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Ein wenig Leben

[Wieder|vereint]
von

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McDonald's

Jason legte das Tablett auf die Mitte des Tisches und setzte sich Nico gegenüber. Er hatte ihnen Cheeseburger, Pommes, eine Cola und – auf Nicos besonderen Wunsch hin – ein Softeis geholt. Ebenfalls auf dem Tisch lag eine Tageszeitung, die sie zuvor am nächstgelegenen Kiosk besorgt hatten.

Nachdem sie das Lotos Hotel verlassen hatten, war ihre erste Amtshandlung, sich auf den neusten Stand des Geschehens zu bringen. Für Jason, der zum ersten Mal mit den Auswirkungen des Hotels in Berührung kam, war es ein kleiner Schock, als er sah, dass bereits drei Tage vergangen waren.

Nico hatte einmal etwa siebzig Jahre übersprungen. Im Vergleich dazu wirkten 26 Jahre gar nicht mehr so erschreckend auf ihn. »Ist in der Zeit irgendetwas passiert, was ich wissen sollte?«, fragte er und dippte eine Pommes in sein Softeis. Mit Details konnte er sich später befassen, aber falls die Koalition der Camps dazu geführt haben sollte, dass sie die Weltherrschaft anstrebten oder der Nebel seine Wirkung verloren hatte und Halbgötter die modernen Hexen waren, wüsste er das lieber direkt.

Jason war sich nicht sicher, was ihn mehr verblüffte. Die Tatsache, dass der Sohn des Hades' den Zeitverlust von mehreren Jahren besser wegsteckte als er den von ein paar Tagen oder dass er Pommes mit Eis garnierte statt mit Mayonnaise.

Der eingefrorene Gesichtsausdruck seines Gegenübers ließ Nicos Mundwinkel zucken. Nachdem er die ersten Pommes vertilgt hatte, nahm er einen Burger und lehnte sich zurück. Während er das Papier abschälte, stieg ihn ein altbekannter Geruch in die Nase, der ihm ein zynisches Lächeln abrang. Nach dem ersten Bissen war er sich sicher; Ob fünf oder fünfzig Jahre – McDonald's würde immer noch gleich schmecken.

Heimreise

Es hatte seine Vorteile, wenn der persönliche Chauffeur ein Untoter war. Gerade als Jason und Nico beratschlagen wollten, welcher Weg für sie beide der Günstigste war, um nach San Francisco zu kommen, hielt direkt vor ihnen an der Straße eine schwarzlackierte Chrysler Limousine. Im Vergleich zu den anderen Wagen auf der Straße wirkte das Modell veraltet, wodurch es gleich die Aufmerksamkeit der beiden jungen Männer auf sich zog. Der Fahrer blieb sitzen, doch wie von Geisterhand öffnete sich die hintere Tür als stumme Aufforderung.

Nico konnte sich davon abhalten, die Hand gegen die Stirn zu schlagen. An seinen Zombiechauffeur hatte er nicht mehr gedacht. Mit dem Auto würde es zwar eine längere Fahrt, aber es kostete sie nichts (und keiner von ihnen musste sich aufs Fahren konzentrieren).

Ohne groß zu überlegen, wollte er schon auf der Rückbank Platz nehmen, als Jason ihn davon abhielt. Irritiert flog sein Blick auf die Hand, die ihn am Arm gepackt hatte, dann hinauf zu seinem Gesicht. Zwischen Jasons Brauen hatte sich eine tiefe Falte gelegt und seine Augen schienen ›Was machst du, du Dussel?‹ zu sagen.

Er gab nach und wurde ein Stück zurückgezogen. Wenn er darüber nachdachte, war es das erste Mal, dass Jason seinen Chauffeur traf. Vorher hatte es keine Gelegenheit gegeben und er ging mit dem Thema nicht hausieren. Dass er misstrauisch war, konnte Nico nachvollziehen – auch wenn es ihn ein bisschen kränkte. Als wäre er so unbedarft oder könnte sich nicht verteidigen.

Während er Jason ansah, neigte er den Kopf und hob eine Augenbraue, als verstehe er das Problem nicht. »Das ist Jules-Albert, mein Chauffeur«, erklärte er und schaffte es ein weiteres Mal, seinen Freund zu überraschen.

»Dein Chauffeur?«, echote Jason ungläubig. Er neigte sich zur Seite und schaute durchs Beifahrerfenster, um sich ein genaueres Bild zu verschaffen. Der Fahrer war blass und das Lächeln um seine Lippen unheimlich. Wenn er ihm in die Augen sah, lief ein kalter Schauer über seinen Rücken. »Er sieht nicht gesund aus.«

Arglos zuckte Nico mit den Schultern. »Er gehört zu den Leuten meines Vaters.« Da er Jules-Albert für gewöhnlich selbst rufen musste, tippte er darauf, dass sein Vater seine Rückkehr mitverfolgt hatte. Ihm gefiel es zwar nicht, wenn er unter Beobachtung stand, aber diese etwas schräge väterliche Fürsorge interpretierte er als Willkommensgruß.

Jason hatte inzwischen von Nicos Arm gelassen und die Hände stattdessen in die Hosentaschen geschoben. »Ein Zombiechauffeur«, fasste er zusammen. Das war nicht das Schrägste, was er in seinem bisherigen Leben erlebt hatte. Nach seinem Besuch bei Hades in der Unterwelt, waren Tote auch nichts Neues. Trotzdem behagte ihm nicht, von jemanden gefahren zu werden, der bereits tot war und es stand ihm ins Gesicht geschrieben, dass ihm die Erklärung nicht genügte.

»Er fährt gut«, versicherte Nico. »Im Gegensatz zu den Lebenden hat er keine Zeit mehr zu verlieren.« Der verschwiegene Jules-Albert war ihm allemal lieber als cholerische Taxifahrer, die man sonst so antraf.

Damit ließ Jason sich überzeugen und er zuckte mit den Schultern. Wer war er, dass er dem Sohn des Hades‘ bei der Auswahl seiner toten Gefolgsleute misstraute? Außerdem war es verlockend, sich zurück nach Neu Rom fahren zu lassen.

Mit einem spöttelnden Grinsen machte Nico für Jason den Cavaliere und gab ihm den Vortritt. Der ließ sich nicht zwei Mal bitten und rutschte über die Rückbank auf den Platz hinter dem Fahrer. Nachdem beide saßen und die Autotür geschlossen war, wartete ihr Zombiechauffeur, bis sie angeschnallt waren. Erst dann legte er den Gang ein und fädelte in den Verkehr von Las Vegas ein.

Im Vergleich zur Anreise war diese Fortbewegung ein Luxus, um den Jason Nico kurz beneidete. Dann war er sich nicht sicher, ob ein Zombie auf Dauer nicht eine etwas traurige Gesellschaft war. Für den Augenblick würde er diesen Gedanken jedoch nicht vertiefen, da die Polsterung des Chryslers wirklich ungeheuer bequem war und er nicht mehr wusste, wann er zuletzt geschlafen hatte.

Sein Freund beobachtete, wie er langsam in seinem Sitz versank. Seine Augen fielen ihm schon halb zu, aber er kämpfte.

Im Lotos Hotel hatte Nico selbst viel geschlafen und er war noch keine acht Stunden wach. Trotzdem rutschte er auf seinem Platz herum, bis er die perfekte Position fand, um sich bequem anzulehnen und die Augen zu schließen.

Mit dem leichten Gewicht auf seiner Schulter gab Jason schließlich den Kampf gegen die Müdigkeit auf. Bevor er gänzlich wegdämmerte, tastete er nach der Hand des anderen und verhakte ihre Finger. Mit einem leichten Druck erwiderte Nico die Geste und hörte kurz darauf Jasons gleichmäßige Atemzüge.

Jules-Alberts Fahrstil war hervorragend, denn es gab weder Ruckeln noch Stocken, das die beiden wecken sollte.

Zuhause

Während Jason die Schlüssel zurück in seine Tasche steckte, ließ er Nico den Vortritt in seine Wohnung. Er hatte vor seiner Reise aufgeräumt, da nicht klar war, wie lange er wegblieb und seine Mutter nach den Pflanzen sehen wollte, um einem Gespräch über Ordnung vorzubeugen. Trotz, dass es penibel sauber war, fühlte er ein Kribbeln im Nacken, als Nico im Flur stand und den Blick schweifen ließ.

»Es ist nicht besonders groß«, bemerkte Jason und versuchte beiläufig zu klingen. Darüber hätte er vielleicht früher aufklären sollen, als er Nico anbot, bei ihm zu wohnen. In der Einzimmerwohnung würde nicht viel Platz für Privatsphäre sein.

Der Sohn des Hades‘ zog seine Schuhe aus und schlenderte gemütlich an der Küche vorbei in den Wohnbereich. Es war genug Platz für ein Zweisitzersofa und hinter dem Kleiderschrank, der als verlängerte Wand vom Flur diente, verbarg sich das Bett. Da der Platz für einen Esstisch fehlte, gab es eine Theke mit Barhockern. Ihm fiel auf, dass alles für genau zwei Leute genügte.

»Hast du hier immer alleine gewohnt?«, fragte er und bereute es im nächsten Augenblick. Mürrisch biss er sich auf die Unterlippe. Wieso wollte er das wissen?

»Bis heute schon«, antwortete Jason unbedarft. Nachdem er seine Tasche verstaut und die Schuhe ausgezogen hatte, trat er neben ihn und sah sich in der Wohnung um, die er seit etwa einem Jahr bewohnte, als betrete er sie zum ersten Mal. Er sah nur den fehlenden Platz und massierte sich den Nacken. Wenn Nico viel Hab und Gut mitgebracht hätte, wäre es nun überfüllt. »Meinst du, es genügt für den Anfang?«

Im Vergleich zur Hadeshütte in Camp Half-Blood oder dem Zimmer, das sein Vater für ihn in der Unterwelt hergerichtet hatte, war das hier wirklich winzig. Auf so beengtem Raum mit jemand anderem zu leben, hätte ihn sonst das Gefühl gegeben, erdrückt zu werden. Aber das fühlte er im Moment gar nicht. »Es ist okay.« Vielleicht nicht für immer, aber für den Augenblick.

Damit versiegten die aufgekommenen Zweifel. Der Knoten in Jasons Magen löste sich auf und er lächelte Nico an, der ihn ansah, als würde er davon geblendet. Bevor er Abstand suchen konnte, legte Jason den Arm um seine Schultern und drückte ihn. »Willkommen zuhause.«

Es war nur eine lockere Umarmung, wie Nico feststellte. Wenn er gewollt hätte, könnte er sich problemlos befreien. Das kannte er auch anders. Jasons Körper strahlte eine ungeheure Wärme aus und obwohl er das in der Vergangenheit bereits festgestellt hatte, überraschte es ihn wieder. Einmal befürchtete er, daran zu verbrennen, doch diesmal war es angenehm. Sie gab ihm ein Gefühl von Geborgenheit.

Er lehnte sich gegen Jason und vergrub das Gesicht in seinem Arm, damit er nicht sah, wie ein Lächeln an seinen Mundwinkeln zog. Dass seine einfachen Worte ein Kribbeln in seinem Bauch hervorriefen, war ihm peinlich, aber … er war angekommen. »Willkommen zuhause.«

Schlaflos

Auf dem Weg von Las Vegas nach San Francisco hatten Jason und Nico viel Zeit zum Ausruhen. Es war wie ein kleiner Roadtrip, nur dass keiner von ihnen das Fahren übernehmen musste. Verglichen mit einem Einsatz für Halbgötter war es der reinste Urlaub. Sie fühlten sich erholt, als sie in Neu Rom ankamen und nachdem es spät wurde, hatten sie noch zu viel Energie, um zu schlafen.

Ein Problem mit dem Nico lange nicht konfrontiert war. Für gewöhnlich hatte er mehr Probleme damit, wach zu bleiben, und schwor auf Kaffee. Neben der Tatsache, dass er im Lotos Hotel und auf der Fahrt viel schlafen konnte, war es für ihn die erste Nacht in der Wohnung von Jason – in der nun auch er zuhause war. Vielleicht war er ein bisschen aufgeregt.

Er saß an der Theke und drehte ein Glas Wasser in seinen Händen, während Jason Kühlschrank und Schränke nach etwas Essbaren absuchte. »Tut mir leid, ich hätte daran denken müssen, einkaufen zu gehen.« Ratlos strich er sich durch sein blondes Haar. »Sollen wir was bestellen?« Er wandte sich zu Nico um, dem eine Augenbraue in die Höhe schoss.

»In Neu Rom gibt es Lieferservice?«, fragte er. Ihm stand das Misstrauen ins Gesicht geschrieben. Es gab da eine Anekdote mit einem Pizzaboten, der sich nach Camp Half-Blood verirrt hatte. Sie war für ihn ein Grund dafür, dass er sich stets die Mühe machte, selber zum Fast-Food-Restaurant zu gehen.

Sein Argwohn ließ Jason schmunzeln. »Das P3 liefert.« Da die Antwort nicht dazu beitrug, dass sich etwas an der Haltung von Nico änderte, begann er weiter auszuholen und erzählte ihm von dem aufstrebenden Unternehmen, das die Faun in Neu Rom gegründet hatten.

Nico hegte das Gefühl, dass sich mit ihm ein Spaß erlaubt wurde. Zu seiner Zeit waren die Faun in Neu Rom Landstreicher und hatten mit ihrem griechischen Äquivalent nichts gemeinsam.

Um seine Worte zu untermauern, holte Jason ein Smartphone hervor, öffnete die App für die Bestellung und präsentierte eine breit gefächerte Auswahl an Pizza und Pasta. »Die Panini sind sagenhaft«, schwärmte er und bemerkte gar nicht den schrägen Blick, den er von der Seite zugeworfen bekam.

Faune hatten also ein Ladenlokal in Neu Rom eröffnet, verkauften und lieferten Pizza, Pasta und Panini – und das Lokal lief unter der Firmierung Pan’s Pizza & Pasta. Nico fragte sich, ob Grover Underwood darüber Bescheid wusste.

»Also was möchtest du?« Mit diesen Worten holte Jason ihn aus den abschweifenden Gedanken und gewann seine Aufmerksamkeit. »Etwas dabei, was du magst?«

»Gibt es Pizza mit Mozzarella?«

»Sicher. Irgendwelche Extras?«

Sie klickten sich durch alle Möglichkeiten und wenn Nico ehrlich war, faszinierte es ihn und er fragte sich, wieso die Faun so lange gebraucht hatten, um auf diese Idee zu kommen. Ihre fertige Bestellung blieb bescheiden und kurz nachdem sie abgesendet war, kam eine Bestellbestätigung rein.

Nicos Blick ruhte auf dem Smartphone. Früher war Annabeth Chase die Einzige mit Mobiltelefon, die er kannte. Es war für Halbgötter gefährlich, eins bei sich zu führen. Zumindest außerhalb der beiden Camps. »Hast du das immer bei dir?«

Nach ihrer Bestellung hatte Jason das Gerät weiterhin in den Händen und legte es nun eher beschämt zur Seite. »Meistens schon.« Nicos tief zusammengezogene Augenbrauen ließen ihn stutzen, bevor er eine leise Ahnung hatte, was ihn bewegte. Er bemühte sich, das Lächeln, welches an seinen Lippen zog, nicht zu breit werden zu lassen. »Es ist nicht mehr gefährlich für Halbgötter.« Zumal er Halbgott der zweiten Generation war, was die Gefahr für ihn zusätzlich minderte.

Der grimmige Ausdruck um Nicos Gesicht blieb und so begann Jason davon zu erzählen, dass die voranschreitende Digitalisierung die Camps dazu zwang, an einer Lösung zu arbeiten. Zwar erwies es sich als unmöglich, den Effekt von Mobilfunk in Verbindung mit Halbgöttern zu unterbinden, aber es wurde eine Hintertür gefunden.

»VPN?«, wiederholte Nico skeptisch.

»Genau. Die Signale werden dadurch zerstreut und Monster können deinen Standort nicht aufspüren.« Unbewusst hatte Jason schon wieder das Smartphone in die Hand genommen und öffnete die entsprechende App, um sie seinem Freund zu zeigen. Er hatte sich für die Entwicklung dieser Anwendung interessiert und versuchte zu erklären, wie es funktionierte. Allerdings merkte er, dass er Nico schnell verlor, und brach daraufhin den Vortrag ab. »Jedenfalls ist es Halbgöttern damit möglich, Technik zu benutzen, ohne gleich zur Zielscheibe zu werden.«

Langsam schüttelte Nico den Kopf und stützte ihn in seine Handfläche. Es hatten sich in den Jahren Dinge verändert, von denen er nicht geglaubt hätte, dass so etwas möglich war. Ihm war nie in den Sinn gekommen, dass ihm etwas Entscheidendes im Leben fehlte, wenn er kein Smartphone nutzen konnte. Wobei Essen zu bestellen, ohne mit irgendwelchen Fremden sprechen zu müssen, war nett.

Jason zeigte ihm noch verschiedene andere Anwendungen, für die das Smartphone nützlich war. Die Musik-Mediathek tat es dem Sohn des Hades‘ besonders an und sie spielten einander Lieder vor, die der andere nicht kannte.

»Das ist ein Oldie, oder?«

»Vorsicht! Damit bin ich aufgewachsen.« Eigentlich erinnerte sich Nico kaum daran, aber nachdem er das erste Mal aus dem Lotos Hotel kam, hatte er sich diese Musik angehört (in der Hoffnung, dass sie ihn an etwas erinnern würde). Allerdings gab es da Musik aus den Neunzigern, die ihm um einiges besser gefiel. Das eingefrorene Gesicht von Jason war die Warnung jedoch Wert gewesen.

Es klingelte und ein Faun brachte ihnen das Essen bis an die Haustür. Jason bezahlte, während Nico die Schachteln auf der Theke öffnete. Die Pizzen waren warm und dufteten frisch zubereitet.

Also Jason die Tür wieder verschloss und sich umwandte, sah er Nico schon mit dem ersten Stück im Mund. »Kannst du nicht mal warten, bis ich bezahlt habe?«

»Es riecht so gut«, rechtfertigte er sich und schluckte den ersten Bissen hinunter.

Mit den Pizzaschachteln siedelten sie um auf das kleine Sofa. Jason verband sein Smartphone mit der Musikanlage und der bunte Mix aus ihren ausgewählten Songs lief weiter. Mehr oder weniger einvernehmlich tauschten sie je ein Stück ihrer Pizza und planten die nächsten Tage.

Jason hatte noch Semesterferien und Nico brauchte dringend ein paar mehr Habseligkeiten. Zwischen Las Vegas und San Francisco hatten sie schon einmal gehalten, um die nötigsten Utensilien – wie ein Satz Klamotten zum Wechseln und Hygieneartikel – einzukaufen, doch langfristig gesehen, fehlte einiges. Als sie dabei waren den Überblick zu verlieren, griff Jason Stift und Papier von seinem Schreibtisch und fertigte eine Liste an.

Nach dem Essen waren sie immer noch nicht müde, aber träge.

»Wollen wir schon mal ins Bett?«, schlug Jason vor mit dem Verdacht, dass sie andernfalls irgendwann auf dem Sofa einschliefen und das würde kein erholsamer Schlaf. In dem Zusammenhang kam ihm ein weiterer Gedanke. »Du kannst was von mir zum Schlafen anziehen.«

In einer fließenden Bewegung stand er vom Sofa auf und entsorgte bei der Gelegenheit die Pizzaschachteln in den Müll, bevor er an den Kleiderschrank trat. Sein Freund war kleiner und schmaler, aber er war zuversichtlich, dass ihm nicht gleich alles vom Hintern rutschen würde.

Nico bekam von ihm ein dunkles Shirt und eine lange Sporthose, die er zuschnüren konnte. Damit ausgestattet ging er als Erster ins Bad, um sich bettfertig zu machen. Seine Kleider vom Tag warf er auf einen Haufen, der auf den dunklen Fliesen zu einer schwarzen Masse verschmolz. Als er sich das zu große Shirt über den Kopf zog, konnte er neben dem Geruch vom Waschmittel den Duft von Jason wahrnehmen. Bisher passierte ihm das nur unterbewusst, doch nun hatte er das Gefühl, in einem Sommergewitter zu stehen. Sein Schopf kam hochrot aus dem Stück Stoff hervor.

In der Hoffnung, dass es half, wusch Nico sich das Gesicht, bevor er in die Hose stieg und sich anschließend die Zähne putzte. Dass das bloß ein kleiner Vorgeschmack auf die Nacht sein würde, versuchte er zu verdrängen. Fertig mit der Abendtoilette, überließ er seinem Freund das Bad und wartete.

Als beide ihre Alltagskleider gegen gemütliche Klamotten ausgetauscht hatten, kümmerte sich Jason um das Bettzeug. Er klopfte die Kissen zurecht, während Nico brav am Bettende Platz nahm.

»Reicht dir eins?«

»Klar.« Sein Blick ging zu einem unbestimmten Punkt im Zimmer. Es gab im Raum nichts besonders Interessantes zu sehen, aber er wollte nicht auf Jason achten. Mit dem Zupfen an seinem Oberteil versuchte er, beschäftigt zu wirken. Als sich die Matratze unter ihm bewegte, wandte er sich schließlich doch zu ihm um.

Jason hatte es sich im Schneidersitz bequem gemacht und lehnte an der Wand. Statt seine Aufmerksamkeit Nico zu schenken, betrachtete er nachdenklich den Zipfel der Decke, den er zwischen den Fingern festhielt. »Tut mir leid. Ich hab nur eine Decke.«

»Schon okay«, sagte Nico und zuckte mit den Schultern.

Nach dem unterhaltsamen Abend machte ihn die Einsilbigkeit stutzig. Ihm war bewusst, dass der Sohn des Hades‘ nicht zu den größten Rednern zählte, aber dieser plötzliche Umschwung war auffällig. Er hob den Blick und musterte die feinen Gesichtszüge, in der Hoffnung, etwas in ihnen eine Antwort lesen zu können.

Als sich ihre Blicke trafen, wurden die dunklen Augen größer und Nico wich aus. Sein volles Interesse galt der Tapetenmaserung, während er sich mit der Hand über den Arm strich. Seine Augenbrauen zogen sich tief in die Stirn. Wie auffällig sein ganzes Verhalten war, war ihm bewusst und es ärgerte ihn, dass er es nicht einfach abstellen konnte.

»Genierst du dich etwa?«

Ruckartig wandte Nico den Kopf herum. Jason erwiderte seinen erzürnten Blick mit einem Lächeln. Sein Ärger galt nicht ihm, sondern sich selbst, aber wie er so auf die sichelförmige Narbe starrte, musste er überlegen, ob es ein freundliches Lächeln oder nicht doch eher ein amüsiertes Grinsen war. Nein, das passte nicht zu ihm.

Jason hatte den Kopf auf die Handfläche gestützt und betrachtete ihn immer noch prüfend. Auf seine Frage folgte keine Antwort, doch die schnelle Reaktion verlangte auch keine weiteren Worte. Seine Lippen hatten sich ganz ungewollt gekräuselt und er hoffte, dass Nico es nicht falsch verstand. Immerhin lag seine Vermutung darin begründet, dass er selbst, wenn er einmal in sich hineinhorchte, aufgeregt war. Dass es seinem Freund ebenso ging, beruhigte ihn. »Wollen wir noch einen Film schauen?« Aus dem schmalen Raum zwischen Bett und Schrank zog Jason ein Tablet hervor und schaltete es ein.

Gegen etwas Zerstreuung hatte Nico nichts einzuwenden. Er rutschte an seine Seite und sah ihm über die Schulter, um einen Blick auf das Streamingangebot zu werfen. Die Filmauswahl deckte so ziemlich alle Geschmäcker und Genre ab.

Jason achtete überhaupt nicht auf die angezeigten Filme, während seine Finger über den Bildschirm wischten. Aus dem Augenwinkel betrachtete er Nico und freute sich insgeheim, dass es doch so einfach war, ihn dazu zu bewegen, sich zu ihm zu setzen und nicht den weitmöglichsten Abstand zwischen ihnen zu suchen. »Fällt dir was ins Auge, was du gerne schauen möchtest?«

Er ließ ein leises Murren von sich hören, das alles bedeuten konnte.

Sie zogen die beiden Kissen zusammen und lehnten sich zurück, während sie ein paar Filmbeschreibungen lasen. Da es so viele Filme gab, die Nico nicht kannte, wollte er gerne davon etwas schauen. Es brauchte eine halbe Stunde, bis sie ihre Entscheidung trafen und einen Film starteten.

Jason unterließ es dieses Mal, einen Kommentar abzugeben, auch wenn er fand, dass es auf eine amüsante Art klischeehaft war, dass der Sohn des Hades‘ sich für einen Horrorstreifen entschieden hatte. Dafür war er sich sicher, dass sein Freund ihm während des Filmes nicht plötzlich vor Schreck um den Hals fiel. Nachdem er bereits selbst die Unterwelt gesehen hatte, wusste er, dass an die Realität keine Fiktion heran kam. Nico überraschte ihn dennoch damit, dass er sich schon zu Beginn des Filmes bei ihm anlehnte, sodass Jason ohne sich groß Gedanken darüber zu machen, den Arm um ihn legen konnte.

Nico versuchte, der Erzählung aufmerksam zu folgen. Ihm gefiel die Ästhetik von Horrorfilmen. Dabei benötigte es kein wildes Gemetzel oder Blutbad. Seiner Meinung nach, erzeugten gute Filme durch Musik und Szenenaufbau die richtige Atmosphäre und das Horror-Genre hatte dies perfektioniert.

Jason kannte den Film ebenfalls noch nicht und wollte sich gerne auf die Handlung konzentrieren. Als er aber unbewusst damit anfing, eine Haarsträhne von Nico zwischen den Fingern zu drehen, verlor er sich in Gedanken. Erinnerungen. »Nico?«

Ein leises Murren gab zu verstehen, dass er zuhörte, selbst wenn er weiter dem Film folgte. Die Position in der er sich zurechtgelegt hatte, war zu bequem, um etwas daran zu ändern. Jason begann mit den Fingern über seinen Nacken zu streichen und erzeugten einen sanften Schauer, der seine Wirbelsäule hinunterlief und seine Kopfhaut prickeln ließ.

Jasons Augen folgten seinen Fingern, die über das kurze Haar strichen. »Dein Haar war früher länger, oder?« Es war nur ein kurzer Eindruck, aber er war sich sicher, dass es früher nicht im Nacken geschoren war, sondern in etwa die gleiche Länge wie sein Deckhaar hatten.

Die Frage führte dazu, dass sein Freund sich ihm zuwandte. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, sodass sich seine Stirn kräuselte. Das Irritierende an der Frage war nicht ihr Inhalt. Es gab diese Momente, in denen gingen Jason Dinge durch den Kopf, während der Fokus gerade ganz woanders lag. »Sie wurden mir lästig«, erklärte Nico mit einem Schulterzucken.

Mit einem lahmen Nicken quittierte er die Antwort. Er wusste selbst nicht, wieso ihm das gerade in diesem Augenblick aufgefallen war. Immerhin verbrachten sie schon den ganzen Tag zusammen. Es fühlte sich an, als wäre ihm ein Detail entgangen, auch wenn Nico das sicher vollkommen egal war. Chronologisch betrachtet lag das ganze Jahrzehnte zurück.

Erneut spielte Jason mit einer der längeren Strähnen an seinem Ohr. Es sorgte dafür, dass Nicos Mundwinkel leicht zuckten. »Schlimm?«

Er blinzelte erschrocken. »Nein.« Zaghaft begann er zu lächeln. »Weiß auch nicht.«

»Okay.« Sie ließen das Thema damit ruhen und Nico bettete den Kopf auf Jasons Brust. »Aber du kannst ruhig damit weitermachen«, murmelte er und wandte sich wieder dem Film zu.

Es dauerte, bis sein Freund begriff, aber dann ließ er sich nicht ein zweites Mal darum bitten und kraulte Nico wieder über den Nacken. Einen kurzen Augenblick bildete er sich ein, ein leises Schnurren zu hören.

Tempelbesuch

Als Jason fragte, ob Nico ihn zum Tempelberg begleiten wollte, war er unschlüssig. Sein Vater wusste ohnehin schon, dass er zurück war und den anderen Göttern musste er das nicht auf die Nase binden. Allerdings würde Jason in jedem Fall gehen und so sehr er Zeit für sich selbst genoss, wollte Nico gerade lieber in seiner Nähe bleiben. Also stimmte er zu.

Bisher hatte er es weniger bewusst wahrgenommen, doch auf dem Weg zu den Tempeln, fiel ihm auf, dass sich in 26 Jahren etwas getan hatte. Auf dem Steinpfad zum Tempel war die Menge aus winzigen Altären und Götterstatuen drastisch angestiegen.

Den Grundstein hatte damals Jason als Pontifex maximus gelegt. Er hatte es nicht zu Ende führen können und der Gedanke daran, ließ Nico schwer ums Herz werden. Während der vier Jahre in Camp Half-Blood hatte er sich persönlich darum gekümmert, dass der Bau der Tempel für die kleineren Gottheiten fortgeführt wurde, um ihm zu gedenken. Camp Jupiter hatte er nicht mehr betreten.

»Wer hat sich darum gekümmert, dass die Tempel gebaut werden?«, fragte er und vermied es, Jason anzusehen. Er spürte ein Ziehen im Magen, ohne zu verstehen, was der Grund dafür war.

Mit einem Blick über die Schulter sah Jason Nico an. Ihm fiel auf, dass der Sohn des Hades‘ ihm auszuweichen versuchte. Das konnte er sich nicht rational erklären, aber er hatte so ein Gefühl, dass es mit ihrem ersten Leben zu tun hatte. Er fragte nicht nach, weil er nicht sicher war, ob Nico – oder er selbst – das wollte.

»Hazel war das«, antwortete er.

Nun sah Nico ihn doch an. Seine Schwester hatte ihm nie erzählt, dass sie sich im Camp Jupiter um die Erbauung der Tempel kümmerte, wenn sie sich trafen. Ihn beschlich das Gefühl, dass sie es aus Rücksicht ihm gegenüber verschwiegen hatte. Gerne hätte er sie danach gefragt, aber dann kam ihm dieser fürchterliche Gedanke, dass er das vielleicht nicht mehr konnte. Halbgötter hatten häufig keine hohe Lebenserwartung. Wenn seine Schwester verstorben war, während er im Lotos Hotel geschlafen hatte, wüsste er nicht, wie er das wegstecken sollte.

Als Nico stehen blieb, tat Jason es auch. Er versuchte ihn anzusehen, doch der Blick des Jungen ging starr zu Boden. Erst als er die Hand auf seine Schulter legte, bekam er eine Reaktion. Seine dunklen Augen wirkten unruhig. »Nico, was ist los?«

Gerne hätte er Jason darauf eine Antwort gegeben, aber er konnte nicht. Seine Gedanken flogen wirr durcheinander und er bekam sie nicht richtig zu fassen. Er versuchte ein paar Mal anzusetzen, doch es kam kein Wort über seine Lippen. Ihm brach der kalte Schweiß aus, obwohl er das Gefühl hatte zu glühen.

Nicos Atmung ging viel zu schnell und das beunruhigte Jason. Er versuchte es nicht zu sehr durchblicken zu lassen, doch ihm stand die Sorge ins Gesicht geschrieben. Trotzdem bemühte er sich um eine ruhige gefasste Stimme. »Nico, versuch tief durchzuatmen.« Der Griff um seine Schulter wurde fester, als fürchte er, dass Nico ihm zusammenklappen könnte.

Es gelang Nico nicht. Sein Atem zitterte, stockte, als könnte er den Sauerstoff nicht mehr aus der Luft nehmen – wie ein Fisch. Als ihm schwindlig wurde, griff er im Reflex nach Jasons Ärmeln. Sein Herz raste.

»Nico, sieh mich an«, forderte Jason mit ruhigem, aber strengem Ton. Es brauchte zwei Anläufe bis Nico der Aufforderung nachkam. Die dunklen Augen waren glasig und sein ganzer Körper zitterte. »Es ist okay«, versicherte er ihm. Gerne hätte er ihn in den Arm genommen, doch im Augenblick war es der Situation nicht zuträglich.

Sie standen dort noch einen Moment, bis Nicos Atmung sich soweit beruhigt hatte, dass ihm nicht mehr schwindlig wurde. Sein Körper zitterte weiterhin ohne ersichtlichen Grund und das einzige, was Jason dazu einfiel, war Bewegung. Er nahm die Hand seines Freundes und zog ihn sanft den Weg weiter entlang. Sie gingen im gemächlichen Tempo über den Tempelberg, vorbei am Tempel der Bellona und des Mars Ultor.

Als sie auch den Tempel von Jupiter Optimus Maximus hinter sich ließen, fragte Nico sich, wohin Jason eigentlich wollte. Aus Angst, dass ihm die Stimme brach, blieb er stumm. Mit etwas Geduld, würde er sehen, wohin er mit ihm wollte.

Die schwarze Krypta, die in den Hang eingelassen war, weckte vertraute Gefühle. Wieso Jason gerade hierhin wollte, konnte er sich jedoch nicht erklären. Erschöpft wie er war, ließ er sich weiterführen und sie betraten zusammen den Tempel von Pluto – dem römischen Äquivalent zu seinem Vater. Sie nahmen auf einer Bank vor dem Altar Platz.

Im Tempel war es um einiges kühler, doch es fröstelte ihn nicht. Die Geräusche von raschelnden Blättern und singenden Vögeln wurden von dem Gemäuer gänzlich verschluckt, sodass eine Grabesstille herrschte. Anderen war diese Stille unangenehm, zu belastend oder gab ihnen ein Gefühl von Einsamkeit.

Für Nico war sie stets etwas Tröstliches. Ihm fiel es leichter, Abstand zu nehmen und sich zu konzentrieren. Mit einigen bewussten Atemzügen beruhigte er seinen rasenden Herzschlag. Seine verkrampften Finger lockerten ihren Griff und ruhten auf seinen Beinen. Schließlich lehnte er sich mit einem tiefen Seufzer zurück.

Nico spürte Jasons forschenden Blick auf sich ruhen und erwiderte ihn endlich. Sie waren nicht lange unterwegs, doch er fühlte sich schrecklich erschöpft. Mit Mühe bekam er ein mattes Lächeln zustande. »Danke«, murmelte er.

Es reichte, dass Jason ihn hören konnte. Er atmete auf und die Anspannung fiel von seinen Schultern. Als seine Sorge allmählich in den Hintergrund rückte, versuchte er zu verstehen, was gerade passiert war. Schon als sie sich dem Tempelberg näherten, hatte Jason das Gefühl, dass Nicos Gemütszustand sich verschlechterte. Es gelang ihm nicht, mit dem Finger drauf zu deuten, wann es umgeschlagen war. Letztendlich wurde er selbst nervös.

Auch wenn er nichts sagte, war sich Nico sicher, dass sein Freund Fragen hatte. Sein Blick war auf seine Hände gerichtet. Er erinnerte sich an das Sprichwort, dass die Hände das wahre Alter eines Menschen verraten würde. Er strafte diese Weisheit Lügen. »Hazel ist meine Schwester, weißt du?« Es fühlte sich komisch an, ihn das zu fragen.

Jason und Hazel gehörten zu den sieben Halbgöttern, die den Kampf mit Gaias Riesen aufgenommen hatten. Allerdings in einem anderen Leben und er wusste nicht, wie viele Erinnerungen nach der Wiedergeburt zurückgekehrt waren. Immerhin war es ungewöhnlich, dass er sich überhaupt an sein vorheriges Leben erinnerte.

»Ich weiß.« Jason massierte sich den Nacken und ein verlegenes Lächeln lag auf seinen Lippen, was Nico irritierte. »Sie hat mir den Weg zur Unterwelt gezeigt.«

Nico blinzelte. Einmal. Zweimal. Es brauchte einen Augenblick, bis er die Information verarbeitet hatte. »Du warst bei ihr.« Vor gar nicht allzu langer Zeit, wie ihm klar wurde. Der schwere Stein in seinem Magen löste sich auf und hinterließ ein leichtes Kribbeln. Auf einmal kam ihm seine Angst lächerlich vor und er spürte, wie seine Ohren heiß wurden und die Augen brannten. Wie peinlich! Er würde nicht weinen.

»Nico?« Ein leises Knurren verbot Jason, weiter zu fragen. Der Sohn des Hades‘ hatte das Gesicht wieder von ihm abgewandt, doch er erkannte die roten Ohren unter den schwarzen Haaren. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, aber er entsprach dem Wunsch und fragte nicht weiter.

Stattdessen nahm er seinen Rucksack auf den Schoß, um sich darum zu kümmern, weshalb er hier war. Das Rascheln machte Nico neugierig und er warf einen scheuen Blick über die Schulter. Jason holte zwei Granatäpfel und ein paar getrocknete Lorbeeren hervor – typische Opfergaben für den Gott Pluto. »Wofür ist das Opfer?«, fragte er.

»Als Dank«, antwortete Jason und lächelte dieses einnehmende Lächeln. Er streckte die Hand nach Nico aus und zog den Jungen näher zu sich, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben. »Für dich.« Er stand auf und brachte die Opfergaben zum Altar.

Erneut verlor Nico seine Stimme und hatte den Mund offen wie ein Karpfen.

Aufwachen

Piep Piep Piep.
 

Unnachgiebig und gnadenlos schellte der Wecker in diesem hellen Ton in einem hektischen Rhythmus, dass man glauben musste, man sei schon viel zu spät dran. Unverschämt. Immerhin stellte man einen Wecker, damit genau das nicht passierte.

Nico schob die Arme unter sein Kissen und drückte die Federn auf seine Ohren, in der Hoffnung, das Piepen würde verstummen. Der mäßige Erfolg ließ ihn frustriert murren. Es war ausgeschlossen dieses Geräusch zu ignorieren. Zum Hades mit dem Teil.

Als der Wecker erstarb, spekulierte Nico für einen Augenblick, ob sein stummer Fluch das Gerät tatsächlich auf direktem Weg in die Unterwelt befördert hatte. Die Bewegung der Matratze brachte ihn allerdings zu einem naheliegenden Schluss; Jason hatte ihn ausgeschaltet. Nachdem dieses quälende Piepen verklungen war, entspannten sich Nicos Muskeln und er verfiel in ein leichtes Schlummern.
 

Nach einer Weile - er hatte kein Gefühl dafür, wie viel Zeit vergangen war - legte sich eine warme Hand in seinen Nacken und kraulte durch sein Haar. Die Berührung jagte einen angenehmen Schauer über seinen Rücken, trotzdem war das Murren, das er verlauten ließ, leicht verstimmt, da er die Bedeutung hinter dieser Geste erahnte.

»Es wird langsam Zeit aufzustehen, Nico.«

Jasons Stimme war sanft und ruhig. Viel angenehmer als das Klingeln vom Wecker. Aber die Botschaft gefiel ihm nicht. Er hatte keine Termine, keine Pläne für den Tag. Wieso sollte er unbedingt aufstehen? Unzufrieden murmelte er in sein Kissen und war sich selbst nicht sicher, ob das Worte waren, die da aus ihm rauskamen.

Die Matratze sank unter Jasons Gewicht ein. Mit den Fingern zeichnete er willkürlich Muster auf seine Schulterblätter, was Nico wohlig schaudern ließ und ihn versöhnlicher stimmte. So konnte er den ganzen Tag verbringen.

»Komm, Schlafmütze.« Jason beugte sich zu ihm, um einen Kuss auf seinem Hals zu platzieren. Seine Hand lag ruhig auf der Schulter und streichelte mit dem Daumen sacht über seine Haut. Als er sich ein Stück weiter zu seinem Ohr vorbeugte, stellten sich Nicos Nackenhaare auf. »Kaffee ist schon fertig«, flüsterte er verheißungsvoll mit einem Grinsen in der Stimme.

Die magischen Worte brachten Nico dazu den Kopf aus den Kissen zu ziehen. Schwerfällig drehte er sich auf den Rücken, streckte sich mühselig und atmete tief ein. Im ganzen Raum schwebte der verheißungsvolle Geruch von frisch aufgebrühten Kaffee. Es ließ ihn lächeln. Er blinzelte, sah die Wand von Licht geflutet und Jason, wie er neben ihm lag, den Kopf auf seinen Arm gestützt mit einem Grinsen im Mundwinkel.

»Guten Morgen, Nico.«

Seine Sicht scharf stellte und das Licht wurde zu anstrengend für seine Augen, sodass er die Arme über sein Gesicht schob. »Zu hell«, beschwerte er sich kleinlaut. Für einen Moment erwog er, sich in der geschützten Ecke des Bettes einzurollen.

Als habe Jason diesen Gedanken aufgefangen, stützte er sich zu beiden Seiten von Nico ab, um ihn daran zu hindern. »Der Kaffee wird kalt«, informierte er. Abwartend betrachtete er seinen Freund, der sein Gesicht weiterhin verbarg.

Langsam hob er die Arme und schlang sie locker um Jasons Hals. Mit Mühe unterdrückte der ein Grinsen, legte einen Arm um die schmale Taille und erhob sich. Nico blieb wie ein nasser Sack an ihm hängen und ließ sich bis zur Bettkante ziehen. Wankend saß er dort und rieb sich mühselig den Schlaf auf den Augen, während sein Freund zur Küchenzeile ging.

Zurück kam er mit einer Tasse dampfenden Kaffee und reichte sie Nico mit dem Hinweis, dass sie heiß war und vorsichtig sein sollte. Jason setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl und sah geduldig dabei zu wie der erste Schluck den Sohn des Hades' ins Leben holten. »Wie wird man so ein Morgenmuffel?«, fragte er mit einem Schmunzeln ohne eine Antwort darauf zu erwarten.

»Wer stellt sich einen Wecker, wenn er frei hat?«, brummte Nico und warf ihm über den Rand seiner Tasse einen vorwurfsvollen Blick zu, als würde er ihn damit bestrafen wollen.

Jason hob arglos die Schultern. »Gewohnheit.«

Dafür erhielt er nicht mehr als ein Rollen mit den Augen.

Für die nächsten Minuten blieben beide still. Nico trank in Ruhe seinen Kaffee und Jason begann die Küchenzeile aufzuräumen. Inzwischen hatte er ein Gefühl dafür, wie er mit seinem Morgenmuffel umgehen musste und räumte ihm seine Zeit ein, um in den Tag zu kommen. Währenddessen ging er seiner Morgenroutine nach und spülte das Geschirr vom Vortag. Er hatte in den letzten Tagen bereits überlegt, etwas an seinen Gewohnheiten zu ändern. Immerhin wohnten und lebten sie zusammen. Als er allerdings das Thema zur Sprache brachte, war Nico unwohl bei dem Gedanken, dass Jason sich nach ihm richten wollte.

Ein dunkler Haarschopf schob sich in seinen Augenwinkel und holte ihn aus den Gedanken. Als er sich ihm zuwenden wollte, hatte der den Kopf bereits an seine Schulter gelehnt und so rührte er sich nicht, in der Befürchtung Nico würde zu Boden gleiten, wenn er seine Lehne verlor.

In der Hand hielt er die leere Tasse. Seine Stirn lag in Falten, als überlegte er, ob er die Tasse schon in den Abwasch geben wollte oder zuvor einen zweiten Kaffee brauchte. »Gehst du gleich wieder zur Therme?«

»So der Plan«, antwortete er und stellte ein Glas zurück in den Schrank. »Möchtest du diesmal mitkommen?«

Nico rieb das Gesicht an seiner Schulter, was einem Kopfschütteln entsprach.

Damit hatte Jason gerechnet. Für einen Besuch im Schwimmbad hatte sich sein Freund bisher nicht begeistern lassen. Stattdessen ging er lieber durch Neu Rom, besuchte die Bibliothek oder den Musikladen. »Dann treffen wir uns wieder um zwölf am P3?«

Diesmal nickte Nico sacht und hob den Kopf. Seine dunklen Augen wirkten verschlafen. »Frühstücken wir noch zusammen?«

Unwillkürlich musste Jason lächeln. »Natürlich.«


Nachwort zu diesem Kapitel:
Für diejenigen, die vielleicht ein Interesse dafür haben, habe ich einen Grundriss von der Wohnung angelegt, die Jason und Nico jetzt gemeinsam behausen dürfen. x) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von:  FreeWolf
2020-04-24T08:42:36+00:00 24.04.2020 10:42
Oh ich bin gespannt, was kommt :D
Antwort von: Norrsken
31.12.2021 23:15
ich auch :')
Von:  FreeWolf
2020-04-24T08:37:51+00:00 24.04.2020 10:37
Ich bin hin und hergerissen, ob ich es lustig finde, dass Jason dem Zombie misstraut oder ob ich auf Jasons Seite bin. Es klingt jedenfalls so als hätte Hades in einem Fall väterlicher Fürsorge ein paar Strippen gezogen, was ich definitiv unterstütze. Nur nicht zu viel, sonst geht noch was schief...
Antwort von:  FreeWolf
24.04.2020 10:38
Ach jetzt habe ich natürlich vergessen zu erwähnen dass das Verschränken ihrer Finger eine unglaublich kleine und unglaublich liebe Geste war die mich ganz softeisig macht!
Antwort von: Norrsken
31.12.2021 23:12
Bisher habe ich mir keine Gedanken dazu gemacht, ob Jason II je mit Untoten zu tun hatte. Abgesehen von seinem kurzen Abstecher in die Unterwelt. Aber ein grundlegendes Misstrauen ist als Halbgott sicher nicht verkehrt. Percy hätte es manchmal besser getan (denke an Medusa, lol).

Hades macht für ein göttliches Elternteil echt viel richtig an vielen Stellen. Nicht alles, aber vieles. Zeus hängt die Messlatte natürlich auch nicht sonderlich hoch.
Antwort von:  FreeWolf
01.01.2022 20:58
Hades macht gerade in Helden des Olymp wirklich viel richtig im Vergleich zu den anderen. Er hat allerdings auch nicht ganz so viele Kinder wie z.B. Zeus, da ist es leichter, die Übersicht zu behalten. 8D

Jason II hatte vermutlich in der Unterwelt eher mit Seelen zu tun als mit Untoten, die laufen dort unten ja nicht umbedingt herum, oder? Und ja, Percy würde ein wenig gesunder Hausverstand beizeiten wirklich gut tun. XD
Von:  FreeWolf
2020-04-23T06:33:18+00:00 23.04.2020 08:33
Mich wundert, dass McDonald's nicht bankrott gegangen ist, aber naja... Nicos Essgewohnheiten sind etwas grenzwertig, um es vorsichtig auszudrücken. Ich rechne es Jason hoch an, dass er nur fasziniert ist und nicht abgeschreckt. XD
Daneben frage ich mich gerade, wie das sein muss, so tief verbunden zu sein aber einander doch erst nochmal kennenlernen zu müssen. Ich hoffe ich lese davon hier noch mehr
Antwort von: Norrsken
31.12.2021 23:09
Ich denke, McDonald's wird so ziemlich alles überleben. :l
Allerdings muss ich mich outen und sagen, dass mir das auch schmeckt, was Nico da isst. Süß und Salzig geht voll klar.
Diese Verbundenheit und eigentlich doch Fremdheit hat sich mit dieser headcanon FF bei mir auch festgesetzt. Ich weiß nicht, ob ich dem Gerecht werden kann, aber ich mags sehr.
Antwort von:  FreeWolf
01.01.2022 20:57
Ja, leider... Ich habe letztens ein dystopisches Sci-Fi Buch gelesen, in dem es darum ging, dass der Kapitalismus alles übernommen hat, und da gab es dann leider auch schon wieder ein McDonalds-Äquivalent. Da fragt man sich manchmal schon, wo die Prioritätne liegen. :|

Süß und salzig ist manchmal das beste, und gewisse Dinge funktionieren einfach. Was Nico isst habe ich noch nicht gekostet, aber sonst habe ich schon allerhand seltsame Kombinationen probiert und gemocht :D Ich sehe es also. :D

Ich bin letztens im SPOP-Fandom einige Male über dieses Verbunden-aber-fremd-Gefühl gestolpert und es ist schon sehr faszinierend, nicht? Ich habe Vertrauen in dich und darin, dass das bei dir sicher klappen wird. :)


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