ebene wieder spüren kann, kann ich mich wieder booten und versuchen rational an die Sache ran zu gehen. So klar man sich nämlich fühlt wenn die ganzen überfordernden Emotionen abgeschaltet sind, so gelogen ist dieser Eindruck. Der Verstand allein kann nicht die Antwort sein. Das ist nicht menschlich. Im Leben geht es darum eine Balance zu finden, zwischen allem. Freizeit und Arbeit ist wohl das bekannteste. Das wichtigste - meiner Ansicht nach - ist allerdings Herz und Verstand. Wir können nicht einfach nur unserem Herzen folgen und den Verstand abschalten weil uns das irgendwann in den Tod treibt. Das Herz ist blind. Es sieht die Gefahren nicht früh genug, es kann nicht vorhersehen.

Aber auch wenn wir unsere Gefühle abschalten und nur dem Verstand folgen wird uns das in den Tod treiben. Ich merke das an meiner Depression. Wenn die Gefühle weg sind, ist alles bedeutungslos. Warum dann noch hier bleiben? Nur wenn Herz und Verstand zusammen arbeiten kann man tatsächlich gut durch kommen. Ich habe mich meine gesamte Kindheit und Jugendzeit auf meinen Verstand verlassen weil ich mit meinem Herz nicht umgehen konnte. Seit ich Borderline kennen gelernt habe, habe ich auch gelernt mit meinen Gefühlen umzugehen. In dem Punkt ist Borderline wahrscheinlich ein Segen. Man kennt die Vorurteile, die Stigmata... Borderline Partner sind die Hölle auf Erden weil sie höchst manipulativ sind. Stimmt auch wenn sie nicht therapiert sind. Wenn sie nicht selbstreflektiert sind. Ein reflektierter Borderliner wird zu dem was du dir dein ganzes, verdammtes Leben gewünscht hast... das versuche ich zu erreichen. Die beste Version von mir selbst.
 

Grade ist allerdings wieder Besuch da, Depression und Suizidalität machen es sich bequem, bis ich eine Methode gefunden habe sie raus zu werfen...

Mauern und die Fassade

Wenn man psychisch krank ist, errichtet man Mauern damit die Außenwelt nicht sieht wie kaputt man ist. Ich bin keine Ausnahme. Ich habe das ganze noch ein bisschen weiter getrieben, weil auch körperliche Krankheiten für mich ein Zeichen von Schwäche sind. Ich will umsorgt werden, aber ich will nicht zeigen dass es mir nicht gut geht. Ein simpler Schnupfen führt schon zu teilweisen Kontaktabbrüchen, bevor jemand merkt dass ich gerade nicht auf der Höhe bin. Geschweige denn dass jemand meine beiden destruktiven Mitbewohner im Kopf kennen lernt. Mittlerweile gehe ich mit meiner psychischen Erkrankung sehr offen um, jeder in meinem näheren Umfeld weiß dass ich Borderline, Depression und Suizidalität habe. Niemand weiß genau wie mich die drei beeinflussen, aber bis zu einem gewissen Grad hat jeder die drei schon kennen gelernt der mir nahe steht. Borderline ist manchmal schwer zu verstecken, wer die Symptome kennt, erkennt sie auf anhieb. Depression und Suizidalität sind schwerer zu erkennen, weil ich zum Großteil schlechte Witze über die beiden mache. Ich habe kein Problem dass andere von den dreien wissen, ich habe ein Problem wenn man weiß wie stark sie mich beeinflussen. Deswegen habe ich Mauern. Eine ganze Menge davon sogar. Und es gibt nur eine Hand voll Menschen die durch diese Mauern durch können. Man muss sich das wie Türen in der Mauer vorstellen. Je nach Freundschaftsgrad kommt man näher ans eigentliche Haus. In den Vorgarten kommen bislang genau drei Menschen. Naja ... zwei definitiv, beim dritten Kandidat ist das Türschloss noch nicht geöffnet, aber er hat schon seine Tür. Sie ist eben noch verschlossen. Die Tatsache dass es Türen in den Mauern gibt, stellt ein paar meiner Mitbewohner vor Probleme. Sie brauchen Zeit sich daran zu gewöhnen dass sie meine Außenwelt kennen lernen, dass meine Außenwelt von ihnen weiß. Das ist also auf beiden Seiten schwer. Auch für mich ist schwer dass da in den letzten Jahren immer wieder neue Türen dazu kommen. Manche davon musste ich schon wieder zu betonieren, was wieder Probleme mit dem Biest hervor gerufen hat. Wir suchen uns die Menschen die Türen bekommen sehr genau aus, aber manchmal liege ich auch daneben und vertraue zu schnell. Das Biest dagegen ist grundsätzlich gegen jede Tür. Immer.
 

Als ich mir heute die Mauern ansehe weil man die immer mal wieder überprüfen sollte ob sie noch am richtigen Ort stehen oder nötig sind, fallen mir ein paar Dinge auf. An manchen Stellen gibt es Risse. Es stellt sich also die Frage ob man an dieser Stelle einreisst, eine neue Tür baut, neu verputzt oder ob man noch abwartet ob sich das Problem von allein regelt. Ich weiß nie direkt ob ich diese Mauer noch brauche, oder ob das eine von denen ist die woanders hin gehören. Am Anfang der Therapie hatte ich Unmengen an Mauern, meine Grenzen, die der Gesellschaft, die meiner Eltern und allen anderen in meinem Umfeld. Ich konnte mich vor lauter Mauern kaum bewegen. Als ich das erste mal stationär war habe ich einfach alle eingerissen und war mit dem ganzen freien Platz der plötzlich da war, völlig ohne Grenzen und Richtlinien, ziemlich überfordert. Das Biest, Borderline und ich haben dann zusammen neue Mauern gebaut, an den Stellen wo wir sie für sinnvoll erachtet haben. Vor der Therapie hatte ich die Ansicht dass Grenzen sich nicht verschieben, dass sie für immer an der Stelle bleiben wo sie sind. Aber ich habe gelernt dass sich Grenzen sehr wohl verschieben lassen. Man muss sich immer wieder Gedanken darüber machen ob diese Grenze jetzt noch einen Sinn macht weil sich das Umfeld ändert, die Situation, der Wissensstand und die eigene emotionale Ebene. Manchmal macht eine Mauer oder Grenze an diesem einen Punkt Sinn, und dann lernt man etwas neues und stellt fest dass die jetzt gar keinen Sinn mehr macht. Dann muss man sich überlegen ob man sie komplett einreisst oder woanders hin schiebt wo sie mehr Sinn macht. Am Anfang meiner Therapie war ich ziemlich übermütig damit dass ich erstmal alles komplett eingerissen habe. Ich habe mich und meine Mitbewohner damit schutzlos gemacht und das kam in unserer Wohngemeinschaft gar nicht gut an. Mittlerweile beobachten wir erstmal unsere emotionale Ebene bevor wir entscheiden was wir mit der entscheidenden Mauer jetzt machen. Und weil es wieder ein Mauerwald werden würde wenn wir je nach Mensch Mauern bauen und Grenzen setzen, und das schnell unübersichtlich wird und uns selbst einengt, haben wir beschlossen dass wir Türen für bestimmte Menschen einbauen. So kann jeder so weit vordringen wie er darf, ohne dass neue Risse in den Mauern entstehen und wir ständig darüber nachdenken müssen was wir jetzt mit der Mauer machen.
 

"Du lässt schon wieder jemanden durch?" Biest klingt angepisst. Ich reize sie eigentlich nicht gern weil ich weiß dass auch sie in die Extreme fallen kann und das kommt ganz allgemein nicht gut an. Ich kann zwar mit Frieden und Harmonie nicht umgehen, aber ich bin auch kein Freund von Streit oder unnötiger Gewalt. Weder gegen mich, noch gegen andere. Ich nicke ihr also zu. Ihr sind die neuen Türen natürlich aufgefallen. Das Biest rollt genervt mit den Augen. "Damit wir wieder ein Messer in den Rücken bekommen." Ich schnaube amüsiert. "Du nutzt dieses Messer doch bloß wieder um demjenigen die Kehle durch zu schneiden." Das Biest schnaubt ebenfalls amüsiert. "Du hasts erfasst. Was soll man auch sonst damit?" Recht hat sie. Dennoch verstehe ich ihre Bedenken, uns wurde oft in den Rücken gefallen. Erst dieses Jahr von einer unserer engsten Vertrauten. Aber das haben wir wieder hinbekommen, ihre Türen waren nur für ein paar Wochen verschlossen, jetzt kann sie wieder durch wie sie will.

"Bist du dir echt sicher dass wir dieses Risiko eingehen sollten?" Fragt sie noch einmal nach. Ihr Ton ist bohrend, sie akzeptiert keine Ausflüchte und merkt wenn ich lüge. Ich belüge sowieso eher mich selbst als andere, was auch für meine Mitbewohner gilt. "Sicher bin ich mir nie. Aber ich denke dass ers wert ist." Tatsächlich keine Lüge. Ich bin ein verdammt unsicheres Wesen. Aber manchmal komm ich an diesen scheiß drauf Punkt und riskiere. Damit lege ich mich ziemlich oft aufs Fressbrett, aber manchmal lohnt sich diese Risikofreude auch. Das Biest hebt skeptisch eine Augenbraue. "Er weiß von euch, er will uns mit dem Kiddo helfen und ist n anständiger Kerl. Er respektiert unsere Grenzen, was willst du mehr?" Frage ich sie gegen. Sie seufzt und streicht sich die langen, weißen Haare über den Kopf nach hinten womit ihre Blut roten Augen frech aufblitzen. "Okay, ich seh schon dass du ihn verteidigst, hoffen wir einfach dass du diesmal nicht wieder so bescheuert bist und auf n Vollidioten reinfällst." Ich lächle unsicher. Das kann ich nicht versprechen, so wie er sich bisher mir gegenüber verhalten hat, ist er definitiv kein Vollidiot. Bescheuert bin ich zwar, aber ich fühle dass er ehrlich ist, auch wenn er sich ab und an ziemlich scheiße ausdrückt. Er ist anständig, um genau zu sein der erste Kerl dieser Sorte dem wir so begegnen. Klar dass das Biest skeptisch ist, ich bin es auch. Wir sind sowas einfach nicht gewohnt. Unsere Grenzen respektieren ... sehr konfuses Konzept. Muss man sich auch erstmal dran gewöhnen weil ich selbst eher dazu neige meine eigenen Grenzen zu ignorieren wenn es für den anderen unbequem ist für mich einzustehen.
 

"Wo wir grade bei den Mauern sind..." Das Biest setzt erneut an und ich sehe sie fragend an. "Die Fassade bröckelt auch. Das sollten wir uns ansehen." Ich nicke zustimmend. Meine Fassade war immer überlebenswichtig. Mauern zu errichten ist zwar an sich nicht schlecht, aber ab und an bricht ein Berserker mit einem verdammten Vorschlaghammer durch und steht plötzlich in unseren Vorgarten. Wenn der dann direkt unser wahres Haus zu sehen bekommt, ist das eher schlecht. Deswegen überstreichen wir die Fassade regelmäßig, bis zur Therapie immer an unsere derzeitige Bezugsperson angepasst. Die Bezugsperson darf schließlich durch alle Mauern durch und sieht unser Haus. Das soll ihm oder ihr ja dann auch gefallen. Man sagt ja immer dass Borderliner ihre Persönlichkeit völlig flexibel an ihre aktuelle Bezugsperson anpassen, was auch mit dem Verlust der eigenen Persönlichkeit einhergeht - halb so wild als Borderliner, man weiß ja sowieso nicht wer man eigentlich ist. Ich habe selbst schon so oft meine Fassade überstrichen dass die Farbe an der Außenwand eigentlich schon so dick wie die Außenwand selbst sein müsste. Ich hab mich auch schon so oft selbst verloren weil ich anderen gefallen wollte - und ich tue es immer noch ab und an. Beziehungsweise ich registriere mittlerweile wenn ich in dieses Verhaltensmuster falle und stecke den Pinsel wieder ein. Keine neue Fassadenfarben mehr.

Das Biest und ich stehen an der Hauswand und sehen prüfend über die ab blätternde Farbe. Ich strecke meine Hand ab, greife einen Fetzen und ziehe ihn von der Wand. Unter dem Weiß zeigt sich Schwarz. Auch das Schwarz blättert ab. Darunter finde ich Blau, darunter Grün ... es geht echt tief. Das Biest beobachtet mich skeptisch. "Welche Farbe nehmen wir diesmal?" fragt sie und ich überlege. Eigentlich ... möchte ich nicht noch einmal drüber streichen. Es wird Zeit zu meiner eigenen Persönlichkeit zu stehen... also, sobald ich die gefunden habe natürlich. Ich weiß nämlich immer noch nicht wer ich eigentlich bin. Was es irgendwie schwer macht darüber zu entscheiden was wir jetzt mit der Fassade machen. "Ich möchte nicht drüber streichen." Setze ich an, sehe das Biest aber nicht an. Ihren durchbohrenden Blick kann ich auch so auf mir spüren. "Und was machen wir dann? So kann das nicht bleiben, das bröckelt alles, da kommt die Vergangenheit durch." Sie hat Recht. Die Vergangenheit mag hier keiner, die tut weh, der gehen wir alle irgendwie aus dem Weg. "Ich weiß es nicht ..." Ich weiß wirklich nicht was wir damit jetzt machen sollen ...

Ein Klicken ertönt und das Biest reisst mich von den Füßen! Ich lande unsanft auf meinem Hintern und sehe überrumpelt zu ihr hoch, wie sie sich schützend vor mich stellt und ... dann anfängt zu schreien. "DU KANNST NICHT EINFACH MIT EINEM VERFICKTEN FLAMMENWERFER DAS GANZE HAUS ABFACKELN?!" ... die Flammen verschwinden, der Flammenwerfer wurde abgestellt und vor uns steht die eingeschüchterte Borderline. "S-sorry!" Ich seufze und ziehe mich am Biest wieder auf die Beine. "Ganz ruhig. Hilft keinem wenn wir jetzt ausrasten, ja?" Ich versuche zu deeskalieren, was eher selten klappt wenn man mit dem Biest und Borderline konfrontiert ist. Wobei Borderline mittlerweile sogar zuhört. Das Biest schnaubt aufgebracht. Ich hebe beschwichtigend die Hände. "Ich find die Idee mit dem Flammenwerfer eigentlich gar nicht so übel, aber ich glaube das ist hier der falsche Ansatz." Setze ich an. Wir verbrennen gerne die Vergangenheit. Symbolisch betrachtet. Feuer ist irgendwie unser Element. Borderline nickt schuldbewusst. "Entschuldige...."

"Ist okay. Aber zu dritt kriegen wir die alte Fassadenfarben schneller runter. Also wenn du schon mal da bist, kannst du auch mit anpacken. Bin gespannt was die ursprüngliche Farbe eigentlich war ... kommt mir vor als hätte ich die seit Jahren nicht gesehen." Scherze ich und mein Mundwinkel zuckt amüsiert hoch. Tatsächlich habe ich meine wahren Farben seit über fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen. Das letzte mal bevor das Biest eingezogen ist, ich weiß wirklich nicht was die Grundierung für all dieses überstreichen ist.
 

Widerwillig nickt das Biest, der Plan scheint der Beste zu sein. "Wenn wir die Grundierung sehen können wir besser entscheiden was wir machen." Borderline und ich nicken. Ich weiß dass weder das Biest noch Borderline damit einverstanden sein werden wenn wir einfach die Grundierung als Fassadenfarbe lassen, aber vielleicht lassen sich die beiden zu einem transparenten Schutzlack für die Farbe überreden. Es ist keine leichte Aufgabe die ganze alte Farbe vom Putz zu ziehen. Die letzten Jahre zeigen sich mit ihrer vergilbten Farbe, die Erinnerungen an verlorene Beziehungen, verlorene Bezugspersonen, Menschen die uns einmal wichtig waren. Aber ich habe auch die Hoffnung dass unsere Grundierung noch da ist. Und wenn sie es ist, ist sie hoffentlich schöner als dieser Farbenmischmasch. Ansehnlich und schreckt niemanden ab. Ich wünsche mir eine Farbe mit der wir alle leben können. Sowohl ich, meine Mitbewohner als auch mein nahes Umfeld. Ich kann nichts mit meinen Wurzeln anfangen und habe oft das Gefühl dass ich keine habe, aber ich habe eine Grundierung die ich gerne mal wieder sehen würde. Und immerhin arbeiten das Biest und Borderline mal zusammen, ist auch irgendwie etwas....

Das Ding mit der Liebe

"Weißt du was so richtig abgefuckt ist an dir?" Fragt mich das Biest als sie sich im Gemeinschaftsraum zu mir setzt. Ich sehe von meinem Erdbeer-Apfelsaft den ich in meinem fancy Glas trinke zu ihr. "Da gibts einiges, da musst du spezifischer werden." Antworte ich sarkastisch. Ich rede nicht gern über das was mit mir nicht stimmt, auch wenn ich ein gewisses Redebedürfnis habe. Ich weiß dass sowieso kaum jemand nachvollziehen kann was mit mir nicht stimmt weil man das erst selbst erleben muss. Und selbst dann kann man sowas kaum in Worte fassen. Eine Allgemeinlösung gibts auch nicht. Das Biest kichert. "Stimmt, aber ich meine deinen Blick auf die Liebe." Huh ... das gerade von ihr zu hören ist irgendwie komisch. Das Biest ist die Kriegerin die mich immer beschützt hat, man sieht ihr nicht an worüber sie sich den Kopf zerbricht, aber ausgerechnet Liebe ... das passt irgendwie nicht so richtig. Ich neige den Kopf etwas irritiert zur Seite. "Was stimmt damit nicht?" Ich bin nicht gerade romantisch, obwohl ich durch Borderline schnell über meine eigenen Grenzen gehe und dem Partner den Arsch nach trage. Freiwillig. Ich tu sowas gern wenn ich die entsprechenden Gefühle dafür habe. Ich tendiere dazu mich selbst völlig zu vergessen, zu vernachlässigen, beinahe als würde ich aufhören zu existieren. Liebe ist immer eine gefährliche Gratwanderung für mich, vor allem weil meine Gefühle eigentlich nie richtig erwiedert werden. Als Borderliner muss man sich einfach damit abfinden dass der Partner, so weit er kein Borderliner ist, nicht so intensiv fühlt wie man selbst. Er wird meine Gefühle niemals so erwiedern können wie ich meine fühle. Aber das ist okay. Denke ich.

Das Biest kichert erneut. "Denk mal nach, du trägst deinen hübschen Kopf nicht nur auf den Schultern damits nicht in den Hals regnet! Streng dich ein bisschen an!" ... manchmal habe ich schon den Eindruck dass das der einzige Grund ist dass ich einen Kopf habe. Von hübsch brauchen wir gar nicht anfangen, ich kann mein Gesicht erst seit ein paar Wochen tatsächlich im Spiegel ansehen ohne das Bedürfnis zu haben es mir vom Kopf zu reissen. Das Biest sieht mir an dass ich schon über das hübsch gestolpert bin und gerade keinen anderen Gedanken zusammen bringe. Sie lehnt sich mit den Unterarmen auf den Tisch und sieht mich durchdringend an. "Ich weiß ja dass du dich nie geliebt gefühlt hast, das ging schon bei deinen Eltern los." Ein harter Punkt auf den ich nur nicke. Ich habe tatsächlich keine Ahnung wie sich Liebe anfühlen sollte. Meine Eltern sehen das nicht, vor allem meine Mutter ist der Ansicht dass ich immer alles hatte, sie weiß nicht warum ich so kaputt im Kopf bin. Ich weiß es, ich sehe ihre Fehler, da bin ich ihr vorraus. Was auch ein bisschen therapeutischer Erfolg ist, früher habe ich nämlich nur meine eigenen Fehler gesehen. Mittlerweile kann ich auch die Fehler der anderen sehen und Situations bedingt auch feststellen ob ich tatsächlich Schuld bin oder ob mir mein kaputter Kopf das bloß wieder einreden will. Trotzdem tut es weh sowas zu hören. Auch wenn meine Eltern mich geliebt haben, sie hatten eine komische Art das zu zeigen. Mein Papa war nie da, viel arbeiten. Er ist zur Arbeit gefahren als ich noch geschlafen habe und kam nach Hause wenn ich wieder geschlafen habe. Ich habe ihn eigentlich nur im Urlaub gesehen weil er am Wochenende auch kaum Zeit mit mir verbracht hat. Versteh mich nicht falsch, ich habe viel von ihm gelernt. Ich war die einzige dreijährige im Kindergarten die wusste dass der Himmel blau ist weil Licht verschiedene Wellenlängen hat. Ich habe es damals nicht kapiert, aber ich wusste dass es mit Physik zu tun hat. Was auch immer Physik ist. Das versteht kein dreijähriges Kind. Einmal habe ich meinem Papa gesagt dass ich gern eine Sternschnuppe sehen möchte, also hat er eine Nacht raus gesucht in der es Sternschnuppen gibt und hat mich um zwei Uhr morgens in den Garten geschleift um mir Sternschnuppen zu zeigen. Er zeigt keine Emotionen, aber ihm muss irgendwas an mir liegen. Meine Mutter auf der anderen Seite ist blanke Willkür. Der Hauptgrund warum ich mit Willkür absolut gar nicht klar komme. Ich habe sowohl Daddy als auch Mommy Issues. Meine Psychologin sagt immer dass ich gar nicht lernen konnte wie man mit Emotionen richtig umgeht, weil meine Eltern das selbst nicht können. Es ist nicht meine Schuld, aber ich muss es ausbaden. Im Grunde ist das mit allem so.

"Soll ich das Gespräch jetzt allein führen?" Fragt mich das Biest und holt mich damit aus meinen Erinnerungen. Ich seufze und streiche eine verirrte Strähne hinters Ohr, nippe an meinem Erdbeer-Apfelsaft und lehne mich im Stuhl zurück. "Du hast es selbst gesagt, ich weiß gar nicht was Liebe ist." Das Biest rollt mit den Augen. "Du wirst dich dem stellen müssen, das Thema ist aktuell falls du in letzter Zeit mal einen Blick auf die emotionale Ebene gelegt hast." Wieder klingt sie genervt. Eigentlich klingt sie immer genervt. Ich kenne sie kaum anders, das ist eben ihre Art. "Ich weiß." Ich möchte eigentlich nicht darüber reden weil ich weiß dass ich mich damit einem ganz bestimmten Glaubenssatz stellen muss dem ich bisher mehr oder weniger gut aus dem Weg gegangen bin. Ich bin nicht liebenswert. Der führt so weit dass ich mich selbst aus dem Spiel nehme bevor überhaupt irgendwas passieren kann. Nur diesmal ist das irgendwie anders, was vermutlich am Kerl liegt, der ist nämlich auch anders als die Kerle die wir bisher toll fanden. Ich bin nicht konkurrenzfähig, sobald ich merke dass noch jemand Interesse an dem Kerl hat an dem ich Interesse habe, gebe ich auf weil jede andere besser für ihn ist. Wer tut sich mein Chaos schon freiwillig an? Wer befasst sich gern freiwillig mit meinen Problemen und Störungen? Und hört sich dann die ganzen Stigmata an die es über Borderline eben gibt. Borderline Partner sind schwierig, sie sind manipulativ und brauchen viel Aufmerksamkeit und wenn sie die nicht bekommen, schneiden sie sich und schreien dich an. In den letzten Jahren ist es ein bisschen einfacher geworden nach Hilfe zu googlen, wenn man die richtigen Begriffe kennt. Aber wenn man die Diagnose frisch bekommt und googlet ... bekommt man zu 98% Artikel im Sinne von so schlimm sind Borderliner! Das darfst du bei Borderlinern nicht machen! Borderliner manipulieren dich! ... wahrscheinlich geschrieben von Expartnern von untherapierten Borderlinern die keine Hilfe bekommen haben. Ein Grund warum ich angefangen habe Youtube Videos zu machen. Es gibt nur wenig von Borderlinern selbst zum Thema Borderline, eben wegen diesen ganzen, richtig üblen Stigmata. Wir sind schlimm, wir haben die Büchse der Pandora im Kopf und wenn man uns nicht hilft kommt alles raus. All das schlechte dass in uns lauert. Weil uns niemand beibringt wie wir damit umgehen sollen. Es ist unfassbar schwer an einen guten Psychologen zu kommen. Wir wurden in der Selbsthilfegruppe schon davor gewarnt dass wenn wir einen Psychologen suchen unsere Diagnose nicht erwähnen sollen weil sich sogar die Fachkräfte kaum an diese Krankheit trauen. Wir sind hoffnungslose Fälle, uns kann man nicht helfen, Borderline ist nicht heilbar. Fuck it, meine Psychologin ist mittlerweile der Ansicht dass ich die Diagnose heute nicht mehr bekommen würde weil meine Symptome nicht mehr schlimm genug dafür sind. Ich bin zu reflektiert. Ich bin dabei mich von einer unheilbaren Krankheit zu heilen.

Und ich kann ganz gut abschweifen und mich ablenken. "Bei anderen findest du das okay, du freust dich richtig für deine Freunde wenn die einen Partner finden, aber bei dir kannst du das irgendwie nicht akzeptieren." Unterbricht das Biest erneut meinen Gedankengang und zwingt mich damit sie wieder anzusehen. Irgendwie hat sie Recht. "Es fällt mir eben schwer, es ist das erste Mal dass ich damit konfrontiert bin dass ich jemandem auf dieser Ebene wichtig bin? Außerdem würde ich noch nicht von Liebe sprechen." Das Biest schnaubt amüsiert. "Weil er sich noch nicht sicher ist ob er deine Gefühle erwiedert? Damit du von Liebe reden kannst, reicht es wenn du das fühlst." Ich hebe skeptisch eine Augenbraue. Das ist der Punkt. Das Gefühl ist so neu dass ich keine Ahnung habe was es genau ist. Ich glaube dass ich ihn liebe? Who the fuck knows?! Ich bin nicht von ihm abhängig, ich bin immer noch ein eigenständiges Individuum. Ich habe immer noch mein eigenes Leben. Dennoch kreisen meine Gedanken immer wieder um ihn. Wie damals vor ein paar Wochen als er mir geschrieben hat dass ich ihm gut tue und ich vor Freude fast geheult habe und im Dreieck gesprungen bin. Unfassbares Hochgefühl, ungewohnt dass das keine Manie war, die haben wir nämlich auch. "Ich muss mich erst daran gewöhnen dass da jetzt jemand ist der mich irgendwie mag." Das Thema gefällt mir nicht. Ich denke nicht gern darüber nach. Ich habe früh gelernt die Klappe zu halten wenn ich keine Ahnung habe, und Liebe ist nun mal eins der Themen von dem ich keine Ahnung habe. Das ist kompliziert und für mich ein Buch mit sieben Siegeln.

Das Biest nickt verstehend. "Klar, du bist nur Abweisung gewohnt. Du warst eben nie genug." Ich seufze schwer. Yep, ich war nie genug. Nie gut genug. "Mir war eben früh klar dass ich hübsch nicht kann, also musste ich klug werden. Und auch das hat eher schlecht als recht funktioniert. Ich hab viel Halbwissen, viel unnützes Wissen. Früher war ich nie genug, jetzt bin ich zu viel. Ich hab genug Persönlichkeit für zwölf." scherze ich, nippe erneut an meinem Saft. Das Biest schüttelt amüsiert den Kopf. "Wir brauchen definitiv keine neuen Mitbewohner. Nach Selbstwert ist Schluss, verstanden?!" Sie klingt streng, ich nicke. Ich habe nicht vor noch mehr hier rein zu holen. Es ist jetzt schon leicht den Überblick zu verlieren was eigentlich los ist. "Aber ... du solltest diesen Glaubenssatz wirklich mal langsam anpacken. Möglich dass du das ganze in den Sand setzt weil du dir wieder selbst im Weg stehst." Gibt sie noch einmal streng von sich und sieht mich eindringlich an während ich nicke. "Heißt ich muss mich wieder um Borderline kümmern." Sie hängt an den Glaubenssätzen. Sie sind ihre Art zu denken und zu fühlen, ihre Daseinsberechtigung. Ich glaube nicht dass ich sie je ganz los werde, einfach weil ich immer schon Hypersensibel war und intensiver gefühlt habe als andere. Ich sehe das auch nicht nur als Fluch, es kann auch ein Segen sein weil es mich zu einem starken Empathen macht. Ich muss nur lernen damit umzugehen. Mich nicht ständig mit allem zu überfordern. Nicht jedes Problem ist auch mein Problem. Borderline muss das auch noch begreifen. Ich weiß auch gar nicht ob ich Borderline überhaupt ganz los werden möchte, weil ... ich hab mich an sie gewöhnt. Ich verstehe wie sie funktioniert und ich habe Mitgefühl. Sie ist ein misverstandenes Wesen dass im Grunde nur geliebt werden will. Genau wie ich. Ich glaube dass alle die hier wohnen diesen Wunsch haben, auch wenn Biest das nicht zeigt und wehement abstreitet. Sie braucht das nicht, es hilft ihr nicht bei ihren Aufgaben und ist für sie ein unnützes Konzept. Aber ich glaube dass sie es mögen würde. Nur weil es unnütz ist, heißt das nicht dass es nicht gut tun kann. Noch so ein Punkt, dieses neue Gefühl tut mir gut. Verdammt gut. Es hat bewirkt dass mich mein Körper nicht mehr so stört wie er mich früher gestört hat. "Du begreifst langsam." Huh? Ich sehe das Biest irritiert an. Sie grinst mich breit an und stützt den Kopf in die Hand deren Arm mit dem Ellbogen auf den Tisch gestützt ist. Sie feixt. Natürlich. Was habe ich auch anderes erwartet. "Weißt du noch? Anfang des Jahres? Als du noch der Ansicht warst du bist nicht hübsch genug um geliebt zu werden? Zu fett?" Autsch ... natürlich weiß ich das noch! Ich habe mich selbst damit ziemlich traumatisiert! Meine Mimik muss meine Gedanken gezeigt haben weil das Biest anfängt zu lachen. "Und weißt du noch vor vier Jahren? Der Kerl hat dich flach gelegt, wie viel hast du damals gewogen?" Mir ist das peinlich. "... fünfundachtzig Kilo ..." Das Biest grinst breit. "Etwa zwanzig Kilo mehr als jetzt. Er hat deine Gefühle nicht erwiedert, aber er hatte kein Problem mit deinem Körper. Das kannst du nicht abstreiten." Ich weiß. Es ging auch nie wirklich darum dass andere ein Problem mit meinem Körper haben könnten, Ich hatte ein Problem mit meinem Körper. Seit ich abnehme geht es mir körperlich besser. Immer grade so halbwegs an einer Essstörung vorbei geschrammt. Ich liebe Essen zu sehr um anorexisch oder bulemisch zu werden. Bulemie ist obendrein auch noch Geldverschwendung und grade Geld hab ich immer zu wenig. Ich muss sparsam mit meinen Ressourcen umgehen um über den Monat zu kommen.

Ich seufze schwer. "Ich mein, gut dass du abgenommen hast, du wirkst gesünder und bist tatsächlich aufgeblüht. Du hast grade ein Glow-up. Psychisch und physisch gehts dir deutlich besser. Trotzdem hast du Zweifel dass das was werden könnte." Ich nicke erneut. Wenn dir dein ganzes Leben nur die zweite Geige zugeteilt wirst und du nicht mal die richtig spielen kannst... ich hatte in meinem eigenen Leben nie die Hauptrolle. Ich mach das erst seit ein paar Monaten aktiv. Ich bin noch überfordert damit. "Es wird besser. Borderline beruhigt sich langsam, Depression und Suizidalität sind nicht mehr so oft hier ... wenn du jetzt noch lernst zu akzeptieren dass man dich tatsächlich mögen kann steht dir eine ganz passable Zukunft bevor." Feixt das Biest weiter und mein Mundwinkel zuckt hoch. Passabel reicht mir halt nicht. Ich möchte einen Grund um Depression und Suizidalität endgültig los zu werden. Ich möchte dass Borderline keinen Grund mehr hat durch zu drehen. Ich möchte leben statt nur zu überleben. Nicht ständig mit irgendwelchen Problemen im Ausmaß einer ausgewachsenen Apokalypse konfrontiert zu sein wenn jemand etwas unüberlegtes zu mir sagt oder schreibt. Aber das Biest hat Recht, ich bin auf einem guten Weg. "Ich hab schon länger nicht mehr daran gedacht zu fett für jemanden zu sein."

"Du bist ja auch nur noch leicht adipös und den Rest bekommst du auch noch hin. Es gibt keinen Grund mehr das zu denken." zwinkert das Biest und diesmal bin ich es die grinsend den Kopf schüttelt. "Als hätte ich je einen Grund für destruktives Denken gebraucht." Sie schnalzt mit der Zunge. "Ein wahrer Meister im grundlos eskalieren!" Wir lachen beide. Darum geht es im Leben. Lernen. Mit sich und seiner Umwelt umzugehen. Manche von uns brauchen eben ein bisschen länger als andere. Aber auch das ist völlig okay, das Leben ist kein Wettbewerb. Es ist eine Reise. Und ich möchte auf dieser Reise glücklich werden. Mit Partner wäre schön, aber das ist glaube ich wirklich etwas an das ich mich erst noch gewöhnen muss. Ich bin und war immer ein einsamer Wolf, die einsame Kriegerin. Menschen in meinem Leben zu haben die mich verstehen und nicht für meine unkonventionelle Art zu denken verurteilen ist neu. "Du kriegst das schon hin, pass nur auf dass Borderline nicht zu hart abdreht. Nur weil er sich bis jetzt nicht abschrecken lassen hat, solltest du dich nicht in Sicherheit wiegen. Kann immer noch passieren dass er deine Gefühle nicht erwiedert und dich verletzt." Das Biest ist wieder streng und ernst geworden und ich weiß dass sie Recht hat. Auch wenn es gerade gut läuft kann es sein dass das zu Ende geht weil er findet dass es nicht passt. Und dann ist unser Herz wieder gebrochen. Normal würde ich mich allein wegen dieser Gefahr zurück ziehen weil ich mit dem Schmerz nicht umgehen kann. Aber ich habe in der Therapie so viel gelernt, ich habe so viel theoretisches Wissen darüber wie ich damit umgehen kann ... es wird Zeit für einen Praxistest. Auch wenn ich hoffe dass es nicht dazu kommt, es könnte. Und mein System war schon immer pessimistisch veranlagt. Immerhin sind wir auf den worst case vorbereitet. Wenn ich diesmal keinen neuen Suizidversuch habe, ist es gut gelaufen. Ich habe noch viel zu lernen, aber wenn ich mich nicht ins Spiel werfe, werde ich es niemals lernen. Ich habe Angst. Ich bin verwundbar, ich zeige Schwäche und ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll. Aber das ist okay. Manche Menschen sind es eben wert. Wir werden es nie erfahren wenn wir es nicht versuchen.

Ich trinke meinen Saft aus und stehe auf. "Danke fürs unfreiwillige Gespräch, gerne nicht mehr." zwinker ich dem Biest neckisch zu. "Ich zwing dich wieder." zwinkert sie zurück, dann verlasse ich den Gemeinschaftsraum wieder. Manchmal braucht man eben ein Gespräch mit sowas wie Experten. Oder Idioten. Kriegern. Generell sollte man mit so vielen verschiedenen Menschen wie möglich reden um so viele Blickwinkel wie möglich zu bekommen. Eine Medallie mag nur zwei Seiten haben, aber das Leben und jede Situation darin ... hat gefühlt zwei Milliarden Blickwinkel. Und ich möchte sie alle sehen....

Das Ding mit dem Tod

Tja, wie fange ich dieses heikle Thema bloß an? Wahrscheinlich hat jeder so seine ganz eigenen Erfahrungen mit dem Thema Tod gesammelt, wie ich das eben auch getan habe. Meine Mutter ist schon immer sehr flapsig mit diesem Thema umgegangen. Menschen sterben eben. Haustiere sterben. Sie war immer dagegen Tiere einschläfern zu lassen, das einzige Haustier dass je eingeschläfert wurde war unsere letzte Meerschweinchen Dame. Etwas über sieben Jahre alt geworden, innerhalb von ein paar Stunden drei Herzanfälle und zwei Schlaganfälle erlitten. Gelähmt, hatte schon seit zwei Jahren Krebs im Hals und hat dagegen Tabletten bekommen, Stimme verloren aber ansonsten sehr agil gewesen die alte Dame. Nach den fünf Anfällen, nachdem sie sich nicht mehr bewegen konnte war meine Mutter so weit dass sie mich die Tierärztin anrufen lassen hat um das arme Ding von ihrem Leid zu erlösen. Seitdem gab es bei meinen Eltern keine Haustiere mehr. Meine Mutter hat tatsächlich geheult wie ein Schloßhund. Mich hat das auch sehr mitgenommen, ich habe dieses Schweinchen geliebt. Aber ich kann vor anderen nicht weinen. Das lässt mich oft wirken als würden mir Dinge nicht so nahe gehen weil meine Mimik einfach versteinert. Ich habe gelernt still zu weinen ohne dass Tränen über meine Wangen laufen. Meine Trauer sieht man mir nicht an und das ist relativ oft ein Problem. Weil ich dicht mache anstatt meine Trauer auszudrücken und raus zu lassen. Menschen verstehen sowas nicht. Für mich ist das mehr ein Überlebensmechanismus gewesen. Ich bin Mobbingopfer seit ich denken kann und wenn ich jedem Mobber gezeigt hätte wie nah mir seine Handlungen und Worte gehen, hätte ich meine Schulzeit nicht überlebt. Gut, ich weiß grundsätzlich nicht warum ich nach sechs Suizidversuchen noch hier bin. Irgendwie hat das nie funktioniert.

Bei meinem Meerschweinchen habe ich allerdings begriffen dass auch meine Mutter nur so tut als wäre sie dem Thema Tod gegenüber so abgeklärt. Meine gesamte Kindheit über hat meine Mutter gesagt dass Menschen eben sterben. Da könne man nichts gegen tun. Das ist eben so. Gott holt seine Kinder zu sich, wer nicht gut genug für den Himmel ist kommt in die Hölle. Auch da könne man nichts gegen tun, das läge an den Menschen selbst wo sie landen. Religion wird noch ein anders Thema, dann wird hoffentlich auch verständlich für alle Leser warum ich so eine imense Abneigung gegen Religionen habe. Insbesondere das Christentum. Mit dem jüdischen Glauben kenne ich mich zu wenig aus, das Heidentum hatte wenigstens Ruhm, Ehre und interessante Geschichten. Du wirst es im nächsten Kapitel merken.

Hier und jetzt geht es um meine Beziehung zum Tod. Generell betrachte ich den ollen Sensenmann eher als eine art alten Freund. Er hat etwas beruhigendes für mich. Ein Ende. Unausweichlich. Keine Ahnung ob wir im Tode alle gleich sind oder ob es da auch Unterschiede gibt, aber er holt erstmal jeden. Egal wie alt, wie gesund, wie wohlständig. Niemand ist unsterblich. Und wenn ich ehrlich bin kann ich mir kaum etwas schlimmeres als Unsterblichkeit vorstellen. Für immer in diesem Leben gefangen sein, meinen Freunden und den Menschen die ich liebe zusehen wie sie alt werden und sterben. Klingt nicht gerade erstrebenswert. Ich wusste schon immer dass der Tod für mich tatsächlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Erlösung sein wird, weil mein Leben ziemlich beschissen lief. Tut es immer noch oft und hart, aber ich habe mittlerweile ein bisschen mehr Kontrolle. Vor dem Tod an sich habe ich absolut gar keine Angst. Wie gesagt hat dieser Gedanke zu sterben für mich etwas beruhigendes. Mein lebenslanger Kampf wird damit zu Ende sein. Die Schmerzen dabei, weil mal ehrlich glaube ich nicht dass irgendeine Form von Tod tatsächlich völlig schmerzfrei ist, die machen mir Angst. Die wenigsten haben das Glück einfach im Schlaf zu sterben. Und selbst wenn, was wenn ich nicht merke dass ich gestorben bin und meine Seele hier bleibt? Und dann verpasse ich den Anschluss und weiß nicht wie ich hier weg komme, sitze also wieder ewig fest. Vielleicht höre ich auch einfach auf zu existieren. Und damit hätte ich auch kein Problem, dann ist das eben so.

Was mich allerdings ein bisschen hart abfuckt ist die Tatsache dass ich mit acht meinen ersten Suizidversuch hatte. Der Vorfall ist bis heute nicht wirklich verdaut und macht mir immer noch zu schaffen, mit acht war das ganze so schlimm dass ich mit meinem Leben abgeschlossen hatte. Mit acht. Lass dir das mal auf der Zunge zergehen. Es hat eine achtjährige existiert die so dringend sterben wollte, dass sie das selbst in die Hand genommen hat. Und zweiundzwanzig Jahre später schreibt dieses Mädchen dieses Kapitel. Natürlich hat dieser Versuch nicht geklappt. Es folgten noch fünf weitere Versuche über die nächsten Jahre verteilt, der letzte ist mit zweiundzwanzig passiert weil ich schon wieder an diesem Punkt war an dem ich keine Zukunft mehr ertragen konnte. Es liegt nie daran dass ich keine Zukunft sehen kann, es liegt jedes Mal daran dass ich keine Zukunft will. Das ist ein imenser Unterschied. Auch ich habe einige Jahre gebraucht um das zu verstehen. Ich weiß nicht warum meine Versuche nie funktioniert haben. Wenn ich sowas anpacke, dann erkundige ich mich vorher. Man will schließlich nicht zwei Tabletten zu wenig nehmen und dann drei Tage Höllenqualen leiden und den ganzen Scheiß auch noch überleben. Ne danke. Wenn dann mach ichs richtig. Und dennoch habe ich überlebt. Keine Ahnung wie. Keine Ahnung warum. Ich bin mir immer noch nicht sicher ob ich darüber froh sein soll. Man hört immer wieder dass Menschen die ihre Suizidalität überwunden haben irgendwann aufwachen, mit ihrem Leben zufrieden sind, die Liebe ihres Lebens gefunden haben, irgendwie ist alles super in Ordnung und man ist plötzlich froh dass es nie geklappt hat sich umzubringen. An diesem Punkt bin ich noch nicht. Ich weiß nicht ob ich ihn jemals erreichen werde. Ich habe zwei sehr wichtigen Freunden versprochen dass ich mir nichts mehr antun werde und Versprechen sind mir heilig. Manchmal gibt es solche Tage an denen es verdammt hart wird dieses Versprechen zu halten, aber die gehen vorbei. Ich bin dennoch nicht freiwillig in diesem Leben und ich weiß nicht ob ich es überhaupt möchte. Ich möchte dass mein Leiden aufhört. Wenn dafür mein Leben aufhören muss, bin ich irgendwie damit einverstanden.
 

Meine erste, richtige Berührung mit dem Tod - oder fast-Tod - hatte ich mit vierzehn. Ich war damals im Internat und habe mich mit meiner Zimmerkollegin ziemlich angefreundet. Damals war sie meine beste Freundin. Sie kam aus einer ähnlich destruktiven Familie und hatte ganz ähnliche Probleme. Mit der Ausnahme dass sie bereits einen engen Freund an Suizidalität verloren hatte. Dieses Mädchen war zwei Wochen jünger als ich. Und eines Tages habe ich sie mit aufgeschnittenen Handgelenken auf dem Klo gefunden. Eine Erfahrung die ich mir gern gespart hätte, aber sowas kann man sich nicht aussuchen. Da musste ich durch. Ich erspare dir die Einzelheiten, ich wünsche dir von Herzen dass du sowas niemals erleben musst.

Ich habe mir schon damals nicht anmerken lassen wie hart mich das Erlebnis verstört hat und ich habe im Laufe meines Lebens noch so einige Leben gerettet. Irgendwie scheine ich ein Händchen dafür zu haben. Ich konnte mein eigenes Leben nicht retten, das eines anderen zu retten fiel mir leichter. Bei anderen weiß ich was ich tun muss. Bei mir sieht das anders aus. Ich weiß nicht warum ich in letzter Zeit so oft daran denken muss wie ich meine Zimmerkollegin auf dem Klo gefunden habe. Ich habe sie letztens auf Facebook wieder gefunden, sie ist mittlerweile verlobt und glücklich, also hat sich die Rettung anscheinend gelohnt? Ich weiß es nicht. Und ich bin nicht diejenige die das beurteilen sollte.
 

Ein Jahr vorher, als ich dreizehn war, ist meine Oma gestorben. Ich habe nie ein Wort verstanden dass sie gesagt hat, weil sie Fränkin war, mit schwerem Dialekt und grundsätzlich nie die Zähne drin hatte. Mein Papa ist das Lieblingskind gewesen, keine Ahnung zu was mich das macht. Meine Mutter wird in der Familie nicht gern gesehen. Meine Oma konnte meine Mutter nicht leiden, die hat ihr immerhin den Lieblingssohn genommen. Ich habe von diesem Kleinkrieg nie etwas mitbekommen weil man mich als Kind immer versucht hat da raus zu halten.

Als meine Oma gestorben ist, sind wir auf die Beerdigung gefahren. Ich war wohl alt genug das mit zu machen. Ich hab ehrlich gesagt nicht so richtig verstanden was da abging. Wir standen ewig draußen rum während der Pastor gequaselt hat und ich ihm nicht zugehört habe weil ich mit der Kirche auf Kriegsfuß bin. Später hat mir eine meiner Cousinen gesagt dass es ziemlich respektlos von mir war mich an die Graberde anzulehnen. Ich hatte keinen blassen Dunst dass der Erdhaufen an den ich mich gelehnt habe Graberde ist. Ich kann bis heute nicht besonders lange rumstehen, muss mich bewegen oder setzen und da waren einfach keine Stühle. Sorry, aber wenn man zwei Stunden draußen vor sich hin quasselt, dann sollte man Stühle hinstellen. In Serien funktioniert das schließlich auch. Nur meine Meinung. Ich möchte nicht respektlos sein, aber irgendwie hat mich das ja schon gekränkt. Kein Plan von nix, aber wehe ich überschreite irgendeine Grenze, dann gibts auf den Deckel.

In der Kirche dann hab ich es tatsächlich hinbekommen eine Träne raus zu lassen. Und durfte mir danach anhören dass ich meine Oma nicht mochte weil ich nicht geweint habe. Zur Erinnerung, mein Selbstschutzmechanismus greift immer, ohne Rücksicht auf irgendwas. Der heißt nicht einfach so aus Spaß an der Freude Selbstschutzmechanismus. Aber gut, ich habe nichts gesagt. Trauer ausdrücken fällt mir bis heute extrem schwer. Ich kann das ein bisschen wenn ich allein bin, ich kann das gar nicht wenn mich jemand sehen könnte. Nicht mal in meiner eigenen Wohnung, also leise im dunkeln gehts, aber nicht wenn ich befürchten muss dass ein Nachbar etwas hören könnte. Ja, so weit geht das.
 

Es trifft mich immer sehr hart wenn jemand gehen muss den ich liebe. Meistens sind das Haustiere, weil die meisten Menschen es gar nicht nah genug an mich heran schaffen. Bisher gab es da nur einen. Im Dezember 2011 ist ein guter Freund an einem Gehirntumor gestorben. Ich habe mich die Jahre davor nicht wirklich mit ihm verstanden, was ich wahrscheinlich auch in einem anderen Kapitel aufgreifen werde, aber ich habe mich ein paar Monate vor seinem ersten epileptischen Anfall mit ihm ausgesprochen. Wir haben uns wieder vertragen und haben wieder angefangen miteinander rumzuhängen. Er war nun mal der beste Freund meines damaligen Freundes, da wollte ich dass das irgendwie funktioniert. Das war mir wichtig. Und irgendwie war es auch ziemlich ungewohnt ihn so reden zu hören weil ihm im Freundeskreis niemand wirklich viel zugetraut hat. Er war der Kerl der ständig besoffen ist, keine Frau bekommt und sich in den Terminplaner einträgt wann er sich einen runter holt. Dahinter stand allerdings ein Kerl von dem ich bis heute glaube dass das niemand so richtig sehen konnte. Er hat eine Ausbildung zum Altenpfleger gemacht, war eigentlich ganz fit im Kopf, kluger Kerl ... wahrscheinlich hat er das Leben auch nicht so richtig ertragen und war deswegen so oft besoffen. Jedenfalls bis zu seinem epileptischen Anfall. Ihm wurde ein Gehirntumor diagnostiziert der nicht operiert werden konnte, weil er zu mittig saß. Chemo war angesagt. Ich hab ihm über fast ein Jahr zugesehen wie ihn die Therapie dahin gerafft hat. Wie dieser eigentlich ganz okaye und kluge Kerl so stark in seinen Fähigkeiten abgenommen hat, dass es einem richtig Angst machen kann.

Seine Eltern hatten ein fettes Problem mit mir. Die konnten mich nicht leiden. Und weil ich der Ansicht war dass ich Probleme aus der Welt schaffen möchte, habe ich sie angerufen um ein Gespräch auszumachen. Tja ... ich hab den perfekten Tag dafür erwischt. Er ist gestorben. Zu diesem klärenden Gespräch kam es nie. Mein Recht auf Trauer wurde mir abgesprochen. Nicht nur von den Eltern des Verstorbenen, auch von meinen Eltern, von meinem damaligen Freundeskreis und meinem damaligen Freund. Er ist am 22. Dezember 2011 gestorben. Die Beerdigung war am 30. Dezember und um ein Haar hätte ich da nicht hin gedurft. Ich habe einen Brief an die Eltern geschrieben in dem ich geschildert habe dass ich mich von einem guten Freund verabschieden möchte, dass es an diesem Tag nicht um mich gehen wird und ich mich im Hintergrund halten werde. Das war anscheinend okay. Ende Januar 2012 habe ich mir dann mein erstes Tattoo stechen lassen, nachdem ich mir einen Monat lang von meinen Eltern anhören durfte dass der Kerl endlich weg wäre, dass seine "Großmaul" Eltern das verdient hätten und meine Mutter die im Himmel ganz sicher nicht sehen würde, was sie für gut empfunden hat. Die Freunde meiner Mutter haben mir dazu geraten den Kontakt zu den Eltern des Verstorbenen abzubrechen und mit meinem Leben weiter zu machen. Das war nicht meine Entscheidung, es gab keine Möglichkeit mehr für ein klärendes Gespräch und ich habe für mich beschlossen dass es wohl am Besten ist das auf sich beruhen zu lassen weil man sich sowieso nicht mehr trifft. Mein Freundeskreis hat mich völlig im Stich gelassen. Kein Kontakt mehr. Und als ich mein neues Tattoo auf dem linken Fuß hatte, in Gedenken an den verstorbenen Freund, hat mich mein damaliger Freund allen ernstes gefragt warum ich mir das stechen lassen habe, weil ich konnte ihn sowieso nie leiden. Plötzlich hatten alle vergessen dass ich mich mit ihm ausgesprochen und vertragen hatte. Plötzlich hatte ich kein Recht zu trauern. Und damit anscheinend auch kein Recht meinen Freund zu trösten weil ich sowieso nicht nachempfinden konnte was er durch gemacht hat. Stimmt. Ich habe nicht meinen besten Freund verloren. Ich habe meinen Freundeskreis, meine Liebe und mein Recht auf meine Gefühle verloren. Das ist etwas anderes.
 

Der Tod holt jeden irgendwann. Und ich fand es extrem unfair dass er mich nicht holen wollte. Nach sechs gescheiterten Suizidversuchen war nämlich klar dass mich der Tod nicht wollte. Aus welchem Grund auch immer, ich darf nicht gehen. Ich sitze hier fest. Ich kann nur weiter verlieren.

Bis heute kann ich nicht richtig mit Trauer umgehen. Mein Recht auf Trauer wurde mir mein Leben lang abgesprochen, weil ich zu lange dafür gebraucht habe. Ich habe sechs Jahre gebraucht den Tod dieses Freundes zu verarbeiten. Sein Geburtstag und sein Todestag sind für mich noch sehr schwierige Tage, aber ich schaffe sie mittlerweile auch allein. Ich zerbreche nicht mehr daran. Ich glaube dass diese beiden Tage auch nicht so schlimm für mich gewesen wären, wenn wenigstens eine Person in meinem Umfeld mich hätte trauern lassen. Dadurch dass ich nicht trauern durfte, hat sich das noch mehr gezogen als nötig. Weil jedes Mal nicht nur der Tod eines guten Freundes betrauert wird, sondern auch der Verlust des Freundeskreises, eines gesamten sozialen Netzes und meiner eigenen Emotionen die nie angebracht oder gerechtfertigt waren. Ich reagiere immer noch regelrecht allergisch darauf wenn jemand sagt ich solle nicht so fühlen wie ich gerade fühle. Oder etwas wäre nicht so schlimm wie es sich für mich anfühlt. Oder ich hätte nicht darüber zu trauern. Und ich glaube auch dass das mein anfängliches Problem mit Corona war. Ich habe die Trauer erst sehr spät erkannt weil ich wütend war. Wut ist immer eine Zweitemotion die etwas anderes überdecken soll für das wir uns schämen. In meinem Fall Trauer. Ich trauere dem nach was hätte sein können. Den geplanten Conventions, dem geplanten Cosplay, den Ausflügen die dieses Jahr nicht stattfinden können ... dem Ich dass ich dieses Jahr werden wollte. Ich trauer. Und ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll. Für uns Borderliner fühlt es sich an als ob derjenige stirbt wenn uns jemand verlässt, weil wir nicht filtern können. Weil uns die emotionale Haut fehlt. Weil uns niemand beibringt wie wir mit starken Gefühlen umgehen können. Weil wir allein lernen müssen. Der Tod macht mir keine Angst, er hat keine Vorurteile und holt jeden. Irgendwann. Mit Schmerzen kann ich nicht umgehen. Wenn ich an den Tod denke fühle ich mich beruhigt. Er ist ein alter Freund der mich schon fast mein ganzes Leben lang begleitet. Irgendwann wird er auch mich holen und ich werde beruhigt sein. Die Zeit bis da hin macht mir mehr Sorgen ...

Das Ding mit der Religion

Grundsätzlich erstmal, ich habe kein Problem damit wenn du einer Religion nach gehst. Das ist völlig okay. Deine Entscheidung, betrifft mich schlicht nicht. Solange du mich nicht versuchst zu bekehren und mir deinen Lebensstil nicht aufzwingst, haben wir kein Problem. Ich respektiere nicht deine Religion, aber ich respektiere dich. Jedenfalls genug um dir nicht zu sagen wie beschissen ich diese Lebensentscheidung finde. Wenn du dich davon getriggert fühlst dass jemand schlechte Erfahrungen mit Religion gemacht hat, dann ließ lieber ein anderes Kapitel. Dieses hier wird dir absolut gegen den Strich gehen.
 

Ich finde es gut wenn man etwas hat an das man sich klammern kann, dass einem Halt im Leben gibt, Richtlinien an denen man sich orientieren kann und die einem die Richtung weisen. Was ich nicht leiden kann ist alles andere am Christentum. Ich habe mit anderen Religionen nicht genug Erfahrungen gesammelt um auch da etwas gegen zu haben, aber das Christentum ... beschissener Verein. Die katholische Kirche ist frauenfeindlich, die evangelische Fraktion ist zwar etwas lockerer, aber nicht weniger schädlich. Meine Eltern waren in einer freien Gemeinde die auch nicht besser war. Mir geht es auch um das Christentum an sich, ich weiß nicht was eher katholisch und was eher evangelisch ist, die Unterschiede kenne ich nicht. Ist mir auch absolut egal. Ich bin nicht getauft und glaube dass das so ziemlich das einzige ist dass meine Eltern bei mir richtig gemacht haben. Meine Seele ist unverkäuflich und dabei wird es auch bleiben. Die krieg ich auch allein kaputt. Weil ich nicht getauft bin, habe ich in der Schule immer frei wählen können in welchen Unterricht ich möchte. Ich hab mich dabei immer abgewechselt zwischen katholisch und evangelisch, es sei denn es gab eine Ethik Klasse, dann habe ich die gewählt. War sowieso alles uninteressant, aber in Ethik war ich immerhin nicht mit Gott konfrontiert. Dem hau ich noch aufs Maul wenn ich ihn treffe. Ganz ehrlich, was soll der Mist?!
 

Es fängt ja bereits damit an dass ich ein verdammtes, medizinisches Wunder bin. Durch einen Autounfall konnte meine Mutter nicht schwanger werden, den Brief vom Arzt hat sie immer noch. Ein paar Monate später war sie dann mit mir schwanger. Ich war also nicht geplant. Die damalige beste Freundin meiner Mutter mit der sie sich verkracht hat, die aber irgendwie eine Art Ziehmama für mich wurde jedenfalls, hat mir erzählt dass sich meine Eltern auf mich gefreut haben. Leider habe ich das auch erst mit sechsundzwanzig oder so erfahren. Ich hatte bis dahin ein ernsthaftes Problem keinen Platz auf dieser Welt zu haben, ungewollt zu sein und generell ... was soll ich hier überhaupt?! Mittlerweile hat sich dieses Problem für mich gelöst. Was sich nicht gelöst, aber zumindestens ein bisschen beruhigt hat, ist meine christliche Erziehung. Von Anfang an habe ich immer wieder zu hören bekommen dass Religion freiwillig ist. Dass Gott alle seine Kinder liebt. Komischer Weise war ich allerdings nie gut genug um zu Gott in den Himmel zu kommen, obwohl er mich so wie ich bin geschaffen hat. Und von freiwillig konnte auch nie die Rede sein. Ich habe früh für mich erkannt dass mir das Christentum nichts gibt, dass ich es unlogisch empfinde, die Geschichten sind voller Plotholes und ich denke zu viel nach. Ich erkenne wenn eine Geschichte nicht schlüssig ist und verstehe nicht wie man sich blind auf den Glauben verlassen kann. Ich brauche Informationen, Fakten ... ich muss so viel wie möglich über eine Person wissen bevor ich Vertrauen fassen kann, geschweige denn dass ich überhaupt irgendjemandem so blind vertrauen kann wie man es im Christentum von mir verlangt hat. Ich vertraue genau zwei Personen fast blind. Den beiden Mädls würde ich mein Leben in die Hände geben, weil ich weiß dass sie sorgsam damit umgehen werden. Gott auf der anderen Seite? Wie soll ich jemandem vertrauen für den ich nicht gut genug sein kann?

Mein Name bedeutet übersetzt Gottes Geschenk, ich habe mich eher als Gottes Fluch angesehen. Das hat mehr Sinn ergeben. Ich habe meine Sommer in Bibelcamps verbracht in denen man mir gesagt hat dass ich nicht gut genug für den Himmel und Gott bin, dass ich kein guter Mensch bin, in dem man versucht hat mich irgendwie zu exorzieren weil ich gern Pokémon gespielt habe. Camps in denen man mir gesagt hat meine Freunde wären schlechter Umgang. Camps in denen ich pausenlos damit konfrontiert war kein guter Mensch zu sein, egal wie sehr ich mich anstrenge. Man hat mich und meine Ängste nicht ernst genommen. Übrigens ist das für ein Kind äußerst verstörend wenn die Mutter traurig sagt dass man sie im Himmel nicht sehen wird weil man in die Hölle kommt. Danke Mama. Wenn der Himmel voll mit Menschen wie dir ist, wird die Hölle regelrechter Urlaub.

Die Bibel widerspricht sich an manchen Stellen selbst. Frauen sind nichts wert. Schaut man sich die Geschichten genauer an wird sehr deutlich dass man als Frau auf ganzer Linie verloren hat. Ich kann das mit dem Bücken nicht, ich war nie im Turnverein. Eine Zeile aus einem meiner Lieblingssongs von Grossstadtgeflüster der die ganze Situation für mich hervorragend erklärt. Ich war tatsächlich nie im Turnverein. Bücken ist auch nichts was ich tun sollte, meine Wirbelsäule dreht sich in so gut wie alle Richtungen. Ich kann mich nicht unterwerfen. Ich habe ein Problem mit Autorität. Ich kann keinen Anführer anerkennen der mir nicht sagen will wo es hin geht, was er mit mir vor hat und mir mit jeder neuen Regel verdeutlicht dass ich keinen Wert habe wenn ich mich nicht akribisch daran halte. Ich sehe ein dass ich keine Menschen umbringen soll, aber warum vergewaltigung an Frauen okay ist weil der Samen nicht verschwendet werden soll, die Frau aber für vorehelichen oder außerehelichen Sex gesteinigt wird, entzieht sich mir völlig. Ich weiß schon dass ich nicht gut genug bin, aber so einen Anführer brauche ich nicht. Ich werde auch nicht die andere Wange hin halten wenn mir eine geklatscht wird. Ich behalte keine Menschen in meinem Leben die mir schaden. Und wenn du der Ansicht bist für deine Religion töten zu müssen, dann fang bitte bei dir selbst damit an.
 

Sorry wenn das etwas hart klingt, das ist meine Meinung und Ansicht. Du darfst gern eine andere haben, wir müssen uns nicht darüber unterhalten. Zwei Themen die man niemals ansprechen sollte: Politik und Religion. Das führt nur zu Streit. Aber das Christentum hat meine Seele auch stark beschädigt, deswegen gibt es auch ein Kapitel darüber. Du kannst es überspringen wenn du dich nicht damit befassen möchtest.

Wenn dir von Anfang an, seit du denken kannst, eingeredet wird dass du niemals gut genug sein kannst weil du dir nicht genug Mühe gibst, obwohl du dir den Arsch Tag täglich aufreisst, dir eingebläut wird dass du aufgrund deines Geschlechts keinen Wert hast, du zur Teilnahme an Camps und Veranstaltungen gezwungen wirst obwohl du es hasst... es spricht gegen den freien Willen den Gott uns angeblich gegeben hat. Und es entzieht sich jeglicher Logik. Wenn du für dich entschieden hast daran glauben zu wollen, freut mich für dich. Viel Spaß damit. Aber dein Kind dazu zu zwingen dasselbe zu glauben ist Kindesmisbrauch. Übrigens lernt dein Kind auch nichts darauf wenn du jede böse Tat mit beten sühnst. Ich hatte als Teenie eine Phase in der ich viel im Laden gestohlen habe. Ich und meine bis heute beste Freundin wurden einmal erwischt. Statt Beichtstuhl gabs eine Runde beten Zuhause, damit war die Sache erledigt. Rate mal ob sich mein Diebstahl Problem damit gelöst hat ... ich spoiler mal ein bisschen: hat es nicht. Ja, Kinder brauchen Regeln, Grenzen und Konsequenzen. Aber wenn dein Kind in Schockstarre verfällt wenn du das Wort Konsequenzen aussprichst, oder dich gar nicht ernst nimmt weil das einzige was folgt eine Runde beten ist, machst du etwas falsch. Du kannst ein Kind nicht dazu zwingen etwas zu glauben dass du glaubst. Ich habs versucht, ich bin daran gescheitert. Ich war nie Christin. Ich werde nie Gläubige sein. Und ich werde, sollte ich sterben und tatsächlich vor den Schöpfer treten, Gott ordentlich eine rein ballern weil er mir diesen Bullshit angetan hat. Verdient hat ers. Absolut. Ich bin seit sieben Jahren dabei auszubügeln was meine Mutter und ihre Gemeinde in meiner Kindheit und Jugend angerichtet haben - und keinem von denen tut das auch nur ein bisschen Leid. Ich habe gelitten, jeden Tag verflucht, war vom Teufel besessen und zu schlecht für den Himmel. Trotz aller Bemühungen. Ich will gar nicht erst davon anfangen wie Noah 6 Milliarden Tiere auf ein Schiff bekommen hat dass kleiner als die Titanic ist. Oder davon dass spätestens ab Noah sowieso alles Inzest ist. Und selbst wenn man die Geschichten nicht alle wörtlich nehmen soll, halte ich die Moral aus diesem Buch für ziemlich daneben und im besten Falle grenzwertig. Wenn man beide Augen zu drückt.
 

Eltern sind da um den Selbstwert ihres Kindes aufzubauen, ihm Werkzeuge an die Hand zu geben um ihn selbst weiter zu nähren damit der Selbstwert groß und stark werden kann. Damit Kind es schaffen kann in dieser Welt zu bestehen.

Bück dich, halt die Schnauze und lass dich schlagen weil Nächstenliebe - keine gute Moral.

Sei gut damit du in den Himmel kommst - eher fragwürdig, sollten wir nicht eher lernen gute Menschen zu sein weil wir gute Menschen sein wollen? Nicht aus purem Eigennutz?

Bilde dich nicht weiter, vertraue auf Gott - und mich damit all dem Wissen verschließen dass die Wissenschaft so hervor bringt? Alter, wenn alle danach leben würden säßen wir noch im Mittelalter. Keine Billigflieger nach Malle. Kein Familie in Frankreich besuchen mit dem Auto. Kein Internet. Wollen wir das wirklich?
 

Und das wichtigste von allem: Meine Mutter ist ein guter Mensch, weil sie ist Christin.

Diese Arroganz die manche Christen an den Tag legen, da wird mir richtig übel. Nur weil ich einer Religion angehöre, macht mich das nicht automatisch zu einem guten Menschen. Ich muss auch etwas dafür tun. Ich tue was ich kann, ich helfe meinen Freunden und unterstütze sie so weit ich das kann. Einmal im Jahr nehme ich an einer internationalen Schnitzeljagd teil, GISH. Die Anmeldegebühr wird bereits für gute Zwecke verwendet. Dieses Jahr (2020) wurden davon Mahlzeiten für Kinder in Not finanziert. Die gestellten Aufgaben sind in drei Kategorien unterteilt: Charity, Umweltschutz, weird stuff

Die Charity Aufgaben können wir hier in Deutschland leider nicht wie gefordert umsetzen, weswegen wir das immer den Amis im Team überlassen, hier kann man anscheinend nicht mal eben unangemeldet mit Pizza im Kinderheim aufkreuzen. Wir habens versucht, die letzten drei Jahre hab ich immer wieder rum telefoniert. Aber Umweltschutz funktioniert. Auch sonst wenn ich sehe dass ich etwas unterstützen kann, tue ich das. Ich gehöre keiner Religion an und bin allein mit dem was ich tue bereits ein besserer Mensch als meine Mutter, die ja Christin ist. Sowas ist immer objektiv zu betrachten. Meine Religion macht mich nicht zu einem besseren Menschen. Und dann gibts da noch die Frage des Eigennutzes. Wenn ich all das gute auf Erden nur tue um in den Himmel zu kommen, ist das Eigennutz. Macht mich das dann immer noch zu einem guten Menschen? Sind nicht diejenigen besser die anderen helfen weil es ihnen Freude bereitet? Weil es menschlich ist? Auch wenn ich nichts davon habe? Prügel ich wirklich lieber meinem Kind die Gedanken wertlos und niemals gut genug sein zu können ein damit es wie ich aus purem Eigennutz handelt...?

The Dude and the Beast

Heute habe ich es mir im Vorgarten bequem gemacht. Ich komme eher selten dazu dem Kiddo beim spielen zuzusehen, weil es eher selten friedlich genug im Haus ist. Irgendwas ist immer. Das war schon immer so. Die Momente in denen mal nichts ist, sind selten. Heute bin ich mit reflektieren beschäftigt, die letzten Tage ist sehr viel passiert. Zur Abwechslung heult mein Kiddo nicht, sie spielt friedlich mit ihrem Plüschtier im weichen Gras, bei mildem Sonnenschein. Ein friedlicher Anblick den wir alle nicht gewohnt sind.

Ich habe vor etwa einer Woche heraus gefunden warum ich mit dreißig immer noch mein Plüsch Schaf zum schlafen brauche. Alle anderen Plüschtiere sind optional, aber dieses Plüsch Schaf dass mir meine beste Freundin Nezumi 2015 auf der Hanami geschenkt hat, ist quasi überlebenswichtig. Ich kann ohne dieses Plüsch Schaf nicht schlafen. Ich weiß jetzt dass das mit dem Kiddo zusammen hängt, weil es sie beruhigt. Ich weiß seit dem letzten Termin bei meiner Psychologin auch warum. Meine Mutter hat zu früh den Körperkontakt zu mir eingestellt, ich war Hypersensibel und habe mehr Mutterliebe gebraucht, die ich nicht bekommen habe. Es ist völlig in Ordnung dass ich mir als Kind einen Ersatz gesucht habe. Die Fachkräfte im Bereich Psychologie sprechen von einem Übergangsobjekt. Mein Übergangsobjekt brauche ich auch nach dreißig Jahren noch. Ich hatte große Probleme diese Erkenntnis warum ich es so dringend brauche zu akzeptieren. Um ehrlich zu sein tu ich mich damit immer noch verdammt schwer. Es ist eben nicht leicht zu akzeptieren dass man von der eigenen Mutter nicht genug Liebe bekommen hat. Wobei ich ihre Seite der Geschichte nicht beurteilen kann, ich habe eben nicht bekommen was ich gebraucht habe. Ich habe nie gespürt dass sie mich geliebt hat, so lange ich mich erinnern kann. Auch mein Papa war eher ein emotionsloser Klotz. Wer ohne Liebe aufwächst, lernt allein stark zu sein. Und ist dann völlig aus dem Konzept wenn Menschen plötzlich beschließen dass man befreundet ist. Oder Gott bewahre, ein bisschen mehr als reine Freundschaft empfindet. Ich bin durcheinander. Ich weiß nicht womit ich diesen Kerl verdient habe, der bei jeder noch so schweren Macke die ich ihm offenbare mit Verständnis reagiert. Er macht mir keine Vorwürfe, er akzeptiert einfach dass ich mein Schafü mitnehme wenn ich bei ihm schlafe. Er akzeptiert einfach dass ich es brauche. Er versteht auch warum ich es brauche und versteht warum mich das so fertig macht. Und zu allem Überfluss kommt dieser wunderbare Mensch auch noch mit einer äußerst simplen und praktikablen Lösung um die Ecke. Ich weiß wirklich nicht womit ich das verdient habe. Ich liebe ihn. Dessen bin ich mir mittlerweile absolut sicher. Der Kerl tut mir gut. Vielleicht ist er sogar der erste der mir tatsächlich gut tut. Es fühlt sich komisch an verstanden und akzeptiert zu werden. Es fühlt sich komisch an dass er nicht flüchtet.
 

Während ich so in Gedanken versunken bin, registriere ich nicht sofort wie sich das Biest neben mich setzt. Zuerst beobachtet auch sie unser Kiddo, bevor ihr Blick an mich geht. Durchdringend, aus ihren Blut roten Augen heraus. "Also wenn ich ihn nich abschrecken kann, iser vielleicht doch ganz okay." setzt sie frech an und sichert sich damit meine irritierte Aufmerksamkeit. Ich merke ja dass er es durchaus mit ihr aufnehmen kann und ihr sogar die Stirn bietet. Er will nicht dass ich ihre Kommentare runter schlucke, er will hören was sie von ihm denkt. "Du provozierst ihn trotzdem ziemlich." Biest zuckt amüsiert mit den Schultern. "Macht eben Spaß." grinst sie frech. Kann ich mir vorstellen, Provokation macht bei den richtigen Menschen tatsächlich ziemlich Spaß. Und ich bin immer wieder überrascht davon wie entspannt er darauf reagiert.

"Wir müssen trotzdem an unseren Formulierungen arbeiten, is ja schön dass Borderline mir mittlerweile mitteilt was Sache ist, aber das ist ein Punkt mit dem er nicht klar kommt." Biest schnauft, ich seufze. "So findet man eben Grenzen. Du kannst nicht davon ausgehen dass du die einzige mit Mauern bist, Dumpfbacke." Ich schnaube amüsiert. Natürlich bin ich nicht die einzige Person auf diesem Gott verlassenen Planeten mit Mauern im Kopf. Auch er wird seine haben und das ist nun mal eine Möglichkeit seine zu finden. "Leider neigen wir ja beide dazu mit dem Kopf durch die Wand zu rennen bis wir sie eingerissen haben." Da hat das Biest Recht. Mein Papa sagt auch immer dass ich Meister darin bin Mauern mit meinem Dickschädel einzureissen. Und wenn keine Mauer da ist, zieh ich sie selbst hoch. Seine Worte, nicht meine. Klingt beinahe als würde ich das aus Spaß an der Freude machen, tatsächlich ... stolper ich einfach so professionell durchs Leben dass es wie tanzen aussieht. Dabei reiss ich nun mal manche Wände ein. "Hätte ja keiner ahnen können dass ich brauche dich reicht. Das hat nie gereicht, bei keinem. Ich hab immer n verdammten Grund gebraucht um zu verdeutlichen wie wichtig ist was ich gerade brauche. Weil ich nun mal nicht die höchste Priorität habe." Biest und ich haben unseren Blick wieder auf das Kiddo gelegt. Wir sind beide nachdenklich. Wir haben beide tatsächlich nicht erwartet dass wir bei ihm keinen Grund brauchen. Dass es reicht ihm zu sagen dass ich ihn brauche. Ich muss ihm nicht mitteilen dass ich Angst davor habe mir etwas anzutun wenn ich allein bleibe, ich brauche dich... drei Worte die mir irrsinnig schwer über die Lippen gehen. Weil ich niemanden brauchen darf durfte. Ich kann offen mit ihm darüber reden dass ich mir nicht sicher bin ob ich mein Leben möchte. Ich kann offen mit ihm über meinen Besuch reden. Problematisch wird es erst wenn ich ihm schreibe dass ich mir etwas antue. Was für mich ein Hilferuf ist, löst bei ihm glaube ich Angst aus. Was nahe legt dass ich ihm definitiv irgendwie wichtig bin, auch wenn er noch nicht gesagt hat dass er Gefühle für mich hat. Er beschreibt es als Blockade, ich kenne die Situation in die ich ihn gesteckt habe. Ich habe bereits zwei Abschiedsbriefe per Nachricht erhalten, ich habe beide Leben gerettet, aber ich kann damit auch nicht umgehen. Ich fühle mich schlecht weil ich ihn in dieselbe Situation gesteckt habe, obwohl ich weiß wie schlimm das ist und was das mit einem macht. Aber ich konnte eben auch nicht ahnen dass es reicht wenn ich ihm schreibe dass ich ihn brauche. Das war kein Gedanke der mein Hirn gekreuzt hat. Borderline hat mich letztes Wochenende völlig überrumpelt. Sie kam so gar nicht damit klar dass meine Mutter mich so abgefuckt hat dass ich in meinem Alter noch abhängig von einem verdammten Plüschtier bin. Ich hatte eine Selbstverletzung für die ich mich jetzt ziemlich schäme. Ich weiß jetzt allerdings auch dass die Jungs aus der Pokémon Go Gruppe tatsächlich meine Freunde sind. Boris hat immer ein offenes Ohr für mich, genau wie Flo der mir tatsächlich auch mit meinem Boi geholfen hat. Wo ich blockiert und in Panik war, schätze ich dass Flo wahrscheinlich vermittelt hat dass ich mit meiner kaputten Art um Hilfe gerufen habe. Ich weiß nicht was er gemacht hat, was er ihm geschrieben hat... aber er ist zu mir gekommen. Er hat mit mir geredet, er hat mich im Arm gehalten und hat mich nicht allein gelassen. Er fragt immer wieder wie es mir geht und während ich das hier schreibe steigen mir wieder die Tränen in die Augen weil ich nicht fassen kann womit gerade ich Vollzeitkatastrophe so einen liebevollen Menschen verdient habe. Auf der anderen Seite muss ich daran denken was die Waifu mir geschrieben hat. Liebe sollte man sich nicht verdienen müssen, aber wenn hast du alles davon verdient. ... in anderen Worten, aber Gott ... ich will sie verprügeln ... was fällt ihr ein mich zum heulen zu bringen weil sie ... durchatmen. Auch der Boi sagt immer wieder dass ich eigentlich ein guter Mensch bin, ich kann es nur nicht sehen. Und damit hat er völlig Recht. Er fragt auch immer ob ich mir sicher bin wenn ich ihm sage dass es mir gut oder okay geht.
 

"Ich finds übrigens nicht okay dass er mich erkennt!" Biest hat die Backen aufgeplustert, ich mustere sie mit einer hoch gezogenen Augenbraue. Stimmt. Seit der Selbstverletzung spricht er mich immer wieder auf ihre Hörner an, fragt wer gerade aktiv ist und möchte dass ich sie nicht mehr unterdrücke. Er will sich auch mit ihr befassen. Er weiß dass sie nicht an die Oberfläche kommt, aber hin und wieder kommt ein Blick durch. Oder ein Kommentar. Eine Provokation. Und er erkennt zuverlässig wer ihn gerade provoziert. Mir ist selbst nie bewusst gewesen dass Biest und ich unterschiedlich agieren, ich habe nie darauf geachtet. Und ich glaube dass auch ihr das nicht passt, wenn ich sie so ansehe. "Denk ich mir, bisher hast du immer aus dem Schatten heraus Freundschaften zerstört und Kerle vergrault." feixe ich, was mir einen lauten Blick einfängt. Immer eine eher schlechte Idee das Biest herauszufordern. Andererseits... er tuts auch, vielleicht sollte ich mich dem anschließen. Sie hat mich beschützt als ich sie gebraucht habe. Sie hat Krieg geführt als unsere innere Welt in Gefahr war. Sie hat um unser Leben gekämpft als wir Besuch hatten ... und ich habe sie immer unterdrückt. Vielleicht wird es Zeit auch ihr ein bisschen mehr Freiraum zu lassen. Vielleicht wird auch sie ruhiger und findet neue Aufgaben wenn ich ihr den Raum dazu lasse. "Ers interessant, er kanns mit mir aufnehmen."

"Das kann er wohl." Ich schmunzle. Auch das ist eine neue Erfahrung. Nicht nur dass er mein Biest erkennt und sich nicht von ihr abschrecken lässt, er spielt mit ihr. Er erkennt sie als Teil von mir an. Er tut einfach wozu ich nicht in der Lage war. Ich weiß nicht ob ich jetzt dazu in der Lage bin, aber ich bin sicher dass ich noch sehr viel von ihm lernen kann. Und ich möchte von ihm lernen. Gerade ist mein großes Thema anscheinend Akzeptanz. Ich weiß nicht wer ich bin, aber ich kann lernen das zu akzeptieren... Ich nehme dir oder dem Biest nichts übel, warum auch? Es gehört zu dir. Das Biest soll dich doch auch weiter beschützen, ist vollkommen okay für mich. Und wenn ihr euch einig seid, dann komm ich auch in den Vorgarten.



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