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Under the Surface

Kai x Rei
von

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No Right to Be

A/N: Bitte bedenkt, dass ich die Ff ursprünglich 2003 geschrieben habe und sie daher teilweise inhaltlich auch nicht mehr meinen eigenen Anforderungen entspricht. Dennoch hat sie es einfach verdient, dass ich sie noch eimal "generalüberhole" :D Und noch ein Hinweis: Inhaltlich hat die Ff nicht wirklich etwas mit der Serie zu tun (ich kenne nämlich nur sehr wenige Folgen).

Disclaimer: Ich verdiene weder Geld mit dieser Geschichte, noch gehört (außer der Idee) irgendetwas davon mir.
 

~*~
 

Es war eine Nacht, wie viele andere Nächte zuvor. Unangenehm kalt und regnerisch. Kein Wetter das dem Vertreib Reis düsterer Gedanken in irgendeiner Form zuträglich gewesen wäre. Ohne ein bestimmtes Ziel irrte der Schwarzhaarige durch die vielen dunklen Gassen Pekings während der andauernde Regen, der Reis Glieder langsam aber sicher taub werden ließ, trotz allem nicht in der Lage war, ihn dazu zu treiben, wieder sein warmes und gemütliches Hotelzimmer aufzusuchen.
 

Dies war einer dieser Augenblicke in denen er am liebsten aufgehört hätte zu kämpfen. In denen er am liebsten aufgegeben hätte. Sein Leben war nie einfach gewesen und würde wohl auch eher noch härter werden, als dass er so etwas wie Frieden finden würde. Niemand wusste wer oder besser gesagt, was er wirklich war. Vielleicht war das auch besser so. Aber sein gesamtes Leben auf einer Lüge aufzubauen war schwieriger als Rei jemals geglaubt hätte. Ein wirklich „normales“ Leben war alles was Rei sich wirklich wünschte, doch dieser Wunsch würde wohl nie in Erfüllung gehen. Der Blick über die Schulter würde auch weiterhin sein unliebsamer Begleiter bleiben.
 

Die Gesellschaft der Welt im Jahre 2057 war gestrickt aus einem System das der Mehrheit alles Recht gab und der Minderheit ihre Meinung versagte. In diesem Netz der Intoleranz war es für einen, der sich vom Rest unterschied, nicht leicht zu leben. Gerade Mal das Überleben schafften einige von ihnen; wie auch er. Aber um welchen Preis? Doch trotz allem wollte der Schwarzhaarige nicht sein gesamtes Leben verteufeln – hatte er doch auch Freunde. Doch wollte er wirklich wissen wie sie ihm gegenüberstehen würden, wenn sie unter die Oberfläche seiner äußeren Hülle sehen könnten? Würden sie all ihre Prinzipien vergessen und zu ihm stehen? Oder würden sie sich dem Willen der breiten Masse beugen und ihn verraten?
 

Das Oberhaupt aller, die Regierung der Weltspitze in Europa hatte schon vor Jahren bestimmt, das alles, was von fernab des Ozeans kam von Grund auf schlecht und verdorben war und somit kein Recht auf ein menschenwürdiges Leben hatte. Mit diesem Misstrauen im Nacken versuchte nun ein siebzehnjähriger Junge seinen Platz im Leben zu finden. Doch was, wenn ihm das nie gelang?
 

Immer auf der Flucht, nie wirklich zu Hause.
 

Die, die meinten dass sie der Norm einer lebenswürdigen Kreatur entsprachen, nahmen sich heraus, die, die weniger wert zu sein schienen zu unterdrücken. Doch hatten sie das Recht dazu? Natürlich hatten sie das nicht. Aber sie hatten Angst. Angst vor allem was anders war als sie – und Angst ist ein mächtiger Gegner.
 

Die Rangordnung der Natur wurde mit dem Auftauchen der „Andern“, der „Dämonen“ verändert. Nun bestimmte der Mensch nicht nur über die Tiere und ihre Lebensräume, nun bestimmte er auch über die, die zwar intelligent schienen, aber ihrer Meinung kein Recht auf eine Existenz hatten. Wo lag der Unterschied? Andersartiges Aussehen? Andersartige Fähigkeiten? War dies denn Grund genug?
 

Das was Menschen als ihr Leben betiteln konnten, stellte für diese „Kreaturen“ eine einzige Folter dar. Ein Leben in den Verließen der unterirdischen Kerker, ein Leben in dem man nur den Boden zu Gesicht bekam, weil einem das Augenlicht gewaltsam genommen wurde, wenn man es wagen sollte sein Gesicht der Sonne zuzuwenden. Dieses Dasein führten viele von ihnen. In Unwissen darüber, wofür sie diese Hölle auf Erden eigentlich verdient hatten. Die Ängste der Menschen wurden weggesperrt – wurde das Problem nicht gesehen, so brauchte sich auch keiner zu sorgen.
 

Sollte Rei denn nicht froh sein, das ihm das Privileg zu Teil wurde frei zu sein?

Vielleicht ja. Aber wie sollte man diese Freiheit unbeschwert genießen können in dem Wissen das gleichzeitig andere, die seine Herkunft teilten, unerträgliche Qualen durchleiden mussten? Die Angst, doch noch entdeckt zu werden, ließ ihn nicht los und auch in seinen Träumen verfolgten ihn Bilder aus der Vergangenheit und Ängste vor der Zukunft. Sollte er ewig davonlaufen? Sich fragen, ob es irgendwann besser werden würde? Auf diese Frage hatte er keine Antwort.
 

Kurz blieb Rei stehen, um ein wenig zu verschnaufen.

Bis auf die Knochen durchnässt stand er wieder vor dem Hotel und fragte sich, wie lange er noch dazu im stande sein würde diese Rolle zu spielen, die seine „Freunde“ für sein wahres Ich hielten. Jeden Tag aufs Neue machte er ihnen etwas vor und das tat ihm ehrlich leid, aber er hatte keine andere Wahl. Jedenfalls nicht wirklich.
 

Manchmal frage er sich, ob es nicht wirklich besser wäre einfach aufzugeben, doch eigentlich wusste er, warum er immer noch da war.
 

Er hatte noch immer Hoffnung…

Nescience

Langsam und darauf bedacht keine Geräusche zu machen schlich Rei durch den dunklen Hotelflur. Vor dem Zimmer mit der Nummer 67 blieb er stehen, lauschte kurz und schloss dann leise die schwere Tür auf. Trotz der Vorsichtigkeit mit der er vorging war er sich ziemlich sicher, das Kai, der im selben Zimmer schlief, genau wusste, dass er des Öfteren nachts unterwegs war. Trotzdem hatte ihn dieser noch nie darauf angesprochen. Vielleicht, weil es sein Training mit der Mannschaft nicht beeinträchtigte oder weil es ihm egal war... Vielleicht aber auch, weil Kai selbst zu den unmöglichsten Zeiten unterwegs war. Es schien als teilte Rei zumindest eines mit Kai: Sie hatten beide etwas zu verbergen.
 

Nachdem Rei sich seiner nassen Klamotten entledigt und sich umgezogen hatte setzte er sich mit gemischten Gefühlen auf den Rand seines Bettes. Eigentlich sollte er nicht so viel über das Geheimnis Kai Hiwataris nachdenken – schließlich hatte er sein eigenes. Und trotzdem betrachtete er seinen Teamchef mit anderen Augen als der Rest der Bleadbreakers, da war er sich ziemlich sicher. Nach außen hin mochte der unter dem Spitznamen „Eisblock“ bekannte Blader ja kaltherzig, ignorant und unnahbar sein – auch wenn sich das seit dem Vorfall am Baikalsee etwas geändert hatte, doch Rei erkannte leicht, wenn jemand versuchte sich anders zu geben als er war. Schließlich hatte er selbst genug Übung darin.
 

Zu gerne wüsste er was Kais Beweggründe für sein Versteckspiel waren. Er dachte oft darüber nach. Ob Kai vielleicht auch ab und zu über ihn nachdachte? Rei war sich da nicht sicher – allerdings wäre es nicht gerade von Vorteil, würde sich jemand zu viele Gedanken um ihn machen. Unauffälligkeit war Reis einziger Schutz und diesen durfte er auf keinen Fall aufs Spiel setzen.
 

Als Rei am nächsten Morgen erwachte war es schon hell und von Kai war nichts mehr zu sehen. Ein Blick auf die Wanduhr zeigte ihm auch warum. „Mist!“ Um halb neun waren die Bleadbreakers in der Hotellobby verabredet, da ihr Bus einige Minuten später ankommen würde um sie weiter nach Italien zu fahren. Jetzt war es kurz nach acht und Rei war mehr als froh, dass er seinen Koffer schon am gestrigen Abend gepackt hatte. Warum hatte Kai ihn denn nicht geweckt? Ein Glück brauchte Rei nicht viel Schlaf. In der Regel genügten ihm drei Stunden um wieder einigermaßen fit zu sein.
 

Gerade als Rei, seine Kleidung unter dem Arm, die Badezimmertür öffnen wollte, tat sie es von selbst und sein Teamchef, nur mit einem Badehandtuch um die Hüften, stand ihm gegenüber – mit einer gewissen Überraschung im Gesicht, wie man sie nur selten bei dem Russen zu Gesicht bekam. Er hatte wohl damit gerechnet das Rei noch immer im Bett lag. Ein hauchzarter Rosaschimmer legte sich auf die Wangen des Schwarzhaarigen und auch Kai konnte nicht verhindern dass man ihm ansah dass ihm diese Situation etwas unangenehm war – obwohl es dazu eigentlich keinen Grund gab. Da Rei indessen nicht wirklich Anstalten machte Kai den Weg frei zu machen schob ihn dieser etwas unsanft zur Seite und brummte irgendetwas leise auf Russisch, was Rei natürlich nicht verstand.
 

Noch etwas verlegen sah dieser ihm noch kurz nach, dann ging er in das Badezimmer, wo Kai wohl gerade geduscht hatte. Der große Spiegel war noch teilweise beschlagen und der Boden war an einigen Stellen nass. Seufzend lehnte Rei seine überhitzte Stirn gegen das kühle Glas. Das war gar nicht gut.
 

Sich daran erinnernd dass er nicht viel Zeit hatte machte Rei sich dann doch schnell fertig und überprüfte noch einmal den richtigen Sitz seines Stirnbandes, bevor er Kai wieder gegenüber trat. Nur ein kleiner Fehler und seine Tarnung würde auffliegen. Sein Leben war ein Spiel mit dem Feuer.
 

Einige Minuten später traf Rei dann unten in der Lobby auch auf Takao, Mizuhara und Kyōju die ihn mit einem gut gelaunten „Guten Morgen“ begrüßten. Kai stand schon draußen und wartete auf den Bus – er hatte natürlich nicht auf Rei gewartet. Als dieser dann auch kurze Zeit später um die Ecke bot und die Bleadbreakers ihre Koffer und Taschen dem Fahrer des kleinen Reisebusses überlassen hatten, staunten sie nicht schlecht. Außen sah der, von der BBA gestellte, Bus ganz normal aus, aber innen war er sehr geräumig. Er hatte sechs Sitzreihen und die Sitze selber ließen sich so zurück stellen das man einigermaßen bequem schlafen konnte. Außerdem war er klimatisiert und vorne war ein kleiner Fernseher angebracht, der sogar einen DVD-Player besaß.
 

Kai setzte sich sofort mit leicht grimmiger Miene – irgendwie schien er nicht gerade gut drauf zu sein - nach hinten in die vorletzte Reihe und stellte demonstrativ sein Handgepäck neben sich. So wusste der Rest seines Teams gleich, dass er alleine sitzen wollte. Daitenji, welcher bereits vorne im Bus gesessen hatte, legte daraufhin leicht die Stirn in Falten. Er beobachtete zwar mit Freuden dass Kai sich langsam etwas besser in die Gruppe integrierte, doch sah er auch immer noch dass er trotz dessen lieber für sich zu sein schien. Leider hatte der Manager aber auch keine Idee, wie er dies ändern könnte. Von den anderen Teammitgliedern dagegen wurde er erst einmal lautstark begrüßt - hatten die Bleadbreakers doch gar nicht erwartet das er sie begleiten würde, denn die eigentliche Planung hatte vorgesehen, das er das Team erst in Italien treffen würde.
 

„Was machen sie denn hier?“ Takao setzte sich mit Mizuhara zusammen in die zweite Reihe hinter den leicht rundlichen Mann. „Geschäftliches, Takao, Geschäftliches. Ich dachte, wenn ich schon mal hier in der Nähe bin, kann ich auch gleich mit euch zusammen fahren, satt das Flugzeug zu nehmen.“
 

Während die Beiden Daitenji nach seinen Plänen für ihren Kurzurlaub in Italien befragten und Kyōju sich in der dritten Reihe niederließ und sogleich seinen Laptop aufschlug um an seinen Computerrecherchen weiterzuarbeiten, setzte Rei sich etwas unschlüssig ganz nach hinten in die letzte Reihe auf die linke Seite. Kai saß auf der Rechten, so hatte er ihn ganz gut im Blick. Es war immer gut einen Überblick zu behalten. Schließlich konnte der Schwarzhaarige nie mit aller Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass nicht etwas Unvorhergesehenes passierte.
 

~*~
 

Sich halb auf die wunderschöne Berglandschaft konzentrierend und halb Kai aus dem Augenwinkel beobachtend machte sich Rei so seine Gedanken über das ungelöste Rätsel Nummer eins: Kai Hiwatari. Warum war der Russe überhaupt Teamchef dieser bunten Truppe? Das passte genau genommen absolut nicht zu ihm. Er war ein Einzelgänger, still, oft aber auch aufbrausend und schien seine Ruhe mehr zu schätzen als ein freundliches Gespräch. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb fand der Schwarzhaarige den Russen interessanter als jede andere Person, die ihm zuvor begegnet war. Er konnte ihn nicht einschätzen – etwas, dass er eigentlich sehr gut konnte.
 

Vorne sahen sich Mizuhara, Takao und Kyōju gerade „I am Legend“ an. Kai schien dieser Film nicht besonders zu interessieren, denn er kuckte gelangweilt aus dem Fenster (oder vielleicht kannte er ihn auch schon?). Und auch Rei wollte diesen Film nicht sehen. Wahrscheinlich bezog er Filme dessen Themeninhalt in irgendeiner Form Monster waren, die der Held zu töten hatte, zu sehr auf sich selbst. War er denn ein Monster?
 

Rei versuchte zu verhindern sich wieder in düsteren Gedanken zu verlieren und setzte sich lieber die Kopfhörer seines mp3-Players auf die Ohren. Und während Amy McDonald „This ist the life“ zum Besten gab sank der Kopf des Schwarzhaarigen gegen die Fensterscheibe und er begann unbewusst in Gedanken zurück zu wandern… Vor seinen Augen tauchten Bilder auf, die er nie wieder sehen wollte und er erinnerte sich an Bruchstücke aus seiner Kindheit die er besser vollständig vergessen hätte...

Callousness

“Dort drüben sind sie lang gelaufen! Verfolgt sie! Keine Gnade! Entweder wir töten sie zuerst oder Menschen waren die längste Zeit die Beherrscher unseres Planeten!“
 

Die aufgebrachten Rufe der Männer hallten durch die Nacht. Sie suchten sie. Eine verängstigte, junge Frau von ungefähr 25 Jahren kauerte in einer dunklen Gasse und bangte um ihres und das ihres Sohnes Leben. "Mama warum verstecken wir uns?" Große bernsteinfarbene Augen betrachteten die Ängstlichen seiner Mutter. Er war eigentlich noch zu jung um zu verstehen, dass sie in großer Not waren und dennoch wusste Rei, dass diese Nacht wahrscheinlich alles verändern würde. Noch nie hatte er seine Mutter so panisch gesehen. Diese bedeutete ihm ruhig zu sein und Rei verstummte. Er versuchte sich möglichst klein zu machen und sich darauf zu konzentrieren aus welcher Richtung Schritte kamen und wohin sie eventuell fliehen konnten. Doch sie kamen von allen Seiten. Seine Mutter und er und noch einige andere die er kannte waren anders als die Menschen, aber eigentlich hatten sie mehr gemeinsam als das sie etwas unterschied – doch anscheinend reichte dieser kleine Unterschied aus, um die einen zu Jägern und die anderen zu Gejagten zu machen.
 

Die ersten von ihnen kamen über den Ozean nach Japan. Niemand hat sie gefragt wer sie waren, was sie wollten oder wo genau sie herkamen. Sie wurden sofort als abnormal abgetan und umgebracht. Die Menschenrechte galten für sie nicht. Rei hatte ihn mit seinen sechs Jahren bereits zwei Mal gesehen: Den Tod. Seinen ermordeten Vater, seine ermordete Tante. Er hatte keine Angst um sich, er hatte nur Angst auch noch sie zu verlieren, seine Mutter Faith. Die Frau, die ihm so ähnlich sah hatte ihm die spitzen elfenartigen Ohren, seine bernsteinfarbenen Augen und seine helle Haut vermacht. Er konnte überdurchschnittlich gut hören, nachts fast genauso gut sehen wie am Tag und wohl besser klettern, als ein Mensch es wohl je können würde. Aber war das ein Grund sie zu verfolgen und jeden einzelnen von ihnen umzubringen oder sie in eine der „Erziehungsanstalten“ zu stecken?
 

Faith sah ihren Sohn traurig an. Es war eine ausweglose Situation. Sie waren eingekreist, keine Chance zu fliehen. Was sollten sie bloß tun? Entweder sie würden beide umkommen oder die Menschen würden sie trennen und Rei in ein Erziehungsheim stecken. Das wollte sie nicht. Sie hatte schon viel über diese „Heime“ gehört und das was sie gehört hatte war fast ebenso schlimm wie der Tod selbst.
 

"Rei? Rei! Wach auf! Ich habe Daitenji-san überredet, dass wir bei McDonalds anhalten und etwas essen. Also wenn du auch Hunger hast, dann komm!" Mit diesen Worten verschwand Takao in Richtung Tür. Erst jetzt hatte Rei realisiert, das er wieder wach war. "Woher kommt jetzt diese Erinnerung…? Warum weiß ich nicht was danach passiert ist? Oder will ich vielleicht gar nicht wissen, was danach war?" Diese verwirrten Fragen Reis waren an niemanden gerichtet, doch wusste er nicht, dass sie dennoch jemand erhört hatte.

Pokerfaces

Kai war normalerweise ein Mensch, welcher sich eher selten Gedanken um Andere machte. Doch selbst ihm war aufgefallen, dass Rei – wenn er denn mal schlief – eigentlich fast immer etwas Schlechtes zu träumen schien. Die Gefühle, welche sich dann im Gesicht des Schwarzhaarigen wiederspiegelten sprachen für sich. Hatte er etwa, ebenso wie Kai, eine Kindheit gehabt, die man lieber wieder vergessen wollte? Es schien ganz so.
 

In letzter Zeit dachte der Teamchef viel zu oft über Rei nach. Warum eigentlich? So lange dessen Alpträume nicht das Training beeinflussten konnte Kai doch eigentlich egal sein, wie es diesem ging, oder? Aber so einfach war das eben nicht. Früher einmal war dies vielleicht so gewesen. Doch Kai hatte sich verändert – auch wenn er diese Veränderungen nicht all zu sehr nach außen trug. Vielleicht war es an der Zeit dies zu ändern? Mit jemanden zu reden? Mit Rei zu reden? Kai hatte das Gefühl, das gerade der Schwarzhaarige seine Gedankengänge am besten nachvollziehen konnte, denn auch wenn dieser nach außen hin oft sehr fröhlich wirkte, so war Kai doch nicht entgangen, dass Rei auch oft in Grübeleien versank und ganz und gar nicht zu jeder Zeit der Sonnenschein war, für den ihn jeder hielt.
 

Aber noch konnte Kai sich nicht zu diesem Schritt überwinden. Die Vorstellung, wie er sich jemanden anvertraute war ihm einfach noch zu fremd, zu unwirklich.
 

"Kai? Kai! Hörst du mir überhaupt zu? Ich habe dich gefragt, ob du auch etwas frühstücken möchtest!" Takao war wieder zurückgekommen, als ihm eingefallen war, dass er noch einen Teamchef hatte, den es zu fragen galt und er außerdem sein Geld hatte liegen lassen. Etwas wilder als nötig fuchtelte der Japaner nun mit einer Hand vor dem Gesicht des Russen herum, bis dieser ihm mit einem unfreundlichen Blick dazu brachte mit den Schultern zu zucken und sich wieder auf dem Weg zum Fast Food Imbiss zu begeben.
 

Währenddessen hatte sich Mizuhara zu Rei gesellt und zeigte ihn irgendetwas auf seinem Nintendo DS, der Schwarzhaarige lachte – doch Kai hatte nicht das Gefühl, dass das Lachen die bernsteinfarbenen Augen erreichte. Sah das denn wirklich keiner außer ihm? Sobald Mizuhara wieder verschwunden war (er musste schließlich das Spiel weiter spielen) konnte Kai einen sofortigen Umschwung in Reis Gesichtsausdruck erkennen – von gezwungen fröhlich zu nachdenklich melancholisch. Langsam aber sicher wurde Kai das Gefühl nicht mehr los, dass sie beide eine Maske trugen, die ihre wahre Stimmung verbarg. Doch welchen Grund hatte Rei dies zu tun? Den unfreundlichen Eisblock zu spielen, stellte Kai sich wesentlich einfacher vor, als einen glücklichen Menschen zu spielen, wenn man doch gar nicht glücklich war.
 

Während es sich Mizuhara, Kyōju und Takao vorne wieder bequem gemacht haben, hatte Daitenji das Radio eingeschaltet – pünktlich zu den Nachrichten. Zu hören war ein aktueller Bericht über die gestrige „Dämonenverfolgung“. Drei hatten sie erwischt, einer konnte entkommen. Ein Hetzspiel was sich dem Verständnis Kais gänzlich entzog. Es gab eigentlich nie tätliche Angriffe der „Anderen“ auf Menschen. Warum also jagte man sie? Klar dass diese sich wehrten, wenn sie verfolgt wurden. Es schien ganz so, als würde auch Rei dieses Thema nicht verstehen, denn Kai war schon öfter aufgefallen, dass dieser dann in einer Stimmung zwischen Trauer und Wut schwebte. Es schien ihm wirklich nahe zu gehen. Es gab nicht viele Menschen, denen das Schicksal der Dämonen in irgendeiner Form wichtig war, doch es gab sie und Rei zählte offenbar dazu. Oder ging seine Verbindung sogar tiefer…?
 

Eine Stunde später war die Gruppe bereits wieder auf dem Weg ihrem Ziel entgegen.

Und aus einem ihm unerfindlichen Grund wünschte Kai sich, dass er nicht vor, sondern hinter Rei sitzen würde. Um ihn besser beobachten zu können. Warum ihn ein Teammitglied mittlerweile dermaßen interessierte, ja fast faszinierte, konnte sich der Russe nicht erklären. War Rei wieder eingeschlafen? Beobachtete Rei vielleicht sogar ihn? Er wusste es nicht – aber er wollte es wissen! Er hatte das seltsame Bedürfnis den Kleineren in der Arm zu nehmen, ihm ganz nah zu sein, ihn zu beschützen und ihm irgendwie seine Sorgen zu nehmen, die ihn so offensichtlich quälten. Doch dies alles würde ihm nie gelingen, sollte er sich nicht überwinden können mit Rei zu reden, offen zu reden.

Unexpected Help

Als die Bladebreakers einige Stunden später einen weiteren Zwischenstopp in einem kleinen Ort am Meer einlegten, machten sich Mizuhara, Takao und Kyōju auf in Richtung Strand, auch wenn es schon recht spät war. Kai hingegen entschloss sich lieber noch einen Spaziergang durch den Ort zu machen – ohne ein bestimmtes Ziel – um wieder Ordnung in das Chaos seines Kopfes zu bekommen.
 

Doch seine Gedanken wurden unterbrochen durch das ungute Gefühl beobachtet zu werden. Und er sollte Recht behalten. Als er sich ohne Vorwarnung umdrehte erblickte er eine in einen dunklen Mantel gehüllte Gestalt, welche auch nicht die geringsten Anstalten macht sein offensichtliches Ziel zu vertuschen. „Was willst du?“ Doch eigentlich ahnte Kai bereits was auf ihn zukommen würde. „Nichts weiter als dein wertloses Leben.“ Seelenruhig zog der Mann mit dem nur allzu deutlich russischen Akzent eine Waffe, während Kai das Geräusch des Entsicherns nun aus mehreren Richtungen hörte. Sein Großvater war also auf Nummer sicher gegangen. War es das nun? Sein Ende?
 

Nur einige Meter weiter hatten Mizuhara, Takao und Kyōju sich in einem kleinen Laden etwas zu trinken, eine Tüte Chips und Salzstangen besorgt als ein lauter Knall sie zusammenzucken ließ. Ganz in der Nähe musste jemand einen Schuss abgefeuert haben. Ohne zu überlegen ließ Takao die Knabbereien und die Cola ins nächste Regal fallen und lief auf die Straße, dicht gefolgt vom Rest seines Teams. Ohne nachzudenken war er in die Richtung gelaufen, aus der er den Schuss gehört hatte, nicht auf das Rufen der Verkäuferin achtend, die meinte sie sollten zu ihrer eigenen Sicherheit lieber hier bleiben.
 

Am Ort des Vorfalls angekommen wollte Takao seinen Augen nicht trauen und auch Mizuhara und Kyōju sahen aus als würden sie gerade in einem schlechten Actionfilm fest sitzen. Vor ihnen sahen sie Kai, welcher geschockt zu Rei blickte, welcher gerade einen Mann mit einem gezielten Schlag in den Nacken zu Fall brachte, welcher mindestens doppelt so breit war wie der Chinese selbst. Die Vermutung lag nahe, dass auch die anderen Männer – fünf an der Zahl und ebenso viel kräftiger aussehend als Rei – von diesem niedergetreckt worden waren. Auch wenn die drei es nicht glauben konnten – und Kai vermutlich auch nicht; Rei hatte wohl gerade eben sechs Attentäter ins Reich der Träume befördert, welche Kai hatten umbringen wollen. Das zumindest schloss Takao aus der Situation, als er die Waffen entdeckt hatte, welche einige der Bewusstlosen noch in ihren Händen hatten. Schließlich war es kein allzu großes Geheimnis, dass Voltaire seinen Enkel am liebsten tot sehen würde.
 

„Einer von euch sollte die Polizei rufen gehen.“
 

Reis Satz brachte die anderen vier wieder zurück in die Realität. Der Ausdruck in Reis Augen war ihnen gänzlich unbekannt. Sie strahlten eine unbändige Stärke aus und wirkten fast ein wenig raubtierhaft. „Na los!“ Reis Stimme klang nun fast wie ein Befehl. Kyōju sammelte sich als erster. „Wir können das im Laden machen.“ Mizuhara Blick riss sich nun von Rei los und er nickte zögerlich. „Gut, machen wir das.“ Ohne auf Takaos Proteste zu achten schnappte sich der Blonde seine zwei Freunde und zerrte sie den Weg zurück hinter sich her zum Laden.
 

Kai unterdessen hatte seinen Blick noch immer auf den Schwarzhaarigen gerichtet, welcher ihn nur kurz ansah und sich auf den Weg Richtung Hotel machte. Wie in einem stillen Einverständnis schloss Kai sich Rei an und ging einen Schritt entfernt neben ihm her.
 

Er war sich sicher das die Attentäter nach dieser Aktion – er konnte immer noch nicht so richtig glauben, was er gesehen hatte – noch länger bewusstlos sein würden. Jetzt musste er erst mal mit Rei reden, das war wohl jetzt wirklich unumgänglich.

Trust

“Danke.”

Kai benutzte dieses Wort wirklich selten. Aber dieses Mal war es wirklich angebracht. Rei hatte ihm das Leben gerettet, dessen war sich der Russe bewusst. Doch sollte er ansprechen, dass diese Tatsache auf so einige Fragen aufwarf? Wie hatte Rei das bewerkstelligen können? Dass die Schnelligkeit und die Kraft, die der Schwarzhaarige an den Tag gelegt hatte, keineswegs menschlich waren lag auf der Hand. Doch der einzige Rückschluss, der Kai in den Sinn kam würde viel zerstören. Er würde bedeuten das Rei eben genau das war: Nicht menschlich. Zumindest teilweise. Und das wiederum würde bedeuten dass er – trotz seiner Heldentat – nun in einigen Schwierigkeiten steckte.
 

"Du wirst mir nicht die Wahrheit erzählen, wenn ich dich frage, was das eben zu bedeuten hatte, oder?" Fragend sah Kai Rei von der Seite, welcher nun stehen geblieben war. Vor ihnen erstreckte sich das durch die Nacht tiefschwarze Meer. „Nein.“ Seine Stimme klang resignierend. Kai seufzte. Er hatte mit einer solchen Antwort gerechnet. „Trotzdem solltest du wissen, dass du mir vertrauen kannst.“ Nun blickte ihn Rei doch richtig an. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf dessen Lippen. „Danke.“
 

Nach einer eher unruhigen Nacht und einem unfreundlichen Morgen welcher Mit Befragungen durch die örtliche Polizei gefüllt gewesen war, waren die Bladebreakers nun wieder auf den Weg in Richtung Italien. Keiner von ihnen hatte etwas Vernünftiges ausgesagt. Es war eben dunkel gewesen und Takao sagte ebenso wie Mizuhara und Kyōju aus, dass die Attentäter schon bewusstlos gewesen wären, als sie angekommen waren. Kai hatte nur über die Unfähigkeit der Leute seines Großvaters berichtet und wie sich diese angefangen hatten zu streiten und sich selbst zu attackieren. Und Rei? Ja, der war gar nicht dabei gewesen. Dieser Meinung waren zumindest alle Beteiligten.
 

Trotz dessen das seine Freunde für ihn gelogen hatten fühlte sich Rei unwohl. Die ungewohnte Stille im Bus ließ Kyōjus Tippen auf seinem Laptop unerträglich laut erscheinen. Misstrauen und unbeantwortete Fragen lagen in der Luft und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Rei spürte wie Kais Blick immer mal wieder auf ihn ruhte und das machte ihn nervös. Sein Gefühl sagte ihm, dass der Russe alles wusste. Doch wie sollte er mit Kai darüber sprechen?
 

Drei Stunden später hielt der Bus dann endlich quietschend vor dem gebuchten Hotel der Blader in Chesenatiko. Das Hotel stand in der zweiten Häuserreihe fast direkt am Meer und durch eine Lücke in der ersten Gebäudereihe konnte man es sogar von dem Balkon der Zimmer aus sehen. Während die Bladebreaker sich in zwei Zimmern einrichteten, begab sich Daitenji in das Nebengebäude, da das Hotel unterteilt war in einen Komplex für Schulklassen und andere Jugendreisen und in Räumlichkeiten für Betreuer und andere Gäste.
 

Als Kai seines und Reis Zimmer betrat war er erst einmal ein wenig irritiert. Dies war wirklich kein Luxus (auch wenn er jetzt nicht gerade mit vier Sternen gerechnet hatte). In dem Zimmer standen ein etwas wackeliger Schrank, ein Stockbett und ein Doppelbett – wahrscheinlich waren alle Zimmer hier ähnlich zusammengewürfelt eingerichtet. Rei indessen ging einfach an Kai vorbei, überblickte kurz die Situation und lies seine Tasche auf das untere Bett des Stockbettes fallen - sogar unter diesem Gewicht bog sich der Boden bereits durch. Kai beschloss unterdessen erst einmal duschen zu gehen.
 

Als der Russe kurze Zeit später wieder das Zimmer betrat, sah er das Rei mit den Kopfhörern seiner mp3-Players auf dem oberen Bett lag und vor sich hin döste. Auch Kai hatte keine große Lust heute noch etwas zu unternehmen – die Anreise hatte doch ganz schön geschlaucht – und so ließ er sich in seinen Schlafklamotten auf das viel zu weiche Doppelbett fallen und war kurze Zeit später auch schon eingeschlafen.
 

Als Kai die Augen wieder öffnete war es bereits tiefste Nacht. Doch eines war anders. Langsam drehte er seinen Kopf zur Seite und sah mit Erstaunen, dass Rei sich neben ihn gekuschelt hatte. Seine Beine hatte er angezogen und ein Kissen zwischen seinen Armen. Wahrscheinlich war ihm das total durchgelegene Stockbett doch zu ungemütlich geworden und im Doppelbett war ja mehr als genug Platz. Wie in Trance begann Kai mit seiner rechten Hand sanft über Reis Gesichtskonturen zu streichen. Darüber wie seltsam sein Verhalten gerade war machte er sich in diesem Moment einfach keine Gedanken. Rei sah im Mondlicht nun ziemlich blass aus. Allerdings nicht kränklich blass, sondern eher Schneewittchen-blass. Okay, jetzt wurden seine Gedanken wirklich Kai-untypisch, aber was machte das schon? Das konnte ja keiner hören und er würde es sicher keinem erzählen.
 

Wie er so dalag wurde Kai eines klar – Rei hatte keine unruhigen Träume – wie fast sonst immer. Vielleicht half es ihm die Nähe eines anderen neben sich zu spüren…? Jemanden, den Rei vielleicht vertrauen konnte? Kai hoffte es. Er wäre irgendwie gerne eine Person, der Rei Vertrauen entgegenbringen konnte. Schließlich schien der Schwarzhaarige sonst niemanden zu haben. Vielleicht konnten sie sich gegenseitig helfen? Gegenseitig füreinander da sein?
 

Plötzlich bemerkte Kai etwas, dass seine Vermutung (die ja eigentlich auch eher schon fast eine Feststellung war) bestätigte. Hinter Reis verrutschtem Stirnband blitzten ein wenig spitz zulaufende Ohren hervor. Und diese waren definitiv nicht menschlich. Seufzend behielt Kai seine Hand an Reis Kopf und schloss seine Augen nun erneut. Er würde Rei helfen. Egal wie.

Not Alone

Ein Klopfen an der Tür riss Rei aus dem Schlaf.

Ein wenig verwirrt sah er einfach nur zur Tür, machte aber keine Anstalten aufzustehen – er hatte richtig gut geschlafen, ohne Alpträume, er fühlte sich erholt und ausgeruht. Eine solch ruhige Nacht hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr gehabt. „Rei, Kai? Alles klar? Wir wollten euch zum Frühstücken abholen.“ Durch Mizuharas Stimme aus den Gedanken gerissen fand Rei den Weg zurück in die Wirklichkeit. „Moment Mizu, ich komme.“
 

„Ich würde an deiner Stelle erst einmal ins Bad verschwinden.“ Kais kühle und leise Stimme lies Rei kurz zusammenzucken. Der Russe war anscheinend auf dem Balkon gewesen. Aber warum sollte er ins Bad? „Wieso…?“ „Mach‘ einfach.“ Kais Stimme ließ keine Widerrede zu. Rei zuckte nur mit den Schultern und folgte einfach Kais Anweisung, während sich dieser nun daran machte endlich die Tür zu öffnen – nachdem Rei die des Badezimmers geschlossen hatte. Der Schwarzhaarige konnte hören wie Kai Mizuhara erklärte, dass sie sich unten sehen würden während Rei sich seine Zahnbürste schnappte und sich die Zähne putzen wollte – Doch beim Blick in den Spiegel stockte er. Langsam lies Rei die Hand sinken, Hitze stieg ihm in den Kopf und sein Herz begann unnatürlich schnell zu schlagen. Man konnte ganz eindeutig seine Ohren sehen. Seine nicht menschlichen Ohren. Doch bevor Rei in Panik verfallen konnte, erinnerte er sich daran, dass Kai ihm geraten hatte ins Bad zu gehen. Er hatte ihn doch ganz eindeutig schützen wollen, oder? Warum half Kai ihm? Stand dieser zu ihm, ganz egal, was er war?
 

Eine halbe Stunde später standen Rei und Kai im nach unten fahrenden Fahrstuhl. Rei hatte seine Haare geordnet, sein Stirnband gerichtet und sah eigentlich aus wie immer. Und auch Kai sah aus und benahm sich wie immer, dass machte Rei noch ganz verrückt. Konnte er nicht irgendetwas sagen? Irgendetwas? „Ich verdanke dir mein Leben.“ Rei sah Kai von der Seite an. Das war alles? Irgendwie stimmte das den Schwarzhaarigen traurig. „Aber ich hätte dir auch geholfen, wenn dies nicht so wäre.“ Kai lächelte leicht – ein seltenes Bild. „Warum?“ Rei war noch nicht ganz zufrieden mit der Erklärung des Russen.
 

„Weil du mir etwas bedeutest.“
 

Reis Gesicht nahm einen überraschten Ausdruck an, während Kai kurz und auflachte. „Ich weiß noch nicht genau was, aber du bedeutest mir etwas.“ Mit diesen Worten war der Fahrstuhl im Erdgeschoss angekommen und die Tür öffnete sich.
 

Takao winkte die beiden später kommenden heran und Rei und Kai setzten sich zum Rest ihres Teams. Langsam aber sicher war die Stimmung zwischen ihnen allen wieder etwas entspannter, auch wenn Rei wusste, dass er auch den anderen dreien irgendwann etwas würde erklären müssen. Doch diese waren momentan noch damit zufrieden, dass Rei wieder befreiter und fröhlicher wirkte, als kurz nach dem Vorfall auf der Hinreise. Eine Tatsache, die auch Kai nicht entging.
 

Eigentlich hatte der Russe seine offenen Worte im Fahrstuhl kaum bereut, dass er sie ausgesprochen hatte - doch die gelöste Stimmung und Reis ehrliche Fröhlichkeit während ihres ausgedehnten Frühstücks erfüllte auch ihn mit Zufriedenheit. Seine Gefühle einmal auszusprechen war die richtige Entscheidung gewesen - auch wenn er das Gefühl hatte, dass er sich langsam aber sicher von seinem „Eisblock“-Image verabschieden konnte.

Trip Down Memory Lane

Es war warm, verdammt warm.

Kai Hiwatari, aufgewachsen im kalten Russland, hielt nicht viel von dieser Hitze. Urlaub in Italien? Im Sommer? Super Idee. Im Hotel bleiben machte allerdings auch keinen Sinn, da ihre Zimmer keine Klimaanlage besaßen. Außerdem hatte Rei gefragt, ob sie sich später am Strand – gegenüber vom Hotel – treffen würden. Um zu reden. Kai war wirklich nicht der neugierigste Mensch, denn viele Dinge interessierten ihn schlicht und einfach nicht. Dennoch war er nun doch ziemlich gespannt, was Rei ihm zu erzählen hatte - die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass das, was er erfahren würde, kaum einer wusste (oder auch niemand). Und so machte sich der Teamchef der Bladebreaker gegen vier Uhr nachmittags (sie hatten sich erst um diese Uhrzeit verabredet, da dann die Mittagshitze passé wäre) auf zum Strand. Den Vormittag hatte Rei zusammen mit den anderen Bladern einen Ausflug auf dem Markt unternommen, Kai hingegen hatte darauf keine Lust gehabt und war lieber im kühlen Hotelpool seine Bahnen geschwommen. Um die Mittagszeit herum dann hatte es sich der Russe mit einem Buch („Die Stadt der Träumenden Bücher“ von Walter Moers – total abgedrehte Fantasy) auf einer Liege unter einem Sonnenschirm bequem gemacht (es war trotzdem zu warm!).
 

Nun zum verabredeten Zeitpunkt am Strand angekommen brauchte Kai nicht lange um den Schwarzhaarigen zu finden. Dieser lag im Schatten eines großen Baumes etwas abseits auf seinem Badetuch und hatte einen Arm über seine Augen gelegt. Als Rei spürte, wie jemand näher kam und sich neben ihm auf einem eigenen Badetuch niederlies setzte er sich auf. Aber auch ohne Hinsehen hatte er erkannt, dass es sich bei der Person um Kai handelte, denn auch Reis Nase war nicht von schlechten Eltern und so konnte er jedem ihn bekannten Menschen einen ganz bestimmten Geruch zuordnen. Kai Zum Beispiel roch immer ein bisschen wie der Winter – und da spielten die Temperaturen hier vor Ort keine Rolle. „Danke, dass du mir geholfen hast. Ich weiß, dass ich dir wohl eine Erklärung schuldig bin.“ Leicht unsicher lächelte Rei den Russen an. Dieser schwieg einfach nur und lauschte. „Ähm, ich weiß gar nicht so richtig, wo ich anfangen soll. Ich meine, ich kann dir ja nicht meine ganze Lebensgeschichte erzählen, oder?“ Kai lächelte nur sanft (schon wieder! Das wurde langsam zur Normalität!). „Und warum nicht? Ich habe Zeit.“ Mit diesen Worten ließ sich Kai zurück auf seine Ellenbogen fallen und blickte Rei erwartungsvoll an.
 

„Na ja okay, dann fange ich wohl am besten am Anfang an. Dass ich ursprünglich aus einem ziemlich kleinen Dorf aus China komme weißt du ja und das ist auch soweit nicht gelogen.“ Kai nickte. „Wir, also meine Mutter und ich, sind allerdings von dort…vertrieben worden, von der Polizei, sonst hätten sie uns wohl umgebracht, genauso wie meinen Vater. Ein paar Vermutungen und Anschuldigungen hatten damals schon ausgereicht um so ziemlich alles zu zerstören, was meine Eltern sich aufgebaut hatten.“ Flüchtig wischte Rei sich eine Träne aus dem Augenwinkel, sah Kai auch während seiner Erzählung nun nicht mehr an – so war es leichter für ihn. Danach waren wir eigentlich nur noch auf der Flucht. An vieles erinnere ich mich auch gar nicht mehr – ich war ja auch noch ziemlich klein. Als ich fünf war wurden wir dann in unserer damaligen Bleibe von der selbsternannten „Bürgerschutzarmee“ überrascht und wurden durch den Ort gejagt. Ich weiß noch, dass sie von allen Seiten kamen und dass ich Angst um meine Mutter hatte… Aber danach, nichts! Ich erinnere mich wirklich an kaum etwas. Ich weiß, dass ich in einer dieser „Erziehungsanstalten“ war, aber was da passiert ist, keine Ahnung. Ist vielleicht auch besser so. Als ich dann 13 war ist ein Feuer in dem Gebäude ausgebrochen und wir sind alle geflohen – jedenfalls die, die konnten. Auf meiner Flucht dann bin ich Mao und Rai begegnet und ihre Familie hat mich aufgenommen. Später dann habe ich mich dann den Bai Fu Zu angeschlossen. Von dort abgehauen bin ich eigentlich auch nur, weil Maos und Rais Familie langsam in Verdacht geriet solchen wie mir zu helfen… Und ich wollte nicht, dass ihnen etwas passiert. Also bin ich gegangen. Den Rest kennst du ja.“
 

„Das tut mir Leid mit deinen Eltern.“ Kais Hand legte sich von hinten auf Reis Schulter. „Die Vergangenheit kann man nicht ändern Rei, das weißt du genauso gut wie ich. Aber vielleicht kann ich dir helfen. Ich weiß noch nicht wie, aber ich würde gerne.“ Reis warme Hand legte sich nun sanft auf die von Kai. „Das du…für mich da bist ist schon mehr Hilfe als ich je erwartet hatte.“ Ein schwaches Lächeln zierte Reis Lippen. Kai lächelte zurück, doch nur kurz, denn ihm kam ein wichtiger Gedanke: „Weißt du, ob du immer noch verfolgt wirst?“ Doch Rei beachtete Kai in diesem Moment nicht, sondern nahm etwas schneller als nötig seine Hand von der Kais und auch dieser nahm die seinige von der des Chinesen. Kai war Reis Blick gefolgt und sie sahen Takao und Mizuhara auf sie zukommen. Mizuhara winkte ihnen fröhlich zu und hielt einige Wassereis in die Höhe. Zum wiederholten Male schlich sich ein Lächeln auf Kais Lippen. Auch wenn Rei durchaus kein einfaches Leben hatte – er hatte Freunde die ihm den Rücken stärken würden, dessen war er sich sicher.

On the Run

Mitten in der Nacht wurde Kai von Stimmen geweckt, die er durch das geöffnete Fenster vernehmen konnte. Leise stand der Russe auf, öffnete die Balkontür und späte nach unten zu der Geräuschquelle. Unten standen mehrere Beamte in Uniform und sprachen mit jemanden, den Kai von seiner Position aus nicht sehen konnte. Leider konnte er nicht verstehen was genau so sprachen, doch er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. „Sie wollen den Schlüssel für unser Zimmer haben.“ Kai zuckte kaum merklich zusammen. Er hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass Rei neben ihm getreten war. „Du verstehst sie?“ Rei nickte und lauschte weiter angestrengt. Und es schien ihm nicht zu gefallen was er hörte, denn der Schwarzhaarige drehte sich abrupt um, zog sich schnell seine Hose an und holte seine Sporttasche unter dem Bett hervor, die er wie immer nicht ausgepackt hatte. Kai kam der Gedanke, dass dies wohl so etwas wie eine „Notfalltasche“ sein musste. „Was willst du jetzt machen?“ Kai wusste nicht so recht, wie er sich nun verhalten sollte. „Verschwinden.“ Rei trat auf den Balkon und schmiss seine Tasche auf das Dach über ihnen – ein Glück hatten sie ein Zimmer in der obersten Etage und das Hotel ein Flachdach.
 

Die Beamten schienen inzwischen das Gebäude betreten zu haben, denn von unten konnten sie nichts mehr hören. Rei machte gerade Anstalten seiner Tasche zu folgen, doch dann stockte er und blickte Kai ernst an. "Du weist nicht was ich bin, du hast keine Ahnung okay? Und du hast vor allem nicht mitbekommen das ich abgehauen bin. Am besten du legst dich wieder ins Bett." In Kai stieg langsam aber sicher die Angst auf, dass er Rei nie wieder sehen würde – oder zumindest nicht so bald. Sein Kopf hatte sich vollkommen abgeschaltet, als er einen Schritt nach vorne trat, Reis Kopf sanft in seine Hände nahm und einen hauchzarten Kuss auf dessen Lippen hauchte. Reis überraschte bernsteinfarbene Augen blickten in Kais gefasstes Gesicht als dieser sich wieder von dem Schwarzhaarigen löste. „Versprich‘ mir, dass wir uns wieder sehen.“ Kai hielt Reis Gesicht noch immer in seinen Händen. Rei schluckte, Tränen bildeten sich in seinem Augenwinkel, es waren Schritte auf dem Flur zu hören.
 

„Ich verspreche es.“
 

Mit diesem Satz ließ Kai den Chinesen los und dieser sprang elegant einer Katze gleich aufs Dach, schnappte sich seine Tasche und verschwand kaum hörbar im Dunkel der Nacht während Kai sich benebelt von den Gedanken, die durch seinen Kopf rasten, wieder in sein Bett fallen ließ. Keine Sekunde zu früh, denn in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und drei Beamte stürmten mit gezogenen Waffen das Zimmer.
 

Zwei Stunden hatten die Polizisten das Zimmer von Kai und Rei durchsucht (allerdings erfolglos) und hatten Kai, die anderen Bladebreaker und Daitenji dann später mit auf ihr Revier genommen und sie stundenlang befragt. Was sie denn über Rei eigentlich wüssten? Was sie hier wollten? Wo sie glaubten dass er sein könne… Erfolglos. Keiner der Befragten hatte den Beamten irgendetwas Brauchbares sagen können oder wollen.
 

Nun auf dem Rückweg in ihre Heimat – keiner hatte mehr den Urlaub fortsetzen wollen - fühlte sich Kai erschlagen von den Ereignissen. Er hatte das Gefühl noch nie so viel empfunden zu haben. Wut den Polizisten gegenüber, welche keine Ahnung hatten wessen Leben sie da zerstörten, Dankbarkeit seinem Team gegenüber, welches trotz seines Halbwissens keinen Ton gesagt hatte, Trauer darüber, dass Rei verschwunden war und er nicht wusste, wann er ihn wiedersehen würde, Verwirrtheit darüber, dass er Rei ziemlich offensichtlich nicht nur helfen oder beschützen wollte... Verwirrtheit darüber, dass er ihn liebte. Es war egal, dass Rei ein „Dämon“ war (eine total blödsinnige Bezeichnung wie Kai fand – er würde ihn und die seinesgleichen eher als weiterentwickelte Menschen bezeichnen), es war ihm egal, das Rei wie er ein Junge war. Er liebte ihn. Es musste so sein. Er hatte noch nie etwas Derartiges für eine andere Person empfunden.
 

Das einzige, was Kai jetzt tun konnte, war auf Reis Versprechen zu vertrauen.

So schwer ihm dies auch fiel.

Injustice

Rei war in seinem Leben schon oft auf der Flucht gewesen. Viel zu oft.

Schon fast mechanisch befolgte er seinen eigenen Plan, hatte sich in einer Seitengasse umgezogen, sich unauffällige Kleidung übergezogen (er trug nun eine Jeans und einen etwas zu großen grauen Kapuzenpullover) und seine Haaren hochgesteckt unter die Kapuze gestopft. Seine eigentliche auffällige Augenfarbe war hinter braunen Kontaktlinsen verschwunden und sein rotes Stirnband hatte er durch ein fast nicht sichtbares Schwarzes ersetzt. Mit gefälschten Papieren in der Tasche hatte er sich dann mit dem Zug auf den Weg nach Japan gemacht. Wenn er seine Freunde irgendwann wiedertreffen wollte, dann würde er sie dort finden, in dem Haus von Takaos Großvater. Noch wusste er allerdings nicht wann und wie das möglich sein würde. Erst einmal würde er in Erfahrung bringen müssen, wer genau ihn verfolgte und was ihn verraten hatte – dann würde er weiter sehen.
 

Er hatte es Kai versprechen müssen. Warum hatte dieser ihn geküsst? War das nur so etwas wie ein Versehen gewesen? Weil Kai ihn vielleicht nicht wieder sehen würde? Nein. So etwas tat man nicht ausversehen. Auch nicht in einer solchen Situation.
 

~*~
 

Bei Takao zu Hause angekommen hatten die Bladebreaker nicht viel Zeit zum Verschnaufen gehabt. Schon am nächsten Tag hatten sie eine Vorladung in Polizeipräsidium erhalten. Noch eine Befragung. Von einem Spezialisten, so hieß es.
 

"Guten Tag, mein Name ist Takahara und meine Aufgabe ist es nun sie über die wahre Herkunft von Rei Kon aufzuklären. Vielleicht können sie und mit diesen Information besser weiterhelfen, als bisher.“ Herr Takahara – ein Mann von schlaksiger Statur, welcher eigentlich recht freundlich wirkte – lächelte sie verkniffen an. „Anschließend werde ich euch alle leider noch einmal einzeln verhören müssen, so Leid es mir tut.“ Er blickte besonders Kai noch einmal vielsagend in die Augen. Dieser betrachtete den Beamten skeptisch. Irgendwie hatte er das Gefühl dass dieser Mann anders war als die Beamten, die er bisher kennen gelernt hatte. Doch das hieß nicht, dass er ihm helfen würde – so leicht würde Kai Reis Sicherheit nicht aufs Spiel setzen.
 

Wie Kai schon vermutet hatte erzählte ihnen Takahara fast genau die gleiche Geschichte, wie die, die Rei ihm erzählt hatte, mit dem kleinen aber feinen Unterschied, das er ihnen berichtete, dass Reis Eltern an mehreren Morden die Schuld tragen sollten. Die Art und Weise, wie Takahara die Geschichte erzählte ließ Reis Leben wie die Flucht vor dem Gesetz erscheinen, welches den Mördern Einheit gebieten sollte. Doch Takahara ließ auch durchblicken, dass Rei keine Straftat begangen hatte, von der die Polizei Kenntnis hätte – dem Jungen „solle nur geholfen werden“, denn schließlich „sei er dennoch gefährlich“.
 

Kai schnaubte und stand rückartig auf. Es reichte. Die fragenden Blicke seiner eh schon ziemlich verwirrten Freunde waren ihm egal. Ohne ein weiteres Wort zu sagen verließ er den Raum und knallte die Tür des Büros hinter sich mit so viel Kraft zu, dass man meinte, sie würde gleich aus den Angeln springen. Takao und Mizuhara sahen Kai etwas verwirrt hinterher, während Kyōju nachdenklich auf seine zugeklappte Dizzy schaute. War seine Vermutung total daneben oder könnte er vielleicht Recht haben? Das strategische Genie des Teams beschloss seine Gedanken erst einmal für sich zu behalten und vielleicht später mit seinem Teamchef allein darüber zu reden. Herr Takahara kritzelte derweil eine nicht gerade kurze Notiz in sein Protokoll.
 

~*~
 

Wütend ließ sich Kai auf die Wiese unten an einem Fluss fallen. Er war den ganzen Weg hierher gerannt. Diese Ungerechtigkeit stieß ihm über auf – am liebsten würde er so einige Leute in dieser Welt einmal kräftig durchschütteln. Sahen sie denn nicht, was sie taten? Dies war eine sinn- und hirnlose Hetzjagd und nichts weiter. Ungerechtigkeiten gab es viele auf der Welt, doch Kai war mit dieser hier direkt konfrontiert und fühlte sich absolut machtlos. Gab es denn gar nichts was er tun konnte?
 

Er wollte doch nur eines:

Rei in seine Arme schließen können und nie wieder los lassen.

Promised

Zwei Wochen später hatte Kai noch immer kein Lebenszeichen von Rei erhalten. Sein Team hatte kaum mit ihm über das Thema Rei geredet, da der Russe immer unausstehlicher wurde. Sicher, es war nicht richtig, dass er seine Wut gerade an seinem Team ausließ, aber das Gefühl der Hilflosigkeit hatte noch immer nicht nachgelassen. Allerdings wusste er durch ein Gespräch, das Takao und Mizuhara miteinander geführt hatten, dass diese nicht glauben konnten, dass Rei in irgendeiner Form gefährlich sein konnte – auch wenn dieser ein so genannter Dämon war. Seine Freunde standen hinter Rei. Genau das hatten sie auch der Presse gesagt. Der Medienrummel war die ersten Tage nach Bekanntwerden von Reis Identität schier unerträglich gewesen. Langsam war es zum Glück wieder etwas ruhiger geworden. Die Bladebreaker hatten sich etwas von der Öffentlichkeit abgeschottet, sie wussten momentan einfach nicht, wie sie weitermachen sollten – doch eines merkten sie alle: Rei fehlte.
 

Kai hielt die Situation langsam aber sicher nicht mehr aus. Der Entschluss unter allem erst einmal einen Schlussstricht zu ziehen und das Team – zumindest vorrübergehend – zu verlassen, war immer fester geworden und so war Kai gerade damit beschäftigt seine Koffer zu packen, als Kyōju nach kurzem Anklopfen sein Zimmer betrat. "Du verlässt das Team, hab ich recht?" Der kleinste der Bladebreaker sah aus als hätte er dies schon längst kommen sehen. Kai nickte. "Du glaubst der Polizei nicht, oder?“ Das war eine Feststellung, keine Frage. „Ich glaube dass du eine ganze Menge mehr über Rei weißt als wir. Findest du es nicht ein bisschen unfair uns so im Unklaren zu lassen? Wir sind auch Reis Freunde. Auch wenn du ihm mittlerweile anscheinend…um einiges näher stehst, als wir es tun. Ich finde wir haben ein Recht darauf die Wahrheit zu erfahren.“ Kai sah Kyōju etwas überrascht an. Anscheinend bekam dieser mehr mit, als Kai klar gewesen war. Er übersah den kleinen einfach viel zu oft. Eigentlich hatte das Kyōju nicht verdient und außerdem hatte dieser auch Recht. Seufzend ließ sich Kai auf seinem Bett nieder und deutete mit einem Nicken auf den Schreibtischstuhl. Als Kyōju sich gesetzt hatte fing Kai an zu erzählen – alles zu erzählen (bis auf sein verändertes Verhältnis zu Rei, das war nun wirklich zu privat).
 

Als Kai einige Stunden später am Bahnhof stand und auf den Zug wartete, der ihn zu seiner eigenen Wohnung in Osaka bringen wurde, war er sich sicher das Richtige getan zu haben. Kyōju würde den anderen erzählen, was Kai ihm gerade eben noch erzählt hatte, denn sie hatten es tatsächlich verdient die Wahrheit zu erfahren. Rei würde das sicherlich genau so sehen. Rei… Kai hatte sich vorgenommen den anderen irgendwie ausfindig zu machen. Er wusste noch nicht wie, aber er war sich sicher, dass er es nicht mehr ertrug untätig herum zu sitzen.
 

Minuten später hielt der Zug quietschend im Bahnsteig und Kai machte sich auf die Suche nach einem leeren Sitzplatz. Viele Menschen waren um diese Zeit, mitten in der Woche nicht unterwegs und so fand er schnell einen Waggon, welcher fast leer war. Seufzend ließ sich Kai auf seinen Sitz fallen und holte seine auf dem Weg gekaufte Zeitung heraus. Vielleicht fand er dort einen Anhaltspunkt – auch wenn dies sicher nicht gut für Rei wäre.
 

„Ist hier noch frei?“
 

Etwas verärgert nahm Kai die Zeitung wieder herunter. Der ganze Waggon war fast frei, auf Gesellschaft konnte er wirklich gut und gerne verzichten. Doch als der Person seine Meinung sagen wollte, stockte Kai. Ihm gegenüber saß niemand anderes als Rei. Gut, er hatte für ihn ganz untypische Kleidung an und seine langen Haare waren hochgesteckt und ließen sein Gesicht mit der ebenfalls anderen Augenfarbe ganz anders wirken – aber es war Rei, da war sich Kai absolut sicher. Unfähig irgendetwas zu sagen blieb Kai einfach paralysiert sitzen.
 

"Ich habe es dir versprochen, weißt du noch?"

Rei lächelte.

Happily Ever After

Jene Zeit damals war nicht einfach gewesen. Dessen war sich Rei bewusst. Und dennoch war es eine wunderschöne Zeit gewesen: Denn damals – vor drei Jahren – hatte er erfahren, dass er Freunde hatte, die hinter ihm standen und das es jemanden gab, der ihn liebte.
 

Es war eine Zeit des Versteckspiels gewesen, dass sie irgendwann perfektioniert hatten – doch nicht ganz ohne Hilfe. Ohne dass sie es wussten, hatte sich eine Gegenbewegung zur „Dämonenverfolgung“ gebildet. Es hatte zu jeder Zeit Menschen gegeben, die nicht verstanden hatten, was diesen „Wesen“ angetan wurde. Später dann hatte es auch Menschen gegeben, die nicht nur Unverständnis zeigten, sondern auch ihre Stimmen erhoben, sich in der Politik für die Rechte der „Anderen“ stark gemacht hatten. Herr Takahara hatte zu ihnen gehört – damals noch unter dem Deckmantel eines skrupellosen Ermittlers, Heute war er einer der stärksten Vertreter ihrer Rechte. Rei war nun kein Aussätziger mehr und auch kein Mensch zweiter Klasse. Er hatte die gleichen Rechte, wie alle anderen Menschen – es war Normalität eingekehrt. Ein Versteckspiel war nicht mehr notwendig.
 

Sicher, es gab noch immer Gruppierungen, die seinesgleichen verfolgten – aber sie waren zu wenige. Rei war schließlich nicht wehrlos. Mit wenigen Leuten jemanden wie ihn anzugreifen war schlicht sinnlos. Ohne den Rückhalt einer Regierung hatten sie keine Chance ihnen Schaden zuzufügen.
 

Rei hatte das Gefühl, dass sein Leben momentan nicht besser sein könnte. Vor einem Jahr erst war er bei Kai eingezogen und die Zweisamkeit die sie beide hatten würde er nicht missen wollen – auch wenn er sich über Besuch von Kyōju, Takao oder Mizuhara immer freute. Sie verbrachten immer noch viel Zeit miteinander und seitdem Rei nicht mehr gejagt wurde waren sie auch wieder ein Team. Das seine Geschichte ein glückliches Ende haben würde, hatte Rei nicht vermutet, aber immer gehofft.
 

Seine Alpträume waren noch nicht vollständig verschwunden, aber wenn Kai bei ihm war waren sie schnell vergessen. Rei hoffte, dass seine Eltern wussten, dass es ihrem Sohn gut ging, dass er sein Glück gefunden hatte. Sie waren völlig sinnlos gestorben und dies machte Rei auch heute noch traurig. Aber er versuchte sie in guter Erinnerung zu behalten und ihr Andenken zu ehren, indem er nie vergaß, was sie für ihn getan hatten. Kai hatte ihm geraten nicht zu sehr in der Vergangenheit zu leben, sondern sie so zu akzeptieren, wie sie war. Auch dem Russen viel sein eigener Rat leichter, als sein Großvater vor zwei Jahren verstorben war.
 

„Waran denkst du?“
 

Rei drehte sich zu seinem Freund um, war mit zwei Schritten bei diesem und drückte ihn einen unschuldigen Kuss auf die Lippen. Kai grinste. „Bist du glücklich?“ Rei nickte, was Kai schmunzeln ließ. „Was ist?“ Rei wusste nicht, was den Russen gerade so belustigte. „Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende – unsere Geschichte gleicht ein wenig einem Kitschroman mit einer extra Portion Drama, findest du nicht?“ Nun war es an Rei zu schmunzeln. „Ja. Mit einer männlichen Prinzessin.“ „Ach, nur weil du lange Haare hast musst du doch nicht gleich…“ – doch Rei schnitt ihm das Wort ab. „Wer sagt, dass ich mich meine?“ Kais Gesicht geriet ein wenig aus der Fassung.
 

Manchmal war Rei froh darüber, dass er schneller war als Kai…
 

Ende
 


 

A/N: Tja, das war‘s. Ich weiß, die Geschichte hat so ihre Macken. Viel zu kurze Kapitel, viel zu viel Klischee, zu wenig Hintergrunderläuterung... (ich habe halt damals einfach ohne Plan drauf los geschrieben). Aber ich glaube nach der Überarbeitung muss ich mich zumindest stilistisch nicht mehr ganz so sehr für dieses „frühe Werk“ schämen xD Aber eines wird einem klar, wenn man so eine alte Geschichte noch einmal neu schreibt: Man hab‘ ich mich verbessert ^__^° Danke an diejenigen, die sich das Ganze (noch mal) angetan haben :D *Kekse verteil*



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Von:  Minerva_Noctua
2011-08-01T07:17:36+00:00 01.08.2011 09:17
Gefällt mir.
Das ist ein gutes Ende.
Süß.
Klischeehaft, aber trotzdem.
Du hast noch etwas aus dieser FF gemacht^^!

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-07-31T16:26:59+00:00 31.07.2011 18:26
Das Ende ist gemein, aber hat wenigstens etwas positives.
Schade, dass es schon vorbei ist.
Ich habe noch nie eine FF mit so kurzen Kapiteln gelesen, weil sie meistens auch qualitativ zu kurz kommen.
Aber dieser hier ist dir dafür ganz gut gelungen^^.
Wie gesagt, schade, dass es vorbei ist.

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-07-31T16:21:22+00:00 31.07.2011 18:21
Ich kann Kai nur zustimmen.
Wirklich furchtbar und hirnrissig.

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-07-31T16:16:59+00:00 31.07.2011 18:16
Das war aber ein kurzer Kuss:(
Aber süß.
Ich bin gespannt, wann Rei wieder auftauchen wird.

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-07-31T16:12:01+00:00 31.07.2011 18:12
Die Lebensgeschichte kommt nicht emotional genug rüber, sodass man Reis Träne nicht nachvollziehen bzw. nachempfinden kann.
Aber ansonsten war es okay.

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-07-31T16:05:15+00:00 31.07.2011 18:05
Es ist wirklich viel besser so.
Hatte zwar nur kurz in die nicht überarbeitete Fassung reingeschaut, aber bei der hätte ich ehrlich gesagt nicht weitergelesen.
Aber du hast wirklich noch etwas draus gemacht^^!

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-07-31T10:00:32+00:00 31.07.2011 12:00
Das Kapitel gefällt mir^^.
Ich finde die Szene am Schluss so schön.

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-07-31T09:46:32+00:00 31.07.2011 11:46
Na ja, Rei könnte auch ein sehr guter Kampfsportler sein.
Schon krass, dass Voltaire seinen eigenen Enkel töten lassen will.
Wo sind die Bodyguards?
Ich finde das Ende etwas seltsam.
Da liegen Attentäter und die gehen einfach weg...

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-07-31T09:37:11+00:00 31.07.2011 11:37
Am Anfang des Kapitels war Kai eher noch distanziert in seinen Gedanken.
Am Schluss ging seine Sympathie für Rei schon ziemlich weit.
Das fand ich überraschend.

Bye

Minerva
Von:  Minerva_Noctua
2011-07-31T09:21:57+00:00 31.07.2011 11:21
Rei führt Selbstgespräche?
Ich bin ziemlich schockiert, dass sie so gejagt wurden und dachte anfangs, dass es doch etwas zu heftig ist.
Aber wahrscheinlich würde unsere moderne Gesellschaft ebenfalls so reagieren, wenn sie eine andere Menschenart entdecken würde. Das ist traurig.

Bye

Minerva


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