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Die Einhörner von Sarn-Scaraan

von

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Ein Geburtstag - oder auch nicht


 

1.
 

Langsam schritt Thargan Dareon durch das blassgelbe, hüfthohe Gras zu dem grasbewachsenen Hügel hinauf, dessen Kuppe von den Überresten einer längst verlassenen Gebäuderuine gekrönt wurde.

Efeu mit rostroten Blättern, der jetzt zum Beginn des Frühling gelb und grün blühte, überwucherte die von Wind und Regen glatt geschliffenen Mauerreste größtenteils.

Der, nach terranischer Zeitrechnung siebzehnjährige Junge hielt sich mit der linken Hand sein schulterlanges, schwarzes Haar aus dem Gesicht und blickte nachdenklich zum Himmel hinauf, der zu seiner Rechten langsam heller zu werden begann. Ultrablaue Wolken, die Regen mit sich führten, zogen in schneller Folge über ihn hinweg und nur vereinzelt brach das hellere Grünblau des Morgenhimmels durch. Der in heftigen Böen auffrischende Wind kündigte einen der, zu dieser Jahreszeit ständig niedergehenden, Gewitterschauer an.

Die tiefblauen Augen des Jungen, der oft hierher kam um allein zu sein, leuchteten zufrieden auf bei dem Gedanken daran, dass er auf diese Weise mindestens eine Stunde lang ungestört sein würde. Die Regengüsse auf Sarn-Scaraan hatten es in sich.

Die vollen, breiten Lippen seines harten Mundes verzogen sich zu einem schiefen Grinsen bei dem Gedanken daran, dass die meisten der 79 überlebenden Raumfahrer des havarierten Forschungskreuzers, ERNST MACH diese Jahreszeit in schöner Regelmäßigkeit verfluchten; zumindest jene, die nicht von Terra stammten, sondern wie sein Vater von Sarn-Gorean. Benannt nach einem von zwei herausragenden Theoretischen Physikern des späten 22. Jahrhunderts. Beide waren im ehemals italienischen Sarn-Tal geboren worden.

Von dieser warmen und trockenen Randwelt der Terranischen-Allianz, dessen Kontinente hauptsächlich aus Savannen bestanden, waren zweihundert Männer und Frauen, darunter 160 Wissenschaftler, zu einer Expedition in diesen, bisher unerforschten, Teil der Galaxis aufgebrochen. Nach terranischer Zeitrechnung war das vor 21 Jahren gewesen.

Für Thargan Dareon war diese Zeitrechnung abstrakt, denn er war, als erster von drei Jungen und drei Mädchen, auf diesem Planeten geboren worden. Er, ebenso wie alle anderen Eingeborenen, hatte sich angewöhnt, die Jahre nach den Umläufen des Planeten um seine orange-gelbe Sonne zu zählen.

Als zweiter von insgesamt fünf Planeten umlief er den Hauptreihenstern in 350 Tagen, die mit 27,3 Standardstunden länger waren, als die Tage auf Terra oder Sarn-Gorean.

Von seinem Vater hatte er erfahren, dass Sarn-Scaraan einen rund eintausend Kilometer größeren Durchmesser besaß als Terra und damit etwa 1400 Kilometer mehr durchmaß, als Sarn-Gorean. An die höhere Schwerkraft von 1,17 Gravos hatten sich die Überlebenden schnell gewöhnt; mit dem feuchten Klima jedoch wollten sie sich auch nach einundzwanzig Jahren nicht so recht anfreunden.

Thargan Dareon machte das regnerische Frühlingswetter nichts aus. Ganz im Gegenteil, er liebte es sogar, wenn der Donner über das Land rollte und der heftige Wind ihm den Regen ins Gesicht peitschte. Irgendwie spiegelte sich darin der leidenschaftliche, tief fühlende Charakter des Jungen wieder, der nichts für halbe Sachen übrig hatte. Wenn er sich für etwas begeisterte, dann mit ganzem Herzen; oder er lehnte es, genauso vollkommen, ab.

Als die ersten Regentropfen fielen, öffnete er die Verschnürungen seiner grauen, ärmellosen Lederweste und ließ den Regen über seine breite, gebräunte Brust laufen. Erst als der Regen stark an Heftigkeit zunahm, schloss er das, mit dünnen Metallplatten verstärkte, Lederwams wieder und machte sich auf den Weg zu der Ruine, in der er schon öfter Unterschlupf gefunden hatte.

Als er den Mauerdurchbruch erreichte, stutzte der Junge. Das Gras vor dem Durchbruch war erst vor kurzer Zeit niedergetreten worden, denn es hatte sich noch nicht wieder aufgerichtet.

Wachsam blickte Thargan Dareon sich um und zog geräuschlos sein langes Jagdmesser aus der Lederscheide, die an seinem Gürtel hing. Nachdem er in seiner unmittelbaren Umgebung nichts Verdächtiges entdecken konnte, kletterte er vorsichtig durch die Maueröffnung. Dazu bereit, jederzeit sein Messer einzusetzen.

Der Junge wusste zwar, dass die hiesigen Raubtiere nur nachts jagten, aber es konnte nicht schaden vorsichtig zu sein. So bewegte er sich aufmerksam weiter. Trotzdem reagierte er zu langsam, als sich etwas Warmes plötzlich fest um sein Handgelenk schloss und mit einem heftigen Ruck ins halbdunkle Innere der Ruine zerrte.

Thargan Dareon hatte für einen Moment das Gefühl, sein Herz würde aussetzen. Er verlor das Gleichgewicht und stolperte vornüber. Reflexartig machte er gleich darauf einen weiten Satz nach vorne, rollte über die rechte Schulter ab und wirbelte kampfbereit herum. Als er endlich sein Gegenüber im Halbdunkel erkannte seufzte er erleichtert und ließ langsam und mit verärgerter Miene das Messer sinken.

„Auranea! Verdammt noch mal!“ entfuhr es ihm. „Was, in aller Welt, machst denn ausgerechnet du hier? Ich wäre durch den Schreck fast umgekommen.“

Das hochgewachsene, schlanke Mädchen, dass Thargan gegenüberstand, schmunzelte vergnügt und meinte abwiegelnd: „Du übertreibst schamlos. Freust du dich denn nicht, mich zu sehen? Ich habe extra eine Stunde lang hier auf dich gewartet. Immerhin hast du heute Geburtstag und ich wusste, dass du hier auftauchen würdest. Ich kenne dich doch.“

Thargan Dareon warf seiner Freundin einen undefinierbaren Blick zu und erwiderte: „Du weißt ganz genau, dass ich seit drei Jahren meinen Geburtstag nach planetarer Zeit feiere. Obwohl mein Vater das immer noch nicht akzeptieren will.“

Er steckte sein Messer ein und ging langsam zu Auranea Dar-Vorean hinüber. An seinem letzten Geburtstag, nach Terra-Standard, hatten sie sich zum ersten Mal geküsst. Seitdem waren sie fest miteinander liiert. Mit Auranea verband ihn jedoch weitaus mehr.

Vor sieben Jahren waren ihre Eltern, während einer Expedition zu den Steilküsten gestorben. Zusammen mit seiner Mutter, die sie in ihrer Eigenschaft als Geologin dorthin begleitet hatte. Beim Abseilen zu einem Felsplateau, waren sie von einem Steinschlag überrascht worden. Die Männer und Frauen des Suchtrupps, der aufgebrochen war nachdem sie zwei Tage überfällig gewesen waren, hatte ihre abgestürzten, zerschmetterten Leichen am Rande des Plateaus entdeckt.

Obwohl Auranea damals beide Elternteile verlor hatte sie Thargan versucht, bei jeder Gelegenheit zu trösten, wenn er deswegen traurig gewesen war. In dieser Zeit vertiefen sich Thargans Gefühle für Auranea ganz besonders. Vermutlich weil sie ihn durch den eigenen Verlust viel besser hatte verstehen können, als seine anderen Freunde. Beide Kinder fühlten sich ab diesem Zeitpunkt besonders zueinander hingezogen. Selbst die besondere Freundschaft zwischen Thargan und Kumor war ab diesem Zeitpunkt dahinter zurückgeblieben. Wenn auch nicht sehr viel.

Mit einem warmen Lächeln zog Thargan Auranea sanft zu sich heran, legte seine Arme um sie und gab ihr einen langen, zärtlichen Kuss, der von ihr ebenso zärtlich erwidert wurde. Er hatte dem Mädchen noch nie sehr lange böse sein können.

Sie lösten sich voneinander. Auranea fest in seinen Armen haltend sah er in ihre grün-grauen Augen. Ein verliebter Zug lag darin.

Das Mädchen kicherte unterdrückt und meinte verschmitzt: „Du machst einen Fehler, Thargan Dareon. Wenn du deine Geburtstage nämlich nach Terra-Standard feiern würdest, so würdest du öfter Geschenke kriegen.“

„Danke, aber deswegen verrate ich nicht meine Überzeugung“, knurrte Thargan missmutig und fügte überzeugt hinzu: „Ich bin kein Terraner sondern Sarn-Scaraaner.“

Auranea Dar-Vorean schüttelte vergnügt ihr langes, kupferrotes Haar zurück und antwortete beschwichtigend: „Das weiß ich doch; und du weißt selbst, dass ich diesen Planeten ebenfalls als meine Heimat ansehe. Trotzdem habe ich ein Geschenk für dich.“

Thargan Dareon hob entsagungsvoll die Augenbrauen und seufzte schwach. Auranea war nur sieben Tage jünger, als er selbst und er wusste, wie beharrlich und eigensinnig sie manchmal sein konnte, denn darin waren sie beide sich geradezu verblüffend ähnlich. Aber genau das liebte er so an ihr.

„Was ist es denn?“, wollte er schließlich doch erfahren.

Das Mädchen lächelte geheimnisvoll und griff mit der linken Hand in ihre Hosentasche. Es gab ein leises, klimperndes Geräusch, bevor sie ihre Hand wieder herauszog und sagte: „Schließe deine Augen und gib mir deine rechte Hand.“

Thargan tat ihr den Gefallen und spürte, dass Auranea ihm etwas Kaltes, Metallisches über seinen Ringfinger schob. Noch bevor er seine Augen wieder öffnete, wusste er was es war. Verwundert blickte er auf den breiten, goldenen Ring an seinem Finger und fragte: „Woher hast du denn den? Der ist ja wunderschön.“

Eine leichte Röte überflog Auraneas Wangen, als sie erklärte: „Ich habe ihn aus meiner Kette hergestellt. Ihn, und noch einen zweiten Ring für mich.“

Erst jetzt bemerkte Thargan Dareon das Fehlen ihrer goldenen Kette, die sie, nach dem tragischen Unfall, von ihrer verstorbenen Mutter geerbt hatte.

Ein Schatten überflog sein Gesicht. Wie jedesmal, wenn er an den Unfalltod seiner Mutter erinnert wurde.

Auranea hatte seitdem die Kette niemals abgelegt und Thargan wusste, wieviel sie ihr bedeutet hatte. Das machte ihr Geschenk um so wertvoller.

Eingehend betrachtete er erneut den Ring, der an den Rändern abgeschrägt war, und eine feine Karo-Ziselierung besaß, während die Oberfläche völlig glatt und glänzend war. Als er Auranea wieder ansah schimmerten seine Augen in einem seltsamen Glanz.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, brachte er schließlich gepresst hervor. „Du hast diese Ringe wirklich selbst hergestellt?“

Auranea, die sich ihren Ring ebenfalls angesteckt hatte, lächelte verlegen. „Na, ja, Onkel Ivan hat mir ein bisschen dabei geholfen. Ein bisschen sehr geholfen.“

Thargan lachte leise bei ihren Worten und schloss sie liebevoll in seine Arme. „Ich habe nicht geahnt, dass der alte Schamane so kreative Fähigkeiten besitzt.“ Erneut küsste er Auranea, sanft und ausdauernd.

Der ehemalige Leitende Mediziner der ERNST MACH, Ivan Tomisenkow, der gleichzeitig der Patenonkel des Mädchens war, hatte sich nach dem Tod ihrer Eltern, dem Mädchen angenommen und aufgezogen, als sei sie seine eigene Tochter. Doktor Tomisenkow war einer der wenigen echten Terraner, an Bord der ERNST MACH gewesen.

Als sie sich endlich, zögernd von einander lösten, meinte Auranea leise: „Der Ring ist nicht das einzige Geschenk für dich.“ Mit sanfter Gewalt führte sie ihn zu einer breiten, weichen Decke, die sie im hinteren Teil der Ruine ausgebreitet hatte, und die ihm vorher gar nicht aufgefallen war.

Noch während er Auranea verwundert ansah, löste sie die Verschnürungen ihrer schwarzen Tunika, die sie zu der grauen Lederhose trug und zog sie sich langsam über den Kopf aus. Danach schritt sie zu Thargan, öffnete seine Lederweste und ließ sie achtlos zu Boden fallen, bevor sie sich sanft gegen ihn presste und leise forderte: „Ich möchte, dass du mit mir schläfst, Thargan. Ich liebe dich und ich will nicht länger warten.“

Thargan Dareon streichelte sanft den nackten Rücken des Mädchens und fragte heiser: „Aber was ist mit…? Na, ja… ich meine… du weißt schon…“

„Du meinst Kinder? Onkel Ivan hat mir gesagt, dass die besonderen Strahlungseigenschaften unserer Sonne jeden Menschen, nach spätestens fünf Jahren, unfruchtbar werden lassen. Deshalb sind ja auch Kumor, Careya, Nara und Oras, außer uns, die einzigen Eingeborenen von Sarn-Scaraan. Der alte Schamane hat es bei Untersuchungen entdeckt, als nach Careya kein anderes Kind mehr gezeugt worden ist. Du kannst also ganz beruhigt sein. Es kann gar nichts geschehen.“

Erleichtert küsste Thargan seine Freundin und gemeinsam mit ihr sank er, eng umschlungen, auf die weiche Decke hinunter.

Langsam entkleideten sie sich gegenseitig und es dauerte eine ganze Weile, bis Auranea sich auf den Rücken drehte und Thargans athletischen Körper über sich zog, denn ihre Finger und ihre Lippen waren nicht weniger wissbegierig, als die seinen. Endlich drang der Junge sanft in sie ein und sie spürte ein schwaches Ziehen, als er sie entjungferte. Sie liebten sich sehr ausdauernd und sehr leidenschaftlich und der rollende Donner des Sturmes, der über das Land tobte, wurde dabei zu einem leisen Rauschen für sie.
 

* * *
 

Das Gewitter hatte fast ganz aufgehört, als Auranea und Thargan ihre vom Liebesspiel erhitzten Körper, eng aneinander schmiegten. Das Mädchen berührte sanft mit ihren Fingerspitzen die Linien seiner Schultern und zeichnete sie spielerisch nach. Ihre vollen, geschwungenen Lippen berührten ganz sanft die Wange des Jungen, der mit geschlossenen Augen auf dem Rücken lag und sie ansah.

Als sie sich schließlich leicht aufrichtete, blickte Thargan in ihr Gesicht.

Mit einem glücklichen Lächeln sagte sie leise: „Ich hätte nicht gedacht, dass es so wunderbar sein würde.“

Thargan sah zwei Tränen in Auraneas Augen schimmern. „Ich auch nicht“, gab er ebenso leise, mit belegter Stimme, zu.

Zärtlich streichelte der athletische Junge ihren nackten Rücken und ihren Po. „Ich bin sehr glücklich, dass wir es getan haben, Auranea. Am liebsten würde ich hier ewig mit dir liegen bleiben und dich in meinen Armen halten.“

Auranea kicherte vergnügt und erwiderte: „Lass uns zu den Goldmeerklippen hinunter gehen und schwimmen. Das Gewitter scheint aufgehört zu haben und ein Bad könnte uns beiden bestimmt nicht schaden.“

Thargan nickte zustimmend, drehte Auranea auf den Rücken und küsste ihre straffen Brüste und ihren Hals, bevor er sich endlich erhob und damit begann sich anzukleiden.

Draußen hatten sich die dunklen Wolken verzogen und die Sonne war zum Vorschein gekommen. Thargan Dareon nahm Auranea den Rucksack ab und lief mit ihr, Hand in Hand, durch das hohe Gras den Hügel hinab, der zu den Goldmeerklippen führte. Sie suchten sich einen Weg hinunter zu der kleinen Bucht, die sie schon oft gemeinsam aufgesucht hatten. Der Abstieg dorthin gestaltete sich kompliziert, was wohl der Hauptgrund dafür war, dass sie hier von Niemandem gestört wurden. Sie legten ihre Sachen in einer kleinen Höhle ab, die sie immer zu diesem Zweck benutzten und rannten splitternackt über den weißen Sandstrand in die türkis-blauen Fluten.

Ausgelassen tollten sie im hüfthohen Wasser und nur ihr Lachen und die Schreie der Seevögel unterbrach das monotone Rauschen der Brandung.

Später lagen sie eng umschlungen am Strand, nachdem sie sich ein zweites Mal an diesem Morgen geliebt hatten.

„Langsam sollten wir daran denken uns auf den Heimweg zu machen“, meinte Auranea, nachdem die Sonne den Zenit bereits merklich überschritten hatte. „Dein Vater wird dich sicher schon vermissen.“

„Ja und genauso sicher wird es wieder zu Differenzen kommen, weil ich heute meinen Geburtstag nicht feiere, sondern mit dir zusammen bin“, orakelte Thargan düster.

Auranea lachte leise. „Na, komm schon. So schlimm ist er nun auch wieder nicht. Immerhin ist es besser, einen Vater zu haben der einem die Hölle heiß macht, als überhaupt keinen mehr zu haben.“

Thargan warf seiner Freundin, wegen der morbiden Bemerkung, einen langen Blick zu und nickte schließlich.

Auranea erwiderte seinen Blick schmunzelnd und fügte hinzu: „Er geht dir trotzdem auf die Nerven, oder?“

„Ja!“ bestätigte Thargan knapp und legte seinen Arm um Auranea. Er warf einen Blick zum Himmel hinauf, der sich bereits wieder zunehmend bewölkte, und richtete sich auf. Wenn wir vor dem nächsten Gewitterschauer Zuhause sein wollen, dann sollten wir nun wirklich aufbrechen.“

Schweigend kleideten sie sich an und machten sich auf den Heimweg. Während sie, Arm in Arm, durch das hohe Gras, über die weiten Ebenen marschierten, warfen sie sich immer wieder verstohlene Blicke zu und lächelten sich glücklich an. Sie beschleunigten ihre Schritte, als der Wind zunahm und das hohe Riedgras, in immer stärkeren Wogen, zu Boden drückte, so dass die sanft welligen Ebenen wie eine sturmgepeitschte See wirkten.

Irgendwann meinte Thargan mit veränderter Stimme: „Mir ist aufgefallen, dass sich mein Vater in den letzten Monaten ungewöhnlich oft im Rathaus, bei Kira herumtreibt. Ich meine, wirklich ungewöhnlich oft. Ob die Beiden irgendetwas aushecken?“

Auranea sah fragend zu Thargan. „Findest du? Mir ist da, offen gestanden Nichts weiter aufgefallen bisher. Liegt vielleicht daran, dass sich Kira schon immer sehr um euch beide gekümmert hat. Na ja, zumindest seit dem Unglück, damals.“

Thargan nickte nachdenklich. Kira Yamagushi, vor der Havarie der ERNST MACH Erster Offizier des Forschungskreuzers, hatte sich nach dem Tod seiner Mutter sehr um ihn und seinen Vater gekümmert. Immer wieder hatte sie bei ihnen Zuhause hereingeschaut und sich versichert, dass alles in Ordnung war, mit ihnen. Auch in den folgenden Jahren hatte sie ihnen Beiden dabei geholfen, den schmerzlichen Verlust zu verarbeiten. In dieser Zeit war zwischen seinem Vater und der zierlichen, asiatischen Frau eine tiefe und aufrichtige Freundschaft erwachsen. Auch er selbst konnte Kira sehr gut leiden. Überhaupt war Kira Yamagushi ein Mensch, der bei allen anderen Überlebenden ebenfalls gut angesehen war.

„Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein“, murmelte der Junge.

Auranea lachte hell auf. „Nein, ganz bestimmt nicht. Ich glaube, dass die beiden in all den Jahren gar nicht gemerkt haben, was los ist. Ich meine, mit ihnen beiden. Bei der letzten Weihnachtsfeier haben sie zumindest ziemlich intensive Blicke miteinander gewechselt, als wir die üblichen Weihnachtslieder angestimmt haben.“

Thargan machte eine etwas ungläubige Miene. Na, ich weiß nicht.“

Als die Holzpalisaden des Dorfes, hinter einem Hügel hervor in Sicht kamen, fielen bereits die ersten Regentropfen. Die beiden Jugendlichen eilten im Laufschritt durch das offene Tor, dessen beide schwere Holztüren erst bei Eintritt der Dämmerung geschlossen wurden, um die Dorfbewohner gegen die heimischen Raubtiere zu schützen.

Noch einigermaßen trocken überquerten sie den Platz im Zentrum der Ansiedlung, rannten am Fahnenmast vorbei und stürmten die fünf Treppenstufen zur Veranda von Ivan Tomisenkows Haus hinauf, dass direkt gegenüber vom Rathaus lag. Neben einer kleinen Krankenstation beinhaltete das Haus des Arztes auch ein kleines Forschungslabor.

Thargan legte den Rucksack ab und setzte sich neben Auranea auf die gemütliche Holzbank, die am rechten Ende der Veranda stand. „Das war knapp“, meinte er und deutete nach Draußen, wo nun ein wahrer Wolkenbruch niederging.

„Hey, da hinten kommt Kumor“, entgegnete Auranea und winkte dem untersetzten Jungen zu, der durch den strömenden Regen angerannt kam.

Ebenso, wie Auranea und Thargan, war Kumor Sorvean ein Eingeborener von Sarn-Scaraan. Nicht ganz so hochgewachsen wie Thargan und ein halbes Terra-Jahr jünger, neigte er zu einem leichten Bauchansatz. Auf andere Menschen wirkte Kumor oftmals, bis zu einem gewissen Grad, phlegmatisch. Vielleicht, weil er trotz seiner Bärenkräfte ein geradezu sonniges Gemüt besaß. Nur wer Kumor Sorvean genauer kannte der wusste, dass dieser Eindruck völlig falsch war.

Obwohl sich alle sechs Eingeborenen untereinander sehr gut verstanden, galt die Freundschaft zwischen Kumor und Thargan, als besonders innig. Sie verstanden sich seit ihrer frühen Kindheit so gut, wie sich zwei Menschen überhaupt nur verstehen konnten, wobei sie oft nicht einmal Worte brauchten. Nicht selten reichte es, wenn sie sich nur ansahen, um zu wissen, was der Andere dachte.

Völlig durchnässt keuchte der Junge heran, fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen, braunen Haare und blieb zwei Meter vor Thargan und Auranea stehen.

„Wo, zum Teufel, wart ihr den ganzen Tag?“ fragte er atemlos und sah sie, mit seinen lebhaften, braunen Augen neugierig an. Er warf einen scharfen Seitenblick auf die beiden goldenen Ringe, ging aber nicht weiter darauf ein, sondern wandte sich zu Thargan.

„Dein Vater sucht dich übrigens, seit heute Morgen. Vielleicht solltest du dich langsam doch mal bei ihm blicken lassen. Als ich ihn zuletzt sah, war er auf dem Weg zu Kira Yamagushi, im Rathaus.“

Thargan wechselte einen vielsagenden Blick mit Auranea, die Mühe hatte, ihre Heiterkeit zu verbergen. Leicht die Augenlider zusammenkneifend murmelte der Junge nachdenklich: „Dort treibt er sich wirklich oft herum, in der letzten Zeit.“

Kumor nickte zustimmend. „Der alte Schamane ist übrigens auch gerade dort. Schien übrigens eben ziemlich aufgeregt zu sein, der Gute.“

„Seltsam“, warf Auranea ein und blickte hinaus in den schon wieder nachlassenden Regen. „Onkel Ivan bringt doch sonst so schnell nichts aus der Ruhe. Den kann doch normalerweise kaum etwas erschüttern.“

Auf Thargans Stirn bildete sich eine steile Falte, als er entschied: „Ich werde mal hingehen und versuchen in Erfahrung zu bringen, was da los ist. Die Sache fängt an mich neugierig zu machen.“

Er blickte fragend zu Auranea. „Kommst du mit?“

„Nein, ich werde erst einmal rein gehen und mir etwas zu Essen machen. Danach bin ich mit Careya verabredet.“

Thargan nahm ihre Entscheidung gelassen hin und gab ihr einen sanften Abschiedskuss auf die Lippen.

„Wir sehen uns dann später“, meinte er lächelnd und wechselte einen schnellen Blick mit Kumor, der eine knappe, zustimmende Geste machte. Sie verstanden sich wieder einmal ohne Worte.

Kumor wandte sich zu Auranea und verabschiedete sich schnell von ihr, bevor er zusammen mit Thargan die Veranda verließ. Ihm brannte eine Frage auf der Seele, die er aber seinem Freund nicht in Auraneas Beisein stellen wollte.

Nebeneinander schritten die Freunde durch den nur noch sehr schwachen Regen über den Dorfplatz. Dabei blickte Kumor forschend seinen besten Freund von der Seite an und fragte schließlich geradeheraus: „Ihr habt es also heute Morgen getan, nicht wahr?“

Thargan wusste, was Kumor mit seiner Frage meinte und da er ihm nichts vormachen konnte, denn dazu kannten sie einander viel zu gut, antwortete er wahrheitsgemäß: „Ja, aber behalte es bitte für dich, okay.“

„Ehrensache! Die Anderen werden ohnehin bald erraten, was los ist.“

Thargan nickte knapp. „Trotzdem…“

„Na, schön.“ Kumor schmunzelte unmerklich und fragte dann. „Übrigens; bist du mit den Mundstücken, für deine beiden Flöten, weitergekommen?“

Thargan grinste offen über diesen prompten Themenwechsel und seufzte leise. „Sie sind fertig. Aber irgend etwas stimmt noch nicht so recht. Bei den hohen Tonlagen kommt es noch immer zu kleinen Misstönen, sobald man auch nur etwas zu fest hinein pustet.“

Kumor nickte dem Freund aufmunternd zu. „Das wird schon noch…“

Sie erreichten das Rathaus und traten ein.

Die beiden Jungen entdeckten Kira Yamagushi, zusammen mit Ivan Tomisenkow und Tamon Dareon, im hinteren Teil des großen Raumes. Dieser Raum diente sowohl als Versammlungssaal, als auch als Gaststätte, in der man am Abend zusammenkam. Außerdem wurden hier Feiern, und, hin und wieder auch Tanzabende abgehalten.

Die beiden Männer und die zierliche, schwarzhaarige Frau, mit den fast schwarzen, energischen Augen, schienen heftig miteinander zu diskutieren, denn Ivan Tomisenkow rief gerade erregt aus: „Und ich sage es euch beiden jetzt noch einmal! Meine Unterlagen sind korrekt und exakt!“

Der Arzt deutete dabei auf einige Dokumente, die er vor sich, auf dem runden Tisch, ausgebreitet hatte. „Abgesehen davon, darf es solche Wesen, wie die auf den Fotos, gar nicht geben. Selbst auf Terra sind Einhörner nur Fabelwesen!“

„Wie konntest du dann Fotos von ihnen machen?“ fragte Tamon Dareon in komischer Verzweiflung und malträtierte seinen, ansonsten gepflegten Schnurrbart. „Entweder stimmt mit deiner Behauptung etwas nicht, oder mit deinen Fotos!“

„In einer Hinsicht hat Tamon absolut Recht!“ warf Kira Yamagushi mit melodischer Stimme ein. „Man kann keine Fotos von Etwas machen, dass es gar nicht gibt! Zumindest besagt ein Sprichwort meiner Vorfahren, dass nichts Unwirkliches existieren kann!“

Doktor Ivan Tomisenkow fuhr sich mit der flachen Hand über den kahlen Schädel und warf der zierlichen Frau, die ihre japanischen Vorfahren nicht verleugnen konnte, einen giftigen Blick zu. Seine Miene brachte überdeutlich dabei zum Ausdruck, dass er mit gar keiner anderen Antwort gerechnet hatte. Gerade zu einer ironischen Erwiderung ansetzend, blickte er zufällig in Richtung der beiden Jungen, die langsam näher kamen. „Was macht ihr zwei Naseweise denn hier?“

„Aufpassen, dass man meinem Vater nicht den letzten Nerv stiehlt!“ entgegnete Thargan trocken. „Ich brauche ihn nämlich noch.“

Sein Vater der, als erfahrenster Biologe auf Sarn-Scaraan, von Ivan Tomisenkow zu dieser Unterredung gebeten worden war, verzog ironisch seine Augenbrauen. „Benutze mich nicht als Vorwand für deine Neugier, mein Lieber.“

Tamon Dareon blickte kurz von seinem Sohn zu Kumor und meinte dann: „Aber da ihr schon einmal da seid, könnt ihr es auch gleich, als Erste erfahren. Es gibt nämlich eine gute Nachricht für euch und für alle anderen Eingeborenen.“

Thargan machte ein fragendes Gesicht und Kumor sog hörbar die Luft ein, was Ivan Tomisenkow zu der spitzfindigen Bemerkung veranlasste: „Vorsicht, mein Junge. Hier drin herrscht ohnehin schon dicke Luft.“

Weder Tamon Dareon, noch Kira Yamagushi gingen auf die Bemerkung des Doktors ein. Sie kannten Tomisenkows polternde Art und wussten, dass er nicht ernsthaft zornig war.

Der Biologe erklärte den beiden Jungen: „Unser großer Medizinmann hat, nach den medizinischen Routineuntersuchungen der letzten Woche herausgefunden, dass es in eurem Erbgut zu einer bisher nicht entdeckten Mutation gekommen ist. Kurz und gut: Es wird euch möglich sein, Kinder zu zeugen wenn ihr erwachsen seid.“

Thargan wurde blass und Kumors Augen weiteten sich, bei dieser Eröffnung.

Ivan Tomisenkow blickte auf die beiden sprachlosen Jungen und fügte bissig-ironisch hinzu: „Das ist kein Grund die Sprache zu verlieren. Akut wird das was ich herausgefunden habe erst in vier bis fünf Jahren, denn noch haben sich eure Samen- und Eizellen nicht genügend angepasst. Aber sie werden es noch, darauf könnt ihr euch verlassen.“

Nur mit Mühe gelang es den beiden Jungen, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen, bei den letzten Worten des Arztes.

„Das ist tatsächlich eine positive Überraschung!“ entfuhr es Kumor, der damit Thargan die Gelegenheit gab seinen Schrecken zu überwinden. „Aber was hat es mit den erwähnten Einhörnern auf sich? Was sind Einhörner überhaupt?“

Ivan Tomisenkow erklärte es ihnen und reichte Kumor die beiden Farbfotos, die er am Morgen, in der Nähe des Dorfes gemacht hatte. Sie zeigten zwei dunkelviolette, vierbeinige Lebewesen, aus deren Stirnseiten jeweils ein langes, in sich gedrehtes, Horn hervorwuchs. Im Hintergrund war das Wrack der ERNST MACH zu erkennen, das fünfhundert Meter vom Dorf entfernt, hinter einem kleinen Wald lag.

„Nachdem ich sie fotografiert hatte, wollte ich mich ihnen nähern, doch sie galoppierten so schnell davon, dass es keinen Sinn hatte ihnen zu folgen. Ich weiß nur, dass sie nach Süden verschwunden sind.

„Merkwürdig!“ sinnierte Thargan. „Warum haben wir bisher nie eines dieser seltsamen Tiere zu Gesicht bekommen?“

„Das kann viele Gründe haben“, warf sein Vater ein. „Möglicherweise gibt es nur sehr wenige von ihrer Gattung, oder sie sind nachtaktive Lebewesen, um nur zwei zu nennen, die mir spontan einfallen. Außerdem kennen wir nur einen sehr kleinen Teil dieser Welt, da wir weder über Fahrzeuge, noch über geeignete Reittiere verfügen.“

„Das erklärt aber noch lange nicht, wie es sein kann, dass Wesen aus der terranischen Fabelwelt plötzlich Gestalt annehmen“, mischte sich der Arzt wieder in das Gespräch ein.

„Hier auf Sarn-Scaraan. Und auch die Tatsache, dass sie violett sind, und nicht weiß, ändert nicht sehr viel daran!“

„Du vergisst die Ruinen, die wir entdeckt haben“, gab Kira Yamagushi zu bedenken und zog, in ihrer unnachahmlichen Weise, die Augenbrauen hoch. „Sie beweisen eindeutig, dass es hier einmal intelligentes Leben gab, oder sogar noch gibt. Vielleicht sind, irgendwann einmal, Wesen von diesem Planeten zu den Sternen gereist und in der Vergangenheit auf Terra gelandet. Dann würde die Sage von den Einhörnern und ihr Erscheinen hier eine logische Erklärung haben.“

Trotz ihrer zierlichen Erscheinung strahlte die ehemalige Zweite Kommandantin der ERNST MACH Respekt und Autorität aus. Mit großer Umsicht, zäher Verbissenheit und, scheinbar unermüdlicher Energie hatte sie, nach der Havarie des Forschungskreuzers, den Aufbau der kleinen Kolonie, auf diesem Planeten, geleitet und für das Überleben der Schiffbrüchigen Sorge getragen. Nicht zuletzt deswegen hatten die überlebenden Menschen auf Sarn-Scaraan ihr das Amt des Bürgermeisters übertragen. Ivan Tomisenkow hatte sich schon oft gefragt, was ohne sie aus ihnen Allen geworden wäre.

„Stimmt!“ gab der Arzt schließlich widerwillig zu. Wie immer trafen Kira Yamagushis Argumente den Nagel auf den Kopf. „Aber mir erscheint diese Theorie andererseits doch auch arg konstruiert.“

„Hast du eine bessere?“

Ivan Tomisenkow wurde unter dem forschenden Blick der Frau unsicher und verneinte. Seufzend gab er sich vorerst geschlagen und raffte seine Unterlagen zusammen, jedoch nicht ohne einen letzten Vorstoß zu unternehmen. „Ich werde erst einmal die Fotos vergrößern. Vielleicht erhalten ich auf diese Weise einen Hinweis, der mir vielleicht bisher entgangen ist.“

Damit stand Ivan Tomisenkow auf und verließ die Halle.

Thargans Vater blickte dem Arzt nach und wandte sich dann zu Kira Yamagushi. „Zumindest haben uns seine Fotos bewiesen, dass wir, selbst nach einundzwanzig Jahren, von diesem Planeten immer noch viel zu Wenig wissen.

Die Bürgermeisterin nickte schwach. „Was willst du dagegen unternehmen? Wir besitzen nicht die nötigen Fortbewegungsmittel, um eine sinnvolle Fernerkundungsexpedition zu starten. Ich für meinen Teil bin froh darüber, dass wir an diesem Ort sorgenfrei und einigermaßen sicher leben können.“

Tamon Dareon nickte resignierend und erhob sich ebenfalls. „Du hast ganz Recht. Wir können zufrieden sein mit dem, was wir nach dem Absturz der ERNST MACH auf diesem Planeten erreicht haben. Trotzdem wünschte ich mir, wir wüssten mehr von unserer Zwangsheimat.“

„Ich auch“, stimmte Kira Yamagushi, die ebenfalls aufgestanden war ihm zu und legte sanft ihre Hand auf den Unterarm des Biologen. „Wir sehen uns später.“

Die beiden Erwachsenen wechselten einen schnellen, vielsagenden Blick miteinander, bevor Tamon Dareon sich abwandte. Was für die beiden Jungen ebenfalls das Zeichen war, sich zu verabschieden.

Auf dem Dorfplatz versprach Kumor, Thargan nach dem Mittagessen abzuholen und machte sich auf den Heimweg.

Thargan machte eine bestätigende Geste und wandte sich gemeinsam mit seinem Vater nach Rechts. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her wobei Thargan an das denken musste, worüber er vorhin mit Auranea geredet hatte. Es war Tamon Dareon der von ihnen beiden zuerst das Wort ergriff.

„Wo warst du den gesamten Vormittag, Thargan? Ich habe dich gesucht, damit ich dir zu deinem Geburtstag gratulieren kann.“

„Genau aus diesem Grund war ich nicht da“, konterte Thargan trocken. „Du weißt, dass ich meinen Geburtstag nicht mehr nach der Zeitrechnung eines Planeten feiere, den ich noch nie gesehen habe.“

„Das erklärst du mir nun seit geschlagenen drei Jahren“, erwiderte sein Vater unwillig und warf einen vielsagenden Blick auf den goldenen Ring. „Ich wette, du warst wieder mit Auranea zusammen, stimmt’s?“

Der Tonfall, mit dem sein Vater ihren Namen aussprach, ließ Thargan wütend werden. „Sie ist meine Freundin und sie kann absolut nichts dafür, dass Mutter mit ihren Eltern verunglückte! Nicht einmal Auraneas Eltern konnten etwas dafür! Es war ein tragischer Unglücksfall, der sich zu jeder anderen Zeit und an jedem anderen Ort auf diesem Planeten ebenfalls hätte ereignen können!“

Tamon Dareon war für einen Moment sprachlos. Noch nie hatte er seinen Sohn so dermaßen wütend erlebt. Außerdem hatte er genau den entscheidenden Punkt getroffen, und so schwieg er beschämt.

Erst, als sie im Haus beim Mittagessen saßen, ergriff Tamon Dareon wieder das Wort und sagte beschwichtigend zu seinem Sohn: „Es tut mir leid, wegen eben, Thargan. Du hast Recht. Auranea kann Nichts für den Tod deiner Mutter und sie ist ein intelligentes, aufrechtes Mädchen. Ich weiß, wie gern ihr euch habt und ich freue mich darüber. Wirklich.“

Thargan blickte seine Vater, über den Tisch hinweg, überrascht an und antwortete einlenkend: „Ja, Auranea bedeutet mir wirklich sehr viel. Ich liebe sie von ganzem Herzen.“

Sein Vater lächelte verlegen. „Das weiß ich, und es tut mir leid, dass ich bisher, aus genau jenen falschen Gründen, die du mir vor Augen geführt hast, gegen sie eingenommen war. Es ist nur so, dass sie mich immer wieder an den Tod deiner Mutter erinnert. Aber das ist kein Grund. Ich verspreche dir, dass ich versuchen werde mich zu bessern.“

Thargan war so überrascht, dass er seinen Vater nur stumm ansah. Schließlich antwortete er zögernd: „Ich freue mich, dass du es so siehst.“

Sein Vater atmete tief durch und zog ein rechteckiges Päckchen aus der Brusttasche seines Hemdes. „Trotzdem möchte ich dir das hier geben“, meinte er und reichte Thargan die kleine Holzschachtel herüber.

Thargan seufzte entsagungsvoll und fragte, dabei beinahe so ironisch lächelnd, wie es auch sein Vater gelegentlich tat: „Du gibst es nie auf, was? Du änderst nur die Taktik. Statt einer frontalen Attacke versuchst du es nun mit einem Flankenangriff.“

Sein Vater grinste hintergründig und sagte: „Erwarte nur nicht, dass ich alle meine Fehler auf einmal ablege.“

Thargan lachte befreit. Glücklich darüber, dass der Zwist um Auranea endlich beigelegt war, zwischen ihnen. Er nahm die kleine Schachtel entgegen. Neugierig öffnete er sie und verharrte, als er den Inhalt sah.

Auf einem dunkelblauen Stoffkissen lagen zwei silberne Flötenmundstücke.

Tamon Dareon erklärte: „Kira hat diese Mundstücke, auf mein Bitten hin angefertigt. Wie du weißt, versteht sie sich auf Musik und Akustik und sie hat mir versichert, dass deine Flöten damit einen glasklaren Klang bekommen.“

Überwältigt blickte Thargan seinen Vater an. Impulsiv stand der Junge auf, umrundete den Tisch und nahm den Mann in die Arme. „Danke! Das ist das zweitschönste Geschenk, dass ich je bekommen habe.“

Tamon Dareon schmunzelte ironisch und meinte: „Mit goldenen Ringen kann man es, als Vater, natürlich nicht aufnehmen.“

Statt einer Antwort drückte Thargan seinen Vater noch einmal fest an sich. Erst als er ihn endlich losließ sagte er leise: „Wenn Kumor mich abholt, werde ich kurz bei Kira hineinschauen, und mich bei ihr bedanken.“

Der Junge überlegte kurz, ob er das Thema anschneiden sollte und fragte dann geradeheraus: „Übrigens ist mir aufgefallen, dass du Kira in der letzten Zeit ziemlich häufig besuchst. Bahnt sich da vielleicht etwas Bestimmtes an?“

Tamon Dareon räusperte sich verlegen, als sein Sohn ihn, mit forschendem Blick, ansah und er erklärte: „Na, ja, wir haben uns ja eigentlich immer schon sehr gut verstanden. Darüber hinaus, ist sie sehr intelligent, nett, und sie hat ein angenehmes Wesen. Außerdem haben wir viele, gemeinsame Interessen und reden gern miteinander.“

Thargan erinnerte sich an die Worte seiner Freundin und mutmaßte: „Vermutlich hast du in letzter Zeit auch gemerkt, dass sie immer noch Single ist und dass sie, für ihr Alter, sehr gut aussieht. Wahrscheinlich beunruhigt dich der Gedanke daran, dass sie dir ein Anderer wegschnappen könnte, wenn du zu lange zögerst?“

Sein Vater blickte ihn einen Moment lang verblüfft an und begann dann schallend zu lachen. „Da will das Ei schlauer sein, als die Henne!“, benutzte er die alt-terranische Redewendung. „Eins ist mal sicher: Von Frauen verstehe ich mehr als du, junger Freund.“

Thargan fiel in das Lachen mit ein und wandte sich um, als es an der Tür klopfte.

Kumor Sorvean trat ein und Thargan bat den Freund einen Moment zu warten. Danach lief er in sein Zimmer, nahm die, in einen Lederbeutel eingepackten Flöten und verabschiedete sich von seinem Vater.

Draußen erzählte er Kumor vom Geschenk seines Vaters und dass er seinen Widerstand gegen Auranea endlich aufgegeben hatte.

Nachdem sie kurz bei Kira Yamagushi gewesen waren, wo Thargan sich für die Flötenmundstücke herzlich bei ihr bedankt hatte, meinte Kumor grinsend: „Was für ein Tag für dich, Thargan! Dabei ist er gerade mal zur Hälfte um. Was wohl noch kommen mag?“

Thargan Dareon nickte zustimmend. „Wenn das so weitergeht wird mir vermutlich noch Angst und Bange!“

Sie schlugen den Weg zum Kraftwerk ein; ein ganz gewöhnliches Holzhaus wie alle anderen, in dem drei Mikrofusionsmeiler aufgestellt waren. Die notgelandeten Raumfahrer hatten sie, nach dem Absturz, aus drei unzerstörten Forschungssonden ausgebaut. Sie versorgten die kleine Ansiedlung ausreichend mit Strom. Sogar eine improvisierte Straßenbeleuchtung konnten sich die Siedler damit leisten. Gewartet und überwacht wurden die Meiler vom Ehepaar Ter-Gedean, deren Zwillingskinder, das Mädchen Nara und der Junge Oras, sie abholen wollten. Auf dem Weg dorthin kamen sie am Wasserturm und am anschließenden Lebensmittelspeicher vorbei. Zwar hatten die Raumfahrer genug Lebensmittelsynthesizer aus der ERNST MACH ausbauen und reaktivieren können, aber aus irgend einem Grund hatten sie hin und wieder das Verlangen nach frischem, einheimischen Obst und Gemüse, dass sie in ihren adrett angelegten Gärten anbauten.

Als die Freunde das Kraftwerk erreichten fanden sie Oras und Nara auf der Verandatreppe sitzend vor.

Die honigblonden Zwillinge winkten ihnen schon von Weitem zu und erhoben sich.

Thargan, der die Zwillinge heute noch nicht gesehen hatte, begrüßte die beiden und stellte verwundert fest, dass Kumor ungewohnt verlegen wurde, als Nara ihm ein strahlendes Lächeln schenkte. Er verfolgte diese Beobachtung jedoch nicht weiter, weil Nara ihn in diesem Moment ansprach.

„Ich war vorhin bei Careya und soll dir ausrichten, dass sie und Auranea noch etwas zu erledigen haben und erst später zu uns stoßen werden. Ich habe den Beiden gesagt, dass sie uns unten am Fluss finden werden.“

„Damit hat sich die Frage wohin wir heute gehen anscheinend erledigt“, erwiderte Thargan amüsiert und blickte zum Himmel hinauf. Aber warum nicht. Es sieht so aus, als würde es heute nicht mehr regnen.“

Zum Silberlauf, wie die Siedler den Fluss genannt hatten, in dessen Nähe das Dorf lag, waren es nur wenige Minuten zu gehen. Der Himmel klarte immer weiter auf und es wurde angenehm warm, so dass es ein Vergnügen für die vier Jugendlichen war, nackt im glasklaren Wasser des Flusses herum zu planschen. Sie hatten dabei keinerlei Schamgefühle, denn sie waren es von klein auf nicht anders gewohnt.

Thargan entging es jedoch nicht, dass Kumor immer wieder bewundernd zu Nara blickte, wenn er sich von ihr unbeobachtet fühlte und ihm fiel das seltsame Verhalten des Freundes, von vorhin, wieder ein. Doch auch jetzt grübelte er nicht lange darüber nach. Das würde sich bald ganz von selbst regeln. Wenn nicht von Kumor ausgehend, dann von Nara.

Als sie später auf einem sandigen Uferstreifen lagen und sich sonnten, holte Thargan eine der beiden Flöten heraus und setzte eins der silbernen Mundstücke darauf. Er begann damit eine melancholische Melodie zu spielen, die er schon öfter zum Besten gegeben hatte. Doch noch nie hatte sie sich so klar und ergreifend angehört, wie an diesem Nachmittag. Kira Yamagushi hatte seinem Vater nicht zu viel versprochen.

Der Junge war noch ganz in sein Flötenspiel vertieft, als Auranea zusammen mit Careya Var-Tarean am Fluss auftauchte.

Careya, mit 15,5 Jahren Terra-Standard die jüngste, menschliche Einwohnerin auf Sarn-Scaraan, war schon von Weitem an ihren tizianroten Haaren zu erkennen da sie, als Einzige auf dem Planeten, eine solche Haarfarbe besaß. Der kurze Fransenschnitt und die dunklen Sommersprossen über ihrer Stupsnase verliehen ihr ein keckes, jungenhaftes Aussehen, obwohl sie unübersehbar weibliche Attribute besaß. Ihre eisgrauen Augen, die einen sehr interessanten Kontrast zu ihrem samtbraunen Teint bildeten, funkelten vergnügt, als sie die Anderen begrüßte.

Die beiden Mädchen entkleideten sich ebenfalls und gesellten sich zu den Freunden.

Als Thargan sein Flötenspiel beendet hatte, saß Auranea bereits neben ihm und streichelte sanft seinen Nacken. Dabei sprach sie ihn auf das silberne Mundstück an.

Der Junge erklärte ihr woher er es hat und was sich sonst noch ereignet hatte. Als er darauf zu sprechen kam, was ihm der alte Schamane im Rathaus eröffnet hatte, erschrak sie zuerst, genau wie er selbst. Sie beruhigte sich allerdings sofort wieder, als Thargan zu Ende berichtet hatte.

Die sechs Jugendlichen blieben den gesamten Nachmittag über am Fluss. Erst als die Sonne bereits dicht über den Bergen stand, die sich am südwestlichen Horizont entlang reihten, brachen sie auf um das Dorf vor der Abenddämmerung zu erreichen.

Während sie sich gerade auf den Weg machten, ließ sie ein fernes dumpfes Grollen, das aus südlicher Richtung kam, inne halten. Ein Gewitter konnte es unmöglich sein, denn der Himmel war im Moment fast wolkenlos.

Die Augen der sechs jungen Menschen suchten instinktiv den Himmel ab und für einen Moment lang glaubte Thargan einige metallisch schimmernde Punkte am Himmel zu erkennen. Doch schon im nächsten Moment hatte er sie wieder aus den Augen verloren und konnte nichts mehr von ihnen entdecken. Er erkundigte sich bei den Freunden, ob sie ebenfalls etwas gesehen hätten, doch sie verneinten.

„War bestimmt nur eine Sinnestäuschung“, orakelte Auranea.

Thargan nickte unmerklich. „Ja, vielleicht. Aber woher kam dann dieses seltsame Donnern? Ein Gewitter war das bestimmt nicht.“

Kumor blickte den Freund nachdenklich an. Dann schüttelte er den Kopf und meinte: „Wir werden es nicht dadurch herausfinden, indem wir noch länger hier herumstehen.“

Thargan, den das Phänomen stärker beschäftigte als er zugeben wollte, stimmte abwesend seinen Worten zu. Doch während des gesamten Heimwegs ging ihm das seltsame Ereignis nicht aus dem Sinn.

Der Vampir


 

2.
 

Thurgyrr, der Vampir, stand am Rand eines großen Waldes und blickte hinaus auf die Grasebene. Perfekt getarnt, ebenso dunkel wie die Schatten der Bäume zwischen denen er auf seine Beute lauerte, verharrte er reglos. Ein Schwarm großer, blauer Insekten flog, mit lautem Sirren, über ihn hinweg. Thurgyrr merkte es nicht. Eine Wandlung, die er alle fünf Tage durchmachte, hatte sich mit ihm vollzogen. Thurgyrr sah und hörte nur noch das, was er als Jäger sehen und hören musste. Seine, normalerweise orange-violett gemusterte Schuppenhaut hatte die Farbe des Waldes, um ihn herum, angenommen.

Geduldig wartete das 2,40 Meter große, vierarmige Lebewesen, mit dem schlangenähnlichen Kopf, hier auf einen der elefantengroßen Kalderaans. Als Jäger durfte er nicht ungeduldig werden.

Thurgyrr wusste, dass er an diesem Ort Erfolg haben würde. Denn am Rand dieses Waldes wuchsen mehrere Trakyrr-Büsche, von deren Früchten sich die Kalderaans hauptsächlich ernährten und deren Saft eine stark berauschende Wirkung besaß.

Am Himmel wanderte die Sonne weiter und Thurgyrr stand irgendwann nur noch zur Hälfte im Schatten. Die andere Hälfte seines Körpers war nun der vollen Sonneneinstrahlung ausgesetzt und nahm augenblicklich eine sonnenhelle Färbung an.

Thurgyrr spürte es nicht. Mit einem dunklen und einem hellen Auge starrte er hinaus auf die Ebene. Er sah mit beiden Augen gleich gut.

Als der Abend sich näherte und sein Körper fast vollständig im Sonnenlicht lag, entdeckte er endlich einen der sechsbeinigen Kalderaans und seine harten Muskeln spannten sich. Doch noch war es zu früh um das Tier anzuspringen.

Trotz ihres massigen Körperbaus besaßen diese schwarzpelzigen Riesen die Geschwindigkeit terranischer Antilopen und so wartete Thurgyrr darauf, dass sein Opfer sich an den Trakyrr-Früchten bediente. War dieser Kalderaan erst einmal vom alkoholischen Fruchtsaft einer überreifen Trakyrr-Frucht berauscht, so würde er leichtes Spiel haben.

Vorsichtig, gerade so als wüsste er um die Gefahr die hier auf ihn lauerte, näherte sich der Kalderaan dem Waldrand, wobei seine kleinen, gelben Augen in ständiger Bewegung waren. Mit der linken, vorderen Greifklaue pflückte der Kalderaan eine der hellblauen, fussballgroßen Früchte und biss hinein, wobei er den Saft der überreifen Frucht geschickt im Mund auffing und trank. Noch während er die restliche Frucht verspeiste setzte die Wirkung des Saftes ein. Der Kalderaan schwankte leicht und griff unsicher nach der nächsten Frucht.

In diesem Moment schnellte Thurgyrr vor und landete mit einem gewaltigen Satz im Nacken des Tieres, wobei er seinen kräftigen Gabelschwanz dazu benutzte, seine Flugbahn geringfügig zu korrigieren.

Noch bevor der Kalderaan wusste wie ihm geschah, hatte sich Thurgyrr über seine Hauptschlagadern gelegt. Scharfe Hautkanülen drangen durch das dicke Fell und die lederartige Haut des Tieres und die sechs Vakuumorgane des Jägers begannen, sich rasch mit dem Blut des attackierten Kalderaan zu füllen.

Der riesige Leib des Kalderaan begann zu erzittern und sank schließlich langsam zu Boden, während sich die Hautklappen von Thurgyrrs prall gefüllten Vakuumorganen schlossen und die Hautkanülen sich in seinen Körper zurückzogen.

Der Vampir stieg vorsichtig von seinem reglosen Opfer ab. Dabei verlor seine Schuppenhaut fast übergangslos die Fähigkeit der Mimikrie und leuchtete bald schon wieder im vertrauten orange-violett. Seine vorspringenden Kugelaugen waren nun beide hellbraun. Er wartete bei dem wehrlosen Kalderaan, bis dieser endlich wieder zu sich kam und zitternd aufstand. Immer noch geschwächt von Thurgyrrs Attacke blickte er sich benommen um und trottete schließlich zu einem anderen Trakyrr-Busch. Das Tier hatte jetzt keine Furcht mehr vor Thurgyrr denn dessen Hautfärbung zeigte ihm nun an, dass Thurgyrr jetzt nicht mehr der Vampir war sondern wieder der Freund aller Kalderaans.

Eine Weile blieben sie beisammen, bis das schwarzpelzige Tier satt war, sich auf alle sechs Beine stellte und mit hoher Geschwindigkeit auf die weite Grasebene hinaus rannte.

Thurgyrr fuhr herum und blickte zum Himmel hinauf, als er dort ein langgezogenes Donnern vernahm. Einige, in der Abendsonne glitzernde Objekte, wie er sie nie zuvor gesehen hatte, zogen dort ihre Bahn. Sie verschwanden schnell in südlicher Richtung, hinter den nahen Bergen. Unschlüssig, was er tun sollte, blieb Thurgyrr eine Weile reglos stehen. Schließlich entdeckte er zu seiner linken Seite eines dieser seltsamen, vierbeinigen Tiere, mit dem dunkel-violetten Fell und dem seltsam gedrehten Horn auf der Stirn.

Beruhigende Gedanken strömten durch den Kopf des hünenhaften Jägers und er wusste plötzlich, was er zu tun hatte und wohin er sich wenden musste. Sorglos wandte sich Thurgyrr ab und marschierte, mit federnden Schritten, nach Norden.

Nächtliche Begegnung


 

3.
 

Wie an fast jedem Abend, saßen die sechs Jugendlichen auch an diesem Abend bei Ivan Tomisenkow beisammen. Nachdem sie ausgiebig über die morgendlichen Beobachtungen des alten Schamanen diskutiert hatten, kam Thargan auf die Sternenkarte zu sprechen, die Auranea und er in den letzten zwei Jahren erstellt hatten.

Am schwierigsten hatte sich dabei das Herausarbeiten von Sternbildern erwiesen. Doch sie hatten es, mit viel Geduld und Mühe, endlich geschafft. Ein Problem gab es lediglich noch mit einer auffallenden Sternenkonstellation, am südlichen Firmament, bei der sie sich bisher auf keinen Namen hatten einigen können.

„Hast du dir mittlerweile überlegt, ob wir das südliche Sternbild nicht doch offiziell „Südliche Krone“ nennen sollen?“ fragte Thargan und blickte Auranea beschwörend an, gerade so, als wolle er sie hypnotisieren. Erst nach einigen Augenblicken bemerkte er, dass seine Freundin, mit einem Mal, auffallend verlegen wirkte. Sie rückte unmerklich ein Stückchen von ihm ab und antwortete, so unbeteiligt wie möglich: „Ich dachte, du wärest mit dem Namen Diadem einverstanden gewesen.“

Auf Thargans Stirn erschien eine steile Falte. „Du weißt ganz genau, dass ich mich für diesen Namen nie besonders begeistern konnte. Ich fürchte, es wird noch eine Weile dauern, bis wir uns auf einen Namen geeinigt haben der uns beiden zusagt.“

Er wunderte sich über Auraneas Gesichtsausdruck und sah von ihr zu Careya, die seinen Blicken auswich. Eine plötzliche Ahnung beschlich ihn, dass etwas im Gange war von dem er noch keine Ahnung hatte und es schien mit der Sternenkarte zu tun zu haben.

„Ich habe die Sternenkarte heute Nachmittag zu Kira Yamagushi gebracht“, bestätigte Auranea seine Vermutung und wagte kaum ihn anzusehen, weil sie sich in diesem Moment gar nicht wohl in ihrer Haut fühlte. „Sie ist nun offiziell und eine Kopie hängt bereits im Rathaus, am Schwarzen Brett.“

Thargan war bei Auraneas Worten in die Höhe gefahren und sein Gesicht trug einen ahnungsvollen Zug als er sie fragte: „Das südliche Sternbild? Welche Bezeichnung trägt es?“

Auranea schwieg beharrlich.

Die übrigen Jugendlichen konnten jetzt die Spannung förmlich spüren, die zwischen den Beiden lag.

Thargan Dareon atmete tief durch und fragte schließlich finster: „Du hast es Diadem genannt, nicht wahr?“

Auranea nickte wortlos und blickte Thargan inständig an.

Thargan stand für einen Moment unschlüssig da und funkelte seine Freundin zornig an. Dann wandte er sich abrupt ab und stürmte aus dem Haus, wobei er die Tür krachend hinter sich zu warf.

Kumor machte sich sofort daran dem Freund zu folgen, wobei er Auranea einen unwilligen Blick zuwarf. „Verdammt, Auranea! Du wusstest doch ganz genau, wie wichtig ihm das Projekt war.“

Damit folgte er Thargan nach Draußen. Erst kurz vor dem Haus der Dareons holte Kumor den Freund ein und hielt ihn am Arm zurück. „Ich weiß, dass du zu Recht wütend auf Auranea bist, aber ich bin sicher, dass sie dich nicht verletzen wollte. Bestimmt war sie sich nicht bewusst, wie sensibel du in dieser Angelegenheit reagieren würdest. Wahrscheinlich wollte sie das Projekt nur endlich zu einem Abschluss bringen.“

Thargan fuhr wütend herum und entgegnete heftig: „Das hätte aber ganz bestimmt nicht ausgerechnet hinter meinem Rücken sein müssen, Kumor! Was hat sich dieses Mädchen eigentlich dabei gedacht? So etwas macht man nicht!“

„Das ist richtig“, stimmte Kumor zu. „Ich bin mir jedoch sicher, dass es Auranea bereits leid tut, dich mit ihrer Entscheidung hintergangen zu haben. Sie liebt dich, Thargan und du liebst sie. Darüber müssen wir gar nicht diskutieren.“

Im trüben Licht der Straßenbeleuchtung sah Thargan den Freund an und klopfte ihm schließlich, betont sanft, auf die Schulter. „Bist ein prima Freund, Kumor. Aber lass mich jetzt bitte trotzdem allein.“

Kumor, der stets um Harmonie bemüht war, sah seinen Freund noch einmal bittend an, bevor er sich widerstrebend abwandte und langsam nach Hause trottete.

Thargan blickte ihm grübelnd nach und konnte, trotz seines Zorns auf Auranea, ein unbewusstes Lächeln nicht ganz unterdrücken, bevor er ins Haus ging.
 

* * *
 

Als Thargan erwachte war es Draußen noch stockfinster. Lange Zeit hatte er wachgelegen und über das nachgedacht, was am Tag zuvor passiert war. Er war todmüde gewesen als ihn schließlich der Schlaf übermannt hatte. Trotzdem war er jetzt, nach nur wenigen Stunden Schlaf, wieder hellwach. Fast hatte er den Eindruck, als habe ihn etwas aus dem Schlaf geweckt. Doch als er sich im Bett aufrichtete und lauschte, hörte er nur das schwache Trommeln von Regentropfen, die gegen die Fensterscheiben prasselten. Abwartend blieb er eine Weile aufrecht im Bett sitzen, bevor er sich dazu entschied sich anzuziehen und auf die Veranda hinaus zu gehen.

Er wickelte sich fest in den Umhang ein, den er übergeworfen hatte und hockte sich unter den Dachvorsprung auf die Verandatreppe.

Die Straßen des verlassen da liegenden Dorfes lagen unter knöcheltiefem Morast, was ein Hinweis darauf war, dass es schon vor einigen Stunden wieder angefangen haben musste zu regnen. Vor ihm hüpften die Regentropfen in den glitzernden Pfützen und der Wind frischte mit leisem Heulen auf.

Finster vor sich hin brütend richteten sich seine Gedanken auf Auranea. Bisher hatte er stets das Gefühl gehabt, ihr blind vertrauen zu können. Doch wie sah es nun damit aus? Sie hatte ihn hintergangen. In einer Angelegenheit, die ihm sehr wichtig gewesen war. Dabei war es nicht einmal die Sternenkarte als solche, weswegen er vorhin so zornig geworden war. Es war viel mehr deswegen, weil sie gemeinsam, als Team, an der Karte gearbeitet hatten. Dieses Projekt hatte sie einander noch näher gebracht und Auranea hatte nun durch ihre Entscheidung, diesen Prozess ins genaue Gegenteil verkehrt. Gerade das ärgerte ihn, neben dem Vertrauens als solchem, am meisten.

Eine geraume Weile saß Thargan Dareon so da und starrte, zornig und in finstere Gedanken versunken, reglos auf den Dorfplatz hinaus Er fröstelte unter dem Umhang, als der kalte Nachtwind darunter fuhr und starrte auf den Dorfplatz hinaus, bis ihn ein leises Rauschen in der Luft aufblicken ließ.

Über den Häusern auf der anderen Seite des Dorfplatzes erkannte er zwei schwebende Schatten und zuerst glaubte er an eine Sinnestäuschung. Doch schon einen Augenblick später schälten sich die Umrisse zweier großer, dunkel-violetter Vögel heraus, die sich im Licht der Straßenbeleuchtung mitten auf dem Platz niederließen.

Was dann geschah war so ungeheuerlich, dass Thargan Dareon für einen Moment an seinem Verstand zu zweifeln begann.

Die beiden gewaltigen Vögel veränderten ihre Form!

Ihre Körper zerflossen zu einem Mischwesen bis sie zum Schluss jenen Wesen glichen, die Ivan Tomisenkow am gestrigen Morgen fotografiert hatte.

Bereits zu Beginn dieser Metamorphose war der Junge aufgestanden und hatte sich unauffällig in den Schatten der Veranda zurückgezogen, so dass diese unheimlichen Wesen ihn nicht ohne Weiteres entdecken würden.

So dachte er jedenfalls…

Doch die beiden fremden Wesen, die nun die Gestalt von Einhörnern angenommen hatten, kamen zielsicher über den Platz langsam auf ihn zu. Entweder hatten sie ihn bereits vorher entdeckt, oder aber sie besaßen ein wesentlich besseres Sehvermögen, als Menschen.

Fieberhaft überlegte Thargan was er nun tun sollte. Zweifellos hatten ihn die beiden merkwürdigen Lebewesen entdeckt. Er entschied sich dazu, aus dem Schatten heraus zu treten und blieb erst auf der untersten Stufe der Verandatreppe stehen. Dabei wunderte er sich etwas über die Sorglosigkeit, die er dabei empfand. Fast war ihm, als würden ihn beruhigende Gedanken umfließen. Als eine sanfte Stimme in seinem Kopf erklang, ohne dass die beiden Einhörner einen Laut von sich gaben wusste er, dass er sich nicht getäuscht hatte.

Mein Name ist Nazcaraan und ich heiße dich auf unserem Heimatplaneten willkommen, Thargan Dareon.

Während sich diese Worte in Thargans Bewusstsein bildeten trat eines der beiden Einhörner vor. Dann fuhr die Stimme fort: Mein Begleiter Vizaraan und ich wenden uns an dich, weil wir deine Hilfe benötigen; und die Hilfe deiner Freunde. Die Landung eures Raumschiffs hat Dinge in Gang gesetzt, die sich nun zu einer großen Gefahr für uns und auch für euch entwickeln. Bereits in diesem Moment findet eine Invasion auf diesem Planeten statt. Die intelligenten Bewohner des ersten Planeten, haben eure Ankunft in diesem System bemerkt und nun sind sie gekommen, um die überlegene Technik, die sie hier vermuten, an sich zu reißen. Irgendwann werden sie dabei auch eure Siedlung finden und zerstören.

Thargan, der die Informationen atemlos in sich aufgenommen hatte, konnte die Frage, die ihn schon die gesamte Zeit über beschäftigt hatte, nicht länger zurückhalten.

„Warum kommen diese Wesen erst jetzt auf die Idee, hierher zu fliegen?“

Weil sie erst seit kurzer Zeit technisch dazu in der Lage sind. Seit eurer Ankunft in diesem System haben sie alles daran gesetzt, die notwendigen Technologien zu entwickeln und nun haben sie, da beide Planeten in Opposition zueinander stehen, den Sprung hierher endlich geschafft.

„Aber aus welchem Grund braucht ihr unsere Hilfe? Ihr könnt eure Körperform beliebig wechseln, wie ich gesehen habe. Als Metamorpher müsstet ihr doch in der Lage sein die Invasoren selbst zu vertreiben.“

Ein schwaches, mentales Lachen durchfuhr Thargan und er hatte das unbestimmte Gefühl, dass es sich dabei nicht um ein überhebliches Lachen, sondern um ein weises, nachsichtiges Lachen handelte.

So kann nur der Vertreter einer jungen Spezies fragen. Unsere eigene Spezies ist sehr alt. Bereits vor mehr als fünfzigtausend Jahren hörten wir damit auf Kriege zu führen und verschrieben uns nur noch dem naturverbundenen Leben. In all den Jahrtausenden haben wir verlernt zu kämpfen. Deswegen brauchen wir eure Hilfe, zumal das Erscheinen deiner Spezies, auf diesem Planeten, die Ursache für unsere jetzigen Probleme ist.

Thargan entging nicht der leichte Vorwurf in Nazcaraans Worten.

„Okay, ich werde gleich morgen Früh zu Kira Yamagushi gehen und ihr euer Anliegen schildern.“

Nein! klang Vizaraans Einwand in seinen Gedanken auf. Eure Eltern und alle anderen Erwachsenen sind zu alt für dieses Unternehmen. Außerdem können wir uns mit ihnen nicht verständigen. Nur du und deine Freunde, die hier geboren wurden, besitzen, durch eine bedeutsame Veränderung eurer Gene, schwache, telepathische Fähigkeiten. Bei dir und Kumor Sorvean sind sie am ausgeprägtesten.

Nazcaraan fügte hinzu: Eure Eltern und die Bürgermeisterin würden eine solche Aktion niemals erlauben oder gutheißen. Deshalb müsst ihr noch in dieser Stunde aufbrechen. Ohne Abschied und ihr müsst euch beeilen, denn die Zeit drängt.

Thargan rang mit sich selbst, bevor er entschieden zustimmte: „Ich werde mit euch kommen und ich werde meine Freunde davon überzeugen, mich zu begleiten. Aber zuvor möchte ich wissen, wie ihr wirklich ausseht.“

Der Junge spürte das kurze Zögern der beiden Wesen und er hatte dabei den Eindruck, als würden sie kurz Zwiesprache miteinander halten. Dann endlich zerflossen ihre Gestalten und formten sich zu schlanken Humanoiden, mit feingeschnittenen, edlen Gesichtern, in denen große, leicht schrägstehende Augen dominierten. Erst jetzt bemerkte Thargan, dass Nazcaraan ein weibliches Wesen war und ihre makellose Schönheit raubte ihm schlicht den Atem. Ihre langen, schwarzen Haare, die im Licht der Straßenbeleuchtung, mal grünlich, mal violett schillerten, wehten um ihre blassen, elfenbeinfarbenen Schultern und bildeten einen seltsamen Kontrast zu den hellen, goldenen Augen.

„Wir müssen dich nochmals darum bitten, dass du dich beeilst“, sagte Nazcaraan sanft drängend, wobei sich die Worte diesmal nicht in Thargans Kopf bildeten, sondern aus ihrem schmallippigen Mund drangen, über dem sich eine leicht gekrümmte, zierliche Nase wölbte.

Noch niemals hatte Thargan eine so verzaubernde, melodiöse Stimme gehört. Endlich löste er sich aus seiner Starre um ihrer Bitte zu folgen.

„Wir warten am Tor auf euch“, klang die sanfte Stimme der fremdartigen Schönheit noch einmal auf, bevor sie und ihr Begleiter,wieder die Gestalt von Einhörnern annahmen.

Unterdessen schlich Thargan ins Haus zurück, packte in seinem Zimmer seinen Rucksack, mit den nötigsten Sachen, wobei er seine Flöten in einer der Außentaschen verstaute und verließ danach, auf leisen Sohlen, das Gebäude. Hastig rannte er durch den Regen zu Kumor Sorveans Elternhaus. Fast geräuschlos hangelte er sich auf das Verandavordach und klopfte an die Fensterscheibe von Kumors Zimmer. Als der Freund endlich am Fenster erschien und es öffnete, um erstaunt zu fragen was eigentlich los sei, legte Thargan dem Freund einfach seine Hand auf den Mund und erklärte ihm, mit wenigen Worten, worum es ging.

Kumor, der noch halb verschlafen wirkte, wollte sich zuerst lautstark über diese rüde Behandlung beschweren, ließ es aber und wurde blitzartig munter, als er hörte was Thargan ihm zu berichten hatte.

Nachdem Kumor ihm sofort seine Hilfe zugesagt hatte und im Dunkel seines Zimmers verschwunden war, kletterte Thargan wieder vom Vordach hinunter und wartete vor der Eingangstür des Hauses, bis der Freund zu ihm heraus kam. Auch er hatte einen ledernen Rucksack geschultert.

„Geh du zu den Zwillingen und zu Auranea“, flüsterte Thargan ihm zu. „Ich werde Careya abholen und einige Waffen besorgen, die ihre Eltern unter Verschluss halten. Wir treffen uns am Tor.“

Kumor machte eine bestätigende Geste und eilte in die Dunkelheit hinaus.

Thargan sah ihm kurz nach, bevor er sich nach Rechts wandte und zum Haus der Var-Tareans hastete.

Hier war die Sache nicht ganz so einfach, wie bei Kumor, denn Careyas Zimmer lag auf der Rückseite des Hauses. Im Obergeschoss und dort gab es kein Vordach, auf das er hätte klettern können.

Also erklomm er mühsam das glatte Abflussrohr der Regenrinne, das dicht an ihrem Fenster entlangführte. Als er endlich das obere Ende des Rohres erreicht hatte, hielt er sich mit der linken Hand fest und klopfte mit der anderen Hand an Careyas Fenster, wobei er fast den Halt verloren hätte. Er musste noch zwei weitere Male klopfen, bis Careya ihn endlich gehört hatte und das Fenster öffnete.

„Thargan! Was machst du denn hier? Noch dazu mitten in der Nacht!“

„Vielleicht hilfst du mir erst einmal herein“, entgegnete der Junge ironisch und reichte Careya seine freie Rechte.

Nachdem das überraschte Mädchen ihm geholfen hatte, durch das Fenster in ihr Zimmer zu klettern, gab Thargan bereitwillig Auskunft und bat Careya, ihm und den Anderen zu helfen.

„Wo bewahrt dein Vater den Schlüssel zur Waffenkammer auf?“ fragte er nachdem Careya ihre Hilfe zugesagt hatte.

„Der hängt an einem Haken direkt neben der Tür zur Waffenkammer. Warum fragst du danach?“

„Na, glaubst du etwa, wir können eine Invasion aus dem All zurückschlagen, indem wir lediglich ein böses Gesicht machen?“

Careya schüttelte wortlos den Kopf und begann damit, ihre Sachen zu packen. Währenddessen schlich Thargan zur Waffenkammer hinunter, drang ein und erschien, kurze Zeit später, mit sechs armlangen Hochenergiewaffen.

Lautlos verriegelte er die Waffenkammer wieder, hängte den Schlüssel zurück an den Haken und wartete auf Careya.

Bereits wenige Augenblicke später tauchte sie, mit ihrem Gepäck, bei ihm auf und der Junge reichte ihr wortlos drei der Waffen. Gemeinsam schlichen sie sich aus dem Haus und eilten, schwer beladen, zum Dorftor, wo sie bereits von ihren Kameraden erwartet wurden. Auch die beiden Einhörner waren bei ihnen.

Während Careya zwei der Waffen weiterreichte und die beiden Einhörner ehrfürchtig anstarrte, nahm Nazcaraan Kontakt mit Thargan auf.

Geht jetzt und wendet euch direkt nach Süden. In etwa drei Tagen werdet ihr auf ein Wesen treffen, das euch führen und begleiten wird.

„Und was werdet ihr tun?“

Wir schließen hinter euch das Tor und werden dann auf die gleiche Art entfliehen, wie wir gekommen sind.

Vizaraan ergänzte: Wir werden versuchen, aus der Luft, Informationen aus dem Landegebiet der Invasoren zu bekommen, euch regelmäßig kontaktieren und auf dem Laufenden halten.

Thargan nickte und blickte sich dann zu seinen fünf Begleitern um. „Lasst uns aufbrechen, Freunde!“

Er öffnete das Doppeltor, ließ die Freunde passieren und warf den beiden Fremdwesen einen letzten, fragenden Blick zu, bevor er sich endgültig abwandte und seinen Freunden in die Dunkelheit hinaus folgte.

Kampf auf Leben und Tod


 

4.
 

Gegen Mittag des dritten Tages, seit ihrem Aufbruch, hatten die sechs Jugendlichen die weiten Grasebenen hinter sich gelassen und erreichten die ersten Ausläufer des südlichen Gebirgszuges, die einige Tagesmärsche vor dem eigentlichen Gebirge begannen. Immer häufiger passierten sie ausgedehnte Waldgebiete und es war nur eine Frage der Zeit, wann sie, auf ihrem Weg nach Süden, in einen dieser dichten Hochwälder eintauchen würden.

Thargan hatte diese riesigen Wälder, mit ihren gewaltigen, rotblättrigen Bäumen und Büschen bisher stets gemieden. Wer wusste schon, welche unbekannten Raubtiere und Gefahren dort auf sie lauerten? Noch stiegen die Ausläufer des Vorgebirges sanft an, und fielen auf der anderen Seite ebenso sanft wieder ab, so dass sie sie vorerst noch vermeiden konnten in einen dieser Hochwälder einzudringen.

Die Energiewaffen lässig in der Armbeuge, schritten sie an einem langgestreckten Waldsaum entlang. Zuerst waren sie Alle guter Dinge gewesen und sie hatten sich angeregt unterhalten, während sie marschierten. Doch schon bald waren diese Unterhaltungen weniger geworden, bis sie schließlich nur noch sporadisch aufflackerten. Jeder der sechs jungen Menschen hing, mehr und mehr, seinen eigenen Gedanken nach.

Thargan, der an der Spitze marschierte, fragte sich was mittlerweile im Dorf vor sich gehen mochte. Spätestens seit dem Abend des ersten Tages würde man sie vermissen. Außerdem war sein Eindringen in die Waffenkammer sicherlich bemerkt worden, was den Zurückgebliebenen bestimmt einiges Kopfzerbrechen bereiten würde. Es stimmte ihn traurig, sich vorzustellen, dass sein Vater, der alte Schamane und die Eltern der Übrigen sich um sie sorgten und nicht wussten, was aus ihnen geworden war. Schon ein paar mal hatte er die Beweggründe seines Handelns hinterfragt. Dabei war er sich sicher, dass es seinen Begleitern nicht sehr viel anders erging.

Nach einer Weile riss sich Thargan Dareon von diesen finsteren Gedanken los und blickte über die Schulter nach hinten. Dorthin, wo Auranea marschierte. In sich gekehrt, so wie in den letzten Tagen fast ständig. Seit sie aufgebrochen waren hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt, was nicht gerade dazu beitrug optimistisch in die Zukunft zu blicken, oder die Stimmung innerhalb der Gruppe zu verbessern.

Der Schwarzhaarige schreckte aus seinen Gedanken, als etwa zwanzig Meter vor ihm und seinen Begleitern, einige dichte Büsche am Waldrand in Bewegung gerieten. Ein hünenhaftes, sechsgliedriges Wesen trat aus dem dichten Unterholz hervor.

Das fremdartige Wesen war mindesten einen halben Meter größer als Thargan. Es bewegte sich auf zwei kräftigen Beinen und besaß vier Arme, statt nur zwei, mit großen, vierfingerigen Händen. Der Kopf des Wesens wirkte schlangenähnlich und stand in eigenartigem Kontrast zum Rest seines Körpers. Aus vorspringenden, braunen Kugelaugen, die in ständiger Bewegung zu sein schienen, starrte das so eigenartig aussehende Wesen zu ihnen herüber.

„Nicht schießen!“ sagte Thargan ruhig und senkte dabei den Lauf seiner eigenen Waffe. „Ich glaube nicht, dass es uns etwas antun will, sonst hätte er sicher gewartet, bis wir mit ihm auf gleicher Höhe sind und uns nicht schon so früh auf sich aufmerksam gemacht.“

„Wie ich dich für deine gute Meinung über diesen Riesen bewundere“, raunte Kumor ihm leise zu, ohne das Wesen auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Der etwas Beleibte war fest entschlossen, sich nicht überrumpeln zu lassen.

Thargan blickte seinen Freund beschwörend an und machte eine beschwichtigende Geste. „Vielleicht ist er der Anführer, von dem Nazcaraan gesprochen hat.“

Langsam schritt Thargan dabei nach vorne, bevor sein bester Freund ihn daran hindern konnte. Bis auf einen Meter trat er an das fremde Wesen heran.

„Thurgyrr!“ schnarrte das Wesen mit seltsam glucksender Stimme und die Schuppenhaut an seiner Brust wechselte in verwirrender Folge das Muster. Alles Weitere war ein unverständliches Zischen.

Vorsichtig trat Thargan einen halben Schritt weiter vor und berührte das Wesen mit seiner flachen, linken Hand an der Brust. „Thurgyrr“, wiederholte er, bevor er die Hand auf seine eigene Brust legte und langsam sagte: „Thargan!“

Erneut wechselte das Hautmuster des Fremden und er legte vorsichtig eine seiner großen Hände auf die Brust des Jungen.

„Thargan!“ zischte das Wesen heiser, aber dennoch verständlich.

Trotz des Zwistes zwischen ihnen konnte Auranea nicht umhin, ihren Freund zu bewundern. Nicht etwa, weil er dem Fremden mutig entgegen getreten war, sondern weil er, schneller als alle Anderen, erkannt hatte was der Fremde meinte. Fast gleichzeitig spürte sie dabei einen Stich in ihrem Herzen und sie wünschte sich, mindestens zum hundertsten Mal, dass sie Thargan nicht hintergangen hätte. Zusammen mit den Freunden kam sie näher heran.

Thurgyrr begrüßte sie mit einem an und abschwellenden Zischen. Dann hob er den rechten, oberen Arm und machte gleichzeitig, mit dem unteren Armpaar eine unmissverständliche Geste des Laufens.

Thargan blickte in die angegebene Richtung und nickte, wobei er die Geste des Hünen wiederholte.

Thurgyrr öffnete seinen breiten Rachen, ging in die Knie und ein leises, zufrieden wirkendes, Zischen erklang. Zum Erstaunen der Jugendlichen, die ein mehr oder weniger furchterregendes Gebiss bei dem Wesen vermutet hatten, entblößte er dabei ein Maul das lediglich über flache Gaumen- und Kieferknorpel und eine dreieckige, blassblaue Zunge verfügte. Im nächsten Moment sprang das Wesen, aus dem Stand, über Thargan hinweg und verschwand mit weiten Sätzen aus ihrer Sicht.

Die sechs jungen Menschen blickten dem Wesen fassungslos nach und Kumor, der ungläubig den Kopf schüttelte, meinte schließlich: „Das war ziemlich eindeutig, wenn ihr mich fragt.“

Sie wandten sich in die, von Thurgyrr angegebene, Richtung und kamen bald an einen steil abfallenden Felsgrat, der sie allmählich immer weiter bergauf führte. Als sie am Nachmittag die höchste Stelle des Felsens erreichten, bekamen sie die Gelegenheit, einen größeren Teil der vor ihnen liegenden Landschaft zu überblicken.

Sie sahen in zwei langgestreckte Täler, durch die sich das gewundene, silbern schimmernde Band eines breiten Flusses schlängelte. Große Wälder wechselten sich mit blumenbewachsenen Wiesen ab, deren Abermillionen Blüten ihnen einen betäubenden Geruch entgegen wehte. Weit in der Ferne erkannten sie eine große Seenplatte und von den gegenüber liegenden, blau schimmernden Bergen stürzten mehrere gewaltige Wasserfälle zu Tal, deren Tröpfchenschleier das Sonnenlicht in allen Farben des Regenbogens brachen.

Am Rand des Felsgrats marschierten sie entlang und entdeckten erst nach Stunden einen Pfad, über den sie vom Felsgrad hinabsteigen konnten.

Eine Dunstglocke schien über dem Tal zu liegen. Je tiefer sie kamen, desto wärmer wurde es. An einem leise rauschenden Bach gingen sie entlang.

Hier kamen sie zügig voran und durch die hohen Baumwipfel konnten sie erkennen, dass sich die Sonne bereits merklich dem Horizont entgegen geneigt hatte. Sie überquerten gerade eine buschbewachsene Lichtung, die fast wie eine Parklandschaft wirkte, als dicht hinter Careya das hohe Sirren einer Hochenergiewaffe erklang.

Ein schriller, in den Ohren schmerzender, Schrei drang aus der Luft zu den sechs Jugendlichen herab, bevor ein tonnenschwerer Körper, keine zwanzig Meter von ihnen entfernt, am Boden aufschlug und dabei eine kleine Buschgruppe zermalmte. Eine lederne Flughaut wirbelte meterhoch und kurzzeitig wurden dabei riesige Greifklauen sichtbar. Der längliche, echsenhafte Kopf zuckte noch einmal, bevor das dunkelbraune Wesen reglos liegen blieb.

Thargan blickte sich um. Er fragte sich, wer der treffsichere Schütze gewesen war, der ihnen allen das Leben gerettet hatte.

Careya deutete seinen Blick richtig und sagte: „Ich habe das Biest gar nicht kommen sehen. Auranea hat es erledigt.“

Thargan blickte seine Freundin fragend an. „Kam es schnell oder langsam angeflogen?“

„Es kam schnell, die Flughäute angelegt, im Sturzflug auf uns zu.“

Stolz, auf die Leistung seiner Freundin, glomm in den Augen des Jungen auf, als er sie fragte: „Wärest du bereit, auch weiterhin die Luftraumüberwachung zu übernehmen?“

Auranea nickte und lächelte Thargan dabei zaghaft an. Ob er ahnte, wie dankbar sie ihm für seine Worte und sein Vertrauen war?

Sie gingen weiter und hielten nur für eine kurze Mahlzeit an, die längst nicht so üppig war, wie Kumor es gern gesehen hätte.

Zwei weitere Male wurden sie von Flugechsen attackiert. Jedesmal war Auranea die treffsichere Schützin, die diese lautlose Gefahr aus der Luft beseitigte.

Die Echsen waren nicht die einzigen Lebewesen, die neben den einheimischen Vögeln und Insekten den Luftraum bevölkerten. Vor einer halben Stunde war ein Schwarm riesiger, flunderförmiger Wesen, deren Unterleiber grell-gelb geleuchtet hatten, mit schrillem Heulen über sie hinweg geflogen. Ein penetranter Gestank war von ihnen ausgegangen.

Bald würde die Dämmerung einsetzen und es wurde langsam Zeit, einen Platz für das Nachtlager zu suchen. Sie waren übereingekommen an einer Stelle zu übernachten, die leicht zu verteidigen war, und in der Nähe von Wasser lag. Mannshohe Farnblätter boten sich zum Hüttenbau geradezu an.

Thargan Dareon, der dabei war einen großen Stapel Farnblätter aufzuschichten stutzte, als er gerade mit einem neuen Blatt aus dem Unterholz zurückkehrte.

Seine Farnblätter verschwanden!

Er konnte Kumor nicht sehen, dafür aber um so besser hören. Der Freund, sonst kaum aus der Ruhe zu bringen, stieß schauerliche Flüche aus. Dabei schimpfte er erbost: „Na, warte! Wenn ich dich erwische, dann kannst du etwas erleben!“

Wen wollte Kumor erwischen?

Der Schwarzhaarige ging durch das Dickicht zu dem Freund, bei dem sich mittlerweile auch alle Anderen eingefunden hatten. Genau in dem Moment, als er bei ihnen eintraf, kam Thurgyrr hinter einem Farnbusch hervor und zog die letzten Farnblätter, von Kumors Stapel zur Seite. Danach stellte er sich vor die sechs Menschen und machte eine Geste, die heißen konnte: Ihr müsst hier verschwinden! Ebenso gut konnte sie heißen: Hier dürft ihr nicht bleiben! Das eine war ein Befehl; das andere ein Rat.

Thurgyrr machte mit dem unteren Armpaar eine Geste des Schwebens und stieß dabei ein anhaltendes Zischen aus. Mit den anderen beiden Händen hielt er sich die Augen zu.

Oras Ter-Gedean blickte sich im Kreis seiner Freunde um und erklärte: „Ich möchte fast behaupten, dass Thurgyrr uns vor einer Gefahr warnen will.“

Das hünenhafte Wesen zeigte hinauf zu den nahen Felsen und bedeutete den Menschen ihm zu folgen.

„Wir gehen mit ihm!“ entschied Thargan.

Sie folgten Thurgyrr über einen schmalen Pfad bis sie, auf halber Höhe, mindestens vierzig Meter über den Baumkronen, eine glockenförmige Höhle erreichten, in der es neun abgeteilte Kavernen gab. Hoch unter der Decke erkannte Thargan einen schmalen, gezackten Spalt, durch den, bei einem Lagerfeuer, der Rauch abziehen konnte.

Sie sammelten das Holz einiger verkrüppelter Büsche, die in der Nähe des Höhleneingangs wuchsen. Als sie wieder zur Höhle zurückkehrten war Thurgyrr fort.

„Mit dem letzten Tageslicht ist er verschwunden“, meinte Kumor und setzte sich auf einen breiten Felsen, neben dem Höhleneingang. Den Energiestrahler quer über den Schoß gelegt, übernahm er freiwillig die erste Wache. „Als ob er Angst vor der Nacht hätte.“
 

* * *
 

Auranea Dar-Vorean wälzte sich in ihrem Schlafsack hin und her und konnte nicht einschlafen. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zurück zu Thargan. Immer wieder dachte sie daran, wie er reagiert hatte, als er von ihrem Alleingang mit der Sternenkarte erfahren hatte. Es war ihr gemeinsames Projekt gewesen; ein Projekt, dass sie drei Jahre lang verfolgt hatten und bei dem sie sich, nicht zuletzt, ganz nahe gekommen waren. Alles, was diese Sternenkarte anbelangte, hatten sie gemeinsam erarbeitet und er fühlte sich zurecht von ihr hintergangen. Das war ihr klargeworden.

Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt, für das, was sie hinter Thargans Rücken getan hatte, aber es ließ sich nicht ungeschehen machen und sie traute sich nicht, ihn um Verzeihung zu bitten. Aus Angst vor dem was er ihr vielleicht sagen würde. Noch nie zuvor hatten sie Streit miteinander gehabt und deshalb wusste sie mit dieser Situation nicht umzugehen. Sie hatte geradezu panische Angst davor, er könne ihr die Freundschaft aufkündigen, wenn sie ihn, wie auch immer, daran erinnern würde. Deshalb schwieg sie lieber und wartete darauf, dass sein Ärger irgendwann verrauchen würde und er den ersten Schritt zur Versöhnung unternahm. Obwohl sie nun seit Tagen darunter litt.

Für eine Weile starrte sie in die flackernden Flammen des kleinen Feuers, dass im Hauptraum der Höhle brannte und dessen Schein nicht ausreichte, um die Kavernen zu beleuchten. Endlos lang horchte sie auf das leise Knistern, bis Careya, die gegen Mitternacht ihre Wache begonnen hatte, wieder in die Höhle kam, um Thargan zu wecken, der die so genannte Hundswache, bis kurz vor der Morgendämmerung, übernahm.

Sie drehte sich auf die andere Seite und wieder verging eine geraume Weile, bis sie es schließlich nicht länger in der Höhle aushielt. Trotz ihrer Bedenken hatte sie sich endlich dazu durchgerungen, zu Thargan zu gehen und mit ihm zu sprechen. Sie waren längst eine Einheit geworden und das sollten sie schnellstens wieder sein. Je länger sie zögerte, mit ihm zu reden, desto schwieriger würde nur Alles werden.

Sie schlüpfte aus ihrem Schlafsack, zog Hose, Tunika und Schuhe an und schritt, fast lautlos, zum Höhleneingang.

Thargan, der sie trotzdem kommen hörte, blickte auf, als sie nach draußen trat.

„Darf ich mich für eine Weile zu dir setzen, Thargan?“ fragte Auranea flüsternd. „Ich kann nicht einschlafen.“

„Sicher“, raunte Thargan knapp zurück und sah wieder ins Tal hinunter, während das Mädchen sich neben ihn setzte.

Auranea wollte etwas sagen, aber sie wusste nicht wie sie beginnen sollte. Ihr war, als würde ein dicker Kloß in ihrem Hals stecken und sie spürte ein wehes Gefühl in ihrer Magengegend, dass unaufhaltsam immer stärker nach oben stieg. Einige Zeit saß sie so, schweigend neben Thargan und fing plötzlich an zu weinen.

Der Junge erschrak geradezu, als er die leisen, schluchzenden Geräusche neben sich vernahm. Hastig lehnte er seine Waffe an den Felsen, legte behutsam seine Arme um Auranea und zog sie mit sachtem Nachdruck zu sich heran.

Auranea wollte ihre Tränen zurückhalten, doch sie schaffte es nicht. Zwei erstickte, rohe Schluchzer drangen durch ihre zusammengepressten Zähne, als sie ihre Arme um Thargan schlang. Dann war der Damm gebrochen und sie weinte zum Gotterbarmen; so sehr, dass es sie schüttelte.

„Nicht weinen“, bat Thargan hilflos und streichelte beruhigend über ihr Haar. Er selbst musste mehrmals kräftig schlucken, während sie sich fest an ihn klammerte, so als würde sie ihn nie wieder loslassen wollen.

„Vergessen wir diese dumme Geschichte mit der Sternenkarte einfach und vertragen uns wieder“, schlug er ihr, ganz leise, vor und küsste sie dabei auf die Schulter und den Halsansatz. „Ich möchte nicht, dass wir uns weiterhin streiten, Auranea.“

Auranea konnte nur nicken und schmiegte sich, so eng sie konnte an ihn. „Ich liebe dich!“ schluchzte sie schließlich mit tränenerstickter Stimme.

„Ich liebe dich doch auch“, flüsterte Thargan zur Antwort und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Liebevoll küsste er sie auf den Mund und wischte ihr dabei, ganz sanft, die Tränen von den Wangen.

Als sie sich nach einiger Zeit wieder voneinander lösten, legte Auranea ihren Kopf an Thargans Brust und flüsterte fast unhörbar: „Es tut mir aufrichtig leid, was ich getan habe. Die Sternenkarte ohne dich fertigzustellen war dumm und gemein.“

„Reden wir nicht mehr davon“, bat der Junge und streichelte sanft ihren Nacken. „Du bist wichtiger für mich, als irgendetwas sonst, Auranea. Hörst du?“

Auranea nickte erleichtert und sie küssten sich erneut.

Über ihnen gleißte das Sternengewimmel des galaktischen Zentrums in unwahrscheinlicher Pracht. Bis zur anderen Seite des Tales konnte man sehen. Eine Schar der hiesigen Vögel stiegen aus den Wäldern pfeilschnell in den Himmel. Sie jubilierten ihr Nachtlied. Einmal raste eine Herde elefantengroßer Tiere durch das Tal. Thargan und Auranea hörten jedoch nichts von ihnen sondern sie sahen nur Schatten.

Eng umschlungen saßen sie da, bis Thargan sich plötzlich aufrichtete.

Der Gesang der Vögel war mit einem Mal verstummt. Rings um sie herum herrschte nun ein geradezu gespenstisches Schweigen.

Auch Auranea bemerkte diese Veränderung. „Es ist unheimlich geworden“, sagte sie leise, aber ihre Stimme zitterte nicht.

Thargan reichte Auranea seine Waffe und antwortete: „Schrei, wenn du etwas Ungewöhnliches entdeckst. Ich wecke die Anderen.“

Der Junge verschwand in der Höhle und Auranea fiel auf, welche Ruhe und Sicherheit er verströmt hatte. Nur kurze Zeit später tauchte er bewaffnet, zusammen mit den Anderen, wieder bei ihr auf, ohne dass etwas geschehen war.

„Was ist denn…“, begann Nara Ter-Gedean und verstummte plötzlich, als unter ihnen, eine grünlich fluoreszierende Wolke erkennbar wurde. Lautlos kam sie, in seltsamen Wellenbewegungen, über das Tal geschwebt.

„Was kann das nur sein?“, fragte Oras und beobachtete, wie sich die Wolke in drei gleich große Teile aufsplittete. Wer auch nur Etwas von taktischen Manövern verstand der erkannte, dass hier ein Angriff von drei Seiten gleichzeitig erfolgen sollte.

Plötzlich stand ein irrsinnig hoher Diskantschrei in der Luft; gerade noch hörbar für menschliche Ohren. Gleichzeitig lösten sich die drei Wolken in hunderte von einzelnen Punkten auf, die alle auf den Höhleneingang zu rasten.

Thargan feuerte seine Waffe ab und gab damit das Zeichen zur Verteidigung.

Auf dem Plateau, vor der Höhle, begannen sechs Menschen damit, gegen einen zahlenmäßig vielhundertfach überlegenen Feind um ihr Leben zu kämpfen.

Auranea stand zusammen mit Kumor am vorderen Rand des Plateaus und feuerte, schnell und sicher auf die armlangen Leuchtwesen. Keinem dieser unbekannten Wesen gelang es, ihr Abwehrfeuer zu durchdringen. Immer wieder trafen die grell-violetten Energiestrahlen ihr Ziel. Die Beiden waren auch die Ersten, die das Aussehen der Gegner erkennen konnten.

Es handelte sich um insektenhafte, großköpfige Geschöpfe mit einem ovalen, mehrfach eingeschnürten, Leib und sechs Gliedmaßen, von denen die vorderen Beiden in sichelförmigen Klauen endeten. Mehrere Stellen am Hinterleib strahlte dabei das grüne Leuchten aus. Ihre Flügel bestanden aus halb-transparenten, deltaförmigen Häuten, die ihnen eine phantastische Manövrierfähigkeit verliehen.

„Sie kommen auch auf den Beinen, den Hang hinauf!“ rief Kumor warnend und lenkte sein Abwehrfeuer zu Boden.

Ein intensiver, fauliger Gestank breitete sich aus.

Die sechs jungen Menschen hatten das Gefühl, bereits seit Stunden um ihr Leben zu kämpfen, obwohl das Gefecht erst wenige Minuten dauerte.

Nara Ter-Gedean ahnte die Gefahr in ihrem Rücken mehr, als dass sie sie sah. Sie wirbelte herum und beobachtete erschrocken, wie die mörderischen Wesen, über dem Höhleneingang, den Felsen herunter kamen. Sie hatten zu einem neuen Trick gegriffen: Sie strahlten nicht mehr!

„Verdammt! Ich will noch nicht sterben!“, schrie das Mädchen und eröffnete das Feuer auf die Felspartien. Wortlos griff Careya in den Kampf, hinter ihrem Rücken, mit ein.

Der faulige Gestank wurde langsam unerträglich

Plötzlich, bevor ihn Jemand daran hindern konnte, sprang Kumor vor und raste, so schnell ihn seine Füße trugen, hinunter ins Tal. Er wusste, dass er sein Leben riskierte. Er wusste aber auch, für wen er es wagte. Im Laufen schoss er nach oben, beseitigte die Gefahr aus der Luft und raste durch das Tal auf jenen Waldrand zu, der immer noch neue Massen von den tödlichen Insektenwesen ausspie. Auf einer Länge von hundert Metern nahm er das Waldgebiet unter Feuer und setzte es in Brand. Er blieb kurz stehen um sich zu erholen und feuerte auf die Wesen, die sich aus der Luft auf ihn stürzen wollten. Dann rannte er weiter. Wieder nahm er den Wald, auf eine Strecke von zweihundert Metern, unter Feuer. Später als seine Kameraden erkannte er, was er mit diesem Feuerwerk bewirkte.

Thargan stellte zuerst fest, dass der Angriff, auf seiner Seite auffallend nachließ. Immer nervöser und hektischer flatterten die Insektenwesen in der Luft umeinander herum und entfernten sich schließlich, in großen Pulks, in Richtung der lodernden Flammen. Sie reagierten auf das Feuer, wie Motten die vom Licht angezogen wurden.

Als Kumor wieder bei ihnen auftauchte flatterten gerade die letzten Leuchtwesen davon, um sich, wie ihre Artgenossen, ins Feuer zu stürzen und damit selbst zu vernichten.

„Feierabend!“ brummte Kumor Sorvean und blickte den letzten der mörderischen Insektenwesen kopfschüttelnd nach.

Auranea, die Thargan von der Seite beobachtete, bemerkte den Stolz auf Kumor und wie er seinen Jubel unterdrückte. Er sah den Freund lediglich lang an und erwiderte: „Das haben wir dir zu verdanken, Kumor.“

Der etwas Beleibte erwiderte den Blick des Freundes und Auranea ahnte, dass er auch das verstanden hatte, was Thargan ungesagt ließ.

Sie beschlossen, den Wald noch eine Weile brennen zu lassen, bevor sie den Kampf mit den Elementen aufnahmen.

Als sie die erste Feuerschneise anlegen wollten, begann es überraschend über ihnen zu donnern. Keiner von ihnen hatte während des Gefechts einen Blick zum Himmel geworfen, der sich mit schweren Gewitterwolken zugezogen hatte.

Noch einmal donnerte es und die ersten Regentropfen schlugen zu Boden. Dann brach ein wahrer Wolkenbruch los, der in wenigen Minuten das Feuer gelöscht hatte.

Völlig durchnässt erreichten sie wieder die Höhle.

„Langweilig wird es auf diesem Planeten wirklich nicht“, bemerkte Kumor, als er zusammen mit seinen Begleitern im Hauptraum der Höhle, am Feuer saß.

„Danke, aber für heute reicht es mir wirklich“, entgegnete Nara, wobei sie ihm immer wieder bewundernde Blicke zuwarf, wegen seines mutigen Einsatzes von vorhin.

Oras nickte zustimmend. „Hoffentlich haben wir für den Rest der Nacht Ruhe.“

Er machte Anstalten nach Draußen zu gehen und sagte zu Thargan gewandt: „Ich werde dich jetzt schon ablösen. Schlaf finde ich ohnehin keinen mehr.“

Thargan nickte und rückte dabei ein Stückchen zu Auranea heran. „Danke, Oras.“
 


 

* * *
 

Als Thargan erwachte war das Feuer in der Höhle erloschen und das erste Licht des anbrechenden Tages sandte einen schwachen Lichtschein durch den gezackten Deckenriss.

Auranea, die zu ihm in den Schlafsack geschlüpft war und sich eng an ihn geschmiegt hatte, wurde durch seine Bewegungen wach und gähnte herzhaft.

„Thargan?“

„Schlaf weiter“, antwortete der Junge leise und schlüpfte aus dem Schlafsack. Am gleichmäßigen Atem des Mädchens erkannte er, dass es seinen Rat befolgt hatte, kaum dass er ausgesprochen worden war. Schnell zog er sich Hose und Weste an, nahm seinen Umhang aus dem Rucksack und machte sich auf den Weg nach Draußen.

Vor dem Höhleneingang traf er auf Careya und Oras. Das Mädchen hatte den Kopf auf Oras´ Schoß gebettet und schlief friedlich in seinen Armen.

Oras, der Thargans Kommen bemerkt hatte, blickte zu ihm auf und lächelte verlegen.

„Versucht beide noch etwas Schlaf zu bekommen“, raunte Thargan dem Jungen leise zu und deutete mit einem Kopfnicken zum Höhleneingang, wobei er sich Mühe gab ein Schmunzeln zu unterdrücken. „Inzwischen werde ich hier die Stellung halten.“

Oras nickte dankbar und reichte dem Freund die Waffe. Danach nahm er behutsam Careya auf seine Arme.

„Deine Freundin hat aber einen gesegneten Schlaf“, stellte Thargan belustigt fest, weil Careya keinerlei Regung zeigte, als Oras sie in die Höhle trug. Er ließ sich schmunzelnd auf dem Felsen nieder und blickte zum fernen Horizont, der sich ganz allmählich rötlich färbte.

Unweigerlich begannen seine Gedanken um eine Frage zu kreisen, die ihn bereits seit Tagen immer wieder beschäftigte: War es richtig gewesen, dass er seine Freunde in dieses Abenteuer hineingezogen hatte? Lediglich auf Grund der Aussage eines Wesens hin, das er überhaupt nicht kannte und dessen Beweggründe ihm vollkommen unbekannt waren? Bisher hatten sie außerordentliches Glück gehabt, dass Keinem etwas geschehen war. Aber was, wenn dieses Glück irgendwann zu Ende sein würde?

Thargan schauderte bei dem Gedanken daran, dass einem seiner Freunde möglicherweise etwas zustoßen könnte.

Fast zwangsläufig musste er an Auraneas Eltern und an seine Mutter denken. Sie hatten sich längst nicht so weit vom Dorf entfernt und trotzdem hatte das Schicksal sie ereilt.

War es nicht unverantwortlich gewesen, seine Freunde in diese Wildnis zu führen, ohne zu wissen, was sie hier erwartete? Er fragte sich zum wiederholten Mal, ob die beiden fremden Wesen seine Entscheidung, durch ihre mentalen Fähigkeiten, manipuliert hatten. Oder war es lediglich Nazcaraans Ausstrahlung gewesen, als er sie in ihrer menschlichen Gestalt gesehen hatte? Hatte vielleicht ihre atemberaubende Schönheit seine Sinne vernebelt?

Spontan verneinte er diese Frage, kaum, dass er sie gedacht hatte denn schließlich liebte er Auranea. Von ganzem Herzen. Gleichzeitig aber spürte er auch, im hintersten Winkel seines Wesens, dass dies nur ein Teil der Wahrheit war.

Der Junge verscheuchte diese Gedanken und blickte sinnend auf das Blätterdach des Waldes, das im zunehmenden Licht langsam immer intensivere Rottöne annahm.

Eine geraume Weile hatte er bereits so dagesessen, als am gegenüberliegenden, fernen Waldrand, der noch deutliche Brandspuren aufwies, eine Bewegung entstand. Ganz vage zeichneten sich dort die Konturen eines Einhorns ab. So schien es ihm jedenfalls.

Thargan stand langsam auf, trat zum Rand des Plateaus und beschattete seine Augen mit der Hand. Doch so angestrengt er den Waldrand auch beobachtete, es war nichts zu entdecken, so dass er sich nicht sicher war, ob er sich vielleicht getäuscht hatte.

Langsam, unerklärlicherweise bis zu einem gewissen Grad enttäuscht, wandte er sich endlich ab und schritt zurück zum Felsen. Erst jetzt bemerkte er, dass Auranea am Rand des Höhleneingangs stand.

Sie kam schnell zu ihm, küsste ihn zärtlich und fragte leise: „Hast du irgendetwas Besonderes beobachtet?“

„Ich dachte, ich hätte eines der Einhörner gesehen“, antwortete Thargan zögernd. „Scheint aber doch nur eine Täuschung gewesen zu sein.“

„Sie werden sich melden, wenn es Neuigkeiten gibt“, meinte Auranea und zog ihn sanft mit sich. „Komm, lass uns jetzt frühstücken.“
 

* * *
 

Nach einer ausgiebigen Mahlzeit brachen sie auf.

Am späten Vormittag ließen sie die letzten Wälder hinter sich und marschierten, durch hüfthohes Gras, über eine weite Prärieebene. Dort stieß, etwa gegen Mittag, Thurgyrr wieder zu ihnen. Das hünenhafte Wesen begrüßte Thargan als Ersten und rief dann den anderen sein Thurgyrr entgegen. Ganz selbstverständlich übernahm er die Führung.

Bis zum späten Nachmittag verlief der Marsch ereignislos. Als sie jedoch, schon wesentlich näher am Rand des Gebirges, einen flachen Hügel hinaufgingen, machte Thurgyrr plötzlich eine warnende Geste und gab ein leises Zischen von sich.

Die sechs Menschen sahen sich um.

Außer dem hüfthohen Gras, dass um sie herum sanft im Wind rauschte, war nichts zu entdecken. Schillernde Insekten summten zwischen den Halmen und niemand konnte sich vorstellen, dass in dieser Idylle frühsommerlichen Friedens irgendeine Gefahr lauern sollte. Doch Thurgyrr hatte bereits einmal bewiesen, dass er den besseren Instinkt für solche Dinge besaß. Ihre Waffen entsichernd folgten die sechs Jugendlichen ihm deshalb vorsichtig zur Kuppe des langgezogenen Hügels.

Wie angewurzelt blieben die sechs Menschen stehen und starrten auf das metallische Gebilde vor ihnen, als sie Thurgyrr erreichten. Von ihrem Standort erkannten sie eine aufgerissene Deltatragfläche und trichterförmige Öffnungen am Heck, die sie schon einmal, in ähnlicher Form, am Wrack der ERNST MACH gesehen hatten.

Düsenöffnungen!

Vor ihren Augen, soviel stand für sie fest, ragte das Heck eines Raumgleiters in die Luft. Offensichtlich war die Maschine hier notgelandet, denn der Bug hatte sich tief in die Erde eingegraben.

Careya sprach schließlich aus was alle dachten: „Ob im Innern der Maschine noch jemand lebt?“ Sie hielt sich dicht an Oras´ Seite, wobei sie sich kampfbereit umsah.

Thargan Dareon packte unwillkürlich seine Waffe fester und blickte seinen Freund Kumor auffordernd an.

Dieser verstand die unausgesprochene Aufforderung und folgte Thargan vorsichtig, während die anderen zurückblieben und ihren Vormarsch sicherten.

Gemeinsam mit Thurgyrr umrundeten die beiden Jungen den wracken Flugkörper und entdeckten auf der anderen Seite einen gezackten, scharfkantigen Riss in der Außenhaut, durch den sie ins Innere der Maschine zu kommen gedachten.

„Du bleibst einige Schritte hinter mir und lässt den Riss nicht aus den Augen“, schärfte Thargan seinem Freund leise ein und näherte sich vorsichtig der Maschine. Mit angeschlagener Waffe blieb er am Rand des gezackten Risses stehen und spähte vorsichtig ins halbdunkle Innere der Maschine.

Nichts rührte sich dort.

Das Licht, das zu den runden Seitenfenstern und durch den Riss zu ihm herein fiel reichte aus, um zu erkennen, dass im Innenraum niemand mehr lebte. Dennoch vorsichtig bewegte sich Thargan weiter, ins Innere der Maschine. Dabei sah er sich aufmerksam um.

Seltsam verkrümmt hingen die Insassen in ihren Gurten, oder lagen, mit verdrehten Arm- und Beingliedern, im Mittelgang.

Thargan Dareon stieg langsam über einen der Toten hinweg. Die Fremdwesen trugen enganliegende, graue Kunstfaserkombinationen mit breiten Waffengurten. Trotzdem konnte Thargan, als er einige Schritte in den Raumgleiter hineingegangen war, an den blassgrünen, dreieckigen Köpfen und den darauf sitzenden, unterarmlangen Fühlern erkennen, dass es sich bei diesen sechsgliedrigen, schlanken Wesen um Insektenabkömmlinge handelte. Die lidlosen, schwarzen Facettenaugen jagten ihm einen leisen Schauer über den Rücken. Selbst jetzt, im Tod noch, wirkten sie tückisch und bedrohlich herausfordernd.

Thargan ging ein Stück zurück und rief Kumor zu, dass keine Gefahr drohte. Er überlegte, wie wohl ein lebendes Wesen dieser Insektenart wirken musste, während der Freund zu ihm ins Innere des Wracks kam.

Der etwas Beleibte verzog das Gesicht, als er die Toten erblickte und meinte verdrießlich: „Schon wieder welche von der Sorte.“

„Wenigstens haben sie keine Sichelklauen“, konterte Thargan trocken.

„Dafür sind sie bewaffnet.“ Kumor deutete auf mehrere armlange Gegenstände, deren Zweck offensichtlich war. Er nahm eine der mattschwarzen Waffen in die Hände und untersuchte sie vorsichtig. Schon nach wenigen Augenblicken gelang es ihm ein Bauteil zu entfernen dessen Aufgabe sich ihm sofort offenbarte.

„Ein Magazin für Projektile“, stellte Kumor nüchtern fest und reichte es an Thargan weiter. „Die scheinen technisch nicht viel los zu haben.“

„Wir sollten unsere Gegner nicht nur nach ihren Waffen beurteilen“, warnte Thargan den Freund und reichte ihm das Magazin zurück. „Ich möchte nicht, dass wir sie unterschätzen, so lange wir nicht wissen, mit welchem Geschick sie ihre Waffen führen. Außerdem sind sie uns zahlenmäßig weit überlegen.“

„Du verstehst es, einem Mut zu machen“, knurrte Kumor und legte die Waffe vorsichtig zu einer der Leichen.

Sie verließen das Wrack und kehrten zu ihren Freunden zurück, um ihnen zu berichten, was sie entdeckt hatten. Auranea blickte Thargan überlegend an, nachdem er geendet hatte und meinte zuversichtlich: „Zumindest kennen wir jetzt den Feind und wissen auf welchem technologischen Niveau er sich befindet. Damit haben wir den Invasoren gegenüber immerhin ein kleiner Vorteil.“

„Stimmt“, gab Thargan zögernd zu. „Trotzdem sollten wir diesen Ort so schnell wie möglich hinter uns lassen. Mir behagt es nicht, hier auf dieser Grasebene zu stehen und als lebende Zielscheibe zu dienen.“

„Alte Unke“, warf Careya halblaut ein und zog Oras schnell mit sich, um Thurgyrr zu folgen, der sich bereits wieder in Marsch gesetzt hatte. Auch dem riesigen Wesen schien dieser Ort nicht sonderlich zu behagen.

Die Invasion vom ersten Planeten


 

5.
 

Fünf Tage später erreichten sie, bei Einbruch der Abenddämmerung, einen Pass dicht unterhalb der Gipfel des südlichen Gebirges. Thurgyrr, der sie im Rhythmus von fünf Tagen regelmäßig verließ, um einen halben Tag später wieder zu ihnen zu stoßen, wirkte unruhig und marschierte auch dann weiter, als es bereits vollkommen finster geworden war. Erst gegen Mitternacht machte er Halt, als sie eine kleine, von einem Überhang geschützte, Höhle erreichten. Gestenreich machte das Wesen die sechs Menschen auf sie aufmerksam.

In der Mitte des muldenartigen Plateaus davor wollte Oras Feuer machen, doch er unterließ es nachdem Thurgyrr ihn mehrmals warnend angezischt hatte.

Sie verzichteten auf ein Nachtmahl und machten es sich, so gut es ging, in der Höhle bequem. Bereits Minuten später waren sie, in ihren Schlafsäcken eingeschlafen, bis auf Oras, der diesmal die erste Wache übernahm.

Die Nacht verstrich ereignislos und Kumor, der die letzte Wache hatte, wäre fast eingenickt. Gewaltsam musste er sich dazu zwingen wach zu bleiben und machte auf dem Plateau einige Streck- und Dehnübungen. Dabei warf er, von Zeit zu Zeit, einen Blick zum wolkenlosen Himmel hinauf, wo auch die hellsten Sterne langsam zu verblassen begannen.

Ein tiefes Donnern vertrieb schlagartig die restliche Müdigkeit aus seinem Körper und ließ ihn hellwach werden. Zuerst leise, wie ein fernes Gewittergrollen, wurde es schnell lauter und schien sich genau ihrem Standpunkt zu nähern.

Mit einigen schnellen Schritten war Kumor in der Höhle und weckte seine Begleiter. Danach rannte wieder hinaus, warf sich am Rand des Plateaus zu Boden und spähte in die Tiefe. Direkt vor ihm fielen die Felswände fast senkrecht ab und gingen erst fünfhundert Meter tiefer in sanfter abfallende, bewaldete Hänge über, die schließlich in eine weite Ebene ausliefen. Ein breiter, silbrig schimmernder Strom floss träge durch das Tal und mündete in ein gewaltiges Delta, das in einen breiten Meereseinschnitt überging.

Vom Flussdelta, welches nicht weiter, als etwa einen Kilometer entfernt lag, stieg eine gewaltige Dunstwolke auf. Ein reger Betrieb schien dort unten zu herrschen.

Nara war die Erste die sich zu seiner Linken zu Boden warf, dicht gefolgt von Thargan, der auf der anderen Seite des Freundes über die Felskante spähte.

Wortlos deutete Kumor nach Nord-Ost und Thargan erkannte dicht über dem Horizont eine Kette dunkler Punkte, die schnell größer wurden. Bereits wenig später schälten sich die unverkennbaren Konturen von zwanzig Raumgleitern heraus, die baugleich mit jenem Wrack waren, dass Thurgyrr vor fünf Tagen entdeckt hatte.

„Die fliegen ziemlich tief an, wenn du mich fragst“, raunte Thargan dem Freund zu, während auch die übrigen Begleiter am Plateaurand in Stellung gingen. „Wenn die Maschinen weiter so konstant an Höhe verlieren werden sie es kaum bis zu den Marschen des Deltas schaffen.“

Die sechs jungen Menschen und Thurgyrr beobachteten den gefährlich tiefen Anflug der Gleiter. Schon kurze Zeit später erkannten sie, dass die Piloten der Raumgleiter nicht auf den Salzwiesen des Flussdeltas niedergehen wollten, sondern sich auf eine Wasserlandung vor den Flussmündungen vorbereiteten.

„Mensch, seht euch das nur an!“, rief Nara aus, um den Lärm der anfliegenden Maschinen zu übertönen und blickte erschüttert nach unten.

Die sechs jungen Menschen beobachteten wie nacheinander Maschine auf Maschine, auf der kaum bewegten Wasseroberfläche aufsetzte und bis zum Rand des Flussdeltas glitt. Zwei der Raumgleiter bekamen bei diesen Gewaltlandungen vorzeitig Kontakt mit dem felsigen Grund des Meeres. Die erste brach in zwei Hälften auseinander und versank schnell in den Fluten, während die zweite hochgeschleudert wurde, sich in der Luft überschlug und in einem grellen Feuerball explodierte.

Die übrigen Maschinen kamen jedoch nah an das flache Ufer heran. Bevor die Gleiter in der sanften Dünung versanken, sprangen die Seitenluken auf und die Insassen quollen förmlich aus dem Inneren hervor. Schwer bepackt kämpften sie sich an Land und marschierten dann truppweise auf die fünf großen Lager zu, welche die sechs Freunde vom Plateau aus erkennen konnten.

„Ich möchte mir lieber nicht vorstellen, wie hoch die Verluste an Leben bei solchen Gewaltmanövern sind“, murmelte Oras erschüttert. „Sie müssen eine absolut andere Mentalität haben, als wir.“

„Diese Todesverachtung macht sie nur um so gefährlicher“, gab Auranea zu bedenken und blickte sich besorgt im Freundeskreis um. „Ich möchte nur wissen, wie es unserer kleinen Gruppe gelingen soll diese Wesen zu vertreiben. Allein an Bord dieser zwanzig Maschinen waren mindestens zweitausend Soldaten.“

„Mit Hilfe der Metamorpher werden wir sicher einen Weg finden“, meinte Thargan optimistisch, obwohl ihm nicht wirklich so zumute war und blickte seine Begleiter der Reihe nach an. „Sie hätten uns nicht um Hilfe gebeten, wenn die Sache aussichtslos wäre.“

Careya wies im gleichen Moment zum Himmel hinauf. „Wo du gerade von ihnen sprichst, Thargan. Ich glaube da sind sie schon.“

Die anderen folgten Careyas Blick und erkannten zwei große, violette Vögel über sich, die langsam kreisend immer tiefer herankamen. Kurze Zeit später landeten sie am Rand des Plateaus und nahmen humanoide Formen an. Sie wirkten erschöpft und Thargan Dareon vermutete, dass sie deshalb ihre wahre Gestalt annahmen.

Die fünf Jugendliche, die Nazcaraan und Vizaraan zum ersten Mal in ihrer humanoiden Gestalt sahen waren, so wie Thargan vor einigen Tagen, ebenfalls fasziniert von der Schönheit dieser fremden Wesen und Auranea warf ihrem Freund anschließend einen langen und sehr nachdenklichen Blick zu.

„Wir kommen direkt vom Hauptlager der Invasoren“, begann Nazcaraan, mit sanfter, melodiöser Stimme. „Die eben gelandeten zwanzig Raumgleiter sind der Anfang einer umfangreichen Landungsoperation, die heute noch folgen soll. Hier, ganz in der Nähe, gibt es eine Höhle die einen alten Raumgleiter meines Volkes beherbergt. Diese Maschinen sind die letzten Relikte unseres Volkes, als es noch zu den Sternen flog. Mit ihm gelangt ihr ins Tal hinunter. Danach werden zwei von euch, zusammen mit Vizaraan, in den Weltraum aufbrechen und die Nachschubflotte sabotieren. Wir anderen werden uns das Hauptlager vornehmen und das Kriegsmaterial der Invasoren vernichten.“

Thargan nickte und blickte sich zu seinem besten Freund um. „Kumor, du und Nara werdet die Weltraumaktion durchführen, sobald wir anderen im Tal ausgestiegen sind.“

Kumor und Nara nickten bestätigend, obwohl sie kaum ahnten, was auf sie zu kam. Die Menschen nahmen ihr Gepäck auf und folgten den beiden Metamorphern, während Thurgyrr die Nachhut übernahm. Dabei gab der Riese ab und an ein leises Zischen von sich.
 

* * *
 

Der metamorphische Gleiter erwies sich als kleines, tropfenförmiges Objekt ohne sichtbare Düsenöffnungen. Er war gerade groß genug um die neun Lebewesen aufzunehmen, wobei Thurgyrr anfangs widerstrebend zischte und erst nach einigem Zögern an Bord ging.

Dabei musste das große, kräftig gebaute Lebewesen dieses Planeten seinen Kopf einziehen um nicht mit der transparenten Deckenkuppel zu kollidieren.

Mit einem schwachen Summen hob die Maschine vom Boden ab und schwebte aus seinem Höhlenversteck, hinunter ins Tal. Auf einer Lichtung, am Rande der unter ihnen liegenden Wälder, landete Vizaraan den Gleiter und blieb, zusammen mit Kumor und Nara, an Bord zurück. Nachdem er wieder gestartet war forderte er Nara dazu auf, neben ihm auf dem Copiloten-Sitz Platz zu nehmen.

„Du musst das Energiefeld steuern, in dessen Schutz dein Freund den Gleiter verlassen wird, sobald wir die Nachschubflotte der Gegner erreicht haben“, erklärte er. „Diese Invasoren nennen sich selbst übrigens Vlooran.“

Erst jetzt fiel Kumor etwas ein, dass er schon die ganze Zeit über hatte fragen wollen, und sprach Vizaraan darauf an. „Auf dem Weg ins Gebirge, fanden wir ein Raumgleiterwrack der Vlooran. Mir ist aufgefallen, dass sie keine Raumanzüge trugen als wir ihre Leichen fanden.“

„Die Vlooran sind Sauerstoffatmer, wie wir auch“, antwortete Vizaraan. „Obwohl ihr Heimatplanet dichter an der Sonne steht herrschen dort erträgliche Lebensbedingungen, weil dessen atmosphärischer Kohlenstoff viel geringer ist und es dort deswegen keinen nennenswerten Treibhaus-Effekt gibt. Dazu besitzt ihr Planet mehr Wasser, was zu einer stärkeren Wolkenbildung und verbunden damit zu einer höheren Konzentration an winzigen Eiskristallen in den oberen Schichten der Atmosphäre führt, die das einfallende Sonnenlicht reflektieren. Darum ist es auf ihrem Planeten nur etwa zehn Grad wärmer als auf unserem. Zudem gab es, vor mehr als fünfzigtausend Jahren, noch einen weiteren Planeten in diesem System, der ursprünglich der innerste Planet war. Doch irgendwann verschwand er. Was jedoch dazu geführt hat ist selbst meiner Spezies nicht bekannt. Durch sein verschwinden näherte sich zudem der ehemals zweite Planet deutlich der Bahn von diesem Planeten an.“

Während die beiden Jugendlichen den Ausführungen des Metamorphers aufmerksam zuhörten, blickten sie fasziniert nach Draußen, während der Gleiter durch die obere Atmosphäre in den nachtschwarzen Weltraum vorstieß. Sprachlos blickte sie hinunter auf die rasch kleiner werdende Kugel ihres Heimatplaneten.

„Ich hatte keine Ahnung, dass Sarn-Scaraan von hier oben so wunderschön aussieht“, sagte Nara überwältigt und blickte zu Kumor, der nur wortlos mit dem Kopf nickte. Erst als der Planet zu einem kleinen, hellen Punkt geschrumpft war, gelang es ihnen sich von seinem Anblick loszureißen und sich auf die vor ihnen liegende Aufgabe zu konzentrieren.

Vizaraan begann damit, Nara in die Bedienung des so genannten Außen-Feldes einzuweisen und Kumor, der ebenfalls aufmerksam zuhörte, meinte schließlich: „Pass bloß auf, dass ich da Draußen nicht verloren gehe, Nara. Sonst werde ich dir etwas erzählen.“

„Ich werde gut auf dich Acht geben“, versicherte Nara schnell, bevor sie sich ein Herz fasste und hinzufügte: „Schon deswegen, weil du mir sehr viel bedeutest.“

Kumor blickte etwas verdutzt in die strahlend blauen Augen des Mädchens und bemerkte, dass eine leichte Röte die Wangen des Mädchens überflog. Schließlich antwortete er verlegen: „Du bedeutest mir auch sehr viel, Nara.“

Nara nahm seine Hand und drückte sie sanft, wobei ihr Gesicht erfreut aufleuchtete.

Vizaraan unterbrach die beiden jungen Menschen, als er mit sonorer Stimme verkündete: „Wir nähern uns der Invasionsflotte.“

Kumor blickte dem Metamorpher über die Schulter und entdeckte auf einem ovalen Display ein dreidimensionales Abbild dessen, was die Scanner ihres Raumgleiters geortet hatten. Dabei staunte er nicht schlecht.

Bisher hatte er angenommen, dass die Vlooran mit ihren Raumgleitern direkt von ihrem Planet aus bis nach Sarn-Scaraan flogen. Doch nun erkannte er, dass er sich getäuscht hatte. Die Gleiter waren reine Landefahrzeuge, die von einem riesigen Mutterschiff bis in die Nähe von Sarn-Scaraan gebracht wurden.

Das Mutterschiff bestand hauptsächlich aus zehn, fünfzig Meter durchmessenden, Kugelsegmenten die durch filigran wirkende Gitterkonstruktionen miteinander verbunden waren. Am Ende des Raumschiffes, hinter der zehnten und letzten Kugel, entdeckte der Junge ein breites, rechteckiges Antriebssegment. Er wandte seinen Blick wieder den Kugelsegmenten zu.

Jeweils vier Landungsboote waren, über kurze Verbindungstunnel, an jeder der Kugeln angedockt, so dass ein Mutterschiff, wie dieses, bis zu vierzig Landungsgleiter befördern konnte.

Auf einem zweiten Display konnten Kumor und Nara erkennen, dass sich ihnen fünfzehn dieser Mutterschiffe näherten.

„Sieht ganz so aus, als würde sich hier die Hauptstreitmacht der Vlooran unserem Planeten nähern“, kommentierte Nara das Geschehen. „Wenn die alle auf Sarn-Scaraan landen dann können wir einpacken.“

„Um das zu verhindern sind wir hier“, mischte sich Vizaraan ernsthaft ein.

Nara blickte kurz zu ihm hinüber. Dass der Metamorpher vollkommen nackt neben ihr saß, schien ihr mittlerweile fast normal. Sie vermutete dabei, dass er eine andere Gestalt vorgezogen hätte wenn er nicht für die Steuerung des Gleiters gebraucht worden wäre. Offensichtlich konnten die Metamorpher keine Kleidung um ihre Körper herum formen.

Vizaraan wandte sich zu Kumor um: „Mach dich bitte am Ausstieg bereit. Alles andere wird Nara von hier aus erledigen. Du musst mit deinem Energiegewehr die Streben zum Antriebssegment durchtrennen und danach die Verbindungsröhren zwischen den Kugeln und den Gleitern durchtrennen. Der explosive Druckverlust wird die Gleiter dann abdriften lassen, so dass die Vlooran nicht auf Sarn-Scaraan landen können.“

„Verstanden“, bestätigte Kumor knapp und begab sich zum Ausstieg. Als er auf die rote Markierung am Boden trat, bildete sich ein schwach flimmerndes Energiefeld um ihn herum. Gleichzeitig entstand ein zweites Energiefeld vor dem Schott, das sich gleich darauf öffnete. Das Feld am Schott war so eingestellt, dass es Körper innerhalb des zweiten Energiefeldes passieren ließ, jedoch keine andere feste oder gasförmige Materie. Auf diese Weise kam der Gleiter ohne Luftschleuse aus.

Gleich darauf fühlte sich Kumor vom Außen-Feld angehoben und schwebte durch den Schutzschirm des Ausstiegs. Ein grässliches Gefühl des Fallens überkam ihn, als er, plötzlich schwerelos, in die sternenglitzernde Unendlichkeit hinaus schwebte. Instinktiv streckte er seine Arme aus. Rings um ihn herum funkelte das Sternenmeer des galaktischen Zentrums, und Kumor musste sich bei diesem phantastischen Anblick fast dazu zwingen, an die bevorstehende Aufgabe zu denken. Nur langsam verging das unangenehme Gefühl, das die Schwerelosigkeit bei ihm erzeugte und der Junge packte den Griff seiner Waffe fester. Dabei richtete er gleichzeitig seinen Blick auf das, sich am nächsten befindliche, Mutterschiff der Vlooran. Das half ihm etwas dabei, wieder zu sich selbst zu finden.

Als es näher kam bemerkte er, dass er seine Geschwindigkeit unterschätzt hatte.

Nara lenkte ihn schnell auf das Heck dieses Schiffes zu und Kumor konnte die Verbindungen nun deutlicher erkennen, die er zu durchtrennen gedachte. Auch einige Aggregate, die sich zuvor nicht abgehoben hatten, wurden nun für ihn erkennbar.

Als er nur noch zweihundert Meter von dem Mutterschiff der Insekten entfernt war, legte er auf eine spiralartige Schlauchkonstruktion an, ohne zu ahnen, dass er zufällig den empfindlichsten Teil des gesamten Antriebs anvisierte. Ein grell-violetter Strahl verließ den Lauf seiner Waffe und schlug fast zeitgleich dort ein, wohin er gezielt hatte.

Die Wirkung übertraf seine optimistischsten Erwartungen. Ein greller Blitz leuchtete am Mutterschiff auf und gleich darauf war das gesamte Heck der gewaltigen Konstruktion von einem blendenden Feuerball eingehüllt. In einer so schnellen Kettenreaktion, dass Kumor ihr mit den Augen kaum folgen konnte, explodierten nacheinander alle zehn Kugeln des Mutterschiffes und die Landungsboote drifteten, zusammen mit verbogenen Fragmenten der Gitterkonstruktion, taumelnd zu allen Seiten weg. Fassungslos starrte Kumor auf das von ihm selbst ausgelöste Inferno und krampfhaft verdrängte er die Gedanken daran, wie viele intelligente Lebewesen auf einen Schlag von ihm getötet worden waren. Er redete sich immer wieder ein, dass er damit Leid von den Lebewesen abwendete, die ihm nahe standen.

Er bemerkte an seiner Positionsänderung zu den anderen Mutterschiffen, dass Nara bereits reagiert hatte und ihn zum nächsten Mutterschiff beförderte. Auch dort nahm Kumor die Schlauchkonstruktion unter Feuer - mit demselben Ergebnis.

Eine Viertelstunde später verglühte das letzte der fünfzehn Mutterschiffe in einer atomaren Gaswolke und nur die abdriftenden Trümmer und Landungsgleiter zeugten noch von der geplanten Invasion der Vlooran.

Als sich Kumor endlich wieder glücklich an Bord befand, kletterte Nara schnell aus ihrem Sitz und eilte zu dem Jungen, über dessen Wangen Tränen liefen. Stürmisch umarmte sie ihn und flüsterte ihm zu: „Ich hatte solche Angst um dich, als du da Draußen warst.“

Sie wartete eine ganze Weile, weil sie ahnte wie es in ihm aussah und hielt ihn einfach nur. Schließlich sagte sie ganz sanft zu ihm: „Du hattest keine andere Wahl, Kumor. Wir konnten sie doch nicht einfach Sarn-Scaraan überrennen lassen…“

„Nara hat recht“, warf Vizaraan ruhig ein, der die leisen Worte des Mädchens erstaunlicherweise gehört hatte. Für einen Augenblick entrückte sein Blick etwas und besänftigende Gefühle durchströmten den Jungen und das Mädchen.

Endlich beruhigte Kumor sich wieder und er nickte in Naras Armen. „Vermutlich habt ihr beide recht.“

Sie gingen beide nach Vorne und sahen, dass Vizaraan den Gleiter bereits wieder gewendet hatte und Sarn-Scaraan ansteuerte. Es war ein tröstendes Gefühl für Kumor und Nara, schon bald wieder bei den Freunden zu sein.

Flucht in der Dunkelheit


 

6.
 

Nazcaraan hatte ihre fünf Begleiter lautlos zu einer kleinen Waldlichtung geführt, in dessen Nähe das Hauptlager der Invasions-Verbände lag. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit hatte sich endlich der metamorphische Raumgleiter, beinahe lautlos, der Lichtung genähert und war im Sichtschutz der Bäume gelandet.

Die sechs jungen Menschen waren glücklich sich unversehrt wieder zu sehen und die Nachricht von der erfolgreichen Vereitelung der Invasion sorgte für eine fast euphorische Stimmung unter ihnen.

Sie warteten ab, bis es vollkommen finster geworden war, bevor sie sich auf den Weg machten. Zum Lager der insektoiden Feinde.

Die Waffen schussbereit in den Händen, schlichen die sechs jungen Menschen, zusammen mit den Metamorphern und Thurgyrr, durch das Unterholz. Trotz seiner Körpergröße bewegte sich Thurgyrr am elegantesten und dabei vollkommen lautlos. Mehr als einmal streiften dabei dünne Äste schmerzhaft über ihre Gesichter oder Hände.

Ohne entdeckt zu werden erreichten sie den Waldrand, in dessen Nähe die Vlooran ihr Lager errichtet hatten. Schon lange vorher hatten sie den Schein ihrer riesigen Lagerfeuer ausmachen und sich daran orientieren können.

Bisher waren die Vlooran, bei ihren Landeaktionen auf keinerlei Widerstand gestoßen und so war es verständlich, dass sie sich keinerlei Mühe gaben unentdeckt zu bleiben. Niemand hatte sich bisher für ihr Tun interessiert, außer einigen neugierigen Raubtieren, die sie erbarmungslos getötet hatten.

Thargan seinerseits vermutete, dass sie trotz des recht warmen Klimas auf Sarn-Scaraan wahrscheinlich froren, da es auf ihrem Heimatplaneten noch deutlich wärmer war. So waren die riesigen Lagerfeuer, die überall zwischen den sechseckigen, wabenförmigen Zelten brannten, für ihn kein Wunder.

Auf der Suche nach den Lagerplätzen des vlooranschen Kriegsgeräts, schlichen sie zwischen den Zelten entlang. Weit um die Lagerfeuer herum - und dabei verließ sie ihr bisheriges Glück.

Zwei Vlooran bogen plötzlich um die Ecke des Zeltes, in dessen Schatten sie sich verbargen. Thargan schlug geistesgegenwärtig den vorderen mit dem Kolben seiner Waffe nieder, doch der andere machte eine fünf Meter weiten Sprung rückwärts, der ihn fast zwei Meter hoch durch die Luft trug.

Bevor sich die Neun verschiedenen Wesen die im Schatten des Zeltes gelauert hatten von ihrer Überraschung erholten, stieß das Insektenwesen ein schrilles Zirpen aus.

„Bloß weg von hier!“, rief Thargan heiser und rannte, gefolgt von den Anderen, zurück in den dichten Hochwald, während hinter ihnen innerhalb kürzester Frist das gesamte Lager auf den Beinen war. Das lauter werdende schrille Zirpen hinter ihnen bewies nur zu deutlich, dass man sich bereits auf ihre Fersen heftete.

„Teilt euch auf und lenkt sie vom Gleiter ab“, rief Nazcaraan. „Vizaraan und ich werden sie etwas beschäftigen. Bei Tagesanbruch treffen wir uns auf der Lichtung.“

Gleich darauf nahmen die beiden Metamorpher ihre gewohnte Einhorngestalt an und galoppierten mit geneigten Häuptern auf die Verfolger zu.

Die Insekten zögerten nur einen kurzen Moment lang, bevor sie ihre primitiven Gewehre in Anschlag brachten und auf die merkwürdigen Wesen anlegten. Doch schon im nächsten Moment hatten die beiden Metamorpher erneut ihre Gestalt gewechselt und flogen, als große, violette Vögel, über die Projektilsalven der vlooranschen Waffen und die Köpfe ihrer verwirrten Feinde hinweg, um in der Dunkelheit zu verschwinden. Dabei hofften sie, ihren Begleitern genug Zeit für eine erfolgreiche Flucht verschafft zu haben.
 

* * *
 

„Kannst du noch?" keuchte Oras, während er neben Careya durch den Fluss watete. Im gleichen Moment gab er ihr einen Stoß und verschwand mit dem Mädchen unter Wasser.

Neben ihm war ein Garbe aus einem Vlooran-Gewehr in die Fluten gezischt. Das Wasser schlug über ihnen zusammen. Die Strömung versuchte ihn und das Mädchen davon zu treiben. Ein großer Stein rettete sie davor.

Oras zählte die quälend langsam vergehenden Sekunden. Bei Dreißig schrien seine Lungen nach Luft. Seit Stunden waren sie auf der Flucht; seit Stunden kämpften sie um ihr nacktes Leben. Überall schien der Feind zu sein.

Oras richtete sich auf. Er schnappte nach Luft. Wo steckten ihre Verfolger? Nur der Fluss rauschte. Sonst war es überall still.

Careya tauchte neben ihm auf.

„Wo sind die Insekten geblieben?“, flüsterte der Junge.

Wo ihre Freunde waren, das wussten sie nicht. Seit Beginn ihrer Flucht hatten sie Keinen mehr gesehen. Hatten die Freunde die Verfolger abschütteln können? Oder lebten sie vielleicht schon gar nicht mehr?

Sie wateten wieder durch den Fluss. Auf der anderen Seite gab es in der dunkelgrünen Mauer aus Schlinggewächsen eine Lücke. Oras kletterte das steile Ufer hoch, und reichte Careya die Hand, um sie hinaufzuziehen, als ihre Energiewaffe aufblitzte.

Ein halbes Dutzend schenkeldicke Tentakel die nach Oras griffen wurden zerschnitten. Dann ging der spinnenförmige Riesenleib des Ungeheuers unter.

„Danke“, sagte Oras, atemlos vor Schreck.

„Nicht der Rede wert“, erwiderte Careya, griff nach der Hand des Jungen und zog sich aufs Ufer hinauf.

Hinter ihnen wurde es laut. Eine fremde, eigenartig schrill klingende Sprache war zu hören. Das trieb Oras und Careya vorwärts. Von dieser Gruppe Insekten wurden sie seit Stunden unerbittlich verfolgt.

Oras und Careya bahnten sich den Weg durch das dichte Unterholz. Die unmenschlichen Leistungen, die ihnen abverlangt wurden, schafften sie nur Kraft ihrer Jugend. Hin und wieder setzten sie ihre Jagdmesser ein um Schlinggewächse zu durchschneiden.

Plötzlich lag ein freier Streifen vor ihnen.

„Laufen, Careya“, flüsterte Oras seiner Freundin zu.

Sie flüsterte leise: „Ja!“

Im hellen Sternenlicht konnten sie bis zum fernen Waldrand sehen. Oras passte sich dem Tempo des Mädchens an.

Beide beobachteten nach allen Seiten. Den kleinen Buschgruppen wichen sie in weitem Bogen aus. Und dann sahen sie plötzlich um sich herum in mehr als zehn Metern Höhe fluoreszierendes Leuchten, das lautlos auf sie zukam.

„Schnell! Feuern!“, zischte Oras heiser vor Schreck. Er hatte gehofft, diese abscheulichen Kreaturen niemals wieder zu sehen. Im gleichen Moment traf ihn eine der sichelscharfen Klauen und lähmte ihm das rechte Bein, bevor er sich der Bestie durch einen Energieschuss entledigen konnte. Aber die Begleiterin an seiner Seite hieß Careya; und bisher hatte er dieses Mädchen anscheinend unterschätzt, denn nun bewies sie den Mut und die Kaltblütigkeit eines Kämpfers. Wo ihre Strahlen trafen blitzte es auf.

Der Kampf gegen die Leuchtwesen dauerte nicht lange, aber er hatte böse Folgen. Die Energiestrahlen aus ihren Waffen hatten die Gruppe wieder auf ihre Spur gebracht, vor der sie seit Stunden auf der Flucht waren.

„Diese Welt lehrt mich irgendwann noch das Gruseln!“ fluchte Careya unterdrückt. „Laufen wir weiter!“

Fast gleichgültig erwiderte Oras: „Mein rechtes Bein ist von einer der Sichelklauen getroffen worden und nun gelähmt…“

Ohne ein Wort zu sagen, umfasste ihn Careya und legte sich seinen Arm über die Schulter. Mit der schweren Last setzte sie sich in Bewegung. Das junge Mädchen erwies sich als erstaunlich stark. Ungeheure Willensstärke brachte sie wohl in die Lage, mit Oras den Waldrand zu erreichen. Als sie sich keuchend an einen Baum lehnte, hörte sie hinter sich erneut die Verfolger kommen. Oras massierte sein Bein.

Er stellte fest, dass allmählich wieder Leben hinein kam.

„Wir müssen weiter, Oras“, drängte Careya und fasste ihn wieder unter. Sie rannten planlos durch den Wald, wie Tiere laufen, fast blind und nur von dem glühenden Gedanken beseelt, zu entkommen. Sie schlugen mehrere Haken und stellten nach einer Weile fest, dass sie sich in einem felsigen Hohlweg befanden. Mit brennenden Lungen rannten sie Hand in Hand hindurch, als sie plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen hatten.

Careya dachte bereits ihre letzte Stunde habe geschlagen, doch schon im nächsten Moment war der Boden wieder da und sie verlor das Gleichgewicht. Zusammen mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Armen und angezogenen Beinen, rollten sie einen steilen Abhang hinunter. Wie durch ein Wunder prallten sie mit keinem Hindernis zusammen und blieben, nach einer Weile die ihnen wie eine halbe Ewigkeit vor kam, am Fuß des sanft auslaufenden Abhangs liegen. Bis auf einige blaue Flecken und Abschürfungen waren sie heil geblieben.

Mit einem unterdrückten Ächzen rappelte Oras sich auf und half Careya dann dabei sich zu erheben.

„Bist du verletzt?“ fragte er besorgt und atmete erleichtert auf als das Mädchen ebenso leise verneinte. Sie stellten fest, dass an dieser Stelle des Waldes das Blätterdach etwas lichter war, und im hellen Sternenlicht erkannte Careya den Eingang einer Höhle.

„Dort hinein“, flüsterte Careya. „Wir halten diese ewige Rennerei nicht mehr lange durch und wenn wir noch weiter fortlaufen, schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig zurück zur Lichtung. Also los schon.“

„Du hast recht“, stimmte Oras leise zu. „Außerdem brennt mein Bein wie Feuer.“

„Das werde ich mir mal anschauen müssen. Komm jetzt.“

Sie zogen sich in die Höhle zurück, die tiefer in den Felsen hineinreichte, als sie es zunächst vermutet hatten. Sie fanden schließlich eine relativ trockene Nebenhöhle, die so tief im Felsen lag, dass Careya es wagen konnte, eine kleine Handlampe aus ihrem Gepäck zu holen und sie einzuschalten. Unterdrückt aufstöhnend krempelte der Junge währenddessen sein rechtes Hosenbein hoch.

Careya erschrak beinahe, als sie die blutende Wunde an Oras´ Unterschenkel begutachtete. Wieder begann sie in ihrem Rucksack zu kramen und holte eine Dose mit antibiotischer Wundsalbe hervor. Sie beglückwünschte sich dazu sie mitgenommen zu haben. Dabei erwünschte sie gleichzeitig die Tatsache, nicht auch an schmerzstillende Mittel oder Verbandszeug gedacht zu haben. Lediglich einige Breitband-Antibiotika hatte sie dabei. Sie gab dem Jungen eine der Tabletten und hoffte, sie würden wirken.

„Hast du etwas mitgenommen, womit ich dir einen Verband anlegen kann“, fragte sie, nachdem Oras das Mittel, mit einem Schluck Wasser aus seiner Feldflasche, herunter gespült hatte und blickte in sein schmerzverzerrtes Gesicht.

Nur Sachen zum Wechseln. Eins der Hemden müsste sich eignen.“

Careya durchwühlte nun fieberhaft den Rucksack des Jungen, nahm eins der Leinenhemden heraus und schnitt daraus, unter Zuhilfenahme ihres Jagdmessers, handbreite Streifen heraus. Nach einer Weile hatte sie es geschafft dem Jungen, der begonnen hatte leicht zu zittern, einen fest sitzenden Verband anzulegen. Besorgt blickte sie ihn danach an und fühlte ahnungsvoll seine Stirn.

„Mein Gott, du glühst ja, Oras“, hauchte sie betroffen. „Es wird etwas dauern bis das Antibiotikum wirkt. So lange musst du durchhalten, hörst du?“

Oras nickte apathisch wobei er immer heftiger zu zittern begann. „Mir ist so kalt“, hauchte er bibbernd und schlug die Arme um den Leib. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.

Noch bevor Careya antworten konnte schloss der Junge seine Augen und sank, mit einem leisem Seufzen, bewusstlos zur Seite.

Tränen rannen über die Wangen des Mädchens und ihre Gedanken begannen sich zu jagen. Was sollte sie tun? Der alte Schamane hatte mal etwas von Körperwärme erwähnt, die in solchen Fällen helfen sollte.

Mit zittrigen Fingern holte sie ihren Schlafsack heraus und entkleidete Oras mühsam. Wobei sie kaum etwas sah, weil ständig Tränen in ihre Augen traten. Sie schaffte es schließlich, ihn auf den Schlafsack zu betten. Danach holte sie seinen Schlafsack heraus, entkleidete sich selbst so schnell sie nur konnte und kuschelte sich, so eng sie nur konnte, an ihn, wobei sie seinen Schlafsack bis hinauf zu ihren Hälsen zog.

„Bitte stirb nicht“, flehte sie dabei immer wieder, leise schluchzend. „Du musst durchhalten, Oras, hörst du…?“

Sie schlang eng ihre Arme um ihn und eine Ewigkeit, die sie in einem Albtraum zwischen Hoffen und Bangen verbrachte, schien zu vergehen bis Oras, nach einigen Stunden, überraschend ein leises Seufzen von sich gab und eine seiner fiebrig warmen Hände auf ihren Unterarm legte.

Careya schluckte und brach vor Erleichterung in Tränen aus, so sehr, dass es sie schüttelte. In diesem Moment hatte sie die Verfolger und alles um sich herum vergessen. Nur der Junge, den sie von ganzem Herzen liebte, existierte jetzt noch für sie.

Nach weiteren endlos langen Momenten bemerkte sie schließlich, dass sein Zittern aufgehört hatte und auch sein Herzschlag und seine Atemgeräusche waren nun langsamer und gleichmäßiger. Das sonst viel schneller wirkende Antibiotikum schien endlich anzuschlagen. Offensichtlich hatte Oras das Schlimmste überstanden. Sie klammerte sich so fest an ihn, als würde sie ihn nie wieder loslassen wollen.

Nach einer Weile fühlte Careya seine Stirn und stellte fest, dass das Fieber tatsächlich bereits zurückging. Von nun an würde es mit seiner Genesung relativ schnell gehen. Mit etwas Glück würden sie in ein paar Stunden wieder aufbrechen können. Oras würde sich zwar furchtbar fühlen, aber er würde es schaffen, davon war sie überzeugt.

Die Nacht war noch lang und Careya beschloss, Oras eine Weile schlafen zu lassen, während sie selbst Wache halten wollte.

Widerstrebend löste sie sich von Oras, deckte ihn liebevoll zu und kleidete sich rasch an. Danach packte sie ihren Strahlenkarabiner und schlich zum Höhleneingang, wo sie in die Hocke ging und, mit schussbereiter Waffe, in die Nacht hinaus lauschte.

Hin und wieder glaubte sie ein schwaches Zirpen zu hören. Der Gegner suchte also noch immer nach ihnen. Das Knacken eines Astes ließ sie zusammenzucken und angestrengt spähte sie in die Richtung des Geräusches. Sie konnte jedoch Nichts erkennen und nachdem es eine geraume Weile still blieb beruhigte sie sich langsam. Vielleicht war es nur ein großes Tier gewesen. Von denen gab es, wie sie mittlerweile erfahren hatten reichlich.

Ein dunkler Schatten tauchte plötzlich dicht neben ihr auf und das Mädchen wirbelte, die Waffe im Anschlag, herum. Bereit sie einzusetzen. Doch bevor sie dazu kam zu feuern, traf etwas Hartes mit solcher Wucht ihren Hinterkopf, dass alles um sie herum in bodenlose Schwärze versank. Das Letzte, was sie bewusst wahrnahm, war ein schrilles Zirpen.
 

* * *
 

Oras, der sich in einem leichten Dämmerschlaf befand, schreckte auf, als er ein schrilles Zirpen, vom Höhleneingang vernahm. Benommen tastete er nach seiner Waffe und fragte sich wo Careya stecken mochte.

Bevor er seine Waffe gefunden hatte tauchte die Silhouette eines bewaffneten Vlooran im Höhlendurchgang auf und der Junge war sicher, seine letzte Stunde habe geschlagen, als das Insektenwesen damit auf ihn anlegte.

Oras erwartete jeden Moment den tödlichen Schuss aus der Waffe des fremdartigen Wesens, doch er kam nicht. Statt dessen kippte der Insektoid langsam nach vorne und schlug dumpf zu Boden. Den Grund dafür erkannte der Junge gleich darauf, als sich ein riesiger Schatten aus dem Hintergrund löste und mit leisem Zischen näher kam.

„Thurgyrr!“, entfuhr es dem Jungen dankbar.

Der sechsgliedrige Riese hatte das Insektenwesen überrascht und ihn gerettet. Mit einigen eindeutigen Gesten drängte er ihn nun zum Aufbruch.

„Ich beeile mich, Thurgyrr. Wo ist Careya? Ist sie bei dir?“ fragte der Junge, während er sich mühsam ankleidete. Obwohl er wusste, wie sinnlos das war. „Wir können sie doch nicht einfach zurücklassen.“

Thurgyrr half dem Jungen beim Packen der Rucksäcke, was beinahe komisch aussah. Als Oras aufstand, aber gleich wieder in den Beinen einknickte, fing Thurgyrr ihn auf und bettete ihn auf sein unteres Armpaar. Mit den beiden noch freien Händen schnappte er sich danach die Rucksäcke und Oras´s Waffe, bevor er lautlos die Höhle verließ.

Oras, der noch so geschwächt war, dass er wieder in eine Art Dämmerzustand verfiel, bekam nicht mit, wie schnell Thurgyrr mit ihm durch den dichten, nächtlichen Hochwald raste; zielsicher in Richtung der Lichtung, wo sie sich mit den Anderen treffen wollten…
 

* * *
 

Kumor und Nara atmeten erleichtert auf, als Thargan und Auranea den Treffpunkt erreichten. Nur wenige Momente später fanden sich auch die beiden Metamorpher ein.

Gemeinsam warteten sie fast eine Stunde lang, bevor ein riesiger Schatten aus der Dunkelheit des Waldes auf die kleine Lichtung trat und sie Thurgyrr erkannten, der Oras auf seinen Armen trug. In den letzten zehn Minuten, seit Oras wieder zu Bewusstsein gekommen war, hatte der Junge sich heftig gegen den Griff des riesigen Wesens gewehrt, um auf eigene Faust nach Careya zu suchen, doch das sechsgliedrige Wesen hatte ihn unbeirrbar festgehalten und sicher hierher gebracht.

„Wir dürfen Careya nicht allein dort Draußen lassen!“, tobte der Junge, als Thurgyrr ihn sanft auf die Füße stellte und versetzte dem Wesen einen wütenden Hieb, der diesem lediglich ein leises Zischen entlockte.

„Wir müssen sofort nach ihr suchen…“

„Das werden wir auch“, beruhigte Thargan den Freund und packte ihn bei den Schultern. „Und die beiden Metamorpher werden uns sicher dabei helfen können. Zuerst aber müssen wir uns selbst in Sicherheit bringen, sonst wird daraus Nichts.“

Nazcaraan nickte zustimmend und beruhigende Gedanken durchfluteten seinen Geist. „Die Morgendämmerung ist nahe. Sobald es heller wird werde ich die gesamte Gegend abfliegen und erkunden ob die Vlooran sie gefangen haben.“

„Hoffentlich ist es dann nicht schon zu spät“, erwiderte Oras beunruhigt.

„Wir werden Careya gesund und munter wiedersehen“, bekräftigte Thargan. „Du wirst sehen, Oras, wir werden sie finden und retten.“

Er lächelte den Freund optimistisch an und hoffte dabei inständig, dass er ihm damit nicht zu viel versprochen hatte.

Das Schicksal einer Welt


 

7.
 

Als Careya langsam wieder zu sich kam, fand sie sich, an Händen und Füßen gefesselt, auf einer schmalen Pritsche wieder. Am Rumpeln der Pritsche erkannte sie, dass man sie auf einem Fahrzeug fort transportierte. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie sie hierher gekommen war.

An diesem Punkt ihrer Überlegungen angekommen öffnete sie ihre Augen und erblickte, als Erstes, den klaren Morgenhimmel über sich. Dann schließlich wandte sie ihren Blick ahnungsvoll zur linken Seite. Sie stieß einen schrillen Schreckensschrei aus, als sie die beiden insektoiden Wachen bemerkte, die auf der gegenüber liegenden Pritsche saßen und sie mit ihren schwarzen Facettenaugen kalt anstarrten.

Beide Insekten waren bewaffnet und nur ihre Fühler bewegten sich, als das Mädchen seine Angst herausschrie. Ansonsten zeigten sie keinerlei Reaktion und ganz langsam beruhigte sich Careya etwas. Schließlich hob sie ihren Kopf leicht an und blickte über den offenen Rand der Ladefläche, nach vorne ins Führerhaus des altertümlichen, bodengebundenen Vehikels. Dort entdeckte sie ebenfalls zwei der Fremdwesen. Für eine Weile beobachtete sie den Fahrer dabei, wie er den Laster steuerte und lenkte sich damit von ihrer Angst ab. Krampfhaft redete sie sich ein, dass die Freunde bereits auf der Suche nach ihr sein und sie am Ende befreien würden.

Die rumpelnde Fahrt über das sanft hügelige Land dauerte weiter an und Careya blickte von Zeit zu Zeit zum Himmel hinauf, an dem die orange-gelbe Sonne merklich weiter gewandert war.

Es musste bereits später Nachmittag sein und ihr Magen begann zu knurren. Doch sie traute sich nicht, eine der Wachen nach etwas zu Essen zu fragen. Sie erstarrte leicht, als sie am Himmel über sich einen großen, violetten Vogel entdeckte, der einige Male hoch über sie hinweg flog, um dann tiefer zu gehen und einige Minuten über dem Lastwagen zu kreisen.

Beruhigende Gedanken hüllten Careya ein und sie wusste plötzlich, dass Hilfe in der Nähe war. Eine unerklärliche Erleichterung überkam sie und fast sorglos entspannte sie sich auf der Pritsche, während der violette Vogel langsam in der Ferne verschwand.
 

* * *
 

Die fünf Jugendlichen waren erleichtert, nachdem Nazcaraan zurückgekehrt war und berichtet hatte, dass Careya zwar eine Gefangene der Vlooran war, sich aber bei bester Gesundheit befand.

„Sobald es dunkel geworden ist werden wir Careya befreien“, sagte Thargan überzeugt und legte seine Hand auf Oras´ Schulter.

Gemeinsam bestiegen sie den Gleiter.

Vizaraan folgte den Kursanweisungen Nazcaraans und folgte vorsichtig dem Konvoi, in dem der Laster mitfuhr, auf dem Careya gefangen gehalten wurde. Vizaraan hielt den Gleiter dicht über dem Boden und folgte den Vlooran mit soviel Abstand, dass das am Schluss fahrende Fahrzeug gerade noch erkennen konnte.

Das rettete ihnen das Leben!

Als der Abend anbrach gab es plötzlich einen Ruck und der Gleiter raste zu Boden. Sämtliche Aggregate waren gleichzeitig ausgefallen.

„Festhalten!“, rief Thargan den Anderen zu und legte seine Arme schützend um Auranea. Gleich darauf erfolgte der Aufprall und die Insassen des Gleiters wurden von den Beinen geschleudert. Bis auf ein paar Beulen und blaue Flecken kamen sie mit dem Schrecken davon. Am besten hatte es Nara dabei getroffen. Sie wurde quer durch den Gleiter, genau in Thurgyrrs Arme geschleudert und begrub ihn unter sich.

Das sechsgliedrige Wesen gab einige heftige Zischlaute von sich, während er das Mädchen in seinen Armen hielt. Dann half er Nara dabei sich wieder zu erheben, bevor er selbst aufstand.

Es dauerte eine Weile, bis es ihnen gelang das verzogene Schott zu öffnen und den schrottreifen Gleiter zu verlassen.

„Bei unserem Weltraumeinsatz scheint der Gleiter, durch Trümmerstücke, beschädigt worden zu sein“, erklärte Vizaraan und blickte der Vlooran-Kolonne sinnend nach. „Von nun an werden wir wieder laufen müssen.“

Sie holten rasch ihr Gepäck aus dem Gleiter, wobei Thurgyrr den Rucksack von Careya an sich nahm. Dabei erweckte er fast den Eindruck, als vermisse er das Mädchen. Sie folgten der rasch kleiner werdenden Kolonne und verloren sie nach einiger Zeit vollständig aus den Augen.

Vizaraan nahm wieder die Gestalt eines Vogels an, stieg in den Abendhimmel auf und folgte den Vlooran in der Luft, um den Begleitern den Weg zu weisen. Erst, als es schon merklich dunkler geworden war, kehrte er zurück und nahm sogleich die gewohnte Einhorn-Gestalt an. Wir werden die Vlooran in etwa zwei Stunden einholen, erklärte er den Menschen auf telepathischem Weg. Sie haben ihr Lager auf der Lichtung eines Ausgedehnten Waldes aufgeschlagen und Careya im größten Zelt, etwa im Zentrum des Lagers untergebracht.

„Wird bestimmt nicht leicht werden, sie da heraus zu holen“, unkte Oras düster. „Nach der letzten Nacht, werden die Vlooran sicher auf der Hut sein. Außerdem sind sie sicher darüber informiert, dass sie in der nächsten Zeit keinerlei Nachschub zu erwarten haben, sonst wären sie sicher nicht so rasch aufgebrochen und hätten den Landeplatz ihrer für ihre Raumgleiter verlassen.“

„Damit werden wir schon fertig“, versuchte Nara ihren Bruder zu beruhigen. „Wir werden Careya schon bald wieder bei uns haben.“

Sie machten sich auf den Weg, in die Richtung, die Vizaraan ihnen wies wobei es Oras war der ein strammes Tempo vorlegte. Trotzdem erreichten sie den Waldrand erst, als es bereits vollkommen finster geworden war.

Vorsichtig, fast in Zeitlupe, pirschten sie sich vollkommen lautlos immer näher zum Feindlager vor. Als sie den Rand der Lichtung erreicht hatten übernahm Vizaraan, in menschlicher Gestalt, die Führung. Einzeln schlichen sie von Zelt zu Zelt, wobei sie den Vlooran-Wachen geschickt aus dem Weg gingen. Sie erreichten so ungesehen ein Zelt, fast im Zentrum des Lagers. Das Zelt in dem sich Careya aufhalten sollte stand weniger als zwanzig Meter entfernt. Thargan spähte kurz um die Ecke und erkannte, dass zwei Wachen vor dessen Eingang standen.

„Was jetzt?“ fragte er flüsternd zu Vizaraan gewandt. „Wenn wir auf die beiden Wachen feuern, haben wir in kürzester Zeit das gesamte Lager am Hals. Und ob wir ihnen ohne Transportmittel entkommen können ist mehr als fraglich.“

Er spähte erneut um die Ecke und bemerkte diesmal, dass an der Seitenwand des großen Zeltes einige der primitiven Lastwagen abgestellt waren und ganz vage reifte in seinen Gedanken ein tollkühner Plan heran.
 

* * *
 

Careya lag, an Händen und Füßen festgeschnallt, auf einer harten, glatten Unterlage und blickte auf eine Traube von Lampen die über ihrem Kopf hing. Einige Vlooran hielten sich im Hintergrund des Raumes auf und das Mädchen hörte sie dort rumoren. Ab und zu verließ einer von ihnen den Hauptraum in Richtung der abgeteilten Nebenräume, die sie nicht einsehen konnte und kehrte dann nach kurzer Zeit zurück. Die Vlooran hatten sie völlig entkleidet. Trotzdem begann sie, unter den warmen Lampen, zu schwitzen.

Nach einer Weile, die Careya endlos lang vorkam, traten drei Vlooran an ihr Lager. Einer von ihnen trug einen schwarzen, ärmellosen Umhang und musterte sie eingehend. Careya spürte die ungeheure Energie, die von diesem Wesen ausging und ihr Blick streifte zur Seite, wo einer seiner beiden Begleiter dabei war, einige glänzende, silberne Instrumente und Gegenstände zu sortieren. Es dauerte nur einen Moment, bis sie begriff was das Erscheinen dieser drei Wesen zu bedeuten hatte.

Der Vlooran, den sie zuerst beobachtet hatte, trug dort Schwarz, wo Ivan Tomisenkow ein makelloses Weiß bevorzugte. Ihr wurde klar, dass er Chirurg war und er wollte sie sezieren, um ihre Anatomie zu studieren. Und das bei lebendigem Leib!

An diesem Punkt ihrer Überlegungen angekommen weiteten sich ihre Augen unnatürlich weit und sie schrie gellend auf.
 

* * *
 

Kaum hatte Thargan seine Begleiter in seine Pläne eingeweiht, als aus dem großen Zelt gegenüber ein gellender, menschlicher Schrei drang. Oras, der Careyas Stimme sofort erkannt hatte, hielt es dabei nicht länger auf seinem Platz. Mit der Waffe im Anschlag stürmte er los, direkt auf den Eingang des großen Zeltes zu und schoss die beiden überraschten Wachen nieder. Gleich darauf verschwand er im Inneren des Zeltes.

Thurgyrr zögerte keinen Moment lang. Er sprang Oras in weiten Sätzen hinterher, noch bevor die Anderen reagieren konnten.

„So viel zu meinem Plan!“, fluchte Thargan erbittert, als er sich endlich von seiner Überraschung erholte und setzte den Beiden nach. „Gebt mir Feuerschutz!“

Oras hatte inzwischen den Vorraum des Zeltes durchquert und war in den Hauptraum vorgedrungen. Er verharrte kurz bei der Szene die sich ihm bot und schoss dann, ohne zu zögern, auf den schwarz gekleideten Vlooran der sich gerade über Careya beugte.

Der Vlooran wirbelte getroffen zur Seite und erst jetzt erkannte Oras das blitzende Skalpell, dass er in seiner Hand gehalten hatte. Als die beiden Assistenten sich ihm zuwandten, sprang ein riesiger Schatten an seiner linken Schulter vorbei. Erleichtert stellte Oras fest, dass es Thurgyrr war, der sich auf die beiden Vlooran stürzte und sie in einen der hinteren Nebenräume schmetterte. Das riesige Wesen sprang ihnen nach, tobte dort weiter und brachte damit den gesamten Zeltaufbau in Gefahr.

Der Junge rannte schnell zu Careya, die mitreißend hilflos auf dem hohen Metalltisch lag. Hastig schnallte er Careya los und nahm die Ohnmächtige vorsichtig auf seine Arme. Aus den Augenwinkeln sah er Thargan ins Zeltinnere stürmen. Thargan schoss auf einen weiteren Vlooran, der in einem der anderen Nebenräume gelauert hatte.

Der Schwarzhaarige blickte sich kurz sichernd um und ergriff dann Careyas Kleidung.

Fast im selben Moment kehrte Thurgyrr in den Hauptraum zurück. In seinen Händen hielt das Wesen die Energiewaffe, welche die Vlooran dem Mädchen abgenommen hatten.

Schnell verließen sie das Zelt und wandten sich, auf Thargans Anweisung hin, nach Links. Gerade in dem Moment, als sie die vlooranschen Lastwagen erreichten, kam Careya wieder zu sich. Oras stellte sie fast übervorsichtig auf die Füße.

„Ich weiß wie man diese Dinger steuert“, rief sie den Anderen zu, nachdem sie sich kurz orientiert hatte. Schnell schlüpfte sie in das Hemd, dass sich Oras vom Leib gerissen und ihr umgelegt hatte. Für mehr blieb im Moment keine Zeit, denn hinter ihnen war fast das gesamte Lager auf den Beinen, um sie unschädlich zu machen.

„Dann fährst du auch!“ rief Thargan ihr über den entstehenden Tumult hinweg zu und kletterte auf den Beifahrersitz.

Glücklicherweise waren die Türen des Führerhauses nicht verriegelt, aber wer rechnete auch damit, dass Jemand eines dieser Vehikel mitten aus einem Vlooranlager stehlen würde? Die Vlooran offensichtlich nicht.

Während die Anderen noch dabei waren, auf die Ladepritsche zu klettern und sich so flach wie möglich hinlegten, versuchte Careya den Laster zu starten. Beim ersten Versuch machte der Lastwagen einen wilden Satz nach Vorne und der Motor erstarb gleich wieder. Dann erst erinnerte sie sich an das Pedal ganz links. Sie trat das Pedal durch, startete den Motor erneut und ließ das Pedal langsam los, während sie gleichzeitig mit dem Pedal ganz rechts Gas gab. Aufheulend ruckte das Fahrzeug an während die Vlooran erste, ungezielte Schüsse auf sie abgaben.

Careya lenkte den Laster, so schnell sie konnte, aus dem Lager heraus, wobei sie mehrere Zelte der Vlooran einfach niederfuhr. Auf der Ladepritsche hoben die Freunde ihre Waffen, legten auf die zurückbleibenden Fahrzeuge an und zerschossen deren Motoren und Reifen, so gut es ging.

Rumpelnd fuhr der Lastwagen im wilden Slalom durch den Wald und verschwand gleich darauf in der Dunkelheit. Mehrmals wäre Careya dabei fast gegen einen Baum gefahren, doch immer wieder gelang es ihr, den plötzlich auftauchenden Hindernissen im letzten Moment auszuweichen.

Als sie endlich die freie Ebene erreichten wurde die Sicht etwas besser und das Mädchen besann sich auf die Gangschaltung des Wagens. Nach einigen Versuchen, hatte sie die richtige Reihenfolge der Gänge herausgefunden und langsam entwickelte sie ein Gespür dafür, wann sie hoch oder herunter schalten musste.

Das Dröhnen des Motors senkte sich auf ein erträgliches Maß herab und immer schneller rumpelte das primitive Vehikel durch die Nacht. Seltsamerweise gab es an dem Lastwagen keine Scheinwerfer, so dass sie Hindernissen oft erst im letzten Moment ausweichen konnte.

Doch Careya steuerte das Fahrzeug mit beinahe unheimlicher Sicherheit durch die Dunkelheit. Immer noch war Oras´ Hemd das einzige Kleidungsstück was sie trug. Doch auch jetzt war keine Zeit um auf solche Dinge zu achten.

Einige Stunden lang fuhren sie, auf Anraten der beiden Metamorpher, in südwestliche Richtung, bis der Boden so uneben wurde, dass es selbst Careya zu gefährlich erschien weiter zu fahren. Sie stoppte den Lastwagen und stellte den Motor ab.

„Wenn ich bei diesen Bodenverhältnissen im Dunkeln weiterfahre, dann werden wir uns sämtliche Knochen brechen“, erklärte sie. „Ich fürchte, wir müssen warten, bis die Morgendämmerung einsetzt.“

„Du hast Recht“, stimmte Thargan ihr zu. „Nutzen wir die Zwangspause, um ein Wenig zu schlafen.“

Er stieg aus und ging nach hinten, während gleich darauf Oras zu ihr in das Führerhaus stieg und Careya ihre Sachen reichte. Schnell schlüpfte sie hinein und fiel Oras anschließend stürmisch um den Hals. Erst jetzt fand sich die Zeit, ihm für ihre Rettung zu danken, von der ihr Thargan, in knapper Form berichtet hatte.

Als Oras seine Arme um sie legte spürte er das leichte Zucken ihrer Schultern und gleich darauf hörte er sie unterdrückt schluchzen. Ihm begann zu dämmern, dass sie erst jetzt die Ereignisse der letzten Stunden und Tage richtig zu verarbeiten begann.

Wortlos hielt Oras das Mädchen in seinen Armen.

Als Careya sich nach geraumer Weile beruhigte, sagte sie mit erstickter Stimme: „Ich hatte solche Angst, ich würde dich nie wiedersehen.“

Im nächsten Moment lagen ihre Lippen auf seinen und sie küsste ihn, als wäre es die letzte Gelegenheit. Möglicherweise stimmte das sogar.
 

* * *
 

Thargan Dareon erwachte, als Auranea ihn an der Schulter berührte und sanft auf die Wange küsste. Ihr besorgter Gesichtsausdruck verhieß ihm nichts Gutes. „Ist etwas passiert?“

„Die Vlooran verfolgen uns anscheinend“, bestätigte sie die dunklen Vorahnungen des Jungen. „Offensichtlich war unsere Sabotage der anderen Lastwagen nicht erfolgreich genug, oder sie besitzen mehr von diesen Fahrzeugen, als wir dachten.“

Thargan folgte ihrem ausgestreckten Arm mit seinem Blick und er erkannte eine gewaltige Staubwolke am nordöstlichen Horizont. Die Dämmerung hatte bereits merklich eingesetzt, obwohl die Sonne noch hinter den Bergen verborgen war. Careya, die zusammen mit Oras die Nacht im Führerhaus verbracht hatte, ließ bereits wieder den Motor an.

Der Laster ruckte an, kaum dass Thurgyrr als letzter auf die Ladefläche gestiegen war. Careya beschleunigte den vlooranschen Lastwagen so gut sie konnte, wobei sie geschickt den Bodenwellen und Senken auswich. Sie schien sich geradezu zu einer Spezialistin für diese urtümlichen Vehikel zu entwickeln.

Trotzdem stellte sich schon eine halbe Stunde eine unangenehme Tatsache heraus: Der Gegner holte auf! Anscheinend besaßen diese vlooranschen Lastwagen eine Reserveschaltung, die Careya entgangen war, oder die es in diesem Fahrzeug nicht gab.

Wie auch immer; die Vlooran kamen langsam aber sicher näher. Oras, der sich hin und wieder zum Fenster hinauslehnte und nach Hinten blickte schätzte, dass sie in etwa einer Stunde auf Schussweite heran sein würden.

Nazcaraan, die wieder eine menschliche Form angenommen hatte, beugte sich auf der Fahrerseite über die Ladepritsche und rief Careya zu: „Fahre einen weiten Linksbogen zu dem Geländeeinschnitt, den du dort hinten erkennen kannst. Dort liegt das Ziel unserer Reise. Ein uraltes Heiligtum meines Volkes, in dem wir in früherer Zeit stets, zu Zeiten der größten Not, Zuflucht gesucht haben.“

Careya fand den angegeben Geländeeinschnitt sofort und fuhr in weitem Bogen darauf zu, um nicht zu viel von ihrem Vorsprung einzubüßen. Als sie ihn eine halbe Stunde später erreichten, musste Oras erkennen, dass seine Schätzung falsch gewesen war, denn ein Gewehrprojektil zerschmetterte den Außenspiegel auf seiner Seite.

Auf seine hastige Warnung hin warfen sich die Begleiter auf der Ladefläche hin und machten sich so flach wie nur irgend möglich. Doch kein weiteres Projektil traf den Wagen, so dass sie langsam zu der Überzeugung gelangten, dass es sich bei dem Treffer um einen Hundert-Gulden-Schuss gehandelt haben musste.

Trotzdem atmete Careya erleichtert auf, als sie in die enge Schlucht einfuhr und sie, wenigstens kurzzeitig, aus dem Feuerbereich der Vlooran gelangten. Trotz der starken Bodenwellen fuhr Careya in halsbrecherischem Tempo durch die Schlucht und die Freunde auf der ungefederten Ladefläche wurden ordentlich durchgeschüttelt. Als sie endlich den Ausgang der Schlucht erreichten, sahen sie, was Nazcaraan angekündigt hatte.

Vor ihnen erhoben sich vier mächtige, stählerne Türme. Jeder von ihnen mindestens zweihundert Meter hoch und an der Basis fünfundzwanzig Meter durchmessend. Im Abstand von fünfzig Metern bildeten die achteckigen, sich nach oben verjüngenden Türme die Eckpunkte eines exakten Quadrats. Ein flimmernder Energieschirm hüllte die vier schwarz-bläulich schimmernden Türme ein.

„Und was nun?“ fragte Thargan Dareon zu Nazcaraan gewandt.

„Wir fahren weiter, bis zum Schutzschirm“, rief die Metamorpherin Careya zu und beantwortete damit gleichzeitig Thargans Frage. „Alles Andere wird sich finden, sobald wir das Heiligtum erreicht haben.“

Die Türme erhoben sich in etwa zwei Kilometer Entfernung. Als sie etwas mehr als die Hälfte dieser Strecke überwunden hatten, fuhren die ersten, verfolgenden Lastwagen aus dem Hohlweg, fächerten nach Außen auf und bildeten mir den nachfolgenden Fahrzeugen eine breite Kette. Sie waren nun in diesem Tal gefangen.

„Wenn uns am Heiligtum nicht ganz schnell etwas einfällt, dann sieht es verdammt schlecht für uns aus“, murmelte Careya düster und spürte, dass Oras ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. Ganz dicht fuhr sie den Lastwagen an den Schutzschirm heran und stoppte das Fahrzeug.

Auf der Ladefläche erhoben vier junge Menschen ihre Waffen und visierten jeweils eins der Verfolgerfahrzeuge an. Als ihnen die ersten Kugeln der Vlooran um die Ohren pfiffen erwiderten sie das Feuer. Drei der sich nähernden Lastwagen gingen in Flammen auf, was die anderen dazu veranlasste zu stoppen.

Während Nara beobachtete, wie die Vloorans schnell von den Fahrzeugen absaßen um hinter ihnen in Deckung zu gehen, gab Kumor neben ihr ein unterdrücktes Stöhnen von sich. Entsetzt bemerkte das Mädchen, dass der Junge an der Schulter blutete.

„War nur ein Streifschuss“, ächzte Kumor und verbiss sich den Schmerz. „Na, warte! Die Brüder können was erleben…!“ Damit visierte er bereits einen neuen Gegner an und feuerte seine Waffe ab.

Careya und Oras hatten die Kabinentüren geöffnet und nahmen den Gegner ebenfalls unter Beschuss.

„Ewig werden wir uns die Vlooran nicht vom Hals halten können“, rief Careya resignierend. „Was wir jetzt brauchten könnten, wäre ein Weg durch den Schutzschild.“

Oras, der bei ihren Worten unwillkürlich einen schnellen Blick zum Schutzschild warf, stieß einen lauten Schrei aus: „Da sieh nur!“

Careya blickte in Fahrtrichtung und bemerkte sofort, was Oras so sehr in Aufregung versetzt hatte. Ein breiter Streifen des Weges hatte sich gelblich gefärbt und führte wie eine Straße durch die Mitte des Heiligtums hindurch. Außerdem gab es eine sichtbare Lücke im Schutzschirm vor ihnen.

Ohne lange zu fackeln schloss Careya die Fahrertür, startete den Motor des Lasters und fuhr durch die Lücke im Schutzschirm. Unbeschadet steuerte sie das Fahrzeug hindurch und hielt auf des Zentrum zwischen den Türmen zu.

„Ich wünschte mir nur, das Heiligtum könnte die Vlooran irgendwie verschwinden lassen!“, rief Oras aus.

„Ja“, stimmte Careya zu, wobei sie einen besorgten Blick zur Tankanzeige warf. „Und das möglichst bevor uns der Sprit ausgeht.“

Nur einen Moment später schoben sich spiralartige Läufe aus allen vier Türmen. Zur Überraschung der Flüchtenden wurden alle vlooranschen Verfolgerfahrzeuge von einem violetten Glühen eingehüllt, wobei sich die Konturen immer mehr auflösten. Gleichzeitig wurde das Glühen immer intensiver bis es abrupt aufhörte. Einen Moment waren die Gegner verschwunden und Nichts zeugte mehr davon, dass es auf diesem Planeten jemals Vlooran gegeben hatte.

Verwirrt und gleichzeitig fragend blickten die vier jungen Menschen auf der Ladepritsche zu den Metamorphern.

„Was war das?“ fragte Thargan, der als Erster die Sprache wieder fand.

Nazcaraan und Vizaraan, die ebenso überrascht waren wie alle Anderen, wechselten einige schnelle Blicke miteinander, bevor sie gemeinsam erklärten: „Wir wissen es nicht. Bisher ist noch nie etwas Derartiges geschehen.“

Oras, der in diesem Moment vom Beifahrersitz kletterte, bekam die letzten Worte mit und mischte sich ein: „Vielleicht hat das Heiligtum Ohren.“

Er ignorierte die spöttischen Mienen der Freunde und erklärte: „Als Careya sich eine Öffnung im Schutzschirm wünschte, da erschien eine. Und als ich mir wünschte, die Vlooran mögen verschwinden, da waren sie auch schon fort.“

„Vielleicht sollte ich es dann auch mal probieren“, meinte Thargan sarkastisch, während Careya den Motor des Lasters abstellte. „Alle guten Dinge sind schließlich Drei.“

„Kann nicht schaden“, schmunzelte Kumor.

Thargan blickte, zu Oras´ Verdruss, grinsend in die Runde und meinte dann entsagungsvoll: „Also schön, dann versuche ich es mal. Nun gut, wenn es einen Eingang zum Heiligtum gibt so möge er sich für uns öffnen und uns einlassen.“

Kaum hatte der Junge den Satz beendet, da begann der Boden unter ihnen zu vibrieren und senkte sich gleich darauf ab. Eine Fläche von zwanzig mal zwanzig Metern, an deren Rand der Lastwagen stand, versank in einem geraden Schacht, dessen Wände glasiert worden waren. Tiefer und tiefer sanken sie hinab, bis die Öffnung über ihren Köpfen kaum noch zu erkennen war.

„Glaubst du es jetzt?“ fragte Oras grimmig und fragte sich, wie weit es wohl noch abwärts gehen mochte. Als der Boden endlich zum Stillstand kam waren etwa drei Minuten vergangen. Zu seiner Linken öffnete sich ein breites Schott und weißes Licht flutete den Schacht. Hinter der Öffnung gähnte eine weite Halle, die rechts und links des Schotts mit riesigen Maschinen und Apparaturen angefüllt war. Dazwischen führte ein breiter, etwa fünfzig Meter langer, Gang zu einer riesigen Schaltanlage.

Thargan betrat als Erster den Gang und machte sich auf den Weg zu der Steueranlage. Die Anderen folgten ihm dichtauf. Thurgyrr, der sich nicht wohl zu fühlen schien und von den Metamorphern beruhigt werden musste, machte dabei den Schluss.

Das zehn Meter weite, hufeisenförmige Rund der Steueranlage war angefüllt mit einer sinnverwirrenden Anzahl an Sensorflächen, Kontrollanzeigen und Holo-Bild-Emittern, die zum größten Teil in Betrieb waren. Einige von Ihnen zeigten verschiedene Gegenden auf Sarn-Scaraan, andere das Weltall und auf einem von ihnen entdeckte Kumor eine fremdartige Landschaft, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Tausende von Vlooran tummelten sich dort und umringten eine Reihe von Fahrzeugen, wobei ihre Fühler heftig hin und her zuckten. Erst nach einer Weile dämmerte ihm, was für eine Ungeheuerlichkeit er hier entdeckt hatte und laut rief er die Anderen zu sich.

„Da! Seht euch diese Szene genau an!“, rief er fassungslos aus, als die Freunde bei ihm waren. „Der zweite Lastwagen von links trägt eindeutig die Brandspuren einer Energiewaffe. Und zwar genau dort, wo mein letzter Schuss ihn gestreift hat.“

„Du willst damit sagen, das Heiligtum hat die Vlooran von hier, direkt nach Hause befördert – zu ihrem Heimatplaneten? Dann wäre das Heiligtum in Wahrheit nichts Anderes, als ein gigantischer Materie-Transmitter. Vielleicht könnte man mit seiner Hilfe sogar den Planet Sarn-Gorean, oder gar die Erde erreichen.“

Nur wir wissen, dass es diesen Transmitter gibt“, erklärte Careya leise und mit einer seltsamen Betonung. Sie warf einen fragenden Blick in die Runde.

Die übrigen fünf Jugendlichen schwiegen nachdenklich. Sie wussten, was Careya damit hatte sagen wollen. Wenn die erwachsenen Schiffbrüchigen von diesem Transmitter erfuhren, dann würde Sarn-Scaraan die längste Zeit ihre Heimat gewesen sein. Andere Menschen würden hierher kommen, um die Technik des Gigant-Transmitters zu erforschen.

„Ich möchte nicht anders leben, als bisher“, erklärte Kumor leise und nahm Naras Hand in seine. Auf dem Gesicht des Mädchens entdeckte er dabei Zustimmung.

Thargan blickte nacheinander in die Gesichter seine Freunde und erklärte dann: „Der Transmitter gehört den Sarn-Scaraanern und als einzige humanoide Sarn-Scaraaner haben wir das Recht zu entscheiden, wem wir davon erzählen wollen und wem nicht. Wir haben einstimmig beschlossen zu schweigen, wenn ich mich nicht irre.“

Die fünf Freunde nickten ihm einmütig zu.

Nazcaraan, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, trat nun zu Thargan und sagte eindringlich zu ihm: „Du bist dir bewusst, dass eure Entscheidung den havarierten Raumfahrern die Möglichkeit nimmt das Leben zu führen, dass sie sich wünschen. Habt ihr in dieser Angelegenheit vielleicht nicht etwas zu egoistisch gedacht?“

Der Schwarzhaarige blickte nachdenklich in die goldenen Augen der exotischen Schönheit, bevor er schließlich antwortete: „Schon möglich. Doch andererseits habe ich, soweit ich zurückdenken kann, kaum jemals einen von ihnen traurig, oder gar unglücklich gesehen. Ich kann mir nicht denken, dass sie woanders zufriedener leben würden, als hier. Auf Sarn-Gorean oder Terra hätten sie vermutlich viel mehr Stress und dafür weniger Freude am Leben. Ich meine damit, am wirklichen Leben. Vielleicht ist es ihnen manchmal gar nicht bewusst, aber ich glaube, sie sind hier glücklich. Glücklicher, als sie es an irgendeinem anderen Ort sein könnten.“

Kumor trat an die Seite des Freundes.

„Außerdem würden Menschen über Menschen hierher kommen und den gesamten Planeten kolonisieren, wenn sie von ihm erfahren. Sie würden ihn für sich in Besitz nehmen“, argumentierte der untersetzte Junge. „Das Leben würde sich für alle Lebewesen auf diesem Planeten drastisch verändern. Auch für euch.“

Nazcaraan wechselte einen langen Blick mit Vizaraan und sagte schließlich: „Wir akzeptieren eure Entscheidung und werden uns nicht einmischen. Jetzt, da wir das Geheimnis des Transmitters kennen und wissen, wie man sich Zugang verschafft, können wir jeder weiteren Gefahr von Außen selbst begegnen. Falls ihr es euch doch irgendwann anders überlegen solltet, dann wisst ihr wo der Transmitter zu finden ist. Wir werden euch nun an den Goldmeerklippen absetzen. Danach senden wir Thurgyrr und den Lastwagen dorthin zurück, wohin sie gehören. Nehmt bitte eure Sachen vom Laster.“

Nachdem die sechs jungen Menschen ihre Rucksäcke und Waffen geschultert hatten, ging Thargan langsam zu Nazcaraan und reichte ihr seine Hand.

Die Metamorpherin ergriff sie zögernd und erwiderte vorsichtig den sanften Druck.

„So verabschiedet man sich bei uns von guten Kameraden“, erklärte der Junge.

Nazcaraan lächelte nachsichtig, trat dann etwas näher an ihn heran und umarmte ihn sanft bevor er reagieren konnte. Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und sagte dann lächelnd: „Und so verabschieden sich Freunde bei den Menschen, nicht wahr?“

Thargan nickte verlegen und wandte sich schnell an Vizaraan um ihm ebenfalls zum Abschied die Hand zu reichen. Danach schritt er zu Thurgyrr und legte seine Hand auf die kalte feuchte Brust des Wesens.

„Thurgyrr“, sagte er und blickte zum Gesicht des Wesens hinauf. „Du warst uns ein ein prima Kamerad und Freund.“

Thurgyrr wiederholte diese Geste bei Thargan und zischte heiser dessen Namen, was dem Riesen, wie schon beim ersten Mal, sichtlich Mühe bereitete.

Auch die fünf Anderen verabschiedeten sich von den drei ungewöhnlichen Wesen.

Als sich Careya von Thurgyrr verabschiedete, standen Tränen in ihren Augen. Irgendwie hatte sie dieses fremdartige Lebewesen tief in ihr Herz geschlossen. Als sie zum Abschied ihre Hand auf seine Brust legte und seinen Namen sagte tat das Wesen etwas sehr Seltsames. Etwas, das er bei keinem der Anderen getan hatte. Er legte die Arme seines unteren Armpaares um das Mädchen und drückte es so sanft, wie man es ihm aufgrund seines Äußeren niemals zugetraut hätte. Dabei beugte Thurgyrr seinen Kopf ganz tief zu ihr hinab und sagte, mit weniger Zischen in der Stimme, als bei allen Anderen: „Careya!“

Das Mädchen wischte sich ihre Tränen ab und schritt langsam wieder zu Oras, als Thurgyrr sie schließlich freigab.

Mit melodischer Stimme wünschte Nazcaraan die sechs jungen Menschen zu den Goldmeerklippen und augenblicklich veränderte sich, vor den Augen der Jugendlichen, die Umgebung. Fassungslos sahen sie sich an, als sie entdeckten, dass sie fast wieder Zuhause waren. Sie hatten von dem Transport hierher absolut Nichts gespürt.

Thargan Dareon blickte in die Runde und schlug vor: „Lasst uns nach Hause gehen, Freunde. Man wird sich sicher einige Sorgen um uns gemacht haben.“

„Was erzählen wir unseren Familien und allen Anderen, wenn sie uns fragen was wir gemacht haben“, fragte Kumor unsicher. „Die werden uns doch bestimmt Löcher in den Bauch fragen, sobald das Donnerwetter vorbei ist.“

Thargan sah seinen besten Freund mit leisem Unglauben an. „Jetzt sag bloß nicht, du hast Schiss vor dem Krach, den deine Eltern schlagen werden? Nach all dem, was wir in den letzten Tagen erlebt haben?“

Kumor sah trotzig in die Runde. „Na, ja. Das haben wir immerhin glücklich überstanden. Aber meine Eltern…? Die reißen mir doch den Kopf ab.“

Die Freunde blickten sich einen Moment lang an bevor sie in schallendes Gelächter ausbrachen, in das am Ende selbst Kumor einfiel. Schließlich machten sie sich endlich auf den Heimweg. Sie waren wieder Zuhause.

Epilog


 

Epilog
 

Als Nazcaraan und Vizaraan endlich allein in der Maschinenhalle standen blickten sie sich lange Zeit nur an, bevor Vizaraan das Wort ergriff: „Warum hast du ihnen das Wissen um den Materie-Transmitter gelassen? Irgendwann werden sie zurückkehren und damit experimentieren, genauso wie Jene, das wissen wir nun, die uns und unser gesamtes Volk hierher transportiert haben müssen.“

„Nein, das glaube ich nicht“, widersprach Nazcaraan. „Das Heiligtum hat ihnen Einlass gewährt, obwohl es gegen negativ denkende Wesen geschützt ist. Das spürte ich mental, als wir die Maschinenhalle betraten. Etwas tastete uns ab und erkannte uns an. Thurgyrr wurde geduldet, weil wir dabei waren. Nun stellt sich uns dieselbe Frage, wie den sechs jungen Menschen: Wollen wir nach Hause?“

Vizaraan lächelte schwach und verwandelte sich in ein Einhorn. Ich bin Zuhause, nahm er zu Nazcaraan Kontakt auf.

Nazcaraan verwandelte sich ebenfalls zurück in ihre wahre Gestalt, bevor sie, ebenfalls auf mentaler Ebene, antwortete: Wir sind Zuhause!

Ein nur mit paranormalen Sinnen hörbares Lachen erfüllte die beiden Wesen.

Langsam verließen sie die Halle und niemand sah, dass die beiden Metamorpher im künstlichen Deckenlicht schneeweiß schimmerten. Auch die beiden Einhorngestalten bemerkten nichts davon, denn ihr Wahrnehmungsbereich ließ dies nicht zu.

Als sie gemeinsam zur Liftplatte schritten, wobei der violette Schimmer langsam wiederkehrte, fragte Vizaraan: Ob die Menschen uns unsere wahre Gestalt glauben würden, wenn wir nicht von Terra stammen und sie uns nicht für Fabelwesen halten würden?

Nazcaraan zögerte kurz bevor sie erwiderte: Ich bin mir nicht sicher – Vielleicht…
 


 

ENDE
 



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