Zum Inhalt der Seite

Käfig

Tage in der Dunkelheit
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Tag Null

Es war dunkel. So dunkel.
 

„Heiji?!“, sie schluckte leise und die Tränen begannen wieder in ihren Augen aufzusteigen. Die Kälte kroch immer weiter unter ihre Klamotten und die Position, in der sie lag, ließ ihre Beine langsam einschlafen. Mühsam versuchte sie sich auf die Seite zu hieven, stieß aber dabei immer wieder mit dem Rücken an den schweren Deckel der Holzkiste, in der sie sich befanden.
 

„Heiji?“ Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und sie konnte nun die Umrisse seines Körpers vor ihr erahnen. „Heiji, du musst aufwachen!“, Kazuha versuchte verzweifelt ihn anzustoßen, doch mit den Händen auf dem Rücken gefesselt war das gar nicht so leicht. Als sie es endlich geschafft hatte ihn leicht mit dem Kopf anzustupsen, zuckte sie zusammen. An ihrer Stirn klebte etwas Nasses, dort wo sie seinen Hinterkopf berührt hatte. War das etwa…?
 

Sie hielt die Luft an, um nicht zu gleich laut los zu schreien, als es an ihrer Nase herunterlief und sie etwas leicht rot schimmern sehen konnte. Es war Blut! Heijis Hinterkopf musste voller Blut sein! „Heiji, bitte sag doch etwas!!!“ Sie konnte nun nicht mehr verhindern, dass ihr die Tränen die Wange hinunterliefen und den Boden der Kiste nass färbten. Aber sie durfte nicht laut heulen. Bloß nicht laut heulen. Wenn die Kerle draußen sie hören würden, würden sie wissen, dass sie wieder bei Bewusstsein war. Das durfte sie auf keinen Fall zulassen.
 

Sie versuchte sich auf ihren Atem zu konzentrieren, um ihren Körper wieder in den Griff zu bekommen. Ganz ruhig Kazuha…. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen… Es brachte nichts. Ihr Puls blieb so hoch wie zuvor und die Tränen kämpften sich weiter ihren Weg nach unten, wo sie sich mit dem frischen Blut zu einer unansehnlichen Masse vermischten. Kazuha war froh, dass ihr zumindest dieser Anblick erspart blieb, aber der stechende Geruch von Eisen lag förmlich auf ihrer Zunge, was dazu führte, dass sie sich am liebsten übergeben hätte. In dieser Kiste aber keine besonders gute Idee.
 

Langsam begann sich auch der Schmerz ihrer eigenen Wunde zu melden, den der Schock zunächst in den Hintergrund gestellt hatte. Ihrem Mund entfloh ein leises Stöhnen, als er wie eine Welle durch ihren Körper zuckte. Der Typ hatte ihr direkt ins Gesicht geschlagen und sie so auf der Stelle ausgeknockt. Heiji aber hatte es schlimmer erwischt. Sie hatte noch mitbekommen, wie einer der beiden ihm hinten eins mit einem Knüppel übergezogen hatte und anschließend auf ihn eintrat, als er sich am Boden wand. Sie schluckte und starrte zu ihm herüber. Es sah wirklich nicht gut für ihn aus. Aber er war doch so stark. Er konnte doch nicht… Nein er musste noch am Leben sein. Er musste! Erneut richtete sie auf und unternahm den nächsten Versuch ihn zum Aufwachen zu bringen. „Heiji! Heiji du Idiot! Wach auf!... Du machst mir Angst…“, ihre Stimme zitterte und sie biss sich mehrfach auf die Lippe, um den Schmerz, den sie verspürte, zu überdecken.
 

„Heij…!“, sie verstummte, als sie auf einmal hörte, wie sich ihnen Schritte näherten. Die Angst schnürte ihre Kehle zu und sie war nicht Mal mehr dazu imstande ein leises Wimmern auszusenden. An wen denn auch? Es war niemand hier, der ihnen helfen konnte. Niemand, nur sie und Heiji und ihre Peiniger.

Tag Eins

Auf einmal fing der Boden unter ihnen sich an zu bewegen. Heijis leblos scheinender Körper rutschte auf Kazuha, als die Kiste in Schräglage gelang. Sie unterdrückte einen Schrei und stieß sich zitternd mit den Füßen von der Wand der Kiste ab, um nicht allzu sehr herumgeschleudert zu werden. Wo brachten sie sie hin? Was hatten sie jetzt mit ihnen vor? Kazuhas Magen drehte sich erneut um 180°, als sie über die Möglichkeiten nachdachte. Schnell schüttelte sie ihren Kopf, wie um die negativen Gedanken loszuwerden und versuchte stattdessen erneut ihren Freund wachzurütteln. Wieder vergebens. Er konnte doch nicht tot sein! Nein, er durfte nicht tot sein! Die leisen Schluchzer, die sich nun den Weg aus ihrem Mund gekämpft hatten, konnte sie nicht mehr unterdrücken.
 

„Hast du das gehört?!“, drang plötzlich eine Männerstimme zu ihr hervor. Kazuha zuckte zusammen und hielt sich die Hand vor den Mund.
 

„Verdammt du hast doch gesagt, dass du sie gekillt hast!“, antwortete eine zweite aggressiv darauf.
 

„Hab ich ja auch! Hast du nicht gesehen, wie die zugerichtet waren?!“
 

„Verdammte Gören!“, ein Rucken ging durch die Kiste, als würden die Männer sie mit Absicht hin und her schleudern. Vermutlich taten sie das auch. Kazuha stieß mehrmals mit Füßen und Kopf gegen die Seiten und biss sich auf die Zunge, als sie die Schmerzenslaute zu unterdrücken versuchte. Am meisten machte ihr aber Heiji sorgen, der sich in seinem Zustand ja nicht Mal ein wenig abfedern konnte. „Wenn ihr zwei da drin noch wach seid, dann geht jetzt gefälligst wieder schlafen! Ihr habt eh keine Chance auf Rettung mehr.“, zischte die Stimme, die zuerst erklungen war.
 

Die Zweite, etwas tiefere meldet sich auch wieder zu Wort, schien sich aber an seinen Kollegen zu richten. „Was machen wir jetzt überhaupt mit denen? Immer noch aufs Schiff?“
 

„Natürlich!“, knurrte er. „Macht doch keinen Unterschied. Wenn sie noch nicht tot sind, werden sie halt auf See verhungern. Das Ergebnis ist am Ende das gleiche. Wenn sie gefunden werde, dann als Leichen und ohne Bezug zu uns.“ Die Stimme lachte dreckig. In Kazuhas Augenwinkeln bildeten sich erneut Tränen. Wie sollten sie hier bloß wieder rauskommen? Wenn Heiji doch nur bei Bewusstsein wäre. Er hätte sicher eine Idee. Heiji….
 

Die Kiste machte erneut einen Ruck und Kazuha kämpfte gegen die Panik an, die im Begriff war die Kontrolle zu übernehmen.
 

„Jetzt helft doch mit, verdammt nochmal!“ Genervtes Gebrumme war zu hören, dann schlurfende Schritte und ein erneutes Rucken der Kiste, wodurch sie nun wieder etwas gerader in der Wage stand. Kazuha versuchte etwas durch die Spalten zwischen den Holzbrettern zu erkennen, doch mehr als einen schwarzen Fleck T-Shirt Stoff bekam sie nicht zu Gesicht. Sie konnte nichts anders zu tun, als zu beten, dass sie jemand fand. Sicher suchten ihre Eltern schon nach ihnen. Und auch Ran und Kogoro wunderten sich bestimmt schon, wo sie blieben. Ja… sie würden sie retten. Da war sie sich sicher. Da musste sie sich sicher sein.
 

Sie unterdrückte das Zittern ihrer Hände und bemerkte Heijis Körper, der erneut gegen die Wand der Kiste glitt, als die Männer diese achtlos auf irgendetwas draufhievten. Zumindest hörte es sich so an. Kurzerhand beschloss sie, dass sie ihm irgendwie helfen musste und robbte so gut es ging ein paar Zentimeter näher zu ihm, bis sich ihre Körper berührten. Sie schluckte. Er war so kalt…
 

Nein sie durfte jetzt nicht wieder daran denken. Sie drehte sich mit aller Mühe auf die Seite, sodass ihr Rücken an seinen stieß und versuchte so zu verhindern, dass er weiter von einer Seite auf die andere geschleudert wurde.
 

Und jetzt? Ihr Herz pochte laut in ihren Ohren. Die Entführer hatten auch kein Wort mehr gewechselt und alles was Kazuha wahrnahm, waren die Geräusche von Schritten und das gleichmäßige Schnauben der Männer, zudem sich das quietschend von Rädern gesellt hatten. Sie glaubte das Geräusch eines Aufzugs zu hören, dessen Türen mit einem Ping zur Seite glitten, dann Warteschleifen Musik.
 

Ich muss mir merken, wo wir lang sind, dachte sich Kazuha. Wir müssen uns orientieren können, wenn wir fliehen. Sie kaute leicht angespannt auf ihrer Unterlippe und schloss die Augen um sich allein auf die Umgebungsgeräusche zu konzentrieren. Wenn sie sich nicht irrte, mussten sie jetzt in der oberen Lagerhalle des Gebäudes sein.
 

Ein lautes Klong ließ sie zusammenfahren. Die Kiste erfuhr zeitgleich eine leichte Erschütterung und sie presste ihre zusammengebundenen Füße gegen die gegenüberliegende Wand der Kiste, um den Aufprall abzufangen. „Pass doch auf du Idiot!“
 

„Pfft. Ist doch egal. Ist ja nicht so, als könnte etwas kaputt gehen.“, der Besitzer der dunklen Stimme spuckte auf den Boden.
 

„Wenn die Kiste ein Loch bekommt und die uns abhauen, dann sind wir schneller tot als du gucken kannst!“
 

„Reg dich ab. Das Ding ist solide. Und außerdem…“, es mischte sich ein schleimiger Ton unter die Stimme, der bei Kazuha einen Würgereiz auslöste, „Ihr werdet sowieso nicht ausbrechen. Nicht wahr? Ihr seid nicht so dumm zu glauben ihr könntet aus dem Gebäude fliehen.“ Seine Lache triefte vor Schadenfreude. „Ich weiß, dass ihr mich hört. Also antwortet.“
 

Kazuha schwieg und unterdrückte ein Wimmern. An ihrem gesamten Körper hatte sich die Gänsehaut aufgestellt und sie verstand nicht, was die Typen noch von ihnen wollten.
 

„Redet!“ Der Kerl trat wütend gegen die Kiste und Kazuha hatte das Bedürfnis ihre Arme um sich zu schlingen. „Dann eben nicht! Ihr habt euch das selbst zu zu schreiben. Spioniert uns nach ihr dreckigen Biester.“ Ein Schlag auf den Deckel, der in Kazuha Ohren dröhnte, wieder die quietschenden Räder, dann entfernten sich die Schritte langsam.
 

Sie starrte zitternd auf den Boden der Kiste. Zumindest konnte sie diesen nun ein wenig vor sich erkennen, da ein kleiner Strahl licht durch die Ritzen fiel. Schnell, sie musste sich umdrehen und Heijis Zustand begutachten. Gerade als sie Anstalten machte, sich zu bewegen, erfüllte ein kurzes Summen die Luft, ein Flackern und der Lichtstrahl verschwand. Kazuha sah noch das Abbild davon vor ihren Augen flimmern, dann ließ auch dieses sie in der Dunkelheit zurück.

Tag Zwei

Sie schlug die Augen auf und die Dunkelheit umfing sie erneut. Mit einem schwirrenden Kopf rutschte sie in eine geringfüge andere Position, soweit es der wenige Platz zuließ. Zumindest der Schmerz hatte sich zu einem zwar unangenehmen, aber erträglichen Pochen in ihrem Hinterkopf zurückgezogen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein, aber der Kraftakt der letzten Stunden musste seinen Tribut gefordert haben und sie war kurz weggenickt.
 

Ihre Augen waren gerötet, sie hatte fast die gesamte Nacht vor sich hin geschluchzt und zusätzlich brannte ihre Kehle und verlangte nach Flüssigkeit. Sie schniefte leicht und sah zitternd zu Heiji herüber. Er war immer noch nicht bei Bewusstsein. Sie hatte es allmählich aufgegeben ihn wecken zu wollen und ihr Herz zog sich bei seinem leblosen Anblick krampfhaft zusammen.
 

Nicht daran denken.
 

Dieser Satz war in der Zwischenzeit für sie zu einer Art Mantra geworden und es war das einzige, was sie wohl noch davon abhielt nicht verrückt zu werden.
 

Nicht daran denken.
 

Es klang so einfach, doch in der Kiste liegend, wo alles was sie tun konnte war, der Stille zu lauschen, hatte sie leider viel zu viel Zeit dafür.
 

Sie versuchte sich abzulenken und die Zeit damit zu überbrücken, dass sei sich die verschiedensten Fluchtpläne ausmalte. Allerdings beschäftigte sie dies auch nicht lange, da sie nun mal zu wenig über ihre Umgebung wusste. In ihren Erinnerungen suchte sie nach Bilder, nach einem genaueren Umriss der Lagerhalle. Nach der Anzahl von Türen, die von dort ausgingen, oder wohin sie führten. Irgendetwas musste da doch hängen geblieben sein. Irgendwas!
 

Sie verfluchte, dass ihre Aufmerksamkeit die ganze Zeit auf Heiji und den Typen, denen sie gefolgt waren, gelegen hatte. Ihrer Umgebung hingegen hatte sie so gut wie gar keine Beachtung geschenkt.
 

Aber es war ja sowieso alles nicht von Nutzen. Solange sie keine Ahnung hatte, wie sie sich überhaupt aus der Kiste befreien sollte, war jede weiter Aktion ohne Bedeutung.
 

Sie versuchte sich an die Hoffnung zu klammern, dass sie schon jemand retten kommen würde, jedoch wann? Was wenn sie erst kämen, wenn es bereits zu spät war?
 

Nicht daran denken.
 

Die Zeit zog sich hin wie durch eine klebrige, widerspenstige Masse. Minuten wurden zu Stunden und Stunden zu Jahren; zumindest in ihren Gedanken. Ihr Zeitgefühl hatte sie sowieso bereits verlassen. Sie wusste ja nicht Mal, wie lange sie geschlafen hatte. Waren es Stunden oder bloß ein paar Minuten gewesen? Vielleicht war ihr Verschwinden noch gar nicht so lange her und die Moris hatten noch gar keinen Verdacht geschöpft? Dann würde es noch ewig dauern, bis sie kämen. Die Vorstellung, auch nur noch ein wenig länger eingesperrt verbringen zu müssen, stieß bei ihr mehr als sauer auf. Irgendwann, dachte sie, würde sie noch ihren Verstand verlieren.
 

Nicht daran denken.
 

Den Rest des Tages hatte sie schließlich in einem halbwachen Zustand über sich gebracht. Sie hatte vor sich hingedöst und gleichzeitig auf die Geräusche im Lager geachtet. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Sobald sie Schritte hören würde, würde sie losschreien. Entweder hatte sie Glück und es war ihr jemand Wohlgesinntes, oder sie würde zumindest die Nerven einer ihrer Peiniger töten. Vielleicht, dachte sie, würden sie dann ja auch die Kiste kurz öffnen, um sie zum Schweigen zu bringen. Das wäre ihre Chance. Keine besonders gute, aber immerhin eine Chance und überdies die einzige, die sie hatte.

Tag Drei

Ihre Hoffnungen hatten sich trotz etlicher Stoßgebete nicht erfüllt. Sie lag immer noch in derselben stinkigen Kiste wie zuvor, auf demselben stinkigen Platz, in derselben klebrigen Blutlache am Boden. Zumindest einen kleinen Triumph hatte sie aber erzielen können. Das Seil, dass ihre Hände gefesselt hielt, war durchs ständige hin und her rucken und ihre stetige Versuche sie ein wenig zu bewegen, schließlich lockerer geworden und sie hatte es abstreifen können. Dennoch, so langsam hatte sie die Hoffnung schon aufgegeben, ihren Plan ausführen zu können. Es wollte einfach niemand vorbeikommen. Vielleicht wollten die Leute sie auch einfach hier aushungern? Sie so lange stehen lassen, bis man sie vergessen hatte und irgendwann in ein paar Jahren würde man ihre Skelete hier drin finden, wenn ein neugieriger Forscher auf Schatzsuche die Ruinen des Lagerhauses durchforstete.
 

Wie unsinnig, Kazuha schallte sich in Gedanken eine Idiotin, kurz nachdem sie sich dieses Szenario im Kopf ausgemalt hatte. Außerdem..., hatten diese Typen nicht etwas von einem Schiff gesagt? Kazuah biss sich auf die Lippe und versuchte sich zu erinnern. Ja, sie war sich sicher, dass dieses Wort gefallen war, als sich ihre zwei Entführer unterhalten hatten.
 

"Immer noch aufs Schiff?", seine Worte hallten in ihrem Kopf wieder und eine neue Angst manifestierte sich langsam in ihr. Hatten sie wirklich vor, ihre Kiste auf See zu schicken? Das durften sie nicht! Wenn sie das taten, gab es keine Hoffnung für Heiji und sie mehr! Wie sollten Mori und Ran sie dann finden?!!
 

Verzweifelt begann Kazuha mit ihren Fingernägeln das Holz vor ihr zu bearbeiten. Diese doofe Kiste musste doch irgendwie aufbekommen zu sein! Immer stärker grub sie ihre Nägel in die braunen Bretter, doch sie waren hart und unbarmherzig, sodass alles was Kazuha zu verbringen vermochte, ein paar Schrammen waren, die sie im fahlen Licht kaum erkennen konnte. Mit Tränen in den Augen zog sie ihre Hände schließlich wieder zurück und presste sie an ihre Brust. Ihre Kuppen waren rot und es brannte an den Stellen, wo sie sich die Haut aufgeschrammt hatte, doch dieser Schmerz war nichts gegen die Qual immer noch eingeschlossen zu sein.
 

Da ihr also nichts anderes übrigblieb, als weiter zu warten und zu hoffen, fing sie wieder an in den mittlerweile gewohnten Halbschlaf zu versinken. Auch wenn es seltsam klang, er war beinahe wie eine Droge. Er ließ sie kurz vergessen wo sie war und sie sank darin ein, wie in ein weiches Kissen; bereit sie aufzufangen und alles um sie herum verschwinden zu lassen. Die Sorgen, den Schmerz, die Pein und vor allem die Angst, die sie im wachen Zustand stets begleitete.
 

Ein Krachen.
 

Kazuha erschrak und fuhr aus dem Dämmerschlaf auf, wobei sie sich den Kopf an der Decke anstieß und laut fluchte. Direkt danach hielt sie sich geschockt den Mund und blinzelte mehrmals irritiert. Was war das Geräusch, dass sie aufgeweckt hatte? Das musste eine Tür gewesen sein! Jemand war hier gewesen. Aber war er gerade rausgegangen, oder reingekommen? Hatte sie ihre einzige Chance etwa verschlafen?!! Kazuhas Herz pochte so schnell wie seit dem ersten Tag nicht mehr und sie lauschte angespannt.
 

Nichts... Keine Schritte, kein Ton.
 

Augenblicklich breitete sich eine Wut auf sich selbst in Kazuha aus, wie sie sie noch nie zuvor irgendwem hatte zukommen lassen. Warum hatte sie sich bloß diesen Schlaf hingegeben?! "VERDAMMT.“, sie schlug mit voller Wucht gegen die Wand ihres Gefängnisses und zuckte nicht einmal zurück, als der Schmerz ihre Fäuste durchflutete.
 

"Ist da wer?!!"
 

Kazuha erstarrte.
 

"Wer ist da!" Eine ihr unbekannte Männerstimme schallte drohend durch den Raum.
 

Jetzt oder nie. Kazuha zögerte nicht lange und trommelte wie wild gegen die Kiste. "HILFE! HILFE!!! WIR SIND HIER EINGESCHLOSSEN!" Sie legte keine Atempause ein und schrie sich die Seele aus dem Hals, auch wenn dieser noch vor Trockenheit schmerzte.
 

"SCHNAUZE!"
 

Kazuha fuhr leicht zusammen und verstummte wirklich kurz, machte dann aber weiter. Es war also einer der Entführer. Sie hatte einfach keine Glück.
 

Trotzdem ... sie war entschlossen nicht mit dem Geschreie aufzuhören, bis jemand diese Kiste öffnen würde. Wer das sein würde, war ihr derzeitig vollkommen allerlei.
 

"Beschissene kleine Drecksbälger!“, sie hörte schwere Schritte, die immer näherkamen und zunehmend donnernder klangen. "Ich sagte halt deine Schnauze!"
 

Kazuha dachte gar nicht erst daran. "HILFE! HELFEN SIE UNS!"
 

Ein Zucken ging durch den Hölzernen Käfig. Ein Tritt gegen die Wand und anschließendes Gefluche. Kazuha holte Luft und schrie weiter.
 

"Ich komm gleich zu dir rein und knips die das Licht aus!" , der Typ schien äußerst schlecht gelaunt, aber Kazuhas Laune war garantiert arger mitgenommen als die seine.
 

"HILFE, IRGENDWER!"
 

"Das wars! Mach dich auf was gefas-", weiter kam er nicht mit seiner Drohung, denn Kazuha war gerade in dem Moment, indem er den Deckel anhob, nach oben geschnellt und drückte nun mit vollem Körper Einsatz gegen den Holzverschluss. Man hörte ein ekliges Knacken, dann schrie der Mann auf und wich einen Schritt von der Kiste zurück. Blut rann durch seine Finger, die er sich verzweifelt auf die Nase presste. "Du verdammte Mist Göre!"
 

Kazuha zögerte nicht einen Augenblick und machte einen Satz aus ihrem Käfig. So sehr es ihr auch wiederstrebte Heiji hinter sich zu lassen, sie würde ihm nur helfen können, wenn sie es hier herausschaffte.
 

Hektisch glitt ihr Blick links und rechts über die Regalreihen, die sich meterweit um sie herum erstreckten. Sie hatte nur wenige Sekunden um den Richtigen zu orten. Würde sie zu lange darüber nachdenken, säße sie blitzschnell wieder in der Falle. Aus der Not heraus schlug sie also einfach den Weg ein, der ihr am nächsten war und am weitesten von ihrem Verfolger weg. Dieser hatte sich derzeit nämlich auch schon wieder berappelt und realisierte ihr Vorhaben.
 

Kazuha rannte wie sie noch nie in ihrem Leben zuvor gerannt war. Sie hechtete den Weg entlang, bog an einem Regal mit Ambossen rechts ab und überschlug sich fast, als ihr Fuß an einem Nagel, der aus der Wand ragte, hängen blieb. Zum Glück hatte sie sich noch rechtzeitig bremsen können, aber jetzt hatte sich ihre Hose an dem rostigen Teil verfangen. Laut fluchend zerrte sie an ihrem Bein und brachte den Jeansstoff so zum reißen -sie war wieder frei-. Ein Blick über ihre Schulter trieb sie erneut zu Höchstleistungen an, denn der Mann hatte beinahe zu ihr aufgeschlossen. Sie schaffte es gerade noch hinter dem nächsten Stapel Kisten zu verschwinden, als er die Stelle erreichte, an der sie bis eben noch gestanden hatte. Mit rasenden Herzen trieb sie die Angst immer weiter und sie riss ihm laufen ein paar aufeinander gestapelten Dosen um, die ihrem Verfolger in den Weg fielen und ihr so etwas mehr Zeit verschafften.
 

Da vorne konnte sie sie auch schon sehen. Die Tür zu ihrer Freiheit, oder zumindest zum Fahrstuhl. Den musste sie ja auch noch überwinden, fiel ihr ein.
 

Nein...
 

Nich' daran denken...
 

Sie biss die Zähne zusammen und legte noch einen Zahn auf den letzen Metern zu.
 

Gleich war sie da. Dort war die Türklinken. Nur noch ein paar Zentimeter. Jeztz! Jetzt hatte sie sie in der Hand!
 

Nur noch herunter drücken.
 

Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Nein... das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein! Ein Frustschrei verließ ihre Kehle und wäre er von jemanden anderem als ihrem Verfolger gehört worden, er wäre ihm bis ins Mark gedrungen.
 

Verzweifelt und es nicht wahrhaben wollenden rüttelte sie an der verschlossenen Tür. Sie hatte es doch endlich geschafft. Sie hatte sich freigekämpft, war geflohen. Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln und sie begann vor Wut und Enttäuschung mit den Fäusten auf die Tür einzuschlagen.
 

Wenige Sekunden später, spürte sie auch schon wie sich raue Hände von hinten um sie legten und sie schrie bei der Berührung nicht einmal auf. Es war als würden sie alle Kraft aus hier herausssaugen und sie merkte wie ihre Knie langsam unter ihr nachgaben. Der Typ riss ihr die Arme auf den Rücken und drückte sie zu Boden. Sie wehrte sich nicht.
 

Etwas was dem Mann scheinbar Selstbsicherheit verlieh, sodass er sich zu ihrem Ohr herunter beugte und ihr etwas zuflüsterte: "Gleich ist es vorbei."
 

Sein heißer Atem ließ sie innerlich frösteln und das nächste was sie wahrnahm war, wie sich kaltes Eisen an ihren Hinterkopf schmiegte. Stumm rann ihre eine letzte Tränen die Wange hinunter.
 

Sie wusste, dass er Recht hatte.
 

Heiji es tut mir leid. Ich konnte dich nich' retten.

Tag Vier

Ein Knall.

Plötzlich verschwand der Druck an Kazuhas Hinterkopf und sie hörte, wie der Kerl hinter ihn zusammen sackte. Verwirrt blinzelte Kazuha ein paar Mal und wagte es erst dann, sich umzudrehen.

Tatsächlich. Ihr Entführer lag ausgestreckt am Boden, die Haare an seinem Scheitel hatten sich rot verfärbt. Aber wie?

Von dem Schock, der immer noch tief in ihren Knochen steckte, ganz benommen, löste sie den Blick von dem Mann und sah sich um. Augenblicklich weiteten sich ihre Augen.

"Hei-Heiji!", sie konnte es nicht fassen und kurz glaubte sie, dass ihr Gehirn ihr bloß einen Streich spielte. Er war doch... "Du lebst!" , brachte sie unter Freudentränen heraus. "Heiji du lebst!"

Sie wollte aufstehen, auf ihn zugehen und ihn umarmen. Ihn endlich wieder halten und ihn fragen wie es dazu kam, dass er nun hier stand, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht. Sie versuchte es nochmal, doch sie fühlten sich an wie aus Wackelpudding und es war ihr unmöglich auf diesen zu stehen.

Sie versuchte es also auf andere Weise.

"Heiji, wie-..." , erneut geriet sie ins Stocken. Heiji hatte bisher kein Wort von sich gegeben und sah auch nicht besonders gut aus. Natürlich nicht. Immerhin hatte ihn Kazuha bis vor kurzem noch fast für Tod gehalten! "Heiji geht's dir gut?" Sie sah besorgt in sein blasses Gesicht. Er atmet schwer und sein Blick schien wie erstarrt.

"Heiji-"

Dieser schüttelte auf einmal gequält den Kopf. Er zitterte und schließlich drang doch etwas aus seinem Mund: "Ha- Hab ich...?"

Nun fiel es Kazuha wie Schuppen von den Augen. Sie hatte es bisher übersehen, aber Heijis Blick haftete die ganze Zeit über auf dem leblosen Körper am Boden, während seine Hände verkrampft um ein silbernes Stück Rohr lagen. Ein silbernes Stück Rohr, von dessen Ende nun Blut tropfte.

Schnell wandte sich Kazuha zu dem Mann und legte ihm zwei Finger an die Halsschlagader, dann atmete sie beruhigt aus. "Er lebt."

In Heijis Augen zeichnete sich die Erleichterung sofort deutlich ab, als er Kazuhas Worte vernahm. Langsam sanke er Richtung Boden, während das Rohr laut scheppernd auf diesem aufkam und bis an den Rand eines Regals kullerte.

Bei diesem Anblick schaffte es Kazuha nun endlich gerade zu stehen und wenige Sekunden später kniete sie neben ihm und versuchte ihn so gut es ging zu stützen. "Heiji, wir müssen hier raus.", flüsterte sie leise und vorsichtig. Er reagierte nicht. "Bitte, Heiji." Erneut drohten die Tränen in ihren Augen aufzusteigen, aber sie unterdrückte sie mit aller macht. Sie durfte jetzt nicht weinen, jetzt musste einmal sie stark sein.

Schon wieder hatte er sie gerettet, dabei war er vermutlich gerade erst aus seinem Komaartigen Zustand aufgewacht und musste sich innerhalb kürzester Zeit orientieren. Es wäre unfair die restliche Last nun auch noch auf ihm abzuladen, auch wenn sie ihn gerade brauchte.

Die langen Tage, durch die sie sich in der Kiste gequält hatte, waren nämlich auch nicht spurenlos an ihr vorbeigegangen. Nicht nur seelisch. Jetzt, wo die unmitellbare Gefahr abewandt war, fing sie langsam an Schmerzen in all ihren Gliedern zu spüren. Die Zusammengekrümmte Haltung war nicht die Optimalste für so einen langen Zeitraum gewesen. Auch brummte ihr der Schädel von dem Wassermangel und wer weiß noch was für Dingen, die ihr fehlten. Hunger war sicherlich nicht das Schlimmste davon.

Wie gerne hätte sie sich jetzt also einfach nur zurück gelegt und darauf gewartet, dass sie jemand rettet, oder sich von selbst ein Weg nach Draußen auftat. Aber sie war nicht dumm, dass würde es nicht und Heiji, dem sicherlich etwas eingefallen wäre, war derzeit nicht ansprechbar. Verübeln konnte sie es ihm nicht, denn trotz dem, was sie durchgemacht hatte, konnte sie sich wohl auch nur im Entferntestesn vorstellen, wie es ihm ergangen war, den es um einiges schlechter erwischt hatte. Im Licht betrachtet, wirkte seine Wunde am Kopf noch viel bedrohlicher.

"Heiji, komm mit." Vorsichtig packte sie ihn an den Armen und versuchte ihn aufzurichten, was sich angesichts ihrer eigenen kraftlosen Beine, als ziemlich schwierig herausstellte. Zumindest schienen aber ihre Versuche langsam zu ihm durchzudringen und er erhob sich von selbst, was Kazuha mit einem dankbaren Blick quittierte. Seine Augen schienen immer noch vernebelt und er verzog bei jedem Schritt den Mund, als würde er ein Erdebeben in seinem Kopf auslösen. Vermutlich war dem auch so, aber sie konnte jetzt keine Rücksicht darauf nehmen. Sie mussten schleunigst aus diesem Gebäude entkommen, oder es sah noch schlechter für sie aus, als zuvor. Eine Vorstellung, die sie zu Höchstleistungen antrieb.

Sie schaffte Heiji bis zur anderen Seite des Raumes und lehnte ihn dort vorsichtig mit dem Rücken gegen ein Regal. Hier würde man ihn zumindest nicht so schnell entdecken, sollte doch noch jemand beschließen hier einmal nach dem Rechten zu sehen. Nachdem sie sich auch vergewissert hatte, dass er dort gerade sitzen bleiben würde und nicht in nächster Zeit zusammen klappte, begann sie die Halle zu erkunden.

Wie sich herausstellte, gab es drei Türen, die von diesem Raum ausgingen. Die eine rechts von ihr, hatte sie ja bereits ausprobiert. Die ihr Gegenüberliegende auf der Linken Seite, stellte sich zu ihrer Enttäuschung ebenfalls als abgesperrt da. Nun blieb nur noch zu hoffen, dass es mit der letzten Tür nicht dasselbe war. Dann wären sie nämlich kein Stückchen weiter als zuvor, nur der Käfig, in dem sie gefangen gehalten wurden, hätte sich vergrößert.

Mit zitterndern Hand und bebenden Lippen umfasste sie den Türgriff, der über ihr weiteres Schicksal entscheiden würde.

Ein überraschter Aufschrei entfuhr ihr, als sich dieser Tatsächlich nach unten drücken ließ. Ihr Herzschlag hatte sich um einiges beschleunigt und sie wollte gerade vor Freude und Erleichterung jubeln, als die Tür ganz aufsprang und alles in ihr zusammensackte.

Nein..., dass durfte nicht sein. Nicht so..., nicht nachdem sie sich mit so viel Mühe freigekäpft hatten...

Mit leerem Blick sah sie in die Abstellkammer vor sich.

Das war nicht fair.

Tag Fünf

Kazuha atmete tief durch.
 

Sie musste jetzt die Ruhe bewahren. Sie durfte sich keinen Fehler erlauben.
 

Mit zittrigen und Fingern manövrierte sie das kleine Stück Metall im Schloss umher und versuchte es irgendwo unterzuhaken. Immer wieder rutschten ihre vom Schweiß nassen Hände zur Seite ab und einmal ließ sie den Draht sogar fast fallen, sodass ihr ein leiser Aufschrei entfloh.
 

Heiji hatte daraufhin die Augen leicht geöffnet und seine heisere Stimme hatte ihr fast einen Herzinfarkt beschert, bevor sie sie ihm hatte zuordnen können. Sie stand schon die ganze Zeit unter Strom und rechnete jede Sekunde damit, dass die Tür, an der sie gerade herumwerkelte plötzlich aufspringen würde und einer ihrer Entführer ihrem Fluchtversuch ein jähes Ende bereitete. Aus diesem Grund brauchte sie auch ein paar Sekunden, bis sie sich wieder beruhigt hatte und auf seine Frage antwortete: "Mein Vater hat mir das Mal gezeigt. Für den Notfall." Leicht musste sie schmunzeln, als sie an die Situation damals zurückdachte. Ihr Vater hatte, als sie noch ein kleines Kind gewesen war, vor ihr gekniet und mit einem Dietrich an ihrer Zimmertür herumgespielt. Ihr hatte er gesagt, sie solle aufpassen, doch sie hatte ihm den Vogel gezeigt und gemeint, dass sie das nie brauchen würde. Nun zeigte sich, dass sich die Hartnäckigkeit ihres Vaters doch ausgezahlt hatte. Oder würde, wenn sie nun endlich diese verdammte Tür aufbekam.
 

Kazuha biss sich leicht auf die Lippen, während sie mit zu Schlitzen verengten Augen weiterhin ihr Glück versuchte. Leider lag ihre letzte "Unterrichtsstunde" im Thema Schlösser knacken schon einige Jahre zurück. Sie hatte auch nie jemandem davon erzählt, dass sie so etwas konnte, da es doch eher untypisch für sie wirkte. Dabei sollte es einen bei der Tochter eines Polizisten doch eigentlich nicht wundern.
 

Auf jeden Fall war Kazuha froh, dass Heiji wieder soweit bei Bewusstsein zu sein schien, dass er über so etwas hatte nachdenken können. Wie lange sie es noch ausgehalten hätte, hier quasi alleine herum zu irren und nach einem Ausweg zu suchen, ohne verrückt zu werden, wusste sie nicht. Sie wusste ja nicht einmal, wie sie es bisher geschafft hatte, dem Wahnsinn zu entkommen. Wahrscheinlich nur, weil sie ihn nicht hatte aufgeben wollen. Sie hatte nicht glauben wollen, dass er tot war und sie hatte recht gehabt.
 

Jedoch war er wenig später, als sie ihn am Regal gelehnt abgesetzt hatte, um nach einem Ausweg zu suchen, wieder weggetreten. Sein Sprint und der Akt mit dem Eisenrohr, musste ihm all seine letzte Kraft geraubt haben, die er noch besessen hatte. Für Kazuha war es nach wie vor ein Mysterium, wie er alleine hatte aus der Kiste klettern und ihnen folgen können.
 

Ein leises Klickgeräusch riss Kazuha aus ihren Gedanken, dann zog hörbar die Luft ein.
 

Sie hatte es geschafft. Die Tür war offen. Sie hatte es geschafft!
 

Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein erleichtertes Grinsen ab. Das Stück Draht, dass sie sich von einer der Kabelrollen hinten im Lager geliehen hatte, ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Ihre Entführer würden es bestimmt nicht vermissen und selbst wenn sie es entdecken, waren sie sicher schon über alle Berge. So optimistisch war Kazuha nach ihrem kleinen Erfolg zumindest gestimmt. Es war endlich Mal etwas, dass geklappt hatte und sie konnte den Duft der Freiheit fast schon riechen. Den kühlen Wind, der ihnen draußen entgegenschlagen würde, fast schon auf ihrer Haut spüren.
 

"Heiji!", brachte sie fast schon zu laut heraus, aber sie konnte ihre Freude nicht zügeln. "Heiji, der Weg is' frei."
 

Ihr Kindheitsfreund blinzelte zuerst leicht benommen, dann fixierte er sie mit seinen blauen Augen und schenkte ihr ein leichtes Lächeln. "Ich wusste…, du schaffst es...", gab er mit sichtlich großer Mühe von sich.
 

Dies war auch der Grund, warum ihn seine Worte nicht so sehr erfreuten, wie sie es in jeder anderen Situation getan hätten. Er war schwer verletzt. Er brauchte ärztliche Behandlung und zwar so schnell wie möglich.
 

Mit ernster Miene steuerte sie also auf ihn zu und sah, wie sein Lächeln mit jedem Schritt, den sie in seine Richtung machte weiter verrutschte. Sie musste ihn verunsichern, weil sie ihre Augenbrauen so tief ins Gesicht gezogen hatte, aber das war nun Nebensache. Sie würde ihn hier lebend rausschaffen und dann konnte er sagen, dass sie es geschafft hatte. Bis dahin musste er sich sein Lächeln aufsparen, denn es hatte hier, an diesem trostlosen Ort, sowieso nur hilflos gewirkt. Als hätte er schon aufgegeben und wollte ihr den kleinen Triumph aber nicht vermiesen.
 

"Wir gehen jetz' nach Hause.", stellte sie mit entschlossener Stimme fest, als wären sie auf einer Party, die sie einfach jederzeit verlassen konnten und nicht etwa in einer Lagerhalle eingesperrt, wo jeder falsche Schritt den Tod bedeuten konnte.
 

Heiji wusste nicht, woher sie immer dieser Energie nahm, aber er bewunderte sie dafür. Auch, wenn er ihr dies nie gesagt hatte. Als sie ihn jedoch in diesem Moment unter die Arme griff und aufhalf, nahm er sich fest vor es ihr zu erzählen, wenn sie hier herauskamen.
 

"Es geht schon.", stieß er unter Schmerzen aus, als sie gerade seinem Arm über ihre Schultern legen wollte und hielt sich an einem Regal fest.
 

"Sicher?" Kazuha sah ihm besorgt entgegen.
 

Er nickte stumm und machte dann die ersten Schritte unter strenger Beobachtung vorwärts. Sie sah ihn zwar immer noch skeptisch an, auch nachdem er prima ohne sie vorangekommen war, aber ließ ihm dann seinen Willen. Sie wusste, dass es nur seinen Stolz kränken würde, wenn sie darauf bestand ihn zu stützen und dass es bei seinem Dickkopf sowieso nichts bringen würde. Jedoch war sie ihrerseits stur genug, um direkt neben ihm her zu laufen und jederzeit bereit zu sein, ihn aufzufangen, falls ihn seine Kräfte doch verlassen sollten.
 

Der Gang hinter der Tür war lang und schmal. Hier und da hing eine Spinnwebe in den Ecken und zeigten, dass der Durchgang wohl nur selten benutzt wurde. Dass, oder der Staub legte sich hier besonders schnell nieder.
 

Am Ende des Flurs, der er wohl sein sollte, befand sich ein Fahrstuhl und Kazuha erinnerte sich an das Geräusch der Türen, als sie mit der Kiste dort hineingefahren worden waren.
 

Mit klopfendem Herzen ging sie darauf zu und sah sich noch einmal nach Heiji um, ehe sie auf den Knopf drücken wollte. Dieser packte jedoch ihr Handgelenkt und hielt sie davon ab, ehe er zur Seite deutete.
 

Sie folgte seinem Blick und erkannte sofort ihren Fehler. Vor Aufregung hatte sie total vergessen, dass es jemand bemerken könnte, wenn sie den Fahrstuhl riefen. Hatten sie Pech, wäre das dann schon das Ende ihres kleinen Ausflugs gewesen. Schuldbewusst zog sie den Kopf ein und folgte Heiji dann leise zur Treppe.
 

Heiji schnaufte besorgniserregend, während sie die Stufen überwanden und Kazuha hatte immer wieder aufs Neue Angst, dass er gleich umfallen und hinunterkrachen konnte. Sie konnte gar nicht beschreiben, wie erleichtert sie war, als er sicher am Ende der Treppe angekommen war.
 

"Wo lang nun?" Kazuha stellte diese Frage unterbewusst, obwohl ihr klar war, dass Heiji genauso wenig eine Ahnung hatte wie sie. Verdammt, sie war wirklich viel zu sehr daran gewöhnt, dass er eine Lösung parat hatte.
 

"Vielleicht... dort?"
 

Sie drehte überrascht ihren Kopf zu Heiji, von dem sie eigentlich keine Antwort mehr erwartet hatte. Er hatte zu der rechten Tür gedeutet, sein Gesicht schmerverzehrt. Als er jedoch ihren Blick bemerkte, überspielte er dies und lächelte tapfer.
 

Sie kaufte es ihm nicht ab, reagierte aber auch nicht weiter darauf. Stattdessen fragte sie: "Warum?" Vielleicht hatte er ja etwas entdeckt, dass sie übersehen hatte. Etwas, dass ihnen den Weg nach draußen zeigte.
 

Heiji zuckte mit den Schultern, während sich ein Grinsen auf seine Lippen stahl, dass irgendwo zischen Belustigung und Hoffnungslosigkeit festzuhängen schien.

"Irgendwo müssen wir ja lang."
 

Kazuha unterdrückte ihre Enttäuschung und nickte dann bloß stumm. "Wir finden hier schon raus." Heiji erwiderte nichts.
 

Die Tür führte in eine weitere Lagerhalle, in dessen Mitte diesmal jedoch ein riesiges Boot stand. Dies erleichterte Kazuha, denn es hieß, dass es hier auch einen Ausgang geben musste, der erstens groß genug war, damit ein Boot hindurch passte und zweitens, was viel wichtiger war, direkt nach draußen führte. Sehen tat sie davon aber leider noch nichts. Generell rumorte bei dem öligen Geruch, der in der Luft lag, wieder ihr Magen und sie hoffte, dass sie schnell hier rausfinden würden. Sie wollte sich gerade zu Heiji drehen und ihm mitteilen, dass es nicht mehr weit sein konnte, als sie furchtbar erschrak und ihren leicht geöffneten Mund wieder schloss. Sie hörte Stimmen.
 

"Sie müssen hier irgendwo noch sein. Sucht gründlicher!"
 

Das konnte doch nicht sein, oder? Sie konnten ihre Flucht doch nicht schon jetzt entdeckt haben?! Kazuha gefror das Blut in den Adern und auch Heiji schien noch blasser als zuvor.
 

"Schnell!" Nachdem Kazuha sich wieder aus ihrer Starre befreit hatte, schob sie Heiji hektisch von hinten an und drückte ihn in die Richtung der Regalreihen, am Boot vorbei. Die Stimmen schienen nämlich aus dieser gekommen zu sein. Auch als Heiji unter ihrer Berührung leicht zusammenzuckte und sich anschließend auf die Lippe biss, um den Schmerzenslaut zu unterdrücken, ließ sie ihn nicht los und zerrte ihn weiter. Es tat ihr zwar selbst weh, ihm auf diese Weise Schmerzen zu bereiten, aber trotzdem war es notwendig, ansonsten würden die Kerle sie noch entdecken. Für Nachsicht und Entschuldigungen war jetzt keine Zeit.
 

Sie schlichen gerade an einem riesigen Motor -vermutlich auch für ein Schiff- vorbei, dass in einem der Regale lagerte, als der Mann von eben wieder das Wort ergriff.

"Wer ist da?!!"
 

Verflucht! Hatten sie sie etwa gehört?! Sie waren doch extra vorsichtig gewesen, damit ihre Schritte nicht zu Laut auf dem Hallenboden klangen.
 

"Ich habe doch jemanden gehört! Zeigen Sie sich!!"
 

Nun gab es keinen Zweifel mehr. Sie waren entdeckt worden. Jedoch dachte Kazuha nicht daran aufzugeben und sich den Entführern zu zeigen. Davon konnten sie noch lange träumen.

"Lauf!“, zischte sie Heiji zu. Auf ihre Lautstärkte achtete sie dabei nicht mehr, sondern schnappte sich seinen Arm und hechtete mit ihm los. Sie konnte bereits hören, wie jemand hinter ihnen die Verfolgung aufnahm, aber sie drehte sich nicht um.
 

"Stehen geblieben!!!", erklang es abermals.
 

Von wegen, dann wären sie tot. Es war kein leichtes zu rennen, während sie Heiji gleichzeitig stützen musste, doch die Angst verlieh ihre ungeahnten Kräfte. Am Anfang arbeitete er noch mit, doch mit der Zeit wurde das Gewicht auf ihrem Arm immer schwerer und dann geschah es.
 

Seine Beine knicken gänzlich ein und er ging mitsamt Kazuha zu Boden. Sie hatten sich gerade noch um die nächste Ecke retten können, der Ausgang lag jedoch noch einige Meter weit entfernt, sodass man ihn von hier aus sehen konnte. Dieser Umstand spendete ihr in ihrer hoffnungslosen Situation wieder Mut, außerdem hatten sie einen guten Abstand zwischen sich und ihrer Verfolger gebracht. Deswegen beschwerte sich auch nicht über den Schmerz, der ihre Knie und Arme durchzuckte, als sie auf den Boden traf, sondern sie rappelte sich gleich wieder auf und wollte Heiji hochziehen. Dieser jedoch zog seine Hand zurück. Verwirrt griff sie erneut danach, doch er ließ es nicht zu.
 

"Kazuha!“, drang schließlich seine Stimme an ihr Ohr und sie hielt augenblicklich in ihrer Bewegung inne. "Kazuha, hör auf!" Scheinbar hatte er schon öfters ihren Namen gerufen, aber sie hatte es nicht gehört. Das Adrenalin in ihren Venen hatte sie in einen rauschartigen Zustand versetzt und sie verstand immer noch nicht, warum er sich wehrte -bis sie in seine Augen sah. Ein kalter Schauer durchfuhr ihren Körper.
 

"Heiji!", flehte sie mit nunmehr weinerlicher Stimme, "Bitte Heiji, steh auf!"
 

Das traurige Lächeln auf seinen Lippen sagte ihr alles, was sie wissen musste, doch sie wollte es nicht wahrhaben.
 

"Das is' nich' dein Ernst, oder?!", fing sie wütend und unter Tränen an. "Da vorn is' der Ausgang. Wir schaffen das. Nur noch ein wenig und dann können wir dich verarzten und dann-"
 

"Ich liebe dich."
 

"Was?" Kazuha starrte ihn perplex an. Was hatte er gerade gesagt?
 

Heiji grinste nur matt, denn sie hatte ganz richtig gehört. Es war das einzige, was sie in diesem Moment hatte zum Schweigen bringen können. Außerdem.... Außerdem wollte er, dass sie es wusste, bevor er... "Bitte geh ohne mich... Ich will nich' dassde auch geschnappt wirst. Alleine kannstes schaffen."
 

"Heiji ich würde niemals-!", begann sie entgeistert. Den ersten Schock hatte sie mittlerweile überwunden. "Wir können's gemeinsam schaffen! Bitte! Steh auf! Ich lass dich nich' zurück!"
 

"Kazuha! Wir haben keine Zeit, die werden uns gleich eingeholt haben und dann war's das! Bitte geh!"
 

"Dann komm mit mir!" Sie verstand die Welt nicht mehr und alles kam ihr vor wie ein einziger Alptraum. Sie waren doch so knapp vorm Ziel. Sie hatten es fast geschafft! Heiji musste nur aufstehen und mitkommen. Warum weigerte er sich also?!
 

"Kazuha..., ich will ja..., aber ich kann nich' mehr…"
 

Kazuha blinzelte die Tränen zur Seite, die sich in ihren Augenwinkeln gebildet hatten und sah ihn zum ersten Mal richtig an. Sie hatte seinen Anblick, mit all den Prellungen und dem vielem Blut, dass seine Haare rot färbte, nicht ertragen. Er sah aus, als wäre er am Ende. Nein... er war es, sie wollte es nur nicht einsehen. Hatte es die ganze Zeit verdrängt in ihrer Naiven Hoffnung in hier rausschaffen zu können.
 

Langsam sank sie auf die Knie und krallte sich ohne Vorwarnung in sein Shirt.
 

"Kazuha, .. was?..." Überrascht hob er seine Zitternde Hand an und legte sie auf ihren Rücken. "Bitte... du musste gehen."
 

Sie hatten ihren Kopf gegen seine Brust gepresst und schüttelte diesen nun leicht. "Nein. Wenn du nich' gehst.... werde ich's auch nich'." Trotzdem man die Tränen aus ihrer Stimme heraushören konnte und sie deutlich zitterte, klang sie auf irgendeine Art und Weise entschlossen. Er kannte diesen Tonfall bei ihr und diesem Moment wusste er, dass sie sich nicht würde umstimmen lassen.
 

"Aber.... wieso?", flüsterte er leise und spürte gleichzeitig, wie sich sein Herz zusammenzog, weil er tief im Inneren die Antwort schon konnte. Dennoch durchströmte eine angenehme Wärme seinen Körper, als sie es aussprach.
 

"Weil ich dich ebenfalls liebe."
 

Er wusste in diesem Moment nicht, ob er vor Glück, oder vor Trauer weinen sollte. Sie liebte ihn, aber wäre in diesem Moment nicht besser, wenn sie es nicht täte? Wenn sie ihn einfach zurücklassen würde und ihr Leben so retten? Er wusste es nicht, denn beides tat so unheimlich weh. Er wusste nur, dass er nun eh nichts mehr würde daran ändern konnte. Man konnte bereits die Fußstampfen herannahen hören, die sich seltsamerweise verlangsamt hatten. Heiji fragte sich sowieso, warum ihnen so viel Zeit gelassen wurde. Wussten ihre Entführer, dass sie mit den Verletzungen eh nicht weit kamen?
 

Als die Schritte nur noch wenige Meter von ihnen entfernt waren, spürte er, wie sich Kazuhas Griff immer weiter verstärkte und sie sich an ihn klammerte, als könnte sie dies vor ihrem Schicksal bewahren. Er schloss die Augen und legte seine Arme vorsichtig um sie, um ihr so wenigstens ein bisschen Trost zu spenden. Während ihr Körper unter seinen Fingerspitzen bebte, erwischte sich bei dem Gedanken, ob es weh tun würde.
 

Dann verstummten die Schritte.
 

"Das sind sie!"
 

"Sie waren also wirklich hier." Diesmal schien die Stimme von einer Frau zu kommen.
 

"Ruft einer einen Krankenwagen!"
 

Verwirrt öffnete Heiji wieder seine Augen und Kazuha tat es ihm gleich, jedoch ohne sich von ihnen zu lösen.

Ein Mann mit blauer Uniform und einer Schirmmütze stand vor ihnen und beugte sich nun lächelnd zu ihnen herunter.
 

"Ich bin Taro Ishida. Präfektur-Polizei Tokio. Es ist vorbei, ihr seid jetzt sicher."



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück