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Bodyguard

von

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Eine heftige Windböe fegte den kalten Regen die Straße entlang und sorgte dafür, dass die Wassertropfen selbst unter den Schirm gelangten. Die junge Frau umfasste den Griff des Regenschirms ein wenig beherzter und kämpfte einige Sekunden lang gegen den starken Wind, ehe sie das Glasdach der Eventhalle erreicht hatte und und dankbar darunter Schutz suchte.

Sie schloss den Schirm und fröstelte. Zwar hatte der Herbst gerade erst begonnen, doch heute sorgte ein Tief für kühle Luft und eine Menge Wind und Regen.

Was für ein Start in diesem fremden Land. Als sie vorgestern ins Flugzeug gestiegen war und ihre Heimat vorerst verlassen hatte, war es in New York sogar noch so warm gewesen, dass sie nicht einmal eine Jacke benötigt hatte. Hier im Land der aufgehenden Sonne, war es derzeit leider alles andere als sonnig und sie war froh, auch an eine Übergangsjacke und einen Schal gedacht zu haben.

Kaum hatte die junge Frau einige Schritte auf den Nebeneingang der Eventhalle zugetan, da erblickte sie auch schon ein bekanntes Gesicht. Wie verabredet wurde sie bereits von einem ihrer Kollegen aus den USA, welcher sich bereits ein wenig länger hier in Japan aufhielt, erwartet.

Die beiden begrüßten sich kurz und unterhielten sich auf englisch, während sie durch den Nebeneingang das Gebäude betraten und sich wenig später auch schon ein Mitglied des Filmteams, mit welchem sie in nächster Zeit wohl oder übel zusammenarbeiten würden, zu ihnen gesellte.

„Schön Sie zu sehen.“, begrüßte der Mitarbeiter des Filmteams die Blondine freundlich. „Wie geht es Ihnen? Ich hoffe der Flug nach Japan war nicht all zu beschwerlich?“

„Oh, I'm fine.“, begann sie, besann sich dann jedoch darauf, dass es höflicher wäre sich auf japanisch mit ihrem Gegenüber zu unterhalten. „Das Flugzeug ist pünktlich gestartet und pünktlich hier in Tokio angekommen.“, begann sie. „Nur der...wie sagt man noch gleich?“, kurz suchte sie nach der richtigen Vokabel. „Ah ja, genau! Nur der Jetlag macht mir noch ein wenig zu schaffen.“

„Oh weh, dann hoffe ich, dass Ihr Schützling Ihr Nervenkostüm nicht all zu sehr beanspruchen wird, bis Sie sich ein wenig erholen konnten.“, entgegnete der Angestellte des Filmteams, ehe er fast schon hektisch hinzufügte :“Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Sie ist eine wunderbare Schauspielerin und die Kollegen arbeiten gerne mit ihr, allerdings ist sie ein wenig eigen.“

Die junge Frau und ihr Kollege tauschten einen kurzen, verwunderten Blick aus, ehe sie beschloss noch einmal nachzuhaken. „Eigen?“

„Nun, sie ist von der Tatsache, einen Bodyguard zur Seite gestellt zu bekommen, nicht all zu begeistert. Trotz der Briefe, die sie in letzter Zeit bekommen hat.“

„Mein Chef hat mich schon über diese Briefe in Kenntnis gesetzt und ich muss sagen, dass es in dieser Situation wirklich sinnvoll ist, ihr jemanden zur Seite zu stellen.“

„Das sehen wir anderen ganz genau so. Vielleicht gelingt es Ihnen ja, sie zu überzeugen.“

„Ich werde es zumindest versuchen.“, entgegnete die Blondine, deren Lippen ein leichtes Schmunzeln zierte, auch wenn dies aktuell nur aufgesetzt war.

„Gut, dann mache ich Sie am besten schon einmal miteinander bekannt, bevor die Feier gleich eröffnet wird.“, schlug das Mitglied des Filmteams vor und ging voraus, während die junge Frau und ihr Kollege ihm folgten.

„Und du bist dir wirklich sicher, dass du diesen Job übernehmen willst, Jodie?“, sprach ihr Kollege die Blondine auf englisch an.

„Ganz sicher sogar.“, antwortete Angesprochene, deren fröhliche Miene mit jedem Wort ernster wurde.

„Selbst Akai ist der Meinung, dass das unter Umständen zu viel für dein Nervenkostüm werden könnte.“, mahnte ihr Kollege erneut, doch die junge Frau schüttelte nur den Kopf.

„Das hat er mir auch schon gesagt, Steve. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass es keine geeignetere Person für diesen Job gibt als mich. Das hier ist mein Fall.“

Ihr Kollege seufzte. „Ich seh schon, du hast es dir in den Kopf gesetzt.“, stellte er leise fest, während die beiden dem Mitarbeiter des Filmteams folgten.

Auf den Fluren, über die sie aktuell liefen, war größtenteils Personal unterwegs, sodass man sich hier noch einigermaßen unterhalten konnte und nicht Gefahr lief von einer Menschenmenge überrannt zu werden. Im Hauptsaal, in welchem die heutige Veranstaltung stattfinden sollte, sah es vermutlich bereits ganz anders aus.

„Aber eins solltest du wissen.“, setzte Steve leise an seine Kollegin gewandt zu einer Erklärung an. „Zwei andere Agenten, welche vor dir versucht haben sich als Bodyguard auszugeben, sind kläglich an ihrer Aufgabe gescheitert. Es ist unmöglich diese Frau wirklich zu beschatten.“

Nun war es an Jodie fragend eine Augenbraue hochzuziehen. „Warum denn das?“, wollte sie wissen. „Was war das Problem?“

Ihr Kollege zog eine schwer zu deutende Miene, fast so, als könnte er selbst nicht ganz glauben, was er da erzählte. „Wie der Mitarbeiter des Filmteams eben schon gesagt hat, ist dein neuer Schützling wenig begeistert darüber einen Bodyguard zur Seite gestellt zu bekommen. Natürlich haben die Kollegen es trotzdem versucht, um in ihrer Nähe endlich an brauchbare Informationen zu kommen, aber die ganze Sache war zum Scheitern verurteilt. Diese Frau hat es geschafft, dass man sie ständig aus den Augen verloren hat. Selbst in geschlossenen Räumen war sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.“

Steve zog ein ratloses Gesicht, ehe seine Mimik etwas grimmiger wurde. „Natürlich war der Regisseur, der um die Sicherheit seiner Schauspielerin besorgt ist, da sie eine der Hauptrollen spielt, wenig begeistert davon, dass unsere Leute ihren Job scheinbar nicht richtig machen und hat sie jeweils nach einer guten Woche entlassen.“

Überraschung spiegelte sich in den blauen Augen der FBI Agentin. „Sie schafft es selbst in geschlossenen Räumen spurlos zu verschwinden? Das ist wirklich merkwürdig.“ Sie grübelte, ehe sie sich wieder an ihren Kollegen wandte. „Aber das Filmteam weiß nicht, dass das FBI sich eingeklinkt hat und glaubt nach wie vor, dass es sich um Mitarbeiter einer ganz normalen Sicherheitsfirma handelt, oder?“

Angesprochener nickte. „Genau so ist es. Wenn die Tarnung auffliegt, sind unsere Ermittlungen in nächster Zeit wohl endgültig zum Scheitern verurteilt. Denkst du also, du schaffst es dich nicht zu verraten?“

„Ich werde mein Bestes geben.“, meinte die Blondine

Natürlich gehörte es nicht unbedingt zu den Standartaufgaben eines FBI Agenten um die halbe Welt zu fliegen, um sich dann in einem anderen Land als Bodyguard auszugeben, doch besondere Situationen erforderten besondere Maßnahmen.

Das die Schauspielerin, wegen der sie bis nach Tokio geflogen war, einige unschöne Briefe erhalten hatte, war natürlich wenig erfreulich, jedoch hatte sich das FBI nicht zum Wohle der Schauspielerin selbst eingeschaltet. Nein, dass sie jetzt hier war, hatte einen ganz anderen Grund. Die Briefe und die Tatsache, dass der Regisseur eine Schutzperson für seine Schauspielerin gesucht hatte, waren lediglich eine glückliche Fügung des Schicksals gewesen. Schon seit einer ganzen Weile ermittelte das FBI gegen eine Verbrecherbande, trat dabei jedoch leider auf der Stelle. Nun jedoch hatte sich die Chance ergeben vielleicht an neue Informationen zu gelangen, welche letztlich hoffentlich dazu führen würden die Kriminellen zu schnappen, bestand doch der Verdacht, dass es sich bei der Zielperson selbst um ein Mitglied der besagten Verbrecherbande handelte.

„So, da wären wir.“, sprach das Mitglied des Filmteams, welches ein paar Meter voraus gelaufen war und somit nichts von der Unterhaltung mitbekommen hatte, die beiden Agenten an. „Dann will ich Sie mal einander vorstellen.“

Die junge Frau spürte, wie ihr Kollege ihr kurz eine Hand auf die Schulter legte. Sie schluckte. Jetzt also war der Moment gekommen, in dem sie der Frau gegenüberstehen würde, die der Person so ähnelte, die ihr Leben so sehr geprägt hatte.

Der Magen der Blondine zog sich zusammen und sie zwang sich, sich zu konzentrieren.

Vielleicht mochten die Bedenken ihrer Kollegen, dass dieser Fall für sie belastender sein könnte als für andere, nicht ganz unbegründet sein, doch gerade aus diesem Grund, durfte sie sich keine Fehler erlauben. Das hier war ihre Chance, mit der Vergangenheit abzuschließen.

 

Der Flur, über welchen sie gelaufen waren, war mit einem unauffälligen blaugrauen Teppich ausgestattet, während die Wände weiß gestrichen waren. Hier und da fand sich ein Bild an der Wand, welches die Eventhalle selbst, oder aber den Platz vor der Halle zu verschiedenen Anlässen zeigte. Da sich an den Türen, welche sie passierten, keine Beschriftungen fanden, war es schwer zu sagen, was sich in den jeweiligen Räumen dahinter befand.

Als der Angestellte des Filmteams schließlich vor einer der Türen stehen blieb und verkündete, dass sie angekommen wären und er sie nun mit ihrem Schützling bekannt machen würde, fragte die Blondine sich, ob sie sich wohl im Hauptsaal der Eventhalle wiederfinden würden, wenn sie nun durch diese Tür schritten.

„Hallo zusammen!“, grüßte der Angestellte und verschwand als Erster im Raum. Die beiden Agenten tauschten einen kurzen Blick aus, dann überließ Steve seiner Kollegin den Vortritt.

Jodie versuchte sich die Anspannung nicht anmerken zu lassen, als sie nach dem Angestellten des Filmteams den Raum betrat.

Die Haupthalle war das hier nicht, so viel stand fest. Viel mehr glich der Raum einer Art Umkleide, oder aber Aufenthaltsraum. Einige Schauspieler standen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich, blickten jedoch auf, als die Neuankömmlinge den Raum betraten.

„Wen hast du uns denn da mitgebracht, Hisagi?“, erkundigte ein kleiner Mann Ende 50, welcher gut und gerne 20 Kilo zu viel auf den Rippen hatte, sich bei dem Angestellten.

„Chef, das hier sind die Mitarbeiter der Sicherheitsfirma, die Sie für Miss Vineyard angefordert haben. Darf ich vorstellen...“, begann der Angestellte seinem Chef zu erklären, doch den Rest des Satzes bekam Jodie nicht mehr mit.

Bei den im Raum anwesenden Personen, handelte es sich größtenteils um Japaner, weshalb die Frau mit den hellblonden Haaren und den europäischen Gesichtszügen sofort aus der Gruppe herausstach. Die Zielperson unterhielt sich gerade mit zwei anderen Schauspielerinnen, welche sie wohl von den Dreharbeiten her kannte und schenkte den Neuankömmlingen im ersten Augenblick nicht all zu viel Beachtung.

Der Magen der FBI Agentin krampfte sich erneut zusammen, während sie das Gefühl hatte, dass die Temperatur im Raum schlagartig um zehn Grad gefallen sein musste.

„...Miss Starling?“, riss die Stimme des Regisseurs sie aus den Gedanken. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

Angesprochene blinzelte.“Oh yes. I'm sorry. Ich war mit den Gedanken wohl kurz woanders.“, entschuldigte sie sich.

„Nicht so schlimm.“, winkte der Regisseur ab. „Mein Name ist Renji Yamamoto.“, stellte er sich vor. „Ich bin sozusagen dafür verantwortlich, dass der Film ein voller Erfolg wird und ich war es auch, der Ihre Firma kontaktiert hat. Ich gehe davon aus, dass Ihr Chef sie bereits über die Briefe in Kenntnis gesetzt hat, die eine der Schauspielerinnen in regelmäßigen Abständen erhält?“

„Es freut mich Sie kennenzulernen, Herr Yamamoto. Und ja, über die Briefe hat mein Chef mich bereits informiert.“

„Das ist sehr gut. Die Briefe, inzwischen vier Stück an der Zahl, wurden zwar an Miss Vineyard gerichtet, aber an die Adresse meiner Firma gesandt. Vermutlich -“

„Vermutlich handelt es sich um die Briefe von irgendeinem verrückten Fan. Lästig, aber sonst auch nichts. Sie schenken diesen Briefchen viel zu viel Beachtung, aber meine Meinung dazu kennen Sie ja bereits.“, beendete eine andere Stimme den vom Regisseur angefangenen Satz.

Die junge Frau sog scharf die Luft ein und widerstand dem Reflex, augenblicklich zu der Person die gesprochen hatte herumzuwirbeln, nur mit viel Mühe. Langsam drehte sie sich und sah sich schließlich der Person gegenüber, die der Grund für die Reise nach Japan gewesen war.

Sie musste der Schauspielerin lassen, dass sie ein wirklich schönes Gesicht hatte. Die hellblonden Haar fielen ihr in sanften Wellen über die Schultern und wie viel das schwarze Designerkleid, welches die Andere trug, gekostet haben mochte, wollte sie sich lieber gar nicht erst vorstellen.

Die FBI Agentin starrte ihr Gegenüber für einen Moment an. Ja, die Schauspielerin war schön und hatte einen guten Modegeschmack, was sie aber wirklich fesselte, waren ihre Augen.

Die grünen Augen der Anderen funkelten wach und intelligent, aber gleichzeitig meinte sie auch eine Kälte darin zu entdecken, wie sie sie erst bei wenigen Personen gesehen hatte. Der Blick dieser Frau hatte etwas von einer lauernden Katze und sie wurde das Gefühl nicht los, dass diese Augen sie schneller lesen konnten, als es ihr lieb war.

Die Schauspielerin nickte ihr knapp zu. „Chris Vineyard.“, stellte sie sich vor. „Und Sie müssen die Person sein, die mein Chef wegen dieser Briefe auf mich angesetzt hat.“

„Jodie Starling.“, stellte nun auch die Agentin sich vor, als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. „Das man mich auf Sie angesetzt hat, ist vielleicht nicht ganz der passende Ausdruck, aber ja, ich bin die Person, die in nächster Zeit darauf achten wird, dass Ihnen nichts passiert.“

„Du solltest diese Briefe wirklich etwas ernster nehmen, Chris.“, mischte der Regisseur sich ein. „Wahnsinnige gibt es wie Sand am Meer und in der heutigen Zeit ist leicht etwas passiert.“

Die Schauspielerin seufzte nur leise und verschränkte die Arme vor der Brust.

„So geht das jetzt schon seit Wochen.“, erklärte sie. „Der einzige Grund, warum ich einem Bodyguard zugestimmt habe ist, dass ich hoffe, das diese Panikmacherei dann endlich aufhört. Aber auch wenn ich davon überzeugt bin, dass hinter den Briefen mehr heiße Luft als alles andere steckt, hoffe ich trotzdem, dass Sie ein wenig mehr von Ihrem Beruf verstehen, als Ihre beiden Vorgänger.“

„Diese beiden konnte man doch wirklich in der Pfeife rauchen!“, pflichtete der Regisseur der Schauspielerin bei. „Kaum ist es in einem Raum mal etwas voller, haben sie sie aus den Augen verloren. So etwas darf einfach nicht passieren!“

Jodie und ihr Kollege Steve tauschten einen raschen Blick. Die beiden wussten, dass es sich bei ihren Vorgängern um durchaus fähige Agenten handelte, die eine Zielperson sicher nicht mal eben so aus den Augen verlieren würden. Dennoch hatte diese Frau es scheinbar geschafft zu verschwinden, wenn sie dies wollte und Jodie war überzeugt davon, dass eine gewisse Absicht dahinter stecken musste. Sie fragte sich, was die Andere dem Regisseur wohl erzählt haben mochte. Glaubhaft geschauspielert hatte sie aber auf jeden Fall, hielt der Regisseur die beiden vorherigen Undercoveragenten doch für die Stümper.

„Keine Sorge. Ich verstehe etwas von meinem Beruf und aus den Augen verlieren werde ich Sie ganz sicher nicht.“, versicherte die junge Frau ein wenig unterkühlter, als sie eigentlich hatte klingen wollen. Im Gesicht der Schauspielerin blitzte für einen Sekundenbruchteil eine Spur von Misstrauen auf.

„Kann ich die Briefe vielleicht mal sehen?“, zwang Jodie sich zu fragen.

Chris zuckte leicht mit den Schultern, ehe sie sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht strich.

„Meinetwegen. Aber das muss warten. Laut meiner Uhr müsste die Veranstaltung gleich eröffnet werden.“

Der Regisseur, welcher neben der Blondine stand, nickte rasch. „Das stimmt. Inzwischen müssten die Leute hereingelassen worden sein und da sollten die Ehrengäste, also unsere Schauspieler, sich nicht verspäten.“

Eine Gruppe, bestehend aus vier Schauspielern, welche sich bis gerade ebenfalls hier im Raum befunden und sich unterhalten hatte, war inzwischen zur Tür gelaufen und hatte sich auf den Weg in die Haupthalle gemacht.

Zwei weitere Schauspielerinnen hielten kurz auf die kleine Gruppe zu. „Kommst du mit, Chris?“, erkundigte die eine sich bei ihrer Kollegin, hakte sich unter und zog die Blondine einen Schritt in Richtung Tür.

„Ja, natürlich.“, versicherte diese, ehe sie noch einmal einen raschen Blick über die Schulter warf und die Agentin anblickte. „Schließen Sie sich uns an und halten Sie Ausschau nach diesem Verrückten.“, forderte die amerikanische Schauspielerin die andere Blondine auf. „Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass diese Person überhaupt hier auftauchen wird.“

Schließlich wandte sie sich wieder den beiden anderen Schauspielerinnen zu und machte sich mit den beiden auf den Weg zur Haupthalle.

Steve hatte der anderen FBI Agentin erneut eine Hand auf die Schulter gelegt. „Schaffst du das?“, wollte er noch einmal wissen. Hier würden die Wege der beiden sich trennen, damit die ganze Aktion nicht auffliegen würde.

Zwar liefen der jungen Frau immer wieder heiße und kalte Schauer über den Rücken, ein entschlossenes Nicken brachte sie dennoch zu Stande. „Natürlich. Ich bleibe in ihrer Nähe und versuche mich nicht abschütteln zu lassen.“, versicherte sie, ehe sie sich sputete hinter ihrem Schützling und deren Schauspielerkolleginnen herzulaufen, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Kurz betrachtete sie Chris, die mit den beiden Anderen vor ihr her lief. Sie konnte es wirklich nicht fassen. Wie konnten zwei Personen sich nur so ähnlich sein?

Wenn Jodie das Gesicht dieser Frau sah, fühlte sie sich an jenen furchtbaren Tag in ihrer Kindheit zurückversetzt. Wenn sie die Stimme der Anderen hörte, konnte sie den Rauch wieder riechen und die Flammen, welche ihr Elternhaus damals verschlungen hatten, wieder lodern sehen.

Kurz schüttelte sie den Kopf und versuchte die schrecklichen Erinnerungen zu verdrängen. Sie musste sich zwingen nicht aus den Augen zu verlieren, dass diese Frau dort zwar so etwas wie die exakte Kopie ihres schlimmsten Alptraums war, aber eben nicht die gleiche Person! Chris dürfte kaum älter als sie selbst sein und konnte folglich gar nicht für den Tod ihres Vaters und das Feuer verantwortlich sein. Dennoch fiel es ihr schwer, diese Frau mit neutralem Blick zu betrachten.

Nun, natürlich durfte sie ihren eigentlichen Job auch nicht aus den Augen verlieren. Die Blondine war nicht die Frau, die ihr Leben damals mit einem Schlag zerstört hatte, ein Unschuldslamm war die Schauspielerin aber mit Sicherheit auch nicht. Ihre Kollegen verdächtigten Sie, ein Mitglied dieser Verbrecherbande zu sein und nachdem sie der Anderen eben kurz in die Augen gesehen hatte, fiel es ihr nicht schwer, eben dies auch zu glauben. Was fehlten waren Beweise und die würde sie hoffentlich bekommen, wenn sie ihren Job gut machte und ihre Tarnung nicht aufflog.

Gemeinsam mit den Schauspielern erreichte Jodie schließlich die Haupthalle, in welcher die heutige Feier stattfinden würde.

So weit sie wusste, handelte es sich um eine Wohltätigkeitsveranstaltung und die hier anwesenden Schauspieler waren als Ehrengäste eingeladen worden.

Wie sie feststellte, waren jedoch auch noch eine ganze Menge anderer Gäste anwesend, weshalb sie besser zusah, ihre Zielperson nicht aus den Augen zu verlieren. Das diese es angeblich schaffte einfach so zu verschwinden, hatte ihr Kollege ihr ja gerade schon mitgeteilt.

 

Die Haupthalle, in welcher die Feierlichkeit stattfand, war bereits gut gefüllt. Überall standen Gäste in teurer Abendgarderobe herum, unterhielten sich, lachten, oder versuchten sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, um ein bekanntes Gesicht zu begrüßen.

An einer Seite der Halle, war ein Buffet mit einer großen Auswahl an Speisen und Getränken aufgebaut worden. Leise Musik füllte den Raum und hier und da entdeckte die junge Frau ein paar Kellner, welche sich ihren Weg durch die Menschenmenge bahnten, um die gerade eingetroffenen Gäste mit einigen Häppchen, oder einem Glas Sekt zu versorgen.

Ein Weilchen hielt sie sich hinter der Schauspielergruppe auf, in welcher sich auch ihr derzeitiger Schützling befand. Während Jodie sich bemühte die Gruppe nicht aus den Augen zu verlieren, nutzte sie den Moment jedoch auch, um einen ersten Eindruck von dieser Veranstaltung und den Gästen in ihrer Nähe zu gewinnen.

Die meisten hier Anwesenden machten keinen sehr verdächtigten Eindruck, sondern wirkten höchstens ein klein wenig abgehoben, was wohl ein allgemeines Problem von Leuten mit viel Geld sein musste. Immer wieder gesellten sich einige Leute zu den Schauspielern und verwickelten sie in oberflächliche Gespräche. Auffällig war dies nicht und auch die Gesprächsthemen waren die, die man auf einer solchen Feier erwarten würde.

Die andere Blondine versicherte einem Besucher der Veranstaltung gerade, dass sie noch keine näheren Details zu dem Film, welcher unter der Regie von Herrn Yamamoto gedreht wurde, Preis geben durfte.

Wieder stellte die junge Agentin erstaunt fest, wie gut die Andere doch Japanisch sprach. Dafür, dass sie die Sprache selbst nicht so oft gebrauchte, sprach auch Jodie selbst sehr passabel Japanisch, allerdings war ihr Akzent zu jederzeit deutlich herauszuhören und hier und da fehlte ihr manchmal die ein oder andere Vokabel. Chris Aussprache war hingegen nahezu perfekt und sie fragte sich, ob die amerikanische Schauspielerin sich wohl des Öfteren hier im Land der aufgehenden Sonne aufhielt.

Von der Bühne aus, hatte der Regisseur inzwischen das Wort ergriffen, richtete einige Worte an das Publikum und gab das Mikrophon dann an den Veranstalter der Feier weiter, welche die Begrüßungsrede fortsetzte und anschließend über das Projekt zu berichten begann, welchem der Erlös des heutigen Abends zu gute kommen sollte.

So verging die Zeit. Nach der Rede, begannen die Gäste wieder damit sich zu unterhalten und die Musik wurde etwas lauter gedreht. Auch die Blondine unterhielt sich dann und wann ein wenig mit den Leuten, welche neben ihr standen, ließ dabei jedoch zu keiner Zeit ihren Schützling und die nähere Umgebung aus den Augen.

 

Einige Zeit lang passierte überhaupt nichts außergewöhnliches und fast schon nahm Jodie an, dass diese Feier hier ganz normal verlaufen würde, als ihr auffiel, wie die Schauspielerin, die sie im Auge behalten sollte, unauffällig zur Uhr blickte. Erst einmal dachte sie sich nichts dabei, denn jeder riskierte mal einen Blick auf die Uhr, doch bei einem Blick blieb es nicht. Immer wieder blickte die Zielperson auf die Uhr, je später es wurde. Das Prüfen der Zeit war so unauffällig, dass ihre Kolleginnen und die Gäste, welche immer mal wieder bei der Schauspielerin auftauchten um mit ihr zu reden, es gar nicht bemerkten. Jodie jedoch, die gute zwei Schritte hinter der Anderen stand, begann sich langsam zu fragen, was so wichtig an der derzeitigen Uhrzeit sein mochte.

Schließlich entschuldigte ihre Zielperson sich kurz, setzte sich in Bewegung und bahnte sich einen Weg durch die Menge, einmal quer durch die Halle.

Die FBI Agentin nahm dies zum Anlass, ihr besser zu folgen. Zum einen beschlich sie plötzlich ein seltsames Gefühl, zum anderen wollte sie sich nicht am Ende noch nachsagen lassen, als Bodyguard versagt zu haben, weil sie ihren Schützling für einen Moment aus den Augen gelassen hatte.

Rasch wich die junge Frau einem Kellner aus, kämpfte sich an zwei Grüppchen von Besuchern vorbei und hatte schließlich ebenfalls das andere Ende der Halle erreicht.

Gerade sah sie die andere Blondine noch durch eine Tür gehen und sputete sich, ihr unauffällig zu folgen, ehe sie sie noch aus den Augen verlor.

Kaum hatte sie einen Blick in den anderen Raum riskiert, entspannte die junge Frau sich jedoch ein wenig. Sie fand sich im Vorraum der Damentoiletten wieder und das eine Person nach einigen Gläsern Sekt mal hier her verschwand, war weder besonders ungewöhnlich, noch irgendwie verwerflich.

Jodie sah ihre Zielperson gerade noch hinter der von ihr aus gesehen dritten Tür verschwinden, ehe sie einen Blick in den Spiegel riskierte, kurz ihr Spiegelbild betrachtete und den Kopf schüttelte.

Wurde sie jetzt schon paranoid, nur weil es sich bei der Schauspielerin um so etwas wie die exakte Kopie von dem Schrecken ihrer Kindheit handelte?

Zwei andere Frauen, welche bis eben vor der Spiegelfront gestanden hatten um ihr Make-Up zu erneuern, verließen den Raum wieder und begaben sich zurück zur Party.

Kurz überlegte die Blondine, ebenfalls wieder nach draußen zu gehen, weil sie ihrem Schützling ungern erklären wollte, warum sie sie bis zur Toilette verfolgte, doch dann entschied sie sich dagegen. Sie spielte derzeit den Bodyguard der Schauspielerin und da konnte sie ohne mit der Wimper zu zucken behaupten, nur aus dem Grund hier auf die Andere zu warten, um ihre Sicherheit zu garantieren. Der wahre Grund, weshalb sie blieb, war jedoch dieses merkwürdige Gefühl, welches einfach nicht verschwinden wollte. Sie hatte das Gefühl, das hier irgendetwas nicht stimmte, auch wenn sie nicht so recht wusste, was genau es war.

Die Toilettentür öffnete sich wieder und heraus kam eine Frau mit brünetten Haaren und einem weinroten Abendkleid. Beinah hätte Jodie gar nicht auf die Person reagiert, glaubte sie im ersten Moment doch, dass sie sich täuschte und die Dame aus der von hier aus gesehen vierten Kabine getreten war. Ein Blick in den Spiegel verriet ihr jedoch, dass es die dritte Kabine war, deren Tür gerade zu fiel.

Die Brünette musste ihre Anwesenheit zwar bemerkt haben, jedoch schenkte sie ihr keinerlei Beachtung, sondern ging seelenruhig rüber zu einem der Waschbecken und begann damit sich die Hände zu waschen.

Für einen Moment war die Blondine wahrlich verwirrt. Sie hatte ganz eindeutig gesehen, dass Chris diese Kabine eben noch betreten hatte, heraus gekommen war jedoch eine ihr unbekannte Person. Wie konnte das sein?! Die Türen hatte sie ganz sicher nicht durcheinander gebracht.

Diese Frau schafft es zu verschwinden, wann immer sie möchte..., hallten ihr die Worte ihres Kollegen durch den Kopf. Kurz dachte sie über diese Information nach, dann fiel ihr die Lösung plötzlich wie Schuppen von den Augen.

Sie glaubte zu wissen, woran es lag, dass ihre Kollegen die Schauspielerin zuvor jedes Mal aus den Augen verloren hatten, wenn diese sich in den Kopf gesetzt hatte, zu verschwinden. Beinah wäre sie selbst ebenfalls auf diesen Trick hereingefallen, ihr Glück war jedoch, dass sie vorgewarnt gewesen war und gesehen hatte, wohin die Frau eben noch verschwunden war.

 

Die junge Agentin trat einen Schritt auf die Brünette zu, welche sich mit einem Einmalhandtuch die Hände abgetrocknet hatte und das Handtuch gerade in einen Mülleimer beförderte.

Sie legte eine Hand auf die Schulter der Anderen und war wirklich froh darüber, dass außer ihnen derzeit sonst niemand anwesend war.

„Beinahe wäre ich darauf hereingefallen.“, äußerte die Blondine.

„Entschuldigen Sie...?“, die Stimme ihres Gegenübers klang verwirrt und...fremd.

Leise Zweifel machten sich breit. Das war nicht die Stimme, die sie erwartet hatte. Hatte sie sich am Ende doch getäuscht? Wobei nein, ihre Zielperson war Schauspielerin, wenn sie am Ende noch dazu in der Lage sein sollte, ihre Stimme zu verstellen, würde es sie auch nicht wundern.

„Jetzt komm schon, tu nicht so.“ An den Schultern drehte die junge Agentin ihr Gegenüber beherzt zu sich. Sie glaubte den Trick der Anderen durchschaut zu haben und irgendwie machte diese dreiste Masche sie einerseits wütend, andererseits machte sich auch ein gewisses Triumphgefühl in ihr breit, weil sie die Aktion durchschaut hatte.

„Du hast einen Moment gebraucht, um die Kontaktlinsen einzusetzen, dich umzuziehen, die Perücke aufzusetzen und dein Make-Up abzuändern.“, fuhr Jodie fort, ohne der Brünetten eine Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. „Für eine solche Veränderung hast du die Aktion wirklich in einer Rekordzeit geschafft, aber ich habe den Trick durchschaut. Jetzt gib schon zu, dass ich Recht habe.“

Einen langen Moment lang starrten die beiden Frauen sich an. Die FBI Agentin wurde das Gefühl nicht los, dass die derzeit Brünette nach einem kleinen Anzeichen von Unsicherheit in ihrem Blick suchte, doch als sie nur Überzeugung darin fand, tauschte sie die gespielt irritierte Mimik schließlich gegen ein Schmunzeln ein, während in den aktuell braunen Augen ein schwer zu deutendes Funkeln lag.

„So? Jetzt sind wir also schon beim 'du'?“, hakte ihr Gegenüber nun wieder mit unverstellter Stimme nach. „Du bist also in der Lage 1 + 1 zusammenzuzählen. Ich muss zugeben, dass ich dich da wohl etwas unterschätzt habe.“

„Ich habe durch Zufall bemerkt in welcher Kabine du verschwunden bist und seltsamerweise hat eine andere Person eben jene Kabine wieder verlassen. Für einen kleinen Moment hast du mich verwirrt, aber dann habe ich den Trick durchschaut.“

„Was für ein kluges Köpfchen. Herzlichen Glückwunsch.“, kam es spöttisch von der Schauspielerin, ehe diese der Blondine einen herausfordernden Blick zuwarf. „Und was gedenkst du nun zu tun?“, erkundigte Chris sich.

„Kommt ganz darauf an, was du mit dieser Aktion überhaupt bezwecken wolltest.“

Das die Andere es darauf angelegt hatte unbemerkt zu verschwinden war klar, stellte sich bloß die Frage warum.

„Ich fürchte, dass dieses kleine Geheimnis dich leider nicht zu interessieren hat.“

Die blauen Augen der Agentin verengten sich vor Missfallen ein Stück, während sie ihr Gegenüber betrachtete. Die Tatsache, dass sie einer gewissen anderen Person so ähnelte, machte ihre Zielperson schon nicht gerade sympathisch, die Art wie sie sich gab, machte es da nicht unbedingt besser. Ihre Kollegen beim FBI hatten Recht damit gehabt, dass es ihr aufgrund ihrer Vergangenheit schwer fallen würde, sich der Blondine gegenüber neutral zu verhalten, jedoch war Jodie auch fest entschlossen ihren Job ordentlich zu machen.

Ihr Gegenüber wurde verdächtigt ein Mitglied einer Verbrecherbande zu sein, welche bereits für so einen Schaden gesorgt hatte, dass selbst das FBI sich eingeschaltet hatte. Da es bisher leider keinerlei Beweise gab, war es nun an ihr geeignete Beweise zu finden und das wiederum würde nur gelingen, wenn sie ihren Job glaubhaft spielte und sich als Angestellte einer Sicherheitsfirma ausgab, welche damit beauftragt worden war ein Auge auf die Schauspielerin zu haben, um deren Sicherheit zu gewährleisten. Eine unauffälligere Möglichkeit sich in der Nähe der anderen Blondine aufzuhalten, gab es nun einmal derzeit nicht.

„Meine Vermutung ist ja, dass du diese Verkleidung gewählt hast, um unauffällig von hier zu verschwinden.“, versuchte Jodie es anders. „Dein Chef hat mich eingestellt, damit deine Sicherheit gewährleistet wird. Muss ich dich an diese Briefe erinnern? Angesichts der derzeitigen Situation bist du unter Umständen in Gefahr und du kannst dir denken, dass mir das missfällt.“

Unbeeindruckt spielte die andere Frau mit einer der künstlichen Ponysträhnen, ehe sie erwiderte :“Wie ich vorhin schon gesagt habe, nehme ich diese albernen Briefchen nicht wirklich ernst. Und dem Bodyguard habe ich nur zugestimmt, um endlich meine Ruhe zu haben.“

„Zugestimmt hast du immerhin. Jetzt beschwer dich also nicht, wenn ich meine Arbeit ernst nehme.“

Im ersten Augenblick blitzte Missfallen in den aktuell braunen Augen auf, dann blickte Chris fast schon ein wenig amüsiert drein. „Du bist ganz schön hartnäckig, Kleine.“, schmunzelte sie. „Mein Chef hat dich eingestellt, damit du während der Dreharbeiten und bei öffentlichen Veranstaltungen wie dieser hier auf mich Acht gibst. Würdest du deinen Job also nicht ganz so in Gefahr sehen, wenn du wüsstest, dass du mich sicher von A nach B begleitet hast?“

Bei diesen Worten hob die FBI Agentin fragend eine Augenbraue. Ihre Aufgabe war es zwar, hier in der Öffentlichkeit auf die Schauspielerin zu achten, wie Chris es eben schon ganz richtig festgestellt hatte, doch wenn die Andere es zuließ, dass sie sie ein Stück begleitete, würde sie vielleicht an erste Informationen gelangen.

„Wie genau meinst du das?“, hakte Jodie also nach und bemühte ihre Stimme skeptisch klingen zu lassen.

„Nun, wir gehen gemeinsam bis zur Eingangstür. Von dort aus hast du den Parkplatz bestens im Blick und weist, dass mir dieser Verrückte ganz sicher nicht irgendwo hier aufgelauert hat. Deinen Job hättest du also erledigt.“, schlug die Frau mit den eigentlich hellblonden Haaren vor.

„Sicher durch die Veranstaltung begleitet hätte ich dich, das ist richtig. Aber was ist mit dem Parkplatz? Wenn dir jemand auflauert, halte ich diese Möglichkeit draußen für wahrscheinlicher, als es in dieser Menschenmenge der Fall ist.“, gab die Agentin zu bedenken und hoffte, in diesem Gespräch vielleicht an brauchbare Informationen zu gelangen.

Ungerührt deutete ihr Gegenüber mit einer kurzen Geste auf den Spiegel. „Mal ehrlich, hättest du mich nicht in die Kabine hinein, und schließlich wieder hinausgehen sehen, hättest du mich derzeit erkannt?“

Unbehagen machte sich in der Blondine breit. Für sie war es schwer genug sich überhaupt mit dieser Frau zu unterhalten, doch die Tatsache, dass diese dazu in der Lage war, sich binnen kürzester Zeit in einem unbeobachteten Augenblick in eine vollkommen anders aussehende Person zu verwandeln, war wahrlich beunruhigend.

„Nein, das hätte ich wohl nicht...“, musste Jodie unwillkürlich zugeben.

„Da siehst du es. Du hättest mich nicht erkannt und dieser Verrückte würde es wohl auch nicht, wenn er denn überhaupt irgendwo hier in der Nähe ist.“

„Also ist das der Grund für diese Verkleidung?“, schlussfolgerte die junge Frau. „Also beunruhigen dich diese Briefe doch.“ Sollte sie den Gedanken als beruhigend empfinden, dass sich selbst eine Person mit solch kalten Augen, vor irgendetwas sorgte?

„Auch wenn es überflüssig ist, kann ein wenig Vorsicht ja nicht schaden. Außerdem möchte ich gehen und als Unbekannte ist das unkomplizierter, als wenn ich mich als berühmte Schauspielerin in Richtung Tür begebe und von zig Leuten angesprochen werde.“

Was die Andere da sagte, klang durchaus logisch. Dennoch misstraute Jodie dieser Frau und das lag nur zum Teil an deren Äußeren.

„Und warum hast du eben so getan, als wenn du mich noch nie gesehen hättest?“

„Nun, diese Diskussion, die wir hier gerade führen, hätte ich mir eben lieber erspart.“

Schlagartig bildete sich Gänsehaut auf den Armen der Agentin, als ihr Schützling ihr für einen Moment die Hand auf denn Oberarm legte.

„Kommst du nun mit zum Eingang, oder nicht?“, wollte Chris mit einem leicht genervten Unterton in der Stimme wissen, ehe sie hinzufügte :“Keine Sorge, ich werde meinem Chef schon nicht auf die Nase binden, dass du mir eine halbe Stunde vor dem offiziellen Ende der Veranstaltung hier raus geholfen hast.“

Jodie konnte den Reflex nicht unterdrücken, die Hand ihres Gegenübers rasch von ihrem Oberarm zu entfernen und ihr einen unterkühlten Blick zuzuwerfen, was Chris beinahe zu belustigen schien.

„Wie kommst du von hier aus heim?“, murrte die Agentin schließlich, die sich immerhin ein wenig Mühe geben musste, ihren Job glaubhaft zu spielen.

„Mit dem Auto. Ich werde abgeholt.“, entgegnete die Schauspielerin nur knapp, ehe sie sich in Bewegung setzte, während die Blondine ihr wohl oder übel folgte.

Ohne weitere Zwischenfälle schafften die beiden Frauen es durch die Halle. Die Verabschiedung fiel knapp und kühl aus und schließlich beobachtete die Agentin, wie ihre Zielperson, welche derzeit so anders aussah, von der Eventhalle aus in Richtung Parkplatz lief und sich eine Zigarette anzündete. Diese Frau hatte etwas von einem Wolf im Schafspelz, so viel stand fest.

Da es inzwischen dunkel war, konnte Jodie zwar erkennen, dass ein schwarzer Porsche neben ihrer Zielperson anhielt, in welchen diese schließlich einstieg, aufgrund der Dunkelheit konnte sie jedoch leider nicht das Kennzeichen erkennen. Verdammt! Vielleicht wäre das ein erster Anhaltspunkt gewesen, der bei den Ermittlungen weitergeholfen hätte.

Fürs erste beschloss die junge Frau sich wieder ein wenig zu sammeln und dann einen Bericht zu schreiben, welchen sie an ihre Abteilung weitergeben würde. Jedes Wort und jede noch so kleine Kleinigkeit könnten unter Umständen wichtig sein.

 

„Du bist spät dran.“, murrte der Fahrer des Porsche nur unwirsch, während sein Blick stur auf die Straße gerichtet war.

„Ich weiß. Ich wurde aufgehalten.“, erklärte die Schauspielerin, welche es sich auf der Rückbank des Fahrzeugs gemütlich gemacht hatte, ehe sie sich einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette gönnte.

„Ach ja?“, lautete die desinteressiert klingende Antwort.

Die Frau kurbelte das Fenster des Autos ein Stück weit hinunter, schnippte den Zigarettenstummel aus dem Fenster und befreite sich schließlich wieder von der Perücke.

Rasch fuhr sie sich einmal mit der Hand durch die Haare, ehe ihre Frisur wieder so lag, wie sie sollte. Schließlich blickte sie geradewegs in den Rückspiegel, in welchen auch der Fahrer des Porsches gerade sah.

„Es wird Zeit, dass sich endlich ein Anhaltspunkt finden lässt, der zu dem Verfasser dieser Briefe führt, damit einer von uns ihn umlegen kann.“, begann sie und schlug die Beine übereinander. „Mein Chef hat mir schon wieder einen neuen Bodyguard vor die Nase gesetzt. Langsam wird es echt nervig.“

„Und bei dieser Person handelt es sich wieder um eine Ratte vom FBI?“ Das war mehr eine Feststellung als eine Frage gewesen.

Angesprochene lachte. „Natürlich, was denkst du denn, Gin? Ich lasse diese Stümper natürlich auch weiterhin in dem Glauben, dass ich mir dessen nicht bewusst bin.“

Als sie keine Antwort erhielt, beschloss die Blondine ihren Bericht fortzuführen.

„Die Kleine, die sie diesmal auf mich angesetzt haben, ist allerdings gar nicht so schlecht. Sie hat es sogar geschafft meine Tarnung zu durchschauen. Und habe ich schon erwähnt, dass sie scheinbar irgendetwas gegen mich hat? Sie starrt mich die ganze Zeit über an, als wollte sie mir am liebsten den Hals umdrehen.“

„Dann hör endlich mit deinen Spielchen auf, Vermouth. Erledige diese Zecke ganz einfach.“

Erneut konnte die Schauspielerin ein leises Lachen nicht unterdrücken. „Alles zu seiner Zeit, Gin.“

Die nächsten beiden Tage verliefen relativ ereignislos. Da der Dreh des Films nicht nur innerhalb ein und des selben Gebäudes stattfand, hieß es auch für die junge FBI Agentin wohl oder übel immer wieder durch die Stadt zu pendeln, wenn sie ihre Rolle als Bodyguard denn glaubhaft spielen wollte. Einen weiteren Brief hatte ihr Schützling zwar nicht erhalten, jedoch schadete es trotzdem nicht, die Augen nach seltsamen Personen offenzuhalten, welche sich unter Umständen in der Nähe des Drehorts aufhielten. Da dies bisher aber nicht der Fall gewesen war, konnte sie sich natürlich auch um ihre eigentliche Aufgabe kümmern und die Zielperson in der Hoffnung beobachten, dass diese irgendein Verhalten an den Tag legen würde, welches irgendwie verdächtig wäre und sie in ihren Ermittlungen voran bringen würde.

Leider nur, war diese Verkleidung neulich, durch die Chris sich erhofft hatte unauffälliger von der Party verschwinden zu können, die einzige Auffälligkeit gewesen. Beweise für irgendwelche kriminellen Machenschaften hatten sich auch daraus leider nicht ergeben, weshalb es weiterhin hieß, die Augen unauffällig offen zu halten, während Jodie hier in der Öffentlichkeit die Frau von der Sicherheitsfirma spielte.

„Wenn ich mir den Himmel so ansehe, vermute ich stark, dass es jeden Moment zu regnen anfangen wird.“, sprach ein Mitarbeiter des Filmteams sie an, welcher ganz in ihrer Nähe stand. „Aber so gut wie alle heute schauspielern, kriegen wir die Szene sicherlich vorher noch in den Kasten.“

Jodie beobachtete, wie ihr derzeitiger Schützling und eine andere Schauspielerin, eine Trage von zwei als Rettungssanitäter verkleideten Kollegen in Empfang nahmen, und dann mit der Trage eilig in Richtung der Kulisse liefen, welche als Eingang des Filmkrankenhauses fungierte. Die weißen Kittel der Schauspieler wehten im Wind, während sie mit der Trage, auf welcher ein als Unfallopfer zurechtgemachter Kollege lag, im Gebäude verschwanden.

„Die Schauspieler machen das wirklich gut, da haben Sie Recht.“, stimmte die Blondine dem Mitarbeiter der Sicherheitsfirma schließlich zu. „Und bisher fehlt von dieser crazy person, welche die Briefe verfasst hat, auch jede Spur.“

 

Tatsächlich hatte es wenig später zu regnen begonnen, doch die Szene, welche gerade gedreht worden war, hatte das Team noch beenden können.

Einerseits fand Jodie es ja recht interessant, den Dreh eines Films live mitzuerleben, andererseits war es nicht ihr eigentlicher Job, auf einen Haufen Schauspieler aufzupassen und die Augen nach einem eventuell gefährlichen Unbekannten offen zu halten. Sie hoffte, dass sie einigermaßen zeitnah an brauchbare Informationen für das FBI gelangen konnte und diese Mission hier bald beendet wäre.

Aufgrund des schlechten Wetters, aber auch aufgrund der Tatsache, dass es inzwischen eh schon Mittag war, hatte das Team sich darauf geeinigt, eine Pause einzulegen, um etwas zu essen.

Während einige Schauspieler und Mitarbeiter das Angebot des Caterers wahrgenommen hatten, hatten einige andere beschlossen, in der nahe gelegenen Stadt einen Happen essen zu gehen.

Die Blondine fragte sich, wie genau es dazu gekommen war, doch aktuell saß sie mit Chris in einer Salatbar in der Nähe des Drehorts und wartete darauf, dass der Kellner endlich die Getränke vorbei brachte. Die Situation war wirklich merkwürdig. Sie fühlte sich unwohl, ausgerechnet mit der amerikanischen Schauspielerin hier an einem Tisch zu sitzen und auf das Essen und die Getränke zu warten.

Wenn sie die andere Blondine betrachtete, welche gerade in aller Seelenruhe eine Zigarette rauchte und rasch eine SMS auf ihrem Handy tippte, dann sah sie exakt die Frau, die für das schlimmste Trauma ihres Lebens verantwortlich war, vor sich. Jodie musste sich wirklich zusammenreißen und sich immer und immer wieder sagen, dass Chris und sie in einem Alter waren und die Andere folglich auch nichts mit dem Feuer vor 20 Jahren zu tun haben konnte. Bloß diese Ähnlichkeit...

Diese unglaubliche Ähnlichkeit der anderen Frau, mit der Mörderin ihres Vaters, erschwerten ihr ihren Auftrag erheblich, fiel es ihr doch schwer, die Andere von einem neutralen Blickpunkt aus zu sehen.

„Hast du die Briefe von diesem Verrückten dabei?“, erkundigte Jodie sich, um ein Gespräch zu beginnen und die Wartezeit, bis das Essen hier eintraf, irgendwie zu überbrücken. Da die beiden Amerikanerinnen derzeit allein waren, sprachen sie englisch miteinander.

„Kopien davon, ja.“, bestätigte ihr Gegenüber. Die Frau mit den hellblonden Haaren kramte kurz in ihrer Handtasche, ehe sie der Agentin schließlich drei Blätter Papier überreichte.

„Der Typ schreibt, jeden Film in dem ich mitspiele angeschaut zu haben, dann behauptet er, den aktuellen Dreh zu beobachten. Im letzten Brief regt er sich furchtbar darüber auf, dass ein Kollege, der einen anderen Oberarzt spielt, und ich, in dem neuen Film ein Pärchen sind.“

Die Schauspielerin verdrehte kurz die grünen Augen. „Er droht sogar damit, dass ich es bereuen würde, irgendeinem anderen schöne Augen zu machen, aber lies selbst.“

Zwar hatte man sie bereits zuvor über den Inhalt der Briefe in Kenntnis gesetzt, doch die Schriftstücke nun selbst in der Hand zu halten und vorab noch einmal eine kurze Zusammenfassung ihres Schützlings zu erhalten, war noch einmal etwas ganz anderes. Rasch überflog Jodie die Zeilen und ihre Augen weiteten sich überrascht. Das der Regisseur sich bei solchen Schreiben Sorgen um die Schauspielerin machte, war gut nachvollziehbar.

„Besonders der letzte Brief hat es ganz schön in sich.“, stellte sie fest. „Nach einem harmlosen Stalker klingt das meiner Meinung nach nicht mehr.“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht.“ Chris zuckte nur mit den Schultern und schenkte kurz dem Kellner ihre Aufmerksamkeit, welcher den beiden Frauen gerade das Essen brachte.

„Selbst wenn dieser Typ es wirklich geschafft haben sollte, einen Blick auf die Dreharbeiten zu erhaschen, ist es noch einmal etwas ganz anderes, dort tatsächlich aufzutauchen und sich in meine Nähe zu wagen.“, spielte sie die ganze Sache schließlich herunter, nachdem der Kellner wieder verschwunden war.

„Was ist, wenn es sich bei dem Verfasser der Briefe gar nicht um einen Außenstehenden handelt, sondern um einen Mitarbeiter des Filmteams?“, erkundigte Jodie sich. „Immerhin scheint die Person den Dreh beobachtet zu haben, ohne das irgendjemandem etwas aufgefallen ist.“

Ihr Gegenüber schüttelte lediglich den Kopf. „Das ist ausgeschlossen. Die Briefe wurden handschriftlich geschrieben und keiner der Mitarbeiter oder Kollegen hat auch nur eine annähernd ähnliche Handschrift. Das wurde bereits überprüft.“

Sie begannen zu essen und als die FBI Agentin zu der anderen Frau sah, stellte sie sich unwillkürlich die Frage, wie diese bei solchen Briefen noch so ruhig bleiben konnte. Chris schien das alles gar nicht ernst zu nehmen und spielte die Vorfälle sogar herunter. Die Blondine wirkte nicht so, als würde sie sich ernsthaft bedroht fühlen. Ihre Sorglosigkeit diesbezüglich wollte so gar nicht zu der Schauspielerin passen. Sie machte einen wirklich intelligenten Eindruck und genügend Weitsicht, um zu wissen, dass die ganze Sache gefährlich für sie werden konnte, traute sie der Anderen durchaus zu. Warum also machten ihrem Gegenüber diese Briefe so wenig aus? Wusste sie etwas, was sonst niemand wusste? Gab es irgendeinen Grund, warum sie sich scheinbar so sicher fühlte?

Die Agentin erschrak, als sie sich der Tatsache bewusst wurde, dass sie ihren Schützling die ganze Zeit über nachdenklich angestarrt haben musste. Nun war es Chris, direkten Blickkontakt zu suchen und sie mit einem abrupten Themenwechsel zu überraschen.

„Du kannst mich nicht sonderlich gut leiden, richtig?“, wollte sie wissen.

Angesprochene blinzelte. „Was? Wie kommst du denn darauf?“

Natürlich entsprach das, was ihre Zielperson da eben so ganz direkt angesprochen hatte, der Wahrheit, jedoch war Jodie bis eben noch der Meinung gewesen, sich professionell genug verhalten zu haben, als das es der Anderen nicht so direkt aufgefallen wäre.

„Sonderlich schwer zu erraten war das nicht. Wann immer du dich unbeobachtet fühlst, wirfst du mir Blicke zu, als wenn du mir am liebsten das Gesicht zerkratzen würdest.“

„Jetzt übertreibst du aber. Vielleicht hast du Recht und es gibt Personen, die mir sympathischer sind, aber so schlimm ist es nun auch wieder nicht.“, entgegnete die Agentin und ärgerte sich über die Spur von Unsicherheit, die da in ihrer Stimme mitschwang.

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Schauspielerin ihre Beobachtung so direkt ansprechen würde und es gefiel ihr ganz und gar nicht, in welche Richtung das Gespräch sich gerade entwickelte. Für die Ermittlungen wäre das hier sicher nicht unbedingt förderlich, jedoch war sie sich ziemlich sicher, dass die Andere sie durchschaut hätte, hätte sie gerade gelogen und Sympathie geheuchelt.

„Und woran genau liegt es? Du wirktest schon so unglücklich, als wir uns neulich zum ersten Mal gesehen haben. Hättest du lieber den Bodyguard für einen der anderen Schauspieler des Teams gespielt?“ Chris schmunzelte und Jodie war sich unsicher, wie viel ernst gemeinte Frage nun eigentlich hinter den eher nach einem Scherz klingenden Worten stecken mochte.

Die Agentin rückte auf ihrem Platz hin und her und fragte sich, mit welchen Worten ihr Gegenüber sich wohl am besten abspeisen lassen würde. Leider zweifelte sie nicht daran, dass der wache Blick der anderen Frau eine Lüge sofort als solche erkennen würde. Natürlich war sie nicht gewillt, der Blondine, welche vom FBI verdächtigt wurde eine Kriminelle zu sein, die ganze Wahrheit zu erzählen, aber eventuell könnte sie sich mit einer Halbwahrheit herausreden.

„Nein, das ist es nicht.“, begann sie. „Du erinnerst mich nur...an eine Person, die ich vor langer Zeit mal gekannt habe.“ Das war zwar nicht gelogen, unbedingt viel anfangen können, sollte ihr Gegenüber mit dieser Information jedoch auch nicht.

Erneut begegneten ihre Blicke sich und die junge Frau spürte, wie sich Gänsehaut auf ihren Armen breit machte. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass sie hier gerade so etwas wie Katz und Maus spielten. Eigentlich sollte sie als FBI Agentin die Katze sein und die Schauspielerin als Verdächtige die Maus, warum nur hatte sie dann das Gefühl, dass sie die Rollen getauscht hatten, wenn sie in Chris grüne Augen sah?

„So ist das.“, gab die Schauspielerin sich überraschend mit dieser Information zufrieden und Jodie fragte sich, ob ihr die Antwort wohl nicht so wichtig gewesen war, oder ob es einen anderen Grund hatte, warum sie nicht weiter nachhakte. „Ich frage mich nur, ob du dann die Richtige für diesen Job bist. Nicht, dass ich wirklich der Meinung wäre einen Aufpasser zu benötigen, aber es wird dir nicht ganz leicht fallen, mich aus einem neutralen Blickwinkel zu betrachten, richtig?“

Jodie blinzelte und schob ihre Brille wieder ein Stückchen höher. Waren es wirklich nur diese Bedenken, weshalb Chris dieses Gespräch hatte führen wollen?

„Was das betrifft, solltest du dir keine Gedanken machen.“, stellte die Agentin entschieden fest und diesmal meinte sie die Worte tatsächlich so, wie sie sie sagte. „Vielleicht erinnerst du mich an jemanden aus meiner Vergangenheit, aber das bedeutet nicht, dass ich meinen Job nicht vernünftig erledigen würde. Wenn dieser Verrückte auftauchen sollte, dann werde ich ihn dir vom Hals halten.“

Zwar ermittelte sie eigentlich gegen die Blondine selbst, jedoch dürfte sie es in ihrem Job auch nicht einfach zulassen, dass eine Person wegen eines Wahnsinnigen zu Schaden kam, wenn sie das verhindern konnte.

 

Das sie ihren Job durchaus ernst nahm, bewies die Agentin, nachdem der Dreh für diesen Tag beendet worden war. Während ihr Schützling sich vom Haupttreffpunkt des Teams, von einem Kollegen zu einem der anderen Drehorte hatte mitnehmen lassen, hatte Jodie die Strecke in ihrem eigenen Auto zurückgelegt.

Zwar konnte sie sich wahrlich besseres vorstellen, als mit den Schauspielern und dem Filmteam einmal quer durch die Stadt zu reisen und die ganze Zeit über ein Auge auf ihren Schützling zu haben, jedoch war der angebliche Job als Bodyguard die derzeit einzige und einfachste Methode, um sich in der Nähe der eigentlichen Zielperson aufzuhalten, ohne aufzufliegen.

Der Schauspieler, welcher seine blonde Kollegin zuvor zum Drehort mitgenommen hatte, hätte sie auch ohne zu murren wieder zurück zum Hauptgebäude des Filmteams gebracht, vor welchem Chris nach eigener Aussage selbst geparkt hatte, als die FBI Agentin jedoch mitbekommen hatte, dass der andere Schauspieler genau in der entgegengesetzten Richtung wohnte, hatte sie selbst angeboten, ihren Schützling das Stück zurück zum Hauptgebäude mitzunehmen.

Auch weiterhin fühlte Jodie sich mehr als unwohl in der Nähe der anderen Blondine, jedoch könnte die Rückfahrt wieder eine Gelegenheit bieten, um an irgendwelche Informationen zu gelangen.

Ein wenig überrascht war die Schauspielerin von dem Angebot im ersten Moment zwar schon gewesen, jedoch hatte sie schließlich eingewilligt. Ob die Andere in der Aktion vielleicht einen Versuch ihrer derzeitigen Leibwache sah, ihr zu beweisen, dass sie ihren Job durchaus ernst nahm?

Was genau die amerikanische Schauspielerin sich nun dabei gedacht hatte, konnte Jodie nicht genau sagen, aber zumindest saßen sie nun nebeneinander im Auto und waren auf dem Rückweg zum Hauptgebäude des Filmteams.

Leider nur tat oder sagte Chris auf dem Weg über nicht wirklich etwas, was auch nur im entferntesten als Anhaltspunkt dafür gewertet werden konnte, dass sie Teil einer kriminellen Organisation sein könnte. Nun gut, was genau hatte Jodie auch erwartet?

Die beiden Frauen unterhielten sich nicht sehr viel auf der Fahrt und das Gespräch, das sie führten, war leider absolut belanglos.

Während sie durch einen verlasseneren Teil der Stadt fuhren, herrschte gerade wieder Schweigen.

Plötzlich beobachtete die junge Agentin, wie ihre Mitfahrerin etwas in ihrer Handtasche suchte und schließlich eine kleine Schachtel in der Hand hielt, welche sie öffnete.

Da in dieser Ecke der Stadt nicht sehr viel los war, konnte Jodie den Blick für einen Moment von der Straße abwenden, um festzustellen, was die andere Blondine da eigentlich in der Hand hielt.

„Keine Zigaretten in meinem Auto.“, stellte sie sogleich entschieden fest. „Auf den Ärger mit der Leihwagenfirma kann ich verzichten.“

Chris schmunzele nur. „Keine Sorge. Selbst wenn ich rauchen wollte, könnte ich das gerade nicht.“

Mit einem unzufriedeneren Gesichtsausdruck hielt sie der Fahrerin des Wagens kurz die Schachtel hin, sodass diese hineinblicken und erkennen konnte, dass die Zigarettenschachtel leer war.

Mit einer kurzen Geste deutete die Schauspielerin auf eine leere Parktasche kurz vor einer Seitenstraße. „Kannst du da vorne mal kurz anhalten?“

„Und was ist da?“, hakte Jodie nach, steuerte jedoch ganz automatisch die Parktasche an, um nicht am Ende noch daran vorbei zu fahren.

„Ein Zigarettenautomat. Ich beeile mich.“, erklärte ihre Mitfahrerin rasch, ehe sie sich abschnallte und aus dem Wagen stieg. Als die Blondine rasch in die Seitenstraße lief, um ihren Vorrat an Zigaretten aufzustocken, blickte die Agentin der Anderen kopfschüttelnd nach.

 

Einen Moment lang wartete Jodie im Auto bereits auf die Andere, als sie aus der Seitenstraße plötzlich Stimmen hörte. Die Personen mussten sich fast direkt hinter der Häuserecke befinden, welche ihr die Sicht in die Straße versperrte, denn sie konnte die Worte klar und deutlich verstehen.

„Heeey Süße, wenn du schön brav tust was wir dir sagen, werden wir dir nicht weh tun.“

Alarmiert horchte die Agentin auf.

„Ganz genau! Mein Kumpel hat Recht! Geld her und was du sonst noch wertvolles dabei hast!“

Die junge Frau hatte genug gehört um zu wissen, dass sie sich besser beeilte, um nachzusehen was genau da los war. Natürlich hatte sie sich nicht vorgestellt den Tag ausgerechnet so zu beenden, doch einfach wegsehen und so tun als wäre nichts, konnte sie auch schlecht.

Mit einigen raschen Schritten hatte sie die Seitenstraße erreicht. Sie entdeckte zwei maskierte Männer, welche sich vor der Schauspielerin aufgebaut hatten und langsam und bedrohlich auf sie zukamen. Einer der beiden Angreifer schien unbewaffnet zu sein, der andere jedoch, hielt ein Brecheisen in der Hand.

Natürlich sah Chris angesichts der beiden Angreifer wenig begeistert aus, jedoch war Jodie sich nicht sicher, ob das in ihrem Blick wirklich Angst war. Langsam wich die Schauspielerin zurück und schob eine Hand in ihre Jackentasche, in kopflose Panik verfiel sie jedoch nicht,

„Hey! Schluss jetzt!“, machte die junge FBI Agentin auf sich aufmerksam und die beiden Männer wirbelten überrascht zu ihr herum.

„Und wer bist du?“, hakte einer der Typen unbeeindruckt nach und grinste.

Auch der andere Typ hatte ein Grinsen aufgesetzt. „Es ist eine ganz dumme Idee von dir, dich da einzumischen.“, drohte er.

Es war schwer der Versuchung zu widerstehen, ihre Dienstmarke zu zücken und sich als FBI Agentin zu erkennen zu geben. Vermutlich hätte dies die Angreifer bereits verunsichert, zur Not hätte sie die beiden sicherlich auch mit ihrer Dienstwaffe auf Abstand halten können, bis die Situation unter Kontrolle gebracht war. Leider nur, gab es da ein Problem : wenn sie sich jetzt als FBI Agentin zu erkennen gäbe, könnte sie gleichzeitig auch ihre eigentlichen Ermittlungen vergessen, denn dann wäre ihre Zielperson vorgewarnt.

„Eine dumme Idee ist es, Frauen in Seitenstraßen überfallen zu wollen. Ich rate euch wirklich, sie in Ruhe zu lassen.“

Nun näherte der unbewaffnete Typ sich ihr, dessen Körperhaltung bedrohlich wirkte.

„Du bist ganz schön übermütig. Vielleicht sollte ich dir zeigen, dass es nicht deine beste Idee war, hier die Heldin spielen zu wollen.“ Tatsächlich ging der Fremde nun auf sie los, ballte die rechte Hand zur Faust und holte zum Schlag aus, aber die Blondine hatte den Angriff kommen sehen, duckte sich unter dem Schlag hinweg, wirbelte herum und riss dem Angreifer mit einem gezielten Tritt die Beine weg, woraufhin der Mann zu Boden ging.

„Pass auf!“ Chris Ausruf brachte Jodie dazu sich zu drehen und um Haaresbreite entging sie dem Brecheisen, mit welchem der zweite Angreifer nach ihr geschlagen hatte.

Gerade war die Agentin wirklich dankbar, dass sie nicht nur im Training an der Waffe geschult worden war, sondern das man ihr auch die ein oder andere Technik beigebracht hatte, wie sie sich selbst verteidigen konnte.

In einer fließenden Bewegung hatte sie den Arm des Angreifers gepackt und verdrehte ihm diesen schmerzhaft auf den Rücken, ehe sie ihn von sich weg stieß, wo er schließlich gegen seinen Komplizen taumelte, welcher sich gerade wieder aufgerappelt hatte.

„Wenn ihr wirklich ausprobieren wollt, wer von uns die besseren Kampfsporttechniken beherrscht, können wir weiter machen, aber ich empfehle es euch nicht.“, äußerte die Blondine mit ruhiger selbstsicherer Stimme.

Sie war froh, dass es ihr inzwischen gelungen war, sich zwischen diese maskierten Typen und ihren Schützling zu stellen, wirklich scharf darauf, dass diese Auseinandersetzung am Ende wirklich noch in die zweite Runde ging, war sie allerdings auch nicht. Zwei Gegner waren immerhin zwei Gegner und das konnte schnell gefährlich werden.

„Die Polizei ist auch schon auf dem Weg und dürfte gleich hier sein.“, warnte Chris die beiden Männer. Die beiden Angreifer blickten sich an und Unsicherheit flackerte in ihren Blicken auf.

„Das ist es einfach nicht wert.“, knurrte der eine, an seinen Komplizen gewandt, dieser nickte unzufrieden.

„Dieses Mal habt ihr wohl oder übel Glück gehabt, aber besonders du solltest hoffen, uns so schnell nicht wieder zu begegnen.“ Der Typ deutete auf die Brillenträgerin, fluchte, hob das Brecheisen vom Boden auf und schließlich machten die beiden Angreifer sich aus dem Staub, wollten sie es scheinbar weder auf Verletzungen ankommen lassen, noch darauf, von der Polizei aufgegriffen zu werden.

 

Nachdem die beiden Typen abgehauen waren, entspannte Jodie sich wieder und atmete auf. Dann spürte sie, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte.

„Na mit dir sollte man sich lieber nicht anlegen.“, kommentierte Chris, ehe ihr Blick fragender wurde. „Bist du verletzt?“

Angesprochene schüttelte den Kopf. Zwar war das Adrenalin noch nicht wieder vollständig aus ihrem Körper gewichen, Schmerzen hatte sie jedoch keine und daran, einen Treffer kassiert zu haben, konnte sie sich auch nicht erinnern.

„Nein, mit mir ist alles in Ordnung. Haben die beiden dir etwas getan?“

Nun war es an der Schauspielerin den Kopf zu schütteln. „Abgesehen von dem Schrecken, geht es mir gut.“, versicherte sie. „Ich danke dir.“

Die junge Agentin strich sich einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht. „Das ist mein Job.“, entgegnete sie. „Jetzt bist du vielleicht doch ganz froh darüber, dass dein Chef dich zu einem Bodyguard überredet hat.“

Auch wenn sie wirklich ihre Probleme mit dieser Frau hatte, so entsprach es doch der Wahrheit, dass es ihr Job gewesen war, sich einzumischen. Als Bodyguard der Blondine hatte sie eingreifen müssen und auch als Mitarbeiterin des FBI hatte sie nicht einfach so wegsehen können.

„Vielleicht ist es dein Job, aber du scheinst ziemlich gut bezahlt zu werden. Das hätte wirklich übel ausgehen können.“

„Ob ich nun gut dafür bezahlt werde oder nicht, ich hätte dir so oder so geholfen. Ich kann nicht einfach wegsehen, wenn jemand angegriffen wird. Der Mensch muss eben auf sein Bauchgefühl hören.“, erklärte Jodie und registrierte, dass Chris sie überrascht anstarrte. Was nun jedoch die FBI Agentin aus der Bahn warf, war die Tatsache, dass sie zum ersten Mal seit Beginn der Dreharbeiten, nicht in die eiskalten grünen Augen einer vermutlich Kriminellen blickte, sondern hinter die Fassade der Schauspielerin blicken konnte und den Menschen sah, der ihr Gegenüber eigentlich war.

Für einen Moment sahen die beiden sich an, ehe Jodie sich zwang zu blinzeln, um wieder im hier und jetzt anzukommen. „Hast du gerade eigentlich wirklich die Polizei gerufen?“, wollte sie wissen.

Die Frau mit den hellblonden Haaren blinzelte ebenfalls kurz, ehe sie antwortete. „Nein, dazu hatte ich doch gar keine Zeit. Das war nur ein Bluff.“

„Glücklicherweise sind die Beiden darauf hereingefallen. Schade nur, dass sie Masken getragen haben, so sehe ich die Chancen eher gering, die beiden Typen zu erwischen.“ Jodie murrte, gefiel es ihr doch ganz und gar nicht, die beiden Angreifer von eben einfach so laufen zu lassen, aber wenn die beiden ihre Masken inzwischen abgenommen und die Jacken gewechselt hätten, standen die Chancen schlecht, dass die Polizei die zwei Rüpel finden würde.

„Ob wir nun die Polizei einschalten oder nicht, können wir uns gleich immer noch überlegen. Erst einmal wäre es mir sehr recht, wenn wir zurück zum Auto gehen würden.“, räumte Chris ein und Jodie fragte sich, ob die amerikanische Schauspielerin wohl befürchtete, dass die beiden Typen gleich mit Verstärkung wieder vor ihnen stehen könnten.

Die Agentin nickte. „Machen wir das.“ Während die beiden Frauen sich in Bewegung setzten, fiel ihr wieder etwas ein. Als die andere Blondine eben von den beiden Männern angegriffen worden war, hatte sie nicht die Nerven verloren, sondern hatte im ersten Moment versucht etwas mehr Abstand zu gewinnen und eine Hand in eine ihrer Jackentaschen geschoben.

„Bevor ich mich eingemischt habe, sah es so aus, als hättest du irgendetwas aus deiner Jackentasche holen wollen.“, stellte Jodie fest und ihr Gegenüber verstand die eigentliche Frage dahinter.

Erneut griff sie in ihre Jackentasche und hielt der Agentin ein kleines Fläschchen hin.

„Pfefferspray.“, erklärte Chris nur. „Welche Frau hat in der heutigen Zeit auch keins dabei?“

Jodie fand diese Erklärung durchaus logisch und obwohl sie Beweise dafür finden sollte, dass die andere Blondine wirklich Teil einer Verbrecherbande war, konnte sie nichts ungewöhnliches darin erkennen, dass die Andere zu Selbstverteidigungszwecken ein Fläschchen Pfefferspray dabei hatte. Viele Leute hatten heutzutage Pfefferspray für den Notfall dabei.

Was sie jedoch nicht ahnte war, dass die Finger der Anderen sich eben nicht um das Fläschchen Pfefferspray geschlossen hatten, sondern um das kalte Metall einer Pistole, als sie sich den Angreifern zuerst allein gegenüber gesehen hatte...

Als Jodie ihrem Schützling vorgeschlagen hatte, zur Polizeistation zu fahren um den Angriff der beiden Maskierten zu melden, war sie wirklich gespannt auf Chris Reaktion gewesen. Eine Kriminelle würde sicherlich nicht freiwillig die Nähe zur Polizei suchen, doch die Schauspielerin hatte dem Vorschlag sofort zugestimmt. Die Andere wirkte kein bisschen verunsichert und auch, als sie die Polizeistation schließlich erreichten, das Gebäude betreten hatten und mit einem der Beamten sprachen, wirkte sie wie die Ruhe selbst.

Die Tatsache, dass ihre Zielperson vor Kontakt mit der Polizei so gar nicht zurückschreckte und absolut ruhig wirkte, verunsicherte die Agentin. Ein solches Verhalten legten Personen an den Tag, die die Polizei wirklich als Freund und Helfer sahen, Personen, die irgendetwas zu verbergen hatten, wären auf dem Polizeirevier niemals so ruhig geblieben.

Täuschten sie sich am Ende doch und ermittelten gegen die falsche Person? Wobei, nein..., das konnte auch wieder nicht sein, wenn sie an die eiskalten Augen der Schauspielerin dachte.

 

Zweieinhalb Wochen waren seit dem Vorfall inzwischen vergangen.

In dieser Zeit war nicht unbedingt viel passiert. Die Dreharbeiten kamen planmäßig voran und neue Drohbriefe hatte es auch nicht gegeben. Dies bedeutete zwar einerseits, das der verrückte Stalker noch auf freiem Fuß war, andererseits gab ihr dies gleichzeitig auch einen Grund, weiterhin als Bodyguard der amerikanischen Schauspielerin zu arbeiten und zu hoffen, irgendetwas brauchbares herauszufinden.

Doch je länger die junge FBI Agentin ermittelte, desto mehr Zweifel plagten sie, ob Chris wirklich eine Kriminelle war und einer Verbrecherbande angehörte. Die Frau mit den hellblonden Haaren tat auch weiterhin nichts, was sie auch nur im Geringsten verdächtig gemacht hätte. Und doch, seit dem Überfall vor zweieinhalb Wochen hatte sich etwas entscheidendes verändert. Die Kälte im Blick der Anderen war verschwunden, wenn diese sie ansah. Meist wirkte die Mimik der Schauspielerin neutral, doch manchmal konnte sie sogar so etwas wie Wärme in den grünen Augen der Anderen erkennen und dies war etwas, was Jodie vollkommen aus der Bahn warf.

Diese Frau erinnerte sie so sehr an den schlimmsten Alptraum ihrer Kindheit. So genau hatte sie sich das Gesicht der Person eingeprägt, welche damals ihren Vater getötet, das Haus angezündet und sie dort zurückgelassen hatte, ganz gleich, ob die Flammen sie erwischen würden oder nicht.

Wenn die Blondine ihre Zielperson nun jedoch ansah und eine gewisse Wärme in ihren Augen aufblitzen sah, erkannte sie immer deutlichere Unterschiede zwischen der Schauspielerin und der Mörderin ihres Vaters.

Die Gesichtszüge der beiden Frauen glichen sich wirklich und doch waren sie nicht vollkommen gleich. Je stärker sie darauf achtete, desto mehr Unterschiede ergaben sich. Die Art und Weise, wie die Blondine sich bewegte, unterschied sich von den Bewegungen des Feuerteufels damals. Die Stimmen glichen sich und doch, waren sie nicht vollkommen identisch. Natürlich war Jodie sich von Anfang an der Tatsache bewusst gewesen, das Chris und der Schrecken ihrer Kindheit zwei unterschiedliche Personen waren, doch fragte sie sich, wie sehr die Ähnlichkeit der beiden Frauen sie in ihren Ermittlungen beeinflusst hatte.

Hatten ihre Kollegen am Ende doch Recht damit gehabt, dass dieser Fall nichts für sie war, da sie sich zu sehr von ihren Emotionen leiten lassen würde? Quatsch, vielleicht war dies am Anfang der Fall gewesen, doch jetzt, wo ihr immer mehr Unterschiede zwischen der Mörderin und der Schauspielerin auffielen, hatte sie es leichter, ihre Zielperson aus einem neutraleren Blickwinkel her anzusehen.

Langsam fiel es ihr leichter, die Frau mit den hellblonden Haaren nicht ohne jeden Beweis zu verurteilen, sondern sie als Menschen zu sehen und mit anderen Augen zu betrachten.

Wirklich weiter brachte Jodie dies in ihren Ermittlungen allerdings auch nicht. War sie bis vor wenigen Wochen noch so überzeugt von der Schuld ihrer Zielperson gewesen, so begann diese Sicherheit immer mehr zu bröckeln. Je länger sie sich kannten und je öfter sie miteinander sprachen, desto weniger Anhaltspunkte ergaben sich, für eine eventuelle kriminelle Karriere ihres Schützlings.

Sie war sich inzwischen sicher, dass es sich bei der Anderen um ein wirklich kluges Köpfchen handelte. Bisher war der anderen Blondine noch auf jede Frage eine Antwort eingefallen. Die Schauspielerin war sehr eigen, hatte ihre ganz eigene Weltansicht und doch war sie bei ihren Kollegen beliebt und hatte keinerlei Probleme sich in das Filmteam einzufügen. Lediglich, wenn jemand in irgendeinem Zusammenhang Gott erwähnte, reagierte sie fast schon verbittert und ließ relativ schroff durchblicken, nicht mehr an den Himmel zu glauben.

Die FBI Agentin vermutete, dass ihr Schützling es trotz der Karriere nicht immer leicht gehabt hatte und irgendetwas in ihrer Vergangenheit passiert sein musste, was sie so verbittert auf das Thema Religion reagieren ließ, doch das allein war nun wirklich kein Anhaltspunkt, dass sie ein Mitglied einer Verbrecherbande war.

Die junge Agentin war ein wenig frustriert. Zu Beginn ihres Auftrags war sie so sehr von der Schuld der Schauspielerin überzeugt gewesen und je mehr Zeit verging, desto sicherer war sie, dass das FBI gegen die falsche Person ermittelte. Chris war eine erfolgreiche Schauspielerin, die in ihrem Leben möglicherweise bereits viel Pech gehabt hatte, aber eine Kriminelle...?

Und dann war da noch etwas, was sie vollkommen verwirrte. Jetzt, wo es ihr nach und nach gelang den Menschen in der anderen Blondine zu sehen, schwanden die Vorurteile und die starke Abneigung ihr gegenüber langsam aber sicher, jedoch blieb nach wie vor ein flaues Gefühl in ihrer Magengegend zurück.

Hatte sie noch bis vor wenigen Wochen das Entsetzen gepackt, wenn ihr Schützling sie auch nur einmal kurz am Arm berührt hatte, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, so sah sie nun zwar nicht mehr den Alptraum ihrer Kindheit vor sich, seltsam blieb die Situation jedoch trotzdem.

Gerade in den letzten paar Tagen, hatte die junge Frau sich viel zu oft dabei erwischt, wie sie die andere dafür bewunderte, mit welcher Eleganz sie es schaffte, mit wehendem Arztkittel über einen der Krankenhausflure zu sprinten, oder das OP-Besteck zu führen, wenn das Drehbuch es vorschrieb.

Viel zu oft ertappte sie sich dabei, wie ihr Blick an den feinen Gesichtszügen, den ausdrucksstarken grünen Augen oder den langen Wimpern ihres Gegenübers hängen blieb, wenn sie miteinander redeten. Bis vor kurzem hatte sie in der Frau das Ebenbild einer Mörderin gesehen und die Gefühle, welche sie ihr gegenüber empfunden hatte, waren nichts als Misstrauen und Abneigung gewesen, nun gelang es ihr immer mehr, die Schauspielerin als die Person zu betrachten, die sie war, und dennoch wollte dieses flaue Gefühl nicht aus ihrer Magengegend verschwinden, nur das es sich dabei nicht mehr um Abneigung handelte.

Die FBI Agentin konnte sich ihren eigenen Sinneswandel noch nicht wirklich erklären und je mehr sie darüber nachdachte, wie genau die Andere es schaffte, sie ständig so aus der Bahn zu werfen, desto mehr Verwirrung stellte sich ein.

 

Es war bereits später Abend, als der schwarze Porsche über die stark befahrene Hauptstraße sauste und schließlich in eine Nebenstraße bog, die zu einem der besseren Wohnviertel der Stadt führte.

Im Inneren des Fahrzeugs roch es nach Zigarettenrauch, was jedoch niemanden wirklich störte.

„Ich habe mich inzwischen in die Kanzlei geschlichen und die benötigten Daten auf einen USB-Stick gezogen.“, erklärte die Blondine gerade. „Mein Teil des Jobs ist also erledigt. Alles andere ist deine Sache.“

Gleichgültig zuckte der Fahrer des Wagens mit den Schultern. „Es reicht vollkommen, wenn Vodka sich um das Treffen mit dem Klienten kümmert.“

„Wie auch immer.“ Obwohl Vodka, dessen Stammplatz normalerweise der Beifahrersitz war, heute nicht anwesend war, hatte die Schauspielerin es sich auf der Rückbank des Porsche gemütlich gemacht. Sie nahm einen tiefen Zug ihrer Zigarette und blies den Rauch schließlich langsam wieder aus, wobei die dabei entstandene Wolke Zigarettenrauch sich bis in den vorderen Teil des Porsches verirrte.

Der silberhaarige Fahrer verzog verärgert das Gesicht und knurrte :“Lass. Das. Vermouth.“

Angesprochene schmunzelte lediglich amüsiert. „Oh, sind wir heute wieder empfindlich?“, neckte sie, etwas, was sich Gin gegenüber nicht all zu viele Personen trauen würden.

Der Silberhaarige murrte etwas unverständliches. Er war bereits jetzt wieder genervt von seiner Mitfahrerin, welche soeben einmal mehr unter Beweis gestellt hatte, das sie gern mit dem Feuer spielte. Etwas auf die Stichelei der Blondine zu antworten, würde rein gar nichts bringen, also ließ er es. Gin wusste, das Vermouth sich der Tatsache bewusst war, dass sie ein gefährliches Spiel spielte, wenn sie ihn provozierte, doch kannten die beiden die Grenzen des jeweils anderen Organisationsmitglieds sehr genau und auch wenn es manchmal nicht gerade den Anschein machte, überschreiten würden sie diese Grenzen nicht.

„Was ist eigentlich aus dieser Zecke vom FBI geworden? Hast du sie inzwischen erledigt?“, wechselte Gin das Thema.

Im Rückspiegel konnte er beobachten, wie die Blondine nach einer bequemeren Sitzposition suchte und schließlich ein Bein über das andere schlug.

„Oh, du meinst die Kleine, die auf mich aufpassen soll?“ Chris begann in aller Seelenruhe mit einer verirrten blonden Strähne zu spielen. „Nein, erledigt habe ich sie noch nicht. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern, ist sie ganz interessant. Noch will ich sie folglich nicht beseitigen.“

Kurz flackerte ein Hauch von Überraschung in den grünen Augen des Fahrers auf, dann wurde sein Blick wieder deutlich missfallender. „Ich habe dir schon mehr als einmal gesagt, dass du mit deinen Spielchen aufhören sollst, Vermouth. Sieh zu, dass du das Gör schnellstmöglich erledigst.“, grollte er.

Für seine Kollegin war das leider kein besonders ungewöhnliches Verhalten. Sie erledigte ihre Aufträge zwar zuverlässig, ließ es sich jedoch nicht nehmen, dabei manchmal einige Umwege zu gehen. Die Logik dahinter erschloss sich Gin nicht immer. Irgendwann würde eins ihrer Spielchen der Blondine noch das Genick brechen, da war er sich sicher, aber so lange diese Frau vom Boss so etwas wie eine gewisse Narrenfreiheit eingeräumt bekam, würde sie ihr Verhalten wohl kaum ändern.

Ungewöhnlich war jedoch die Reaktion der Schauspielerin, auf seine deutliche Aufforderung hin, die FBI Agentin endlich aus dem Weg zu räumen. Der Silberhaarige hatte mit einem amüsierten Schmunzeln und einem spöttischen Kommentar seiner Kollegin gerechnet, doch durch den Rückspiegel konnte er beobachten, wie Vermouths grüne Augen sich zu schmalen Schlitzen verengten, als sie ihn verärgert anfunkelte : „Du hast mir nicht vorzuschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe. Ich beende dieses Spielchen, wenn ich es für richtig halte.“

Die Schauspielerin kurbelte das Fenster des Porsche ein Stück weit herunter und schnippte den Zigarettenstummel aus dem Fenster. Ihre Mimik war immer noch missfallend, aber schon wieder ein wenig entspannter, als sie hinzufügte :“Mit Jodie ist es eigentlich ganz gut auszuhalten. Wenn ich sie verschwinden lasse, wird der Regisseur mich nur so lange nerven, bis er mir einen neuen Bodyguard aufs Auge drücken kann. Wer weiß, um was für ein Spatzenhirn es sich dann wieder handelt. Dieses Spielchen wird exakt so lange so weitergehen, bis der Verfasser dieser Briefe endlich zum Schweigen gebracht wird. Das hat derweil oberste Priorität.“

Gin ahnte nicht, dass seine Kollegin seit dem Vorfall neulich, bei welchem die FBI Agentin die Schauspielerin beschützt hatte, den Gedanken daran verworfen hatte, Jodie irgendetwas anzutun um sie loszuwerden. Da Vermouth ihm gegenüber nichts von dem Vorfall erwähnt hatte, dachte er natürlich nicht daran, dass ihre Aussage dem Schutz der jungen Agentin diente. Viel mehr sah er in dieser Aussage einmal mehr die seltsame Logik der Schauspielerin, die er lieber gar nicht erst hinterfragte.

„Nun, dann beschleunigen wir die ganze Geschichte doch. Leg es in der Öffentlichkeit darauf an deinem Stalker zu begegnen. Ich leihe dir gerne Chianti. Sie kann diese Kröte durch einen präzisen Kopfschuss erledigen.“ Nun war es an dem Silberhaarigen zu schmunzeln, etwas, was man recht selten bei ihm sah.

Chris zog eine der feinen Augenbrauen hoch. Der Zorn in ihren Augen war verschwunden und wieder blitzte ein amüsiertes Funkeln darin auf.

„Chianti?“, hakte sie nach. „Wie überaus großzügig von dir. Selbst wenn dieser Irre wirklich auftauchen sollte, bin ich mir nicht sicher, wem genau unsere Scharfschützin am Ende die Kugel in den Kopf jagt und es dann vermutlich als Missgeschick tarnen würde.“

Natürlich hatte sie bei Gins Angebot zwischen den Zeilen lesen zu können. Wenn sie mit Chianti zusammenarbeiten würde, wäre das Desaster bereits jetzt abzusehen.

In der Zwischenzeit hatten sie einen Wohnblock erreicht, in welchem es ausschließlich sehr teure Appartements gab. Ohne viel Mühe, steuerte der Silberhaarige eine Parktasche vor dem Gebäude an und parkte den Porsche schließlich.

„Wie komme ich zu der Ehre, von dir nach Hause gefahren zu werden?“, erkundigte die Schauspielerin sich mit Unschuldsmiene und stieg aus dem Wagen.

Auch der andere Kriminelle verließ das Fahrzeug und blickte sie mit seinen kalten Augen an.

„Du hättest vermutlich eh nicht eher Ruhe gegeben, oder wärst ganz einfach nicht ausgestiegen, bis ich den Umweg in Kauf genommen hätte.“, stellte er ungerührt fest.

Die Blondine lachte leise. „Da könntest du Recht haben.“ Sie lief um den Porsche herum, hielt sie es doch für gesünder, sich auf den Bürgersteig zu begeben. „Und? Willst du, dass ich mich zukünftig an den Spritkosten beteilige, oder was soll dieser Blick?“, spöttelte sie.

„Die werden mich schon nicht umbringen, aber wie wäre es mit etwas zu trinken?“, lautete die Antwort.

Die Blondine warf ihrem Gegenüber einen langen Blick zu. Natürlich verstand sie. Normalerweise hatte sie gegen einen solchen Vorschlag des Kriminellen nichts einzuwenden, bloß warum beschlich sie dann heute ein so komisches Gefühl? Kurz blitzte das Bild der FBI Agentin vor ihrem inneren Auge auf, welche derweil ihren Bodyguard spielte und sich der Tatsache, dass Chris die ganze Sache längst durchschaut hatte, gar nicht bewusst war. In ihrer Bauchgegend breitete sich das typische Gefühl aus, welches sich immer dann bemerkbar machte, wenn sich eine Person ganz genau bewusst war, gerade irgendetwas falsches zu tun. Aber was war das jetzt?

Die Blondine schob es darauf, dass sie sich einfach Sorgen um Jodie machte. Aber so lange, wie die Situation so blieb wie jetzt, würde der Agentin schon keine Gefahr durch die Organisation drohen, hatte sie doch eben noch einmal unmissverständlich klargestellt, dass es einzig und allein ihre Angelegenheit war, ob und wann sie die andere Frau aus dem Weg räumen würde. Sie schob diesen Gedanken bei Seite. Aktuell sollte der FBI Agentin keine Gefahr drohen.

Was hingegen gerade nicht schaden konnte war, sich ein wenig auf andere Gedanken bringen zu lassen.

Gin und sie kannten sich schon eine halbe Ewigkeit und so schob sie dieses merkwürdige Gefühl, dass sie gerade im Begriff war etwas zu tun, was nicht richtig war, schließlich bei Seite.

„Etwas zu trinken?“, während sie die Worte wiederholte, lief die Schauspielerin an ihrem Gegenüber vorbei und streifte dabei absichtlich dessen Arm. „Martini habe ich derzeit nicht im Haus, aber so lange wir die Grundzutaten haben, wüsste ich nicht, was dagegen spricht.“

 

Es war später Abend und im Fernsehen lief einer der wenigen englischsprachigen Fernsehsender, welcher sich dank der Satellitenschüssel anwählen ließ. Leider nur war das Programm nicht unbedingt spannend. Irgendein älterer Spielfilm, welcher Jodie nicht wirklich interessierte.

Sie blickte auf die Uhr und beschloss, dass es das beste wäre gleich schlafen zu gehen, wenn sich nicht noch etwas interessanteres im Fernsehen finden ließ. Gelangweilt hatte sie gerade damit begonnen durch die einzelnen Programme zu schalten, als plötzlich ihr Handy klingelte.

Überrascht blickte sie auf das Handy, welches auf dem Wohnzimmertischchen direkt vor ihr lag.

Wer rief sie denn um diese Uhrzeit noch an? Die im Display angezeigte Nummer sagte ihr erst einmal nichts, dennoch beschloss sie den Anruf entgegenzunehmen. „Ja, hello?“

Der Anrufer entpuppte sich als ein Mitarbeiter des Filmteams. Seine Stimme klang aufgeregt, als er ihr erklärte, dass er noch einige Vorbereitungen für die Dreharbeiten morgen getroffen hatte und daher heute länger im Hauptgebäude des Filmteams geblieben war, als seine Kollegen. Als er das Gebäude schließlich hatte verlassen wollen, um ebenfalls Feierabend zu machen, war ihm eine Karte aufgefallen, welche nur zur Hälfte im Briefkasten gesteckt hatte.

Er hatte die Karte aus dem Briefkasten gezogen, beschlossen sie noch auf einen der Schreibtische zu legen und dabei einen Blick auf die Karte riskiert, um festzustellen, an wen die Postkarte denn adressiert war. Dabei hatte er mit Schrecken festgestellt, das es sich um eine neue Nachricht des Stalkers gehandelt hatte, welche zwar an Chris gerichtet, allerdings erneut im Briefkasten des Filmteams gelandet war.

Rasch las der Mitarbeiter der Agentin die wenigen Zeilen vor, welche besagten, das ein Treffen kurz bevor stehen würde und die Schauspielerin sich besser an die Warnungen aus den vorherigen Briefen erinnern sollte, wenn verhindert werden sollte, dass das Treffen ein blutiges Ende fand.

Von jetzt auf gleich war die Blondine wieder hellwach. War ihr amerikanischer Akzent bis eben noch aufgrund ihrer Müdigkeit stark aufgefallen, so lag es nun an dem Adrenalinschub, als sie sich sogleich bei dem Mitarbeiter des Filmteams erkundigte :“Und? Haben Sie Chris schon angerufen und sie vorgewarnt?“

„Ja, natürlich habe ich sie schon angerufen. Das Problem ist, dass sie weder an ihr Handy geht, noch den Anruf auf ihrem Haustelefon entgegen nimmt.“, erklärte der Angestellte ihr, mit ebenfalls beunruhigter Stimme.

Eigentlich war es vor allem ihr Job, während der Dreharbeiten und bei irgendwelchen öffentlichen Veranstaltungen ein Auge auf die Schauspielerin zu haben, aber in diesem Fall, wäre es wohl auch ihr Job, nach Feierabend nach dem Rechten zu sehen.

Selbst wenn diese Aufgabe am Ende eventuell gar nicht in die Jobbeschreibung ihres Pseudo-Jobs als Bodyguard passte, beschloss Jodie nachzusehen, was genau passiert war. Vor ihrem inneren Auge sah sie bereits Blut und andere Bilder, die sie sich lieber gar nicht vorstellen wollte.

Vor ein paar Wochen noch, hätte sie den neuen Drohbrief wohl wesentlich gelassener aufgenommen, doch je mehr sie begonnen hatte den Menschen in ihrem Schützling zu sehen und je mehr sie davon überzeugt war, dass die Ermittlungen des FBIs sich gegen die falsche Person richteten, desto sympathischer war ihr die andere Blondine geworden.

„Okay, schicken Sie mir eine Kopie von der Postkarte auf mein Handy und geben Sie mir Chris Adresse.“, wies sie den Mitarbeiter ruhig aber bestimmt an. „Ich schaue nach, ob alles in Ordnung ist.“

Wenig später war die Blondine bereits unterwegs zu der Adresse, welche der Angestellte ihr am Telefon genannt hatte. Um diese Uhrzeit war auf den Straßen zumindest nicht mehr so viel los wie tagsüber, weshalb sie die Strecke in relativ kurzer Zeit zurücklegen konnte.

Das Navi schickte sie in ein Viertel der Stadt, in welchem sich wohl nur Personen mit gutem Gehalt eine Wohnung leisten konnten. Als sie die richtige Adresse schließlich gefunden hatte, musste sie noch einen Moment lang nach einem Parkplatz suchen, ehe sie das Auto verlassen und sich auf den Weg zum Haus machen konnte.

Jetzt, wo sie das Wohnhaus der Schauspielerin erreicht hatte, verstärkte sich ihr ungutes Gefühl nur noch. Sie fragte sich, wie die Andere es bloß geschafft hatte, die starke Abneigung, die sie ihr gegenüber zu Beginn empfunden hatte, in solche Sorge umschlagen zu lassen.

//Vermutlich liegt es daran, dass ich sie bis vor kurzem wegen der starken Ähnlichkeit zu dieser Frau, einfach nicht aus neutralen Augen sehen konnte//, versuchte sie sich diesen Sinneswandel irgendwie zu erklären.

Wenn die Anordnung der Briefkastenschilder mit der tatsächlichen Lage der Wohnungen übereinstimmte, dann musste sich Chris Wohnung auf der zweiten Etage, ganz links, befinden.

Da die Tür, welche überhaupt erstmal in den Treppenflur führte, nur angelehnt war, musste Jodie nicht klingeln, um das Gebäude zu betreten.

Im Flur blickte sie sich kurz um. Zwar gab es auch einen Aufzug, aber für zwei Etagen konnte sie ruhig die Treppe nehmen. Einen Lichtschalter hatte sie im Treppenflur in ihrer Eile nicht gefunden, doch nach dem, was sie in der Dunkelheit erkennen konnte, machte das Haus einen sehr gepflegten Eindruck und schien noch recht neu zu sein.

Als sie die zweite Etage schließlich erreicht hatte, stellte sie fest, das ein Laubengang zu den Wohneinheiten der Etage führte. Die Agentin betrat den Laubengang und fand sich in der kühlen Abendluft wieder. Kurz blickte sie nach unten und stellte fest, das sie von hier aus auch die Parktasche sehen konnte, in welcher sie parkte.

Während sie über den Laubengang lief, las sie aufmerksam die Klingelschilder der einzelnen Wohnungen. Auch wenn Chris vermutlich die letzte Wohnung auf diesem Flur bewohnte, wollte sie doch sicher gehen, dass sie sich nicht irrte und am Ende noch an der richtigen Wohnung vorbei lief.

In der Mitte des Laubengangs entdeckte sie eine Art Hausmeisterraum, dessen Türe offen stand.

Anwesend war niemand. Jodie ging davon aus, dass der Hausmeister die Tür wahrscheinlich nicht richtig geschlossen hatte.

Wie viel Glück sie hatte, gerade ausgerechnet neben der offenen Türe des Hausmeisterraums zu stehen, zeigte sich nur Sekunden später. Die letzte Wohnungstür auf dem Gang öffnete sich und gedämmtes Licht beleuchtete den Bereich vor der Tür ein wenig. Jodie vermutete ja, das die Schauspielerin in genau dieser Wohnung wohnte, doch anstelle der Blondine verließ ein in schwarz gekleideter Typ die Wohnung und schloss die Tür wieder hinter sich.

Reflexartig war die FBI Agentin mit einem Satz in dem Hausmeisterraum verschwunden und drückte sich an die Wand. Warum sie es vermeiden wollte, von dem Mann bemerkt zu werden, konnte sie nicht genau sagen. Vielleicht hatte sie sich mit der Anordnung der Wohnungen ja geirrt und der Typ, der da gerade eben auf den Gang getreten war, wohnte hier? Dennoch hatte sie auf ihr Bauchgefühl gehört. Jodie verhielt sich still und beobachtete, wie der in schwarz gekleidete Mann mit den langen silbernen Haaren, in einer Manteltasche kramte und sich schließlich eine Zigarette anzündete.

In dem kurzen Moment, in dem das Feuerzeug aufflackerte, konnte die junge Frau das Gesicht des Fremden sehen und ihr lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Eine so kalte Mimik hatte sie zuvor noch nie gesehen.

Aufgrund der Dunkelheit bemerkte der Mann nicht, das sie gerade eilig in dem Hausmeisterraum Schutz gesucht hatte und sich nun darin verborgen hielt. In aller Seelenruhe lief der Fremde über den Laubengang und verschwand schließlich im Treppenhaus. Die Zwischentür fiel zu, dennoch wartete Jodie noch einen Moment ab.

Die FBI Agentin spähte auf den Gang hinaus und schließlich konnte sie erkennen, wie der seltsame Typ vor dem Haus entlang lief, in einen Wagen stieg und auf und davon fuhr. Dieses Auto... Sie grübelte. Irgendwo hatte sie den schwarzen Porsche doch schon einmal gesehen, bloß konnte sie nicht mehr genau sagen, wo das gewesen war.

Erneut lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Was war, wenn es sich bei dem Mann eben nicht um einen Hausbewohner gehandelt hatte, sondern um diesen kranken Stalker?

Wieder musste sie an den letzten Brief denken und auch an die Tatsache, dass der Angestellte des Filmteams Chris telefonisch nicht erreicht hatte, obwohl es bereits Abend war.

Einem Typen mit einer so eiskalten Mimik war sicherlich einiges zuzutrauen, auch wenn sie dafür natürlich keine Beweise hatte. Wenn der Fremde jedoch gerade wirklich aus Chris Wohnung gekommen war und es sich um den Verfasser der Briefe handelte, dann wollte sie sich lieber gar nicht vorstellen, was genau sie gleich vorfinden würde.

Eilig verließ sie den Raum, welcher ihr bis eben noch als Versteck gedient hatte und legte die letzten paar Meter, bis zu der Wohnung zurück, welche der Unbekannte eben verlassen hatte.

Schließlich blieb sie vor der Wohnungstür stehen und warf einen raschen Blick auf das Klingelschild. Vineyard. Die junge Frau befürchtete, dass ihre Horrorvorstellungen am Ende wirklich noch der Realität entsprechen könnten.

Da ihr kein Grund einfiel, welcher dagegen sprechen würde auf sich aufmerksam zu machen, klingelte sie schließlich. Erst einmal, dann mehrfach.

Einen Moment lang wartete Jodie ab. Zwar waren bisher nur wenige Sekunden vergangen, trotzdem kamen ihr diese Augenblicke vor wie Ewigkeiten, erst recht, wenn sie sich vorstellte, was vermutlich passiert war und was sie nicht hatte verhindern können.

Plötzlich näherten sich jedoch Schritte von innen der Haustür. „Ist ja schon gut! Hast du was vergessen...?“ Die Wohnungsbesitzerin stutzte merklich,als sie die Tür öffnete. Scheinbar hatte sie mit einer anderen Person gerechnet. „Was machst du denn hier? Um diese Uhrzeit.“ Jodie blickte in die irritierten grünen Augen der Schauspielerin, welche gesund und munter vor ihr stand.

Der Agentin fiel ein Stein vom Herzen. „Geht es dir gut? Dir ist nichts passiert, oder?“, erkundigte sie sich dennoch, was die Wohnungsbesitzerin dazu veranlasste, eine Augenbraue noch ein wenig fragender hochzuziehen.

„Mir geht’s gut. Aber was war denn das bitte für ein Auftritt?“

Die Blondine musterte ihr Gegenüber nun genauer. Die Haare der Schauspielerin wirkten ein wenig durcheinander. Bekleidet war sie lediglich mit einem kurzen schwarzen Seidenkimono, welcher etwas unordentlich zugebunden war und die Vermutung nahe legte, dass Chris sich das Kleidungsstück eben in aller Eile übergezogen haben musste, bevor sie die Tür geöffnet hatte.

„Was das für ein Auftritt war, erkläre ich dir gerne, aber vorher solltest du mir vielleicht erst einmal erklären, in was für einem Outfit du anderen Leuten die Tür öffnest, obwohl du genau weißt, dass irgendein verrückter Stalker es auf dich abgesehen hat.“

Die Schauspielerin zuckte lediglich gelassen mit den Schultern. „Ich wollte gerade duschen. Sei lieber froh, dass ich dir überhaupt die Tür aufgemacht habe.“

Nun war es an der Agentin 1+1 zusammenzuzählen. Der komische Typ, der hier vor höchstens zwei Minuten die Wohnung verlassen hatte, die Tatsache, das der Mitarbeiter des Filmteams die Schauspielerin telefonisch nicht erreicht hatte und nun die Blondine selbst, die ihr äußerst leicht bekleidet die Tür geöffnet hatte. Eigentlich hätte die Erkenntnis sie jetzt eher verlegen werden lassen müssen, doch vor allen Dingen versetzte ihre Erkenntnis der jungen Frau einen schmerzhaften Stich.

Der Typ mit den silbernen Haaren und den eiskalten Augen, war zumindest nicht dieser Stalker und ihrem Schützling ging es gut, doch wollte es Jodie beim besten Willen nicht in den Kopf, wie die amerikanische Schauspielerin sich mit so einem zwielichtigen Typen abgeben konnte.

„Es gibt Neuigkeiten, über die du besser in Kenntnis gesetzt werden solltest. Vielleicht macht dich das in Zukunft ja etwas vorsichtiger.“, warf die blonde Agentin ein und klang dabei etwas kühler, als beabsichtigt.

Sie ging einen Schritt auf die Wohnungsbesitzerin zu und schob sich schließlich einfach an der anderen Blondine vorbei in deren Wohnung.

„Hey!“, protestierte diese, schien einen Moment darüber nachzugrübeln, was sie nun von dem unangekündigten Besuch halten sollte, doch schloss sie schließlich die Tür, hinter ihrer Besucherin und sich. „Na jetzt bin ich gespannt, was es so spät am Abend noch so wichtiges gibt. Geh einfach geradeaus durch ins Wohnzimmer.“

Jodie folgte der Anweisung und lief durch den Flur. Nach nur wenigen Schritten fand sie sich im Wohnzimmer der Schauspielerin wieder, in welchem sie sich erst einmal umsah.

Eine Stehlampe in einer Ecke des Raums, tauchte das Wohnzimmer in ein schwaches Licht. Das Zimmer selbst war sehr sauber und aufgeräumt. Die Möbel wirkten allesamt recht teuer. Insgesamt war das Zimmer eher im westlichen Stil eingerichtet und bei der Auswahl der Einrichtung hatte die Wohnungsbesitzerin auf jeden Fall Geschmack bewiesen. Doch obwohl das Zimmer wirklich sehr nett anzusehen war, diese gewisse Gemütlichkeit, die Wohnzimmer normalerweise ausstrahlten, vermisste die Blondine hier.

„Wer war dieser Typ, der gerade noch hier war?“, erkundigte die FBI Agentin sich, auch wenn sie sich der Tatsache bewusst war, das Chris eigentlich auf eine Erklärung für diesen späten Besuch wartete. „Ich bin ihm begegnet, als ich über den Laubengang gelaufen bin und deine Wohnung gesucht habe.“, erklärte Jodie noch rasch.

Täuschte sie sich, oder zog die Schauspielerin für einen kurzen Moment ein beunruhigtes Gesicht?

„Ein alter Bekannter von mir.“, wich die Frau mit den hellblonden Haaren ihrer Frage aus. „Ihr seid euch auf dem Flur begegnet?“

Bevor die Agentin die Gegenfrage beantwortete, schob sie ihre Brille wieder ein Stückchen höher. Schließlich wählte sie ihre Worte mit Bedacht. „Nicht direkt begegnet. Es war recht dunkel und ich denke nicht, dass er mich bemerkt hat.“

Chris blickte sie zweifelnd an, hakte jedoch nicht nach, wie es sein konnte, das eine Person eine andere auf dem Laubengang vor den Wohnungen nicht bemerken konnte. Höchst wahrscheinlich hatte sie schon so eine Vermutung, wie es möglich war, auf dem Gang einer anderen Person gezielt auszuweichen.

„Ein Mitarbeiter des Filmteams hat versucht dich anzurufen und konnte dich nicht erreichen.“, streute Jodie ein.

„Ich habe mein Handy ausgeschaltet. Ab einer gewissen Uhrzeit, wird es doch wohl nicht verboten sein, seine Ruhe zu wollen.“

Die Agentin nahm auf dem weißen Ledersofa Platz, welches erfreulicherweise wirklich bequem war.

Das der Angestellte des Filmteams die Schauspielerin per Handy nicht erreicht hatte, ließ sich vielleicht noch erklären, der Grund, warum sie den Anruf am Haustelefon nicht entgegen genommen hatte, schob die junge FBI Agentin eher auf den Besucher der Schauspielerin.

Nach wie vor kam ihr dieser Typ merkwürdig vor. Verdächtig. Jemandem mit einer so eiskalten Mimik würde sie ohne weiteres abkaufen ein Krimineller zu sein. Die Sache war jedoch die, dass sie in den letzten Wochen immer überzeugter davon war, dass zumindest gegen ihren Schützling fälschlicherweise ermittelt wurde. Chris hatte sich in der ganzen Zeit rein gar nichts zu Schulden kommen lassen, aber wenn sie sich mit diesem verdächtigen, silberhaarigen Kerl traf...

Jodie hoffte ein wenig mehr über den Mann in Erfahrung bringen zu können, auch wenn sie wusste, dass sie sich auf dünnes Eis wagen würde.

„Das du ab einer gewissen Uhrzeit deine Ruhe haben willst, kann dir niemand verübeln, aber Besuch hattest du. Ist dieser Typ, der gerade noch hier war, dein Freund?“

Sie war sich durchaus bewusst, dass sie mit dieser Frage den Bogen eventuell ein wenig überspannt hatte, aber die Blondine legte es dennoch darauf an, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen.

Einerseits konnte dies wichtig für die Ermittlungen sein, andererseits ertappte sie sich dabei, dass sie selbst, die Frage gern beantwortet wüsste.

„Du bist ziemlich direkt. Nein, mein Freund ist er nicht. Wir würden uns vermutlich nach nicht einmal 24 Stunden Beziehung an die Kehle gehen. Wir sind nur Bekannte.“

Jodie wusste nicht warum sie so froh über diese Antwort war, was sie jedoch sehr wohl wusste war, das Chris dieses Gesprächsthema überhaupt nicht gefiel. Man konnte es ihrem Gesicht nur allzu deutlich ansehen. Trotz allem versuchte die Agentin erneut nachzuhaken, hatte sie doch das Gefühl, das alle Informationen zu dem Fremden wichtig sein konnten.

„Trotzdem finde ich, dass du einen seltsamen Geschmack hast.“, stellte sie also so beiläufig wie möglich fest.

„Ach ja, findest du?“

„Naja, ich kenne ihn natürlich nicht und habe ihn nur kurz gesehen, aber er hat so einen unfreundlichen Eindruck gemacht. Wenn ich mir zum Beispiel die Schauspieler ansehe, mit denen du derweil zusammenarbeitest und mit denen du dich scheinbar auch gut verstehst, wirkte er wie das komplette Gegenteil von diesen Leuten.“

Chris wirkte nach wie vor wenig begeistert über das Gesprächsthema und machte kurzzeitig einen nachdenklichen Eindruck. Jodie fragte sich, ob die Andere sich wohl gerade eine Antwort zurechtlegte, mit welcher sie sich dann hoffentlich zufrieden geben würde.

„Ein Sonnenschein ist er vielleicht nicht, das stimmt schon. Menschen verändern sich eben. Aber wir kennen uns nun auch schon eine ganze Weile und wenn ich mal wieder in Japan bin, treffen wir uns ab und an.“

Die Schauspielerin war in die Küchenecke des Appartements gelaufen, räumte ein Glas aus dem Schrank und stellte es schließlich vor Jodie auf dem Wohnzimmertisch ab.

„Was möchtest du trinken? Da du scheinbar genügend Zeit hast die Nase in Dinge zu stecken, die dich eigentlich rein gar nichts angehen, gehe ich davon aus, dass du auch noch genügend Zeit mitgebracht hast, um ein paar Minuten auf mich warten zu können.“

Die Stimme ihres Gegenübers hatte etwas tadelndes und die Agentin wusste, dass sie inzwischen wohl mit den Fragen eine Grenze überschritten hatte. Dennoch machte Chris keine Anstalten sie vor die Tür zu setzen.

Die andere Blondine deutete mit einer kurzen Handbewegung in Richtung eines Regals, in welchem sich eine beeindruckende Auswahl an alkoholischen Getränken fand. „Wie wäre es mit einem Glas Sherry? Und entschuldige bitte, wenn ich dir mit den Fragen gerade zu nahe getreten bin. Ich fürchte, ich war wohl einfach neugierig.“

Die Schauspielerin hob eine Flasche Sherry aus dem Regal, schenkte ihrer Besucherin ein großzügiges Glas davon ein und stellte die Flasche schließlich auf dem Wohnzimmertisch ab.

„Wir reden gleich weiter, in Ordnung? Immerhin muss es einen Grund für diesen unangekündigten Besuch um diese Uhrzeit geben und der interessiert mich.“

Die Wohnungsbesitzerin entschuldige sich kurz und verschwand im Badezimmer. Wenige Augenblicke später hörte Jodie das Prasseln der Dusche.

Sie nahm einen Schluck Sherry und blickte sich schließlich im Raum um, jetzt, wo sie plötzlich ganz allein hier im Wohnzimmer der amerikanischen Schauspielerin saß.

Nachdenklich trank sie noch einen zweiten Schluck. Das Zeug war nebenbei bemerkt wirklich gut.

Bis in die Wohnung der Blondine hatte es bisher noch keiner ihrer FBI Kollegen geschafft.

Jodie musterte aufmerksam die Einrichtung und wusste selbst nicht so genau, wonach sie eigentlich suchte.

Es war wirklich merkwürdig. Inzwischen hatte ihre Zielperson es fast schon geschafft sie davon zu überzeugen, dass sie wirklich gegen die falsche Person ermittelten. Heute dann, hatte sie jedoch mit eigenen Augen diesen zwielichtigen Typen gesehen, den Chris wohl mehr als nur gut zu kennen schien. Wieder waren Zweifel aufgelodert. War eine Person, die so finstere Bekanntschaften hatte, wirklich nicht verdächtig?

Was nun jedoch wieder gar nicht ins Bild passte, war die Tatsache, dass Chris keine Anstalten gemacht hatte, sie wieder aus ihrer Wohnung zu entfernen. Und jetzt war die Schauspielerin im Bad verschwunden um zu duschen und ließ sie hier vollkommen unbeobachtet im Wohnzimmer zurück.

Würde jemand, der etwas zu verbergen hatte, sie wirklich ganz allein hier im Raum lassen?

Für diese ganze Verwirrung gab sie im Augenblick hauptsächlich diesem silberhaarigen Fremden die Schuld. Auch wenn ihr Schützling eben noch erklärt hatte, das es sich bei diesem Kerl nur um einen alten Bekannten handelte, gefiel es der jungen Agentin ganz und gar nicht, dass die andere Blondine und dieser Typ Kontakt zueinander hatten. Zum einen regten sich nun wieder Zweifel in ihr, was die Sache mit der Kriminalität betraf, zum anderen passte dieser Typ ihr persönlich ganz und gar nicht. Was hatte dieser Mann mit dem eiskalten Blick bloß an sich, das die Schauspielerin sich mit ihm abgab? Und was war das für ein brennendes, unangenehmes Gefühl? Eifersucht? Quatsch! Wohl eher Sorge um die Sicherheit der Anderen.

Als Jodie das Glas erneut an die Lippen setzte, bemerkte sie, das nichts mehr darin war.

Ihr Blick fiel auf die Flasche vor ihr auf dem Tisch. Chris hatte den Alkohol dort stehen lassen, damit sie sich noch etwas einschenken konnte, wenn sie wollte, richtig? bIm Dienst war sie derzeit ja nicht mehr, also würde es doch nicht schaden...?

Mit einem neuen Glas Sherry in der Hand, stand die Blondine schließlich vom Sofa auf, lief durch den Raum und betrachtete die Schränke und Ablageflächen. Der dezente Geruch von Zigarettenrauch in der Luft störte sie nicht wirklich und passte schon fast zu der Atmosphäre in diesem Zimmer. Außerhalb der Schränke fand sich nicht sehr viel Persönliches und fast schon hatte sie ihre Runde durch das Wohnzimmer beendet, als ihr ein Foto auf einem Sideboard auffiel. Darauf zu sehen, waren zwei Personen – eine Erwachsene und ein Kind im Alter zwischen acht und zehn Jahren.

Im ersten Moment glaubte sie, dass das Foto die Schauspielerin selbst zeigte und vielleicht war das Kind ihre Nichte? Dann jedoch musterte sie das Foto genauer und Jodies Magen krampfte sich zusammen.

Bei der Erwachsenen handelte es sich nicht um die Schauspielerin selbst. Zu Beginn ihres Auftrags hatte Chris für sie wie eine exakte Kopie von der Frau ausgesehen, welche ihre Kindheit damals mit einem Schlag zerstört hatte. Inzwischen kannte sie die Schauspielerin gut genug, um auf Anhieb einige Unterschiede zwischen ihr und der Frau aus ihren Erinnerungen zu erkennen.

Unterschiede erkannte sie zwar auf Anhieb auch auf dem Foto, doch genau das war das Problem. Die Blondine auf dem Foto hatte zwar starke Ähnlichkeit mit Chris, jedoch war sie es nicht.

Bei der Frau auf dem Foto, handelte es sich um den Feuerteufel von damals – die Mörderin ihres Vaters. Mit zitternden Händen hob Jodie das Foto vom Sideboard.

 

Das Wasser, welches auf sie herab prasselte, fühlte sich angenehm an und machte es leichter, ihre Gedanken ein wenig zu sortieren. Damit, dass Jodie so spät am Abend noch vor der Tür stehen würde und irgendetwas wichtiges mit ihr besprechen wollte, hatte sie nicht gerechnet.

Es beunruhigte die Blondine ein wenig, dass ihre derzeitige Besucherin gerade noch erwähnt hatte, dass sie Gin auf dem Laubengang gesehen hatte. Wenn der Silberhaarige Jodie angeblich nicht bemerkt hatte, gab es eigentlich nur eine logische Erklärung dafür : lediglich der Hausmeisterraum, dessen Tür schon seit einigen Wochen offen stand, würde auf dem Laubengang genug Deckung bieten, um einer anderen Person ausweichen zu können.

Aber hatte Gin die FBI Agentin wirklich nicht bemerkt? Das würde sich wohl erst noch zeigen.

Ganz generell war dieser Abend nun wirklich nicht so gelaufen, wie sie es sich gewünscht hatte.

Das die andere Blondine sich neulich so entschlossen zwischen sie und diese Angreifer gestellt hatte, hatte Chris wirklich überrascht. Die Andere hatte ernsthafte Verletzungen riskiert um eine Person zu schützen, die sie nicht einmal besonders gut leiden konnte.

Diese Aktion hatte die Kriminelle, die eigentlich nicht an das Gute im Menschen glaubte, beeindruckt und seit diesem Abend hatte sich irgendetwas zwischen ihnen verändert. Sie kamen nun deutlich besser miteinander aus. Während Chris, die der Agentin dankbar war, beschlossen hatte dafür zu sorgen, dass die Organisation dieser Frau kein Haar krümmen würde, musste dieser Tag vor etwa zweieinhalb Wochen auch für Jodie eine Art Schlüsselerlebnis gewesen sein, denn seltsamerweise war die junge Frau ihr gegenüber merklich aufgetaut.

Was auch immer der Grund dafür war, ständig schwirrte die Agentin der Schauspielerin neuerdings im Kopf herum, was diese mehr als irritierte.

Auch wenn es sich falsch angefühlt hatte, hatte sie gehofft, das Gin sie vielleicht ein wenig auf andere Gedanken bringen könnte. Dies hatte auch funktioniert – zumindest kurzzeitig, bis ausgerechnet Jodie dann so spät am Abend vor ihrer Tür gestanden hatte und wegen irgendetwas furchtbar besorgt schien.

Chris wusste, dass sie der Anderen keine Rechenschaft schuldig war, dennoch hatte sie sich sofort schuldig gefühlt, als die andere Blondine vor ihrer Tür aufgetaucht war und sehr wahrscheinlich recht genau verstanden hatte, warum sie ihr nur mit einem kurzen Seidenkimono bekleidet die Tür geöffnet hatte.

Die Schauspielerin stellte das Wasser der Dusche etwas kühler und versuchte ihre Gedanken auf diese Art und Weise zur Seite zu schieben.

Das sie ausgerechnet eine FBI Agentin in ihre Wohnung gelassenen hatte und diese jetzt auch noch unbeaufsichtigt im Wohnzimmer saß, war wohl eine ziemlich verrückte Entscheidung gewesen.

Sie konnte sich schon sehr genau vorstellen was Gin wohl zu so einer Aktion sagen würde, aber das hier ging Personen wie Gin nichts an.

Eigentlich war es recht ungefährlich, Jodie allein in ihrem Wohnzimmer gelassen zu haben. Sie war sich fast schon sicher, dass die Agentin sich dort in ihrer Abwesenheit umsehen würde, doch gab es in diesem Raum rein gar nichts, was einen Hinweis auf ihre kriminelle Karriere geben würde.

Wenn die Agentin nichts auffälliges fand, würde sie dies vielleicht wieder ein Stück weit mehr davon überzeugen, dass die Schauspielerin nur eine ganz normale Person war.

Aus irgendeinem Grund gefiel es der Blondine ganz und gar nicht die Andere so dreist anzulügen, andererseits war ihr natürlich bewusst, dass es niemals eine gute Idee wäre, ihre Tarnung ausgerechnet vor einer FBI Agentin aufzugeben. So sympathisch diese Frau ihr seltsamerweise auch war, sie würde doch niemals durchblicken lassen, dass sie ihr Geld nicht nur mit ihrer legalen Karriere als Schauspielerin verdiente.

 

Schließlich stieg die Blondine wieder aus der Dusche, trocknete sich ab und zog sich rasch etwas anderes an, ehe sie ihre Haare hochsteckte und schließlich zurück ins Wohnzimmer lief.

Ihr Gast saß nach wie vor auf dem Sofa, musterte irgendetwas aber sehr genau. Jodie sah nicht auf, als Chris wieder den Raum betrat und als die Agentin schließlich etwas sagte, klang ihre Stimme irgendwie...seltsam.

„Im Hauptgebäude des Filmteams ist ein neuer Brief von dem Stalker eingegangen.“, verkündete sie, ohne um den heißen Brei herumzureden. „Er schreibt, dass ein Treffen kurz bevorstehen würde und du dich besser an seine Warnungen aus den vorherigen Briefen halten solltest, wenn dieses Treffen kein blutiges Ende finden soll. Der Mitarbeiter, der den Brief gefunden hat, und ich, haben uns Sorgen gemacht, als dich niemand erreichen konnte. Daher bin ich hier.“

„Ach ja? Seine Briefe werden auch immer verrückter. Vielleicht gehen ihm langsam die Ideen aus.“ Chris zuckte gelassen mit den Schultern, beschloss jedoch, dass es langsam wirklich an der Zeit wäre, das jemand sich dem Problem mit diesem Stalker annahm, bevor dieser Irre am Ende wirklich noch eines Tages vor ihr stehen würde. Bekannte, die diesen Trottel mit Freuden beseitigen würden, hatte sie schließlich genug. Damit der Typ sein Ende fand, müsste er sich nur erst einmal zeigen...

Was sie jedoch etwas mehr irritierte, als die Tatsache, dass es einen neuen Brief von dem Stalker gab, war Jodies Verhalten. Als sie vorhin hier geklingelt hatte, hatte sie so besorgt gewirkt und hatte unbedingt von diesem Brief berichten wollen, jetzt klang ihre Stimme jedoch plötzlich so, als seie ihr die neue Drohung relativ einerlei.

Die Agentin stand vom Sofa auf, hob etwas vom Tisch auf und lief um das Sofa herum genau auf sie zu. Chris fiel dabei auf, dass ihre Besucherin schwankte.

Als sie an der anderen Blondine vorbei, in Richtung des Wohnzimmertischs sah, wurde ihr auch schlagartig bewusst, warum dies so war. Die Flasche Sherry, die nicht gerade klein war, war zu gut ¾ leer. Oh weh. Kein Wunder, dass ihr Gegenüber irgendwie benommen wirkte. Damit, dass die Agentin sich in ihrer kurzen Abwesenheit so die Kante geben würde, hatte Chris nun wirklich nicht gerechnet.

Bevor sie etwas dazu sagen konnte, hatte die andere Blondine sie jedoch erreicht, hielt ihr ein gerahmtes Foto entgegen und erkundigte sich mit sehr seltsamer Stimme :“Wer ist das?“ Dabei deutete die FBI Agentin auf die erwachsene Person auf dem Foto. In Ihren Augen spiegelte sich Entsetzen und eine gewisse Verzweiflung.

„Na, na, du weißt aber schon, dass es nicht besonders höflich ist, in den Sachen anderer Leute herumzustöbern?“, hakte Chris nach, ohne auf die Frage einzugehen.

Die Reaktion ihrer Besucherin darauf war jedoch nicht absehbar gewesen. Die recht Hand der Agentin schnellte vor, packte sie am Kragen und riss sie mit einem kräftigen Ruck zu ihr heran.

Die Schauspielerin stolperte ungefähr einen halben Schritt weit vor, ehe sie sich wieder fing.

„Du bist betrunken.“, zischte sie und deutliches Missfallen spiegelte sich in ihren Augen. Ganz gleich wie sympathisch die Andere ihr war, herumschubsen ließ sie sich von niemandem.

Der Griff der anderen Blondine verstärkte sich nur noch etwas. „Beantworte meine Frage!“, verlangte sie.

Erst als sie spürte, wie die amerikanische Schauspielerin mit beiden Händen nach ihrer rechten Hand griff, um sich aus ihrem Griff zu befreien, wurde Jodie sich bewusst, dass die Aktion gerade wohl nicht unbedingt die Netteste gewesen war.

Blaue und grüne Augen trafen sich, funkelten sich einen Augenblick lang zornig an, dann wich die Wut langsam wieder aus dem Blick der FBI Agentin. Sie ließ ihr Gegenüber los und als sie erneut das Wort ergriff, klang ihre Stimme verzweifelt. „Bitte beantworte meine Frage! Es ist mehr als nur wichtig für mich...!“

Chris sah ihr Gegenüber einen Moment lang an, dessen augenscheinliche Verzweiflung ungewollt so etwas wie Mitleid in ihr hervorrief. Ihr Ärger über die ruppige Behandlung eben legte sich langsam. Stattdessen begann die Frau mit den hellblonden Haaren sich zu fragen, warum genau es Jodie so wichtig war in Erfahrung zu bringen, um wen es sich bei der Frau auf dem Foto handelte.

Eine leise Stimme in ihr fragte sich, ob es eine kluge Idee wäre, ihr eine Antwort auf diese Frage zu geben, allerdings würde es keinen Schaden für sie bedeuten, die Identität der Frau auf dem Foto preiszugeben.

„Die Frau ist meine Mutter.“, erklärte sie schließlich und nickte in Richtung des Fotos. „Sharon.“

Nun konnte die Schauspielerin förmlich dabei zusehen, wie die Gesichtszüge ihres Gegenübers entgleisten.

„Daher also diese Ähnlichkeit.“ Die Stimme der Jüngeren war kaum mehr als ein ersticktes Wispern.

Einen Moment herrschte Stille, dann hakte Chris, die sich über das Verhalten der Anderen wunderte, schließlich nach :“Warum war es dir so wichtig, das in Erfahrung zu bringen?“

„Kannst du mir sagen, wo ich sie finde?“, drängte ihre Besucherin. „Bitte gib mir ihre Adresse.“

Die Schauspielerin strich sich eine verirrte Ponysträhne aus dem Gesicht und schüttelte kurz den Kopf. „Ihre jetzige Adresse würde dir kaum etwas nützen. Ich weiß nicht, was genau du von ihr möchtest, aber du kannst nicht mit ihr reden. Meine Mutter hat den Kampf gegen den Krebs letztes Jahr verloren.“

Jodie starrte sie an. Der FBI Agentin war deutlich anzusehen, wie hin und hergerissen sie derzeit war, doch obwohl die Höflichkeit es eigentlich gebot, brachte sie keine Beileidsbekundung über die Lippen. Spätestens jetzt wusste die Kriminelle, dass irgendetwas hier ganz und gar nicht stimmte, doch falls, dass ihre Mutter in der Vergangenheit Mist gebaut hatte, würde man es ihr schlecht anhängen können. Chris war intelligent und fragte sich, ob es eine ihrer besten Ideen wäre, gerade wirklich so offen mit der Agentin zu sprechen, aber irgendetwas musste vorgefallen sein und verrückter Weise war es ihr wichtig herauszufinden, was genau passiert war.

„Wir hatten kein sehr gutes Verhältnis zueinander und haben uns Jahrelang nicht gesehen.“, erklärte die Schauspielerin noch, ehe sie ihrer betrunkenen Besucherin die Hände auf die Schultern legte und sie zurück zum Sofa führte. Überraschenderweise ließ die andere Blondine sich ohne jeden Protest zurück aufs Sofa verfrachten.

„Ich habe deine Mutter vor ungefähr zwanzig Jahren schon einmal getroffen und an diesem Tag hat sich ihr Gesicht auf ewig in mein Gedächtnis gebrannt. Ich würde diese Frau überall wiedererkennen, daher bin ich mir auch so sicher, dass ich damals wirklich der Frau auf dem Foto begegnet bin und keiner anderen.“, begann die Agentin stockend.

„Was ist damals passiert?“

Ehe sie antwortete, blieb der Blick der jungen Frau am Wohnzimmertisch hängen und vermutlich lag es an ihrem derzeitigen Alkoholpegel, der sie ihre guten Manieren vergessen ließ, griff sie doch nicht nach ihrem Glas, sondern direkt nach der restlichen Flasche Sherry.

Chris beobachtete die Aktion mit hochgezogenen Augenbrauen und fragte sich, wie gut es der eh schon betrunkenen Agentin bekommen würde, jetzt noch mehr Alkohol zu trinken.

Sie setzte sich zu der Anderen aufs Sofa und griff nach deren Hand, in welcher sie die Flasche Sherry hielt, um zu verhindern, dass ihre Besucherin ihr hier am Ende noch umkippte.

„Das ist keine so gute Idee.“, versuchte sie sie mit ungewohnt sanfter Stimme von dieser Dummheit abzuhalten.

Jodie ließ es zu, dass Chris ihr mit der anderen Hand die Flasche abnahm und zurück auf den Tisch stellte, doch als die Ältere ihre Hand, mit der sie sie eben kurz festgehalten hatte, zurückziehen wollte, verschränkte die Agentin ihre Finger mit denen der Schauspielerin und lies sie nicht los. Für einen langen Moment blickte sie sie an, dann senkte sie schließlich den Blick und begann zu erklären, was damals passiert war.

„Als ich deine Mutter damals traf, war ich noch ein kleines Mädchen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich abends verschlafen ins Wohnzimmer lief und sah, wie diese fremde Frau sich gerade über meinen Vater beugte, der leblos an der Wand lehnte. Sie hat mich damals beruhigt, er würde nur schlafen und ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen. Wenig später hat sie unser Haus angezündet und ist verschwunden. Außer mir hat diesen Vorfall niemand überlebt.“

 

Wenn sie an dieses traumatische Erlebnis aus ihrer Kindheit zurückdachte, sah sie die kalten grünen Augen ihres Gegenübers wieder vor sich. Vor ihrem inneren Auge konnte sie die Flammen wieder lodern sehen. In ihren Erinnerungen hörte sie wieder das Knistern des Feuers, welches sich binnen kürzester Zeit ausgebreitet hatte, und schmeckte wieder den beißenden Rauch.

Unsicherheit lag in ihrem Blick, als sie Chris ansah. Sie konnte nicht ganz glauben, das sie der amerikanischen Schauspielerin das eben überhaupt erzählt hatte, doch nachdem sie das Foto entdeckt und mehr getrunken hatte, als es gut für sie gewesen wäre, waren ihr die Worte ganz von allein über die Lippen gekommen.

Was allerdings würde die Andere von dieser Geschichte halten? Es kam schließlich nicht jeden Tag vor, dass einem jemand erzählte, dass die eigene Mutter jemanden getötet und anschließend das Haus abgebrannt hatte.

Fast schon erwartete sie, dass die Schauspielerin verärgert reagieren würde, oder ihr zumindest nicht glaubte, doch als Jodie ihr Gegenüber musterte, bemerkte sie, dass die Andere weiß wie eine Wand geworden war. Um das sonst so perfekte Pokerface der anderen Blondine war es geschehen. Fassungslos starrte Chris sie an.

„Du glaubst mir?“, erkundigte die junge Agentin sich, ehe sie etwas lahm hinzufügte :“Das hätte ich jetzt nicht erwartet.“

Doch obwohl sie mehr als nur angetrunken war, gelang es der Blondine, eine weitere logische Schlussfolgerung zu ziehen. Die Andere sah tatsächlich so aus, als würde sie ihr Glauben schenken. Sie wirkte erschrocken und vollkommen fassungslos, zweifelte aber nicht an, dass ihre Mutter etwas schlimmes getan hatte. Auch wenn das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter wohl nicht das beste gewesen war, so war es dennoch nicht normal, eine solche Anschuldigung nicht erst einmal anzuzweifeln. Dies wiederum ließ für Jodie nur einen Schluss zu :“Du...du wusstest es?!“

Die Worte waren mehr eine Feststellung als eine Frage. Die geschockte Reaktion ihres Gegenübers ließ nichts anderes als die Schlussfolgerung, dass sie von dem Vorfall gewusst hatte, zu.

Obwohl Chris sich noch nicht dazu geäußert hatte, riss ihre Erkenntnis der Agentin den Boden unter den Füßen weg. Es hatte Wochen gebraucht, bis sie in der Schauspielerin nicht mehr nur das Ebenbild des Feuerteufels aus ihrer Kindheit gesehen hatte. Es hatte lange gebraucht, bis sie langsam mehr und mehr der Überzeugung gewesen war, dass das FBI gegen die falsche Person ermittelte. Inzwischen hatte sich langsam so etwas wie ein wenig Vertrauen zwischen den beiden gebildet - verdammt, Jodie mochte die andere Blondine sogar, und nun sah alles ganz danach aus, als hätte Chris gewusst, was ihre Mutter getan hatte. Hatte die Schauspielerin am Ende einfach nur nicht damit gerechnet, dass Jodie sich nach all den Jahren noch so genau an das Gesicht der Mörderin ihres Vaters erinnern konnte?

„Ja und nein.“, brach die Ältere schließlich das Schweigen.

„Wie meinst du das?“

„Kurz vor ihrem Tod, habe ich meine Mutter noch ein letztes Mal gesehen. Sie hat mir erzählt, dass sie mal etwas schlimmes getan hätte. Sie hat erwähnt, dass sie einem kleinen Mädchen den Vater genommen und dann einen Brand verursacht hätte.“, gab Chris zu. Die Ehrlichkeit ihrer Worte überraschte nicht nur Jodie, sondern auch die Schauspielerin selbst. „Sie nannte keine Namen und sehr detailreich war die Aussage auch nicht. Meine Mutter bekam zu diesem Zeitpunkt bereits so hochdosierte Schmerzmittel, dass ich davon ausgegangen bin, sie hätte vielleicht irgendetwas in der Art kurz vorher im Fernsehen gesehen. Ich habe ihr nicht geglaubt und dachte, sie seie nur verwirrt und jetzt...jetzt schilderst du mir das gleiche Geschehnis, nur aus einer anderen Perspektive.“

Einen Moment lang herrschte betretendes Schweigen. Nur langsam erfasse Jodie die Bedeutung der gesprochenen Worte und obwohl es belastend und seltsam zugleich war, mit der Tochter des Feuerteufels über dieses schreckliche Erlebnis aus ihrer Vergangenheit zu sprechen, war sie gleichzeitig auch froh darüber, dass Chris nicht bereits die ganze Wahrheit gekannt und ihr gegenüber nichts erwähnt hatte, sondern dass die Andere die Erzählung ihrer sterbenden Mutter als Resultat von zu vielen, zu hoch dosierten Schmerzmitteln abgestempelt und erst bei Jodies Geschichte realisiert hatte, dass die Worte ihrer Mutter damals der Wahrheit entsprochen hatten.

Das erklärte natürlich auch, warum die Schauspielerin so schockiert reagierte.

„Ich weiß, dass es das Geschehene nicht rückgängig machen kann und meine Mutter kann auch nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden, aber was passiert ist, tut mir wahnsinnig leid.“

Die junge Agentin brachte die Kraft dazu auf, ihr Gegenüber wieder direkt anzusehen. Jetzt, nachdem das Trauma aus ihrer Kindheit gerade erst wieder hochgekocht war, sah sie im ersten Moment wieder nur die starke Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter, doch je länger sie die Schauspielerin betrachtete, desto stärker sah sie auch wieder, wie die Andere sich äußerlich doch von der Mörderin ihres Vaters unterschied.

„Du hattest wirklich kein all zu gutes Verhältnis zu deiner Mutter, oder?“, wollte sie wissen.

Angesprochene schüttelte den Kopf. „Nein. Wir sind nie sehr gut miteinander ausgekommen und irgendwann ist der Kontakt dann ganz abgebrochen. Es war ein seltsames Gefühl, sie vor gut einem Jahr noch ein letztes Mal zu sehen.“

Kurz fiel der Blick der Frau mit den hellblonden Haaren auf ihre Hand, die immer noch von der Agentin festgehalten wurde. Sie wollte die Hand wieder zu sich ziehen, doch die Jüngere verstärkte ihren Griff nur noch. Spontan fragte Chris sich, ob das Verhalten der Anderen des Alkohols geschuldet war, oder ob sie, nachdem die Vergangenheit wieder hochgekocht war, so etwas wie eine Stütze brauchte und diese Stütze gerade in ihr sah, war außer der Schauspielerin doch sonst niemand anwesend.

Langsam begann sie sich unbehaglich zu fühlen. Sie war es absolut nicht gewohnt solche Gespräche zu führen und war für so etwas eigentlich auch die falsche Person. Außerdem fragte sie sich, wie sie der FBI Agentin eigentlich noch in die Augen blicken sollte, nach dem, was passiert war.

„Du solltest deinen derzeitigen Job besser einem deiner Kollegen überlassen. Niemand kann von dir verlangen, dass du ausgerechnet auf die Tochter der Frau Acht gibst, die deinen Vater auf dem Gewissen hat.“, räumte die amerikanische Schauspielerin schließlich ein. „Als du mir damals erzählt hast, du könntest mich nicht sonderlich gut leiden, weil ich dich an jemanden aus deiner Vergangenheit erinnere, hat schließlich noch keine von uns geahnt, das meine Mutter die Verantwortliche für all das ist.“

Die Agentin warf ihrem Gegenüber einen langen Blick zu. Die ganze Sache hatte sie stark mitgenommen. Ihre blauen Augen wirkten wässrig und doch schüttelte sie schließlich den Kopf.

„Nein, diesen Job werde ich nicht abgeben. Es ist seltsam, dass du deiner Mutter so ähnlich siehst, ja, aber nicht du bist für das, was damals passiert ist, verantwortlich, Chris, sondern deine Mutter.“

Die Schauspielerin fragte sich, ob es wohl am Beruf der FBI Agentin lag, dass sie versuchte die Vergangenheit so klar zu differenzieren, oder ob sie dies wirklich so meinte.

„Im Gegensatz zu deiner Mutter, hast du niemanden ermordet. Du hast kein Feuer gelegt. Du verdienst dein Geld ganz legal und obwohl du manchmal etwas schwierig bist, bist du kein schlechter Mensch...richtig?“

Überraschend lehnte die Jüngere sich an ihre Schulter. Jodie sah nach diesem Gespräch vollkommen fertig aus. Chris bemerkte, dass sich Tränen einen Weg über die Wangen der Anderen bahnten.

Ihre Besucherin wartete auf eine Antwort ihrerseits. Das sie ihre Worte bestätigt haben wollte, war klar. Die Kriminelle fühlte, wie ihr Magen sich schmerzhaft zusammenkrampfte. Nicht nur, dass die Agentin ausgerechnet bei einer Person wie ihr Trost suchte, nein viel schlimmer war die Erkenntnis, dass die andere Blondine ihr zu vertrauen schien. Nach dem, was ihre Mutter in der Vergangenheit getan hatte, sollte Jodie sie eigentlich hassen und doch, tat sie es nicht. Sie selbst mochte die junge Frau, obwohl die Schauspielerin sich der Tatsache bewusst war, dass es niemals gut war, Sympathie ausgerechnet für eine Agentin vom FBI zu empfinden. Und nun wollte ihr Gegenüber die Bestätigung von ihr, dass sie nicht so war, wie ihre Mutter, sondern eine weiße Weste hatte.

Normalerweise gingen der Blondine Lügen nur all zu leicht über die Lippen. Auch diesmal klang ihre Stimme überzeugend und ihre Mimik wirkte ehrlich, dennoch schämte sie sich für jedes Wort, als sie das Schweigen schließlich brach.

„Keine Sorge, ich bin kein Feuerteufel, so wie meine Mutter es scheinbar war.“, versicherte sie.

Ein Feuerteufel in dem Sinne war die Frau mit den hellblonden Haaren vielleicht wirklich nicht, als guten Menschen hingegen würde sie sich selbst ganz und gar nicht bezeichnen.

Vielleicht lag es an ihrem Alkoholpegel, doch zumindest schien der jungen Agentin nicht aufgefallen zu sein, dass Chris ihr nur in einem einzigen Punkt Recht gegeben hatte.

Nach wie vor machte ihr Gast keinerlei Anstalten wieder auf Abstand zu gehen. Schuldig, wie die Kriminelle sich derweil fühlte, die Jüngere die ihr scheinbar vertraute, so anzulügen, war ihr alles andere als wohl dabei, dass die Blondine ausgerechnet bei ihr Trost suchte.

Die Schauspielerin wollte zur Seite rücken, um mehr Abstand zu gewinnen, doch die nur wenige Zentimeter entfernte Armlehne des Sofas, machte ihr da leider einen Strich durch die Rechnung.

„Hey, du hast vor ein paar Wochen noch selbst gesagt, dass du mich nicht leiden kannst. Meinst du wirklich, dass ich da die richtige Person zum ausheulen bin?“, versuchte Chris diese unangenehme Situation auf eine andere Art und Weise zu beenden und hoffte gleichzeitig, dass Jodie ihr diese Worte nicht zu sehr verübeln würde.

Doch anstatt ihr das Gesagte zu verübeln, übersah ihr stark alkoholisierter Gast den Wink mit dem Zaunpfahl vollkommen.

„Als ich das gesagt habe, kannte ich dich ja auch noch nicht.“, murmelte die Agentin nur, ließ endlich ihre Hand los, jedoch nur, um die Schauspielerin einen Augenblick später auch schon in eine feste Umarmung zu ziehen. „Ich kann dich gut leiden, aber deinem zwielichtigen Bekannten, hätte ich heute am liebsten den Hals umgedreht.“

Die Schauspielerin erstarrte, als sie die Bedeutung der Worte realisierte. Normalerweise hatte sie kein Problem mit der Nähe zu anderen Menschen, doch sie hatte sehr wohl ein Problem damit, dass die junge Agentin, die sie selbst wirklich mochte, gerade so etwas gesagt hatte und in ihrer Nähe Trost suchte, während sie selbst nur all zu genau wusste, dass sie nicht der gute Mensch war, den Jodie in ihr sah. Was das betraf, würde sie die Andere auch weiterhin anlügen müssen und obwohl die Kriminelle ihr Gewissen schon vor Jahren abgelegt hatte, schmerzte es sie, der anderen Blondine stets etwas vorspielen zu müssen. Scheinbar war Jodie trotz allem inzwischen dazu geneigt, sie für einen guten Menschen zu halten, während Chris nur zu genau wusste, dass sie eigentlich das komplette Gegenteil davon war.

Da sie von ihrem Sitzplatz derweil wohl nicht so leicht würde aufstehen können, ohne die Andere entweder von sich zu schubsen, oder sehr deutliche Worte zu wählen, ergab die Schauspielerin sich wohl oder übel ihrem Schicksal. Sie hoffte nur, dass keiner der anderen Kriminellen es je herausbekommen würde, das ausgerechnet ein Mitglied des FBIs sie so weich werden ließ.

„Silly kitten. You're drunk.“, murrte sie, ehe sie damit begann, der Anderen einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht zu sortieren.

Die blauen Augen ihres Gegenübers wurden langsam schwer. Auch ging von der Anderen derweil ein starker Alkoholgeruch aus. Chris spähte in Richtung Tisch und entdeckte die angebrochene Flasche Sherry, die Jodie beinahe ganz allein getrunken hatte.

Sie streckte sich, so gut es gerade eben ging, erwischte die Flasche und schüttete den restlichen Alkohol in das Glas, welches noch auf dem Tisch stand. Das war jetzt genau das, was ihre Nerven wohl gerade auch ganz gut gebrauchen konnten.

Während die Schauspielerin den restlichen Sherry trank, wurden die Atemzüge der anderen Blondine langsam ruhig und regelmäßig. Als Chris das leere Glas schließlich zurück auf den Wohnzimmertisch stellte, war die Jüngere wirklich eingeschlafen.

Die amerikanische Schauspielerin nutzte dies, um sich endlich aus dem Griff der Anderen zu befreien und vom Sofa aufzustehen. Schließlich sprach sie ihre Besucherin an, schüttelte sie sogar an der Schulter, erhielt bis auf ein leises Murren, allerdings keinerlei Reaktion.

Die Wohnungsbesitzerin seufzte. „Na das hat mir ja gerade noch gefehlt.“

Erst einmal lief die Frau mit den hellblonden Haaren durch den Raum und rauchte erst eine, dann gleich noch eine Zigarette. Mal ganz abgesehen von der betrunkenen FBI Agentin, die tief und fest auf ihrem Sofa eingeschlafen war, hatte ihre Liste an Problemen sich heute Abend vervielfältigt. Chris schwirrte der Kopf.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es inzwischen weit nach Mitternacht war. Die schlafende Jodie würde sie heute wohl kaum noch nachhause schicken können, gelang es ihr ja noch nicht einmal, die betrunkene Frau aufzuwecken.

Also fasste sie sich schließlich ein Herz, zog und zerrte so lange an ihrer Besucherin, bis diese vernünftig auf dem Sofa lag und morgen keinen Haltungsschaden haben würde, ehe sie ihr die Brille abnahm und auf den Wohnzimmertisch legte.

Nachdenklich betrachtete sie die junge Frau einen Augenblick lang. Man sagte zwar, das Betrunkene stets die Wahrheit sagten, doch würde sie auch morgen im nüchternen Zustand noch der Meinung sein, dass man ihr die Taten ihrer Mutter nicht anlasten konnte? Natürlich war das rechtlich nicht möglich, doch würde die Agentin sich morgen vielleicht auch an den Spruch erinnern, dass der Apfel bekanntlich nicht weit vom Stamm fiel?

Und hatte sie die Aussage, dass sie sie inzwischen gut leiden konnte, Gin dafür aber vorhin am liebsten den Hals umgedreht hätte, wirklich so gemeint, wie Chris sie interpretiert hatte?

Die Schauspielerin blinzelte sich zurück ins hier und jetzt, räumte die leere Flasche und das Glas zurück in die Küche, ehe sie im Schlafzimmer verschwand, von dort ein zweites Kissen und eine zweite Decke holte, womit sie ihre Besucherin ausstattete, die von all dem rein gar nichts mitbekam.

Schließlich rauchte sie noch eine dritte Zigarette, ehe ihre Nerven soweit wieder mitspielten, als das sie sich ins Schlafzimmer begeben und selbst darüber nachdenken konnte, noch etwas zu schlafen.

Der nächste Morgen begann mit gewaltigen Kopfschmerzen. Ihr Schädel pochte und die junge Frau konnte sich noch nicht dazu durchringen die Augen zu öffnen. Noch hatte der Wecker immerhin nicht geklingelt und so lange dies nicht geschah, würde sie die Augen geschlossen lassen und sich so viel Ruhe vor dem nächsten Arbeitstag gönnen, wie sie kriegen konnte. Das waren Jodies erste Gedanken an diesem Tag, als sie langsam aber sicher ein wenig wacher wurde.

Schlagartig zurück im Hier und jetzt war sie allerdings, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte und sie leicht schüttelte. „Aufwachen. Es wird langsam Zeit.“

Da sie ihr Appartement eigentlich allein bewohnte, sollte sie gerade weder eine Person direkt ansprechen, noch versuchen sie aufzuwecken, indem sie sie an der Schulter schüttelte.

Von jetzt auf gleich erschrocken und wach, riss sie die Augen auf und fuhr hoch.

Chris hatte sich über die Sofalehne gebeugt um sie zu wecken und nur den guten Reflexen der Schauspielerin war es zu verdanken, dass sie nicht mit den Köpfen zusammenstießen, als Jodie sich ruckartig aufsetzte.

„Hey, Vorsicht!“ Die grünen Augen ihres Gegenübers blitzten amüsiert auf. War sie eben rasch ein Stück zurückgewichen, um einen schmerzhaften Zusammenprall zu vermeiden, so lehnte die Blondine sich jetzt wieder bequemer auf die Sofalehne.

„Was...? Wo -“, begann die Agentin ein wenig neben der Spur, aber dann erkannte sie das Wohnzimmer wieder und wurde sich der Tatsache bewusst, dass sie aktuell nicht in ihrem Bett, sondern auf dem Sofa ihres Schützlings lag.

„Sag mir bitte nicht, dass ich hier gestern eingeschlafen bin.“, murrte Jodie verschlafen, ehe sie nach ihrer Brille griff, welche auf dem Wohnzimmertisch lag. „Wie spät ist es?“

„Scharf kombiniert, Sherlock.“, bestätigte Chris, bevor sie sich auf den Weg in die Küchenecke machte. „Du warst so betrunken, dass du nicht einmal gemerkt hast, wie ich dir ein Kissen unter den Kopf geschoben habe.“, ergänzte sie amüsiert. „Oh und es ist gleich 8 Uhr. In spätestens 45 Minuten müssen wir aus dem Haus.“

Die FBI Agentin massierte sich die Schläfen. Langsam konnte sie sich wieder daran erinnern, dass sie fast eine ganze Flasche Sherry allein getrunken hatte. Wie furchtbar peinlich es ihr war, dass sie irgendwann sturzbetrunken auf dem Sofa der anderen Blondine eingeschlafen sein musste!

Dann realisierte sie auch, dass sie gestern über den Alptraum aus ihrer Vergangenheit gesprochen hatten und das es ausgerechnet die Mutter der Schauspielerin war, die für all das verantwortlich war.

„Es tut mir leid, dass ich dir solche Umstände bereitet habe. Als ich gestern geschellt habe, war es eigentlich nicht meine Absicht, mir hier die Kante zu geben und dann als ungeplanter Übernachtungsgast zu bleiben.“, entschuldigte Jodie sich, ehe sie die Decke zurückschlug und vom Sofa aufstand. Ihr Kopf quittierte diese Aktion mit nur noch stärkeren Kopfschmerzen.

„Angesichts des Themas, über das wir gestern gesprochen haben, kann ich es dir nicht einmal verübeln.“, antwortete Chris ihr aus der Küchenecke.

Als die Agentin um das Sofa herumgelaufen war und sich schließlich zu der Wohnungsbesitzerin begeben hatte, zündete diese sich gerade eine Zigarette an.

Kurz musterte sie die geringfügig Ältere. Chris musste bereits vor einer Weile aufgestanden sein, hatte sie sich doch bereits umgezogen. Auch geschminkt war die Andere bereits und sogar die Zeit, ihre langen hellblonden Haare mit einem Lockenstab in Form zu bringen, hatte sie schon gefunden.

„Ich könnte es dir übrigens nach wie vor nicht verübeln, solltest du dich jetzt im nüchternen Zustand dazu entscheiden, den Job als mein derzeitiger Bodyguard doch einer anderen Person zu überlassen.“, fügte die Schauspielerin schließlich hinzu.

Zwar machte sich in der Magengegend der jungen Agentin wieder ein flaues Gefühl breit, als sie daran dachte, dass sie hier mit der Tochter einer Mörderin in der Küche stand, doch als sie Chris ansah, die aussah, als würde sie für das, was ihre Mutter damals getan hatte, am liebsten im Erdboden versinken, fühlte sie sich in ihrer Entscheidung nur noch einmal bestätigt.

Jodie bereute es, die Mutter der amerikanischen Schauspielerin nicht mehr zur Verantwortung ziehen zu können, doch dass die andere Blondine mit dem Trauma aus ihrer Kindheit rein gar nichts zu tun hatte, war ihr klar.

„Ich bleibe dabei, dass ich den Job behalte.“, stellte sie also gleich noch einmal entschieden klar. „Ich denke nach wie vor, dass du, im Gegensatz zu deiner Mutter, kein schlechter Mensch bist.“

Die Wohnungsbesitzerin nahm einen tiefen Zug an ihrer Zigarette und atmete den Rauch, welcher sich in einer größer werdenden Wolke in der Küche verteilte, langsam aus. Jodie fand, dass Chris nach wie vor einen recht unglücklichen Eindruck machte. Sie schien ihr gegenüber ein wirklich schlechtes Gewissen zu haben, auch wenn sie mit der ganzen Sache gar nichts zu tun hatte.

Erst einmal wedelte die FBI Agentin mit einer Hand den Rauch weg. Warum nur kannte sie so viele so starke Raucher?

Sie beschloss das Thema zu wechseln, da sie es nicht ertragen würde, noch einmal über den Mord an ihrem Vater und das Feuer zu sprechen. Ihre Kopfschmerzen hatten den Tag schon schlecht genug beginnen lassen.

„Hast du irgendwo eine Kopfschmerztablette?“, erkundigte sie sich bei der Wohnungsbesitzerin.

Angesprochene öffnete eine der Küchenschubladen und holte eine Packung Tabletten daraus hervor.

„Bedien dich. Und wenn du einen Kaffee möchtest : die Pads findest du neben der Kaffeemaschine und die Tassen im Schrank dort oben.“ Kurz nickte die Frau mit den hellblonden Haaren in Richtung eines Küchenschranks, dann lief sie zurück ins Wohnzimmer und begann einige Dinge zusammenzusammeln, die sie wohl mitnehmen wollte, wenn sie gleich das Haus verließen.

 

Als schließlich auch die Agentin sich für den Tag so weit zurecht gemacht hatte, wie es in einer fremden Wohnung eben möglich war, konnte es schließlich losgehen.

„Was willst du nun eigentlich wegen dem neuen Brief dieses Irren unternehmen?“, wollte Jodie von der amerikanischen Schauspielerin wissen.

„Naja, ich will mir gleich erstmal den Brief mit eigenen Augen ansehen und versuchen herauszufinden, ob der Mitarbeiter, dem der Brief aufgefallen ist, irgendetwas bemerkt hat.“

„Möchtest du nicht langsam mal die Polizei einschalten? Ich kann es dir wirklich nur wärmstens empfehlen.“, gab die FBI Agentin zu bedenken.

Die Ältere schnaubte abfällig. „Die helfen einem doch eh erst dann, wenn es zu spät ist.“

„Das würde ich jetzt nicht unbedingt behaupten. Es wäre wirklich nicht die schlechteste Idee, die Polizei langsam mal mit ins Boot zu holen.“

Die Blondine konnte jetzt schlecht erwähnen, dass sie berufsbedingt oftmals mit der Polizei zusammenarbeitete und daher wusste, dass die Beamten durchaus fähig waren, hielt ihr Schützling sie doch für eine Angestellte einer Sicherheitsfirma. Dennoch hoffte sie darauf, dass Chris vernünftig sein würde.

Die Wohnungsbesitzerin hatte währenddessen ihren Mantel angezogen und griff in der Diele nach ihrer Handtasche. „Ich will mir den Brief erst einmal selbst anschauen. Dann sehen wir weiter.“, entschied sie.

Gemeinsam verließen die beiden Frauen schließlich die Wohnung, liefen über den Laubengang, durch den Treppenflur und verließen das Haus schließlich.

„Bist du gestern mit dem Auto zu mir gefahren?“

Jodie nickte. „Ja, ich habe gleich dort drüben geparkt.“ Mit einer Hand deutete sie auf eine der Parktaschen, unweit vom Wohnhaus entfernt.

„Oh, dann hattest du wirklich Glück. Normalerweise ist es gar nicht so leicht, hier in der Gegend überhaupt einen Parkplatz zu finden.“

Bald schon hatten die beiden das Auto der Agentin erreicht. Da sie eh den gleichen Weg hatten, war es für beide nur logisch, gemeinsam zum Hauptgebäude des Filmteams zu fahren, auch wenn sie sich nicht abgesprochen hatten.

Die Besitzerin des Fahrzeugs machte einen Schritt vom Bürgersteig, ehe sie stehen blieb und damit begann in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel zu suchen. Vermutlich befand dieser sich mal wieder irgendwo ganz unten in der Tasche...

Die andere Blondine folgte ihr, blieb jedoch mit der Spitze ihres Schuhs an einer Unebenheit im Bürgersteig hängen und stolperte der Agentin erschrocken entgegen. Diese sah das Unglück gerade noch kommen, reagierte schnell und griff nach ihrem Schützling. Auch die amerikanische Schauspielerin suchte reflexartig Halt, indem sie nach den Schultern der Anderen griff.

Zwar bewegte die Frau mit den hellblonden Haaren sich im Normalfall elegant und die Jüngere konnte sich nicht daran erinnern, sie in den vergangenen Wochen schon einmal stolpern gesehen zu haben, doch jedem passierte eben mal ein Missgeschick.

Der beinahe Unfall hatte gerade noch abgewendet werden können und für einen Moment lang starrten die beiden sich erschrocken an.

„Ist alles in Ordnung?“, wollte die junge Agentin wissen, ehe sie sich der Tatsache bewusst wurde, dass ihr Schützling durch den Sturz nach vorne nur noch wenige Millimeter von ihrem Gesicht entfernt war.

„Mir ist nichts passiert.“, erklärte ihr Gegenüber rasch. Langsam wich der Schrecken wieder aus ihrem Blick, doch als auch sie sich bewusst wurde, wie nahe sie sich gerade standen, zogen die blauen Augen der Jüngeren die Schauspielerin merkwürdigerweise in ihren Bann.

Der FBI Agentin erging es gerade ganz ähnlich. Während sie wie gebannt in die grünen Augen der anderen Blondine blickte, hörte sie ihre eigene Stimme scherzen :“Ich wusste gar nicht, dass einer Person wie dir, auch solch banale Missgeschicke passieren können.“

Chris schmunzelte. „Ach komm schon, ich bin eben auch nur ein Mensch.“

Die Agentin konnte den warmen Atem ihres Schützlings nun spüren, so nah waren sie sich, und als die Andere, die den Blickkontakt nach wie vor aufrecht erhielt, sich noch ein Stück weit zu ihr vorbeugte, tat die junge Frau es ihr gleich und schloss die Augen.

Doch anstatt dem Gefühl der Lippen der Schauspielerin auf ihren, spürte sie, wie die Ältere ihr lediglich den Zeigefinger leicht auf die Lippen legte.

Als Chris sich der Tatsache bewusst geworden war, was sie gerade im Begriff war zu tun, hatte sie sich zurück ins hier und jetzt geblinzelt. Nein, das war keine besonders gute Idee. Es war nicht nur die Überraschung darüber, dass ihr Bodyguard diese Annäherung zugelassen hätte, nein, viel mehr hatte ihr schlechtes Gewissen gegenüber der anderen Blondine sie zurückgehalten. Die FBI Agentin glaubte, dass Chris ein besserer Mensch wäre als ihre Mutter, sie selbst hatte die Andere in dem Glauben gelassen und das, obwohl sie nicht nur eine Kleinkriminelle war. Schlimm genug, dass sie ihr Vertrauen jetzt schon so missbrauchte, da hatte sie nicht das Recht, jetzt auch noch weiter zu gehen.

Jodie öffnete die Augen wieder und blinzelte ihrem Gegenüber ein wenig verwirrt entgegen. Die Schauspielerin warf ihr lediglich einen langen vielsagenden Blick zu, dann ging sie wieder auf Abstand, nahm der Jüngeren rasch etwas aus der Hand und lief auf die Fahrerseite des Autos zu.

„Hey! Was bitte war das denn gerade?!“, beschwerte die Agentin sich. „Und ist das mein Autoschlüssel da in deiner Hand?!“

Angesprochene schmunzelte lediglich. „Du hast gestern Abend so viel getrunken, da ist es immer noch besser, wenn ich fahre.“

Chris entriegelte das Fahrzeug und stieg schließlich ein. Jodie, die immer noch ein wenig durch den Wind war, nahm wohl oder übel auf dem Beifahrersitz platz.

Es war nicht nur die Tatsache, wie selbstverständlich hier gerade ihr eigenes Auto in Beschlag genommen wurde, nein viel mehr schockierte die Agentin die Erkenntnis, dass sie es zugelassen hatte, dass die Schauspielerin sie beinah geküsst hätte. Schlimmer noch, sie war beinahe schon so etwas wie enttäuscht, dass die Frau mit den hellblonden Haaren es sich im letzten Moment noch einmal anders überlegt hatte.

Diese Frau wurde vom FBI verdächtigt eine Kriminelle zu sein, die Mutter der amerikanischen Schauspielerin hatte ihren Vater auf dem Gewissen – da sollte sie eigentlich keine Sympathie für sie empfinden. Naja, ganz treffend war dieses Wort nun auch wieder nicht, musste sie sich spätestens jetzt doch erschrocken eingestehen, dass sie ausgerechnet für ihren Schützling mehr als nur Sympathie empfand.

Derweil hatte Chris den Wagen gestartet, parkte geschickt aus und lenkte den Wagen dann auf die Hauptstraße. Während der Fahrt zum Hauptgebäude des Filmteams, musste die FBI Agentin erneut feststellen, was für eine starke Raucherin die andere Blondine doch war, hatte sie während der Fahrt immerhin zwei Mal versucht sich eine Zigarette anzuzünden, was Jodie im letzten Moment noch zu verhindern gewusst hatte, indem sie ihr letztlich die Schachtel mit den Zigaretten abgenommen hatte. Was sie jedoch auch feststellte war, was für eine geschickt Autofahrerin die Schauspielerin doch war. Zwar war ihr Fahrstil wahrlich rasant, doch hielt sie sich gerade noch so an die Straßenverkehrsordnung, lenkte den Wagen routiniert durch die Stadt und parkte das Fahrzeug binnen aller kürzester Zeit in einer wirklich engen Parklücke, obwohl es nicht ihr eigenes Auto war und viele in so einem Fall eigentlich erst einmal ein wenig hätten umdenken müssen.

 

Etwa zwei Wochen waren seit diesem Tag vergangen. Die Szenen des Films, welche hier in Japan gedreht wurden, waren inzwischen fast schon abgeschlossen.

Neue Briefe von dem Stalker hatte es in der ganzen Zeit nicht mehr gegeben. Die Dreharbeiten liefen gut und die Agentin hatte sich inzwischen fast schon daran gewöhnt, derzeit den Bodyguard der amerikanischen Schauspielerin zu spielen. All zu viel zu tun gab es für sie jedoch nicht. Von diesem seltsamen Verfasser der Briefe fehlte auch weiterhin jede Spur und auch sonst wagten sich keine suspekten Personen in die Nähe des Drehs, weshalb sie viel Zeit mit den Mitarbeitern des Filmteams verbrachte und im Hintergrund die Schauspieler beobachtete.

Dadurch, dass sie gezwungenermaßen alles beobachtete, da ja sonst nichts ungewöhnliches passierte, hatte Jodie sich inzwischen irgendwie an das Filmset gewöhnt und dadurch, dass Chris und die anderen Schauspieler ihr ab und an ihre Texte gezeigt hatten, wusste sie ganz gut, wann was in welcher Szene passieren würde und was noch gedreht werden musste.

Doch obwohl es wirklich anstrengendere Jobs gab, als den Bodyguard in einem wirklich netten Filmteam zu mimen, in dem Gott sei Dank eh nichts passierte, war Jodie nicht wirklich zufrieden.

Nach wie vor war es ihre Aufgabe als eigentliche FBI Agentin die amerikanische Schauspielerin zu beschatten. Nach wie vor zeigte ihr Schützling jedoch keinerlei auffälliges Verhalten.

Dass die Andere sich ganz zu Beginn des Drehs, während der Feier am ersten Abend, so geschickt verkleidet hatte um sich aus dem Staub zu machen, ließ sich logisch damit erklären, dass sie eben früher gehen musste und dabei nicht riskieren wollte, dem Stalker auf dem Parkplatz über den Weg zu laufen.

Der silberhaarige Typ, welcher ihren Schützling an dem einen Abend besucht hatte, war zwar in der Tat sehr verdächtig, doch hatte sie gegen diesen Kerl rein gar nichts in der Hand. Chris hatte sich standhaft geweigert, ihr den Namen des Fremden zu verraten. Es ginge sie rein gar nichts an, mit wem sie da den Abend verbracht hatte und vermutlich würde sie den Silberhaarigen während ihres Japanaufenthaltes eh nicht mehr wiedersehen, hatte sie ihr sehr deutlich gemacht.

Jodie hatte schlecht weiter nachhaken können, wäre dann am Ende noch ihre Tarnung aufgeflogen. Die andere Blondine wiederum schien die Jüngere für irgendwie eifersüchtig auf den in schwarz gekleideten Fremden zu halten und hatte dementsprechend genervt reagiert.

So weit die junge Frau es beurteilen konnte, hatte ihr Schützling diesen Typen seit diesem Abend allerdings wirklich nicht mehr wiedergesehen.

Und die Tatsache, dass die Mutter der Anderen eine Brandstifterin und Mörderin war? Nun, dafür konnte man Chris nun wirklich nicht verantwortlich machen, war diese doch selbst noch ein kleines Kind gewesen, als das Unglück damals geschehen war.

Jetzt, wo sie jedoch den Namen der Mörderin ihres Vaters kannte, hatte die FBI Agentin Nachforschungen betrieben und festgestellt, dass ihr Schützling die Wahrheit gesagt hatte, als sie ihr neulich erklärt hatte, dass ihre Mutter vor einem guten Jahr an Krebs gestorben war.

Ansonsten...gab es rein gar nichts ungewöhnliches über die Schauspielerin zu berichten. Was den Stalker betraf, war sie vielleicht ein wenig unbekümmert, aber sie machte ihren Job wirklich gut, verstand sich mit ihren Kollegen, war äußerst schlagfertig und ihr gegenüber in letzter Zeit sehr viel umgänglicher geworden.

Jodie murrte frustriert. Nicht nur, dass das FBI am liebsten jeden Tag aufs neue einen Bericht von ihr sehen wollte, nein, sie hatte aktuell auch noch ganz andere Probleme.

Ihr Blick ruhte auf der Gruppe von Schauspielern, auf die derzeit die Kamera gerichtet war.

„Herzstillstand!“, verkündete eine als Krankenschwester verkleidete Schauspielerin derweil laut und deutete auf ein Gerät, welches mit dem 'Patienten' verbunden war und unter einem lauten Warnton aktuell eine gerade Linie zeigte.

„Los, hol den Notfallwagen!“, fuhr Chris einen ihrer Kollegen an, welcher einen Assistenzarzt spielte. Besagter Kollege eilte aus dem Raum, bis die Kameras ihn nicht mehr aufzeichneten.

Die amerikanische Schauspielerin, im Film eine Oberärztin, bearbeitete den angeblichen Patienten derweil mit einer Herzmassage, wobei sie sich große Mühe geben musste, die ganze Aktion echt aussehen zu lassen, allerdings nicht wirklich Kraft zu benutzen, wollte sie ihren Kollegen, der reglos im Krankenbett lag, ja nicht verletzen.

Gedankenverloren starrte die blonde Agentin rüber zu ihrem Schützling. Seitdem sie sich an dem Morgen vor ungefähr zwei Wochen vor dem Auto beinahe geküsst hatten, wusste sie einfach nicht mehr, woran sie bei der Anderen nun eigentlich war.

Für sie selbst war es schon irritierend genug überhaupt so für eine andere Frau zu empfinden, doch mit diesem Gedanken würde sie früher oder später schon klarkommen. Was sie hingegen wirklich verwirrte, war das Verhalten der Schauspielerin ihr gegenüber. Inzwischen kamen sie wirklich viel besser miteinander aus. Verspürte Jodie auch einen abgrundtiefen Hass gegenüber der Mörderin ihres Vaters, so traf das auf deren Tochter ganz und gar nicht zu.

Seitdem sie vor zwei Wochen sturzbetrunken auf dem Sofa ihres Schützlings übernachtet hatte, verbrachten die beiden mehr Zeit miteinander. Wenn sie gemeinsam im Auto saßen, herrschte kein unangenehmes Schweigen mehr, wenn sie während der Mittagspause zusammen saßen und aßen, war die Stimmung entspannt und freundlich. Ab und an hatte die junge Frau in letzter Zeit sogar das Gefühl, dass die Andere ganz bewusst mit ihr flirtete. Eigentlich eher flüchtige und zufällige Berührungen dauerten länger an, als es normal wäre, die Blickkontakte waren intensiver und oftmals warf die amerikanische Schauspielerin ihr ein recht vielsagendes Schmunzeln zu.

Neulich, als die Jüngere der Frau mit den hellblonden Haaren nach dem Dreh scherzhaft in ihren Mantel geholfen hatte, hatte die Andere sogar ganz plötzlich ihre Nähe gesucht und sich mit dem Rücken gegen sie gelehnt.

Doch kaum hatte die Luft zwischen ihnen wieder förmlich zu knistern begonnen und die junge Agentin hatte ihr Gegenüber in eine leichte Umarmung gezogen, da konnte sie auch schon spüren, wie ihr Schützling sich plötzlich wieder merklich anspannte, sich einen Schritt weit von ihr entfernte und so tat, als wäre nie etwas gewesen. In den grünen Augen der Älteren hatte zu diesem Zeitpunkt wieder etwas so schuldbewusstes gelegen.

Jodie fragte sich wirklich, was genau Chris Problem war. Hatte sie ihr gegenüber immer noch ein so schlechtes Gewissen wegen damals, obwohl es die Mutter der Schauspielerin war, die für dieses Trauma verantwortlich war und nicht Chris selbst?

Sie wusste, dass die andere Frau sehr intelligent war und ahnte, dass sie daher schon längst wusste, wie die Agentin fühlte. Bloß warum verhielt sie sich ihr gegenüber dann so? In einem Moment suchte die Schauspielerin selbst noch ihre Nähe, im nächsten Moment verhielt sie sich wieder so, als wenn nie etwas gewesen wäre. Ob die Ältere wenigstens selbst wusste, was genau sie wollte? Ansprechen konnte sie sie darauf nur schlecht...

„Sie ist trotz der Krankenhauskleidung wirklich nett anzusehen, was?“, riss sie plötzlich die Stimme eines Mitarbeiters des Filmteams aus ihren Gedanken.

Jodie blinzelte ertappt und verwirrt zugleich. „Bitte? What do you mean?“

Der Angestellte, welcher die ganze Zeit über neben ihr gestanden hatte, lachte. „Na du hast ihr doch gerade eben die ganze Zeit über auf den Hintern gestarrt, oder nicht?“ Der Mitarbeiter deutete mit einer kurzen Geste auf Chris, welche sich während einer kurzen Drehpause auf das Gitter des Krankenbetts gelehnt hatte und sich gerade mit ihren Kollegen, welche die Krankenschwester, den Assistenzarzt und den Patienten spielten, unterhielt.

Abwehrend hob die FBI Agentin sofort die Hände. „Oh, no no! Das ist ein Missverständnis.“, stellte sie klar. „Ich fürchte, ich war gerade nur ein wenig lost in meinen Gedanken.“

Innerlich seufzte sie. Wenn ein Mitarbeiter des Filmteams sie schon so gut beobachtete, was würden ihre FBI Kollegen dann erst sagen, wenn sie je herausfinden sollten, wie sie ausgerechnet über die Person, gegen die sie eigentlich ermittelten, dachte.

Wieder war eine gute Woche vergangen. Die Dreharbeiten neigten sich hier in Japan dem Ende zu. Von dem Verfasser der Briefe, war keine neue Karte mehr gekommen und Jodie fragte sich, ob dies nun ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Erst gestern noch hatte sie mit Ihrem Schützling erneut das Gespräch bezüglich der Gefahr, welche von dem Stalker ausging, gesucht, doch wieder hatte Chris nichts davon wissen wollen. Fast schon hatte die Frau mit den hellblonden Haaren den Eindruck gemacht, als wenn sich das Thema für sie inzwischen erledigt hätte. ...als wüsste sie etwas, was Jodie nicht wusste. Diese Sorglosigkeit im Bezug auf den Stalker wollte so gar nicht zu dem eigentlichen Charakter der Schauspielerin passen. Die FBI Agentin fragte sich, wie die Ältere sich diesbezüglich nur so unbekümmert geben konnte und doch wusste sie, dass es wenig bringen würde, sie erneut darauf anzusprechen, hatte Chris diesen Gesprächsansatz doch auch gestern sofort wieder sehr bestimmt abgeblockt.

 

Es war bereits Abend, als sie noch einmal die Wohnung verließ und durch die Stadt lief. Ihr Kühlschrank war so gut wie leer und da sie tagsüber beschäftigt war, musste sie eben abends einkaufen gehen.

Die junge Frau kuschelte sich noch ein wenig mehr in ihren Schal und fröstelte. Inzwischen war es deutlich abgekühlt. Die Bäume trugen kaum noch Blätter und das Wetter war nur noch verregneter und kälter geworden. Wenn das so weiter ging, würde der Winter dieses Jahr sehr früh vor der Tür stehen.

Während sie den Weg zum nächsten Supermarkt einschlug, hing sie ihren Gedanken nach. In der Sache, in welcher sie selbst ermittelte, gab es zwar keine neuen Erkenntnisse, dennoch gab es Neuigkeiten. Erst heute Nachmittag hatte sie erfahren, dass ein weiteres kleines Team des FBI nach Japan gereist war. Sie hatte gehört, dass ihre Kollegen einem Hinweis auf eine Verbrecherbande gefolgt waren.

Alles, was sie diesbezüglich mitbekommen hatte war, dass diese Verbrecher wohl weitaus einflussreicher waren, als es normal war. Auch schienen die meisten von ihnen keine Probleme damit zu haben zu töten. Dieser Fakt war weitaus schlimmer als die Summen an Schwarzgeld, mit denen sie vermutlich jonglierten Was wirklich seltsam war, war die Tatsache, dass die Mitglieder dieser Verbrecherbande wohl unter den Decknamen von alkoholischen Getränken agierten.

Die Spur hatte das FBI bis hier her nach Japan geführt. Jodie würde zu gegebener Zeit noch einmal nachhaken um mehr Informationen über den Fall zu erhalten. So weit sie wusste, war auch Shuichi Akai, ihr Exfreund, wegen dieses Falls nun hier in Japan.

Immer noch war es ein seltsames Gefühl, inzwischen wieder so unbefangen miteinander zu reden, aber sie würde früher oder später Kontakt zu ihm aufnehmen, allein schon um ein wenig genauer in Erfahrung zu bringen, um was für einen Fall es sich handelte, wegen dem er nun hier her nach Japan gereist war. Die Sache klang ziemlich gefährlich, wenn sie ehrlich sein sollte...

 

Ganz in Gedanken hatte sie automatisch eine kleine Abkürzung eingeschlagen, um schneller beim Supermarkt zu sein. Zu allem Übel fing es nun auch noch an zu regnen, da wollte die junge Agentin sich nicht länger als nötig draußen aufhalten.

Lediglich eine kurze Nebenstraße trennte sie nun noch von ihrem Ziel. In der Ferne konnte Jodie bereits den Parkplatz vor dem Supermarkt erkennen, welcher von einigen Straßenlaternen schwach beleuchtet wurde. Leider war die unscheinbare Straße, über welche sie soeben lief, wesentlich schlechter beleuchtet. Die Blondine achtete auf den Boden, um weder in Pfützen, noch in irgendein Schlagloch zu treten. Hinter sich hörte sie Schritte, was jedoch nicht weiter ungewöhnlich war, lebten hier in Tokio nun einmal eine ganze Menge Menschen.

Sie hatte den Parkplatz des Supermarktes fast erreicht, als eine Gestalt aus dem Schatten eines Hauseingangs trat und ihr den Weg versperrte.

„So sieht man sich wieder.“, grüßte der Unbekannte. Sein Tonfall war hämisch, seine Mimik hingegen war nicht zu erkennen, da eine schwarze Skimaske dein Gesicht verbarg.

„Heute ganz allein unterwegs?“, höhnte eine Stimme hinter ihr, ehe die junge Frau noch eine Antwort geben konnte.

Die Agentin fuhr herum und entdeckte zwei weitere maskierte Gestalten hinter sich. Zwar konnte sie die Gesichter der Männer nicht erkennen, doch war Jodie fast sofort klar, um wen es sich hier handeln musste. Waren das nicht die beiden Typen, die Chris und sie neulich in der Seitenstraße ausrauben wollten? Lediglich eine Sache war anders – die beiden Typen hatten nun noch eine weitere Person bei sich.

„Ihr schon wieder.“, stellte sie wenig erfreut fest. „Legt ihr es immer noch darauf an, Frauen in Seitenstraßen zu überfallen?“ Die Stimme der Blondine klang ruhig und gelassen, hatte man sie in ihrem Job auf Situationen wie diese vorbereitet, innerlich spürte sie jedoch, wie das Adrenalin ihren Körper durchströmte. Das hier war gar nicht gut. Als sie sich neulich gezwungenermaßen mit zwei dieser Gestalten hatte anlegen müssen, war die Situation ja schon gefährlich genug gewesen, doch nun stand sie gleich drei Kriminellen gegenüber.

„Das geht dich gar nichts an!“, blaffte der Typ, der ihr den Weg zum Parkplatz des Supermarktes versperrte, sie an.

„Hab gehört, du hast meinen beiden Kumpeln neulich ganz schön zugesetzt. Ich fürchte nur, dass dir das heute nicht mehr so einfach gelingen wird.“, ergriff der Dritte im Bunde das Wort. Etwas Silbernes blitzte in seiner Hand auf und die junge Frau erkannte, dass es ein Klappmesser war, welches er da hielt.

„Du warst neulich ganz schön dreist. Sind alle Europäerinnen so?“, erhob nun der Mann, der neben dem Maskierten mit dem Messer stand, das Wort.

„Heute werden wir dir beibringen, wie man sich benimmt!“, verkündete der Typ, der in Richtung des Supermarktes stand, ehe er einen Teleskopschlagstock aus seiner Jackentasche zauberte.

Angespannt fuhr die junge Agentin herum und versuchte alle drei Angreifer im Auge zu behalten, welche sich ihr gleichzeitig näherten.

„Wie mutig von euch, zu dritt auf eine einzelne Frau loszugehen.“, zischte sie.

Schon stürzte der erste Angreifer heran. Jodie reagierte schnell, nutzte den Schwung des Angreifers und rammte ihm das Knie in die Magengegend. Der Maskierte stieß einen Schmerzenslaut aus und taumelte zumindest für den Moment ein Stück zurück.

Von links sah sie aus dem Augenwinkel etwas Glänzendes auf sich zurauschen. Sie versuchte sich so schnell wie möglich zur Seite zu drehen und hatte noch einmal Glück im Unglück. Die Messerklinge schlitzte lediglich ihre Jacke auf, traf jedoch keine Haut.

Zeit um einen Gegenangriff zu starten blieb nicht, traf sie da doch schon etwas im Rücken. Ein brennender Schmerz breitete sich über ihren Rücken aus. Die FBI Agentin musste nicht extra hinsehen um zu wissen, dass der Teleskopschlagstock sie getroffen hatte.

Sie strauchelte nach vorne und noch in der Bewegung trat der Angreifer ihr in die Kniekehle. Es ging abwärts. Die Blondine rollte sich im Fall auf die Seite und entging dadurch knapp einem Tritt des Typen, welcher das Messer in der Hand hielt.

„Damn...!“ Die junge Frau wusste, dass sie vom Boden aus noch schlechtere Chancen hatte halbwegs unbeschadet aus der ganzen Sache herauszukommen, als gerade noch.

Der Maskierte, dem sie eben noch das Knie in den Magen gerammt hatte, baute sich vor ihr auf und rächte sich, indem er ihr in den Bauch trat, ohne dass sie auch nur ansatzweise Zeit gehabt hätte, wieder aufzustehen. Sie versuchte einen Schmerzenslaut zu unterdrücken. Hier auf dem nassen Boden liegend und von drei Angreifern umzingelt, hatte sie inzwischen wirklich die Angst gepackt, auch wenn das vielleicht unprofessionell war.

„Was denn? Wo ist deine große Klappe von neulich hin?“, amüsierte sich der Maskierte mit dem Schlagstock. Er holte in einer weit ausladenden Geste mit der Waffe aus.

Jodie rollte sich zusammen, um wenigstens ihr Gesicht vor dem Angriff zu schützen, doch als der Mann zum Schlag ausholte, dröhnte das Motorengeräusch eines Motorrads auf die Gruppe zu.

Im nächsten Moment kam die Maschine auch schon zum stehen. Das Licht des Motorrads beleuchtete die Seitenstraße zumindest ein klein wenig.

Der unerwartete Besuch hatte die drei Schläger zumindest kurz innehalten lassen.

Auch Jodie spähte zu der unbekannten Person auf und erblickte eine schlanke, vollständig in schwarz gekleidete Motorradfahrerin, welche in einer fließenden Bewegung von der Maschine glitt und wortlos den rechten Arm nach vorne streckte.

„Heeey! Was willst du de-“, begann einer der Maskierten zu pöbeln, brach jedoch mitten im Satz ab und wurde herumgerissen, als ein Schuss seine Schulter traf.

Der ohrenbetäubende Knall, den der Schuss eigentlich hätte verursachen müssen, blieb aus. Stattdessen war nur ein leises 'pock' zu hören. Die Waffe war mit einem Schalldämpfer ausgerüstet.

Im ersten Schockmoment hatte der Getroffene kein Wort herausgebracht, doch in der nächsten Sekunde brüllte er vor Schmerz laut auf.

Den Arm weiterhin ausgestreckt, zielte die Motorradfahrerin erneut. Ein zweiter Schuss traf den Kriminellen am Oberschenkel und ließ ihn zu Boden gehen, wo er sich unter Schmerzensschreien wand.

„Oh Scheiße! Die Alte hat ne Waffe!“, rief einer der beiden unverletzten Maskierten aus und wich hastig einen Schritt zurück.

Aufgrund des Motorradhelms konnte man ihr Gesicht nicht gut erkennen, doch die ganze Körperhaltung der Unbekannten ließ darauf schließen, dass sie keine Miene verzog.

Die Frau bewegte sich kaum. Das war auch nicht nötig, reichte eine minimale Bewegung doch schon aus, um den Typen, der bereits vor ihr zurückwich, ins Visier zu nehmen.

Wieder fiel ein Schuss, der den Unglücklichen in den Unterbauch traf und zusammensacken ließ.

Mit Entsetzen beobachtete Jodie, wie der Mann, der sie eben noch angegriffen hatte, zu Boden fiel. Auf seiner Jacke zeichnete sich bald schon ein roter Fleck ab, der von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Das Blut lief in eine der Pfützen und vermischte sich dort mit dem Wasser.

„Bitte lass mich in Ruhe! Bleib weg!“ Die Stimme des dritten Maskierten war nun mehr ein schrilles, panisches Kreischen als alles andere. Der Mann drehte Jodie und der Unbekannten den Rücken zu und floh in Richtung des Supermarktes.

Inzwischen hatte die FBI Agentin sich zumindest wieder in eine sitzende Position begeben können. Dennoch war sie von hier aus nicht in der Lage, die nächste Katastrophe zu verhindern.

Der panische Mann floh, die Fremde richtete die Waffe auf ihn und zielte.

„Nooo! Stop it!“, hörte die Blondine sich selbst schreien.

'Pock' – durch den Schalldämpfer war der Schuss kaum zu hören. 'Pock' – ein zweiter Schuss, schnell, präzise, gnadenlos und eiskalt.

Der Maskierte fuhr zusammen, als die beiden Kugeln ihn in den Rücken trafen. Dann sacke er zu Boden und blieb reglos liegen.

Jodie kam sich vor wie in einem schlechten Film. Natürlich war sie im ersten Moment froh gewesen, dass eine Person ihr scheinbar zur Hilfe geeilt war, doch dann hatte die Helferin eine Pistole, die noch dazu mit einem Schalldämpfer ausgerüstet war, gezückt und kaltblütig alle drei Angreifer niedergeschossen.

Vom Regen durchweicht, saß sie wie erstarrt da. Sie konnte nichts dagegen unternehmen, dass sie zitterte. Bis auf das Zittern jedoch, war ihr Körper wie gelähmt.

Nun wandte die Schützin sich ihr zu, schwieg weiterhin eisern und richtete für einen Moment die Waffe auf sie.

Der Agentin stockte der Atem. Fünf Schüsse hatte diese Frau soeben abgegeben, um die drei Maskierten niederzustrecken. Sie kannte dieses Pistolenmodell – ein Schuss war noch übrig.

Der jungen Frau schnürte sich die Kehle zu.

Doch dann...anstatt auch ihr noch eine Kugel in den Körper zu jagen, steckte die Schützin die Waffe wieder ein, nickte ihr kaum merklich zu und schwang sich im nächsten Moment auch schon wieder elegant zurück auf ihr Motorrad. Der Motor heulte auf, dann sauste sie auf und davon.

Jodie starrte der Schützin noch einen Moment lang nach. Lange hellblonde Haare lugten unter dem Motorradhelm hervor und wehten im Wind, als die Frau mit einem wahnsinns Tempo über den Parkplatz des Supermarktes jagte, abbog und schließlich in der Stadt verschwand.

Der Agentin wurde schlecht. Ja, die Motorradfahrerin hatte ihr Leben verschont und ja, selbst hier in Japan fand sich sicherlich die ein oder andere Frau mit langen, hellblonden Haaren, doch obwohl sie das Gesicht der Anderen durch den Motorradhelm fast nicht hatte sehen können, so hatte sie doch die Art und Weise wiedererkannt, wie sie sich bewegte.

Oft hatte sie dieser Frau bereits zugesehen. Fasziniert hatte sie schon einmal verfolgt, wie die Andere sich mit einer ähnlich fließenden und eleganten Bewegung, nicht auf ein Motorrad, sondern auf ein Krankenbett geschwungen hatte. Im Film galt es, mit beiden Händen Druck auf eine angeblich stark blutende Wunde eines Unfallopfers auszuüben, während ihre Schauspielerkollegen das Krankenbett samt Patient und Oberärztin im Laufschritt in Richtung OP geschoben hatten.

Normalerweise war sie fasziniert von der Eleganz, die die Schauspielerin bei jeder ihrer Bewegungen ausstrahlte, nun jedoch blickte sie ihr fassungslos nach, ehe ihr Blick schließlich auf die drei am Boden liegenden Gestalten fiel, deren Blut sich langsam mit dem Regenwasser vermischte.

„Nein...bitte lass das nicht wahr sein.“, flehte sie mit brüchiger Stimme.

Chris hatte sie vor den Angreifern gerettet, allerdings hatte Chris auch eine Pistole mit Schalldämpfer in der Hand gehalten und die drei Maskierten mit einer erschreckenden Präzision und ohne jede Gnade niedergeschossen.

Das Bild ihres Schützlings, welches Jodie sich in den letzten Wochen mühsam gebildet hatte, zersprang in 1000 Scherben.

Sie war wahrlich entsetzt, doch als ihr Blick erneut auf die drei Opfer fiel, riss die FBI Agentin sich schließlich aus ihrer Starre, schaffte es den Schmerz und die Verwirrung für den Moment zur Seite zu drängen und kämpfte sich auf die Beine.

Rasch kontrollierte sie den ersten Maskierten. Er atmete. Schwach aber regelmäßig. Eiligst stolperte sie nun auch zu Opfer 2 und 3. Alle lebten sie noch.

Damit das auch so blieb, kramte Jodie rasch ihr Handy aus ihrer Handtasche und alarmierte den Rettungsdienst.

Inzwischen hatten einige Gäste des Supermarktes die Verletzten bemerkt und eilten zur Hilfe.

„Was ist passiert?“, wollte eine Frau mittleren Alters entsetzt wissen.

„Sie sind angeschossen worden. Der Rettungsdienst ist informiert.“, informierte Jodie knapp.

Immer mehr Leute trafen am Unfallort ein.

„Bitte bleiben Sie bei den Verletzten, bis der Rettungsdienst eingetroffen ist. Ich bin Polizistin. Ich muss dem Angreifer hinterher.“, erklärte sie schließlich, gab der Menge keine Zeit um weitere Fragen zu stellen und eilte los.

Zwar war sie keine Polizistin, aber als Agentin des FBIs war sie sehr wohl befugt dazu, der Motorradfahrerin nachzujagen. Ihre Aussage würde sie zu einem späteren Zeitpunkt wohl oder übel machen müssen.

Die Blondine eilte aus der Seitenstraße, dann lief sie schneller und rannte schließlich durch den Regen in Richtung ihres Wohnhauses. Chris hatte inzwischen eh schon einen so großen Vorsprung, dass sie sich fragte, wie sie die Ältere überhaupt einholen, geschweige denn erst einmal wiederfinden sollte, doch zu Fuß war diese Aufgabe noch schwieriger. Sie brauchte ihr Auto.

 

Wenig später lenkte die Agentin das Fahrzeug mit quietschenden Reifen auf die Hauptstraße. Sie hatte keine Ahnung, wo sie nach der Schauspielerin suchen sollte.

Die andere Blondine, von der sie inzwischen so überzeugt gewesen war, dass sie eine weiße Weste hatte, schien zweifelsohne doch eine zweite und kriminelle Karriere zu haben. So professionell und gnadenlos, wie sie die drei Männer eben niedergeschossen hatte, konnten das keine Glückstreffer gewesen sein. Chris wusste ganz genau was sie tat.

Und dann fiel es Jodie wie Schuppen von den Augen. Als diese Maskierten Chris und sie das erste mal angegriffen hatten, war die Schauspielerin ganz ruhig geblieben. Damals hatte Jodie noch geglaubt, die Ältere hätte einfach eine gute Selbstbeherrschung, doch langsam dämmerte es ihr, dass sie zu keiner Zeit wirklich in Panik gewesen war, da sie mehr als nur geschickt im Umgang mit der Waffe war.

Und die Briefe des Stalkers? Chris hatte sich nie sonderlich besorgt gegeben, weil sie sich vermutlich auch nie wirklich bedroht gefühlt hatte. Ob sie am Ende sogar noch Freunde hatte, die sich dem Problem mit dem Stalker früher oder später annehmen würden?

Die FBI Agentin fragte sich unweigerlich, wie gut sie die Schauspielerin wirklich kannte. Hatte auch nur ein Fünkchen Ehrlichkeit in ihren Worten gesteckt, wenn sie sich unterhalten hatten, oder war all das am Ende nur eine weitere, grandiose schauspielerische Leistung?

Der Blondine war klar, dass sie eigentlich die Polizei und am besten auch noch ihre Kollegen des FBIs über den Vorfall in Kenntnis setzen sollte, damit sie gemeinsam nach der Flüchtigen Ausschau halten konnten, aber irgendetwas hielt sie davon ab.

Selbst nach einem Vorfall wie diesem, hoffte die junge Frau, dass sie die Gelegenheit erhalten würde, zuerst einmal allein mit der Kriminellen zu sprechen.

 

Der silberne Wagen jagte durch die Stadt. Zwar hatte Jodie keine Ahnung, wo genau sie mit ihrer Suche beginnen sollte, doch hatte sie ganz automatisch zuerst einmal den Weg zur Wohnung ihres Schützlings eingeschlagen.

Um diese Uhrzeit waren die Straßen ziemlich überfüllt, hatten viele Bewohner Tokios doch inzwischen Feierabend und waren entweder auf dem Heimweg, oder aber waren noch einmal losgefahren, um einige Einkäufe zu erledigen.

Als die Blondine gezwungenermaßen an einer roten Ampel Halt machte, konnte sie ein Fluchen nicht unterdrücken. „Damn it! I need to find her...!“ Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern unbewusst auf dem Lenkrad herum. Wann schlug diese Ampel endlich wieder um?!

Als es endlich wieder so weit war und sie weiterfahren konnte, bog sie schließlich in rasantem Tempo rechts ab und lenkte das Fahrzeug in eine weniger stark befahrene Nebenstraße. Auch wenn sie nun etwas besser voran kam, die Fahrt bis in das Viertel, in dem die Schauspielerin wohnte, hatte sie einiges an Zeit gekostet. Ganz zu schweigen natürlich von der Zeit die es gebraucht hatte, überhaupt erst einmal ihr Auto zu holen. Um diese Uhrzeit war es wirklich nicht leicht mit dem Auto voranzukommen. Chris, die mit ihrem Motorrad unterwegs war, würde dieses Problem bestimmt nicht haben. Die Andere hatte inzwischen so einen Vorsprung, dass Jodie bezweifelte, sie überhaupt noch einzuholen. Allein dafür hätte sie ja schon wissen müssen, in welche Richtung die flüchtige Kriminelle nun eigentlich unterwegs war. Chris konnte überall in der Stadt sein. Wenn die andere Blondine nicht gefunden werden wollte, würde sie sie auch kaum finden.

Ihre einzige Chance bestand darin, ihrer Zielperson eher zufällig zu begegnen. In erster Linie jedoch hoffte Jodie, dass sie ihren Schützling Zuhause antreffen würde. Ob die Ältere sich der Tatsache bewusst war, dass die FBI Agentin sie unter dem Motorradhelm erkannt hatte? Sollte sie in dem Glauben sein, unerkannt geblieben zu sein, bestand immerhin eine reelle Chance, sie in ihrer Wohnung anzutreffen.

Wohl oder übel würde Jodie die Behörden einschalten müssen, dennoch hoffte sie, dass sie Chris zuerst fand, um die Chance zu haben, mit ihr zu reden.

 

Schließlich hatte sie das Haus, in welchem die Schauspielerin wohnte, erreicht. Da sie ausgerechnet heute natürlich keinen Parkplatz vor dem Gebäude fand, blieb ihr nichts anderes übrig als in zweiter Reihe zu parken und zu hoffen, dass sie dafür kein Knöllchen kassieren würde. Selbst wenn, wenn sie Chris hier antraf, wäre es die Sache schon wert.

Die junge Agentin eilte auf das Gebäude zu, stellte erfreut fest, dass die Tür zum Haus erneut nur angelehnt war und sie ungehindert das Treppenhaus betreten konnte.

Ganz automatisch lief sie die Treppen hoch und bog dann in den Laubengang ein, welcher zur Wohnung der amerikanischen Schauspielerin führte.

Auf ihrem Weg rasten ihre Gedanken. Sie wollte immer noch nicht wahrhaben, dass ausgerechnet Chris auf diese Leute geschossen haben sollte. Die Schüsse waren so präzise gewesen und die Frau hatte selbst dann keine Gnade gekannt, als einer der Männer versucht hatte zu fliehen.

Jodie schüttelte den Kopf. In den letzten Wochen war sie so überzeugt davon gewesen, dass das FBI fälschlicherweise gegen Chris ermittelte. Die Andere hatte sich in der ganzen Zeit über nie etwas zu Schulden kommen lassen und war so wichtig für die Blondine geworden. Und ausgerechnet jetzt zeigte die Schauspielerin ihr wahres Gesicht?

Jodie hatte die Wohnungstür erreicht und klingelte. Erst einmal, dann zweimal, dann klingelte sie Sturm. Sie musste wieder daran denken, wie sie neulich schon einmal vor dieser Tür gestanden und geschellt hatte, allerdings hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch befürchtet, ihrem Schützling seie etwas Furchtbares zugestoßen. Heute stand sie hier und klingelte, weil sie die Ältere zu Rede stellen wollte.

Ein kleiner Teil in ihr hoffte immer noch, dass es sich nur um ein Missverständnis handelte. Sie wünschte sich, dass Chris ihr gleich die Tür öffnen würde und irgendein Alibi hätte, mit welchem sie unmöglich die Schützin sein konnte. Irgendwie hoffte die junge FBI Agentin immer noch, dass es sich nur um eine Verwechslung gehandelt hatte und doch waren ihr die Bewegungen der Motorradfahrerin vorhin so vertraut vorgekommen, dass sie keinen Zweifel hatte, um wen es sich handelte.

Sie wartete einen Moment lang vor der Tür, doch in der Wohnung blieb es still. Jodie versuchte es noch einmal, indem sie nun gegen das Holz der Tür klopfte und nach der Wohnungsbesitzerin rief, doch auch diesmal erhielt sie keine Antwort.

Sie musste sich eingestehen, dass niemand Zuhause war. Sie hatte am falschen Ort nach der Schauspielerin gesucht. Mit einem seltsamen Gefühl in der Magengegend verließ die Agentin das Wohnhaus wieder, begab sich zurück zu ihrem Auto und startete den Motor.

 

Noch würde sie die Suche nicht aufgeben, die Frage war jedoch, wo genau sie als nächstes nach der Kriminellen suchen sollte. Hielt diese sich überhaupt an einem bestimmten Ort auf, oder fuhr sie ebenfalls immer noch durch die Stadt?

Jodie seufzte und schüttelte den Kopf. „Was hast du bloß getan...?“

Sie hätte es von Anfang an besser wissen müssen. Die Mutter der Schauspielerin war eine Mörderin. Sie war die Frau, die auf einen Schlag die komplette Kindheit der Agentin zerstört hatte. Warum hatte es dann ausgerechnet die Tochter dieser Frau sein müssen, für die sie nun so viel empfand? Der Apfel fiel bekanntlich nicht weit vom Stamm. Sie hätte es wissen müssen, doch als sie begonnen hatte, immer mehr den Menschen in Chris zu sehen und nach und nach begonnen hatte ihr zu vertrauen, hatte sie scheinbar nur die schöne Fassade der Älteren kennengelernt und nicht bemerkt, was sie im Inneren eigentlich war. „A rotten apple.“

Gesetz dem Fall natürlich, dass Chris in ihrer Gegenwart wirklich die ganze Zeit über nur geschauspielert hatte. Genau das wollte sie herausfinden. Sie hoffte auf eine direkte Konfrontation und darauf, eine ehrliche Antwort zu bekommen, ob die andere Blondine tatsächlich die ganze Zeit über nur mit ihr gespielt hatte, oder ob sie die Schauspielerin doch so kennengelernt hatte, wie sie eigentlich war. Sie wollte unbedingt in Erfahrung bringen, warum die Andere auf ihre Angreifer geschossen hatte. Hatte sie sie nur verteidigen wollen? Doch aus welchem Grund hatte sie dann so gnadenlos agiert?

 

Die Zeit verging. Jodie fuhr alle Plätze ab, die ihr spontan einfielen. Das Hauptgebäude des Filmteams, die Wege zwischen den einzelnen Drehorten, das Restaurant, in welchem sie in den Pausen oftmals zu Mittag gegessen hatten. Sogar den verdammten Zigarettenautomaten in der Seitenstraße, wo die beiden Frauen zuerst von den Maskierten angegriffen worden waren, steuerte sie an – ohne Erfolg.

Sie löste ein wahres Hupkonzert aus, als sie in Gedanken links abbog, ohne sich zuvor richtig umgesehen zu haben. Der Wagen, mit welchem sie bei dieser Aktion beinahe zusammengeprallt wäre, schaffte es gerade noch so zu bremsen. Der Fahrer fluchte. Jodie war die Sache unangenehm, dennoch gab sie mehr Gas und schoss auf und davon.

Inzwischen hatte die junge Blondine die Hoffnung schon fast aufgegeben, ihre Zielperson wirklich noch zu finden. Sie wusste nicht mehr, wo genau sie noch suchen sollte. Da ihr Weg sie zufällig in Richtung Hafengelände führte, lenkte sie den Wagen in diese abgelegene Gegend, ganz einfach der Spur folgend.

Das Handy der Agentin klingelte. Von jetzt auf gleich wieder hellwach und aufmerksam, blickte sie auf ihr Mobiltelefon, welches an der Freisprechanlage befestigt war.

Sie hoffte, den Namen ihres Schützlings auf dem Display zu erkennen, doch an Chris Stelle, wurde das Foto eines anderen vertrauten Gesichts angezeigt. Jodie nahm den Anruf entgegen.

„Shu? Ich habe schon gehört, dass du gerade auch in Japan bist, bin aber noch nicht dazu gekommen, dich anzurufen. Wie geht es dir?“

„Es gibt Neuigkeiten in dem Fall, in welchem du derzeit ermittelst. Wo genau bist du? Es ist wichtig.“, begrüßte Shuichi Akai sie, ohne lange um den heißen Brei herumzureden.

„Mit dem Auto unterwegs. Du bist immer noch direkt wie eh und je, was?“

„Entschuldige. Wir finden in den nächsten Tagen sicherlich die Zeit ein wenig miteinander zu reden, aber gerade geht es um den Fall, in welchem du derzeit ermittelst. Du bist vermutlich in Gefahr.“

Die Blondine horchte auf und zog eine Augenbraue leicht hoch, auch wenn Shuichi das am anderen Ende der Leitung natürlich nicht sehen konnte. „In Gefahr? Wie meinst du das?“, hakte sie nach.

„Hör zu : Die Fälle, in denen wir derzeit ermitteln, scheinen mehr miteinander zu tun zu haben, als anfangs geglaubt. Ich bin derweil einer Organisation, bestehend aus Schwerstkriminellen auf der Spur. Diese Leute sind absolut skrupellos. Um ihre Identität geheim zu halten, sprechen sie sich scheinbar selbst untereinander nur mit ihren Decknamen, welche alle etwas mit alkoholischen Getränken zu tun haben, an.“, begann ihr Gesprächspartner zu erklären.

Nachdem Jodie heute mitangesehen hatte, wie ihre Zielperson ohne jede Gnade drei Menschen niedergeschossen hatte, beschlich sie bereits jetzt ein ungutes Gefühl, auch wenn Shuichi ihr die Verbindung zwischen den beiden Fällen noch nicht genauer erläutert hatte.

„Ich habe schon gehört, dass du derzeit an einem sehr gefährlichen Fall arbeitest und wollte eigentlich in den nächsten Tagen mit dir darüber gesprochen haben, aber ich fürchte, dass du mir jetzt erst einmal erklären musst, was genau dein Fall mit meinem zu tun hat.“

„Es ist sehr wahrscheinlich, dass Chris Vineyard ein Teil dieser Organisation ist.“, lautete die Antwort.

Der FBI Agentin lief es eiskalt de Rücken herunter. Sie hatte schon fast damit gerechnet, das ihr Gesprächspartner ihr genau diese Antwort geben würde, doch hatte sie immer noch gehofft, dass es eine andere Erklärung dafür gab, warum die beiden Fälle scheinbar so miteinander verstrickt waren.

„Und wie genau kommst du darauf?“ Die Blondine lenkte den Wagen in eine schmalere Straße im Hafengebiet. Während sie von der Straße aus einen guten Blick auf den Hafen selbst und das Wasser hatte, würde sie von hier aus bald schon zu einigen Hallen gelangen, in welchen vermutlich die verschiedensten Güter gelagert wurden.

„Gerüchten zur Folge soll es in der Organisation ein Mitglied geben, welches mit Leichtigkeit die verschiedensten Identitäten annehmen kann. Unser Chef sagte, du hättest in deinem ersten Bericht erwähnt, dass dir deine Zielperson am ersten Abend beinahe entwischt wäre, weil sie sich so perfekt verkleidet und selbst ihre Stimme sehr glaubhaft verstellt hat.“

Die junge Frau fuhr nun langsamer, um im Hafengelände nicht die Orientierung zu verlieren.

„Und daraus allein schließt du, dass Chris ein Teil dieser Organisation ist, gegen die du ermittelst, Shu?“

Sie konnte hören, wie der andere FBI Agent ein leicht genervtes Seufzen ausstieß. „Nein, natürlich nicht. Ich bin derzeit einem ranghohen Mitglied dieser Bande namens Gin dicht auf den Fersen. Ein großgewachsener Mann mit langen, silbernen Haaren, falls dir das etwas gesagt. Es ist erwiesen, dass meine Zielperson und deine Schauspielerin Kontakt haben.“

Ob ihr dieser seltsame Silberhaarige etwas sagte, wollte Shuichi wissen? Nur all zu genau konnte Jodie sich an diesen verdächtigen Typen erinnern, welcher an diesem Abend vor ein paar Wochen gerade Chris Wohnung verlassen hatte, als sie sich gerade Zutritt in das Wohnhaus verschafft hatte.

Die amerikanische Schauspielerin hatte nie sehr viel über ihren Bekannten erzählt und ihr recht deutlich gemacht, dass sie auch nicht vorhatte, der Agentin irgendwelche Informationen über diesen Mann zu geben. Jodie wusste lediglich, das Chris und dieser Gin sich bereits seit einigen Wochen nicht mehr gesehen hatten, so weit sie das sagen konnte.

War sie bis vor ein paar Stunden doch noch davon überzeugt gewesen, die ältere Blondine langsam zu kennen, so wurde sie nun zunehmend von Zweifeln gepackt. In ihrem Kopf herrschte aktuell eine bodenlose Verwirrung. Sie wusste nicht mehr, was sie glauben konnte und was nicht. Was hatte Chris ihr nur vorgespielt und was hatte sie ernst gemeint?

Zu ihrer aktuellen Verwirrung, mischte sich zudem ein stetig stärker werdender Schmerz, hatte doch ausgerechnet die Tochter einer Mörderin und Brandstifterin es geschafft, sich unbemerkt so in ihr Herz zu schleichen.

Die Agentin hatte für einen Moment versucht ihre Gedanken zu ordnen und hatte geschwiegen, weshalb es ihr Kollege war, welcher erneut das Wort ergriff. „Wenn sie wirklich ein Mitglied dieser Organisation sein sollte, was sehr wahrscheinlich ist, dann ist diese Frau gefährlich, Jodie. Ich halte es für besser, wenn du in diesem Fall nicht mehr allein weiter ermittelst.“

Zwar hatte sie seine Worte klar und deutlich gehört, jedoch bemerkte die junge Frau in diesem Moment auch noch etwas ganz anderes, was nun ihre Aufmerksamkeit beanspruchte.

 

Jodie war recht planlos in diese verlassene Gegend der Stadt gefahren. Sie war nicht davon ausgegangen hier irgendetwas zu finden, was ihr auf ihrer Suche nach der Schauspielerin weiterhelfen könnte. Viel mehr war sie in den letzten zwanzig Minuten nur noch schlicht und ergreifend dem Straßenverlauf gefolgt und war auf diesem Wege hier gelandet. Sie rechnete absolut nicht damit, ausgerechnet hier im Hafen irgendeinen brauchbaren Hinweis darauf zu finden, wo genau sich Chris aufhalten könnte, doch da bemerkte sie plötzlich das Motorrad, welches im Schatten von einer der Lagerhallen abgestellt worden war.

Sie fuhr noch etwas langsamer und musterte das Motorrad, welches nun im Licht der Scheinwerfer ihres Wagens besser zu erkennen war.

Natürlich gab es mehr als eine dieser Maschinen, dennoch war sie sich ziemlich sicher, dass die Schützin vorhin auf genau so einem Motorrad geflohen war.

„Jodie?“, hakte Shuichi am anderen Ende der Leitung nach, dem das Schweigen seiner Gesprächspartnerin langsam seltsam vorkam.

Die Agentin parkte den Wagen ein kleines Stück hinter dem Motorrad und schaltete die Scheinwerfer aus, würden diese ihre Anwesenheit sonst noch schneller verraten, als es ihr lieb war.

„Stimmt was nicht?“, hakte ihr Kollege erneut nach.

„Ich habe gerade etwas entdeckt, was ich mir näher ansehen will. Ich rufe dich später zurück.“

Shuichi kannte die blonde Agentin zu gut und konnte ihren ernsten Tonfall daher leicht einordnen. Er wusste, dass sie vermutlich gerade im Begriff war etwas wirklich Unüberlegtes zu tun, weshalb er noch einmal versuchte sie davon abzuhalten. „Was genau hast du entdeckt? Wenn es irgendetwas mit dem Fall zu tun hat, dann mach jetzt auf keinen Fall allein weiter, hörst -“

Die junge Frau hatte das Telefonat beendet, schaltete ihr Handy vorsichtshalber lautlos und blickte sich noch einmal aufmerksam um, ehe sie schließlich aus dem Wagen stieg und die Tür leise wieder hinter sich schloss.

Ohne Licht war es hier im Hafen, umgeben von lauter Containern und Hallen, wirklich nicht leicht festzustellen, ob sich eine andere Person in der Nähe aufhielt, oder aber nicht.

Dennoch, das Motorrad, welches sie eben gefunden hatte, gehörte Chris, da war sie sich ziemlich sicher.

Wieder sah sie genau vor sich, wie die Andere vorhin auf die drei Maskierten geschossen hatte. Erneut hallten ihr die Worte ihres Kollegen, dem sie früher einmal so nahe gestanden hatte, im Kopf wieder. Wenn die Schauspielerin wirklich eine Kriminelle war und sich hier ganz in der Nähe aufhielt, dann konnte diese Sache wirklich gefährlich werden, andererseits hatte die Ältere auch vorhin nicht auf sie geschossen, obwohl sie die Gelegenheit dazu gehabt hatte.

Jodie war sich absolut nicht mehr sicher, wie sie die Schauspielerin nun einzuschätzen hatte, dennoch war da diese leise Stimme in ihrem Kopf, die ihr flüsterte, dass die Ältere ihr nichts tun würde, egal ob kriminell oder nicht.

 

Leise schlich die FBI Agentin an dem Motorrad, sowie einem Container vorbei. Sie verschwand im Schatten der nächsten Lagerhalle und beschloss, sich diese einmal genauer anzuschauen.

Die ersten paar Meter, die sie im Dunkeln um die alte Halle schlich, blieben vollkommen unauffällig. Als sie schließlich jedoch eine Stelle erreichte, an der ein Loch in der hölzernen Wand klaffte, konnte sie eine Stimme hören. Leise, aber klar und deutlich.

Die Blondine erkannte auf Anhieb, wem diese Stimme gehörte, doch das anfängliche Triumphgefühl, ihre Zielperson endlich gefunden zu haben, wich bald schon dem eiskalten Entsetzen, als sie ihre Worte hörte.

Jodie schlich näher an das Loch in der Wand heran und spähte in die Lagerhalle, wo sie eine in schwarz gekleidete Person entdeckte, welche an einem offen stehenden Container lehnte und telefonierte.

„Die Kontaktperson hat den USB-Stick genau wie verabredet in der Lagerhalle hinterlegt. Ich werde die Daten gleich prüfen, dann gebe ich dir noch einmal Bescheid. Du weißt, wie du weiter zu verfahren hast.“

Es herrschte einen Moment Stille, da die Person am anderen Ende der Leitung gerade antwortete.

„Ja, natürlich ist er nutzlos, wenn wir die Daten besitzen.“

Wieder herrschte einen Moment Stille. Als die Blondine wieder zu einer Antwort ansetzte, klang ihre Stimme missbilligend. „Ob du ihm jetzt eine Kugel in den Kopf jagen kannst, wie Calvados meinem verrückten Stalker gestern? Bist du schwer von Begriff?! Ich sagte, ich muss die Daten auf dem USB-Stick erst einmal überprüfen!“

Bei den Worten der Schauspielerin, welche ihre Anwesenheit noch nicht bemerkt hatte, wurde der Agentin eiskalt. Unbewusst hatte sie sich etwas enger an die Wand gedrückt, um auch wirklich nicht gesehen zu werden, doch bei der Aktion, löste sich ein Stück des morschen Holzes und fiel zu Boden.

Das Geräusch, als das Stück Holz auf den Boden fiel, hallte in der Lagerhalle wieder. Um diese Uhrzeit war das Gelände verlassen und folglich war es hier aktuell ziemlich still. Natürlich hatte Chris unter diesen Umständen das Geräusch gar nicht überhören können.

„Du tust noch gar nichts, verstanden. Ich rufe später zurück.“ Hastig beendete die Blondine das Telefonat und wandte sich in die Richtung, in der das Loch in der Wand klaffte. „Wer ist da?!“

Für einen Moment wie erstarrt, blieb die Agentin noch wo sie war, dann fasste sie sich ein Herz und schlüpfte durch das Loch in der Wand in das Innere der Lagerhalle.

„Das ist es also? Zeigst du jetzt endlich dein wahres Gesicht?“, begrüßte sie ihre Zielperson und versuchte ihre Stimme möglichst kalt klingen zu lassen, um sich das Chaos, welches derweil in ihren Gedanken herrschte, nicht anmerken zu lassen.

Die Ältere hatte Jodie keinen Moment lang aus den Augen gelassen, stutzte jedoch merklich, als sie die Person erkannte, welche das Telefonat eben belauscht hatte.

Für einen kurzen Augenblick konnte die FBI Agentin den Schrecken sehen, der der Kriminellen über das Gesicht huschte, dann hatte die Frau mit den hellblonden Haaren sich jedoch wieder gefangen und blickte ihr kühl entgegen. „Was tust du hier?“, erkundigte Chris sich, obwohl sie die Antwort auf diese Frage vermutlich bereits kannte.

„Soll das ein Witz sein? Ich habe nach dir gesucht, nachdem du vorhin diese drei Typen niedergeschossen hast und abgehauen bist.“, entgegnete Jodie.

Auf den Lippen ihres Gegenübers zeichnete sich ein kaltes, leicht arrogant wirkendes Schmunzeln ab. „Nun, du hast mich gefunden – Glückwunsch. Und was gedenkst du nun zu tun? Ich denke, dass es unnötig ist zu erwähnen, dass du eigentlich nicht hier sein solltest.“

„Du streitest es also nicht einmal ab, vorhin auf diese drei Kleinkriminellen geschossen zu haben? Verdammt, was hast du dir dabei gedacht, Chris?! Du hast in Kauf genommen, diese Typen umzubringen!“

Angesprochene zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. „Aus deinen Worten schließe ich, dass die drei noch leben.“

„Ja! Zumindest haben sie das noch, als ich vom Unfallort aufgebrochen bin.“ Fassungslos starrte Jodie die Andere an. Das Bild, welches sie sich von ihrem Schützling in den letzten Wochen so mühsam aufgebaut hatte, hatte bereits auf der Fahrt hier her Risse bekommen, nun jedoch zersprang es endgültig in 1000 Teile. Die amerikanische Schauspielerin schien keinen Grund mehr dazu zu sehen, sich ihr gegenüber weiterhin zu verstellen und so wie sie sich jetzt gab, hatte die Agentin das Gefühl, die Person vor ihr zum ersten Mal wirklich zu sehen. Kalt, skrupellos und überheblich. Lange hatte sie gebraucht, um den Menschen in Chris zu sehen, die Blondine hatte es sogar geschafft, ihr wirklich ans Herz zu wachsen und nun wurde sie sich bewusst, dass die Amerikanerin ihr gegenüber die ganze Zeit einfach nur eine weitere Rolle gespielt hatte. Es schmerzte, sich dies einzugestehen, doch gleichzeitig kochte da auch diese Wut in ihr hoch – Wut auf ihr skrupelloses Gegenüber und Wut über ihre eigene Naivität.

„Du hast kaltblütig mehrere Personen niedergeschossen und mit hoher Wahrscheinlichkeit bist du Teil einer Bande bestehend aus Schwerstkriminellen. Du lässt mir wohl kaum eine andere Wahl als dich hier und jetzt festzunehmen.“

Die junge Agentin griff an ihren Gürtel und hielt einen Augenblick später ein Paar silbern schimmernde Handschellen in der Hand. Mit ernster Mimik machte sie langsam den ersten Schritt in Richtung der Schauspielerin, doch selbst jetzt, wo die Karten auf dem Tisch lagen, schmerzte es, diese Mission hier und jetzt zu Ende zu bringen, auch wenn sie wusste, dass sie das Richtige tat.

Die andere Blondine blieb gänzlich unbeeindruckt. „So, zeigt das FBI Kätzchen nun endlich ebenfalls sein wahres Gesicht?“

Für den Bruchteil einer Sekunde stutzte Jodie, doch sie zwang sich, sich äußerlich nichts anmerken zu lassen. „Also weißt du für wen ich arbeite, wirklich interessant. Seit wann ist dem so?“, versuchte sie so gelassen wie möglich nachzuhaken.

Die junge Frau blieb abrupt stehen, als die Kriminelle eine Pistole geradewegs auf sie richtete.

„Oh, das wusste ich schon, bevor ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Das FBI hat vor dir bereits zwei deiner Kollegen auf mich angesetzt und als angebliche Bodyguards ausgegeben, aber deine Vorgänger haben sich wirklich dumm angestellt und so war es ein leichtes, meinen Chef dazu zu bringen, so unfähigen Personen wieder zu kündigen.“

Chris strich sich einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht, ehe sie die FBI Agentin genauer ins Visier nahm. „Du solltest stehen bleiben. Wenn du jetzt umdrehst und von hier verschwindest, überlege ich es mir vielleicht noch einmal und erschieße dich nicht an Ort und Stelle.“

Im ersten Moment hatte die Ältere es mit ihren Worten in der Tat geschafft, die FBI Agentin zu verunsichern. Nicht, dass diese ernsthaft mit dem Gedanken spielte hier und jetzt aufzugeben, allerdings stellte sich ihr durchaus die Frage, wie klug es wäre, sich der Kriminellen weiter ohne jeden Schutz zu nähern, wo diese aktuell mit einer Waffe auf sie zielte und ihr eben klar und deutlich gedroht hatte.

Sie trug ihre eigene Waffe noch im Holster ihres Gürtels. Wie schnell konnte sie wohl nach der Waffe greifen und diese auf ihr Gegenüber richten, um eine Art Pattsituation herbeizuführen? Vermutlich hätte Chris noch mehr als genug Zeit das Feuer auf sie zu eröffnen, sobald sie bemerkte, dass die Agentin nach ihrer eigenen Pistole greifen wollte. Diese Möglichkeit würde einen Angriff nur provozieren und fiel folglich weg. Aber was sollte sie dann tun? Ihr Gegenüber war gefährlich, so viel war ihr inzwischen dann auch klar geworden, aber Jodie war derzeit auf sich allein gestellt und irgendwie musste sie handeln.

Plötzlich fragte sie sich, welchen Grund es wohl haben mochte, dass die Kriminelle bisher noch nicht auf sie geschossen hatte. Chris wusste, dass die Blondine dem FBI angehörte und sie wusste, dass die Agentin nun auch ihr Geheimnis kannte. Warum also, hatte sie noch nicht das Feuer auf sie eröffnet? Es wäre für die Schauspielerin die effektivste und unkomplizierteste Lösung gewesen und doch lebte Jodie noch und war unverletzt. Bedeutete das am Ende vielleicht, dass...

Die junge Frau wusste, wie riskant ihr Plan war, genau so konnte sie sich denken, was beispielsweise Shu über so eine Aktion denken würde und dennoch beschloss sie es darauf ankommen zu lassen. Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend tat sie schließlich einen weiteren Schritt auf Chris zu.

„Du räumst mir die Möglichkeit zur Flucht ein? Wie ausgesprochen freundlich, aber du weißt genau so gut wie ich, dass ich dich hier und jetzt nicht einfach gehen lassen kann.“

„Stop it! Keinen Schritt weiter!“, fuhr die andere Blondine sie an, doch obwohl Jodie bei dieser riskanten Aktion das Herz bis zum Hals schlug, ignorierte sie die Warnung der Älteren. Sie näherte sich langsam weiter ihrem Gegenüber. Nach wie vor war die Waffe in den Händen der Kriminellen mit einem Schalldämpfer ausgerüstet und somit war nur ein gedämpftes 'Pock' zu hören, als der erste Schuss fiel. Die Kugel verfehlte ihr Gesicht nur um etwa dreißig Zentimeter und schlug in einem der hier gelagerten Container ein. Jodies Augen weiteten sich erschrocken und für einen Moment hielt sie den Atem an. Chris hatte ihre Drohung wahr gemacht und wirklich auf sie geschossen! ...Allerdings hatte die Andere sie nicht getroffen und das, obwohl sie eine gute Schützin war.

Noch einmal nahm sie allen Mut zusammen, versuchte sich so unbeeindruckt wie möglich zu geben und setzte sich erneut in Bewegung. Wieder fiel ein Schuss, welcher diesmal beinahe ihren Arm gestreift hätte, doch erneut verfehlte die Kugel sie um Haaresbreite.

Beide Schüsse hätten sie aus dieser Entfernung eigentlich erwischen müssen und dennoch war sie Verletzungen bisher entgangen. So nah, wie die Kugeln an ihr vorbeigeschossen waren, sprach dies jedoch auch dafür, das Chris ganz genau wusste, was sie da tat. Hätte sie sie mit den beiden Schüssen ausschalten, oder ernsthaft verletzen wollen, so hätte sie sie ganz sicher getroffen, doch nichts dergleichen war geschehen, sodass Jodie langsam das Gefühl beschlich, dass die Kriminelle sie absichtlich zweimal verfehlt hatte. Diese Theorie war gewagt und die andere Blondine hatte heute bewiesen, dass sie durchaus keine weiße Weste hatte, dennoch hörte die junge Agentin auf ihre Innere Stimme, welche ihr flüsterte, dass sie es wagen konnte sich der Älteren weiter vorsichtig zu nähern.

„Bleib stehen, oder die Nächste trifft!“, drohte Chris ihr, diesmal mit deutlich aufgebrachterer Stimme, doch obwohl die Blondine diese Warnung in den Wind schlug, verfehlten auch die Schüsse Nummer drei und vier sie knapp.

Mit jedem Schuss, der sie verfehlte, sah Jodie sich in ihrer Theorie ein wenig mehr bestätigt, erst recht, als ihr Gegenüber schließlich einen kleinen Schritt zurückwich.

„Du legst es wirklich darauf an, oder? Hast du es wirklich so eilig zu sterben?!“, drohte die Schauspielerin, doch inzwischen war die FBI Agentin sich fast schon ganz sicher, dass sie nur bluffte.

Schuss Nummer fünf verfehlte um wenige Zentimeter ihren Oberschenkel, der sechste Schuss rauschte knapp an ihrer Schulter vorbei. Für einen kurzen Moment blieb die Agentin stehen. Die beiden Frauen starrten sich an. Chris richtete die Waffe erneut auf ihr Gegenüber, doch als sie den Abzug diesmal betätigte, ertönte nur noch ein Klicken, konnte die Pistole doch genau sechs Schuss abgeben, ohne nachgeladen zu werden, und das hier, wäre der siebte Schuss gewesen.

Auf die Lippen der jungen Frau stahl sich ein leichtes Lächeln. Sie setzte sich wieder in Bewegung, erreichte die Frau mit den hellblonden Haaren schließlich und versetzte ihr einen Schubs, der sie rückwärts gegen den Container hinter sich taumeln ließ. Das Blech des Containers gab ein lautes Scheppern von sich, als die Kriminelle mit dem Rücken dagegen stieß. Die Agentin setzte ihr in einer fließenden Bewegung nach und schaffte es, der Anderen mit einem geübten Griff die Waffe abzunehmen.

„Hunde die bellen, beißen nicht. Mit Menschen verhält es sich genau so. Du hättest mich mit jedem Schuss mit Leichtigkeit töten können, aber du hast mich absichtlich jedes Mal verfehlt, nicht wahr?“

Die Kriminelle sträubte sich heftig gegen den Griff, mit welchem die junge Agentin versuchte sie an der Flucht, oder überhaupt irgendeiner weiteren Aktion zu hindern. Da die beiden Frauen ungefähr gleich groß waren, rangen sie kurzzeitig miteinander, doch hier kam Jodie ihre Ausbildung zu Gute. Während ihr Gegenüber herausragend schauspielern konnte, hatte sie bereits früh gelernt, mit welchen Griffen man Verdächtige und Zielpersonen fixieren konnte, ohne sie dabei ernsthaft zu verletzen. Erneut gelang es ihr, die amerikanische Schauspielerin gegen die Wand des Containers zu drücken und da diese nicht riskieren wollte, sich am Ende noch den Arm auszukugeln, gab sie das Vorhaben, sich freikämpfen zu wollen, schließlich auf.

Einen Moment lang starrten sie sich an, ehe der Blick der Agentin wieder zu ihren Handschellen fiel, welche sie bei dem kurzen Kräftemessen eben glücklicherweise nicht verloren hatte.

„Du bist festgenommen. Zwar hast du mich heute mehr oder weniger vor den drei Angreifern vor dem Supermarkt beschützt, allerdings hättest du die drei dabei beinahe getötet. Und wenn es stimmt, und du wirklich ein Teil dieser Organisation sein solltest, dann ist das wohl erst die Spitze des Eisbergs.“

Sie machte sich daran, die Handschelle um das erste Handgelenk der Anderen zu schließen, doch noch ehe sie die Handschelle wirklich befestigt hatte, hielt sie kurz inne. Ob es ihr gefiel oder nicht, musste die Agentin an die letzten Wochen denken, in welchen sie quasi täglich mit Chris zu tun gehabt hatte. Wie sehr hatte es ihr zu Beginn widerstrebt, den Bodyguard für die Schauspielerin zu mimen, die davon ja selbst nicht all zu begeistert gewesen war. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie lange es gedauert hatte, bis sie sich langsam an die Arbeit mit der eigensinnigen Blondine gewöhnte und auch daran, wie sie nach dem ersten Angriff dieser Kleinkriminellen, zum ersten Mal Wärme in Chris Blick hatte aufblitzen sehen. Sie hatte sich später sogar überwunden, mit der Schauspielerin über ihre Vergangenheit zu reden und so schrecklich es auch war, dass deren Mutter für den Horror ihrer Kindheit verantwortlich war, so sehr hatte sie die Reue im Blick der Tochter gesehen. Seit diesem Gespräch, nachdem die Agentin sturzbetrunken auf dem Sofa ihres Schützlings übernachtet hatte, waren die beiden besser miteinander ausgekommen und nachdem sie endlich den Menschen in ihr gesehen hatte, hatte ihr schönes Gegenüber es erschreckenderweise nach und nach geschafft, ihr gehörig den Kopf zu verdrehen. Um so mehr schmerzte es nun, der Älteren hier und jetzt die Handschellen anlegen zu müssen, auch wenn die Amerikanerin die ganze Zeit über höchst wahrscheinlich nur eine Rolle gespielt hatte.

Schließlich seufzte sie und ließ die Handschellen für einen Moment sinken. Warum nur, musste das alles gerade so schwer sein?! Ihre Kollegen hätten mit dieser Situation sicherlich nicht solche Probleme gehabt und ausgerechnet sie, die die Schauspielerin eigentlich hassen sollte und der man aus diesem Grund diese Mission beinahe nicht übertragen hätte, brachte es nun nicht fertig, die verdammten Handschellen zu schließen.

„Warum hast du eben absichtlich daneben geschossen? Warum hast du mich nicht schon längst ausgeschaltet, wenn du die ganze Zeit über bereits wusstest, dass ich nur undercover als Bodyguard arbeite?!“

Chris bewegte sich, was Jodie im ersten Moment reflexartig dazu brachte, ihren Griff zu verstärken, doch als sie merkte, dass ihr Gegenüber sich lediglich zu ihr umdrehen wollte, ließ sie sie.

„Sind das nicht eigentlich Fragen, die du dir selbst beantworten kannst?“, hakte die Kriminelle nach und sah sie nun deutlich ruhiger an. In den blauen Augen der Agentin spiegelte sich deutlich, wie sehr der heutige Tag sie durcheinander gebracht und verletzt hatte und unwillkürlich schwand die Feindseligkeit aus Chris Blick.

„Sag du's mir.“, forderte Jodie sie auf. „Wie soll ich deine Beweggründe nachvollziehen, wenn ich mir noch nicht einmal sicher sein kann, wann du eine Rolle gespielt hast und wann nicht? Verdammt, ich kann nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob du mir in der ganzen Zeit überhaupt ein einziges Mal dein wahres Gesicht gezeigt hast! ...Aber so, wie ich dich gerade erlebt habe, bezweifle ich das ehrlich gesagt.“

„Das ist die Kehrseite daran, jede Rolle spielen zu können. Die Leute wissen nicht mehr, wann du schauspielerst und wann du einfach du selbst bist.“, erwiderte die Amerikanerin mit bitterer Ironie.

„Du sagst es ja selbst. Also wirst du mir das alles wohl schon ein wenig genauer erläutern müssen, wobei eine perfekte Schauspielerin zweifelsohne auch eine ebenso gute Lügnerin ist.“

Bei dieser Aussage flatterte ein kurzer Schatten über den Blick der Älteren. Jodie fiel auf, wie leicht es aktuell war, die Handgelenke der Anderen festzuhalten,was wohl schlicht und ergreifend daran liegen musste, dass ihr Gegenüber es ihr erlaubte und aktuell nicht zu fliehen versuchte.

Einen Moment zögerte Chris noch, ehe sie schließlich das Wort ergriff. Sobald die Schauspielerin zu sprechen begonnen hatte, versuchte Jodie den Puls ihrer Handgelenke zu fühlen, in der Hoffnung, auf diese Art und Weise besser Schauspiel von Realität unterscheiden zu können.

„Na schön, ich gebe zu, dass ich zu Beginn wenig begeistert darüber war, dass das FBI mir mit dir nun schon den dritten Undercoveragenten auf den Hals gehetzt hat und ursprünglich hatte ich vor, dich genau so schnell loszuwerden wie die anderen beiden, allerdings hast du mein Interesse geweckt, als du es auf der Eröffnungsfeier damals geschafft hast, meine Tarnung zu durchschauen. Und so offensichtlich, wie du mich gehasst hast, hast du dich noch einmal ein wenig von deinen Kollegen unterschieden.“ Sie zuckte mit den Schultern.

Jodie musterte ihr Gegenüber genau, welches derzeit jedoch nicht den Eindruck machte, sich etwas auszudenken. „Also war ich die ganze Zeit über so etwas wie ein interessantes Spielzeug für dich?“, stellte sie fest.

„In den ersten paar Wochen liegst du damit goldrichtig.“, gab Chris offen zu. „Es war amüsant, wie leicht es war dich aus der Fassung zu bringen. Ich musste dir ja lediglich auf den Arm tippen, um deine Aufmerksamkeit zu bekommen und du hast jedes Mal so ausgesehen, als hättest du mich allein dafür schon am liebsten umgebracht und trotzdem hast du gleichzeitig versucht den glaubhaften Bodyguard zu mimen.“ Für einen Moment wirkte die Schauspielerin amüsiert.

Trotz der bitteren Situation, konnte die Agentin nicht anders, als ebenfalls kurz zu schmunzeln, nun, wo sie versuchte sich die vergangenen Wochen aus Chris Perspektive vorzustellen.

„Schön und gut, aber war es nicht recht gefährlich, ausgerechnet eine FBI Agentin in deine Wohnung zu lassen?“

„Nicht im Geringsten. Denkst du, ich wäre so unvorsichtig, auch nur ein einziges verdächtiges Dokument in den eigenen vier Wänden zu lagern? Wer sich in der Wohnung umsieht, wird rein gar nichts verdächtiges finden. Und nachdem du den halben Alkoholvorrat vernichtet hast, hast du wohl erst recht keine Bedrohung mehr dargestellt“, entgegnete die Ältere unbeeindruckt.

„Trotzdem, inzwischen weiß ich eindeutig zu viel, nicht wahr? Hättest du mich eben erschossen, wärst du jetzt nicht in dieser Situation.“ Die junge Agentin legte den Kopf leicht schief.

Chris blickte sie an und lachte leise, ehe sie wieder ernst wurde. „Damit hast du wohl Recht, allerdings gibt es da ein Problem.“

„Ach ja?“

„Nachdem du das Risiko eingegangen bist, mich vor diesen Kleinkriminellen in der Seitenstraße zu beschützen, hast du dich mir gegenüber anders verhalten. Nicht mehr so feindselig. Offener. Zu diesem Zeitpunkt habe ich aufgehört zu schauspielern.“, gab die Kriminelle schließlich zu.

Jodie starrte sie überrascht an und Chris wich ihrem Blick seitlich aus. „Spätestens an dem Abend, an dem sich herausgestellt hat, was meine Mutter deiner Familie angetan hat, hattest du mich. Seit diesem Tag hast du mir vertraut und ich...ich wusste, dass ich dir nichts mehr tun könnte, auch wenn du hinter mein Geheimnis kommen solltest.“

Einen Moment lang schwieg die junge Agentin und dachte über die Worte ihres Gegenübers nach. Einerseits klang ihre Aussage logisch, andererseits nicht nach den Worten, die man von einer Kriminellen erwartete.

„Wenn ich es mir recht überlege, hast du vermutlich in einem Punkt nicht gelogen. Du hast nie behauptet, eine bessere Person als deine Mutter zu sein, nur, dass du keine Pyromanin bist.“ Sie schmunzelte bitter. „Aber wie soll ich wissen, ob ich dir diese Geschichte glauben kann?“, hakte sie nach.

Die Schauspielerin nickte in Richtung ihrer Pistole, welche einige Meter weiter auf dem Boden lag, nachdem Jodie sie ihr abgenommen hatte. „Da hast du deinen Beweis. Ich hätte dich mit Leichtigkeit töten können und glaub mir, jede andere Person läge nun dort in ihrem eigenen Blut.“

Bei ihren Worten, lief der Blondine ein kalter Schauer über den Rücken. Das Chris keinerlei Skrupel hatte auf jemanden zu schießen, hatte sie erst heute vor dem Supermarkt bewiesen. Hier in der Lagerhalle hätte die andere Blondine jeden Grund gehabt sie auszuschalten und wohl auch jede Möglichkeit, dennoch lebte sie und war unverletzt.

Die FBI Agentin war verwirrt, wütend und erleichtert zugleich. Noch immer hatte sie ihre Schwierigkeiten damit, ihr Gegenüber als Schwerstkriminelle zu sehen, nur langsam verstand sie die ganze Situation wirklich und gleichzeitig war sie unglaublich froh nun zu wissen, dass Chris ihr seit Wochen ihr wahres Gesicht gezeigt hatte, auch wenn sie ihr gegenüber natürlich nie hatte zugeben können, dass sie neben ihrer Schauspielkarriere noch eine zweite, kriminelle Karriere hatte. Dann wurde ihr schlagartig klar, dass die andere Amerikanerin, wenn sie ihr gegenüber nicht geschauspielert hatte, folglich auch...

Die grünen Augen der Älteren blitzten amüsiert auf, als sie die Röte auf Jodies Wangen bemerkte, als diese sich noch einer ganz anderen Tatsache bewusst wurde.

„Blitzmerker.“, meinte sie nur. „Du bringst es nicht fertig mir die Handschellen anzulegen, ich kann dich wiederum nicht aus dem Weg räumen. Ziemlich blöde Situation, was?“

„Du sagst es. Allerdings kann ich dich nicht gehen lassen. Das, was du getan hast, ist keine kleine Ordnungswidrigkeit mehr.“, stellte die Agentin fest, blickte Chris an, dann widerstrebend die Handschellen.

„Ich weiß. Genau so, wie ich durchaus verstanden habe, dass du mir in den ganzen letzten Wochen ständig schöne Augen gemacht hast.“

Die Röte auf den Wangen der Jüngeren verstärkte sich nur noch. „Und mir ist nicht entgangen, dass du selbst nicht viel besser warst und darauf eingegangen bist, allerdings verstehe ich nun auch, warum du mich ab einem gewissen Punkt immer hast abblitzen lassen, oder das Thema gewechselt hast. Du wusstest, dass das FBI und eine kriminelle Organisation sich nicht all zu gut verstehen und das wir uns eines Tages in genau dieser Situation gegenüberstehen würden.“

Obwohl sie durchaus froh war, sich vor der anderen Blondine nicht die ganze Zeit über zum Affen gemacht zu haben, da die Schauspielerin ihr eben zu verstehen gegeben hatte, dass sie ähnlich für die Agentin empfand, wie diese für die Kriminelle, war da dieser deutliche, bittere Beigeschmack.

Das hier hatte keine Zukunft und sie wussten es. Die Situation hatte sich nicht geändert. Sie würde die Ältere nun wohl oder übel festnehmen müssen, ganz egal, wie sehr ihr dies persönlich missfiel.

„Ich habe vorhin ein Telefonat unterbrochen, als ich dein Motorrad hier vor der Lagerhalle entdeckt habe. Der Kollege, mit dem ich telefoniert habe, kennt mich gut genug um zu wissen, dass ich im Begriff war mich in eine nicht ganz ungefährliche Situation zu begeben. Wir sollten jetzt aufbrechen, ehe mein Kollege am Ende noch mein Handy orten lässt und ein Großaufgebot an Polizisten und Agenten hier in den Hafen beordert.“, ergriff Jodie schließlich wieder das Wort und schloss die erste Handschelle zögerlich um Chris linkes Handgelenk.

Die Kriminelle hatte nichts unternommen um dies zu verhindern, doch ehe die Jüngere die Handschelle um ihr rechtes Handgelenk schließen konnte, zog sie die Hand zurück, nur um sie im nächsten Moment leicht auf die Hand der Agentin zu legen.

„Warte noch einen Moment. Vermutlich hast du Recht, was deine Kollegen betrifft und nachdem du unsere Begegnung hier wohl für dich entscheiden konntest, werde ich mit dir gehen, aber bevor wir aufbrechen, gib mir noch die Gelegenheit eine Sache zu tun.“

Fragend legte die Jüngere den Kopf leicht schief. „Und die wäre?“

„Das wolltest du doch die ganzen letzten Wochen, oder?“, erkundigte die amerikanische Schauspielerin sich, ehe sie ihre freie Hand an die Wange der Agentin legte, sich zu ihrem Gegenüber beugte, kurzzeitig Blickkontakt suchte und sie schließlich küsste.

Wirklich überrascht war die junge Frau über die Aktion der anderen Blondine nicht, hatte sie spätestens in dem Moment gewusst, was diese vorgehabt hatte, als diese ihre Hand an ihrer Wange platziert hatte. Etwas dagegen hatte sie auch nicht, hatten sie sich in den letzten Wochen doch bereits mehrfach beinahe geküsst und jedes Mal war es aufs neue frustrierend gewesen, wenn Chris sich im letzten Moment weggedreht hatte und so getan hatte, als wäre nie etwas gewesen.

Jetzt verstand sie auch, warum die Kriminelle immer abgeblockt hatte, hatte Chris schließlich gewusst, dass sie eigentlich auf zwei verschiedenen Seiten standen. Sie hatte ihr schlicht und ergreifend keine falschen Hoffnungen machen wollen.

Jetzt jedoch, hatte sich so vieles geklärt und dies hier würde vermutlich die letzte Gelegenheit sein, sich überhaupt einmal nahe zu sein. Die Blondine schloss die Augen. Wie konnte etwas, was sich so richtig anfühlte, nur so falsch sein? Eigentlich waren die beiden Frauen so etwas wie Gegner und sollten sich nicht einmal sympathisch sein. Dies hier, war wohl die einzige und letzte Gelegenheit, sich ihre Zuneigung zu zeigen und so bitter dieses Wissen auch war, so sehr genoss Jodie gleichzeitig auch Chris Lippen auf ihren.

Schließlich gingen sie wieder ein wenig auf Abstand. Die Agentin öffnete die Augen und wusste, dass der Moment vorbei war. Nahe, wie sie der Schauspielerin gerade stand, blickte sie ihr unweigerlich in die grünen Augen und erkannte darin, dass auch die Ältere sich der Tatsache bewusst war, dass es nun an der Zeit war zu gehen.

Doch plötzlich war da dieses Funkeln in Chris Augen, welches Jodie sofort in Alarmbereitschaft versetzte, doch ihr blieb keine Zeit mehr zu reagieren. So kooperativ, wie die Blondine sich die ganze Zeit über verhalten hatte, so urplötzlich warf sie sich nun gegen die FBI Agentin und stieß die überrumpelte Frau geradewegs in den offen stehenden Container, vor dem sie die ganze Zeit über gestanden hatten.

Jodie strauchelte nach hinten, verlor dummerweise das Gleichgewicht und fand sich im nächsten Moment auf dem Boden des Containers sitzend wieder. Verletzt hatte sie sich nicht, nur erschrocken, doch dadurch, dass sie auf dem Boden gelandet war, gelang es ihr nicht mehr schnell genug aufzustehen, um Chris an ihrer nächsten Aktion zu hindern.

Die Kriminelle schloss eiligst erst eine Seite des Containers, dann die zweite. Gerade als Jodie sich wieder aufgerappelt hatte und sich von innen gegen die Türen warf, war es der Schauspielerin gelungen, einen schweren Riegel von außen vor den Container zu schieben.

Von jetzt auf gleich buchstäblich von der Dunkelheit verschluckt, erkannte die junge Agentin, dass sie in der Falle saß. Die Türen des Containers würde sie allein so leicht nicht öffnen können.

„Chris! Was zum?! Lass mich hier raus!“, rief sie nach der Kriminellen. Diese klopfte von außen leicht gegen die Wand des Containers.

„Es tut mir leid, das kann ich nicht tun. Genau so wenig, wie ich mich von dir festnehmen lassen kann. Würde man mich den USA ausliefern, würde ich höchst wahrscheinlich in der Todeszelle enden und du verstehst hoffentlich, dass ich das verhindern möchte.“

Kurzzeitig schwieg sie, dann ergriff die Amerikanerin erneut das Wort. „Alles, was ich dir eben gesagt habe, entsprach der Wahrheit, lediglich als ich dir versichert habe, mich gleich von dir festnehmen und mitnehmen zu lassen, habe ich wohl geflunkert. Aber keine Angst, du wirst hier schon nicht versauern. Ich habe dir eben dein Handy abgenommen und werde jemanden hier her schicken, der dich aus dem Container holt, sobald ich einen gewissen Vorsprung gewonnen habe.“

Von jetzt auf gleich die Stimme der FBI Agentin perfekt imitierend, fügte die Blondine hinzu :“Wenn ich von deinem Handy aus anrufe und mich deiner Stimme bediene, werden deine Kollegen erst wissen was passiert ist, wenn sie hier sind und dich hier rausholen.“

Für einen Moment legte Chris ihre Hand an die Wand des Containers. „Es tut mir leid, Jodie. Ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen kennengelernt.“

Nach diesen Worten sammelte sie noch rasch die auf dem Boden liegende Pistole ein, ignorierte die Jüngere, die nach ihr rief und verließ die Lagerhalle schließlich durch das Loch in der Wand wieder.

Draußen atmete sie die kühle Nachtluft ein, schüttelte den Kopf um zu versuchen ihr schlechtes Gewissen, sowie das starke Verlangen nach einer Zigarette vorerst irgendwie zu verdrängen, ehe sie sich auf ihr Motorrad setzte und auf und davon fuhr.

Sobald sie ein wenig Abstand zur Lagerhalle gewonnen hätte, würde sie mit Jodies Stimme und deren Handy einen Kollegen der Blondine kontaktieren, dessen Nummer sich hoffentlich abgespeichert in dem fremden Handy finden würde. Anschließend wäre es an der Zeit das Handy loszuwerden und dann möglichst viel Abstand zwischen sich und das Hafengelände zu bringen.

In der Wohnung, in der sie aktuell lebte, sollte sie sich wohl besser nicht mehr blicken lassen, doch sobald sie die Gelegenheit dazu bekommen hätte, in eine von vielen Verkleidungen zu schlüpfen, sollte sie mehr Zeit haben, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie genau sie das ganze Chaos nun eigentlich wieder gerade bügeln wollte.

Während Chris sich möglichst rasch vom Hafengelände entfernte, saß die junge Agentin für den Moment im Container fest, verschluckt von der Dunkelheit.

Vergeblich hatte sie nach der anderen Blondine gerufen, damit diese den Riegel von der Tür entfernte. Inzwischen musste die Ältere ihr Heil in der Flucht gesucht haben, war es nun doch verdächtig still in der Lagerhalle. Mehrfach hatte sie sich mit ganzer Kraft gegen die Türen des Containers geworfen, doch der Riegel an der Außenseite hielt. Ohne fremde Hilfe zu entkommen, stellte sie vor ein ernsthaftes Problem.

Schließlich gab Jodie das Vorhaben auf, mit blanker Gewalt die Türen des Containers aufzubrechen, hielt für einen Moment lang inne und lehnte sich an eine der Wände, um darüber nachzudenken, was sie nun tun sollte.

Chris hatte gesagt, dass sie ein Mitglied des FBIs vorbeischicken wollte, um die andere Blondine wieder aus dem Container zu holen. In ihrem Handy hatte Jodie in der Tat die Nummern einiger Kollegen abgespeichert, doch war sie sich nicht sicher, in wie weit sie dem Wort der Anderen Glauben schenken konnte.

Verdammt! Wie hatte sie nur so dumm sein können?! Sie hatte die dunkle Seite der Schauspielerin doch heute erst mit eigenen Augen gesehen und doch hatte die Ältere es geschafft, sie auszutricksen. Sie hätte es wissen müssen!

Und obwohl sie es spätestens jetzt eigentlich besser wissen sollte, war es für die Agentin noch nicht einmal das größte Problem zeitweilig in der Lagerhalle festzusitzen, sondern sich erneut die Frage zu stellen, was von dem, was Chris gesagt hatte, nun wirklich der Wahrheit entsprochen hatte und was erneut nur eine schauspielerische Glanzleistung gewesen war.

Einerseits ergab es durchaus Sinn, dass die andere Blondine vermeiden wollte für lange Zeit hinter Gittern zu landen, oder gleich ein verfrühtes Ende durch die Giftspritze zu finden, andererseits fragte sie sich unweigerlich auch, welche Worte für Chris eben wohl nur ein Mittel zum Zweck gewesen waren, damit ihr die Flucht hatte gelingen können. Die Kriminelle hatte es darauf angelegt, Jodie unaufmerksam werden zu lassen. Die Andere hatte die Agentin sogar so weit abgelenkt, dass sie es geschafft hatte, sich deren Handy unter den Nagel zu reißen.

Hatte die Frau mit den hellblonden Haaren mit dem gesamten Gespräch also nur darauf abgezielt, sie in Sicherheit zu wiegen um auf eine passende Gelegenheit zur Flucht zu warten? Aber wenn alles, was sie gesagt hatte, eine Lüge gewesen war, dann gäbe es ebenfalls einige Ungereimtheiten. Wenn Jodie der Anderen in Wirklichkeit ganz einfach egal wäre, warum hätte sie dann das Risiko eingehen sollen, sie am Leben zu lassen, nun wo ihr Geheimnis aufgeflogen war? Warum hätte Chris gleich sechs Mal auf sie schießen, aber jedes Mal so knapp verfehlen sollen, wo sie doch eine gute Schützin war? Warum sollte sie die Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, quasi dauerhaft auf der Flucht zu sein, sobald die Agentin es aus dem Container geschafft hätte? Das alles ergab doch keinen Sinn. Verwirrt und frustriert schüttelte sie den Kopf. „I'm such an idiot...“, murrte sie. „And you are a liar.“

Unsicher, was genau sie nun von dem Gespräch und der darauffolgenden Aktion der Kriminellen zu halten hatte, blieb ihr dennoch nichts anderes übrig als abzuwarten, was weiter passieren würde.

Ihr selbst gelang es nicht, aus dem Container auszubrechen und bis Hilfe kommen würde, würde es mit Sicherheit noch dauern. Wenn Chris ihr überhaupt jemanden vorbeischickte...

Ob es ihr nun gefiel oder nicht, Jodie saß in der Lagerhalle fest und konnte aktuell nichts weiter tun als abzuwarten. Eine Weile lang herrschte vollkommene Stille in der abgelegenen Halle, doch schließlich hörte sie, wie sich Schritte dem Container näherten, in welchem sie gefangen war.

Hatte die Kriminelle also wirklich jemanden angerufen, der sie hier rausholen würde? Aber auch wenn es hier drinnen so dunkel war, dass sie ihre Uhr nicht lesen konnte, so hatte die FBI Agentin doch das Gefühl, dass die eventuelle Hilfe hier viel zu schnell aufgetaucht war. Selbst wenn Chris jemanden angerufen hatte, so schnell wäre doch keiner ihrer Kollegen im Hafengebiet. Oder ob die Blondine selbst zurückgekommen war? Aber das wäre noch absurder.

„Ist da jemand? Hallo?“, ergriff die junge Agentin schließlich das Wort. „...Chris?“, erkundigte sie sich ein wenig unsicherer.

Eine Antwort erhielt sie nicht, doch die Schritte steuerten genau auf den Container zu, in welchem sie gefangen war. Schließlich blieb die Person direkt vor den verriegelten Türen stehen. Oder waren es zwei Personen? Genau konnte Jodie es nicht sagen, aber es hatte sich eher angehört, als hätten mehrere Personen die Halle durchquert.

Wer immer es auch war, sie würde es bald wissen, konnte sie doch nun hören, wie sich die Person von außen an dem Riegel zu schaffen machte, welcher den Container absperrte. Schließlich wurden die Türen geöffnet und die Blondine spähte hinaus, in der Hoffnung ein vertrautes Gesicht zu erblicken. Doch die Personen, die nun vor ihr standen, waren ihr gänzlich unbekannt.

Dadurch, dass es inzwischen später Abend, oder sogar bereits Nacht sein musste, war es auch in der Lagerhalle selbst recht dunkel und die beiden Gestalten waren nur schemenhaft zu erkennen. Vor ihr stand eine zierlich gebaute Frau mit einem gewöhnungsbedürftigen Kurzhaarschnitt und einem hautengen, dunklen Motorradanzug, sowie ein hoch gewachsener Mann mit kantigen Gesichtszügen, welcher bereits nicht mehr der Jüngste war. Auf einen Blick war Jodie jedoch klar, dass es sich bei den beiden Fremden keinesfalls um Zivilisten handeln konnte, waren die beiden doch mit Waffen ausgerüstet, mit welchen sie sie ins Visier nahmen, kaum dass die Tür geöffnet war. Bei den Waffen handelte es sich nicht um Pistolen, sondern um Gewehre, wie Scharfschützen sie verwendeten. Schlagartig war ihr klar, dass die eigentlichen Schwierigkeiten gerade erst begonnen hatten.

„Sieh sie dir genau an, Korn. Das hier ist also die Kleine, der Vermouth eben kein Haar gekrümmt hat.“

„Ich frage mich was Gin davon halten wird.“

„Ich frage mich eher, ob sie der Schlüssel dafür ist, um die falsche Schlange endlich auffliegen zu lassen.“ Die Unbekannte lachte grell, während ihr Begleiter mit dem Gewehr ausholte und es somit spontan zu einer Schlagwaffe umfunktionierte.

 

Kurz bevor sie das abgelegene Gelände verlassen hatte, hatte die Schauspielerin noch einmal angehalten. Sie durchsuchte das Handy, welches sie der FBI Agentin eben entwendet hatte, bis sie im Telefonbuch einige Nummern gefunden hatte,die Kollegen der Blondine gehören könnten.

Einem Impuls folgend, notierte sie sich die Nummern noch einmal auf einem kleinen Zettel, ehe sie die Person anrief, mit welcher Jodie zuletzt telefoniert hatte. Da auf dem Handy drei Anrufe in Abwesenheit ersichtlich waren, ging Chris davon aus, das besagte Person vermutlich sowieso auf einen Rückruf der Agentin wartete.

Obwohl sie sich der Stimme der Jüngeren bediente und diese perfekt imitierte, brauchte es nicht lange, bis der Mann am anderen Ende der Leitung bemerkte, dass es nicht seine Kollegin war, mit der er da telefonierte. Ihr Gesprächspartner schnappte, dass sie ihm sofort eine Erklärung liefern sollte, was genau sie mit Jodie angestellt hatte, doch Chris ging nicht näher darauf ein und wies den Fremden nur noch einmal darauf hin, dass man die Container im Hafen genauer unter die Lupe nehmen sollte, wenn die junge Agentin wieder auftauchen sollte. Das ihr Gesprächspartner aufgrund dieser Aussage den Eindruck bekommen könnte, dass der anderen Blondine Schlimmes widerfahren war, dessen war sie sich durchaus bewusst, doch sicherlich würden nun Leute ausrücken um nach der Agentin zu suchen.

Die Kriminelle, die davon ausging, dass die Jüngere unbeschadet in dem Container festsaß, in welchem sie sie zurückgelassen hatte, beendete das Telefonat schließlich ohne auf weitere Fragen einzugehen, ehe sie das Handy so gut es ging von Fingerabdrücken befreite und es anschließend mit einem beherzten Wurf ins Hafenbecken beförderte.

Schließlich schwang sie sich wieder auf ihr Motorrad und ließ das verlassene Gelände endgültig hinter sich. Mit vollkommen überzogenem Tempo jagte sie ein Stück über die Autobahn, auf welcher nachts nicht all zu viel los war und versuchte den Kopf frei zu bekommen.

Sie hatte gewusst, dass Jodie ihre Tarnung irgendwann durchschauen würde, nur war sie bis zu dem Vorfall vor dem Supermarkt nicht davon ausgegangen, dass dies so schnell der Fall sein würde.

Hätte sie in der Lagerhalle nur richtig gezielt, oder aber bereits vor dem Supermarkt nicht eingegriffen, dann hätte sie die aktuellen Probleme erst gar nicht, doch als sie der Agentin vorhin gestanden hatte, dass sie es nicht über sich gebracht hatte ihr zu schaden, hatte sie nicht gelogen. Obwohl sie sich der Tatsache bewusst war, dass Jodie und sie eigentlich von Anfang an Gegnerinnen gewesen waren, so hatte sie doch nicht verhindern können, dass diese sich mit der Zeit in ihr Herz geschlichen hatte. Jemanden lieb zu gewinnen, dass war ein Fehler, der einem Organisationsmitglied eigentlich nicht unterlaufen durfte. Andere hätte sie für so ein Verhalten sogar belächelt, doch nun hatte es eine Person geschafft, innerhalb der letzten Wochen ausgerechnet ihre menschliche Seite zum Vorschein zu bringen.

 

Nachdem die Blondine die Autobahn schließlich wieder verlassen hatte und deutlich zahmer durch die Stadt gefahren war, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen, hatte sie schließlich einen Außenbezirk der Stadt erreicht und war vor einem Mehrfamilienhaus angehalten. Das Motorrad wurde rasch in der Tiefgarage verfrachtet, ehe sie das Wohnhaus betrat und mit einem Schlüssel ein kleines, unscheinbares Appartement öffnete. Natürlich war diese Unterkunft kein Vergleich zu ihrer eigentlichen Wohnung hier in Tokyo, doch dies war nun erst einmal zweitrangig. Personen mit einer kriminellen Karriere taten eben gut daran, mehr als nur einen Unterschlupf zu haben.

Kaum das sie die Türe hinter sich geschlossen hatte, zündete Chris sich eine Zigarette an, ehe sie sich auf ein bequemes Sofa fallen ließ.

Der heutige Tag glich einer Katastrophe! Sie musste jetzt dringend einen klaren Kopf gewinnen, um sich dann einen Plan zurechtzulegen, wie sie das Beste aus diesem Desaster machte und das ganze Chaos wieder gerade bügelte. Zuerst einmal sollte sie gleich Make-Up und andere Materialien zusammensuchen, um eine Tarnung zu entwerfen. Nach dem heutigen Vorfall würden die Polizei, sowie auch das FBI ihr auf den Fersen sein und da wäre es sicherer, ganz einfach in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen, um sich ungefährdet in der Stadt bewegen zu können.

Gerade als sie die zweite Zigarette in den Aschenbecher befördern wollte, machte plötzlich ihr Handy mit einem Klingeln auf sich aufmerksam. Missbilligend verzog Chris das Gesicht. Wer rief denn um diese Uhrzeit noch an? Sie hatte aktuell nicht die größte Lust überhaupt zu telefonieren, dennoch riskierte sie einen Blick aufs Display und hob überrascht eine Augenbraue. Gin? Das der Silberhaarige sich nicht um Uhrzeiten scherte war nichts Neues, dass er seine Kollegen jedoch mitten in der Nacht anrief, war schon ein wenig ungewöhnlich. Der Blondine war klar, dass es irgendetwas Wichtiges sein musste, denn nur um ein wenig Smalltalk zu halten, hatte Gin wohl noch niemanden angerufen.

„Gin? Hast du mal auf die Uhr gesehen? ...Was gibt es denn?“, nahm die Blondine den Anruf schließlich entgegen und drückte den Zigarettenstummel derweil im Aschenbecher aus.

„Das gleiche könnte ich dich auch fragen.“, lautete die einfache Antwort.

„Ich bin jetzt wirklich nicht in der Stimmung irgendwelche Spielchen zu spielen. Sag mir schon was du willst.“ Bereits als ihr Handy geklingelt hatte, hatte Chris ein ungutes Gefühl beschlichen, welches sich nur noch verstärkte, obwohl sie den Grund des Anrufs bisher nicht kannte. Nun, noch kannte sie den Grund nicht, allerdings ahnte sie bereits worum es gehen könnte. Die Organisation hatte ihre Augen und Ohren überall, das wusste sie ganz genau.

„Ich mache es kurz. Chianti und Korn fragen sich, welchen Grund es wohl haben mag, dass du der Kleinen vom FBI vorhin kein Haar gekrümmt hast, obwohl sie hinter dein Geheimnis gekommen ist. Um ehrlich zu sein, stelle ich mir diese Frage auch.“

Die Amerikanerin war für den Moment heilfroh, dass sie nur mit ihrem Kollegen telefonierte, denn so konnte der Silberhaarige nicht sehen, wie sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht wich. Wenn ausgerechnet Chianti und Korn von der ganzen Sache wussten, konnte dies doch eigentlich nur bedeuten, dass die beiden Scharfschützen alles von einem Platz in der Nähe unbemerkt beobachtet haben mussten. Und wenn die zwei sich so sicher waren, dass sie der Agentin nichts getan hatte, bedeutete das am Ende dann... Der Kriminellen wurde eiskalt, als sie daran dachte, dass sie Jodie vorhin in dem Container eingesperrt zurückgelassen hatte und die Jüngere von der Anwesenheit der beiden Auftragskiller vermutlich genau so wenig mitbekommen hatte, wie sie selbst.

„So? Fragen sie sich das? Ich frage mich eher, woher die beiden überhaupt von dem Zusammentreffen wussten. Haben unsere Leute nichts besseres zu tun, als gleich zu zweit anderen Mitgliedern hinterher zu spionieren?“ Die Schauspielerin schaffte es, sich ihre Sorge nicht anhören zu lassen und gänzlich unbeeindruckt zu klingen.

„Du weichst meiner Frage aus, Vermouth.“, konnte sie Gins Stimme hören.

„Gut, wenn es dir nicht offensichtlich genug ist, dann will ich es dir gerne verraten. Es war schlicht und ergreifend nicht notwendig sie auszuschalten. Die Kleine weiß im Prinzip nichts über uns und stellt keine ernstzunehmende Gefahr da. Und dass das FBI mich nicht findet, wenn ich nicht gefunden werden möchte, sollte klar sein.“

„Du neigst zu waghalsigen Alleingängen, aber diesmal hast du den Bogen ein wenig überspannt. Nicht einmal der Boss wird so einen Leichtsinn noch billigen, meinst du nicht auch?“

Ihr Gesprächspartner war intelligent. Das er eine so billige Ausrede nicht schlucken würde, war der Blondine vollkommen klar gewesen, dennoch tat sie besser daran, die eigentlichen Gründe ihres Handelns nicht offen zu legen.

„Mach nicht so einen Wirbel um Dinge, die schon längst erledigt sind. Wenn Chianti und Korn so beunruhigt waren wie du sagst, dann haben sie doch sicherlich hinter mir aufgeräumt, nicht wahr?“ Chris war sich recht sicher die Antwort auf ihre Frage bereits zu kennen und dennoch wollte sie ihren Verdacht nicht durch Gin bestätigt wissen. Sie konnte sich das Blutbad, welches das FBI inzwischen im Hafengelände vorgefunden haben musste, bereits bildlich vorstellen und wenn sie daran dachte, zog sich ihr der Magen zusammen. Ihr wurde speihübel und eiskalt zugleich, wenn sie sich vorstellte, was die beiden Scharfschützen der jungen Agentin wahrscheinlich angetan hatten.

Vermutlich war es für Chianti sogar noch zweitrangig, dass Jodie inzwischen zu viel wusste. Die Scharfschützin würde es hauptsächlich interessieren, endlich einmal eine Möglichkeit gefunden zu haben, ihre blonde Kollegin zu verletzen, ohne dabei direkt den Boss gegen sich aufzubringen.

Wenn die beiden Sniper das ganze Gespräch im Hafen belauscht hatten, dann sollte es ihnen leicht fallen, 1+1 zusammenzuzählen.

„Wie man es nimmt. Sie haben zumindest dafür gesorgt, dass die Kleine nicht plaudern kann, indem sie sie mitgenommen haben, aber da du dieses Schlamassel verursacht hast, ist es auch an dir aufzuräumen.“

Die Blondine horchte auf. Wenn die beiden Sniper die Agentin nur verschleppt hatten, dann bedeutete dies zwar, dass die Jüngere noch lebte, doch wirklich viel hatte sich an der ganzen Situation trotzdem nicht gebessert.

„Du willst also das ich die ganze Geschichte zu Ende bringe? Nenn mir auch nur einen Grund, warum ich Befehle von dir entgegen nehmen sollte!“, schnaubte die Schauspielerin verärgert und versuchte sich auf diese Art und Weise das Chaos, welches derzeit in ihrem Kopf herrschte, nicht anmerken zu lassen.

„Dass du ausgerechnet eine Ratte vom FBI laufen lassen willst, gibt einigen Mitgliedern hier zu denken. Wenn du beweisen willst, dass du keine Verräterin bist, dann erscheine morgen um Punkt 16 Uhr am vereinbarten Treffpunkt und bring zu Ende, was du versaut hast. Wenn du dich nicht blicken lassen solltest, wird die Kleine trotzdem sterben, aber wir wissen dann, was wir von dir zu halten haben.“

Die Amerikanerin biss sich nervös auf die Unterlippe, ohne es wirklich zu registrieren. Es war selten, dass sie selbst einmal in eine solche Misere geriet und der Preis, den sie zahlen müsste, um den Kopf noch einmal aus der Schlinge zu ziehen, gefiel ihr ganz und gar nicht.

„Und wo genau soll ich nun morgen um 16 Uhr sein?“, hakte sie so unbeeindruckt wie möglich nach.

„Das werde ich dir morgen zu gegebener Zeit mitteilen.“, informierte Gin noch, dann beendete er das Gespräch.

Ungläubig starrte Chris ihr Handy an. Das war nicht gut. Ganz und gar nicht. Entweder sie bügelte ihren Fehler morgen aus, indem sie zur Waffe griff und den Anderen somit zeigte, dass sie keine Verräterin war, oder aber es würde nicht nur der FBI Agentin an den Kragen gehen, sondern auch ihr selbst.

Während sie damit begonnen hatte in dem kleinen Wohnzimmer auf und abzulaufen und unbewusst eine Zigarette nach der anderen rauchte, suchte die Schauspielerin verzweifelt nach einer Lösung für das Problem. Töten oder selbst getötet werden. Das waren die Optionen. Aber waren das wirklich alle Möglichkeiten?

Es war 8 Uhr morgens, als sie schließlich eine Entscheidung getroffen hatte. Eigentlich hätte ihr die Entscheidung leichter fallen sollen. Bisher hatte sie immer gut damit gelebt, ihren eigenen Vorteil vor das Wohl anderer zu stellen. Warum nur war ihr die Entscheidung diesmal so schwer gefallen? Was hatte diese Undercoveragentin bloß mit ihr angestellt, dass es ihr gelungen war, eine eigentlich gewissenlose Schwerstkriminelle in eine solche Lage zu bringen?

Nun zumindest glaubte sie eine Lösung für das Problem gefunden zu haben. Der Plan war mit hohen Risiken verbunden, sie wusste, dass sie viel riskierte und doch könnte ihre Idee funktionieren, wenn es ihr nur erst einmal gelang, die Dinge wie gewünscht ins Rollen zu bringen.

Als unscheinbarer junger Mann verkleidet, verließ die Schauspielerin schließlich das Haus, stockte erst einmal an einem Zigarettenautomaten ihren Vorrat an Zigarette wieder auf und begab sich dann auf die Suche nach einer Telefonzelle. Noch einmal sah sie sich um, dachte über diesen mehr als riskanten Schritt nach, atmete noch einmal tief ein und griff schließlich zum Telefonhörer.

„Und? Haben deine Kollegen gestern im Hafen das gefunden, was sie erwartet haben?“, ergriff sie schließlich das Wort, kaum das der Anruf entgegengenommen worden war.

Natürlich hatte jede Spur von der jungen Agentin gefehlt, erfuhr sie. Chris hatte es bereits geahnt, doch auf diese Art und Weise wusste sie nun auch, dass Gin nicht gelogen hatte, als er ihr gestern berichtet hatte, dass Jodie noch lebte und das es an ihr wäre, heute Nachmittag alles zu Ende zu bringen.

Knapp berichtete die Schauspielerin ihrem Gesprächspartner, warum gestern im Hafen letztlich jede Spur von der jungen Frau gefehlt hatte. Der Antwort ihres Gesprächspartners konnte sie entnehmen, dass dieser hin und her gerissen war, ihr entweder nicht zu glauben, oder aber ihr am liebsten den Hals umdrehen zu wollen.

„Nun, vielleicht bin ich gewillt euch in der Sache ein wenig unter die Arme zu greifen, aber natürlich nicht ganz umsonst, versteht sich. Ich habe einige Bedingungen. Geht ihr darauf ein, werden beide Seiten ihren Nutzen daraus ziehen.“

Einen Moment schwieg die Schauspielerin und lauschte der Antwort ihres Gesprächspartners. Obwohl hier gerade einiges auf dem Spiel stand, durfte sie sich unter keinen Umständen anmerken lassen, wie viel von der Entscheidung der anderen Seite abhing.

„Was geschieht, wenn ihr eine Zusammenarbeit ablehnt? Nun, das ist leicht. Deine Kollegin wird noch heute das Zeitliche segnen. Nicht mehr und nicht weniger.“

Erneut ließ sie den Mann am anderen Ende der Leitung ausreden und war froh, ihm gerade nicht persönlich gegenüberzustehen, schienen die Entführte und der Agent sich doch recht gut zu kennen, sodass sie keinen Zweifel daran hatte, dass ein direktes Zusammentreffen mit diesem Typen im Moment nicht sehr gut für sie geendet wäre.

„Nein, du musst dich nicht sofort entscheiden, ob sie leben oder sterben soll. Teile mir die Entscheidung ganz einfach heute um zehn Uhr persönlich mit. Oh und zwei Dinge noch : sind deine Leute bereit auf meine Bedingungen einzugehen, will ich, dass du die schriftliche Bestätigung mit Amtssiegel gut sichtbar vor dir auf den Tisch legst. Ich werde mich zu erkennen geben, sobald mir danach ist. Und haltet ihr euren Teil der Abmachung nicht ein, verspreche ich bereits jetzt, dass ihr kein Wort aus mir herausbekommen werdet und damit der Tod der Kleinen allein auf eure Kappe geht.“ Sie schmunzelte und lauschte der Antwort des Fremden.

„Wie ihr wissen wollt, ob ihr ausgerechnet jemandem wie mir vertrauen könnt? Nun, sagen wir, ihr habt gar keine andere Wahl. Das Leben deiner Bekannten hängt von unserem kleinen Deal ab. Wir sehen uns dann um zehn Uhr im Café auf dem Marktplatz in Beika.“

Mit diesen Worten beendete die Kriminelle das Telefonat, verließ rasch die Telefonzelle und tauschte im Bad eines Restaurants ihre derzeitige Tarnung, gegen die Rolle eines Oberschülers aus, um sicher zu gehen, auch weiterhin unerkannt zu bleiben.

Kurz schloss sie die Augen. Ob der erste Teil des riskanten Plans aufgehen würde, würde sich in knappen zwei Stunden zeigen. Sie wusste, dass sie trotz mehrfacher Absicherungen viel zu verlieren hatte und so vieles schief laufen konnte und dennoch wusste sie auch, dass für ihre eigentlichen Gegner ebenso viel auf dem Spiel stand.

 

Den ganzen Tag über war das Wetter trüb und verregnet geblieben. Obwohl das Hallendach den gröbsten Regen abhielt, war es mehr als nur frisch im Inneren der Halle. Der Wind pfiff durch die morschen Holzbretter, aus welchen das Gebäude vor vielen Jahren zusammengezimmert worden war und ließ die junge Frau frösteln. Hier und da waren mit der Zeit Löcher im Dach entstanden, welche von den Hafenarbeitern nur grob geflickt worden waren, da sich scheinbar niemand so recht für die Instandsetzung der alten Lagerhallen zuständig fühlte. Zwar hielt das alternde Gebäude dem gröbsten Regen stand, doch durch einige Lecks in der Decke tropfte es dennoch. Pfützen hatten sich auf dem staubigen Asphaltboden gebildet, doch für den schlechten Zustand des Gebäudes hatte die Blondine derzeit kein Auge.

Ihr war eiskalt, was nicht nur am Wetter lag, sondern viel mehr an der Tatsache, dass sie auf dem Boden der Halle saß und von vier zwielichtigen, bewaffneten Gestalten umgeben war.

Ihr Kopf schmerzte noch von dem Schlag, der sie gestern Abend vorübergehend ins Reich der Träume geschickt hatte. Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie sich im Kofferraum eines Wagens wiedergefunden und nach einer schier endlosen Autofahrt in Angst und Schrecken, hatten ihre Entführer sie schließlich in einer abgelegenen Ecke der Stadt in ein unbewohntes Gebäude gezerrt, wo sie sie bis zum nächsten Mittag festgehalten hatten. Sie hatte versucht wenigstes irgendeine Information aus den beiden Gestalten herauszubekommen, doch war dieses Vorhaben nicht unbedingt von Erfolg gekrönt gewesen.

Noch genau so unwissend und verstört wie zuvor, war die Blondine am frühen Nachmittag erneut zum Wagen gezerrt worden und hatte sich nach einer weiteren unfreiwilligen Fahrt im Kofferraum erneut im Hafengelände wiedergefunden. Wenn sie nicht alles täuschte, dann hatten die Fremden sie sogar in die gleiche Lagerhalle gebracht, aus welcher sie sie gestern erst noch entführt hatten, nur mit dem Unterschied, dass dort diesmal bereits zwei weitere Personen auf sie warteten.

Mit Schrecken hatte sie den großgewachsenen Silberhaarigen erkannt, welchem sie vor einigen Wochen bereits auf dem Laubengang vor Chris Appartement beinahe in die Arme gerannt wäre. Diesmal war der Mann in Begleitung eines bulligen Typen, dem man deutlich ansah, dass er zwar Muskeln, dafür aber wenig Verstand hatte.

Die vier Kriminellen hielten sie hier fest, mindestens einer richtete immer eine Waffe auf sie, um sie auf jeden Fall von einem Fluchtversuch abzuhalten. Wirklich viel hatte sie auch jetzt nicht in Erfahrung bringen können, doch dass sie in Schwierigkeiten war, war mehr als nur offensichtlich.

Jodie wusste, dass der Silberhaarige ein Bekannter von Chris war, welche wiederum ein Mitglied einer Verbrecherorganisation war, wie sich herausgestellt hatte. Es war kein Kunststück zu kombinieren, dass die vier Personen, welche sich derweil mit ihr in der Lagerhalle aufhielten, ebenfalls zu der kriminellen Gruppe gehörten. Die junge Agentin fürchtete, dass diese ganze Angelegenheit sehr übel für sie enden würde, auch wenn die Kriminellen ihr bisher sämtliche Informationen vorenthalten hatten. Obwohl diese Typen ihr noch nicht verraten hatte, was genau mit ihr passieren sollte, so konnte Jodie sich bereits denken, dass diese Leute sie hier festhielten, weil sie den Köder für irgendjemanden spielte.

„Noch fünf Minuten, dann ist 16 Uhr.“, ergriff der stämmige Typ das Wort, nachdem er einen Blick auf seine Armbanduhr riskiert hatte. „Meinst du, dass sie hier auftauchen wird, Aniki?“

„Das wird sich gleich zeigen.“, antwortete Angesprochener nur.

„Ein Auto nähert sich der Lagerhalle.“, informierte derweil Korn den Rest der Gruppe. Der Scharfschütze war auf einige gestapelte Container geklettert und spähte von seinem Platz aus aus dem Fenster der Halle, dessen Scheibe bereits vor einer ganzen Weile zu Bruch gegangen sein musste.

„Kannst du erkennen wer am Steuer sitzt, Korn?“, rief Chianti ihrem Kollegen zu. Die junge Frau mit den orangeroten Haaren stand derweil hinter der Agentin und hielt den Finger am Abzug ihrer Waffe, für den Fall, dass die Gefangene auf die Idee kommen sollte, irgendetwas unüberlegtes zu tun.

„Warte...“ Der ältere Schütze spähte durch das Visier seines Gewehrs. „Vermouth. Sie ist pünktlich. Ich wusste gar nicht, dass sie einen Geländewagen fährt.“

Während drei der Kriminellen ihre Aufmerksamkeit nun auf den Eingang der Lagerhalle richteten, stupste Chianti die Agentin mit dem Lauf des Gewehrs an. „Wenn das mal keine hübsche Geschichte ist. Hier hat alles angefangen und hier wird nun auch alles enden. Mach dich schon einmal bereit, dass deine liebe Freundin gleich zu Ende bringen wird, was sie gestern angefangen hat.“ Sie lachte.

Der Blondine schnürte sich die Kehle zu. Sie hatte gewusst, dass die ganze Sache nicht gut für sie enden würde, nun wusste sie auch, welches Ende diese Typen für sie geplant hatten.

Die Schauspielerin hatte sie gestern gehen lassen wollen, wovon ihre Kollegen jedoch Wind bekommen und dafür gesorgt hatten, dass das Ende der jungen Agenten sich lediglich um einige Stunden verzögerte. Jodie wusste, dass Chris ihr gestern eigentlich nichts hatte tun wollen, doch wie die Sache heute aussehen würde, wo vier weitere Verbrecher anwesend waren, die nur darauf warteten das endlich Blut floss, war die Frage.

Draußen vor der Halle erstarb das Motorengeräusch, dann war zu hören, wie sich eine Autotür öffnete und kurz darauf wieder schloss. Lange dauerte es nicht, da trat die Amerikanerin schließlich in die Lagerhalle, den Kragen ihres Mantels zum Schutz vor dem Regen hochgeschlagen.

„Du bist also pünktlich hier aufgetaucht. Und, wie hast du dich entschieden?“ Jodie fand, dass bereits der Klang von Gins Stimme etwas Unheilvolles hatte.

Sie konnte nicht anders, als die andere Blondine anzustarren, in der Hoffnung, irgendwie aus ihrer Mimik schlau zu werden, doch die Gesichtszüge ihres ehemaligen Schützlings waren nur kalt und unergründlich.

„Die Frage meinst du nicht ernst.“, ergriff Vermouth schließlich das Wort. „Wenn euch die bloße Existenz der Kleinen so beunruhigt, dann hättet ihr sie von mir aus schon längst erschießen können, anstatt mich bei diesem Dreckwetter hier her zu bestellen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Aber gut, wenn ihr unbedingt einen Beweis für meine Loyalität braucht, sollt ihr ihn bekommen.“

Bei dem gleichgültigen Tonfall der Älteren, lief es der FBI Agentin eiskalt den Rücken herunter. Jedes ihrer Worte war wie ein Schlag ins Gesicht. Zwar hatte Jodie angesichts der aktuellen Situation bereits befürchtet, dass Chris sich für ihre eigene Sicherheit und die Organisation entscheiden würde, doch so kalt und gewissenlos, wie die Schauspielerin hier gerade über ein Menschenleben – IHR Leben – entschied, fühlte sie sich schon fast wie ein Vieh auf der Schlachtbank. In den Augen der anderen Blondine, für die sie so viel empfand, nicht einmal den geringsten Hauch von Reue zu entdecken, schmerzte am meisten.

„Geh zur Seite, Chianti.“, forderte die Kriminelle, während sie eine Pistole aus ihrer Manteltasche zog und damit die andere Blondine ins Visier nahm.

„Von dir lasse ich mich sicher nicht herumscheuchen!“, giftete die Scharfschützin ihr Gegenüber an.

Chris blieb ganz gelassen und belächelte die andere Kriminelle lediglich. „Gut, dann beschwer dich nachher aber nicht bei mir, wenn deine Klamotten mit Blut versaut sind, nur weil du hinter der Kleinen stehen geblieben bist.“

Chianti schnaubte verärgert, ging nun allerdings doch einige Schritte zur Seite.

Alle Augen waren nun auf die am Boden kniende Agentin und die vor ihr stehende Schauspielerin gerichtet. Eine merkliche Anspannung lag in der Luft.

„Bevor es gleich zu spät ist : du willst lediglich, dass ich es zu Ende bringe und das Mädchen ausschalte, richtig, Gin?“, wandte Vermouth sich noch einmal an ihren Kollegen.

Der Silberhaarige nickte knapp. „Räum hier auf und beweise, auf welcher Seite du stehst.“

„Gesetz den Fall, dass du es überhaupt über dich bringst, wenn ich mich da an deine Worte und die Szene von gestern erinnere.“, höhnte Chianti derweil.

Das Herz der jungen Agentin raste. Sie blickte direkt in den Lauf der Waffe, hob den Blick ein wenig und vor Angst geweitete blaue Augen starrten geradewegs in eiskalte Grüne. Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie es sich wohl anfühlte, von einer Kugel getroffen zu werden. Wie würde es sein, langsam auf die andere Seite zu gehen? Würden die Schmerzen stark sein? Würde ihre Sicht langsam verschwimmen, ehe alles dunkel werden würde? Würde sie schließlich das Licht sehen, von dem so viele Leute nach einer Nahtoderfahrung berichteten? Diese Gedanken schossen ihr aktuell durch den Kopf und immer bewusster wurde sie sich der Tatsache, dass sie all das gar nicht herausfinden wollte!

„Dummes Geschwätz. Irgendwie musste ich den Kopf ja gestern wieder aus der Schlinge ziehen und das war der einfachste Weg.“, antwortete Vermouth der anderen Kriminellen nur, ehe sie auf die am Boden Kniende zielte und schließlich den Abzug der Waffe betätigte.

Ein Schuss fiel und ein Ruck verriet der jungen Frau, dass das Geschoss sie im Bauch getroffen haben musste. Angenehm war der Treffer zwar nicht gewesen, aber irgendwie hatte Jodie es sich dann auch wieder schlimmer vorgestellt, von einer Kugel getroffen zu werden. Es hatte sich eher so angefühlt, als hätte sie jemand mit einem Stein beworfen, oder ähnliches, doch als sie reflexartig an sich herunterblickte, sah sie den roten Flecken, welcher sich auf ihrem Oberteil ausbreitete. Sie war getroffen worden. Lag es vielleicht am Schock, dass die vermuteten Schmerzen ausblieben?

Wie gelähmt saß sie da und konnte nur zusehen, wie Chris zwei Schritte auf sie zuging. Die Ältere trat ihr ohne jede Vorwarnung heftig gegen die Schulter, was sie vornüberfallen ließ. Ein weiterer Schuss fiel und irgendetwas unangenehmes traf sie am Hinterkopf, ehe sie auch schon die rote Flüssigkeit bemerkte, die neben ihr auf den Boden sickerte.

„Und? Bist du jetzt zufrieden?“, erkundigte Chris sich derweil bei dem Silberhaarigen. Kurz hob sie die Waffe, ehe sie sie erneut auf die am Boden Liegende richtete. „Tot ist tot, da stimmst du mir doch zu, richtig? Aber falls es dich glücklich machen sollte, habe ich hier noch weitere vier Kugeln übrig, mit denen ich sie durchsieben kann.“

Die Blondine hatte einen Fuß auf die reglos am Boden liegende Agentin gestellt. Jodie, die ihren ersten Schock langsam überwunden hatte, fiel es nun fast wie Schuppen von den Augen. Die Schauspielerin hatte sie erst in den Bauch, dann in den Hinterkopf geschossen – eigentlich sollte sie tot sein, doch das war sie nicht. Nicht einmal besondere Schmerzen hatten die beiden Treffer hinterlassen, lediglich ihre Schulter protestierte nach dem Tritt eben heftig.

Langsam registrierte sie, dass die rote Flüssigkeit, die von ihrem Oberteil und von ihren Haaren herabtropfte, sich kühl anfühlte. Würde es sich um ihr Blut handeln, dann sollte dies doch eigentlich warm sein, richtig? Wenn die rote Flüssigkeit jedoch nicht einmal Körpertemperatur hatte, dann konnte es sich doch eigentlich nur um Theaterblut handeln... Chris hielt sie am Boden fest, indem sie den Fuß auf sie gestellt und ihr Gewicht auf sie verlagert hatte. Jodie verstand, was die Kriminelle ihr mitteilen wollte. Die andere Blondine konnte gerade schlecht mit ihr reden, doch die Agentin wusste, dass sie nun so flach wie möglich zu atmen hatte und sich unter keinen Umständen bewegen durfte.

„Mehr als erschießen kannst du sie schlecht, richtig?“, äußerte Korn.

„Und ich hatte schon befürchtet, du wärst wegen der Kleinen da zur Verräterin geworden.“, meinte Vodka, sichtlich froh über das scheinbare Missverständnis. Für ihn war die Sache erledigt und die Anspannung fiel von ihm ab.

Gin hatte bislang geschwiegen, doch er sollte auch gar nicht mehr dazu kommen zu antworten.

Kaum das die Blondine einen Schritt weit von der leblosen Agentin zurückgetreten war, brach plötzlich die Hölle in der Lagerhalle los.

„Jodie! Nein!“ Der entsetzte Ausruf lenkte die Aufmerksamkeit aller Anwesenden zum Eingang der Lagerhalle, durch welchen nun mehrere Agenten strömten. Schon fielen auf beiden Seiten die ersten Schüsse.

Die am Boden liegende Blondine war schockiert und hätte sich gern ein genaueres Bild über die aktuelle Lage verschafft, doch sie durfte sich aktuell nicht bewegen, wenn sie sich glaubhaft totstellen wollte. Sie blinzelte lediglich vorsichtig durch einige Strähnen, welche ihr über die Augen gefallen waren und erkannte so gerade noch, wie auch Shuichi Akai die Halle stürmte, mit einer Waffe ausgerechnet auf die über ihr stehende Amerikanerin zielte und den Abzug der Waffe mehrfach betätigte.

Jodie kam sich vor wie in einem Alptraum gefangen. Erst die Entführung und die vier Kriminellen, dann hatte sie schon befürchtet, dass ihr ehemaliger Schützling ihrem Leben nun ein Ende bereiten würde, doch die Blondine hatte sie durch eine gewagte Schauspieleinlage gerettet. Wie gerne hätte sie ihrem Kollegen zugerufen, um ihn davon abzuhalten, ausgerechnet auf Chris zu zielen, doch der Aufschrei blieb ihr in der Kehle stecken, als sie bemerkte, dass es dafür nun auch zu spät war. Die Ältere fuhr mehrfach zusammen, wurde herumgewirbelt und stürzte schließlich quer über sie, wo sie reglos liegen blieb.

„Ach du Schande!“, konnte sie Vodka rufen hören.

„Verdammt! Rückzug!“, verlangte Korn. Chianti schrie auf, als ein Schuss ihre Schulter traf, während Gin nur knurrte und einen FBI Agenten unter Beschuss nahm.

Einige Augenblicke, die Jodie wie Stunden vorkamen, tobte das Chaos noch weiter in der Halle. Immer wieder fielen Schüsse, gefolgt von Schreien. Sie selbst lag wie paralysiert auf dem staubigen Boden der Lagerhalle und hatte das Gefühl, alles nur durch einen dichten Schleier mitzubekommen.

Das...das konnte doch alles nur ein böser Traum sein. Und das schlimmste an der ganzen Sache war, dass das Gewicht der reglosen Schauspielerin über ihr und deren warmes Blut, welches Jodie inzwischen über den ganzen Rücken gelaufen war, sie immer wieder daran erinnerte, dass ihre Kollegen ausgerechnet die Person, welche gerade noch alles riskiert hatte um die Agentin zu retten, niedergeschossen hatten.

Schließlich kehrte langsam Ruhe auf dem Schlachtfeld ein.

„Verdammt! Lasst mich los! Ich sagte loslassen, ihr Scheißkerle!“, hörte man die verletzte Scharfschützin keifen, welche von zwei FBI Agenten überwältigt worden war und trotz heftiger Gegenwehr aus der Halle geschleift wurde.

Auch die Polizei war inzwischen eingetroffen und nahm zwei weitere der Kriminellen in Empfang, welche nach dem Schusswechsel jedoch erst einmal eine Fahrt ins Krankenhaus gewonnen hatten.

„Drei von den Typen haben wir erwischt, aber der Anführer der Gruppe ist angeschossen entkommen.“, berichtete gerade jemand einem anderen Beamten.

„Auf unserer Seite gibt es drei Verletzte, aber zum Glück keine Toten.“, konnte Jodie eine andere Person sagen hören.

Langsam spürte sie, wie sie sich wieder bewegen konnte. Sie wand sich unter dem leblosen Körper über ihr und schaffte es schließlich, die andere Blondine ein wenig zur Seite zu rollen, sodass sie sich aufsetzen und mit zitternden Händen nach der Älteren greifen konnte.

Jodies Augen weiteten sich erschrocken, als sie sich nun endlich einen Überblick verschaffen konnte und das ganze Blut bemerkte, welches den Körper der Anderen förmlich bedeckte und zu einem nicht unerheblichen Teil auch über sie selbst gelaufen war.

„Chris...nein, bitte nicht...“, brachte sie mit brüchiger Stimme heraus, während sie spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten.

Dann war plötzlich Akai neben den beiden Frauen. Die vollkommen neben sich stehende Agentin warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, was er noch für die Schauspielerin tun könnte.

Kurz musterte er die ganze Szene und sah sich noch einmal in der Halle um, ehe er sich schließlich mit unbeweglicher Miene zu der Kriminellen herabbeugte, deren Oberarm packte und sie grob vom Boden hochzog. „Du kannst aufstehen. Deine Kollegen hat man schon aus der Halle geführt.“, stellte er unterkühlt fest.

„Nicht, Shu! Bist du wahnsinnig?! Sie ist schwer verletzt!“, fuhr Jodie ihn geschockt an, ehe sie überrascht registrierte, dass die blutüberströmte amerikanische Schauspielerin, welche bis eben noch wie tot dagelegen hatte, sicher auf ihren Füßen stand, kaum das Shuichi sie vom Boden hochgezogen hatte.

„Das ist nur Kunstblut. Sie hat mehrere Beutel davon am Körper getragen, daher hatte das Zeug Zeit sich ihrer Körpertemperatur anzupassen, ehe ich sie mit einigen harmlosen Geschossen erwischt habe und sie sich fallen gelassen hat.“, erklärte er ihr.

Bei seinen Worten fiel Jodie ein Stein vom Herzen. Sie sah hoch zu Chris, welche ihr nur einen schuldbewussten Blick zuwarf, jedoch keine Gelegenheit hatte mit ihr zu reden, da Akai sich erneut an die Kriminelle wandte. „Komm jetzt.“, verlangte er. Den Arm der Schauspielerin weiterhin in einem schraubstockartigen Griff haltend, zog er die Blondine schließlich aus der Halle.

Die junge FBI Agentin rappelte sich endlich vom Boden auf, blickte sich noch einmal etwas unschlüssig in der Lagerhalle um und wollte den beiden gerade folgen, als sich ihr zwei bekannte Personen eilig näherten – James Black und Andre Camel.

„Du machst ja Sachen.“, begrüßte Camel sie.

„Bist du verletzt?“, wollte ihr Vorgesetzter derweil besorgt wissen.

Fünf Wochen waren seit dem nervenaufreibenden Vorfall in der Lagerhalle vergangenen. Es war früher Vormittag. Die Blondine legte ein Pad in die auf der Fensterbank stehende Kaffeemaschine, stellte eine Tasse darunter und blickte aus dem Fenster, während ihre Tasse sich mit Kaffee füllte.

Regen prasselte gegen die Fensterscheibe. Der wolkenverhangene Himmel tauchte die Stadt mit ihren schier unendlichen Hochhäusern und Wolkenkratzern in ein monotones Grau. Unten auf der Straße konnte sie Passanten mit Regenschirmen vorbeilaufen sehen. Von ihrem Büro aus, wirkten nicht nur die Menschen dort unten auf der Straße, sondern auch die Autos, nicht viel größer als Ameisen. Eins der typischen gelben Taxis hupte derweil das vor ihm fahrende Auto an, welches für den Geschmack des Taxifahrers wohl nicht schnell genug unterwegs war.

Das alles waren ihr vertraute, alltägliche Bilder. Nachdem sie ihre Mission in Japan beendet hatte, war Jodie zurück nach Amerika geflogen. Hier in New York befand sich ihr Büro und ihr eigentlicher Arbeitsplatz. Nach wie vor kam ihr das, was sie in Japan erlebt hatte, vor wie ein seltsamer Traum. Wie hatten sich die Ereignisse im Land der aufgehenden Sonne nur so überschlagen können? Wie hatte alles nur so aus dem Ruder laufen können?

Noch immer hatte sie mit dem Erlebten der vergangenen Monate nicht vollständig abschließen können. Dieser Tatsache wurde sie sich jede Nacht aufs Neue bewusst, wenn sie von Alpträumen geplagt, schweißgebadet aufwachte.

Die Entführung, der Schusswechsel in der Lagerhalle, all dies war noch ganz präsent, auch wenn sie vor ihren Kollegen stets behauptete, dass alles in Ordnung sei, wollte sie doch eine Zwangspause und die ganzen damit zusammenhängenden Therapiegespräche vermeiden.

Oftmals fragte sie sich, was eigentlich aus Chris geworden war, nachdem es dem FBI gelungen war, die Schlacht in der Lagerhalle für sich zu entscheiden. Die amerikanische Schauspielerin hatte sie gerettet, war jedoch im Anschluss von Shuichi zu einem der Autos geführt worden. Seitdem hatte die junge Frau die andere Blondine nicht mehr gesehen.

Natürlich hatte Jodie sich bei ihren Kollegen erkundigt, was nun eigentlich mit der Kriminellen passiert war, doch eine Antwort auf diese Frage hatte sie nicht erhalten. Zurück in New York war sie recht schnell auf die Idee gekommen, die Datenbanken des FBIs zu durchsuchen, um näheres zu erfahren, doch wann immer sie versuchte, den Namen ihres ehemaligen Schützlings zu recherchieren, sprang eine Fehlermeldung auf, welche ihr mitteilte, dass sie keine Zugriffsrechte hatte.

James Black hatte nur geäußert, dass diese Blockade eingerichtet worden wäre, da der Fall in Japan einfach zu sehr aus dem Ruder gelaufen war und sie nach den Erlebnissen in der Lagerhalle versuchen sollte, sich nicht weiter mit den Geschehnissen rund um die kriminelle Organisation zu belasten.

Dennoch ging ihr das Gesicht der Schauspielerin einfach nicht aus dem Kopf und wann immer sie an Japan und an Chris dachte, schmerzte es noch, oder aber sie fühlte sich seltsam leer.

Ihr Kaffee war fertig und die Agentin schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu verdrängen. Sie war wieder in New York, im Dienst und sie wurde nicht fürs Tagträumen bezahlt.

Jodie setzte sich zurück an ihren Schreibtisch, nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse dann erst einmal neben sich ab.

Schließlich öffnete sie eine der Datenbanken und durchsuchte diese. Auf ihrem Schreibtisch lagen haufenweise Blätter mit Ereignisberichten zu ihrem neuen Fall. Eine Bande machte die Außenbezirke New Yorks unsicher und schoss aus dem fahrenden Auto auf Menschen. Einige Opfer hatte es bereits gegeben, genau so wie einige Augenzeugenberichte, welche zumindest die Automarke näher beschreiben konnten. Leider nur schien die Bande über mehrere Fahrzeuge zu verfügen und das Profiling der Opfer hatte bisher auch zu nichts geführt.

Die Gesichter der Täter waren noch unbekannt. Bisher hatten ihre Kollegen und sie lediglich die Tatorte auf einer Karte markieren können und hatten dabei festgestellt, dass die Bande langsam aber sicher von den Außenbezirken in Richtung Stadtmitte vorrückte.

Jodie durchblätterte noch einmal die Berichte und betrachtete die bisherigen Erkenntnisse, welche sie auf einer Glastafel, die an der Wand ihres Büros befestigt war, notiert hatte.

Vom großen Durchbruch war das FBI scheinbar noch meilenweit entfernt. Wenn die Ermittlungen so schleppend weitergingen, dann würde dies sicher noch weitere Zivilisten das Leben kosten.

Ein wenig frustriert zog sie die Stirn kraus, während sie die bisherigen Ergebnisse genaustens betrachtete. Ohne Erfolg. Mit einem Seufzen wandte sie sich wieder ihrem Schreibtisch zu, putzte erst einmal ihre Brille und klickte schließlich weiter in der Datenbank herum.

Ein leises Klopfen lenkte ihre Aufmerksamkeit zur Bürotür. Kaum hatte sie sich der Tür zugewandt, da wurde diese auch schon geöffnet und James Black betrat das Büro.

„Guten Morgen. Wie geht es dir?“, grüßte ihr Vorgesetzter die junge Agentin. Diese riskierte einen kurzen Blick auf die Wanduhr, sparte es sich jedoch, Black darauf hinzuweisen, dass es bereits beinahe Mittag war.

„Gut, wie immer.“ Wie angenehm es doch war, seit Wochen mit sämtlichen Leuten wieder ohne darüber nachzudenken englisch sprechen zu können und nicht mehr ständig nach den passenden japanischen Vokabeln suchen zu müssen. „Noch besser würde es mir allerdings gehen, wenn wir in dem aktuellen Fall endlich einmal Fortschritte machen würden. Es ist wie verhext. Die Täter schlagen scheinbar zu, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, aber ich bin mir sicher, dass wir irgendetwas übersehen.“

Kurz dachte James über ihre Worte nach, ehe er bedächtig nickte. „Ich bin mir ebenfalls ziemlich sicher, dass wir irgendetwas übersehen. Das perfekte Verbrechen in dem Sinne gibt es schließlich nicht. Die Frage, die wir uns aktuell stellen sollten ist, welchen Schritt wir gehen sollten, um den nächsten Puzzlestein zu finden, der uns weiterbringen könnte.“

Die Blondine musste nicht lange darüber nachdenken. „Nun, wenn es uns gelingen würde zu denken wie diese Verbrecher, dann wären wir sicherlich bereits einen Schritt weiter.“

„Unsere Spezialisten arbeiten bereits auf Hochtouren an diesem Problem, aber wie erfolgreich diese Arbeit bisher war, weißt du ja selbst.“

„Unsere Leute sind Profis, aber nun einmal auch durch und durch Agenten. Eine Person, die selbst der Szene angehört, würde eventuell auf ganz andere Dinge achten.“

„Du denkst also, dass es einem Kriminellen leichter fallen würde, in die Köpfe der Täter zu gucken, weil ein Verbrecher nun einmal denkt wie ein Verbrecher?“, erkundigte James sich mit mildem Interesse.

Jodie nickte. „Das ist gut möglich. Allerdings frage ich mich, wen wir diesbezüglich zu Rate ziehen sollen. Die meisten verurteilten Kriminellen werden einen Teufel tun, mit dem FBI zusammenzuarbeiten.“

Auf den Lippen ihres Vorgesetzten zeichnete sich ein leichtes Schmunzeln ab. „Also was das betrifft, hätte ich vielleicht eine Idee.“

Die Blondine legte den Kopf schief. „Ach ja? In wie fern?“

Ihr Vorgesetzter wandte sich kurz der Tür zur. „Ihr könnt reinkommen.“

Neugierig geworden, erhob Jodie sich von ihrem Sitzplatz, war sie doch gespannt, wen James Black gedachte in diesem Fall zu Rate zu ziehen.

Zuerst einmal betrat Camel das Büro und die Blondine wollte sich gerade schon fragen, wie genau ihr Kollege bei dem Problem nun weiterhelfen wollte, als noch eine zweite Person den Raum betrat.

Ungläubig starrte die junge Frau den Neuankömmling an. Für einen Moment herrschte in ihrem Kopf vollkommene Leere, dann überschlugen sich ihre Gedanken förmlich.

„Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.“, durchbrach Chris die Stille und obwohl ihre Haltung selbstbewusst wie immer war, konnte Jodie doch eine Spur von Unsicherheit in den grünen Augen ihres Gegenübers entdecken.

„Chris?! Was machst du denn hier?“, wollte sie vollkommen perplex wissen, ehe sie reflexartig nach vorne stürzte, um der Älteren um den Hals zu fallen.

Black und Camel tauschten irritierte Blicke aus, hatten sie mit so einer Begrüßung wohl nicht gerechnet, vor allem aber die amerikanische Schauspielerin selbst, blickte perplex drein. Für einen Wimpernschlag war sie vollkommen erstarrt, dann hob sie zögerlich die Arme, um Jodies Umarmung zu erwidern, nur eben nicht ganz so stürmisch.

„Was ich hier mache? Das...ist eine lange Geschichte.“, äußerte Chris schließlich.

Schließlich ließ die FBI Agentin ihr Gegenüber wieder los, ging ein wenig auf Abstand und wandte ihre Aufmerksamkeit ihrem Vorgesetzten zu, als dieser sich räusperte und schließlich das Wort ergriff.

„Das du ihr nicht an die Kehle gegangen bist, werte ich jetzt mal als ein gutes Zeichen.“, meinte er, ehe er auf das eigentliche Thema zurückkam. „Du gehst davon aus, dass du in den Ermittlungen weiterkommst, wenn dir eine Person mit krimineller Vergangenheit dabei behilflich ist, die Täter besser zu verstehen. Nun, hier ist deine Ansprechpartnerin. Denkst du, dass du nach all dem, was in Japan vorgefallen ist, trotzdem mit Ms. Vineyard zusammenarbeiten kannst?“

Unweigerlich musste Jodie an die Zeit in Japan denken. Es war so viel passiert. Nach einem mehr als nur holperigen Start, hatte sie schließlich geglaubt die Ältere zu kennen, nur um dann festzustellen, dass die Schauspielerin auch noch eine kriminelle Karriere hatte. Die Andere hatte ohne irgendwelche Gewissensbisse drei Personen niedergeschossen, hatte ihr während des Gesprächs in der Lagerhalle versichert, wie wichtig sie ihr war, nur um sie im nächsten Moment in diesem Container einzusperren und ihre Chance zur Flucht zu nutzen. Aufgrund der Tatsache, dass sie eingeschlossen gewesen war, war die Agentin schließlich diesen Kriminellen in die Hände geraten und hätte dies beinahe mit ihrem Leben bezahlt, nur um schließlich von Chris und dem FBI in einer Hollywoodreifen Aktion gerettet zu werden.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete sie wahrheitsgemäß. So viel sie für die Schauspielerin nach wie vor empfand, so wütend war sie aktuell doch auch auf sie. Und obwohl sie einerseits unglaublich froh war die Andere wiederzusehen, so wusste sie andererseits nach all den Vorfällen doch nicht, in wie weit sie ihr vertrauen konnte, geschweige denn, in wie weit sie Chris überhaupt noch einmal vertrauen könnte.

Die Blondine suchte Blickkontakt mit ihrem Vorgesetzten. „Zwischen uns ist viel vorgefallen, aber angesichts der Tatsache, dass dort draußen eine Bande ihr Unwesen treibt und Tag für Tag Menschen erschießt, sollten private Differenzen wohl erst einmal nebensächlich sein. Natürlich werde ich mit ihr zusammenarbeiten, wenn uns das auf die richtige Spur bringen sollte.“, korrigierte sie ihre vorherige Aussage.

Natürlich würde sich erst noch herausstellen müssen, in wie weit diese Zusammenarbeit Früchte trug, doch einen Versuch war es auf jeden Fall wert.

Black nickte. „Ich hatte gehofft, dass du so etwas sagen würdest.“

Fragend blickte Jodie ihn an. „Aber eine Sache würde mich schon noch interessieren. In den letzten Wochen hat mich niemand darüber informiert, was genau denn nun aus der Mission in Japan und aus Chris geworden ist und heute, bringt ihr sie urplötzlich zu mir ins Büro? Ist sie aktuell auf freiem Fuß, oder habt ihr sie aufgrund des Falls aus irgendeinem Gefängnis hier her bringen lassen?“

Kurz herrschte Schweigen, dann legte James Black der Kriminellen eine Hand auf die Schulter und schob sie einen Schritt weiter ins Büro. „Am besten wird es sein, wenn Ms. Vineyard dir das selbst erklärt. Um genau zu sein, hat sie sogar darum gebeten, das in Ruhe mit dir besprechen zu können.“

Somit verabschiedeten Black und Camel sich fürs erste und ließen die beiden Frauen allein im Büro der Agentin zurück.

 

Für einige Augenblicke herrschte Schweigen. Es war unschwer zu erkennen, dass keine der beiden sich ganz wohl in ihrer Haut fühlte.

„Du scheinst immer wieder für eine Überraschung gut zu sein.“, durchbrach Jodie schließlich die Stille, ehe sie sich an die Fensterbank lehnte. „Haben meine Kollegen dich vorübergehend aus einem der umliegenden Gefängnisse geholt, oder hast du es irgendwie geschafft, den Kopf noch einmal aus der Schlinge zu ziehen?“

Die Schauspielerin hatte ein leicht schiefes Schmunzeln aufgesetzt. „Sieh dir meine Kleidung doch einmal etwas genauer an. Sieht das für dich nach Gefängnismode aus?“

Jodie betrachtete die Andere und musste feststellen, dass sie Recht hatte. Bluse, Blazer, Rock und hohe Hacken – noch dazu teure Markenware – würde eine Strafgefangene wohl kaum tragen.

„Wie hast du es geschafft, aus der ganzen Geschichte noch einmal rauszukommen?“, wollte die Agentin nun wissen, ohne dabei besonders feindselig zu klingen.

Chris erklärte es ihr. Sie berichtete, wie sie vor der Rettungsaktion ziemlich hoch gepokert hatte und damit durchgekommen war. Sie hatte mit dem FBI zusammengearbeitet und dabei das hohe Risiko auf sich genommen erschossen zu werden, im Gegenzug hatte sie jedoch verlangt, in sämtlichen Delikten, die in Zusammenhang mit der Organisation gebracht werden konnten, sowie dem Vorfall mit den Angreifern vor dem Supermarkt, und der Aktion in der Lagerhalle, nicht belangt zu werden.

Das waren Forderungen gewesen, auf die das FBI alles andere als gern eingegangen war, doch da Jodie bei ihren Kollegen sehr beliebt war, und sie auf die Zusammenarbeit mit Chris angewiesen gewesen waren, um die FBI Agentin zu retten, hatten sie schließlich zugestimmt.

Die Blondine hatte sich dies klugerweise schriftlich geben lassen. Die Entscheidung zu treffen und die Dokumente binnen so kurzer Zeit zu beschaffen, war zwar alles andere als leicht gewesen, doch schließlich hatte der Deal gestanden.

Man hatte die Kriminelle mit entsprechender Ausrüstung versorgt und einen gemeinsamen Plan zurechtgelegt, ehe die Blondine die Lagerhalle betreten und mit der Schauspielerei begonnen hatte.

In dem geräumigen Geländewagen hatten einige Agenten Platz gefunden und auf das verabredete Zeichen hin schließlich eingegriffen, ehe die benötigte Verstärkung schließlich mit quietschenden Reifen im Hafengelände eingetroffen war.

Nach der gelungenen Rettungsaktion hatte das FBI die Schauspielerin dennoch erst einmal mitgenommen, um diese über sämtliches Wissen bezüglich der Organisation auszuquetschen.

Allein diese Ermittlungen, welche dank dem Insiderwissen nun besser vorrangigen, hatten Wochen in Anspruch genommen. Zwar hatte Chris jahrelang für diese Verbrecherbande gearbeitet und hatte dort selbst einen sehr hohen Rang bekleidet, doch nachdem sie ihre Kollegen mit der Rettungsaktion verraten hatte, hatte sie schließlich mit dem FBI zusammengearbeitet, war es doch nun auch gesünder für sie selbst, möglichst viele der Kriminellen zu erwischen, denn was ihr als Verräterin blühte, das wusste sie.

„In den letzten Wochen ist es deinen Kollegen gelungen, einen Großteil der Organisation zu zerschlagen. Was das betrifft, horchen sie mich nach wie vor noch Tag für Tag aus.“ Sie strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. „Das FBI ist auf meine Forderungen eingegangen, ich musste im Gegenzug euren Bedingungen zustimmen. Zwar werde ich hauptberuflich weiter als Schauspielerin meine Brötchen verdienen, allerdings musste ich mich auch dazu verpflichten, in den Ermittlungen gegen die restliche Organisation, genau so wie bei anderen Fällen, in denen die Sichtweise einer ehemaligen Kriminellen benötigt wird, mit den Behörden zu kooperieren. Wie du siehst, bin ich frei, allerdings gelte ich dank meiner kriminellen Karriere als hohes Sicherheitsrisiko, weshalb deine Kollegen mit diesem kleinen Chip hier, jederzeit meinen Aufenthaltsort bestimmen können und bemerken würden, wenn ich mich an zwielichtigen Orten herumtreiben sollte.“

Kurz deutete sie auf einen winzigen Schnitt auf ihrem linken Handrücken, welcher bereits zu heilen begonnen hatte. Die Ältere zuckte mit den Schultern. „In wie weit das legal ist, darüber lässt sich zwar streiten, aber im großen und ganzen scheint mir das nur ein kleiner Preis zu sein.“, endete sie schließlich.

Jodie starrte ihr Gegenüber eine Weile einfach nur an, nicht ganz sicher, was sie zu dieser Geschichte sagen sollte, doch die Tatsache, dass Chris eben in Begleitung von James Black und Andre Camel das Zimmer betreten hatte, sprach dafür, dass das, was die Blondine ihr erzählt hatte, der Wahrheit entsprechen musste.

„Wow, das klingt fast wie im Film, wenn ich ehrlich sein soll.“, fand sie die Sprache schließlich wieder.

„Nenn es wie du willst, das war in den letzten Wochen mein Leben.“ Die Ältere schritt durch das Büro, nur um schließlich neben der Agentin stehen zu bleiben und aus dem Fenster zu blicken.

Kurz herrschte Schweigen, dann ergriff Jodie erneut das Wort :“Du hast viel riskiert. Mir stellt sich die Frage, ob du das Risiko im Hafen für mein Wohl auf dich genommen hast, oder ob es dir schlicht und ergreifend darum ging, letztlich einen Deal mit dem FBI zu erwirken und dir Straffreiheit zu erkaufen.“

Angesprochene betrachtete die Jüngere einige Augenblicke lang. „Was denkst du denn?“

Die Agentin seufzte und vermied es, ihre Gesprächspartnerin direkt anzusehen. „Ich weiß es nicht. Es ist so viel passiert, dass ich nicht mehr weiß, wie ich dich einzuschätzen habe. In einem Moment feuerst du ein ganzes Magazin leer, ohne mich auch nur einmal zu treffen und beteuerst, wie viel ich dir bedeute, im nächsten Moment, lenkst du mich ab und sperrst mich in einen Container, um flüchten zu können. Du hast so viel riskiert um mich vor deinen Kollegen zu retten und gleichzeitig hast du damit auch einen Deal herausgeschlagen, der einen großen Vorteil für dich bedeutet. Du schauspielerst so gut, dass man nicht merkt wann du nur für deinen eigenen Vorteil spielst und wann du du selbst bist. Nach all dem, was in Japan passiert ist, weiß ich nicht, wie ich dir wieder vertrauen kann.“

Ein wenig war sie selbst überrascht über die ehrlichen Worte, mit denen sie versucht hatte Chris begreiflich zu machen, was derzeit in ihrem Kopf vor sich ging.

Die Schauspielerin verzog keine Miene, was es nicht unbedingt leichter machte sie einzuschätzen. „Deinen Worten entnehme ich, dass ich dir nach wie vor wichtig genug bin, als dass du versuchen möchtest, mir wieder zu vertrauen.“, sagte sie schließlich.

Jodie funkelte sie an. „Hast du mir eben nicht richtig zugehört?! Ja, du hast mich letztlich gerettet, aber ich will nicht wissen, wie oft du mich angelogen hast. Ich bin froh dich unverletzt wiederzusehen, aber ich bin auch verdammt wütend auf dich!“

„Denkst du das wüsste ich nicht?“ Nach wie vor klang Chris recht unbeeindruckt. „Ich an deiner Stelle, würde eine Person wie mich vermutlich zum Teufel jagen.“

„Besser wäre es wohl.“ Die Agentin lächelte bitter. „Dich zum Teufel zu jagen wäre das einfachste, aber ich will dich nicht gehen lassen, ich will dich besser einzuschätzen lernen. Wenn ich dich lesen kann, kannst du mir nichts mehr vorspielen.“

Chris schmunzelte. „Das ist so typisch für dich. Wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, lässt du nicht mehr locker. Du sagst, dass meine Schauspielerei so gut ist, dass man Spiel und Realität nicht mehr voneinander unterscheiden kann. Sag mir also, was ich deiner Meinung nach tun soll, damit du dir sicher sein kannst, mich besser einschätzen zu können.“

Auf die Frage hin überlegte Jodie kurz, ehe sie schließlich antwortete :“Mit der Zeit lernen Menschen sich zu lesen und sich zu vertrauen. Ein Anfang wäre es, wenn du anfangen würdest offen mit mir zu reden. Spiel mir nichts vor, sondern sag mir was du fühlst, was du denkst. Erzähl mir etwas über dich. Zeig mir wie du lebst.“, forderte sie.

„Hey hey...!“, ein wenig abwehrend hob Chris die Hände, um den Redefluss irgendwie zu stoppen. „Das sind aber ganz schön viele Forderungen, die du da hast. Dir ist schon bewusst, was du da von einer ehemaligen Kriminellen verlangst? Ich habe mich Jahrelang niemanden mehr so sehr geöffnet.“

Fest blickte die Jüngere sie an, ehe sie ungerührt antwortete :“Du hast mir an dem Abend in der Lagerhalle erst noch gesagt, was du für mich empfindest. Wenn ich dir wichtig bin, dann solltest du zumindest versuchen, dich mir gegenüber zu öffnen.“, verlangte sie.

Einen Moment lang dachte Chris darüber nach. „Hier im Büro scheint mir ein schlechter Zeitpunkt, um damit anzufangen dir mehr über mich zu erzählen. Hast du heute Abend schon etwas vor? Wenn nicht, dann lass uns doch heute Abend essen gehen.“, schlug sie schließlich vor.

Jodie zog eine Augenbraue hoch und blickte ihr Gegenüber skeptisch an. „Aber die Rechnung geht auf dich, damit das klar ist.“

„Was immer du sagst, Kitten.“ Auf die Lippen der Schauspielerin hatte sich ein amüsiertes Schmunzeln gestohlen. Auf den Spitznamen hin, schnaubte die Agentin missfallend.

„Ach, da fällt mir ein : hast du das rote Kleid noch, dass du drüben in Japan einmal getragen hast, als wir abends noch ausgegangen sind?“

„...Ja. Was ist damit...?“ Die Skepsis war der jüngeren Blondine deutlich anzuhören, während Chris Schmunzeln breiter wurde und ihre Augen amüsiert funkelten. „Zieh es doch noch einmal an, du siehst toll darin aus.“

„Hey!“ Die junge Frau boxte der anderen Amerikanerin spielerisch gegen den Oberarm. „Das ist kein Date, ich bin immer noch sauer auf dich, vergiss das nicht!“

Einen Moment lang blickten sie sich an, dann mussten sie beide lachen und das Eis schien vorerst gebrochen zu sein.

Nachdem sie wieder etwas ernster geworden waren, stupste Chris Jodie an und nickte dann in Richtung des Computers. „Wenn deine Kollegen merken, dass wir uns nur unterhalten, aber nichts produktives tun, zerreißen sie uns am Ende noch in der Luft. Schauen wir uns den Fall, an dem du dir derweil die Zähne ausbeißt, doch einmal gemeinsam an.“

 

Am Abend bereitete die Blondine sich schließlich darauf vor, gleich das Haus zu verlassen, um sich mit der Schauspielerin zu treffen. Kurz musste sie an den heutigen Tag denken. Was den Fall betraf, hatte Chris einige interessante Denkansätze gehabt. Es konnte nicht schaden, den Theorien in den nächsten Tagen einmal nachzugehen.

Auch hatte Jodie bemerkt, dass sie bereits nach kurzer Zeit wieder damit begonnen hatte, sich ein wenig zu wohl in der Nähe der attraktiven Schauspielerin zu fühlen. Immer wieder hatte sie sich ermahnen müssen, dass es nicht gerade ratsam war, so zu tun, als wäre nie etwas gewesen, denn dafür war eindeutig zu viel vorgefallen. Jodie konnte noch nicht sagen, wie lange es brauchen würde, bis sie Chris wieder vertrauen konnte, doch die Zeit würde es zeigen. Die Wunden der letzten Monate würden sich wohl erst einmal schließen müssen. Die Ältere musste ihr zeigen, dass sie nicht bloß mit ihr spielte, sondern es tatsächlich ernst meinte. In wie weit die ehemalige Kriminelle bereit sein würde, sich ihr gegenüber zu öffnen, auch wenn sie das natürlich verletzbar machte, blieb abzuwarten und würde nicht von heute auf morgen zu beantworten sein.

Jodie stand vor ihrem Kleiderschrank und überprüfte ein wenig unschlüssig dessen Inhalt. Sie waren nur zum Essen verabredet – in einem ganz normalen Restaurant. Eigentlich sollte die Wahl eines passenden Outfits da das geringste Problem sein.

Plötzlich streiften ihre Finger den roten Stoff eines Kleides. Sie hielt inne und betrachtete das Kleidungsstück einen Augenblick lang. »Ach, da fällt mir ein : hast du das rote Kleid noch, dass du drüben in Japan einmal getragen hast, als wir abends noch ausgegangen sind? Zieh es doch noch einmal an, du siehst toll darin aus.«, hallten Chris Worte in ihrem Kopf wieder.

Kurz zögerte sie noch, dann zog sie den Kleiderbügel mit besagtem roten Kleid aus dem Schrank. Auch wenn die Andere vieles wiedergutzumachen hatte, so konnte sie doch nicht verhindern, dass ihr Magen angenehm kribbelte, als sie erneut an die Worte der Schauspielerin dachte, in das Kleid schlüpfte und sich schließlich prüfend darin im Spiegel betrachtete.



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