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Stand my ground

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Der Titel ist nur eine Andeutung auf den Inhalt. Dazu muss man aber schon die Geheimnisse von Chris Vineyard kennen, um überhaupt zu verstehen, was das bedeuten soll. Ich gehe doch mal stark davon aus, dass ihr das alle wisst... also erkläre ich hier nichts weiter.
Ich gebe aber offen zu, dass ich ein sehr großer Vermouth und Angel Plot-Fan bin xD~ also kein Wunder, dass so etwas hier wieder sein musste.
An alle, die beide so sehr mögen wie ich, ihr werdet es lieben ^^
Chu~
Eure Melo Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So.
Ich habe mich jetzt dafür entschieden, dieses Kapitel in zwei Teile zu zerlegen. Ich denke, die Stelle ist ganz passend.

Jevi (Dir danke für die Unterstützung beim Schreiben von Takeshi XD)
Ryo-Baka
Meitantei

Ich hoffe, ihr *approved* das mal so, ja? xD
Bin stolz auf mich - das hat ja echt eine Weile gedauert und ist auch schon so weit fortgeschritten. Das ist ja erst der Anfang... Komplett anzeigen

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Excitement at the police department

 

 

 

Dieser sonnige Tag im April war einer der wenigen, an denen man nur zu gerne dem Büro entfliehen wollte. Dennoch arbeiteten viele im Polizeipräsidium im Büro, statt die Frühlingssonne zu genießen.

Frühling – Zeit der Verliebten. Ganz schön deprimierend einen solchen Tag im Büro zu verbringen, oder?

Das dachte wohl auch Miwako Satō, welche gerade von ihrem Chef ins Büro zitiert wurde. Als Leiterin der Abteilung für Erpressungsfälle hatte sie viel Verantwortung für ihre Kollegen. Eine Frau in einer Führungsposition jagte so manchem Mann Angst ein, dennoch erfreute sie sich äußerster Beliebtheit.

„Ich soll den Neuen einweisen? Das ist aber ungewöhnlich. Sagten Sie nicht, dass er direkt vom Polizeipräsidenten empfohlen wurde? Da werden die weiblichen Kolleginnen aber neidisch sein, Inspektor Megure.“ Ein wissendes Lächeln lag auf Miwakos Gesicht, denn seit dieser Neue hier aufgetaucht war, herrschte totales Chaos und sie musste ihre weibliche Kollegschaft ein wenig im Zaum halten. „Kaum da, hat er auch schon seine Fangemeinde. Bestimmt hat er auch außerhalb des Präsidiums jede Menge Verehrerinnen.“

„Die Worte des Polizeipräsidenten waren: Er soll sich auf die Arbeit konzentrieren und nicht auf irgendwelche Techtelmechtel mit Frauen – Miwako Satō ist genau das Richtige für einen Mann wie ihn. Er braucht eine starke Frau, die ihm zeigt, wo es langgeht.“ Ein kleiner Schweißtropfen lief Megure über die rechte Wange, als er ihren Vorgesetzten zitierte. „Er erwähnte beiläufig, er sei ein Problemfall, gerade schüchterne Frauen würde er total aus dem Konzept bringen. Sie, Miwako würden auf seine Flirtversuche nicht einsteigen, das konnte ich ihm versichern. Deswegen sollen Sie ihn jetzt unter ihre Fittiche nehmen. Seien genau das Richtige für die Erziehung des Herrn.“

Miwako staunte nicht schlecht. „Ohjemine, da eilt mir mein Ruf aber voraus. Bin ich wirklich so schlimm?“

„Diese Frage sollte man am besten Takagi stellen“, antwortete Megure mit einem schelmischen Grinsen, wobei er die junge Dame nicht wirklich aufziehen wollte. Diese errötete und entlockte dem korpulenten Mann ein leichtes Lachen. „Apropos Takagi, er scheint unseren Neuen zu kennen. Nehmen Sie ihn doch am besten mit. Sollte uns ein Fall eintreffen, wobei ich ihn brauche, können Sie beide wieder zu mir schicken. Ich würde mir die Fähigkeiten des Herrn gern selbst anschauen.“

„Er ist von Osaka hierher versetzt worden, richtig? Soweit ich mich erinnere, leitete er dort die Abteilung für Mordfälle, nicht wahr? So ein junger Bursche mit so viel Verantwortung. Trotzdem soll ich den noch erziehen. Das kann ich beim besten Willen nicht verstehen.“

Es klopfte und Megure bat denjenigen herein.

„Oh, Takagi, schön Sie hier zu haben. Haben Sie Ihren neuen Kollegen denn nicht mitgebracht?“ Er wusste, dass der junge Mann sich mit ihm beschäftigte und war sehr verblüfft darüber, dass er nicht bei ihm geblieben war.

„Unterhält sich mit den Damen, dabei würde ich ihn nur stören.“

„Ach herrje“, seufzte Megure und schenkte Miwako einen wissenden Blick. „Da haben Sies! Genau das meinte er wohl mit erziehen. Der Gute braucht ein wenig Übung, was die Trennung von Privatem und Arbeit angeht. Er soll die Frauen in Osaka regelrecht verrückt gemacht haben. Offensichtlich ist er deswegen jetzt hier… Aber Genaueres kann ich nicht sagen.“

Watarus Gesicht zierte nun ebenfalls ein Schweißtropfen. „Ja doch, das sieht ihm ähnlich. Macht vor keiner Frau halt, diesbezüglich hat er sich offensichtlich kein Stück geändert. Er ist noch derselbe wie vor drei Jahren.“

„Ihr zwei kennt euch so gut?“ hinterfragte Miwako und Wataru lächelte.

„Wir waren in der Schule gute Freunde. Aber sein bester Freund ist trotzdem dieser Detektiv Ryochi Akaja“, antwortete Wataru.

„Dieser Ryochi Akaja ist der Sohn des Polizeipräsidenten“, meinte Megure mit tadelnder Stimme. „Was haben Sie denn gegen ihn? Das klang ja ganz schön seltsam, wie Sie das ausgesprochen haben. Waren Sie nicht mit dessen Verlobter eng befreundet?“

„Muss ich denn deswegen mit ihm auch eng befreundet sein?“ erwiderte Wataru ein wenig ertappt und zog dadurch Miwakos Blicke auf sich. Das klang äußerst seltsam, geradezu als wenn er eifersüchtig auf Ryochi gewesen wäre…

„Hattest du etwa ein Auge auf Shina geworfen, Wataru?“ Einmal mehr bewies Miwako, dass sie nicht auf den Mund gefallen war.

„Das ist schon über zehn Jahre her – also nicht mehr nennenswert, finde ich.“

„Pass bloß auf – alles, was du sagst, wird gegen dich verwendet werden!“ meinte Miwako mit einem bedrohlichen Grinsen, aber auch nur, um ihn etwas zu erschrecken. „Verlassen Sie sich auf uns. Wir kümmern uns um den Neuankömmling! Komm wir gehen, Takagi!“

Megure beobachtete beide, dabei war sofort klar, wer hier das Sagen hatte, was ihn dann doch kurz grinsen ließ.

 

Beide verließen das Büro und Wataru seufzte sofort. „Ich kann’s noch nicht ganz fassen, dass Iwamoto tatsächlich jetzt zu uns gehören soll. Vielleicht sollte ich die Klappe halten, aber Kôji Miura – ein Freund von mir – hat mich bereits vorgewarnt, dass das Grauen nun Tokyo unsicher machen wird.“

„Das klingt aber wenig positiv. Dabei kam die Empfehlung doch von so ziemlich weit oben“, war Miwako da schon zuversichtlicher. Kaum jemand konnte schrecklicher sein als dieser Yamamura aus der Gumna Präfektur. Wenn Takeshi Akaja den jungen Mann für tauglich hielt, sollte man das schon glauben können.

Die beiden Inspektoren gingen auf eine kleine Gruppe Menschen zu, vorwiegend war der junge Mann umringt von hübschen Damen, die versuchten mit ihm ins Gespräch zu kommen.

Watarus Blick ruhte auf dem Mann, dessen Kopf ein klein wenig die Frauenschar überragte, der 23-jährige begegnete ihnen mit freudigem, strahlenden Lächeln, welchem kaum eine Frau etwas entgegen zu setzen hatte. Er machte seinem Ruf Weiberheld alle Ehre. Doch wenn man ihn kannte, wusste man, dass er nett zu allen Frauen war, ihnen allen dieses tausend Volt Lächeln schenkte, aber auch nur das. Dieser Mann verlor sein Herz nicht an die Frauen, die ihn so anhimmelten. „Er ist es wirklich, wie er leibt und lebt“, murmelte Wataru mit einem bedröppelten Grinsen im Gesicht. Das Verhalten der jungen Damen hatte sich noch immer nicht geändert – und der Schwarzhaarige ebenfalls nicht – so jedenfalls wirkte der erste Schein. Dieser Kerl schien die Aufmerksamkeit der Frauen in vollen Zügen zu genießen.

„Die sind ja wie die Geier – was hat dieser Kerl nur an sich?“

„Wow, soll das heißen, du fällst nicht auf den unwiderstehlichen Charme dieses Schönlings herein?“

Erschrocken zuckten Miwako und Wataru zusammen, als sie neben sich die Stimme von Yumi Miyamoto vernahmen. „Man, hast du uns erschreckt! Schleich dich doch nicht so an.“

„Irgendwer hat in der Frühe gleich geplaudert, wie unglaublich gut der neue Kommissar aussehen soll und schon sind sie wie die Hyänen hier aufgekreuzt, um ihn in Empfang zu nehmen. Nun haben wir das hier!“ Sie deutete auf die Frauenschar, die offensichtlich nichts besseres zu tun hatte, als ihn zu umzingeln, wie man es sonst nur mit Verbrechern tat.

„Er wirkt nicht so, als wenn er gerettet werden will“, kicherte Yumi, schaute nun aber leicht fies drein. „Trotzdem sollten wir mal etwas unternehmen, findet ihr nicht? Die rennen ihm ja förmlich die Bude ein. Armer Typ.“

„Also alle kann er wohl kaum bedienen“, sagte Wataru, auf dessen Gesicht nun ein nahezu untypisch gefährliches Grinsen erschien.

„Oi, Iwamoto-kun! Hierher!“ rief er zu dem 23-jährigen hinüber und dessen Gesicht wandte sich augenblicklich zu der Stimme hinüber. Das gleiche Lächeln lag auf seinen Lippen, als er Wataru erblickte.

„Entschuldigt mich, die Pflicht ruft“, meinte der junge Mann, warf ein letztes Lächeln in die Runde und machte sich dann aus dem Staub – anscheinend waren es ihm dann doch zu viele Frauen gewesen.

„Na altes Haus! Kannst du denn immer noch nicht genug kriegen?“ stichelte Wataru ihn und deutete auf die Frau an seiner Seite. „Das ist Miwako Satō, meine Verlobte“, sagte er sofort stolz und grinste den anderen frech an.

„Oh, die berüchtigte Miwako Satō! Ich habe viel von Ihnen gehört“, sagte der Mann und stellte sich anschließend vor. „Mein Name ist Sêiichî Iwamoto, freut mich Sie kennenzulernen.“

 

Sêiichî Iwamoto (23) [Kommissar in der Abteilung für Mordfälle]

 

Seine Augen nahmen die hübsche Frau sofort in Augenschein, er musterte sie von oben bis unten. „Du scheinst wirklich Geschmack zu haben, Wataru. Sie ist wirklich hübsch“, lobte er seinen Kollegen und schmunzelte, „eine solche Frau muss man gut festhalten, sonst entwischt sie einem am Ende wieder.“ Sêiichî schien sich sehr für Miwako zu begeistern. „Es freut mich sehr, dich so gesund und munter zu sehen, Wataru. Glücklich bist du wohl auch, bei so einer Frau.“

Miwako wurde es ein bisschen zu viel und sie errötete, als Sêiichî sie so in hohen Tönen lobte. „Ist er immer so, Wataru?“

„Leider ständig. Er muss immerzu die Schönheit von irgendwelchen Frauen loben.“

Sêiichî hustete ein wenig, weil Wataru es natürlich nicht unterlassen konnte, seine Schwächen preiszugeben. „Ich finde eben, dass man einer Frau sagen darf, wenn sie hübsch ist, oder etwa nicht?“ verteidigte er sich gegen den Inspektor.

„So, so, was du nicht sagst, Sêiichî! Und was macht die Liebe bei dir? So weit ich mich erinnere, hast du um die ja immer einen großen Bogen gemacht. Jede Frau, die dir nur im Ansatz verfallen war, hast du ja sofort abgeschossen.“

„Oh, das klingt aber nicht nett, Wataru!“ meinte Yumi und blickte zu diesem, wenig später blickte sie zu ihrem neuen Kollegen und grinste. „Dass Sie Single sind, sollten sie besser nicht an die große Glocke hängen. Dann haben Sie keine ruhige Minute mehr.“ Yumi deutete die Frauenschar an, die noch immer zu ihnen hinüberblickte.

„Single? Ich? Wie kommen Sie denn auf die Idee, ich sei Single?“ konterte Sêiichî der Verkehrspolizistin, welcher sofort alle Gesichtszüge entglitten. „Was denn, was denn? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Vielleicht sollten Sie etwas Makeup versuchen! Sie sind unglaublich blass geworden.“

„Ohje, welche Arme Frau ist es diesmal?“ fragte Wataru direkt und wirkte sofort leicht bekümmert – Frauen, die mit Iwamoto zu tun hatten, taten ihm ehrlich gesagt unheimlich leid. „Man muss schon hart im Nehmen sein, wenn man dich erträgt.“

„Also ich dachte schon, dass Sie Single sind, so intensiv, wie Sie sich um die weibliche Kollegschaft gekümmert haben – oder sehen Sie das falsch, Iwamoto-san?“ Yumi faltete die Hände aneinander und strahlte ihn an. „Lernen wir Ihre Freundin auch einmal kennen? Hat sie einen Namen?“ Die junge Frau schien vor Neugierde gerade zu sterben. Sêiichî drehte einmal den Kopf und checkte, wie viele Leute sie gerade beobachteten und er kam zu dem Entschluss, dass es ihm zu viele waren, vor allem zu viele unbekannte Menschen, denen er nicht trauen konnte.

„Es ist ein großes Geheimnis, wisst ihr“, kam von ihm geflüstert und er zog sowohl Yumi, als auch Miwako am Arm ein wenig in seine Richtung, dabei formte er mit der Hand einen Trichter. „Das kann ich nicht so laut hier herumschreien…“

„Wieso denn nicht?“ fragte Miwako und Wataru rückte automatisch näher an ihn ran.

„Sie ist eine berühmte Persönlichkeit, das würde nur Ärger geben.“

„Oh man, Sêiichî – was hast du dir denn nun schon wieder für einen Mist eingebrockt? In welchen merkwürdigen Kreisen bewegst du dich denn? Oder willst du wieder nur angeben?“ Watarus Gesicht war geziert von Halbmondaugen, denn Sêiichî war schon immer ein Angeber gewesen.

„Oh bitte, bitte, uns kannst du es doch sagen“, quengelte Yumi und leuchtete dabei Sêiichî mit ihren funkelnden Augen an.

„Ach ja, wirklich? Du sagst, es ist okay?“ fragte Sêiichî, was äußerst hinterlistig klang, so dass Wataru und Miwako sich verdutzt ansahen.

Gerade war der Schalk in seinen Nacken gefahren, das merkte man durchaus – er hatte aber seine Gründe, weshalb er nun doch etwas fies grinste. „Ihr würdet mir ja sowieso nicht glauben.“ Seine Hand sank und es wirkte, als wenn er die kleine Gruppe jetzt dumm sterben lassen wollte, dabei hatte er ein Gewinner-Grinsen im Gesicht.

„Das entscheiden wir, wenn wir’s wissen!“ meinte Wataru nun klugscheißen zu müssen – es gab immerhin die merkwürdigsten Liebesgeschichten in dieser Welt – er würde sich dazu jetzt aber nicht explizit äußern. „Würde mich schon interessieren, denn eine Frau, die länger mit dir aushält, muss schon was ganz Besonderes sein.“

Yumi konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ja, vor allem besonders gerissen“, sagte Sêiichî, dabei konnte er sich fast nicht halten und wollte am liebsten aus Protest einen anderen Namen sagen, gerade weil sie dann sicherlich Mühe hätte ihre Fassung zu wahren, aber dann könnte man ihm ja unterstellen, er sei gemein.

„Gerissen? Das passt dann ja zu dir, wo du die Frauen immer so aufs Glatteis geführt hast. Man erzählt sich von dir sogar, dass du Tatverdächtige, die zufällig Frauen waren, ausgetrickst hättest, indem du mit ihnen angebändelt hast. Kôji hat mir immer davon berichtet, weil ihm die Frauen fast manchmal leid taten.“

Nun bildete sich ein Schweißtropfen an seiner Schläfe, denn solch eine Sache ließ ihn jetzt doch nicht sonderlich gut dastehen.

„Man muss sich also richtig vor Ihnen in Acht nehmen, ai ai ai“, sagte Yumi belustigt, was Sêiichî mit einem frechen Grinsen erwiderte. „Oh, wenn’s ernst ist, werde ich so etwas natürlich nicht machen. Ich habe denen nämlich nie irgendwelche Versprechungen gemacht. Wenn eine Frau so leichtgläubig drauf eingeht, nur weil ihr ein Mann etwas zulächelt, dann tut es mir Leid, hat sie es nicht anders verdient, als aufs Glatteis geführt zu werden!“

„Man, dein Freund ist ganz schön abgebrüht, man sollte jede Frau vor ihm in Sicherheit bringen“, entgegnete Miwako, in deren Beliebtheits-Skala Sêiichî gerade nicht sonderlich aufstieg, sondern eher das Gegenteil.

Oh ja, vor allem du solltest dich in Acht nehmen. So was in die Richtung wolltest du doch gerade sagen, oder?’ Es war zu komisch, als dass er sich nicht darüber amüsiert hätte. „Wataru-chan?“ meinte er und wank ihn leicht an sich heran, so dass er ihm ins Ohr flüstern konnte. „Du möchtest doch auch unbedingt mein Geheimnis kennen, oder?“ Sêiichî merkte, wie die Frauen doch sehr dicht an sie beide heranrückten und gerne an diesem Geheimnis teilhaben wollten. „Wisst ihr, meine Freundin ist diesem Kaito Kid sehr ähnlich. Sie kann sich perfekt verkleiden und könnte sogar ohne Probleme ins Präsidium kommen. Es dürfte einen nicht wundern, wenn sie plötzlich neben einem steht und einen belauscht.“

„Oh, das klingt aber gruselig. So etwas würde sie doch nicht tun, oder?“ fragte Miwako, die eindeutig gelauscht hatte, so wie die andere auch. Sêiichî blickte sie aus Halbmondaugen an. „Oh, man muss diesem Frauenzimmer alles zutrauen, jede Schandtat. Ich weiß ja nicht, inwiefern ihr zwei euch in der Filmindustrie auskennt, aber sie war schon einmal hier in Japan.“

Sêiichî schien das Rätselspielen äußerst zu genießen. „Du hast sie sogar schon mal getroffen, Wataru“, sagte er äußerst geheimnisvoll und schloss dabei die Augen. „Bei so einer Trauerfeier für einen berühmten Regisseur mit Namen Sakamaki.“ Nun schwenkte er mit dem Blick zu Yumi und lächelte sie an. „Da waren wirklich viele berühmte Persönlichkeiten, aber auch viel Polizei…“

„Mhm“, meinte Wataru und erinnerte sich dunkel daran. „Da waren viele Leute und ich erinnere mich nicht mehr genau. Also du bist mit einer der dort anwesend gewesenen Frauen liiert, richtig? Mannoman, das waren aber ziemlich reiche Leute. So was magst du?“

„Mich würde eher interessieren, woher er das schon wieder weiß!“ Miwako schöpfte Verdacht, immerhin durften sie über ihre Fälle in der Öffentlichkeit nicht reden.

„Oh, das ist sehr einfach, Satō-san“, antwortete Sêiichî mit einem leichten Lächeln, „ich war natürlich selbst anwesend und hab ihn gesehen.“

„Enorm. Wir hatten einen anonymen Anruf von einem Unbekannten bekommen, dass dort ein Anschlag stattfinden soll. Und wieso warst du dort? Du bist Kriminalist. Was treibst du auf einer prominenten Veranstaltung?“

Man merkte wie gespannt alle auf Sêiichîs Antwort waren, aber dieser war vollkommen unbeeindruckt und lachte einmal auf. „Mein Großvater ist Schauspieler. Warum sollte ich also nicht? Außerdem interessieren mich Menschen, die anderen perfekt etwas vorspielen können.“

Damit schoss er wohl etwas über das Ziel hinaus, aber gelogen war es nicht unbedingt.

„Hört, hört, sein Großvater ist Schauspieler. Aber wieso nicht? Die Mutter dieses berühmten Detektiven, ist schließlich auch eine“, merkte Yumi an.

„Wenn ich mich nur daran erinnern würde, welche Schauspielerinnen da noch so waren, ich habe es irgendwie verdrängt.“

Wataru schien vollkommen ratlos, da wollte man den Armen ja natürlich nicht weiterquälen. „Dass dir das entfallen ist. Wie kann man eine so atemberaubende Frau vergessen?“ sagte Sêiichî in einem schwärmerischen Unterton, den er aber ein kleines bisschen auch spielte, dabei ruhte sein Blick stetig auf Yumi. „Es war eine ganz berühmte Schauspielerin, Wataru. Da du aber anscheinend nicht von selbst draufkommst – es ist Chris Vineyard, die Hollywood Actress.“ Nun fühlte sich Sêiichî wirklich, als wenn er angeben würde, wie eine Tüte Mücken.

„KURISU BINYAADO?!“ spie Wataru voller Entsetzen aus. „ Die Tochter von dieser Hollywood Koryphäe?!“

„Ja, genau die meine ich“, lächelte Sêiichî und man könnte wirklich meinen, er würde gleich vor Stolz platzen.

„Enorm – nur wie kommt so ein Spinner wie Sie an solch eine klasse Frau?“ Diese Worte waren ein kleines bisschen scharf, schärfer geschossen als ein Pfeil. Sie kamen von Yumi, die mit Sêiichî einen regen Augenkontakt zu haben schien – da war sie ja mal gespannt, was er sagen würde, wenn man ihn so gegen die Wand manövrierte. Nun konnte er beweisen, was für ein gnadenloser Kriminalist er war…

„Ich habe der Dame mal aus der Patsche geholfen und sie dann zum Essen eingeladen. So etwas eben. Frauen sind immer dankbar, wenn man ihnen behilflich ist.“ Er war frech, so wie er grinste, scheute er keine Gefahr, noch nicht einmal die von schönen Frauen – oder eher erstrecht nicht solche.

„Beeindruckend! Und das ist was Ernstes?“

„Wir sind schon einige Jahre zusammen, also sollte ich das wohl bestätigen, nicht wahr, Yumi-san?“

Miwako beobachtete Yumi und Sêiichî, sie wusste nicht, was da zwischen denen vor sich ging, aber ihr Augenkontakt wirkte für sie äußerst intensiv.

Wataru war noch zu geschockt, um mitzubekommen, was sich um ihn herum abspielte, er war schockiert, einfach nur entsetzt, dass Sêiichî sich tatsächlich die Tochter dieser Frau geangelt hatte. „Also wenn sie nur halb so atemberaubend ist wie ihre Mutter, dann…“ Wataru senkte den Kopf und zog mit seinen Worten sofort die Aufmerksamkeit aller auf sich.

„Ich wusste gar nicht, dass du dich für Hollywood Schauspielerinnen interessierst?“ Miwako blieb natürlich nichts verborgen, mit ihren Worten fühlte sich Wataru aber ein bisschen ertappt.

„Tu ich doch gar nicht… Mein Vater mochte sie… Irgendwie… so etwas in die Richtung.“ Wataru murmelte es kleinlaut vor sich hin und Sêiichî kam nicht umhin einmal Luft zu schnappen.

Das Thema Watarus Vater wollte er eigentlich gerne schnellstmöglich wieder vom Tisch haben. „Falls es dich interessiert. Natürlich ist sie atemberaubend, sonst würde sie mich ja nicht mehr interessieren, als all die anderen Frauen.“

„Ach herrje, sie ist toll, weil Sie die Dame gut finden, Iwamoto? Ganz schön frech! Das sollte man der Frau mal erzählen. Die wäre sicher ein bisschen beleidigt!“

„Tze – die weiß woran sie ist. Ihr würde man da nichts Neues erzählen, schätze ich.“ Er grinste noch frecher und sah sie dabei an.

„Ach naja – lassen wir ihn. Er wird schon wissen, warum er sie mag“, meinte Miwako jetzt mit einem sanften Lächeln. „Anbetracht der Tatsache, dass er einen gewissen Ruf genießt, bin ich ja fast beeindruckt, dass es für ihn quasi so was wie eine wie keine gibt.“

„Wataru hat wohl die wildesten Geschichten über mich erzählt, wie?“ Sêiichî wirkte leicht geknickt, ja doch beleidigt.

„Oh, nicht nur er, Iwamoto-san“, entgegnete Miwako äußerst keck und überlegen wirkend. „Inspektor Megure bekam von Takeshi Akaja persönlich den Auftrag, dass Sie besondere Betreuung benötigen, damit auch ja nichts schiefging. Daher bin ich bestens informiert.“

„Gleich noch vom höchsten Tier in Tokyo, damit es richtig sitzt?“ amüsierte sich Yumi und konnte sich fast nicht mehr beherrschen, so dass sie die Hand vor den Mund presste, dabei man aber das schadenfrohe Lachen aus ihren Augen herausfunkeln sah.

„Was gibt es da zu lachen? Ich finde überhaupt nicht, dass ich so etwas verdient habe, pff!“ kam von dem Schwarzhaarigen, der jetzt beleidigt den Kopf zur Seite wandte.

„Anscheinend ja schon, wenn sogar Takeshi Akaja es für nötig hielt“, amüsierte sich Yumi weiter und boxte ihm ein paar Mal mit dem Ellenbogen in die Seite.

Sêiichî fühlte sich sehr verschaukelt, weshalb ihn sogleich Halbmondaugen zierten, wenig später sogar noch ein regelrechter Schmollmund – selbst wenn er gewollt hätte, konnte er es gar nicht verhindern, dass es so weit kam. „Willst du dich gar nicht dazu äußern, Wataru? Schöner Freund bist du.“

„Aber mein lieber Sêi-chan, meine Hilfe wolltest du doch nie, wieso jetzt auf einmal? Kommst du etwa mit den beiden Frauen nicht alleine klar?“ Für einen so großen Weiberhelden wie ihn, jammerte er ja ganz schön rum, nur weil ihn zwei Frauen ein bisschen ärgern, da konnte er Hilfe von Wataru natürlich nicht erwarten.

„Ein bisschen Beistand hätte ich jetzt nicht schlecht gefunden, mein Lieber!“ beschwerte sich Sêiichî und wirkte jetzt doch ein bisschen verstimmt.

Seine Hand griff jetzt Yumis Arm, weil sie ihm nun zum wiederholten Male mit dem Ellenbogen in die Rippen geboxt hatte. „Das kann ich nicht leiden!“

„Meine Güte, verstehst du keinen Spaß mehr?“ Wataru klopfte Sêiichî mit einem heiteren Grinsen auf die Schulter. Früher hatte er mehr vertragen.

 

Anscheinend hatte Sêiichî etwas dagegen, wenn man sich Späße mit ihm erlaubte, nachdem er so etwas Ernsthaftes wie seine Freundin besprochen hatte. Sie konnten ja nicht wissen, dass das nicht der wahre Grund war, jedenfalls schien seine Laune jetzt ein bisschen weniger gut zu sein. Dieser Typ, er wollte wohl allen ernstes schmollen – fand Miwako ja eigentlich süß, weshalb sie ihrer besten Freundin ebenfalls einen Hieb in die Seite verpasste und sie dabei angrinste. „Hast wohl heute auch den Schalk im Nacken, dabei kennst du ihn doch gar nicht. Halt dich mal ein bisschen zurück, sonst schmollt er sich tot.“ Während Wataru und Sêiichî voran gingen, flüsterte Miwako ihr das zu und grinste breit. „Hast du etwa Langeweile?“

„Nein, es gibt nur so ein Kaliber von Mann, da kann ich einfach nicht widerstehen.“

Aufgrund dieser Aussage mussten beide anfangen zu lachen, was Sêiichî weiter vorne nur noch mehr zu Halbmondaugen brachte. Ausgelacht zu werden, fand er überhaupt nicht komisch, aber es war nicht das erste Mal, gerade Frauen schienen sich gerne üble Scherze mit ihm zu erlauben, dabei fand er überhaupt nicht, dass er es verdient hatte…

„Ach, jetzt schmoll nicht! Die Beiden sind immer so.“

„Was du nicht sagst, Wataru! So eine Frau hätte ich dir gar nicht zugetraut, alle Achtung. Und ich dachte, dass nur Ryochi wahnsinnig geworden ist, nun auch du.“

„Ach, meinst du, dass ich ihr nicht gewachsen bin? Ich habe in den letzten Jahren jede Menge dazu gelernt, musst du wissen. Außerdem kann man dasselbe von dir sagen“, kam von Wataru leicht beleidigt, aber er schien damit besser umgehen zu können, als Sêiichî, der fühlte sich meistens sofort direkt angegriffen. „Allein, dass du längere Zeit schon mit einer Frau zusammen bist. Damals hast du es doch kaum drei Monate mit einer Frau ausgehalten. Sorry, dass ich dir nicht abkaufe, dass das einzig und alleine daran liegt, wie schön sie angeblich ist…“ Wataru wurde oft unterschätzt und auch in diesem Fall bewies er, dass er nicht auf seinen Kopf gefallen war.

Überrascht aufgrund der Worte, sah Sêiichî ihn groß an – auf der einen Seite war er beeindruckt, auf der anderen sogar ein wenig schockiert.

„Ach, Wataru, ich wusste, dass aus dir ein guter Kriminalist wird“, erwiderte Sêiichî mit einem stolzen Lächeln, denn es traf in der Tat zu. Wataru hatte zum Trotz seines eigenen Vaters die Berufslaufbahn eingeschlagen, die sein Vater über alle Maßen verabscheute. Obwohl der junge Mann damals große Angst vor seinem eigenen Vater und dessen grausamen Methoden hatte, war er trotzdem zur Polizei.

„Du hattest damals auch schon einen großen Sinn für Gerechtigkeit, Sêiichî. Du hast doch nicht immer noch Ärger mit ihm, oder?“ Die Frage klang merkwürdig, immerhin war Wataru Kriminalist, also fürchtete er seinen Vater wohl nicht so sehr. Dennoch schien ihm noch immer das Aussprechen des Namens Probleme zu bereiten.

Yumis Blick ruhte auf Sêiichî, an den man gerade eine so seltsame Frage gestellt hatte, sie seufzte einmal, was sie nicht einmal erklären könnte…

„Was ist?“ wollte Miwako von ihr wissen und sie fühlte sich ertappt.

„Sie reden in Rätseln – aber das liegt doch gewiss an dieser Frau, nicht? Man sagt von ihr, dass sie jede Menge Geheimnisse hat. Nichts, aber auch gar nichts gibt sie von sich preis, man weiß nicht einmal, wer ihr Vater ist.“

Miwako wurde nachdenklich, um genau zu sein, gerade jetzt wurde ihr bewusst, wie wenig sie von Watarus Familie wusste. „Sehr merkwürdig…“

„Wieso, Miwako?“

„Wataru hat nie von seiner Familie erzählt – also zumindest nicht über mehr als seine kleine Schwester. Die durfte ich kennenlernen. Ich weiß nicht, was mit seiner Mutter und seinem Vater ist. Ob sie gestorben sind… oder wer weiß…?“ Miwako beobachtete sie weiter, dabei stellte sie sich die Frage, ob Sêiichî wohl mehr über seine Freundin wusste, als sie über Wataru…

„Ich hoffe, dass sie ihm genug Vertrauen entgegen bringt, um ihm ihre Geheimnisse mitzuteilen…“

Miwako hatte etwas sehr Trauriges in ihrem Gesicht. „Darüber solltest du dir nicht den Kopf zerbrechen“, entgegnete ihre Freundin mit einem Lächeln. „Und was ihn angeht. Manchmal gibt es zu gewissen Personen nichts zu sagen. Das hat in den meisten Fällen bestimmt nichts mit Misstrauen zu tun.“ Mit den Worten versuchte sie Miwako aufzubauen. „Mach dir darum also weniger einen Kopf. Ich muss langsam los. Halt die Ohren steif.“ Mit den Worten hatte Yumi ihren Gang beschleunigt und kämpfte sich dabei an Wataru und Sêiichî vorbei, wo sie einen kurzen Moment seine Schulter tätschelte und mit einem kleinen Grinsen an ihm vorbei huschend ihm ein „Itterashai!“ zuwarf, was Wataru nun doch einen Moment beschäftigte. „Die scheint dich echt zu mögen… Sagt sie nämlich nicht zu jedem.“

Miwako beeilte sich nun ebenfalls, um zu ihrem Partner zu kommen und neben ihm herzulaufen. „Yumi verhält sich ganz und gar seltsam – findest du nicht auch?“ Wann hatte sie schon einem fast Fremden so eindeutig Hals und Beinbruch gewünscht?

Sêiichî war stehen geblieben, so dass Wataru und Miwako es ihm gleich taten und ihn dabei musterten. Er war total weggetreten, jedenfalls hätten sie schwören können – außerdem starrte er Yumi nach, als hätte sie ihm gerade ihre Liebe gestanden.

„Komischer Typ“, murmelte Miwako und ließ Sêiichî dadurch einen leicht ertappten Blick zu ihr hinüber werfen, gefolgt von einem leichten Schweißtropfen, der ihm über die Schläfe ran.

 

„So!“ bestimmte Miwako mit harter Tonlage. „Jetzt wird aber gearbeitet!“ Mit diesen Worten dirigierte sie sowohl Wataru als auch Sêiichî zu ihren Arbeitsplätzen, wo sie Wataru sich selbst überließ und sich ganz und gar Sêiichî Iwamoto widmete. Eine kurze Weile hatte sie das Gefühl, er hörte ihr nicht einmal zu, weil er recht gelangweilt aus dem Fenster sah, als sie ihm einige Dinge über die Organisation im Ablauf erklärte. Sie wusste nicht, wie zuwider ihm Büroarbeit war. Dass diese ihn unendlich langweilte, so dass er seinen eigenen Gedanken nachhing und sie ihn mehrmals scharf ermahnte, woraufhin er sich mit einem typischen Lächeln versuchte herauszuwinden, was aber bei Miwako so gar nicht funktionieren wollte. Er lernte sie von ihrer besten Seite kennen.

 

Unterdessen stürmte aufgeregt die junge Politesse direkt ins Büro zu ihrer Freundin, was diese jedoch sehr verwunderte.

„Was machst du denn schon wieder hier? Ich dachte, du bist jetzt auf Streife. Hast du was vergessen?“

Yumi sah Miwako stutzig an und legte den Kopf schief. „Häh? Was soll das für eine blöde Frage sein, mhm?“

Sêiichî war kurz vor dem Einnicken, als er aber die Stimme der jungen Frau hörte, war er hellwach. „Oioi, nicht streiten!“ Sein Blick versuchte zwischen den beiden Frauen zu vermitteln, man hatte ihm jedoch erzählt, dass mit Miwako alles andere als gut Kirschen essen war, so dass ihr empörter Blick auf ihn gerichtet, ihn schon kurz erschreckte. Aber wer war er denn, dass ihn eine einfache Polizistin in Angst und Schrecken versetzen könnte?

„Seien Sie doch nicht so“, bat er Miwako und diese seufzte einmal kurz, auch wenn ihr das Verhalten von Yumi und Sêiichî schon vorhin merkwürdig vorgekommen war.

„Setze unserem neuen Kollegen ja keine Flausen in den Kopf! Ich kenne dich schließlich!“ tadelte Miwako ihre Freundin und diese verstand in dem Moment überhaupt nicht, was diese von ihr wollte und schmollte deswegen.

„Warum sollte ich? Du hast wohl zu heiß gebadet“, ärgerte sie sich und schenkte ihr Halbmondaugen, die ihr klar vermittelten, dass sie ein bisschen säuerlich war. „Du kannst es auch einfach direkt sagen, wenn du keine Zeit für mich hast, pöh!“

Sêiichî beobachtete Yumi, deren Verhalten ihn da an etwas erinnerte, was er in Los Angeles erlebt hatte – das war noch gar nicht solange her. Ein bisschen grinsen musste er schon. ‚Herrlich, die Beiden scheinen einen ähnlichen Charakter zu haben. Kein Wunder, dass… Ich platz gleich vor Lachen…’

 

Natürlich passierte rein gar nichts. Kein plötzlicher Einsatz, gar nichts. Nur langweiliger Papierkram.

Wataru, der am Computer saß und einige Berichte ausdruckte, um sie wenig später ihrem Chef zu bringen, war jedoch auch nicht ganz bei der Sache. Das Gespräch von vorhin beschäftigte ihn noch. Es war lange her, seit er seinen Vater das letzte Mal gesehen hatte… Damals waren sie zwei Polizeischüler und der tollkühne Sêiichî hatte sich vor ihn geschmissen, woraufhin ihn eine Kugel getroffen hatte. Nein, er wollte nie mehr daran denken, was damals geschehen war.

Sein Vater hatte damals wohl mit aller Gewalt versucht zu verhindern, dass Wataru die Laufbahn eines Polizisten einschlug. Kurz vor seinem Examen war es gewesen…

Er war eigentlich schon immer der ruhigere Typ von ihnen gewesen. Zwar waren sie mit dem Waffenumgang beide vertraut gewesen, so dass sie zielsicher auf eine Person schießen konnten, doch einer von ihnen hatte die Benutzung seiner Schusswaffe gescheut und gezögert, weshalb es zu diesem bedauerlichen Unfall gekommen war.

Ihm war damals schwergefallen, zu verinnerlichen, dass ein Polizist nicht zögern durfte, schon gar nicht in einer solchen Gefahrensituation. Auch heute erinnerte er sich noch genau daran, wie sehr man ihn kritisiert hatte. Er blickte direkt zu Sêiichî rüber, dem der Bürokram nicht lag. Nein, seine Qualitäten lagen ganz woanders, leider konnte man sich das bei der Polizei nicht immer aussuchen. Berichte schreiben mussten sie letztendlich alle.

Es zeigte sich sofort, dass Iwamoto kein Typ war, der gerne einsam vor dem Computer saß. Anders als Wataru, der Stunden langweilige Arbeit verrichten konnte, sehnte sich Sêiichî schon bald nach Abwechslung. Obwohl er sich Mühe gab, die ihm aufgetragenen Aufgaben abzuarbeiten, ging bei ihm schnell die Luft raus. Bis zum ersten Aufstöhnen dauerte es nicht lange, aber er beschwerte sich nicht bei Miwako. Sie hatte ein Auge auf ihn, damit er sich nicht von Kolleginnen ablenken ließ. Gerade zwei, die ihm gegenüber saßen, versuchten ihn immer wieder in ein Gespräch zu verwickeln. Da der junge Mann den Kontakt zu Frauen genoss, kam es einige Mal vor, dass er kurzfristig seine Arbeit niederlegte und sich mit ihnen unterhielt.

‚Reden kann er… und zwar nicht zu knapp…’ dachte sich Miwako, ließ ihn aber auch seine kleinen Momente, wo er sich ablenken ließ. Es waren meistens ein paar Minuten, bevor er sich wieder der Arbeit widmete, die er gewissenhaft erledigte, auch wenn es ihm wenig Spaß machte.

Bei Watarus Arbeitplatz klingelte das Telefon und er nahm ab, während er Dinge in den Computer eingab, mehrmals wiederholte er die Worte der Anruferin und verriet damit Details aus dem Anruf, den Sêiichî aufblicken ließ.

„Wir schicken eine Streife vorbei“, antwortete er, „die schauen sich das an.“

Er notierte etwas auf einem Zettel, unterhielt sich noch kurz und legte dann auf. Wenig später ging er zu Miwako hinüber und legte ihr den Zettel hin.

„Im Beika Park wurde eine Leiche gefunden. Offensichtlich handelt es sich dabei um eine 15-jährige Schülerin. Sie soll Schnittwunden an Armen und Beinen haben, außerdem wurde sie stranguliert. Die Passanten haben die Polizei alarmiert. Sie hat keine Personalien bei sich. Beim Vorbeigehen wurde sie entdeckt… Ich würde gern mit Iwamoto dahin und mich selbst darum kümmern.“

Sêiichî hatte sofort den Kopf erhoben, weil ihn der ruhige Ton von Wataru ein wenig wunderte. Sein Freund hatte sich wirklich sehr verändert. Damals wäre er noch total in Panik verfallen, wenn von Gewalt gegenüber Frauen die Sprache war. Er hatte nicht geglaubt, dass er in den drei Jahren so abgehärtet war, dass er dies ruhig und sachlich sagen konnte. Sogar in seinem eigenen Gesicht war zu sehen, wie er solche Taten verabscheute.

„Nehmt Megure mit!“ Damit hatte Wataru Miwakos Segen, auch wenn sie es merkwürdig fand, wie er so explizit nach Sêiichî gefragt hatte, als wenn er ihn vor dem trostlosen Innendienst befreien wollte.

Wataru zuckte zusammen, als Miwako ihnen das sagte.

 

Wirklich – warum hatte er darum gebeten, Iwamoto mitzunehmen? Um mit ihm in einem Polizeiwagen zu sitzen, über die Dinge zu reden, die er Miwako bislang verschwiegen hatte.

Beide schwiegen noch, wirkten wie zwei ganz normale Polizisten, die zu einem Einsatz fuhren – ruhig und gelassen, verrichteten sie Alltägliches. Sêiichîs fröhliches Gesicht vom Morgen war nun hart und kühl. Hier gab es rein gar nichts zu lachen – er hätte sich schlecht gefühlt, angesichts der Tatsache, um was es sich hier handelte. Die brutale Realität, die ihm schon als kleiner Junge begegnet war.

Das Böse, von dem man immer sprach, genauso wie vom Guten – existierte es wirklich? Lächerlich, wenn man so darüber nachdachte, wie viele Fälle sie im Jahr bearbeiteten, in denen man sich jedes Mal aufs Neue fragte, wie sehr ein Mensch doch die Beherrschung, den Verstand verlieren konnte… Dieses abgrundtief Böse und das pure Gute. Zum Teufel mit diesen Klischees!

„Warum sollen wir eigentlich Inspektor Megure mitnehmen?“ fragte Sêiichî in die Stille hinein, so dass Wataru ihn mit einem leichten Grinsen bedachte.

„Ach weißt du, er interessiert sich für dich, und will sich anschauen, wie viel du wirklich kannst. Du wirst deswegen doch nicht nervös?“

„Ach, wo denkst du hin, so was kann mich doch nicht erschrecken. So gut müsstest du mich kennen. Nur weil so ein Inspektor mir auf die Finger schaut. Glaub mir, Heizo ließ mir auch nur zu gerne auf die Finger schauen. Dann war da ja noch Kôji, der immerzu sich in alles eingemischt hat. Seit er Jura studiert, erinnert er einen ständig an irgendwelche Regeln.“

„Dabei dachte ich, dass er endlich damit aufgehört hat, dich zu ärgern…“

Sêiichî lachte auf. „Der mich ärgern? Ich glaube, dass ich eher ihn ärgere.“

Wataru war überrascht, vor allem vom gemeinen Gesichtsausdruck seines Freundes, denn er hatte in Erinnerung, dass Sêiichî niemals fies gewesen war. Zu niemandem.

„Solange wir auf Megure warten – glaubst du eigentlich, dass er das gewesen sein könnte? Wir haben eine getötete Schülerin…“

Sêiichîs erneut für kurze Zeit erheitertes Gesicht änderte sich mit einem Schlag in etwas Dunkles, Finsteres. Dieses Thema kostete ihn immer unglaublich viel – vor allem die gute Laune. „Du weißt doch, dass man sich erst ein Bild von der Sache machen muss. Es gibt auch andere widerliche Gestalten, die ein Mädchen anfallen, das muss nicht immer von ihm kommen.“ Was er wusste, behielt der junge Mann für sich, um Wataru nicht zu verunsichern. So angstfrei er vorhin vom Anruf geklungen hatte, er glaubte einfach nicht, dass das Thema für ihn gegessen war und er nun keine Angst mehr vor seinem Vater hatte, nur weil er eine Waffe trug…

„Du hast natürlich Recht, Sêiichî“, meinte Wataru mit einem leichten Seufzen. „Nenn mich nicht paranoid, aber ich habe das böse Gefühl, dass mein Vater in der Stadt ist.“ Der Inspektor wirkte, als er nun endlich die Person benannte, nicht wirklich verängstigt, sondern er hatte eine feste Stimme. Damals… Sêiichîs Blick fiel auf seinen Freund, der ihn mehr als verblüffte. Er hatte wohl nicht mehr vor, wegzulaufen.

„Es wäre wie ein Albtraum, wenn er hier wäre, oder?“

„Mittlerweile bin ich auf ihn vorbereitet…“

Der 23-jährige glaubte Wataru, denn er sah wirklich alles andere als eingeschüchtert aus, was ihn nun zu einem leicht fiesen Grinsen brachte. „Meinst du das wirklich? Auch dein Vater lernt dazu. Wie kommst du denn nur auf die Idee, dass er hier sein könnte? Nur dieser eine Fall… oder…?“

Wataru lächelte, schloss die Augen und gab einen spöttischen Laut von sich. „Weil es meinem alten Herrn ähnlich sehen würde, wenn er ausgerechnet dann in unser Leben tritt, wo der Pfad ins Glück führt. Nichts liebt er mehr, als Menschen zu entzweien. Er wollte ja sogar unsere Familie auseinander reißen. Wenn er nun erfährt, dass ich verlobt bin, wetzt er die Messer, das weiß ich ganz genau.“

Der Schwarzhaarige warf sofort einen Blick aus seinem geöffneten Fenster. Sein Freund hatte so verdammt recht. Keichiro Takagi trat immer ins Leben von Menschen, wenn sie gerade glücklich waren, das war ein nicht zu bestreitender Fakt. Auch in Los Angeles… Nicht einmal da hatte er gewisse Personen in Ruhe gelassen…

Sêiichî sah lieber hinaus, als dass er die Gesichtszüge zeigte, die Keichiro Takagi ihm auferlegte. Wenn er an ihn dachte, verspürte er manchmal Gefühle, die er nicht haben wollte… dachte Dinge, die ein Kriminalist nicht denken durfte… Das, was dieser Mann in ihm erweckte, war grausam und schrecklich, das Böse. Wenn man einer Person nichts mehr gönnte, dann war das auf keinem Fall gut. Nun, Sêiichî zählte diesen Mann zu den Personen, von denen er behaupten würde, sie hatten mehr als eine Chance gehabt, zu beweisen, dass sie dieser Gesellschaft dienlich sein konnten. Ein Kerl, der sich feige hinter dem FBI und einer Verbrecherorganisation versteckte, der damit seine eigenen Interessen versuchte zu verwirklichen. Um mit seinen Taten davon zu kommen, würde der Kerl alles machen. ALLES!

„Sêiichî? … Sêiichî…? Sêi-chan…?“

Erschrocken wendete er sich Wataru zu, der ihn mehrmals angesprochen hatte. Aber er war so vertieft in seine Gedanken, dass er die Worte wie durch einen Schleier wahrgenommen hatte.

„Hast du geträumt, sag mal? Woran hast du gedacht?“ Es gab Menschen, die würden ihm immer ansehen, wenn ihn etwas beschäftigte – neben Ryochi, bewies auch Wataru, dass er einen Sinn für solche Sachen hatte.

„Schon gut, nichts Schlimmes.“

„Ganz sicher?“ Überzeugt schien Wataru nicht zu sein, denn er wusste sehr genau, dass das Thema Väter bei ihm einen Stein ins Rollen brachte. Er wusste von Ryochi, dass Sêiichîs richtiger Vater verschwunden war und seine Mutter angeblich ermordet worden war – von einer Killerin. Wirklich detailreich hatte Shinas Verlobter allerdings nicht den Drang dazu gehabt, zu erzählen, wie all diese Dinge zusammenhingen. Als Kriminalist hatte aber auch Wataru Mittel und Wege Nachforschungen anzustellen – all die anderen, die ihn schonten, würden eines Tages noch schockiert sein, wenn sie wüssten, was er mittlerweile wusste. 

Angels on the rampage

Wenig später öffnete Sêiichî  die Beifahrertür, hielt diese auf und Inspektor Megure stieg in den Polizeiwagen ein, so dass sie ohnehin keine Chance mehr hatten, ihre geheime Unterredung fortzuführen und deshalb schwiegen.  Er selbst stieg nun hinten ein. Es war lange her, dass er hinten gesessen hatte, denn für gewöhnlich fuhr er einen eigenen Wagen.

„Entschuldigt, dass ich euch so lange warten ließ. Ich musste mit einem Kollegen noch etwas absprechen. Wir können jetzt losfahren, Takagi“, wies er seine rechte Hand an und dieser startete den Motor. „Die Spurensicherung habe ich bereits hingeschickt.“

 

Nach knapp zehn Minuten erreichten sie den Beika Park, wo hinter der Absperrung noch jede Menge neugierige Passanten der Polizei bei der Arbeit zusahen.

  

~Kurz vor Mittag, Tokyo, Haido-Bezirk~
 

Dort befand sich eine Klinik mit mehreren Stockwerken. Die Abteilung Chirurgie befand sich direkt unter dem Stockwerk der Gynäkologie. Sie trug eine dunkle Sonnenbrille, dabei hatte sich die Sonne schon wieder verabschiedet. In den Gängen begegnete ihr niemand, im Wartezimmer hingegen fiel sie sofort auf. Die blonde Dame mit der Sonnenbrille, die sie auch drinnen nicht ablegte. So jemand erregte natürlich sofort das Interesse der Leute, also war es kein Wunder, dass einige junge Damen begannen zu tuscheln, als diese verdächtige Person sich zu ihnen ins Wartezimmer setzte.

Ein junges Fräulein, die gerade in einem Magazin blätterte, in dem so allerhand Stars abgebildet wurden, entdecke natürlich reinzufällig sie, woraufhin sie ihrer Freundin einen Seitenhieb verpasste und sie auf ihre Entdeckung aufmerksam machte…

„Ist das nicht…?“

„Weiß nicht so genau.“ Sie flüsterten und beobachteten ihr Gegenüber.

„Ich ruf meine Freundin an…“

„Gott, nein! Du kannst doch nicht im Wartezimmer telefonieren… Schreib ihr eine Mail, das reicht doch!“ erwiderte die Schwarzhaarige ihrer hellbraunhaarigen Freundin.

Geschwind tippte diese daraufhin eine Nachricht, die in Windeseile zum anderen Handy gelangte. „Nichts anmerken lassen, sonst verkrümelt sie sich noch“, flüsterte die Dunkelhaarige und ihre Freundin kicherte leicht hinterhältig. „Wo denkst du hin? Ich bin die Vorsicht in Person.“

Die 20-jährige wirkte ein wenig ungläubig, was ihre Cousine da gerade vom Stapel ließ, konnte nur ein Scherz sein.

Einem geübten Auge entging niemals, wenn jemand einen beobachtete. Ihrem schon gar nicht, daher war es den beiden Mädchen unmöglich ihr Interesse an ihrer Person zu verheimlichen. Sie versuchten hinter ihren Heften zu ihr zu schauen.

Wenn sie es wenigstens geschickt gemacht hätten… Sie blinkte sich nach links und rechts um, wo die Leute sie kaum wahrnahmen – aus den verschiedensten Gründen; wahrscheinlich kannten sie die meisten nicht. Aber diese jungen Mädchen, die kannten sie sehr wohl, das sah man ihnen an, sie waren ja ganz nervös geworden; warum nur? Ein leicht belustigtes, aber auch spöttisches Lächeln war ihr gegeben, als sie sich das so anschaute. Junge Mädchen, Fangirls. Sie trauten sich wohl nicht… wie schade… Zu gern wollte sie ein bisschen Spaß mit diesen Mädchen haben – sie hatte ja sonst keinen Spaß. Obwohl schon, heute erst… Im Präsidium…

Als man ihren Namen rief, hätte man die Vermutung haben können, es hatte die beiden Mädchen total erschrocken – nicht mal inkognito war sie hier, unfassbar. Sie schauten ihr nach, als sie zum Arztzimmer lief, so dass Chris stehen blieb. Ihr Kopf drehte sich zu ihnen und sie versuchten zwar sofort in eine andere Richtung zu schauen, aber es gelang ihnen nicht besonders gut, zu vertuschen, dass sie sie die ganze Zeit angestarrt hatten. Als sie beide mit ihrem Blick fixierte, erschien ein Grinsen in ihrem Gesicht.

„Girls, if you want to watch someone, you have to do it more skillfull. Everything else is impolite. Didn’t somebody tell you? And if you want to ask a person something, just do so.“

Schockiert – sie waren einfach nur schockiert, als diese Frau sie einfach so ansprach.

„We are so sorry! Really!“ entschuldigte sich die Hellbraunhaarige und faltete sofort die Hände aneinander, um ihre Entschuldigung noch mehr zu verdeutlichen. „We will never do it again, word of honor!“

Sie bewies großes Geschick in der englischen Sprache. „Don’t worry, my dear. I will forgive you.“ Sie zwinkerte Sonoko zu und lächelte sie dabei an, so dass diese knallrote Wangen bekam.

„Abgefahren…“ Sie war hin und weg. Diese Frau hatte tatsächlich mit ihnen gesprochen.

„Oioioi, beruhige dich, Sonoko!“ versuchte ihre Cousine das Mädchen zu bremsen, die gerade aussah, als würde der wunderschönste Junge vor ihr stehen und sich augenblicklich in ihn verlieben, dabei handelte es sich nur um eine bekannte Schauspielerin, die sie mal im Kino bewundert hatten.

Nach ihren Worten, wendete sie sich ab und lief Richtung Patientenzimmer, woraufhin Sonoko aufsprang und ihr hinterher raste.

„One question, Miss Vineyard!“ Oh Gott, ihr Herz, das brachte sie ja beinahe um, aber sie wollte die Chance nicht einfach so verstreichen lassen, immerhin hatte sie ihr ja Mut zugesprochen, da konnte sie es ja jetzt wagen!

„What is it, my dear?“ fragte sie und blickte sich zu dem Mädchen um, welches sie heranwank. Sie war eine berühmte Schauspielerin, da konnte sie das Ganze ja nicht laut fragen, dann hatten sie wahrscheinlich gleich sonst wen an der Backe.

Sonoko hielt ihre Hand neben das Gesicht und flüsterte ihr die Worte nur zu. „What are you doing in Japan? Are you longer here?“

„Oh, I see…“ Sie lächelte und beugte sich zu ihr. „That’s a big secret.“

Sofort bildete sich in Sonokos Gesicht eine leichte Traurigkeit. „Such a big one, you can’t tell it?“

„It would mean trouble, if I tell it so easy.”

„I won’t tell it, nobody, I swear.”

„I’m on holiday. And I visit my special people”, hauchte sie Sonoko ins Ohr, welche sofort wieder von einer Röte erfasst wurde.

„Oh.“ Natürlich dachte die Hellbraunhaarige sofort an den berüchtigten Freund, von dem sie niemals sprach…

„My friend and myself, we cherish you very much!“ Sonoko wollte nett sein, etwas womit sie etwas erfolgreicher war, als im Verstecken, dass sie sie beobachtet hatte.

„Thank you. Take care for yourself, my dear“, sagte sie freundlich und beeilte sich dann, weil sie zum zweiten Mal aufgerufen wurde. „Yes, yes.“ Sie nahm die Beine in die Hand und ließ Sonoko im Flur stehen.

“Man, wie abgefahren ist das denn? Die ist gar nicht so schrecklich zu Leuten, wie alle immer sagen.“ Sie war furchtbar stolz auf ihre mutige Aktion, auch wenn ihre Cousine mittlerweile seufzend hinter ihr zum Vorschein kam.

„Das war ganz schön frech, nun setz dich wieder hin!“ Sie nahm Sonoko am Arm und zog sie zurück zu ihrem Platz.

„Na und? Frechheit siegt!“

„Trotzdem! Du bist einfach unmöglich! Ran hätte sich in Grund und Boden geschämt.“

„Oh Gott! Das glaubt die mir nie, dass wir hier Chris Vineyard getroffen haben!“

Die Leute um sie herum, schenkten ihnen empörte Blicke, weil sie teils schon ziemlich laut waren…

„Die Leute schauen schon, benimm dich!“

Und so etwas war eine direkte Nachfahrin der Suzukis, einer der reichsten Familien in Japan…

 

Am Tatort unterdessen hatten die Ermittlungen schon lange vor der Ankunft der drei Kriminalisten begonnen. Die Spurensicherung war schon im vollen Gange. Abgesperrt war der Tatort, was einige Leute wohl sehr fuchste, weil der Beika Park ein sehr schöner war – vor allem war heute schönes Wetter, da wollte man nur zu gern im Park spazieren gehen…

Sêiichî betrachtete missmutig den Ankunftsort. „Ich hasse Mord im Freien. Selten kommt die Spurensicherung rechtzeitig. Bis sie da sind, sind schon ein dutzend Leute über den Tatort marschiert, gerade wenn es so ein dummer Park ist.“ Er hatte die Arme verschränkt – ihn erinnerte das an die Profis, die gerne solche Orte wählten. Ein Büro zum Beispiel musste man ordentlich sauber machen, bei einem öffentlichen Ort reichte es schon, die Tatzeit genau zu planen – meistens dann wenn die Wettervorhersage starken Regen meldete. Ja genau, das liebten diese Leute. Je mehr Spuren von der Natur aus verwischt wurden, umso besser, nicht wahr?

Um den ganzen Tatort herum standen Menschen und gafften. Schaulustige gab es immer. Sie blickten zu dem Zelt, worin sich die Ermittler bereits befanden.

Nun stiegen sie aus, streiften sich Plastiküberzüge über die Schuhe, um den Tatort nicht zu kontaminieren, daraufhin schlüpften sie unter den Absperrungen hindurch zu den anderen Ermittlern.

Ein junger Mann kam ihnen entgegen.

„Wir sind bereits weit fortgeschritten. Die Fotos sind fertig, die Spuren eingetütet. Aber die Leiche wurde nicht verändert, wie gewünscht.“

Megure nickte und sie liefen zu dem blauen Zelt, das nur verhindern sollte, dass die Schaulustigen bei der Arbeit an der Leiche zuschauen konnten.

Die Kriminalisten zogen sich noch Einmalhandschuhe über und begaben sich dann ins Zelt.

Gleich beim Betreten des Zeltes, fielen ihre Blicke auf die nackte Schülerin, die sie jedoch keineswegs die Miene verziehen ließ.

„Achje“, meinte Sêiichî, „was für ein Chaos.“

Wataru blickte zu ihm hinüber, sagte jedoch nichts, dennoch beobachtete er den Kriminalisten, der sich in die Hocke begab. „Stümper.“

Megure hustete einmal wegen des kleinen Ausfalls des jungen Mannes. „Was genau wollen Sie damit sagen?“

„Dass der Tatverdächtige ein Amateur ist. Es ist zweifelsfrei jemand, der von Mord nichts versteht.“

„Achja, wirklich? Und wieso glaubst du das, Sêiichî?“ fragte Wataru stichelnd, woraufhin sein Freund sofort einige Indizien aufzählte. „Der Täter war in Eile und nicht ganz bei Verstand, wie mir scheint. Die Spuren sind wahllos über den ganzen Körper verteilt. So muss er sie mit einem Messer attackiert haben, womöglich um sie zu erschrecken, damit sie ihn fürchtet. Dabei hat er sie willkürlich verletzt. Er strangulierte sie mit einem Strick. Die Abdrücke am Hals zeigen das deutlich, dabei ist er nicht sonderlich geschickt vorgegangen. Anscheinend hat der Amateur keine Ahnung davon, wie man ein Opfer würgt. Er hat ja sogar die Hände dazu genommen, um sein Ziel zu erreichen.“ Quer über ihren Hals waren Spuren des Seils zu finden, am Schlüsselbein jedoch auch tiefe Druckspuren von Händen. Derjenige musste sein Opfer mit aller Kraft versucht haben zu erwürgen. „Jeder weiß, dass man nur hinten zuziehen muss… Der Täter hat vorne verknotet und konnte so wohl nicht kräftig genug zuziehen, deswegen musste derjenige wohl mit den Händen nachhelfen.“

„Sieht aus wie ein Anfall im Affekt.“ Wataru wandte sich seinem Kollegen von der Spurensicherung zu. „Name des Opfers? Zeugen? Was konnte man am Tatort bereits ausfindig machen? Messer? Seil vielleicht?“

Der junge Mann sah auf seinen Notizblock. „Die Personalien der Passanten haben wir hier festgehalten“, sagte er und reichte Wataru die Notizen. „Allerdings will keiner von denen etwas gehört oder gesehen haben. Sie haben das Mädchen tot aufgefunden. Den Namen des Opfers wissen wir noch nicht. Kein Messer und kein Seil gefunden.“

„Bei einer solchen Leiche sollte zumindest ein Kampf stattgefunden haben. Und da will keiner etwas gehört oder gesehen haben? Das ist ausgeschlossen, es sei denn, sie wurde tot hierher verschleppt. Das würde ich aber sehr krass finden. Es ist helligster Tag.“ Sêiichî seufzte. „Wie lange ist sie schon tot?“

„Es scheint, als sei sie schon einige Stunden tot. Jedoch nicht lange genug, als dass man sie heute Morgen in der Dunkelheit hierher gebracht haben könnte. Es muss gegen 10 Uhr passiert sein, ca.“

„Hatte sie etwas bei sich?“

„Nur eine leere Handtasche. Wir konnten so noch nicht einmal herausfinden, wer sie ist. Sie trägt keinen Schülerausweis bei sich und auch sonst nichts weiter, was uns weiterhelfen würde. Wir haben ihre DNA-Spuren aufgenommen und wissen spätestens in 12 Stunden, wer sie ist.“

„Verstehe, wir wissen also noch nicht einmal den Namen des Mädchens“, schlussfolgerte Sêiichî. Er warf Wataru einen leichten Seitenblick zu. „Ich denke nicht einmal, dass das ein Mann war.“ Er deutete af Kratzspuren am Hals hin, die sogar geblutet haben mussten. „Da war eine Person mit langen Fingernägeln am Werk. Die meisten Männer würden ihrem Opfer auch nicht büschelweise Haare ausreißen.“ Sein Finger zeigte auf ihre Kopfseite, wo man ihr definitiv einen ganzen Büschel Haare ausgerissen hatte.

„Welcher Idiot bringt eine Leiche auch in den Beika-Park? Ich würde sie im Meer versenken…“

„Sêiichî – manchmal bist du mir wirklich suspekt.“

„Was ich damit sagen will, Wataru, ist dass derjenige entweder total kopflos sie schnell loswerden musste, oder derjenige ist selbst in einem Alter, wo er keine Leiche unbemerkt wegschaffen könnte. Zum Beispiel weil derjenige noch keinen Führerschein besitzt.“

„Du meinst, es war jemand in ihrem Alter? Oh man – das würde ich aber schlimm finden, du nicht?“

„Auch zwischen Kindern kommt es zu Streitereien, bei denen es zu schwerwiegenden Unfällen kommen kann. Glaub mir, ich kenne mich da aus. Habe keinen leichten Bruder.“

„Sie muss also zumindest aus der näheren Umgebung stammen, nicht wahr? Wahrscheinlich ging sie auf die Beika-Schule. Vielleicht sollten wir uns dort mal über die fehlenden Schüler erkundigen. Vielleicht erfahren wir so den Namen des Opfers schneller. Wenn der Täter wirklich ebenfalls ein Schüler ist, dann sollte er entweder gar nicht in der Schule sein, oder erst nach 10 Uhr aufgekreuzt sein.“

„Ist anzunehmen.“

„Tja, nur Annahmen reichen nicht, Iwamoto“, sagte Megure jetzt, auch wenn er die Ausführungen des jungen Mannes durchaus passabel fand. „Sie sind wohl kein sonderlich geduldiger Mensch, nicht wahr? Sie wollen den Fall am liebsten sofort auflösen.“

„Oh, ich weiß, dass das in der Regel nicht möglich ist, aber man kann es ja versuchen. Vor allem will ich unseren Täter ungern viel Zeit lassen, sich zu sammeln. Je länger derjenige sich in Sicherheit wiegen kann, desto mehr Ausreden findet derjenige. Da spreche ich aus Erfahrung. Derjenige wäre schockiert, wenn wir ihn sehr zügig ausfindig machen. So ein Laie, wie das war, würde denjenigen so etwas fürchterlich schockieren.“

„Ich glaube nicht, dass die Person nicht damit rechnet, gefunden zu werden.“ Wataru war sich vollkommen sicher. „Du sagtest es ja selbst, die Leiche muss auf die Schnelle hierher gebracht worden sein… So in einem Verzweiflungsakt quasi.“

„Na los, rufen Sie schon in dieser Schule an, Iwamoto! Ich weiß, dass sie’s kaum aushalten. Mal sehen, was sich so herausfinden lässt.“ Er wank ab. Es konnte ihnen nicht schaden, wenn sie das hier zügig über die Bühne brachten. Nun hatten sie es schon mit 15-jährigen kleinen Monstern zu tun. Er wusste ja dieser Ort hier war schrecklich – aber so etwas gab es eher selten. Diesmal jedoch war kein Conan oder Kogoro in der Nähe, den er als Todesgott hätte bezeichnen können…

 

Der junge Arzt saß in seinem Patientenzimmer und seufzte zum wiederholten Mal.

„Ich verstehe überhaupt nichts mehr…“

Die Arzthelferin, welche im gleichen Büro zu finden war, drehte sich um, denn so etwas in die Richtung hatte sie den jungen Mann noch nie sagen hören.

„Was denn, Ashida-san? Was bereitet Ihnen denn dieses Kopfzerbrechen?“

„Schicken Sie mir bitte meine Patientin herein“, antwortete dieser, ohne auf ihre Frage einzugehen, woraufhin sie sich seufzend zurückzog. In letzter Zeit war der leitende Frauenarzt merkwürdig. Er murmelte immerzu irgendwelche Sachen vor sich hin, die er im Nachhinein nie erklärte.

Sie ging hinaus und kam wenig später mit dieser sehr speziellen Kandidatin von Frau zurück. Diese war noch nicht oft in ihren Präxisräumen gewesen, aber jedes Mal wenn sie kam, hatte sie das Gefühl, das Mittagessen bekam ihr nicht, weil sie so nervös wurde. Sie bekam einen rauen Hals, musste mehrmals einen Schluck Wasser trinken und wirkte äußerst verunsichert, als wäre sie neu in ihrem Job. Doch das war sie nicht, die 35-jährige arbeitete schon sehr lange in ihrem Beruf. Bei der Patientin handelte es sich jedoch um jemanden, den sie hier nicht gerne sah – die meisten Gründe waren belangloser Natur – wie zum Beispiel die Tatsache, dass sie Schauspielerin war, mit jeder Menge Schotter und dementsprechend eine besondere Behandlung erwartete. So etwas machte sie jedes Mal nervös, obwohl die 29-jährige redlich bemüht war, nett zu sein – fanden jedenfalls ihre Kollegen. Sie verstanden überhaupt nicht, weshalb sie sich jetzt schon wieder den Magen hielt und Tabletten einwarf, um es zu ertragen.

„Jetzt mach dich locker! Die Frau reißt keinem von uns den Kopf ab – höchstens dem Arzt, wenn er sie falsch anfässt.“ Die Schwarzhaarige an der Rezeption hatte auch mal wieder ihren fiesen Tag, weshalb sie so einen Spruch brachte und dann ihre ältere Kollegin fies angrinste. „Es könnte schlimmer sein, wirklich…“

 

Asako (23) Yasuaki [Arzthelferin, Angestellte im Frauenarzt Klinikum in Haido-Cho]

 

Mutsumi (35) Yasukawa [Arzthelferin, Angestellte im Frauenarzt Klinikum in Haido-Cho]

 

„Was du nicht sagst! Sie soll beim letzten Mal explizit nach unserer ÄRZTIN gefragt haben, damit die sie untersucht – unser Chefarzt durfte dabei zuschauen.“ Es klang belustigt, wie sie es sagte. „Eine richtige Primadonna. Er hatte kaum eine andere Wahl, als sie hinzuzuholen. Mich hat sie die ganze Zeit mit ihrem Blick fixiert, dass ich angefangen habe zu zittern. Ein bisschen blöd, wenn du jemandem Blut abnehmen sollst. Diese Frau ist schon merkwürdig – ich glaube unser Chefarzt hat sogar Angst vor ihr.“

„Ganz bestimmt nicht so sehr, wie du, Mutsumi.“

„Ich frage mich sowieso, wie eine so berühmte Person aus dem Ausland dazu kommt, ausgerechnet hier reinzuflattern. Findest du das nicht auch verdächtig? Die kann sich doch jeden teuren Arztbesuch leisten! In Amerika haben sie bestimmt bessere Ärzte als hier.“ Die Braunhaarige hatte die Augenbrauen zusammen gezogen und der Jüngeren das beiläufig mitgeteilt. „Ihre merkwürdigen Arzneien bekommt sie hier doch sowieso nicht! Was also kann sie wollen? Frauen kommen doch normalerweise nur, wenn sie schwanger sind, oder sonst irgendwie akute Probleme haben…“

„Vielleicht solltest du dir um so etwas weniger Gedanken machen, sonst wirst du noch verrückt“, merkte Asako an, druckte einige Sachen aus und überließ dann ihrer älteren Kollegin das Feld. „Aber eines kann ich dir sagen, schwanger ist sie nicht.“ Mit den Worten hatte sie die Neugierde dieser merkwürdigen Frau in den Dreizigern befriedigt, so glaubte sie jedenfalls.

 

Ihr gut aussehender Arzt kam gerade an die Rezeption, während seine Patientin schon wartete und holte dort bei seiner Arzthelferin die Unterlagen ab und verschwand dann ohne großes Federlesen wieder.

Als er in sein Patientenzimmer trat, schloss er sofort die Tür, um die Diskretion zu wahren. Er wusste, wie wichtig dieser Frau Derartiges war, dass keine unbefugte Person irgendeinen Wind hiervon bekam.

„Wie geht’s dir?“ fing er gleich an zu plaudern, da sie sich bereits länger kannten. Deswegen musste er auch nicht anfangen irgendwelche Höflichkeitsfloskeln zu benutzen, um besonders freundlich zu sein.

Er setzte sich ihr gegenüber an den Computer.

„Das entscheide ich nachher, wenn du mir gesagt hast, wie es um mich bestellt ist“, sagte die Blonde mit einem leicht nervösen Nachdruck in der Stimme, den der Mann an ihr so nicht kannte.

„Also wirklich – du musst wirklich total verzweifelt gewesen sein. Erst stürmst du in meine Klinik, dann verlangst du auch noch alles an Checkups, die möglich sind. Tut mir leid, wenn mir das ein bisschen spanisch vorkommt.“ Im Handumdrehen hatte er alles vorliegen. Da ihr wohl sehr viel daran gelegen war, schnellstmöglich zu erfahren, ob ihr etwas fehlte.

„Ich kann dich beruhigen. Weder das Blutbild war auffällig, noch der Abstrich hat irgendetwas ergeben, wovor du dich fürchten müsstest.“ Kenichi holte tief Luft, immerhin war sie ziemlich panisch gewesen, als sie vor einer Woche hier aufgeschlagen war. Er hatte erst gedacht, sie sei schon wieder verletzt worden – obwohl es ihn gewundert hatte, was sie hier verloren hatte. Bei ihrer Chirurgin, in der Abteilung, die für Verletzungen aller Art zuständig war, passte sie besser hin. Denn ihr Leben war alles andere als ruhig. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie wieder zusammen geflickt worden war.

„Ich bin also nicht ernsthaft krank?“ Seine Worte klangen so, aber sie hinterfragte die Sache, weil er ihr nicht erzählen konnte, dass bei ihr alles in Ordnung sei.

„Nein, bei dir ist alles in bester Ordnung. Laut des Befundes ist lediglich ein niedriger Hormonspiegel der Fall, das erklärt auch diese ganzen Symptome, über die du geklagt hast. Organisch ist alles in bester Ordnung – für dein Alter.“

Sofort sahen ihn eisblaue Halbmonde an, der ihn fast etwas zurückschrecken ließ. „Was soll das bitteschön heißen? Für mein Alter! Du willst mir also weismachen, dass es mit 29 Jahren normal ist, alle 3 Monate mal zu bluten, Schlafstörungen zu bekommen und unter Hitzewallungen zu leiden?! Ernsthaft, Kenichi Ashida?!“ Der stechende Ton in ihrer Stimme verriet, wie erregt sie innerlich gerade über die Wortwahl des 27-jährigen war.

„…Kommt vor, aber meistens ist das eher so mit über 40 der Fall und-“

„Ich bin 29!“ Von über 40 wollte sie gerade überhaupt nichts hören. „Meinst du, ich komme in deine blöde Praxis, um mir so etwas sagen zu lassen?“ Kaum hatte sie das gesagt, stand sie von ihrem Platz auf und beugte sich zu dem Schwarzhaarigen hinüber, dabei donnerten ihre Hände auf den Schreibtisch, weil sie doch ein bisschen die Beherrschung verlor. Mitten im Satz hatte sie ihn unterbrochen, denn sie wusste ganz genau, was er im Begriff gewesen war, zu sagen. Kenichi zuckte ganz leicht zusammen, weil sie gerade regelrecht Gift versprühte – cholerisch wurde sie wohl jetzt auch noch… passte ja perfekt ins Bild.

„Heilige Mutter Gottes!“ schnaufte der Arzt. „Jetzt setz dich wieder hin und beruhige dich! Ich weiß gar nicht, warum du so einen Aufstand machst! Was willst du eigentlich von mir…? Du wolltest wissen, ob dir etwas fehlt. Das tut es nicht, also kannst du dich jetzt wieder setzen und dich beruhigen. Es wurde nichts, damit meine ich absolut gar nichts gefunden, was auf eine Krankheit schließen lässt… Kein Tumor. Keine organischen Schäden. Deine Gebärmutter ist in Ordnung, die Eierstöcke ebenfalls… Das einzige, womit du dich jetzt abfinden musst, du wirst alt. Daran stirbt man aber nicht. Anscheinend willst du aber ja nicht glauben, dass dir nichts fehlt. Wenn du glaubst, irgendetwas Organisches zu haben, solltest du es bei einem Allgemeinmediziner oder einem Internisten versuchen. Ich bin nur für alles Gynäkologische zuständig und da ist alles in bester Ordnung.“ Kenichi hatte es ruhig gesagt, obwohl sie wie eine Furie war. Man hätte meinen können, er wäre eiskalt, einer Frau das derartig an den Kopf zu knallen, dabei bezeichnete er sich als Frauenkenner. Ja in der Anatomie machte ihm auch keiner etwas vor. Was das Gefühlsleben von Frauen anging allerdings…

Eiskalt, dieser Mann war einfach nur knallhart und knallte ihr diese harten Worte an den Kopf. Sie sollte sich also daran gewöhnen, dass sie alt wurde…?

„Alles in Ordnung nennst du das? Normal ist das alles also… An mir ist schon lange nichts mehr normal.“ Komischerweise war sie jetzt ruhiger, klang dabei aber doch etwas gekränkt, jedenfalls vermutete er das.

„Was soll das jetzt wieder? Dir fehlt nichts. Es gibt Frauen, die froh sind, wenn sie weniger Scherereien mit so etwas haben. Gegen die Schlafstörungen sind Schlafmedikamente zu empfehlen. Der niedrige Hormonspiegel ist nicht direkt schädlich. Die Hitzewallungen werden sich auch wieder beruhigen. Die einen trifft’s früher, die anderen später, aber davon geht die Welt ja nicht unter.“

Typisch Mann – er verstand gar nichts von all dem. Nichts von dem, was er da redete, konnte sie in dem Moment trösten.

„Ich soll mich damit abfinden… Richtig? Gut… Aber eine Sache noch…  Ehe ich mich mit so etwas auseinandersetze. Wenn sowohl meine Eierstöcke, als auch meine Gebärmutter in Ordnung sind, steht einer Schwangerschaft nichts im Wege, oder?“

„Du meine Güte, Chris!“ fuhr er zusammen. Das war alles, was sie interessierte? Ernsthaft? All diese Untersuchungen mit dem Hintergrund, dass sie befürchtete… Nein, das konnte er einfach nicht fassen. Das war ihre große Angst? Am Ende wäre ihr so ein Tumor lieber gewesen, den konnte man entfernen, nicht?

„Du schockierst mich…“ Kenichi seufzte.

„Wieso? Ich will wissen, ob ich trotz allem noch eine Frau bin.“

Der junge Arzt besah sich die junge, wunderschöne Frau, mit der er gerne den ein oder anderen netten Abend verbracht hätte. Alles an ihr war perfekt und da fragte sie ihn allen Ernstes noch, ob sie noch eine Frau war?

„Schätzchen, an dir ist alles weiblich. Wie kannst du so etwas Blödes nur fragen, mhm?“

„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, sagte sie monoton. Die Blondine wusste nicht, was sie tun würde, wenn er die Sache jetzt verneinte. Jedenfalls etwas, was nicht so schön war…

„Unfassbar, dass dir alles andere egal ist. Ich werde dich nicht fragen, wieso dir das so wichtig ist. Am besten vergesse ich es anschließend auch schnell wieder… Aber ja, es ist möglich. Solange der Eisprung stattfindet, kannst du auch schwanger werden.“

Natürlich kam der Mann nicht umhin darüber zu philosophieren, wer von all denen, mit denen sie verkehrte, derjenige war, mit dem sie wohl plante schwanger zu werden. Allein die Vorstellung gruselte ihn dann schon, immerhin würde sie dieses Kind ja in die Organisation mit hineinziehen. Dabei hatte sie doch deswegen entscheiden, lieber keine Kinder zu bekommen, oder? Das war, was man ihm immer über sie gesagt hatte.

„…Aber mir läuft die Zeit davon?... Kann ich irgendetwas tun, damit es besser funktioniert?“

„Von nachhelfen hast du nie etwas gehalten, egal bei was“, sagte er leise und bekümmert. Sie war doch die Verfechterin von weniger ist mehr, wenn es um Forschungsdinge ging. Dieselbe Person wollte nun nachhelfen.

„So schnell geht das auch wieder nicht. Absolut sicher ist erst ein Jahr nach der allerletzten Blutung, dass es nicht mehr auf normalen Weg funktioniert. Und sogar danach ist auf dem Gebiet einiges möglich. Ganz ungefährlich ist das nicht, aber du bist ja keine, die Risiken scheut, nicht wahr?“ Kenichi verstand nicht, wieso sie das so runterzog. Da gab es nur eine logische Schlussforderung… Das verstand sogar er, ein Mann. Liebe.

„Du solltest einen Spezialisten aufsuchen, der auf dem Gebiet etwas mehr Erfahrung hat, falls es dir so wichtig ist, ein Kind zu bekommen. Am besten nimmst du den betreffenden Mann auch gleich mit. In deinem Alter gilt eine Schwangerschaft bereits als Risiko.“

„In meinem Alter… kannst du wohl bitte aufhören, darauf herumzureiten? Danke!“ Von ihrem wahren Alter wollte sie nichts hören, denn sie war ja topfit wie ein Turnschuh. Sie erfreute sich bester Gesundheit, war so gut wie nie krank, sie war beinahe zu fit für 29. Und da versuchte er ihr einzureden, sie würde alt werden? Wie konnte ein normaler Mensch, der sich ansonsten topfit fühlte, das auch einsehen?

Es entsprach leider der Wahrheit, dass sie selten zu normalen Ärzten ging, weil sie Angst haben musste, sie könnten etwas Seltsames bei ihr feststellen und sie erneut für irgendwelche Studien oder Experimente einspannen wollen, weil sie ja so besonders war. Obwohl sie diesen Kerl hier nicht sonderlich leiden konnte, war er eingeweiht.

„Gerade könnte ich jeden, der in dieser Materie gearbeitet hat, in die Luft jagen“, sagte sie leise. „Und sie dafür büßen lassen, dass bei mir rein gar nichts normal ist, auch wenn du sagst, es wäre so. Du weißt so gut wie ich, dass dem nicht so ist. Man muss ja jederzeit mit allem Möglichen rechnen. In einem Jahr kann es schon wieder zu irgendwelchen Nebenwirkungen kommen, wenn man an einem Forschungsprojekt beteiligt war… Wer weiß, vielleicht war’s auch Absicht…“ Ein spöttisches Grinsen erschien in ihrem Gesicht. Nur wegen ihnen hatte sie diese Probleme. In den letzten Jahren hatte sie tatsächlich vergessen, wie alt sie wirklich war…

Ihre Welt war erschüttert. Sie vermochte nicht einmal deutlich zu vermitteln, wie es ihr gerade ging. Sie schluckte gerade viel runter, aber die Wut war einfach so grenzenlos, dass sie sie ein Stück weit schon an dem Mediziner herausließ.

Kenichi versuchte die Fassung zu wahren. Er wollte ihr ja helfen, aber eigentlich dürfte er das nicht einmal. Nicht einfach so. Diese Untersuchung müsste er eigentlich sofort melden, genauso wie er eine Schwangerschaft melden müsste.

„Tu uns den Gefallen – im Falle eines Glückstreffers, such dir einen anderen Ort, als diesen hier. Damit ersparst du uns Beiden großen Ärger.“ Sie würde schon wissen, was er damit meinte. Gewisse Dinge waren nicht vorgesehen und aus irgendeinem Grund glaubte der 27-jährige nicht, dass ihr Kinderwunsch an dieser Person hing – somit also verboten war, in dessen Augen. Er hasste, wenn er seinen Ziehvater hintergehen musste. Da wollte er diese Frau lieber zu einem anderen Arzt schicken… Damit wollte er rein gar nichts zu tun haben.

 

Unterdessen hatte Inspektor Megure seinen jungen Kollegen dabei beobachtet, wie er selbstständig sich erkundigte, welche Schulen in nächster Nähe zu finden waren. Unter anderem war es die Teitan-Oberschule, die Futatsubashi-Mittelschule und die  Ekoda-Oberschule. Er hatte alle drei kontaktiert und um Mithilfe gebeten. Eine der Schulen war besonders engagiert darin, ihre Hilfe anzubieten. Die Teitan. Er wurde zum Schuldirektor durchgestellt, der die Klassenzimmer abklapperte und die zuständigen Klassenlehrer konsultierte.

„In der Klasse 2b der Teitan-Oberschule fehlen aktuell genau 4 Schüler.  Sonoko Suzuki, Miho Kitami, Miyuki Iwasa und Fei Akiyama. Allesamt 17 Jahre alt. Eine davon entschuldigt, Sonoko, die anderen beiden, Fei und Miyuki, waren noch vor drei Stunden beim Sportunterricht gewesen. Miho Kitami sei heute gar nicht erst in der Schule aufgetaucht –

unentschuldigt. Ihre Eltern sind bereits vor einigen Jahren verstorben, sie lebt mit ihrem älteren Bruder zusammen, einem 27-jährigen Musiker. Bisher sei so etwas noch nie vorgekommen, da es sich um eine sehr zuverlässige Schülerin handele. Der stellvertretende Schuldirektor ist auf dem Weg hierher, um sich zu vergewissern, dass es sich bei der Leiche um keins der fehlenden Mädchen handelt, Inspektor.“

Wataru warf dem Mädchen einen genauen Blick zu. Obwohl er fast täglich in Beika zu tun hatte, war ihm das Gesicht der jungen Dame kein Begriff. „Unterdessen werde ich die nähere Umgebung abklappern und die Anwohner befragen, ob sie etwas mitbekommen haben. Wenn der Schuldirektor kommen sollte, sag mir bitte bescheid, Wataru“, bat Sêiichî und wollte sich gerade auf den Weg machen, nachdem er sich seiner Plastik-Handschuhe und Überzieher entledigt hatte, als er auf dem Sprung geradezu in Ryochi Akaja hinein rannte.

„Sieh an, du bist schon mitten in der Arbeit.“

Leicht ertappt und bedröppelt sah er den um ein Jahr jüngeren Detektiv an. „Sind schon eine Weile da, ja. Der Täter – ja es war Mord – ein totaler Stümper. Es sieht nach einem bewussten vorsätzlichen Mord aus – für einen Unfall hat derjenige sich zu sehr bemüht, dass das Mädchen die Sache nicht überlebt. Es ist ganz zweifellos ein Kampf von Statten gegangen, dabei hat der Täter sein Opfer auf brutale Weise gewürgt, erst mit einem Seil ähnlichen Gegenstand, dann mit bloßen Händen. Das war mit Sicherheit ein Mädchen, was nicht genügend Kraft hatte, um sein Opfer spielend leicht zu erdrosseln. Sie hat es nicht geschafft, das Seil fest genug zuzuziehen.“

„Das klingt ja mal ziemlich brutal. Wisst ihr schon, wer das Opfer ist?“

„Noch nicht, aber was mich sehr wunderte, ist die Aussage, es handele sich um eine 15-jährige. Ich werde die Umgebung auskundschaften. Kannst du dir mal diese Augenzeugen vornehmen? Angeblich hat keiner was gesehen, oder gehört. Vielleicht stimmt das auch, aber es ist nicht auszuschließen, dass sie lügen. Wenn sie wirklich im Park getötet wurde… Es muss zu einem Kampf gekommen sein. Jeder normale Mensch würde bei einem Kampf, der das eigene Leben bedroht, um Hilfe schreien. Wenn die Zeugen, die sie fanden, wirklich die Wahrheit sagen, dann hat der Mord woanders stattgefunden und sie wurde nur in den Beika Park verfrachtet, weil der Täter verzweifelt gewesen ist. Tust du mir den Gefallen, ja?“

„Ich werde mir erst einmal anhören, was Megure und Takagi dazu zu sagen haben. Dann werde ich mich drum kümmern.“

„Okay. Achja, der Stellvertretende Direktor der Teitan Oberschule wird in Kürze hier eintreffen. Er will dabei helfen, die Schülerin zu identifizieren. Er hat darauf bestanden, da zwei der Schüler nach dem Sport wohl abgehauen sind, was mir zwar auch schon komisch vorkommt, aber sei’s drum. Ich versuche meine Arbeit so schnell wie irgendmöglich zu beenden.“

„Kaum in Tokyo hast du auch schon so einen Fall. Der Herrgott hatte Erbarmen mit dir – ich weiß doch, wie sehr du langweilige Büroarbeit verteufelst, Sêiichî“, meinte Ryochi leicht amüsiert, woraufhin Sêiichî ihn etwas beleidigt ansah.

„Leider dachte ich das auch – doch auf so was kann man wirklich liebend verzichten. Bis gleich.“

Sie hatten sich der Aufklärung solcher Fälle verschrieben. Leider hatten sie ohne solche Fälle nichts zu tun, so traurig das auch klingen mag. Er sah Sêiichî zu, der wirklich mit jeder Menge Leidenschaft drauflos stürmte, um seine Arbeit gut zu machen. Es wunderte ihn nicht, immerhin wusste der Detektiv von so manchem Geheimnis, was den 23-jährigen umgab… Da strengte er sich natürlich umso mehr an.

 

„Hallo Inspektor, Megure“, meinte der Braunhaarige, der gerade eben angekommen war, woraufhin Wataru ein klein wenig erschrocken reagierte und zusammen mit dem Angesprochenen auf den jungen Mann zuging.

„Oh, Ryochi, du bist auch hier…“

 

 Ryochi Akaja (23) [Privat-Detektiv, jüngster Sohn des Polizeipräsidenten von Tokyo]

 

Ein Mann vom Spurensicherungsteam wendete sich sofort dem jungen Mann zu und versorgte ihn mit den nötigen Materialien, da er sofort davon ausging, er würde mitermitteln. Zufällig tauchte dieser Mann nicht hier auf.

„Das werde ich nicht benötigen. Ich kümmere mich um die Zeugenvernehmung“, meinte Ryochi. „Sêiichî bat mich darum, ihnen noch einmal auf den Zahn zu fühlen.“

„Zeugen? Na ja, so kann man die nicht gerade nennen“, seufzte Wataru und gesellte sich neben Ryochi. „Ich gehe mit ihm, Inspektor Megure“, fügte Wataru an und Ryochi grinste daraufhin nur. „Oh, das musst du nicht. Ich komme alleine mit denen zurecht“, lehnte er ab und der Kriminalist wirkte daraufhin ein wenig mürrisch. „Wie du meinst…“

 

Wenig später hatte sich der Detektiv den drei Personen vorgestellt. Sie waren wenig begeistert, dass nun auch noch ein Detektiv sie mit seinen neugierigen Fragen löchern wollte.

Vor allem der 32-jährige Mann im Bunde freute sich wenig über Ryochis Ankunft.

„So, so, Yûsuke Otaké“, sprach der Braunhaarige den Schwarzhaarigen sofort an, welcher sofort seinem Blick auswich. „Welch ein Déjàvu, mhm?“

Der Angesprochene wusste noch sehr genau, dass sie vor einigen Jahren ähnlich aufeinander gestoßen waren. „Und, bist du diesmal auch unschuldig, oder nicht?“

„Was willst du eigentlich von mir, Ryochi Akaja?“

„Oh, ich denke, das weißt du ziemlich gut, nicht wahr? Immerhin kennen wir uns ja nicht erst seit gestern.“

Man merkte, wie sein Opfer sofort nervös wurde, weshalb Ryochi einen Blick zu Wataru andeutete, um denjenigen noch etwas mehr zu ärgern. „Welche Dinge hat du dem armen Kerl aufgetischt?“ Er wendete sich wieder dem 32-jährigen zu, welcher nur ein „Hmpf“ von sich gab.

„Ich lehne ab, mit dir zu reden.“

„Tu das, dann wende ich mich eben deiner Freundin zu. Wer hat die Polizei gerufen? Waren Sie das, Maruya-san?“ Sie merkte sofort, dass er zu ihr sehr viel freundlicher war.

 

Yûsuke Otaké (32) und Juri Maruya (29)

 

„Ja, wir fanden das Opfer.“

„Wann genau war das?“

„Diese Fragen haben wir den Kriminalisten bereits beantwortet“, antwortete Yûsuke im Namen seiner Freundin, was alleine schon verdächtig war.

„Ich dachte, du wolltest nicht mit mir reden? Meinung so schnell geändert?“ Ryochi stichelte ihn und sein Gegenüber wusste auch, weshalb. Er hatte Dinge über ihn in Erfahrung gebracht, die er augenblicklich vor Wataru ausplaudern könnte.

„Wenn du schlau bist, wirst du mit der Polizei kooperieren, oder du gibst uns Grund zur Annahme, etwas verbergen zu haben…“ Einen so gemeinen Blick hatte man an Ryochi bisher noch nie gesehen, aber außer den zeugen sah diesen auch sonst keiner.

„Ich weiß nicht, was du meinst, Ryochi Akaja.“

Die dritte Person im Bunde wirkte wenig, als wenn es sie interessierte, was die anderen Beiden sprach. Man hätte meinen können, dass sie zusammen gehörten, aber ihr Dessinteresse ließ auf anderes schließen.

„Sie sind?“

 

Akane Isozaki (23) [Psychologie- und Medizinstudentin]

 

„Akane Isozaki“, antwortete sie, zumindest ihr Nachname war ihm ein Begriff, weshalb er nun doch eher nicht daran glaubte, dass es sich um einen Zufall handelte, der sie gemeinsam hierher führte.

„Entschuldigen Sie, aber Sie erinnern mich da an einen Bekannten meinerseits. Keisuke Isozaki. In welcher Relation stehen Sie zum Genannten?“

„Oh man, ist das dein Ernst Ryochi Akaja? Du willst uns doch nichts vorwerfen, oder? Wir sind ganz normale Passanten, die eine Leiche gefunden haben.“

Die Konversation lief ähnlich wie die von vor ein paar Jahren, damals war der 32-jährige auch schon ähnlich mit ihm umgesprungen, dabei hatte er zumindest mit dem Fall damals zu schaffen gehabt. Inwiefern er in diesem Fall hier involviert war, konnte man nie wissen, immerhin war er kein unbeschriebenes Blatt. Drogenbesitz war ein schweres Verbrechen in Japan.

„Was haben Sie gegen meinen Freund?“ wollte jetzt Juri wissen und Ryochi lächelte. „Oh gar nichts. Ich frage mich nur, ob er Ihnen alles über sich erzählt hat…“

„Ihr könnt uns hier nicht ewig festhalten. Wir haben die Leiche lediglich gefunden. Nichts weiter. Darüber hinaus könnt ihr uns gar nichts. Wir haben noch etwas vor, also beeil dich ein bisschen!“ Nun grinste Yûsuke direkt in Ryochis Gesicht. „Ich frage mich die ganze Zeit, ob Sêiichî sich nur nicht traut, oder weshalb er dich jetzt zu uns schickt, damit du das übernimmst. Es muss für ihn doch furchtbar sein, schon wieder so einem zornigen Bruder von einer Exfreundin zu begegnen, nicht wahr? Bestimmt dachte er, dass er mich los wird.“

„Meinst du etwa diesen Kriminalisten, der vorhin mit den zwei anderen hier aufgetaucht ist?“ fragte die 23-jährige, das alleine reichte aus, dass Ryochi sich fragte, ob sie ihn zufällig kannte, oder mehr dahinter steckte.

„Lass mich raten, du hattest was mit dem. Würde mich jetzt nicht wundern, er macht doch vor keiner Frau halt. Schon mit 15 nicht!“

„Du tust ja, als hätte Sêiichî Dreck am Stecken. Dabei bist du doch viel schlimmer“, ärgerte er den 32-jährigen und grinste fies. „Drogenbesitz… Meinst du, das habe ich vergessen? Ich sollte Takagi und Megure genauer über dich aufklären. Ich weiß jede Menge über dich, mehr als du vielleicht glaubst.“

„Ach, du denkst, du bist in der Position mir zu drohen? Pass bloß auf, Eisen kann heiß werden, man verbrennt sich schneller, als man schauen kann.“

„Oh, keine Sorge, ich kenne die Gefahr meines Berufes durchaus. Vor allem Schießeisen kann heiß werden, was?“ erwiderte Ryochi mit einem überlegenen Lächeln, er ließ sich doch von dem nicht einschüchtern – nur weil er davon wusste, wie kriminell dieser Kerl war… Nicht umsonst war Sêiichî sein bester Freund, er hatte ihn bereits vor Jahren gewarnt, was diesen Typen anging. Er gehörte dieser Verbrecherbande an; nicht nur das, er sollte wohl auch Anhänger von Chardonnay sein – einer seiner besten Leute – das wunderte ihn nicht, immerhin hatte er wachsende Freude daran, auf Sêiichî zu schießen… Genauso wie Chardonnay…

Während die beiden sich ein Wortgefecht lieferten, blickte die 23-jährige zu der 29-jährigen, die sich ängstlich an ihren Freund geklammert hatte, als würde sie auch das Schlimmste befürchten.

„Mal was anderes! Was treibt dich nach Tokyo? Schon komisch, immer dann wenn Sêiichî hier irgendwo zu finden ist, bist du auch hier. Ich warne dich nur einmal, mein Lieber. Lass ihn in Ruhe! Oder du lernst mich so richtig kennen.“

„Hahahahahaha!“ Yûsuke begann sofort schallend zu lachen. „Sorry, hab mich selten so amüsiert. Wen willst du mir denn schicken? Deine Freundin Shina vielleicht?“

Bisher hatte er den Drohenden nicht ernst genommen, so dass Ryochi ihm nun aufklären sollte, aber was wenn er das nicht tat? Er schmunzelte nur etwas geheimnisvoll. „Oh, wer weiß, welche Verbindungen ich pflege? Meinst du, dass du der Einzige bist, der Geheimnisse birgt?“ Er ließ den Typen im Unklaren, aber er kannte nicht nur eine Person, die sich darum reißen würde, sich mit dem Buchautor auseinander zu setzen. „Sei also schön vorsichtig bei deinen Versuchen, sonst könnte dir vielleicht wirklich noch eine Frau gefährlich werden, so wenig du das vielleicht denkst.“ In Sêiichîs Leben gab es viele mysteriöse Dinge – nicht nur Chris Vineyard, obwohl die natürlich mit Freuden diesen Typen hier verängstigen würde. Da waren aber auch noch andere Leute – eine Person war beim FBI – zwei weitere Mitglieder der Organisation, mit den besten Mitteln, ihm Schwierigkeiten zu bereiten. Die Zeiten, in denen Yûsuke an Sêiichî spielend herankommen konnte, gehörten schon lange der Vergangenheit an…

„Ähm, was Ihre Frage anging. Keisuke ist mein Cousin“, antwortete die Dunkelbraunhaarige jetzt knapp, auch wenn Ryochi nicht noch einmal nachhakte.

„Wusste ich’s doch“, merkte er an, fixierte dann aber Yûsuke mit seinem Blick. „Also? Wieso bist du hier? Beruflich?“ Eigentlich glaubte Ryochi ja nicht an solche Zufälle, aber es wäre zumindest möglich, immerhin befanden sie sich in einem regelrechten Verbrecher-Nest!

„Wenn du meinst, ich bin wegen Sêiichî hier, nein! Du irrst dich, das hat überhaupt nichts mit ihm zu tun. Tokyo ist eine schöne Stadt und sehr inspirierend für einen Buchautoren, das kannst du kaum leugnen.“

„Also macht dich die Polizei einfach nur so nervös? Oder bist du so nervös, weil deine letzte Dosis nachlässt und du dringend Nachschub benötigst?“

„ES REICHT!“ Nun wurde Yûsuke ausfallend, was Megure und Takagi natürlich nicht unbemerkt blieb, so dass der korpulente Mann sich zu ihnen gesellte. „Hey, ich möchte doch bitten!“ Er ging dazwischen, ehe Yûsuke sich an Ryochi vergreifen konnte.

„Lassen Sie Ihre Finger von mir! Dieser Kerl reizt mich schon die ganze Zeit.“

„Ach ja, wirklich? Vielleicht sind Sie einfach etwas empfindlich?“ leugnete Ryochi jetzt, drehte sich dann aber zu Megure herum. „Dieser Mann hat etwas gegen mich. Ich weiß gar nicht wieso. Sie sollten ihn genauer überprüfen, vor allem seine Vorstrafen.“

Aus den Worten konnte man durchaus schließen, dass der Ausraster nicht einfach so passiert war…

„Dafür werde ich dich irgendwann…“

„Wird das eine Morddrohung?“

„…Ich meine… Pass bloß auf, dass du nicht mal die falsche Person ärgerst, du elender Detektiv.“ Der Schwarzhaarige spürte den scharfen Blick des Inspektors auf sich und versuchte sich sofort herauszureden.

„Mäßigen Sie sich einfach. Seine Vorstrafen hätten wir sowieso herausgefunden, immerhin haben wir seine Personalien aufgenommen.“

„Das hat doch überhaupt nichts mit diesem Fall hier zu tun… Das sind haltlose Unterstellungen. Sie werden von meinem Anwalt hören.“

„Beruhige dich doch bitte“, meinte jetzt Juri und sah den Inspektor eindringlich an. „Wir waren die ganze Zeit zusammen, sie“, damit deutete sie auf Akane, „wird das gewiss auch bestätigen. Wir wollten es uns in dem Park gemütlich machen und dann bin ich über das Mädchen gestolpert, das war einfach nur furchtbar.“ Jetzt begann sie zu schimpfen und wurde richtig flüssig, so dass Ryochi seufzte. „Kann ich verstehen“, gab er zu. „Sie alle haben also rein gar nichts gehört?“

„Iwamoto meinte, dass es durchaus sein kann, weil sie an einem anderen Ort umgebracht wurde. Für ihn steht vor allem zur Debatte, dass der Mörder selbst sehr jung ist und weiblich. Takagi hat alles notiert. Was ich nicht verstehe, ist, wieso du diese Leute noch einmal befragst.“

„Oh, ganz einfach, Inspektor“, antwortete Ryochi mit einem netten Lächeln. „Sêiichî ist mein Freund und er hielt es wohl für nötig, dass ich mich noch einmal mit diesen Leuten unterhalte.“

„So etwas“, seufzte Megure und verstand einfach nicht, wieso Sêiichî Ryochi eine Arbeit machen ließ, die sie bereits abgeschlossen hatten. „Auf den Grund bin ich sehr gespannt, sobald er wieder auftaucht, werde ich fragen, was das soll.“

„Oh, Sêiichî dachte wohl, wenn jemand sie zum Reden bringt, dann ich. Es kann sein, dass er nur absolut sicher sein wollte, was man bei dieser Person hier nicht so ohne weiteres kann“, sagte der Detektiv, während er mit dem Finger auf Yûsuke zeigte, was diesem doch einige Schweißtropfen übers Gesicht rinnen ließ. „Es gab da einen Fall in der Vergangenheit, wo er involviert war, auch nicht so ganz unschuldig. Damals waren wir erst 17, trotzdem haben wir den Fall gelöst. Außerdem kennen Sêiichî und ich ihn aus Kyoto. Nicht wahr, Yûsuke?“

„Ja, leider. Ich werde jetzt kein Wort mehr sagen. Ich habe die Schnauze gestrichen voll.“

Ryochi lächelte.

„Also ich glaube, was sie gesagt haben. Wir haben nichts bei ihnen gefunden, was als Tatwaffe in Betracht käme. Wir werden sie auch nicht länger festhalten können, Ryochi. Falls wir doch noch etwas in Erfahrung bringen sollten, werden wir uns natürlich melden“, verriet der Inspektor, wollte jetzt aber weitere Scherereien vermeiden. Ryochi merkte man durchaus an, dass er deswegen etwas angefressen war, denn er hätte den Buchautor mehr als gerne hier behalten…

„Sie können jetzt gehen.“ Mit diesen Worten atmeten die Drei auf und verneigten sich leicht vor den in Braun gekleideten Kriminalisten.

„Wir danken Ihnen. Wir haben nämlich noch etwas Wichtiges vor. Wir wünschen noch einen schönen Tag.“ Yûsuke war nun übermäßig freundlich.

„Wiedersehen“, sagte Ryo knapp und drehte sich herum, während er die Arme verschränkte. Er drehte noch einmal den Kopf zu ihnen, als sie ihres Weges davon schritten.

„Was passt dir nicht?“ wollte jetzt Megure von Ryochi wissen. Ohne dass dieser den Blick von Yûsuke abwendete, antwortete er: „Kann ich Ihnen sagen. Dass dieser Kerl Sêiichî hasst und sich mit allen möglichen Leuten zusammen getan hat, um ihm zu schaden.“

„WAS?!“

„Jederzeit wäre er bereit, ihm eine Kugel zu verpassen, wenn er eine Rechtfertigung findet.”

Mit so viel Ehrlichkeit hatte Ryochi selbst nicht gerechnet. Dass er es mal so sagen würde. Dann noch zu Megure. „Es kotzt mich an, ihn laufen lassen zu müssen, obwohl ich weiß, dass er in kriminelle Machenschaften verwickelt ist. Bisher konnte man ihm nichts nachweisen, wissen Sie.“

 

 

Sêiichî hatte riesige Apartment-Blocks vor sich gehabt, weshalb es einige Zeit dauern würde, bis er mit seiner Arbeit fertig war.

Unterdessen war der stellvertretende Direktor längst bei der Polizei eingetroffen und unterhielt sich mit den Polizisten. 

Man zeigte ihm die Fotos, die man von der Schülerin geschossen hatte, dabei wurde er kreidebleich und sie befürchteten, er würde in Ohnmacht fallen…

Ein Polizist stützte ihn, während er mit trauriger Miene bestätigte, was sie eh schon ahnten…

„Das Mädchen heißt Chihiro Akiyama, ist 18 Jahre alt und geht in die 3A“, antwortete er bedrückt.

„Sie ist schon 18? So sieht sie aber nicht aus“, wunderte sich Wataru, schüttelte dann aber den Kopf, weil das ja nichts zur Sache tat.

„Können Sie uns zufällig sagen, ob sie mitbekommen haben, ob sie Schwierigkeiten mit einigen Mitschülern hatte? So etwas wie Mobbing vielleicht?“

„Soll das ein schlechter Scherz sein? Die meisten der Schüler mieden sie. Praktisch hatte sie keine Freunde. In den Pausen machten alle immer einen großen Bogen um sie.“

„Keine Ausnahmen? Jedes blinde Huhn findet doch mal ein Korn“, merkte Inspektor Megure an, woraufhin der ältere Mann den Kopf schüttelte. „Nein, beim besten Willen nicht. Allerdings sind die wahren Experten wohl unsere Schüler. Sie wollen unsere Schüler doch nicht mit so etwas schrecklichen behelligen, oder?“ Der Mann wirkte sichtlich besorgt.

„Oh, wo denken Sie hin, vorerst würde es uns reichen, wenn Sie uns dabei behilflich wären, schnell an die Adresse des Mädchens zu kommen, damit wir ihre Familie dazu befragen können.“

Der Inspektor blickte zu Ryochi, der einen leicht deprimierten Gesichtsausdruck hatte. Zwar hatte Sêiichî ihn darum gebeten, dass man ihn informierte, sobald der Stellvertreter da war, aber so ganz wahrmachen wollte er das nicht, außerdem wirkte er mitgenommen, was Megure so an sich nicht an ihm kannte.

„Natürlich – die Familie wird uns vielleicht weiterhelfen können…“ Trotzdem wunderte ihn noch immer, dass Ryochi sich von dem Fall so beeindrucken ließ, das war wirklich nicht seine Art. „Darüber hinaus“, fügte dieser an und schlug das Notizheft auf, wo Sêiichî vorhin noch seine Notizen gemacht hatte. Beim davonstürmen hatte er ihm dieses noch zugesteckt, damit er sich informieren konnte. „Mein Kollege hat vorhin mit Ihnen telefoniert. Dabei hat er herausgefunden, dass vier Mädchen gerade in Ihrer Schule fehlen. Er ging davon aus, dass der Täter in Ihrer Schule zu finden ist. Zwei der fehlenden Schülerinnen, eine Fei Akiyama und eine Miyuki Iwasa, 17 Jahre alt, gehen in die 2B. Sie sollen nach dem Sportunterricht aus der Schule verschwunden sein. Beide müssen irgendwo abgeblieben sein. Ich möchte auch mit den Eltern der Beiden sprechen. Wir können doch auf Ihre Hilfe auch in dem Fall rechnen? Wir haben Grund zur Annahme, dass sie mit dem Mord zu tun haben.“

„Ich glaube es ja nicht. Sie halten zwei unserer Schüler für Tatverdächtige?“

Gleich wollte der Kerl wohl rumschreien, dass auf seine Schule keine Mörder gingen… So reagierten viele Menschen, wenn sie erfuhren, dass jemand in ihrer Umgebung etwas Derartiges gemacht hatte.

„Wir wollen lediglich herausfinden, ob sie etwas wissen. Vielleicht haben die Mädchen ja Angst, dass wir sie verdächtigen könnten, oder sie wurden zum Schweigen gebracht. Man weiß ja nie. Helfen Sie uns, damit wir die Wahrheit herausfinden können und womöglich  Schlimmeres verhindern. Fakt ist, dass ein Mörder auf der Flucht ist. Es könnte weitere Opfer geben.“ Ryochi hatte sich das Beste herausgepickt, was er fand, um ihre Handlungsweisen zu erklären. Es war nicht so, dass er log. All diese Möglichkeiten gab es. Auf Sêiichîs Einschätzungen war zwar Verlass, aber auch er könnte sich irren. Dass er den Täter auch für ein Mädchen im Alter von 15 bis 18 Jahren hielt, musste er ja nicht lautstark hier verkünden. Er appellierte an den Menschenverstand des Schuldirektors, um dessen Mithilfe zu sichern.

 

 

Gerade schob sich die Sonne hinter die dichten Wolken, die sich allmählich über dem Himmel breitmachten. Ganz langsam verschluckte die dunkle Masse das durchdringende Licht, was bis eben noch so munter geschienen hatte. Geradezu gierig wurde sie aufgefressen, wodurch langsam die Schatten sich über die Köpfe der Menschen breitmachten. Der Verlust der Sonne ließ es ihnen sofort frisch erscheinen, außerdem fegte ein kräftiger Wind über die Köpfe der Menschen hinweg.

Die Fußgänger passierten die Straßen in beide Richtungen. In Tokyo war immer sehr viel los, da fiel so mancher nicht auf. Auch keine, die sofort in der Menge von Japanern heraus stach.

Sie tippte etwas auf ihrem Handy, da fiel der erste Tropfen vom Himmel. Auf dem Display hinterließ er einen verwischten Fleck und ließ sie in den Himmel schauen. Direkt über ihren Köpfen hatte sich eine riesige Wolke breitgemacht.

„Maybe I should try to hurry…“

Sie war durch die Straßen geirrt und hatte sich alles besonders genau angesehen, in ihrer leicht gedrückten Stimmung. Gerade hatte sie mit dem Handy eine Nachricht an ihn gesendet und starrte auf ebendieses – erwartungsvoll, denn es dauerte nie lange, dass er antwortete. Dieses Mal, sie fragte sich, was ihn davon abhielt, sofort seine Begeisterung über ihren Vorschlag kundzutun. Das war doch bescheuert… Einmal antwortete er nicht sofort, da war sie beleidigt? Man, war sie heute empfindlich… Ein leichtes Lächeln erschien in ihrem Gesicht, bestimmt war er mit Arbeit eingedeckt worden und hatte überhaupt keine Zeit aufs Handy zu starren. Obwohl sie inmitten der Straße stand, liefen die Leute an ihr vorbei – mitten in LA wäre ihr das nie möglich gewesen, sämtliche Leute hätten sie angesprochen, hier war das nicht so. Japaner waren selten aufdringlich. Sêiichî war da ganz anders, er war der Draufgänger in Person – aber in seinen Adern floss auch kein rein japanisches Blut. Man konnte es darauf schieben – oder auf die Dinge, die in seinem Leben passiert waren. Wer wusste das schon?

Nicht nur sie fiel nicht auf, auch der junge maskierte Mann nicht, der sich seinen Weg durch die Straße bahnte. Er rannte zwischen den Menschenmassen hindurch, dabei versuchte er seine Verfolger abzuschütteln.

„Haltet ihn! Haltet den Dieb!“ schrie eine junge Frau immer wieder und rannte dem Typen hinterher, obwohl er wirklich gefährlich aussah. Er schoss an Chris vorbei und sie drehte sich noch herum, zu dem Typen, der eindeutig ein flüchtiger Verbrecher war.

„Weg da! Aus dem Weg!“ schrie ihr jemand entgegen und sie wich nur knapp aus.

Da war er – total im Element. Da rannte er einfach an ihr vorbei, einem Verbrecher nach… Er sprang über eine Bank und hechtete hinter demjenigen her.

‚Tja, wohl nicht dein Tag…’ machte sie sich über den Verbrecher lustig, der nicht eindeutiger den Kürzeren ziehen könnte.

Die Frau, die zuvor noch geschrien hatte, man sollte den Dieb halten, sprintete nun ebenfalls durch die Straße dicht an der Blondine vorbei. Anders als die Polizistin hatte sie ihn schon bei einem solchen Einsatz gesehen, weshalb sie nun nicht hinterher rannte, weil sie der Meinung war, er bräuchte Hilfe. Er brauchte keine, definitiv…

Dieser Fall – er konnte ihn so sehr an, dass es für den jungen Mann wie gefundenes Fressen gewesen war, als er Miwako erblickt hatte, die einem Verbrecher nachjagte. Es hatte ihm so gut gefallen, dass er sich eingeklinkt hatte. Der Typ hatte einen ordentlichen Zacken drauf, kletterte sogar über den Zaun. Wie lachhaft…

Miwako war ihnen dicht auf den Fersen und sah noch diese Kletteraktion, ihn trennten nur wenige Meter von Iwamoto, der nun kaum lockerer über diesen Zaun springen konnte, mit der rechten Hand stützte er sich ab und schwang die Beine lässig drüber. Soe staunte nicht schlecht, vor allem dann nicht als er einen Hechtsprung machte, bei dem der Verbrecher zu Boden gerissen wurde. Er hielt ihn am Bein, was er dem Polizisten entziehen wollte. Als das nicht ganz funktionierte, drehte er sich herum und zückte ein Messer. „Ich mach ernst!“

„Ach wirklich? Soll ich ma’ ernst machen, Freundchen?“ erwiderte der Angesprochene völlig unbeeindruckt und griff zu seiner Waffe. Ihn zierte ein kühler Gesichtsausdruck, als er ihm seine Pistole gegen den Kopf drückte.

Sêiichî brauchte nichts weiter sagen, kein >lass das Messer fallen<, es fiel demjenigen nämlich schon allein vor Schreck runter.

„W-Was bist du denn für ein Verrückter?“

„Iwamoto!“ schrie Miwako. „Gott sei Dank, Sie haben…“ Die junge Frau stockte beim Anblick der Waffe, die dem Mann gegen den Kopf gedrückt wurde und auch nicht gleich wieder sank.

„Bitte, bitte… Ich wollte das doch gar nicht. Verschonen Sie mich, bitte.“ Anscheinend war Sêiichîs Gesichtsausdruck gefährlich genug geworden, um den Räuber in Angst und Schrecken zu versetzen, und dieser somit begann zu betteln… Kein Wunder, er nahm die Waffe ja nicht runter.

Sein Opfer begann regelrecht unter ihm zu Beben, der Typ konnte einem echt leidtun. „Mich haben schon schlimmere Gestalten bedroht! Merk dir eines: Wir BULLEN bekämpfen tagtäglich Schlimmeres als Straßenräuber! Keiner von uns würde wegen so was, wie dir, in Angst verfallen… nur falls du das dachtest… Das ist lächerlich…“

Chris hätte jetzt vermutlich gesagt… ja doch, sie hätte gesagt, dass das doch nicht Saperavi war. Dass er die Waffe gar nicht brauchte, um ihn lahmzulegen… Ähnliches dachte wohl auch Miwako, die jetzt neben ihm erschien und die Waffe runterdrückte. „Es reicht! Was glauben Sie, was Sie da machen, Iwamoto? Der stirbt ja gleich vor Angst.“

„Und? Schadet ihm nicht. Dann macht er es nicht wieder.“ Natürlich ließ er zu, dass die Frau seine Waffe runterdrückte, während ihr flüchtiger Verbrecher am Boden entlang nach hinten rutschte, weil er so große Angst vor dem 23-jährigen hatte.

Sie legte ihm Handschellen an und zog ihn vom Boden hoch. Sofort wurde der Mann ruhiger, auch wenn Miwako auch berüchtigt für ihre Einsätze war, so richtete sie ja keine Waffe auf ihn. „Ja, retten Sie mich nur vor dem Irren. Ich glaube er hat den Verstand verloren.“

In dem Moment wurde Sêiichî auch bewusst, dass er unheimlich übertrieben hatte. Er schluckte und hörte in seinem Kopf die tadelnde Stimme, die ihn immer wieder ermahnte…

Du hast wohl den Verstand verloren! Nimm sie runter! NIMM die Waffe runter, verdammt! Es klatschte, was allerdings nur in seinem Kopf stattfand. Irgendwann bringst du die falsche Person um! Was dann? Wer soll dich dann retten?!

Ähnliche Wutausbrüche hatte er vor einigen Jahren an einer Frau gesehen – das hatte ihm auch wenig gefallen und er hatte sie getadelt. Ebenso, wie sie ihn später. Damals hatte er all das nicht gutheißen können, und nun… Nun machte er selbst so etwas… Er war schockiert, so zutiefst schockiert von sich selbst, dass das alles, was er so manches Mal tat, nicht einmal gespielt war. So völlig anders zu ihr, welche die Irre gerne spielte, um anderen Menschen das Fürchten zu lehren, wenn sie es gerade nötig hatte. Das hier war völlig unnötig gewesen… Er war hier bei der Polizei, nicht dort, wo man sich vor jedem in Acht nehmen musste…

Miwako warf ihm noch einen vernichtenden Blick zu, er hatte das Gefühl, sie strafte ihn mit Verachtung.

„Was ist bitte in Sie gefahren? Das besprechen wir, wenn wir zurück im Büro sind!“

Genau, hier hatte diese Frau das Sagen – es war ihre Abteilung und sie sollte auch noch die Aufpasserin für ihn spielen… Er stöhnte einmal auf. Eigentlich mochte er ja solche Frauen, aber gerade ging es ihm schwer gegen den Strich, dass er sich so hatte gehen lassen.

„Ist ja gut, ist ja gut. Ich weiß selbst, dass ich übertrieben habe. Aber ich hätte nie geschossen…“

„Was glauben Sie eigentlich, wie schnell sich ein Schuss lösen kann? Außerdem war das meine Verfolgungsjagd! Haben Sie nichts Besseres zu tun, als mir meinen Verbrecher wegzuschnappen? Ist Ihnen der Fall, zu dem Sie gefahren sind, zu langweilig gewesen?“ Ihre Stimme war laut, jedoch schrie sie ihn nicht an.

Chris hatte ihn damals angeschrien – und als das nichts gebracht hatte, hatte sie ihm eine runtergehauen.

Es musste total merkwürdig rüberkommen, dass er nun grinste, was Miwako nur noch wütender machte. „Da gibt es nichts zu lachen! Und jetzt kümmern Sie sich um Ihre eigene Arbeit!“ fauchte sie ihn an und er hob beschwichtigend die Hände.

„Ja ja, schon klar! Sie haben mich nur gerade sehr an eine alte Kollegin erinnert. Die hat mich auch immer so angeschnauzt – manchmal ist sie richtig zur Furie geworden. Sie sind genauso unwiderstehlich, wie sie, wenn Sie wütend sind… Das amüsiert mich eben.“

„Offensichtlich hast du einen gehörigen Dachschaden, Iwamoto!“ sagte Miwako dem jungen Mann die Meinung. Unter Umständen, wäre er auf der Suche nach einer Frau, sie nicht vergeben und er hätte keine Freundin, hätte es ihn vielleicht verletzt und traurig gemacht, aber unter gegebenen Umständen konnte er belächeln, wenn Miwako ihn nicht sonderlich mochte. Es musste ihn ja nicht jeder so abgöttisch lieben…

Living a lie

 

Der Englischunterricht fand diesmal im Freien statt. Gerade in der Nähe des Tokyo-Towers gab es sehr viele englischsprachige Touristen – nicht nur das, auch jede Menge Ausländer. Die ausländische Population in Tokyo war besonders hoch, vor allem wegen der vielen Clubs in der Nähe. Gerade heute war das Wetter wunderschön und sie wollten einen Praxistest starten. Einige der Schüler waren viel zu schüchtern, als dass sie gewagt hätten, freiwillig ihre Englischkenntnisse an waschechten Ausländern zu testen.

Mittlerweile hatte sich zwar der Himmel zugezogen, aber da für den Nachmittag ohnehin Regen gemeldet war, hatte so ziemlich jeder einen Schirm bei sich. Das juckte die Gruppe wenig. Sie sprachen beinahe todesmutig jeden in der Gegend an, der auch nur im entferntesten nach Ausländer aussah. Meistens bewiesen die Mädchen mehr Mut, als die Jungs.

Sonoko hatte vor über einer Stunde eine Mail geschrieben, die Ran ignoriert hatte, da sie sich mitten im Unterricht – da noch im Klassenzimmer – befunden hatten. Mittlerweile hatte sie ihr Handy ausgepackt und machte auch ein paar Fotos von ihren Versuchen, mit fremden Menschen eine Konversation zu führen. Sie fragten so ziemlich jeden, ob sie ein Picture mit ihnen machen wollten. Gerade als es richtig dunkel wurde, rannte die kleine Gruppe, die ihren Lehrer regelrecht durch die Gegend zerrte, durch die Straßen.

„Come on! That’s the best place ever“, sagte eine der Schülerinnen, dabei war sie richtig dreist und zog den Grauhaarigen erbarmungslos mit sich. Sie waren schon einige Kilometer gelaufen und er machte langsam ein wenig schlapp.

 

Ryan Taylor (50) [Englischlehrer an der Teitan Oberschule]

 

„Okay, okay! I surrender! Show me your skills“, sagte er und warf den Jungs ein paar aufmunternde Blicke zu. „Boys, you can do it too.“

Masumi Sera griff sich einen der Jungs und schubste ihn vorwärts. „Hier, da! Das nächste Opfer! Los trau dich!“

„Hilfe! Nein! Ich will nicht!“

Doch die Kurzhaarige hatte mit dem Jungen noch weniger Erbarmen als mit ihrem Englischlehrer und gab ihm einen richtig kräftigen Schubs. Nun gesellte sich auch Ran zu der Oberschülerin und griff nach seinem Jacken-Ärmel. „Don’t be silly! We will help you!“ Sie hielt sich an die Regeln – so ziemlich als die einzige, hatte sie seit gut einer Stunde nur Englisch gesprochen und nicht einmal Japanisch.

„Let’s talk to that blond woman, come on!“ In Masumis Stimme war ein leicht schadenfroher Ton, weil der Junge sich so anstellte.

Besagte Person achtete gerade nicht auf den Weg, sie lief also direkt in die kleine Schulgruppe hinein.

„She looks familiar to our last English Teacher“, fiel einer Schwarzhaarigen auf und beobachtete die wunderschöne Frau einen Moment länger.

Tomoya sträubte sich die elegant gekleidete Blondine anzusprechen, das war ihm doch viel zu peinlich.

 

Tomoya Odagiri (17) [Schüler an der Teitan Oberschule, Klasse 2B]

 

„Spinnt ihr? Nein! Ich werde sie garantiert nicht ansprechen! Macht ihr das doch! Wisst ihr überhaupt wer das ist?“ Erst durch die Frage warf Ran ihr einen genaueren, prüfenderen Blick zu. „Oh… It’s her!“

„What do you mean?” fragte Masumi Ran, die nun auf das konsequente Englisch einstieg.

„Chris Vineyard! Don’t say, you never saw her before?“

Sie sahen einander an und der 17-jährige Junge begab sich leicht hinter sie. „Ich will sterben!“ sagte er und beide begannen zu lachen.

„Oh, diese Schauspielerin… Was macht die denn hier?“ wunderten sich zwei andere Mädchen.

„So! Whoever of you manage to get involved in a conversation with her for one minute, I’ll buy a piece of cake“, sagte der Lehrer, woraufhin alle leuchtende Augen bekamen, denn Kuchen war noch immer etwas Besonderes, was man nicht alltäglich bekam.

„Cool“, meinte eine von den Mädchen und stürmte regelrecht hin, gefolgt von einigen anderen. Ran und Masumi amüsierten sich darüber.

„Oh my – what should we ask her? She’s famous.” Sie ließen sich etwas mehr Zeit und stürmten nicht gleich hin wie die Irren. Wie wirkte das denn bitte?

Oh wie peinlich! Gott, die Jungs…! Würdest du auch so hinrennen, Shinichi?’ fragte sie sich und schüttelte den Kopf. Ganz gewiss würde er das nicht tun. Erstens wär ihm das peinlich und zweitens war er in Amerika genauso gechillt gewesen – kein Wunder, seine Mutter war ja auch berühmt, da härtete man ab.

 

Sie war wieder fixiert aufs Handy, was sie gerade in ihre Handtasche verstaute und dann den Kopf hob, da stand eine Horde Schulkinder vor ihr und sie wirkte doch ein bisschen überrascht. Vor allem, als eine von ihnen sie dann ansprach.

„Excuse me, Miss!“ machte diejenige den Anfang, die es als erstes geschafft hatte, an sie heranzukommen. „You are well known in my class. I am Yoshiko Narase. We welcome you to Japan. We came here for a……“, sie stockte, „for practise our english. Will you help me getting through the test? I beg you.”

Man konnte ein leicht beeindrucktes Gesicht bei der 29-jährigen ausmachen, die nicht schlecht staunte über so viel Konversation. Die meisten Menschen, die sie hier getroffen hatte, hatten nach dem ~Excuse me~ sofort gefragt, ob sie Japanisch konnte, um sofort auf ihre Muttersprache umzusteigen. Sie staunte nicht schlecht, weshalb sie die mutige junge Dame anlächelte. „Of course, I do you that favor.“ Sie nahm ihre Sonnenbrille von der Nase, da es sowieso keine Sonne mehr am Himmel gab und sie überflüssig wirkte – sie trug sie auch nur zur Tarnung. Aber die Klasse hatte sie sowieso umzingelt, da sah sonst keiner sie. „I am Chris Vineyard, nice to meet you.“

 

Chris Vineyard (29) [Hollywood-Schauspielerin]

Yoshiko Narase (17) [Schülerin an der Teitan Oberschule, Klasse 2B]
 

„Nice to meet you too!“ erwiderte die Schülerin glücklich darüber, dass die Frau doch so freundlich war und ihr helfen wollte. „I thank you very much!“ Sie sprudelte beinahe über vor Glück und strahlte sie an. „Do you like Japan?“

„Oh yes, I like it very much! I have very much fun here.”

„I am happy to hear… that… this??” Für einen Moment fühlte sie sich überfordert.

„Both is correct. Only a matter how you use it“, erklärte der Lehrer und nickte der Dame zu.

„Excuse our obtrusiveness“, entschuldigte sich der Amerikaner.

„No problem. I like talking to normal people.“ Sie lächelte. „I mean, other people than media.“

Yoshiko versuchte sich zu sammeln, denn eine Minute hatte sie noch nicht geschafft. „Do they hunt you very much?“

„I have a bit more peace in Japan, don’t worry.“

„Yes. I hear the reporters in America are very rude”, meinte Yoshiko zu ihren Klassenkameradinnen.

„Yes aweful!”

Nun schubste eine andere Schülerin Yoshiko zur Seite und drängelte sich vor, was gar nicht nach Japanern aussah, die machten so etwas normalerweise nicht.

„I saw your last movie in the cinema! What’s you favourite role?” fing sie an und eine weitere kämpfte sich nun auch vor. „My brother is a big fan of you! Can I have an autogram?“

„Oioioi – now you are overdoing it, ladies!“ meinte der Lehrer peinlich berührt über seine Schülerinnen, doch sie schienen gar nicht auf ihn hören zu wollen. Gerade waren sie richtig freaky…

Ach herrje, vielleicht sollte ich einen Fanclub in dieser Stadt aufmachen…’ Chris amüsierte sich köstlich über die sonst so wohlerzogenen Schüler, die immerzu brav waren.

Es war ein Bild, was sich nicht oft in Japan bot. Disziplinierte Schüler, die ganz vergaßen, was sich gehörte. Sie fragten wild durcheinander irgendwelche Sachen und vergaßen sogar die Höflichkeitsformen, was aber auch kein Wunder war – Amerikaner waren nicht sonderlich freundlich, sie duzten jeden und benutzten kaum Höflichkeitsfloskeln. Aber man merkte auch leider, dass sie jung waren und gerade sich doch einen Spaß daraus machten, einfach so zu dürfen… Ohne Konsequenzen, oder?

„You mean an autograph, not an autogram”, korrigierte Chris die Schülerin mit erhobenen Zeigefinger.

„Oh, yes…“ Sofort lief die Schülerin hochrot an und traute sich gar nicht mehr, noch eine Antwort zu verlangen.

„My favorite role…“, sie wirkte, als wenn sie wirklich nachdenken würde, ehe sie grinsend antwortete: „I think, I like spys the most.“

Ran beobachtete das Ganze nur aus sicherer Entfernung, hörte genau zu und sagte erst einmal nichts, außerdem war sie nicht so draufgängerisch, wie die anderen – das grenzte eher schon an Unverschämtheit – obwohl sie natürlich auch sehr forsch sein konnte. Gerade jetzt nicht, sie beließ es beim Beobachten.

„How about guys? Do you have a boyfriend?“ schoss nun aus Masumi heraus – jetzt auch noch sie, unglaublich.

„Oh, I was ask such a thing already today“, lachte die Blondine und blieb derjenigen eine Antwort schuldig. Sie war genauso geheimnisvoll und mysteriös, wie man ihr immer nachsagte…

„Really?!“ brüllte der schüchterne Junge nun regelrecht los, was sofort allen auffiel. „How could she not?!“

„Du bist ein seltendämlicher Baka“, meinte Ran und gab ihm einen Katzenkopf. „So etwas macht man doch nicht!“ Es war das erste Mal, dass sie japanisch sprach, sie wüsste nicht, wie sie sich sonst hätte ausdrücken können.

„You!“ Chris zeigte auf Ran.

„What? Me?“

„Do you have an question too?“ Sie stand so abseits und sagte gar nichts, das wunderte sie schon, dabei kräuselten sich ihre Augenbrauen leicht und sie lief zu der Schülerin hin, was den Jungen doch etwas erschrocken zurückweichen ließ, weil sie auch auf ihn zulief. So aus direkter Nähe diese Frau da zu haben, löste dann doch Unbehagen in ihm aus, so dass er sich noch mehr hinter den Mädels versteckte.

„Oh, I think, I am too shy to ask, what’s on my mind“, sagte Ran und wirkte dabei doch ein klein wenig verunsichert. Sie wusste wirklich nicht, ob sie solche Fragen stellen sollte… Vor allem, da alle zusahen. Sie senkte den Kopf. „It’s a very private question.“

„What could be more private than the boyfriend question?“ versuchte Chris das Mädchen zu lockern.

Tomoya war verwundert, dass Ran, die sonst nicht auf den Mund gefallen war, sich nun so anstellen sollte, außerdem hatten sie ihn zwingen wollen.

„Deine Frage kann kaum frecher sein als die der anderen“, seufzte er, „also stell dich mal nicht so an.“

„I am so curious.“ Chris konnte wirklich nicht an sich halten und fragte sich, was im Kopf dieses Mädchens vor sich ging. Welche schrecklichen Fragen stellte sie sich, die sie ihr nicht stellen konnte?

„Well, all right“, gab sich Ran geschlagen und sah auf, direkt in die hellblauen Augen der Frau. „Do you miss your mom?“ Die Frage kam ruhig, aber doch ein wenig leise über die Lippen der 17-jährigen.

Keiner verstand dieses Mädchen, verstand nicht, wieso sie so eine belanglose Frage stellte. Was sie dazu bewegte, aber es schien ihr wichtig zu sein, denn ihre Augen funkelten traurig.

„Ran-chan… Daijoubu?“ fragte jetzt Masumi bestürzt, denn Ran wirkte, als wolle sie im nächsten Moment anfangen zu weinen.

Chris war verstummt. Sie konnte im ersten Moment überhaupt nicht antworten, weil die Frage sie so von den Socken haute. Was wunderte sie das eigentlich? Aber es war eine so süße Frage und so typisch für die Schülerin, dass sie sie groß anschaute und dann doch einen Moment schluckte. Nicht zu antworten wäre gemein gewesen. Sie hatte nie gemein zu ihr sein wollen, nicht das kleinste bisschen. Einmal Luft holend, seufzte sie. „Let’s say… Everyone is missing her, or not?“ Was war das für eine merkwürdige Antwort? Sie verstand sich selbst nicht, wieso sie diese Frage so umschiffte. Weil es sich so schlecht anfühlte, zu lügen.

„Everyone… But everyone would include you too.“ Warum konnte diese Frau nicht einfach ja sagen? Es zugeben? Sensibel sein? Anders als Sharon ihnen erzählt hatte?

Es war etwas Widerspenstiges in Rans Gesicht.

„I am not that important for this women.” Mit den Worten hatte Chris sich herumgedreht. Sie war geübt im Lügen – das tat sie fast täglich. Aber gerade ging das nicht.

„Don’t turn your back on me“, sagte Ran und setzte sich in Bewegung, wenig später griff sie das Handgelenk der Blonden und versetzte ihre Klassenkameraden nicht nur in Erstaunen, sondern auch ein wenig in Entsetzen. Etwas ganz merkwürdiges ging da vor und keiner konnte und wollte es verstehen. „Just tell me the truth!“ Ran hatte wohl mächtig etwas dagegen, angelogen zu werden – tat Shinichi schließlich oft genug. „Why you can’t just say, you loved her and that you miss her?”

„Is it this crucial to you?” Die Stimme der 29-jährigen klang ruhig, wurde aber begleitet von einem leichten Seufzen. Was für ein beschissener Moment!

„I just… It’s hard to hear the bad news that you two were not getting along very well. That you didn’t saw each other for more than ten years. It’s hard. If my mother would…”

Die Schauspielerin griff sich an den Kopf und seufzte erneut. „Oh, my old woman overdid it sometimes. You don’t have to give her words too many points. She was an old lady that could not open her heart very much. She has a very special place in your heart, right? That’s much more important, than if I miss her or not. For her it would be more important.” Ihre Hand hatte sich auf Rans Schulter gelegt, denn sie sah wirklich sehr verletzt und traurig aus, das gefiel ihr nicht.

Mit den Worten hatte Chris einen Stein ins Rollen gebracht. Rans Mund verzog sich leicht und dann schluchzte sie auf. Sie hatte sich ihrer Tränen noch nie geschämt, auch nicht vor der gesamten Klasse, aber gerade hätte sie es nicht einmal zurückhalten können, wenn sie gewollt hätte.

Ein Schweißtropfen lief der Blondine über die Wange und sie fragte sich wirklich, welche schrecklichen Dinge sie nun schon wieder getan hatte, um das hier zu verdienen…

Die Schüler schauten nicht nur wegen der verwirrenden Szene zwischen den Beiden verwirrt drein, auch weil sie eins der Worte nicht kannten.

„Ey, Masumi“, meinte Tomoya, der sowieso typisch Junge nicht so sensibel war und deswegen auch weniger Hemmungen hatte ausgerechnet jetzt eine Frage zu stellen. „Was heißt crucial eigentlich?“

„Ach, das ist ein Wort, was eine sehr hohe Wichtigkeit beschreibt. So etwas wie ganz besonders ~important~.“

„Achso? Und warum heult Ran jetzt?”

„Unsensibler Klotz!“ Mit den Worten bekam Tomoya von Masumi die Faust auf den Kopf zu spüren. So etwas Beklopptes konnte doch nur ein Kerl fragen. Es war doch offensichtlich, dass Ran Chris Mutter gemocht hatte – deswegen weinte sie jetzt, weshalb denn sonst?

Chris konnte das nicht mit ansehen. Sonst war sie doch auch nicht so sensibel, aber Ran war keine Person, wo sie Tränen allzu gut wegsteckte. Deswegen griff sie in ihre Handtasche und nahm ihr Taschentuch zur Hand. Mit diesem wischte sie ihr vorsichtig die Tränen weg.

„Sweety, don’t cry. It would break her heart.” Ihre Worte waren absolut ehrlich, sie war ja geschockt von sich selbst, wie ehrlich sie war. Sie war sich der Gefahr bewusst, immerhin hatte sie ihre Mutter ja solange nicht gesehen und konnte das gar nicht wissen. Aber gerade kümmerte sie das überhaupt nicht. Sie wollte nur nicht, dass Ran nun richtig anfing zu weinen. Dass sie sensibel war, wusste sie ja, aber trotzdem musste das nicht sein.

„I’m a crybaby, I know”, sagte das Mädchen, unfähig die Tränen zurückzuhalten, die jetzt aus ihren Augen zu kullern begannen. Einen kräftigen Atemzug später, schlossen sich Arme um das Mädchen und drückten sie gegen einen Körper. Ran öffnete die Augen und fand sich in einer Umarmung mit dieser Schauspielerin wieder, was sie verblüffte, aber jetzt auch wirklich tröstete. Zögerlich legten sich auch ihre Arme um die 29-jährige und nahmen die Trostspende an, dankbar sogar. Es war schön, vor allem war es schön, zu erfahren, dass diese Person gar nicht so schlecht sein konnte, wie man von ihr behauptete. Immerhin tröstete sie sie ja, oder?

Nie hätte sie für möglich gehalten, dass so etwas wie gerade mal wirklich passieren würde. Sie waren beide emotional – sogar sie kannte Momente, wo dies auch ihr passierte, daher fand sie nicht schön, dass Ran sich eine Heulsuse nannte. Ihre starken Gefühle gegenüber diesem Mädchen hatten sie übermannt – zum wiederholten Mal brachte sie ihre Mauer zum Einsturz. Gerade heute musste sie sich eingestehen, verdammt sensibel zu sein – ach, sie hasste es. Aber nun diesem Mädchen die Kühle vorspielen, das wäre selbst für ihre Verhältnisse verdammt gemein gewesen. So oft hatte man sie fies und gemein genannt – sogar Sêiichî. Ach, wenn der sie jetzt gesehen hätte, würde er tagelang behaupten, dass er es ja immer gewusst hatte… Der Kerl erinnerte sie gern daran, dass er an ihr gutes herz glaubte, was ihr manchmal gegen den Strich ging, da sie sich die eigenen Schwächen nur sehr ungern ließ. Sie hatte vor langer Zeit versucht, diese auszumerzen, um ein neuer Mensch zu werden. Trotzdem gab es Menschen, die ihr dieses Spiel nicht abkauften und es belächelten.

Der Lehrer wendete sich an seine Schüler. „Ach, wisst ihr was? Ihr wart so toll, dass ich euch allen einen Kuchen spendiere. Okay? Kommt!”

„Und Ran?” wollte eine Klassenkameradin wissen, woraufhin er den Kopf schüttelte. „Die lassen wir einen Moment in Ruhe. Sie ist ja in besten Händen.“ Da er in Masumi eine gute Freundin von Ran vermutete, lächelte er ihr zu. „Du kannst sie ja dann zu uns bringen. Wir lassen uns im Poirot nieder.“

„Ist gut“, meinte Masumi mit einem Lächeln. Sie fand nicht schlimm, dass Ran weinte und verteufelte sie nicht. Sie war ein gutes Mädchen, was Shinichi wirklich verdiente…

Oh, this man have no clue. In besten Händen… Guter Witz… Wenn uns jemand sieht… Vor allem, wenn jemand mich so sieht… Ich denke besser nicht darüber nach. Jedenfalls würde das sehr hässlich enden… Für wen auch immer…’ Alles im Leben hatte Konsequenzen und sie glaubte ja wirklich nicht an Gott, aber wenn es einen verdammten Gott gab, dann sollte er verdammt noch mal gut auf seine Engel aufpassen. Wenn er ihr schon einen seiner Engel schickte, um sie zu retten, dann durfte er keinesfalls zulassen, dass einem von ihnen deswegen etwas zustieß. Sie glaubte, dass sie dann endgültig den Verstand verlieren würde.

Man hörte das leise Schniefen von Ran, so dass Masumi ihr einen besorgten Blick schenkte, aber sie stellte fest, dass sie sich schon wieder ein bisschen beruhigt hatte. Die Oberschülerin drückte sich ein wenig weg von der 29-jährigen, dabei brachte sie aber nicht sonderlich viel Abstand zwischen sie, nur ein kleines bisschen. Sie wischte sich über die Augen. „Miss her very much…“, kam von ihr stockend, aber sie konnte nichts dagegen tun, dass diese Traurigkeit gerade jetzt aus ihr herausbrach. „... I met her only once.“

Gerade drehte sich alles in ihr um und sie überlegte fieberhaft, welche Worte sie verwenden sollte, um es für das arme Kind besser zu machen. Innerlich verfluchte sie sich selbst. Dass ihr Leben nicht anders verlaufen war. So dass sie ihr begegnen konnte, ohne dass das ein böses Nachspiel haben konnte. Ja, sie hatte Angst – etwas, was sie sehr selten verspürte.

„She never left you…“, kam fast gehaucht von der Blonden. Worte, die sie sofort wieder bereute und am liebsten revidiert hätte. Am Ende war das allerdings genau das, was Ran hören wollte. Oder etwa nicht?

„People go on living in our hearts. So keep the memory save in your heart, my dear. Then she will never leave you.”

Masumi beobachtete die junge Frau, die ganz sanft mit Ran sprach. Diese Person – ihre Mutter – die musste mal wirklich wichtig für Shinichis Freundin gewesen sein, wenn sie das Ganze so emotional mitriss, dass die Andere versuchte ihr Trost zu spenden. Aber es stimmte… Menschen lebten weiter, in ihren Gedanken, in ihrem Herzen. Die 17-jährige verstand sich selbst nicht, denn nun stand sie hier und die Tränen wollten auch aus ihren Augen entweichen. Sie konnte Ran so gut verstehen. Jemand, der einem so wichtig war zu verlieren, war immer furchtbar.

Ran versucht sich jetzt zusammenzureißen. Was Chris ihr sagte, klang im ersten Moment sehr merkwürdig, denn es veranlasste sie dazu, ihr tief in die Augen zu sehen. Da war nichts Boshaftes in ihr, nicht das Geringste in diesem Moment. „You are so kind, telling me such thing. I really thank you.“ Das Mädchen bemühte sich um ein Lächeln und nickte dann. „The last time I missed to take a photo… If I would have known…” Sie machte den Anschein gleich noch einmal anzufangen zu weinen, jedenfalls standen die Tränen erneut in ihren Augen. „This time I will not miss my chance…“ Die Dunkelhaarige griff noch einmal nach Chris' Arm und hielt sie fest, nahezu so, als wollte sie diese nie mehr gehen lassen.

„What do you mean by that?“ Einen Moment lang setzte der Herzschlag der 29-jährigen aus. Sie hatte das Gefühl, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte. Als wenn sie es bemerkt hatte. Was sah sie ihr auch so direkt in die Augen? Das klappte bei Sêiichî auch nie… Sie merkte schon, dass man sich an ihren Arm klammerte und sie überlegte, wie sie der Situation jetzt entfliehen konnte, in die sie sich selbst durch ihre Schusseligkeit hineinmanövriert hatte. Aufs Handy gestarrt hatte sie, wie eine Besessene, nur weil dieser Baka nicht antwortete… Nur deswegen war sie in die Schulgruppe hineingelaufen.

„What I mean? That I will create an important memory together with you!” Fest entschlossen wirkte das Mädchen. „You won’t reject me, if I say, I want a photo, where we two be together, or not?”

Oh my fucking god! Die brachte sie noch einmal um die Ecke. Das ging zu weit, sie wusste es ganz genau. Aber es gab viele berühmte Leute, die bei einer so herzerweichenden Bitte kaum nein sagen konnten.

„I don’t want to see you crying again“, seufzte sie und lächelte. „Lets do it!”

Ran wirkte überglücklich mit ihrem Lächeln und wischte sich schnell die restlichen Tränen aus dem Gesicht. „Masumi-chan? Willst du auch auf das Foto?“

„Öh?!“ Verwundert sah sie ihre Freundin an und fand ja eigentlich nicht, dass sie auf so ein Bild gehörte…

„Oh, nein, besser nicht“, winkte sie ab. „But I can take the pic!“ Ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, so dass sie wenig später ihr Handy herauskramte. „Take your position!“

Chris legte ihre Hand auf Rans Schulter und zog sie ein kleines bisschen dichter zu sich heran.

„Oh, very, very good… And no cheeeeeeeeeeese!“

Beide begannen augenblicklich zu lächeln und Ran, die ein kleines bisschen vor der Blondine stand, machte das Victory-Zeichen, während sie in die Handykamera strahlte. Masumi machte nicht nur ein Bild von beiden – sie sahen absolut süß zusammen aus. So wie… Ja doch, wie Geschwister – so etwas in der Art. Oder sollte sie sagen… Wie Mutter und Tochter? Nein, das ging zu weit. Aber die junge Frau wirkte sehr, als würden ihre Gefühle in Richtung einer Mutter für das Mädchen gehen. Das war schon spuky. Es wunderte sie jedoch nicht. Die wenigsten mochten Ran nicht, die grub sich einfach in jedes Herz, sogar in ihres.

Masumi sah sich ihre Werke an und grinste zufrieden. „Ihr seht herzallerliebst zusammen aus! Ich schick sie dir rüber, Ran-chan!“

„Can I see them?“ fragte die Blondine und Masumi hielt der Schauspielerin ihr Handy unter die Nase.

Es war erschreckend – so zu sehen, wie glücklich sie beide aussahen. Ihr gefiel, was sie sah, auch wenn es bloß Bilder waren, sie strahlten große Emotionen aus. „Schön. Aber fortan will ich dich nicht mehr weinen sehen, Angel.“

Verwundert über das gute Japanisch sah Masumi die Blondine an und wunderte sich schon ein bisschen. „Ich pass auf, dass sie nicht wieder heult!“ Masumi legte den Arm um Ran und grinste so breit, dass ihre süßen Vampir-Zähnchen hervorstachen. „Versprochen.“

„We are happy, to have met you. We are really lucky”, meinte Masumi jetzt und beide verbeugten sich ein bisschen. Typische japanische Art und Weise der Dankbarkeit.

„You’re welcome.“

„Take good care of yourself. The world can be dangerous”, sagte Masumi und Ran blickte zu ihr – sie sagte exakt, was sie auch dachte.

„Oh, don’t worry about me. Bad weeds grow tall!” kam von der Blonden mit einem Lachen, mit welchem sie einfach nur einen lockeren Spruch reißen wollte.

„The same goes for you! Try to be home, when it’s dark. Don’t run around in the darkness alone, right?”

„Oh, don’t worry, Chris!” Ran nahm Karatestellung ein. „I can defend myself!”

„I see…” Die Schauspielerin wollte es jedoch nicht darauf belassen. „Even if you can. Try to don’t get into risky situations. Do me that favor.”

„We are big girls. Nothing will happen to us. Ne?” Sie lächelten beide und die Blonde musste das so hinnehmen, auch wenn es ihr nicht gefiel, wie sie das Ganze beschwichtigen. Sie würde ihn noch einmal darum bitten, ganz besonders gut aufzupassen. Das stand fest.

„I will go now. Greets to your friends, you two. Goodbye.”

„Bye bye!” Beide winkten wie wild und strahlten übers gesamte Gesicht, ehe sich die Blondine zum Gehen abwendete und dann davon lief.

Während sie davonging, erlosch das Lächeln in Rans Gesicht und es spiegelte sich echte Sorge in ihrem Gesicht wider. „Be careful…“, flüsterte sie, dabei hatte sie das Gefühl von einem Déjà-vu. So etwas hatte sie schon einmal gespürt… Damals… Aus irgendeinem Grund machte sie sich Sorgen. Konnte sich das aber nicht direkt erklären…

„Abgefahren“, sagte Masumi noch, hatte aber Rans Worte durchaus vernommen.

„Alles gut bei dir?“

Erschrocken blickte die Schülerin zu ihrer Freundin. „Klar, alles gut. Ich habe diesmal alles richtig gemacht!“ Beide machten sich auf den Weg zu ihrer Klasse, die bereits losgegangen war. „Schade, dass sie nicht mit ins Poirot gegangen ist, oder? Eine furchtbar nette Person.“

Masumi nickte und schaute sich noch einmal nach hinten um…

„Irgendwie ganz anders als die Leute immerzu von ihr sagen. Schon merkwürdig.“

 

Chris seufzte mehrmals langgezogen. „Was habe ich da getrieben bitte? Hab ich sie eigentlich noch alle?“ Aber als sie so darüber nachdachte, musste sie irgendwie anfangen zu lachen. „Das sind ja ganz schöne Früchtchen. Ich wünschte, dass ich solche Kinder hätte, die eine solche Unbeschwertheit an den Tag legen könnten.“

 

Miwako nahm Sêiichî unterdessen in die Mangel. Sie schimpfte furchtbar über sein Verhalten und versuchte ihm ins Gewissen zu reden. Er stand einfach nur da, ließ mit dem Zeigefinger auf sich zeigen und sich anmaulen. Er wusste ja selbst, dass es nicht richtig gewesen war, also ließ er die Schande über sich ergehen. Sie war ja so gesehen seine Chefin und es wäre gelogen, dass es das erste Mal war, dass er von einer Frau rund gemacht wurde. Weiß Gott schlimmeres hatte er mit Frauen erlebt, als dass sie ihn anschnauzten und wie ein kleines Kind behandelten. Er hatte eine Neigung zu merkwürdigen Frauenzimmern… Unter anderem Frauen, die auch mal austeilten… Miwako war definitiv ein toughes Weibchen, das ihren Mann stehen konnte – das machte sie seiner Liebsten sehr ähnlich. Dann waren da Frauen, die nicht scheuten auch einmal auf ihn einzuprügeln, wenn es ihnen reichte – da war die Polizistin also mehr als erträglich.

Gerade erinnerte er sich daran, wie eine von denen ihm mal auf dem Nachhauseweg aufgelauert hatte, um ihn zur Rede zu stellen. Und als seine Antwort ihr nicht genügte, hatte sie zugeschlagen. Nicht nur einmal. Was machte ihm da das Gemaule?

„Haben Sie das jetzt verstanden? So etwas will ich nie mehr sehen.“

„Ja, habe ich.“

„Was geht nur in Ihrem Kopf vor sich?“

Tja – das wusste wohl keiner so genau. Sêiichî konnte es dieser Frau nicht erklären. Sie würde nie verstehen, weshalb er manchmal so drastisch war. Wataru, der auf der Suche nach Sêiichî gewesen war – ja sogar mehrmals angerufen hatte er ihn – aber er war nicht dran gegangen – lief eigentlich eher zufällig den Beiden über den Weg. Sie waren nicht weit entfernt vom Tatort gewesen, da Sêiichî ja eigentlich die Anwohner befragen wollte. Als er Miwako erblickte, beschleunigte er und gelangte schließlich bei ihnen an. Sie standen vor Miwakos Auto und in diesem saß der Verbrecher in Handschellen. Kurz sah er ins Innere und bemerkte dann die Ernsthaftigkeit der beiden Personen.

„Was ist denn hier los?“ Vor allem Sêiichîs gesenktes Haupt war ihm aufgefallen…

„Oh, du bist es, Wataru“, erkannte Miwako und lächelte jetzt – bisher hatte sie todernst ausgesehen.

„Was hat der da drinnen verbrochen?“

„Ein schlichter Dieb.“ Die Kriminalistin stemmte die Hände in die Hüften.

„Und warum steht ihr hier so? Solltest du den nicht ins Präsidium mitnehmen?“

„Ich hatte ein Hühnchen mit ihm hier zu rupfen.“ Die Dunkelhaarige deutete auf Sêiichî, der aussah wie ein gerügtes Kind.

„Was hat er angestellt?“ wollte der Braunhaarige sofort wissen, weil er eben von Natur aus neugierig war.

„Weil er seine Waffe eingesetzt hat, wo es unnötig war. Das kann ich ihm nicht durchgehen lassen.“

Ein schweres Seufzen entkam Wataru, während er sich durchs Gesicht fuhr. „Sei nicht so hart mit ihm. Wahrscheinlich hat er die Gefahr zu hoch eingeschätzt. Sêi-chan hatte es schon oft mit üblen Verbrechern zu tun, Miwako“, versuchte er seinen Kollegen zu verteidigen.

„Schon gut… Du musst meine Handlungen nicht rechtfertigen. Obwohl es natürlich nett von dir ist.“ Sêiichî drehte sich herum und lehnte sich an Miwakos Auto, dabei seufzte er jetzt selbst. „Er war wirklich nicht gefährlich… Ich wollte ihn etwas erschrecken, damit er nie wieder jemanden mit einem Messer bedroht.“

„Mit einem Messer? Na, so harmlos war der dann wohl doch nicht, oder?“ Ein mürrischer Blick fiel ins Auto – also leid tat es ihm bestimmt nicht, wenn jemand ein Messer auf ihn gerichtet hatte.

„Er hat die Waffe an den Kopf des Typen gehalten. Das ist ein bisschen zu krass, findest du nicht?“

Dazu konnte Wataru wenig sagen – es klang nicht schön, nein. „Hast du ihn gefragt, wieso er so was getan hat? Vielleicht solltest du das?“

„Ach – und du möchtest meine Methoden in Frage stellen?“

Sêiichî drehte sich zu ihnen, denn sie schienen gerade in Streitlaune geraten. „Leute – nicht doch! Ist schon okay. Sie hatte Recht.”

„Ich will, dass sie wenigstens nachfragt, warum du so was machst. Sie kennt dich ja nicht so wie ich dich kenne.“

„Was soll das denn bitte heißen? Macht er so etwas etwa öfter?“ Bestürzt klang die junge Frau und warf Sêiichî einen scharfen Blick zu, den er mit einem leicht verstimmten Blick erwiderte.

„Ich lege solche Methoden öfter an den Tag, das stimmt wohl. Meine Kollegen in Osaka waren auch nicht ohne, da geht es heiß her. Vielleicht mache ich das deswegen…“

„Oh, dann gewöhnen Sie sich so was aber bitte schnell ab! So was dulde ich nicht, verstanden?“ Sie fauchte ihn richtig an und Wataru fand es einfach nicht gut, dass sie ihn so anfauchte, ohne seine Geschichte zu kennen.

„Lass gut sein, Wataru“, meinte der Schwarzhaarige mit bittendem Blick, denn er hatte nicht das Gefühl, es würde seine Lage verbessern.

„Ich finde gut, dass er sich nicht scheut seine Waffe zu benutzen. Solange er nicht willkürlich auf jemanden schießt… Oder etwa nicht? Ich will nicht, dass du ihn so anmaulst, nur weil du was falsch verstehst. Vielleicht ist er manchmal komisch, aber er würde nie abdrücken ohne triftigen Grund!“ Ihr Verlobter war heute ganz schön beharrlich, das kannte sie so an ihm nicht wirklich, weshalb es sie verwunderte, dass dieses Verhalten ausgerechnet bei Iwamoto sichtbar wurde.

„Was soll der Blödsinn? So etwas kann er woanders machen, aber nicht bei mir! Megure bat mich darum, dass ich ein Auge auf ihn habe. Ich versuche meine Aufgabe sinngemäß zu erfüllen. Solange er mir untersteht, werde ich ihn so behandeln, wenn er etwas tut, was mir missfällt. Ob es dir passt, oder nicht, nur weil er dein Freund ist.“

„Ja, mein Freund. Er ist mein Freund, der mir mal durch seine verrückte Art das Leben gerettet hat. DESWEGEN! Hätte ich damals nur halb so viel Mumm gehabt, wie er…“  Der junge Mann knabberte wohl immer noch daran, was Sêiichî jetzt endlich kapierte, nachdem Wataru es gesagt hatte.

„Hey, das ist lang her… Du willst dich ja nicht immer noch schlecht deswegen fühlen, oder? Mir ist ja nichts Schlimmes passiert…“ Sêiichî griff Watarus Schultern und sah ihm eindringlich ins Gesicht. Er wollte nicht, dass er wegen so etwas ein schlechtes Gewissen hatte. „Bedenke nur, wer das gewesen ist. Da ist es doch nur natürlich, dass man sich scheut.“

„Heute würde ich abdrücken.“

Miwako schaute zwischen beiden hin und her.

„Nur über meine Leiche würde der noch mal einen Freund von mir niederschießen. Dem würde ich es geben.“ Der Kriminalist war davon überzeugt, dass es diesmal anders verlaufen würde.

„Sag nicht so was… Will ich nicht erleben. Eine Situation, so wie damals…”

Miwako wunderte sich schon sehr darüber, was die Beiden sprachen. „Was für eine schreckliche Person ist das, dass du auf denjenigen schießen würdest?“ Ein bisschen fürchtete sich die Frau vor der Antwort, aber sie kam nicht umhin diese Frage zu stellen, weil es sie sonst beschäftigen würde. „Was ist denn damals vorgefallen?“

Wataru blickte zu Boden, wobei ein äußerst ärgerlicher Blick seine Miene zierte. „Ein schrecklicher Mensch, der sowohl die Polizei, als auch Frauen verachtet, Miwako. Er würde uns alle ohne mit der Wimper zu zucken über den Haufen schießen, dabei würde er wahrscheinlich noch anfangen zu lachen. Diese Person verdient nicht, dass man sie verschont. Er wollte eigentlich damals mich treffen, aber getroffen hat es dann ihn… Weil ich mich ja scheuen musste, meine Waffe zu ziehen.“

„Du warst 20 – Polizeischüler – und vorsichtig in dem, was du getan hast. Keiner sieht gern, wenn Polizeischüler einfach so eine Waffe benutzen und jemanden vielleicht noch schwer verletzen.“

„Mag sein. Aber jetzt – sollte er jemals der Meinung sein, unseren Weg erneut zu kreuzen, bin ich darauf vorbereitet und er wird einen würdigen Gegner antreffen. Einen, dem er keine Angst mehr einjagt.“ Mit einem Seitenblick schenkte er Sêiichî ein Lächeln. „Diesmal würde ich dich beschützen.“

„Unfug. Das musst du nicht. Mittlerweile würde ich schneller meine Waffe ziehen und ihn entwaffnen. Außerdem möchte ich nicht sehen, wie du auf ihn schießt.“ Ihm lief ein Schweißtropfen über die Schläfe. Wenn Wataru ihm alleine gegenüberstehen würde, dann war es okay. Aber auch nur dann. Allerdings sollte er nicht auf ihn schießen, wenn er es verhindern konnte.

„Was redet ihr da? Wieso soll Wataru nicht auf einen Verbrecher schießen? Wenn der so gefährlich ist, dass er eine Lebensgefahr für andere darstellt? Dann muss er das sogar. Du bist echt ein komischer Kerl, Iwamoto!“

„Weil er sein Vater ist“, murmelte der Angesprochene und damit schockierte er nicht nur Wataru, sondern auch Miwako.

„Wir müssen gehen, Sêiichî“, sagte er, nahm seinen Freund am Handgelenk und zog ihn mit. „Tut mir Leid, Miwako, wir haben zu tun. Ich nehme ihn mit…“ Daraufhin ließen sie die schockierte Frau stehen. Sie fasste es nicht, dass er jetzt wegrannte. Was war das denn bitte für ein Verhalten? Schämte er sich? Hatte er das vor ihr verheimlichen wollen?

 

Zornig lief Wataru neben Sêiichî her. „Was sollte der Scheiß denn? Du kannst ihr das doch nicht einfach so sagen, man!“ ärgerte er sich, aber es war passiert und man konnte es nicht rückgängig machen.

„Vielleicht fand ich es ja doof, dass du dieser Frau das vorenthältst… Ich dachte nicht, dass es allzu furchtbar wäre, wenn sie es weiß! Es ist doch hirnrissig. Diese Frau verkraftet das schon“, meinte er, was Wataru nur wütender machte, aber er ließ es nicht an ihm aus, man sah nur an seinen Gesichtszügen, wie sehr ihn ärgerte, dass Miwako nun so etwas wusste.

„Was regt dich so auf an der Sache? Kannst du mir das vielleicht begreiflich machen?“

„Ich will nicht, dass sie meinen Vater kennt! Nichts von ihm! Er existiert nicht!“ Damit fauchte Wataru ihn nun doch an, aber Sêiichî war ja keiner, der das nicht verkraftete. „Ich wollte sie davor verschonen… Mir wäre lieber gewesen, sie hätte es nie erfahren. Dass mein Vater verschwunden und nie mehr aufgekreuzt ist, klingt besser, als dass er ein Verbrecher ist. Ein unwürdiges Etwas, was sich an Schwachen vergreift. Bestimmt wird sie nun Details wissen wollen. Arg!“ Der Kriminalist fürchtete sich ganz besonders davor, dass sie erfuhr, welche Verbrechen dieser Mann begangen hatte. Nicht, dass er ein Verbrecher war, war schlimm, sondern seine Taten. Außerdem stammte er von ihm ab – davon wollte er nie etwas hören… So lange Zeit hatte er verdrängt, dass sein Vater Menschen qualvoll tötete und ihnen andere Grausamkeiten antat, die kein Mensch sich anmaßen sollte…

„Der Person, die man liebt, sollte man so etwas aber nicht vorenthalten“, meinte der Schwarzhaarige ein wenig trotzig. „Du leidest noch heute darunter, das weiß ich. Weil du ihn nicht verstehen kannst. Du brauchst jemanden, mit dem du dieses Leid teilen kannst. Wieso nicht mit der Frau, die du liebst!? Welche Person wäre besser geeignet als sie? Du kannst das nicht immerzu in dich hineinfressen und keinen an dich ranlassen. Es ist falsch.“

Sêiichî verstand, was in Wataru vorging – er konnte ihn wie kaum ein anderer verstehen, seine Gefühle nachvollziehen. In seiner Verwandtschaft gab es ja schließlich auch so einen Kandidaten, den er verabscheute…  

„Ich verstehe dich ja, aber Miwako wirkt nicht so zerbrechlich, dass man ihr so etwas nicht antun kann! Du solltest dir überlegen, mit ihr dieses Thema noch mal aufzugreifen. Und dann lässt du dich gefälligst von ihr in die Arme nehmen, Mensch! Glaub mir, sie wird genau das tun…“

„Ach – und du erzählst deiner Freundin von deinem Bruder, der Frauen vergewaltigt? Im Ernst, Sêiichî?!“

„Tja – ich habe mir eine Frau gesucht, die das verkraften kann. Und ja, tue ich. Beziehungsweise, habe ich. Sie weiß von ihm… Und eines sage ich dir, bei ihr hätte er keinen Erfolg. Die würde den Kerl auseinandernehmen, wenn er das bei ihr probiert.“

„Solange sie nicht dich auseinandernimmt“, meinte Wataru jetzt ein wenig beruhigter. Obwohl er ihm böse war, dass er so voreilig dieses Thema angeschnitten hatte, verstand er auch, was er meinte. „Ich werde wohl mit ihr reden müssen. Sie wird es nicht dabei belassen. Nun will sie alles wissen. So ein Mensch ist Miwako.“

Etwas Ähnliches hatte Sêiichî sich gedacht, immerhin war diese Frau eine toughe Polizistin. „Versuche bloß nicht, ihr etwas zu verheimlichen. Das macht sie am Ende nur sauer. Es wäre auch besser, wenn du nicht darauf wartest, bis sie es anspricht. Glaub mir einfach, es kommt besser, wenn du sie zuerst darauf ansprichst, um ihr Antworten zu geben. Frauen mögen es nicht, wenn sie Antworten hinterher rennen.“

„Wir beide haben viele Geheimnisse, nicht wahr, Sêiichî?“ seufzte Wataru und blickte bekümmert drein. „Was würdest du tun, wenn ich deine Geheimnisse ihr verrate? Das würdest du auch nicht toll finden, oder? Natürlich sind deine Geheimnisse bei mir sicher. Denn deine sind verhängnisvoller als meine.“

Der Schwarzhaarige blickte zu Boden. „Takeshi Akaja weiß es… So viel Schlimmes könnte mir nicht passieren. Miwako würde wahrscheinlich ablehnen mit mir zu arbeiten, das würde sehr viel Stress machen…“

„Keine Sorge, ich weiß, dass sie es nicht verstehen könnte, irgendwie...“

„Glaub mir – manchmal verstehe ich es auch nicht.“ Es war in seiner Lächerlichkeit kaum zu überbieten, denn manchmal fragte er sich wirklich, was ihn vor knapp sechs Jahren eigentlich gebissen hatte – wahrscheinlich war’s der jugendliche Leichtsinn gewesen. So genau konnte er das jetzt nicht mehr sagen. Aber was passiert war, das war eben passiert – keiner konnte es rückgängig machen. Damals hatte er so vieles einfach angenommen, was sich am Ende als falsch erwiesen hatte. Trotzdem gab es Dinge in seinem Leben, die andere wiederum auch nicht nachvollziehen könnten. Sachen, wo er sagen würde, dass er sie nicht bereuen konnte, obwohl sie schlimmer Natur waren…

„Dein Handy gibt Töne von sich“, meinte Wataru jetzt, so dass Sêiichî nun doch einen Blick riskierte. Er sah aufs Display und seufzte dann. „Oh man – ich war beschäftigt.“ Er blieb stehen, denn im Laufen tippte es sich nicht so gut.

~Ich war beschäftigt, sorry. Dienstschluss erst um 22 Uhr. Wenn du nichts vorhast, kannst du mir ja den Feierabend versüßen, Darling.~

Wataru hatte beiläufig einen Blick auf das Handy seines Freundes werfen können. „So so, Liebesschnulz gibt’s also auch in deinem Leben.“ Das wunderte ihn jetzt schon, weshalb er ihn einfach damit necken musste. „Habe ich dir gar nicht zugetraut.“

„Oh – uns beiden muss man alles zutrauen.“ Der Schwarzhaarige lachte auf, wobei das Lachen doch etwas spöttisch klang. „Keine Ahnung, was im hübschen Köpfchen dieser Frau wieder vor sich geht. Vielleicht denkt die, ich faulenze im Büro oder so.“ Sêiichî wusste ja nicht, dass sie ihn gesehen hatte… und ihre Nachricht lange vorher abgesendet worden war.

„Solltest uns mal bekannt machen. Es interessiert mich wirklich sehr, wie sie so ist. Immerhin schafft sie es sogar, dass du dich entschuldigst, weil du ihr nicht eher geschrieben hast. Dabei ist die Nachricht kaum zwei Stunden her. Ich habe mal eine Mail am nächsten Tag beantwortet, ohne gleich mich zu entschuldigen. Was ist bei euch bloß vorgefallen, dass du dich gleich entschuldigst?“

„Weil sie sich Sorgen macht, wenn ich ihr nicht schnell genug zurück schreibe. Das liegt nicht daran, dass sie Kontrollzwang hat“, Sêiichî rollte mit den Augen, „obwohl doch, genau das. Aber bin selbst schuld. Das letzte Mal, dass ich mich Stunden nicht meldete, lag ich halbtot in einem Graben.  Seitdem antworte ich immer ziemlich schnell, sonst denkt die noch, ich bin tot.“

„Du musst immer den Helden spielen…“

Nein, Wataru. Beim letzten Mal hatte das nichts damit zu tun. Da war nur jemand der Meinung, ich habe auf dieser Welt nichts verloren…’ Den Gedanken versuchte er schnell zu verdrängen. Sie hatten es mit merkwürdigen Leuten zu tun – leider war der Großteil von Hass und Neid angetrieben. 

The long awaited rain…

 

 

Der absolute Sonnenschein schien die wilden Tiere in ihre Unterschlüpfe zurückkehren zu lassen. Beim ersten Ansatz von dunklen Wolken und dem herannahen eines Unwetters wagten sie sich hervorzutreten, lauernd auf den heftigen Regenguss.

Gerade als Sêiichî und Wataru den Gebäudeblock erreicht hatten, begann es wie auf Knopfdruck zu gießen – geradezu wie aus Eimern ergoss sich das Nass über ihren Köpfen. Ein Platzregen, wie schon lange nicht mehr. Wie die Sintflut, was einen heimsucht und alles Leben davon wischte, als hätte es nie existiert.

Zu ihrem Glück hatten sie es geradeso noch ins Gebäude geschafft, wo sie die Wohnungen abklappern wollten.

Vor einer der Haustüren drehte sich Sêiichî mit besorgter Miene herum und blickte in den Himmel. Da schickte er ihnen die Katastrophe schlechthin – mit einem schlechten Gefühl beobachtete er das Ganze. Wie der Regen heftig auf den Asphalt einpreschte und ganze Bäche an Wasser über den Boden sich fortsetzte. Dabei nahm er den Dreck mit und schmiss ihn irgendwo anders hin, von rein waschen war also nicht die Rede. Der Dreck blieb und mit ihm die Verwüstung, aber Brauchbares war dabei nicht. 

Sie begaben sich von Tür zu Tür, bisher hatte niemand geöffnet. Erst bei der dritten Tür erbarmte sich eine junge Frau, die in ihrem Jogginganzug war und sich eine Decke umgeschlungen hatte. Wataru hatte Sêiichî gerade im Blickfeld und fragte sich, wieso er so besorgt dreinsah, da sprang die Tür auf und er konnte sich nicht weiter auf ihn konzentrieren.

Wataru schenkte der Frau ein Lächeln und entschuldigte sich für die Störung, was die Frau sofort mit einem ebensolchen Lächeln und mit Freundlichkeit entgegnete. Sofort bat man sie herein in die Gute Stube; ein guter japanischer Bürger würde stets so auf Polizeibesuch reagieren. Man war eher verblüfft, wenn das Gegenteil der Fall war, denn die Polizei genoss einen guten Ruf in Japan – ganz anders als in Amerika, wo man der Polizei am liebsten die Tür vor der Nase zuknallte, weil man Angst vor ihr hatte.

Hier sagte man, die Polizei war das Symbol für Gerechtigkeit – so weit war das Ganze auch korrekt.

 

Man hatte einen Schalter umgelegt, nach ein paar Vorboten, und zwar vereinzelte Tropfen,   begann es zu Schütten. Chris war ohne einen Schirm zur Hand – hatte sich im letzten Moment unter ein Dach verflüchtigen können. Sie konnte nicht wagen, die Straße zu überqueren – sie war nicht regenfest angezogen und wenige Sekunden würden ausreichen, um sie komplett zu durchweichen. In erster Linie fürchtete sie um ihre Frisur – die würde im Nu Adiós sagen. Der beste Weg wäre gewesen, das Handy rauszukramen und dann ein Taxi zu rufen, was sie ins Hotel brachte. Doch viel eher warf sie dem schwarzen Himmel einen leicht besorgten Blick zu…

„The long awaited rain“, flüsterte sie – ihr Instinkt sagte ihr, dass die Hyänen aus ihren Unterschlüpfen gekrochen waren. Diejenigen, die es nicht scherte, ob sie komplett nass wurden, solange sie nur keine Spuren hinterließen.

Jeder würde sich fragen, warum sie wie bestellt und nicht abgeholt unter einem Dach stand, an einem Ort, einige Kilometer entfernt vom nächsten Hotel.

„Why it have to rain so hard now? It would be much of a wonder if nothing terrible would happen.”

Sie hatte das Bedürfnis, jemandem zu schreiben, von dem sie wusste, dass er ganz in der Nähe war.

~Ich habe ein schreckliches Gefühl. Solltest du im Poirot sein, tu mir bitte den Gefallen und halte die Kinder dort fest, bis der Regen vorbei ist. Bitte…~

 

Gerade vor knapp zwei Minuten hatten die letzten Mädchen aus dieser Schulklasse das Café gestürmt und sie hatten jede Menge zu tun, um ihre Gäste zu bewirten, da war es nicht einfach nebenbei eine Nachricht zu lesen.

Es wäre aber gelogen, wenn er eine Nachricht von ihr nicht sofort gecheckt hätte. Ihre Nachrichten trudelten selten zum Spaß ein und waren mit Dringlichkeit zu behandeln.

Toru Amuro stand hinter der Theke und fischte das Handy aus der Tasche und las dann, was sie ihm schrieb.

Sein Blick fiel nach draußen, wo es ganz furchtbar stürmte, dass sogar ihr Schild mit einem Scheppern zu Boden ging.

Es war wirklich ein schlimmes Unwetter im Gange, so dass bestimmt kein Mensch freiwillig nach draußen gehen würde.

~Es stürmt wie verrückt. Warum sollte irgendeiner den kalten Regen dem warmen Café vorziehen? Ich halte deine Sorge für unbegründet. Was ist denn los mit dir? Stimmt was nicht?~ Er war einfach skeptisch, sie war doch nicht überängstlich – das war sie nie. Wusste sie etwas? Hatte sie etwas? Er war gewillt mehr zu erfahren…

Diese Frau – manchmal gab sie einem echt zu Denken…

~Don’t know. Just a feeling…~

Sie wusste es nicht… So ganz konnte er das nicht glauben…

 

Die Straßen waren im Nu wie leer gefegt. Nur vereinzelnde Menschen waren übrig geblieben, ansonsten hatte sich alles verflüchtigt. In Geschäfte, Autos, Häuser.

Der alles vernichtende Wind zerrte heftig an den Klamotten, so dass auch die 29-jährige irgendwann sich in ein Geschäft flüchtete, weil es allmählich etwas frisch um ihre Beine geworden war. Der Laden verkaufte alles Mögliche an Kitsch. Nichts, wofür sie sich als erwachsene Frau begeistert hätte.

Dennoch, aus reinem Zeitvertreib schaute sie sich hier um. Wenn sie schon hier war, konnte sie dann auch mal ein bisschen stöbern.

In Tokyo bekam man jede Menge Kitsch, an jeder Ecke quasi.

 

Es krachte ganz leicht draußen, so dass die Mitarbeiter erschrocken zusammenfuhren. Nur ein leichtes Gewitter, eine Vorankündigung. Rumpeln, Dröhnen, Stöhnen – so klang es im ersten Moment, wie gut dass sie nicht da draußen waren – das dachten wohl so manche.

 

Fast wie ein schlechtes Omen waren die Momente, in denen Blitze gleißend hell am Himmel zuckten. Das Donnergrollen, was wenige Momente später zu hören war, würde keinen wundern. Für einige Momente klangen die Töne höher und beängstigender.

„Was ist?“ fragte Wataru, der bemerkt hatte, dass Sêiichî den Tönen gelauscht hatte.

„Ein ganz leichtes Gewitter… Aber da war noch was Anderes zu hören.“

„Oi oi, was ist denn los mit dir? Du bist doch sonst nicht so ängstlich.“

Erwischt sah er den Kriminalisten an. „Nichts, nichts, alles gut.“

Wataru grinste in seine Richtung und deutete auf seine Hosentasche. „Dein Handy macht schon wieder Geräusche. Vielleicht hast du die ja gehört?“

„Nein…“

 

Noch immer ungehörte Schreie durchbrachen die nahezu vom Regen und Donnergrollen gestörte Stille. Gefolgt vom Echo, das vom Knallen und Tosen, durch die Straße hinterher schallte. Noch immer fiel heftiger Regen. Wusch fort all die Spuren, doch die Angst vermochte er nicht wegzuwaschen, ebenso wenig wie die Erinnerung.

Niemand war da – absolut niemand, denn jeder befand sich irgendwo drinnen…

Während sie so verzweifelt um Hilfe schrie, dabei wurde sie immer mutloser und die Tränen rannen immer kräftiger über die Wangen des Mädchens, dass sie schon lang nicht mehr wusste, an welchem Ort sie sich befand.

Sie rannte ziellos umher. Die kleine Blondine, die gar Fürchterliches für ihr Alter gesehen hatte. Der Regen hatte sie überrascht, als sie auf dem Spielplatz bis vor kurzem noch munter und fröhlich gespielt hatten.

Dieser qualvolle Pfad, den sie so alleine beschritt. Wohin würde er sie führen?

„Es ist dunkel… Und ich hab Angst…“, schluchzte sie und verkroch sich in eine der Ecken, hinter den Mülltonnen, wo man sie dank ihrer spärlichen Größe sowieso niemand finden würde…

 

Der furchtbare Sturm, der Regen, das Gewitter – all das hatte irgendwann einmal ein Ende. So stark und heftig wie er gewesen war, umso schneller war er auch wieder vorüber.

Hinterlassen hatte er nur die Überreste des Szenarios, was die Polizei von Tokyo noch einige Stunden beanspruchen würde.

Die hatten schlimm gewütet – die Polizei konnte nur noch den Dreck wegschaffen, den sie hinterlassen hatten.

Fünf Morde zur gleichen Zeit, von fünf verschiedenen Leuten – begangen, während jeder sich vor dem Sturm zurückzog.

Sie hatten sich aufgeteilt. Hatten von diesem einen Fall ablassen müssen. Sie schickten in Windeseile jemanden zur Schule, der die Turnhalle begutachten sollte, während sie sich Wichtigerem widmeten. In Zweiergruppen untersuchten sie Tokyos Straßen nach Spuren – vergebens. Diese schockierten Leute, die kaum, dass der Regen geendet hatte, zurück auf die Straße gegangen waren – sie alle hatten wohl ein Trauma schlechthin.

Leichen, die Tokyos Straßen pflasterten – nicht ein Tatverdächtiger. Tage wie diese verfluchten Kriminalisten wie sie. Die hinterließen eine Hoffnungslosigkeit in ihren Herzen, gegen die es kein Ankommen gab.

 

Nachdem sich das Unwetter verzogen hatte, verließ die Blondine auch wieder diesen Kitschladen, in dem sie zu allem Überfluss etwas gekauft hatte. Das würde sie gewiss nicht jeden wissen lassen, vor allem nicht was. Sie hätte nie gedacht, dass in so einem Laden etwas finden würde, was sie dann auch noch mitnahm. Aber es gab da eine Person, die bald Geburtstag hatte, da konnte sie Kitsch ganz gut brauchen…

 

Die Polizeisirenen bedeuteten nichts Gutes… Das wusste so mancher, auch sie. Also stand sie noch immer vor dem Geschäft und tippte auf ihrem Handy, als zu ihrer Rechten sirenenähnliches zu hören war, was aber eindeutig nicht die Polizei war. Das kleine Mädchen klang nur sehr ähnlich zu einer Sirene – ihr Weinen, was wie trauriger Gesang klang, erregte ihre Aufmerksamkeit, deswegen schob sie die Nachricht auf, weil sie nach dem Rechten sehen wollte. Hinter der Mülltonne hatte sie sich verkrochen. In der Hocke, verzweifelt weinend, vollkommen durchnässt und dreckig, nicht nur ihre Kleidung, auch ihr Gesicht.

Es war ein schreckliches Bild, was sich der Blondine bot. Obwohl die Sonne sich immer noch versteckte und das Licht hinter der riesigen Mülltonne gering war, sah sie nicht nur Schlamm, auch Blut. „For heaven's sake…“ Der Boden war nass und ihre Schritte waren geräuschvoll, weil sie dabei in eine Pfütze trat. Nicht einmal bemerkt wurde sie von dem Mädchen, was einfach zu sehr weinte, um die Geräusche zu vernehmen.

„Hey sweety…“, sprach sie sie vorsichtig an und ging in die Hocke, um auf ihrer Höhe zu sein – sie war trotz allem noch größer, aber schaute nicht komplett auf sie hinab.

Das Kind erschrak und sah dann in das Gesicht der Schauspielerin. Beim Blick in ihre Augen, die in diesem Moment alles andere als Grausamkeit ausstrahlten, dauerte es einige Sekunden, bis sie verstand, dass diese Person ihr nichts Böses tun wollte und sie sich schniefend an sie wendete. „Papa…“, weinte sie, bewegte sich ansonsten aber keinen Millimeter, dabei bebte ihr Körper und Chris wagte es ein Stück näher an sie ran, indem sie ihre Hand auf den Kopf des Mädchens legte. „Was ist geschehen, Kaori-chan?“ Sie sprach sie mit ihrem Namen an, weil sie diesen kannte. Sofort sah die Kleine sie verwundert an.

„Wer bist du?“

Dass sich die Kleine in ihrem zarten Alter nicht an sie erinnerte, wunderte Chris nun nicht wirklich – sie war einfach zu klein gewesen, als sie sich das erste Mal getroffen hatten. Sie lächelte das Mädchen an und hatte gerade keinen Grund, ihr etwas von Geheimnissen zu erzählen.

„Eine Freundin deiner Mutter.“

Verblüffung spiegelte sich im Gesicht des Mädchens wider, aus dessen Augen noch immer Tränen traten.

„Wirklich? Du kennst Mama?“

Chris nickte stumm, wobei sie kurz doch sich in der Erinnerung verlor.

„Ja, ich kannte deine Mama“, sagte Chris, die Kleine wusste schließlich, dass ihre Mutter gestorben war – auch wenn viele es ihr schönigten, indem sie sagten, sie sei eines natürlichen Todes gestorben. So fern das eine 5-jährige schon verstehen konnte. Der Tod war doch immer schrecklich und ängstigte jedes Kind.

 

Es war vor drei Jahren gewesen, wo sie sich bitterlich eingestehen musste, dass sie diesen Kerl unterschätzt hatte. Sie hätte im Traum nicht daran gedacht, dass er die Organisation über seine Familie stellte, obwohl er dieser mit zwölf Jahren den Rücken zugewendet hatte. Er war ein kleines Kind gewesen, was seiner Familie entrissen worden war – das keiner retten konnte – egal wie sehr der Boss sich als seinen Lebensretter hinstellte und auch damit durchkam. Wirklich gerettet hatte er den Jungen nicht – eher sein Schicksal besiegelt. Sie hatte geglaubt, seine Ehefrau würde ihm mehr bedeuten, als dass er sie für einen Verrat bestrafen würde, indem er sie ihres Lebens beraubte und seiner kleinen unschuldigen Tochter damit die Mutter wegnehmen könnte. Sie hatte ihm solch eine Grausamkeit nicht zugetraut, wo er immer so nett zu allen Frauen war. Die Lehrstunde war sehr hilfreich für sie, so wusste sie wenigstens, dass dieser Mann nicht zu denjenigen gehörte, denen man auch nur im Geringsten vertrauen konnte. Sêiichî würde auch irgendwann verstehen, dass man ihm einfach nicht trauen konnte – auch er nicht – da konnte der Kerl ihn tausend Mal besten Freund schimpfen – Familie wog mehr als Freundschaften. Jedenfalls sollte es so sein.

Wem sollte man in dieser Welt noch trauen können? Die eigene Familie war das höchste Gut und sie hätte jeden von denen beschützt – dafür hatte sie sich sogar eine andere Identität geschaffen – und was taten die? Hintergingen sie noch in der letzten Sekunde. Ihre Welt hatte man so oft schon erschüttert, so viele Menschen hatten sich gegen sie gewendet. Die Gefahr lauerte vor allem in den eigenen Reihen – da gab es ein altes Sprichwort, vielleicht hätte sie es eher beherzigen sollen.

 „Woher kanntest du Mama?“ fragte das Mädchen und versuchte dabei tapfer die eigenen Tränen wegzuwischen, wobei Chris ihr jetzt behilflich sein wollte, indem sie ihr Taschentuch aus der Handtasche holte, die auf ihrem Schoß gebettet war, um nicht dreckig zu werden.

„Sie war eine direkte Verwandte einer meiner Freundinnen“, erwiderte Chris so schlicht wie möglich, damit die Kleine es verstand.

„Kennst du auch meinen Papa?“ Die Worte kamen kleinlaut und mit einem Schniefen daher, woraufhin man ihr die Tränen wegwischte. Ihr Gesicht sah so schrecklich aus, dass sie am liebsten erstmal sie saubermachen wollte. Reinigen von dem Dreck und dem Blut. Sie fragte sich, was geschehen war. Welche schrecklichen Dinge sie gesehen hatte. Eine Vorahnung hatte sie zwar, aber sie wollte lieber Beweise.

„Ja, den kenne ich. Warum fragst du?“

Papa…“, schniefte sie, „hat mit einer Pistole auf Tante geschossen… Dann ist sie umgefallen und rührte sich nicht mehr.“

Ihre Augen weiteten sich und sie besah einen Moment die kleine Kaori. Sollte das heißen, ihr Vater hatte direkt vor den Augen seines Kindes einen Mord begangen?

Wenigstens vor seinem Kind könnte dieser Mistkerl seine Gräueltaten verbergen, fand sie. Was machte sie überhaupt in dieser Stadt? Warum war sie nicht in Tottori geblieben? Und wer war Tante?

Dass sie das Kind nicht mit ihren Fragen quälen musste, wusste sie – es würde nicht lange ein Geheimnis bleiben, wen sie meinte. Sie saß ja schließlich direkt an der Quelle.

„Da bist du weggelaufen, stimmt’s? Du bist weggelaufen vor deinem Vater?“

Papa macht mir Angst…“ Das Mädchen wirkte verstört und ängstlich, kleinlaut sprach sie den Namen Papa aus.

Für die Schauspielerin stand in diesem Moment fest, dass sie handeln musste –  in erster Linie etwas dagegen unternehmen, dass dieser Mann weiterhin seine Tochter hatte. Man durfte sie ruhig grausam nennen, dass sie einem Mann seine einzige Tochter wegnahm – das nahm sie in Kauf. Dieser Kerl hatte das arme Kind nicht verdient, man musste sie seinem Einfluss entziehen, bevor sie noch größeren Schaden nahm…

 

Gegen Abend hatte die Spurensicherung alles sichergestellt, was sicherzustellen war.

Das hatten alle Opfer gemeinsam: Einen einzigen Schuss direkt ins Herz. Liegengelassen an Ort und Stelle. Allesamt weit fern von den größeren Kreuzungen. Fern von Hochhäusern. Keine Leiche lag im Blickwinkel irgendeines Gebäudes, wo man aus Fenstern etwas beobachten konnte. Tote Winkel. Ohne Anhaltspunkte zu den Identitäten der Personen, brachte die Spurensicherung nur wenig in Erfahrung. Menschen, einfach so ermordet, ohne sichtbaren Anlass. Sie sagten, das sei Sache für Hellseher – toller Scherz.

So wie die Morde begangen waren, das sah schon eher nach diesem Laden aus.

Zurück ließen sie verzweifelte Kriminalisten auf der Suche nach Spuren. Es zog sich leider bis zum Abend hinaus, bis sie überhaupt Anhaltspunkte hatten, um wen es sich bei den Opfern handelte. Sie behandelten die Sache so diskret wie möglich, trotzdem bekam die Presse Wind davon und es ging schneller durch die Medien, als ihnen allen lieb war.

Ehe die Spurensicherung die Leichen komplett wegschaffte, hatte sich Sêiichî nicht nehmen lassen, eine von ihnen zusammen mit Wataru zu begutachten.

 „Schau dir das genau an…“

Sie hatten sich niedergekniet, da alle Fotos bereits geschossen worden waren, alle umliegenden Gegenstände eingesammelt, konnten sie die Leiche auch einmal bewegen. Dennoch trugen beide Handschuhe.

„Er muss demjenigen begegnet sein. Noch im Schreckmoment, als die Waffe gezogen wurde, hat er sich herumgedreht, um zu fliehen – zwecklos. Man erschoss ihn von hinten, die Kugel ging mitten durchs Herz. Perfekt gezielt.“

„Profis…“, sagte Wataru, ohne die Miene zu verziehen. „Meinst du, das waren die Leute meines Vaters?“

Die Leute seines Vaters… Das klang, als wäre er ihr Anführer. Natürlich hatte dieser Verbrecher eine Gruppe von Leuten, die mit ihm gemeinsam solche Sachen abzogen, aber auch er hatte sich an Regeln zu halten.

„Also zumindest verstehen sie ihr Handwerk.“

Vorhin noch, während des schrecklichen Gewitters hatte er dieses merkwürdige Knallen gehört. Nicht weit von ihrem Wohnblock hatten sie nun diese Leiche in einer Ecke. Er musste aus einer Seitengasse gekommen sein. Dort hatten sie ihn überraschend attackiert. Dank des heftigen Regens konnte keiner sagen, wie viele es gewesen waren. Ob einer oder mehrere. Der Regen hatte alle Spuren weggewischt.

„Deswegen hasse ich Unwetter – immer passiert so ein Scheiß!“ ärgerte sich Sêiichî und stand dann wenig später auf.

Zum wiederholten Mal klingelte sein Handy und er zog den linken Handschuh aus, um ans Handy zu gehen. „Und, Ryochi?“ fragte er knapp.

Wataru blickte sofort zu seinem Freund als er den Namen des Detektivs hörte und drückte sich so sehr an Sêiichîs Schulter, dass er die Stimme des Anderen hören konnte.

>Hattest Recht! Die Schülerin wurde in der Turnhalle an einem der Seile stranguliert. Sind sogar Blutflecken sicher gestellt worden. Egal, wo der Täter gerade ist, man wird ihn kriegen. Darauf kannst du wetten. Und dann bin ich mal gespannt, was diese Gören zu so etwas bringt.<

„Ehrlich? War ja nicht anders zu erwarten. Was hast du denn erwartet von Kindern? Die wissen doch gar nicht, was sie da tun. Wir haben hier eine größere Scheiße.“

>Hab’s schon gehört. Haben sie also die Gunst der Stunde mal wieder zu nutzen gewusst…<

„Bestimmt findest du das seltsam, aber aus irgendeinem Grund habe ich es geahnt… Es ist nicht das erste Mal, dass ein Sturm kommt, den sie nutzen, um ungestraft zu morden.“

>Lass mich raten… Keine Spuren. Weder brauchbares, was auf den Täter schließt, noch welche, die man verfolgen könnte…?<

„Du hast es erfasst. Laut der Spurensicherung wurden alle fünf mit einem gezielten Schuss direkt ins Herz getötet. Keiner trug Schutzsichere Westen oder so etwas. Sie wurden sprichwörtlich eiskalt erwischt. Ich fahre mit Wataru jetzt zurück ins Präsidium. Wir müssen sowieso bis morgen warten, bis alle Spuren ausgewertet sind. Viele sind das nicht gerade. Wenigstens können wir herausfinden, aus welchen Waffen die Schüsse abgegeben wurden, auch wenn weder Waffe noch Täter existiert…“

>Besser als gar nichts. Einige der Waffen, die diese Leute benutzen, kennen wir ja. Wenn sie nicht schlauer geworden sind, und untypische Waffen benutzen, wissen zumindest wir, wer in Frage käme. Ich meine, wer von *dieser Organisation*. Kennst ja ziemlich viele von denen…<

„Wir werden sehen. Sehen uns später…“

Beide legten auf und Watarus Blick ruhte noch immer auf Sêiichî. „Diese Organisation? Es stimmt also wirklich? Das, was Ryochi mir nur sehr ungern erklären wollte…  Und dieser Organisation gehört mein Vater an. Ist er ihr Boss?“

Sein Freund stellte viele Fragen, also hatte er gelauscht.

„Er ist nicht der Drahtzieher für alles – aber er hat eine Truppe. Mittlerweile ist er zu vorsichtig und bewegt sich selten im Alleingang. Bist ja nicht mal geschockt“, seufzte Sêiichî fast etwas entsetzt.

„Mit Yakuza rechnete ich bereits. Mit denen hatte er ja schon oft genug zu tun, nicht? Ist nur lustig, dass ihr mich für so ahnungslos haltet. Ich wusste die ganze Zeit schon, dass er einer kriminellen Gemeinschaft angehört.“

Ahnungslos ist übertrieben. Weitreichendes Wissen, was gefährlich für sie sein könnte, wäre zu viel gesagt. Dem Einzigen, dem du gefährlich werden könntest, weil du ihn kennst, ist dein Vater. Der würde nur gleich mit ganzer Bande anrücken.

„Yakuza…“, wiederholte Sêiichî, „die tun wenigstens Gutes, wenn man sie brav bezahlt. Dein Vater hat weit mehr Verbindungen als nur zu den Yakuza.“ Eigentlich wollte er nicht auf einer Straße so etwas besprechen. „Lass uns hier abhauen, hier haben wir nichts mehr zu tun. Die Spurensicherung kümmert sich um alles.“ Er nahm Watarus Arm und zog ihn einfach mit. „Mir wäre ein Büro lieber“, flüsterte er. „Die schrecken vor nichts zurück. Zeugen legen sie einfach um – Polizei fürchten sie nicht.“

„Passt ja zu ihm…“

Damit hatte Wataru gewiss nicht Unrecht. Aber trotzdem wollte er das Gespräch nicht ausweiten…

 

~Metropolitan Police Department – 22:30 Uhr ~

 

Dank des unheimlich aufregenden Tages kamen sie jetzt erst zurück ins Büro – es wollten noch jede Menge Berichte geschrieben werden.

Als sich Sêiichî auf seinem Platz niederließ, gab er ein kräftiges Seufzen von sich und wollte sich nur einmal kurz zurücklehnen, woraufhin er von Miwako gleich einen tadelnden Blick bekam.

„Nur nicht so hängen lassen.“

„War ein harter Tag, Satô-san…“ Sie hatte wirklich überhaupt kein Erbarmen mit ihnen. Er war seit neun Uhr im Dienst, es war jetzt halb elf.

„Berichte schreiben sich nicht von selbst“, sagte sie und Sêiichî seufzte nochmals, wobei er seinen Kopf mit der linken Hand abstützte. „Ist Ryochi noch nicht zurück?“

„Er wird auf dich zurückkommen, sagte er. Klang so, als wenn er noch jemand anderen treffen muss, als nur dich“, ärgerte Miwako den Jüngeren und dieser zeigte mittels eines Halbmondblicks, dass er das wenig komisch fand. „Haha.“

Das Handy des Schwarzhaarigen meldete sich und er könnte wetten, dass sie es war, er hatte ja etwas von 22 Uhr gesagt. Obwohl er mit einer Sache recht hatte, er irrte, wenn er glaubte, dass sie nerven wollte. Im Gegenteil. Als er die Nachricht las, guckte er schon recht groß.

~Einer von ihnen war Jami.~

Es war Sêiichî absolut schleierhaft, was Chris damit bezweckte, ihm so etwas mitzuteilen. Keine Erklärung ihrer Worte, nur einer von ihnen war also Jami. Die wusste aus irgendeinem Grund schon wieder, woran sie arbeiteten – das ging ihm gerade doch etwas auf den Zeiger. Vor allem wenn dann so kurze Nachrichten dabei rumkamen.

~Wo treibst du dich rum?~

Es klang wenig freundlich, aber wenn man Sêiichî kannte, wusste man – um die Uhrzeit, nach so einem Tag durfte man  nicht kleinlich sein, dann war er nie übermäßig nett. Da fühlte er sich auch gleich geärgert.

~Bin noch schnell shoppen gewesen. Bei dir dauert’s ja offensichtlich länger. Nicht? ;p~

Er war so gar nicht zu Scherzen aufgelegt, daher ignorierte er diese dumme Nachricht dann doch einen Moment, um sich etwas einfallen zu lassen, womit er zurückschießen konnte. Eigentlich wollte er ja nur schnell seinen Bericht zu Ende schreiben. Aber er war nicht sonderlich gut darin, so etwas schnell zu machen, so wie Madamchen nicht wusste, wie mal schnell shoppen funktionierte…

~Wie viele Stunden dauert dieses *mal schnell shoppen* jetzt schon? Brauchst du mein Auto, oder schaffst du es allein deinen Einkauf nach Hause zu bringen?~

~Wenn ich seit Stunden shoppen würde, würde dein kleines *Auto* nicht reichen, dann bräuchten wir einen LKW, Darling…  I’m just kidding… Habe gerade entschieden, für dich zu kochen. Wenn du aber weiter so frech zu mir bist, revidiere ich das. Also, du schwer arbeitender Mann hast ja bestimmt noch nicht sonderlich viel gegessen, nicht wahr? Also sei gefälligst nett, wenn ich schon an dein Wohlergehen denke, du undankbares Stück. ~

Miwako merkte, dass Sêiichî schon seit einigen Minuten sein Handy interessanter fand, als seine Arbeit, aber sie sprach ihn nicht gleich darauf an, sondern ging zu Wataru hinüber – zur Tarnung.

Sie stützte sich an seiner Schulter ab und grinste. „Kannst du was lesen?“ fragte sie ihn ins Ohr geflüstert, was mehr nach Flirten aussah, als etwas anderes.

„Schreibt mit seiner Freundin, glaube ich“, flüsterte Wataru zurück, daraufhin lief Miwako zu Sêiichî und blieb hinter ihm zu stehen, was er noch nicht einmal sofort bemerkte.

Die letzte Nachricht konnte sie sogar noch lesen. „Oi oi oi – nicht nur, dass du diese Frau ganz schön ärgerst, wenn du so weiter machst, kommst du hier nie raus. Vielleicht solltest du deine Arbeit zu Ende bringen, damit sie nicht ewig auf dich warten muss…“ Die Polizistin wusste nicht, wieso Sêiichî so schockiert wirkte beim Betrachten der Nachricht. „Was guckst du so? Ist doch nett von ihr, für dich zu kochen. Die meisten wollen um die Uhrzeit nur noch ins Bett.“

„Für ins Bett bin ich zu kaputt“, sagte er, legte das Handy beiseite und stöhnte auf.

„Häh?“ Miwako verstand im ersten Moment nicht, was Sêiichî sagen wollte, weshalb Wataru dann doch seinen Lachanfall nicht mehr unterdrücken konnte.

„Ach herrje, Sêiichî – andere Leute benutzen das Bett zum Schlafen – nur du wieder nicht! Dann wärst du ja auch normal, was?“ ärgerte Wataru ihn, woraufhin Sêiichî erst so im Nachhinein drauf kam, dass Miwako mit müde ins Bett meinte, zum Schlafen.

„Hey – was soll der Unsinn wieder? Wenn ich mich schon mit meiner Freundin treffe, gehe ich bestimmt nicht nur zum Schlafen ins Bett.“

„Wataru, dein Freund ist ganz schön schlimm.“

„Nicht schlimmer als andere Leute hier im Raum“, konterte Wataru mit einem leicht fiesen Grinsen.

„Ich weiß nicht, wen du da meinst, mein Lieber“, leugnete Miwako zu wissen, dass er natürlich sie meinen musste. „Dich etwa?“

In dem Moment betraten allerdings Ryochi und eine weitere Person das Büro – da staunte der Detektiv nicht schlecht, die gut gelaunte Runde zu entdecken. Immerhin trieb die Organisation hier ihr Unwesen – fünf Morde zur gleichen Zeit und kein einziger Täter – aber das schien die jungen Leute nicht zu stören. Er war ja eigentlich froh über den guten Einfluss der Kriminalisten, die sich nicht aus der Ruhe bringen lassen wollten. Sêiichî war nämlich jemand, der sich sehr schnell runterziehen ließ, wenn ihm etwas aus den Händen glitt. Gerade wenn er machtlos gegenüber solchen Sachen war, deprimierte er ziemlich schnell.

„Natürlich ist es nett von ihr, wenn sie für mich kocht. Wenn es mir morgen nicht gut geht, liegt das aber wahrscheinlich daran, dass ich mir den Magen verdorben habe. Das letzte Essen war ungenießbar, seitdem gehen wir lieber aus“, sagte er, wobei er es wirklich nicht böse meinte.

„Eine schlechte Köchin…?“ fragte Miwako amüsiert.

„Kenn ich noch eine“, fügte Wataru an und wurde dann doch am Ohr genommen.

„Willst du sagen, mein Essen schmeckt nicht?“

„Welches Essen, Miwako?“ Diese Frau kochte doch nie – das tat wenn schon er oder ihre Mutter, wenn sie ihn mit nach Hause brachte.

„So, Sêiichî lästert wieder über seine Freundin. Dann sei mal froh, dass sie nicht hinter dir steht. Das würde sie bestimmt nicht lustig finden“, redete Ryochi seinen Freund jetzt von hinten an, weshalb dieser hochschrak und sich herumdrehte, weil er wohl befürchtete, Chris hatte sich als den Detektiv verkleidet, um ihn im rechten Moment dabei zu erwischen, wo er schlecht von ihr sprach. Der Schreck im Gesicht war köstlich, deswegen lachte Ryochi jetzt auch auf. „Keine Sorge, bin nicht sie… Kannst aufatmen.“

Der kleine Junge an der Seite von Ryochi blickte zu diesem auf. „Wie meintest du das, Ryochi?“ wollte dieser neugierig wissen, weil er einen Moment perplex war.

„Ich meine, dass seine Freundin mit Freude sich als jemand anderes ausgibt, nur um ihn zu ärgern.“ Ryochi lächelte, als wäre das so überhaupt nichts besonderes, aber der Junge fühlte sich an seine Mutter erinnert und schüttelte den Kopf. „Noch so eine Verrückte wie meine Mutter.“

Miwako blickte zwischen Ryochi, dem Jungen, den sie so gut kannte und Sêiichî hin und her. Der Schwarzhaarige im Raum seufzte einmal. So wie heute Morgen, als sie sich als Miwakos Freundin ausgegeben hatte – dieser Scherzkeks. Als wäre er so doof, darauf hereinzufallen. Dennoch stand Sêiichî auf und ging direkt zu Ryochi hin, um ihn genauestens zu begutachten. Denn aus der Entfernung fand man keine Unterschiede. „Und wen hast du da mitgebracht?“ Er deutete auf den Jungen.

„Das ist Conan Edogawa, ein begnadeter Detektiv. Der Chaot hier ist Sêiichî Iwamoto, mein bester Freund aus Kindertagen. Er ist ein Spinner, aber ich mag ihn trotzdem.“

„Na danke, du wirst auch immer fieser – du sollst Yuichi doch nicht immer nacheifern“, sagte Sêiichî etwas beleidigt. „Das ist also der kleine Conan – ich bin beeindruckt.“

„Achja?“ Verwundert blickte der Junge hoch zu dem Erwachsenen. „Ja, du sollst dem alten Môri kräftig zur Hand gehen. So etwas beeindruckt mich eben. Nicht viele Kinder sind bereits so wissbegierig wie du es bist und begeistern sich für die Arbeit der Polizei.“

„Sêiichî hat viel von dir gehört, er wollte dich unbedingt kennenlernen. Deswegen dachte ich, dass ich dich mal mitbringe. So in etwa war es jedenfalls.“

„Ich will aber nicht berühmt werden“, mit den Worten versteckte er sich kleinkinderhaft hinter Ryochi.

„Ich sag’s keinem weiter“, versprach Sêiichî. „Leider muss ich hier noch ein bisschen arbeiten. Wenn ich mich nicht ranhalte, kauft meine Freundin halb Tokyo leer, dann habe ich ein Problem“, lachte er. „Sie muss sich entsetzlich langweilen.“ Zwar wurde sie immer sehr erfinderisch, wenn man sie nicht ein bisschen busy hielt, suchte sie sich was, aber ihm war es ganz Recht, wenn sie sich ein bisschen langweilte, dann musste sie wenigstens nicht immer diese Dinge machen. Aber er hoffte doch, sie hatte etwas Spannenderes gefunden, als den ganzen Tag Detektiv zu spielen, nur um ihm dann so eine Nachricht schreiben zu können ~Einer ist Jami~. Es gefiel ihm nicht, so ganz und gar nicht, dass sie sich in diese Sache reinhängte – schon wieder. So nett sie es wahrscheinlich meinte. Er war ja nicht zum Vergnügen in Tokyo – leider jedenfalls.

 

Miwako ließ von Wataru ab und lief zu Ryochi und dem Jungen hinüber. „Also ehrlich, Ryochi. Ist es nicht etwas spät am Abend, um den Jungen hierherzubringen?“ mahnte sie Ryochi und warf ihm einen mütterlich fürsorglichen Blick zu. „Was würde Shina dazu sagen?“

Punktaugen erschienen in Ryochis Gesicht, weil sie natürlich Recht hatte – jedenfalls halb. „Morgen ist schulfrei und außerdem bringe ich ihn ja gleich nach Hause. Er war noch ganz alleine draußen und dann wollte er den neuen Beamten unbedingt kennenlernen. Wer kann einem kleinen, süßen Fratz so was schon abschlagen?“ verteidigte er sich, woraufhin Miwako sich mit kritischem Blick zu Sêiichî herumdrehte, der sich endlich seiner Arbeit zugewendet hatte.

„Er ist ein schwieriger Fall! Ihn scheint es nicht mal zu jucken, wenn man ihn schimpft, als sei er immun dagegen.“ Es gefiel ihr nicht, wie gut er das wegsteckte, denn das hieß meistens, dass es zum einen Ohr hineinging, zum anderen wieder raus – außerdem hatte sie nicht vergessen, dass Wataru ihn total in Schutz genommen hatte…  

„Oh, er hat sich also gleich von seiner Schokoladenseite gezeigt?“ Es klang eher amüsiert, als genervt, was Ryochi sagte. Conan beobachtete beide – noch als sie im Auto saßen, hatte der Detektiv nicht nur einmal offenbart, dass Sêiichî ein guter Kerl war. Egal, was auch geschah, er solle fest daran glauben. Das war schon merkwürdig, aber weil Ryochi selbst ein verdammt guter Detektiv war, der seine Mitmenschen gut durchschauen konnte, wollte der kleine Ermittler ihm Glauben schenken. Dennoch musste es Dinge geben, die ihn zweifeln lassen würden, sonst hätte Ryo das ja nicht gesagt. Jeder hatte irgendwo ein paar Geheimnisse, war es nicht so?

„Sêi-chan wurde in seinem Leben schon ziemlich oft geschimpft – kann schon sein, dass er mittlerweile tatsächlich immun ist“, antwortete Ryochi mit den Schultern zuckend, während er kurz einen Blick zu seinem Freund warf. „Wie lang ist er schon im Dienst?“

„Seit heute früh, neun Uhr“, erwiderte Miwako.

„Strebsam wie immer“, entgegnete der Schnüffler und grinste dann. „Er wollte schon immer zur Polizei, das erklärt auch seine Arbeitsmoral. Ich erinnere mich da an ein Gespräch mit meinem Vater. Da war er noch bei der Polizei von Osaka. Immer wenn alle anderen schon die Bürotür passiert hatten, um nach Hause zu gehen, war Sêiichî noch immer da… Heizo Hattori musste ihn einmal sogar nach Hause schicken, weil er über einem schwierigen Fall die Fassung verloren hatte. Ich meine, es waren 15 Stunden Dienst – es gibt Länder, da ist es verboten, so lange zu arbeiten. Aber er wollte einfach nicht nach Hause gehen! An den nächsten übergeben auch nicht. Das ist eigentlich eher beängstigend, als bewundernswert.“

Conan fand, dass Ryo ganz schön dick auftrug, um Sêiichî zu loben – bester Freund hin oder her. An der Sache stank etwas…

„Fleißig ist er, ohne Frage – aber die Büroarbeit mag er nicht, das sehe ich ihm an.“

„Das ist sein Tatendrang. Er ist auch wesentlich flotter mit Taten, als mit Worten“, sagte Ryo grinsend und blickte zu Conan hinab. „Du guckst ja so grimmig, was ist?“

„Ihr seid wohl schon sehr lange befreundet, oder? Und er hat dich nie enttäuscht?“ Der Junge zog da Parallelen zu einer ähnlichen Sache, die er bisher nie nachvollziehen konnte – er hatte ja schließlich auch eine Freundin aus Kindertagen.

„Fast unser ganzes Leben – für ihn würde ich die Hand ins Feuer legen, dass er immer für seine Freunde da ist.“

„Ein guter Charakterzug.“

„Nur einer seiner Guten“, sagte Ryochi, „ein weiterer ist seine Sturheit, mit der er sich Meinungen bildet, die kein Mensch erschüttern kann. Wenn er von etwas überzeugt ist, kann man ihn kaum umstimmen. Er ist durchaus ein gefestigter Mensch. Nur falls du mal in eine Lage kommst, wo du ihm reinreden willst. Du kannst es versuchen, aber wahrscheinlich beißt du auf Granit.“

„Sturheit kann also durchaus etwas Positives sein, was?“ meinte Conan und musste irgendwie schmunzeln – er war selbst so ein sturer Bock, das musste er zugeben.

„Trotzdem neigt Sêi-chan dazu, bei anderen Menschen böse anzuecken, deswegen wird er oft missverstanden – dennoch schätzt ihn fast jeder, mit dem er zusammen arbeitet. Außer dieser Kôji Miura, der alles auf die Goldwaage zu legen pflegt.“

Conan bemerkte zügig die Abneigung in der Stimme des Detektivs gegen diesen Miura. „Was hatte er denn gegen ihn?“

„Er beurteilt Menschen nach ihrem Freundeskreis. Da sind ein paar Personen, für die Sêiichî bereit ist mehr zu riskieren. Weil Miura diese Personen wenig bis gar nicht mag, sind sie oft aneinander geraten. Er wollte ihm untersagen, diesen Personen wohlgesonnen zu sein. Nun ja, Miura kann Niederlagen nicht vertragen, deswegen versucht er meinem Freund jetzt das Leben schwer zu machen.“

„Den Namen Miura habe ich irgendwo schon mal gehört“, sagte Conan, konnte sich aber nicht erinnern.

„Hat mal in Tokyo gewohnt…“ Kurz und knapp, kürzer konnte Ryochi fast nicht antworten. „Ist ein Scheißtyp – genauso scheiße wie sein Vater.“

„Hohe Meinung…“

Miwako legte den Kopf schief – dann sah sie wieder zu Sêiichî. „Er hat also einen Freundeskreis, der ihn in einem schlechten Licht stehenlässt?“

„Wie man’s nimmt“, seufzte Ryochi, „es ist nicht alles Gold, was glänzt, sagt man.“

Natürlich hätte der Detektiv Storys erzählen können, die so manchen schockten, aber als guter Freund schwieg man, solange, bis man nicht mehr schweigen konnte.

„Doch nicht etwa, weil er mit so einer Schauspielerin liiert ist, oder?“

Ein klein wenig erschrocken sah Ryochi drein, da Miwako das eigentlich nicht wissen konnte.

„Wie kommst du denn darauf?“

„Also ist diese Frau tatsächlich Mutter ähnlich?“ Der kleine Detektiv schien besonders gut aufzupassen.

„Wer ist seine Mutter, Ryo?“ Miwako hatte schon immer mal genaueres über Conan wissen wollen, der ja schließlich nur vorübergehend bei den Môris wohnte, jedenfalls war ihr das so gesagt worden.

„Oh man“, seufzte Ryo, der Conan einen Blick zuwarf. „Du hast wohl kaum wen eingeweiht, was?“ er schüttelte den Kopf, wollte Miwako jetzt aber auch nicht mit tausend Details überfordern. Sie wusste ja nun wirklich überhaupt nichts über diese Organisation und deren Taten – jedenfalls hatte seine Verlobte Shina das gemeint. Miwako wurde brav rausgehalten – bisher immer.

Conan senkte den Blick und dachte daran, dass Wataru ihn schon einmal verdächtigt hatte – er hatte gefragt ~Wer bist du wirklich?~. Diese Frage hatte er ihm bis heute noch nicht beantwortet.

„Ich bin morgen früh mit meinem Vater verabredet – du kannst gern hinzustoßen. Shina wird auch da sein. Dann erklären wir dir mal ein paar Dinge…“

Miwako war eine wissbegierige Person und die Dinge, die sie zu besprechen hatten, würde sie zu so später Stunde weniger gut aufnehmen, als ausgeruht am frühen Morgen. Nach einer gewissen Zeit hörte das Gehirn einfach auf, allzu gut zu funktionieren.

 

Inspektor Megure öffnete die Tür und blickte verwundert drein. „Ach herrje, er ist ja tatsächlich noch da“, erkannte der korpulente Mann und deutete auf Sêiichî.

„Seinen Bericht zu Ende schreiben, danach wird er wahrscheinlich flitzen“, sagte Miwako grinsend, „denn er kann’s kaum erwarten bis Dienstschluss.“

„Das ist aber ungewöhnlich“, meinte Megure, „Takeshi Akaja hat mich gerade ins Büro gerufen und mir aufgetragen, ich soll Iwamoto sagen, dass er seinen Dienst dem Nächsten übergeben soll, wo auch immer er stehen geblieben ist. Aber den Bericht muss er natürlich noch zu ende schreiben. Akaja-san befürchtete, dass er die Nacht zum Tag macht und Überstunden schieben würde, so wie er das in Osaka ziemlich oft gemacht hat. Außerdem sollen Sie dafür sorgen, Satô, dass sein Dienst elf Stunden Pause beinhaltet. Sie sollen darauf explizit achten. Wenn er also jetzt erst Feierabend macht, darf er erst in elf Stunden wieder arbeiten. Es soll nicht wieder so schlimm werden, wie in Osaka. Er ist nämlich so einer, der nicht weiß, wann Schluss zu sein hat.“

„Ich habe ihn für zwölf Uhr eingetragen, das sollte reichen, oder nicht?“

„Bei ihm muss man eventuelle Überstunden immer gleich einkalkulieren. Oder dafür sorgen, dass er seinen Bericht zeitig schreibt. Also gib ihm auch ruhig mal etwas mehr als nur elf Stunden.“

„Mannometer, Akaja-san muss ihn ja wirklich mögen“, war Miwako skeptisch und zog die Augenbrauen zusammen. „Er ist ja richtig fürsorglich bei ihm.“

„Das ist mein Vater eigentlich bei jedem, Miwako“, korrigierte Ryochi, „aber bei Sêiichî muss er ein bisschen mehr drauf achten, sonst übernimmt er sich.“

„Mhm“, meinte die Polizistin, schloss die Augen und war angenehm überrascht, obwohl sie ihn immer noch für einen komischen Kauz hielt, der gerne Regeln selbst bestimmte – so lief das nicht.

„Puh“, hörte man den Schwarzhaarigen ausatmen, als er endlich zufrieden mit dem war, was er in den Bericht geschrieben hatte. Er stand von seinem Platz auf und Wataru blickte auf den Bildschirm. „Ich werde dann mal das Ganze um mein Zeug ergänzen. Geh ruhig. Hattest einen langen Tag… Du siehst ein bisschen geschafft aus.“ Er setzte sich an Sêiichîs Platz und widmete sich seiner Arbeit, nachdem er noch ein letztes Wort an ihn gerichtet hatte.

„Alle sind geschafft, da bin ich sicherlich nicht der Einzige“, beschwichtigte Sêiichî und griff sich sein Handy, was er in die Jackentasche steckte.

Megure sah dem jungen Mann an, dass er die Pause, die ihm aufgetragen worden war, bestimmt nötig hatte.

„Dienstbesprechung ist um 13 Uhr“, meinte Miwako mit einem Lächeln. „Ihr Dienstplan für diese Woche.“ Mit den Worten übergab sie ihm den Dienstplan und er war eigentlich positiv überrascht, doch so viel Schlaf zu bekommen. Er sah ihn sich kurz an und stellte fest, dass er am Freitag einen freien Tag hatte, was ihn doch etwas wunderte. „Wieso habe ich ausgerechnet diesen Freitag frei?“

„Ach, ich wollte nett sein“, wank Miwako ab, obwohl sie ja eigentlich fand, dass er das überhaupt nicht verdient hatte…

„Freitag bist du zum Essen verabredet“, sagte Ryochi mit einem Grinsen, „ist eine Anweisung von ganz oben, der du Folge zu leisten hast.“ Zwar schaute Sêiichî recht verpeilt drein, aber er wusste schon noch, dass er am Freitag Geburtstag hatte, oder?

„Nun schau mich nicht so verdattert an, Sêiichî. Wir laden dich zum Essen ein! Du kannst dich schlecht zweiteilen, außerdem wirst du dich schon nicht langweilen. Wir gehen in ein nobles Restaurant, du kannst dich also richtig rausputzen, dafür brauchst du eh den ganzen Morgen. Oder etwa nicht?“  Ein kleines bisschen geärgert wurde Sêiichî schon, aber er lächelte, weil es eigentlich total nett von ihnen allen war, an seinen Geburtstag zu denken.

„Wenn du schon in Tokyo bist, musst du mit so etwas rechnen.“

„Danke, Ryochi.“

„Wir begleiten dich. Los komm!“

Ryochi und Sêiichî hatten denselben Weg. In dem Moment ahnte Conan noch nicht, welches Grauen ihm begegnen und welche Schockierung er erfahren würde, wenn er mit beiden ging.

„Aber nur bis zum Auto.“

„Keine Sorge, wir ruinieren dir nicht den schönen Feierabend mit deiner Liebsten“, bei den Worten war schon ein bisschen was Spitzfindiges in Ryochis Stimme, was durch den Seitenhieb mit dem Arm noch ein bisschen unterstrichen wurde, genauso wie mit dem frechen Funkeln in seinen Augen.

Der Weg führte sie hinaus in die Dunkelheit, wo jeder Winkel eine Gefahr barg, trotzdem wirkte keiner von ihnen so, als würde er sich vor ebendieser fürchten. Sie wirkten sogar recht ausgelassen, während sie sich über Belangloses unterhielten.

Am schlimmsten war wohl die Tiefgarage, wo Ryochi sein Auto geparkt hatte. Dort bewegte sich ein Schatten geschwind verborgen im Schutz der anderen Autos, so dass derjenige nicht sofort gesehen wurde…

„Hast du nicht was vergessen, Sêi-chan?“ wollte Ryochi von diesem wissen, denn anscheinend war sein Gehirn schon fast ins Bett gekrochen.

„Ich bin ein bisschen fertig…“ Aber er wusste durchaus, was Ryochi meinte und holte sein Handy hervor, wo er schnell ein paar Worte tippte.

~Feierabend!! Wo steckst du?~ Er schickte es ab und lehnte sich gegen das Auto, wo er sich noch einen kurzen Moment mit Ryochi unterhalten wollte. Dieser sah den schwarzen Schatten sehr wohl, der sich ihnen langsam näherte… Da er weit über Conans Kopf hinweg angehuscht kam, bemerkte dieser denjenigen jedoch nicht.

Es war einen Moment mucksmäuschenstill, als die Person ihre Hände direkt auf Sêiichîs Augen platzierte, so dass dieser noch weniger sah, als ohnehin schon. Sie war dicht an ihn herangetreten, um ihn ein bisschen zu erschrecken und um zu schauen, ob er gleich darauf kam, wer ihm die Sicht nahm – aber sie baute darauf, dass er es wusste. Alles andere hätte sie sehr verwundert.

Sofort griff der Schwarzhaarige sich die Hände, die in seinem Gesicht waren, jedoch nicht, um sie sofort wegzunehmen. „Also wirklich, Chris, mich so von hinten zu überfallen!“ sagte er, wissend, wem die Hände gehörten, die er jetzt doch einen Moment später runternahm, aber ohne sie loszulassen. Noch in dem Moment, als Conan schnell den Kopf hob, bei der Nennung dieses Namens war er nämlich mehr als nur misstrauisch, drehte sich Sêiichî herum zu der Frau, die ihm gleich ein Lachen schenkte, was beeindruckt klang.

„Ich wusste, du enttäuschst mich nicht.“

Der Junge war zur Salzsäule erstarrt, als er das Gesicht der Blondine entdeckte, die ihnen hier so auflauerte. Ehe er sich von diesem Schock erholt hatte, wurde er Zeuge davon, wie dieser Kriminalist, den Ryochi in den höchsten Tönen lobte, einen sehr vertrauten Umgang mit dieser Frau pflegte – aber man sagte ja, schlimmer geht immer – deswegen entsetzte ihn dieser Kerl noch mehr, als er mit einer Hand ihren Nacken griff und ihr einen Kuss auf die Wange drückte, der liebevoller nicht hätte sein können.

Was zum Teufel sollte das? Wieso tauchte DIESE FRAU hier auf, ließ sich von einem Polizisten küssen und lächelte ihn dann auch noch an, als wenn sie kein Wässerchen trüben könnte?

Seine Freundin – eine Schauspielerin. Das konnte doch nicht sein Ernst sein? War dieser Kerl denn des absoluten Wahnsinns?

Connections

 

 

Im Gegensatz zu Conan blieb Ryochi völlig ruhig, während die Blondine und der Schwarzhaarige sich diese zweifelhaften Blicke zuwarfen. Der Kriminalist wirkte, als sei seine Märchenprinzessin vor ihm aufgetaucht und sie schenkte ihm ihre nicht wenig betörenden Blicke – so machte sie es ja auch mit jedem.

Das Zärtliche in ihren Augen und in ihrem Lächeln, was wenig später ihre Lippen zierte, für ihn war das ein perfektes Schauspiel. Jemandem, der in jeder Rolle perfekt war, durfte man einfach nicht vertrauen, oder Glauben schenken. Diese Person gab sich nicht wenig Mühe, den Typen zu bezirzen.

Und Ryochi? Er stand daneben und fiel genauso darauf herein, wie sein Freund! Conan zerrte an seinem Ärmel, um Aufmerksamkeit zu erregen, ohne gleich ein Wort zu sagen. Er spürte das aufgeregte Zerren zwar, reagierte aber nicht gleich.

„Tut mir Leid, dass es so spät geworden ist. Ich bin auch ein kleines bisschen geschafft.“

„Macht doch nichts“, sagte sie liebevoll, woraufhin Conan die Augen verdrehte.

„Wo ist dein Einkauf, für den wir einen LKW brauchen?“ Als Sêiichî das fragte, zog sich sein Mundwinkel frech nach oben, so dass sie ihm eine kleine Tüte in der Hand hochhob und ihm vors Gesicht hielt. „Hier.“

Conan verschränkte die Arme bei dem Getue, sie tat wirklich einen auf supersüß – darauf fiel er ja mal überhaupt nicht rein. Er sah ziemlich bockig aus, was nun die Blondine auch bemerkte und ihm ein leicht dreistes Grinsen schenkte.

„Ist’s nicht Zeit für kleine Kinder ins Bett zu verschwinden?“ Sie kam nicht umhin, den kleinen, zornigen Bengel etwas zu ärgern.

Da Conan aber vor Sêiichî sein Geheimnis nicht herausschreien wollte, bekam sie lediglich Halbmondaugen.

„Jetzt sagt nicht, ihr wollt auch noch gemeinsam ins Auto steigen und tatsächlich irgendwohin fahren?“

„Du bist ganz schön frech, Kleiner“, meinte Sêiichî jetzt und zwinkerte ihm zu. „Die Dame hier nehme ich jetzt in der Tat mit nachhause.“ Um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, nahm er ihren Arm und hakte ihn bei sich ein.

„Ach, und weißt du was, du Rotznase! Ich habe sogar einen Schlüssel! Ich könnte dort jederzeit aufkreuzen und ihn in der Nacht heimsuchen, weißt du?“

Ein kleines bisschen absichtlich tückisch betonte sie ihre Worte schon, um den Jungen etwas zu erschrecken. „Ich wüsste aber nicht, was es dich angeht, wo ich meinen Abend verbringe, Kleiner.“

Damit machte sie den Jungen dann doch ganz schön sauer, weswegen er sie nicht gerade unerheblich ärgerlich ansah. „Iwamoto-san! Es ist nicht wahr, oder? Das ist nicht die Schauspielerin, von der vorhin gesprochen wurde, oder? Ein schlechter Scherz, oder?“

Der junge Mann sah in die blauen Augen des Kindes, was durchaus etwas besorgt wirkte.

‚Was um alles in der Welt hast du mit ihm gemacht? Der ist ja richtig verstört! Der hat ja echt Angst.’

Ryochi wusste, dass  Chris ein Kinderschreck sein konnte, aber dass Conan sich davon so beeindrucken ließ, wunderte ihn schon. „Nun hör auf den Jungen zu ärgern!“ sagte er etwas lauter an Chris gerichtet, was durchaus fast schon als Drohung durchging.

Sêiichî schloss die Augen und wollte ihn zwar beruhigen, aber auch ein bisschen tadeln – er tat ja so, als würde er sich in des Teufels Hände begeben und die Nacht nicht überleben.

„Du musst dir keine Sorgen machen. Ich kenne sie nicht erst seit gestern. Man kann sagen, dass ich weiß, worauf ich mich da einlasse. Also, cool down, boy.“

Conan schmollte, weil er nicht ernst genommen wurde – jedenfalls dachte er das. Wenn er nun groß wäre, hätte der Kriminalist ihn sicher ernster genommen. „Und was ist da drin?“ fragte er, deutend auf die Tüte in Chris Hand.

„Was soll da schon drin sein?“ tat sie unschuldig, blickte kurz zu Sêiichî und hielt ihm die Tüte hin. „Was glaubst du? Eine Bombe? Magst du meinen Einkauf checken?”

Sêiichî nahm die Tüte und schaute hinein. „Essen… Äpfel, um genau zu sein. Wofür brauchst du denn Äpfel, eh?“ fragte er sie gleich und sie faltete die Hände ineinander.

„Ach, weißt du, das ist ein Geheimnis. Aber ich werde sie brauchen, Darling!“

„Schau“, meinte er zu Conan und hielt die Tüte auf. „Äpfel. Stinknormale Äpfel.“

Mit einem Schmollmund entdeckte er die Äpfel in der Tüte und kam sich ein bisschen verschaukelt vor. Sie behandelten ihn wie ein richtiges, kleines Kind – er benahm sich aber leider auch wie eines, weshalb Ryochi es leider nur belächeln wollte.

„Hattest du das nicht mitbekommen? Sie wollte ihm was kochen. Aber ich frage mich ernsthaft, was sie mit den Äpfeln vorhat.“

„Mir an den Kopf werfen, was sonst?“ scherzte Sêiichî, aber man merkte, dass es weniger ernst gemeint war, obwohl so ein Spruch schon für sich sprach. Wenn er so etwas sagen konnte, wusste er zumindest, dass sie nicht immer nur lieb und nett war.

„Wa-as?“ Chris tat absichtlich total schockiert. “Aber so etwas tut doch weh! Das würde ich nie machen. So etwas Schlimmes traust du mir zu, Sêiichî? Ich bin empört!“ Mit verschränkten Armen sah sie ihn an, wirkte dabei sogar ein bisschen schmollig.

Das ist wohl das Harmloseste, was ich dir zutraue, mein Engel, mit Teufelsflügeln. Wenn es mein Leben retten würde, würdest du ja sogar auf mich schießen, wenn du damit jemanden linken kannst. Nur damit dann jemand anderes kommt und so tut, als wenn er mich vor dir retten würde…’ Den Gedanken behielt er jetzt natürlich für sich. So sehr schockieren wollte er den Jungen dann doch nicht.

„Just kidding“, erwiderte er mit einem Grinsen und neigte sich etwas zu ihr, um wegen des bösen Scherzes dann doch entschuldigend einen Kuss auf ihre rötlichen Lippen zu drücken.

Damit machte er Conan nur wütender, er hatte immer noch die Arme verschränkt und drehte den Kopf leicht weg. Ein bisschen ekelhaft fand er das schon, vor ihm so eine Show abzuziehen.

„Wir sollten uns beeilen. Ich will nach Hause. Also Ryochi, wir sehen uns morgen.”

“Du kannst deinen Freund doch nicht einfach so mit dieser Frau gehen lassen”, gab der 7-jährige empört von sich und Ryochi lachte auf. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Ihn in Ketten legen?“

„Wäre zumindest eine Idee.“

„Wenn jemand Sêiichî in Ketten legt, bin ich das! Nur damit das klar ist“, sagte Chris mit einem raffinierten, aber auch besserwisserischen Lächeln an Conan gewendet, ehe sie sich auf die Beifahrerseite begab, da Sêiichî den Wagen entriegelt hatte und sie einsteigen konnte. Das tat sie auch völlig gelassen.

„Oi – pass nur auf, meine Liebe, nicht dass er draufsteht und du das dann immer machen musst“, warf Ryochi der Schauspielerin noch zu, woraufhin sich Sêiichî an der Wange kratzte und Conan sich weiter fast totschmollte, weil ihm keiner zuhören wollte.

Gerade als Sêiichî einsteigen wollte, hängte er sich an die Autotür, so dass er noch aufpassen musste, damit er ihm nicht versehentlich die Finger einklemmte.

„Iwamoto-san…“, flüsterte er, „passen Sie auf sich auf. Und lassen Sie sich nicht von ihr benutzen.“

Der Angesprochene beugte sich ein bisschen zum Ohr des Jungen und flüsterte dann: „Oh, keine Sorge, wenn dann nutzen wir uns gegenseitig aus. Aber ich danke dir für deine Sorge. Ist aber vollkommen unnötig. Wie ich bereits sagte, ich weiß, worauf ich mich einlasse.“

Conan blickte ins Auto, wo sie sich total eingebildet die Haare richtete – wie konnten Männer nur so dumm sein und nur auf sie hereinfallen, weil sie so hübsch war. Er würde das nie verstehen.

Chris blickte jetzt zur offenen Fahrertür, dabei lächelte sie Conan breit an und wank ihm dann zu allem Überfluss noch, ehe sich die Tür schloss und sie mit dem Theater aufhörte.

„Man, bist du aber verärgert“, äußerte sich Ryochi zum Verhalten des Kleinen, nachdem das Auto aus der Parklücke und dann zum Ausfahrt fuhr. Der Detektiv hatte seinen Wagen nicht weit entfernt geparkt und entriegelte diesen nun ebenfalls. Dann liefen sie zu dem Mercedes M-Class ML.

„Ich fasse es einfach nicht, dass diese Frau sich jetzt tatsächlich an einen Polizisten ranmacht! Dazu gehört schon viel Dreistigkeit.“

Der Ältere sagte dazu erst einmal nichts, sie stiegen zunächst in sein Auto. Erst als sie in diesem saßen, seufzte er. „Weißt du, Shinichi. Auf den ersten Blick mag das stimmen… Viele würden das auch so sehen und so etwas von ihr denken. Dass sie Menschen benutzt ist ein Fakt, der mir nicht sonderlich gefällt. In Sêiichîs Fall ist das aber nicht so. Shina sagte einmal ~you better look twice~ und damit hat sie wahrscheinlich Recht. Du willst all das wahrscheinlich nicht hören, denn du magst sie nicht.“

„Nicht mögen ist sehr milde ausgedrückt, Ryo“, sagte Conan mit einem betrübten Gesichtsausdruck.

„Oh, tu dir selbst den Gefallen und vergiss dich nicht in irgendeiner Art Hass. Das wird dir nicht gut tun… Außerdem…“, er schloss die Augen mit einem leicht nachdenklichen Touch. „Es gibt schlimmere Leute da draußen, kleiner Detektiv. Gestalten, denen du noch nicht begegnet bist. Solltest du eines Tages an sie geraten, wirst du Hilfe brauchen. Dagegen ist Vermouth ein kleines Übel. Vor ihr musst du keine Angst haben. Die würde dir kein Haar krümmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dich beschützt, ist größer.“ Damit hatte der Detektiv mehr gesagt, als er eigentlich wollte. Aber er fand nun einmal, dass man dem Jungen keinen Bären aufbinden sollte. Unwissenheit schadete ihm am Ende nur.

„Du kennst Vermouth und lässt deinen Freund mit ihr davonrauschen. Muss ich das verstehen?“  Nun wollte der Junge seinen Zorn wohl auf den Detektiv lenken, so dass dieser aus dem Fenster sah. „Man kann ihn nicht abhalten. Glaub mir, ich kenne Sêiichî. Außerdem hat schon so mancher Versucht ihm klarzumachen, dass es keine gute Idee ist, was er da treibt. Trotzdem ist es sein Leben. Selbst wenn er’s riskieren sollte, geht uns das alle nichts an. Jedenfalls hat er das einmal so gesagt.“

„Das ist ziemlich kaltschnäuzig. Willst du damit etwa sagen, er weiß so viel von ihr, dass man sagen kann, er riskiert wissentlich seinen Hals?“ Das war weitaus schockierender, als die Annahme, dass man ihn benutzen könnte.

„Die Liebe macht manchmal komische Sachen, Shinichi.“ Ryochi hatte das sehr traurig gesagt – er hätte sich gewünscht, dass sich Sêiichî eine Frau suchte, von der man weder hoffen musste, dass sie heil aus irgendeiner Scheiße kam, noch dass sie ihn in Gefahren brachte. Aber selbst wenn er eine normale Freundin hätte. Irgend so ein unschuldiges Mädchen – er war bei der Polizei. Da war man zwangsläufig Gefahren ausgesetzt. Also was machte es schon? Sie alle gingen Gefahren bewusst ein, sie konnten lediglich versuchen, sie so gering zu halten wie möglich. „Es wäre ein bisschen viel, dir alles zu erzählen, was meinen Freund beschäftigt, außerdem wäre es nicht ganz fair, ihm gegenüber, wenn ich dir all das erzähle. Ich habe es noch nicht einmal Shina erzählt. Sie hatte auch gar nicht so sehr das Interesse daran, jedes Geheimnis zu kennen. Jeder Mensch entscheidet selber, was er tut, nicht? Auch wenn sie Sêiichî nur bedingt verstehen kann, oder ihn nur sehr mäßig mag, weil sein Ruf ihm eben vorauseilt und er sich manchmal so komisch benimmt, dass sie nur den Kopf schütteln kann. Sie ist einen Schritt weiter als du. Meine Verlobte hat Dinge erfahren und Leute kennen gelernt, die sie schlimmer findet, als Vermouth.“ Sie alle hatten das, ein sehr trauriger Fakt…

„Aber er ist Polizist. Wie kann er sie lieben? Das tut er doch, nicht wahr?“

„Das kannst du nur fragen, weil du ihn so wenig kennst“, erwiderte Ryochi. „Mein Freund ist, was Frauen angeht nämlich… Wie soll ich es ausdrücken? Er hat es sich nicht gerade leicht gemacht. Gerade in der Liebe ist ihm so manches nicht leicht gefallen. Seine anderen Freundinnen hat er immer betrogen. Bei dieser einen ist er geblieben…“ Mehr musste man dazu nicht sagen, fand der Detektiv.

„Das Ganze ist also eine sehr ernste Sache…“ Natürlich war ersichtlich, dass Conan das gar nicht gefiel. „Ich war dabei ihn zu mögen…“

„Tu was auch immer dein Herz dir sagt. Ich werde dir nicht reinreden. Versuch ihn nur nicht nach einer einzigen Facette zu beurteilen. Das gilt auch für sie. Eines Tages verstehst du bestimmt, was ich meine.“

Gerade glaubte Conan noch nicht daran, aber er wünschte, dass er das auch einfach so locker sehen könnte.

 

Endlich waren sie auf die Straße gekommen. Der schwarze Porsche bog in eine kleine Seitenstraße ein und dabei seufzte Sêiichî jetzt. „Den hast du aber ganz schön erschreckt. Was um alles in der Welt hast du mit dem denn gemacht? Ich hatte ja beinahe das Gefühl, er will mich vor dir beschützen. Du musst ihn wirklich sehr geärgert haben.“ Es klang nicht so, als wäre Sêiichî davon so begeistert.

„Zuweilen muss man ihn vor sich selbst beschützen. Es schadet ihm nicht, wenn er ein bisschen Bammel hat. Das hält ihn davon ab, mit voller Absicht hinter mir herzurennen und dann am Ende in Gins Fänge zu geraten. Wenn er wüsste, wie wohlgesonnen ich ihm tatsächlich bin, würde er wahrscheinlich versuchen es auszunutzen. Der direkte Weg ist aber ein sehr schlechter. Das bekam noch nie einem sonderlich gut. Er muss sich langsam vorarbeiten, nicht in uns hineinstürmen. In seinem Zustand schon gar nicht. Er ist ein kleiner Junge. Zwar ist der Junge schlauer als so manch anderer seines zarten Alters, aber das würde ihm herzlich wenig bringen, wenn am Ende jemand aus der Organisation auch noch erkennt, dass eine Gefahr von ihm ausgeht.“

„Also erschreckst du ihn absichtlich ein bisschen, damit er eher vor dir wegläuft.“

Ein schweres Seufzen kam von ihr. „Klappt genauso hervorragend wie bei dir damals.“

„Tze“, meinte er belustigt. „Du lässt wirklich nach… Darüber solltest du dir Gedanken machen.“

„Jetzt werd’ nicht frech…“, sagte sie beleidigt, „du tust so, als würde ich verweichlichen.“

„Ich warne dich nur. Pass auf, in was du dich da verrennst. Du tust gut daran, dein Schauspiel aufrecht zu erhalten. Wenn du bei den falschen Leuten allzu viel durchblicken lässt, könnte das gefährlich für alle werden.“

„Das musst du gerade sagen.“

Das war der Mann, der Kenichi Ashida vertrauen wollte – sagte ihr aber, sie solle vorsichtig sein. Anscheinend musste sie mal wieder ein ernstes Wörtchen mit ihm reden – aber nicht jetzt, nicht heute. Ausnahmsweise wollte sie den Abend mit ihm wirklich genießen. Das ließ sie ihn auch spüren, als sie ihre Hand auf seine legte, die bei der Gangschaltung tätig war. Als sie das tat, weiteten sich seine Augen und er tat etwas, was er nicht tun sollte. Den Blick von der Straße abwenden, um sie anzusehen. Es war ein sanfter Blick, den er ihr schenkte.

Kurz darauf musste er sich aber wieder auf die Straße konzentrieren. „Und wie war dein Tag wirklich?“ fragte er.

Chris blickte auf ihre Beine und überlegte, ob sie so ein Gespräch tatsächlich wollte. Im Auto… Nicht wirklich. „Lehrreich.“

Ein einziges Wort – warum wunderte ihn das? Es war nicht das erste Mal, dass sie sich knapp hielt.

„Musst du mir nachher genauer erklären.“

„Muss ich?“

„Pff…“

Den Rest der Fahrt schwieg Sêiichî, weil er nun einmal der Typ Mann war, der eine kleine Weile brauchte, um zu schmollen, weil man ihm etwas gesagt hatte, was ihm nicht schmeckte. Aber es war nicht schlimm, so verhinderte sie, dass er sie noch im Auto ausquetschte.

 

 

Um 22:50 Uhr hatten Ryochi und Conan die Detektei Môri erreicht. Ran hatte schon längst alle möglichen Pferde scheu gemacht, weshalb man Professor Agasa gebeten hatte, sie ein bisschen zu beruhigen. Dass Conan bei Agasa war, funktionierte meistens – aber auch eine sanftmütige Oberschülerin fand, dass kleine Kinder ins Bett gehörten und hatte dementsprechend Stress geschoben. Eigentlich hatte der Junge auch bei Agasa übernachten wollen, um nicht in diesen Stress zu geraten – doch überraschend hatte er Ryochi gebeten, ihn nicht zu Agasa, sondern nach Hause zu fahren. Dagegen hatte der Detektiv nichts einzuwenden. Kogoro saß vor der Flimmerkiste und schien sich nicht wirklich Sorgen zu machen. Er hatte wieder einen über den Durst getrunken und Ran befand sich in der Küche, wo sie noch saubermachte und abspülte – so wie meistens – ihr Vater wäre ohne seine einzige Tochter wohl aufgeschmissen. Ryo hörte die Geräusche und stand dann in der geöffneten Tür, mit Conan neben sich.

„Guten Abend“, sprach er sie von hinten an und Ran drehte sich zu ihm.

„Oh guten Abend, Akaja-san“, entfuhr ihr dann überrascht, doch noch mehr verwundert wirkte sie, als sie den kleinen Conan neben dem Detektiv ausmachte, der etwas betreten zu Boden guckte.

„Was ist? Was machst du denn hier?“ Sie warf sich das Handtuch über die Schulter, ließ alles stehen und liegen und kam zu ihnen.

„Er wollte unbedingt nach Hause, da habe ich mich verantwortlich gefühlt“, sagte der Braunhaarige und Ran seufzte.

„Ist was passiert? Hast du dich mit Ai-chan gestritten?“  Ansonsten würde er ja nicht um diese späte Stunde darum bitten, nachhause gefahren zu werden.

„Ist doch ganz egal, Ran-chan! Oder etwa nicht? Manchmal braucht es keinen richtigen Grund. Er wollte eben heim. Ist das ein großes Problem? Hattest du etwas vor?“

„Ach Blödsinn! Und selbst wenn, dann würde ich absagen.“ Ran ging selten abends weg, dagegen hätte Conan sofort etwas getan, weil er einfach viel zu beunruhigt wäre, wo er ja wusste, was für Gestalten man des Nachts hier antreffen konnte… Er war ja fast schon paranoid und hatte immer Angst, die Organisation könnte doch mehr wissen, als sie ahnten – deswegen wollte er nicht, dass Ran nachts irgendwo alleine herumspazierte. Er könnte allerdings ja schlecht nachts mit ihr mitgehen – er war ja jetzt ein Bengel von sieben Jahren – das ging ihm auch ordentlich auf den Zeiger…

„Das ist lieb von dir, dich so um ihn zu kümmern…“ Ryochi fand, dass sich Ran ganz schön aufopferte und deswegen ihr Leben auf der Strecke blieb, aber es machte ganz den Anschein, als würde sie es mit Freuden tun.

„Ach, das ist doch nichts“, beschwichtigte die 17-jährige und lächelte Conan an. „Du willst uns also nicht sagen, was passiert ist. Egal, was es war, es ist nicht schlimm, du kannst mir alles sagen!“

Conan hob den Kopf und wirkte gleich ein bisschen platt, obwohl er Ran doch kennen musste. Konnte er ihr wirklich alles sagen? Nein, das konnte er nicht – das war ihm zu gefährlich. Wirklich begründet war es nicht damit, dass er Angst hatte, sie könnte etwas nicht verstehen, sondern eher in diese Sache hineingeraten. Sie sollte mit dieser Sache nichts zu tun haben…

Nach dem kleinen Schreck lächelte er sie an. „Das weiß ich doch, Ran-neechan.“ Es war das, was er in diesem Moment wirklich fühlte.

„Ich werde euch auch nicht weiter stören. Ich muss ja schließlich noch nach Hause fahren. Bin etwas geschafft von heute…“

„Das kann ich verstehen“, legte Ran ein und wirkte daraufhin ein klein wenig traurig. Conan beobachtete sie, wie ihre Mimik sich änderte. „Es kam in den Nachrichten…“

„Kein Wunder“, meinte Ryochi, lächelte jetzt aber zu Conan. „Also, sei schön brav und ärger sie nicht zu sehr.“ Der Ältere zwinkerte ihm zu und Conan nickte.

„Schlaft gut“, mit den Worten machte sich Ryochi auf zum Gehen. Für einen Moment herrschte Stille, ehe sich Ran zu Conan hinabbeugte. „Willst du mir wirklich nicht erzählen, was los war?“

„Es war nichts, wirklich!“ Jemand wie er, der alltäglich log, so zu sehen, wie es ihm schwerfiel, seiner Kindheitsfreundin vorzugaukeln, alles sei in bester Ordnung, war schon merkwürdig. Er scheiterte gerade kläglich an diesem Versuch, wie er sah, da Ran eine Augenbraue hochzog, was sie sehr skeptisch wirken ließ. Ihm kam es eher vor, als würde sie das traurig machen, von ihm so belogen zu werden.

„Weißt du, mein Kleiner… Manchmal sind Dinge so offensichtlich und trotzdem will man sie nicht wahrhaben. Vor ihnen wegzulaufen bringt aber auch nichts. Der heutige Tag war voller Überraschungen – du würdest es nicht glauben. Aber wenn du dein Geheimnis nicht mit mir teilen willst, ist das vollkommen okay.“ Die ganze Situation wirkte beunruhigend. Was zum Teufel meinte sie denn damit?

„Du irrst dich aber, wenn du glaubst, dass ich nicht auch Geheimnisse habe“, sagte Ran in einem schadenfrohen Ton, wobei sie aber doch etwas traurig wirkte.

Zum ersten Mal bekam er zu spüren, wie sich das anfühlte. Wenn der liebste Mensch Geheimnisse vor einem hatte und man wusste nicht im Geringsten, woran man war.

Eine Brille aufsetzen kann schon effektvoll sein.’ Wenn Ran das laut gesagt hätte, würde er total erschrecken… Obwohl es nicht nur um ihn ging, sondern noch um ganz andere Personen. Eigentlich hatte Ran vor, ihr Erlebnis von heute mit ihm zu teilen, aber es war ja nicht verwerflich, wenn man es mal nicht tat, oder?

 

 

Nach knappen 20 Minuten hatten Sêiichî und Chris den Apartment-Block erreicht, in dem Sêiichî sich niedergelassen hatte. Es war eine Gegend, die vor allem von jungen, reichen Leuten bewohnt wurde, also nicht gerade die Günstigste. Jedoch wenigstens weit weg von der heruntergekommenen Siedlung, wo sich die Verbrecher des Nachts aufhielten. Obwohl die Wohnung nicht riesig war, sie war gerade groß genug für eine Single-Person. Er hatte nicht vor hier zu bleiben, das sah die Blondine auf den ersten Blick. Aber wohl lange genug, um sich eine Wohnung zu mieten. Es widerstrebte ihm wohl sehr, bei den Akajas einzuziehen – deswegen wohnte er jetzt hier. Da konnte man ihn auch weniger kontrollieren, nicht wahr? Er versuchte immer der Kontrolle zu entfliehen, auch ihrer.

Kaum, dass sie drinnen waren, schlüpften sie beide in Hausschuhe und Sêiichî fiel erledigt auf die Couch, wo er sich die Krawatte erst einmal lockerte. Ihr Weg führte sie gleich in die Küche, so dass er bald schon keine Lust mehr hatte, auf der Couch alleine zu versauern und sich zu ihr gesellte.

Mit dem Rücken zu ihm gewendet, suchte sie sich alles zusammen, dabei beobachtete er sie nun klammheimlich. Ob das wohl was werden würde? Einmal hatte sie die Küche auch in Brand gesteckt, weil sie zu ihm gekommen war, während das Essen auf dem Herd war. Er war fasziniert davon, was sie tat, weil es so untypisch war. Hausfrauentätigkeiten waren nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung. Shoppen und andere Leute bespitzeln schon eher. Ein leichtes Grinsen lag auf seinen Lippen, als sie die Schränke aufriss und dort die Zutaten sich zusammensuchte.

Backpulver, Mehl und Zucker.

Aus dem Kühlschrank holte sie Eier, Butter und Milch.

Ein Messer aus der Schublade.

„Was wird das eigentlich genau? Sieht eher nach Backen, als nach Kochen aus.“

Er lehnte am Türrahmen, als sie sich leicht zu ihm herumdrehte.

„Nichts Besonderes, aber du hast Recht.“

Nun stieß er sich vom Türrahmen ab und ging zu ihr hin, um von hinten die Arme um sie zu schlingen.

„Ein bisschen gedulden musst du dich aber noch“, sagte sie, während sie sich in seinen Armen drehte, so dass sie ihn direkt ansehen konnte.

„Ich will’s aber jetzt wissen“, sagte er drängelnd und wirkte dabei ein kleines bisschen wie ein kleiner Junge. Chris konnte nicht leugnen, dass er gerade dann absolut unwiderstehlich war und sie am besten weichbekam.

„Etwas Süßes“, gab sie geheimnisvoll von sich und legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen, wo sie sanft rüberstrich und dabei ein bisschen mit ihm flirtete.

„Du willst mich wohl unbedingt auf die Folter spannen, oder?“

„Das macht man bei kleinen Kindern genauso – und sie reagieren genauso, wie du das immer tust! Mit Schmollen, Protest und Drängeln.

„Ich war aber den ganzen Tag brav – ganz im Gegensatz zu dir“, erwiderte Sêiichî, wobei er sie ein bisschen durch den eigenen Körper gegen die Theke drückte und sie einengte. „Du hast dich immerhin als eine Polizistin ausgegeben, nur um mich auszuhorchen, das war nicht nett von dir.“

„Oh, du hast es bemerkt. Wann genau?“

Am liebsten wollte er sie ja im Dunklen tappen lassen, so wie sie das gern bei ihm tat, deswegen schloss er dann doch geheimnisvoll die Augen. „Oh, wer weiß?“

Vielleicht war sie am Ende ja sogar beleidigt, oder sie war beeindruckt von ihm, dass es keine Minute gedauert hatte, bis er ihr Spiel durchschaut hatte. Es waren so gewisse Verhaltensweisen, die ihn an Yukiko Kudô erinnerten.

„Ach komm, sag’s mir. Ich will, wenn schon wissen, wo mein Fehler lag.“ Man lernte ja nie aus, nicht wahr?

Sêiichî gab einen belustigten Laut von sich und tätschelte ihren Kopf, wie bei einem kleinen Mädchen. „Wer sagt, dass du einen Fehler gemacht hast? Vielleicht bin ich einfach zu schlau, um auf so etwas hereinzufallen?“ Er kniff ein Auge zu und wirkte dabei ein kleines bisschen frech.

„Und du hast nicht bemerkt, ab welchem Zeitpunkt ich es wusste? Dabei habe ich dir doch genug Hints gegeben, oder?“ Er griff sich an die Stirn, dabei war er mehr als nur belustigt. „Meinst du wirklich, dass man einem Kerl wie mir zutraut, Single zu sein? Ernsthaft?! Damit hast du mich ganz schön beleidigt. Ich will dir ja keine Angst einjagen, aber bisher hat noch keine angenommen, dass ich Single wäre. Ich wusste gar nicht, dass dein Ego das so dringend nötig hat. Dass du es so unbedingt aus meinem Mund hören wolltest, dass ich eben nicht Single bin.“

„Ich wollte mal gucken, wie du reagierst. Und mein Ego hat das gar nicht nötig. Deins aber anscheinend, sonst wärst du ja nicht so entrüstet.“ Sie setzte absichtlich ein unschuldiges Lächeln auf.

„Für die Show müsste man dir den Hintern versohlen. Sei lieber froh und dankbar, dass ich meinen Kollegen nicht gleich gesagt habe, dass du dich ins Präsidium geschlichen hast. Satô-san wäre sicher wenig begeistert.“

Ihre Hände glitten über sein Hemd, während sie sich ganz lässig zurücklehnte. „Die fandest du gut, nicht wahr?“ Ihre Stimme hatte kurz einen stichelnden Ton angenommen, so dass Sêiichî etwas verblüfft, aber auch erschrocken wirkte.

Aber seine Freundin kannte Mittel und Wege, gerade weil sie ihn so gut kannte, wie sie seine  Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte und zwar nur auf sie alleine. Egal wie heiß er die Polizistin vielleicht gefunden hatte. Gerade weil er ja mal wieder so bemüht darum war, die Distanz hinter sich zu lassen, konnte sie ihr Bein, das sowieso etwas ausgestreckt war, an seinem Hosenbein entlang gleiten lassen, bis ihr Knie provozierend den höchsten Punkt erreichte und ihn bei einer sehr männlichen Schwachstelle erwischte. Sie trat nicht zu, so wie sie es bei manch anderem vielleicht getan hätte, sondern rieb sich kurz etwas provokant dort. „Und selbst wenn? Was dann?“ hauchte er ihr verheißungsvoll zu.

„Nichts dann.“  Glaubte er denn allen Ernstes, nur weil diese Frau vielleicht seine Kragenweite war, würde sie irgendwelchen Eifersuchtsgefühlen zum Opfer fallen? Ganz gewiss nicht – außerdem wer sagte, dass ihr Freund Chancen hätte?

Chris nahm das Knie runter und drehte sich herum, wobei sie ihn nur kurz streifte und ihm dann den Hintern präsentierte, anstelle von ihrer Front. Dann tat sie so, als würde er überhaupt nicht existieren und kümmerte sich wieder um das Essen. „Tu mir den Gefallen und rück mir ein bisschen vom Leib, sonst passiert noch ein Unglück.“

Halbmondaugen – er war so etwas ja gewohnt, trotzdem war es ganz schön frech, ihn mit dem Knie so zu bearbeiten, nur um sich dann herumzudrehen und so zu tun, als wäre gar nichts gewesen, aber diese Spielchen zeigten ihm nur, wie hastig Männer immer waren und wie kalt Frauen. Von der einen Sekunde auf die andere… Einfach fallen gelassen, wie eine heiße Kartoffel.

Sêiichî reckte sich ein bisschen, um besser sehen zu können, was sie da trieb.

Chris nahm gerade das Messer und schnitt die Äpfel in gleich große Stückchen, wobei sie eines sich sogar in den Mund steckte. Sie waren schön süß.

Er sah ihr interessiert dabei zu und sie erwartete ja, dass er ganz seinem Charakter entsprechend darauf pfiff, ob sie sagte, er solle ihr vom Leib rücken, deswegen sagte sie es ja. Aber er hielt nun tatsächlich Abstand und sie spürte ihn nicht gleich hinter sich. Dafür aber legte er die Hände links und rechts neben sie auf die Arbeitsfläche und lugte an ihr vorbei, als würde sie eine sonst wie spannende Tätigkeit verrichten. Eine wirkliche Küchenfee war sie nicht, trotzdem sah es irgendwie gekonnt und professionell aus, was sie da machte.

„Ich will jetzt wissen, was das wird…“ Er war ja noch nie geduldig gewesen. Weder bei Frauen an sich, noch in Sex-Dingen – aber gerade war er wie ein kleiner Junge. Er lugte links, er lugte rechts und war total aufgeregt – so etwas kannte sie nur von Hündchen, denen man die Leine zum Gassigehen zeigte – die dann total durchdrehten und wild mit dem Schwanz wedelten. „Sag’s mir! Los.“

„Wirst du schon sehen.“

„Ich will’s aber sofort wissen!“ Jetzt war alles zu spät, er lehnte sich an sie, weil er es einfach nicht lassen konnte.

„Sei nicht immer so ungeduldig. Du machst einen ja verrückt. Zieh doch jetzt mal Leine!“ Kaum hatte sie das gesagt, gab sie ihm mit ihrem Hintern einen Schubs von sich weg. „Wenn ich mich wegen dir schneide, kannst du was erleben!“ drohte sie ihm und er gab sich geschlagen. Mit einem schmollenden Laut zwar, aber er setzte sich an den Tisch und stützte den Kopf mit der Hand ab. Dass er aus der Küche verschwand, war wohl zuviel verlangt, aber sie ließ ihn, solange er ihr nicht wieder auf die Pelle rückte.

Die Äpfel zu schneiden war am langwierigsten. Sie war froh als sie alles in die Schüssel tun konnte. Daraufhin folgten die anderen Zutaten, dann kam der Mixer.

Sêiichî hatte mittlerweile den Kopf wieder erhoben und versuchte doch noch von seinem Platz einen Blick zu erhaschen, aber sie versperrte ihm die Sicht. Als sie mit dem Mixen fertig war, holte sie die Pfanne und das Ganze nahm langsam Gestalt an. Er blinzelte ein paar Mal und sah dann dabei zu, wie sie das bis eben verrührte Zeug in die Pfanne gab und dort das Öl ordentlich zu brutzeln begann. Er stand auf und trat neben sie, die dem Essen dabei zuschaute, wie es vor sich hin briet.

„Sind das Pfannenkuchen?“ fragte er neugierig.

„Apple Pancakes, um genau zu sein.“

„PANCAKES?!“ Man hätte meinen können, dass Sêiichî schockiert davon war, als er seine Frage so ausspie und den Kopf nach vorne schob, direkt neben ihren starrend auf den Inhalt der Pfanne. „Kein Witz?“

„Siehst du doch…“ 

Der junge Mann glaubte selbst noch nicht, was er sah, deswegen fragte er ja so ungläubig nach. „Du magst doch Pancakes?“ Ihre Augenbrauen kräuselten sich ein wenig bei der Nachfrage.

Das Gute an Pancakes war, dass man nicht sonderlich viel falsch machen konnte, wenn man sie einmal hinbekommen hatte, würde man sie wieder hinbekommen. Noch beeindruckender fand er, dass sie kein Rezept da hatte und daher ganz offensichtlich ganz genau wusste, wie die Dinger gemacht wurden.

„Natürlich mag ich Pancakes!“ In seiner Stimme klang wahre Freude hindurch, aber das schien ihm nicht zu reichen, er öffnete den Schrank und holte zwei Teller heraus, gerade in dem Moment als sie den ersten Pfannenkuchen wendete. Und sie tat es wie ein wahrer Profi, warf den Pfannenkuchen durch die Luft und fing ihn wieder. Dabei sah er dann doch etwas schockiert und überrascht zu. „Ich hoffe, du bist dir im Klaren, dass du jetzt mein persönlicher Pancakes-Sklave bist, oder? Ich liebe Pancakes!“ Seiichî ging zu ihr und drückte ihr voller Entzücken einen dicken Kuss auf die Wange, der aber auch sehr liebevoll wirkte. Noch stärker konnte er seine Liebe fast nicht mehr ausdrücken. Es hatte ihn wohl überkommen, weshalb sie schmunzelte. „Achja, wirklich?“ grinste sie ihn an und tat bewusst ungläubig, dabei genoss sie sichtlich das Verhalten, was er an den Tag legte, egal ob er dabei wie ein kleiner Junge agierte – kleine Jungs waren wenigstens ehrlich. Sie schmierten einem keinen Honig ums Maul, nur um einen ins Bett zu kriegen, nicht wahr?

„Ja – ich will jetzt mindestens einmal in der Woche welche.“ Ansprüche stellen konnte er ja schon immer, daher wunderte es sie nicht, dass er so einen Spruch mal wieder brachte.

„Oh, das muss ich mir schwer überlegen. Dafür musst du auch ein bisschen was tun“, ärgerte Chris ihn und wahrscheinlich schockierte es ihn wieder, deswegen tat sie auch ein bisschen nachdenklich – als würde sie sich irgendwelche Gemeinheiten ausdenken. „Du würdest alles für Pancakes tun, right?“ Es war eine Fangfrage, noch dazu eine absolut fiese.

Sêiichî war sehr voreilig, da seine Liebe zu Pancakes wohl sehr groß war, weshalb er sofort nickte. „Oh wirklich? ALLES?!“

Bei dieser Betonung zuckte er jetzt doch ein bisschen zusammen. Bevor sie ihre Konversation weiterführten, holte sie aber den ersten Pfannenkuchen aus der Pfanne und wendete sich dann Sêiichî zu. Sie ging zu ihm, schlang die Hände um seinen Hals und strich diesen entlang, während sie ihm auf die eine Art ernst, auf die andere aber auch mit einem leichten Grinsen auf den Lippen ihre Bedingung präsentieren wollte. Auf den ersten Blick wirkte dieses Lächeln, als käme nun ein kleiner Gag, aber…

„Nichts im Leben ist umsonst, Sêiichî Iwamoto. Ich betone, dass ich das absolut ernst meine, nur falls du denkst, ich mache Witze. Du bekommst deine Pancakes… Und ich bekomme…“, sie näherte sich seinen Lippen und hauchte es ihm verheißungsvoll, aber auch betörend zu, „ich bekomme ein Baby. Ist das ein Deal?“

…  Ihre Stimme klang dabei todernst.

Damit verschlug sie ihm doch seine Sprache und er hustete einmal. „Was?“ Er klang ein bisschen erschüttert, ja doch schockiert, lächelte dann aber. „So, so. Klug ausgehandelt.“ Eine gewisse Raffinesse musste man ihr ja zugestehen. Er klang ziemlich amüsiert darüber, wie sie ihm diesen Wunsch vortrug. „Aber weißt du, Darling“, sagte er, dabei griff er sich ihr Kinn, was er schon immer ganz gern gemacht hatte. Alter Macho. Dabei sah er ihr mit einem fiesen Grinsen ins Gesicht. „Wenn das unser Deal sein soll, musst du mir aber ganz schön viele Pancakes machen, um deine Schuld zu begleichen. Immerhin arbeite ich seit Jahren hart daran, dass du dein Baby bekommst.“ Er wusste, wie dreist das nun war, aber er hatte sich bei so viel Raffinesse einfach nicht verkneifen können, so etwas zu sagen. „Ich kann schließlich nichts dafür, wenn du Dummerchen erst jetzt auf so etwas kommst. Ich hatte nie ein Problem damit.“ Er fühlte sich auch ein wenig überlegen, weil sie ihn ganz offensichtlich gerade schockieren wollte.

Dass Frechheit siegte, hatte sie ja immer gewusst, aber Sêiichî Iwamoto musste natürlich mal wieder den Vogel abschießen. So ein dreister und frecher Typ war ihr noch nie untergekommen. Solche Sprüche hätte sein Vater nie gewagt vom Stapel zu lassen. Es war das allererste Mal, dass er es wirklich geschafft hatte, dass ihr fiebrig warm geworden war und sie sich jetzt doch beide Wangen hielt. In Verlegenheit geraten durch einen jüngeren Mann, von dem sie geglaubt hatte, dass er sie nie so sehr schockieren könnte. Seit Jahren, hatte er gesagt. Ihre Wangen glühten regelrecht und ihre Augen leuchteten ihn gefesselt an.

Es war der beste Anblick seit langem. Der tolle Moment in seinem Leben – gleich nach seiner Frage zu Weihnachten, die alles für sie beide besiegeln sollte. Die Frau seines Lebens zu fragen, ob sie einen heiraten wollte, war eine Sache. Kinderwünsche eine andere. Wobei eines davon meistens mit dem anderen kam – wenn nicht schon früher. Er schmunzelte und könnte schwören, gerade war sie absolut glücklich, das machte es so vollkommen. Lange war es her mittlerweile, dass sie ihn so ähnlich angesehen hatte. Sie schaffte wohl gerade nicht einmal irgendetwas zu sagen, so fassungslos hatte es sie gemacht.

„Sieht so aus, als hättest nicht nur du Geheimnisse, was?“ So etwas hatte er schon immer einmal sagen wollen, wo sie so davon überzeugt war, alles von ihm zu wissen.

„Das ist aber ein sehr süßes Geheimnis“, flüsterte sie und klang dabei gerührt. „Küss mich, Sêiichî…“ Sie hatte noch nie gefragt, sondern sie hatten grundsätzlich immer gehandelt, aber diesmal bat sie ihn darum – sie war gerade irgendwie unfähig, irgendetwas zu tun. Sêiichî nahm ihre Wangen und drückte ihr seine Lippen auf und küsste sie einen schier unendlich wirkenden Moment, der einem aber kurz darauf schon wieder als zu kurz vorkam, so dass er noch einmal seine Lippen gegen ihre drückte, während er sie bei dem kleinen Zusatzküsschen  ansah. Er wollte sie immer schon so glücklich sehen. Deswegen schloss er sie jetzt auch in seine Arme und hielt sie einen Moment länger noch dicht bei sich. Er wollte sie eigentlich gar nicht wieder loslassen, aber irgendwann musste er das sowieso. Seine heißgeliebten Pancakes hatte er in dem Moment doch ein kleines bisschen vergessen. Der Gedanke an ein Baby mit der Frau seines Herzens erschien ihm wichtiger. Er hatte sich ja sowieso immer gefragt, ob sie dieses Thema bis in alle Ewigkeit umschiffen würden. Oder ob einer von ihnen es dann doch irgendwann mal zur Sprache brachte. Zwar gab sich Sêiichî große Mühe, nicht vor ihr zurückzustecken, denn sie war eine absolut starke Frau, die jeden Mann kleinbekam, auch ihn – aber sie hatte ihm während ihres Zusammenseins oft harte Schläge verpasst, da kam auch sonst niemand ran. Keine andere Frau hatte ihm so zugesetzt, wie sie. Dabei war sie nicht wirklich bösartig, wie man ihr das oftmals unterstellte, nein sie war verdammt clever und wusste ganz genau, was sie tat und wann. Eine gefühlte Ewigkeit wusste er so gar nicht, was Sache war, gerade weil sie jedes Geheimnis hüten konnte, wie einen Schatz. Jetzt, wo sie ihn mit so etwas schocken wollte, konnte er einfach nicht länger widerstehen und wollte sich zumindest einmal an ihr rächen. Für all die Schläge, all jene Momente, wo sie ihn hatte auflaufen lassen, mit ihren kleinen Fiesheiten, die er aber doch so an ihr liebte. Sie einmal um ihre Sprache zu verschlagen, war es wert, auch wenn es frech gewesen war.

„Du warst schon immer verrückt“, sagte sie, während ihr Kopf an seiner Brust lag.

„Oh ja – vor allem furchtbar verrückt nach dir.“

Noch einen kurzen Moment wollte sie es genießen, die Stimmung, das Gefühl, was er ihr gegeben hatte, deswegen schloss sie die Augen. Jemand wie sie, der die Hoffnung vor langer Zeit schon fast aufgegeben hatte, verspürte solch ein Gefühl natürlich noch viel intensiver. Gerade bereute sie es kein bisschen, dass sie um ihn gekämpft hatte – auch wenn ihre Methoden nicht immer fair gewesen waren. Aber auch er war nicht immer gerecht, obwohl er ein Mann des Gesetzes war, konnte er sehr ungerecht sein – vor allem in seinem Verhalten. Er war alles, nur kein einfacher Mensch, der leicht zu durchschauen war, ebenso wenig wie man ihn leicht einfangen konnte.

Chris war schon so manchem Mann begegnet, den sie einfacher um den Finger wickeln konnte. Obwohl Sêiichî ihr absolut verfallen war, das wusste sie, kam es ihr nie vor, als hätte sie ihn wirklich ganz für sich gehabt – das hatte viele Male auch wirklich wehgetan, trotzdem hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es sich eines Tages eben doch lohnen würde. Und sie hatte Recht.

 

~Dunkler Ort, spät am Abend~

 

Es gab Verbindungen, die weder auf gegenseitigem Respekt basierten, noch sonst irgendwie etwas mit irgendeiner Art von Zuneigung zu tun hatten.

Drei Schwarzhaarige zum Beispiel, die sich in einer Lagerhalle aufhielten. Einer von ihnen spielte mit seinem Feuerzeug, während die zwei Anderen sich der Wut hingaben. Der 32-jährige war besonders still, von seiner Hand ging ein regelmäßiges Klacken aus, wenn er das Feuerzeug betätigte – jedoch steckte er damit nichts an, sondern ertrug die zwei Anderen, die er überhaupt nicht ausstehen konnte.

Einer der anderen Zwei, ein gut aussehender Schwarzhaariger mit türkisfarben leuchtenden Augen musste dieses Individuum ertragen, das sich die ganze Zeit geradezu künstlich aufregte.

„Ich konnte absolut nichts machen! Es kotzt mich an, immerzu auf Befehle zu warten! Es ist doch nun wirklich scheißegal, wie viele Bullen wir killen! Je weniger von denen hier frei herumspazieren, umso besser!“ regte der Älteste von ihnen sich auf und die beiden Jüngeren im Bund schwiegen. Der Jüngste lächelte spöttisch – gern umgab er sich mit Leuten, welche die Polizei genauso verabscheuten, wie er das tat – zweifelsohne war Chardonnay der größte Polizistenhasser, den er je kennenlernen durfte. Wenn er als Killer, der sich ausschließlich mit Polizisten beschäftigte, nicht so gut zu gebrauchen wäre, hätte er ihn sicherlich nicht am Leben gelassen. Aber er war brauchbar – sagte sein Vater immer, gerade weil er mit Hingabe Polizisten ermordete. Diesmal waren ein paar Leute ums Leben gekommen, die mit Polizei nicht so viel am Hut hatten, sie aber trotzdem eingeschaltet hätten. Zeugenbeseitigung war ihrer aller Job – nun moserte der Kerl, weil es hieß, Auftrag ausführen, dann abhauen – die Bullen lasst ihr in Ruhe. Sie konnten ihnen nichts anhaben, waren ahnungslos.

Bei dem Gebrülle, was der Kerl die ganze Zeit veranstaltete, da er keinerlei Beherrschung besaß, tippte er ganz nebenbei eine Nachricht.

 

~Chardonnay schäumt vor Wut. Ist eigentlich ganz witzig. Er flucht und schimpft die ganze Zeit.~

 

~Ausgerechnet sein Sohn hält ihn davon ab, Polizisten zu ermorden… Muss ihm arg zusetzen, was, Jami?~

 

~Irgendwann bringt er ihn eigenhändig um.~

 

~Dann hat Chardonnay aber bald auch nichts mehr zu lachen.~

 

~Darauf würde ich einen trinken, wenn der Fall eintrifft… Ich bin es leid die Schweinereien, die er anzettelt, auszubügeln. Und dann ist da noch Vermouth…~

 

~*grins* Was hat die Alte wieder angestellt?~

 

~Bisher nichts… Da sie aber immer noch in Japan ist, wird das wohl nicht mehr allzu lang dauern. Du weißt doch, sie und Chardonnay sind so etwas wie Erzfeinde. Um ihn ärgern zu können, tut sie alles. Der Boss sollte dagegen schleunigst was unternehmen, sonst bringen sie sich gegenseitig um.~

 

~Zumindest von Chardonnays Seite ist nichts zu befürchten. Er wird ihr direkt nichts tun. Er hat gnadenlos sein Herz an diese Frau verloren. Alles, was er tut, sind Verzweiflungstaten, weil er sie nicht haben kann~

 

~Vielleicht träumt er noch immer davon, dass sie eines Tages ihre Meinung ändern wird und sie doch noch zusammen sein können. Man kann bei dieser Frau ja nie wissen. Heute sagt sie so, und morgen ganz anders, je nachdem, wonach ihr gerade ist.~

 

~Willst du mich verkohlen, Jami? Seine hinterhältigen Aktionen werden ihm bestimmt eines Tages das Genick brechen! Dazu, dass sie ihn mehr leiden kann, wird das kaum führen.~

 

~Ich genieße und schweige. Soll er diese Frau eben weiter ärgern. Ich weiß, was gesund ist und was nicht. Was geht schon verloren, wenn sie Chardonnay umlegt? Ich würde ihn nicht vermissen, den elenden, alten Bastard.~

 

~Deine Liebe zu diesem Kerl ist offensichtlich auch schier endlos~

 

Damit endete der Verlauf. Jami konnte nicht verbergen, dass er diesem alten Sack keine Träne nachweinen würde. Ihre einzige Verbindung war eine Abneigung gegen die Polizei und ihr gemeinsamer Arbeitgeber.

 

„Hör doch endlich auf, hier so furchtbar rumzuschreien, Chardonnay! Diese Lagerhalle wird zwar von Yakuza besetzt, aber das heißt nicht, dass die Polizei nicht wagen würde, diese zu untersuchen. Die haben ein paar brauchbare Leute, die so etwas wie Angst anscheinend nicht kennen…“, seufzte der Mann, der keinen anderen Job innerhalb der Organisation hatte, als aus der Entfernung auf Menschen zu schießen. Ansonsten hatte er nichts zu tun. „Ich habe wenig Lust, wegen so einem Scheiß noch im Gefängnis zu landen. Wo stecken die anderen Beiden eigentlich?“

„Lage auskundschaften“, antwortete Jami, was den Anderen zum Seufzen brachte.

„Und wir drehen Däumchen und warten darauf, dass sie zurückkehren? Ätzend…“

„Gin wurmt da so etwas, was er unbedingt auskundschaften will. Ihm geht so’n Schnüffler gewaltig auf den Sack. Er hat Vodka mitgenommen, um sich die Sache genauer anzusehen. Wenn’s hart auf hart kommt, wird er jeden umbringen, der in Verbindung mit *ihm* steht.“

„Von wem sprichst du?“ kam aus einer Ecke heraus, von der dritten Person, dessen Stimme eher besonnen wirkte.

Bourbon erlaubt sich ein paar Sachen, die passen ihm überhaupt nicht in den Kram.“ Jami verstand aber den Ärger, den Gin in sich verspürte, wenn es um diesen Detektiv ging – ihm war so was auch nicht geheuer. Der Boss hingegen mochte Detektive sehr gern, vor allem, wenn sie für ihn arbeiteten.

„Weil er in seinem Revier auf die Jagd geht etwa?“

„Liegt wohl eher daran, dass er Schnüffler nicht ausstehen kann“, sagte Chardonnay, „die finden alles heraus. Ob’s einem schmeckt, oder nicht. Manchmal finde ich sie jedoch ganz hilfreich. Aber nicht, wenn sie ständig mit Bullen in Kontakt treten – so etwas kann Gin eben nicht ausstehen. Er misstraut ihm…“, fügte Chardonnay spöttisch an und warf seine Kippe in eine Pfütze, wo die Glut erlosch. „Mir war auch so, dass Bullen unsere Feinde sind, nicht unser Freund. Oder wie seht ihr das?“ Mittlerweile hatte sich der grenzenlose Zorn gelegt, auch wenn Flavis – der Dritte im Bunde nun ein dreckiges Lächeln zeigte.

„Solltest du Vermouth mal fragen, was sie dazu zu sagen hat…“ Der Mann hatte Gründe, weshalb er ausgerechnet Chardonnay Derartiges unter die Nase rieb, was diesen jedoch nur wieder in Rage versetzte, so dass er seine Pistole zückte und sie ihm im Eifer seines Zorns an die Stirn hielt. „Halt dein freches Maul, du Handlanger!“ Er sollte gefälligst nicht solche Äußerungen machen, während dieser Jami hier war. Der würde am Ende noch dafür sorgen, dass sie sich nie wieder sahen… Verrat, egal welcher Art, wurde von Jami mindestens genauso schlimm bestraft, wie von Gin. Wie konnte er wagen, diese Andeutungen zu machen? Was passte ihm an dieser Frau nicht? Zum Glück war Jami kein Schnüffler, sondern ein Mörder, sonst hätte er vielleicht sofort aufgehorcht.

„Vermouth würde bei solchen Fragen wohl eher anfangen zu lachen“, sagte Jami unbeeindruckt und ließ die Information sacken, ohne sich darüber auch nur im Geringsten Gedanken zu machen. Zum Glück tat er das nicht und Flavis wagte nicht, es noch deutlicher zu machen, da er gerade bedroht wurde.

„Der Handlanger ist in der Lage dich aus 500 Yards Entfernung zu erschießen, Chardonnay“, gab der Schwarzhaarige zurück – er würde ihn ja sowieso jetzt nicht töten. Nicht, während Jami hier war. Derartiges wagte der Mistkerl nicht, außerdem brauchte er ihn ja noch, um auf irgendwelche Leute zu schießen, an die er direkt nicht rankam, nicht? Er wog sich also in Sicherheit, aber ihn allzu sehr verärgern war dennoch nicht gesund.

„Könnt ihr euch nicht beherrschen?“ seufzte Jami. Keiner von ihnen mochte sich, doch während sie sich gegenseitig anfauchten, konnte er selbst diesen Impuls der Abneigung unterdrücken, wenn er es musste. Dass Chardonnay in Vermouth verliebt war und den Beschützer raushängen ließ, wusste Jami, nur leider dankte die Frau ihm das herzlich wenig und behandelte ihn eher wie Luft, solange er ihr nicht dumm kam. Amer Kerl. Flavis hatte andere Gründe, weshalb er die Amerikanerin nicht ausstehen konnte – Cognac zum Beispiel. Wegen ihr hatte Flavis immer nur Ärger mit allen Möglichen Leuten. Kaum, dass er es gewagt hatte, mal in Cognacs Richtung zu husten, kam dieser Carpano und es wurde hässlich für den Scharfschützen. Vermouth informierte ihn auch immer sofort…

Leider war mit Scharfschützen nicht zu spaßen. Jeder, der nicht selbst mit einem Gewehr geübt war, hatte da schlechte Karten. Cognac wusste zwar, wie man so ein Ding bediente, aber wirklich gut damit war er nicht, weil er die Dinger eher verabscheute. Jami selbst fand es nicht schlecht, wenn man damit umgehen konnte, auch wenn seine Lieblinge eher Automatikpistolen waren. Der Boss hatte ihm alles beibringen lassen, was von Nutzen sein könnte – deswegen beherrschte er den Umgang damit recht gut. Leuten wie Chianti und Korn, oder Flavis und Carignan, konnte er allerdings nicht das Wasser reichen.

 

 

Natürlich war Conan ein kleines bisschen beleidigt, weil Ran ihm gesagt hatte, sie hätte Geheimnisse. Er schmollte demonstrativ und war dann auch noch bockig – ich will noch nicht ins Bett, morgen ist schulfrei, hatte er gesagt, aber Ran war gnadenlos, schickte ihn ins Bad und dann ins Bett. Kleine Kinder gehörten ins Bett und sie behandelte ihn gerade auch extra noch wie ein kleines Kind – immerhin war er auch bockig wie eins. Als er den Kampf endlich aufgegeben hatte – und zwar als auch noch Kogoro sich wunderte, wie spät dieser Nervenzwerg noch wach war – schmollte der Junge in seinem Zimmer weiter. Er hörte, dass Ran noch lange nicht ins Bett gehen wollte. Weil der Junge ja schon früher ein Strolch gewesen war, schlich er sich aus dem Zimmer, als Ran glaubte, er würde schon schlafen. Sogar Kogoro schlief schon, nur Ran nicht. Es war äußerst verdächtig, dass sie wenn alle schliefen an den Computer ging, um dort irgendetwas zu machen. Der kleine Detektiv war wirklich paranoid, das merkte er, als er nun sogar Skepsis gegenüber seiner Kindheitsfreundin entwickelte. Es kam ihm eben komisch vor, aber er rannte nun nicht sofort hin…

„So mal sehen… mhm…“, sagte sie und nahm das Handy zur Hand, wo sie einen längeren Blick drauf warf, dabei etwas traurig lächelte, es dann aber mit dem Computer verband, um die Bilder auf den Rechner zu ziehen. Zu gerne wäre Conan zu ihr gegangen, um zu schauen, was sie machte – aber erstens hatte er im Bett zu liegen und zweitens fand man mehr heraus, wenn man nur guckte und sich nicht zu erkennen gab…

Während die Bilder übertragen wurden, surfte die Schülerin im Internet, wobei sie ganz bestimmte Begriffe in Twitter eingab, woraufhin die Maschine jede Menge Dinge ausspuckte, die sie sich ansah.

„Sehr mysteriös. Da gibt es ja sogar einen Artikel darüber. Ich würde mich gerne mal mit ein paar Fans unterhalten… Die wissen bestimmt mehr.“

Natürlich bezog der Junge es sofort auf Shinichi und bekam schon fast Panik, weil er glaubte, dass Ran versuchte Informationen zu bekommen, wo er sich aufhielt. Dass sie jetzt schon so weit ging, nachzuforschen.

„Ich werd’ verrückt!“ Das Mädchen sprang bei ihrem freudigen Satz fast in den Computer, so dass Conan bleich wurde. Was zum Geier hatte sie gefunden?!

Das Mädchen nahm das Handy und suchte einen Kontakt-Eintrag und rief denjenigen dann an. Dabei wirkte sie ein kleines bisschen angespannt, denn es war immerhin schon recht spät für Anrufe.

„Hallo Amuro-san! Ich weiß, es ist schon spät, aber… Ich habe da etwas auf dem Herzen. Hast du Zeit??“ Eine kleine Stille herrschte, dabei lächelte sie ein wenig verlegen. „Ja, du hast richtig verstanden. Jetzt…“

Conan wäre am liebsten zu ihr gesprungen und hätte aufgelegt. Nicht nur, dass sie nachforschte, jetzt wollte sie es auch noch gemeinsam mit Amuro tun, oder wie hatte er das zu verstehen? Das fand der Junge alles andere als lustig. Der Kerl war ziemlich fähig – ausgerechnet an ihn wollte sie sich wenden, weil sie etwas auf dem Herzen hatte

Amuro war gerade dabei, sich umzuziehen, um dann das Café zu verlassen, als er Ran ans Telefon bekam. Er hatte sich schon gewundert, dass sie ihn anrief. Weil er sie mochte, hätte er wohl jederzeit ihre Anrufe entgegen genommen, da musste schon etwas Schlimmes im Gange sein – oder er mit komischen Leuten zusammen, dass er sie ignorieren würde…

Zu hören, dass sie etwas auf dem Herzen hatte, war nicht schön – auch wenn es spät war.

„Bei dir oder bei mir?“ fragte er, instinktiv – ohne es so zu meinen, wie es klang.

 

Ran am anderen Ende wurde doch etwas rötlich im Gesicht, als er so direkt fragte. Sie schmunzelte, dabei wirkte sie ein bisschen träumerisch, merkte es aber selbst nicht sofort. „Wie das klingt…“ Das Lachen klang in ihrer Stimme mit. „Du kennst den Weg ja. Wäre schon ganz nett, wenn du herkommst.“ Ran hatte sonst kaum Kontakt zu Jungs und Amuro war ein sehr guter Freund, dem sie vertraute. Ab und zu brauchten Mädchen schon mal eine Bestätigung. Sie würde nun gewiss nichts Komisches anstellen, aber seine Aufmerksamkeit genießen war doch kein Verbrechen.

Sie wusste nicht, welches Gedanken-Szenario sie durch das kleine Flirten in Conan auslöste.

Sie traf sich mit ihm – hinter seinem Rücken – er konnte es einfach nicht fassen… In seinem Kopf fanden schon die schlimmsten Sachen statt. Gerade in diesem Moment spürte er, dass er oft vergaß sie anzurufen, weil er ja immer hier war…

„Kein Problem. Ich komm gleich. Hoffentlich wird’s dir nicht zu spät.“

„Oh, ich bin schon groß, das macht nichts“, gab sie zurück und wirkte dabei in Conans Augen wie ein anderer Mensch – nicht mehr wie das kleine Mädchen, was er verlassen hatte, sondern wie eine junge Frau. Bei dem Gedanken wurde ihm angst und bange. Ran hatte sich verändert, sehr sogar, wie er gerade feststellte. Sie war älter geworden, reifer und vor allem eines – etwas sehr Gefährliches: Schöner. Sie war schöner geworden. Dass sie superhübsch war, das war mit Sicherheit auch schon Anderen aufgefallen, nicht nur ihm…

„Dann ist ja gut“, hörte sie Amuro sagen, der ein klein wenig lachte. Oh, warum musste er lachen? Hielt er sie für ein kleines Mädchen und musste deswegen lachen?

„Lach nicht! Ich werde 18. Das ist doch schon groß.“

Der Blonde hörte das leichte Schmollen aus der Stimme von Ran und lächelte. Er konnte nicht von sich behaupten, dass er ihre Gesellschaft nicht genießen würde.

„Ich lache nicht über dich“, sagte er, weiterhin schmunzelnd. „Ich beeil mich. Schließlich will ich ja nicht, dass du das, was du auf dem Herzen hast, allzu lange allein ertragen musst.“

Nun hatte er sie erwischt, sie war richtig rot geworden.

„Bis gleich“, flüsterte sie, das wirkte natürlich ganz besonders komisch, weil sie dabei noch immer lächelte und rot war. In Conans Augen lief da was ganz anderes als ein kleiner Freundschaftsdienst. Er bekam es so richtig in den falschen Hals… Sie machten nur Spaß, es war nichts ernst gemeint. Jedenfalls von Rans Seite nicht.

Immer noch versteckte sich Conan, dabei zeichnete sich deutliche Panik in seinem Gesicht ab. Wie sollte er da denn bitte ins Bett verschwinden? Wenn er wusste, dass dieser Typ jetzt zu so später Stunde hier reinschneien würde? Einen Teufel würde er tun. Er würde ein wachsames Auge auf sie haben – und wehe er versuchte krumme Dinger, da würde dieser Kerl aber das Kleinkind-Ich, was er oftmals nur spielte, so richtig kennenlernen. Kinder konnten mehr als nur nervig sein – jawohl!

 

 

Conan lag auf der Lauer und beobachtete dabei Ran noch, nachdem sie aufgelegt hatte. Das monotone Klicken der Maus machte ihn beinahe wahnsinnig, denn sie schwieg nun und schien abzudriften. Dachte sie jetzt allen ernstes an die Person, die sie herbestellt hatte? Oh, wenn Kogoro das wüsste, dem würde das bestimmt genauso wenig gefallen. Wenn er nur nicht so hackedicht gewesen wäre, hätte der kleine Junge ihn nun geweckt, damit er diesem Amuro die Leviten lesen konnte – was fiel dem schließlich ein? Ran war minderjährig und bald war Mitternacht…

 

Dass der blonde Detektiv sich nicht sonderlich viel Zeit ließ, sondern schon bald vor der Tür stand, damit hatte der kleine Junge bereits gerechnet. Doch wirklich an den Computer traute er sich nicht, weil er sich nicht erwischen lassen wollte. Als es nun klopfte, versteckte er sich weiterhin und wartete, dass Ran den Älteren ins Büro geführt hatte.

„So, nun erzähl mal, was dir auf der Seele brennt, Ran!“ wollte der 29-jährige sofort von dem Mädchen wissen, sie nahm den Mann an der Hand und zog ihn durch den Raum, ohne sich wirklich viel dabei zu denken. Er war nicht der erste Mensch, den sie einfach an die Hand nahm und mitzog. Dass er ein bisschen älter war, das konnte sie geflissentlich ignorieren. „Ich sag’s dir gleich“, meinte Ran und rückte einen Stuhl neben ihren, wo sie Amuro dann förmlich draufpresste, ehe sie sich neben ihn setzte.

„Oh, du hast im Internet gesurft“, merkte er an und Ran faltete die Hände im Schoß und schaute betreten runter.

„Eigentlich bin ich keine Schnüfflerin – und ich bin auch nicht so gut darin, wie Shinichi.“

Der Blonde sah sie an, wie sie nun so zusammenschrumpfte und wohl ernsthaft sich klein gegen diesen Detektiven fühlte.

„Warum ist das so schlimm?“ Er wirkte ein bisschen verwirrt und legte seine Hand auf Rans Schulter, das war für Conan schon zu viel und er rastete innerlich bereits fast aus. Sie sollten sich gefälligst nicht anfassen!

Das Mädchen sah zu dem gut aussehenden Mann, der zweifelsohne ein verdammt guter Detektiv war. „Wenn er nur hier wäre… Aber das ist er nicht. Es gibt da so eine Sache, die beschäftigt mich, weißt du. Das kann man kaum jemandem sagen…“ Sie zog ihn am Arm etwas dichter ran und zeigte auf den Bildschirm. „Sagt dir das etwas?“

Nun hatte er genauer hingesehen, und obwohl er sich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen, bemerkte man den kleinen Schweißtropfen an seiner Schläfe, als Amuro den Namen las. „Es sind heut so viele Dinge geschehen… Sachen, die mich richtig beschäftigen. Ich hatte kein gutes Gefühl.“

Ein ungutes Gefühl hatte sie gehabt – durchforstete sie das Internet nach dieser Person; das war auch für ihn ein kleiner Schock.

„Was hat es mit ihr auf sich?“

„Ich mache mir Sorgen um diese Person…“

Damit schaffte sie es einer kühnen Person wie Amuro doch ein klein wenig Unbehagen zu bescheren. „Um was du dir so Gedanken machst“, kam von ihm mit einem leicht perplexen Ton, den er aber nur spielte. „Aus welchem Grund bist du denn besorgt?“ hinterfragte er, immerhin war er Detektiv und konnte Leute aushorchen, ohne dass sie es als solches gleich bemerkten. Er war aufmerksam und stellte seine Fragen, das wirkte nett und nicht heimtückisch.

Ran blickte in seine blauen Augen und fragte sich, ob sie ihm wirklich ihr gesamtes Herz ausschütten sollte…

Irgendwie hatte das Mädchen auch das Gefühl, das durfte sonst keiner wissen und sie hatte so ein komisches Gefühl, als wenn sie besser flüsterten. Geradezu, als könne sie jemand hören und dann würde etwas Furchtbares geschehen…

Die Dunkelbraunhaarige nahm seinen Arm und hielt sich an ihm fest, dabei spürte er deutlich ein Zittern, was ihn sehr stutzig machte. Was wusste sie? Doch dann beugte sich Ran zu seinem Ohr und flüsterte ihm etwas zu. „Ich bin ihr in Amerika begegnet… Und heute… Heute stand plötzlich ihre Tochter vor mir. Ich kann mir nicht helfen… Als sie davon ging hatte ich so ein merkwürdiges, schreckliches Gefühl. Eines, das mir sagt, jemand sollte sie im Auge behalten. Es war eine sehr emotionale Begegnung, die mich jetzt ziemlich beschäftigt…“

Eine emotionale Begegnung mit dieser Frau… Nun schlug er die Augen nieder und gab ein kleines, nachdenkliches „mhm“ von sich, ehe er sie anlächelte.

„Du musst große Angst haben, wenn du schon flüsterst.“ Er tat es ihr gleich, weil es ihr anscheinend wichtig war und wendete sich dann dem Computer zu. „Du willst, dass ich mich um diese Sache kümmere, richtig? Du weißt aber schon, dass es Menschen gibt, die es absolut hassen, wenn man in ihrer Privatsphäre schnüffelt, oder?“ Im Grunde musste er sich irgendwie herauswinden – diese Sache war nicht ohne und er sträubte sich ein bisschen.

„Ich kann’s mir selbst nicht erklären. Es verwirrt mich… Ihre Mutter hat damals schlimme Sachen von ihr gesagt – das passt nicht zu dem, was ich heute gesehen habe. Es ist… ganz seltsam und ich will dieser Sache nachgehen. Ich weiß, dass sich das nicht gehört. Hilfst du mir trotzdem?“

Dieses Mädchen sah ihn absolut herzerweichend an. Er, ein Mann seines Alters, konnte doch nicht bei einer Schülerin nun weichwerden. Also wirklich – aber ihre traurigen Augen waren wirklich nicht schön. Die ganze Zeit fragte er sich, was mit ihnen allen los war. Sogar so ein Miststück wurde weich bei dem Mädel. Da musste er sich wenigstens nicht gleich schämen, oder? Aber vielleicht hatte es auch etwas Gutes und er konnte endlich mal in Erfahrung bringen, warum es dieser Frau so wichtig war, dass Ran und Conan nichts zustieß. Das war ihre Bedingung ihm zu trauen – schon irgendwie verwirrend bei so einer Frau. Die würde jeden erschießen, der gegen sie war – war es nicht so? Und dann beschützte sie eine Oberschülerin und einen Grundschüler. Das passte gar nicht ins Bild.

Das war aber auch nicht das einzige Verstörende daran. Die Frau, nach der sie gesucht hatte…

„Was genau weißt du eigentlich von der Person?“ Das war dann doch etwas, was den Detektiv in ihm brennend interessierte. Was sie bereits wusste… Es kam ihm nicht vor, als hätte sie nun eins und eins zusammen gezählt, sondern bisher nur Verdacht geschöpft.

„Das ist es ja… Man weiß nichts… Alles ist ein riesengroßes Geheimnis. Verwirrend…“

Wie erleichternd – also wusste sie genauso viel wie alle anderen auch.

„Das wird gewiss seine Gründe haben, findest du nicht? Lass lieber die Finger davon.“

Ein wenig enttäuscht war sie schon, aber sie hatte auch noch nicht all ihre Gedanken zu dem Thema geäußert, weshalb sie nun den Kopf senkte. „Das ist ja das Schlimme. Ich denke auch, dass es Gründe hat – traurige Gründe, oder vielleicht noch etwas Schlimmeres…“

Ran ließ von Amuro ab und klickte einige Male, bis sie einen Artikel gefunden hatte, den jemand im Internet gepostet hatte. „Schau…“ machte sie den jungen Mann darauf aufmerksam, was sie ausgegraben hatte. „Man weiß ja noch nicht einmal den Grund. Es sterben viele Leute… Aber niemals ohne Grund…“

„Bestimmt weiß es jemand“, sagte er jetzt mit einem Seufzen. „Nur nicht die Öffentlichkeit. Bei solchen Personen ist es meistens besser, wenn man sie in Ruhe lässt und gar nicht weiter nachbohrt. Man könnte am Ende schockiert sein…“ Nein, er wollte ganz bestimmt nicht, dass sie so etwas wusste. Sie wäre jetzt mit Sicherheit mehr als nur schockiert, wenn sie das wüsste.

„Nicht einmal ihre engsten Vertrauten wissen den Grund“, meinte Ran jetzt und wirkte dabei verzweifelt, so dass sie die Augen zukniff. Es war ja nun nicht so, dass sie ein gestörter Fan war, der in der Privatsphäre dieser Person schnüffeln wollte – aus einem egoistischen Interesse.

„Woher weißt du das? Kennst du etwa ihre engsten Vertrauten?“ Es war lächerlich und er wollte es nicht wirklich glauben – aber was wenn es tatsächlich stimmte und am Ende Ran vielleicht sogar eine dieser Personen war. Aber das war doch grotesk.

„Shinichis Mutter ist Schauspielerin… Man sagt, sie sei eine verdammt gute Freundin von ihr gewesen. Aber auch sie tappt im Dunkeln.“ Sie hoffte ein bisschen, dass er jetzt verstand, was sie meinte und bereitwilliger war, ihr zu helfen. „Mir ist das wichtig! Bitte hilf mir bei der Suche nach dem Grund.“

„Aber Ran! Nein, das geht nicht!“ Amuro seufzte schwer.

„Ach? Auch dann nicht, wenn ich denke, dass sie ihren eigenen Tod inszeniert hat, um irgendetwas zu entfliehen? Auch nicht, wenn ich glaube, dass sie gar nicht tot ist?“

„Heiliges Kanonenrohr…“ entwich nun dem Detektiv, der sich an die Stirn griff. Was sollte er nur machen, um sie von dieser wahnsinnigen Sache wieder abzubringen?

Trotzdem musste er zugeben, dass sie verdammtes Glück hatte, dass sie an ihn geraten war, nicht an irgendwen anders, der vielleicht mit großer Freude an diese Sache rangehen würde. Er war keine Gefahr. Oder anders, für ihn war es nicht gefährlich, dieser Sache nachzugehen. Jeder andere könnte dafür sein Leben lassen, was dem Mädchen einfach nicht klar war, weil sie die Sache unterschätzte. Oder tat sie das gar nicht? Sie war schrecklich besorgt – wenn man das so hörte – als Außenstehender – klang es auch verdammt bedrohlich, oder?

 

Hunters

Durch die späte Uhrzeit wurden die beiden Hellbraunhaarigen zumindest nicht durch irgendwelche Personen gestört. Sie befanden sich in ihrem alten Zuhause – da wo sie gewohnt hatten, bevor die Eltern nach Amerika gezogen waren. Es war ein Ort voller schöner Erinnerungen. Die Familie, die einst dort gelebt hatte, war in dieser Menge nicht mehr vorhanden.

Die Jüngste, Mina-chan hatte eine Nanny, die immer gut auf sie aufpasste – was auch seine Gründe hatte.

Katsumi, die Zweitälteste, welche von den Kudôs adoptiert worden war, hatte sich entschlossen, dorthin zu gehen, wo sie wirklich hingehörte – und das tat sie wirklich.

Shina war für ein Jahr nach Amerika gegangen, um dort eine Spur zu verfolgen – es handelte sich dabei um eine Person, die seit Jahrzehnten vermisst wurde, aber nie wieder aufgetaucht war.

Zufällig war sie dort auf Dinge gestoßen, die noch weiter zurücklagen, als ihr lieb gewesen wäre.

Seit einigen Monaten war sie aus den Staaten zurück – jetzt traf sie sich mit ihrer Mutter, weil ihr da ein paar Dinge zu Ohren gekommen waren, die ihr nicht gefielen. Aber nicht nur ihr wollte sie ein wenig ins Gewissen reden, auch dem guten Shinichi. Wobei all das in keinster Weise böse gemeint war – sie war beunruhigt und besorgt über so mancherlei Dinge. Es behagte ihr nicht, zu wissen, dass ihr Bruder ihre gemeinsame Mutter mit auf seinen Kreuzzug gegen diese weit verstrickte Organisation nahm – das war unverantwortlich, so wenig wie sie über diese Leute wusste. Was wusste ihre Mom schon – außer, dass ihre Schauspielkollegin mit drin hing? Dass sie noch am Leben war, das hatte ihre Tochter nicht umsonst verschwiegen. Ihr Bruder empfand das wohl nicht als notwendig. Deswegen musste sie jetzt dafür sorgen, dass ihre Mutter nicht zu sehr herumspinnte. Diese Frau war verrückt, noch verrückter als ihr Dad. Er hatte Interpol eingeschaltet – vielleicht sollte man die auch einfach ihre Arbeit machen lassen – wie wäre es damit? Aber nein, Shinichi konnte die Füße nicht stillhalten und dann war da noch das FBI – gefiel ihr noch weniger, vor allem, weil ihre Mom auch noch mit diesem Agenten flirten wollte. Hatte sie nun endgültig den Verstand verloren?

„Erspar es mir bitte. Ich will nichts Schlimmes mehr über eine meiner Freundinnen hören“, hatte ihre Mutter gesagt und sich auch noch von ihr abgewandt.

Nahm sie ihr das wirklich krumm? Dabei hatte sie gar nichts so wirklich Fatales erzählt, außer dass sie dieser Organisation schon seit über 20 Jahren angehörte. Das hatte doch noch gar nichts zu heißen. Man konnte leider nicht so einfach entfliehen, wie ihre Mutter vielleicht glaubte. Es gab nicht nur eine Person, die das über einen langen Zeitraum versucht hatte. Ihr Ziel war doch nicht, ihrer Mutter einzureden, wie schlecht ihre Freundin war, sondern sie zu warnen. Warum wurde alles nur auf die Goldwaage gelegt? Die ganze Wahrheit wäre viel schlimmer gewesen. Da war eine Beerdigung wirklich die bessere Alternative – egal wie furchtbar es im ersten Moment gewirkt hatte. Sie war ja nicht tot – sie war dem geradeso entkommen. Wieso das alles wollte sie ihrer Mutter nicht erzählen – höchstens erzählte sie das noch Ryochi – und wenn Shinichi brav war, auch ihm. Aber gerade machte er den Fehler, nur alles in Schwarz und Weiß zu sehen. Aber es gab mehr als nur das – zwischendrin existierte auch noch ein Grau. Oder weiß mit ein bisschen schwarz gemischt und umgekehrt. Es war einfach nicht so, dass nur zwei Seiten existierten.

„Meine Güte, Mom“, sagte sie jetzt gestresst. „Ich habe nicht vor, dir etwas Schlimmes von deiner Freundin zu erzählen…“ Nun verteidigte sich die Detektivin, um das mal klarzustellen, dass sie hier nichts Gemeines vorhatte. „Ich tue das nicht zum puren Vergnügen. Es gefällt mir nur nicht, was DU und MEIN BRUDER da treibt. Im Übrigen, deine Freundin findet das auch nicht unbedingt so lustig. Ich sage nur, dass SIE mit Vorsicht zu genießen ist, vor allem dann, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert! Wenn du an die Organisation gerätst, dann guckt mein Bruder ganz schön blöd aus der Wäsche und muss wieder Angst haben, dass man jemanden umbringt. Da kannst du noch mal auf eine Beerdigung gehen!“ Das war hart, sie wusste es. „Was glaubst du eigentlich, was Sharon die ganze Zeit in Japan macht, eh? Meinst du, sie ist hier zum Vergnügen? Es sind ein paar unterbelichtete Vollidioten in dieser Stadt, die würden dich ohne mit der Wimper zu zucken, umbringen! Sie hat einen Detektiv in die Detektei Môri gesetzt, damit er aufpasst! Shuichi Akai lungert um euch herum! Das hat sie so zwar nicht geplant, aber wenigstens wird dann kein herzloser Mistkerl einfach auf dich schießen können… Unterstelle mir gefälligst keine Schwachheiten! Mach dir lieber Gedanken um dein eigenes Leben und setze es bitte nicht so leichtfertig aufs Spiel. Die Aktion im Zug war zwar ein voller Erfolg, aber wäre an Stelle von Bourbon eine andere Person an Bord gewesen, dann hätte deine Freundin ordentlich aufräumen müssen… Wäre nicht das erste Mal, meine Liebe.“ Das musste jetzt endlich mal ausgesprochen werden. Sie wollte mit keinem Wort sagen, dass ihre Freundin schlecht war – wobei man darüber sich wahrhaft streiten konnte. Wenigstens war sie besser als die meisten Anderen, die sie in Amerika kennen gelernt hatte. Es war ja nun nicht so, dass sie dadurch in der Beliebtheitsskala der Organisation anstieg. Es gab da vielleicht ein paar wenige, die sie nicht einfach so umbringen würden, wenn sie es konnten – diejenigen, die nicht von Rache und Mordlust angetrieben wurden – aber wenn man es ihnen befahl, würden auch sie auf die Jagd gehen.

„Warum musst du dich immer so schwammig ausdrücken? Was genau meinst du damit, dass ich dann wieder auf eine Beerdigung gehen kann?“ Instinktiv wusste Yukiko, was ihre Tochter meinte, sie war ja nicht blöd, aber irgendwie wollte sie so etwas nicht hören.

„Du willst dich ja unbedingt an diese Frau hängen. Dann musst du am Ende auch damit klarkommen, wenn du die auch noch beweinen musst.“ Ihre Mutter hatte sich nicht damit abgefunden, dass Sharon tot sein sollte, weil ihr Bruder ja der Meinung gewesen war, ihr so viel sagen zu müssen. Sie verfluchte den Jungen dafür, dass er ihrer Mutter so etwas antat.

Yukiko war positiv überrascht. Ihr Sohn kannte Sharon bei weitem nicht so gut wie sie beide, daran lag es vermutlich. Trotzdem hatte sie geglaubt, dass ihre Tochter diese Frau ziemlich verabscheute und wunderte sich über ihre Handlung nun doch sehr. Lustigerweise hatte sogar Yusaku gesagt, dass er diese Frau immer merkwürdig gefunden hatte – ihr gesamtes Verhalten. Diese oftmals merkwürdigen Abwandlungen, mit denen sie ihre Geheimnisse hütete – wie oft hatte sie gesagt tut mir leid, ich hab was zu erledigen, aber nie Genaueres. Jetzt wussten sie es besser…

Ihr Vater tat alles für ihre Mutter, deswegen ließ er sich ja auch hinzuziehen. Jetzt musste sie die beiden aus der Gefahrenzone ziehen – sonst kam der guten Sharon noch der letzte Funken Verstand abhanden, so wie schon mal. Es war dumm von ihr, ausgerechnet sie vor denen zu beschützen – hatte die nicht genug zu tun, wenn sie sich um ihr eigenes Leben scherte?

Das hatte sogar Shina überrascht. Und wer musste darunter leiden? Ihre Mutter und ein Mann namens Jamie, den Shina als kühlen, abgebrühten Detektiv kennen gelernt hatte. Er war heulend zusammengebrochen damals – es war furchtbar. Da hatte sich ihre Mutter weit besser im Griff – aber wen wunderte das? Sie war eine Freundin – Jamie war ein Verwandter, der sie seit Kindesbeinen an kannte. Nicht mal den hatte sie eingeweiht. Der Grund war so simpel wie ihr Rollenspiel. Alle raushalten, so gut es ging.

I’m okay on my own. Den Spruch sagte sie mit Vorliebe. Dabei machte sie sich selbst etwas vor. Verbitterung gemischt mit Einsamkeit hinterließen bei jedem Menschen Spuren.

Fressen oder gefressen werden, das war die Devise in dieser Organisation. Entweder man sprang über seinen Schatten, egal wie sehr es einem widerstrebte, oder man starb eben schneller eines grausamen Todes, als man schauen konnte. Sie hatte entschieden, ihre Prinzipien zu begraben, um diejenigen auszuradieren, die sich an ihren Leuten vergriffen. Dabei vergaß diese Frau komplett sich selbst. Es war ihr vollkommen egal geworden, wie viel Blut an ihren Händen klebte – Shina hatte jedoch feststellen müssen, dass sie damit nicht alleine war. Es hatte sie sowieso gewundert, wie ein Polizist ihr so etwas durchgehen lassen konnte… Das konnte er nur, wenn selbst Blut an seinen Händen klebte. Laut einer Bekannten sogar noch viel mehr als an ihren. Da konnte er ihr kaum Vorwürfe machen – hatte sie ja eigentlich Glück gehabt. Wie derjenige sich dabei fühlte, konnte man nur mutmaßen, aber gut ganz sicher nicht. Sharon hatte in den 20 Jahren sehr großen Schaden genommen – da konnte man nur hoffen, dass Ryochis Freund und Bruder in den knapp 7 Jahren weniger Schaden genommen hatte, als sie. Er und Yuichi saßen schon viel zu lange dort fest – da konnte ein Mensch unmöglich normal bleiben. Aufschlussreich war dabei vor allem, dass Iwamoto eine Killerin als seinen Engel bezeichnete – das war nicht zu verachten. Wenigstens hatte er begriffen, dass da nicht nur Schwarz und Weiß existierte.

„Ihr wird schon nichts passieren, Shina. Sie hat die besten Tricks auf Lager und-“

„Das würde stimmen, wenn ihr nicht das FBI an den Fersen kleben würde, um sie beim kleinsten Fehler einzusacken… Da ist so ein Kerl, der wartet nur drauf, dass das FBI ihr etwas nachweisen kann. Zu ihrem Glück wissen die aber weniger gut bescheid… Mittlerweile weiß ich auch wieso.“ Die Detektivin senkte den Blick und seufzte einmal. „Da du dich ja so gut mit diesem Subaru verstehst – und komm ja nicht auf die Idee, mir etwas vorzuschwindeln – frag doch ihn mal, was er über deine Freundin weiß. Den magst du ja so doll, also frag ihn. ER könnte mit seinem Wissen, diese Frau auf der Stelle ins Gefängnis bringen. Nur leider müsste er sich dann auch selbst einbuchten lassen, weil sie nämlich eine gemeinsame Geschichte haben. Kaum zu glauben, weil sie ansonsten so tun, als könnten sie sich nicht riechen – das ist aber nur nach Außen hin so, Mutter. Ich frage mich nur, ob du diesen Akai noch so sehr mögen würdest, wenn du wüsstest, wie weit er geht…“

Shina war da geteilter Meinung. Sie konnte diesen Kerl nicht ausstehen – aber auch sie musste sagen, er beschützte Menschen, was seine Taten doch in ein gutes Licht rückte. Sie konnte all das, was er getan hatte, nicht mehr als unbedingt des Teufels Werk bezeichnen, weil es nicht ganz zutraf.

„Akai weiß jede Menge über deine Freundin, mehr als ihr lieb ist – aber ihre Angst vor ihm rührt nicht daher, dass er immer wieder auf sie geschossen hat.“ Nun konnte ihre Mutter mal wieder verteufeln, dass sie sich schwammig ausdrückte – sie würde ihr nicht alles erzählen. Am Ende warf ihre Mutter sie noch aus dem gemeinsamen Haus. Bei Yukiko wusste man nie – sie konnte ganz schön sauer werden und dann machte sie manchmal Sachen, die waren nicht ganz logisch. Sie warf ihrer Tochter ja auch vor, sie wolle Sharon etwas Böses tun. Es tat schon ein bisschen weh, immerhin musste sie ihr Kind doch besser kennen. Obwohl sie ihre Beweggründe benennen könnte, weshalb das keineswegs der Wahrheit entsprach, wollte sie nicht zu diesem Mittel greifen, weil sie dann auch so weit ausholen musste, ihrer Mutter zu gestehen, dass sie viel dazu beigetragen hatte, dass Sharon jetzt offiziell das Zeitliche gesegnet hatte. Es beschäftigte sie auch jetzt noch – nicht etwa, weil ihr diese Frau so viel bedeutete – eher weil sie anderen so viel bedeutete. Weil sie seit über 20 Jahren versuchte, ihre Familie zu beschützen, wo es nur ging und dabei zugrunde gerichtet wurde – wobei Shina gesagt hätte, das tat diese Frau selber – sie arbeitete fleißig daran, sich selber zugrunde zu richten. Es war fast ein Wunder, dass sie noch so etwas besaß wie ein Herz. Yukiko sollte all den Leuten danken, die dafür gesorgt hatten, dass diese Frau nicht komplett am Rad drehte. Weit davon entfernt war sie ja wirklich nicht.

„Eigentlich will ich überhaupt keine Geschichten mehr hören, Shina. Keine.“

Keine Reaktion auf die Tatsache, dass Akai auf ihre Freundin schoss – aber angekommen war es doch offensichtlich schon… Sie sollte den Typen mal nicht zu sehr ins Herz schließen… Bestimmt tat sie jetzt nur so, als hätte sie es nicht mitbekommen. Wie sie ihre Mutter kannte, würde sie aber bestimmt Akai zu dem Thema befragen…

„Es gibt aber Dinge über sie, die du wissen solltest“, seufzte die 23-jährige. „Zum Beispiel, dass du sie echt noch ins Grab bringst, wenn du mit meinem Bruder gemeinsame Sache machst. Als wäre mein Bruder nicht schon genug geschädigt, weil er Akemi nicht retten konnte. Dass Vermouth für diese Sache sterben könnte, so weit ist er noch nicht mit seinen Plänen. Darüber solltet ihr beide euch auch Gedanken machen. Solche Aktionen bringen ihr Leben in akute Gefahr. Ich will nicht miterleben müssen, dass du sie direkt sterben siehst. Das erträgst du nicht… Glaube mir…“ Die Jüngere schaute zu Boden und wirkte dabei, als wüsste sie ganz genau, wie so etwas ablief – als hätte sie es bereits einmal gesehen. „Du kannst aufhören zu denken, dass ich sie hasse. Das tue ich nicht. Andere Menschen nehmen diesen Platz bereits ein… Sharon müsste dazu schon die Seite wechseln und am Ende auf meine Familie schießen. Ich kann dir versprechen, eher stirbt sie, als jemals so weit zu gehen.“ Ein Schweißtropfen rollte über ihre Wange. Sie war Zeuge davon geworden, dass sie nicht nur einzelne Personen vor dem Tod bewahren würde, sondern gleich ganze Familien. Dass sie Shinichi besonders ins Herz geschlossen hatte – und mit ihm gemeinsam auch seine Freundin Ran, stimmte zwar, aber Akai war es selbst gewesen, der festgestellt hatte, dass es davon eine Erweiterung gab. Kogoro Môri konnte Vermouth ziemlich schnuppe sein, war er aber nicht. Um diejenigen zu beschützen, die ihr lieb und teuer waren, war sie bereit ihr Leben zu geben. Für sie alle legte sie sich mit solchen Gestalten wie Gin an, das war alles andere als gesund. In Amerika hatte sie ähnliche Sachen getrieben und war am Ende dann die Gejagte. Deswegen war sie jetzt tot und die meisten aus der Organisation wussten das nicht mal. Sie weihte ja nun wirklich niemanden ein, außer diese eine Person, die ihr damals in Amerika geholfen hatte. Das hatte Shina aber auch erst vor knapp drei Monaten erfahren. Die Ärztin, die ihren Tod festgestellt und notiert hatte – die wusste davon und Sharon selbst. Die hatte ja nicht einmal ihrem Neffen den Schmerz erspart – diese Frau konnte wirklich äußerst grausam mit ihren Mitmenschen umspringen – aber nie grundlos.

Das, was ihre Tochter da aussprach, wunderte Yukiko sehr. Das hieß also, dass Sharon tatsächlich diesen Schwachpunkt hatte, von dem Shinichi gesprochen hatte. Von sich hatte er nicht gesprochen, dabei beschützte sie den Jungen wohl zweifelsohne, sonst würde sie ihren Partnern ja reinen Wein einschenken, oder?

„Also, spuck schon aus, was hat Shinichi dir gesagt? Was genau weißt du von diesem Verbrecherring? Ich will jetzt endlich Genaueres wissen, Mutter! Ich will nicht, dass du ahnungslos in irgendeine dumme Sache hineinschlitterst. Ich weiß, dass Shinichi sehr regen Kontakt zu denen hatte und mehr weiß.“ Also musste er auch dafür sorgen, dass seine Mutter gewarnt war, ehe er sie mit in diese Sache zog!

Shina drängelte ganz schön, aber auch Yukiko konnte sich vorstellen, dass sie einfach besorgt war.

„Was soll ich schon wissen? Sie ist Mitglied einer Verbrecherorganisation… Die Mitglieder tragen Alkohole als Decknamen, ihrer ist Vermouth und sie macht Jagd auf ein Mädchen namens Sherry.“

„Man, wie enorm…“ Es war kein Wunder, dass Shina jetzt sarkastisch wurde, denn wirklich weitreichend war das Wissen ihrer Mutter wirklich nicht.

„Entweder hat mein Bruder keine Ahnung, was diese Organisation seit Jahrzehnten treibt, oder er verschweigt es dir schlicht und ergreifend. Beides ist unverantwortlich. Wahrscheinlich ist es sein verzweifelter Versuch, dich daran zu hindern, hinter deiner Freundin herzuschnüffeln. Ist ja ganz nett gemeint, aber…“ Mit einem Kopfschütteln hielt sich die 23-jährige den Kopf.

„Du kannst dir vorstellen, dass ein jeder, aus jeder Branche in diese Organisation verstrickt sein kann. Die Politik, Medizin und Forschung, Rechtswissenschaft, das Bankwesen, der Journalismus, sogar die Polizei könnte darin verwickelt sein. Die haben überall ihre Leute sitzen, Mutter. Denen bedeutet ein Menschenleben nicht sonderlich viel, wenn es darum geht, ihre kriminellen Machenschaften zu vertuschen. Dafür tun sie alles. Diese Leute, die freiwillig diesem Verein beitreten, geben sich selbst auf…“

„Was willst du mir damit bitteschön sagen? Ich weiß, dass meine Freundin sich vor Jahren aufgegeben hat! Sie ist zerbrochen, als ihr Mann starb und-“

„Nein“, fuhr die Detektivin dazwischen, weil ihre Mutter falsch lag, „das wollte ich damit nicht andeuten. Du hältst sie für ganz schön schwach, weißt du das? Wenn sie zerbrochen wäre, würde sie keinen verschonen – so wie die anderen Leute, die das alles freiwillig machen. Es gibt aber auch arme Menschen, die entweder mit hineingezogen wurden, oder hineingeboren. Zum Beispiel durch eine Mitgliedschaft der Eltern. Dir muss doch aufgefallen sein, wie sehr Sharon Kinder mag, oder? Hast du dich denn nie gewundert, dass sie keine hat?“ Shina stöhnte auf – sie sollte endlich damit aufhören, so zu tun, als wisse sie all diese Dinge. „Natürlich kann ich das nicht zweifelsfrei sagen, warum es so ist. Ich kann mir nur meinen Teil denken. Diese Frau sitzt in diesem Laden seit über 20 Jahren. Ich kann dir sagen, dass es ihr dort nicht sonderlich gefällt und auch nicht bombig geht. Sie macht das alles nicht zum puren Vergnügen. Es ist zwecklos, nach dem Grund zu suchen – zumindest mir wird sie ihn nicht nennen. Aber sie hat sich so gesehen, eine zweite Identität geschaffen, die all ihre Leute zutiefst verabscheuen. Jamie Moore kann Chris Vineyard  nicht leiden – also ihre Tarnrolle nicht – vielleicht denkt der sogar, sie hätte an Sharons Stelle sterben sollen, weil er ein Spinner ist. Auf Sharons Beerdigung hast du ihn doch gesehen, oder? Du weißt auch, dass Chris Vineyard damals selbst anwesend war. Schockt dich all das nicht?!“ Mittlerweile wirkte Shina sogar wütend – sie verstand selbst noch nicht so ganz, warum es sie so wütend machte, wie unvorsichtig ihre Mutter war. „Sie hat entschieden, diesen Unfall lieber nicht zu überleben – obwohl nicht nur eine Person darunter schwer gelitten hat.“ Ja, es stimmte – Shina hatte ganz schön Mitleid mit dem armen Jamie. Er musste diese Frau wirklich mal sehr geliebt haben – kein Wunder, sie war seine Cousine und er kannte sie sein gesamtes Leben – bestimmt war sie zu ihm auch immer nett gewesen – wie zu einem eigenen Kind – dieses Gefühl hatte Shina jedenfalls gehabt – damals. Jedenfalls hatte jemand da mal etwas in die Richtung angedeutet, die Beiden hätten mehr als ein gutes Verhältnis zueinander gehabt. Es würde sie ja nicht wundern, wenn Jamie am Ende auf den Plan trat, um Jodie Starling von einem Fehler abzuhalten, sobald der Detektiv mal klarer sah. Und Shuichi Akai half ihm dann dabei – es war alles möglich in dieser Welt, nicht wahr? Am Ende wurde man von Personen gerettet, von denen man geglaubt hatte, dass sie einen hassten, von Menschen, deren Hilfe man am allerwenigsten erwartet hatte.

„Sie hat entschieden, diesen Unfall lieber nicht zu überleben?! Warum?“

„Weil sie nicht will, dass irgendjemand, der ihr etwas bedeutet, ins Kreuzfeuer gerät… Du bist eine davon. Dafür hat sie ihr Leben aufgegeben. Sie ist jetzt jemand anderes. Die Anderen haben das entweder zu schlucken, oder sie lassen es bleiben. Sie bevorzugt lieber die Einsamkeit, als zuzuschauen, wie jeder umgebracht wird, der ihr etwas bedeutet. So läuft das dort…“ Kurz dachte sie an Akemi, die schließlich wegen einer ähnlichen Sache sterben musste – weil sie versucht hatte ihre Schwester zu beschützen, ohne an sich selbst dabei zu denken. „Diese Organisation ist gefährlich. Kannst du das denn nicht verstehen? Ich will nicht, dass du dein Leben aufs Spiel setzt.“ Deutlicher würde sie nun nicht werden. Shina versuchte ihrer Mutter nun aber zuzulächeln. „Ich weiß, das ist hart, aber vielleicht ist es besser für dich zu verkraften, wenn ich dir sage, dass sie nicht mehr einsam sein muss. Es gibt da so ein paar Leute, die das Blatt ein wenig gewendet haben. Falls du nämlich jetzt besorgt um sie sein willst, das kannst du fein bleiben lassen. Sie ist nicht allein. Diese Menschen auf ihrer Seite wissen aber, worauf sie sich einlassen, anders als du. Die Sache mit Shinichi kannst du getrost mir überlassen. Ich werde ihm zwar ins Gewissen reden, aber ihn auch loben. Eigentlich bin ich ja stolz auf meinen Bruder. Dich dazu zu holen, damit bin ich aber nicht einverstanden. Der spinnt jawohl!“

Gerade als Shina das gesagt hatte, klingelte es und sie horchte auf. „Das wird wohl Ryochi sein…“

„Dann lass ihn rein.“

„Nein, ich geh jetzt besser“, meinte Shina, der es bereits wieder ein Stück weit leid tat, dass sie ihre Mutter so angeschnauzt hatte, das geschah bloß in ihrer Sorge. „Hör auf meine Worte, ich will nur nicht, dass irgendwem etwas Schlimmes widerfährt. Keinem soll etwas widerfahren, verstehst du? Denk einfach mal darüber nach. Ich bin morgen im Präsidium. Wenn ich da fertig bin, lad ich dich danach zum Essen ein. Ich bin nicht nach Japan zurückgekehrt, nur um mit dir zu streiten.“

Yukiko war jetzt wesentlich ruhiger und sah ihrer bildschönen Tochter ins Gesicht.

„Tut mir leid, wenn ich ein bisschen zornig war… Als Shinichi mich um den Gefallen gebeten hat, war er doch ganz schön verzweifelt, wie hätte ich ihn denn je enttäuschen können? Außerdem wollte ich mich selbst vergewissern, dass meine Freundin auch wirklich eine Freundin ist. Ich habe sie ganz schön provoziert und sie hat ihre dumme Waffe auch auf mich gerichtet, aber das kann mich doch nicht beeindrucken. Das tun wir Schauspieler ständig in Filmen, wenn es verlangt wird. Sie kann mir nichts vormachen und ich muss zugeben, dass sie ein Stück weit auch – erschreckender Weise – ganz schön versagt hat, was ihre Schauspielerei angeht. Sie war emotionaler, als ich geglaubt hätte.“

‚Na, dann hoffen wir mal, dass der Grund nicht eine Schwangerschaft ist. Gegen diese Art von Emotionalität ist man nicht gefeit. Man kann nichts dagegen tun…’ Obwohl das total grausam war, zu denken, sie wünschte nicht, dass jetzt auch noch so was passierte. Sie könnte das Kind unmöglich behalten, obwohl sie eine Abtreibung wohl nie über sich bekommen würde – da war sich Shina vollkommen sicher. Dieser Kerl hatte ihr gnadenlos das Herz gestohlen – damals verstand die Detektivin nicht einmal, was sie an dem Typen fand, dann hatte er neben Jamie gestanden und ihn aufgefangen, als er es gebraucht hatte. Der war wirklich fix und fertig gewesen. Keinen Mann hatte sie je so schrecklich zusammenbrechen sehen… Obwohl Sêiichî in ihren Augen sehr leidend ausgesehen hatte, nicht viele hatten bemerkt, wie nahe ihm diese Sache gegangen war. Er war einfach nur da und hatte versucht die Sache hinzunehmen – ohne ihr dabei in ihren Plänen im Weg zu sein. Nein, er hatte dazu beigetragen, die Sache durchziehen zu können. Auch wenn es wirkte, als wäre er nur gekommen, um die Show zu beobachten, so war er wichtiger Bestandteil gewesen. Jamie hatte so jemanden wirklich gebraucht. Es würde sie nicht wundern, wenn Vermouth ihn darum gebeten hatte – oder er kam von selber auf die Idee. Sie hatte doch mit Sicherheit gewusst, dass viele Menschen kommen würden, die sie schätzten und liebten. Das kostete auch unheimlich viel Kraft, so eine Sache durchzuziehen. Man hatte der Schauspielerin aber nichts, rein gar nichts davon angesehen… Nicht mal eine pfiffige Frau wie ihre Mutter hatte das mitbekommen…

 

Es wunderte den 23-jährige schon, als Shina einfach so aus dem Haus kam und er nicht reingebeten wurde. Ihr Gesicht sah auch alles andere als gut gelaunt aus. Er fragte nicht gleich in der Tür, was los war, sondern empfing sie mit einem Kuss auf die Lippen, ehe er mit ihr zu seinem Auto ging, um ihr die Tür zu öffnen, wie man es sonst vom klassischen Gentleman kannte. Als er sich dann auf den Fahrersitz niederließ, startete er nicht postwendend den Motor, auch nicht, als sie sich schon angeschnallt hatte.

„Solltest du nach einem Besuch bei deiner Mutter nicht etwas besser gelaunt sein? Sag nicht, dass ihr euch gestritten habt?!“ Er riet jetzt einfach ins Blaue. So etwas war der Nachteil daran, wenn man sich einen Detektiv angelte – er würde immer Fragen stellen und einem bestimmte Dinge auch noch ansehen. Wenigstens konnte man behaupten, dass das ein gegenseitiges Leid war, was sie teilten, immerhin war sie auch eine Schnüffelnase.

„Meine Mutter hat grundlegende Dinge noch nicht ganz begriffen“, antwortete Shina mit einem Seufzen und wirkte im Anschluss gleich so, als sei Yukiko wie immer sehr anstrengend gewesen, denn deren Tochter griff sich an den Kopf, dabei sollte sie Stress wohl eher vermeiden. Da machte sich Ryochi ja fast Sorgen. „Achje, diese Frau. Was hatte sie denn jetzt schon wieder für ein Problem?“ Man konnte relativ schnell den Eindruck gewinnen, dass der 23-jährige seine zukünftige Schwiegermutter nicht leiden konnte, aber der äußere Schein täuschte natürlich mal wieder. Selbstverständlich war diese Frau sehr anstrengend, aber Shina war nun auch nicht gerade der einfachste Mensch. Ohne zu wissen, was genau im Haus vorgefallen war, war ihm aber schon aufgefallen, dass Shina die Gunst der Stunde genutzt hatte, um zu fliehen. Wäre nichts gewesen, hätte sie ihn wohl eher noch reingebeten und wäre nicht gleich zu ihm nach draußen gekommen – obwohl es zweifellos schon spät war. „Willst du es mir nicht sagen?“ hakte er vorsichtig nach und sah ihr dann forschend ins Gesicht.

„Es ist eher so, dass es da Dinge gibt, die ich ihr nicht sagen will. In der Sache bin ich auch relativ froh um die Verschwiegenheit so mancher Person. Außerdem muss ich froh und dankbar sein, wenn da ein paar Leute nicht großen Hass auf mich schieben. Leute, die du kennst und vielleicht magst.“

„Was? Was soll das denn bitteschön heißen? Wer hat denn nun schon wieder etwas gegen dich?“

„Niemand, keine Sorge“, sagte sie, den Kopf schüttelnd und Ryochi nun ein Lächeln schenkend. „Ich wollte dir nicht glauben, aber du hattest vermutlich mal wieder Recht. Das nächste Mal sollte ich dir vielleicht glauben, wenn du sagst, dass du eine Person schon lange kennst und für denjenigen die Hand ins Feuer legst. Er ist wirklich ein guter Kerl. Schauen wir mal großzügig über seine Macken hinweg.“ Ryochi war sehr verwirrt, obwohl er natürlich nicht fragen musste, von welcher Person sie jetzt sprach. Es gab da eine gewisse Person, die seine Verlobte nicht ausstehen konnte, von welcher Ryo aber immer wieder gesagt hatte, er sei eine absolut durch und durch gute Person. Natürlich klang das übertrieben, immerhin hatte er sehr zweifelhafte Bekanntschaften…

„So ganz verstehe ich nicht, was du mir damit schon wieder sagen willst“, seufzte er, immerhin hatten sie eben noch von ihrer Mutter gesprochen und im nächsten Atemzug redete sie von seinem Freund. „Welche Geheimnisse hast du diesmal?“ fragte er, ohne dabei beleidigt zu klingen, dass sie wagte, ein Geheimnis zu haben, was er noch nicht kannte. Trotzdem wollte er gerne daran teilhaben.

„Nichts Dramatisches, wirklich.“

„Das klang aber gerade anders“, murrte er, wollte sich aber nicht so abspeisen lassen.

„Ursprünglich wollte ich meiner Mutter die Leviten lesen“, erwiderte Shina, „wegen ein paar Dingen, die sie mit meinem Bruder abzieht, ohne jemand anderen einzuweihen. Du weißt schon, mein Bruder hat dieses Gift eingeflößt bekommen, das diese Organisation über Jahre hinweg entwickelt hat. Deswegen rennt er jetzt als kleiner Junge durch die Gegend, spielt aber immer noch gern den Großen. Einerseits kann ich es verstehen, denn er will wieder zurück in sein altes Leben, aber den Eifer, den er deswegen an den Tag legt, rührt leider nicht daher, dass er für Gerechtigkeit sorgen möchte, sondern mehr einer Art Rache. Dabei geht er ziemlich stürmisch und rücksichtslos vor. Ich habe da von so einem Fall erfahren, da hat mein Bruder seine eigene Mutter auf Vermouth losgelassen, obwohl er nun wirklich nicht von sich behaupten kann, sie so gut zu kennen, dass er die Lage zweifellos einstufen kann. Er geht einfach mal davon aus, dass ihre Freundschaft zu unserer Mutter ausreicht, dass sie ihr nichts antut. Ich meine, gut okay, damit hat er sogar Recht, aber er kann das alles gar nicht so genau wissen… Macht der einfach so was… Und da waren noch andere Personen involviert, als nur sie. Das hätte übel ausgehen können. Ich kenne ihre Prinzipien ziemlich gut, will ich meinen. Das musste ich meiner Mutter verklickern. Daraus schloss sie dann gleich, dass ich ihr Horrorstorys von ihrer Freundin erzählen will.“ Nun seufzte sie, denn sie fand es wirklich schlimm, wenn man so etwas von ihr annahm. Ausgerechnet ihre eigene Mutter – nicht einmal Sêiichî dachte solche Sachen von ihr…

„Oh man“, entfuhr ihm, dann legte er seine Hand auf ihre Wange, wo er sanft drüber strich. „Bestimmt hat sie nur Angst. Wer weiß, was dein Bruder ihr für Sachen erzählt hat?“

„Das, was er weiß?“ Sie war immer noch schockiert davon, wie wenig Informationen er ihr wirklich gegeben hatte. „Ich war ganz knapp davor, ihr an den Kopf zu knallen, was ich vor über einem Jahr in Amerika gesehen habe. Was damals vorgefallen ist, habe ich so gut wie niemandem erzählt, weil es schrecklich war und ich es am liebsten irgendwo tief in mir verdrängen wollte, um damit abzuschließen. Dass ich der Organisation in die Arme gelaufen bin, war nur die halbe Wahrheit, Ryochi. Ich habe so manche Sache totgeschwiegen. Allerdings denke ich, dass ich dir das sehr wohl sagen kann.“

„Du weißt, dass du mir alles sagen kannst…“

„Ja, weiß ich“, erwiderte sie und legte ihre Hand jetzt auf seine, die noch auf ihrer Wange ruhte.

„Ich wurde regelrecht gejagt in Amerika. Damals war ich noch so was wie Freiwild für die Organisation. Mittlerweile haben sie die Sache zwar begraben – weiß der Geier wieso – ganz schön dumm eigentlich, aber wer weiß, was dahintersteckt?! Man kann froh sein, dass ich in Amerika nicht auch noch Syrah begegnet bin. Für die Sache hätte sie mir Blei zu fressen gegeben, obwohl ich nichts dafür konnte – theoretisch. Sie verdreht zu gern Tatsachen, um ihre Handlungen zu entschuldigen… Die würde mich ja umbringen, wenn ihre Mutter einen Kratzer abbekommt. Dafür hätte sie mir sprichwörtlich die Gurgel umgedreht. Zu dem Zeitpunkt hätte ich das sogar verstanden. Ich dachte auch, dass Sêiichî wütender sein würde – dass er mich verteufeln würde, dass diese Sache nur meinetwegen passiert ist.“

Ryochi merkte, dass sie noch ein bisschen um die Sache herum redete – es war also eine nicht sonderlich schöne Sache, wahrscheinlich war es irgendein Horror, den sie nur schwer ausgesprochen bekam.

„Welche Sache ist da denn passiert? Ich weiß nur, dass Sêiichî nicht allein in Amerika war. Jamie war bei ihm und er telefonierte einmal mit mir, dass sie länger bleiben, weil irgendetwas vorgefallen sein soll. Ich soll mir aber keine Sorgen machen – so redet er immer – gerade dann muss man sich allerdings Sorgen machen.“

„Schlimme Sachen“, murmelte sie, dabei sah sie leicht auf ihre Knie. „So schlimm, dass ich mir wünschte, die Zeit zurückzudrehen, Ryochi.“

Ein leicht mitleidiger Blick lag auf seinem Gesicht, als sie das so sagte. Shina sagte so etwas nicht, wenn etwas nur halb so wild war – nein, es musste wirklich sehr schlimm gewesen sein.

„Die Typen, die dich gejagt haben, was ist mit denen passiert?“ Der Detektiv dramatisierte in keiner Weise, er wusste nur, dass solche Leute nicht einfach auszuschalten waren – daher musste ja irgendetwas mit ihnen passiert sein.

„Drei von ihnen wurden erschossen“, meinte sie direkt, ohne zu sagen, von wem und auf welche Weise genau. „Drei Weitere sahen es als ihre Pflicht an, denjenigen zu bestrafen, der es gewagt hat, ihnen dumm zu kommen.“

Aus irgendeinem Grund glaubte Ryochi nicht, dass Shina sie erschossen hatte – sie war nicht schnell in derartigem, nicht wenn es sich vermeiden lässt. Außerdem wollte er gerne glauben, dass es ihr möglich gewesen war, das zu verhindern. Sie waren keine Detektive, die so etwas gerne taten, ganz im Gegenteil.

„Und weiter?“ hakte er nach.

„Ehrlich gesagt habe ich sie nicht für so dämlich gehalten, den Versuch zu starten, sich mit denen anzulegen. Obwohl sie aus dem Hinterhalt gekommen sind und ganz feige auf sie geschossen haben, wollte sie denen mal so richtig Manieren beizubringen - es widerstrebte ihr wohl, vor diesen Kerlen zu kuschen. Aber die Typen störte eher weniger, dass sie von einer Frau beschossen wurden, die störte mehr der Grund, warum sie es gemacht hat.“

Man konnte sagen, dass Ryochi das schon ein wenig schockte, so wie Shina davon erzählte, hatte sich diese Person ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt. Ein bisschen ahnte er schon, dass das ja unmöglich gut ausgehen konnte. „Sie sagten, dass es ja nicht das erste Mal ist, dass sie quer schießt und es ihnen jetzt reicht… Die haben sie regelrecht niedergemetzelt.“ Nun hatte Shina die Augen zugekniffen, weil die Erinnerung so bildhaft und lebendig wieder in ihr aufkam, als wäre es gerade erst geschehen. „Wie Killer ticken, weiß ich – und verdammt noch mal; sie weiß es noch besser! Zu dem Zeitpunkt konnte ich das einfach nicht kapieren… Nachdem sie unzählige Male auf sie geschossen hatten, suchten sie weiter nach mir. Dass ich mich verkrochen hatte mit meiner lapidaren Verletzung, von der sie dachten, sie sei so schlimm, dass ich nicht weit komme, wussten sie nicht. Sie glaubten, ich sei längst davon gelaufen und ihre Aktion sollte sie nur lange genug aufhalten, dass ich abhauen kann. Aber sie räumten ihr auch keinerlei Überlebenschance ein. Sie machten sich darüber noch lustig, dass ihr keiner mehr helfen kann… Als die endlich weg waren, bin ich zu ihr gestürmt – erst war ich wütend und schimpfte mit ihr, dann war ich traurig, zerrissen und wollte alles ungeschehen machen. Mich entschuldigen, mich bedanken – etwas in die Richtung. Sie sagte, dass sie ja nicht zulassen kann, dass der Familie ihrer Freundin etwas zustößt. Dass sie das machen musste und ich ihr verzeihen soll…“ Shina fasste sich ins Gesicht und atmete etwas schneller. „Jamie muss ihr gefolgt sein… Denn er kam schneller, als ich mein Handy zücken konnte, um Hilfe zu holen. Ich dachte, die werden mich umbringen. Sêiichî war nämlich auch da. Der war regelrecht erstarrt, als er sie am Boden liegen sah. Ich glaube, in dem Moment dachte er wirklich, dass alles vorbei ist. Ich übrigens auch. Ich dachte, dass sie das doch unmöglich überleben kann, Ryochi. Jamies Mutter arbeitet im Krankenhaus – die hat sich dieser Sache dann auch angenommen.“

Es kam Ryochi vor, als versuche seine Verlobte gerade ruhig zu bleiben, obwohl sie es nicht war. Das wusste er einfach, außerdem nahm er ein schwaches Zittern ihres Körpers wahr und entschloss sie vom Gurt zu befreien, um sie leicht zu sich heran zu ziehen. So ganz realisiert hatte der Detektiv noch nicht, um wen es sich bei dieser Person gehandelt hatte, die sie so ungern benennen wollte. Aber er schätzte jetzt einfach mal auf dieselbe Person, die seinem Freund vor knappen neun Jahren das Leben gerettet hatte. Musste diese Frau eigentlich so die Heldin spielen? Warum überließ sie das nicht Männern? Er nahm sie sanft in die Arme und wollte ihr seine starke Schulter zum Anlehnen anbieten, weil er gerade der Meinung war, sie bräuchte diese.

„Ich weiß, wie du dich gefühlt haben musst“, flüsterte er.

„Das erdrückende schlechte Gewissen, als sie da so lag, ist nichts im Vergleich zu dem, was ich fühlte, als die Ärztin aus dem Raum kam, um uns mitzuteilen, dass sie gestorben ist…“ Nun drückte Shina ihre Stirn an Ryochis Schulter und dieser holte einmal Luft. Und das hatte sie mal wieder alles alleine mit sich herumgetragen. Warum machte sie so was nur immer? Nur eines an der Sache löste Skepsis in ihm aus. „Eigentlich dachte ich, dass du von Vermouth sprichst, die ist aber nicht tot. Wer also war es?“

Ihre Mutter Sharon“, antwortete Shina knapp und fühlte sich fast so, als wenn sie ihn mit diesem kurzen Satz auch noch anlügen würde.

„Ach du scheiße…“

Ryochi hatte gemischte Gefühle, was das anging. Wenn er sich vorstellte, wie es war, wenn die  Mutter  umgebracht wurde, dann… Trotzdem glaubte er, an dieser Geschichte war etwas seltsam – er wusste noch nicht wieso, aber irgendwas störte ihn. Was nur?

„Ich denke, du musst mir ein paar Sachen näher erklären – obwohl Sêiichî zwar mittlerweile gelernt hat, ein bisschen mehr zu reden, unter ihrem Einfluss hat er sich nämlich zur Verschwiegenheit entwickelt“, stöhnte er genervt auf. Dieser Baka dachte immer, dass er ihm nicht alles sagen könnte, wahrscheinlich verstand der sich manchmal selber nicht so wirklich. Er ertrug nicht sonderlich gut, wenn man ihm sagte, in  ihrem Bann  zu sein. Deswegen erzählte er die unschönen Sachen mit Vorliebe gar nicht erst. Weil  sie alle  seine Freundin eben mögen sollten. Dabei war Ryochi niemand, der sich allzu schnell Urteile erlaubte. Eine Person nach einer einzigen Tat zu beurteilen war nicht richtig. Gerade, wenn es darum ging, ob man jemanden mag, oder nicht. Dann würde er Sêiichî wohl auch nicht so gern haben, wenn er so wäre, oder etwa nicht? Ihm ließ er ja auch vieles durchgehen – auch so Sachen, die nicht in Ordnung waren.

„Ich kann mir denken, was du wissen willst. Bestimmt geht es dir um die Bindung von Sêiichî und Sharon“, sagte Shina, er schüttelte jedoch den Kopf, obwohl es teilweise schon stimmte – die Sache war verwirrend.

„Nein, nicht ganz – ich bin eher verwundert, dass  ihre Mutter* auch der Organisation angehört… Du sagtest, dass Sêiichî aussah, als sei alles vorbei und du auch. Das klingt für mich merkwürdig.“ Der Detektiv hielt seine Verlobte weiterhin im Arm, schaute jetzt aber zur Scheibe hinaus. Ihm gefiel die Sache ganz und gar nicht. Warum sollte Sêiichî schließlich denken, alles sei vorbei. Das traf nur zu, wenn Sharon…

„Seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, weiß er bestens über diese Frau bescheid“, meinte die Hellbraunhaarige, wobei sie sich ein bisschen mehr mit dem Kopf an den Mann drückte. „Das war nicht der Blick eines Mannes, der die Mutter von seiner Geliebten halbtot aufgefunden hat, sondern eher der Blick, den er zeigen würde, wenn’s die Geliebte ist.“ Damit hatte Shina eigentlich schon des Rätsels Lösung präsentiert – immerhin war Ryochi Detektiv.

„Ich meine mich zu erinnern, dass ich etwas im Fernsehen sah. Die Presse hat damals Sharons Tochter ziemlich belagert und unverschämte Fragen gestellt, die auf einer Beerdigung nichts verloren haben. Das fand ich schon damals irgendwie ekelerregend. Aber eigentlich typisch Paparazzi.“

„Ach, meinst du diese Fragerei um ihren Lover, ob er wohl erscheinen wird? Oder diese stichelnden Fragen, wer ihr Vater sei?“

„Auch – sie fragten auch, wo sie zur Schule gegangen sei… Jetzt versteh ich das erst, was die ihr damit sagen wollten. Es ist absolut gar nichts über diese Frau bekannt – weder ihr Vater, noch sonst eine Lebensgeschichte… Sie ist einfach nur da.“

„So sieht’s aus – dem heiligen Geist entsprungen“, sagte die Detektivin.

„Ohje – da frage ich mich glatt, wem Sêiichî da sein Herz wirklich schenkt. Chris oder Sharon.“

„Darüber streiten sich die Geister. Wahrscheinlich der Person, die sie bei ihm ist. Was sonst? Wer weiß, was die ihm präsentiert? Das kann man bei dieser Frau nie so genau sagen.“ Auf der anderen Seite war es nur ein Name. Das musste den Typen nicht kümmern, solange sie am Leben war, oder nicht? Wenigstens hatte er nicht allzu lange unter diesem Verlust gelitten. Im Krankenhaus hatte er zumindest schon etwas fertig ausgesehen, so sehr er versucht hatte, es sich nicht anmerken zu lassen – wahrscheinlich wegen Jamie. Er wollte den Starken spielen, damit Jamie dort zusammenbrechen konnte. Sêiichî hatte so gewirkt, als wenn er alles unterdrückte, was er gefühlt hatte, nur um seinem Onkel nicht zur Last zu fallen. Anscheinend war das auch notwendig. Er musste sehr verzweifelt gewesen sein, bis zu dem Augenblick, als Chris Vineyard auf der Beerdigung erschien.

Sogar Shina hatte bis zu dem Zeitpunkt geglaubt, dass Sharon wirklich gestorben war. Welch grausame Vorstellung, immerhin war es ihre Schuld gewesen. Zusammen mit ihrer Mutter dann diesem Begräbnis beizuwohnen, hatte sich furchtbar angefühlt, weil sie nicht einmal gewagt hatte, zu sagen, warum sie so plötzlich gestorben war. Sie hatte ihre Mutter mehrmals sagen hören, dass sie dafür doch noch viel zu jung war – den wahren Grund hatte man ihr verschwiegen. Joanne musste mit noch jemandem gemeinsame Sache gemacht haben, sonst wäre es ihr nicht möglich, die Todesursache dermaßen hinter dem Bach zu halten. Schlimm genug, dass Jamie, Sêiichî und sie selbst wussten, was passiert war.

So wirklich nachvollziehen konnte Ryochi es nicht, aber er hatte schon oft davon gehört, dass sich eine ältere Frau einen jungen Kerl suchte, um sich jung fühlen zu können – allerdings sah Chris auch nicht *alt* aus. „Aber da Sêiichî einen engen Kontakt zu ihr pflegt, ist ihr Alter nicht das einzige Geheimnis. Es benötigt schon etwas mehr, als nur Make-up, um so jung auszusehen. Im Zeitalter der Schönheitschirurgie muss man sich ja fragen, wie viel an ihr echt ist.“ Es war das erste, was er sich dachte.

„Ich weiß, eine Hollywoodschauspielerin hat die nötigen Mittel für so etwas, aber glaub’ mir, an ihr ist alles echt“, versuchte Shina ihm klarzumachen.

„Gut gehalten, oder was?“ Es fiel ihm schwer, das zu glauben.

„Ach weißt du, mein Bruder geht wieder zur Grundschule und der wird demnächst 18. Zwar habe ich keine Beweise, oder so etwas, aber die Schwarze Organisation strebt nach ewigem Leben – das ist ihr Ziel. Ihre Forschungsabteilung arbeitet an einem Mittel, was die Zellen des menschlichen Körpers so weit manipulieren kann, dass man nicht so schnell altert. Das ist auch schon alles. Die Miyanos haben sich seit Jahrzehnten diesem Projekt verschrieben und waren so weit, den Alterungsprozess rückgängig zu machen. Es gibt ein paar erfolgreiche Versuchsobjekte, die an einer Studie teilgenommen haben – so ganz freiwillig, soweit mir bekannt ist. Ich kann mir jedenfalls vorstellen, dass einige Leute sich für so etwas gerne zur Verfügung stellen.“

„Ewige Schönheit klingt schon verlockend, aber da gibt es sicher so manchen Haken. Darüber muss sich diese Frau doch im Klaren gewesen sein…“ Das alles war doch Idiotie, aber vor allem Frauen hatten unheimliche Angst davor, alt zu werden.

„Ich kann dir nicht sagen, ob sie tatsächlich so irre ist, dass sie da freiwillig mitgespielt hat. Ich bezweifle es stark. Wenn man das nämlich freiwillig macht, darf man sich am Ende auch nicht beschweren, wenn etwas schief geht. Ehrlich gesagt, nach außen hin, ist auch alles perfekt gelaufen. Daher glaube ich, dass sie gezwungen wurde. Selbst wenn man sie fragen würde, sie würde zu dem Thema wahrscheinlich keine Antwort geben – aus welchem Grund auch immer. Das nimmt sie bestimmt mit ins Grab.“

Diese Geheimniskrämerei konnte einem wirklich bitter aufstoßen, aber wer wusste schon, was dahintersteckte? Mangelndes Vertrauen? Angst vor Enttäuschung? Da gab es viele Möglichkeiten. Vielleicht wollte sie sich auch ihre eigenen Fehler nicht eingestehen.

„Unglaublich, wie verschieden die Beiden sind, das ist eher erschreckend. Sharon war doch eher die Art Frau, an der man sich orientieren kann, die ein gutes Bild nach außen abgibt, ihre Tochter“, Ryochi lachte auf, „so das typische Miststück, vor dem man besser wegläuft. Eine Frau, die man den Schwiegereltern nicht präsentiert. Man muss sein Niveau schon ziemlich runterschrauben, um so jemanden zu verkörpern. Ich bin ehrlich ein bisschen entsetzt.“

„Tja – manchmal ist sie wahrscheinlich selber entsetzt von ihrer eigenen Perfektion“, sagte Shina mit den Schultern zuckend. „Ich schließe nicht mal komplett aus, dass die Person, die sie als Chris ist, die echte ist und Sharon das Cover-up, um sich selbst zu beschützen. Ich glaube, bis zu dieser einen Sache hat sie tatsächlich, vermieden in der Gestalt von Sharon irgendwen zu töten… Hat sich am Ende ja auch fein selber bestraft. So gesehen zwei Fliegen mit einer Klappe. Die Organisation hätte sie nicht in Ruhe gelassen, wenn sie es überlebt hätte. Da dachte sie wohl, beendet sie das Ganze gleich ganz. Man kann nur hoffen, dass sie dabei nicht ganz vergisst, wer sie mal gewesen ist. Danach war *Vermouth* nämlich ganz schön unleidlich.“ Das war milde ausgedrückt, fand Shina.

„Ich erinnere mich, Sêiichî sagte etwas in die Richtung, dass es ihn sehr viel Mühe gekostet hat, sie wieder runterzuholen. Weiß nur leider nicht, von welchem Ross er sie runterholen musste… So genau war er dann auch nicht – wieder einmal.“

„Na hör mal, es war nicht so geplant. Sie hatte nie vor, ihr *normales Leben* zu begraben. Chris war ja immer das Miststück, was für all ihre Schandtaten herhalten musste. Sie hat das gemacht, um alles besser zu ertragen.“

„Du bist ja ein wahrer Experte, was das angeht – du sagst das so selbstverständlich, als wenn du in ihren Kopf schauen könntest.“

„So weit würde ich nie wagen zu gehen – aber ich kenne Leute, die sich in andere noch mehr hineinversetzen können, als ich.“ Wen genau sie in dem Moment meinte, verriet die Detektivin nicht – aber  auf sein Urteil  war durchaus Verlass.

„Sêiichî meinte einmal, er kann sie nicht im Stich lassen, sie braucht ihn.“

Shina dachte über diesen Satz einen Moment nach, entschied sich aber, nichts dazu zu sagen. Dumm war der Kerl nicht – er wusste wahrscheinlich ganz genau, dass er einen guten Einfluss auf sie hatte. Aber wehe dem, irgendwer würde ihr das auf den Kopf zusagen, das würde ihr bestimmt nicht gefallen. Wahrscheinlich war Sêiichî auch eine der wenigen Personen, wenn nicht sogar die Einzige, die Chris Vineyard ertragen konnte. Die anderen liefen ja regelrecht vor ihr weg und mieden sie. Wirkliche Freunde hatte sie keine, ganz anders als ihre Mutter, sie hatte einen großen Freundeskreis, viele Bewunderer und Verehrer, genauso wie viele Menschen um sich herum. Um Chris scherten sich vorwiegend Idioten – traurig aber wahr. Die zog schlechte Menschen an wie die Schmeißfliegen. Es war sehr schwer, wenn man von schlechten Menschen umgeben war, nicht selbst schlecht zu werden, daher konnte man Sêiichî schon als eine wichtige Person bezeichnen, der sie vor dem Absturz bewahren konnte. Dass er mehr als ein guter Freund war, war in dem Fall noch wichtiger, weil er ihr etwas geben konnte, was man einer Frau wie ihr eher nicht gab. Liebe. Nein, solche Frauen waren Mittel zum Zweck und bekamen dementsprechend nur die Flachheit der Leute zu spüren. Nicht einmal ein Kerl wie Chardonnay kam damit klar, wie Vermouth sich verhielt. Er kannte Sharon wirklich sehr lange und konnte mit ihrer Tochter so gut wie nichts anfangen. Es kotzte ihn an, das wusste Shina. Höchstwahrscheinlich bewahrte sie ihr Rollenspiel bei ihm besonders kräftig, nur um ihn zu ärgern. Bei Sêiichî war Chris bestimmt nicht so konsequent, das konnte sie sich nicht vorstellen. Auch ein Verrückter, wie er, würde irgendwann sonst gewiss vor ihr türmen.

 

Detektei Môri – 23:50

 

Dass seine Mutter neugierig war, war nervig, aber nicht zu ändern und gewiss konnte man daraus einen Vorteil ziehen, aber dass Ran jetzt auch so anfangen wollte, gefiel dem Jungen nicht.

Sie interessierte sich noch nicht einmal für seinen Fall, sondern für einen anderen. Der missfiel ihm noch mehr, aber anscheinend war Amuro auch wenig gewillt, ihr zu helfen, sonst wäre der Kleine sicher aus seinem Versteck gekrochen.

„Oh, die Bilder sind zu ende übertragen“, sagte Ran plötzlich, zusammen damit änderte sich ihr Blick schlagartig in etwas total Fröhliches. „Die sind nämlich von heute musst du wissen. Ich habe sie niemandem gezeigt. Willst du sie sehen?“

Da hatten sie es, Ran zeigte Amuro Bilder vom Handy, was Conan nicht kannte – warum machte die das mit ihm?

Sie konnten sich alles in Groß-Format auf dem PC ansehen. Sie klickte zweimal und dann waren sie auf dem großen Bildschirm sichtbar. Das Einzige, was der 7-jährige aus seinem Versteck sehen konnte, war die Verwunderung in Amuros Gesicht. „Das ist aber ungewöhnlich…“

Verblüfft sah Ran in Amuros Gesicht, der direkt neben sie gekommen war, so dass sie dicht an dicht saßen und sein Gesicht fast ihres berührte. „Was meinst du damit?“

„Also, dass sie sich fotografieren lässt.“

„Du redest, als würdest du sie besser kennen“, erkannte Ran und reichliche Skepsis trat nun in ihrem Gesicht hervor. „Du hast dich doch nicht etwa privat für sie interessiert?“ Sofort sah man ein leicht nervöses Zucken in Amuros Gesicht, dem es eigentlich nicht ähnlich sah, sich so zu verplappern, der aber von Rans Cleverness mehr als nur  beeindruckt war und sie mit Schweißtropfen ansah.

„Aber mir nicht helfen wollen – phe~“, meinte sie beleidigt und damit kriegte sie ihn nun wahrscheinlich.

„Willst du mir nicht die Wahrheit sagen?“ Er sah den sanftmütigen Blick gemischt mit ein klein wenig Sorge. „Ich habe das Gefühl, jeder verschweigt etwas. Also?“

„Ich habe mich nur gewundert. Gerade in Fankreisen reden sie davon *she’s hard to catch* und du machst einfach Fotos mit ihr“, redete sich der Blonde heraus – in dem Moment starb Conan wahrscheinlich tausend Tode, weil er vor Neugierde zerging.

„Tja – bin eben etwas Besonderes“, sagte Ran, die Amuro jetzt frech die Zunge rausstreckte, es aber gar nicht so eingebildet meinte, wie sie es sagte. „Sie hat mir in Amerika ja sogar ein Taschentuch gegeben – aber dieser Chaot versteckt es vor mir. Das wird er noch bereuen.“ Das Mädchen zeigte Halbmondaugen. „So ein wichtiges Erinnerungsstück vor mir zu verstecken, nur weil ich mich nicht mehr an den Fall in New York erinnern soll. Da musste ich ja improvisieren“, erklärte Ran und lächelte jetzt traurig. „Das letzte Mal habe ich versäumt Fotos zu machen. Ich habe so viele Fotos von New York, nicht ein einziges von diesem wichtigen Treffen. Für mich war es wichtig.“

„Du redest tatsächlich so, als würdest du in der Tat annehmen, dass Sharon und Chris ein und dieselbe Person sind.“

~**Boing**~

Beide schraken auf, als sie das Geräusch hörten, als wäre jemand gegen etwas gedonnert…

Infiltration Teil 1 - conscience

 

Amuro wartete nicht erst ab, er sprang vom Platz auf und knipste das Licht an, so dass sie den kleinen Conan entdeckten. „Sie mal einer an. Da will wohl einer nicht ins Bett“, sagte der Blonde und Conan versuchte sofort wie ein kleines Kind zu klingen, als er zu einem Satz ansetzte „Es is-“

Doch da nahm ihn der Ältere und hob ihn hoch. „Keine Ausreden! Ich bring dich ins Bett!“ Ein freches Grinsen war dem Detektiv gegeben, das dem Jungen Halbmondaugen gab, da er sofort strampelte und versuchte von seinem Arm runter zu kommen. „Nichts da! Hier geblieben! Es ist ein bisschen sehr spät für kleine Kinder! Die Erwachsenen wollen jetzt allein sein, verstanden?“

„Ran-neechan! Du kannst doch nicht mitten in der Nacht hier mit diesem Typ-“

Der 29-jährige stopfte dem Kleinen das Mundwerk, indem er die Hand auf dessen Gesicht presste und dann ein belustigtes Lachen von sich gab. „Das würde dir so passen, du Zwerg! Pass nur auf, dass ich das nicht Onkel Kogoro verrate.“

‚Pass du auf, dass ich dich nicht bei Kogoro verpfeife, dass du dich an seine Tochter ranmachst! Das letzte Mal, dass du ihr zu nahe gekommen bist, war er auch stinksauer.’

Trotzdem wurde der Junge die Treppe hinaufgetragen, ohne dass er viel dagegen machen konnte.

Erst als sie in Conans Zimmer waren, wandte sich Amuro an diesen. „Also – du gehst brav ins Bett und ich verrate Ran nicht, dass du in eine gefährliche Sache verwickelt bist. Einverstanden? Du willst ja nicht, dass sie davon erfährt. Überlass es ruhig mir. Ich sorge dafür, dass sie nicht weiter hinter  dieser Frau her schnüffelt! Du kannst dich voll und ganz auf mich verlassen.“ Er setzte das Kind aufs Bett und grinste gefährlich. „Wenn du weiterhin dein Geheimnis wahren willst, solltest du dich zusammen reißen. Es fehlt nicht mehr viel und auch du fliegst auf, so wie sie. Deine Freundin ist nicht so einfältig, wie du glaubst...“

Die Worte hatten Conans Welt mehr als nur zum Beben gebracht – es stimmte, er hatte alles mitangehört. Wenn Ran ja sogar so schlau war, herauszubekommen, dass Chris Vineyard in Wirklichkeit ihre Mutter Sharon war; da war der Verdacht, dass sie auch herausbekam, wer Conan wirklich war, sehr naheliegend. Schon so oft hatte Ran Drohungen ausgesprochen, weil Shinichi so lange verschwunden war – es schreckte den Jungen jedes Mal aufs Neue ab. Sie konnte gemeingefährlich werden, aber wenn er ihr die Sache erklärte, würde sie es am Ende dann doch verstehen, nicht? Dennoch war er in diesem Moment wieder einmal verängstigt, das sah Amuro, was ihn nur noch mehr grinsen ließ.

Nichtsdestotrotz war Ran seine Freundin und er konnte gefälligst selbst auf sie aufpassen! Conan brauchte einen kleinen Moment, um den Schock zu überwinden, dann senkte sich sein Blick. Dabei wirkte er ein kleines bisschen deprimiert. Die Augen waren versteckt hinter den Brillengläsern, so konnte man diese nicht direkt sehen, schon gar nicht mit dem gesenkten Haupt.

„Amuro-san“, kam ernst und mit tiefer Stimme, so dass dieser, der schon siegessicher zur Tür gelaufen war, den Kopf zu dem Jungen drehte.

Stille. Er sah den Jung-Detektiv an und fragte sich, was er wohl gerade dachte.

„Was denn?“

„Ran soll unter keinen Umständen verletzt werden. Genau das wird geschehen, wenn sie die ganze Wahrheit herausbekommt“, erklärte er dem 29-jährigen, welcher einen Moment stutzte und sich fragte, welche Wahrheit der Kleine in dem Moment wohl meinte. Der Bengel wollte ihm wohl jetzt wirklich ein Versprechen abringen?

Er drehte sich herum und lehnte sich gegen die Wand. In der Dunkelheit des Zimmers konnte Conan Edogawa seine Gefühle wohl gerade so vor ihm verbergen, trotzdem hörte er die Angst vor dieser Sache deutlich heraus.

„Was, von all dem - glaubst du - kann Ran nicht verkraften?“ Diesbezüglich war sich der Blonde wirklich unschlüssig. Zwar war schon klar, dass eine Nachforschung über das Leben eines Organisationsmitglieds eine Gefahr barg – aber etwas an den Worten klang eher nach einer seelischen Verletzung als nach einer körperlichen. „Du machst dir um ihre psychische Verfassung wesentlich mehr Sorgen als um ihre körperliche. Wieso? Diese Leute sind skrupellos, sie würden jeden töten, wenn es sein muss. Aber anscheinend glaubst du, dass etwas anderes schlimmer sein könnte, als körperlicher Schmerz oder gar der Tod.“ Der junge Mann war todernst, weil er den Jungen auch ernst nahm. Dieser wirkte überhaupt nicht wie ein 7-jähriger. Die machten sich um solche Dinge nicht so einen Kopf. „Da muss doch etwas dahinterstecken…“

„Dass Sharon Vineyard ein Doppelleben führte, was sie jetzt beendet hat, ist eine Sache. Die andere Sache ist, was sie noch so tut. Diese hässliche Wahrheit will ich Ran ersparen. Diese Frau ist ihr Idol gewesen und ich weiß ganz genau, wie es sich anfühlt, wenn man von so einer Person enttäuscht wird.“ Es war schon schlimm genug, dass er das seiner Mutter nicht ersparen konnte – sie hatte sich gut im Griff, fand er. Aber Ran würde deswegen wieder nur heulen. So wie damals – damals in New York. Er hatte alles rund um die Geschehnisse dort von ihr fernzuhalten versucht, weil sie so darunter gelitten hatte. Obwohl sie ihn einmal auf das Taschentuch von Sharon angesprochen hatte – von dem er nicht einmal mehr wusste, wo es jetzt war – wollte er diese Person am besten totschweigen. Als wären sie ihr nie begegnet. Dann konnte auch keiner mehr enttäuscht werden. Es konnte doch fast nicht mehr schlimmer werden. Ran wusste, dass Sharon lebte und interessierte sich jetzt für die Person, die sie jetzt war. Sie machte sich Sorgen und glaubte so stark daran, dass es sich dabei um eine gute Person handelte, dass sie ihr helfen wollte…

Es war nur ein kleiner Moment, in dem Toru Amuro wirklich darüber nachdachte, den Jungen zu beruhigen. Ihm zu sagen, dass er so etwas nicht glaubte. Sie wollte um jeden Preis verhindern, dass dem Mädchen irgendein Leid zugefügt wurde. Egal, welches. Sie war ein großes Risiko eingegangen, nur um Angel von einem Tatort fernzuhalten, von dem sie glaubte, dass dieses Mädchen dort Schaden nehmen könnte. „Ich denke, Ran hält einiges mehr aus, als du vielleicht glaubst. Nur weil sie ihre Gefühle auch mal in Form von Tränen zeigt, heißt das nicht, dass sie schwach ist.“

Nun blickte der Junge voller Erstaunen auf. „Ja, aber…“ Shinichi wollte einfach jedes Unheil von Ran fernhalten, so fern es in seiner Macht stand. „Ich will nicht, dass sie die Schatten finden. Die Schatten, die schon mich gefunden haben. Sie ist mir lieb und teuer. Deswegen will ich nicht, dass sie mit dieser Sache auch nur das Geringste zu tun bekommt. Bitte versprich mir, dass Ran unter keinen Umständen in diese Sache mit hineingezogen wird. Sie muss all das nicht wissen. Die kriminellen Machenschaften, in die wir alle geraten sind, sie sind Gift für jedes Herz. So wie ich Ran kenne, würde sie noch versuchen es zu verstehen. Wieso jemand solche Dinge tut, um ungestraft unter einem Decknamen zu agieren.“

„Ungestraft“, wiederholte der 29-jährige gemurmelt und schüttelte dabei den Kopf. „Schon lustig, etwas Ähnliches habe ich vor nicht allzu langer Zeit schon einmal von einer Person gehört.“

Sie sahen sich an, ein Lächeln keimte im Gesicht des Blonden auf. „Unsere spezielle Freundin findet auch, dass man Angel aus allem heraushalten sollte. Ihr darf unter keinen Umständen etwas zustoßen. Man muss sie von jedem Schaden bewahren. Versprichst du mir, dass ihr und ihm  nichts geschieht? Das hat sie gesagt. Andauernd erinnert sie mich daran, dass ich ihr dieses Versprechen gegeben habe. Du kannst also aufhören, dir Sorgen zu machen. Mein Ziel ist, am Leben zu bleiben. Sollte dir oder deiner Freundin etwas zustoßen, sollte ich mich schnell aus dem Staub machen, wenn mir mein Leben lieb ist. DANN hätte ich nichts mehr zu lachen, obwohl ich sie in der Hand habe. Manchmal hat der Verstand Aussetzer, dann hätte ihr Verstand diesen wohl und sie würde jenseits aller Vernunft handeln. DU, Conan Edogawa, hast doch sowieso längst herausbekommen, dass unser Ziel, die Sicherheit von Menschen zu gewährleisten, ist. Also musst du mich nicht um so etwas bitten. Allerdings solltest du Ran nicht unterschätzen. Sie wird dich noch so manches Mal überraschen – dasselbe gilt auch für unsere spezielle Freundin. Ihre Methoden sind sehr rabiat, aber sie verfehlen ihre Wirkung nie. Außerdem ~sometimes it isn’t like it seems~. Merk dir meine Worte, kleiner Detektiv.“

Mit diesen Worten und mit einem verheißungsvollen Funkeln in seinen blauen Augen, zwinkerte Amuro ihm zu und verließ anschließend den Raum. Damit verhinderte er eigentlich nur, dass Conan seine Fassung zurückgewinnen konnte, um ihn weiter auszuquetschen.

Als er die Treppe hinabging – er war fast sicher, dass Conan ihm nicht folgte – grinste er, hatte die Augen geschlossen und ging den Weg blind. Trotzdem wusste er, dass sie am Rande der Treppe stand und das gesamte Gespräch mitangehört hatte. Es sollte ihn eigentlich ärgern, aber er fragte sich eher, wie viel davon sie nun wohl wirklich realisiert, also verstanden hatte. Er sah das Mädchen an, welches ihm diesen fragenden Blick schenkte, er erwiderte diesen mit einem Lächeln. „Ich denke, er wird nun brav schlafengehen. Es ist ja auch schon spät, nicht wahr?“

Ran sah den Detektiv an, dabei nahm das Fragende in ihrem Gesicht nicht ab, so dass sein Lächeln langsam aber sicher erstarb.

„Manchmal redet er wie ein Großer“, flüsterte sie im Dunklen hinter vorgehaltener Hand. „Ist schon süß, wie er sich Sorgen macht. Das muss ja eine ziemlich krasse Sache sein, die er da verschweigt, oder? Diese spezielle Freundin, ist das die Person mit Namen Vermouth?“ Nun wirkte Ran wie eine Geheimniskrämerin, sie kam den blonden Mann immer näher, als sie todernst diese Frage stellte.

 

Eine spärliche Lampe brannte, die das große Wohnzimmer nur unzureichend beleuchtete, so dass der Hellbraunhaarige den Schalter betätigte, damit der Raum wenig später in mehr Licht getaucht wurde. „Yukiko, warum sitzen Sie denn hier fast im Dunklen?“ fragte der 27-jährige, auch wenn es nicht die vollkommene Finsternis war, so war die kleine Lampe machtlos gegen die Dunkelheit.

Erschrocken blickte die ältere Hellbraunhaarige auf.

„Ich sitze hier schon eine Weile – anscheinend habe ich es vergessen.“

„Vergessen?“ Das klang merkwürdig, wie eine Ausrede. Deswegen ging er auf die Frau zu und setzte sich dann neben sie. Er war immer lange wach, anders als sie und nun saß sie auch noch fast im Dunklen. „Sie haben doch etwas, oder?“ Auf den ersten Blick wirkte der verkleidete FBI-Agent selten wirklich empathisch, daher war es schon eine Sensation, wenn er einen nach dem Befinden fragte, weshalb Yukiko ihn reichlich überrascht, aber auch perplex ansah.

„Meine Tochter war hier.“

Für normale Menschen war es ein Grund zum Freuen, nicht um Trübsal zu blasen, so wie Yukiko nun, aber Subaru verstand vollkommen, weshalb sie nun so ein Gesicht machte.

„Es geht ihr doch gut, oder?“ hinterfragte Subaru und Shinas Mutter wirkte ein kleines bisschen kleinlaut, anders als man sie sonst kannte. Was für Dinge hatte ihre Tochter ihr denn nur gesagt, dass sie nun so verstört wirkte? Jedenfalls empfand er es so. „Waren wohl keine so rosigen Nachrichten, oder?“

„Sie hat total in Rätseln gesprochen und hat andauernd gemeint, ich soll meine Fragen doch Ihnen stellen.“ Ein wenig beleidigt wirkte Yusakus Frau schon. „Aber es geht ihr ganz gut, würde ich sagen. Sie war besorgt um mich und wollte mich darauf hinweisen, dass ich mich auf dünnem Eis bewege.“

Subaru stand auf und begab sich hinter die Frau, dabei wendete er ihr den Rücken zu, während sie auf der Couch saß. Er starrte zum Fenster hinaus.

„Dass man sich auf dünnem Eis bewegt, sagt sie gern. Anders habe ich sie auch gar nicht kennengelernt“, sagte er, dabei klang er ernst wie immer, hatte aber einen undefinierbaren Unterton in der Stimme, der nicht so leicht zu deuten war. Weil er das so sagte, drehte sich Yukiko zu ihm herum, dabei griff sie sich an die Lehne der Couch und hatte es den Anschein, als müsste sie sich an etwas festklammern.

„Ist meine Tochter etwa frech zu Ihnen gewesen?“ Es klang überhaupt nicht wie die Frage, die eine Mutter stellte, weil sie sich für ihr Kind schämen wollte, dafür klang sie viel zu ruhig.

Ein schnippischer Laut entkam ihm. „Keineswegs, sie war nicht frech.“ Den Nebensatz ließ der junge Mann unter den Tisch fallen – denn er fand Shinas Mutter viel frecher als sie. „Nur ehrlich.“ Bestimmt dachte die Detektivin, dass er sie überhaupt nicht leiden konnte, weil sie ihn so vehement an die Einhaltung von Regeln erinnert hatte. „Welche Fragen waren es denn, die Sie mir stellen sollen?“ Weil er verdeckt ermittelte, musste er ja fast schon solche Fragen stellen.

Leider hatte Yukiko angeweht, dass ihre Tochter weniger begeistert von ihrem engen Kontakt zu Subaru war. Ihre Worte klangen eher, als wenn sie ihre Mutter vor ihm warnen wollte. Deswegen zögerte die Hellbraunhaarige nun auch.

„Ich soll Sie fragen, was Sie über Sharon Vineyard wissen.“ So sehr die Schauspielerin gerade versuchte, ruhig zu bleiben, ihre Stimme hatte dieses Zittern inne, was die Unruhe in ihr sofort verriet.

„Da hat Ihre Tochter den schwarzen Peter aber geschickt weitergeschoben“, antwortete Subaru, weil Shina ihrer Mutter diese Antworten mit Sicherheit selber geben könnte. „Ganz schön raffiniert – so umgeht sie, dass Sie ihr am Ende sauer sind. Manche Sachen bleiben besser ein Geheimnis. Ich will eigentlich nicht derjenige sein, der Ihnen so etwas erzählt. Aber wissen ist in dem Kontext das falsche Wort. Gewusst haben, finde ich viel passender. Diese Frau ist nämlich tot. Damit sollten sich einige Personen langsam abfinden.“

Nun stöhnte sie auf, ehe die schöne Frau vom Sofa aufstand, um zu ihm zu gehen. Jemandem den Rücken zuzuwenden, war das Verhalten der Lügner, sie wollte wenn schon ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, damit es ihm nicht so leicht fiel, sie zu belügen.

„Ach ja, wirklich?!“ Man merkte ihr an, dass sie etwas angesäuert war. „Haben Sie sich mit meiner Tochter abgesprochen? Sie müssen mir nichts vormachen, ich weiß, dass sie nicht wirklich tot ist. Ihr geht es bestens. Ging ihr nie besser.“

Zum Glück erkannte man sofort den beißenden Sarkasmus in der Stimme der Älteren. Subaru blieb vollkommen unbeeindruckt und ließ sich nicht beunruhigen, nur weil sie etwas sauer war. Es war nicht die erste Frau, die er aus der Ruhe brachte, deren Zorn er auf sich zog.

„Teilweise stimmt das sogar“, kam von ihm in einer neutralen Stimme, er wirkte nicht, als hätte er einen Groll gegen diese Person, ebenso wenig wie er nun Yukiko einreden wollte, dass sie schlecht war. Sie würde das sowieso nicht glauben. Jemand, der so emotional reagierte, würde nicht hören. Ein bisschen erinnerte ihn das an Jodie – nur in entgegen gesetzter Richtung. „Sie hat jetzt weniger Scherereien, weil sie tot ist.“ In diesem einen Satz lagen mehr Dinge verborgen, als man im ersten Moment dachte.

Yukiko fand, er drückte sich genauso schwammig aus wie ihre Tochter – wie sollte man daraus nur schlau werden?

„Shina deutete an, dass Sie Sharon auf der Stelle ins Gefängnis stecken könnten. Stimmt das? Und wieso? Was wissen Sie über diese Frau?“

Diese Frau - das klang ziemlich distanziert, war also ziemlich unpassend. Der kleine Conan hatte davon gesprochen, die beiden Frauen seien eng befreundet. Es würde Yukiko wohl auch nicht so brennend interessieren, wenn sie ihr so egal wäre.

Yukikos Tochter war bestens informiert, dabei wusste Shuichi nicht einmal, woher sie ihr Wissen hatte. Sie musste ziemlich genau nachgeforscht haben, um so etwas zu wissen. Er wusste nicht, ob ihm das so sonderlich gefallen sollte. Jedes Mal, wenn sie gekommen war, um ihn zu ärgern, ruinierte das einen ein Stück weit den Tag. Aber ihre Gründe, Derartiges zu tun, waren keineswegs schlecht. Manchmal hätte er sich nur gewünscht, dass sie nicht so verdammt erpicht auf Regeleinhaltung war. Wenn man sich in solchen Fällen an die Regeln hielt, starb man entweder eines grausamen Todes, oder andere Menschen taten das.

„Auf der Stelle ins Gefängnis stecken? Da hat Ihre Tochter wohl maßlos übertrieben. Ich könnte etwas gegen sie unternehmen – das schon eher, aber sie ins Gefängnis zu stecken, gestaltet sich da schon schwieriger.“ Er wollte nicht gemein sein, aber es bildete sich ein Grinsen in seinem Gesicht, leider kein wirklich Nettes. „Man könnte ihr vorsätzlichen Mord vorwerfen. Ich könnte das. Aber es gibt da Personen, die würden sich auf der Stelle einschalten, wenn es dazu kommt. Diese Personen würden mir dann im Gegenzug ebenfalls vorsätzlichen Mord vorwerfen. Sie wissen ja, wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Dieser so genannte, vorsätzliche Mord diente dazu, anderen Menschen zu helfen.“ Subaru blickte zu der Schauspielerin und fragte sich, wie eingeweiht sie wirklich war. Er redete nun nicht direkt von der Organisation, und dass man die Regeln grundlegend ändern musste, wenn man in ihren Reihen bestehen wollte. Das tat er höchstens, wenn er Indizien dafür fand, dass sie mehr über diesen Laden wusste. Jeder normale Mensch würde sagen, sie hätten nicht alle Tassen beisammen, einfach so Menschen zu erschießen… Wenn er in seiner Zeit in der Organisation etwas gelernt hatte, dann dass man sich nicht zu fein sein durfte, so ein Opfer zu bringen. Auch die Polizei schoss auf Menschen, wenn akute Gefahr drohte. Leider durfte man aber auch nur dann. Dumm nur, wenn man dank der Organisation einen schnell zuckenden Finger hatte, weil man grundsätzlich das Schlimmste befürchtete. Ein lapidares wenn du nicht machst, was ich dir sage, bringe ich Menschen um, die dir etwas bedeuten reichte aus, dass man ziemlich nervös den Abzug betätigte. Dieser Laden scherte sich nicht um den Verlust von Menschenleben, sie taten alles, um ihr Ziel zu erreichen. Wenn man die Menschen beschützen wollte, an denen einem etwas lag, musste man so weit gehen. Auch er musste das. Mit diesen Menschen konnte man nicht reden. Sein Glück war nur, dass er zu gut im Umgang mit Waffen war, als dass man ihm etwas anhaben konnte. Aber auch das konnte sich schnell ändern, das war ihm durchaus bewusst. Es gab Situationen, da würde er genauso handeln, wie sie.

Das hatte Shina wohl gemeint, als sie ihrer Mutter sagte: Ich frage mich, ob du diesen Akai noch mögen würdest, wenn du wüsstest, wie weit er geht.

Man musste wirklich vorsichtig sein. Sogar sie dachte nun einen Moment darüber nach, was dieser Mann ihr gerade gesagt hatte. Er redete von vorsätzlichem Mord – der dazu diente, anderen Menschen zu helfen. Dabei hatte er nicht geleugnet, dass auch er so etwas getan hatte. So weit ging er also… Aber warum?

„Soll das heißen, Sie sind zwangsläufig fair, weil da Personen sind, die von Ihren Schandtaten wissen? Oder wollen Sie mir sagen, dass Sie am Ende noch verstehen, dass sie so etwas tut?“

In seinen Augen hatte sich Yukiko beruhigt, denn sie wirkte nun nicht mehr so angesäuert.

„Wie besonnen Sie das fragen…“ War diese Frau kein bisschen schockiert? Am Ende hatte sie grundsätzlich so eine schlechte Meinung vom FBI. Dass die immer die Regeln so drehten, wie sie diese brauchten. Ganz falsch war das mit Sicherheit ohnehin nicht.

„Ach, wissen Sie, ich glaube so langsam, dass mich nichts mehr erschüttern kann. Meine Freundin hat offensichtlich ihren Tod inszeniert, um nun jemand anderes zu sein. Mein Sohn ist wieder ein Grundschüler. Meine Tochter warnt mich davor, dass jemand, der eigentlich tot ist, immer noch existiert und bereit ist das nächste Mal vielleicht wirklich zu sterben, wenn ein Leben davon abhängen sollte. Meine Tochter glaubt, dass dieser Fall eintreten kann, wenn ich mich allzu sehr in diese Materie einmische. Sie hat mich davor gewarnt, dass Sharon eher sterben würde, als auf unsere Familie zu schießen. So viel ist noch von ihr übrig…“ Wirklich schockierend war es nun nicht für Subaru, dass jetzt Tränen in ihren Augen standen, während sie das so sagte, immerhin war Yukiko eine Frau. Die waren grundsätzlich näher am Wasser gebaut, als Männer, die immerzu ihr Gesicht wahren mussten. „Davon konnte ich mich selbst überzeugen...“

Weinende Frauen waren anstrengend, aber wenigstens scheute sie sich nicht, ihre Gefühle zu zeigen. Er war ganz andere Frauen gewohnt, die in der Dunkelheit der Nacht einsam und alleine weinten.

„Es ist so viel von ihr übrig, dass man sie mit ihrem alten Leben immer noch ärgern kann“, sagte er, obwohl das vielleicht ein klein wenig taktlos wirkte. „Solange das der Fall ist, wird sie weiterhin alles Mögliche tun, dass den Leuten nichts zustößt, an denen ihr persönlich etwas liegt. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mein Wissen für mich behalte. Und weil…“ Subaru schloss die Augen, dabei holte er tief Luft und dachte an James Black. „…man sollte niemandem allzu vorschnell vertrauen. Ihre Tochter hat mir auch ziemlich lange derbe misstraut. Anscheinend dachte sie, dass ich ein Monster sei. So etwas in die Richtung. Sie hat leider erlebt, dass ich mich nicht scheue, alles an Waffen gegen meine Feinde einzusetzen, was mir zur Verfügung steht. Aber das muss ich auch. Ich war nämlich Mitglied bei ihnen, deswegen würde fast jeder aus dieser Organisation alles daran setzen, dass ich möglichst bald nicht mehr da bin. Vor allem ein Mann namens Gin.“ Nun grinste er, immerhin war er immer noch hier und dieser Kerl wog sich in Sicherheit. „Man hält mich für tot, das gibt uns allen einen gewissen Vorteil. Wenn sie herausfinden, dass ich am Leben bin… Ich glaube, das würde die meisten zu Tode erschrecken.“ Er wusste, dass auch Vermouth nicht sonderlich traurig über seinen Verlust war, das bedeutete immerhin eine Person weniger, die ihr am Ende reinpfuschen konnte…

„Dass man Ihnen nach dem Leben trachtet, weiß ich. Deswegen habe ich Ihnen ja geholfen. Mein Sohn will unnötige Tote verhindern. Die meisten Fälle, die er bearbeitet, resultieren allerdings meistens aus einem Mord. Diesmal sieht es anders aus.“

„Die Sache haben wir alle gemeinsam. Wir wollen die Wahrheit herausfinden und mit ihr vermeiden, was sich vermeiden lässt. Meine Partnerin Jodie wird in dieser Sache sehr oft missverstanden. Unser Boss, James Black glaubt, dass sie auf Rache aus ist. Nur, weil sie der Mörderin ihrer Eltern nachjagt, heißt das nicht, dass ihr Motiv Rache ist. Schon traurig, auch Sharon hat kein Vertrauen in die Menschen auf dieser Welt. Jeder, der Antworten von ihr will, ist automatisch ihr Feind. Sie glaubt wahrscheinlich selbst nicht daran, dass irgendwer auf dieser Welt ihr verzeihen kann – am wenigsten wohl sie selbst.“ Nun seufzte Subaru, denn er konnte mehr als gut nachvollziehen, wie jemand derartig tief fallen konnte, dass er sich am Ende selbst nur noch schwer ertragen konnte. Ihr Motiv war definitiv Rache – der Antrieb dazu war gleichbedeutend mit seinem. Es war kein Geheimnis, dass Shuichi Akai sich gerne mit Gin Gefechte lieferte, weil er ihn über alle Maßen verabscheute, dass er bereit war, ihm sehr großen Schmerz zuzufügen. Denselben Schmerz, den er damals erfahren hatte. Leider war Gin nicht so empfänglich für körperlichen oder seelischen Schmerz. Da musste man sich schon ordentlich ins Zeug legen.

„Das klingt ganz nach Sharon. Sie hat sich oft gefragt, was sie schlimmes verbrochen hat, um mit solch einem Leben gestraft zu sein. Ich hab das nie so ganz verstanden, damals jedenfalls nicht.“ Yukiko hatte den Kopf gesenkt. „Ich hab’s deutlich in ihrem Gesicht gesehen. Sie findet selbst furchtbar, was sie da treibt. Womöglich halten Sie mich für dumm und einfältig, wenn ich frage, wieso jemand etwas tut, zu dem er selbst nicht stehen kann. Ich meine, warum lässt sie es nicht? Zwingt man sie dazu?“ Das war ein Gedanke, der für ihre Freundin nur schwer zu ertragen war. „Sie kann nicht mal vor mir dazu stehen. Als ich sie auf diese Sache ansprach, sah sie mehr als nur zerrissen aus. Sie konnte jede Problematik, jedes Leid, jeden Kummer mit einem Lächeln ertragen. Ich versehe gar nichts mehr. Es muss einen Grund dafür geben – und irgendwie glaube ich, dass Sie den wissen.“

Es gab kein Entrinnen, sie schenkte ihm den Blick eines Detektivs, den durchdringenden, bohrenden Blick, den Schnüffler nun einmal so inne hatte. Du sagst mir das jetzt! Es stand so deutlich in ihrem Gesicht geschrieben, gerade dann erinnerte diese Frau ihn an ihre Tochter. Sie hatte ihn genauso angesehen, als sie Antworten von ihm gewollt hatte.

„Ich muss Sie enttäuschen, Miss Yukiko. Welchen Grund sie für ihre Mitgliedschaft in so einem Sauhaufen auch hatte, den hat sie leider keinem von uns verraten. Ganz freiwillig wird es wohl nicht gewesen sein. Was jedoch der Auslöser war, weiß wohl nur sie selbst und vielleicht einer derjenigen, die ihr nahe stehen.“

„Jamie Moore zum Beispiel. Das war ihr Cousin… Derjenige, der auf der Beerdigung vollkommen zusammengebrochen ist“, sagte Yukiko wissend, wobei ihr Blick noch ein wenig trauriger wurde.

„Ich bezweifle, dass ausgerechnet er den Grund kennt. Er ist Detektiv, er würde sofort hinter den Schuldigen herjagen. Den kann ich nicht ausquetschen. Wir sind nicht gerade die besten Freunde; er verabscheut das FBI – ich glaube eher, er ist einer der Gründe, weshalb Sharon der Meinung war, gehen zu müssen. Ich glaube, da sind andere Leute, die bescheid wissen, aber die können mich leider nicht leiden.“ Es klang eher so, als belustige ihn das auch noch. Eigentlich war es sogar lustig, denn er gab sich nach außen hin auch anders, als er tatsächlich war. Viele Freunde hatte er wohl nicht dadurch, was aber kein Wunder war, seine Mutter war auch nicht gerade die einfachste Person. Sie alle gaben doch sowieso vor, jemand zu sein, der sie nicht waren; gerade zum Schutze anderer Menschen. War es nicht so?

„Ich werde wohl keine Antworten bekommen? Wollen Sie mir das damit sagen?“ Das bildhafte Schmollen in ihrem Gesicht zeigte, dass sie das nicht berauschend fand und sich anscheinend wirklich mehr von diesem Gespräch erhofft hatte.

„Vielleicht würde uns die Wahrheit sowieso nur erschüttern. Wer weiß wofür es gut ist, oder?“ Es gab nun einmal Dinge, die einen erschüttern konnten – gerade Familiengeschichten taten das. Bei ihm gab es ja auch Dinge, die er noch nicht wusste, vor deren Wahrheit er sich doch ein wenig gruselte – aber egal wie diese Wahrheit aussah, er wollte sie in Erfahrung bringen. Endlich klarer sehen.

Auch jetzt noch war sie schockiert davon. Es war immer noch das gleiche Gefühl in ihr, wenn sie daran dachte. Dass ihre Freundin eine Verbrecherin war, die ihren Tod vorgetäuscht hatte. Dass sie Menschen ermordete. Ihre gutmütige Freundin, die eher dafür bekannt war, sich für die Gerechtigkeit einzusetzen sollte Ungerechtigkeit verbreiten. Welcher Mensch konnte so etwas denn kapieren? Für Shinichi war es so einfach, all diese Dinge der Mutter zu sagen. Er kannte sie nicht so gut, wie sie. Wenigstens hatte auch er erkannt, dass sie nicht herzlos war und nicht am Ende auf sie schießen würde… Dennoch fiel es Yukiko immens schwer, die Wahrheit zu akzeptieren. Wahrscheinlich wusste Sharon ganz genau, welch eine Enttäuschung es für sie war, so etwas herauszubekommen. Bestimmt hatte sie alles so geplant, oder nicht? Sharon hatte noch nie ein gutes Wort für ihre Tochter Chris übrig gehabt. Nach außen hin hatte sie diese verstoßen, dabei hatte sie sich wohl eher selber verstoßen, oder?

„Jedes Mal, wenn sie von ihrer Tochter sprach, hätte man meinen können, sie sei das schrecklichste Wesen, was auf Gottes Erde existiert.“

„Das passt schon so“, sagte Subaru, wobei er die Augen ruhig geschlossen hatte. Es passte, viel zu gut sogar. Chris Vineyard sollte ja auch keiner auch nur ansatzweise sympathisch finden. Wenn herauskäme, dass sie Mitglied einer Verbrecherbande war, würde das keinen so großartig schockieren, nicht wahr? Dass Sharon so etwas machte, schon eher. Sie war damals keine böse Person gewesen – alles andere als das. Ihre Tochter hingegen war schon immer das eiskalte Miststück gewesen. Vieles seiner Gedanken gab er nicht preis, deswegen sah ihn Yukiko wohl jetzt auch so fragend an. „Irgendwann werden Sie es schon verstehen. Aber Ihre Tochter hat Recht. Noch einmal sollten wir eine so waghalsige Aktion nicht bringen. Obwohl man mir das schon des Öfteren vorgeworfen hat – ich will nur ungern über Leichen gehen. Jeder Schritt muss wohl überlegt sein. Es ist schön und gut eine Schauspielerin im Team zu haben, aber Ihr Mann scheint mir weniger davon begeistert zu sein, ebenso wie Ihre Tochter. Sie sollten sich wirklich aus der Sache raushalten. So viel Interesse Sie auch an der Wahrheit haben.“

 

 

~Der nächste Morgen~

 

Ein leicht durchtriebenes, gehässiges Lachen war zu vernehmen – für andere war das wahrscheinlich etwas, was sie zu einem wütenden Knurren bringen würde, aber solange es sich um ihre Stimme handelte, war ihm alles Recht… Es musste unheimlich früh sein, knapp nach sechs Uhr in der Frühe. Nachdem er gestern Nacht bis in die Puppen Pancakes in sich hineingestopft hatte, war an einen ruhigen Schlaf nicht zu denken. Er war geendet mit Bauchschmerzen auf dem Sofa, wo er sich von ihr betütteln ließ. Nun ja, hatte auch etwas. Er war ja sonst nicht wehleidig, aber das Gefühl zu platzen, hatte er nicht komisch gefunden. So verfressen war er noch nie gewesen, weil er sonst eher penibel darauf achtete, was er den Tag über zu sich nahm. Das gleiche gehässige Lachen von gestern Nacht, war auch jetzt zu hören. Er schlug die Augen auf und blickte zur Seite, wo die Tür zum Bad halb offen stand und er einen Teil ihres Körpers erhaschen konnte, während sie offensichtlich telefonierte…

Wen auch immer diese Frau gerade mit diesem gehässigen Lachen bedachte, solange es sich dabei nicht um Gin handelte, war ihm alles Recht… Jedenfalls glaubte Cognac das in dem Moment noch.

“Oh, ich bitte dich! Wenn es dafür Beweise gäbe, wären Menschen, wie Gin, schon eines grausamen Todes gestorben. Ist fast schade, dass dem nicht so ist. Ist schon lustig, wie er sich geistig mit Bourbon messen will, Yuichi. Dabei verausgabt er sich noch. Er beschäftigt sich mit den falschen Menschen.“

„Geistig messen? Das bedeutet wohl, er ist diesmal unbewaffnet. Er ist ja noch nicht einmal in der Lage, dich zu durchschauen.“

„Wenn das ein Kompliment werden sollte, ist es gehörig schiefgegangen, mein Lieber…“

Sêiichî hatte Halbmondaugen, als er erst den Namen, dann die Stimme des Mannes hörte. Weil sie wohl heute der Meinung war, mit ihrem Handy per Freisprecheinrichtung zu telefonieren, damit er auch fein an der Konversation teilhaben konnte… das machte sie doch wieder mit Absicht. Tat so, als würde sie glauben, er schlief immer noch, nur um mit ihm zu flirten. Warum zum Geier klang dieser Kerl eigentlich heute nicht einmal angepisst über diesen Umstand?

„Es tut mir außerordentlich leid, wenn das der Fall sein sollte“, es klang ein Lachen aus seiner Stimme heraus. „Wegen der Sache gestern, wie soll es Kir schon gehen? Die ist nicht gerade erpicht darauf, derart Dinge im Fernsehen zu berichten. Meldungen, wie diese, ziehen sie immer furchtbar runter, weil sie weiß, wer dahintersteckt und trotzdem machtlos ist.“

„Was ist das für ein vorwurfsvoller Ton in deiner Stimme? Willst du mir für irgendetwas die Schuld in die Schuhe schieben? Ich wiederhole es gern noch einmal. Es war reiner Zufall, dass mir die kleine Kaori in die Arme gelaufen ist. Ich habe sie zu Shannen gebracht, weil sie dort gut aufgehoben ist. Bei uns hier brennt die Luft. Ich würde mich schrecklich gern um ein Kind kümmern, du kennst mich ja, aber…“ Ein Seufzen von der Blonden, die sich gerade schminkte. „Ich habe Sêiichî darüber informiert, dass einer von denen wohl Jami war. Sie war total verstört. Ich muss mich auch ranhalten. Wenn dieser Baka aufwacht, muss ich fertig sein. Dann kann ich gleich los und er wird mir kaum hinterher rennen können. Er ist gestern Nacht fast gestorben, weißt du?! Er konnte ja nicht genug kriegen…“

„Behalt die Details für dich, ich bin nicht daran interessiert, so etwas zu erfahren.“

Nun begann die Blondine schallend zu lachen, weil ihr Satz zwar zweideutig geklungen hatte, aber er total darauf einstieg und wohl auch noch angewidert sein wollte. „Du hast eine blühende Fantasie. Nein, nein! Du hast mich missverstanden. Mr. Nimmersatt hatte gestern andere Interessen – als DAS! Nachdem ich Pancakes gemacht habe, konnte er einfach nicht mehr aufhören, diese wie ein Gierschlund zu verdrücken. Ich glaube, so sehr geplatzt ist er noch nie. Es war bestimmt zwei Uhr morgens, als es ihm endlich ein wenig besser ging. Aber das kommt eben davon, wenn man so stur ist und nicht hören will. Ich sagte ihm nicht nur einmal, dass man von zuviel Pancakes todsicher Bauchschmerzen bekommt. In solchen Dingen ist er immer noch ein Kind. Das wird sich wohl auch in zehn Jahren nicht ändern.“ Das nächste gehässige Lachen war zu hören – man könnte meinen, dass es ihr große Freude bereitete, ihn wegen so etwas auch noch auszulachen.

„Manche Verhaltensweisen willst du an ihm ja auch nicht ändern, sonst würdest du dich mehr ins Zeug legen. Unsere Mutter scheint dich wirklich zu mögen –“

Ein erstaunter Laut war von der Blonden zu hören. „Das wusste ich ja gar nicht, dass sie mich so gut leiden kann. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich frage mich nur, wieso sie mich mag. Shina ist doch viel beeindruckender, oder nicht?“ Ihre Bescheidenheit durfte man auf keinen Fall ernst nehmen, es war eher ein verdecktes Schmollen, weil sie an diese Super-Detektivin nicht herankam, so sehr sie es auch versuchte…

Yuichi ließ ein belustigtes Lachen hören, weil er doch etwas fassungslos gegenüber dem Umstand war, wie wenig Chris ihre Mutter einzuschätzen vermochte. Es war einfach herrlich, wie diese Frau, die sonst ein so großes Ego hatte, glaubte, Akiko Akaja würde Shina bevorzugen.

„Mir scheint, dass du unsere Mutter noch ein bisschen besser kennenlernen musst“, erwiderte Yuichi, der sich nur langsam von seiner Belustigung erholen konnte. „Dass sie dir Grund zu dieser Annahme gegeben hat, sie würde dich nicht mögen, kann man nun wirklich nicht behaupten. Du wurdest doch mit offenen Armen empfangen… Oder etwa nicht? Natürlich mag unsere Mutter Shina, aber Ryochi ist auch keine so schwierige Person, wie Sêiichî. Mutter lässt außen vor, dass sie eine Detektivin und du Schauspielerin bist, sie vergleicht euch auch sonst nicht, für sie zählt einzig und allein, welche Veränderung die jeweilige Frau bei ihrem jeweiligen Sohn auslöst. Sie mag dich wirklich, jedenfalls als Frau an Sêiichîs Seite. Sie hört gern Geschichten aus eurem Zusammenleben. Das letzte Mal hat sie sich richtig weggeschmissen und konnte kaum noch reden vor Lachen. Du hast wohl einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen, weil du es so lange mit unserem Sêiichî schon aushältst. Du hast das geschafft, was sonst keine Frau geschafft hat. So etwas in die Richtung sagte sie, mit einem gemeinen Lachen – das hättest du sein können, nachdem du erfolgreich gegen ihn triumphiert hast. Also wirklich, ich hätte nicht gedacht, dass Mutter echt so ein Biest sein kann. Aber wir wissen ja, dass Sêiichî es ab und zu braucht, dass du das gemeine Biest zum Einsatz bringst. Ist das nicht manchmal anstrengend?“

„Ach, überhaupt nicht. Es bereitet mir die größte Freude, ihn ab und zu zu erschrecken, er sieht dann immer total goldig aus, weil er total anfängt zu schmollen, wenn er endlich bemerkt, dass ich ihn veräppelt habe.“

Ihr Blick schweifte zur Seite, weil dort ein Schatten erschienen war. Obwohl sein Gesicht alles andere als begeistert aussah und die komplette Körpersprache seine Empörung preisgab, grinste sie ihm direkt ins Gesicht. Er sah sie vorwurfsvoll mit Halbmondaugen an, dabei hatte er die Arme vor der Brust verschränkt.

„Kannst du mir mal sagen, was du hier in aller Frühe treibst? Außer den offensichtlichen Dingen, wie beispielsweise dich hinter meinem Rücken über mich lustig zu machen, dann noch mit Yuichi?! Du hast wohl gedacht, dass mich keine zehn Pferde wecken können und du dich in aller Seelenruhe amüsieren kannst, was? Dasselbe gilt für dich, Yuichi.“ Schmollend sah er zu der Blondine. „Pass nur auf, deine Gemeinheiten kommen irgendwann noch einmal zu dir zurück. Du weißt schon, das Karma…“  

Genau so fand sie ihn drollig, weshalb sie nun wirklich nicht ernst sein konnte und gleich darauf vergnügt zu lachen begann. „Genau das meine ich, Yuichi“, sagte sie mit einem weiteren Lachen und tippte Sêiichî auf die Nase. „Meinst du wirklich, dass du das Zeug dazu hast, es mir heimzuzahlen? Das hältst du doch gar nicht durch, Darling. Man sollte nur mit Dingen drohen, die man auch durchziehen kann“, ärgerte sie ihn und drückte ihm dann einen dicken Kuss auf die Wange – danach war er meistens sowieso besänftigt. Diesmal wollte er aber wohl absichtlich beharrlich bleiben. Das fand sie eher noch interessant, als wirklich bedrohlich für ihre Beziehung. „Sieht ganz so aus, als wenn du dich von gestern erholt hast“, grinste Chris, wobei sie gemeingefährlich wirkte, als sie sich ein wenig an ihn schmiegte und dann mit dem typischen Augenaufschlag versuchte mit ihm zu flirten. Da er noch nicht überzeugt genug schien, legte sie ihre Handfläche an seinen Oberkörper – weil der Herr ja nicht gerne viel Kleidung zum Schlafen trug, war es ihr ein Leichtes, ihn zu reizen. „Denk dran, was du versprochen hast“, hauchte sie und bescherte ihm eine gewaltige Röte, „hab dich nur in Ruhe gelassen, weil du gestern so gelitten hast.“

„Ich glaube… dazu solltest du Yuichi erstmal tschüss sagen.“

Man hörte ein Lachen, dann ein Räuspern am Handy, weil Sêiichî – der größte Macho der Familie gerade einen kleinen schüchternen Anfall haben wollte. Sonst hatte er doch auch immer angegeben. Man konnte nicht mit ihm weggehen, ohne dass er seine Verführungskünste vorführen musste. Und bei ihr wollte er nun plötzlich traute Zweisamkeit im stillen Kämmerlein?

„Ganz schön frech! Jetzt will er mich noch loswerden… Wollte er nicht gerade noch schmollen? Genau deswegen, mein lieber Sêiichî amüsiert sich unsere Mutter immer so. Sie findet es eben köstlich, wenn sie von den Methoden erfährt, mit denen du von Chris geärgert wirst, Sêiichî. An deiner Stelle würde ich mir mal Gedanken machen. Das imponiert Mutter. Sie freut sich schon wahnsinnig darauf, euch beide gemeinsam wiederzusehen. Da sind Lacher garantiert, wo ich ihr nur beipflichten kann.“

Offensichtlich hatte die Frau an seiner Seite wieder einmal erfolgreich seine Schwächen ausgenutzt, um ihn dranzukriegen. Wie man es drehte und wendete, sie saß einfach am längeren Hebel.

„Sêiichî hat also mal wieder Versprechungen gemacht. Dann hoffe ich mal für dich, Chris, dass er sie hält.“

„Das wird er schon – nicht wahr?“ Ihre Stimme war die Erotik pur und er schluckte, als sie zusätzlich nun noch ihr Bein vorschob und sich in eine leicht sexy Pose begab.

Sêiichî stürzte vor, nahm das Handy von Chris und meinte noch kurz angebunden „bye, Yuichi!“ und legte auf, woraufhin sie doch kurz lachen musste.

„Der Arme… Ich will dich ja wirklich nicht quälen, aber falls dir ein ausschweifendes Liebesspiel vorschwebt, muss ich sagen, dass ich mich sputen muss“, kam von ihr mit einem leicht bedauernden Gesichtsausdruck. Gleich würde er wieder schockiert sein und feststellen, dass sie sich nicht für ihn hübsch gemacht hatte. Dann würde er wieder schmollen, das kannte sie schon.

„Waaas? Und warum bist du so rausgeputzt!?“

Ihre rötlichen Lippen verzogen sich zu einem neckischen Grinsen. „Ich habe eine Verabredung?“

Obwohl sie ihn noch nie betrogen hatte, sah sie ihm an, wie wenig es ihm gefiel, so etwas von ihr zu hören.

„Mit wem?“ fragte er neugierig, versucht nicht eifersüchtig zu klingen. „Mit einem Mann?“

„Mit einer wichtigen Person…“, sagte sie, ohne die Miene zu verziehen.

Der leicht traurige Blick von ihm, der noch dazu ein wenig verletzt wirkte, hätte wohl so mancher Frau das Herz gebrochen, wenn sie das nicht schon von ihm gewohnt wäre und sie nicht gewusst hätte, dass er sich schnell von solchen Momenten erholte, hätte sie bestimmt Skrupel gehabt. „Ich hasse, wenn du Personen als wichtig bezeichnest. Das klingt immer so nach Mittel zum Zweck“, meinte er bekümmert und schien sich daran doch ein wenig zu stören, dass sie so etwas tat – wahrscheinlich würde sie wieder sagen, sie musste. Er wollte davon aber nichts hören, es fiel ihm schwer, sie zu solchen Personen gehen zu lassen, vor allem, wenn sie so wenig durchsickern ließ, um welche Personen es sich dabei handelte. Es musste sich aber um eine Person handeln, die etwas mehr Klasse hatte als zum Beispiel Gin. Sollte ihn das wirklich beruhigen? Eher nicht.

„Nein, nein, du irrst dich, diese Person ist nicht Mittel zum Zweck. Eher eine Hand wäscht die andere. So etwas.“

Sêiichî schnappte sie sich und umschlang sie, so dass er ihr direkt in die Augen sehen konnte. „Hat diese Person einen Namen? Warum soll ich das wieder nicht wissen? Ich will wissen, was du da wieder mit irgendwem treibst.“ Leicht angesäuert wirkte Sêiichî, als er das so aussprach. „Das ist doch nicht so eine gefährliche Person, wie Gin? Wenn du schon mit Leuten spielst, riskier wenigstens nicht zu viel.“

Chris wollte Sêiichî nicht beunruhigen, aber es handelte sich um eine Person mit viel Einfluss und Macht. Das konnte sie ihm doch so jetzt nicht sagen. Wer es war wollte sie nämlich nun auch nicht sagen. Dann endete es damit, dass er ihr folgte. Wenn er nämlich wusste, wer diese Person war, wusste dieser Baka ganz genau, wo er sie finden würde…

„Du bist ganz schön neugierig. Bisher habe ich dir ja nicht einmal bestätigt, dass die Person männlich ist. Du solltest dir um so etwas weniger Gedanken machen. Du willst doch nicht allen Ernstes nun eifersüchtig sein, oder?“ Zwar fand sie selbst, dass sie wahnsinnig gut aussah, aber doch nicht so extrem aufgetakelt, dass man sich fürchten musste. Dieser Baka.

„Nachdem du so offen zugegeben hast, mich gern zu ärgern, werde ich dir bestimmt nicht den Gefallen tun, darauf einzugehen.“ Mit diesen Worten löste er sich und drehte den Kopf eingeschnappt zur Seite, was sie einfach begrinsen musste.

„Du bist unbezahlbar. Eingeschnappt bist du ja trotzdem.“

„Bin ich gar nicht. Ich mache mir nur Sorgen“, versuchte er klarzustellen und sah sie dabei nun ernst an. Aber auch Sêiichî hatte das Talent, sich ein Stück weit zu verstellen. Sie traute ihm trotz allem zu, dass er eifersüchtig war. Das war er doch sowieso bei jedem Mann, der es wagte ihren Weg zu kreuzen. „Wenn das wirklich der Grund ist, dann kann ich dich beruhigen. Dieser Person liegt etwas an mir.“ Sie wusste, wie sie Dinge auszulegen hatte, damit sie für Sêiichî auf ganz bestimmte Weise wirkten. Ihre Worte waren etwas hinterhältig, musste sie schon zugeben. Es stimmte, dass der Person etwas daran lag, dass sie nicht zu Schaden kam, das lag aber eher an einem anderen Menschen. Dieser wollte unter keinen Umständen, dass ihr irgendetwas widerfuhr.

„Toll – solange das nicht Chardonnay ist, kann ich ja aufatmen.“

Als Chris gerade an ihm vorbei gehen wollte, blieb sie stehen, als Sêiichî nun annahm, er sei ihre Verabredung. „Das wäre wohl noch viel schlimmer als Gin, was?“ Ihre Frage konnte man durchaus eine Fangfrage nennen.

„Gin hat wenig bis überhaupt kein Interesse an deiner Gesellschaft – der würde dich höchstens am liebsten umbringen. Chardonnay hat andere Interessen, bei denen es mir ganz anders wird. Also sag mir wenigstens, dass es nicht er ist.“

Das nahm sie nun doch ernst und ging zu ihm hin. Ihre Hände legten sich auf Sêiichîs Gesicht. „Keine Sorge, ich werde mich nicht mit diesem Kerl treffen, um mit ihm meine Spielchen zu treiben. Ich versichere dir, dass derjenige keine Hintergedanken hat. Du musst nicht immer so dramatisieren. Ich weiß, dass du fast nicht anders kannst, aber manchmal musst du dich da etwas zurückhalten. Deswegen darfst du auch nicht mit.“

Chris hatte ihn absichtlich schlafen lassen, damit er nicht mit ihr gehen konnte. Sie wusste, dass er kein Mensch war, der in seine Klamotten sprang, um loszuziehen, das wusste sie für sich auszunutzen…

 

Natürlich erregte es furchtbar viel Aufsehen, wenn eine Schauspielerin wie Chris Vineyard ins Präsidium spazierte. Zum einen bei der normalen Bevölkerung, dann wenn sie die Frau kannten. Zum anderen war da die Presse. Weil diese sowieso in die Organisation verstrickt war, konnte man die Frau schon als wahnsinnig bezeichnen, so etwas zu wagen. Dennoch gab es Aufträge, die derartiges rechtfertigen konnten – sogar gegenüber Leuten wie Gin. Nichtsdestotrotz hätte Gin so etwas gerade nicht gefallen, weil sie die Polizei erfolgreich an der Nase herum führten und man dieser so besser fern blieb. Aber er würde auch behaupten, so etwas zu bringen, sei typisch Vermouth. Die ging so manches Wagnis ein und man wusste meistens nicht einmal, was ihre Aktionen sollten. Ihre Beweggründe hielt sie hinter dem Berg. Das nervte den Langhaarigen, deshalb hatte einer von ihren Verbündeten vorgesorgt – ihn also spielen geschickt. In dem Punkt war auf Bourbon wirklich Verlass. Sie lachte sich derweil ins Fäustchen, weil Gin mal wieder im Dunklen tappte, dabei hatte er gestern noch großkotzig rumerzählt, dass er gegen den Detektiv ermittelte. Dass er ihn sich greifen würde… Genau das versuchte er wohl jetzt auch. Jami hatte sie informiert und sie hatte sofort geschaltet und diese Information weitergeben – an die betreffende Person. Nun spielte Bourbon ein wenig mit Gin. Zu gern hätte sie sich das angesehen, weil es immer wieder herrlich war, wenn Gin im Dunklen tappte. Es war nicht so, dass Vermouth Gin nicht teuflisch ernstnahm, das tat sie zweifelsohne, sonst hätte sie Bourbon nicht direkt gewarnt. Es war nicht das erste Mal, aber er scheute sich nicht, seine Spiele mit dem Killer zu treiben – es war ihr auch lieber, wenn er so etwas Gewagtes tat und nicht eine andere Person, die vielleicht weniger geschickt sein würde…

Es gab kaum Personen innerhalb der Organisation, die sich nach einem Tag, wie dem Gestrigen, trauen würden, der Polizei zunahe zu kommen. Auch Jami und Chardonnay, zwei wirkliche Polizei-Hasser, würden sich eher in Sicherheit wiegen. Dieser Schuss konnte durchaus nach hinten losgehen, falls doch mal jemand den gleichen Wahnsinn begehen würde, wie Vermouth. Bourbon war auf der Seite des Gesetzes, er hatte also Null Interesse daran, Vermouth zu verpfeifen, darüber konnte sie mehr als froh sein – sie war auch wirklich dankbar für diesen Segen. Auch, wenn sie den Kerl schamlos ausnutzte, dass so mancher nur den Kopf schüttelte – ein bisschen beruhte das auf Gegenseitigkeit. Man konnte Menschen nur benutzen, wenn sie es zuließen.

Aber auch für einen solchen Fall eines Wahnsinnigen gab es Lösungen – die waren nicht so engelsgleich, aber war sie ein Engel? Nein, also musste sie sich auch nicht wie einer verhalten… Würde jemand herausfinden, was sie gerade trieb, dann würde diese Person bestimmt nicht mehr den nächsten Tag erleben – dagegen konnte dann noch nicht einmal eine Person wie Sêiichî Iwamoto viel tun. Sollte ein bestimmter Personenkreis ihr dumm kommen, durften sie gehen.

Es war gerade einmal 7:30 Uhr in der Frühe, als sie die Türen zum Präsidium passierte. Ihre spärliche Verkleidung hätten die meisten Organisationsmitglieder sofort durchschaut. Natürlich hätte sie sich verkleiden können, sie wollte aber gesehen werden und nicht den Anschein erwecken, dass sie die Polizei an der Nase herumführte. Sie war ganz offiziell da, hatte einen Termin bei einem Hochrangigen. Allein das hätte Sêiichî wenig gut gefunden, weil eine solche Aktion eben ein Wagnis war. Bisher hatte die Polizei aber noch keinerlei Grund sich um ihre Geheimnisse Gedanken zu machen. Obwohl dank eingeweihter Personen es deutlich schwerer geworden war, sich hineinzuschleusen, lauerte die Gefahr quasi an jeder Ecke. Gerade weil sie wussten, wie trickreich die Mitglieder vorgingen. Genau aus dem Grund – man hätte Chris sofort verdächtigt ein Spion zu sein, hätte sie sich als jemand anderes ausgegeben. Nein, die Polizei sollte schon Vertrauen in sie legen. So war ihr Plan. Für Vermouth war es momentan unmöglich sich ins Präsidium zu schleichen, weil ein paar Personen in der Stadt waren, die sie durchschauen könnten. Zufällig waren sie auch des Öfteren im Präsidium tätig – so ein Pech.

Zu ihrer Verwunderung war diese Polizistin, die Sêiichî besonders gut gefunden hatte, auch bereits hier, so dass sie ganz offiziell nun sogar das Vergnügen mit ihr hatte.

Miwako blieb stehen, nachdem sie aus dem Büro gekommen war und bedachte die blonde Schönheit sofort mit ihrem Blick. Sie hätte nicht wirklich für möglich gehalten, dass sie sich begegneten. Sie war nur ein bisschen verwundert, was diese Schauspielerin wollte. Konnte dieser Iwamoto sie nicht einweihen, dass er vor zwölf Uhr nicht hierherkommen würde?

„Good morning“, erprobte Miwako ihre Englischkenntnisse bei der Blonden, so dass diese ihr mit einem Lächeln begegnete.

„Good morning, Miss Satô“, sprach Chris die Kurzhaarige sofort mit Namen an und zeigte dabei ein leichtes, wissendes Lächeln. „As we stand on japanese ground, let’s go on talking in your native language“, bot sie aus freien Stücken an und kam sich dabei fast vor, als würde sie bei der jungen Frau schleimen – aber sie wusste, wie ungern Japaner Englisch sprachen, außerdem war ihr Japanisch zu gut, als dass sie die Polizistin quälen wollte. Sie zeigte sich hier jetzt von ihrer besten Seite – sie wollte hier schließlich gemocht werden – schon verrückt.

„Oh how nice“, erwiderte Miwako verblüfft, nickte dann aber höflich. Nirgendwo sonst hatte die Schauspielerin so höfliche Menschen getroffen, wie in Japan. Sie würde dieses Land jedem Tourist wärmstens ans Herz legen. Sie befand sich hier ja nun auch schon über drei Monate und hatte gar nicht das Bedürfnis so schnell wieder nach Amerika zu verschwinden, wo man sie an jeder Straßenecke erkennen würde. „Tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, Vineyard-san, aber Iwamoto-san ist noch nicht hier.“ Für sie war offensichtlich, dass diese Frau keinen anderen Gründ haben konnte, als wegen des Benannten hierher zu kommen.

„Oh, you got something wrong“, der englische Satz rutschte ihr mehr raus, als dass sie ihn bewusst wählte, „ich bin nicht wegen ihm hier. Ich bin ein großer Fan der Japanischen Polizei.“

„Oh wirklich, das ist aber interessant zu erfahren“, meinte Miwako, die ein klein wenig rot wurde – immerhin handelte es sich bei ihr nicht um irgendwen, sondern um eine berühmte Persönlichkeit, solche Personen machten sie leicht nervös. „Wie kommt das?“

„Die japanische Bevölkerung legt viel Vertrauen in die japanische Polizei. Bei uns in Amerika kann man der Polizei nicht sein ganzes Vertrauen schenken, schon gar nicht als Frau“, verriet Chris, ehe sie den Kopf etwas senkte und dadurch leicht betreten dreinschaute.

„Oh, wir hatten es vor kurzem mit dem FBI zu tun – ich kann nicht sagen, dass diese Leute hier gerne gesehen sind. Ich kann also durchaus verstehen, was in den Amerikanern vor sich geht.“ Sie besah die Schauspielerin mit musterndem Blick. „Aber was meinen Sie damit, schon gar nicht als Frau? Sie würden das ja nicht sagen, wenn Sie da nicht gewisse Erfahrungen gemacht hätten, oder?“

Miwako bewies, dass sie Menschenkenntnis hatte – darauf hatte Chris auch spekuliert. Sie hatte nicht ganz unbewusst, das Gespräch in diese Richtung gelenkt… 

„Das ist eine sehr private Frage, Miss Satô“, meinte Chris und tat ein bisschen unwillig und beschämt – wenn sie diese Frage zu offen beantwortete, hielt man sie am Ende noch für komisch. „Aber Sie scheinen eine vorbildliche Polizistin zu sein, genauso wie Sêiichî mir erzählt hat. Dennoch möchte ich Ihnen nicht die kostbare Zeit stehlen. Sie haben doch sicher viel zu tun – Sêiichî erzählte mir, dass sie die Abteilung für Mord- und Erpressungsfälle leiten. Ganz schön beeindruckend – ich sehe Frauen in der Leitung sehr gern. Ich hörte, das Leben als Frau in Japan ist hart. Man verdient weniger als Männer und muss sich mehr anstrengen als sie, um die gleiche Anerkennung zu erlangen.“

„Diesbezüglich leben wir in Japan leider immer noch in der Steinzeit“, meinte Miwako mit den Schultern zuckend, „aber ich kann wohl von mir behaupten, dass mir meine Kollegen großen Respekt entgegen bringen. Nun aber zurück zu meiner Frage. Scheuen Sie sich nicht. Sie stehlen mir nicht die Zeit. Heute Morgen ist hier noch nicht viel los. Ich habe Zeit bis 8:30, dann haben wir eine Besprechung mit dem Polizeipräsidenten höchstpersönlich. Er hat eine Krisensitzung einberufen wegen der Geschehnisse der letzten Zeit…“ Man merkte, dass Miwako die Sache auch beschäftigte, immerhin hatten sie es selten mit Serientätern, sondern eher mit einzelnen Mordfällen zu tun. „Also, was ist Ihnen in Amerika mit der dortigen Polizei widerfahren?“

Es war nicht schwer, Miwako als Polizistin zu schätzen – Menschen wie sie fand man nicht in Amerika, die ihren Beruf aus Überzeugung nachgingen und ein offenes Ohr fand man dort auch nicht einfach so.

„Das ist wirklich sehr nett von Ihnen“, bedankte sich die 29-jährige und seufzte dann. „Als Frau lebt man wirklich gefährlich dort. Selbst mit einer Pistole ist man nicht sicher vor Übergriffen. Wenn man dann noch den Eindruck erweckt, eine toughe Frau zu sein, wird einem auch noch die Schuld in die Schuhe geschoben. Mein Vater war ein sehr reicher Mann, der diverse Geschäfte mit merkwürdigen Gestalten machte. Einer von denen hat mich in unserer häuslichen Bibliothek angefallen und versucht mich zu vergewaltigen… Obwohl ich schwer verletzt aus dieser Sache gegangen bin, ist es zu einem Prozess nie gekommen. Er kannte die richtigen Leute, die ihn beschützt haben, da hat die Polizei die Ermittlungen eingestellt. Als er einige Jahre später erneut versucht hat, an mich heranzukommen, wollte ich Anzeige gegen ihn erstatten. Leider war ich da schon in der Schauspielbranche. Man sagte mir, dass ich es mir ausgesucht habe. Ich solle damit leben lernen, dass man mir ab und zu auflauert. Wenn ich so große Angst hätte, solle ich mir doch einen Bodyguard zulegen, beim Verdienst in meinem Beruf wäre das ja kein Problem“, sagte sie und lächelte dabei spöttisch – leider war diese Geschichte kein Scherz. Eine Schauspielerin musste eben damit leben, dass sie irgendwelche Stalker verfolgten, man konnte ja nicht jeden, der Interesse an ihr bekunden wollte, gleich mit einstweiliger Verfügung von ihr fernhalten.

„Er hat mich regelrecht belästigt, also so richtig gestalkt, aber die Polizei wollte nichts dagegen unternehmen, weil ich die Männer provoziere.“ Lächerlicher konnte eine Sache nicht mehr werden. Man merkte an Miwakos Blick, dass sie gerade etwas genauer hinsah und sich dazu ihre Gedanken machte. Ob sie Chris wohl als provokant empfinden wollte.

Nach dem gestrigen, ereignisreichen Tag – das musste Miwako zugeben – hatte sie sich durchaus über die Freundin von Iwamoto informiert, daher konnte sie fast gar nicht widerlegen, dass sie manchmal schon sehr provokant auftrat. Dennoch fand sie, das Aussehen einer Frau rechtfertigte noch lange nicht, dass man sich als Mann so benahm. Gerade fand sie die Blondine nicht provokativ, sie war zwar etwas schicker gekleidet, aber wäre Miwako nun ein Mann, würde sie die Frau für eine ganz normale Lady halten, die eine Verabredung und sich dafür hübsch gemacht hatte.

„Man sieht in Filmen immer unglaublich viel über CIA und FBI, wie viel davon nun den Tatsachen entspricht, kann man nur mutmaßen. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass einige Sachen tatsächlich so laufen, wie sie dargestellt werden.“ Miwako gestikulierte leicht mit einer Hand, dadurch zeigte sie aber durchaus ein paar Emotionen. „In Japan können Sie sich sicher fühlen, nicht umsonst ist es eins der Länder mit der niedrigsten Kriminalitätsrate. Außerdem darf hier nicht jeder eine Waffe tragen, anders als in Amerika“, sagte sie, dann lächelte sie leicht verschmitzt. „Außerdem ist Ihr Freund bei der Polizei, er wird schon gut auf Sie aufpassen, oder etwa nicht? Entschuldigen Sie meine Neugierde – aber wie haben Sie beide sich eigentlich kennen gelernt?“ Sie war schon so unmöglich wie Yumi – anscheinend färbte das ab. Sie schämte sich schon ein bisschen, aber ein Kriminalist liiert mit einer Schauspielerin sah man eher selten…

Chris lächelte geheimnisvoll, obwohl sie ja eigentlich nicht schweigen wollte – nicht bei ihr. Miwako war ihr wirklich sympathisch und sie zielte doch ein klein wenig darauf, sich mit ihr vielleicht anfreunden zu können – sie wusste ja selbst, das war Wunschdenken, aber man durfte ja mal träumen, oder?

Sie musste noch nicht einmal zu ihren schauspielerischen Fähigkeiten greifen, um auch nur ansatzweise so verliebt zu lächeln, wie es den Anschein machen sollte. „Man kann sagen, dass ich förmlich in ihn hineingerannt bin. Gerade dann als ich von meinem Verehrer verfolgt wurde und er mich fast geschnappt hatte. Leider musste der Kerl dann eine Kehrtwende hinlegen, weil Sêiichî schon damals alle Hoffnungen in die Polizei legte… Er hat sofort die Polizei gerufen. Das ist jetzt gute sechs Jahre her, da ging er noch zur Schule. Ich war im Urlaub in Japan. Nicht einmal hier hat dieser Kerl mich in Ruhe gelassen. Er ist wirklich sehr aufdringlich“, nun seufzte sie. „Natürlich habe ich dem Jungen damals nicht sofort auf die Nase gebunden, dass ich seit Jahren verfolgt werde. Er wäre dann wohl übermütig geworden. So war er nämlich schon immer.“ Sie hatte jetzt einfach mal entschlossen, sich nicht dafür zu schämen, dass sie Interesse an einem so jungen Kerl gehabt hatte. Sie ging eh davon aus, dass Miwako das bereits wusste, weil Sêiichî mit Sicherheit schon etwas in die Richtung gesagt hatte. Er musste ja mit den sechs Jahren angeben, als würden sie bereits die goldene Hochzeit feiern – für ihn war das wahrscheinlich auch fast so – jedenfalls wenn man es mit seinen anderen Beziehungen verglich, die verdienten die Bezeichnung nicht einmal. „Man kann schon ein bisschen sagen, dass er mein Held ist. Ich musste mich also in ihn verlieben…“ Gab sie ihm mal die Ehre, ein Held zu sein, das hatte er ja schon immer sein wollen – so wie Yuichi… Ihm direkt sagte sie nicht, dass er ein Held für sie war, dann drehte er am Ende noch total durch. Er sollte sich lieber etwas zurücknehmen, obwohl ihm die Heldenrolle goldrichtig stand. Wie sagte man so schön von Helden? Helden sterben früh! Darauf verzichtete sie dankend.

„Also war er wohl damals auch schon ein sehr mutiger, junger Kerl?“ hinterfragte Miwako mit einem netten Lächeln – sie hätte jeden geschimpft, der behaupten würde, dass diese Frau Iwamoto nicht liebte, sie fand es eindeutig, dass sie es tat. Sie fand es auch gar nicht schlimm, dass Sêiichî jünger gewesen war, als 20, auch, wenn man sich darüber streiten konnte, inwiefern man so etwas in dem Alter ernst nehmen konnte. Sie war nicht so altbacken, um sich jetzt zu echauffieren. Es gab die verrücktesten Liebesgeschichten auf dieser Welt. Ihre gemeinsame mit Wataru war ja auch nicht gerade die typische Geschichte. Sie beide hatten es sich wirklich sehr schwer gemacht.

„Oh ja, mehr als das. Der Kerl war richtig verrückt. Ich wünschte, ein paar Männer würden sich eine Scheibe von ihm abschneiden, aber bitte nur die Guten, nicht die Macken.“ Nun wirkte ihr Gesicht leicht fies, dennoch hatte Sêiichî gefestigte Ideale besessen, die anderen Männern nicht schaden würden, wenn sie diese mal beherzigen würden.

Beide lachten, als hätte Chris einen Witz erzählt – allerdings trug das Gespräch dazu bei, dass sie doch darüber nachdachte, Sêiichî seine verdiente zweite Chance einzuräumen, obwohl die Sache gestern wirklich nicht das Gelbe vom Ei gewesen war. Wenn sie Chris so reden hörte, dann war er ein besserer Kerl, als es nach außen hin vielleicht wirkte. Sie hatte diesem Typ Mann ja noch nie sonderlich viel abgewinnen können, aber Wataru nahm ihn in Schutz und dieser war ein sehr guter Mensch. Wenn Iwamoto also so ein schlechter Typ wäre, würde Wataru ihn kaum so sehr mögen, oder? Sie machte sich wirklich Gedanken.

„Wir werden beobachtet“, meinte Chris nun ganz leise, um einige Meter weiter nicht gehört zu werden. „Schon eine Weile, obwohl er so tut, als wenn er nicht zu uns rüber schaut.“

Die Augen von Miwako schielten etwas nach hinten, dabei drehte sie nur ganz langsam den Kopf. Bis sie den Mann erblicken konnte, den Chris wohl mit Sicherheit meinte. Traute er sich nicht her? Oder hatte er sogar gelauscht? Sie merkte sofort, dass er den Blick von ihnen abwendete, als Miwako den Kopf komplett zu ihm gedreht hatte, dabei hatte Wataru zu ihnen gesehen – ganz eindeutig.

Die Polizistin setzte ein Lächeln auf, bevor sie zu ihm hinüberrief: „Ne, Wataru-kun? Warum stehst du da so in der Ecke? Sie ist wirklich ganz nett…“ Es klang, als hätte ihr Freund Angst, das schien diesem auch weniger zu gefallen, das merkte man ihm sofort an, weil er ganz schön beleidigt aussah und dann auf sie zusteuerte.

Chris verkniff sich ein Lächeln – er hatte ja ganz geschickt ihrer Konversation gelauscht, raffinierter als er aussah. Sie fragte sich ernsthaft, was der Anlass dafür war, nicht sofort zu ihnen zu kommen. Ihre Mutter etwa? Sie würde nie vergessen, wie schockiert er ihren Namen ausgespien hatte, als Sêiichî diesen offenbart hatte. Chris bezweifelte, dass es daran lag, welchem Beruf sie nachging. Bei Sharon war er lockerer gewesen… und dieser war er schließlich auch begegnet. Die Welt war eben klein – leider.

„Guten Morgen, die Damen“, sagte er, anders als Miwako sprach er nicht englisch – er hatte ja bereits mitbekommen, dass ihr Japanisch genauso tadellos war, wie das ihrer Mutter.

„Es ist nicht gerade die feine Art, zwei Damen zu belauschen!“ sagte Chris ziemlich spitzfindig und brachte damit Miwakos Freund ziemlich in Verlegenheit.

„Entschuldigen Sie.“

„Ich bin gewillt, Ihnen zu verzeihen, Mr. Takagi.“

„Oh, da muss ich Ihnen wohl danken, Ms. Vineyard.“ Beide lächelten, doch Watarus Lächeln erstarb unglaublich schnell und er warf Chris einen besorgten Blick zu. „Man konnte euer Gespräch kaum überhören. Es tut mir auch wirklich leid, aber der Mann, von dem Sie verfolgt werden, ist doch nicht etwa gebürtiger Japaner, oder?“

„Wataru!“ mahnte Miwako ihren Freund entsetzt davon, dass er derartige Taktlosigkeit an den Tag legte und so frech nachfragte. Sie kannte den Grund nicht und fand es daher unverschämt von ihm. „Schon gut, Mr. Takagi hat gewiss Gründe, weshalb er das so fragt, nicht wahr?“ Chris lächelte nett und konnte sich vorstellen, dass er annahm, der Stalker sei derselbe, der auch ihre Mutter nicht in Ruhe gelassen hatte. Sie verstand, dass er das annahm, denn es war leider auch noch wirklich der Fall.

Wataru wirkte bedrückt. „Ich frage, weil ich es natürlich zu meinen Pflichten zähle, Sie im Namen der Polizei zu beschützen. Normalerweise würde ich Iwamoto sofort das Feld überlassen, aber er ist ja noch nicht da.“ Es war eine Ausrede, das wussten sowohl Chris als auch Wataru selbst. „Das ist sehr aufmerksam von Ihnen. Aber ich denke, das wird nicht nötig sein. Nur ungern möchte ich sie beide jetzt hier so stehen lassen“, sie warf ihrer edlen Armbanduhr einen Blick zu, „aber es ist 7:45 Uhr und ich habe einen Termin.“

„Oh, natürlich. Gehen Sie nur. Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte Miwako lächelnd und hielt ihr die Hand hin, was für eine Japanerin schon enorm war. Chris starrte einen Moment auf die angebotene Hand, lächelte dann ebenfalls und sagte: „Die Freude war ganz meinerseits, wir werden uns bestimmt noch einmal über den Weg laufen. Davon bin ich überzeugt, man trifft sich sowieso immer zweimal im Leben.“

„Bestimmt.“

Wataru war nicht zufrieden mit ihrer Antwort, denn eigentlich war es gar keine. Chris begab sich zum Aufzug und drückte dort die nach oben Taste, so dass sie zumindest wussten, dass sie ihren Termin wohl in einem oberen Stockwerk hatte. Beide Kriminalisten sahen sich an, dabei sah Wataru mehr als nur verunsichert und besorgt aus, so sehr, dass Miwako ihn fragen musste.

„Was beschäftigt dich? Du hast sie nicht einfach so gefragt, ob es sich um einen Japaner handelt, oder?“ Mit der Frage überraschte sie ihn keineswegs, aber er senkte gleich den Kopf. Jedoch nicht, weil er unwillig war, ihr zu antworten. „Ich habe ihre Mutter gekannt – ihr bin ich damals als kleiner Junge begegnet.“ Wataru sagte es leise, während er die Blondine weiter mit einem besorgten Blick beobachtete, bis sie in dem Aufzug verschwand. „Ich frage mich, zu wem sie will.“

„Du bist total neugierig, das gehört sich nicht! Das ist ja schließlich kein Fall!“ Mit einem tadelnden Ton sah sie ihren Freund an und stemmte die Hände in die Hüften.

„Wer weiß? Sie hat doch gesagt, dass dieser Kerl sie sogar bis nach Japan verfolgt. Das beunruhigt mich schon irgendwie.“

„Du meinst, er könnte sie allen Ernstes anfallen? Hier in Japan? Wenn er das wagt, kann er sich frisch machen! Solange ich hier Dienst habe, geht mir kein solcher Kerl durch die Lappen! Das kannst du mir aber glauben.“ Diese Person hatte versucht eine Frau zu vergewaltigen… das war alles, woran Miwako gerade denken konnte. Was für ein Scheusal musste das sein… Diese Frau sah nicht aus, als würde sie es allzu schnell mit der Angst zu tun kriegen. Trotzdem war Miwako sicher, dass das, was in ihren Augen gewesen war, durchaus passend als Angst zu bezeichnen war.

„Etwas stört mich an der Sache“, sagte Wataru, obwohl es wirkte, als wenn er sich das nicht erklären konnte, war das durchaus der Fall.

„Selbst, wenn der Kerl sie bis Japan verfolgt hat, wie kommst du zu der Annahme, dass er Japaner sein könnte? Du hast so sicher geklungen…“ Miwako wollte ihn wohl nicht mit fadenscheinigen Ausreden davonkommen lassen und sah ihn fest an, er entgegnete diesen Blick nicht weniger fest, auch wenn er kurz schluckte.

„Gestern – da sagte ich, dass mein Vater sich für die Mutter dieser Frau interessiert hat – so etwas…“ Sein Blick richtete sich gen Boden, dabei kniff er die Augen zu, als könne er seine Gedanken fast nicht mehr ertragen.

„Wataru, was ist? Was ist los mit dir?“ Die Sorge hatte Besitz ergriffen von der Kriminalistin, weil ihr Freund alles andere als gut aussah, deswegen ergriff sie auch seine Schultern. Er blickte auf in ihr Gesicht. Es war einer der Momente, vor denen er sich am meisten gefürchtet hatte, deswegen sah er sie jetzt auch traurig an. „Das war nicht ganz die Wahrheit. Interesse ist wohl kein so passendes Wort. Es war mehr… Besessenheit. Ja, er war regelrecht besessen von Sharon Vineyard. Er wollte sie haben – egal, was sie davon hält. Die Geschichte ihrer Tochter erinnert mich total an ihn.“

Miwakos Pupillen verkleinerten sich voller Schockierung. Sie konnte nicht fassen, was Wataru da sagte. Aber es passte dazu, was Iwamoto gestern noch gesagt hatte – woraufhin Wataru diesen in Windesweile weggezerrt hatte. Dieses Gespräch, sie hatte sich davor gefürchtet. Genau so, wie Wataru jetzt dreinblickte, so hatte sie sich diesen vorgestellt, wenn sie darüber sprachen, deswegen hatte sie ihren Freund mit ihren aufdringlichen Fragen in Ruhe gelassen – sie wollte ihn nicht so sehen. Aber jetzt musste sie sich dem stellen, es führte kein Weg daran vorbei. Er musste wissen, dass die Taten seines Vaters nichts mit ihm zu tun hatten… Welcher Natur sie auch waren. Wenn man Iwamotos Worten glauben schenken konnte – und sie nahm ihn wirklich ernst in der Sache – dann waren es keine Kavaliersdelikte, die dieser Mann begangen hatte, immerhin hatten beide davon gesprochen, man müsste auf ihn schießen. Da war jeder Zweifel ausgeschlossen.

„Es ist nicht deine Schuld“, sagte sie, fasste nach seinem Gesicht und blickte ihm tief in die Augen. Diese waren voller Schmerz, trotz ihrer Worte. Das ließ die Polizistin regelrecht verzagen, weshalb sie ihm verzweifelt ihre Lippen aufpresste und ihn stürmisch küsste, als sei das die einzige Möglichkeit, um es für ihn erträglich zu machen…

 

Chris wurde bereits erwartet, deswegen wurde sie auch sofort, kaum dass sie den Fahrstuhl passiert hatte, von der Sekretärin in Empfang genommen. Diese führte sie zum Büro und klopfte an, sie wurden hineingebeten und Chris betrat das Zimmer, während sich die Empfangsdame sofort wieder mit dem Schließen der Tür von außen verabschiedete.

„Die Pünktlichkeit in Person“, lobte der 48-jährige Schwarzhaarige, auch wenn es ihm jetzt bei ihr nicht auf die Minute angekommen wäre – das zeigte ihm jedoch, dass sie ihn als Respektperson angenommen hatte, ihn ernst nahm und doch ein bisschen vor ihm versuchte zu glänzen – das fand er sehr schön, auch wenn sie es vielleicht ein wenig übertrieb. Diese Frau ging ein ziemliches Wagnis ein, das einen erschrecken konnte, nur weil sie von ihnen gemocht werden wollte. Polizeipsychologisch sprach das für ein immenses schlechtes Gewissen.

„Setz dich“, sagte er unförmlich – auch wenn sie gerade mit ihm beruflich zu tun hatte, gehörte sie ja bald zur Familie, da wollte er sie nicht verunsichern, indem er vom DU zurück aufs SIE kam – die japanischen Geflogenheiten waren sowieso für Amerikaner sehr verwirrend, denn diese duzten schlichtweg jeden. Sie wirkte ziemlich angespannt, obwohl sie sich jetzt endlich ihm gegenüber hinsetzte und dabei die Hände auf ihrem Rock ablegte. „Wie geht’s Sêiichî?“ fragte er zunächst, ehe sie zu den ernsthaften Themen kommen würden, weil es ihn einfach interessierte, aus nächster Quelle zu erfahren, wie es ihm ging. Der Junge ließ sowieso seine Familie nicht gern durchblicken, wenn es ihm gerade nicht gut ging.

„Gerade noch ganz gut“, meinte Chris, das ließ ihn darauf schließen, dass sie sehr beunruhigt über die gesamte Situation war, dabei war ihr Auftauchen im Präsidium gefährlicher, als das von Sêiichî. Der Polizeipräsident hatte in Erfahrung bringen können, dass die Organisation selten am Tag agierte – mit Vorliebe bei Nacht und bei schlechtem Wetter, das die Menschen flüchten ließ. Die letzte Zeit hatte nur bestätigt, dass sie damit richtig lagen. Aber es gab auch normale Menschen unter ihnen, die bei Tageslicht in zivil unterwegs waren, so wie gerade die Schauspielerin. Weil sie nicht auffielen. Die ganz üblen Gestalten wagten es nicht, sich so offen zu zeigen, weil man ihnen nun mal ansah, wie sie tickten.

„Es gefällt dir nicht, dass Sêiichî hier ist“, schlussfolgerte Takeshi und traf damit ins Schwarze. Chris lächelte beeindruckt – bisher hatte sie dieser Mann noch nie enttäuscht, er war schnell und präzise in seiner Arbeit – genau so eine Person brauchte man, um gegen die Gestalten der Nacht zu bestehen. Dass Sêiichî zu seiner Familie gehörte, war ein glücklicher Umstand, über den sich die 29-jährige bestimmt nicht beschweren würde.

„In der Tat, es gefällt mir nicht. Dir gefällt es auch nicht, dass ich in deinem Büro sitze. Du findest das gefährlich und fragst dich wahrscheinlich, wie man so verrückt sein kann. Aber keine Sorge – die Sicherheitspolizei sorgt schon dafür, dass keine komischen Gestalten hier reinspazieren und uns beide stören. Toru Amuro hat dem Mistkerl, der immer versucht meine Rätsel zu entschlüsseln, eine Fährte gelegt, die leider wichtiger ist, als sich wie ein Schatten um mich herum zu bewegen. Geheimnisse nerven diesen Kerl, je mehr man davon hat, umso wahnsinniger wird er. Amuro hat ihn weggelockt, damit ich hier sein kann, ohne dass ich demnächst als Verräter zur Guillotine geführt werde.“

Sie führten schon merkwürdige Gespräche, aber im Gegensatz zu anderen, sprach diese Frau für ihn nicht in Rätseln, er verstand ziemlich gut, wovon sie sprach. Das lag aber auch daran, dass er diese Organisation bereits etwas besser kannte – einige seiner engsten Vertrauten hatten ihn sehr gut über den Laden informiert.

„Es ist und bleibt gefährlich, für jeden von uns. Ich weiß, was du jetzt gerne hören willst. Du willst, dass ich Sêiichî zurückpfeife und in Sicherheit bringe. Was glaubst du, wie beleidigt er wäre? Allein die Tatsache, dass wir hier zusammensitzen, er würde sich totschmollen.“ Jetzt lachte der Polizeipräsident, weil sich ihm direkt das Bild seines schmollenden Sohns auftat und ihn das doch sehr amüsierte.

„Er wäre ziemlich beleidigt, das stimmt. Ich bin auch eigentlich hergekommen, um meine Hilfe anzubieten, auch wenn das ein bisschen merkwürdig erscheinen wird. Ich bin es leid, Zeit totzuschlagen und auf Wunder zu warten, weißt du, Takeshi. Wir alle sind es mittlerweile leid. Vor allem, wenn dann solche Sachen passieren, wie das von gestern.“

Damit war die heitere Stimmung passe. Er wirkte sofort ernster und faltete die Hände.

„Rei Furuya hat mich bereits darüber informiert, dass du dich auf unsere Seite schlagen willst. Er findet es allerdings gefährlich. Allerdings noch besser, als Sêiichî einfach machen zu lassen. Er weiß von der Geschichte, die damals in Kyoto passiert ist. Darüber hinaus weiß er, dass Sêiichî alles tun würde, um dich von diesem Kerl zu befreien, der seit Jahren an dir klebt. Dafür würde er jede Schandtat begehen. Das hält er für gefährlicher, als dass Sêiichî in Tokyo ist.“

„Die Organisation hat in Tokyo ein Nest – ausgerechnet hierher muss er sich versetzen lassen…“, seufzte sie und hielt sich den Kopf, als würde sie gerade eine Migräneattacke bekommen. „Auch, wenn Sêiichî versucht es zu verheimlichen, ich weiß ganz genau, was er hier will…“ Chris’ Augen verzogen sich zu Schlitzen. Heute war sie gemeingefährlich – sprach Sêiichî nicht darauf an, was sie dachte, sondern ging gleich zu seinem Vater, um mit ihm zu reden – ohne, dass sein Sohn davon wusste. Das nannte sich dann wohl Pech gehabt. Er sollte sich in Acht nehmen – um ihre Leute zu beschützen, war sie gewillt sehr weit zu gehen, weiter als Sêiichî begrüßen würde. Das hier hätte er alles andere als lustig gefunden…

„Alles andere würde mich auch wundern, wo du doch so gut auf ihn achtgibst“, sagte Takeshi, wobei er ihr ein überlegenes Lächeln schenkte. Damit, dass er so gut über sie bescheid wusste, rechnete Chris bestimmt nicht. Er hatte seine Schäfchen besser im Blick, als diese immer glaubten. Sogar Sêiichî wäre schockiert darüber, wie viel er mittlerweile wusste und das noch nicht einmal nur von seinem Sohn Yuichi, der gerne seinem Vater weiterhalf, wenn es um Sêiichî ging. Auf der anderen Seite hielten die drei Jungs wie Pech und Schwefel zusammen.

„Nicht anders zu erwarten von jemandem wie dir“, sagte Chris, ebenfalls mit einem gefährlichen Funkeln in ihren hellblauen Augen. „Es freut mich zu wissen, dass er einen würdigen Gegner findet. Da muss ich mir ja wirklich um fast nichts mehr Sorgen machen, nicht wahr? Ich möchte zu gern, sein Gesicht sehen, wenn er von unserer Verbindung erfährt! Dieser Fall sollte allerdings erst dann eintreten, wenn er bereits mit einem Bein im Gefängnis steht. Wenn er dann nämlich die Möglichkeit hat, mich zu bestrafen, kann ich mich da auf eine sehr harte Zeit gefasst machen.“ Nun blickte die Blondine aus dem Fenster – sie war fest entschlossen, diese Sache durchzuziehen. Gegen Sêiichîs Willen, das hatte er verdient, dass man hinter seinem Rücken agierte – was tat er schließlich? Ließ sich nach Tokyo versetzen, um Jagd auf ihren gemeinsamen Feind zu machen. Was wollte er ihr eigentlich immer noch beweisen? Dass er stärker war als Chardonnay vielleicht? Oder dass die Polizei stärker war als dieser? Das würde sie schon eher unterschreiben. Jedenfalls wenn die richtigen Leute sich dieser Sache annahmen und man der Polizei ein paar Sachen lieferte, würde für die Organisation demnächst eine schwere Zeit anbrechen. Es war amüsant, immerhin wog sich der Boss immer in Sicherheit und war übervorsichtig, vertraute dann aber solchen Menschen wie Bourbon und ihr. Sie wusste nicht, über welchen von ihnen beiden sie sich mehr amüsieren sollte – Sêiichî würde sagen, dass es dümmer war, einem Spion von der Polizei so viele Möglichkeiten zu geben, zu ermitteln. Der Boss verliebte sich leider immer in die falschen seiner Schäfchen – es war ja fast verdientes Leid. Genauso dumm war es von Chardonnay sie zu decken, obwohl sie ihn so oft mit Verachtung gestraft hatte – aber auch diesen Umstand sollte sie ausnutzen, solange er da war – denn sie legte gewiss nicht ihre Hand ins Feuer, dass der Alte seine Meinung am Ende nicht doch noch einmal änderte. Sie glaubte, dass die Polizei seine Achillesferse war. Es gab ihr eine gewisse Genugtuung, mehrere Verbindungen zur Polizei zu haben, zu seiner am meisten gehassten Polizei. Es gab Menschen, die glaubten sogar, dass Vermouth das absichtlich machte, genauso wie sie absichtlich eine Person geworden war, die Chardonnay nicht leiden konnte. Chardonnay würde wahrscheinlich auch bis zum bitteren Ende behaupten, dass Chris Sêiichî nicht liebte, sondern natürlich nur ihn selbst damit treffen wollte.

Was Chris sagte, entsprach wohl den Tatsachen – er wusste schon davon, dass sie in den Genuss kam, vom Drahtzieher der Organisation besonders gemocht zu werden. Lästermäuler fragten sich, wie weit das gegenseitige Entgegenkommen der Beiden wirklich ging. An seine Tür hatten schon einige geklopft, um ihn aufzuklären, welche Kontakte seine Kinder pflegten. Natürlich ging das dann auch gleich so weit, dass es im Schlechtreden der Personen endete. Er kannte einige von den unschönen Sachen, die man behauptete – er konnte sich auch genau vorstellen, was von all dem den Tatsachen entsprach und was frei erfunden war. Es war ja nicht so, dass Chris die Einzige war, über die einige Leute Schlechtes erzählten. Auch über Hidemi hatte er schon die schlimmsten Sachen gehört – die allerschlimmste war der Mord an Shuichi Akai. So einer konnte er doch nicht seinen geliebten Sohn überlassen – Takeshi hatte noch nie jemanden beurteilt, weil er einen Fehler gemacht hatte. Wobei er diese eine Tat von Yuichis Lebensgefährtin nicht einmal als einen Fehler ansehen konnte, weil sie mit dem Rücken zur Wand gestanden hatte. Es war ihre Entscheidung: Entweder sie verübte diese Tat, oder sie musste sterben. Daher sagte diese Sache nichts über den wahren Charakter dieser Frau aus. Menschen, die in Angst lebten, waren leicht steuerbar. Es war eine traurige Wahrheit. Chris saß hier, weil sie ihr schlechtes Gewissen plagte. Da sie dachte, sie müsste all das, was sie in der Vergangenheit getan hatte, wiedergutmachen. Er wäre sehr einfältig, das nicht zu wissen. Yuichi hatte einmal gesagt, dass selbst die Menschen, die den Zerfall der Organisation herbeisehnten lieber einen Bogen um Chris machten. Er hatte mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass sie sich nicht wundern brauchte, so wie sie sich immer benahm. Es war kein Wunder, dass keiner sie mochte. Wobei keiner auch nicht richtig war, immerhin hatte sie Sêiichî und an den klammerte sie sich wohl auch deshalb wie an ihr Rettungsseil, was sie vor dem Untergang bewahren konnte…

Egal, was irgendwelche Menschen ihnen erzählten, da war er sich mit seiner Frau einig. Sie gaben nichts auf das Geschwätz der Leute, obwohl das die meisten Leute verteufelten, weil sie der Meinung waren, nur weil er der Polizeipräsident war, musste er automatisch auf bestimmte Weise handeln. Es gab auch Menschen, die hätten wohl wie wild mit dem Finger auf ihn gezeigt, dass er überhaupt sich die Zeit nahm, mit ihr zu reden. Er solle lieber etwas tun, um sie auf frischer Tat zu ertappen, damit man sie endlich aus dem Verkehr ziehen konnte. Er seufzte dann immer innerlich, weil gerade diese Menschen schienen überhaupt keine Ahnung zu haben, was es hieß, wenn jemand einen in der Hand hatte. Das Druckmittel war vollkommen irrelevant. Gerade Frauen wie Hidemi und Chris – nein er machte da keinen Unterschied. Von beiden konnte man behaupten, dass sie ein Herz besaßen, das auch noch an bestimmten Menschen hing. Selbst wenn es nur um das eigene Leben ging – wer wollte dieses schon freiwillig aufgeben? Da musste man schon sehr kaputt sein, um freiwillig sterben zu wollen. Das stand auch gar nicht zur Debatte. Fakt war, man hatte beide in der Hand. Da zählten für ihn irgendwelche Taten nur noch halb. Ein Mann aus Kyoto, den er schon eine beachtliche Zeit kannte, hatte ihm mitgeteilt, wer mit Yuichis Einstieg in die Organisation zu tun hatte – dieser sei nicht der einzige arme Junge gewesen, dessen Schicksal sie in den Händen gehabt hatte. Das Kind seines Freundes hätte auch dieses Glück gehabt. Er betrachtete diese Dinge aus einem anderen Blickwinkel. Es mochte sein, dass sie damit zu tun hatte, ihn interessierte nicht, dass es so war, sondern wieso es so war und auf welche Art und Weise. Tokorozawa wollte nichts davon hören, dass Yuichi und Kenichi ja nicht tot waren – nur eben an einem schrecklichen Ort. Kein Mensch fragte sich, warum sie so etwas damals gemacht hatte? Genauso wenig wie sich niemand fragte, wieso sie einen 17-jährigen vor dem Tod bewahrt hatte. Es war nur eine Vermutung, aber er schätzte sie so ein, dass sie bei einem Attentat auf Kinder nicht hätte zusehen können –  aus welchem Grund auch immer dieses stattfand. Sêiichî hatte es selbst bestätigt, sie hätte sehr gern Kinder, aber sie scheute sich davor, sich selbst und einem anderen Lebewesen, was sie auch noch so sehr liebte, wie es Mütter eben taten, so etwas Schreckliches anzutun. Kinder, die in die Organisation geboren wurden, kannten nichts anderes als diese schreckliche Welt. Seine Kinder hatten das Glück alt genug gewesen zu sein, um bereits die schöne und nicht nur diese kalte und umbarmherzige Welt kennenzulernen. Aber ein Kind, was sonst nichts anderes kannte und dementsprechend zum Bösen erzogen wurde, würde auch todsicher böse sein. Es war auch sehr fraglich, ob Organisations-Eltern ihre Kinder selbst erziehen würden – eher nicht. Man würde sich ihrer annehmen und sie so formen, wie sie der Organisation den größten Nutzen versprachen.

Nach ewigem Rumdrucksen hatte Sêiichî ihm vor einiger Zeit gestanden, dass die Organisation damals an Ryochi interessiert gewesen sei. Dieser Kerl namens Chardonnay fand es aber viel interessanter das Kind eines hochrangigen Kriminalisten zu töten und hatte sich entschieden, die beiden Jungs anzufallen, nur um sich an der Polizei, die er so sehr hasste, zu rächen. Dabei war Sêiichî mehrfach angeschossen worden und Chardonnay traktierte Ryochi damit, kein Feigling zu sein, der sich hinter seinem Freund versteckte, sondern sich ihm zu stellen. Sie waren beide noch kleine Jungs gewesen – Kinder, für die es eigentlich keine Rettung mehr gegeben hatte. Sêiichî wusste weder damals, noch heute, so wirklich, was da genau vor sich gegangen war, denn man hatte sie sehr hinterhältig angefallen und anschließend war der Blutverlust so groß, dass er fast die Besinnung verloren hatte. Aber an eines erinnerte er sich noch sehr genau. An das Erscheinen seiner Freundin, die sich für die Kinder mit diesem Bastard angelegt hatte. Sêiichî hatte nie Beherrschung, wenn es um diesen Mann ging, da vergriff er sich oft im Ton und man sah ihm an, dass er ihn hasste – aus den simpelsten, aber auch mit den nachvollziehbarsten Gründen.

So gesehen hatte die hier anwesende Frau auch einem seiner Söhne das Leben gerettet, was eben nicht zu verachten war, weil Personen, die so eigenwillig handelten, eigentlich eher ungern in der Organisation gesehen waren. Chardonnay war ein geachteter Killer dieses Drahtziehers, aber vor allem von Frauen verachteter – und noch viel schlimmer – gefürchteter Mann. Mit dem sie sich wagte anzulegen. Er würde nie vergessen, wie emotional Sêiichî geworden war, als er ihn besucht hatte, nachdem jemand so gehässig war, ihm zu sagen, wie viel sein Vater von Vermouth wusste. Er war hergekommen, um sie zu verteidigen. Der Junge konnte alles rauslassen, was nötig war. Er ließ ihn verzweifelt werden – so kam man am besten an die interessanten Sachen. Natürlich nicht ohne ihn am Ende dann aufzufangen, als er fast zusammengebrochen war. Sêiichî war wirklich immens emotional geworden, weil er befürchtet hatte, es hatte sich die nächste Person gefunden, die seine Freundin verabscheute und hasste. Er hatte mit Tränen in den Augen gesagt, was Takeshi sicher nie in seinem Leben vergessen konnte. Sie hat uns alle vor dem Tod bewahrt. Man sollte sie als Heldin feiern und nicht hassen. Wieso bin ich der Einzige auf dieser Welt, der das so sieht? Hältst du mich auch für dumm, weil ich in einer Mörderin meinen Schutzengel sehe? Ehe Sêiichî ihm wirklich zusammengebrochen wäre, musste er handeln, um ihm klarzumachen, dass keiner sie hasste, auch nicht Yuichi. Egal, wie sehr er manchmal sein Leben in der Organisation verteufelte, deswegen hasste er sie nicht. Er kannte seinen Sohn immerhin. Höchstens mochte er sie nicht so sehr. Was seine Wenigkeit anging, so hatte er genug Erfahrung mit solchen Dingen, um dem ersten Anschein nicht mehr als eine flüchtige Einschätzung zu gewähren. So hatte er Sêiichî erst durchs Haar gewuschelt und dann tröstend eine Hand auf die Schulter gelegt, ehe er ihm gesagt hatte, dass er mit seiner Meinung nicht alleine dastand, er ihn deswegen nicht für dumm hielt und die, die es taten nicht wussten, wovon sie redeten. Auch, wenn seiner Freundin ein bisschen weniger Heldentum besser stehen würde, bevor sie noch umkam – was er allerdings für sich behalten hatte, bevor es seinen Sohn noch zu irgendwelchen Dummheiten ermuntern konnte. Es hatte ihn nicht überrascht, dass er sie Mörderin nannte und im gleichen Satz von einem Engel sprach – Tatsachen und Emotionen schlossen einander nicht aus. Und Sêiichî hatte ein gutes Herz, aber er war deswegen noch lange nicht blind, auch wenn viele ihm das zu unterstellen versuchten. Er war stolz auf ihn, schließlich hatte er dem Jungen ja auch beigebracht, dass man die, die man liebte beschützen musste. Und man musste zu ihnen stehen, selbst wenn das bedeutete, dass die ganze Welt gegen einen war.

Diese Frau brachte ihn in eine ziemliche Bedrängnis, mit ihrem Tatendrang. Das Dumme an so etwas war, dass man abwägen musste, was gerade das Beste wäre. Sie war keine Frau, die irgendwelche Hilfe von irgendwem benötigte, um aktiv zu werden. Sie würde auf eigene Faust irgendetwas tun, was ihr am Ende mehr schadete, als ihnen allen nutzte. So war er nicht ganz unglücklich drüber, wenn die Sicherheitspolizei mit im Boot saß und dabei doch ein bisschen achtgab, dass auch wirklich nicht die Falschen zu Schaden kamen. Sie abzuweisen würde in dem Fall wahrscheinlich eher wenig nutzen. Aber sie waren hier auch nicht bei Wünsch dir was und man erfüllt es dir.

„So, und jetzt mal Hand aufs Herz, meine Liebe. Sêiichî erzählt ja mittlerweile wirklich mehr, als früher. Aber bestimmt kannst du mir da noch ein bisschen mehr auf die Sprünge helfen. Warum willst du unbedingt die Heldin spielen? Wir sind nicht in einem Film, wo mit Plastik-Patronen geschossen wird und wir am Ende nur in einem Fleck aus Kunstblut liegen. Ich weiß, dass dir diese Sache sehr wichtig ist – aber ist es diese Person wert, dass du dein Leben riskierst und am Ende alles aufs Spiel setzt? Ich hoffe, du bist dir im Klaren, wie mein Sohn reagiert, wenn dir irgendetwas geschieht. Die Frage muss ich dir doch hoffentlich nicht stellen?“

Takeshi beobachtete sie, wie sich ihre Mimiken veränderten. Im ersten Moment sah er etwas furchtbar Rebellisches, als säße tatsächlich ihr Vater vor ihr, der sie gerade tadelte – sie war aber so gar nicht einverstanden und wirkte, als wenn sie jeden Moment zickig werden wollte – sie fühlte sich wohl ein bisschen behandelt, wie ein kleines Mädchen, was noch nicht wusste, was es da tat. Aber dann sah sie ihn mit großen, staunenden Augen an…

Infiltration Teil 2 - between good and bad

 

Aber dann sah sie ihn mit großen, staunenden Augen an, was er noch viel besser fand.

Die Verwunderung wurde immer deutlicher – in ihrem Gesicht konnte man aber auch dann noch ziemlich genau ablesen, wie sehr es ihr widerstrebte, sich aus irgendetwas herauszuhalten und untätig bei etwas zuzusehen, dennoch machte es den Anschein, als hätte seine Frage sie etwas überrascht.

Nach einem Moment der Fassungslosigkeit, grinste sie den Mann vor sich an.

„Keine Sorge, für waghalsige Stunts gibt es einen Stuntman. Ich hab noch nie welche selbst durchgeführt. In diesem Fall hier steht mein Leben auch gar nicht auf dem Spiel, weil keiner, der mir gefährlich werden kann, davon erfährt“, erklärte Chris selbstsicher – ungeklärt dessen, was sie bereit war zu tun, um ihre Taten zu verschleiern. „Ich hatte lediglich vor, ein paar Informationen über diese Person zu bringen, damit sich die Polizei noch einmal etwas eindringlicher mit ihm beschäftigen kann. Der Kerl nervt. Er begleitet mich schon fast mein ganzes Leben, davon habe ich genug. Aber es gibt uns auch den Vorteil, dass ich ihn sehr gut einschätzen kann. Ich beobachte meine Mitmenschen immer sehr genau.“ Das musste sie als Schauspielerin. Wenn sie denjenigen darstellen wollte, musste sie genau wissen, wie diese Person funktionierte. Wie sie handelte in bestimmten Situationen. „Ich weiß zum Beispiel, welche Ziele er als nächstes anvisieren wird – das sollte auch von Vorteil sein.“ Man merkte, wie sie ihre Emotionen weit beiseite zu schieben versuchte und nur deswegen so emotional unantastbar rüberkommen konnte. Aber er war nicht einfältig und merkte trotzdem, dass es eine gefühlsmäßige Kiste war, die sie dazu bewog. Sie sagte es ja so schön, der Kerl nervte sie schon das ganze Leben.

„Für Informationen jeder Art sind wir immer dankbar.“ Im ersten Moment hörte es sich wirklich an wie no big deal, aber er wusste, dass sie diesen Kerl auch provozieren wollte – indem sie sich mit seinen Feinden verbrüderte. Er würde diesen Fall nicht vorschnell entscheiden, sondern die Leute das beurteilen lassen, die sich mit dem Fall besonders gut auskannten. Wegen eigener Erfahrungen, aber auch der Kenntnisse, die sie durch ihre Ermittlungen gegen diesen Mann in Erfahrung gebracht hatten. Takeshi war sich im Klaren, dass es sich bei ihr auf jeden Fall um Hass gegenüber ihrem Täter handelte, der sie antrieb. Ein Stück weit war das sogar nachvollziehbar. Sein Feind war die Polizei und Chris’ Freund gehörte dazu; noch dazu hatte der Kerl Sêiichî damals fast umgebracht. So etwas durfte man einfach nicht außer Acht lassen.

„Da ist aber auch noch eine andere Sache, die mir schwer zusetzt“, sagte sie, was alleine schon sehr viel Beachtung nötig hatte, weil sie niemand war, der schnell in Angst zu versetzen war – da war schwer zusetzt wohl einem Drama gleich. „Ich habe eine Bekannte, die fast zur gleichen Zeit, wie ich, in diese Organisation kam. Damals habe ich immer so gut es ging auf sie aufgepasst. Sie hat auch immer brav verweigert erwachsen zu werden und genoss es in vollen Zügen. Tja – damit habe ich jetzt aufgehört. Das schmeckt ihr nicht, dafür will sie jetzt Sêiichî die Schuld in die Schuhe schieben, weil er mich verweichlicht. Sie macht es sich gern einfach. Vor knappen drei Monaten ist sie dann richtig ausfallend geworden – obwohl das kein Ausdruck dafür ist, was sie gemacht hat. Sêiichî beschwichtigt eben immer und sagt gern, dass etwas nicht wild war. Sie ist der Überzeugung, ich werde wieder die Alte, wenn sie ihn umbringt. Man muss sie vor sich selbst retten. Wenn man das nicht tut, wer weiß, wie weit sie geht? Ich will gern vermeiden, sie zu erschießen. Ich hoffe also auf deine Hilfe in dem Fall… Wenn es darum geht, ihn vor Schaden zu bewahren, bin ich bereit alles zu tun. Das würde ihm nur wieder zusetzen, wenn ich so etwas mache. Dann sagt er immer, dass er das ja nicht wert ist. Er kann schon ein Trottel sein…“ Chris seufzte und hielt sich abermals den Kopf, dabei schüttelte sie diesen und verstand einfach nicht, wie man immer so reden konnte. Am Ende sagte er noch, dass er es verdiente.

„Er will Blutvergießen vermeiden. Deswegen beschwichtigt er – glaubst du denn, er weiß nicht, dass du bereit bist viel oder sogar alles für ihn zu tun? Was das angeht, werde ich mich dieser Sache annehmen.“ Gerade zeigte er einen leicht finsteren Blick, denn dieser Grund auf seinen Sohn loszugehen, war ein ziemlich schlechter. Die Bekannte, um die es sich handelte, konnte nicht ganz bei Trost sein. Da hatten sie sie wieder, die Begleiterscheinungen, wenn man in dieser Organisation saß. Er konnte sich sehr gut vorstellen, dass Sêiichî Chris auch vor so mancher merkwürdigen Handlung abgehalten hatte. So weit ihm bekannt war, war sie Mitglied in der Organisation seit über 20 Jahren. Da konnte man doch gar nicht ganz normal bleiben. Bestimmt gab es die Momente, in denen sie sogar noch Sêiichî schockte. Er hatte bestimmt Einiges miterlebt, was ihn aber noch mehr zu ihr halten ließ, gerade weil er so viel von ihr wusste – und er schwor darauf, dass sie bei Sêiichî ziemlich viel von sich selbst preisgab, alles andere wäre wohl eher traurig gewesen, wenn dem nicht so wäre.

„Natürlich“, bestätigte die Blondine und nickte anschließend, „ich glaube mir einbilden zu dürfen, dass ich sehr gut darüber bescheid weiß, was Sêiichî bereit ist an Risiken einzugehen. Er denkt dabei wenig an sich selbst, immer nur an andere.“ Dass das durchaus ein riesiges Problem werden könnte, hörte man aus ihrer Stimme heraus, offensichtlich machte sie sich sehr viele Gedanken darum – kein Wunder, sie hatte nicht vor, ihren Freund wieder herzugeben. Es wäre gewiss nicht die erste Beziehung, die durch die Organisation zerstört worden wäre – Shina hatte ihm in der Sache auch schon Dinge erzählt, die einen normalen Mensch sicherlich total aus der Bahn werfen würden. Dann gab es da noch diesen Fall des infiltrierten Polizei-Beamten, der sich lieber selbst getötet und alle Daten, die über ihn bekannt werden konnten, zerstört hatte. Wie verzweifelt musste eine Person denn sein, um so weit zu gehen, nur um seine Liebsten zu beschützen? Chris war anders, sie hatte einen starken Überlebenswillen – trotz der Schwierigkeiten, die sie die letzten Jahrzehnte wohl gehabt hatte. Sie hatte Möglichkeiten, die nicht jeder einfach so hatte. Innerhalb der Organisation war anscheinend so gut wie nichts über sie bekannt, was wohl nicht so verkehrt war. So konnten nicht irgendwelche Personen, die mit ihr in Verbindung standen, Schaden nehmen. Wahrscheinlich war sie auch nur hier, weil jemand wie er nicht so schnell Opfer der Mitglieder werden würde, weil sein Fall sehr großes Aufsehen erregen würde – trotzdem war auch er auf der Hut, dabei musste man aber auch achtgeben, dass man nicht paranoid wurde und am Ende übervorsichtig. Es war so, dass kaum jemand wusste, wie gut er sich selbst abgesichert hatte. So etwas hängte man nicht an die große Glocke. Nur weil bisher nie etwas passiert war, hieß das aber nicht, dass nie etwas passieren konnte – trotzdem hatte sie Verbindungen, von denen ja noch nicht einmal die Sicherheitspolizei direkt wusste. Die speicherte zu viele Daten, die ihnen am Ende zum Verhängnis werden konnten. Man konnte nur hoffen, dass sie aus ihren Fehlern lernen würden und sie nicht wiederholten. Ein kleiner Fehler reichte bereits und es würde einige Menschen das Leben kosten. Sie waren mit dem Schreck davon gekommen – und Sêiichî hatte bisher nie Aufmerksamkeit erregt, weil er eben alleine gehandelt hatte, sonst wäre es ihm wohl so wie Kir und Bourbon gegangen. Man sagte nicht umsonst, je weniger Leute ein Geheimnis kennen, umso besser. Oder viele Köche verderben den Brei.

Die PSIA ging in seinen Augen sehr radikal und rücksichtslos vor. Der Name versprach Sicherheit – dabei schafften sie es nicht einmal ihre eigenen Leute zu schützen, geschweige denn Außenstehende. Der Tag gestern hatte nur einmal mehr gezeigt, dass sie zwar gerne ins Polizeipräsidium in Tokyo marschierten, angaben wie eine Tüte Mücken, um ihnen wichtige Zeugen wegzuschnappen, aber ansonsten mit wirklicher Sicherheit wenig am Hut hatten. Dementsprechend ging einer ihrer Infiltranten auch vor. Aus direkter Quelle wusste Takeshi, dass man versucht hatte, auch Sêiichî für diese Sache einzuspannen. Der hatte aber nicht vor, das Wohl seiner Familie so sehr zu gefährden, wie es die Leute der NPA taten. Als Polizeipräsident hatte er jedoch auch die Möglichkeit sie zu stoppen, wenn sie übertrieben. Aber ihm war auch bewusst, dass solche Organisationen fast nur angreifbar waren, wenn man dachte und handelte wie sie. Das klang wie ein abgedroschener Spruch, entsprach aber auch den Tatsachen. Dass Nachrichtendienste ihre Leute zu wenig beschützen, war leider auch ein Fakt. Da konnte man ja am Ende froh und glücklich sein, wenn der Kontakt zu einem solchen abbrach, wie in Hidemis Fall. Er war darüber nicht so traurig. Was Rei Furuya anging, konnte er zur richtigen Hyäne werden, vor allem dann, wenn er seine Leute kontaktierte. Er wusste auch davon, dass er zu Mitteln griff, die denen der Organisation sehr nahe kamen – so hatte dieser sich zum Beispiel die Loyalität von Chris eher ergaunert. Von Erpressungen hielt Takeshi nicht viel, aber genau das tat Furuya - er hatte auch schon wieder leichtfertig, Chris zum NPA ins Boot gepackt, ohne Takeshi zu fragen. Und Chris – sie fühlte sich mal natürlich, als wenn sie etwas Gutes tat, dabei war sie wieder ziemlich leichtfertig – nein, es gefiel dem Polizeipräsident nicht, was dieser Kerl da trieb. Am Ende brachte dieser alle nur ins Grab. Damit war den Menschen hier auch nicht geholfen. Für die Zerschlagung der Organisation waren nun einmal Opfer notwendig – so sagte die PSIA. Damit war aber Takeshi als Kopf der Polizei von Tokyo nicht einverstanden.

 

Nachdem die Beiden ihr Gespräch beendet hatten, verließ Chris das Büro, sie schien recht zufrieden mit sich, weshalb sie – an der Wand gelehnt – vor seinem Büro stand und dabei einige Male auf ihre Armbanduhr schaute. Sie hatten wohl doch gute 40 Minuten miteinander geredet und dabei so gut wie alles klären können.

Sie behielt den Gang im Auge und wartete. Worauf konnte man ihr nicht ansehen. Als sie die Ankunft von Ryochi, Shina und ihrem Bruder bemerkte, bildete sich jedoch in ihrem Gesicht ein leicht durchtriebenes Grinsen, was sich nur noch mehr vertiefte, als sie das echauffierte „Was will die denn hier?“ von Conan hörte. Shina hatte ihren Bruder wohl noch nicht darüber aufgeklärt, dabei wäre es mal an der Zeit.

„Wird bei meinem Vater gewesen sein“, antwortete Ryochi mit einem Blick zu dem Kleinen.

„Selbst für eine Person, wie sie, ist das sehr gewagt!“ sagte er und warf dann der Schauspielerin einen Blick zu, ein nicht so netter, während sie nur grinste. Das ärgerte ihn fast noch mehr. Es kam ihm beinahe vor, als würde sie ihn noch auslachen. Als sie die Hand hob, diente das aber wohl eher zum Gruß der beiden Anderen. Sie stieß sich von der Wand ab und kam ihnen entgegen.

„Gibst du dir neuerdings nicht einmal die Mühe, anderen etwas vorzumachen?“ griff der Junge die Schauspielerin an, denn mit offenen Karten zu spielen, war doch gar nicht ihr Ding. Sie hatte zu viele Tricks auf Lager. „Wieso sollte ein wichtiger Mann, wie Takeshi Akaja, sie in sein Büro lassen? Wie wäre es, wenn ihr zwei ihn darüber aufklärt, dass sie nur mit hinterhältigen Gründen hierher kommt? Wie könnt ihr nur so ruhig bleiben, nur weil sie ganz offensichtlich gemeinsame Sache mit einem Typen von der Polizei macht? Findet ihr das nicht auch fahrlässig?“

Der strafende Blick galt der Blonden, welche jetzt seufzte.

„Dein Bruder ist ganz schön unhöflich, Shina. Vielleicht sollte Yukiko mal ein wenig mehr Zeit in seine Erziehung investieren, statt darin, mir hinterher zu rennen! Es ist die Sache des Polizeipräsidenten, welchen Personen er traut und in seinem Präsidium duldet. Da hast du dich nicht einzumischen, Kleiner. Du solltest aufhören, in allem eine potenzielle Gefahr zu sehen. Die Organisation macht ums Präsidium gerade einen großen Bogen…“ Es sah ihr nicht ähnlich so viel zu kontern, dennoch tat sie es gerade.

„Sie ist in zivil unterwegs, Conan“, erklärte Shina. „Dann geht meistens keine Gefahr von ihr aus. Sogar jemand, wie Vermouth, würde in zivil nicht wagen, irgendetwas im Polizeipräsidium zu tun, was nicht rechtens wäre. Glaubst du nicht auch?“ Es war überhaupt nicht im Interesse der Schauspielerin, dass etwas von ihren kriminellen Aktivitäten offiziell bekannt wurde.

„Nur Informationen stehlen, schon klar!“

„Selbst das würde sie nie unverkleidet tun, Junge“, meinte jetzt Ryochi.

„Wenn du der Meinung bist, Cool Guy, dann warne den Polizeipräsidenten vor mir – Shina und Ryochi werden sich dann köstlich amüsieren“, kam von Chris mit einem leichten Lachen. „Sei aber nicht zu bestürzt über das, was du dann erfährst…“ Mit den Worten ging sie an Shina vorbei, wobei ihre Augen geschlossen waren, während sie grinste, dann sogar die Hand auf deren Schulter legte. „Es bleibt bei Freitag. 12 Uhr. Ich werde Sêiichî rechtzeitig ins Restaurant bringen. Ich freu mich schon tierisch – kannst deinen Bruder ja auch mitbringen… der will bestimmt gerne mit uns gemeinsam eine Familien-Feier abhalten, oder was glaubst du?“ Okay, das war etwas sehr gemein, aber sie konnte sich Derartiges einfach nicht verkneifen.

„Ich glaube, mir wird schlecht“, sagte Conan und drehte den Kopf zur Seite, um sie nicht ansehen zu müssen.

„Autsch“, kam von Shina, weshalb Chris sich herumdrehte und ihr einen besorgten Blick schenkte, den Conan durch sein abwehrendes Verhalten nicht mitbekam.

„Ich meinte ihn“, kam sofort von der Detektivin, weil sie den Blick der Schauspielerin mitbekommen hatte, der eindeutig tiefer als zu ihrer Brust gegangen war.

„Pass auf dich auf“, warf sie ihr zu und erregte damit doch Conans Aufmerksamkeit. Er sah zwischen Shina und Chris hin und her, war verwirrt über die offensichtliche Sorge der Blonden gegenüber seiner Schwester. „Langsam wird sie mir unheimlich. Wieso sagt die denn so was? Am Ende meint sie das tatsächlich noch ernst.“

Der 23-jährige holte Luft und überlegte kurz, dabei erinnerte er sich an das Gespräch von gestern Nacht. „Vielleicht solltest du deinem Bruder mal sagen, was es damit auf sich hat, sonst fällt er bei meinem Vater noch ins kalte Wasser. Das wäre nicht so nett, findest du nicht? Er hat Vermouth auf ganz andere Art und Weise kennen gelernt, als Gefahr nämlich. Wie soll er so ein Verhalten dann verstehen?“

„Ach hör auf mit dem Unsinn!“ widerlegte Shina, dabei sah sie ihren Bruder jetzt aber auch ein wenig vorwurfsvoll an. „Du denkst auch nur Schlechtes von ihr, oder? Das liegt doch nicht etwa an einem gewissen, kleinen Mädchen? Hast du noch nie diesen Spruch gehört ~Sometimes it isn’t like it seems~? Das bedeutet, dass der erste Eindruck täuschen kann. Man sollte sich nie nur auf Ersteindrücke verlassen. Es gibt Menschen, die sind unberechenbar. Man kann nie wissen, was sie denken und fühlen. Aber man wird sie auch nie durchschauen, wenn man sich dabei keinerlei Mühe geben will.“ Shina seufzte schwer. Ihr Bruder hatte entschieden, diese Frau zu verabscheuen und sie glaubte, dass es nichts brachte, ihn aufzuklären, er würde stur bleiben – jedenfalls im Moment noch. Aber auch für ihn würde der Tag kommen, wo er hoffentlich endlich einmal verstand, was hier Sache war.

Conan missfiel der Unterton in der Stimme seiner Schwester – sollte das am Ende heißen, dass er zu viel auf Sherrys Meinung gab?  Er wusste selbst, dass das Mädchen nicht der netteste Mensch auf der Welt war, aber doch noch viel besser als eine Killerin, oder nicht? Er fühlte sich angegriffen und dabei kam seine eigene Schwester ihm fast etwas hochmütig vor.

„Was juckt’s dich? Pass du lieber auf, dass du Vermouth nicht zu sehr vertraust“, erwiderte er, „wenn es zu ihren Plänen passt, verschont sie keinen. Nicht mal Versprechen von ihr sind etwas wert. Sie legt Dinge aus, wie sie ihr gerade passen. Ich hasse das. Sie hat zweimal versucht eine meiner Freundinnen zu ermorden. Sei nur froh, wenn sie nicht mal auf wen schießt, der dir etwas bedeutet“, sagte Conan verletzt – ja, er fühlte sich missverstanden.

„Tja – vielleicht habe ich mir nur einfach Freunde gesucht, die keine verrückten Wissenschaftler sind, also Leute, die Vermouth nicht so sehr stören. Daher verschont sie meine Freunde“, mit dem Satz zuckte Shina mit den Schultern. Alles verraten musste sie ihm ja nicht, er war Detektiv, also war er auch in der Lage selbst auf des Rätsels Lösung zu kommen, sonst war er ja auch so schlau. Sein Problem war leider nur, dass ihn persönliche Gefühle behinderten. Das konnte sowohl negativ, als auch positiv sein. Ihre eigenen Gefühle trugen ja auch dazu bei, dass sie bestimmte Verhaltensweisen an den Tag legte. Es war ein direkter Angriff, das merkte man schon, aber mehr ein Angriff auf Sherry, nicht auf ihren Bruder. „Ich frage mich manchmal wirklich, ob du deine kleine Freundin je gefragt hast, wieso sie so große Angst vor Vermouth hat. Sie fürchtet diese Frau viel mehr als Gin – der würde jeden umbringen – schon lachhaft!“ Auf den ersten Blick konnte man denken, dass Vermouth schlimmer war als dieser Kerl, das war nun wirklich nicht der Fall, das hatte doch ihr Bruder auch schon lange gecheckt – warum machte er sich darum dann nicht mehr Gedanken?

„Aber im Gegensatz zu Vermouth bereut Sherry ihre Taten.“

„Bereut sie sie wirklich, oder sagt sie das nur, um dir zu gefallen?“ konterte Shina ihrem Bruder. Sie schloss die Augen und dachte darüber nach – zumindest das, was mit Shinichi passiert war, bereute Shiho nicht im Geringsten – es war doch alles nach Plan gelaufen, nicht wahr? Shina wusste, dass Sherry schon vor ihrer Flucht Interesse an Shinas Bruder gehabt hatte – das Schicksal hatte ihr ziemlich in die Hände gespielt, oder nicht?

„All die Menschen, deren Leben durch dieses Gift ruiniert worden ist – glaubst du wirklich, dass sie die etwa bedauert?“

Damit hatte Shina ihren Bruder wohl gegen die Wand geredet, aber Ryochi fand nicht, dass er sich da jetzt einzumischen hatte. Das war eine Sache zwischen den Beiden.

„Sie bedauert diese Menschen in etwa genauso sehr wie Gin. Sofern sie nichts mit denen am Hut hatte, sind Menschen ihr egal. Was interessiert es sie auch, ob fremde Menschen leiden?“

Noch immer schwieg Conan und blickte zu Boden – man sah ihm an, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte. „Sie bedauert nicht einmal dein Schicksal, sondern sieht es als Geschenk an. Und weißt du was, Shinichi? Vermouth würde ihr am liebsten den Hals umdrehen – und zwar dafür, dass du jetzt ein kleiner Knirps bist und Ran deswegen immerzu weinen muss. Du hast echt keine Ahnung, oder? Sie mag dich.“

„Es reicht!“ Conan holte tief Luft und wollte davon jetzt nichts hören. „Ich habe sie nicht darum gebeten, mich zu mögen.“

„Oh, wirklich? Das ist sehr schön für dich. Dann sei ihr wenigstens dankbar für die Risiken, die sie deinetwegen in Kauf nimmt. Das ist das Mindeste, was du dieser Frau schuldest. Ob du es hören willst oder nicht, sie beschützt nicht nur dich, sondern auch Ran. Dafür nimmt sie in Kauf, zu sterben. Glaube mir, wenn es hart auf hart kommt, ist sie da und wird alles dafür tun, dass ihr zwei am Leben bleibt. Dafür würde sie sich erschießen lassen!“ Es war keine Spinnerei, sondern eine Überzeugung.

„Diese Frau ist sich selbst am nächsten – warum sollte sie also so etwas tun? Das glaube ich einfach nicht.“

„Ohje“, meinte nun Ryochi, „hörst du dich selber reden?“ Obwohl er vorgehabt hatte, sich nicht einzumischen, fand der Detektiv die Worte von Shinas Bruder ziemlich krass. „Sei lieber froh, dass Sêiichî das nicht gehört hat, er würde dich ungespitzt in den Boden rammen und dir dann erzählen – wie sie wirklich ist. Du hast überhaupt keine Ahnung, wovon du da sprichst.“ Er sah zu seiner Verlobten. „Lass es gut sein… Das hat keinen Zweck, seine Entscheidung ist gefallen.“

„Ach, dein Freund Sêiichî – als könnte man sich auf sein Urteil verlassen. Er ist blind vor Liebe – der ist nicht bei Verstand.“

Ryochi war wirklich nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, aber diesen Spruch konnte er nicht so ohne weiteres hinnehmen. „Hör zu, junger Mann!“ fuhr er den Jungen nun doch ein wenig missgestimmt an. „Ich werde nicht dulden, dass du so von Sêiichî sprichst. Er ist nicht blind und auch nicht dumm. Seine Liebe zu ihr hat gute Gründe. Wer geblendet ist, das bist du, nicht er. Geblendet von deiner Abneigung, oder ist das bereits Hass? Er ist vollkommen bei Verstand. Was Shina sagt, entspricht Tatsachen. Vermouth hat bereits bewiesen, dass sie sich nicht selbst am nächsten steht. Zum einen, als sie mit einem Killer der Organisation angelegt hat, um Sêiichî zu beschützen, als er gerade einmal 15 war – zum anderen für deine Schwester…“

„Ryo…“, meinte Shina, weil er gerade etwas außer sich war. „Schon gut, das weiß er ja nicht.“

Betretendes Schweigen herrschte und der kleine Junge blickte hoch zu Ryochi. „Hat sie das wirklich?“

„…“

„Muss ich jetzt also tatsächlich befürchten, dass man Vermouth meinetwegen umbringt?“ fragte Conan nun, weil er so etwas doch gar nicht wollte. Wer wollte schuld an solch einer Sache sein? „War ihr Leben zu dem Zeitpunkt denn tatsächlich in Gefahr?“

Nun war es Shina, die seufzte und gegen die Wand glitt. „Bei mir war ihr Leben nicht in Gefahr, nein. Wo denkst du hin? Sharon ist nur im Krankenhaus gestorben. Sie wurde ganz offiziell von sogenannten Headhunters im Auftrag der Organisation aus dem Weg geräumt, weil sie die davon abgehalten hat, mich umzubringen. Reicht dir das jetzt, oder willst du noch mehr hören?“ Also ihr würde das reichen.

„Ach herrje“, seufzte der Junge und war jetzt doch ein bisschen bestürzt. „Dann hat die das vorhin wohl wirklich ernst gemeint…“

Wenigstens fragte der Junge nun nicht mehr, was sie bei seinem Vater gewollt hatte. Darum war Ryochi dann doch froh. Bestimmt würde er nun auch nicht mit irgendwelchen lächerlichen Fragen kommen, weil er sich vor Takeshi Akaja gewiss nicht blamieren wollte. Es ging in diesem Gespräch vor allem darum, Miwako und Wataru ein bisschen aufzuklären – und zwar über Shinichis Schicksal…

 

Es war nicht schön, wenn man aufgehalten wurde – schon gar nicht, wenn es sich um so ein wichtiges Meeting handelte. Aber genau das passierte gerade, als eine junge Frau mit schwarzen Haaren, die ihr ein bisschen über die Schultern fielen, angehalten und mit neugierigen Fragen gelöchert wurde.

„Was soll das heißen, sein Dienst beginnt erst um zwölf? Das darf jawohl nicht wahr sein! Ich habe mich so gefreut, dass wir heute zusammen arbeiten werden, Satô-san.“

„Oh man“, meinte Miwako und fasste sich mit der Hand ins Gesicht über das unreife Verhalten ihrer Kollegin, die im Innendienst tätig war und wohl besonderes Interesse an Iwamoto zu haben schien. Sie hatte explizit nach ihm gefragt, doch kaum, dass Wataru aus einer ihrer Toiletten kam, weil er vor dem Meeting noch einmal dorthin verschwunden war, ließ die Schwarzhaarige Miwako stehen und rannte zu ihm. „Takagi, da sind Sie ja!“ Das unverschämte Frauenzimmer griff sich seinen Arm und hakte sich bei ihm ein, dabei warf sie ihren Kopf mit einem heiteren Lächeln gegen seinen Oberarm. „Solange Iwamoto nicht da ist, nehme ich eben mit Ihnen Vorliebe, Sie sind auch ein Süßer!“

Der Besagte wurde rot, Miwako unterdessen ebenfalls, jedoch vor Zorn.

„Jetzt schlägt es aber dreizehn!“ sagte sie und trennte die Frau von ihrem Freund. „Wir sind hier auf der Arbeit! Benehmen Sie sich gefälligst! Außerdem hat er überhaupt keine Zeit!“ Sie schob Wataru vorwärts. „Wir haben jetzt eine Besprechung. Wenn wir damit fertig sind, sind Sie hoffentlich mit Ihrer Arbeit fertig.“ Sie warf ihr einen strengen Blick zu und fand dieses Verhalten gänzlich inakzeptabel.

Wataru wirkte ein klein wenig verunsichert, weil es keinen Grund gab, für Miwako, sich so eifersüchtig zu benehmen. Daher ließ sich der Dunkelhaarige von seiner Verlobten bereitwillig den Gang entlang schieben, bis sie um die Ecke verschwunden waren.

„Diese Tussi, ich kann sie nicht leiden – ist der eine Mann nicht da, greift sie sich den Nächsten.“

„Reg dich nicht so über sie auf – lass sie eben. Ich falle doch auf so etwas nicht herein, das solltest du wissen.“

„Ich kann solches Verhalten eben nicht akzeptieren“, verteidigte sich Miwako – ohne dabei auf die Eifersuchtssache einzugehen. Sie begaben sich zum Fahrstuhl und stiegen ein, als Chris gerade aus diesem ausstieg.

„Oh – ich hoffe, Ihr Termin ist gut verlaufen“, sprach Miwako die Blonde beim Vorbeigehen an und diese lächelte der Polizistin entgegen.

„Ich kann mich nicht beschweren“, sagte sie und bemerkte die Schwarzhaarige, die Miwako so sehr genervt hatte, aber beim Anblick der Schauspielerin schnell das Weite suchte, was dieser durchaus auffiel.

„Wer war die Frau dort drüben?“ fragte Chris Miwako interessiert, so dass die Kurzhaarige stehenblieb, dabei seufzte sie.

„Ayako Morita – eine neue Mitarbeiterin, die sofort scharf auf Ihren Freund gewesen ist. Allerdings hat sie auch Interesse an Takagi – sofern Iwamoto nicht da ist. Ich kann diese Frau nicht leiden!“

„Ach und jetzt läuft sie vor mir davon, weil ich Wind davon bekommen könnte…“, schlussfolgerte die Schauspielerin und lächelte dann fies. „Anscheinend sieht man mir an, was ich mit solchen Frauen mache, wenn sie sich ungebührlich an meine Männer ranwagen.“ Die 29-jährige strotzte nur so vor Selbstvertrauen, so dass Miwako sie anlächelte. „Manchen Leuten sieht man solche Dinge einfach an – ich würde mich Ihrem Freund auch nicht ungestraft nähern – aber keine Sorge, in meinem Präsidium wird es nichts mit Techtelmechtel.“

„Glaube ich aufs Wort.“ Beide Frauen lachten und Wataru hielt den Aufzug auf, damit sie noch einen Moment hatten, um sich zu unterhalten.

„Hat mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben. Freu mich aufs nächste Mal“, sagte Miwako fröhlich und Chris nickte. „Bis bald“, kündigte die Schauspielerin an, dass ihre Wege sich bestimmt erneut kreuzen würden, erklärte sich aber nicht daraufhin.

Das Paar stand nun im Aufzug und Wataru drückte den Knopf, der die Türen schließen konnte, woraufhin er sich zurücklehnte und die Augen schloss.

„Solange Sêiichî hier ist, wird man sie bestimmt des Öfteren hier sehen“, meinte Wataru, während sie ins oberste Stockwerk schossen und der Aufzug sich wenig später mit bling~ meldete. Sie stiegen aus und trafen dann auch auf Shina, Ryochi und Conan.

„Ihr seid ja schon da“, wunderte sich Miwako mit einem Blick auf ihre Uhr. „Überpünktlich, es ist noch Zeit.“

„Ach, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, nicht wahr?“ Der Spruch war fast ein bisschen triezend an den Jungen der Runde gerichtet.

„Hallo, Takagi Keiji“, entschied sich Conan seine Schwester mit Ignorieren zu strafen und sich lieber dem Kriminalisten zuzuwenden.

„Sie sehen ja so gut gelaunt aus, hat das einen bestimmten Grund?“

Das neugierige Kind konnte es nicht lassen, so dass Miwako ihm zuzwinkerte. „Er ist ja auch mit mir hierher gekommen, wieso sollte er keine gute Laune haben?“ Watarus Laune war vorhin eher das Gegenteil gewesen, da spielte sie das Spiel nun gern mit.

„Und, wie geht’s dir, Shina? Du wirkst ein wenig blass…“ Die Sorge war Miwako ins Gesicht geschrieben.

„Ach, was soll ich sagen? Ich war nie ein Frühaufsteher“, lachte die Detektivin, die von Ryochi sehr genau beobachtet wurde. Miwako kaufte ihr das vielleicht ab, aber er wusste es besser. Das war nicht der Grund – sie war innerlich aufgeregt, ließ das aber keinen merken. Ihr Bruder und sie hatten verschiedene Ansichten und stritten deswegen – dasselbe galt für Shinas Mutter. Das alles war doch unnötig, aber er glaubte irgendwie nicht, dass es sich bessern würde, wenn sie gleich zu seinem Vater gingen, denn dort würde Shina einige Geschichten auspacken, die Conan wohl nicht so gefallen würden…

Da Chris die einzige Person mit einem Termin beim Polizeipräsidenten gewesen war, wurden die Drei wenig später aufgefordert, ins Büro zu kommen, auch wenn noch ein paar Minuten Zeit gewesen wäre, es handelte sich immerhin um Familienagehörige, die konnten immer kommen, wenn er Zeit hatte.

Es machte sich jetzt doch ein mulmiges Gefühl in Conan breit, denn er hatte den amtierenden Polizeipräsidenten bisher noch nie getroffen. Ihm war da so eine Sache dazwischen gekommen – auf der anderen Seite beunruhigte ihn die Tatsache, dass Chris Vineyard einfach so bei ihm reinspaziert war. Trotz des Gesprächs mit Shina und Ryochi war der Junge jetzt aufgewühlt. Mittlerweile verdächtigte er sogar jeden, ein Mitglied in diesem Laden zu sein. Es passte ihm auch nicht so recht in den Kram, Ryochi dabei zu haben. Er war immerhin der Sohn des leitenden Kriminalisten. Vor ihm könnte er sich gar nicht locker mit dessen Vater unterhalten, konnte nicht ansprechen, was er wirklich dachte und fühlte. Lieber wäre er hier alleine, ohne Leute, die nicht einmal verstehen würden, was er gerade durchmachte. Man hatte ihnen diesen Typen aus Nagano hierher geschickt und vorgesetzt – dafür verantwortlich war wohl Ryochis Vater. Er traute dem furchteinflößenden Kerl keinen Zentimeter über den Weg. Es wäre der Organisation ein Leichtes ihre Leute hierher zu schmuggeln, wenn einer von ihnen zu ihnen gehörte. Am besten geeignet waren Leute mit Macht, wie der Hauptkommissar namens Kuroda – aber ihm war nun noch eine weitere Person ins Auge gefallen… Er würde wahrscheinlich erst einmal zuhören, was Takeshi Akaja zu sagen hatte – Conan hoffte ja, dass er über Vermouth reden würde – beziehungsweise über ihr anderes Ego namens Chris Vineyard.

‚Hoffentlich äußert er sich nicht zu freundlich über sie… Das würde meinen Verdacht nur verstärken, dass jemand von der Polizei in diese Sache verwickelt ist. Das wäre das Drama schlechthin…’ Der Junge blickte zu diesem Detektiv, dem Verlobten seiner Schwester – er würde furchtbar finden, wenn sein Vater etwas mit dieser Sache zu tun hätte…

 

Im Gegensatz zu den meisten normalen Menschen war die Rotbraunhaarige in ihre Studien vertieft, dabei tippte sie etwas im Computer, während der Professor gerade Kaffee kochte. Die kleine Ai hatte die ganze Nacht nach einem Fiebertraum wach gelegen und brauchte jetzt die Stärkung. Es fiel ihm schwer, sie wie eine Erwachsene zu behandeln, aber sie durfte definitiv Kaffee trinken. Extra stark, hatte sie gemeint, aber er war gutmütig und tat, was ihm angeraten wurde. Als es an der Tür läutete, tat er das Übliche, wie ihm aufgetragen war. Erst einmal schauen, wer vor der Tür stand. Es war ein Kriminalist, also keine Gefahr. Professor Agasa war ein freundlicher Mensch, deswegen ging er zur Tür und öffnete dem Gesetzeshüter. Beide unterhielten sich kurz freundlich miteinander und der Schwarzhaarige wurde wenig später ins Haus gelassen. Der junge Mann erklärte dem Älteren, dass er wegen eines Falles gekommen war, der schon etwas zurücklag – die kleine Ai Haibara sei in diesen verwickelt gewesen, deswegen sollte er sie doch holen. Bereitwillig ging der Wissenschaftler zum kleinen Mädchen, was allerdings eher mit dem frischen Kaffee rechnete. Als er ohne das heiße Getränk zu ihr kam, wirkte sie ein bisschen verstimmt.

„Ich arbeite noch“, sagte sie in dem Moment kühl und tippte etwas auf der Tastatur. „Wie lange braucht der Kaffee noch? Ich habe tierische Kopfschmerzen“, sagte die 8-jährige und hielt sich wenig später den Kopf, wo sie sich einige Schweißperlen wegwischte und einmal schnaufte.

„Vielleicht solltest du die Arbeit dann unterbrechen und dich ein wenig ausruhen…“

„Das geht nicht, diese Sache ist wichtig. Ich will darin voranschreiten“, sagte Ai widerborstig, woraufhin der Weißhaarige seufzte, weil er kleinbei geben würde. „Die Polizei ist hier und will etwas von dir…“

Das Mädchen stoppte die Finger und blickte dann zur Seite zu Agasa. „Die Polizei? Muss das denn jetzt sein? Ich wüsste nicht, was die Polizei von mir wollen sollte.“

Verblüfft starrte Agasa die Kleine an und diese merkte sehr wohl, dass er Hypothesen anstellte, was die Polizei hier wollen könnte…

„Na gut – nur ungern, aber wenn es sein muss…“ Der Kontakt zur Polizei war nichts, was Ai wirklich gerne pflegte, am liebsten war sie meilenweit weg von dieser – aus einem Instinkt.

Das Mädchen schlüpfte aus dem weißen Kittel, was Agasa beobachtete – sie wollte nun wieder die Grundschülerin spielen – vorher sah sie aus wie eine kleine Wissenschaftlerin, so wollte sie nicht wirken.

Als sie die Tür öffnete, da sie dem Professor voranschritt, blieb sie stehen beim Anblick in die meeresblauen Augen.

Sofort wurden ihre Augen groß und am liebsten hätte sie die Tür wieder zugeworfen und hätte sich meilenweit weg begeben von dieser Person…

 

Ungeahnt, was im Begriff war zu geschehen, saß Conan zusammen mit seiner Schwester und deren Verlobten im Büro von Takeshi Akaja, zu ihnen gesellt hatten sich nach Wunsch von seiner Schwester auch Miwako Satô und Wataru Takagi.

„Es freut mich, euch alle so gesund und munter zu sehen“, begrüßte Takeshi seinen Sohn zusammen mit seiner Verlobten und Conan, dem er ebenfalls einen Blick schenkte. „Ich hoffe, dass die Themen, die du besprechen willst, die gute Laune nicht allzu sehr trüben, Shina“, fügte er an und Conan wich daraufhin seinem Blick aus, um aus dem Fenster zu sehen.

„Je nachdem, wie stark die Nerven der Personen sind“, ließ sie kein bisschen durchblicken, um welche Art von Informationen es sich handelte. Ihr Blick fiel auf Conan. „Es geht vor allem um meinen jüngeren Bruder, Shinichi.“

„Er ist lange verschwunden…“, kam von Takeshi in einem nachdenklichen Ton, der aber keine endgültige Entscheidung durchklingen ließ. „Allerdings warst du sehr viel länger verschwunden und wurdest für tot erklärt – dein Bruder ist aber am Leben, nicht wahr? Er ist nicht tot. Jedenfalls glaube ich das nicht.“

„Nein, er ist nicht tot, Takeshi – allerdings ist sein Zustand sehr fraglich, wie bei so manch anderer Person auch“, verriet die Detektivin und besah erneut Conan, der konsequent den Blickkontakt mied. Miwako schaltete sich daraufhin ein. „Ich habe diese Geschichten sowieso nie geglaubt, außerdem kursieren die wildesten Geschichten im Internet – ich habe davon mitbekommen. Jedesmal, kaum dass diese News auftauchen, verschwinden sie sofort wieder, als wenn jemand dafür sorgt.“

„Megure hat viel von deinem Bruder gehalten, Shina“, meinte jetzt Wataru bedrückt, „er sagt manchmal, er wünsch sich, er würde öfter mal auftauchen und nicht immer sagen, dass man die Sache geheim halten muss.“

„Das hat gewiss Gründe, dass er es geheim hält, nicht wahr? Ich will auch nicht um den heißen Brei reden, das ist nicht meine Art. Diese Organisation ist auf ihn aufmerksam geworden, so ist es doch, oder?“

Nun wurde Conans Körper steifer und seine Hände zitterten leicht auf seinem Schoß, obwohl er sonst nicht so ängstlich war, hatte die Stimme des Polizeipräsidenten sehr verheißungsvoll geklungen, was auch nicht besser wurde, da er seinen Blick auf sich spürte.

„Von Ryochi weiß ich, dass es nicht das erste Mal ist, dass sie auf einen brillanten Detektiv aufmerksam werden, ihn wollten sie sich ja auch schnappen.“

„Dieser Junge…“ Beim Angesprochen werden zitterte er merklich noch etwas mehr. „Er ist Shinichi Kudô.“ Takeshi sagte es ruhig, als wäre das nichts Weltbewegendes – also wusste er definitiv mehr – von wegen die wussten von nichts. Ai behauptete das zwar immer, aber er hatte es sowieso nie geglaubt, dass die Polizei vollkommen unwissend war.

Im Gegensatz zu Takeshi waren Wataru und Miwako schockiert – beide sprangen auf. „Das kann nicht sein! Wie soll das denn möglich sein? Das geht nicht!“ Das war die typische Reaktion von Menschen, wenn sie von seinem Schicksal erfuhren…

„Doch, leider geht das. Also hat dieses Gift, dieses Teufelszeug wieder zugeschlagen“, gab der weise Schwarzhaarige seine Kenntnisse preis und wurde mit einem Nicken von Shina bestätigt.

„Du bist Kudô! Du bist es wirklich!“ Wataru war total aus dem Häuschen – Miwako beobachtete ihn, wie er freudestrahlend auf den Jungen zuging – dieses Märchen einfach so glaubte… Die Kriminalistin war nicht so leichtgläubig.

„Lustige Geschichte – aber so ein Gift existiert nicht, das grenzt an Hokuspokus. An derlei Unfug glaube ich nicht.“

„Doch, Miwako, es funktioniert. Es existieren ein paar lebende Exemplare, die beweisen, dass dieser Hokuspokus, wie du ihn nennst, tatsächlich funktionieren kann. Natürlich existieren auch jede Menge Fehlschläge, wie das eben ist bei Forschungen. Es werde jede Menge Experimente gemacht und erst einmal geht alles schief.“

Die Kriminalistin sah zu dem Jungen und gab ja zu, dass er ihm ähnelte wie ein kleiner Bruder, aber deswegen glaubte sie das noch nicht alles.

„Diese Geschichte darf nicht nach außen dringen, Takagi – Satô – ich baue auf Ihre  Verschwiegenheit. Es hängt viel davon ab.“ Takeshi war eingeweiht, so viel war klar – fast schon ernüchternd, weshalb Conan nun aufseufzte. „Ich muss zugeben, dass ich ganz schön angespannt bin, gerade weil so viel davon abhängt. Die Wissenschaftlerin, die dieses Zeug weiterentwickelt hat, ist nebenan bei einem Nachbarn untergebracht, wo sie sich versteckt.“

„Vor den Leuten, die zu dieser Organisation gehören…“, murmelte Wataru und machte damit Miwako sehr hellhörig. „Was weißt du denn davon? Und warum weiß ich nichts davon?“

„So viel weiß ich nicht über die Sache“, verteidigte sich Wataru, ihr schien es aber nicht so.

„Wie viele Dinge willst du mir noch verschweigen? Das mit deinem Vater war da ja auch noch. Vertraust du mir nicht?“

Takeshi sah sich genötigt einzugreifen. „Das ist bestimmt nicht der Grund!“

Ihr Blick schweifte zu ihrem Chef, woraufhin sie sich beruhigte – aber eher aus Respekt vor ihm. Dieses Gefecht war noch lange nicht ausgetragen.

„Miwako – die meisten Leute verschweigen diese Sache mit Grund. Es handelt sich um eine weit verstrickte Verbrecherorganisation. Wenn die falschen Leute Wind davon bekommen, ist das Leben von so mancher Person in Gefahr. Wataru schweigt also zu deinem Besten.“

„Wir sind Polizisten! Unser Leben ist ständig in Gefahr!“ meinte die Polizistin tapfer, aber trotz allem hatte Shina Recht.

„Mein Vater gehört zu ihnen“, sagte Wataru wie in Trance und starrte dabei zu Boden, dabei merkte man, welcher Horror von ihm Besitz ergriff, wenn er an seinen eigenen Vater dachte. „Wahrscheinlich gehört er schon sehr lange zu ihnen, denn soweit ich zurückdenken kann, war er schon immer in schmutzige Geschäfte verwickelt… Ich wusste damals nicht, welcher Art sie waren, aber dass sie existierten, wusste ich.“

„Aber das ist nicht alles, Takagi-san“, meinte Takeshi und holte einmal Luft, als wollte er nun so richtig ausholen. „Sêiichîs Mutter führte eine Beziehung mit Ihrem Vater, aus welcher der ältere Bruder von Sêiichî entsprungen ist. Er ist seinem Vater in diese Welt gefolgt – aus freien Stücken. Er ist ihm auch sehr ähnlich, möchte man meinen. Nachdem er damals die Freundin von Sêiichî angefallen hat, wurde er zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Diese Organisation hat es geschafft, ihn von seiner Strafe frühzeitig zu erlösen – keiner konnte etwas dagegen tun. Daraufhin ist er untergetaucht – wahrscheinlich auch in diese Organisation. Sie kennen Mittel und Wege Menschen einfach so verschwinden zu lassen. Derartiges ist auch mit Sêiichîs Eltern damals passiert, die übrigens Wissenschaftler waren“, meinte er, „damals haben wir Sêiichî zu uns genommen, weil er noch ein kleiner Junge gewesen ist. Wir haben ihn wie unser eigenes Kind behandelt und wollten ihn sogar adoptieren, aber dagegen hatte seine Mutter entschieden etwas. Tze – es war nicht die einzige Sache, die ihr nicht passte. Zum Beispiel die Liebe von Takagis Vater für eine andere Frau. Sie würde wahrscheinlich sagen, dass man ihn ihr weggenommen hat. Andauernd hat man ihr etwas weggenommen – dieser armen Frau. Sie ist verrückt, das steht fest. Wie verrückt sie ist, habe ich erst erfahren. Darauf möchte ich jetzt aber nicht weiter eingehen, das tut nichts zur Sache. Fakt ist, dass Sêiichîs Eltern eng mit einer Familie namens Miyano zusammen gearbeitet haben. Diese Familienmitglieder sind die Urübeltäter dieses Giftes, was Menschen – so sagen sie – ewiges Leben schenken kann, natürlich ist das wie bei jeder Arznei mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden. Wie hoch dieses Risiko ist, ist kaum einzuschätzen… Die meisten Fälle enden tödlich – so ist es doch, nicht wahr, Shina?“

Die Angesprochene nickte. „Watarus Vater ist auch nicht 45 Jahre alt, sondern 55. Er bekam dieses Teufelszeug nämlich ebenfalls, um sein Leben etwas länger zu genießen. Diese Sache ist sehr gefährlich, das hat man den Versuchsopfern natürlich nicht gesagt. Man versprach ihnen gleich ewiges Leben oder schob es ihnen als Notfallmedikation unter… Je nachdem, wie diese Personen gestrickt waren, verteufelten sie es nämlich entweder, oder hätten sich auf dieses Risiko nur ungern eingelassen. Watarus Vater will ja nicht sterben. Davor hat er mit am meisten Angst. Vor dem Altwerden und dem Sterben.“

„Das ist ja auch eine Sache, vor der man sich fürchten kann, finde ich“, meinte Miwako, wagte aber noch nicht so wirklich, sich ein Urteil über das eben Erfahrene zu erlauben.

„Ist Shinichi also auf der Flucht vor den Übeltätern, weil er befürchten müsste, für ihre Experimente eingespannt zu werden?“

„Das sollte er wohl besser sein“, kam von Shina mit einem Seufzen, dabei sah sie ihren Bruder nicht an, „ich denke aber, er will ihnen lieber auf die Schliche kommen und ihnen den Gar ausmachen. Dabei wird er von seiner Leidensgenossin beeinflusst.“

„Ich werde überhaupt nicht-“

„Oh doch, das wirst du! Du willst es nur nicht wahrhaben!“ Shina wurde allmählich ein wenig sauer und warf ihrem Bruder jetzt einen wütenden Blick zu. „Ist es nicht so, dass sie ihre Pillchen an dir ausprobiert? Und nun leugne nicht! Wie sonst sollte es dir möglich sein, als Shinichi Kudô zurückzukehren und dann ebenso schnell wieder zu verschwinden? Also erzähl mir nicht, dass sie dich nicht für ihre Zwecke missbraucht!“

Es war eine andere Art, die Dinge zu sehen – Conan zählte Ai nun einmal zu seinen Freunden, daher konnte er wohl überhaupt nicht verstehen, wie man so von ihr sprechen konnte.

„Oh man – kannst du aufhören, so von ihr zu sprechen – sie wurde zu all dem gezwungen! Als sie sich weigerte, wurde sie eingesperrt!“ verteidigte Conan das kleine Mädchen.

„Wer ist diese Person, Shina?“ fragte Miwako neugierig und konnte sich teils noch ziemlich gut daran erinnern, dass zuerst Conan aufgetaucht war, dann eine weitere Person – einfach so aufgetaucht, keine Eltern, nichts. Das fand sie damals schon sehr mysteriös. „Ist das Ai Haibara?“

„Bingo – die kleine Hexe ist eine gnadenlose Schauspielerin – finde ich jedenfalls. Mein werter Bruder kauft ihr wohl ihre Geschichten noch ab – stimmt’s, oder habe ich recht, du Meisterdetektiv?“

Ihn vor dem Polizeipräsidenten so zu behandeln – was fiel ihr eigentlich ein? Wo war sie denn all die Jahre? Tauchte hier wieder auf und wusste alles besser – man sah ihm die Gedanken an, da er jetzt die Arme verschränkte und bockig den Kopf zur Seite drehte.

„Es ist meine Sache, ob ich ihr vertraue oder nicht!“

„Ja, ist es, du Besserwisser! Manchmal kann der erste Eindruck aber täuschen. Selbst, wenn ich dir Genaueres erzählen würde, willst du ja doch das glauben, was du für richtig hältst! Also lass ich es besser bleiben. Du wirst mir ja doch widersprechen, was sie angeht.“

Dieses Spiel konnten auch zwei spielen, deswegen verschränkte die Detektivin jetzt ebenfalls die Hände. „Man könnte meinen dieses Mittel bewirkt, dass man auch mental zum Knirps wird, aber das ist leider nicht der Fall. Dann wäre die ganze Sache nicht ganz so schlimm für ihn.“ Man konnte meinen, dass Shina das Verhalten ihres Bruders damit sogar verteidigen wollte.

Takeshi fühlte sich durch den Jungen leider daran erinnert, wie Sêiichî sich manchmal verhielt und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. „Ich halte es nicht immer für schlecht, wenn man zu seinen Freunden hält. Das tut er ja – solange sie ihn nicht enttäuscht…“ Es lag ein aufrichtiges Lächeln in seinem Gesicht. „Sei nicht zu sauer, immerhin will dich deine Schwester nur beschützen. Zwar bist du noch genauso schlau, wie vorher, aber du hast ein Handicap – dein Alter. Du wärst diesen Leuten noch mehr ausgeliefert, als mein Sohn Ryochi es vor knapp acht Jahren war. Ich bezweifle stark, dass sie dich umbringen würden. Laut Sêiichîs Freundin ist diese Organisation immer an Kindern interessiert, mehr als alles andere… Weil man sie leicht beeinflussen und für seine Zwecke einspannen kann. Ich kann nicht gerade sagen, dass mich das wenig kümmert. Mich nimmt das eigentlich sogar sehr mit, deswegen will ich alles dafür tun, dass diese Organisation dem Erdboden gleich gemacht wird – da bin ich auch nicht die einzige Person.“

„Sie entführen Kinder? Einfach so?“ fragte nun Miwako mit einem leicht deprimierten Gesicht, woraufhin Shina die Augen niederschlug.

„Das tun sie mit Freuden, ja. Ich bin an sie geraten, weil ich mich nun einmal auf Vermisstenfälle spezialisiere. Da musste ich denen ja begegnen.“

„Schrecklich“, durchfuhr es die Kriminalistin, woraufhin Wataru nun seufzte.

„Meine Schwester wollte man auch schon holen, nicht nur einmal…“

„Und ich habe von all dem nichts mitbekommen. Unglaublich. Wenn sie wirklich so interessiert an Kindern sind, muss Riina ja noch jünger gewesen sein – sprich es muss Jahre her sein.“ Conan sagte das alles sehr nachdenklich und blickte dabei in Watarus Richtung.

„Das erste Mal wollte er sie mitnehmen, da war sie knapp 12. Von ganz anderen Sachen, die er wollte, ganz zu schweigen. Es ist ein Thema, was mich immer wieder erschüttert. Mein Vater mag nämlich Kinder auch unheimlich gern. Allerdings mag er vorwiegend Mädchen, Miwako. Über diese Person rede ich nur sehr ungern, aber du würdest es ja sowieso erfahren. Ich will auch, dass dieser Verbrecherring verschwindet – zusammen mit all seinen Mitgliedern.“

„Wie ist eigentlich Ihre Verbindung zu Chris Vineyard?“ wollte jetzt Conan wissen, weil es ihn einfach interessierte. Als er diese Frage stellte, beobachtete Shina ihn. Wenn er schlau war, dann würde er jetzt nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Sie blickte von Conan zu Takeshi, dabei ließ sie ihre Augen hin und her schweifen, um keine der Mimiken von beiden Personen zu versäumen. Dabei bemerkte sie die leichte Verblüffung von Takeshi Akaja, der einen fast schon anstachelnden Blick von seinem Sohn kassierte. „Am besten erzählst du ihm gleich die ganze Geschichte, Vater“, meinte Ryochi. „Er brennt sie zu erfahren – schon die ganze Zeit. Du weißt ja, wie das ist. Kinder hier und da und sie nicht weit.“

Man konnte diese Aussage ziemlich weit auslegen, obwohl sie keineswegs so böse gemeint war, wie sie für Conan offensichtlich klang.

„Was soll das denn für eine Frage sein, Junge?“ funkte ihm Miwako dazwischen, immerhin redeten sie gerade von Watarus Vater – dieser hatte etwas Grauenvolles angedeutet und dann so eine belanglose Frage.

„Diese Frau scheint es ihm richtig angetan zu haben“, amüsierte sich Takeshi über die Frage, allerdings war das nur wieder der berüchtigte Schalk im Nacken, den ihm seine Frau immer nachsagte.

„Nicht so sehr, wie Sêiichî“, fügte Ryochi an, der nur wissend lächelte. „Conan kann sie nicht leiden. Wobei ich sagen muss, dass sie oft falsch verstanden wird… Dagegen tut sie auch nicht wirklich etwas, das lässt sie so stehen – nach dem Motto: wer nicht will, der hat schon.“

„Ach herrje, diese Frau“, seufzte Takeshi und griff sich dabei an die Stirn. „Die ganze Geschichte? Wirklich? Um Himmels Willen, das würde seine Welt ordentlich erschüttern.“

„Ich kann einiges vertragen!“ kam von Shinichi etwas lauter – der Junge war anscheinend wirklich davon überzeugt, dass kein Fall ihn je schockieren könnte…

Wissbegierige blaue Augen blickten in die grünen Augen von Ryochis Vater, der sich mit einem kleinen Seufzen geschlagen geben wollte. „Dabei kann ich aber nur das erzählen, was ich weiß. Sêiichî könnte vielleicht noch so manches erzählen. Mein Sohn ist immerhin mit dieser Frau zusammen und würde sie gerne in diesem Leben noch heiraten können. Was aber alleine schon sehr schwierig gestaltet, weil nicht nur eine Person innerhalb dieser Organisation davon nicht so begeistert wäre. Mehrere Personen würden ihn gerne umbringen dafür.“

„Unfassbar – ich hoffe doch, dass diese Frau Ihren Sohn darüber aufgeklärt hat, wie gefährlich es ist…“ Dass Chris gerne redete, konnte man nicht meinen – aber er bezweifelte, dass Ryochis Vater Sêiichî nicht schon alles erzählt hatte – oder?

„Wollen Sie Ihren Sohn nicht vor seinem Verderben retten? Sie können doch nicht einfach dabei zusehen.“ Conan sagte sich, er musste ruhig bleiben, obwohl er am liebsten tausend Flüche losgeworden wäre. Es war gruselig, dennoch wollte er weiteres erfahren – er wollte die Wahrheit – wenn schon – genau kennen. „Ich meine, mehrere Menschen würden ihn dafür umbringen wollen… Entschuldigen Sie – das können Sie nicht einfach so geschehen lassen… Außerdem ist diese Frau nicht gerade die beste Partie für einen Mann, der bei der Polizei arbeitet. Was, wenn sie seine Verbindungen nur benutzt?“

„Herrje – was ist bloß los mit dir? Hast du verlernt, das Gute im Menschen zu sehen?“ fragte Shina, die nun sich die Frechheit erlaubte, von ihrem Platz aufzustehen und zum Fenster zu gehen. Sie blickte hinaus – es überkam sie eine schreckliche Erkenntnis – gerade in diesem Moment fragte sie sich, inwiefern sie sich dabei wohl fühlte, wenn man so schlecht von ihr dachte… Sie selbst hatte auch sehr schlecht von ihr gedacht, war dann aber eines Besseren gelehrt worden. Shina wollte nicht, dass Conan ein ähnliches Schicksal ereilte und sie am Ende dafür ihr Leben ließ – das nächste Mal hatte sie vielleicht weniger Glück…

Shina wurde von einigen Personen auch nicht gemocht – in deren Augen war sie eine Heuchlerin und gar nicht so ein guter Mensch, wie sie immer tat. Sie wusste, wie der Hass solcher Personen sie leitete – Shinichi sollte nicht auch so ein Mensch werden. So ein Mensch wie ihre Cousine. Für die Sache in Amerika hätte ihre eigene Cousine Shina ermordet… Wenn sie das mitbekommen hätte. Leider – mehr zum Glück für Shina – war sie zu dem Zeitpunkt weit weg.

„Nur, weil es da durchgeknallte Personen gibt, die Sêiichî dafür töten würden, soll ich ihm verbieten, eine Frau zu lieben? Der junge Mann weiß ganz genau, worauf er sich da eingelassen hat, da muss man ihm nicht noch eine Predigt halten. Außerdem bin ich sehr stolz auf ihn. Weil er die Person beschützt, die ihm am meisten bedeutet. Was auch immer du erlebt hast, um so schlecht von ihr zu denken, du willst die Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass zwei meiner Kinder vor dem sicheren Tod bewahrt wurden, als ein Killer aus der Organisation sich an den Beiden zu schaffen machen wollte. Der Mann war Takagis Vater und er hat Sêiichî damals mehrfach angeschossen, so dass er von großem Glück reden kann, noch hier zu sein.“  Takeshi wollte dem Jungen nichts einreden, aber er sollte wenigstens die Fakten kennen. „Sie ist gekommen, um Takagi daran zu hindern. Dafür hat sie sich mit diesem Mistkerl angelegt. Hätte sie das nicht getan, wäre Sêiichî tot. Damals hat er immer wieder gesagt, dass er einen Schutzengel hatte und es sei Schicksal, dass sie sich begegnet sind. Wie man’s nimmt, ein bisschen Wahrheit ist wohl dran. Sêiichî hat noch nie eine Gefahr gescheut, deswegen ist er heute bei der Polizei – damals war er davon überzeugt, er muss seine Retterin finden. Ich würde meinen, die Drohung hat er zumindest wahrgemacht.“

„Also wissen Sie auch, dass Chris Vineyard ein Mitglied dieser Organisation ist, richtig? Aber, aber… wenn das so ist, dann verstehe ich erstrecht nicht, wieso Sie…“ Der kleine Shinichi verstummte, er wusste ja selbst schon nicht mehr, was er denken sollte.

„Meine Mutter hat auch schon ganz merkwürdige Fragen gestellt, Shinichi“, sagte Shina, die weiterhin am Fenster stand, also keinem der Anwesenden das Gesicht zuwendete. „Hat sie dir diese Fragen nicht auch gestellt, nachdem du ihr offenbart hattest, dass ein Mitglied der Organisation eine Freundin von ihr ist? Hat sie dann nicht auch gesagt, sie kann sich das nicht vorstellen? Garantiert hat sie das. Denn es ist nur sehr schwer zu begreifen, warum sie in diesem Nest sitzt. Warum jemand, der eigentlich den Durst nach Gerechtigkeit hat, Ungerechtigkeiten toleriert und dabei zusieht. Wahrscheinlich ist die Freundin unserer Mutter auch schon mächtig sauer deswegen, weil ihr Schauspiel aufgeflogen ist. Sie wollte nie etwas so Grausames, Schlechtes tun. Dafür hat sie ihre Tochter geschickt. Wenn überhaupt. Oder irgendwen anders, der ihr gerade einfiel, als den sie sich verkleiden konnte. Nach außen hin wirkt das vielleicht, als würde sie ihre Verkleidungskünste dazu nutzen, ungestraft Böses zu tun. Aber im Grunde macht ihr das überhaupt keinen Spaß. Aber sie kann nicht einfach damit aufhören, dafür sitzt sie viel zu tief in der Scheiße!“ Man war es nicht gewohnt, von Shina solche Worte zu hören, aber es gab leider keinen passenderen Ausdruck, als dieses Wort.

„Sêiichî legt die Hand nicht für ihre Vergangenheit ins Feuer, denn sie hat bestimmt Dinge getan, die nicht so sauber waren – aus weniger edlen Gründen, denn sie hat etwas genannt Gewissen, was sich gerne mal meldet, so sagt er. Aber mittlerweile muss man sie schon dazu zwingen, dass sie aktiv wird. Es ist nicht klar, ob sie immer gezwungen wurde oder nicht – das tut aber nichts zur Sache, denn Menschen tun merkwürdige Sachen, wenn sie sich gezwungen fühlen etwas zu tun. Etwas zu unternehmen. Jetzt spielt sie gerne die Heldin und man muss aufpassen, dass sie sich damit nicht ihr eigenes Grab schaufelt. Man kann allerdings aufatmen – der Drahtzieher selbst würde ihr nichts antun, da müsste sie schon ziemlich viel Mist bauen, dass er so weit ginge. Takagi wird auch nicht wirklich viel tun – höchstens würde ihm die Hutschnur platzen, wenn er das mit Sêiichî wüsste. Man kann beinahe behaupten, dass Chris das köstlich amüsiert, weil es ausgerechnet ein Polizist ist. Die Polizei ist nun einmal der Feind der Organisation. Die Frau ist ganz schön gehässig gegenüber ihrem Arbeitgeber, das lässt für mich nur einen Schluss zu…“

Infiltration Teil 3 - The truth among lies

„… Dass sie Sharon Vineyard ist und weder den Boss, noch meinen Vater leiden kann“, beendete Wataru den Satz von Takeshi. Es war unverschämt, das wusste er, deswegen sah er den Polizeipräsidenten entschuldigend an, aber er konnte einfach nicht an sich halten und musste es sagen. Sofort richteten sich alle Blicke auf den Kriminalisten – keiner kam umhin, ihm seine Aufmerksamkeit zu schenken.

„Du überraschst mich immer wieder, mein Lieber“, meinte Shina grinsend, aber auch ein wenig stolz wirkend. „Wieso glaubst du, dass sie Sharon Vineyard ist?“

Auch Takeshis Blick ruhte auf dem jungen Mann, dabei wirkte er nicht, als wenn ihn die Aussage allzu sehr überraschen konnte, was Ryochi auffiel – er fragte sich, ob Sêiichî auch so ruhig geblieben wäre…

„Weil sie zu Miwako gesagt hat, sie hätte Probleme mit meinem Vater, der aber eine Art Besessenheit an Sharon an den Tag gelegt hat. Außerdem habe ich sie getroffen. Ich könnte schwören, dass Chris und Sharon dieselbe Person sind. So ähnlich kann man seiner Mutter nicht sein.“

„Und, wollen Sie Ihrem Sohn unter den Umständen immer noch Ihren Segen geben, Akaja-san?“

Conan war ziemlich gehässig, das sollte man ihm aberziehen, fand Takeshi, weshalb er nun bestimmt nicht das antwortete, was der Junge von ihm erwartete. „Wir sprachen von diesem Gift, was Menschen tötet, oder verjüngen kann, so wie dich, Shinichi Kudô“, begann der Schwarzhaarige, dabei sah er ihm eindringlich in die Augen. „Sharon wurde nichts geschenkt im Leben. Sêiichîs Mutter hat sie aus ihrer Familie versucht rauszuhalten, aus reiner Gehässigkeit. Kinder hatte sie nie welche, weil sie wegen Keichiro Takagi in diese Sache geraten ist und es besser für alle gewesen ist, dass sie keine Kinder in die Welt gesetzt hat. Sie hat lange gewartet, um ihr – ihrer Meinung nach – armseliges Leben zu beenden. Zwar hatte sie noch vieles vor, aber sie hat sich entschieden, besser zu gehen. Damit hat sie ihren Verehrer sehr wütend gemacht. Unter Chris Vineyard hat sie versucht ihre Ziele zu erreichen, die ihr als Sharon unerreichbar schienen. Sie versucht ein neues Leben anzufangen. Nachdem ihr vor etwas mehr als eineinhalb Jahren die Augen geöffnet wurden. Findest du nicht, Junge, man sollte ihr diesen Wunsch lassen? Der Wunsch nach einem neuen, zufriedenen Leben, darauf wartet sie seit so langer Zeit. Ich wäre ein Unmensch, wenn ich ihr das missgönnen würde. Sie hat dieses Teufelszeug zu sich genommen – mehr unfreiwillig und empfand es als Fluch. Viele Jahre lang, dann hat sie Sêiichî getroffen. Das ist so etwas wie ein Licht am Ende des Tunnels, denn er liebt sie wirklich. Ich will mir nicht ausmalen, was passiert, wenn ihm etwas Schlimmes zustoßen würde. Die Person, die ihn seines Lebens beraubt, würde auch nicht mehr lange haben, schätze ich. Es gibt Schlimmeres als ihr Alter. Darauf hast du doch abgezielt, Shinichi, nicht wahr? Selbst wenn sie 80 wäre, solange beide sich lieben, sollte es mir egal sein. Manchmal kann man sich eben einfach nicht aussuchen, in wen man sich verliebt. Und nun will ich nicht weiter auf diesem Thema herumreiten.“ Bestimmt gefiel dem Jungen diese Antwort kein bisschen. ‚Meine Frau hat Chris bereits ins Herz geschlossenSie ist sogar ziemlich amüsiert darüber, was diese Frau mit Sêiichî anstellen kann und damit durchkommt. Das, was keine Frau dieser Welt bisher geschafft hat. Sie bemüht sich seit langer Zeit, dass es Sêiichî gut geht. Dafür schürt sie den Hass zu seiner richtigen Mutter ganz gewaltig… Seine richtige Mutter sollte man schnellstmöglich aus dem Verkehr ziehen. Sie wäre die erste, die beiden ihr Glück kaputtmacht. In der Sache sind wir uns einig, er darf es nie erfahren… Ich werde mein Möglichstes tun, um das zu verhindern, Akiko ebenfalls.’

„Verrückte Geschichte“, meinte Miwako und griff sich an den Kopf, der ihr bereits schwirrte. So etwas sollte funktionieren. „Schon irgendwie merkwürdig, dass sie jetzt das Leben ihrer Tochter führt. Aber anscheinend hat sie das auch nicht vor dem Typen gerettet.“

„Bestimmt weiß der Kerl es längst, wer sie wirklich ist“, meinte Shina, „Menschen, die so besessen sind, merken so etwas äußerst schnell. Es würde mit dem Teufel zugehen, wenn er es nicht bemerkt hätte. Obwohl sie sich große Mühe darin gibt, ein richtiges Miststück zu sein und total anders als Sharon, es gibt Momente, da kann sie nicht verbergen, wer sie wirklich ist. Das würde meine Mutter so auch behaupten. Vor ihr kann sie nämlich auch nicht komplett in die Trickkiste greifen, weil es sie emotional beeinflusst, dass die Beiden eben befreundet waren.“ Shina blickte zu ihrem Bruder, nachdem sie das gesagt hatte – gerade war sie unschlüssig, wie sich Takeshis Worte auf ihn auswirkten. „Ich verstehe sie nicht“, kam schließlich. „Ich will nicht so bleiben, wie ich jetzt bin. Die Vorstellung ist grausam… Sie kann es wohl nur genießen, weil sie so viel älter ist, als ich.“

„Sie versucht nachzuholen, was sie versäumt hat, schätze ich“, fügte Ryochi an – er kannte Chris, hatte sie live erlebt. Kein Mensch würde merken, wie alt sie wirklich war – was sollte es ihn also so erschüttern? Sêiichî liebte ja schließlich auch das, was sie ihm vorlebte, er kannte sie nicht anders. Kurz tauschte er einen Blick mit Shina aus und sie bemerkte sofort, dass er sich fragte, inwieweit Sêiichî wusste, wer sie war. Sie schwieg dazu besser. Sêiichî war nicht blind und auch nicht dumm… Er würde diese Frau aber wohl nie in die Verlegenheit bringen, sie auf die Sache anzusprechen, dafür war er zu sensibel.

„Wenn diese Frau nur halb so böse ist, wie sie immer tut – darauf würde meine Mutter schwören, Sharon sei keine schlechte Person, auch jetzt noch… Wieso zum Teufel jagt sie Haibara so große Angst ein? Diese Frage stelle ich mir schon ziemlich lange. Deswegen fällt es mir so schwer, an das gute Herz dieser Frau zu glauben… Sie ist perfekt in ihrem Schauspiel, also ist eigentlich auch möglich, dass sie vieles nur spielt. Man weiß jedoch nie, was genau sie spielt…“

Shina schloss die Augen. „Tja – Schauspielerin hin oder her, auch deine kleine Freundin beherrscht zu lügen. Schon mal dran gedacht, dass sie ihre Angst nur vortäuscht? Selbst, wenn nicht, sie hat bestimmt Gründe, Chris zu fürchten. Sie kennt diese Frau besser, als du vielleicht glaubst. Wenn du sie direkt fragst, wird sie sich entscheiden zu schweigen und sagen, dass sie dich nicht in Gefahr bringen will. Dabei ist sie die größte Gefahr für dich… Nicht Vermouth… Denn Gin…“ Shina stoppte, denn sie überlegte, wie sie es am besten ausdrückte. „Gin ist hinter Sherry her, wie der Teufel. Solange sie bei dir ist, Shinichi, bringt dich das in Lebensgefahr. Wenn er euch beide zusammen sehen würde, war’s das mit seinem Verstand. Wobei der sowieso nie präsent ist, wenn es darum geht, zu entscheiden, ob eine Person am Leben bleiben soll – er entscheidet in der Regel lieber das Gegenteil. Dich würde er bestimmt erstmal quälen – du hast ihm seine Sherryweggenommen.“

Conan wurde blass, der Schweiß begann ihm übers Gesicht zu rennen. Er hatte einmal in die eiskalten Augen von Gin gesehen und wusste seit diesem Moment, dass er eiskalt und skrupellos war.

„Seine… Sherry…?“ Die Worte schienen dem Kleinen nicht besonders in den Kram zu passen, weil sich ihm sofort alle möglichen Bilder im Kopf auftaten…

 

„Are you surprised to see me, little girl?” sprach sie eine tiefe Stimme an, die ebenso bedrohlich wirken konnte, je nachdem in welcher Beziehung man zu dieser stand.

Die Kleine wirkte, als sah sie ein Schreckgespenst, was jetzt aus einem Traum entfleucht war, um sie hier heimzusuchen. Ihr Herz raste und sie wollte instinktiv einen Schritt rückwärts, wobei sie gegen den rundlichen Bauch des Professors stieß. Dieser bemerkte das Zittern, da er sie intuitiv festhielt. Dass der Mann jetzt Englisch sprach, wunderte Agasa zwar, aber er wirkte auf ihn nicht gefährlich. Manchmal war er auch einfach zu einfältig und leichtgläubig – dann mussten Shinichi und Shiho ihn meistens aufklären, doch gerade war der kleinen Sherry der Atem im Rachen steckengeblieben und sie konnte erst einmal nichts erwidern, da sie noch immer wie schockgefrostet in die Augen des Polizisten starrte.

„Der ist kein Polizist“, wisperte sie leise nach einer Weile. „Gehen Sie zurück ins Labor… Damit haben Sie nichts zu tun.“ Sie wollte nicht, dass er hörte, was sie sich zu sagen hatten… obwohl sie so tat, als ginge eine Gefahr von dem Kerl aus. „Er ist einer von denen.“

Doch damit erreichte er das Gegenteil – sie erweckte den Beschützerinstinkt des Älteren, der sie nun noch fester hielt und dem Kerl mit einem widerspenstigen Blick begegnete.

„What do you want?“ Gerade wirkte ihm der Mann noch nicht gefährlich, er hatte noch nicht einmal eine Pistole gezogen, was schon eher nach denen aussehen würde… Instinktiv dachte er an Vermouth, die ihnen einen Besuch abstattete, immerhin hatte er Englisch gesprochen. Der Professor versuchte keine Angst zu zeigen, denn Conan hatte ihm erzählt, sie würde es nicht wagen, auf einen von ihnen zu schießen, wenn es nicht sein musste, deswegen schob er die kleine Sherry hinter sich und stellte sich dem Schwarzhaarigen entgegen.

„Nothing – especially not from you. I want to ask the little girl a few questions – nothing more, really.”

„But I have nothing to talk about”, kam aus dem Hintergrund von Ai, weshalb sich jetzt ein kleines Grinsen im Gesicht des Schwarzhaarigen bildete. „That’s nothing you decide!“ fauchte die schwarz-weiß gekleidete Person den Beiden entgegen, fügte dann aber mit einem heimtückischen Unterton an: „Ich verspreche Ihnen, dass weder Ihnen, noch der Kleinen etwas geschieht, wenn sie beide meinen Anforderungen genügen. Seien Sie also vernünftig, Professor.“

„Warum sollte ich auf Ihr Wort vertrauen?“ hinterfragte der Angesprochene skeptisch, dabei blitzten die Augen des Schwarzhaarigen gefährlich auf.

„Weil Ihnen keine andere Wahl bleibt. Außerdem ist die Polizei der Freund und Helfer der Menschen, nicht wahr? Ich habe Ihnen meinen Dienstausweis gezeigt. Ist das nicht Grund genug, mir zu vertrauen?“

„Wir kennen Sie nicht und bitten Sie jetzt das Haus zu verlassen.“

„Oh, wirklich? Dabei haben Sie wirklich nichts zu befürchten. Nur, weil die Göre mir misstraut, wollen Sie einen freundlichen Polizisten des Hauses verweisen?“

Es war eine Fangfrage und die kam auch nicht gerade wenig stichelnd – bisher hatte der Kerl aber nichts gesagt, was Sherry redselig machen würde. Sie schwieg weiter und der Professor versuchte sie zu beschützen. Es war eine Sache der Höflichkeit der Polizei zu helfen, so war das eben in Japan, aber er musste doch darauf vertrauen, dass Ai die Wahrheit sagte. Manchmal konnte man aber nicht mit Sicherheit sagen, dass das der Fall war, das hatte der Mann auch schon mitbekommen.

„Belmot hat versprochen, dass sie uns in Ruhe lässt. Nun schickt sie dich hierher. Meinst du, ich weiß nicht, dass du für sie arbeitest?“ entgegnete Ai. „Dir kann man nicht trauen – auch deiner Dienstmarke nicht. Wer weiß, ob die echt ist? Die gute Belmot ist bekannt dafür, Ausweispapiere und dergleichen zu fälschen. Wer sagt also, dass du wirklich zur Polizei gehörst?“

„Du strapazierst meine Geduld, Kleine. Außerdem arbeite ich nicht für irgendwen. Wovor hast du eigentlich wirklich Angst? Wirklich vor mir? Vor der besagten Belmot oder eher vor dir selber? Machen wir uns doch nichts vor, du hast Angst, dass ich vielleicht Dinge über dich wissen könnte, die deinem Ansehen schaden könnten – ist es nicht so? Nun sei ein liebes Mädchen und unterhalte dich mit mir! Es gibt da nämlich einiges, was mich brennend interessiert. Zum Beispiel dein Wissen über die Familie Iwamoto. Ich will wissen, was du darüber weißt! ALLES!“

Ein schweres Seufzen kam von der Rotbraunhaarigen, die alles andere als gerne mit diesem Kerl redete, der dieser HEXE in den Schoß kroch, wo er nur konnte. Aber das tat er nicht nur bei dieser einen.

„Du meinst Merlot und Gotano“, entgegnete Ai und drückte sich jetzt am perplexen Agasa vorbei. „Ja, ich kenne sie.“

„Und weiter?“ fragte der Schwarzhaarige, woraufhin Sherry ihm einen kühlen Blick schenkte, als sie an ihm vorbei ging.

„Sie arbeiteten für die Organisation – zusammen mit meinen Eltern. Also zumindest Merlot war in ihre Projekte eingebunden. Merlot und Belmot haben sich gehasst, so sehr, dass sie immer wieder aneinander geraten sind. Hat dir das deine heißgeliebte Belmot etwa nicht erzählt? Wieso kommst du mit deinen Fragen zu mir? Geh doch zu deinem Miststück.“

„Für eine kleine Verräterin bist du ganz schön frech!“ kam von ihm mit einem leichten Zischen, daraufhin griff er in seine Tasche und zückte die Waffe. „Vielleicht hörst du jetzt auf mit den Frechheiten.“

Natürlich erschreckte er damit Agasa fast mehr als Sherry. Deswegen warf er diesem einen Blick zu. „Halten Sie sich da raus! Das geht nur die Kleine und mich etwas an!“

Der Professor hielt inne, hoffte aber auch, dass Ai nicht auf die Idee kam, den Kerl jetzt noch mehr zu reizen.

„Und jetzt gib mir die Antworten, die ich will! DU bist die Wissenschaftlerin, die vor der Organisation getürmt ist, nicht BELMOT, oder sonst wer! Sie hat damit nichts zu tun.“

„Oh – sie hat dich wirklich im Unklaren gelassen.“

Damit erzürnte sie den Schwarzhaarigen sichtlich, so dass dieser nun einen gefährlichen Blick im Gesicht hatte. „Scheint so, dass nicht nur meine Mutter etwas gegen sie hatte. DUbist anscheinend noch viel schlimmer.“ Der junge Mann hatte sofort bemerkt, dass sie von seinen Eltern ablenkte und viel lieber von Vermouth sprechen wollte – natürlich auf besonders liebevolle Weise, so wie man es von ihr gewohnt war.

„Dass ein Kerl, wie du, das nicht verstehen kann, ist klar. Bei dir ist alle Hoffnung verloren. Meinst du ernsthaft, ich glaube, dass du aus freien Stücken hier bist? Wegen Merlot und Gotano? Warum sollte dich das interessieren?“

„Du hattest engen Kontakt zu ihnen, daher musst du Dinge über ihre Forschungen wissen, zumal deine Mutter und Merlot gute Freunde gewesen sein sollen. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf, hat Merlot versucht Elena Miyano zu ersetzen, nachdem sie bei einem Unfall ums Leben kam. Daraufhin haben sie dich nach Amerika geschickt, damit du dort so gut ausgebildet wirst, um die Forschungen deiner Eltern weiterzuführen. Was genau haben Merlot und Gotano dann getrieben? Vorwiegend interessiert mich, welche Tätigkeiten Gotano dabei verübt hat. Sein Bereich liegt weniger in der Medizin – Merlot ist die Ärztin von Beiden. So ist es doch. Was weißt du also über Gotanos Gebiet?“

Darauf lief die Sache also hinaus – fast hatte Sherry damit gerechnet. Sie schwieg und antwortete dann: „Ich weiß es nicht.“

Seine Eingebung sagte ihm, dass dieses Kind log wie gedruckt. „Du weißt es nicht! Dann werde ich deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen…“

Die Waffe wurde mit einem Klacken geladen, dabei bekam er einen wahnsinnigen Gesichtsausdruck. „Erinnerst du dich immer noch nicht?“ fragte er heimtückisch und erinnerte das Mädchen teuflisch an diesen Abend, an dem sie zum Hafen gelaufen war und man eine Waffe haargenau so auf sie gerichtet hatte. Mit haargenau demselben perfiden Grinsen im Gesicht. Er erinnerte sie so sehr an ihre Feindin, dass sie nun zuckte und ihre Augen in grenzenloser Panik hervorstachen…

 

„Also eine sehr verschwiegene Person, dabei sagt man anderen Personen das nach – schon lachhaft.“ Was Takeshi sagte, ließ seinen Sohn aufsehen und an etwas denken, was ihn grunsätzlich beschäftigte, aber Miwako legte den typischen Detektivausdruck an den Tag und schien laut zu denken, allerdings gerade so laut, dass man es noch mitbekam, weil die anderen Personen im Raum nicht flüsterten. Ryochi zog bei ihrem gemurmelten „Sherry und Vermouth, mhm… Das sind alles Weine“ seinen Notizblock und einen Kugelschreiber aus der Tasche, wo er begann nach und nach Namen aufzulisten.

 

Mitgliedsnamen:

 

Gin (Auftragskiller unbekannter Herkunft)

Sherry (Ai Haibara / Shiho Miyano)

Belmot / Vermouth (Chris Vineyard / Sharon Vineyard)

Chardonnay (Keichiro Takagi)

Pinot (Takeshi Iwamoto / Sêiichîs und Watarus Halbbruder)

Merlot (Yohko Iwamoto / Sêiichîs leibliche Mutter)

Gotano (Kenichi Iwamoto / Sêiichîs leiblicher Vater)

Bourbon (Toru Amuro / Rei Furuya)

 

Den Zettel steckte er Miwako klammheimlich zu, was nur Shina als einzige mitbekam. Darauf wären sie noch gekommen, aber sie wusste auch, dass die Polizistin so dem Gespräch besser folgen konnte. Sie blickte auf den Zettel, dann zu dem Detektiv. Die Iwamoto-Familie gehörte also komplett zu ihnen…

Ryochi fühlte sich schon ein bisschen schlecht, weil er weder Sêiichî, noch seinen Bruder Yuichi auf die Liste gesetzt hatte. Aber sein Vater hatte nicht direkt von ihm gesprochen. Daher wäre es ihm wohl sogar nicht recht. Er wusste gerade nicht,w as sein Vater plante. Weshalb diese Besprechung stattfand – aber er glaubte, dass Shina es nicht für richtig hielt, so viele Menschen uneingeweiht zu lassen, vor allem dann nicht, wenn höchste Gefahr drohte. Sêiichî war nicht umsonst hier… Er hielt es für riesengroßen Blödsinn, dass er wegen Chris hier war. Die war schon ziemlich lange hier und auf einmal war Sêiichî auch da – wen er hätte bei seiner Freundin sein wollen, dann wäre er schon viel eher hierher gekommen.

„Dazu kommt, dass Sêiichî auch die Wahl hatte. Und er hat diese Welt gewählt, wo er bei ihr sein kann. Um sie zu unterstützen. Eigentlich will er sie aus den Fängen der Organisation befreien… Natürlich würde sie wieder behaupten, sie braucht keine Hilfe, aber er wird ihr trotzdem beistehen.“ Takeshi zuckte mit den Schultern. „Er tut nur das, was jeder Mann tun würde, um die Frau zu beschützen, die er liebt. Dafür würde er drauf gehen, wenn es sein muss. Das ist nicht schön, zu wissen, aber abhalten kann man ihn trotzdem nicht. Er hat schon mit 17 entschieden, ihr zu folgen, wo auch immer ihn der Weg hinführt und sei es die Hölle – so und nicht anders sagte er es mir. Und ja, es ist die Hölle. Die Hölle für jeden, der ein Herz besitzt. Sêiichî ist nämlich nicht der Einzige, der jemanden beschützen will. Mein Ältester ist auch diesem Verein beigetreten – um sie daran zu hindern, dass sie sich seinen kleinen Bruder schnappen. Das ist für alle von uns schlimm, aber auch wenn es so ist, wir können nur unser Bestes tun, um diejenigen zu beschützen, die uns lieb und teuer sind. Ich muss vor allem eine vorwitzige, tatkräftige Frau daran hindern, sich zu viel zuzumuten, weil sie glaubt, sie hat etwas wiedergutzumachen. Chriswill die Polizei dabei unterstützen, die Organisation zu stürzen – und unsere ebenso tatkräftige NPA leckt sich bereits die Finger…“

Während Miwako noch den Zettel las, hörte sie beiläufig zu, hob dann den Kopf. „Ihr Ältester ist diesen Leuten beigetreten? Um seinen kleinen Bruder zu beschützen? Und Sêiichî hat bitte was entschieden, als er 17 war? Ist er etwa auch… warum frage ich so etwas überhaupt? Er schnüffelt doch nicht etwa bei denen? Was sind das bloß für schreckliche Leute?“

„Dieser Verein existiert seit über 50 Jahren – behauptete so jedenfalls Chris Vineyard“, antwortete Takeshi, „und ja, beide sind Mitglieder in dieser Organisation. Mein Sohn Yuichi kooperiert mit Interpol und Sêiichî macht sein eigenes Ding – mehr oder weniger. Er wollte damals die Wahrheit herausfinden und hat sich deswegen unter sie geschmuggelt. Der Junge war schon immer ein Wildfang, wir hatten sehr viel zu tun, ihn zu bändigen.“ Seine Worte klangen nicht wütend.

„Tja, Sêiichî wollte sich höchstpersönlich bei der Frau bedanken, die ihm das Leben gerettet hat… Ganz schön dumm von ihm, weil er wohl dachte, dass er genauso schnell wieder austreten kann, wie er eingestiegen ist. Man macht Fehler, wenn man jung ist. Mittlerweile sind beide schon sehr lang unter ihnen. Manchmal würde ich gerne wissen, wie Sêiichî das mit seinem Gewissen vereinbart… Er ist bei der Polizei und gleichzeitig unter Verbrechern. Wahrscheinlich muss er sich immer wieder einreden, dass seine Mitgliedschaft auch sein Gutes hat. Zum Beispiel kann er so manche Sache verhindern – jedoch nicht alles.“ Jedenfalls war das Ryochis Vermutung. Sêiichî neigte dazu, solchen Themen lieber auszuweichen.

„Lustig, was für Märchen dir der Junge da so auftischt. Sein eigentlicher Grund für diesen Einstieg war wohl eher den Mann zu fassen, der ihn damals töten wollte… Ein kleiner Macho war er ja schon immer, da kam es ihm gelegen, dass er seine Retterin auch gleich gefunden hat.“ Seine Informationsquelle würde Takeshi nun aber nicht auch noch verraten – er wusste jedoch den wahren Grund, wie er damit verdeutlichte.

„Aber Rei Furuya ist Mitglied der Sicherheitspolizei – all seine Informationen wandern zu seinen Kollegen, richtig? Und mit wem arbeitet Iwamoto? Mit Ihnen, Akaja-san?“ fragte Miwako interessiert. Sie würde den Kerl jetzt mal netterweise nicht verteufeln, weil er so etwas machte. Zwar benahm er sich äußerst merkwürdig, aber er war gerade einmal einen Tag hier – etwas kurz für eine Beurteilung. Das fand sogar sie.

„Ja, das stimmt. Mit wem Sêiichî arbeitet? Mit keinem wirklich. Dass ich so gut bescheid weiß, hat andere Gründe. Der Junge hat den Mist, den er damals verzapft hat, natürlich nicht breitgetreten.“

Shina seufzte. „Passend zu Vermouth – sie spielt auch gern die Heldin, so wie Sêiichî den Held. Hoffen wir doch mal, dass beide dabei nicht ihr Leben lassen müssen, weil sie die Lage falsch einschätzen. Mir wird Vermouth wegen ein paar Sachen ein bisschen zu nervös… Wenn sie nicht aufpasst, wird sie noch auffliegen… Gin misstraut ihr sowieso – da hilft auch nicht, dass sie mit ihm flirtet und versucht ihn zu beeinflussen – hat noch nie sonderlich funktioniert, weil dieser Kerl die Loyalität in Person ist.“

„Nervös werden? Wie meinst du das?“ fragte nun Conan, der eine ganze Weile nur gelauscht hatte. „Was weißt du da wieder?“

„DU machst sie gern nervös, indem du losstürmst und im Alleingang handelst. Das solltest du lassen. Ich habe es dir ja schon einmal gesagt. Zum Anderen ist da unsere Mutter, die jedes Geheimnis aufdecken will, weil sie Tatsachen nicht akzeptiert. Dann sind da noch ein paar weitere Personen, die in Gefahr geraten können – dann wird sie so richtig nervös werden.“

„…Du meinst Ran. Oder? … Nein, du meinst ANGEL.“ Conan seufzte, den Namen hatte er von Amuro, er fragte sich auch immer noch, was genau es damit auf sich hatte.

„Ja, Angel zum Beispiel. Die macht Vermouth mehr als nervös, wenn sie ihre Nase irgendwo reinsteckt. Da kann sie nicht mehr klar denken. Da würde sie sogar zu Gin hinstürmen und ihn von etwas abhalten. Dann würde er sie aber postwendend erschießen. Also pass wenigstens auf Ran auf, damit sie nicht komplett durchdreht.“

„Warum nennt sie Ran Môri denn Angel?“ wollte jetzt Takeshi wissen, weil es ihn schon wunderte.

„Ihr ist etwas Ähnliches passiert wie Sêiichî – er nennt ja auch jemanden seinen Schutzengel.“

Shinichi dachte kurz darüber nach und erinnerte sich jetzt wieder, was seine Mutter Ran ausrichten sollte. „Das hat Sharon Vineyard damals gemeint, als sie unserer Mutter am Telefon mitteilte, dass es doch einen Engel für sie gibt…“

Es herrschte Schweigen für einen Moment, denn im Gegensatz zu Shinichi war sie schon viel weiter gekommen – sie war auch dort gewesen, aber ohne dass ihr Bruder es mitbekommen hatte.

„Wenn ihr etwas Ähnliches passiert ist, soll das etwa heißen, dieser Serienkiller…?“ Shinichi konnte es kaum aussprechen, so nebulös fand er die Geschichte. „Sharon hat sich als dieser Serienkiller verkleidet? Irgendwie kann ich sie dadurch nicht besser leiden, Shina.“

Die Detektivin holte Luft. „Warum? Weil sie ihre Waffe auf Ran gerichtet hat? Weil sie todsicher geschossen hätte? Du darfst an dieser Geschichte nicht vergessen, dass sie verletzt war und vom FBI wie ein Tier gejagt wurde – an diesem Tag hatte sie glaube ich durch den Blutverlust und einige andere Dinge ein bisschen den Verstand verloren. Aber gut fand sie noch lange nicht, was sie da vorhatte.“

„Du glaubst nicht, wie egal mir ist, dass sie nicht geschossen hat. Sie wollte es! Also ist sie kein guter Mensch. Darüber brauchen wir auch nicht mehr reden.“

„Kein Mensch ist nur gut oder nur böse, Shinichi. Ich will dich auch nicht eines Besseren belehren. Fakt ist aber, dass deine Freundin dafür gesorgt hat, dass sie endlich den richtigen Weg einschlägt.“

„Das interessiert mich auch herzlich wenig. Ich würde mich nur dafür interessieren, was der gute Iwamoto dazu sagen würde, wenn er erfährt, dass seine Freundin zwei Oberschüler aus zweifelhaften Gründen erschießen wollte.“

„Es hinnehmen“, konnte sich Ryochi nicht verkneifen. „Wahrscheinlich würde er sich noch einreden, es sei seine Schuld. Weil sie nicht glücklich gewesen ist zu dieser Zeit. Sêiichî ist manchmal ein riesengroßer Spinner.“ Es war traurig, dass Sêiichî zu solchen Mitteln greifen würde, nur damit sie gut wegkam. Aber so zeigte sich, dass auch sein Freund ein schlechtes Gewissen hatte – wegen der Dinge, die er ihr zugemutet hatte. Seine Seitensprünge hatten ihre Welt wohl mehr aus den Fugen geraten lassen, als man auf den ersten Blick wirklich wahrnahm, aber instinktiv wusste Sêiichî ganz genau, was er angerichtet hatte. Mittlerweile sagte er immer, dass er sich Mühe geben wollte, damit sie glücklich war… Ihre Welt sei schon so oft in sich zusammengebrochen – da fragte man sich glatt, was sein bester Freund wirklich über Vermouth wusste – über sie, ihre Taten und ihre böse Vergangenheit.

 

Unterdessen hatte sich Agasa zum Leidwesen der jungen Shiho wieder in die Sache eingemischt. „Sie weiß nichts! Wie oft soll sie das denn noch sagen? Sie wollen die Kleine doch nicht etwa hier erschießen?“

„Zwecklos“, meinte die Kurzhaarige, auch wenn ihr Körper zitterte. „Ich sagte doch, dass diese Leute keinen verschonen werden.“ Sherry versuchte sich zu fassen, dabei ballte sie ihre Hände zu Fäusten und wirkte dadurch ein bisschen weniger erschüttert.

„Gin wird das nicht lustig finden, ~Cognac~“, meinte die 8-jährige jetzt mit einem Lächeln, was man an Dreistigkeiten nicht überbieten konnte. „Wir beide wissen doch, dass er sich als den einzig Wahren ansieht. Der Einzige, der mich töten darf. Willst du dir echt so viel Ärger aufhalsen?“

Dass dieses Mädchen mit allen Wassern gewaschen war, wusste Cognac zwar, aber dass sie so frech werden würde, hätte er ihr nicht zugetraut.

„Respekt – du hast ganz schön Mut. Was, wenn mich dein Gin aber nicht interessiert? Du bist offiziell Freiwild für die Organisation, es ist also erlaubt, dich einfach so umzubringen. Natürlich könnte ich dich auch verschleppen, aber nein, das wäre unschön. Wir beide wissen, dass Vermouth das am wenigsten schmecken würde. Sie war eigentlich nicht wirklich unglücklich, dass du der Organisation verloren gegangen bist. Wärst du nicht zu diesem Kudô gerannt, wäre alles gut gewesen. Dass du ihn als dein Versuchskanickel benutzen könntest, hat sie sehr wütend gemacht. Sie weiß mit am besten, wie schrecklich so etwas sein kann. Und nun erzähl mir nicht, dass du das nicht wusstest. Ich glaube dir kein Wort, du kleines Miststück! Du wusstest, dass dein Gift ein Roulettespiel ist und hast es Gin zu Testzwecken gegeben – frei nach dem Motto ~da hast du was zum spielen~.Wahrscheinlich wolltest du die Ergebnisse dann auch wissen, was? Ihr beide – du und Gin – allein der Gedanke ist ekelerregend. Es war dir recht, dass er ein sauberes Töten gut findet, da hast du ihm dein Gift gegeben, damit er für dich das Zeug an Menschen testet. Du wolltest mehr Laborratten – richtige Ratten. Wie dieser Numabuchi. Auch wenn er geisteskrank war – ich finde es verabscheuungswürdig, was du verlangt hast.“

„Wenigstens gibst du nun zu, auf wessen Seite du stehst, Cognac“, meinte das Mädchen mit einem Lächeln im Gesicht. „Vermouth würde also nicht gefallen, wenn du mich verschleppst…“

„Just like it is, my dear“, entgegnete der Angesprochene jetzt, ebenfalls lächelnd. „Her principle and mine fit each other quite good. Wir beide finden Versuche an Menschen widerwärtig, ebenso wie diese Pläne, die schon deine Eltern verfolgten. Und jetzt sag mir endlich die Sachen, die ich wissen will, du kleines Biest! Warum willst du mir nichts von Gotano erzählen? Dein Schweigen ist sinnfrei.“ Cognacs Blick fiel kurz auf den Professor. „Achso, die Anwesenheit des Professors stört dich. Deswegen willst du nicht reden. Dann müsstest du zugeben, dass du deinem Freund wissentlich Dinge vorenthältst. Du willst nämlich nicht, dass er die Organisation stoppt. So ist es, nicht wahr? Mir kannst du nichts vormachen, Kleine. Genauso wenig kannst du Vermouth etwas vormachen. Sie ist Meister darin, Menschen, wie dich, zu durchschauen. Wenn sie sagt, dass du ein Miststück bist, wird es so sein – sie ist selbst eins. Daher kann sie ihresgleichen sehr gut erkennen.“ Ein gefährliches Grinsen lag im Gesicht des Killers, der nun einen neuen Plan ins Auge gefasst hatte. Wenn sie der Professor so sehr störte, dann würde er dafür sorgen, dass sie allein waren… Und dann redete dieses Biest, das schwor er sich.

 

Obwohl es recht früh am Morgen war, an einem Wochenende, war auch Ran bereits unterwegs. Sie stellte sich sehr viele Fragen zum letzten Gespräch mit Amuro, wo er sie auf ein paar Dinge hingewiesen hatte. Natürlich konnte sie diese nicht vergessen – sie hatte ihren Verdacht direkt ausgesprochen – diese Einladung von damals hatte sie in ihrer Tasche, mit der sie das Haus von Shinichi ansteuerte. Sie würde Yukiko darum bitten, das Haus auf den Kopf zu stellen – sie wusste, dass Yukiko hier war und dachte sie da auch anzutreffen.

Es gab nicht den geringsten Zweifel an der Tatsache, dass Sharon Vineyard am Leben war, trotzdem wollte sie dieses Taschentuch unbedingt finden. Es war das Letzte, was diese Frau ihr dagelassen hatte – jetzt war sie jemand anders. Amuro hatte ihr so viele Dinge gesagt, die sie heute noch beschäftigten – sie brauchte jemanden, mit dem sie diese Geschichte teilen konnte – mit wem sollte sie das eher tun, als mit Shinichis Mutter? Sie war immerhin ja Sharons Freundin – sie konnte das doch nicht vor ihr geheim halten. Auch wenn Amuro ihr fast schon befohlen hatte, niemandem von diesen Dingen zu erzählen. Auch jemand, der einfältig war, würde bemerken, dass er keine große Lust hatte, sich mit der Sache zu beschäftigen. Warum nicht, wusste sie nicht. Sein jämmerlicher Versuch, ihr auszureden, dass der Name Vermouth und Chris Vineyard in Verbindung standen, machte es nicht besser für die Oberschülerin. Sie wusste nicht mehr weiter, wem konnte man noch vertrauen, wenn nicht diesem Detektiv? Da war ihr Shinichis Mutter eingefallen.

Sie hatte das Haus erreicht, wo sie anschließend klingelte. Zwar fiel das schwarze Auto bei Agasa sofort auf, aber sie kümmerte sich nicht weiter darum.

Es dauerte nicht lange, da wurde ihr von Yukiko geöffnet, die sehr verwundert schien, als sie die Oberschülerin sah. „Guten Morgen“, meinte diese freundlich wie sie stets war und bemerkte zwar das überraschte Gesicht von Shinichis Mutter, das sogar etwas nervös wirkte.

„Hallo, Ran! Was treibt dich denn in aller Frühe hierher?“ fragte die hellbraunhaarige Schauspielerin, woraufhin Ran ihr einen leicht entschuldigenden Blick zuwarf.

„Mir fällt die Decke auf den Kopf. Conan wurde heute Morgen von Shina und Ryochi abgeholt. Außerdem ist da so eine Sache, die ich dringend mit dir besprechen muss, Yukiko-san. Es ist wirklich wichtig. Dringend!“

„Ohje. Wirklich so dringend? Ich habe gerade Besuch da und eigentlich keine Zeit…“ Es fiel einem schwer, dem Mädchen einen Wunsch abzuschlagen, aber leider musste das heute sein. Sie wollte eigentlich nicht, dass Ran die Leute, mit denen sie gerade sprach, zu Gesicht bekam…

Ran war nicht so dreist sich aufzuzwingen, aber Yukiko ertrug den traurigen Blick kaum, mit dem die Braunhaarige sie wenig später ansah „Tut mir Leid…“ Mit den Worten wollte das Mädchen, was kurz vorm Weinen wirkte, sich herumdrehen und gehen, da griff sich Yukiko ihr Handgelenk und hielt sie davon ab. „Warte! Ich werde mich kurz bei ihnen entschuldigen, dann können wir ein Stück gehen.“

Es war schon merkwürdig, geradezu verdächtig, wie Yukiko die Tür zumachte und dann wieder hinein ging.

„Na so was“, wunderte sich Ran – das heimliche Getue machte sie nun fast etwas wütend. Sie zog einen Schmollmund. „Was verheimlicht sie mir? Jetzt weiß ich auch, woher Shinichi dieses Verhalten hat…“

Obwohl es sich nicht gehörte, die Tür hatte Yukiko nicht komplett ins Schloss geworfen, weshalb es Ran möglich war, hineinzugehen. Normal war sie nicht so ungezogen, aber sie wollte unbedingt wissen, was hier gespielt wurde. Sie sah die Schuhe, die im Eingang standen – zwei Paare – Männerschuhe und Frauenschuhe. Dann hörte sie die Stimmen aus dem Wohnzimmer, denen sie einen Moment lauschte.

 

„Ja, es ist wichtig. Sie sah furchtbar traurig aus, das kann man ja nicht mitansehen. Ich muss mich mit dem Mädchen eine Weile außerhalb des Hauses unterhalten. Sie soll nicht in irgendetwas verwickelt werden. Ich bleibe nicht lange. Aber schließlich gehört sie ja irgendwann zur Familie, da muss ich schauen, dass es ihr gut geht, bei dem Mist, den Shinichi immer verbockt.“ Yukiko seufzte, das war auch draußen noch zu hören.

 

Ran war es langsam Leid, dass man sie überall heraushalten wollte, doch dann hörte sie eine Stimme, die Yukiko antwortete, es war eine weibliche, die ihr sehr vertraut war…

Das veranlasste das Mädchen dazu nun noch ungezogener zu werden. Sie warf ihre Schuhe förmlich in die Ecke und lief zum Wohnzimmer, wo sie die Tür aufriss.

Erschrocken blickten die drei Personen zu der Schülerin, die aber nun keine Anzeichen von Wut oder Missmut zeigte. „Jodie-Sensei!“ verfiel sie in alte Muster und begrüßte ihre heißgeliebte Englischlehrerin, von der sie aber wusste, dass sie Urlaub in Japan machte und eigentlich eine FBI-Agentin war. Man merkte ihr sofort an, dass sie die Blondine mochte. „Ich dachte, Sie seien längst zurück nach Amerika gegangen.“ Wenig später beruhigte sie sich ein bisschen und lief auf sie zu. „Tut mir Leid, Yukiko. Ich weiß, dass sich das nicht gehört, aber ich konnte einfach nicht widerstehen.“ Sie blickte zu dem Mann, der neben Jodie saß und musterte ihn zwar kurz, aber interessierte sich viel weniger für ihn, als für die Frau.

„Also wirklich! Ich hatte doch gesagt...“

„Ja, ich weiß! Tut mir wirklich Leid, aber gerade freue ich mich einfach Jodie wiederzusehen.“ Sie lächelte fröhlich und Jodie wirkte doch ein wenig erschrocken, das Mädchen hier zu sehen. Es machte sie nervös, weil sie eigentlich nicht hier von ihr erwischt werden wollte.

„Ja, ich bin noch hier… Mir gefällt Japan eben.“ Natürlich würde sie dem Mädchen nichts sagen, weshalb sie nicht schon zurückgegangen war. Sie konnten nicht wissen, dass die Schülerin ihre geäußerten Bedenken mitbekommen hatte.

Da kam es, dass sie relativ schnell das Spiel durchschaute und nun leicht bekümmert wirkte. „Sie müssen mir nichts vormachen, Jodie. Vielleicht ist es auch ein glücklicher Umstand, dass ich Sie hier antreffe.“

Ertappt sah die Blonde Ran an und Yukiko stemmte die Hände in die Hüften. „Also wirklich, das macht man nicht!“

Ran funkelte jetzt Yukiko an. „Ich habe es begriffen! Es reicht jetzt mit dem Theater! Ich weiß, dass Shinichi Kudô und Conan Edogawa dieselbe Person sind! Wie auch immer das möglich ist! Ich weiß auch, dass man mich aus einem seiner Fälle heraushalten will! Der Fall hat nicht rein zufällig mit einer Person zu tun, deren Deckname Vermouth lautet, oder? Und jetzt keine Ausflüchte! Ich bin doch nicht dumm!“

„Oi, Ran-chan! Beruhige dich bitte…“ Yukiko versuchte Ran zu beruhigen, doch diese wollte anscheinend nicht.

„Nein, ich werde mich nicht beruhigen!“ Es standen Tränen in ihren Augen. „Wie lange wollt ihr mir noch all das verschweigen? Wieso darf ich das nicht wissen? Ich will endlich wissen, was hier los ist! Was hat Shinichis Zustand mit Vermouth zu tun und warum hat er solche Angst davor, dass ich davon etwas mitbekomme? Die ganze Zeit versucht man mich für dumm zu verkaufen!“

Subaru, der direkt neben Jodie saß, griff sich mit der Hand mitten ins Gesicht und äußerte sich lediglich mit einem „Ach herrje.“

Jodie hingegen konnte sehr viel sensibler sein. „Oh, Ran-chan, wir wollen dich nur beschützen. Vermouth ist sehr gefährlich, musst du wissen, deswegen will dein Freund wohl auch nicht, dass du davon erfährst.“

Rans Augen, gefüllt mit Tränen, weiteten sich voller Schockierung. Yukiko wollte Jodie gerne stoppen – sie sollte ihr nicht diese Dinge sagen… Das wollten sie ihr alle ersparen.

„Ja, diese Leute – Vermouth ist eine davon – sind sehr gefährlich. Du solltest dich nicht in so etwas einmischen. Diese Leute sind skrupellose Mörder.“

„Oh Gott…“ Für sie klang das alles völlig anders, als es gemeint war. „Dann ist sie in größter Gefahr – als wenn ich es geahnt hätte.“

Subaru beobachtete Ran und zog dabei eine Augenbraue hoch. „In Gefahr? Meinst du Vermouth?“

„Ja – ich habe ein ganz schreckliches Gefühl.“

Für Jodie musste das wie ein Schock kommen, denn sie schloss die Augen. „An diese Person solltest du keine Gedanken verschwenden.“

Etwas derartig Kaltes war sie von Jodie nicht gewohnt, was das Mädchen noch mehr erschütterte. „Wie können Sie so etwas nur sagen, Jodie?“

Der Mann im Raum sah das Mädchen weiter an, ohne etwas zu sagen – es war jedenfalls ziemlich interessant, dass Jodie sie so schockieren konnte.

„Vielleicht sollten wir uns anhören, was Ran zu sagen hat.“

„Aber, Subaru-san…“ Die Amerikanerin schien fassungslos, sah dann aber zu Ran, die völlig aufgelöst wirkte. „Wie ich so etwas sagen kann? Ich kenne Vermouth – das sind nicht die besten Erinnerungen. Es wundert mich, dass du das anders siehst. Wie kannst du dir denn Sorgen um diese Person machen? Sie hat auf dich geschossen – nicht nur einmal! Es ist ein großes Wunder, dass dir nichts Schlimmes passiert ist.“ Jodie stand nun auf, ging zu Ran hinüber und legte ihr beide Hände auf die Schultern. „Deswegen musst du nicht weinen. Alles ist gut. Aber glaube mir, man muss sich um diese Person nicht sorgen. Und nun wisch dir die Tränen weg…“ Jodie fasste in ihre Tasche und holte ein Taschentuch hervor, welches sie Ran reichte. Dass sie das Mädchen damit noch mehr zum Weinen brachte, ahnte sie nicht, weil sie nicht wusste, woran sie das Mädchen gerade erinnerte.

Vor ihrem geistigen Auge tat sich eine freundlich lächelnde Sharon auf, die ihr das Taschentuch reichte, was ihr Freund verschlampt hatte.

„Aber… Sie ist doch…“ Ran schniefte und versuchte sich die Tränen wegzuwischen, diese kamen ihr immerzu und wollten einfach nicht stoppen.

„Was wolltest du da sagen, Ran?“ fragte Yukiko, die ein bisschen perplex war, aber Ran bekam kaum Worte zusammen, weil sie gerade wohl ganz fürchterlich anfangen wollte zu weinen. Sie fing an nachzuvollziehen, was Shinichi gemeint hatte, als er gesagt hatte, Ran durfte davon nicht erfahren, es würde ihr ja das Herz brechen. In ihr herrschte unglaubliche Angst, denn wenn sie erfuhr, wer Vermouth wirklich war, nicht auszudenken.

„Vermouth ist…“ Bei den Worten blickte sie Jodie ins Gesicht und schniefte nochmals. „Ich glaube nicht, dass sie so schrecklich ist“, sagte die Oberschülerin nun, obwohl sie etwas ganz anderes sagen wollte. „Sie wollte mich nicht erschießen.“

Subaru verschränkte die Arme. ‚Wie Recht sie hat. Das wollte sie in der Tat nicht. Sie konnte ohne Probleme mithilfe eines Spiegels einen Benzintank zur Explosion bringen. Sie stand direkt vor dem Mädchen und hat ein gesamtes Magazin leer geballert. Eine professionelle Killerin verfehlt ihr Ziel nicht so einfach. Das Mädchen ist unglaublich schlau. Soziale Intelligenz ist immer wieder von Vorteil. Sie besitzt davon sehr viel… Und Jodie…’Ein besorgter Blick ruhte auf seiner FBI-Kollegin. Sie hatte ein reines Herz, aber sie hatte Vermouth ziemlich übel ans Bein gepisst, das bekam kaum einer Person. Diese Frau war Leute aus ihren eigenen Reihen gewohnt, dort herrschte ein Überlebenswille, den trug man automatisch mit nach draußen. Trotzdem hatte Vermouth nicht noch einmal versucht Jodie etwas anzutun – am Ende war sie ihm noch dankbar, dass er sie in die Flucht geschlagenhatte. Der Frau war alles zuzutrauen…

„Wie kannst du wissen, dass sie dich nicht erschießen wollte?“

Ran wischte sich jetzt die Tränen aus dem Gesicht und lächelte. „Sie hat mich mehrfach dazu aufgefordert, von dem braunhaarigen Mädchen abzulassen und schrie mich dann voller Verzweiflung mit Move it, Angel an! Da wurde mir schon ein bisschen angst und bange. Danach bin ich ganz offensichtlich in Ohnmacht gefallen. Tja“, meinte Ran und seufzte dann. Sie erinnerte sich an Azusa-san, die ihr beim Konzertsaal mitgeteilt hatte, dass sie ihr Schatz sei – dass sie ihr das schon eher hätte sagen sollen. Das behielt die Schülerin nun aber für sich. „Glauben Sie mir, Jodie… Wenn sie mich wirklich hätte erschießen wollen, wäre ihr das bestimmt möglich gewesen.“

Die FBI-Agentin musste sich eingestehen, dass die Schüsse wirklich überallhin gegangen waren, aber nicht direkt auf Ran. Bei dem kleinen Mädchen sah es anders aus, das Kind hatte sie töten wollen – sie wusste ja nicht einmal wirklich, warum. Und nicht nur sie.

„Weißt du, Ran. Du hast wahrscheinlich Recht, aber mich wollte sie nicht verschonen.“

„ Du bist ja auch eine FBI-Agentin, die ihr zu nahe gekommen ist“, meinte jetzt Subaru, so dass Jodie einen leicht schmollenden Ton von sich gab.

„Das war nicht lustig! Sie hat mit ihrer Waffe auf meinen Kopf gezielt.“

„In der Tat nicht sehr nett“, seufzte Yukiko und schenkte Ran einen besorgten Blick. Anscheinend wusste sie nicht, um wen es sich bei dieser Person handelte – Gott sei Dank.

Ran überlegte, aber es widerstrebte ihr, die ganze Sache mit dem FBI zu bereden – denn Jodie schien nicht gerade eine gute Meinung über sie zu haben. Ein hilfesuchender Blick auf Yukiko verwunderte diese schon ein wenig.

„Du bist also nur hierher gekommen, weil du besorgt warst? Das musst du nicht, wirklich.“

„Anscheinend schon, wenn diese Leute so gefährlich sind und Shinichi mit ihnen zu tun bekommt.“

„Keine Sorge, Ran, wir sind dann da und beschützen deinen Freund“, meinte Jodie zuversichtlich, woraufhin die Angesprochene aber sehr traurig dreinblickte.

‚Und wer hilft ihr? Was soll ich nur machen? Ich weiß ja noch nicht einmal, wo sie sich jetzt aufhält. Jodie wird mir bestimmt nicht dabei helfen, sie ausfindig zu machen. Und was ist mit Shinichis Mutter…?’ Ihr Blick ruhte lange auf der Hauseigentümerin, ehe sie seufzte.

 

Takeshi Akaja hatte die Unterredung mit den beiden Kriminalisten aus der 1. Dezernat nun beendet, behielt aber Conan, seinen Sohn und dessen Verlobte noch bei sich. Sie wollten Miwako und Wataru zwar aufklären, hatten aber auch noch etwas Privates zu besprechen.

„Das Gespräch wurde tiefgründiger, als ich dachte, Vater“, meinte Ryochi und wirkte dabei doch reichlich bedrückt. „Shina hat mir so manches über ihre Doppelidentität erzählt. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr glaube ich, dass sie Sêiichî eingeweiht hat.“

Die Detektivin gesellte sich zu beiden an den Tisch und schüttelte den Kopf. „Ich glaube eher, dass sie ihn unterschätzt und er das ganz allein herausgefunden hat.“

„Was hast du nur in deiner Zeit in Amerika getrieben?“ fragte Takeshi.

„Menschen beobachtet, dabei findet man am meisten heraus.“

„Du hattest dein Augenmerk wohl ziemlich gut auf Sharon“, entgegnete der Schwarzhaarige daraufhin.

„Das liegt daran, dass sie Kontakt zu meiner Familie hatte – das störte mich gewaltig.“

Ryo linste zu ihr. „Und nebenbei hast du dein Augenmerk dann auch auf Sêiichî gerichtet.“

Takeshi merkte man an, dass ihn die Geschichte weniger beeindruckt hatte, als zum Beispiel Miwako. „Takagi schien wenig überrascht darüber, als er sagte, dass sie Sharon Vineyard ist. Etwas an dieser Sache missfällt mir. Ich wollte ihn nicht direkt darauf ansprechen, inwiefern er sie getroffen hat, um festzustellen, dass die beiden sich zu ähnlich sind“, seufzte Takeshi. „Damit ist er bestimmt nicht der Erste, der so etwas spitz kriegt.“

„Deswegen kann ich nicht glauben, dass Sêiichî all die Jahre dumm und unwissend durch die Welt gelaufen ist.“

„Menschen, wie er, werden oft unterschätzt, das sagte auch Heizo einmal zu mir, dass er positiv überrascht gewesen sei. Er hatte sich geärgert, dass ich ihm mehr oder weniger Sêiichî untergeschoben habe.“

Shina schien es, als hätte Takeshi damit bezweckt, Sêiichî aus Tokyo wegzubekommen, damit er hier nicht ins Kreuzfeuer geriet, was durchaus der Fall sein könnte. „Tja, nun ist Sêi-chan hier und leckt sich die Finger nach Chardonnay. Hast du Chris gefragt, wie sie das findet?“ fragte Ryochi seinen Vater.

„Ist empört darüber, dass er ihr versucht einzureden, er sei ihretwegen hier – das kauft sie ihm natürlich nicht ab. Sie weiß, wann der Teufel in ihn fährt.“

„Wahrscheinlich hat sie damit Erfahrung, wie es ist, wenn der Teufel in einen gefahren ist…“

„Also Shina, das war nicht nett“, sagte Ryochi, lachte aber, was ausschloss, dass er sie kritisieren wollte.

„Oh, ich weiß, wie sie dann ist, wenn das passiert“, sagte Conan, ohne seine Abneigung nun in der Stimme mitschwingen zu lassen. „Sie wollte meine Freundin umbringen, da war sie nicht ganz bei Trost. Damit hat sie sich aber ziemlichen Ärger mit dem FBI eingehandelt.“

Takeshi holte einen Stapel Papier zu sich heran, der auf seinem Bürotisch lag und breitete ein paar Dinge vor sich aus. „In jeden fährt mal der Teufel. Es ist fast ausgeschlossen, dass einem das nicht passiert, wenn man unter diesen Leuten ist. Die Wissenschaftsabteilung sollte man meilenweit entfernt beschäftigen, wo sie das nicht mitbekommt. Bei dem, was sie weiß, wundert mich das aber nicht. Sie sieht es als so etwas wie ihre Aufgabe an, zu verhindern, dass die Organisation in diesen Dingen erfolgreich ist. Sollte sie das nämlich irgendwann sein, dann willkommen in der Hölle, meine Lieben.“

„Mit diesem Gin ist auch etwas nicht ganz in Ordnung. Irgendwas haben sie auch mit dem gemacht – wenn es nicht sogar Sherry gewesen ist“, verriet jetzt Shina, zu Conans Entsetzen, dieser lauschte aber erst einmal nur, anstatt sich zu äußern. Nicht nur Beobachten war von Vorteil, auch einfach nur Zuhören. Dinge von Gin interessierten ihn fast sogar mehr, als über Vermouth. Das würde diese wohl eher unlustig finden, weil sie sich furchtbar spannend und interessant fand…

„Gin ist einer der größten Teufel der Organisation – nur Chardonnay ist schlimmer, allerdings besitzt er ein Gewissen – zwar in sehr wenigen Dingen, aber er ist bei Verstand. Bei Gin kann man sich da nicht so sicher sein. Sich mit Chardonnay wegen Sêiichî anzulegen ist bei weitem nicht so gefährlich, wie sich mit Gin anlegen. Trotzdem tut Vermouth das mit Freuden. Dabei lacht sie ihm auch ziemlich frech ins Gesicht, weil sie sich auf der sicheren Seite bewegt. Ist schon von Vorteil, wenn der Boss einen mag, nicht? Der wird eines Tages sicher auch noch aufwachen – wie so viele. Allerdings glaube ich, dass er sehr wohl weiß, dass sie Sharon Vineyard ist“, grinste Shina und fand diesen Umstand eigentlich viel eher amüsant. „Das sagt er nur nicht jedem, weil man sie ihm dann sofort umbringt.“

„Meinst du, das ist der Grund, weshalb die Organisation dich jetzt nicht mehr töten soll? Weil er weiß, dass sein Liebling sich in die Sache einmischen würde?“ fragte Ryochi seine Verlobte interessiert.

„Oh, davon lässt er schnell ab, wenn er merkt, dass ich gegen die Organisation vorgehe. Ich war sehr untätig, daher sieht er davon ab, sich Ärger zu machen. Ich weiß aber auch, dass sie dich auch in Ruhe lassen sollen. Das wurde mir zugetragen.“

„Wer um alles in der Welt hat dir das denn zugetragen?“ seufzte Ryochi, denn er wusste, dass Shina ihm nicht alles auf die Nase band – das lag aber nicht daran, dass sie es nicht wollte, sondern dass sie ihn forderte – er sollte es – wenn schon – selbst rausfinden. Nur, wenn etwas gefährlich war, weihte sie ihn sofort ein. „Wahrscheinlich hat mein Bruder für ganz schön viel Ärger gesorgt – deswegen. Und nun will ich aber schon wissen, mit wem aus der Organisation du Kontakt hast, Shina. Wer kann das nur sein?“

„Oh – Teran war so freundlich, es mir direkt zu sagen… Syrah ist mit Sicherheit explodiert, weil sie mich doch am liebsten tot sehen will. Vermouth tut dann wohl auch immer so, als wenn sie diese Abneigung teilt. Dabei lächelt sie mir bei unseren Familientreffen ins Gesicht, als seien wir enge Freunde. Aber ich bin mir da nicht so sicher, ob sie mich noch leiden kann – ich bin ihr in Amerika nicht nur einmal auf die Nerven gegangen.“

„Sie würde jedoch nie wagen, dir etwas anzutun“, sagte Ryochi, „auch wenn sie dich hassen würde.“

„Wenn diese Frau jemanden hasst, dann findet sie Wege, demjenigen Ärger zu machen.“

„Nimmt sie andauernd in Schutz und nun redet sie so. Versteh das, wer will“, seufzte Conan und blickte Shina mit Halbmondaugen an.

„Hey, wenn sie mich nicht ausstehen kann, ist es ihr hoch anzurechnen, dass sie mir trotzdem geholfen hat, oder etwa nicht? Das kannst du kaum leugnen. Denn ich weiß zweifelsfrei, dass es Leute gibt, die sie mehr leiden kann.“

Conan und Ryochi setzten beide zu einem Satz an, stoppten dann aber, dabei sahen sie sich an.

„So, Ter-“, fing der Ältere an.

Gleichzeitig kam von Conan : „Was ist nun mit-?“

Ryo stand auf und drehte sich herum. „Ich hab noch was vor…“ Mit den Worten wollte er sich nach einem angefangenen Satz aus dem Staub machen, weshalb nun Shina seinen Arm ergriff.

„Erzähl keinen Blödsinn! Du bleibst hier! Wir fahren gemeinsam.“ Sie hatte das einfach so entschieden und der Braunhaarige setzte sich dann auch wieder hin, was sein Vater nur belächelte. Sêiichî benahm sich ähnlich, wenn Chris etwas anordnete, aber beide waren sehr gut in der Lage, auch einmal zu bocken. Wobei Sêiichî sehr viel schlimmer war, wenn er bockig wurde.

„Ich weiß, dass es dir nicht schmeckt, wenn ich Kontakt zu Teran habe – in dem Fall solltest du aber froh darum sein – es war auch nichts weiter. Man kann sagen, er wollte sich einschleimen, indem er mich warnt. Denn eigentlich will dieser Mistkerl ja, dass ich ihn leiden kann. Ähnliches Szenario wie bei Keichiro, wenn es um Sharon ging. Beide können unglaublich schleimen.“

„Was ich fragen wollte – was meinst du damit, Shina? Was ist merkwürdig an Gin?“

„Bei deinen Begegnungen ist dir das doch sicher auch aufgefallen… Erstens Mal ist es nur sehr schwer, diesen Kerl lahmzulegen, egal mit was. Zweitens finde ich seine Gedächtnisprobleme auch sehr merkwürdig. Das erinnert mich an meinen eigenen Fall. Manchmal bin ich nicht sicher, ob dieser Kerl noch weiß, wer er ist. Am Ende kennt er seinen richtigen Namen nicht einmal und ist immer nur Gin. Das Gleiche gilt für Vodka. Man könnte meinen, die haben kein anderes Leben, als das in der Organisation. Im Vergleich zu Sharon, beziehungsweise Chris, führen sie beide kein Leben außerhalb.“

„Du meinst doch nicht etwa, dass Sherry irgendwas an Gin getestet hat, oder? Etwas, was ihn besonders macht.“

„Es kann genauso gut sein, dass sie etwas mit ihm machen musste, also schieb nicht gleich Panik. Ich will deiner Freundin nichts unterstellen – es ist nur merkwürdig. Es würde mit dem Teufel zugehen, wenn ihm nie etwas verabreicht worden wäre.“ Außerdem redete Gin manchmal so merkwürdige Sachen – dass es alte Geschichten zwischen ihm und Sherry gab – dass sie vieles gemeinsam durchgestanden hatten. Für sie wirkte das mehr als nur verdächtig… Seine leichte Unverwundbarkeit war nur eine der Dinge, die durch APTX kommen konnten. Sharon konnte mit schweren Verletzungen schließlich auch noch sehr gut um ihr Leben rennen… Shina glaubte eben nicht an Zufälle.

„Genau aus diesem Grund verabscheut Chris diese Experimente. Weil dann solche Gestalten, wie dieser Gin, zu viel Macht bekommen und dabei die Guten Schaden nehmen. Jedenfalls hat sie etwas in die Richtung fallen lassen. Sollte die Organisation von der Wirkung des Giftes erfahren, wird der Boss sie nicht nur einsperren, sondern noch ganz andere wahnsinnige Dinge tun.“

„Also ist der Grund nicht, dass sie mich besonders mag“, lachte Conan, „das erleichtert mich fast.“

„Oh doch, dich mag sie – tausend Mal mehr, als mich.“

Ryo senkte den Blick, denn das gefiel ihm weniger. „Bestimmt gibst du ihr auch nicht sonderlich viele Gründe, dass sie dich mögen kann.“ Jemand, der sie so gut kannte, wie der 23-jährige, konnte das eben nicht nachvollziehen. Er würde seine Verlobte als ziemlich loyalen und guten Menschen bezeichnen, den man eigentlich mögen musste. Wahrscheinlich verstand diese Syrah es aber andersherum auch nicht wirklich. Dass man Shina mögen konnte…

„Glaub mir, Ryo. Es ist besser so, wenn sie ihre Nächstenliebe für mich nicht entdeckt. Du kannst dir sicher denken, was dann los wäre. Gerade wegen Syrah. Dann hätte sie einen Grund mehr, um mich zu hassen. Außerdem gibt es genug Leute, die sie mag. Noch mehr davon und sie kommt nicht mehr klar.“

„Mit dem großen Ziel, unsterblich zu sein, forschen diese Leute nun seit knapp 50 Jahren. Ihr Ziel ist nahezu erreicht. Die Situation ist bedrohlich – glaubt mir, meine Lieben. Dass Chris die ganze Zeit über hier ist, deutet eigentlich darauf hin, dass die Gefahr so groß ist, dass sie sich nicht erlauben kann, nicht da zu sein. Es wird also etwas in Tokyo passieren und das wird fürchterlich sein.“

„Ist das eine Offenbarung?“ fragte Conan. „Sagt die etwa zu Ihnen auch ständig solche Sachen?“

„Klingt ganz nach Sharon“, amüsierte sich Shina, „sie erlaubt sich bei dir wohl ziemlich viel“, schlussfolgerte sie und grinste ihren zukünftigen Schwiegervater ein klein wenig forsch an.

„Was soll das denn heißen?“ lachte er. „Wahrscheinlich hat sie endlich verstanden, dass man mir vertrauen kann.“

„Solches Vertrauen muss man sich hart erarbeiten, wenn man jemand, wie sie ist“, meinte Ryochi jetzt, er wusste aber, dass diese Dame bestimmt schon lange bemerkt hatte, was für eine treue Seele sein Vater sein konnte, ebenso wie seine Frau.

 

„Sie weiß sehr gut, wann jemand es wirklich gut mit ihr meint und wann er falsch spielt. Sie ist umgeben von solchen Leuten. Gin zum Beispiel schleimt sie auch gern voll, aber sie weiß, dass die einzige Loyalität, die er an den Tag legt, der Organisation gilt. Ziemlich bedauerlich, was in der Vergangenheit zwischen den Beiden abgelaufen ist. Aber man sagt ja keep your enemies close. Gin war nie ihr Verbündeter, auch wenn sie gern so tut. Man muss diesen Kerl in Sicherheit wiegen. Ratten machen ihn nervös, vor allem seine linke Hand“, sagte Shina, dabei hielt sie trotz des langen Satzes einiges hinter dem Berg. Zum Beispiel, wie dieser ständige Kontakt zu Gin zustande gekommen war – in dem Punkt tat sie ihr schon etwas leid, obwohl es zu diesem Miststück goldrichtig passte – allerdings hatte sie das einem anderen Miststück zu verdanken.

„Dasselbe hat sie bei Chardonnay getan“, verriet Ryochi ihr daraufhin mit leichtem Angewidertsein, als wäre er in dem Moment in seines Freundes Fußstapfen getreten. Mit Gin konnte Sêiichî mehr leben, als mit Chardonnay – der war für ihn mehr als er ertragen konnte – er würde sogar so weit gehen, anzunehmen, dass seine Seitensprünge damit zu tun hatten.„Das fand Sêiichî bestimmt über alle Maßen widerlich.“

„Lieber nicht drüber nachdenken“, murmelte Conan, er war ja nicht auf den Kopf gefallen. Mit Leuten wie Gin um einen herum, konnte man nicht normal bleiben. Um mit dem klarzukommen, musste man aber perfekt den Bösewicht mimen können, damit er einen mochte. Er war aber davon überzeugt, dass Sharon auf ihrem Gebiet ziemlich perfekt war und es beherrschte, wirklich böse zu wirken. Nein, er hielt sie nicht für ganz und gar böse – aber er wollte auch nicht zu viel in ihr sehen. Er weigerte sich – schon damals war sie ihm nicht geheuer. Kurz gesagt, gemocht hatte er sie noch nicht einmal, als sie nett getan hatte. Ja, er hielt das alles von damals für eine Show. Sie hatte nicht gerade tief blicken lassen, wie sie wirklich dachte und fühlte. Das einzige, was sie getan hatte, war reden – und zwar schlecht von ihrem eigenen Kind. Um zu rechtfertigen, wie sie als diese agierte.

„Was ist?“ wollte nun Shina von Conan wissen, denn er wirkte schon ein wenig nachdenklich, so dass er erschrak, als sie ihn ansprach.

„Ach, weiß du, ich will gern alles wissen… Ich habe heute so viel erfahren, da arbeitet mein Kopf. Was glaubst du denn?“

„Wo wir vom Teufel sprachen, den es zu besiegen gilt. Einer davon ist Sêiichîs Mutter. Mit ihr bekriegt sich Sharon eigentlich fast am meisten. Aber kein Wunder, sie mögen sich nicht, und dann ist da noch diese Forschungssache.“

„Ach du Schande“, seufzte Shina. „Sie lebt also wirklich noch?“

„Chris würde wohl sagen leider. Aber sie hat sie nicht umgebracht – warum kann ich euch nicht sagen. Genug Gründe würde sie dafür finden, um es zu rechtfertigen.“

Ryochi senkte den Blick. „Warum will ich diese Gründe nur nicht wissen, Vater? Ich konnte die Frau eh nie leiden. Sie fühlte sich immer als etwas Besseres, als der Rest. Wenn sie geblieben wäre, hätte sie ihren Sohn wohl ziemlich verdorben.“

„Glaubt mir, sie ist der größte weibliche Teufel in der Organisation. Sie hat geschafft, eine Frau dermaßen wütend zu machen, dass sie vergisst, wohin sie gehört. Chris sagte, sie wollte nie gegen ihre eigene Familie vorgehen müssen, aber Yohko Iwamoto stellt eine Ausnahme dar. Sie sind aus gutem Grund heftig aneinander geraten – und zwar wegen Sêiichî. Als Chris für eine Weile aus Japan verschwinden musste, hat sie Yohko, die sie sehr gut kennt, damit beauftragt, die Stellung zu halten. Ich weiß nicht, wieso sie ihr damals vertraut hat, um so etwas zu tun. Vielleicht lag es daran, dass Yohko nicht wusste, dass sie Sharon ist, da konnte sie Madam wahrscheinlich sogar mögen. Denn Sharon redet schlecht von ihrer Tochter und Chris schlecht von ihrer Mutter. Sie können sich offiziell also nicht riechen. Solche Leute mag die liebe Yohko natürlich. Als Chris außer Landes war, hat Yohko die Situation genutzt, um sich Sêiichî zu nähern, der zu der Zeit ziemlich großes Interesse hatte, Vermouth nahe zu sein. Den Rest werde ich nicht erläutern. Aber ich werde mich mit ihrem Fall jetzt intensiver beschäftigen…“

„Uah… Vater, ich glaub mir wird schlecht, ich mach das Fenster auf.“ Der Braunhaarige stand auf und tat, wie er es zuvor angekündigt hatte. Ihm war wirklich schlecht, es war nicht nur so daher gesagt. Als er aus dem Fenster sah, holte er tief Luft. „An ihrer Stelle hätte ich sie umgebracht, wenn ich davon erfahren hätte“, sagte er vor sich hin, spürte aber auch, wie wütend die Sache seinen Vater machte – was man nachvollziehen konnte, da er wie ein richtiger Vater für Sêiichî fühlte und ihn in dem Punkt vor seiner richtigen Familie beschützen wollte. „Wenn Yuichi davon wüsste…“

„Er würde sie nicht anrühren, weil sie eine Frau ist. Aber wirklich davon gekommen, ist sie auch nicht. Chris sagte, dass sie im Eifer des Gefechtes, Säure über ihr Gesicht geschüttet hat. Ich frage mich, ob man das Gesicht der Frau noch erkennen kann, oder nicht.“

„Säure? Ich frage mich, ob es das Einzige ist, was sie mit dem Gesicht von anderen Personen machen könnte.“ Conan kam nicht umhin, einen kurzen Moment an Rum zu denken… Er hatte sich keine allzu großen Gedanken darum gemacht, wie Sêiichîs Mutter sich ihrem Sohn genähert haben könnte, weil er bestimmte Dinge nicht wusste, konnte er das auch gar nicht so gut, wie andere. Aber nur wegen einer Annäherung an das eigene Kind so auszuflippen… Gut stand Vermouth jetzt sicher nicht vor ihm da. Aber er fand, dass Takeshi es gesagt hatte, als würde er sie beglückwünschen wollen. Da musste er sich einfach fragen, wie schlimm besagte Person sein musste, dass sogar der Polizeipräsident sie höchstwahrscheinlich hasste.

 

Ran wirkte nicht sonderlich glücklich. Deswegen zog Yukiko sie beiseite. „Du meintest das wahrscheinlich ernst, dass sie in Gefahr sein könnte, oder? Hör bitte auf, dir um Chris Vineyard Gedanken zu machen. Das würde sie nicht gut finden.“ Shinichis Mutter hatte leise geflüstert.

„Komm mit raus“, sagte Ran und verließ dann den Raum, so dass Jodie und Subaru ihr nachsahen.

„Was stimmt nicht mit diesem Mädchen?“ fragte Jodie Subaru und dieser schloss die Augen, dabei schwieg er. Die Blondine hatte das Gefühl – und das nicht erst seit gestern, dass man ihr Dinge vorsätzlich verschwieg. Einen Moment war Jodie abgelenkt, weil sie eine Mail erreicht hatte, die sie kurzerhand checkte, da kümmerte sie sich nicht weiter um Ran, die mit Yukiko nach draußen verschwand.

~Vermouth hat vor sich mit Gin und Vodka zu treffen. Die planen etwas. Genaueres konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen, weil sich diese Frau immer so geheimnisvoll ausdrückt. Da sind aber einige Sachen über die wir reden müssen.

– Asaki Tamura

~

Ihre Arbeitskollegin war dem blonden Miststück auf den Fersen, das wusste sie, aber sie auszuspionieren war gefährlich, deswegen antwortete sie ihr gleich.

~ Ich hoffe, du hast Unterstützung. Alleine hinter ihr her zu sein, ist total riskant. Pass gut auf dich auf.~

 

Die Braunhaarige seufzte ein wenig erleichtert, als sie draußen im Hof waren, weit weg vom FBI.

„Ob es dir passt, oder nicht, mache ich mir Gedanken um Chris Vineyard!“ Beharrlich wirkte das Mädchen, was Yukiko schon wunderte.

„Aber Sharon hat uns doch erzählt, dass man sich um ihre Tochter nicht scheren muss.“

„Das könnte dieser Frau so passen!“ Jetzt wirkte Ran leicht verstimmt, was man an ihrer etwas lauter gewordenen Stimme merkte. „Auch wenn sie tausend Mal schlecht von ihrer Tochter redet, damit man sie nicht leiden kann. Ich werde ihr den Gefallen nicht tun, sie einfach zu vergessen.“

„Aber Ran-chan“, sagte Yukiko schockiert, fragte sich aber, warum Shinichis Freundin so daran festhalten wollte. „Sie ist eine böse Frau, verstehst du das denn nicht?“

Sofort schüttelte die Schülerin den Kopf. „Hat das Jodie so gesagt? Natürlich denkt sie das. Vermouth wollte sie töten. Zwar hat sie auf mich geschossen, aber sie konnte mir nichts antun. Weil sie…“ Rans Stimme zitterte merklich und sie holte einmal tief Luft, flüsterte dann aber den Rest nur noch…

Man konnte in Yukikos Gesicht sehen, dass das, was Ran ihr zugeflüstert hatte, sie zutiefst erschütterte. Es dauerte einen Moment, dass die Schauspielerin sich fassen konnte, sie atmete mehrmals ein und aus, bevor sie etwas sagte.

„Hör zu, Ran. Ich weiß, dass das furchtbar ist. Du hast sie für eine gute Person gehalten… Es tut mir so leid. Ich wünschte, dass du das nie erfahren hättest.“

Man konnte es nicht mehr ändern, auch wenn sie sich die Frage stellte, wie Ran es herausgefunden hatte.

„Ich habe sie für eine gute Person gehalten. Hältst du sie denn für eine böse Person? Ich kann es nicht glauben. Du arbeitest doch nicht etwa mit dem FBI? Gegen sie? Bin ich die einzige Person, die ihr helfen will?“

„Manche Leute wollen nicht, dass man ihnen hilft“, antwortete Yukiko, aber sie wirkte dabei auch deutlich mitgenommen. „Du traust mir Einiges zu. Natürlich arbeite ich nicht mit dem FBI gegen sie. Aber ich werde diese Menschen auch nicht bei ihrer Arbeit behindern.“

Das allein schien schlimm genug, dass Ran die Augen zukniff. „Sie arbeitet für diese Organisation – du weißt doch, was mit Leuten passiert, die solche Aufträge ausführen. Sowohl hier, als auch in Amerika, wird man sie hart dafür bestrafen. Findest du das nicht auch gemein? Das macht sie doch nie und nimmer freiwillig. Sie wird dazu gezwungen.“

Yukiko war auf gewisse Weise schockiert, aber irgendwie berührte es sie sogar, dass Ran so sehr daran glaubte, dass ihre Freundin gezwungen wurde.

„Das ist eine schöne Vorstellung, dass dem so ist“, sagte sie traurig und seufzte einmal, dabei ging sie ein Stück zum Tor. Yukiko hatte sich herumgedreht, so dass Ran ihr nachging. Das Verhalten von Yukiko wunderte sie, denn sie vermied, dass man sie nun ansehen konnte.

„Es war auch für mich hart, davon zu erfahren. Du darfst dich unter keinen Umständen an diese Frau klammern. Sie ist tot und dabei sollte man es belassen.“

„Das sagst ausgerechnet du?“ Das Mädchen war erschüttert, dass Yukiko offensichtlich ihre Freundin dermaßen im Stich lassen wollte. Sie war so enttäuscht, dass sie gerade an dieser vorbei gehen wollte, dann aber die bitteren Tränen der Verzweiflung sah, die in den Augen der Schauspielerin standen. Als sie ihr ins Gesicht sehen konnte, legte die Frau beide Hände in dieses, dabei schluchzte sie auf. „Es ist furchtbar, dabei zuzusehen. Alles, seit diesem Tag damals ist schrecklich, Ran. Ich kann sie nicht retten, niemand kann das. Meinst du, das ist einfach für mich?!“

Die 17-jährige ging zu ihr und umarmte sie. In dem Moment verbarg sie auch ihre eigenen Tränen, die in ihren Augen standen – gerade wollte sie alles, nur nicht schwach sein, für Yukiko.

„Hör auf zu weinen“, flüsterte sie, „sie ist doch am Leben. Also sag nicht, dass sie tot ist. Das ist sie nicht. Ich habe nichts gesagt. Daher weiß sie nichts davon. Sie wirkte glücklich in diesem Moment, da wollte ich die Sache nicht durch so etwas kaputtmachen. Auch ich will die Wahrheit wissen. Ich will erfahren, warum sie so etwas tut. Trotzdem musst du an deine Freundin glauben. Sharon ist nicht böse, und das, was wir in Amerika gesehen haben, war auch keine Täuschung, davon bin ich überzeugt.“

Ran sagte das total ruhig, während Yukiko die Tränen nicht mehr halten konnte und sich deswegen noch mehr an das Mädchen drückte. „Was soll ich denn machen? Soll ich sie ohrfeigen und schütteln, damit sie damit aufhört? Ich kann immer noch nicht begreifen, dass sie nicht nur zur Show mit Waffen hantiert.“

Obwohl beide einen herzzerreißenden Moment hatten, wurden sie beobachtet, aber beide merkten das noch nicht. Erst als Ran in die Richtung der Person schaute, weiteten sich ihre Augen und besagte Frau sprach sie an.

„Tut mir leid. Aber es ist die Wahrheit. Seit über 20 Jahren ist das FBI hinter dieser Ganovin schon her. Man konnte ihr bisher nur nie etwas nachweisen. Weil sie sämtliche Spuren beseitigt…“

„Nein, bitte, Jodie, sag ihr das nicht…“ bat Yukiko, die FBI-Agentin schüttelte aber den Kopf.

„Es bringt nichts, die Wahrheit zu leugnen. Sie hat meinen Vater getötet und hat anschließend das gesamte Haus niedergebrannt. In diesem Feuer hätte ich sterben sollen. Aber ich bin noch hier. Und ich werde sie kriegen, sobald ich etwas gegen sie in der Hand habe. Du musst sie nicht bedauern. Sie hat es verdient. Ein Verbrecher, wie sie, muss bestraft werden.“

„Achja? Wirklich?“ meinte Ran, löste sich dann von Yukiko und ging auf Jodie zu.

„Und was, wenn sie unschuldig ist? Mhm? Was dann? Wollen Sie dann eine Unschuldige einsperren?“

„Unschuldig? Wie kommst du nur zu der Annahme, dass sie unschuldig sein könnte? Es macht ihr Spaß, andere Leute zu demütigen, so wie mich. Sie fühlt sich überlegen, mit ihren Schauspielkünsten. Ich werde sie nicht so weitermachen lassen.“

„Ach, aber Sie wissen so genau, dass sie schuldig ist?“ entgegnete Ran und wirkte dabei mehr als nur wild entschlossen.

Überrascht blickte Jodie das Mädchen an. „Sie ist wirklich gut, das muss man ihr lassen. Sie schafft sogar, dich zu täuschen.“

Ein unverschämtes Lächeln war in Rans Gesicht aufgetaucht, um diesen Worten zu begegnen. „Ich glaube eher, Sie sind es gewesen, die getäuscht wurde.“

„Was?“ Die FBI-Agentin war schockiert. Mit so viel Frechheit hatte sie nicht gerechnet, schon gar nicht seitens Ran.

„Ich denke mir erlauben zu können, dass Sharon Vineyard Ihnen beipflichten würde. Sie würde wohl sagen, ja, Verbrecher verdienen ihre Strafe. Ist Ihnen je in den Sinn gekommen, dass sie auf der Flucht ist? Dass sie um ihr Leben kämpft? Warum sonst sollte sie sterben müssen? Ich weiß hundertprozentig, dass ihr Tod dazu diente, einer Sache zu entfliehen. Warum sollte sie sonst so ein Mensch werden? Sie wissen doch, wer sie jetzt ist! Selbst als ihre so genannte bösartige Tochter war sie nicht dazu fähig, mir auch nur ein Haar zu krümmen! Sie hat auf ganzer Linie versagt, sich zu beerdigen. Ich bin ihr begegnet – nicht nur in dieser einen Nacht. Sie konnte nicht gemein zu mir sein, so wie man es Chris Vineyard nachsagt. Ihre so böse Verbrecherin hat ein ganz schön weiches Herz, was das angeht.“

„Wie kann diese Person ein weiches Herz besitzen, wenn sie eiskalt den Kopf von Menschen anvisiert?“

„Sie ist Schauspielerin. Es sollte ihr also nicht allzu schwer fallen, wenn sie mit der Person kein allzu enges Verhältnis pflegt. Aber sie würde weder mir noch Yukiko irgendetwas antun!“

Yukiko ging zu Ran und ergriff ihre Schultern, da sie ziemlich laut geworden war und Jodie wohl den Kopf waschen wollte, was sie aber nicht sollte. „Beruhig dich, sie hat schlimme Sachen durchgemacht, man kann ihr das kaum vorwerfen, dass sie Sharon nicht so gut leiden kann, wie wir das vielleicht taten.“

„Du bist nicht die erste Person, die auf sie hereinfällt, Ran-chan. Außerdem ist falsch, dass es mir um Rache geht. Ich will wissen, was mein Vater ihr Schlimmes getan hat, damit sie ihn umgebracht hat. Ich kann nicht ruhig schlafen, ohne die Wahrheit zu erfahren.“

„Was wird er wohl gemacht haben?“ fragte Yukiko. „Gegen sie ermittelt. Das reicht als Grund doch aus, oder nicht? Versager werden eliminiert, daher ging es ihr damals wohl ums Überleben.“

„Da seid ihr euch wohl einig. Wir sollten wieder reingehen. Es ist nicht gerade warm heute Morgen. Ihr erkältet euch noch“, meinte Jodie und wirkte dabei eigentlich immer noch genauso nett, wie zuvor auch.

„Ich habe wirklich Angst, dass jemand sie umbringt und ich sie dann endgültig verliere. Sie werden doch verhindern, dass so etwas geschieht oder?“ fragte das Mädchen.

„Das Letzte, was ich will, ist, dass jemand sie umbringt. Strafe muss nicht immer gleich so aussehen. Schon lustig, mir hat schon einmal jemand vorgeworfen, ich würde wollen, dass man sie umbringt. Das ist falsch. Ich habe auch ihm damals verständlich gemacht, dass das nicht ist, was ich will. Du kannst also beruhigt sein.“

„Wirklich?“

„Du kannst ihr glauben“, rief ihnen Subaru aus der Haustür entgegen. „Ihr solltet aber nicht über so etwas reden, wenn ihr da draußen seid. Wenn das die falschen Personen mitbekommen, bekommen wir alle großen Ärger. Und nun kommt wieder rein.“

Erschrocken drehte sich Jodie zu Subaru herum. „Irgendwie hat es uns alle nach draußen gezogen.“

Wegen dieser Aufforderung gingen alle wieder nach drinnen, dabei versuchte Yukiko sich die Tränen wegzuwischen. Was war nur in sie gefahren, so die Beherrschung zu verlieren?

Nachdem Ran die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, betrachtete sie Subaru einen Moment länger. „Mhm…“ Es wirkte äußerst skeptisch, wie sie den Mann ansah.

„Keiner von uns will, dass man sie umbringt. Leider werden wir nur gern missverstanden, weil wir vom FBI sind. Von uns hält man nicht viel. In manchen Punkten kann ich das sogar verstehen.“ Es lag ein Grinsen in seinem Gesicht.

„Wir haben nicht einmal die Erlaubnis hier zu ermitteln. Bisher hat sie niemanden hierzulande umgebracht. Solange haben wir nicht das Recht, zu fordern, hier ermitteln zu können, verstehst du. Wenn sie wieder etwas machen will, halten wir sie schon davon ab. Das musste ich Yukiko-san auch versprechen, da willigte sie ein, uns zu helfen. Wir wollen auch wirklich nur das. Menschen helfen.“

Das Mädchen wirkte noch nicht ganz überzeugt, weshalb sie den Boden anvisierte und lediglich mit den Augen nach oben schaute.

„Ich muss aber auch sagen, dass es mich überrascht hat, von dir zu hören, dass du glaubst, Sharon will bestraft werden.“

Jodie wunderte sich immer mehr. So etwas in die Richtung hatte ihr Kollege bisher nie gesagt. „Warum sagst du das jetzt so verheißungsvoll?“

„Ganz einfach. Sie ist ein Profi auf ihrem Gebiet. Nicht nur in Sachen Verkleidung, ist sie das. Mittlerweile jedenfalls. Als sie damals deinen Vater getötet hat, war sie dafür bekannt, keinerlei Spuren zu hinterlassen. Wieso sollte eine Profikillerin ohne Handschuhe arbeiten? Diese Leute tragen immer Handschuhe. Sie hat die Spuren also selbst gelegt – vielleicht in der Hoffnung, dass man sie überführen kann und der Organisation auf die Schliche kommen könnte. Dieser eine Mord ist der einzige, von dem wir wissen. Oder sagen wir, du weißt nur von diesem Mord. Ein einziger, bedauerlicher Fehler kann ausreichen, dass man jemanden seines Lebens berauben muss. Das ist schon eine sehr bittere Erkenntnis. Glaub mir.“

„Ich kann mich noch sehr genau an diese Nacht erinnern, obwohl ich so klein war, Subaru-san“, sagte Jodie und senkte anschließend den Blick. „Ich hätte damals geschworen, dass sie eine nette Person ist. Aber ich war ein Kind. Das konnte wohl kaum entscheiden, ob jemand gut oder böse ist. Es fällt mir jetzt etwas schwer, zu glauben, dass sie auch nur eine Tat bereut. Wie viele es auch waren.“

„Sie ist nicht die einzige Person an diesem Ort, die irgendetwas beseitigen muss. Aber von Spaß kann man in ihrem Fall auch nicht reden. Alles, was sie tut, muss sein. In ihren Augen jedenfalls.“ Was genau der Hellbraunhaarige damit meinte, verriet er nicht.

„Die ganze Zeit frage ich mich, was du vielleicht weißt, was ich nicht weiß. Von ihr, meine ich.“

„Genug, um das Schlimmste zu verhindern. Zum Beispiel, dass sie dich anrührt. Wahrscheinlich würde es sie noch entsetzen, wenn sie uns hören würde – weil sie nämlich glaubt, dass wir ihr Böses wollen. Aber das muss auch schön so bleiben, dann tut sie genau das, was wir von ihr wollen.“

Ran mochte ihn nicht – er redete, als würde alles nach Plan laufen – geradezu, als wenn sie sie nur benutzten.

„So etwas ist nicht helfen, sondern benutzen! Sie wollen ihr nicht helfen.“

„Ach na ja, indirekt tun wir das aber. Bisher ist sie immer entkommen…“ Jetzt grinste Subaru doch mehr als gehässig und Jodie sah ihn mit Halbmondaugen an.

„Ich wusste schon damals, dass du dich ganz und gar komisch verhältst, sie auch noch zu beglückwünschen. Besorgt um den Jungen bist du auch nicht gewesen. Du wusstest, dass sie Kindern nichts antut. Außer in diesem einen Fall. Ich habe immer noch nicht verstanden, was sie gegen das kleine Mädchen hat.“

„Tja… Das ist eine Sache, die ich noch nicht herausfinden konnte, weil ich dafür nicht lange genug unter ihnen war. Ich will auch nie mehr freiwillig unter ihnen sein. Es gibt da andere Leute, die freiwillig unter ihnen sind. Denen ergeht es dort auch nicht besonders gut.“

Ran wirkte ernstlich verstimmt, aber Subaru konnte nachvollziehen, warum. Er wusste, wie schäbig es geklungen haben musste, was sie mit dieser Frau machten.

„Es ist besser für dich, wenn du dich aus der Sache raus hältst. Das Ganze ist gefährlich. Indem du dich einmischst, hilfst du ihr auch nicht.“

Was genau sich aus der Sache raushalten zu bedeuten hatte, war nicht ganz klar. Allen Beteiligten wäre wohl am liebsten, sie vergaß einfach alles, was sie herausgefunden hatte.

‚Ich muss dringend mit meiner Mutter mal über diese Sache reden. Irgendwie glaube ich nicht, dass ich hier allzu viel erreichen kann. Für diesen Kerl ist sie nur Mittel zum Zweck. Was würde Shinichi wohl dazu sagen? Er war ziemlich besorgt um mich. Aber was würde er nun tun?’

 

Jodie glaubte, es war Zeit, sich zu verabschieden. Subaru war ja bei Yukiko, also konnte ihr schon einmal nichts passieren. Die Mail von vorhin ließ sie aber nicht los, deswegen wollte sie sich mit diese Kollegin ganz gern treffen. Sie hatten bisher nicht das Vergnügen gehabt, viel miteinander zu schaffen zu haben, aber sie wollte ihrer Bitte gerne nachgehen. Subaru hingegen blickte aus dem Fenster, wo er den schwarzen Porsche sah, was ein Grund für ihn war, sich doch ein bisschen zu sorgen…

Er sah zu Ran hinüber, die zum Glück keine Fragen über Ai Haibara gestellt hatte – immerhin hatte sie das Mädchen vor Vermouth beschützt – mit ziemlich großem Erfolg.

‚Was macht dieses Auto eigentlich dort? Irgendetwas sagt mir, dass ich der Sache mal nachgehen sollte…’

 

In einem günstigen Moment telefonierte eine Frau mit einer anderen Person.

„In der Tat, sie schleicht im Polizeipräsidium herum, als könne sie kein Wässerchen trüben. Diese Leute sind entweder dumm – oder sie tun nur so, als wenn sie nicht bescheid wissen. Es ist schon ein listiges Schauspiel, wie dieses Frauenzimmer einfach hier rumgeistert und völlig freundlich mit so manchem Polizisten plaudert, als wäre das nichts Besonderes. Sie wiegen sie also entweder in Sicherheit, um im rechten Moment zuzuschlagen, oder das Weib macht gemeinsame Sache mit denen. Ich werde die Zielperson weiterhin im Auge behalten. Einer von ihnen spielt falsch – zuzutrauen ist es jedem.“

„Übernimm dich nicht, deine Tarnung darf unter keinen Umständen auffallen. Am Ende ist dieses Weib wirklich mit im Boot, dann würde die uns ziemlich alt aussehen lassen. Denk immer daran, sie ist Schauspielerin, ihr Spezialgebiet ist die Täuschung. Sie versteht es wie kaum eine Zweite ihr Handwerk für ihre Ziele zu benutzen.“

„Lächerlicher geht es kaum. Einfältige Zuschauer – vor allem die Männer. Sêiichî Iwamoto ist ihr deutlich wohl auch total verfallen…“

„Erzähl mir nicht so langweilige Sachen, finde lieber etwas Neues heraus. Der Kerl ist ihrhörig, die Polizei kann einem leid tun. Wenn es um sie geht, wird er die  verraten…“

„Im Ernst? Ach Gott – der meinte das doch nicht etwa ernst, dass Chris Vineyard seine Freundin ist…“ Sie machte eine kurze Pause, grinste dann aber höhnisch. „Am Ende gilt seine Loyalität noch der Organisation und alle denken nur, er sei gut. Wie kann ein Kerl auch gut sein, der von den Intrigen dieses Frauenzimmers weiß?“

„Nothing is impossible in this world. Especially not in love”, erwiderte die Andere geheimnisvoll und lachte anschließend auf. „Ich erwarte von dir, dass du deine Tarnung aufrecht erhältst, egal was geschieht, hast du verstanden? Keine waghalsigen Aktionen, weil’s dir wegen der Pute in den Fingern juckt.“

„Oh, Schätzchen, ich bin eine Weile in diesem Business, so etwas ist doch ein Kinderspiel für mich.“

„Wie auch immer – ich erwarte Ergebnisse, also enttäusch mich nicht! Unser Goal ist vorwiegend abzuwarten, bis sie das Präsidium hinter sich gelassen hat – dann sitzt unser Target in der Falle.“ Die zweite Person mixte unverkennbar Japanisch mit englischen Worten, die in Japanisch wohl das Gleiche bedeutet hätten, aber in Englisch unterschiedliche Dinge beschrieben.

Ein Ziel, das es zu erreichen galt und ein Ziel, was zu treffen war.

„Wer muss sich wohl mehr in Acht nehmen? Sharon Vineyard oder Sêiichî Iwamoto?“ hinterfragte die Telefonierende skeptisch, dabei klang sie aber auch außerordentlich verschlagen.

„At the end of the show, you will know.“ Nach den Worten hatte die Person aufgelegt und die Zweite blickte ihr Handy mit einem mürrischen Blick an. „Wenn du auf Sharons Seite bist, leg ich dich um, du elendes Miststück! Der alte Sack wird mir bestimmt gern dabei helfen. Zumindest, wenn ich ihm bald sage, was sein Schätzchen mit den Bullen so zu schaffen hat…“

 

Mittlerweile hatte sich Ran von Yukiko verabschiedet, nachdem sie versprochen hatte, nicht mehr allzu viel zu grübeln. Es war ja geradezu fahrlässig, ihr das auch noch abzukaufen – aber sie, die oft in Theaterstücken mitspielte, wusste ebenfalls um die Kunst des Schauspielens, nicht ohne Grund bewunderte sie Sharon Vineyard. Auch heute noch war sie fasziniert von ihrer Schauspielerei, daher war es Ran ein Leichtes, jemanden zu täuschen. Bei Shinichi hatte das bisher auch immer bestens funktioniert. So viele Menschen waren ihr zunächst eingefallen, die ihr helfen könnten, mittlerweile war die Zahl erheblich gesunken. Nicht einmal Yukiko – ja, nicht einmal die wollte ihr wirklich helfen. Da war ihr eine weitere Person eingefallen, die mit Freuden für sie tätig werden würde, davon war die Schülerin überzeugt, denn diese war Detektiv, ebenso wie Shinichi. Allerdings spezialisiert auf einem Gebiet, was ihr gerade mehr als gelegen kam, außerdem vertraute sie ihr.

Sie sah nicht die Person, die sie heimlich dabei beobachtete, wie sie ins Polizeipräsidium ging, was auch nichts besonderes war, da sie als Môris Tochter Derartiges ständig tat. Dennoch hatten die Augen das Mädchen gierig erfasst und verfolgten sie bis ins Innere des Gebäudes. Bis sie zum Fahrstuhl eilte und in diesem verschwand, dann begann auch die besagte Person zu rennen. Im letzten Moment konnte sie noch verfolgen, in welchen Stockwerken dieser anhielt. Natürlich konnte derjenige nicht wissen, welche der vielen Haltestationen das Mädchen anstrebte und ärgerte sich darüber, dass sie ihr nicht so schnell folgen konnte.

‚Wo will sie hin? Ohne ihren Vater hat sie hier nichts verloren!’ dachte die schwarze Gestalt, verdrückte sich anschließend jedoch wieder, als jemand auf sie zusteuerte – derjenige durfte sie unter keinen Umständen erwischen…

 

Es kam, wie es kommen musste…

Infiltration Teil 4 - Lies or truth?

Es kam wie es kommen musste…

Ran traf auf dem Weg Miwako und Wataru, welche sie natürlich sofort freudestrahlend begrüßte. Doch das war nicht das Einzige, was passierte. Die Kriminalistin hatte ihren Kopf abgestützt und bemerkte vor lauter Nachdenklichkeit das Mädchen nicht einmal, anders als Wataru, der kurz zwar besorgt Miwako beobachtete, die über die Sache sicher nachdachte.

„Gut, dass ich Sie hier treffe, Takagi-Keiji“, meinte Ran erfreut, „ich suche Shina Kudô. Ich habe gehört, sie soll hier im Präsidium tätig sein, genauso wie ihr Verlobter. Können Sie mir sagen, wo sie ist?“

Den Satz hatte Conan noch mitbekommen, allerdings war er schleunigst um die Ecke verschwunden, um zu lauschen. Es war ihm suspekt, was Ran von seiner Schwester wollen sollte, außer diese ausquetschen – über zwei Fälle, die sie beschäftigten. Amuro hatte ihr nicht geholfen und deswegen ging sie zu dem Nächsten. Das passte dem Jungen überhaupt nicht in den Kram…

„Shina ist zusammen mit ihrem Verlobten noch bei dessen Vater im Büro. Du kannst ja hier warten. Sie werden sicher danach zu uns kommen, um sich zu verabschieden. Beide hatte noch etwas vor. Ich glaube, Geschenke kaufen, für den besten Freund ihres Verlobten. So etwas war es, glaube ich.“

„Oh, hallo Ran-chan“, meinte jetzt Miwako nach einem Moment, da das Gesprochene sie aus den Gedanken geholt hatte. „Was willst du denn von der Detektivin?“

„Oh, nichts so furchtbar Dramatisches, nur etwas über Shinichis Geburtstag besprechen. Der ist ja auch schon in knapp einem Monat.“

Conan, der das Ganze belauschte, blickte mit Halbmondaugen zu dem Mädchen, was das Blaue vom Himmel runterlog, da war er sich sicher.

 

Wenig später kam Ryochi – ohne Shina – zu den beiden Kriminalisten und entdeckte auch sofort Ran. „Was machst du so früh am Morgen denn schon hier? Du weißt doch, dass wir zusammen mit Conan etwas mit meinem Vater besprechen mussten. Willst du ihn etwa schon wieder abholen?“ fragte der Braunhaarige, woraufhin Ran ihn anlächelte. „Nein, nicht deswegen, ich wollte mit Shina reden. Sie ist doch nicht etwa schon gegangen?“

„Nein, sie ist noch bei meinem Vater. Die bereden irgendetwas Geheimnisvolles… Tja, Frauen und ihre Geheimnisse.“

„Was? Sie haben dich aus ihrem Gespräch ausgeschlossen? Wie gemein ist das denn?“

„Ich soll hier auf Shina warten. Ich weiß ehrlich nicht, was sie Geheimnisvolles zu besprechen haben. Conan haben sie auch rausgeschickt. Er ist mir leider entwischt. Kaum, dass wir zum Aufzug gingen, ist er mit einer läppischen Entschuldigung davon gerannt. Unglaublich, er ist ganz schön frech.“

„Also wirklich, man sollte ihn gehörig schimpfen!“ sagte Ran tadelnd, obwohl Ryochi natürlich nichts falsch gemacht htte. Er war ihm nachgerannt, aber anscheinend versteckte er sich…

„Ich musste doch nur auf die Toilette“, hörte man jetzt Conan fiepsend aus der Ecke heraus quieken, so dass Ran und Ryochi beide einen Schweißtropfen an der Schläfe hatten. Beide kauften ihm sein kleinkindhaftes Verhalten nicht ab.

„Shinichi ist nicht einmal da, was willst du denn da von Shina? Sie soll ihn doch nicht etwa für dich finden, oder? Vermisstenfälle sind ja schließlich ihr Gebiet!“

„Das geht dich nichts an!“ tadelte Ran den Jungen.

Sie war in den letzten Tagen wirklich sehr barsch in diesen Dingen und der Junge wusste nicht einmal, was er Schlimmes gemacht haben sollte, um so etwas zu verdienen…

„Ach – Miwako, würdet ihr wohl auf den Jungen achten, dass er nicht wieder abhaut? Ich bring Ran zu Shina.“

Anscheinend wollten ihn heute alle ärgern – jedenfalls dachte das Conan.

„Ich will aber mitkommen!“

„Kommt nicht in Frage, Conan“, kam von Ran in einem strengen Ton, woraufhin sie mit Ryochi davon ging.

„Oioi, dicke Luft?“ fragte Ryo, daraufhin sah er nur den schmollenden Ausdruck in Rans Gesicht. „Dieses Kind muss nicht alles wissen.“

„Frechheit, jetzt lässt sie mich hier allein“, hörte man noch Conan sagen, so dass Ran jetzt grinste. Sie begrüßte, dass Ryochi sie mitnahm und Conan durfte das alles nicht wissen.

„Und was willst du wirklich von Shina? Mit Shinichis Geburtstag hat das eher nichts zu tun, oder? Willst du wirklich, dass Shina Shinichi findet? Glaubst du nicht, dass sie das nicht sowieso vorhat?“

„Ich glaube, sie hat ihn längst gefunden, aber nein. Es geht um eine andere Sache…“

„Okay, darf ich davon wissen, oder geht mich das auch nichts an?“

Das Mädchen sah sich mehrmals um. „Nicht hier. Wir können ja gemeinsam zu Shina. Dann erfährst du es auch.“

„Also darf nur Conan nichts davon wissen? Weißt du, dass das sehr verdächtig ist?“ fragte er, nachdem sie in den Aufzug eingestiegen waren.

„So, wie er sich benimmt, sollte er nichts davon erfahren. Außerdem…“ Ran wirkte betrübt und schaute runter. „Conan lügt mich auch an, deswegen werde ich ihm nichts davon sagen. Das ist nur fair, oder?“

Das Bling vom Aufzug ertönte und Ryo nickte, fand es aber nicht gut, dass es zwischen den Beiden durch so etwas kriselte. Immerhin war es ja Shinichi. Wenn Ran davon erfuhr… Er wollte sich das nicht vorstellen – denn das Mädel hatte ganz schön Temperament.

 

Natürlich war Shina noch immer bei Ryochis Vater, als beide das Büro erreichten. Der junge Mann wagte, einfach anzuklopfen und sich reinbitten zu lassen, ohne die Sekretärin zu fragen.

„Tut mir leid, dass ich euch noch einmal störe.“

Shina besah Ryo mit einem scharfen Blick, denn dass es ihm leid tat, glaubte sie ihm nicht. Er störte doch gerne, weil er ein bisschen schmollte.

„Was gibt es, Ryo?“

„Shina, brauchst du noch lang? Ich habe da jemanden, der dringend mit dir reden will.“

„Wen denn?“ Der Detektiv schob Ran zur Tür rein und grinste dabei frech. „Sie will etwas von dir.“

„Oh, Ran. Ist es dringend?“

„Ja, superdringend…“

Sowohl Shina, als auch Takeshi sahen dem Mädchen an, dass es wirklich so dringend war. „Komm rein, Ran. Ryochi, lass uns kurz allein, bitte“, sagte Shina mit einem leicht herausfordernden Lächeln. „Ich fass es nicht…“ Mit den Worten machte er die Tür von draußen zu.

„Jetzt schmollt er bestimmt“, bedauerte Ran, doch die Hellbraunhaarige lächelte. „Warum glaube ich, dass du das Problem mit uns beiden besprechen willst?“ schlussfolgerte Shina und nahm Ran an der Hand. „Was ist denn passiert? Du siehst ziemlich besorgt aus. Es geht doch nicht um meinen Bruder, oder etwa doch?“

„Nicht wirklich – ich weiß ja, dass es ihm gut geht.“

„Ach ja, wirklich?“ Shina grinste, wobei dieses Grinsen ein klein wenig gemein wirkte. „Wenn er das wüsste, würde er jetzt wohl die Beine in die Hand nehmen.“

„Den werde ich schon noch kriegen – in einem Moment, wo er nicht flüchten kann.“

„Nachts im Bett wahrscheinlich“, amüsierte sich Takeshi mit einem kleinen Lachen, weil er es einfach nicht lassen konnte.

Shina zog Ran bis zum Stuhl, wo vorhin noch Ryochi gesessen hatte und setzte sich neben sie. „Nun erzähl, was macht dir Sorgen?“ fragte sie und auch Takeshi besah die Tochter von Môri mit fragendem Blick.

„Oh, vor Akaja-san ist mir das ein bisschen unangehm, weil es sich nicht ganz gehört.“

„Etwas Verbotenes? Na, wir werden dir nicht gleich den Kopf abreißen“, sagte der Polizeipräsident und Ran musste sagen, dass sie ihn wirklich sympathisch fand. Er war nicht, wie die meisten hohen Polizeitiere kühl und nur ernst, sondern machte wohl auch gerne mal einen Spaß am Rande.

„Es geht um eine Person, die sich in dieser Stadt versteckt hält. Ich will sie finden.“

„Warum das?“ fragte Takeshi direkt und Shina überließ diesem das Ruder.

„Sie steckt in großen Schwierigkeiten, aber niemand will mir dabei helfen. Detektiv Amuro hat wenig Lust tätig zu werden und Shinas Mutter sagt, ich soll nicht mehr darüber nachdenken.“

„Weiß die Person schon, dass sie in Schwierigkeiten ist?“ wollte Takeshi wissen und Ran nickte etwas zögerlich.

„Also ich glaub schon. Aber sie würde wohl beschwichtigen und sagen, dass man sich keine Sorgen machen muss. Das hat sie nämlich gestern so ähnlich gesagt. Außerdem, dass wir achtgeben sollen, wir sollen bei Dunkelheit nirgendwo alleine hin. Anscheinend ist sie paranoid und denkt, dass in jeder dunklen Ecke eine Gefahr lauert.“

„So falsch ist das nicht, Ran“, sagte Shina und dachte einen Moment darüber nach, ob es tatsächlich sein konnte, dass sie sie meinte. Das wäre schon ein dickes Ding.

„Es ist eine harte Nummer, aber Shina wird das sicher nicht schocken – sie hat schon so einige Geschichten aufgedeckt.“ Ran traute sich nicht, sofort mit der Sprache herauszurücken, sie holte dann aber ihr Handy aus der Tasche und klickte ein paar Mal auf diesem. „Es geht um die Person auf diesen Bildern.“

Shina schielte über Rans Schulter, dabei zeigte sich Verblüffung in ihrem Gesicht. „Wie bist du denn an diese Bilder gekommen?“

Ran wurde rot im Gesicht. „Unsere Klasse war im Englischunterricht für einen Praxistest in der Nähe des Tokyo Towers unterwegs, weil dort viele englisch sprachige Touristen unterwegs sind, an denen wir unser Englisch erproben können. Tja und dann steuerte sie auf uns zu und wir sprachen sie an. Sie unterhielt sich sogar recht freundlich mit uns, so ganz anders als ihre Mutter uns damals gesagt hat.“

Rans Stimme klang tieftraurig, weshalb Shina ihr über die Schulter strich. „Sie war da vielleicht ein bisschen nachtragend, mhm?“ wollte sie Ran Trost spenden, doch diese schüttelte den Kopf. „Nein, Sharon Vineyard ist noch am Leben und flüchtet vor etwas. Ich glaube, dass man in dieser Sache kaum jemandem trauen kann.“

„Ach du heiliges Kanonenrohr. Wie kommst du auf die Idee, dass sie noch lebt?“ fragte Shina, ohne sich etwas anmerken zu lassen, dass sie die Sache doch etwas schockte.

„Nicht nur, dass sie nett war, sie wusste Dinge, die sie nicht wissen kann, wenn Sharon und ihre Tochter seit über zehn Jahren keinen Kontakt zueinander hatten. Sie denkt wahrscheinlich, dass man mir etwas vom Bären erzählen kann. Bestimmt wäre sie auch sehr sauer, wenn sie wüsste, was ich hier mache.“

Die Augen des Mädchens funkelten traurig. „Aber ich bin davon überzeugt, dass ich ihr helfen muss. Ich bin ihr nicht umsonst in Amerika begegnet.“

„Das Schicksal schlägt manchmal ganz schön heftig zu“, mehr sagte Shina jetzt nicht zu diesem Thema.

„Du sagst, sie hat Ärger und ist auf der Flucht. Sehr interessant“, sagte Takeshi und griff zum Telefonhöher. „Ich will wissen, was eine gewisse Person dazu zu sagen hat. Ich kenne da nämlich jemanden, der sehr vertraut mit ihr ist. Den wird das brennend interessieren.“

„Was?“ Shina sah das etwas freche Lächeln im Gesicht von Ryos Vater, der nun wohl allen Ernstes…

„Shinichi wird die Krise kriegen und Chris Migräne“, sagte sie, dann sah sie zum Fenster – es war ganz schön frech von Ryos Vater, so etwas zu tun.

„Ach, man muss dem Schicksal auf die Sprünge helfen. Ich weiß, dass sie gern vor sich selber wegläuft. Wäre schon etwas Spektakuläres, wenn Sêiichî sie einfach zum Essen mitbringt und Chris auch da ist. Da könnte sie nicht einfach wegrennen, wie sie das in der Öffentlichkeit tun würde.“

„Wovon spricht er?“ fragte Ran Shina verunsichert und diese zuckte nur leicht grinsend mit den Schultern.

‚Ich sehs kommen. Zu Sêiichîs Geburtstag bringen wir Ran mit und Chris kann nichts machen. Die würde aber schimpfen…’

 

Sêiichî konnte nicht sofort ans Handy gehen, weil er beschäftigt war, eine Scheiße auszubügeln, die er angezettelt hatte, deswegen gelang es ihm nicht, auch wenn er den Anruf sehrwohl mitbekam. Erst als er das Problem losgeworden war, konnte er Ryochis Vater zurückrufen.

„Ich konnte gerade nicht, war beschäftigt. Du rufst mich doch nie einfach so an. Ist etwas passiert?“ fragte er jetzt hektisch und ein Lachen war am anderen Ende zu hören.

„Nein, keine Sorge. Ich habe hier nur eine besorgte Schülerin. Kannst du herkommen, oder ist es dir noch zu früh?“

„Heute wollen mich auch alle nur ärgern. Ich habe wie gesagt noch etwas zu tun. Wie dringend ist es denn?“

„Also das Mädchen sagt, es ist superdringend. Es wäre schon sehr wichtig, dass du dir mal anhörst, was sie zu sagen hat. Ihr Name ist Ran Môri.“

„Môris Tochter ist bei dir? What the fuck! That’s suprising. Was für Probleme hat sie? Doch nicht etwa…“

„Sie will eine Vermisstenanzeige aufgeben“, sagte Takeshi und Rans Augen wurden riesig.

„Oh nein“, es war ihr peinlich, denn man merkte, dass das Gespräch eher lustiger Natur werden sollte.

„Wer wird denn vermisst?“

„Sie will Chris Vineyard finden. Weil sie in höchster Gefahr schwebt. Also komm her, wenn du kannst. Vielleicht kannst du sie beruhigen.“

„Oh man, wieso denn ich? Was soll ich ihr denn sagen?“

„Lass dir mal was einfallen, du bist sonst so kreativ.“

„Ihr seid alle so gemein zu mir“, jammerte Sêiichî und seufzte daraufhin.

„Einbildung ist auch eine Bildung. Wie schnell kannst du hier sein?“

„Gib mir eine halbe Stunde, das schaffe ich“, verriet der Schwarzhaarige und seines Vaters Gesichtszüge wirkten sehr zufrieden, was aber nur die Leute in seinem Büro sehen konnten, seine Stimme verriet nichts davon, als er sich verabschiedete. „Ich wusste, dass dich das interessieren würde. Ich weiß, dass du dich für sie interessierst.“

„Eines Tages zahle ich euch allen das heim – euch erzähle ich nie mehr, was mich beschäftigt, wenn ihr mich damit so ärgert.“

„Niemand will dich ärgern. Die Kleine ist wirklich sehr beunruhigt, aber ich weiß, dass du einen guten Draht zu Mädchen ihres Alters hast. Du wirst mich nicht enttäuschen.“

Wenig später legten sie auf und er faltete die Hände. „Er kommt her. Aber er braucht ein bisschen.“

„Wie hat er denn reagiert?“ fragte Shina.

„Ich würde sagen, ganz aus dem Häuschen trifft es.“

„Darf ich erfahren, was hier Geheimnisvolles gespielt wird?“ Leichte Skepsis war in Rans Stimme, ebenso wie in ihrem Gesicht.

„Zufällig habe ich gute Verbindungen. Die Person, um die es sich handelt, ist in enger Verbindung zu der Frau, die du so verzweifelt versuchst ausfindig zu machen. Er ist ein netter Kerl, auf den sich diese Frau hundertprozentig verlassen kann. Er wird dir mit Freuden helfen, außerdem weiß er einiges, was dich vielleicht interessieren könnte.“

„Warum sagst du Ran nicht gleich alles? Dann kann Sêiichî sich schämen und Chris braucht erstmal ein paar Beruhigungstabletten.“

„Wenn sie den Schock überwunden hat, freut sie sich am Ende darüber.“ Er lächelte Ran an. „Du musst dir nicht so viele Sorgen machen. Dass sie auf der Flucht ist, kann man nicht so wirklich sagen. Aber sie versteckt sich gern vor der Öffentlichkeit. Das ist alles.“

„Ach, wirklich?“ Man konnte Ran nicht so einfach überzeugen. „Dass das in Japan besser geht als in Amerika stimmt schon, aber… Mhm…“

„Hoffen wir, dass er trotz allem vorsichtig fährt. Ich weiß, dass Sêiichî sich für Ran interessiert…“

„Als hätte ich es geahnt.“ Shina seufzte.

„Was ist denn so besonders an mir?“ fragte Ran verwirrt.

 Daraufhin lächelte Shina geheimnisvoll und antwortete: „Tja – außer der Tatsache, dass du ein herzensguter Engel bist? Wer weiß, wer weiß?“

 

Es dauerte kaum 20 Minuten, da stürmte Sêiichî das Präsidium. Er machte seinem Namen alle Ehre, Sêiichî Iwamoto, der Stürmische – er rannte an der Sekretärin vorbei. „Finde den Weg allein, werd’ erwartet“, haute er hastig raus und riss die Tür auf, was die Insassen jetzt doch etwas erschreckte.

„Also, Sêiichî. Wie immer…“ Sofort erklang lautes Lachen im Raum, denn der hektisch atmende Mann musste sich wirklich beeilt haben, so dass er auch mal wieder keine Zeit damit vergeudete gegen die Tür zu klopfen.

„Wie er leibt und lebt“, sagte Takeshi und klatschte in die Hände. „Du zeigst dich dem Mädchen von der besten Seite, wirklich. Bravo!“ Man nahm ihn auf den Arm, das beherrschte nicht nur seine Freundin, sondern auch seine Familie, weshalb er jetzt einen Schmollmund zog.

„Du hast doch gesagt, es sei dringend, also beschwer dich nicht!“ entgegnete er doch etwas frech, aber man sah es ihm nach. Der Schweiß glänzte auf seiner Stirn und er bekam kaum Luft.

„Setz dich erstmal hin.“

Ran hatte sich ganz leicht zu dem gut aussehenden Mann gedreht, dessen Wangen leicht gerötet waren, wegen der Hitze oder wegen der Scham, weil man ihn so rügte, das konnte man nicht sagen.

Nun lief Sêiichî auf Ran zu und blieb hinter ihr stehen, dabei sah sie vom Stuhl zu dem Schwarzhaarigen auf. „Warum interessieren Sie sich so für mich?“

„Vielleicht stellst du dich Ran erstmal vor. Sie kennt dich ja nicht.“

Sêiichî bemühte sich um das netteste Lächeln, was er auf Lager hatte, um Ran zu begegnen. „Wir sind einander noch nicht vorgestellt worden. Ich bin Sêiichî Iwamoto. Seit einiger Zeit bin ich in Tokyo und habe jetzt meinen Dienst hier im Präsidium begonnen. Mein Vater sagte, dass du besorgt bist. Warum denn das?“

 Shina stand auf und bot Sêiichî ihren Platz an, damit er sich neben Ran setzen konnte.

„Sehr aufmerksam von dir, danke.“ Er nahm Platz und sah Ran forschend an, woraufhin diese einmal seufzte und dann lächelte. „Ich bin Ran Môri und ich muss dringend Chris Vineyard finden. Ich will nicht, dass irgendetwas Schlimmes mit ihr passiert.“

Die Augen des Polizisten weiteten sich und er musste erst einmal die Fassung wieder gewinnen.

„Oh man, ich weiß aber gerade nicht, wo sie steckt. Wieso sollte ihr denn etwas Schlimmes passieren?“

„Weil…“ Ran senkte den Blick. „Sie ist in eine schlimme Sache verwickelt und das sorgt mich eben. Als wir uns gestern begegnet sind, hatte ich ein schreckliches Gefühl, dass etwas passieren könnte. So ein Gefühl hatte ich damals, als mein bester Freund verschwand.“

„Verstehe.“

„Warum erkundigst du dich nicht einmal, wo sie sich gerade rumtreibt?“ fragte Takeshi.

„Am Ende unterstellt man mir noch, ich hätte Kontrollzwang…“, seufzte Sêiichî, „aber ich ruf sie an.“

Ran war sehr verwundert über Sêiichî, der einfach sein Handy rausholte, um Chris anzurufen, sie also wirklich gut kennen musste, genauso wie Takeshi versprochen hatte – sie hätten eine enge Verbindung zueinander. Sie beobachtete diesen Mann genaustens – er war wirklich gut aussehend, ein ähnliches gut aussehendes Kerlchen wie Amuro.

„Hallo, Darling – sag mir mal schnell, wo du steckst, damit man sich keine Sorgen machen muss.“

Ran blinzelte, als sie den Kosenamen hörte, den Amerikaner nur für Menschen benutzten, mit denen sie wirklich enge Bindungen hatten – sie stellte sich natürlich sofort die Frage, wie diese Beziehung wirklich aussah. Sie hatte zwar Vorstellungen, aber sicher war sie sich da nicht.

„Ob ich zu heiß gebadet habe? Nein, Takeshi hat mich angerufen. Und jetzt wollen wir wissen, wo du steckst. Mehr nicht… Was schon wieder? Herrje. Du kaufst noch halb Tokyo leer. Was musst du denn schon wieder haben?“ Sêiichî wirkte leicht genervt und seufzte. „Was kann ich denn dafür? Ich habe nicht gesagt, du sollst Hals über Kopf zu mir kommen und alles stehen und liegen lassen. Wer weiß, was dir als nächstes einfällt, was du noch besorgen musst? Nein, du musst dir keine Gedanken machen. Mach keinen Blödsinn, ich will dich heut Abend am Stück haben. Denk an unseren Deal.“

Für einen Moment hörte man das Flirtende aus seiner Stimme heraus, was Ran jetzt wirklich verlegen machte. „Keine Sorge, ich bin doch immer brav.“

Normalerweise würde er ja nicht so komisch werden, aber zum Abschied hatte er einen Kuss ins Handy angedeutet und legte anschließend auf. „Frauen – sie müssen immer alles genau wissen.“

„Es geht mich ja nichts an, aber welche Art ist Ihre Beziehung zu dieser Frau eigentlich?“

So etwas war natürlich vorprogrammiert, wenn man die Schülerin so neugierig machte, dass sie dann auch fragen würde.

„Wonach klang es denn?“ fragte Sêiichî, dabei grinste er nun doch ein bisschen herausfordernd.

„Nach etwas Peinlichem.“

Shina boxte Ran gegen den Oberarm. „Zumindest ihr wäre es wohl peinlich, wenn sie gewusst hätte, dass hier noch jemand ist, außer uns beiden.“

„Seid ihr verheiratet?“ wollte Ran nun wissen, immerhin war sie nicht so jung. Deswegen musterte Ran den Mann nun auch etwas genauer.

„Wow, du willst es wohl wirklich genau haben. Nein, wir sind nicht verheiratet. Ich weiß auch gar nicht, ob ich dir das so einfach sagen darf.“

„Schon gut, das müssen Sie auch gar nicht“, meinte Ran beschwichtigend und schämte sich eigentlich viel zu sehr. „Sie sehen sich also heute Abend? Das finde ich jetzt irgendwie beruhigend.“

„Warum sorgst du dich denn so sehr um sie? Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“ Sêiichî fand das irgendwie merkwürdig, geradezu bedrohlich, als wenn sie irgendetwas rausgefunden hatte. Er hatte gar nicht die Zeit und Ruhe, sich über ihr Zusammentreffen zu freuen. Am liebsten wollte er all seine Gefühle einfach rauslassen, aber dann heulte er wahrscheinlich am Ende, das musste nicht sein.

„Unsere kühle Schönheit hat mal wieder bewiesen, dass Essen nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Dass selbst dickes Eis schmelzen kann. Zeig ihm schon die Fotos. Die werden ihm bestimmt gefallen“, meinte Takeshi mit leicht schelmischer Stimme, weil er eben selbst fand, dass diese Frau ihre Fassade zu hundert Prozent eingebüßt hatte – wofür sie sich bestimmt sogar selbst verteufelte, weil sie ja eine Perfektionistin war.

„Welche Fotos denn?“ entgegnete Sêiichî seinem Vater und Ran lächelte, woraufhin sie ihm ihr Handy vors Gesicht hielt.

„Schon enorm, was sie mit ihr anstellt, was? In den Medien sagen immer alle, es sei kein Rankommen an diese Frau – dann so etwas. Sie muss das Mädchen wirklich mögen, findest du nicht?“

„Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Aber anscheinend beruht das auch auf Gegenseitigkeit. Wenn sie so besorgt hierherkommt, muss sie meine Freundin auch wirklich mögen.“

„Oder sie hat einfach ein so großes und gutes Herz, dass sie sich schnell um andere Menschen sorgt, Sêiichî“, schlussfolgerte Shina.

„Nein! Ich mag sie wirklich. Genauso sehr wie ihre Mutter Sharon, wirklich.“

Sêiichî lächelte das Mädchen an, fragte sich allerdings, wieso sein Vater das nicht allein hatte regeln können. Dafür hätte er nicht herkommen müssen, aber der Kriminalist beschwerte sich nun bestimmt nicht deshalb.

„Ich dachte, dass ihr zwei euch bestimmt verstehen würdet, da musste ich ein bisschen Schicksal spielen. Du wirst mir das nicht nachtragen, Sêiichî, oder? Ran war wirklich total verzweifelt. Ich dachte, dass du sie schon beruhigen wirst. Das mit der Vermisstenanzeige war natürlich ein Scherz. In der Regel weiß Sêiichî nämlich, wo sie steckt. Wenn nicht, kann man sich wirklich um sie sorgen.“

Der 23-jährige seufzte nun. „Sag das nicht so…“

„Eigentlich wollte sie zu mir und dann hat Takeshi einfach losgelegt – schon bist du hier aufgeschlagen. Mein Bruder kann mir also nichts vorwerfen.“

„Als hätte dich das nicht köstlich amüsiert. Und du, Sêiichî. Wie sieht’s aus? Sie will Chris unbedingt wiederfinden. Hilfst du ihr dabei, oder traust du dich nicht, so frech zu sein?“

Der Angesprochene sah seinen Vater etwas entrüstet an. „Du willst auch unbedingt die Scheidung der Hochzeit vorziehen, oder? Glaubst du nicht, dass sie dann ganz schön sauer wäre, wenn ich dem Mädchen einfach sage, wo sie sie finden kann?“

„Ach, Schnickschnack, wie wäre es, wenn du mal etwas kreativ wirst? Bring sie doch zum Essen mit. Da bekommt deine werte Dame aber Stielaugen, mach dich darauf gefasst.“

Sein Vater war wirklich frech, weshalb er jetzt doch grinste. „Mittlerweile verstehe ich, wie Ryo so frech werden konnte. Das ist ganz schön dreist. Sie einfach zum Essen mitbringen…“

„Ist es deine Wohnung, oder ihre? Du kannst mitbringen, wen auch immer du willst. Wahrscheinlich wäre Ran auch der einzige Frauenbesuch, den du dir erlauben darfst.“

„Sei dir da mal nicht so sicher…“ Sêiichî könnte ja noch nicht einmal rechtfertigen, was Ran bei ihm zuhause verloren hatte.

„Ich will keinen Ärger verursachen, ich war nur besorgt. Wenn ich weiß, dass ein starker Polizist auf sie achtgibt, ist alles gut. Sie achten doch auf sie, nicht wahr?“ fragte Ran, die Sêiichî wirklich arg aus der Bahn warf mit ihrem Verhalten.

„Das kann ich dir versprechen. Ich passe gut auf sie auf… Aber nun verrate mir doch, was genau du weißt. In welche Sachen soll sie verwickelt sein, dass man sich so sorgen muss?“ Das bereitete Sêiichî eher Kopfschmerzen, denn es war nicht wirklich das, was Chris wollte. Dass Ran irgendetwas erfuhr – er fand das ehrlich gesagt auch ziemlich gefährlich. Da musste man noch besser auf das Mädchen achtgeben.

‚Sie ist nicht in akuter Gefahr, ich fürchte eher, DU könntest in Schwierigkeiten kommen. Ich muss dieses Mädchen unbedingt daran hindern, mit irgendwem über sie zu reden. Zu ihrem Besten.’

„Warum fragen Sie das so? Verschweigt sie Ihnen das etwa?“ Ran haderte mit sich, immerhin handelte es sich um einen Kriminalisten. „Wenn sie in einer schlimmen Sache drinhängt, würden Sie ihr doch da raushelfen, oder?“ Die Schülerin legte große Hoffnung in den Polizisten. Dass Sharon – oder Chris, es war ihr egal wer von beiden – ihm am Herzen lag und er ihr helfen würde. Aber sie traute sich nun auch nicht, es direkt zu sagen…

‚Ach du scheiße… Was mach ich denn jetzt? Wie soll ich das denn beantworten? Natürlich würde ich das, aber… Was zum Geier weiß dieses Mädchen?’ Takeshi sah Sêiichî an, dass er gerade überfordert war, allerdings glaubte er nicht, dass sein Sohn die Antwort nicht wusste. Er wirkte ihm eher, als wenn Rans Frage ihn erschreckte, weil die Befürchtung, sie geriet in diese Sache sehr naheliegend war.

„Er ist seit einigen Jahren an ihrer Seite und hat sie bisher noch nie enttäuscht. Egal, was passiert ist.“

Anscheinend machte Sêiichî einen hilflosen Eindruck, weshalb sein Vater ihm unter die Arme griff, das fand er zwar nett, aber unnötig.

„Eigentlich willst du sagen, sie ist in ein Verbrechen verwickelt. Du hast Angst, dass ich sie wie jeden Verbrecher einsperren könnte. Das willst du verhindern.“ Es war eine blöde Frage, die er nicht beantworten wollte. „Es klingt vielleicht ein bisschen ausgeklügelt. Aber… Es steht nicht in meiner Macht Chris ins Gefängnis zu bringen. Sie ist Amerikanerin und ich würde sie garantiert niemandem ausliefern. Nicht dem FBI, oder sonst irgendeiner Gemeinschaft. Eher bringe ich sie vor denen in Sicherheit, obwohl das natürlich korrupt ist. Dafür könnte ich meinen Job verlieren…“

„Dazu muss es ans Tageslicht kommen, Sêiichî“, sagte Takeshi – wobei man ihm in dem Moment auch Korruption unterstellen könnte. Aber sie waren in einem verschlossenen Raum, wo mit Sicherheit keine der anwesenden Personen an seinem Stuhl sägen wollte.

„Das FBI… Sollte seine Landsleute besser schützen. Aber der Laden ist auch korrupt. Man kann sie nur schlagen, indem man genauso handelt, wie sie. Das FBI müsste mich schon aus dem Weg schaffen, um an sie ranzukommen. Beantwortet das deine Frage?“

‚Hoffen wir mal, dass das FBI diese Pläne nicht bereits in Auge gefasst hat…’ dachte sich Takeshi – eine Sache, die ihn wirklich berunruhigte, dass sich das FBI an Sêiichî vergreifen könnte, weil er ihnen im Weg war.

„Also kann sie sich wirklich auf Sie verlassen. Immer, egal, was geschieht. Das macht mich ehrlich gesagt total glücklich“, sagte Ran und seufzte nun erleichtert.

„Und mich macht glücklich, dass du das so sagst. Es gibt da noch eine Sache, die ich gern unter vier Augen mit dir bereden will. Nicht hier…“

Shina und Takeshi hatten nichts dagegen – jeder Mensch hatte Geheimnisse, trotzdem glaubten beide, dass sie wussten, was diese Sache sein könnte…

Als diese Sache passiert war, ging es Sêiichî nicht sonderlich gut, genauso wenig wie ihr. Da hatte ein hilfsbereiter Engel seine barmherzige Hand ausgestreckt und an seiner Stelle dafür gesorgt, dass ihr nichts geschah… Zu dem einzigen Zeitpunkt, wo er nicht erreichbar gewesen war, war dieses Mädchen dagewesen. Er würde jede Wette eingehen, dass Sêiichî ihr für diese Sache ein Leben lang danken würde – so wie sie auch, immerhin hatte sie ihr ja damit das Leben gerettet. Allein die Vorstellung, was geschehen wäre, wenn dem nicht so gewesen wäre. Sêiichî wäre sicher todunglücklich gewesen. Shina beobachtete ihn – sie hatte noch genau in Erinnerung, wie er reagierte hatte – damals…

Rans Frage zu beantworten, war lächerlich. Sêiichî würde Kopf und Kragen riskieren für diese Frau. Egal, was sie gerade wieder Schlimmes verbrochen hatte. War es nicht so? Rational handeln konnte er gar nicht. So wie man es von ihm verlangen sollte. Hätte Ran Sharon damals nicht geholfen, würde Sêiichî ganz schön dumm aussehen in dieser Geschichte. Shina konnte ihn damals nicht leiden, aber mittlerweile mochte sie ihn eigentlich, er war nicht umsonst Ryochis bester Freund. Wenn diese Frau wirklich klug war, dann würde sie ihn nicht enttäuschen. Zwar war sie von ihm auch einige Male sehr gekränkt worden, aber trotz allem war er eine der wenigen Personen, die zu ihr halten würden, bis zum bitteren Ende, wie auch immer dieses aussehen würde… Das war auch das einzig Wichtige, fand sie. Mittlerweile verstand die Detektivin auch, wieso diese Frau ihr altes Leben begraben hatte. Da war sowieso nichts zu retten. So gesehen hatte sie sich ihre Strafe auch selbst auferlegt. Wäre sie zurück in ihr altes Leben, was wäre wohl dann aus den beiden geworden? Shina glaubte nicht, dass Sêiichî sie je wieder gesehen hätte. Sie hatte ja nicht vor, ihr gesamtes Leben in einem Doppelleben zu verbringen. Sharon konnte nicht bei ihm bleiben, Chris hingegen schon. Ob er das wohl wusste? Welch ein Glück er gehabt hatte, dass sie entschieden hatte, bei ihm bleiben zu wollen… Sie hatte ein Stück weit sich selbst geopfert, um jemand zu sein, der von ihm geliebt wurde. Aber sie gab ihm so viel von sich selbst, wahrscheinlich sogar ohne es wirklich wahrzunehmen. Aber jedes Mal, wenn sie beide zusammen sah, empfand sie es so. Ein Stück weit konnte Shina auch Sêiichîs Mutter verstehen, die es alles andere als gern sehen würde, dass ausgerechnet diese Frau ihren Sohn bekommen sollte – und nicht sie selbst. Sie hatte Sêiichî nie gefragt, obwohl sie sicher war, dass er um ihre wahre Identität wusste. Was er wohl tun würde, wenn sie ihm Chris wieder wegnahm. Ob er sie dann immer noch wollen würde – als derjenige, den sie ihm übrig ließ? Aber sie befürchtete, dass viele ihn für nicht ganz dicht halten würden, weil sie sich eigentlich teuflisch sicher war, dass Sêiichî verrückt genug war, um ihr auch dann bis in die Staaten zu folgen. Er war ihr ja auch an diesen grausamen Ort gefolgt – seiner Retterin. Ganz nebenbei hatte er sein Herz bei ihr gelassen. Das würde sie ihm auch bestimmt nie wieder geben…

 

Ryochi hatte zwar Sêiichîs Ansturm, als sei jemand in größter Gefahr, mitbekommen. Er war auch über alle Maßen neugierig, warum er so ungestüm ins Büro von ihrem gemeinsamen Vater rannte, aber er glaubte, dass man ihm früh genug verraten würde, was los war. Davon war der Detektiv überzeugt. Es dauerte auch keine viertel Stunde, dass Sêiichî das Büro verließ – gemeinsam mit Ran. Dabei sah er ihm sofort alles an. Vor allem Dankbarkeit gegenüber der Schülerin. Er musste sich ja nicht einmal fragen, weshalb, immerhin hatte er das heute bereits erfahren.

„Hattest du nicht den Morgen frei?“ fragte Ryochi seinen Freund, um ihn ein kleines bisschen zu ärgern.

„Habe ich immer noch. Aber ich musste jemanden helfen.“

„Verstehe“, grinste der Detektiv und merkte an Rans Gesicht, dass sie jetzt beruhigter war. Shina war immer noch bei seinem Vater drin, das fand er schon verdächtig.

„Also hat dir Sêiichî geholfen? Ein bisschen neugierig bin ich schon, inwiefern.“

„Ach, der nette Polizist hat sich bereit erklärt, für mich zu arbeiten“, sagte das Mädchen mit einem leicht bestechlichen Unterton, so dass Sêiichî etwas schmollig dreinblickte, was schon lustig war. Anscheinend fand er die Wortwahl nicht so lustig.

„So so, du wurdest in deiner freien Zeit eingespannt. Was für ein Mist, wenn man Polizist mit Leib und Seele ist und so gern hilft, was?“

„So geht das immer. Alle wollen mich ärgern. Irgendwann räche ich mich ganz fürchterlich, ihr werdet euch noch wundern“, tat Sêiichî absichtlich etwas beleidigt, woraufhin Ryochi ihn aber nur wissend angrinste. Das Ganze war nichts weiter als heiße Luft, dummes Gerede.

„Was ist es eigentlich nun gewesen, was du von meiner Verlobten wolltest? Ihr habt mich ja fein rausgehalten. Ich sollte schmollen, nicht er hier, unser Schmolly.“

„Tut mir leid, das hatte ich nicht beabsichtigt“, sagte Ran, die wohl Ryochi ebenso vertrauen wollte, wie Shina. „Ich hatte ein Zusammentreffen mit Chris Vineyard, dabei beschlich mich so eine dunkle Vorahnung. Ich musste jemandem davon erzählen, der ein Auge auf sie haben kann. Dein Vater hat dann ihn angerufen, weil er ihn für passend gehalten hat.“

„Na, da wird sich Madamchen aber freuen, wenn man sie im Auge behält“, ärgerte er Sêiichî und dieser seufzte nur etwas theatralisch. „Ich rief sie an, da hat sie mir ernsthaft unterstellen wollen, ich hätte wohl schon Sehnsucht nach ihr. Diese Frau hat ein viel zu großes Ego. Immer krieg ich das zu spüren.“

„Das ist die Retourkutsche für dein zu großes Ego“, erklärte Ryochi seinem Freund, der wohl deswegen auch fleißig weiterschmollen wollte. „Nach in Ketten legen kommt dann wohl die Fußfessel, was, Sportsfreund?“ griff der Detektiv das Gespräch von gestern abend noch einmal auf und Sêiichî klatschte sich die Hand ins Gesicht.

„Herrje. Es ging aber darum, mich anzuketten. Chris lässt sich wohl kaum von mir fesseln, oder so etwas. Von der Fußkette kann ich auch gern weiterträumen. Ich weiß nicht einmal, wie ich ihr das erklären soll.“

„Am besten gar nicht. Einfach machen, nicht erklären“, riet Ryo ihm und Ran wirkte dadurch ein wenig verwundert.

„Sie wäre sehr wütend darüber, wenn man sie so kontrolliert, oder?“

„Würdest du es etwa gut finden, wenn man dich auf Schritt und Tritt überwacht?“ entgegnete der Detektiv, so dass Ran einen leichten Schmollmund zog.

„Manchmal glaube ich, das ist bereits der Fall. Was glaubst du, was mein Vater mit mir macht?“

„Ich habe leider bis ganz spät abends Dienst. Heute sogar noch länger, als gestern.“

„Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viele Probleme bereite.“

„Ach was“, wank Sêiichî ab, der die Sache schließlich gern übernahm. „Ich handle ja im eigenen Interesse. Zu deiner Frage vorhin…“ Das Mädchen sah ihn neugierig an, weil sie sich noch daran erinnerte, was sie ihn gefragt hatte, was er zwar indirekt sowieso beantwortet hatte, aber diesmal wollte er wohl noch deutlicher werden.

„Nein, sie verschweigt mir die Sache nicht, ich weiß davon. Das wollte ich da drinnen aber nicht laut sagen.“

„Als wenn Vater dir deswegen den Kopf abreißen würde. Wen beschwindelst du eigentlich die ganze Zeit? Oder ging es nicht um ihn, sondern darum, was Shina dann von dir denken könnte?“

„Dass ich eine Verbrecherin decke? Ich weiß sowieso nie so genau, was deine Verlobte von mir hält, weil ich ausgerechnet sie heiraten will!“

„Im Ernst? Chris hat auch schon so merkwürdige Sachen gesagt. Sie findet Shinas Schauspieltalent beängstigend.“

„Ja, ich auch. Lässt die überhaupt irgendwen durchblicken, was sie wirklich denkt? Dich zum Beispiel?“

„Aber Iwamoto-san! Shina ist doch der netteste Mensch, den ich kenne.“

„Frage beantwortet, Baka-chan?“

Der Angesprochene schmollte noch immer, lehnte sich dann aber gegen die Wand. „Ich bin etwas geschafft. Gestern Nacht gab’s Pancakes und ich hab mich total üerfressen. Danach musste man mich betütteln und um fünf Uhr in der Frühe war sie so laut, dass ich aufgewacht bin.“

Sein Schönheitsschlaf war also gestört worden – armer Kerl.

„Die Pancakes müssen unschlagbar gewesen sein, wo du doch so auf deine Linie achtest“, ärgerte Ryo ihn, woraufhin Ran lachen musste. Anschließend wurde sie aber wieder ernster.

„Ich bin erleichtert, dass Sie ernsthaft daran interessiert sind, ihr zu helfen. Ich dachte schon, keiner will das wirklich. Erst habe ich Amuro gefragt, dann Yukiko – aber Shinichis Mutter will anscheinend mit dem FBI irgendeine Sache machen, die mir nicht gefällt. Also bin ich zu Shina gerannt. Von deinem Freund, Ryochi-san wusste ich nichts.“

„Amuro? Na ganz große Klasse“, hörte man wenig später Sêiichî sagen, dem das anscheinend nicht schmecken wollte. „Na, dass er ihr nachrennt, würde sie wohl noch besser finden, als wenn ich das mache! Der Kerl hat mir noch gefehlt! Lass den besser aus der Sache raus. Bei dem weiß man nicht, was er am Ende tun wird. Ich kann ihn nicht leiden.“

„Das hat natürlich überhaupt nichts damit zu tun, dass er ein gut aussehender Kerl, im perfekten Alter für deine Freundin ist, stimmt’s?“

„Sehr witzig.“ Unterstellte man ihm hier ernsthaft, er sei eifersüchtig – ja gut, ein bisschen wahrscheinlich schon. Er wollte den Kerl nur sehr ungern in ihrer Nähe haben – nicht mehr, als sein musste.

„Bisher dachte ich eigentlich auch, dass Amuro ein netter Kerl ist, der gerne hilft. Er hat mir aber versucht auszureden, irgendetwas in diese Richtung zu tun. Ich soll sie einfach in Ruhe lassen… Dabei habe ich ihm wirklich versucht zu erklären, dass ihr etwas zustoßen könnte.“

„Nein, da liegst du falsch“, sagte Sêiichî und wirkte dabei, als wenn er sie beschwören wollte, als er beide Hände auf ihre Schultern legte. „DIR könnte etwas zustoßen, wenn du dich in diese Sache einmischst. Überlass das mir. Ich kümmer mich darum, das verspreche ich dir. Wirklich, du kannst mir in der Sache dein vollstes Vertrauen schenken. Es wäre furchtbar, wenn dir etwas zustoßen würde. Ich weiß gar nicht, ob ich sie dann trösten könnte. Ich kann mir vorstellen, dass es nichts Schlimmeres auf dieser Welt gibt, als wenn dir etwas passiert. Jedenfalls in ihren Augen nicht. Du hast vor über einem Jahr etwas getan, was sie denken lässt, dass es ihre Lebensaufgabe ist, auf dich aufzupassen.“

„Was? Ich? Was soll ich denn getan haben?“

„Die Sache, von der du vorhin gesprochen hast. Ich weiß, dass sie ihre Verkleidungstricks dazu benutzt, um Aufträge zu erfüllen. Dazu schlüpft sie auch schon mal in die hässliche Verkleidung von irgendeinem Serienkiller, der kein Erbarmen kennt...“

Kaum, dass Sêiichî das gesagt hatte, fiel es der Schülerin wie Schuppen von den Augen…

~No angel has smiled upon me, not even once.~

~I wonder if there is really god. If he truly existed, wouldn't all hard working, honest people be happy?~

~Wenn du jemandem die Schuld geben willst, dann gib deinem Gott die Schuld, der dich hierher geführt hat…~ Die Worte fügten sich wie Puzzelteile zusammen, die komplett ein Ganzes ergaben, was für sie nur einen Schluss zuließ. Der Killer, dem sie in dieser Nacht damals begegnet war…

In dem Moment, als sich die Erinnerung in bildlich realistischer Form vor den Augen des Mädchens auftat, wurde ihr heiß und kurz darauf furchtbar schwindelig.

 

 

 

Ja, genau das hatte dieser Serienkiller gesagt, als er den Schalldämpfer auf die Waffe drückte, dabei hatte er sich zurückgelehnt und war abgestürzt… Sie – sie war das gewesen…

~I should’ve told you this before, Ran-chan… But don’t come any further into my world… Because you are my treasure.~

Das waren die letzten Worte, an die Ran noch dachte. Alles ergab nun Sinn. Deswegen wollte sie sie beschützen. Sêiichî hatte gerade ganz klar sagen wollen, dass es seine Freundin fürchterlich verletzen würde, wenn ihr etwas zustoßen würde. Sie war ihr Schatz, weil sie damals der einzige Engel gewesen war, der ihr je ein Lächeln geschenkt hatte…

Dass sie nicht tiefer in ihre Welt eindringen sollte, damit meinte sie diese grausame Welt, die eine Gefahr barg, für sie alle. Für Vermouth, für Ran – und für Shinichi. So war es doch? Es war ihr Wunsch, dass sie sich weit weg von ihr begab. Es war grausam, gerade fühlte es sich an wie ein stechender Schmerz in der Brust.

Sie dachte an New York, an die schönen Momente, die sie so glücklich gemacht hatten. Dachte an den Tag, wo sie Chris Vineyard das erste Mal begegnet war.

~Move it, Angel!~

All das widerholte sich jetzt alles aufs Neue.

Auch der Tag von gestern – sie würde die Fotos wirklich in Ehren halten. Das Taschentuch von Sharon – sie würde Shinichi erwürgen, wenn er es verschlampt haben sollte. Es waren doch die beiden einzigen Dinge, die man ihr noch von ihr gönnen wollte.

Es musste schrecklich sein, in solcher Angst zu leben. In der Angst, dass einem Menschen genommen werden konnten, die einem wichtig waren.

Dabei dachte das Mädchen auch unweigerlich an Sharon, die erzählt hatte, ihr gesamtes Leben sei eine Aneinanderreihung von Schicksalsschlägen. Welcher Mensch konnte das schon ertragen? Was wäre wohl mit ihr geschehen, wenn sie an ihrer Stelle gewesen wäre?

Das Mädchen fiel wie in Zeitlupe. Obwohl es wirklich eine nicht so rosige Geschichte war, Sêiichî hatte sie nicht schockieren wollen, sondern ihr klarmachen, dass sie seiner Freundin damals das Leben gerettet hatte. Dass Ran deswegen zusammenklappte, konnte keiner ahnen, aber er schaltete schnell und konnte sie so doch noch im letzten Moment auffangen.

„Das war zu viel für sie“, meinte Ryochi, der sich leicht zu Sêiichî runterkniete, der Ran hielt, diese aber wenig später hochhob. „Hast du ein Taschentuch. Das legen wir ihr auf die Stirn, dann wird sie bestimmt wieder zu sich kommen. Mein Gott, ich konnte ja nicht wissen, dass sie gleich zusammenbricht.“

„Dich kann ja nichts mehr schocken, das arme Mädchen. Du kannst ihr das doch nicht so zwischen Tür und Angel sagen.“

„Was weiß denn ich? Sie schockiert ja noch nicht einmal, dass Chris in einem Verbrechernest sitzt. Da dachte ich, dass sie auch die Sache locker wegsteckt…“ Sêiichî seufzte.

 

Nachdem ein nasses Taschentuch auf der Stirn der Schülerin lag, kam sie langsam wieder zu sich. Das vorsichtige Tätscheln auf ihrer Wange und die Stimmen, die sie ansprachen, bekam sie nur gedämpft mit. Es hörte sich an, als sei sie unter Wasser, ihre Augen waren schwer wie Blei und ließen sich nur beschwerlich öffnen.

~Ich glaube, sie kommt endlich zu sich…~

Es waren zwei Männerstimmen, die sie zunächst nicht zuordnen konnte. Alles war verschwommen und nahm nur langsam Gestalt an, als sie die Augen mehr öffnete.

„Was ist… passiert…?“ kam mit schwacher Stimme von ihr, als sie dann endlich das Gesicht von Ryochi und Sêiichî erblickte, die sie beide leicht über Ran gebeugt mit einem besorgten Blick bedachten.

„Du bist ohnmächtig geworden?“

Die Schülerin wollte sich hastig erheben, wurde aber von einer Hand an der Schulter wieder in die liegende Position gedrückt.

„Halt! Bleib noch einen Moment liegen, sonst klappst du uns gleich wieder zusammen.“

„Mir ist noch ganz schwindelig.“

„Kein Wunder“, sagte der Schwarzhaarige. „Wir haben uns Sorgen gemacht.“

„Tut mir leid“, sagte sie, dabei drehte sie den Kopf leicht zur Seite. Sie hatte nicht vergessen, was vor ihrer Ohnmacht passiert war, obwohl sie gerade wünschte, dass sie sich nicht daran erinnerte. Was genau hatte sie eigentlich so umgehauen? Dass dieser Killer in New York sie umbringen wollte? Dass es Sharon gewesen war? Oder viel mehr der Umstand, dass diese Frau sie ganz weit weg von sich haben wollte?

„Schon gut. Geht es dir jetzt langsam wieder besser?“ fragte nun auch Ryochi und sie ließen sich Ran nun wenigstens ins Sitzende erheben.

„Ich glaube schon.“

„Das bin ich aber froh“, meinte Sêiichî mit einem erleichterten Ausatmen. „Du hattest verstanden, was ich dir sagen wollte? Dass du auf dich aufpassen musst.“

„Ich glaube schon.“

„Wir sollten sie hier wegbringen, bevor die Leute sich noch fragen, was mit ihr passiert ist. Die würden sich auch nur sorgen, immerhin ist sie ja Môris Tochter“, merkte Ryochi an und Sêiichî sah ihn deswegen an. „Der Kleine, Conan – er würde wahrscheinlich in große Angst verfallen, wenn er seine Freundin so vorfindet.“

„Ich mache mir da eher um ganz andere Personen Gedanken, die davon Wind bekommen könnten – sie würde nichts davon so witzig finden. Nicht, dass sie Kontakt zu mir hat, noch zu dir, oder deinem Vater.“

Das Mädchen verstand, obwohl sie keinen Namen sagten, dass sie von Chris sprachen.

„Ich mache allen immer nur Schwierigkeiten.“ Der Satz kam sehr bedrückt von ihr, so dass er vor allem Sêiichî äußerst schockierte.

„So ein Blödsinn“, versuchte er sie aufzumuntern. In dem Moment rutschte das Taschentuch von ihrer Stirn, welches sie verwirrt in die Hand nahm und es kurz wie gebannt ansah.

Die beiden Männer konnten nicht verhindern, dass Shina etwas davon mitbekam, weil sie wenig später aus dem Büro kam und es einfach sehen musste.

„Was macht ihr denn da?“ Nachdem die Detektivin das gefragt hatte, eilte sie zu den drei Personen, deshalb lächelte Ran sie an.

„Mir ist schwindelig geworden.“

„Aber das passiert doch nicht einfach so…“ Sofort wurde ein tadelnder Blick an Sêiichî geschickt, der sich fürchterlich wegen des verärgerten Gesichtsausdrucks der Frau erschrak, dabei kam er gut mit einem Miststück wie Vermouth zurecht, aber vor Shina wollte er jetzt Angst kriegen? Ryochi fasste es kaum, aber sein Freund hatte wohl wirklich ein paar kleine Problemchen mit ihr.

„Es war wirklich nichts weiter, ich bin erschrocken, mir wurde schwindelig und dann war’s schon passiert. Aber es geht mir wieder gut, wirklich“, probierte sie Shina zu beruhigen und versuchte sich mithilfe ihrer Hand wieder vom Boden zu erheben, dabei behalf sie sich aber auch mit der Hand an der Mauer hinter sich.

„Sêiichî wollte ihr etwas sehr Wichtiges sagen, das hat sie anscheinend schockiert.“

„Ich dachte mir irgendwie, dass er irgendetwas gemacht haben muss. Und was hast du“, sie sah Sêiichî an, „zu deiner Verteidigung zu sagen? Sei bloß froh, dass nur ich das mitkriege. Wenn ich Chris wäre, hättest du wenig zu lachen.“ Der Tonfall war schlimm genug, aber bei weitem nicht das, was ihm blühen würde, wenn seine Freundin Wind davon bekam.

„Ich konnte nicht wissen…“, startete er den Versuch sich zu verteidigen, gab den Kampf aber dann doch gleich auf.

„Dass ich so schreckhaft bin, ist nicht seine Schuld“, nahm sie den Schwarzhaarigen in Schutz und sah diesen mit einem lieben Lächeln an. „Ich bin ihm eigentlich sogar dankbar, dass er mir die Wahrheit gesagt hat.“

„Und welche Wahrheit ist das gewesen, Sêiichî Iwamoto? Was für grausame Sachen waren es?“

„Die Wahrheit über New York“, antwortete Ryochi seiner Verlobten, denn Sêiichî würde das wohl eher nicht tun, daher nahm er es ihm vorweg. Der Genannte hatte auch sofort ein leicht ängstliches Gesicht.

„Ich wollte nur, dass sie sich zurückhält, ich wollt’ sie warnen.“

„Hör zu, Ran! Weil die Kerle das ja nicht richtig machen können, muss ich das nun tun…“, kündigte Shina an und ihr Verlobter fühlte sich doch etwas falsch behandelt, er hatte das Ganze schließlich nicht verbrochen und wurde nun so gemein mit Sêiichî in einen Topf geworfen. Shina flüsterte lediglich sehr leise, so dass nur sie alle es mitbekamen, keine Außenstehenden, die vielleicht den Flur passierten.

„Die Sache ist gefährlich für jeden in deinem Umfeld, nicht nur für dich. Tu mir also bitte den Gefallen und versuch nichts auf eigene Faust. Zwar hat man dafür gesorgt, dass jemand dich im Auge behält – für den Fall der Fälle, aber es kann trotzdem immer etwas passieren. Dabei kannst nicht nur du zu Schaden kommen, sondern auch deine Familie und Freunde. Es ist schlimm genug, wenn mein Bruder gegen solche finsteren Gestalten ermittelt und man sich immerzu um ihn sorgen muss. Bitte fang nicht auch noch du damit an. Du willst schließlich verhindern, dass ihr etwas passiert. Wenn du dich in ihre Angelegenheiten einmischst, muss sie zu schlimmen Mitteln greifen, um dich zu beschützen. Dabei tust du genau das, was du eigentlich nicht willst. Wahrscheinlich wirst du das nicht glauben wollen, weil du es nicht wahrhaben willst, aber sie kommt wunderbar zurecht, solange keiner von euch sich in ihre Angelegenheit einmischt. Sie ist eine perfekte Schauspielerin, sie kann so mancher Person etwas vorheucheln. Aber, wenn es Menschen an den Kragen geht, die ihr lieb und teuer sind, funktioniert das nicht mehr, dann macht sie Fehler, die ihr unter Umständen teuer zu stehen kommen könnten. Dabei bringt sie ihr Leben mutwillig in Gefahr, weil sie nicht mehr nachdenken kann. Dann müssen wir alle tätig werden, sonst lässt sie noch ihr Leben für so einen Mist. Sie wäre nicht die erste Person, die wegen so etwas sterben müsste. Wir wollen das nicht. Du auch nicht!“

Es war nicht einfach zu verstehen, aber das Mädchen war nicht so dumm und einfältig, wie so manche Person vielleicht dachte. Sie wusste zum Beispiel von einem Vertrauten, dass vor einem halben Jahr eine zutiefst besorgte und erschütterte Frau sich versucht hatte Hilfe zu holen – diese Hilfe hieß nicht Sêiichî Iwamoto. Damals – sie verabscheute dieses Miststück, was sich an Ran heran machen wollte, nur weil sie jemanden treffen wollte, der an ihr hing. Das war typisch für diese Organisation. Mit so einem Mist war man ständig konfrontiert. Im Augenblick hatte Vermouth allerdings die Ruhe weg, weil sie dafür gesorgt hatte, dass eine Menge Menschen sich mit diesem Fall befassten. Ihre Seelenruhe könnte sich aber blitzschnell ändern, wenn irgendetwas Unvorhergesehenes passierte.

‚Diese Personen häufen sich mittlerweile, sie sind ja geradezu wie die Schmeißfliegen. Leider profitieren einige davon, wenn Vermouth am Rad dreht und bereit ist das Böse zu bekämpfen. Zur Not frisst der Teufel Fliegen, sagt man. Man muss höllisch aufpassen, dass die Leute, die sie mit ihrem Verhalten ärgert, ihr nicht dumm kommen. Im letzten halben Jahr ist so viel passiert, weil es da Idioten gibt, die denken, sie verweichlicht. So nutzt sie ihnen nichts. Selbst ihre engsten Vertrauten sind der Meinung, es ist besser, wenn sie diese Welt verabscheut und im Hass auf die Organisation den ein oder anderen über den Haufen schießt.’ Leider hatte sie von Takeshi auch erfahren, dass die Sache mit Merlot nicht die Einzige war, vor der man sich in Acht nehmen musste. Es gab da noch ganz andere Frauen, die an ihrem eigenen Leid Vermouth die Schuld gaben. Nur weil sie mal nicht zur Verfügung stand, um ihnen den königlichen Hintern zu retten.

Was Shina zu Ran sagte, war deutlich, man musste nicht darüber nachdenken, weil sie nicht in Rätseln sprach, so wie andere.

Mittlerweile konnte man von wahren Weltwundern reden, dass Vermouth nicht zum Berserker wurde, bei den Dingen, die man ihr so in den Kopf setzte, um sie zur Kriegerin zu animieren.

Gerade Seyval hatte ihr Möglichstes versucht, sie so richtig sauer zu machen, nur damit sie sich die Hände schmutzig machte – an solchen Leuten, wie Chardonnay. Sie hatte ihr sogar erzählt, dass Baileys sich auf die Seite des Mannes geschlagen hatte, um sie so richtig fertig zu machen. Dass diese Frau Chardonnay auf Angel aufmerksam gemacht hatte, um diesen Mistkerl dazu zu bringen, sich an einem armen Mädchen zu vergreifen. Sogar Sêiichî hatte geglaubt, dass Vermouth deswegen platzen würde und damit endete, Chardonnay allein für den Gedanken die Lampe ausblasen würde. Aber falsch gedacht. Sie war hier, hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit man auf Ran aufpasste. Selbst hatte sie nichts gemacht. Doch auch Chardonnay war nicht so dämlich, wie diese Baileys und Seyval glaubten. Man hielt ihn für einen einfach gestrickten Mann, aber er wusste ganz genau, dass er sich nicht erlauben durfte, sich an Angel zu vergreifen. Weil er dann um sein Leben rennen musste. Sharon würde ihn auf die grausamste Weise töten, die ihm einfiel, da war er nicht so dumm, das zu tun, was Baileys von ihm wollte. Er hatte dieses einfältige Frauenzimmer sowieso schon lang durchschaut.

„Ich nehm Conan und dann gehen wir schnellstens nach Hause“, war das Einzige, was Ran noch von sich gab, anschließend schenkte sie Shina ein Lächeln.

„Denk an meine Worte, Ran-chan. Mein Bruder würde komplett durchdrehen, wenn dir etwas zustößt. Von deinem Vater und deiner Mutter ganz zu schweigen.“

Das Mädchen hatte es ja begriffen, wahrscheinlich hatte sie in dieser Sache ziemlich verbissen gewirkt.

„Ich fahre euch – es ist noch Zeit, bis mein Dienst beginnt!“ entschied Sêiichî, der bewusst den Blick von Shina ignorierte – sie sollte ihn nicht immer so stechend ansehen. Wahrscheinlich fand sie die Folter, die seine Freundin sich selbst auferlegte, auch noch gut, da spielte er nicht mit, das konnte sie vergessen und wenn sie ihn am Ende gar nicht mehr leiden konnte…

„Er ist Polizist, ich denke, er will nur helfen“, meinte Ryochi zu Shina, die davon aber nicht überzeugt war.

Zwar ließ sie Sêiichî mit Ran ziehen, aber nur, weil sie nicht wollte, dass Sêiichî sie hören konnte. Denn als Ryochi loslaufen wollte, zog sie ihn kurzerhand zurück.

„Manchmal liegt es nicht daran, mag sein, dass er helfen will. Aber er will nicht Ran helfen, der will was Anderes, was ich nicht so gut finde – ich will wetten, sie auch nicht. Das weiß dieser Kerl ganz genau, da kann man echt Angst kriegen. Warum muss er sich eigentlich immer selbst so viel Ärger machen? Du hast doch gehört, was er zu deinem Vater sagte. Sie wäre ungnädig, wie nur was, dass er sogar befürchtet, dass sie ihm in den Arsch tritt, trotzdem macht er jetzt so etwas. Sêiichî braucht wohl den ewigen Kampf, sonst wird es ihm zu langweilig, oder wie? An Weihnachten hatte er noch so richtig Schiss, dass etwas nicht nach seinen Vorstellungen abläuft, dann ist eine Weile alles gut und er tut alles dafür, dass seine Freundin ihm sauer ist. Was will er damit eigentlich wirklich bezwecken? Ganz normal kann das nicht sein.“ Shina brachte ihre Meinung manchmal etwas krass zum Ausdruck, aber in dem Fall hatte sie leider auch Recht.

„Solche Fragen haben sich auch schon andere gestellt – diese Personen sind nur zu meiner Mutter gegangen, um sich Rat einzuholen. Vielleicht braucht Sêiichî einen richtigen Dämpfer, damit er mal ein bisschen Ruhe gibt. Er rennt ihrem Erzfeind mutwillig in die Arme, zumindest hat er das vor. Oder was glaubst du, will er sonst hier? Auch ich wurde gewarnt, dass Chardonnay hier irgendeine Scheiße durchziehen könnte, ich soll bloß gut auf alle aufpassen. Wenn sogar ich das weiß, dann weiß Sêiichî das schon lang. Es gibt wahrscheinlich nichts, was er mehr will, als diesen Kerl einzubunkern. Das will er fast noch mehr, als diese Organisation auffliegen zu lassen.“

„Tja, Ryo“, meinte Shina, schwieg dann aber einen Moment, wo er sich fragte, was sie damit denn bitte schon wieder sagen wollte. Er drehte sich zu ihr und forschte in ihren Augen.

„Was, tja, Ryo?“

„Da wunderst du dich? Jamie Moore würde dich auslachen, wenn er das hören würde. Er und Sêiichî haben etwas dagegen, dass das FBI Chardonnay in irgendeiner Weise hilft. Solange er auf freiem Fuß ist, haben sie freie Hand. Der Kerl wird nie Ruhe geben. Er ist ja auch der Grund, warum sie andauernd Ärger mit denen hat. Weil James Black seine scharfen Hunde nutzt, um sie ihr auf den Hals zu hetzen. Kam ihm auch voll gelegen, dass Vermouth sich an Jodie vergreifen wollte, weil Akai dann richtig tollwütig wird. Der ist da genauso schlimm, wie dein Freund, wenn einer der Kerle in dieser Organisation irgendetwas von Vermouth will, was sie aber ablehnt. Die beiden sind gnadenlos, wenn es darum geht, ihre Leute zu schützen. Nur, dass Akai wahrscheinlich noch so viel Beherrschung hat, dass keine Kugel in ihrem Kopf landet. Bei deinem Freund bin ich nicht so sicher, wie viele Mistkerle schon mit Kugel im Kopf geendet sind, weil sie sie nicht in Ruhe gelassen haben. Dabei verteidigt sie sich ganz gut seit Ewigkeiten, wo sie keine Hilfe von ihm hatte. Weil er da noch ein kleiner Junge gewesen ist. Aber anscheinend bildet sich Sêiichî auch ein, dass sie das dann noch gut findet, wenn er irgendwelche Arschlöcher ihretwegen mit Blei verziert.“

„Mein Bruder kann es zumindest verstehen.“ Yuichi würde auch immer jeden beschützen, der ihm wichtig war, besonders wenn es die Frau war, die er liebte, da konnte er doch total nachvollziehen, was Sêiichî da machte.

„Dass ich es nicht verstehe, ist eine Unterstellung. Ich verstehe ihn sehr gut, er setzt alles daran, um sie vor Schaden zu bewahren. Dabei vergisst er leider nur, dass es Schäden gibt, die er nicht verhindern kann, weil er zu dem Zeitpunkt nicht für sie da war. Doch das scheint er erfolgreich zu verdrängen.“ Nun seufzte die Detektivin. „Sêiichî denkt ganz schön schlecht von mir, glaube ich. Er ist immer noch der Meinung, dass kaum einer nachvollziehen kann, warum er all das macht. Dass wir ihn als schlechten Menschen ansehen – irgendetwas in die Richtung. Wird wohl sein schlechtes Gewissen sein. Aber der kann nicht anders, weil er sie liebt. Da vergisst er einfach, was sich gehört und was nicht. Dem ist doch schon lange egal, wie viele es sind und welche, Hauptsache, sie lassen die Finger von ihr. Wahrscheinlich hat er all die Abgründe schon gesehen, die einen erwarten, wenn man so lange Zeit in diesem Laden verbringt. Ein knappes Jahr reicht aus, um einen Eindruck zu gewinnen, wie das abläuft. Von Jahrzehnten ganz zu schweigen.“

Ryochi konnte schwören, dass Shina das Thema ein bisschen aufwühlte, sie klang wütend, aber eigentlich war sie es nicht. Ihre Stimme war das Einzige, was ihn darauf schließen ließ.

„Alles wird gut werden“, sagte er zuversichtlich, wobei man sich fragte, ob er sich gerade selbst beschwindelte, nur um sie zu beruhigen.

„Dein Vater setzt Sêiichî aber auch ganz schön viele Flöhe in den Kopf… Das vorhin war nicht ohne. Bestimmt will Sêiichî jetzt wieder zeigen, dass er kein Feigling ist.“

„Ihr beiden habt ganz schön geheimnisvoll getan… Ich hoffe doch, ihr heckt da keine Schandtaten zusammen aus.“

„Bist du neugierig, Ryo-tan? Dafür kann ich ja nichts. Wenigstens weißt du davon, wann ich mich allein mit deinem Vater unterhalte. Dein Freund hingegen…“ Die Hellbraunhaarige grinste leicht, dabei schloss sie geheimnisvoll die Augen, denn der gute Sêiichî wäre wohl richtig empört, wenn er wüsste, wie gut Chris sich wirklich mit seinem Vater verstand. Dass sie ihm Dinge sagte, die er nicht wusste. Man, der würde sich am Ende noch totschmollen…

„Unser Vater wird seine Gründe haben, warum er Sêiichî so anstachelt. Sie wird ihm irgendwas gesagt haben, weshalb er findet, das sei angebracht. Wer weiß, was diese Frau ihm wirklich erzählt hat? Von der Sache mit Sêiichîs Mutter mal abgesehen. Ich frage mich sowieso, wie sie die nötige Beherrschung aufbringen konnte, um die nicht umzubringen…“

Shina stellte sich eine ähnliche Frage bei Sêiichî. Von allen Schweinen, die sich seiner Freundin nähern konnten, war ausgerechnet diese eine Person immer noch am Leben. Sie war kein Mensch, der anderen den Tod wünschte, aber bei Chardonnay wäre es wirklich nicht schade darum, wenn man ihn einfach erschoss. Nur tot konnte er keinen Ärger mehr machen – jedenfalls solange er da draußen rumlief. Bis auf Sêiichîs Mutter würde kein Mensch ihm eine Träne nachweinen, noch nicht einmal James Black.

 

Kurz vor zwölf Uhr mittags saß ein komplett in schwarz gekleideter, langhaariger Mann in einer kleinen Bar am Rande der Stadt, wo allerhand düstere Gestalten verkehrten – er also kein bisschen auffiel. Neben ihm saß ein ebenfalls schwarz gekleideter Mann mit Sonnenbrille, direkt vor sich die Gläser halb gefüllt und in ein Gespräch verwickelt.

„Manche Leute halten wohl nicht viel von Pünktlichkeit, was? Uns hier so warten lassen. Das ist bereits das dritte Glas, Gin“, sagte der Mann, anschließend seufzte er. „Hatte sie eigentlich gemocht.“

„Ach“, raunte der Langhaarige tief in sich hinein, „ich war von Anfang an davon überzeugt, dass Leute mit Geheimnissen nichts taugen. Ich weiß auch gar nicht, was sie von uns will. Es war ihre Idee, sich hier zu treffen. Sie meinte, dass sie uns etwas über Bourbon erzählen will. Es wäre wichtig.“ Man hörte eindeutig, dass der Mann von der Geschichte nicht überzeugt war. „Der Kerl geht mir mittlerweile fast noch mehr auf die Nerven. Nie weiß man, was er treibt.“

„Dafür muss man ihn schon wirklich sehr gut kennen, das schafft kaum jemand, an ihn heranzukommen“, kam jetzt von einer Frauenstimme, die Vodka – der Rechte der Sitzenden – sich hastig herumdrehen ließ. In sein Blickfeld war eine hübsche Blondine getreten, die dunkle Sonnengläser und einen Hut trug, damit also nicht gleich von jedem erkannt werden konnte. Das war auch besser so – für alle Beteiligten.

Nicht zum ersten Mal schlich sie sich an, weshalb sich der Kurzhaarige nun fragte, ob sie wohl gehört hatte, was sie gesagt hatten.

„Ach – ausgerechnet du willst ihn also gut kennen?“

„Wie man’s nimmt. Aber wohl besser, als du es tust – was aber auch kein Kunststück ist, Gin“, amüsierte sich die Frau und setzte sich links neben den Langhaarigen, dessen Gesicht mal wieder vor Freude nur so strotzte, sie zu sehen. Immer, wenn sie sich begegneten, hatte er so furchtbar schlechte Laune.

„Anscheinend war dein Tag bisher nicht so berauschend, so wie du dreinschaust. Ich will hoffen, dass ich dir den Tag ein bisschen verschönern kann, mein Lieber.“

Vodka bekam es vielleicht nicht mit, aber das Gesäusel der Dame konnte man als ziemliches Schleimen bezeichnen. Gin hingegen bemerkte dies schon, vor allem als sie sich auf seine Schulter stützte. Dabei verfinsterte sich sein Blick noch ein bisschen mehr.

„Ich halte nicht besonders viel von ewigem Drumherum, das solltest du mittlerweile wissen“, sprach der Mann die Frau in einem bedrohlichen Ton an und unter dem Mantel drückte sich seine Pistole in die Seite derjenigen, die ihm nun mit einem Grinsen begegnete.

„Sei nicht so empfindlich. Ich bin nur um dein Wohl besorgt, so wie das wahrscheinlich von allen Menschen dieser Welt höchstens Vodka und diese Person noch ist.“

„Pfah…“ Missbilligend zog er die Waffe zurück, glaubte dem Weib aber kein Wort.

„Also, was gibt’s zu berichten, Belmot?“

„Die Polizei schöpft keinerlei Verdacht. Sie sind unfähig – was denn sonst? Hast du etwa geglaubt, ich enttäusche dich“, bei dem Satz rückte sie noch ein bisschen näher an die düstere Gestalt heran und sah ihn beinahe schon mit einem betörenden Augenaufschlag an. „Ich bin doch immer froh, dir einen Gefallen tun zu können, liebster Gin. Du wirst mir diese Sache doch nicht etwa immer noch nachtragen, oder?“

„Is’ mir egal“, erwiderte er emotionslos und sie seufzte. „Mit dir ist auch nichts anzufangen.“

„Nun gib mir die Antworten, die ich will. Wie sieht’s mit Bourbon aus?“

„Alles save, keine Sorge. Er wird nicht wagen, uns zu hintergehen. Da gibt es andere schwarze Schafe in unseren Reihen, um die du dir Sorgen machen musst. Zum Beispiel um tote Personen, die wieder zurück ins Leben treten könnten, weil es da Leute gibt, die schlampig arbeiten.“ Vodka besah die Blondine, mit diesem gemeinen, heimtückischen Grinsen. Es gab viele, die sie fürchteten, obwohl sie auf den ersten Blick wie eine schlichte Frau wirkte – diese Frau besaß etwas, das nannte man in ihren Reihen MACHT. Sie war reich, gebildet und kannte die richtigen Leute, um einem das ganze Leben zu versauen.

„Solang du nicht Sherry meinst – nicht, dass du dem armen Gin noch schlaflose Nächte bereitest“, sagte Vodka amüsiert, bekam dadurch jedoch einen eiskalten, bösen Blick von Gin, der das alles andere als lustig fand.

„Diese kleine Verräterin… Wäre schon ein Desaster, wenn sie noch leben würde, was?“ spottete das weibliche Organisationsmitglied mit einem perfiden Grinsen. „Was dann? Soll ich mich dann dieser Sache annehmen? Was sagst du, würde dir das wohl gefallen?“

Der Kellner bekam das Gespräch mit, verstand aber nicht das Geringste, während er hinter seiner Theke Gläser polierte. Doch eines verstand er genau, die Frau bezirzte den Typen bis aufs Äußerste. Er konnte nicht verstehen, wie dieser Kerl so ruhig bleiben konnte – bei einer solchen Frau würde so ziemlich jeder starke Mann schwach werden, doch er wirkte kalt.

„Sollte das Miststück noch leben, dann kümmer’ ich mich ganz allein darum. Komm mir nicht in die Quere.“

„Oho, sie gehört also dir. Na, hoffentlich wusste sie auch davon.“ Dass sie sich über die Sache lustig machen musste, war vorprogrammiert.

„Ich warne dich, noch ein Wort zu dem Thema und ich vergesse, wo wir hier sind.“

„Keine Sorge, ich weiß ja, dass du auf das Thema etwas sensibel reagierst. Was den Plan angeht. Alles läuft soweit nach Anweisung. Ich hoffe, die Sache von vor über einem Jahr, die in Amerika stattgefunden hat, setzt dir nicht immer noch zu. Du hättest mal das Gesicht sehen sollen, als sie bemerkt hat, dass die Ärztin im Krankenhaus, gar keine Ärztin war.“

„Bei dir überrascht mich gar nichts mehr“, sagte Vodka fasziniert. „Du kannst doch jeden anschmieren. Wahrscheinlich bist du deswegen sein Liebling.“

„Oh, das ist bestimmt nicht der einzige Grund.“ Die Dame lachte und strich sich einmal durch die langen Haare. „Er weiß eben, was gut ist.“

„Die Geschichte in Amerika hat Gin einige Tage nicht gut schlafen lassen. Er hatte befürchtet, dass die Beziehung deiner Mutter Sharon Vineyard und Keichiro Takagi, Chardonnay vielleicht in den Verrat führen würde.“

„Ach, meine Mutter – die beherrschte wie keine Zweite Männer an der Nase herumzuführen und sie fallen zu lassen, wie eine heiße Kartoffel, nachdem sie ihr Ziel erreicht hatte.“

„Sie muss dich ziemlich verärgert haben, dass du so über sie redest.“

Vodka war einfältig und bekam nichts mit, für ihn musste man alles extra erklären – sehr ätzend, aber es war auch gleichermaßen belustigend, er wirkte wie ein hilfloses Kind – manchmal.

„Diese Frau hat mich aus ihrem Leben gestrichen. Warum soll ich da gut auf sie zu sprechen sein? Sie hat unser Vermögen an irgendwelche Stiftungen verschachert, nur damit ich nach ihrem Tod nichts davon sehe! Sie hätte alles Geld wohl am liebsten im Meer versenkt, damit ich nichts davon bekomme. Sie fand auch, ich hätte nichts erreicht. Wenn die mich jetzt sehen würde…“

Sie wank den Kellner ran und warf auch ihm einen bezirzenden Blick zu, so dass dieser sich beeilte ihre Bestellung aufzunehmen und ihr anschließend diese zu bringen.

„Über Chardonnays Frauengeschmack lässt sich sowieso streiten. Er hätte sich für sie töten lassen – dabei hat sie ihn nur benutzt“, sagte Gin, als wolle er damit andeuten, dass ihm so ein Schwachsinn wegen keiner einfallen würde.

„Wie schade, dass der Fall nicht eingetreten ist – nothing else my mother would say now. She really hated him.“

„Chardonnay ist einer der fähigsten Leute, die ich kenne. Wirst du dich also zurück ins Präsidium begeben und dort weiter nachforschen? Und diesen Bourbon im Auge behalten?“

„I got friends with one of the officers. So no big deal”, antwortete sie – ein düsteres, gemeines Lachen folgte…

 

 



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Crazychicken
2017-12-15T14:59:40+00:00 15.12.2017 15:59
ein sehr gemeines Ende ... ;-^
so geht es aber nicht. Conan will die Wahrheit noch nicht wahrhaben, aber ich glaube, dass es bald so weit ist und er akzeptiert, was andere schon längst haben.
Sie reden von Ai und dann passiert da etwas ... (lol)
Also, weiter im Text!

Greets
Dein Jay
Von:  Crazychicken
2017-12-08T14:05:51+00:00 08.12.2017 15:05
ich hype Angel und Vermouth so sehr, dass ich dich jetzt hier loben muss. Es ist super geworden.
Nicht umsonst habe ich die Geschichte in meine Liste aufgenommen, aber diesen Kapitel Teil mag ich ganz besonders. Du schreibst eine tolle Ran. Richtig Angel like. Kein Wunder, dass Vermouth ihr Herz an sie verloren hat. Das muss man am ende ja wieder einsammeln ...
Das Ende des teils war aber auch traurig. Welche elende Person wollte Seiichi umbringen?

Greets
dein Jay


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