Zum Inhalt der Seite

Der grimme Kreuzzug

Dunkle Heimkehr
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Heimkehr

Ein tosender Sturm begleitete seine Ankunft. Blitze zuckten am Firmament. Der fruchtbare Wald des Arathihochlandes, Quell der Nahrung und voller Leben, er verwelkte einfach unter den Schritten des Reittieres. Dort wo die Hufe mit der Erde in Berührung kamen, schwärzte sich das Gras, Blumen verdorrten und selbst die Bäume schienen von Fäulnis befallen zu sein.
 

Seine rechte Hand hielt die Zügel fest umschlossen. Wie lange war es nun her, dass er ausgezogen war? Wochen? Monate? Gar Jahre? Er wusste es nicht; Zeit war unbedeutend geworden. Der Sand in seiner Sanduhr, er rieselte beständig, und doch würde er niemals enden. Der stolze Sir Connor, einstiger Ritter der Adlerwacht des Arathihochlandes, er hatte sich verändert. Abgemagert, hager, totenbleich – eine wandelnde Leiche – so hockte er auf seinem Ross.
 

Als sie die Grenze des Waldes erreicht hatten, brachte der junge Ritter sein Pferd zum Stehen. Vor ihm baute sich die Adlerwacht auf, eine stolze Festung, mit hohen Wällen, dicken Steinmauern und einer Seele, die unzählige Male erfolglos belagert worden war. Die ganze Seele des Hochlandes, sie lag in dieser einen Festung gebettet, behütet und beschützt. Hier hatte Connor einst den Eid geschworen, Land und Volk zu verteidigen, seine Bedürfnisse hinter die seines Herren zu stellen. Genau hier hatte er diesen Schwur auch wieder gebrochen. Seine Prinzipien, sein Dasein, alles was ihm einst lieb und teuer gewesen war, es lag hier begraben, verraten und verlassen. Der junge Ritter war dem Flüstern in der Dunkelheit gefolgt, welches ihm Freiheit und Macht versprochen hatte, für sie beide. Jetzt, vor dem heißersehnten Moment, dem er so lange entgegengefiebert hatte, fühlte er nichts mehr. Kälte und Dunkelheit hielten sein Herz umschlossen, genauso wie seine einstige Liebe. Er fühlte nichts mehr.
 

Aus der Ferne waren Rufe zu hören. Eindeutig der Lärm einer Schlacht. Unter einem ohrenbetäubenden Laut wurden Gestein und Geröll aus der Mauer gerissen, als sich eine Kanonenkugel in den Wall fraß. Das große Metallgitter hing nur mehr spärlich in den Angeln und trotze mehr schlecht als recht dem Ansturm der Invasoren. Katapulte, Ballisten und Kanonen zehrten gemeinsam mit den fremden Männern und Frauen an den Verteidigern. Voller Stolz trugen sie das Wappen ihres Herren, eine schwarze Schlange auf weißem Grund, die sich um ein Zepter schlängelte, auf der Brust. Für jeden von ihnen der fiel, rückten zwei neue Soldaten nach. Bald würden sie in die Festung strömen und sie erobern, jegliches Leben dort auslöschen oder versklaven.
 

Gleichgültig schnalzte Connor mit den Zügeln. Jung war er seinem Schicksal entflohen, hatte sein einstiges Leben gegen einen Fluch getauscht. Was kümmerten ihn da schon andere? Deren Leben, Liebe und Glück, es war unbedeutend geworden. Hatten sie ihm nicht auch einst sein Glück verwehrt? Warum sollte er also noch für ein Land Partei ergreifen, dass ihn eigentlich nicht wollte.
 

Unbeteiligt ritt der junge Ritter auf das Haupttor zu. Noch wurde er nicht behelligt. Connor hatte weder vor, sich in diesen Konflikt einzumischen, noch Partei zu ergreifen. Beide Fraktionen waren schändlich. Der Adler hatte ihm verwehrt, was er einst mehr liebte, als sich selbst, und die Schlange wurde von einem Baron geführt, dessen Habgier und Joch geradezu legendär waren. Ein Herrscher war genauso schlimm wie der andere. Es gab nur mehr eine Seite, und das war seine.

Der Dachs kämpft

Knapp vor dem Haupttor wurde er aufgehalten. Man hatte ihn tatsächlich bemerkt. Ein gut platzierter Gegenangriff direkt in den Rücken des Feindes hätte ausgereicht, um die Angreifer in einen Zangengriff zu nehmen. Andererseits, wer sollte der Adlerwacht schon zu Hilfe kommen? Der Graf war kein Mitglied der Allianz und mit seinen Nachbarn verfeindet. Außerdem lag sein Reich am oberen Ende der Östlichen Königreiche. Geographisch wie auch politisch war das Land völlig isoliert. Am Ende würde dieser Umstand dem Adler das Genick brechen.
 

„Wer seid Ihr?“, fragte ihn ein junger Bengel, höchstens 17 Jahre alt. Mit dem Speer in der Hand wagte er es tatsächlich ihn zu behelligen. Connors Blick wanderte zur Spitze der Waffe. Die eisblauen, kalten Augen lugten aus den Schlitzen seines Helmes hervor. Widerlich, diese Waffengattung zu führen. Söldner, Milizen und Bauern trugen Speere, aber keine anständigen Soldaten. Er hatte diesen Umstand immer kritisiert: Ein Bauer sollte Bauer sein dürfen, genauso wie ein Soldat sein Leben dem Krieg widmen durfte; den einen in das andere zu pressen, machte beide nur unglücklich.
 

„Connor“ war die knappe Antwort des jungen Ritters, der sich anschickte weiterzureiten. „Dreht um, oder-“ begann der Junge, wurde aber sogleich von Connor unterbrochen. „Oder?“, fragte er nach. Seine Stimme wirkte unnatürlich, fast so, als ob mehrere Lippen die Worte formen würden. Jugendlicher Leichtsinn, gepaart mit dem Gefühl von Überlegenheit und Selbstsicherheit bewogen den Rotzbengel dazu, sich ihm in den Weg zu stellen. Er hatte weder Zeit noch Muße, sich mit einem Halbstarken auseinanderzusetzen.
 

„Oder ich werde Euch von Eurem Pferd holen!“ Irgendwie musste dem Jungen entgangen sein, dass er nicht in der Position war, ihm zu drohen. Früher hätte Connor den Jungen ob seines Mutes gelobt, heute war er ihm einfach nur lästig und im Weg. Wortlos streckte der Ritter seine gepanzerte Hand aus und drückte sie dem Fremden ins Gesicht. Dieser schrie qualvoll auf. Seine Lippen verzerrten sich schmerzerfüllt, während sich die Hände um Connors Arm legten. Der Gestank von verbranntem Fleisch schwängerte die Luft. Mit einem Ruck stieß er den Jungen achtlos ins Gras zurück und ritt weiter. Sein Schicksal, genauso wie sein Wimmern und Stöhnen, kümmerten den Ritter nicht.
 

Die anderen Soldaten waren nun auch auf ihn aufmerksam geworden. Aufruhr kam in die Meute, welche gegen das Tor brandete. Ein Hinterhalt? Ein einzelner Mann? Woher kam diese drückende, dunkle Aura, die sie plötzlich alle umgab? Einige von ihnen warfen panisch ihre Waffen zu Boden und rannten kreischend davon, als sie ihren verwundeten Kameraden erblickten. Hände und Gesicht waren verbrannt. Connors Handschuh hatte einen Abdruck im Gesicht des Jungen hinterlassen, der mit erblindeten Augen ins Dunkel der schwarzen Wolken über ihm starrte. Sollte er überleben, würde er wohl auf ewig ein Krüppel bleiben.
 

Eine kleine Schar an Kämpfern war jedoch so dumm, sich ihm in den Weg zu stellen. Vielleicht war es der Zorn über das Schicksal ihres Kameraden, oder die blanke Verzweiflung, die sie zu einer solchen Selbstmordtat antrieben, doch im Endeffekt änderte das nichts. Sie alle, egal ob Mann oder Frau, Frischling oder Veteran, waren nur ein Hindernis. Ein weiteres Hindernis des Schicksals, welches es zu beseitigen galt.
 

Connor gab seinem Pferd die Sporen. Mühelos trieb das Wesen einen Keil in die Angreifer, bevor es von Speeren, Spießen und Mistgabeln durchbohrt wurde. Wiehernd schlug das Pferd um sich, brach mit den Hufen Knochen, während sich immer mehr Waffen in seinem Leib wiederfanden. Der junge Ritter hielt die Zügel fest umschlossen, als auch auf ihn die ersten Angriffe einprasselten. Weder Holz noch Metall schienen Ross oder Reiter aufhalten zu können.
 

Tollwütig setzte das Pferd seinen Weg fort. Kreischend prallte so manche Waffe an der roten Schabracke des Tieres ab. Trotz der zahlreichen Verwundeten und Toten, die es hinterließ, gab es noch immer genügend Männer und Frauen, die sich nicht von dem Spektakel beirren ließen. Ihre Reihen lichteten sich zwar ein wenig, doch sie hatten die Übermacht auf ihrer Seite. Irgendwann würde dieser Fremde fallen, und der, der seinen Kopf zum Kommandanten brachte, konnte dem Elend, in welchem er hauste, vielleicht entkommen.
 

Als sich sein Ross beinahe gar nicht mehr bewegen konnte, ob der vielen Angreifer, die es mit ihren Waffen durchbohrt hatten, streckte der Reiter seine flache linke Hand aus. Zu ihren Füßen bildete sich ein blutroter Kreis, der mit zahlreichen, fremdartigen Runen versehen war. Kreischend griffen sich die Ersten an die Schläfen. Zahlreiche fielen zu Boden, wälzten sich wahnsinnig vor Schmerz hin und her und flehten dabei, es möge aufhören. Das Blut in ihren Adern kochte so lange, bis diese aufplatzten und sich der Lebenssaft auf die umliegenden Soldaten verteilte. Auch Connor war mittlerweile blutbesudelt. Sein Wappenrock, den ein Dachs auf weißem Hintergrund zierte, hing zerschlissen und blutbefleckt an seiner Brust.
 

Gleichgültig glitt der Ritter aus seinem Sattel. Die Waffen aus dem Ross zu entfernen würde zu lange dauern. Das Tier konnte sich kaum noch bewegen, und glich einem Igel, gespickt mit den Speeren, Piken und Lanzen, die aus seinem Körper hervorragten. Teilnahmslos stieg sein Reiter über die Toten und Sterbenden und hielt unermüdlich auf das Tor zu.
 

Es gab noch immer genügend Narren, die glaubten, sich ihm in den Weg stellen zu können. Connor war diese Situation einfach leid. Fehlgeleitete Loyalität, falscher Heldenmut, die Verehrung von Männern und Frauen in Volksgeschichten, deren Heldentaten fraglich waren, genauso wie der Wunsch, aufzusteigen, um dem einfachen Leben zu entfliehen; er verabscheute alles davon. Früher, da war er genau gleich gewesen, mehr noch: Aidan hatte ihn einst dafür geliebt.
 

Wortlos zog Connor die beiden Runenklingen aus ihren überkreuzten Stoffscheiden am Rücken. Die Totenschädel grinsten höhnisch, als die Waffen ihre ersten Opfer fanden. Mühelos durchschnitten die Schwerter Rüstungen und spalteten Schilde. Die Runen auf den Oberflächen der Klingen leuchteten blau während sich der junge Ritter beständig seinen Weg zur Adlerwacht bahnte, unter dem hohen Blutzoll der Verteidiger.
 

Nichts konnte ihm etwas anhaben. Seine Rüstung war aus dem Blute eines alten Gottes angefertigt. Nur eine Waffe aus dem gleichen Material konnte sie durchstoßen. Sterbliche wurden beim Kontakt verbrannt, und je länger sie dem Urtümlichen Saronit ausgesetzt waren, desto mehr verfiel ihr Geist dem Wahnsinn. Ihm war es jedoch gestattet, die Vorzüge dieses seltenen Rohstoffs zu genießen, und dabei seinen Verstand zu behalten. Er hatte sein Ziel noch immer vor Augen, und würde sich durch nichts davon abhalten lassen.
 

Stumm parierte Connor einen weiteren Speer mit seiner Klinge, lenkte ihn zur Seite, nur um dann dem Besitzer den Kopf abzuschlagen. Dort, wo seine Waffen nicht den Tod brachten, verfielen die Verwundeten alsbald dem Wahnsinn. Sie konnten nicht mehr Freund von Feind unterscheiden, mussten zusehen, wie ihnen die Gliedmaßen abfaulten, oder sie von innen heraus verglühten, weil ihr Blut zu sieden begann.
 

Die Leichen der Soldaten des Schlangenbarons pflasterten seinen Weg, und er war seinem Ziel, dem Tor, schon deutlich nähergekommen, als die Angreifer plötzlich innehielten und von ihm abließen. Hatten sie endlich begriffen, dass niemand ihm gewachsen war? Waren sie es leid, ihre Leben sinnlos zu vergeuden, es auszuhauchen, für einen Mann, der weder sie, noch die Nöte ihrer Familien kannte? Connors leise Hoffnung wurde jäh zerstört, als Hörner ertönten.
 

Mit einem Ruck seiner ausgestreckten Hand fällte Connor einen Teil der nun passiven Truppen, die, wie von Geisterhand, in die Luft gehoben wurden und sich röchelnd an die Kehlen griffen. Schwarzer Nebel verzerrte ihre Sicht, so lange, bis sie schlussendlich die Augen verdrehten und leblos zu Boden fielen. Nun war auch der letzte Rest der Narren davon überzeugt, dass sie es mit dem Fremden nicht aufnehmen konnten. Connor war seinem Ziel, Zugang zur Adlerwacht zu erlangen, zum Greifen nahe. Einzig der Kommandant musste noch aus dem Weg geräumt werden, und die Belagerung war aufgehoben.
 

Inzwischen brach Jubel auf Seiten der Verteidiger aus. Manche zumindest ließen sich zu einer Geste der Freude hinreißen. Sie hielten ihre Waffen gen Himmel, doch den meisten war mulmig zu Mute. Sie erkannten Connors Wappenrock, zweifelsohne, doch ihr einstiger Held, woher hatte er diese furchteinflößenden Fähigkeiten? Wie grausam sein Tun doch war, und wie gleichgültig der Blick der kalten, blauen Augen, die aus den Sichtschlitzen hervorlugten. Das Getrappel von Hufen, gepaart mit den lauterwerdenden Hörnern ließ alle, einschließlich Connor, in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, blicken.

Ein ehrloser Ritter

Auf einem prächtigen, braunen Ross ritt ein für Connor wohlbekanntes Gesicht heran. „Na, wen haben wir denn da?“, fragte der Reiter in silberner Rüstung. Sein spöttischer Unterton war nicht zu überhören. „Ist der ehrlose Sir Connor aufgetaucht, um seinen Eid doch noch zu erfüllen?“ Natürlich hatte Sir Elliot Stansfield, Ritter unter dem Banner der Schlange, seine Arroganz und seinen herablassenden Ton nicht verloren. Er und Connor waren einst so etwas wie freundschaftliche Rivalen gewesen. Damals hatte der junge Ritter diese Sticheleien noch genossen.
 

„Geht mir aus dem Weg, Elliot“, entgegnete Connor leise und senkte dabei seine Waffen ein wenig. Der Leichenberg um den Ritter herum, genauso wie die verängstigten Blicke der Soldaten, ließen Sir Elliot innehalten. Connor war zwar ein guter Schwertkämpfer, aber nicht einmal er konnte sich einer solch erdrückenden Übermacht erwehren. Er schien noch nicht einmal verletzt zu sein. Elliot durfte sich die aufkeimende Furcht nicht anmerken lassen, oder würde als Gespött seines Herren enden. „Wie wollt Ihr mich denn verscheuchen, Connor? Mit Euren schmucken Zierwaffen?“ Mit dem Kopf nickte der großgewachsene, schlaksige Ritter auf die Schwerter seines Kontrahenten.
 

„Elliot“, begann Connor erneut, wurde aber sogleich unterbrochen. „Die Zeit scheint es nicht gut mit Euch gemeint zu haben, Connor“, stichelte Elliot weiter. „Ihr seht noch schmächtiger aus als früher. Eure Aufmachung ist mehr als fraglich. Ist dies die neueste Rüstung für ehrlose Heckenritter?“ Wortlos schob Connor seine Schwerter in die Scheiden am Rücken und machte sich auf, die letzte Distanz zwischen ihm und Tor zu überbrücken. So einfach wollte es ihm Sir Elliot aber nicht machen.
 

Dieser stieg vom Pferd und versperrte mit seinem Schwert in der Hand den Eingang zur Adlerwacht. „Ich kann Euch hier nicht durchlassen.“ Was er nicht sagte. Das hatte der vorige Haufen an Männern und Frauen auch geglaubt. „S-Sir, Ihr so-soll…“, stotterte eine völlig verängstigte Frau, wurde aber von ihrem Kommandanten mit einer Geste zum Schweigen gebracht. „Na, habt Ihr Angst, Connor?“, versuchte er ihn weiter zu einer Unachtsamkeit zu provozieren. Elliot war mit allen Wassern gewaschen, und sicherlich auch auf eine so groteske Situation einigermaßen vorbereitet. Zu Lebzeiten hatte ihn Connor für seine rasche Auffassungsgabe bewundert.
 

Stumm griff Connor mit der linken Hand nach Elliots Klinge und zerbrach diese einfach zwischen seinen gepanzerten Fingern. Die rechte Hand ballte er zur Faust und donnerte sie seinem Kontrahenten gegen die Brust, wo er eine dicke Delle hinterließ. Ungläubig sackte Elliot nach hinten und lag auf dem Rücken. Wie ein hilfloser Käfer strampelte er, brüllte Befehle, man möge ihm helfen, sich auf Connor stürzen, doch seine Soldaten verharrten an Ort und Stelle.
 

Als Connor über den tobenden Elliot hinweggestiegen war, bemerkte er, wie etwas seinen gewohnten Gang behinderte. Ein Blick nach unten zeigte, dass er einen Dolch in jene Stelle gerammt bekommen hatte, die nicht von der Rüstung geschützt war: die Kniekehle. Dort wo das Metall zwecks Beweglichkeit weichen musste, steckte die Waffe. Teilnahmslos sah Connor auf den Dolch, dann auf den grinsenden Elliot. „Ihr habt den Dolch vergiftet“, stellte der Blondschopf monoton fest und zog sich die schmale Klinge aus dem Fleisch. Mit ausdruckslosem Blick drehte er die Waffe in seiner Hand ein wenig, bevor er sie achtlos beiseite warf.
 

„Ihr mögt Euch vielleicht verändert haben, Connor, aber nichts kann dem Gift der Waldspinnen auf Dauer widerstehen.“ Das triumphierende Grinsen Elliots wandelte sich bald in blanken Schrecken, als Connor seinen Helm abnahm. Seine ausdruckslosen, leeren Augen – sie waren von einem kalten Blau erfüllt. Als es zu spät war, verstand der Narr endlich. „Aber, aber, aber…“, stotterte der Ritter des Barons und versuchte verzweifelt Abstand von Connor zu gewinnen.
 

„Was habt Ihr denn geglaubt, Elliot?“ Die blutleeren, aufgesprungenen Lippen formten ein kaltes, grausames Lächeln. „Ich hätte Euch für klüger gehalten. Falscher Stolz, dazu Eure Gier, möglichst rasch aufzusteigen, wahrscheinlich sogar zu putschen, war es das wert?“ Connors Mundwinkel wanderten noch ein wenig mehr in die Höhe, als er das rechte Schwert wieder aus der Scheide zog und gen Himmel hielt. Schwarze Blitze, umrandet von einer grünen Aura, zuckten von der Waffenspitze, und fuhren in die Leiber der toten Soldaten, die sich langsam wieder erhoben. Trotz tödlicher Wunden, entstellten Leibern und teils fehlenden Gliedmaßen griffen die einstigen Soldaten der Schlange erneut nach ihren Waffen.
 

Panik brach aus. Nun floh der klägliche Rest der einstigen Belagerungstruppe endgültig. Kreischend, schreiend und weinend stürmten sie den Abhang hinab, und ließen ihren Kommandanten hinter sich, genauso die lebendig gewordenen Schrecken ihrer einstigen Kameraden. Nichts konnte den fremden Ritter aufhalten, und nicht einmal der Zorn ihres Herren, ob ihrer Niederlage, konnte so grausam sein, als das Schicksal, welches ihnen bei weiterem Widerstand blühte.
 

„Wisst Ihr Elliot“, setzte Connor an, während sich die lebenden Leichen langsam um die beiden versammelten. „Ich habe Euch für viel gehalten, aber nicht für so ehrlos. Ein vergifteter Dolch.“ Das Lächeln auf den Zügen des Blondschopfs erstarb augenblicklich. „Ihr wärt fast erfolgreich gewesen.“ Connor stieg über seinen besiegten Gegner hinweg, der sich mühsam herumdrehte, um seinem einstigen Rivalen nachzuschauen. „Und Ihr?“
 

Tatsächlich hielt der Ritter inne. Langsam drehte er sich um. Die schweren Stiefel hielten vor Elliot an, der sich zusammenkauerte, wie ein kleines Kind. Sein loses Mundwerk wurde ihm in diesem Moment wohl erst vollends bewusst. „Ich?“, wiederholte Connor die Frage. „Ich habe aus Liebe gehandelt.“ Wenn er etwas an Elliot gehasst hatte, dann war es dieser selbstsichere, triumphierende Blick. „Also doch!“, rief der Rivale und deutete anklagend mit dem Finger auf ihn. „Ja“, bestätigte Connor seine Vermutung und ging wieder auf das Tor zu. „Fresst ihn, wenn ihr wollt, und bewacht dann die Umgebung“, waren seine letzten Worte, bevor er sich, unter den Sterbensschreien seines Gegners, der von seinen einstigen Soldaten zerfleischt wurde, aufmachte, das Ziel seiner Reise endlich aufzusuchen.

Ein Hauch von Schicksal

Die Soldaten des Adlers waren nicht so dumm, sich mit ihm messen zu wollen. Warum auch? Er hatte sie schließlich gerettet. Connor konnte aber die Furcht in ihren Herzen spüren. Was war aus ihrem einstigen Helden geworden? Eines der Monster, das sie am Dach der Welt, in Nordend, bekämpft hatten. Warum?
 

Ohne Notiz von den anderen zu nehmen, schritt Connor über das verbogene Metallgitter hinweg. Seine Stiefel hinterließen Brandspuren, dort wo sie auf den gepflasterten Weg trafen. Er würde sich nun seinem Schicksal stellen, und herausfinden, ob sein Opfer einen Sinn gehabt hatte. „Nein“, korrigierte er sich innerlich: Ob Aidan es verstehen würde.
 

Es war still geworden. Seine eigenen Soldaten machten keinen Mucks, und die anderen trauten sich nicht wirklich, mehr zu tun, als zu atmen. Seine bloße Anwesenheit genügte, um sie alle schaudern zu lassen. An den Steinstufen zum Thronsaal hinauf hielt er inne. Was war wirklich aus ihm geworden? Freunde von einst, sie bedeuteten ihm nichts mehr. Er hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, Elliot getötet. Bedauern, oder gar Gewissensbisse? Es war nichts zu finden. Er fühlte sich leer. Die Dunkelheit hatte Connor verschlungen, und er konnte den Nebelschleier alleine nicht durchbrechen.
 

Mit einem kräftigen Ruck stieß er die große Flügeltür auf und betrat den einst so vertrauten Ort. Er hatte sich nicht wirklich verändert. Alles stand noch an seinem Platz, Kerzenständer, roter Teppich, die Holzbalken, sogar der Thron war unbeschädigt. Nur die Person, die darinsaß, sie wirkte anders. Aidan war abgekämpft und müde. Das einst glänzende, pechschwarze Haar war ermattet, und tiefe Augenringe zierten sein Gesicht.
 

„Connor“, sagte der Prinz. Bei seinem Namen musste der junge Ritter wieder unweigerlich an das Medaillon denken, welches an seiner Brust schlummerte. Die eiskalten Finger griffen danach und ließen es aufschnappen. Aidans Bildnis kam zum Vorschein, ein wenig jünger, und weniger ernst, aber er war es, eindeutig. Das war sein Aidan, seine große Liebe. Die verbotene Frucht, die er einst kosten wollte. Sie waren Freunde geworden, dann Brüder, und am Ende Liebende.
 

„Aidan“, formten die aufgesprungenen, blutleeren Lippen den Namen des Anderen. Dessen Blick sprach Bände. Dass er ihm dennoch vertrauen musste, konnte Connor der Tatsache entnehmen, dass keine Wachen sie belästigten. Beide waren alleine. Sollte er die herrschende Stille durchbrechen? Nein, das war dieses Mal nicht seine Aufgabe. Er hatte keine Fehler gemacht, im Gegenteil; er war es gewesen, der Aidans fehlenden Mut kompensiert hatte.
 

„Was ist nur aus dir geworden?“, hauchte der Schwarzhaarige traurig. Da war er wieder, dieser eine Blick, der Connor früher immer in den Wahnsinn getrieben hatte. Schuldgefühle zerfraßen ihn einst, wenn Aidan so dreinschaute – heute, da fühlte er etwas Anderes. „Bist du es überhaupt noch?“, flüsterte der Prinz, ohne sich von seinem Thron zu erheben. Connors Blick fiel auf das Diadem, das Aidan trug. Es war neu, und stand ihm außerordentlich gut, besser als jede Krone.
 

Warum zögerte er? Warum musste Connor jetzt, hier, in diesem Moment vor seiner Liebe stehen, und mit sich selbst ringen. Worte finden, wo er keine finden konnte. Er hatte sich entschieden, und dennoch, jetzt, wo es so weit war, da wollte er nicht mehr. Er wollte umdrehen, einfach wieder gehen. Konnte er das? Würden ihn die Wachen passieren lassen? Was würde aus Sir Connor werden? Ein Held, der die Adlerwacht beschützt hatte, oder ein Monster, das Angst und Schrecken verbreitete?
 

„Connor“, fing Aidan erneut an, wurde jedoch mit einem Fingerzeig zum Schweigen gebracht. „Nein, Aidan, ich bin nicht mehr ich selbst. Ich bin zu dem geworden, was du dir einst gewünscht hast.“ Nun war es der Blick des jungen Prinzen, der von Schuldgefühlen gezeichnet wurde. Es bedurfte eigentlich keiner weiteren Worte. „Das habe ich nicht gewollt“, sagte Aidan leise, und man konnte ihm ansehen, wie sehr er mit sich selbst rang.
 

„Ich auch nicht“, stellte Connor monoton fest. „Ich habe mir gewünscht, du würdest zu mir stehen, mich behüten und beschützen, wie ich es einst für dich getan habe.“ Langsam machte Connor ein paar Schritte vorwärts. Es wirkte fast schon zögerlich. „Ich habe gewartet.“ Die Stimme des jungen Ritters erfuhr einen anklagenden Unterton. „Darauf, dass du dich zu mir bekennst. Wir hätten glücklich sein können, das weißt du.“
 

Aidan windete sich unter dem kalten, leeren Blick seines Liebsten. Obwohl er nur mehr eine Hülle war, seelenlos, grausam, kalt, so konnte er noch immer den Mann erkennen, den er einst geliebt hatte. „Es war dir wichtiger, den Thron zu besteigen, oder? Deinem Vater nachzufolgen?“ Wieder setzte der Ritter einen Fuß vor den Anderen. Mit jedem Schritt wuchs sein Bedauern mehr, genauso wie die Dunkelheit, die in ihm aufkeimte.
 

„Ich…hättest du doch nur gewartet, dann wäre mir schon eine Lösung eingefallen“, stieß der Prinz verzweifelt hervor. Leere Worte, wie die Hülle, die Connor geworden war. „Welche denn, Aidan? Dass wir unser Versteckspiel weiter fortsetzen? Dass ich dir zusehe, wie du heiratest, Kinder bekommst, und nach außen hin den glücklichen, liebenden Ehemann spielst?“ Die Stimme des Ritters wurde schneidender, kälter als ohnehin schon. „Unsere Liebe…“, begann er, hielt dann aber inne.
 

Aidans hoffnungsvoller Blick, der nach Vergebung bettelte, ließ ihn seine nächsten Worte noch einmal überdenken. „Am Anfang dachte ich, ich würde irgendwie über dich hinwegkommen, es verstehen, doch ich konnte nicht. Stattdessen bin ich gegangen.“ Die nächsten Schritte erfolgten nun energischer, fester. Das blaue Leuchten in Connors Pupillen, es wirkte wie ein loderndes Feuer, welches über die Augenränder hinaus zu brennen schien.
 

„Der Schmerz, dich nicht mehr lieben zu dürfen, er war unerträglich, aber doch zu süß, um mein Leben zu beenden.“ Endlich stand Aidan auf, schritt das Podest herab, auf Connor zu und verharrte vor diesem. Ihm wurde in diesem Moment wirklich bewusst, was er angerichtet hatte. Vorsichtig nahm er die kalten, knochigen Wangen zwischen seine Hände und streichelte mit den Daumen darüber. Seine Stirn legte er an die seines Liebsten und konnte bereits spüren, wie die ersten Tränen in seinen Augen brannten.
 

Connor spürte nichts, gar nichts. Die warme, zärtliche Berührung, nach der er sich so sehr gesehnt hatte, sie konnte die Dunkelheit nicht vertreiben. Nichts konnte das mehr. Er war dazu verdammt, ein Dasein zwischen Leben und Tod zu fristen. Es war unmöglich zu sterben, und sich töten zu lassen, dafür war Sir Connor zu stolz.
 

Aidan sah zu Connor hinauf und lächelte traurig. „Fühlst du denn gar nichts mehr?“ Seine Hand wanderte am Brustpanzer entlang, zum Medaillon. Er verbrannte sich seltsamerweise nicht an dem fremdartigen Metall. Tatsächlich – der Ritter trug es immer noch. Liebte er ihn also doch noch?
 

Der junge Ritter sah auf seine einstige Liebe hinab, ausdruckslos, leer. Das Feuer in seinen Augen nahm zu. Aidans Blick gefror in dem Moment, als ihn die Runenklinge durchbohrte. Gierig fraß sich das verfluchte Metall durch Fleisch und Knochen, direkt in sein Herz. Ungläubig starrte der Prinz in das Gesicht seines Liebsten. Dieser fing ihn behutsam auf, und stützte ihn. Mit einem schmatzenden Laut zog Connor die Runenklinge aus Aidans Körper und schob sie wieder in die Scheide am Rücken. Der Lebenssaft des jungen Prinzen benetzte seine Finger.
 

„Mein Herz, und meine Liebe, sie sind nun auf ewig dein“, hauchte er und legte seine kalten Lippen auf die von Aidan. Dieser zuckte, röchelte, und erschlaffte dann in Connors Armen. Die Dunkelheit blieb. Sie umfing ihn wie ein Schleier, den niemand zu durchdringen vermochte. „Nun gehörst du zu mir“, flüsterte er und ging, mit Aidan auf den Armen, nach oben, zur Kanzel, von wo der amtierende Herrscher normalerweise seine Ansprache hielt. Seltsamerweise regte sich etwas in ihm, als er die Stufen erklomm.
 

Freiheit. Er war nun endlich frei. Connors Blick fiel auf das Diadem des toten Prinzen. Mit einem Ruck zog er es ihm vom Haupt. Aidans Genick brach dabei, und der Schädel hing schlaff nach hinten. Mit einem Tritt hob er die Türen zum Balkon aus den Angeln und trat ins Freie. Alle Augen, sowohl tot, als auch untot, richteten sich schlagartig auf ihn.
 

Entsetzte Schreie durchbrachen die drückende Stille, die ihn heraufbegleitet hatte. Die verbliebenen Soldaten betrachteten voller Angst und Panik, wie ihr geliebter Prinz in den Armen dieses Monsters ruhte, tot, die Augen verdreht.
 

Connor warf den Leichnam achtlos über die Brüstung. Mit einem dumpfen Laut prallte der leblose Körper im Innenhof der Festung auf. „Ihr alle“, begann er und hielt das Diadem in die Höhe, „ihr alle seid schuldig. Ihr wusstet von Aidan und mir. Wie oft habe ich für euch geblutet, mein Leben riskiert? Schlachten habe ich für euch geschlagen, und sogar jetzt, in der dunkelsten Stunde, verdankt ihr euer Leben mir.“
 

Langsam schlurften die Untoten zu den Lebenden, schlossen sie ein. „Keiner von euch hat für mich so gekämpft, wie ich für euch. Nun wird es Zeit, dass ihr euch entscheidet.“ Mit diesen Worten setzte er sich das Diadem auf die Stirn. Augenblicklich verformte sich das goldene Metall und wurde von einer unnatürlichen Schwärze durchzogen. „Kniet, oder sterbt.“
 

Ängstlich fielen die Überlebenden nach und nach auf die Knie. „Heil Sir Connor, unserem neuen Herrscher!“ Niemand war so dumm, Wiederstand zu leisten. „Kehrt heim und berichtet euren Familien vom Thronwechsel. Sagt ihnen, dass ich ein harter, aber gerechter Herrscher sein werde.“ Damit drehte sich Connor um und streckte die Hand nach der wehenden Fahne auf der Turmspitze aus. Aus dem Adler wurde ein Dachs, dessen Augen blau leuchteten. Sein Fell war dort grün, wo es eigentlich weiß sein sollte. Damit ging der Ritter zurück in den Thronsaal, und ließ seine Untertanen hinter sich.
 

Langsam ließ er sich auf dem Thron nieder, und rammte beide Runenklingen, links und rechts von sich, in den Boden. Eine purpurne Kuppel, durchzogen von unheiligen Runen, umgab ihn, während er die Finger ineinanderschob und auf die geschlossenen Flügel der Tür starrte. Er hatte genaue Pläne, was er machen würde. Gedanklich befahl er seinen Lakaien mit dem Wiederaufbau zu beginnen, und der Dunklen Fürstin eine Nachricht zu schicken. Der Norden würde fallen, genauso wie der Süden. Sie würde herrschen, und er ihr Champion sein.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück