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Polaroid

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo liebe Leserinnen und Leser,

ich freue mich, dass ihr auf meine Geschichte "geklickt" habt. Nach langem Hin und Her und gutem Zureden, habe ich endlich angefangen diese Geschichte zu schreiben. Diese FanFiction ist zwar nicht meine erste FF, doch ist es meine erste FF mit Mitgliedern der Band "Thirty Seconds to Mars". Meine älteren Geschichten entstanden hauptsächlich während meiner pupertären Zeit und ich würde diese auch nicht als erzählerisch wertvoll bezeichnen. Das möchte ich jetzt mit dieser FanFiction ändern.

Diese FanFiction ist nicht einfach nur eine Liebesgeschichte, sondern viel umfassender. Ich möchte eine spannende, realistische, detailgetreue und emotionale Welt erschaffen und diese mit euch betreten.

Von Kapitel zu Kaptel wird diese Welt wachsen und komplexer werden. Deswegen musste ich, besonders im ersten Kapitel, etwas ausholen, weshalb der "Leto-Anteil" noch etwas gering ist. Dies wird sich aber in den Folgekapiteln schnell ändern!
Meine Geschichte wird aus der Sicht von Rose Bishop, einem von mir erfundenen Charakter, erzählt. Zeitlich betrachtet spielt die FanFiction im Sommer 2017 in Los Angeles!

Ich möchte aber auch betonen, dass die bekannten Figuren nicht mir gehören und das deren Handeln und Denken meiner Phantasie entsprungen sind. Diese FanFiction schreibe ich aus reinem Vergnügen und ich möchte hiermit auch kein Geld verdienen.
Ich hoffe ich konnte eure Neugier wecken und wünsche euch ein "fantastisches" Leseerlebnis. Natürlich freue ich mich auch sehr über Kommentare und Anmerkungen.

XOXO
Eure Susi Komplett anzeigen

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PROLOG

PROLOG

Los Angeles, 2007
 

Ich werde nie den letzten Blick meines Vaters vergessen. Seine Augen waren nicht panisch. Nicht angsterfüllt. Sie waren voller Liebe. Und voller Vertrauen.
 

Meine Haare peitschten schmerzhaft gegen meine Wangen, aber ich nahm den Schmerz nicht wahr. Es war, als ob die Zeit nicht mehr existieren würde. Und mit ihr meine Empfindungen. Ich hörte nicht den garstigen Wind, der durch meine Ohren brauste und ich spürte nicht, wie mein Herz aufgeregt stolperte.
 

Meine Augen tränten, dennoch wagte ich es nicht zu blinzeln. Ich starrte einfach meinen Vater an. Krallte mich förmlich in seine Augen. Er sagte etwas. Ich hörte es nicht. Dennoch wusste ich, was seine letzten Worte waren.
 

Sein kräftiger Arm drückte mich schützend gegen den Sitz. Ich klammerte mich kraftlos an ihn. Als das Ende auf uns zukam, schrie ich nicht. Ich hatte keine Angst. Ich wusste, dass mein Vater bei mir war. Und mehr brauchte ich nicht zu wissen.
 

Ich sah kein Licht. Ich sah keine fröhlichen Erinnerungen vor meinen inneren Augen aufblitzen. Da war gar nichts. Nur Stille. Einlullende Stille. Sie war friedlich und vollkommen. Doch anders als mein Vater, wurde ich dieser Stille entrissen.
 

Ich bin Rose Bishop. Ich bin das Mädchen das überlebte.

KAPITEL EINS

KAPITEL EINS

Los Angeles, 2017
 

"Rosie!"
 

Als ich leise meinen Namen hörte, brummte ich verschlafen. Ich wollte mich auf die andere Seite rollen und die Decke über meinen Kopf ziehen, doch die Decke rührte sich keinen Zentimeter. Verwirrt blinzelte ich. Zerknirscht starrte ich in das grinsende Gesicht meines Bruders. Doch ehe ich was sagen konnte, stieg mir der stechende Geruch von Qualm in die Nase.
 

"Woah, du stinkst!",
 

keuchte ich und rümpfte angewidert die Nase. Das brachte Ben zum Lachen.
 

"Sorry! Wir hatten heute Nacht eine lange Übung!",
 

erklärte Ben und zog mir die Decke weg.
 

"Aufstehen, du Schlafmütze! Die Pancakes sind fertig!",
 

freute er sich und nahm die Decke gleich mit sich. Gemeinheit. Müde setzte ich mich auf und strich mir durch das verstrubbelte Haar. Ich gähnte herzhaft und streckte mich zu meinem Handy. 06:18 Uhr! Ich seufzte. Ich tickte Gatsby an, der immer noch eingerollt neben meinem Kopfkissen lag, und leise schnarchte. Er schnaubte und blinzelte mich mit kleinen Augen an.
 

"Ey! Sieh mich nicht so an! Wenn Ben mich weckt, musst du auch aufstehen. Geteiltes Leid, ist halbes Leid!",
 

schmunzelte ich und drückte einen Kuss auf seine feuchte Nase, was ihn freudig bellen ließ. Ich stand auf und tapste müde in die Küche, wo es herrlich süß nach Pancakes duftete. Mir lief sofort das Wasser im Mund zusammen. Kaum hatte ich mich an den Tisch gesetzt, stellte Ben mir eine heiße Schokolade mit Sahne vor die Nase und zwinkerte mir zu. Ich musterte ihn skeptisch.
 

"Feiern wir irgendwas?",
 

nuschelte ich verschlafen und kraulte Gatsby den Kopf, der sich noch leicht schlaftrunken gegen mein Bein schmiegte. Ben bekam sofort rote Ohren und wich meinem Blick aus. Aha! Er wollte irgendwas.
 

"Spuck's aus! Ich bin zu müde für sowas!",
 

seufzte ich und genehmigte mir einen großzügigen Schluck von der heißen Schokolade. Die heiße Flüssigkeit wärmte wohlig meinen Bauch und ich lehnte mich entspannt im Stuhl zurück.
 

"Amy will übers Wochenende wegfahren!",
 

meinte er leise und musterte mich besorgt. Ich verstand seinen Blick zuerst nicht. Ich zuckte nur mit den Schultern und sah ihn gleichgültig an.
 

"Okay?! Dann mach das doch!",
 

erwiderte ich. Amy war Bens Freundin. Sie waren seit einem halben Jahr zusammen und sie hasste mich. Ben betonte zwar immer, wie gern sie mit mir Zeit verbringt, aber ich glaubte das war seinerseits nur Wunschdenken. Ich hatte immer das Gefühl, ihr ein Dorn im Auge zu sein. Spätestens wenn sie mich ansah und das Gesicht verzog als hätte der Hund einen fahren lassen, wusste ich, dass sie nicht wirklich gern mit mir Zeit verbrachte. Aber das beruhte auf Gegenseitigkeit.
 

"Ich kann dich doch nicht das ganze Wochenende allein lassen!",
 

seufzte er und stellte einen riesigen Teller mit Blaubeer-Pancakes auf den Tisch. Er setzte sich mir gegenüber und sein Blick fiel auf die Narben an meinem Hals. Sofort fühlte ich mich unwohl und schob meine Haare über die Schulter, um meine Haut etwas zu verdecken. Er räusperte sich unbeholfen und nahm sich einen Pancake. Wir schwiegen.
 

Während ich an meinem Pancake pulte, weil mir schlagartig der Appetit vergangen war, sah ich verstohlen zu ihm herüber. Er wusste genau, dass meine Gleichgültigkeit nur gespielt war. Er kannte mich einfach zu gut. Ich wollte nicht, dass er ging. Aber ich wollte auch nicht, dass er schon wieder Streit mit Amy hatte. Und je mehr er sich um mich kümmerte, umso mehr wuchs mein schlechtes Gewissen. Also mimte ich die Tapfere.
 

"Ich komme schon allein klar. Ich bin kein Baby mehr!",
 

murmelte ich leise und zupfte weiter an meinem Essen herum. Ben seufzte. Sein Beschützerinstinkt als großer Bruder war sehr ausgeprägt. Er war 16 Jahre alt gewesen, als ich, nett formuliert das Nesthäkchen, böse formuliert das Hoppla-Kind, zur Welt kam. Meine Schwester war zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem College, weswegen man unsere Beziehung nicht als besonders innig bezeichnen konnte. Und als der Unfall passierte und unser Vater gestorben war, weigerte sich Caroline mich aufzunehmen. Sie sagte, dass sie mich zwar lieben würde, aber mit ihren eigenen zwei Kindern und ihren Mann genug um die Ohren hätte. Für sie stellte ich eine Last dar. Für Ben nicht. Er hatte mich sofort aufgenommen, und mich großgezogen. Manchmal war er mehr Vater als Bruder. Und manchmal erkannte ich Dad in ihm. In einer Geste. In einer Angewohnheit. In einem Tonfall.
 

"Natürlich bist du das nicht. Aber...",
 

stockte er und sah mich wissend an. Ich nickte. Die Panikattacken. Der Unfall war zwar schon zehn Jahre her, dennoch passierte es manchmal, dass mich Kleinigkeiten wieder zurückwarfen. Dr. Hard fand damals schnell eine Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung.
 

"Ist Josie nicht da? Oder ich frage, ob ich bei Sally übernachten kann.",

schlug ich vor und ich sah wie sich Bens Gesicht entspannte. Josie, war unsere Nachbarin, die früher oft auf mich aufgepasst und mich auch manchmal von der Reha abgeholt hatte, wenn Ben auf der Wache war. Sie war eine gute Seele, nur leider war ihr das Alter nicht wohlgesonnen. Sally hingegen, war mein bester Freund. Ich hatte ihn an der Uni kennengelernt, wo wir schnell gemerkt hatten, dass wir auf der gleichen Wellenlänge lagen und waren seitdem mehr oder weniger unzertrennlich.
 

"Josie ist zu Besuch bei ihren Enkeln, aber wenn das mit Sally okay ist, wäre das super. Aber sollte irgendwas sein, oder passieren, rufst du mich sofort an, verstanden!",
 

bestimmte er streng und ich nickte artig.
 

"Ich frag ihn gleich in der Uni!",
 

versprach ich. Ben nickte. Wir wussten beide, dass Sally keine Einwände haben würde. Er malmte zerknirscht seine Kiefer aufeinander. Ich sah ihm an, dass er keine Lust hatte übers Wochenende wegzufahren. Und auf eine undefinierte Art und Weise freute mich das. Aber vielleicht tat es ihm ja mal gut. Eine Pause von Allem hier. Ich hätte auch gerne eine Pause. Eine Pause davon ich zu sein.
 

"Wohin fahrt ihr eigentlich?",
 

fragte ich leise und schob mir ein kleines Stück Pancake in den Mund. Verdammt war das köstlich. Ben brummte nur und zuckte mit den Schultern.
 

"Amy meinte nur, dass es eine Überraschung ist!"
 

Ich verkniff mir ein Augenrollen, und brummte verstehend. Ich hasste Überraschungen. Und Ben ebenfalls. Er hatte gerne alles unter Kontrolle und wollte immer auf alles vorbereitet sein. Ich denke als Feuerwehrmann, werden diese Eigenschaften automatisch antrainiert.
 

"Das klingt... spaßig!",
 

murmelte ich und hoffte, dass ich den Sarkasmus, der sich in meine Stimme schleichen wollte, erfolgreich herunterschlucken konnte. Ben sah auf und musterte mich schmunzelnd. Und damit war das Thema Amy für heute abgehakt. Wir verschlangen die Pancakes und ich lauschte Bens, übertrieben actiongeladenen, Erzählungen über die Feuerwehrübung der letzten Nacht. Er wusste wie er mich zum Lachen bringen konnte. Und ich lachte herzhaft. So herzhaft, dass mein Bauch schmerzte und meine Wangen rot glühten.
 

Nach dem Frühstück ging ich beschwingt ins Bad, um mich für die Uni fertig zu machen. Gatsby trottete mir treu hinterher und legte sich vor die Badezimmertür. Ich stand vor dem Spiegel und sah in mein Spiegelbild. Das war einer der Aufgaben, die mir Dr. Hard aufgegeben hatte. Ich sollte mich jeden Tag meinen Ängsten stellen. Wenn ich das schaffen würde, würden auch irgendwann die Panikattacken verschwinden.
 

Ich hasste Spiegel nicht, weil ich mich durch die Narben, die der Unfall mit sich gebracht hatte, nicht mehr schön fand. "Schön" war für mich ein dehnbarer Begriff. Mir gehörte die alte und verbeulte Polaroid-Kamera meines Vaters, die ich immer mit mir herumtrug. Sie war das Wertvollste und Schönste was ich besaß.

Meine Abneigung gegenüber Spiegeln hatte nichts mit Eitelkeit zu tun, sondern eher mit Erinnerungen. Die Narben erinnerten mich permanent an meinen Vater. Meinen Vater der tot war. Meinetwegen. Die Narben erinnerten mich an die Schmerzen, die ich durch die ganzen Operationen und in der Reha erdulden musste. Es gab Zeiten, da habe ich mein Spiegelbild nicht ertragen, ich habe Spiegel wütend zerschlagen, oder sie unter dicken Decken versteckt. Doch ich wollte an mir arbeiten. Ich wollte, dass es mir gut ging. Ich wollte mein Leben leben. Und ich wollte, dass Ben es durch mich nicht immer schwerer hatte.
 

"Wo bleibst du denn? Wir müssen los!",
 

rief Ben und ich schreckte aus meinen Gedanken.
 

"Bin gleich so weit!",
 

rief ich mit schriller Stimme zurück und beeilte mich. Es war Zeit für die Uni. Schnell zog ich mich an und schnappte mir meinen Rucksack. Ich sah schnell hinein, um sicher zu gehen, dass ich alles eingepackt hatte, schwang ihn mir um die Schulter und leinte Gatsby an. Ben wartete bereits mit einer Lunchtüte auf mich.
 

"Du musst das echt nicht mehr machen! Ich bin wirklich zu alt für sowas!",
 

murmelte ich verlegen, griff aber trotzdem nach der Tüte. Bens Essen schmeckte, im Vergleich zu dem Zeug, das es in der Mensa gab, einfach köstlich. Ben winkte ab.
 

"Du bist meine kleine Schwester. Und das wirst du immer sein, egal wie alt du bist!",
 

zwinkerte er mir zu, und schob mich sanft nach draußen. Anscheint waren wir spät dran. Seufzend kletterte ich in seinen Jeep und Gatsby sprang neben mich. Ich kraulte ihm sein Ohr, was er mir dankte, indem er mir die Wange ableckte. Ich lachte. Ich wollte gerade die Jeeptür schließen, als eine fremde Hand die Tür packte und mich daran hinderte. Ich zuckte vor Schreck zusammen und Gatsby bellte sofort.
 

"Oh, hab ich dich erschreckt? Das tut mir leid!",
 

hörte ich eine Männerstimme sagen. Ich blinzelte gegen das Sonnenlicht und erkannte einen jungen Mann. Dunkelrotes Haar funkelte in der Sonne und glasblaue Augen schienen mich zu durchbohren. Ich schauderte. Meine Nackenhärchen stellten sich auf, und ich wich instinktiv zurück. Gatsby knurrte.
 

"Ruhig alter Junge!",
 

hörte ich Ben sagen, als er neben den Fremden trat. Er musterte ihn argwöhnisch.

"Kann ich Ihnen helfen?",
 

brummte Ben und musterte die Hand des Fremden, die immer noch die Jeeptür umklammert hielt.
 

"Oh Entschuldigung. Ich sah euch beide nur gerade, und ich dachte ich sag schnell Hallo! Ich bin Tobi. Josie ist meine Tante und ich zieh für eine Weile hier ein, um das Haus zu hüten! Sie hat mir schon so viel über Euch erzählt! Es freut mich wirklich sehr, euch beide mal in Natura zu sehen.",
 

plapperte Tobi munter drauflos und schüttelte Bens Hand sehr euphorisch. Ich konnte deutlich sehen wie sich Bens Muskeln entspannten.
 

"Achso! Freut mich Tobi. Wir haben gerade leider keine Zeit, aber wie wäre es heute Abend? Komm einfach auf ein Bier vorbei!",
 

lächelte Ben freundlich und schloss die Beifahrertür des Jeeps. Gatsby winselte. Ich streichelte ihn, lauschte aber weiterhin den, durch das Glas dumpf klingenden, Männerstimmen. Tobi. In meinem Hirn ratterte es. Josie hatte öfter über einen Tobi erzählt. Ich glaube er war Autor. Kein besonders guter, wenn man Josies Erzählungen trauen durfte. Ich hatte ihn mir aber irgendwie anders vorgestellt. Wie einen gepeinigten, unglücklichen Künstler mit verwuscheltem Vollbart, fleckigem Shirt und einer angedeuteten Plauze. Nicht so stark und gänsehauterregend. Ich sah, wie sich die beiden Männer verabschiedeten und verfolgte Ben mit den Augen als er um das Auto ging und auf den Fahrersitz kletterte. Ben startete den Motor und drehte das Radio auf. Ich ließ das Fenster herunter und sofort steckte Gatsby freudig den Kopf heraus. Ich schmunzelte und kraulte weiter sein Fell.
 

"Was hältst du von dem?",
 

fragte ich ihn und genoss den angenehmen Wind in meinem Haar. Ben zuckte nur mit den Schultern und fuhr auf die Road 101.
 

"Er ist halt für die nächsten paar Wochen unser Nachbar. Da muss ich nicht groß was von ihm halten!",
 

brummte er, und warf mir kurz einen fragenden Blick zu.
 

"Mmmh!",
 

machte ich nur und pulte an Gatsbys Leine. Ben seufzte tief.
 

"Ach Rosie! Der Typ ist in ein paar Wochen wieder weg. Ich denke Dr. Hard sagt dir immer, dass du aufgeschlossener gegenüber Veränderung sein sollst. Nicht alle Veränderungen sind schlecht. Wer weiß... vielleicht freundet ihr euch an."
 

Ich versuchte ihm nicht zu widersprechen. Ich hatte schon viel zu oft die Erfahrung gemacht, dass Veränderungen nicht gut waren. Die aktuellste Veränderung, namens Amy war nur ein Paradebeispiel.
 

"Vergiss nicht, dass du nach der Uni zur Physio musst!",
 

erinnerte Ben mich und tätschelte aufmunternd mein Knie. Ich hasste die Physiotherapie. Obwohl Hass vielleicht zu stark ausgedrückt war. Ich fand sie lästig. Aber der Arzt war der Ansicht, dass ich sie noch brauchte.
 

"Ich hol dich dann direkt da ab. Ich versuche dieses Mal pünktlich zu sein. Sollte ich gerade auf einem Einsatz sein, schreib ich dir und du kommst direkt zur Wache!",
 

erklärte er und ich nickte wissend. Diesen Satz sagte er jeden zweiten Tag. Ich spürte seinen Blick auf mir, aber ich starrte starr auf meine Hände. Ben drehte das Radio noch lauter auf und begann absichtlich schief mitzusingen, wodurch Gatsby anfing zu jaulen. Ich versuchte nicht zu lachen. Aber das hielt ich nicht lange aus.
 

"Lern schön!",
 

grinste Ben, als er mich an der Uni raus ließ. Ich schnitt amüsiert eine Grimasse und winkte ihm zum Abschied. Ich sah seinem Auto kurz hinterher und zuckte nicht zusammen, als sich ein Arm locker um meine Schultern legte. Ich erkannte das aufdringliche, süßliche Aftershave sofort.
 

"Schade, dass dein Bruder schon vom Markt ist!",
 

schmachtete Sally sehnsuchtsvoll, und sah ebenfalls in die Ferne. Ich kicherte und zwickte ihm in die Seite.
 

"Ich dachte du stehst nicht auf alte Typen!",
 

lachte ich, und Sally mustere mich amüsiert.
 

"Dein Bruder ist heiß. Da ist das Alter egal!",
 

tat er mit einer Handbewegung ab, und bückte sich um Gatsby ausführlich zu begrüßen.
 

"Sag mal... kann ich am Wochenende bei dir pennen?",
 

fragte ich und ging langsam Richtung Kunstgebäude. Sally kramte nebenbei in seiner Jackentasche herum. Er suchte seine E-Zigarette. Das war sein Versuch, sich die herkömmlichen Zigaretten abzugewöhnen und einen kleinen Augenblick später roch es auch schon nach Gummibärchen. Erst nach einem langen und von einem wohligen Seufzen begleiteten Zug, sah Sally mich wieder an.
 

"Klar! Gibt es einen bestimmten Anlass?",
 

grinste Sally und fuhr sich durch seine blauen Haare.
 

"Amy will mit Ben wegfahren... und ich dachte... dass wir dann zusammen was machen könnten!",
 

schlug ich vor und sah ihn fragend an. Ich wollte nicht zugeben, dass ich zu ängstlich war, um mit meinen 25 Jahren allein zuhause zu bleiben. Sally kannte meine Geschichte und konnte sich seinen Teil denken. Er nickte, und musterte mich kurz stirnrunzelnd. Verlegen senkte ich den Blick.
 

"Welche Schuhgröße hast du nochmal?",
 

grinste er und nahm noch einen tiefen Zug von der E-Zigarette. Ich sah ihn verständnislos an.
 

"Hä?",
 

machte ich schlau und strich mir eine Strähne hinters Ohr. Bereits jetzt rächte es sich, dass ich mich heute Morgen nicht mehr um meine widerspenstigen Haare gekümmert hatte.
 

"Eric hat sich gestern den Knöchel verstaucht. Deswegen muss ich jetzt die Wochenendtouren machen! Und ich denke, du willst nicht den ganzen Samstag meinem Dad zusehen, wie er grimmig den Zaun flickt.",
 

erklärte Sally und blies mir den Gummibärchenrauch ins Gesicht. Ich rümpfte die Nase.
 

"Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist!",
 

murmelte ich und senkte den Blick.
 

"Rose! Jetzt zieh deinen Kopf aus dem Arsch und trau dich was! Du kriegst Butterblume! Mit dem Gaul bringt Eric kleinen Vorschülern das Reiten bei. Das tut keiner Fliege was zu leide. Und du musst mir einfach nur hinterher reiten."
 

Ich sah Sally kurz in die Augen. Ich war schon öfter auf der Ranch seiner Eltern geritten. Aber immer nur auf der Weide. Während Sally das Pferd führte. Ich atmete einmal tief durch, und ermahnte mich innerlich, mich meiner Angst zu stellen.
 

"38!",
 

seufzte ich ergeben und öffnete die Tür zum Aktsaal.
 

"Geht doch!",
 

freute sich Sally, während wir uns auf unsere Stammsitze fallen ließen. Ich kramte aus meinem Rucksack meinen Zeichenblock heraus und stellte diesen auf die Staffelei. Gatsby gähnte herzhaft und legte sich breitbeinig unter meinem Stuhl. Ich tätschelte ihn kurz und suchte meine Kohlestifte.
 

"Soll ich dich dann morgen nach der Uni direkt mitnehmen? Meine Mom würde sich freuen. Eine Person mehr die sie bekochen kann!",
 

grinste Sally und klaute, mit einem frechen Lächeln auf den Lippen, den Kohlestift aus meiner Hand. Ich rollte mit den Augen und zog meinen Ersatzstift aus der Tasche. Ich war immer auf alles vorbereitet. Es war keine Zwangsstörung. Vielleicht eine leichte Neigung zu einer beginnenden Zwangsstörung, aber ich fühlte mich halt sicherer, wenn ich wirklich auf alles und jeden vorbereitet war. Vielleicht hatte Ben über die Jahre etwas auf mich abgefärbt.
 

"Ich weiß nicht. Ben hat sich nur wage ausgedrückt. Aber ich sag mal ja!",

seufzte ich. Bei der Erwähnung von Bens Namen, fiel mir wieder ein, dass ich ihm ja wegen dem Wochenende Bescheid geben wollte. Ich fummelte mein Handy aus der Hosentasche und tippte schnelle eine Nachricht.
 

"Hoffentlich kriegen wir heute Kyle als Model!",
 

raunte Sally vorfreudig und sah erwartungsvoll zur Eingangstür. Ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken.
 

"Meinst du denn, dass du heute seine Nummer kriegst?",
 

fragte ich amüsiert und folgte Sallys Blick. Der Saal füllte sich langsam mit Studenten und das Stimmengewirr vermischte sich zu einem Summen. Es klingelte und Professor Hanks betrat mit Kyle den Raum. Ich hörte Sally sehnsuchtsvoll schmachten und ich schüttelte belustigt den Kopf. Da ich wusste, dass Sally jetzt jede Bewegung, Geste und jeden Blick Kyles kommentieren würde, schob ich mir die Hörer meines iPods in die Ohren und drehte die Musik auf. Beim Zeichnen brauchte ich immer Musik, weil ich es sonst nicht schaffte, den Kopf abzuschalten und meine Hände das tun zu lassen, was sie am besten konnten.
 

Die Stunde verging wie im Flug. Meine Hände waren pechschwarz von der Kohle und als ich neben mich sah, war Sallys Platz leer. Ich runzelte die Stirn und zog mir die Kopfhörer aus den Ohren. Ich sah mich suchend um. Im Saal herrschte Unruhe, weil die Stunde sich dem Ende neigte, und sich die meisten schon zum Gehen bereit machten. Das erschwerte meine Suche. Doch noch ehe ich Sally in dem Gewirr aus Menschen ausmachen konnte, trat Professor Hanks neben mich und blätterte durch meine Skizzen. Er nickte stolz.
 

"Weiter so!",
 

knurrte er mit rauchiger Stimme und machte ein Häkchen auf seinem Klemmbrett.
 

"Hier die neue Hausarbeit. Abgabe in drei Wochen!",
 

murmelte er und drückte mir ein Stück Papier in die Hand. Ich bedankte mich. Er legte auch einen Zettel auf Sallys leeren Platz und ging in die nächste Reihe. Ich stand auf und begann meine Sachen zusammenzupacken, als Sally neben mich sprang, mich fest drückte und mir einen feuchten Schmatzer auf die Wange drückte.
 

"Bah! Womit hab ich den denn verdient?",
 

brummte ich und wischte mir angeekelt über die Wange, während Sally beschwingt um mich herum tänzelte. Ich zog eine Augenbraue hoch. Dass er sich seltsam benahm, entsprach ja eigentlich der Norm. Aber das war jetzt wirklich untypisch.
 

"Ich habe seine Nummer!",
 

zwitscherte er mit leuchtenden Augen und hielt sein Handy hoch, wo die eingespeicherte Nummer auf dem Display leuchtete. Ich musste leise auflachen. Ich freute mich für ihn.
 

"WOOOW! Hat ja nur drei Jahre gedauert!",
 

gluckste ich und packte meine Sachen in den Rucksack. Doch Sally schien mich nicht zu hören. Er war abgehoben. Auf Wolke sieben.
 

Den gesamten Vormittag hatten Sally und ich zusammen Kurse. In der Mittagspause fuhren wir zum Strand, zogen unsere Schuhe aus und setzten uns in den warmen Sand, während Gatsby einem Stock im Meer hinterherjagte. Meine Haare wehten im Wind und ich ließ mich erschöpft zurückfallen. Ich schloss die Augen und genoss die warme Sonne auf meiner Haut. Sally tat es mir gleich, während wir uns schweigend Bens Lunchpaket teilten.
 

"Jetzt brauchen wir nur noch einen Kerl für dich und dann können wir auf Doppeldates gehen!",
 

seufzte Sally plötzlich und ich blinzelte verwirrt.
 

"Hast du dich denn schon mit Kyle verabredet?",
 

fragte ich leise und Sally schüttelte den Kopf.
 

"Was nicht ist, kann ja noch werden!",
 

grinste er siegessicher und wippte mit den Augenbrauen. Ich lachte auf und rollte mich auf die Seite um ihn besser ansehen zu können.
 

"Oh ja! Vielleicht in den nächsten drei Jahren!!,
 

ärgerte ich ihn und Sally schnippte mir gegen den Bauch, wodurch ich wieder kichern musste.
 

"Lenk nicht ab! Ich weiß aus sicherer Quelle das Noah Williams auf dich steht. Und ich dachte du würdest dich mit einem Doppeldate wohler fühlen!",
 

erklärte Sally plötzlich ungewöhnlich ernst und sah mir fest in die Augen. Ich wich seinem Blick aus. Davon hörte ich zum ersten Mal. Ich kannte zwar Noah Williams, aber nur vom Namen her. Er war der Star-Pitcher der Universität. Ich hatte in den letzten drei Jahren vielleicht zwei Worte mit ihm gewechselt, weil wir den gleichen Philosophiekurs besuchten. Und da ich mich nicht für Sport interessierte, war ich auch nie bei den Spielen dabei gewesen.
 

"Wer?",
 

tat ich unwissend, und malte mit meinem Finger kleine Muster in den feinen Sand. Ich konnte Sallys Augenrollen förmlich spüren.
 

"Du weißt genau wer Noah Fucking Williams ist!",
 

murrte Sally und wischte über die Muster, die ich in den Sand gemalt hatte. Ich hob trotzig den Kopf.
 

"Nur weil ich weiß wer er ist, und er angeblich auf mich steht, heißt das nicht, dass ich mich mit ihm verabreden muss!",
 

brummte ich. Ich hatte keine Lust auf dieses Thema und funkelte ihn deswegen böse an. Ein Warnung, dass er gleich zu weit gehen würde, wenn er nicht aufhörte.

"Ich sag ja nicht, dass du ihn heiraten sollst!",
 

seufzte Sally, in einem versöhnlicheren Ton.
 

"Ehrlich gesagt, hab ich Schiss es mit Kyle gleich beim ersten Date zu verkacken... und ich dachte in einer Gruppe von vier Leuten wäre es nicht so gezwungen! Und weil Noah einen Blick auf dich geworfen hat, wären das zwei Fliegen mit einer Klappe!",
 

erklärte er und ich zog die Stirn in Falten, während ich ihn mustere. War er etwa nervös? Ich hatte Sally in den letzten drei Jahren nicht einmal nervös oder gar unsicher erlebt. Und dann erkannte ich es. Ich musste wirklich blind gewesen sein.
 

"Du magst ihn wirklich, oder?",
 

flüsterte ich und ich sah wie sich Sallys Wangen leicht rosa färbten, bevor er nickte.
 

"Maaaaan. Als beste Freundin kann ich ja jetzt schlecht nein sagen!",
 

gab ich quengelnd nach und Sally sah mich strahlend an.
 

"Ist das also ein 'Ja'?",
 

fragte er grinsend und ich nickte. Na da hatte ich mir ja was eingebrockt. Aber Sally war mein bester Freund und ich wollte, dass er glücklich war. Und wenn das hieß, dass ich einen Abend die Anwesenheit von Noah Fucking Williams ertragen musste, war das ein Preis den ich gerne gewillt war zu zahlen.
 

Ich stand auf und schnappte mir Dads alte Polaroidkamera. Ich ging zum Meer und fühlte die angenehmen kühlen Wellen um meine Füße. Ich warf Gatsbys Stock wieder ins Wasser, welchen er bellend verfolgte. Ich sah mich kurz um, und nahm die Umgebung in mich auf. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser und die feinen Wassertropfen, die vom Wind fortgelockt wurden, reflektierten die bunten Farben des Regenbogens. Ich hob die Kamera an mein Auge, und kurz bevor Gatsby zu mir aus dem Wasser sprang, drückte ich auf den Auslöser. Ich steckte das Polaroid, welches summend aus der Kamera schoss, in meine Hemdtasche und lächelte zufrieden.
 

"Na komm, alter Junge! Langsam müssen wir zurück!",
 

winkte ich meinen Hund zu mir heran, welcher sich vor mich stellte und sich das Wasser aus dem kurzen Fell schüttelte. Ich quiekte amüsiert auf und lief schnell zu Sally zurück, der schon wieder am Handy hing. Bestimmt schrieb er mit Kyle.
 

Der restliche Nachmittag verlief gewöhnlich und erwartungsgemäß ereignislos. Ich hatte meine Architekturkurse, während Sally Darstellende Kunst und Schauspiel belegt hatte. Mein letzter Kurs, mein geliebter Philosophie-Grundkurs fiel heute kurzfristig aus und ich setzte mich auf den Campus in den Schatten eines Baumes. Gatsby legte sich neben mich und während ich ihn kraulte, begann er leise zu schnarchen.
 

Irgendwie war ich froh gewesen, dass der Kurs heute ausfiel. Ich wusste nämlich nicht, wie eilig es Sally mit diesem zwanglosen Doppeldate hatte und falls Noah mich heute darauf angesprochen hätte, hätte ich nicht gewusst was ich hätte sagen oder wie ich hätte reagieren sollen. Ich war nicht gut in solchen Dingen. Und der Ausdruck "nicht gut" war schon nett formuliert und positiv ausgeschmückt. Vielleicht sollte ich das das nächste Mal mit Dr. Hard besprechen.
 

Ich holte einen Apfel und den Zettel vom Aktunterricht von heute Morgen aus meiner Tasche. Während ich den Zettel mit der neuen Hausarbeitsaufgabe überflog, biss ich herzhaft in das süße Obst und schmatzte ungeniert. Ich kam nur bis zum zweiten Satz, als ein dunkler Schatten auf mein Blatt fiel.

Ich sah auf und wurde sofort bleich. Ich sah direkt in das schief grinsende Gesicht von Noah Fucking Williams. Anscheinend war mir mein Karma heute nicht besonders wohlgesonnen. Ich starrte ihn nur an, während ich laut das Stück Apfel herunterschluckte und versuchte nicht zu husten.
 

"Hi!",
 

grinste er und schob sich den Schirm seiner Basecap nach hinten.
 

"Äh... hey!",
 

gab ich mit kratziger Stimme von mir, senkte den Blick und starrte wieder auf mein Blatt Papier. Er setzte sich dicht neben mich, sodass sein Körper gegen meine Seite drückte. Ich fand das unangenehm und lehnte mich leicht weg.

"Philosophie fällt doch jetzt aus, wieso gehst du nicht nach Hause?",
 

fragte er munter und ich sah ihn kurz verwundert an. So viel hatten wir das ganze letzte Jahr nicht miteinander geredet. Unbewusst ahnte ich, dass Sally da seine Finger im Spiel hatte. Anscheint konnte er es kaum erwarten mit Kyle auszugehen. Verdammt.
 

"Das Gleiche könnte ich dich auch fragen!",
 

murmelte ich ausweichend und starrte weiter auf das Arbeitsblatt. Nervös kraulte ich Gatsby, welcher nur ein müdes Gähnen von sich gab. Noah lachte.
 

"Ich habe gleich noch Training. Da lohnt es sich nicht nochmal nach Hause zu fahren!",
 

erklärte er und ich nickte. Ich überlegte angestrengt, wie ich mich höflich verabschieden könnte, ohne ihn vorm Kopf zu stoßen und das zukünftige Date nicht platzen zu lassen. Nur weil ich Sally versprochen hatte, einen Abend mitzuspielen, hieß das noch lange nicht, dass ich auch meine Freizeit mit Noah verbringen wollte. Er war zwar hübsch anzusehen: Dunkelbraunes Haar, bronzene Augen und ein durchtrainierter Körper. Aber mehr war da nicht. Er war nur eine hübsche Hülle, die talentiert in einer beliebten Sportart war. Ihm fehlte es irgendwie an Tiefe. Und das störte mich.
 

"Wenn du Lust hast, kannst du mir gern zugucken! Vielleicht bringst du mir ja Glück!",
 

brummte er charmant mit seiner tiefen Stimme, welche mich unangenehm schaudern ließ.
 

"Du hast doch gar kein Glück nötig!",
 

lachte ich nervös und hoffte, dass er endlich gehen würde. Noah winkte sichtlich gerührt ab.
 

"Was hast du da?",
 

fragte er und ehe ich mich versah schnappte er sich mein Arbeitsblatt. Als er es überflog lachte er laut auf.
 

"Du hast den Aktkurs beim schrulligen Hanks belegt. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut!",
 

gluckste er hohl und ich zog meine Augenbrauen vor Skepsis und Ärger so weit nach oben, dass sie fast meinen Haaransatz berührten.

"Was meinst du damit?!",
 

knurrte ich und schnappte nach dem Blatt. Doch Noah ahnte was ich vorhatte und hielt das Blatt mit ausgestrecktem Arm von mir weg, sodass ich nicht mehr herankam, ohne mich auf ihn zu stürzen. Ich schnaubte verärgert. Er lachte und zuckte mit den Schultern.
 

"Du wirkst halt sehr... brav. Nicht wie jemand, der sich jeden Tag nackte Leute anguckt!",
 

schmunzelte er und zwinkerte. Ich sah ihn verständnislos an. Wie sahen denn Leute aus, die sich gerne nackte Leute ansahen?
 

"Brauchst du Hilfe bei der Hausarbeit? Ich biete mich gerne als Model an!",
 

grinste er und legte einen Arm um mich, um mich dichter an sich zu drücken. Der scharfe Geruch seines Aftershaves stieg mir in die Nase und seine Körperwärme schien mich zu verbrennen. Ich versteifte mich sofort und schüttelte seinen Arm ab, während ich aufsprang, meinen Rucksack packte und losmarschierte. Auch Gatsby sprang überrascht auf und folgte mir schnell. Ich hörte zwar das Noah Fucking Williams mir hinterherrief, aber ich verstand nicht was. Und ich wollte es auch nicht wissen. In meinen Ohren rauschte es so laut, dass ich glaubte mein Kopf würde gleich explodieren. Ich wusste nicht wohin meine Füße mich trugen, bis ich vor dem Uni-Theater stand. Mit funkelndem Blick begegnete ich der große Doppelflügeltür und stapfte die Treppe hoch. Hoffentlich stand Sally gerade nicht auf der Bühne. Ich hatte Glück. Er saß im Schneidersitz hinter der Bühne in einer einsamen Ecke und las in einem Skript, während er leicht die Lippen beim Lesen bewegte.
 

"Was hast du ihm erzählt?",
 

fuhr ich ihn sauer an. Er sah überrascht auf und lächelte mich an.
 

"Auch hallo! Schwänzt du etwa?",
 

grinste er ungläubig und in seinem Blick flackerte Stolz auf. Er hielt mir ständig Predigten darüber, dass ich mal Regeln brechen und das Leben mehr genießen solle. Er war ein wandelnder Glückskeks. Ich wischte seine Worte mit einer Handbewegung weg.
 

"Was hast du Noah Fucking Williams erzählt, dass er herumstolziert, wie ein geiler Gockel?",
 

fuhr ich ihn wieder an, und Gatsby bellte, was meinen Worten noch mehr wütenden Ausdruck verlieh.
 

"Geiler Gockel?",
 

lachte Sally und legte sein Skript weg.
 

"Komm mal wieder runter Rosie! Ich habe lediglich angedeutet, dass du ihm gegenüber nicht abgeneigt wärst! Mehr nicht! Du warst doch mit der Verabredung einverstanden!",
 

seufzte er und strich sich durchs Haar. Er verstand mich nicht. In solchen Dingen, ich nenne sie mal Liebesangelegenheiten, stießen wir immer aneinander. Er ging damit für gewöhnlich sehr locker und unbekümmert um und hatte auch kein Problem damit, mit Kerlen in die Kiste zu springen und sie am nächsten Tag nie wieder zu sehen. Für mich war das unvorstellbar. Ich wollte das, was meine Eltern gehabt haben. Zwar war mir nicht das Glück vergönnt gewesen, meine Mutter kennenzulernen, aber wenn Dad mir Geschichten von ihr und ihm erzählt hatte, hatte man die Liebe, die er immer noch für sie empfunden hatte, in seiner Stimme gehört, in seinem Blick gesehen und in seinen Erzählungen gespürt. Es war echt gewesen. War es denn so falsch etwas "Echtes" zu wollen?
 

"Ich habe nur zugesagt dir einen Gefallen zu tun. Nicht, dass ich mich auf Noah einlassen würde!",
 

widersprach ich und verschränkte die Arme.
 

"Rose! Ich musste ihm doch Hoffnung machen. Sonst will er vielleicht nicht mitkommen!",
 

erklärte er augenrollend und ich schnaubte. Ich zog verärgert die Augenbrauen zusammen, da ich mir gut vorstellen konnte, auf was er ihm Hoffnung gemacht hatte. Ich schnappte mir seinen Rucksack und kramte nach dem Akt-Arbeitsblatt. Meins hatte ja immer noch der geile Gockel. Ich fand es und stopfte es in meine Tasche.
 

"Du musst mich nicht mehr zu Physio fahren! Ich gehe selber!",
 

brummte ich und schnalzte mit der Zunge, damit Gatsby wusste, dass wir aufbrachen.
 

"Warte Rose! Jetzt sei doch nicht sauer!",
 

hörte ich ihn sagen, als ich die Tür zuknallte.
 

Es hatte einen guten Grund, dass Sally mich sonst immer zur Physiotherapie fuhr. Die Praxis lag fast am anderen Ende von Los Angeles, und wurde von dem renommiertesten Physiotherapeuten der Stadt geführt. Er hatte schon so manche Berühmtheiten und Sportlegenden zusammengeflickt, was durch die gerahmten und unterzeichneten Bilder von Prominenten in seinem Wartezimmer unterstrichen wurde. Und da Ben für meine Gesundheit nur das Beste akzeptierte, war ich dort Stammpatientin.
 

Es waren vier muffige Busse und ein halbstündiger Fußmarsch nötig, bis ich endlich an der Praxis ankam. Ich zog mein Hemd aus, wischte mir damit den Schweiß von der Stirn und band es mir dann um die Hüfte. Dabei fiel mein Blick auf einen sehr großen blauen Truck mit aufgemalten weißen und orangenen Flammen. Der blaue Lack glitzerte aufgeregt in der Sonne und ich stellte mich dichter an das Auto. Es war monströs. Gatsby schnupperte neugierig an einem der Vorderreifen und ohne darüber nachzudenken, zückte ich meine Polaroidkamera und hielt diesen Moment fest. Mir gefiel der Truck. Er war anders und stach hervor. Ich war neugierig, wie es sich wohl anfühlen würde, sich in den breiten Sitz zurückzulehnen, auf die Dächer der anderen langweiligen Autos zu schauen und den brausenden Wind in meinen Haaren zu spüren.
 

Ich schüttelte leicht den Kopf um den Tagtraum abzuschütteln. Schnell sah ich auf mein Handy und atmete erleichtert auf. Ich war noch nicht zu spät. Ich eilte die Treppe hinauf und stopfte dabei das Foto und die Kamera in meinen Rucksack. Am Empfang wurde ich direkt von Anna, der Sprechstundenhilfe, mit einem breiten Lächeln begrüßt.
 

"Hallo Rose! Heute bist du aber früh dran!",
 

grinste sie und ihre Augen leuchteten fröhlich. Ich nickte nur und rang mir ein halbes Lächeln ab.
 

"Aiden hat gerade noch einen Notfall-Patienten. Setz dich noch ein paar Minuten ins Wartezimmer, okay?",
 

gurrte sie. Ich nickte und versuchte mich wieder an einem richtigen Lächeln. Sie konnte ja nichts dafür, dass ich keinen guten Tag hatte. Doch statt ins Wartezimmer zu gehen, verschwand ich erst auf die Toilette. Ich drehte den Wasserhahn auf und klatschte mir so viel kaltes Wasser ins Gesicht, dass mir eisige Wasserperlen über meinen Hals in meinem Dekolleté rollten und schließlich von meinem Tanktop aufgesaugt wurden. Gatsby sprang mit den Vorderpfoten aufs Waschbecken und schlabberte genüsslich am laufenden Wasserhahn. Ich schmunzelte und strich ihm sanft über die Ohren. Ich nahm eins der eingerollten Handtücher, die neben dem Waschbecken in kleinen perfekten Pyramiden gestapelt waren und trocknete damit mein Gesicht. Das Handtuch roch angenehm nach Zitronen. Das stetig vibrierende Handy in meiner Hosentasche ignorierte ich. Ich wusste, dass es Sally war. Aber es war besser, wenn ich jetzt nicht mit ihm sprach. Sonst würde ich noch Dinge sagen, die ich morgen bereuen würde.

Gatsby ließ sich wieder auf den Boden fallen und leckte sich über das nasse Maul. Ich drehte den Wasserhahn zu und sah nur so lange in den Spiegel wie nötig, um zu überprüfen, dass ich nicht mehr so verschwitzt aussah, wie ich mich fühlte. Ein paar Strähnen, die nass geworden waren, kräuselten sich, meine Wangen glühten und mein Tanktop klebte mir an der Haut. Ich seufzte und zuckte mit den Schultern.
 

Resigniert schob ich mich aus der Toilette und ging ins Wartezimmer. Ich wäre fast auf der Türschwelle verwundert stehen geblieben, als ich einen Kerl mit schräger Wollmütze sah. Er hielt sich sein Handy vor die Nase und sprach mit verstellter Stimme in die Handykamera, während er eine verstörende Grimasse schnitt. Ich runzelte die Stirn und musterte ihn kurz argwöhnisch. Als er sein Handy sinken ließ und mich direkt ansah, fuhr ich ertappt zusammen und setzte mich schnell auf den, von ihm am weit entferntesten Platz. Gatsby folgte mir schwanzwedelnd und hüpfte auf den leeren Sitz neben mir.
 

Schweigen. Betretenes Schweigen. Er und ich waren die einzigen im Wartezimmer. Zu hören war nur Gatsbys Hecheln. Ich traute mich noch nicht mal, nach meinem Buch in meinem Rucksack zu greifen, aus Angst es würde zu viel Lärm machen.

Verstohlen sah ich zu dem Fremden herüber. Mein Blick glitt über die schrillpinke Wollmütze, zu seinen gesenkten Augen, die er wieder auf sein Handy gerichtet hatte, hinunter zu seinem buschigen Bart, weiter zu seinem weißen, löchrigem Tanktop, dessen Aufdruck ich nicht erkennen konnte, weiter zu seinen großen, kräftigen Händen, mit denen er flink auf dem Handy herumtippte, bis zu seiner knallroten Bauchtasche. Weiter kam ich nicht, da er aufschaute und ich reflexartig eilig woanders hinsah. Ich spürte wie meine Wangen heiß wurden und hoffte, er hatte nicht bemerkt wie ich ihn angestarrt hatte.
 

Ich ließ meinen Blick über die gerahmten Bilder schweifen und versuchte mich krampfhaft daran zu hindern, wieder zu dem Typen zu gucken. Er summte etwas und ich spitzte die Ohren. Die Melodie erkannte ich zwar nicht, doch seine Stimme klang schön. Sehr tief und kräftig.
 

"Beißt der mich, wenn ich ihn streichel?",
 

erklang seine melodische Stimme und mein Kopf fuhr zum wollmützigen Fremden herum. Ich schluckte und sah kurz zwischen ihm und Gatsby hin und her. Dann schüttelte ich den Kopf. Er grinste und sah mir direkt in die Augen, als er aufstand und sich vor mir und Gatsby hinkniete. Seine Augen bohrten sich förmlich in meine und ich hatte das Gefühl, er würde direkt in mich hineinsehen. Die Intensität seines Blickes raubte mir für einen Moment den Atem, und ich war froh dass ich saß und nicht umkippen konnte. Ich konnte meinen Blick nicht von seinen großen Augen lösen. Sie waren von einem klaren und leuchtenden Blau. Ich musste sofort an große, klare Gletscher in der Antarktis denken, die majestätisch durch das dunkle Blau des Meeres glitten. Gänsehaut erfasste mich. Lange, dunkle Wimpern umrahmten seine faszinierenden Augen und ich hätte am liebsten meine Kamera gezückt. Doch ich widerstand dem Drang, und biss mir auf die Unterlippe.
 

Gatsby begann aufgeregt an der Hand des Fremden zu schnüffeln. Als er anfing diese freundlich abzulecken, lachte der Fremde auf und traute sich ihn zu streicheln. Ich beobachtete das still und war froh, dass die Aufmerksamkeit des Unbekannten nun Gatsby galt und nicht mehr mir. Das gab mir Zeit, mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich spürte, wie meine Wangen regelmäßig warm pulsierten und ich wischte mir unauffällig die schwitzigen Hände an meiner Hose ab. Was war denn nur los mit mir? Gletscher die durchs Meer glitten? Hatte ich das wirklich gerade gedacht? Das klang so kitschig, dass ich mich am liebsten in die große Zimmerpflanze neben mir übergeben hätte.
 

"Wie heißt er?",
 

grinste der Fremde und begann in einer albernen Babysprache mit Gatsby zu reden, was dieser leise bellend kommentierte.
 

"Gatsby!",
 

nuschelte ich und rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her. Vielleicht hatte ich mir ja auf dem langen Weg hier her, einen Sonnenstich eingefangen.
 

"Nach dem Buch oder dem Film?",
 

grinste er und kraulte Gatsby den Bauch. Ich sah den beiden kurz zu, ehe ich die Stirn runzelte.
 

"Film?",
 

fragte ich und zuckte ungeschickt mit den Schultern. Mein Bruder und ich waren beide keine großen Filmliebhaber. Wir hatten zwar einen Fernseher zuhause, aber den nutzten wir ausschließlich nur dann, wenn ein Football-Spiel lief und wir die Jungs von der Wache zu einem leckeren Barbecue eingeladen hatten.
 

"Das beantwortet meine Frage! Ist aber schon ein sehr ungewöhnlicher Name für einen Hund!",
 

grinste er schief und zwinkerte. Diese Kombination veranlasste mein Gesicht dazu, noch heißer zu werden. Ich hatte definitiv einen Sonnenstich.
 

"Daran ist überhaupt nichts ungewöhnlich. Jay Gatsby ist ein intelligenter Charakter, er ist ein gewissenhafter Optimist, er scheut keine harte Arbeit und was er sich vornimmt zu erreichen, das erreicht er auch! Alles gute Eigenschaften für einen Hund!",
 

hörte ich mich sagen, und hätte mir am liebsten die Zunge abgebissen. Statt eins meiner Lieblingsbücher zu verteidigen, hätte ich einfach nicken und lächeln sollen. Dann wäre der Kerl zurück auf seinen Platz gegangen, dass peinliche Schweigen hätte wieder eingesetzt und ich hätte nicht weiter nervös sein müssen. Aber wie immer waren meine Lippen schneller als meine Gedanken.
 

"Naja, wenn man das so sehen will. Man könnte ihn auch als reichen Schnösel deuten, der sich gerne in seinem protzigen Reichtum suhlt, dunklen Geschäften nachgeht und wissentlich eine Ehe zerstören will, für eine Frau die nicht auf ihn gewartet hat. So intelligent klingt das für mich nicht!",
 

erklärte er und ich sah deutlich, wie sich seine Mundwinkel frech verzogen. Seine Augen funkelten förmlich und weil ich mich automatisch zu ihm vorgelehnt hatte, konnte ich jetzt auch kleine, feine türkise Punkte um seine Iris herum erkennen. Kaum wahrnehmbar, und auch nur durch die Sonnenstrahlen, welche durch das Fenster ihren Weg fanden, ans Licht gebracht. Sofort begann ich darüber nachzudenken, welche Acrylfarben ich in welchem Verhältnis mischen musste, um die Intensität seiner Augen auf Leinwand festzuhalten.
 

"Bei so einer Meinung, empfehle ich dringend, das Buch nochmal zu lesen!",
 

seufzte ich und verschränkte die Arme. Er lachte.
 

"Ist sein Spitzname dann auch 'Alter Knabe'?",
 

fragte er amüsiert und gegen meinen Willen musste ich lächeln.
 

"Nur wenn er ganz besonders artig war!",
 

pflichtete ich ihm bei und Gatsby schnaubte fröhlich. Und dann tat der verdammte Kerl es schon wieder. Er sah mir direkt in die Augen. Ich schluckte schwer. Mein Herz musste sich im Rhythmus vertan haben, denn meine Brust zog sich zusammen. Es war ein ungewohntes und komisches Gefühl. Aber irgendwie gut.
 

"Sag mal, was hä-",
 

begann er, wurde aber unterbrochen, als die Tür polternd aufgerissen wurde. Ich zuckte ertappt zusammen und lehnte mich zurück in den Stuhl.
 

"Hey Jared! Wir können! Der Doc hat mich wieder eingerenkt!",
 

brummte ein glatzköpfiger Mann mit muskelbepackten Armen und einem breiten, charmanten Grinsen im Gesicht. Aber das nahm ich nur am Rande wahr. Jared. Der Fremde hatte jetzt einen Namen. Jared. Passte zu ihm. Er sah aus wie ein Jared.
 

Jared erhob sich seufzend und sah mich entschuldigend an.
 

"Okay. Anscheint muss ich los. Vielleicht sehen wir uns ja nochmal hier... dann können wir weiter über den Großen Gatsby diskutieren!",
 

grinste er zwinkernd und ein leichtes Kribbeln fuhr über meine Haut. Ich nickte nur. Ich traute mich nicht den Mund zu öffnen, aus Angst welche Worte meine Lippen formen würden. Stattdessen lächelte ich leicht und winkte, während ich ihm nachschaute. Auf jeden Fall, war es ein sehr intensiver Sonnenstich.

Die Tür fiel ins Schloss, und ich merkte erst jetzt, dass ich die Luft angehalten hatte. Gatsby winselte leise.
 

"Hast du etwa auch einen Sonnenstich?",
 

seufzte ich aufmunternd und kraulte ihm den Kopf, als er diesen auf meinen Schoß schob. Ich starrte die geschlossene Tür an. Ich hatte keine Ahnung was gerade passiert war. Aber das war auch nicht mehr wichtig. Schließlich würde ich den Typen nicht wiedersehen. Nein! Ich würde Jared nicht wiedersehen. Bei dieser Erkenntnis zog sich etwas in mir zusammen und ich spürte wie sich ein tiefes Seufzen in meinem Bauch bildete. Vielleicht sollte ich Anna nach einem Kühlakku für meinen erhitzten Kopf fragen. Mit einem Sonnenstich war nicht zu spaßen. Und was anderes war es nicht, was ich gerade fühlte. Bestimmt nicht!
 

Zum Glück blieb mir keine Zeit mehr zum Grübeln, denn Anna kam in den Warteraum und führte mich ins Behandlungszimmer. Ich verzog mich hinter dem Vorhang und begann mir meine Sportsachen anzuziehen. Kaum war ich umgezogen, kam auch schon Aiden herein. Er stellte ein fröhliches mit vielen Zähnen geschmücktes Lächeln zur Schau und war wie immer in Plauderlaune. Das war mir nur recht. Ich ließ ihn reden. Er erwartete nicht, dass ich antwortete und so konnte ich ungestört an klare und leuchtend blaue Augen denken. Augen, die im Licht, wie kostbare Saphire schimmerten.
 

Aiden dehnte meine Beine sehr gründlich, und machte mit mir die üblichen Übungen. Diese taten mal mehr und mal weniger weh. Danach massierte er jedes Bein sehr gewissenhaft, bevor er mir einen Wärmeumschlag anlegte. Alles Routine.
 

Als ich die Praxis verließ, hatte ich das Gefühl, wie auf Wolken zu gehen. Unbeschwert und leicht. Ich fand den Gedanken, dass ich jeden zweiten Tag zum Physiotherapeuten gehen musste, um ein angenehmes Geh-Gefühl zu haben, zwar sehr ernüchternd, aber in diesem Moment war es einfach nur fantastisch. Ich war noch nicht mal ganz aus der Tür heraus, da hörte ich auch schon jemanden hupen. Ben wartete bereits und winkte mir grinsend zu. Ich beschleunigte meine Schritte und hüpfte freudig in den Jeep. Ben drückte mich an sich und strich mir väterlich über den Rücken.
 

"Na Kleine!? Lief bei der Physio alles gut?",
 

fragte er und musterte mich. Ich nickte und klaute ihm schmunzelnd seine Sonnenbrille von der Nase, um sie mir selber aufzusetzen. Er lachte und startete den Motor, während ich mich anschnallte und Gatsby sich zwischen meinen Füßen zusammenrollte. Wenn ich bei Ben war, dann war alles gut. Vergessen war der Streit mit Sally. Vergessen war die aufdringliche Art von Noah Fucking Williams. Doch die saphirblauen Augen waren hartnäckiger und so ertappte ich mich dabei, wie ich immer wieder in Gedanken zu ihnen abdriftete. Es juckte mich in den Fingern sie zu zeichnen.
 

"Und was war in der Uni?",
 

fragte Ben und ich biss mir auf die Unterlippe. Ich entschied mich, ihm nichts von Noah zu erzählen. Das war eine Sache zwischen mir und Sally. Und von der Auseinandersetzung mit Sally konnte ich ihm auch nichts erzählen, weil ich dann befürchten müsste, dass Ben nicht mit Amy wegfahren würde, weil er mich nicht zwingen würde bei Sally zu übernachten, wenn wir uns gerade nicht grün waren.
 

"Ganz gut. Aber Philosophie ist ausgefallen!",
 

antwortete ich neutral und sah aus dem Fenster. Immerhin hatte ich ihn so nicht angelogen.
 

"Und was war bei euch los? Habt ihr arme Jungfern aus brennenden Häusern gerettet?",
 

fragte ich munter grinsend, um das Thema zu wechseln. Es funktionierte. Ben lachte und wuschelte mir verspielt durch die Haare.
 

"Nein! Leider nicht. Keine Jungfrau in Nöten in Sicht. Aber Dexter hat heute Kochdienst. Und sein Essen ist gefährlicher als brennende Infernos!",
 

gluckste er und ich kicherte.
 

"Das heißt wir bestellen uns Pizza?",
 

fragte ich hoffnungsvoll und Ben nickte eifrig. Ich leckte mir hungrig über die Lippen.
 

Als wir auf den Parkplatz der Feuerwehrwache fuhren, lieferten sich Scott und Adam vor dem Feuerwehrauto eine Wasserschlacht. Kaum hatte Ben geparkt, sprang Gatsby aus dem Auto und lief zu den beiden lachenden Männern, um mit seinem weit aufgerissenen Maul den Wasserstrahl aus den Schläuchen aufzufangen. Ich lachte und kletterte umständlich aus dem Jeep.

Ich hörte Ben seufzen. Er war der Assistent Chief der Wache und trug dadurch eine große Verantwortung. Und das nicht nur gegenüber seinen Männern. Er setzte seinen strengen Blick auf, den ich persönlich nicht oft zu Gesicht bekam und fixierte damit Scott und Adam, welche sich grinsend entschuldigten und sich wieder schnell der Reinigung des Feuerwehrautos widmeten.
 

Ich winkte den beiden, welche mir freundlich zuzwinkerten. In der Wache wurde ich direkt von James und Ethan begrüßt. Sie saßen angestrengt denkend an einem Schachbrett, auf dem noch viele Figuren standen. Ich verstaute meinen Rucksack in Bens Spind, und schlenderte in die Küche. Im Kühlschrank fand ich eine Cola mit meinem Namen drauf. Freudig nahm ich einen erfrischenden Schluck. Bei diesem warmen Wetter war das genau das Richtige. Mit der Cola in der Hand, machte ich mich auf die Suche nach Roxy. Sie war hier die Sekretärin und Buchhalterin. Ich half ihr regelmäßig mit ein bisschen Papierkram oder grafischen Angelegenheiten, um mir ein bisschen was dazu zu verdienen. So musste ich nicht immer Ben um Geld bitten, wenn ich mir Bücher, Kunstmaterial oder Polaroids kaufen wollte. Außerdem hatte ich dadurch eine gute und sinnvolle Beschäftigung bis Bens Schicht endete und wir nach Hause fahren konnten.
 

"Du könntest heute die Einladungen für den Tag der offenen Tür fertig machen. Die müssen nämlich nächste Woche verschickt werden!",
 

wies Roxy mich freundlich an, als ich sie gefunden hatte. Ich nickte und war dankbar für die produktive Ablenkung. Ich schnappte mir meinen Laptop und setzte mich in den gemütlichen Sessel in Bens Büro. Und während er fleißig Berichte schrieb, gestaltete ich die Einladungen.
 

Ich hatte Roxy gerade die druckfertigen Entwürfe per Mail geschickt, als ein Räuspern die angehnehme Stille durchbrach. Ich sah auf und meine Mundwinkel zogen sich so weit nach unten, dass mein Mund einem umgedrehten "U" glich.

Amy. Was wollte sie denn hier?
 

"Hallo Schatz!",
 

flötete Amy, warf gekonnt ihr goldenes Haar über die Schulter und schwebte förmlich zu Ben. Sie ignorierte seinen fragenden Blick und küsste ihn laut schmatzend. Mir stieg bittere Galle hoch. Ich versuchte meinen Brechreiz zu unterdrücken und heftete meinen Blick auf den Bildschirm. Wenn der Kuss schon so eklig klang, wollte ich lieber nicht wissen wie der aussah. Ich hörte, wie sie sich laut ploppend lösten und mein Magen zog sich zusammen.
 

"Was machst du denn hier?",
 

fragte Ben überrascht und hörbar außer Atem.
 

"Ich wollte fragen, ob du endlich alles wegen dem Wochenende geklärt hast?! Oh! Rose! Du bist ja auch hier!",
 

lachte sie mit hoher Stimme und ich zog eine Augenbraue hoch. War ich wirklich so leicht zu übersehen? Ich rang mir ein gemurmeltes "Hi!" ab.
 

"Lässt du mich und Ben kurz allein!",
 

fragte sie gepresst und ich hörte deutlich heraus, dass sie versuchte nicht genervt zu klingen. Ich sah fragend zu Ben, welcher leicht nickte. Ich seufzte tief, klappte den Laptop zu und ging schnell aus dem Büro, bevor ich noch mehr feuchte Küsse mitansehen musste. Ich schloss gerade Bens Bürotür hinter mir, lauter als ich es beabsichtigt hatte, als mein Handy wieder zu vibrieren begann. Auf dem Display wurden mir elf Anrufe in Abwesenheit angezeigt. Alle von Sally. Mir wurde das Herz schwer. Ich eilte vor die Wache, um ihn endlich zurückzurufen. Ich war nicht gut im Streiten. Und noch schlechter im Nachtragend sein. Es ertönte gerade der erste Freizeichenton, da erkannte ich sein Auto, das auf den Parkplatz bog und direkt vor mir anhielt. Überrumpelt legte ich auf und sah Sally mit großen Augen an als er geschickt aus seinem Auto sprang.
 

"Es tut mir leid! Es tut mir leid! Es tut mit wirklich sooooo leid!",
 

begann er sofort und kam schlitternd vor mir zum Stehen.
 

"Ich hab wirklich nicht viel zu Noah gesagt. Es war alles ganz harmlos. Ich hab nur gefragt ob er Lust hätte mit zum Pier zu kommen, wenn du auch dabei wärst und solche Sachen. Ich weiß nicht warum er sich aufgeführt hat wie ein... ein... wie nanntest du ihn nochmal?",
 

fragte Sally außer Atem und strich sich durch seine wirren Haare. Ich verschränkte die Arme und versuchte zerknirscht auszusehen.
 

"... ein geiler Gockel!",
 

half ich ihm auf die Sprünge und biss mir auf die Innenseite der Wange um nicht zu lächeln. Ich war ihm schon nicht mehr böse gewesen, als er aus dem Auto gesprungen war. Aber das musste ich ihm ja nicht verraten. Sallys Mund zuckte kurz belustigt, er war aber anständig genug sich am Lächeln zu hindern.
 

"Genau! Keine Ahnung warum, er sich so aufgeführt hat. Ich hab ihn mir auch schon zur Brust genommen! Also keine Sorge! Wenn du willst, lassen wir das mit dem Doppeldate sein.",
 

plapperte er und sah mich entschuldigend an.
 

"Du hast mit ihm geredet?",
 

fragte ich überrascht. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.
 

"Natürlich! Schließlich warst du ziemlich durch den Wind, als du bei mir aufgetaucht warst. Und das konnte ich so nicht stehen lassen! ",
 

brummte er ernst und ich sah ihn gerührt an.
 

"Danke!",
 

murmelte ich und lächelte sanft.
 

"Also... wieder alles gut?",
 

fragte er und mustere mich vorsichtig. Ich nickte und umarmte ihn. Ich konnte deutlich spüren wie die Anspannung seinen Körper verließ, als er die Umarmung erwiderte.
 

"Ich hasse es, wenn wir streiten!",
 

flüsterte er mir ins Ohr. Es kitzelte und ich kicherte leise.
 

"Ich auch. Und das mit dem Doppeldate können wir trotzdem machen. Nur brauchen wir einen Ersatz für den geilen Gockel!",
 

flüstere ich und Sally löste sich etwas um mir ins Gesicht sehen zu können.
 

"Wirklich?"
 

Ich rollte amüsiert mit den Augen.
 

"Natürlich. Schließlich will ich später nicht schuld sein, dass du deine wahre Liebe nie gefunden hast, weil du nie ein Date mit Kyle gehabt hast!",
 

zog ich ihn auf und er zwickte mir in die Seite. Ich schrie lachend auf und rieb mir die zwiebelnde Stelle. Und in diesem Moment musste ich wieder an glasblaue Augen, mit feinen kleinen türkisen Tupfern, denken. Gänsehaut überzog meinen gesamten Körper und ich schauderte.
 

"Okay! Zum Glück haben wir ein ganzes Wochenende Zeit, dir eine Verabredung zu beschaffen!",
 

grinste Sally und ich nickte. Ich versuchte Jared aus meinen Gedanken zu vertreiben, doch je mehr ich versuchte nicht an ihn zu denken, umso intensiver wurden die Details meiner Erinnerungen an ihn. Verdammt. Ich musste mich ablenken.
 

"Und zur Besiegelung unserer Versöhnung...",
 

begann Sally feierlich und öffnete die Beifahrertür. Ich beobachtete ihn neugierig, wie er im Auto herumkramte, und nach einer gefühlten Ewigkeit eine Packung "Ben & Jerry's" mir grinsend vor die Nase hielt. Caramel Chew Chew! Meine Lieblingssorte.
 

"Du warst dir deiner Sache aber sehr sicher!",
 

lachte ich und schnappte mir freudig das Eis. Er zuckte nur zwinkernd mit den Schultern und bot mir seinen Arm an. Ich hakte mich freudig bei ihm unter und zusammen gingen wir in die Küche der Wache, um uns die leckere Eiscreme zu teilen. Wir lästerten lachend über den geilen Gockel und grübelten über eventuelle Wochenendbeschäftigungen. Und als unsere Bäuche voller Eiscreme und der Becher leer und aufgeweicht war, sah ich wie Amy das Büro von Ben verließ. Ich rümpfte die Nase. Sally entging das natürlich nicht.
 

"Wow! Du kannst sie wirklich nicht leiden! Du hasst sie richtig!",
 

grinste er, und versuchte mit dem Löffel die letzten kleinen Eis-Reste aus dem Becher zu kratzen.
 

"Sieht man das so doll?",
 

fragte ich verlegen und wischte mir mit dem Ärmel über den klebrigen Mund. Sally lachte und nickte eifrig.
 

"Es steht dir mit großen fetten Buchstaben auf der Stirn geschrieben!",
 

grinste er und tippte mir gegen den Kopf. Ich verzog das Gesicht und wollte mich gerade verteidigen, da kam Ben in die Küche geschlendert.
 

"Oh! Hey Sally! Ich sehe ihr habt euch den Appetit fürs Abendessen verdorben!",
 

schmunzelte Ben und schenkte sich eine frische Tasse Kaffee ein.
 

"Ach! Wir haben immer Appetit!",
 

winkte Sally ab und Ben setzte sich neben mich. Wie selbstverständlich legte er seinen Arm auf meine Rückenlehne und zupfte mir verspielt an den Haaren.
 

"Alles okay bei euch?",
 

fragte er und Sally und ich nickten synchron.
 

"Ich hoffe, ihr stellt am Wochenende keinen Blödsinn an!",
 

brummte Ben und sah Sally ernst an. Es war seit Jahren das erste Mal, das Ben für zwei Nächte nicht zuhause war, und anscheint machte das nicht nur mich nervös.
 

"Ben? Was sollen wir denn Blödsinniges auf einer Ranch machen?",
 

kicherte ich und stieß ihm leicht in die Seite.
 

"Oh mir würden da viele Sachen einfallen!",
 

lachte Charlie laut, als er zur Kaffeemaschine schlenderte. Ben nickte zustimmend seinem Kollegen zu und sah Sally ernst an.
 

"Ihr haltet euch an die drei goldenen Regeln!",
 

brummte er plötzlich ernst und sah Sally eindringlich an. Ich rollte genervt mit den Augen.
 

"Ben, das muss jetzt nicht sein!",
 

seufzte ich und wollte aufstehen, doch Bens Arm lag plötzlich auf meinen Schultern und drückte mich zurück auf den Stuhl. Sally beobachtete die Szene mehr als amüsiert und salutierte vor Ben.
 

"Über was für Regeln sprechen wir genau?",
 

grinste er frech und sah mich dabei verschmitzt an.
 

"Kein Feuer! Keine Drogen! Keine Jungs!",
 

zählte Ben mithilfe seiner Finger auf und ich sah Sally deutlich an, dass er sich bemühte nicht loszulachen.
 

"Aye aye, Sir! Ich werde Rosie von allen offenen Feuerstellen, zwielichtigen Drogendealern und hormongesteuerten Typen fernhalten!",
 

nickte er ernst. Ich seufzte und klatschte mir meine Hand auf die Stirn.
 

"Das ist ja gerade so überhaupt nicht peinlich!",
 

murmelte ich und versuchte Bens Arm abzuschütteln.
 

"Ich sehe wir verstehen uns!",
 

freute sich Ben und klopfte Sally mit der freien Hand auf die Schulter. In dem Moment kam ein großer Trupp kräftiger Männer die Treppe hochgestiefelt. Die Nachtschicht war da.
 

"Feierabend!",
 

freute sich Ben und zwinkerte mir zu.
 

"Rosie und ich bestellen uns Pizza! Kommst du mit?",
 

fragte Ben Sally, welcher vergnügt die Nachtschicht abcheckte.
 

"Ich würde gern! Aber ich muss jetzt nach Hause!",
 

seufzte er mit einem Blick auf die Uhr an seinem Handy.
 

"Bis morgen Rosie!",
 

grinste er und lehnte sich weit über den Tisch, um mich zu umarmen. Ich erwiderte liebevoll die Umarmung und ein kleiner Teil in mir, begann sich auf das Wochenende zu freuen. Kaum als Sally gegangen war, packten wir alle unsere Sachen und gingen geschlossen zu den Autos. Die Wache gehörte nun der Nachtschicht.
 

"Wisst ihr beide schon, was ihr am Wochenende macht?",
 

frage Ben und startete den Wagen. Ich spielte mit Gatsbys Halsband und zuckte unverfänglich mit den Schultern.
 

"Sally wird mich nötigen zu reiten!",
 

brummte ich leicht zerknirscht. Die ganze Date-Angelegenheit würde ich Ben nicht erzählen. Ich würde mich dabei sehr komisch fühlen, mit Ben über Dates und alles was dazugehörte zu reden. Außerdem würde das gegen seine dritte goldene Regel verstoßen. Bei den Gedanken an Dates, schoben sich wieder Bilder von intensiv dreinblickenden blauen Augen in meinen Schädel und ich schüttelte leicht den Kopf. Ich hörte Ben lachen.
 

"Oh bitte mach ein Foto davon!",
 

gluckste er und strich mir aufmunternd übers Knie.
 

"Wenn ich den Ausritt überlebe, kannst du so viele Fotos haben wie du willst!",
 

seufzte ich und zückte meine Polaroidkamera, um den, von der Dämmerung verfärbten, Himmel zu fotografieren.
 

Als wir endlich zuhause ankamen, atmete ich erleichtert auf. Irgendwie war das heute ein anstrengender Tag gewesen. Ich schmiss meinen Rucksack aufs Bett und füllte Gatsbys Napf, während ich eine große Familienpizza bestellte. In zwanzig Minuten würde mein Bauch voll von leckerer warmer Salamipizza mit extra Käse sein. Mir lief schon jetzt das Wasser im Mund zusammen. Und während Gatsby sich schmatzend über sein Fressen hermachte, schlenderte ich zurück in mein Zimmer. Es war Zeit für mein abendliches Ritual. Ich suchte alle Polaroids zusammen, die ich heute geschossen hatte, um sie an meine Wand zu kleben. Es war bereits die zweite Wand meines Zimmers, die ich nun von oben bis unten damit tapezierte. Ich wusste nicht mehr genau wann und warum ich damit angefangen hatte, aber ich konnte auch nicht mehr damit aufhören. Es lag wohl daran, dass ich mich meinem Vater näher fühlte, wenn ich seine Kamera benutzte. Als wäre er dabei gewesen, als das Polaroid entstand. Es beruhigte mich, die Polaroids an meiner Wand zu betrachten und mich an die Momente zu erinnern, die ich festgehalten hatte.
 

Zuerst klebte ich das Polaroid vom Sonnenuntergang auf, dann das Foto von Gatsby der an dem Reifen des blauen Trucks schnupperte. Ich strich gedankenverloren über den Truck, als mir plötzlich auffiel, dass ein Polaroid fehlte. Ich war mir sicher gewesen, dass ich am Strand auch ein Foto geschossen hatte. Ich schüttelte meinen Rucksack über mein Bett aus und suchte danach. Nichts. Ich tastete meine Hosentaschen ab, und gab ein frustriertes Stöhnen von mir, als ich auch dort nicht fündig wurde. Und dann fiel es mir plötzlich ein. Ich hatte es in meinem Hemdtasche gesteckt. Ich sah sofort nach, doch die Tasche war leer.
 

"Verdammt!",
 

fluchte ich leise und ging zu Bens Jeep. Ich hoffte, dass es dort aus meiner Hemdtasche gefallen und irgendwo im Fußraum liegen würde. Ich bückte mich und tastete jeden Zentimeter ab.
 

"Kann man dir helfen?"
 

Ich schrie erschrocken auf und stieß mir den Kopf an. Ich hörte jemanden lachen. Ich rappelte mich verärgert auf und begegnete Tobis frostigen Blick. Er grinste mich zwar an, doch erreichte sein Grinsen seine Augen nicht, und meine Nackenhärchen stellten sich auf.
 

"Sorry! Ich wollte dich nicht erschrecken! Schon wieder! Aber gut, dass ich dich hier treffe!",
 

freute er sich und drückte mir ein Sixpack Bier in die Hände.
 

"Kannst du das deinem Bruder geben und mich entschuldigen? Ich musste mit jemandem die Schicht tauschen und muss jetzt zur Arbeit und wir waren ja eigentlich auf ein Bier verabredet!",
 

erklärte er und strich sich eine rote Locke hinters Ohr. Ich nickte und schloss schnell die Autotür.
 

"Danke! Bis dann!",
 

lächelte er schief und ging zu seinem Auto. Ich wusste nicht, was ich von unserem neuen Nachbarn halten sollte. Hoffentlich kam Josie früher zurück.
 

"Was machst du denn da?",
 

fragte Ben, welcher gerade auf die Terrasse getreten war und sah mich forschend an.
 

"Tobi war da und hat dir Bier gebracht!",
 

erklärte ich und ging zurück zum Haus. Ben sah mich verständnislos an.
 

"Er muss arbeiten und kann deswegen nicht kommen! Du hattest ihn heute Morgen auf ein Bier eingeladen!",
 

erklärte ich und ich konnte seine plötzliche Erkenntnis an seinem Gesicht erkennen.
 

"Stimmt ja! Hatte ich schon wieder ganz vergessen!",
 

seufzte er und nahm mir das Bier ab. Er setzte sich auf die hölzerne Hollywoodschaukel und klopfte neben sich. Ich kam seiner stummen Bitte nach und setzte mich seufzend neben ihn. Er lachte auf.
 

"War dein Tag so hart, ja?",
 

schmunzelte er. Wenn er nur wüsste. Ich rollte genervt mit den Augen und schnitt eine Grimasse. Er lachte leise auf, öffnete eine der Bierflaschen und reichte sie mir. Ich nahm sie dankend an und hielt sie gegen meine warmen Wangen. Die Temperaturen zu dieser Jahreszeit kühlten sich abends nicht sonderlich ab. Man hatte eher das Gefühl in einer Sauna zu sitzen. Eine Sauna mit einem besseren Ausblick. Ben öffnete für sich auch eine Flasche und zusammen stießen wir an. Das Bier war so herrlich kalt, dass ich spüren konnte, wie es in meinem Bauch floss und sich eine leichte erfrischende Gänsehaut von dort ausbreitete. Ich nahm gleich noch einen Schluck.
 

Ben legte den Arm hinter mich und zusammen sahen wir der schwindenden Sonne zu, während der Himmel in den schönsten Farben zu versinken begann. Es war ein perfekter Moment. Ben neben mir. Gatsby zu meinen Füßen. Und der leichte Nachgeschmack von süßem dunklen Bier auf der Zunge. So könnte es immer sein. Und ich wäre glücklich.
 

Der idyllische Moment wurde vom Pizzaboten unterbrochen. Doch es war eine willkommene Störung. Wir teilten uns die Pizza auf der Veranda und scherzten über Nichtigkeiten, während wir Gatsby heimlich kleine Salamistückchen zusteckten.
 

Ich musste auf der Hollywoodschaukel eingeschlafen sein, denn als der Wecker mich am nächsten Morgen weckte, konnte ich mich nicht daran erinnern, wie ich ins Bett gekommen war. Noch leicht desorientiert schlug ich die Bettdecke beiseite und setzte mich auf. Ich rieb mir ausgiebig den Schlaf aus den Augen und gähnte herzhaft. In der Küche hörte ich leise Geräusche. Ben war also schon wach. Gatsby streckte sich müde neben mich und ich streichelte über sein seidiges Fell. Unmotiviert stand ich auf, kramte meine Reisetasche aus dem Schrank und begann fürs Wochenende zu packen. Weil auch Ben sich gestern Abend nicht mehr überwunden hatte fürs Wochenende zu packen, war der Morgen sehr hektisch. Tee und Toast aß ich hastig über der Spüle, während Ben den Jeep belud. Bei der Menge an Taschen, fragte ich mich, ob er wirklich nur übers Wochenende wegfuhr.
 

"Wenn dir nicht wohl bei der Sache ist, kann ich jederzeit zurückkommen! Wirklich! Das macht mir nichts!",
 

wiederholte mein besorgter großer Bruder nun schon zum fünften Mal, als er vor der Uni hielt. Ich sah ihn mit großen Augen an. Ein, zu meiner Schande, sehr großer Teil in mir, wollte ihn anflehen hier zu bleiben. Ich schluckte meine Bedenken aber herunter. Ich würde das schon schaffen. Schließlich hatte ich mir vorgenommen mich zu bessern und eigenständiger zu werden, damit Ben sein eigenes Leben führen konnte. Das war ich ihm schuldig.

Schweren Herzens nickte ich.
 

"Ich weiß! Aber das wird nicht nötig sein! Hab ein schönes Wochenende!",
 

hörte ich mich sagen und ich schaffte es sogar zu lächeln. Ben musterte mich prüfend und verzog kurz das Gesicht. Dann zog er mich fest an sich und umarmte mich.
 

"Ich hab dich lieb, Rosie!",
 

murmelte er leise und ich löste mich.
 

"Ich dich auch!",
 

flüsterte ich und wusste jetzt schon, dass ich ihn schrecklich vermissen würde. Aber eine Ben-Entwöhnung war ein guter Anfang zur Eigenständigkeit. Ich stieg aus, und Ben reichte mir meine Reisetasche.
 

"Denk an die drei goldenen Regeln!",
 

zwinkerte er, aber seine Stimme hatte einen todernsten Unterton.
 

"Wie könnte ich die vergessen!",
 

nickte ich und winkte ihm nach, als er davonfuhr. Ich seufzte schwer und Gatsby winselte. Mit schief gelegtem Kopf sah er mich an und ich kraulte ihm das Ohr.
 

"Vermisst du ihn auch schon?",
 

fragte ich meinen Hund und klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. Ich sah mich suchend nach Sally um. Ich wollte meine Tasche in sein Auto legen, damit ich sie nicht den ganzen Tag durch die Uni schleppen musste. Doch als ich mich umsah, fand ich nicht Sally, sondern den blauen mit orangenen und weißen Flammen geschmückten Truck. Den hatte ich vor der Uni noch nie gesehen. Und dann passierte es. Es war als würde jemand auf die Pause-Taste drücken und alles um mich herum einfrieren. Ich hörte nichts. Und ich sah nichts. Ich spürte nur. Ich spürte wie sich ein Blick in meinen Rücken bohrte. Ich spürte wie sich meine Nackenhärchen aufgeregt aufstellten. Und ich spürte wie mein Herz sofort schneller schlug. Ich leckte mir nervös über die Lippen und drehte mich langsam um. Zumindest kam es mir langsam vor.
 

Meine Augen trafen auf ozeanblaue Augen. Sie waren wie ein Lasso, das sich eng um meinen Körper schlang und mich zu ihnen zog. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Ich konnte meine Füße nicht daran hindern, dem Drang der Anziehungskraft nachzugeben.
 

Da stand er. Lässig an einem Baum gelehnt. Mit einem frechen Grinsen im Gesicht. Und glühenden Augen.
 

Jared!

KAPITEL ZWEI

KAPITEL ZWEI

Los Angeles 2017

 

Kolibri. Das war das Einzige an das ich denken konnte. Als ich noch klein war, gingen Ben und Dad oft mit mir in den Zoo. Dort stand ich immer fasziniert vor den Kolibrigehegen. Ihr buntes Federkleid schillerte fröhlich in dem Licht der Sonne und ich malte mir aus, dass so kleine Feen aussehen müssten. Denn sie schienen nicht zu fliegen, sondern durch die Luft zu schweben. Als Kind gefiel mir diese Vorstellung. Die Vorstellung von greifbarer Magie, Sagen und Mythen. Doch war ich jetzt kein Kind mehr. Ich kannte die phantasielose und nüchterne Wahrheit. Kolibris schwebten nicht wirklich, sie schlugen nur so schnell mit den Flügeln, dass sie auf der Stelle fliegen konnten. Keine Feen. Keine Magie.

 

Dennoch konnte ich das Gefühl, welches sich in meiner Brust ausbreitete, nicht anders erklären. Es fühlte sich so an, als ob aus meinem Herzen, ein kleiner feenartiger, blauschimmernder Kolibri schlüpfte, seine geschickten Flügel ausbreitete und so schnell flatterte, dass mein Herz drohte stillzustehen. Mir wurde schwindelig und um nicht umzufallen krallte ich mich schnell an dem Baumstamm fest, an dem Jared immer noch grinsend lehnte.

 

"Hi!",

 

begrüßte er mich amüsiert und strich sich durch seine wirren Haare. Ich blinzelte. Hi? Mehr nicht? Mein vor Schock leergeräumtes Hirn, füllte sich in Sekunden mit Fragen: Was wollte er hier? War er etwa meinetwegen hier? Verfolgte er mich? Was wollte er von mir? Oder wollte er gar nichts von mir? War es nur Zufall? Bitte lass es kein Zufall sein!

 

Ich schluckte schwer und nickte nur, da ich meinen Stimmbändern gerade nicht zutraute, einen für Menschen hörbaren Laut hervorzubringen. Zum Glück lenkte Gatsby die Aufmerksamkeit auf sich, als er freudig aufbellte und Jareds Hände schwanzwedelnd beschnupperte.

 

"Na du alter Knabe!",

 

lachte Jared und kraulte ihm das Ohr. Ich beobachtete die beiden und musste sofort lächeln. Mein Blick fiel auf Jareds feingliedrige und doch kräftige Hand. Ich folgte den starken, sehnigen Adern zu seinem kräftigen Oberarm. Ich schauderte. Schnell schüttelte ich innerlich den Kopf und versuchte mich zu konzentrieren. Das Wichtigste war jetzt herauszufinden, ob der Typ vor mir, der mit meinem verräterischen Hund herumschmuste, ein verrückter Stalker war oder nicht.

 

"Vermisst du vielleicht etwas?",

 

frage Jared und richtete sich wieder auf. Er sah mich direkt mit seinen leuchtenden Augen an und ich wagte es nicht zu blinzeln. So musste sich eine Maus fühlen, die von einer Kobra hypnotisiert wurde.

 

"Ich glaub' wir kennen uns noch nicht lange genug, als dass ich dich vermissen könnte!",

 

erwiderte ich verwirrt und hob eine Augenbraue hoch. Er schien ziemlich von sich überzeugt zu sein.

Doch meine Worten brachten Jared nur zum Lachen, wodurch seine Grübchen noch deutlicher wurden.

 

"Verdammt! Das tut weh!",

 

grinste er und verzog verspielt schmerzhaft das Gesicht, während er sich an die Brust fasste. Ich legte den Kopf schief und musterte ihn weiter. Irgendwie wurde ich nicht schlau aus ihm.

 

"Aber was nicht ist, kann ja noch werden!?",

 

raunte er plötzlich, während er näher an mich herantrat. Der Kolibri in meiner Brust beschleunigte seine Flügel und mein Herz stolperte regelrecht, um der schnellen Flügelschlagfrequenz gerecht zu werden. Gegen meine Willen wurden meine Wangen heiß, als ich den Kopf leicht in den Nacken legte, um ihm in die Augen sehen zu können. Er schien auf eine Antwort von mir zu warten. Sein eindringlicher Blick, wodurch seine Augen dem Gefieder eines blauleuchtenden Kolibris glichen, erschwerte mein Denken.

 

"Vielleicht.",
 

rang ich mir ab und biss mir auf die Unterlippe. Jared nickte nur.

 

"Bestimmt!",

 

berichtigte er und zwinkerte. Allein durch sein Zwinkern bekam ich weiche Knie und mein Griff am Baumstamm verstärkte sich noch mehr. Ich trat einen kleinen Schritt zurück, um etwas körperlichen Abstand zu gewinnen, damit mein Hirn entnebelt werden konnte.

 

"Also... Jared! Was führt dich her?",

 

wechselte ich mit belegter Stimme das Thema, um die spannungsgeladene Situation etwas zu entschärfen. Zu meiner Schande betonte ich seinen Namen. Es war das erste Mal, dass ich seinen Namen nicht nur leise in Gedanken, sondern laut aussprach. Sein Name zerging mir förmlich auf der Zunge. Es fühlte sich gut an. Und wieder lächelte er über meine Worte.

 

"Ein Polaroid!",

 

grinste er schelmisch und öffnete seine rote Bauchtasche. Ich riss erschrocken die Augen auf. Woher wusste er dass ich Polaroids schoss? Ich sah zu seiner Hand, als diese ein, mir sehr wohl bekanntes, Polaroid entgegenhielt. Ich blinzelte. Oft. Denn ich starrte ungläubig auf das verloren geglaubte Polaroid. Gatsby wie er freudig in die Fluten sprang, während das Wasser durch die Sonne bunt glitzerte. Ein gelungenes Polaroid.

 

"Das gehört doch dir, oder?",

 

fragte Jared, jetzt wohl doch leicht irritiert, da ich mich nicht rührte. Ich war förmlich erstarrt. Natürlich war ich dankbar, dass er mir mein verschollen geglaubtes Polaroid zurückgebracht hatte, doch begriff ich nicht, warum er sich die Mühe machte, es mir persönlich zu bringen. Und noch viel wichtiger war die Frage, wie er mich überhaupt gefunden hatte. Schließlich war das Polaroid am Strand entstanden, und gab wenig Hinweise auf meinen genauen Aufenthaltsort. Der Strand von Los Angeles war nicht gerade klein. Dennoch schien mein Herz fast zu zerspringen, da es so schnell schlug, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich fühlte mich von der Situation überfordert. Aber auf eine gute Art. Auch wenn dies keinen Sinn ergab.

 

Nach kurzem Zögern nickte ich, lächelte sogar zaghaft und griff mit zitternden Händen nach dem Foto. Doch er war schneller. Blitzschnell zog er seine Hand mit dem Polaroid weg und drückt es gegen seinen Bauch. Mein "Dankeschön", welches mir förmlich schon auf der Zunge gelegen hatte, schluckte ich überrumpelt herunter.

 

"Gut! Dann wäre jetzt wohl der passende Augenblick, über den Finderlohn zu reden!",

 

grinste er wieder selbstsicher. Sein schiefes Lächeln ließ abermals meine Knie schlottern und ich betete das ich nicht einfach zusammensacken würde.

 

"Fin-... Finderlohn?",

 

stotterte ich vollkommen perplex und sah ihn überrascht mit großen Augen an. Ich spürte wie Gatsby sich hinsetzte und sich gegen meine Beine lehnte. Ich vergrub meine, vor Aufregung zitternde, Hand in seinem Fell.

Jared nickte nur und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Und wieder war ich fasziniert von dieser Geste. Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte nachzudenken.

 

"Was schwebt dir denn so vor?",

 

hörte ich mich sagen und ich war froh, dass ich es geschafft hatte einen zusammenhängenden und logischen Satz zu formulieren. Anscheinend hatte ich etwas richtig gemacht, denn Jareds Gesicht erhellte sich, was meinen Kolibri in der Brust freudig zwitschern ließ.

 

"Ich wüsste gerne deinen Namen!",

 

lächelte er und ich erkannte dieses Mal nichts Freches oder Amüsiertes in seinem Lächeln. Es war ein neues Lächeln das er mir zeigte, und welches ich noch nicht so ganz deuten konnte. Aber es ließ meine Haut aufgeregt prickeln. Der Drang, einfach einen der Stifte aus dem vorderen Fach meiner Latzhose zu ziehen, und dieses neue Lächeln zu skizzieren wuchs sekündlich. Doch ich sah ihn nur an, und hörte wie mein Blut aufgeregt in meinen

 

Ohren rauschte.

 

"Und ich wüsste gerne wie du mich gefunden hast!",

 

erwiderte ich, entschlossen es ihm nicht zu einfach zu machen. Die Verrückter-Stalker-Theorie stand immer noch im Bereich des Möglichen. Auch wenn er nicht aussah wie ein Stalker. Er hatte keinen irren Blick und sah auch nicht gerade gefährlich aus. Aber vielleicht war er ja ein Wolf im Schafspelz. Zugegeben. In einem sehr attraktiven Schafspelz.

 

Jared biss sich amüsiert auf die Lippe und seine Augen funkelten verschmitzt.

 

"Mh! Da haben wir wohl eine Pattsituation!",

 

raunte er wieder auf diese hirnvernebelnde Weise und ich schluckte, während ich mich ermahnte mich zusammenzureißen. Er strich sich nachdenklich durch den Bart, während er mich von oben bis unten musterte. Es war beinahe so, als ob er mich durch seine Augen berühren würde. Es fühlte sich an, wie warme Sonnenstrahlen, die meine kalte Haut küssten, um diese zu wärmen.

 

"Okay! Folgender Vorschlag! Als Dankeschön für das Polaroid und meiner selbstlosen Mühe verrätst du mir deinen Namen. Und morgen erzähle ich dir dann, diese wahnsinnig aufregende Geschichte, wie ich es geschafft habe, dich zu finden!",

 

schlug er vor und spielte mit dem Polaroid vor meiner Nase herum. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Siegessicheres.

 

"Morgen?",

 

fragte ich und zog die Stirn in Falten. Er nickte nur.

 

"Ich gehe morgen mit ein paar Freunden wandern. In der Santa Monica Mountains National Recreation Area! Und du bist hiermit eingeladen. Gatsby natürlich auch!",

 

lächelte er charmant und schaffte es dabei irgendwie seine Augen noch mehr zum Strahlen zu bringen. Wie machte er das nur?

 

"Wandern? Im Wald?",

 

fragte ich vorsichtig und versuchte es nicht allzu skeptisch klingen zu lassen.

 

"Ja! Dem hektischen Los Angeles entfliehen und frische Luft schnappen. Das wird lustig. Du kannst mich dann auch gerne weiter über Literatur belehren!",

 

grinste er frech und trat wieder dichter an mich heran. Ehe ich erahnen konnte was er vorhatte, griff er in das vordere Fach meiner Latzhose und zog einen meiner Tuschestifte heraus. Er öffnete die Kappe mit dem Mund, ergriff sanft mein rechtes Handgelenk und begann etwas auf meine Haut zu schreiben. Und ich ließ es widerstandslos zu. Ich war viel zu sehr davon abgelenkt, wie sich seine Haut auf der meinen anfühlte. Und wie nah sein Gesicht dem meinem war. Die kalte Tinte auf meiner Haut ließ mich schaudern. Ich schloss genüsslich die Augen, als sein Haar meine Nase streifte und mir ein unbeschreiblich schöner Duft in die Nase stieg.

 

Jared roch wie ein verregneter Frühlingstag. Nach süßer nasser Erde, während die gereinigte Luft den zarten Duft, der gerade sprießenden Blüten, weiterträgt. Es hatte etwas Befreiendes. Dort, wo er mich berührte, schien meine Haut zu vibrieren, und sich in warmen Wellen über meinen gesamten Körper auszubreiten. Ich zitterte leicht durch die Gänsehaut und biss mir schnell auf die Lippe, um nicht zu seufzen.

 

Er drückte leicht meine Finger, bevor er meine Hand wieder freigab. Er steckte den Stift zurück in meine Latzhose und sah mich auffordernd an. Ich sah zu meiner Hand und erkannte eine Handynummer. Seine Handynummer!

 

"Ich muss jetzt leider zu einem wichtigen Termin! Schreib mir, wenn du morgen dabei bist. Dann geb' ich dir den genauen Treffpunkt und die Uhrzeit durch. Ich-",

 

ich hörte wie er kurz innehielt und zögerte, während ich immer noch auf die Tintenziffern auf meinem Handgelenk starrte. Was passierte hier?

 

"Ich würde mich freuen, wenn du mitkommen würdest!",

 

flüsterte er leise, und seine Worte hallten in mir nach, wodurch sich meine Brust zusammenzog.

 

"Rose!",

 

seufzte ich ergeben und sah wieder zu ihm auf. Ich lächelte ihn verlegen an. Auch wenn ich ihn morgen nicht treffen würde, war ich es ihm doch schuldig, ihm wenigstens eine Bitte zu erfüllen. Jared blinzelte kurz überrascht, ehe seine Augen einen sanften Ausdruck annahmen.

 

"Ein schöner Name!",

 

lächelte er und legte mir vorsichtig das Polaroid in die Hand. Wieder berührten sich unsere Hände und dieses Mal fühlte es sich wie ein elektrisches Kribbeln an. Ich schluckte und sah auf seine Hand, die sanft auf meiner lag, während sein Atem meine Wange streifte.

 

"Dann sehe ich dich hoffentlich Morgen!",

 

hauchte er nahe an meinem Ohr und meine Nackenhärchen stellten sich sofort auf. Doch noch ehe ich dies verneinen konnte, begann seine Bauchtasche zu klingeln. Ich hörte ihn seufzen, als er meine Hand losließ und sein Handy aus der Bauchtasche zog. Er blickte auf das Display und murmelte leise etwas.

 

"Da muss ich leider rangehen! Wir sehen uns!",

 

grinste er schief, nahm das Gespräch an und ging an mir vorbei.

 

"Bye!",

 

krächzte ich ungeschickt mit belegter Stimme und drehte mich automatisch in seine Richtung, um ihm nachzuschauen. Mein Blick glitt über seine wehenden Haare, seinen breiten Rücken und verweilte einen Augenblick zu lang an seinem Hintern. Ich erkannte mich selbst nicht mehr. Eigentlich war ich nicht der Typ Mädchen, die Männern auf den Hintern gaffte. Glaubte ich zumindest. Bis heute.

 

Ich schnappte überrascht nach Luft, als Jared in den blauen Jeep mit den aufgemalten weißen und orangenen Flammen stieg. Er fuhr ausgerechnet dieses Auto. Dieser Zufall war schon beinahe gruselig.

 

Das Vernünftigste wäre gewesen, sich umzudrehen, in die Uni zu gehen, sich die Handynummer von der Haut zu schrubben, sich auf die Kurse zu konzentrieren und diesen Vorfall zu vergessen. Aber was tat ich? Ich stand hier. Wie angewurzelt. Und schaute diesem geheimnisvollen Typen hinterher. Insgeheim hoffte ich, dass er sich nochmal zu mir umdrehen würde; dass es mir vergönnt war, noch einmal seine strahlenden, eisblauen Augen zu sehen. Und ich sollte nicht enttäuscht werden. Als er den Motor startete, sah er zu mir herüber. Wieder spürte ich diese Anziehungskraft, welche mich überreden wollte, die Straße zu überqueren und auf seinen Beifahrersitz zu klettern. Es kostete mich all meine Kraft stillzustehen.

 

Er zwinkerte mir grinsend zu, strich sich elegant durch die Haare und setzte eine Sonnenbrille auf. Dann fuhr er einfach davon. Der Kolibri in meiner Brust verlangsamte seinen Flug und ließ den Kopf hängen. Ich seufzte tief und sah dem blauen Truck nach. So lange, bis er mit dem Horizont verschmolzen war. Er war weg.

 

"Schon am ersten Tag gegen die dritte goldene Regel verstoßen! Schäm dich, Rosie!",

 

ertönte Sallys amüsiertes Lachen und ließ mich aus meiner Trance schrecken.

 

"Was?",

 

ächzte ich heiser und sah ihn erschrocken an, während Sally mich innig umarmte.

 

"Ich bin schon irgendwie stolz. Dass ich es mal erleben darf, dass du flirtest! Hach! Mein Küken wird erwachsen!",

 

seufzte er freudig und drückte mich fester an sich. Ich wehrte mich gegen die Umarmung und drückte mich gegen ihn.

 

"Was redest du da! Ich habe nicht geflirtet!",

 

keuchte ich, als er mich freigab und strich mir unbeholfen meine Kleidung glatt.

 

"Lügen ist zwecklos Rosie! Ich hab euch beide ganz genau gesehen!",

 

summte Sally fröhlich und hob meine Reisetasche auf.

 

"Dann solltest du zum Augenarzt. Ich habe nicht geflirtet. Jared hat mir lediglich mein Polaroid gebracht, dass ich gestern verloren habe!",

 

versuchte ich mich zu rechtfertigen und stopfte meine unruhigen Hände in die Hosentaschen.

 

"Ah Prince Charming hat auch einen Namen! Interessant!",

 

kicherte er und wippte mit den Augenbrauen, was mich genervt mit den Augen rollen ließ. Er hatte direkt in der Nähe geparkt. Natürlich bemerkte ich, dass man von seinem Auto aus, den perfekten Blick auf den Baum hatte, wo Jared und ich vor einigen Augenblicken noch gestanden hatten. Verdammter Spanner.

 

"Aber jetzt erzähl mal die ganze Geschichte!",
 

verlangte Sally neugierig und hievte meinen Koffer in den Kofferraum.

 

"Die ganze Geschichte?",

 

blinzelte ich verwirrt.

 

"Naja, wie hast du Prince Charming kennengelernt und was wollte er hier? Ich bin ja schon ein bisschen gekränkt, dass du mir nichts erzählt hast und ich es nur durch Zufall erfahren habe!",

 

schmollte er leicht und schloss sein Auto ab. Und wieder rollte ich genervt mit den Augen.

 

"Ich habe nichts erzählt, weil es nichts zu erzählen gab! Er war gestern im Wartezimmer von Aiden und eben stand er plötzlich vor mir und hat mir mein Polaroid, dass ich gestern irgendwo verloren habe, zurückgebracht! Das war's! Geschichte zu Ende!",

 

brummte ich und verschränkte die Hände. Ich konnte deutlich spüren, wie Sally mich ansah und jede kleine Gesichtsregung an mir zu analysieren versuchte. Doch ich starrte stur geradeaus.

 

"Du willst mir also erzählen, dass ein wildfremder und heißer Typ, den du gerade mal vor 24 Stunden kennengelernt hast, dir ohne ersichtlichen Grund, dein Polaroid zurückgebracht hat?",

 

fragte er skeptisch und ich konnte förmlich hören, wie eine seiner Augenbrauen sich voller Zweifel anhob.

"Ganz genau das ist passiert!",

 

nickte ich und ging die Treppe zum Malsaal hinauf.

 

"Das ist schon ein bisschen Cinderella-Like!",

 

lachte er leise und setzte sich an unseren Tisch.

 

"Wohl eher Halloween-Michael-Meyers-Mäßig!",

 

brummte ich und packte meine Ölfarben aus, welche ich polternd auf dem Tisch anordnete.

 

"Bibbidi Bobbidi Boo!",

 

flötete Sally amüsiert und ich warf ihm einen genervten Blick zu.

 

"Du wirst keine Ruhe geben, bis ich dir nicht Alles haargenau erzählt habe, oder?",

 

seufzte ich und zog mir meinen, mit Farben beschmierten, Kittel an.

 

"Ganz genau!",

 

nickte er schief grinsend und ich seufzte tief. Sehr tief.

 

"Auch, wenn das alles total langweilig ist?",

 

fragte ich. Mein letzter verzweifelter Versuch das Thema endlich zu beenden.

 

"Oh, ich liebe langweilige Geschichten!",

 

grinste er frech und sah mich neugierig an. Kraftlos ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und biss mir auf die Unterlippe. Ich musterte kurz meine Leinwand, welche einen halbfertigen Kolibri zeigte. Doch nun kam mir der Kolibri zu eintönig, zu wenig schillernd und nicht annährend leuchtend genug vor. Ich musste sofort an das strahlende und einladende Blau von Jareds Augen denken und begann meine Farben neu zu mischen. Ich würde dem Kolibri die Magie zurückgeben, welche ich als Kind in ihm gesehen hatte.

 

"Na gut!",

 

sagte ich nach einer kurzen Pause und sah Sally über meine Farbpalette hinweg an, welcher mich die ganze Zeit schon mit unerbittlicher Neugier musterte. Sally klatschte freudig in die Hände. Und während wir beide an unseren Leinwänden weiterarbeiteten, erzählte ich ihm leise von meinen Begegnungen mit Jared. Ich versuchte es Sally so detailgetreu wie möglich zu erzählen. Doch behielt ich es für mich, was Jareds Gesten und Worte in mir ausgelöst hatten. Das war mein Geheimnis, welches ich noch nicht bereit war preiszugeben oder mir selbst einzugestehen.

 

"Und ob du da hingehen wirst!",

 

verlangte Sally eindringlich und ich ließ fast meinen Pinsel in die Farbe fallen.

 

"Was?!",

 

keuchte ich und sah ihn mit panisch aufgerissenen Augen an.

 

"Du wirst dich mit ihm treffen!",

 

wiederholte Sally. Dieses Mal mit einem noch eindringlicheren Ton.

 

"Äh... Nein!",

 

brummte ich und versuchte mich wieder auf mein Bild zu konzentrieren.

 

"Warum denn nicht?",

 

seufzte Sally und ich konnte sein Augenrollen förmlich hören.

 

"Ich gehe doch nicht mit einem Wildfremden und seinen wildfremden Freunden in einen dunklen Wald. Ich kenne zwar nicht viele Horrorfilme, aber genauso fangen Horrorfilme an!",

 

murmelte ich zerknirscht und tupfte vorsichtig Farbe auf meine Leinwand.

 

"Wir haben doch schon festgestellt, dass du Cinderella und nicht Rotkäppchen bist, die vom bösen Wolf gefressen wird!",
 

kicherte er amüsiert und musterte mich dann kurz nachdenklich.

 

"Und wenn ich mitkomme?",

 

schlug Sally vor und jetzt ließ ich wirklich meinen Pinsel fallen, welcher laut scheppernd auf dem Boden aufkam und unter den Tisch rollte.

 

"Ich denk' du musst dich am Wochenende um die Reittouren kümmern?!",

 

blinzelte ich verwirrt und Sally winkte ab.

 

"Lass das mal meine Sorge sein!",

 

grinste er geheimnisvoll, während ich vor Skepsis die Stirn runzelte.

 

"Meine Antwort ist trotzdem 'Nein'!",

 

knurrte ich schon regelrecht und rutsche vom Stuhl, um unter den Tisch zu klettern und den Pinsel zu suchen.

 

"Wo ist denn das Problem? Er scheint sichtlich auf dich zu stehen! Und dir scheint er auch zu gefallen!",

 

seufzte Sally. Seine Worte lösten einen erschrocken Ruck in meinem Körper aus, wodurch ich mir den Kopf an der Tischkante stieß. Ein wütender Fluch verließ meine Lippen, während ich mich zurück auf den Stuhl zog. Ich rieb mir die pochende Stelle und funkelte Sally an.

 

"Er gefällt mir überhaupt nicht!",

 

zischte ich und wandte mich wieder der Leinwand zu. Aber ich war innerlich so unruhig, dass ich genau wusste, dass es unklug wäre, mit meinen zitternden Händen und aufgebrachten Gedanken an diesem Bild weiter zu arbeiten.

 

"Leugnen ist zwecklos, Rosie! Ich kenn dich! Und außerdem bist du eine miserable Lügnerin!",

grinste er frech.

 

"Ich lüge nicht!",

 

murmelte ich kleinlaut und begann meine Sachen einzupacken. Die Malereistunde neigte sich dem Ende.

 

"Doch tust du! Und jetzt schreib ihm, dass du seine Einladung annimmst!",

 

grinste Sally, und half mir mit den Farben.

 

"Das werde ich ganz sicher nicht! Und damit ist das Thema beendet!",

 

seufzte ich und strich mir unwirsch durch die Haare. Es ärgerte mich, dass Sally mich so leicht durchschauen konnte. Natürlich wollte ich Jared wiedersehen. Natürlich wollte ich die Geschichte hören, wie er mich gefunden hatte. Natürlich hatte Sally Recht: Es war Cinderella-Like. Ein Märchen. Aber ich musste schon am eigenen Leib erfahren, dass die Realität nicht märchenhaft war. Also wollte ich lieber keine Hoffnung verschwenden, auch wenn ich genau wusste, dass ein anderes und leider sehr starkes Gefühl, mich am Handeln hinderte. Mich daran hinderte, die Tintenziffern auf meiner Hand, in mein Handy einzugeben und Jared zuzusagen. Ich hatte Angst. Schlicht und ergreifend. Angst.

 

Seit dem Unfall machte diese Angst mich aus, bestimmte meine Gefühle und meinen Alltag. Und ich wünschte, ich hätte schon vor dem Unfall mehr Angst empfunden. Wäre vorsichtiger und bedachter gewesen. Dann wäre mein Vater vielleicht noch bei mir. Ganz sicher wäre er das noch. Aber damals war ich blind. Ich sah keine Angst, ich sah nur unendliche Möglichkeiten und Herausforderungen, und verschwendete keine Gedanken an Konsequenzen. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Der Tod meines Vaters ließ mich begreifen, dass das Leben nur aus Konsequenzen bestand. Und je nachdem wie kopflos man handelte, umso stärker oder schwächer waren diese Auswirkungen. Ganz so, als würde man Steine in einen Teich werfen und den dadurch entstanden, kreisförmigen Wellen zusehen, wie sie sich ausbreiteten. Bei kleinen Steinen waren die Wellen winzig, schwach und langsam. Vorhersehbar! Doch je größer diese Steine wurden, umso größer wurden die Wellen, umso weitläufiger und umso schneller die schwerwiegenden Folgen.

 

Meine Erfahrungen mit Männern hielten sich ziemlich in Grenzen. Existierten eigentlich gar nicht. Und doch wusste ich, dass Jared ein großer Stein war. Er würde große, unaufhaltsame und unberechenbare Wellen in mein Leben schlagen. Ich war mir nicht sicher, ob ich bereit dafür war.

 

"Das hättest du nicht tun sollen!",

 

hörte ich Sally sagen und ich sah, aus meinen wirren Gedanken erwachend, zu ihm auf.

 

"Was?",

 

räusperte ich mich und zog meinen Kittel aus, um ihn in die Tasche mit den Farben zu stopfen.

 

"Jetzt hast du Ölfarbe in den Haaren!",

 

lachte Sally und räumte die Leinwände an den Rand des Malsaals, wo sie in Ruhe trocknen konnten. Ich sah auf meine Hand, mit der ich mir gerade durch die Haare gefahren war und fluchte erschöpft. Sie war voller blauer und türkiser Farbe. Wann war das denn passiert?

 

"Geh und wasch dir das raus! Ich nehme deine Sachen mit und warte auf dich in der Mensa!",

 

schmunzelte Sally und zückte sein Handy.

 

"Sag Cheese!",

 

lachte er und schoss ein Foto von mir, während ich ihm die Zunge rausstreckte.

 

"Okay! Dann bis gleich!",
 

seufzte ich und schlängelte mich durch die anderen Studenten, welche ihre Materialien wegräumten. Gatsby folgte mir fröhlich hechelnd. Da die Toiletten in diesem Gebäude die reinste Katastrophe waren, beschloss ich den Waschraum im Aktgebäude zu nutzen. Ich stemmte die hölzerne Eingangstür mit der Schulter auf, um diese nicht zu beschmutzen und ließ Gatsby vorgehen. Doch als ich mich durch den Türspalt schob, blieb ein Träger meiner Latzhose am Türgriff hängen. Ehe ich mich versah verlor ich das Gleichgewicht. Erschrocken keuchend, machte ich mich auf den Aufprall, auf den harten Beton gefasst. Das würde bestimmt einen blauen Fleck geben. Ich schloss reflexartig die Augen und überließ mich der Schwerkraft.

 

Doch statt mit dem Hintern polternd auf dem Boden zu landen, wurde ich von vorne gepackt und an einen warmen Körper gedrückt. Automatisch hielt ich mich an diesem rettenden Anker fest; krallte mich förmlich in ihn hinein.

 

"Wow! Nach dem, wie es gestern gelaufen ist, hätte ich nicht mit so einer stürmischen Begrüßung gerechnet!",

 

lachte eine, mir leider sehr wohl bekannte, Stimme an meinem Ohr. Noah! Ich löste mich so rasch von ihm, als hätte ich mich an einer heißen Herdplatte verbrannt. Meine, noch vom Schock, zitternden Knie ließen mich dabei kurz taumeln, ehe ich mich am Geländer festhalten konnte.

 

"Oh! Hast du dir doch wehgetan? Bist du umgeknickt?",

 

fragte er besorgt und kam einen Schritt näher. Ich wich automatisch zurück und Gatsby knurrte leise, was Noah in der Bewegung erstarren ließ. Er musterte meinen Hund. Allem Anschein nach, wog er es ab, ob das Knurren meines großen Dalmatiners ernst zu nehmen war, oder nicht.

 

"Alles in Ordnung!",

 

murmelte ich und klopfte mit der Hand gegen mein Bein. Sofort hörte Gatsby auf zu knurren und setzte sich neben mich, während er meine Hand ableckte. Noah, der sofort eine entspanntere Körperhaltung annahm, räusperte sich unbeholfen. Ich konnte seinen Blick auf mir spüren, während ich zu Gatsby heruntersah, und ihm beruhigend das Ohr kraulte. Dadurch entspannten sich auch meine zitternden Knie wieder, und ich löste den Griff vom Geländer, welches jetzt blau beschmiert war. Sofort huschte mein Blick auf Noahs Oberkörper. Und meine Vermutung wurde bestätigt. Sein Shirt war lauter blauer Ölflecken. Ich wusste, dass es höflich gewesen wäre, mich für die Verschmutzung seines Shirts zu entschuldigen. Und das es richtig gewesen wäre, ihm anzubieten die Rechnung der Reinigung zu übernehmen, da Ölflecken bekanntlich sehr schlecht herauszuwaschen waren. Ein Dankeschön, wäre ebenfalls angebracht gewesen, da er mich vor dem Sturz bewahrt hatte. Doch kein einziges, dieser höflichen und richtigen Wörter, verließ meine Lippen. Ich senkte nur wieder den Blick, und wollte mich an ihm vorbeidrängen. Doch er packte meinen Oberarm und ich sah ihn überrascht und vielleicht auch ein bisschen ängstlich an. Wieso konnte er mich nicht in Ruhe lassen?

 

"Ich bin nicht zufällig hier! Ich habe dich gesucht!",
 

brummte er frustriert und sah mir tief in die Augen. Anders als bei Jared, war mir dieser intensive Blickkontakt unangenehm, seine Hand an meinem Arm fühlte sich falsch an und sein nach scharfer Minze riechender, Atem brachte mich fast zum Würgen.

 

Gatsbys aufgebrachtes Bellen zwang Noah seinen Griff zu lösen und einen Schritt zurückzuweichen.

 

"Ach, verdammt!",

 

fluchte er leise, wohl eher zu sich selbst, und raufte sich die Haare. Er sah mich kurz an. Irgendwie verzweifelt und irgendwie wütend. Und diese kurze, in seinen Augen goldene aufschimmernde, ehrlich Verzweiflung, ließ mich wie angewurzelt stehen bleiben. Dann seufzte er und setzte seinen Rucksack ab. Erst jetzt sah ich, dass aus seinem Rucksack eine langstielige gelbe Rose hervorguckte. Ich runzelte die Stirn.

 

"Hör mal! Ich wollte mich eigentlich für gestern entschuldigen. Und irgendwie läuft wieder alles schief... Ich bin nur immer so nervös bei dir... und dann rede und tue ich lauter blöde Sachen...!",

 

plapperte er ungeschickt daher und begann die Rose vorsichtig aus dem Rucksack zu ziehen.

 

"Also ich habe hier auf dich gewartet, damit ich 'Sorry!' sagen kann. Ich bin gestern zu weit gegangen. Sally hat mir gehörig den Kopf gewaschen. Und ich hoffe du gibst mir noch eine Chance!",

 

lächelte er und hatte sein charmantes Lächeln, welches nur Top-Sportlern zu Eigen war, wiedergefunden. Vollkommen fassungslos starrte ich ihn an. Ich wusste nicht genau, was ich in diesem Moment empfand. Aber skeptische Verwirrung müsste es am besten beschreiben. Noah Fucking Williams hatte sich bei mir entschuldigt. Mit einer Rose. Einer Rose! Das grenzte schon fast an immenser Einfallslosigkeit.

 

"Nimmst du meine Entschuldigung an?",

 

fragte Noah und riss mich aus meinen wirren Gedanken. Ich sah ihn ungläubig an und mein Mund öffnete sich mehrmals, mit dem Versuch etwas zu sagen. Aber mir wollten keine passenden Wörter oder ausweichende Redewendungen einfallen. Also blieb ich stumm, da irgendwas in mir, ihm seine stotternde und betretene Art und Weise nicht mehr abkaufte.

 

"Ich habe mich extra beraten lassen, welche Blume perfekt für eine Entschuldigung ist!",

 

meinte er leise und sein Mund verzog sich zu einem gespielten verlegenen Lächeln. Ich sah auf die gelbe Rose, die er mir erwartungsvoll und voller Stolz entgegenhielt. Bereits im ersten Semester hatte ich Farbpsychologie belegt und so war mir die farbenfrohe Blumensprache nicht unbekannt. Ich durchforstete mein Hirn nach der notwendigen Information, während ich deutlich spürte, wie die anfänglich Überraschung über Noahs Auftritt, einem tiefen Ärger wich. Sally hatte bestimmt mehr als deutlich gemacht, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Wieso konnte er das einfach nicht akzeptieren?

 

"Gelbe Rosen stehen auch für Neid, Eifersucht und Untreue! Wenn du dich wirklich hättest beraten lassen, hätte man dir eigentlich zu Blausternen raten müssen! Und jetzt entschuldige mich, ich muss mir wieder nackte Leute ansehen!",

 

murmelte ich verärgert. Natürlich klang das verbittert und nachtragend. Aber genau das war ich. Verbittert durch meinen Schicksalsschlag und darüber nachtragend, dass ich damit weiterleben musste. Und einen Noah Fucking Williams konnte ich in diesem ganzen Durcheinander wirklich nicht gebrauchen.

 

Als ich mich an ihm vorbeischob, wollte Noah etwas sagen, doch Gatsby unterbrach ihn mit einem lauten und bedrohlichen Bellen. Gatsby hatte schon immer ein besonderes Gespür gehabt. Er schien es immer sofort zu wittern, wenn etwas nicht stimmte. Daher blieb er böse dreinschauend vor Noah stehen, bis ich am Fuß der Treppe angelangt war. Erst dann folgt er mir, und sah schwanzwedelnd zu mir auf. Ich hätte schwören können, dass er mich anlächelte.
 

"Braver Hund! Erinnere mich daran, dir ein richtig großes Leckerli zu kaufen!",

 

grinste ich Gatsby an und fühlte mich, je mehr Schritte zwischen mir und Noah lagen, weniger eingeengt. Gatsby schnaubte munter und folgte mir tapsend in den Waschraum im Aktgebäude.

 

Während ich mir energisch die blaue Ölfarbe von meiner Hand und meinem Oberarm schruppte, achtete ich peinlich genau darauf, dass die Tintenziffern auf meiner rechten Hand nicht mit dem Wasser in Berührung kamen. Auch wenn ich nicht vorhatte diese Handynummer zu nutzen, so war sie doch der Beweis dafür, dass ich nicht träumte. Und das Jared heute Morgen wirklich hier bei mir gewesen, und nicht meiner traumhaften Phantasie entsprungen ist. Denn so verrückt wie dieser Tag begonnen hatte, könnte durchaus die Möglichkeit bestehen, dass ich träumte. Spätestens nach dem komischen Rosen-Auftritt von Noah Fucking Williams. Aber vielleicht lag ich ja doch noch friedlich schlummernd in meinem Bett und träumte unglaubwürdiges Zeug. Vielleicht sollte ich mich lieber zwicken?! Nur um auf Nummer sicher zu gehen.

 

Doch ich zwickte mich nicht. Ein kleiner Teil in mir hatte Angst, dass es nicht wehtun, und sich dadurch meine Traum-Theorie bestätigen würde. Denn das würde bedeuten, dass Jared mich nicht gefunden hatte, das er nicht bei mir gewesen war und er mir kein verlockendes Angebot gemacht hatte. Seufzend sah ich in den Spiegel und konnte zusehen, wie meine Wangen rot wurden, nur weil ich an seine leuchtenden blauen Augen dachte. Mir war nicht mehr zu helfen.

 

Meine widerspenstigen Haare von der Ölfarbe zu befreien, nahm mehr Zeit in Anspruch, als ich anfänglich gedacht hätte, wodurch die Mensa, als ich diese endlich betrat, vollgestopft mit Studenten war. Etwas verloren lief ich herum und suchte nach Sally. Da wir immer nur freitags die Annehmlichkeiten der Mensa nutzten, hatten wir keinen Stammplatz, was meine Suche erschwerte. Am sehr beliebten "Mac & Cheese - Tag", zog die Mensa mehr Studenten als üblich an und ich hoffte inständig, dass Sally uns noch zwei Teller mit dem leckeren Gericht sichern konnte.

 

Zwischen dem ganzen Stimmengewirr, den Essens- und ekligen Kratzgeräuschen auf den stumpfen Plastiktabletts, hörte ich plötzlichen Sallys lautes und helles Lachen. Ich folgte dem Geräusch und fand Sally am hintersten Ende der Mensa. Er saß direkt am Fenster, vor sich zwei große und gehäufte Teller Mac & Cheese. Er schien zu telefonieren, während er grinsend eine blaue Haarsträhne um seinen Zeigefinger wickelte. Dieses Bild brachte mich zum Schmunzeln. Ich ließ mich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen.

 

"Du hättest ruhig eine Flagge oder so hissen können. Ich habe ewig gebraucht dich zu finden!",

 

neckte ich ihn und streckte ihm die Zunge raus. Er winkte nur ab und schien sich weiter auf das Gespräch zu konzentrieren. Ich zuckte mit den Schultern und zog mir einen der Teller dichter heran. Das wohlig duftende Aroma des Käses stieg mir in die Nase und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Ich spürte, wie sich Gatsby unter dem Tisch auf meine Füße legte und hörte ihn laut schnaufen. Grinsend schnappte ich nach der Gabel und wollte damit gerade vorfreudig in die heißen Nudeln stechen, als Sally mir das Handy vors Gesicht hielt.

 

"Mh?",

 

machte ich und sah ihn und das Handy abwechselnd überrascht an.

 

"Ben will dich sprechen!",

 

grinste er zwinkernd und erst jetzt erkannte ich, dass es mein eigenes Handy war, was er mir da gerade entgegenhielt. Am liebsten hätte ich ihn angeschnauzt, warum er einfach an meine Handy ging, aber das musste bis nach dem Gespräch mit Ben warten.
 

Klappernd legte ich die Gabel weg und griff ungeschickt nach dem Handy. Mein Blick aufs Handydisplay verriet mir, dass Sally bereits über sechs Minuten mit meinem Bruder telefoniert hatte. Ich räusperte mich, während ich mir darüber den Kopf zerbrach, worüber die beiden so lange gesprochen hatten. Hatte Sally ihm etwa von Jared erzählt? Oh Gott bitte nicht. Allein bei dem Gedanken, konnte ich spüren wie ich bleich wurde. Ich ließ Sally nicht aus den Augen. Doch dieser grinste nur bis über beide Ohren und begann zu essen.

 

"Ben? Hi?!",

 

fragte ich unsicher.

 

"Hey Kleines! Da bist du ja endlich! Sally hat mir schon alles von deinem Farbunfall erzählt! Ist jetzt wieder alles gut?",

 

hörte ich Ben belustigt fragen und mein panischer Herzschlag normalisierte sich wieder.

 

"Äh ja... so gut wie!",
 

antwortete ich.

 

"Seit ihr am Überraschungsort angekommen?",

 

wollte ich wissen und schob mir eine Nudel in den Mund.

 

"Ja! Wir sind in so einem Schickimiki Spa in Palm Springs!",
 

brummte Ben und ich musste ein Lachen unterdrücken. Ich konnte mir Ben in so einer Einrichtung nun wirklich nicht vorstellen.

 

"So richtig elegant mit edlen Schokoladenpralinen auf den Kopfkissen und Gurkenscheibchen im Wasser?",

 

kicherte ich und Ben lachte.

 

"Ja so ungefähr. Aber wenn du die Pralinen haben willst, pass besser auf, dass du nicht noch frecher wirst!",

 

drohte er mir amüsiert und ich versuchte leiser zu kichern.

 

"Sally hat mir erzählt was ihr morgen vorhabt!",

 

brummte Ben plötzlich. Seine Stimme klang nun ernster und autoritärer. Ich ließ vor Schreck fast das Handy fallen.

 

"W-Was?",

 

krächzte ich und stieß Sally gegens Schienbein, was diesen aber nur zum Lachen brachte.

 

"Ich weiß nicht, ob ich das so gut finde. Traust du dir das denn auch wirklich zu? Immerhin hast du damit ja nicht so viel Erfahrung!",

 

brummte Ben weiter und seufzte tief. Was zum Teufel? Sprach er da gerade wirklich über das, worüber ich dachte? Ernsthaft? Mussten wir das besprechen? Ich dachte eigentlich, dass es ein Thema war, worüber wir nie sprechen würden. Und schon gar nicht am Telefon. In der Mensa. Wo jeder zuhören konnte. Auch wenn ich zugeben musste, dass er gelassener reagierte, als ich gedacht hätte.

 

"A-also ich...",

 

begann ich stotternd. Also ich, was? Ich hatte keine Ahnung, was ich Ben sagen sollte.

 

"Nimm auf jeden Fall genug Wasser mit. Bei sowas verausgabt man sich schneller als man denkt!",

 

bestimmte Ben und ich warf meinem Handy einen sehr skeptischen Seitenblick zu. Gab mein großer Bruder mir gerade ernsthaft Tipps? Dachte er wirklich, ich würde bei einem ersten Date so weit gehen? Oder ging man neuerdings beim ersten Date immer soweit?

 

"Äh... was?",

 

fragte ich mit immer heißer werdenden Wangen. Noch nie hatte ich mit Ben ein so unangenehmes Gespräch geführt.

 

"I-ich glaub du hast da was missverstanden!",

 

stammelte ich und schloss vor Scham die Augen.
 

"Ihr geht also nicht im Nationalpark wandern?",

 

fragte Ben und ich hörte wie er sich über den Dreitagebart kratzte.

 

"Was?",

 

quietschte ich und warf einen vernichtenden Blick zu Sally, welcher sich grinsend auf die Unterlippe biss.

 

"Sally meinte dass ihr morgen wandern gehen wollt. Zu dieser Jahreszeit kann es aber schnell anfangen zu brennen, weil irgendein Idiot auf die glorreiche Idee gekommen ist, mitten im Wald zu rauchen. Und du weißt, dass du deine Beine nicht überlasten darfst und eigentlich möchte ich nicht, dass du-",

 

begann Ben streng auf mich einzureden. Ich schlug mir mit der Hand gegen die Stirn. Nach einigen Schrecksekunden, gefolgt von vielen Schamsekunden, weil ich Ben auf die absolut peinlichste Art missverstanden hatte, kam ich zu dem Schluss, ihn lieber zu unterbrechen.

 

"Keine Sorge. Sally hat nur Spaß gemacht. Er hat den ganzen Tag morgen Reittouren und dabei werde ich ihm etwas helfen!",

 

erklärte ich und konnte deutlich hören, wie Ben erleichtert aufatmete.

 

"Dann ist ja gut!",

 

freute Ben sich und ich nickte automatisch.

 

"Denk' trotzdem daran, genug zu trinken! Bei dem Wetter dehydriert man schnell!",

 

brummte er besorgt. Seine Fürsorge rührte mich und meine Lippen verzogen sich zu einem sanften Lächeln.

 

"Mache ich!",

 

versprach ich. Doch noch ehe ich weitersprechen konnte, hörte ich gedämpft Amys Stimme.

 

"Okay Rosie! Ich muss Schluss machen. Amy hat so eine komische Hot-Stone-Massage gebucht. Ich melde mich nachher nochmal! Bye Kleines!",

 

seufzte Ben und legte auf, ehe ich "Bye!" sagen konnte. Das Gespräch fühlte sich dadurch unvollständig an. Ich seufzte tief und legte das Handy neben meinen Teller, während Sally weiter vor sich hin gluckste. Ich musterte ihn mit vor Zorn verengten Augen.

 

"Wieso erzählst du Ben so einen Scheiß?",

 

knurrte ich ihn zähneknirschend an und versuchte ein finsteres Gesicht zu ziehen. Allem Anschein nach, klappte es nicht, denn Sally lachte nur noch mehr.

 

"Weil es schlicht und ergreifend die Wahrheit war!",
 

grinste er und schob sich eine vollgeladene Gabel mit Käse und Nudeln in den Mund.

 

"Wie oft noch! Ich werde nicht wandern gehen! Ich werde diesen Typen nicht noch mal sehen! Und mich interessiert dieser Typ auch nicht!",

 

blaffte ich ihn an und versuchte meine Stimme nicht zu laut werden zu lassen.

 

"Sagte sie und brachte es immer noch nicht übers Herz seine Nummer von der Hand zu waschen!",
 

grinste Sally schmatzend, aber siegessicher und deutete auf die Tintenziffern auf meiner Haut.
 

"Das ist echte Tusche! Die kriegt man nicht so schnell ab!",

 

murrte ich und hob bockig das Kinn. Ich widerstand dem Drang, wie eine Dreijährige eingeschnappt die Arme zu verschränken und mit dem Fuß wütend auf den Boden zu stampfen.

 

"Warum können wir das Thema nicht einfach abhaken?",

 

seufzte ich und griff wieder nach meiner Gabel.

 

"Weil du in der Beziehung nicht weißt, was das Richtige ist!",

 

gab Sally mit solch ernster Überzeugung von sich, dass ich kurz in der Bewegung innehielt. Wusste ich wirklich nicht, was das Richtige war? Gedankenverloren begann ich zu essen. Ich schmeckte kaum etwas, da ich mit den Gedanken bei Jared und seiner Handynummer war. Und der Frage, ob ich nicht vielleicht doch für morgen zusagen sollte. Ich konnte es kaum fassen, dass Sally mich ins Schwanken gebracht hatte.

 

"Ich weiß sehr wohl was das Richtige ist! Richtig ist es, dir morgen mit den Reittouren zu helfen und danach an der Abgabe für Professor Hanks zu arbeiten!",

 

brummte ich und stopfte mir mürrisch das Essen in den Mund.

 

"Rosie! Du darfst langweilig nicht mit richtig verwechseln!",

 

seufzte Sally und strich sich über die Stirn.
 

"Lass uns da morgen einfach hingehen. Wenn es dir nicht gefällt, und sich Prince Charming und seine Freunde als äußerst böse Gremlins herausstellen, hauen wir einfach wieder ab!",

 

erklärte er und nahm einen großen Schluck von seinem Wasser. Ich sah ihn an. Und grübelte. Bei ihm klang das so einfach. Dabei war es nicht einfach. Ganz und gar nicht!

 

"Wir können uns ja ein Safeword ausdenken. Dann fällt es noch weniger auf, dass du abhauen willst, und wir können uns unbemerkt absetzen!",

 

schlug Sally, von seiner eigenen Idee total begeistert, vor.
 

"Ein Safeword?",

 

fragte ich skeptisch und zog die Stirn in Falten. Sally nickte nur eifrig und murmelte leise vor sich hin. Allen Anschein nach suchte er nach dem perfekten Safeword. Ich rollte mit den Augen und versuchte mich auf mein Essen zu konzentrieren.

 

"Was hältst du von 'Gefrierbrand' oder 'Neongrau'?",

 

empfahl Sally und man sah ihm deutlich an, dass ihm die Sache von Augenblick zu Augenblick immer besser gefiel. Am liebsten hätte ich ihn darauf hingewiesen, dass beide Wörter nicht wirklich "Safe" waren, da man sie niemals anständig unauffällig in einen beiläufigen Satz verwenden könnte. Doch noch bevor ich den Mund öffnen konnte, wurde ich vom Vibrieren meines Handys abgelenkt.

 

Auf dem Display erschien die Mitteilung, dass ich eine Nachricht von "Prince Charming" erhalten hätte. Wäre es eine Mail gewesen, hätte ich sie in den Junk-Ordner geschoben und gelöscht. Aber es war eine Nachricht. Ich hatte keinen gespeicherten Kontakt mit dem Namen "Prince Charming". Und doch stand es da. Ich strich mir durch die Haare und sah zu Sally, der immer noch Wörter wie "Brennholzverleih" und "Selbsthilfegruppe" vorschlug. Doch ich hörte ihn nicht. Ich musterte das Handy und die Mitteilung, während ich den Tag gedanklich Revue passieren ließ.

 

"Was hast du getan?",

 

krächzte ich und Sally hielt mitten im Wort inne.

 

"Mh?",

 

machte er und besaß die Frechheit eine unschuldige Miene aufzusetzen.

 

"Warum schickt mir ein 'Prince Charming' eine Nachricht?",

 

fragte ich und meine Stimme drohte zu versagen.

 

"Bibbidi Bobbidi Boo!",

 

grinste Sally und bewegte seine Gabel so, als würde er einen Zauberstab in der Hand halten.

 

"Das ist nicht lustig!",

 

brummte ich.

 

"Natürlich nicht! Schließlich hat Magie immer ihren Preis!",

 

zwinkerte er und aß einfach weiter. Das konnte doch jetzt nicht sein Ernst sein?!

 

"Preis?",

 

keuchte ich und Sally nickte bekräftigend.
 

"Na, für meine Hilfe, dich aus deinem Schneckenhaus zu bekommen. Du hast mir neulich erst ein Ohr abgekaut, dass du dich deinen Ängsten stellen willst. Also! Da! Erledigt! Gern geschehen!",

 

zwinkerte er und ignorierte meinen überraschten und hilflosen Blick. Ich versuchte etwas zu sagen, aber kein Wort verließ meine Lippen.

 

"Keine Sorge. Ein "Happy End" würde mir als Wiedergutmachung reichen! Also streng dich an und schmeiß das Schneckenhaus weg!",

 

grinste er und legte mir mein Handy in die Hand.

 

"Und jetzt lies endlich die Nachricht. Ich platze vor Neugier!",

 

quietsche Sally schon fast, und ehe ich mich versah, drückte ich auf die Mitteilung, wodurch sich der Chatverlauf öffnete.

 

 

DU 12:14

Hi! Hier ist Rose! Wo und wann genau

soll es denn morgen losgehen? :)

 

PRINCE CHARMING 12:28

Hey! ;) Ich musste gerade an dich denken!

Hat die Neugier gesiegt, ja? Morgen um

10 Uhr beim Visitor Center geht es los.

Weißt du wo das ist? Ich kann dich sonst

auch abholen!

 

 

"Ich fass es nicht, dass du einen Smiley geschickt hast!",

 

seufzte ich, nachdem ich die Nachrichten durchgelesen hatte. Ich hielt nicht sonderlich viel von Smileys. Und das wusste Sally eigentlich nur zu gut. Sally wischte meinen Einwand mit einer Handbewegung weg und las über Kopf Jareds Antwort.

 

"Ich weiß wo das ist. Also antworte ihm!",

 

grinste er und lehnte sich zurück. Währenddessen ich auf das Display meines Handys starrte. Es gab wohl kein Zurück. Wenn ich ihm die Wahrheit schrieb, dass Sally, mein blöder bester Freund, die erste Nachricht ohne mein Wissen geschrieben hatte, um mich mehr oder weniger zu dem Treffen zu zwingen, würde er mich für verrückt halten. Und ich wollte nicht, dass Jared mich für verrückt hielt. Ich strich mir, mit vor Aufregung und Herzklopfen zitternden Händen, die Haare hinters Ohr, ehe ich auf das Antwortfeld tippte.

 

DU 12:39

Nicht nötig. Ein Freund von mir

weiß wo das ist. Er würde sich uns

gern anschließen. Ist das okay?

 

Nachdem ich die paar Worte getippt hatte, zögerte ich die Nachricht abzuschicken.

 

"Du weißt schon, dass ein netter Smiley die gesamte Nachricht fröhlicher machen würde?",

gab Sally zu Bedenken und ich rollte mit den Augen.

 

"Klingt die denn jetzt nicht fröhlich?",

 

wollte ich wissen und verzog das Gesicht. Sally streckte mir die Zunge raus und ich atmete tief durch, bevor ich auf "Senden" drückte. Und weg war die Nachricht. Beinahe sofort tauchten im unteren rechten Displayfeld drei Punkte in einer Sprechblase auf. Jared antwortete. Hatte er etwa auf meine Antwort gewartet?

 

 

PRINCE CHARMING 12:41

Natürlich ist das okay! ;)

Ich freue mich schon darauf,

dich wiederzusehen!

 

Ich las mir seine Antwort gleich mehrmals durch, während sich der Kolibri in meiner Brust aufgeregt reckte und sein farbenfrohes Federkleid schüttelte.

 

 

DU 12:43

Und ich freue mich schon darauf,

diese angeblich wahnsinnig

aufregende Geschichte zu hören!

 

PRINCE CHARMING 12:44

Streich das "angeblich"! :P

 

DU 12:45

... abwarten!

 

PRINCE CHARMING 12:46

XD Na ein Glück, dass wir nicht mehr

so lange warten müssen! ;)

 
 

Ich kicherte ungewollt laut und spürte wie der Kolibri in meiner Brust unkontrolliert zu stolpern begann, da er Anlauf brauchte um wieder zu fliegen. Mit einer viel zu hohen Flügelschlagfequenz, wodurch meine Fingerspitzen und Beine aufgeregt kribbelten. Ich würde ihn wiedersehen. Puh! In was war ich da nur wieder hineingeraten?

Sallys überhebliches und besserwisserisches Grinsen hinderte mich daran, mich weiter in meine, leider meist eher düstere, Gedankenwelt abzutauchen.

 

"Warum grinst du denn jetzt so blöd?",

 

seufzte ich und schob das Handy in meinen Rucksack. Mein Kolibri und ich vertrugen vorerst keine weiteren Nachrichten von Prince Charming.

 

"Weil ich mich gerade, wie deine gute Fee fühle!",
 

grinste Sally und strich sich durchs Haar.

 

"Und weißt du, was gute Feen noch machen? Außer das Date mit dem Prinzen klarzumachen?",

fragte Sally mit leuchtenden großen Augen. Das ließ nichts Gutes erahnen.

 

"Ehm... zusammen mit süßen Tieren singen?",

 

schlug ich vor und Sally rollte mit den Augen.

 

"Das meine ich nicht. Ich war eher auf die Outfit-Änderung aus!",

 

zwinkerte Sally und ich schüttelte sofort den Kopf.

 

"Kommt nicht in Frage. Fürs Wandern brauche ich kein Extra-Outfit!",

 

brummte ich und Sally nickte sehr heftig mit dem Kopf.

 

"Natürlich brauchst du das! Oder ist es dir völlig egal, wie du dich deinem Jared präsentierst?",

 

fragte er ungläubig und ich schnappte empört nach Luft, um ihm zu sagen wie egal es mir war, was ich morgen anziehen würde. Und dass es schon gar nicht "mein" Jared war. Doch noch ehe sich Wörter in meinem Mund bilden konnten, erkannte ich, dass er Recht hatte. Mir war es nicht egal. Ein komisches unangenehmes Ziehen machte sich in meinem Bauch breit und mein Kolibri begann unruhig hin und her zu hüpfen.

 

"Zum Wandern brezelt man sich aber nicht auf... ",

 

murmelte ich ausweichend und schob die restlichen Nudeln mit der Gabel auf meinem Teller hin und her.

"Von Aufbrezeln hat keiner was gesagt! Ich meinte lediglich, dass wir dich vorteilhat verpacken!",

grinste Sally siegessicher. Er schien zu wittern, dass ich einknicken würde.

 

"Vorteilhaft verpacken?",

 

fragte ich misstrauisch und Sally wippte grinsend mit den Augenbrauen.

 

"Lass mich nur machen!",

 

freute er sich, nahm unsere Tabletts und räumte sie weg. Ich sah ihm unruhig hinterher. Das Ziehen in meiner Magengrube verstärkte sich. Ich wusste nicht genau wann es passiert war, aber irgendwie hatte ich die Kontrolle über die Situation mit Jared verloren. Dieses Gefühl des Kontrollverlustes war beängstigend und gleichzeitig auch aufregend und berauschend. So langsam erkannte ich mich selbst nicht mehr! Aber gerade das hatte ich doch die ganze Zeit gewollt, oder? Eine Pause von der alten Rose. Ein Pause davon, ich zu sein.

 

Einfach loslassen und fallen lassen!

 

Und wie ein Kolibri schweben!

KAPITEL DREI

KAPITEL DREI

Los Angeles, 2017
 

"Man könnte meinen, du machst das mit Absicht!",
 

seufzte Sally frustriert und ich sah ihn verärgert an.
 

Ich hatte in der Nacht kein Auge zugetan. Und das war garantiert nicht mit Absicht gewesen. Doch da ich nur noch an Jared und an diesen blöden Wanderausflug denken musste, kam mein Hirn nicht eine Sekunde zur Ruhe. Im Gegenteil. Es spielte mir jede erdenkliche Peinlichkeit vor, in die ich geraten könnte oder welche ich sogar selbst auslösen würde. Natürlich hatte ich dann akribisch versucht mir Alternativen zu überlegen, um jedem Fettnäpfchen aus dem Weg zu gehen. Und ehe ich mich versah, hatte Henry, der alte torklige Hahn von Sallys Eltern, fröhlich krähend den Morgen angekündigt.
 

Dementsprechend nahmen meine Augenringe gigantische Ausmaße an, welche von Sally mürrisch brummend mit reichlich Concealer übermalt wurden. Ich rutschte auf dem Stuhl unruhig herum und strich nervös über meine nagelneuen und leider auch hautengen Leggings. Sally und ich hatten gestern Nachmittag im Sportgeschäft eine hitzige Diskussion darüber geführt, was angemessene Sportkleidung war. Ich hatte nicht eingesehen, die von ihm so angepriesenen, kurzen Sportshorts zu tragen. Seit dem Unfall hatte ich keine kurze Hosen oder Röcke mehr getragen, weil ich keine Lust darauf hatte, die Fragen über meine Narben zu beantworten. Und ganz sicher wollte ich nicht näher auf diese Fragen, bei meinem ersten Date mit Jared, eingehen. Als mir dann klar wurde, dass es Sally endlich geschafft hatte, dass ich die Wanderung nun als Date betrachtete, hatte sich meine Laune sekündlich verschlechtert.
 

Nach langem Hin und Her und einem verzweifelten Verkäufer, hatten Sally und ich uns auf Leggings geeinigt. Es war ungewohnt etwas so eng anliegendes zu tragen. Irgendwie hatte ich Angst dass dieses Ding mir ungünstig zwischen den Pobacken kleben würde. Aber Sally versicherte mir, dass das schon nicht passieren würde. Er versprach mir, einen Blick auf meinem Hintern zu haben. Bei seinem Versprechen waren wir beide in schallendes Gelächter ausgebrochen.

"Was soll ich mit Absicht machen?",
 

fragte ich leise und zupfte unruhig an meinem luftigen Tanktop herum. Das Tanktop war mir fast zwei Nummern zu groß. Aber der Verkäufer versicherte mir, dass man das zurzeit so trägt, damit der neonfarbene Sport-BH darunter auch ja zur Geltung kam. Sally hatte ihm natürlich nickend zugestimmt und mich in die nächste Garderobe geschoben.

"Na dein Date heute zu sabotieren!",
 

seufzte Sally und begann mit Puder mein Gesicht zu bearbeiten.
 

"Das ist kein Date!",
 

widersprach ich schon automatisch, wodurch ich Puder einatmete und heftig niesen musste.
 

"Hoffnungsloser Fall...!",
 

murmelte Sally und stellte sich hinter mich, um meine Haare zu flechten.
 

"Was war nochmal das Safeword?",
 

fragte ich und sah Sallys Spiegelbild dabei zu, wie er meine Haare bändigte.
 

"Gewitterwolke! Aber ich denke nicht, dass du es brauchen wirst!",
 

zwinkerte er, doch ich zweifelte an seinen Worten.
 

"Oh Gott! Das wird in einer Katastrophe enden! Wieso habe ich mich nur von dir überreden lassen?",
 

seufzte ich und wäre am liebsten zurück ins Bett gesprungen, um mir die Bettdecke über den Kopf zu ziehen.
 

"Weil es an der Zeit ist!",
 

strahlte Sally und zupfte an meinem Zopf herum, ehe er etwas Haarspray darauf versprühte.
 

"Zeit wofür?",
 

fragte ich stirnrunzelnd.
 

"Na für 'Bibbidi Bobbidi Boo'!",
 

raunte er mit einem rauchigen, eindeutig zweideutigen Unterton und begann mit den Augenbrauen zu wippen. Meine Ohren wurden sofort heiß und ich versuchte nicht an einen spärlich bekleideten Jared zu denken. Was mir natürlich kläglich misslang. Manchmal war es nicht gut, als Künstler eine zu stark ausgeprägte Phantasie zu haben.

Ich räusperte mich und versuchte teilnahmslos mit den Schultern zu zucken.
 

"Es wird kein 'Bibbidi Bobbidi Boo' geben!",
 

stellte ich klar und Sally lachte.
 

"Ich glaube für heute... werde ich mit einem 'Bibbidi' zufrieden sein!",
 

kicherte er und ich rollte genervt mit den Augen.
 

"Heute wird es kein 'Bibbidi' oder 'Bobbidi' geben!",
 

stellte ich klar und verschränkte die Arme.
 

"Lass deine gute Fee nur machen!",
 

zwinkerte er belustigt. Doch noch ehe ich ihn in die Schranken weisen konnte, kam seine Mutter ins Zimmer geplatzt.
 

"Ihr seid ja doch hier! Habt ihr mich nicht gehört?",
 

fragte Mrs. Carter etwas außer Atem und strahlte uns an. Wie man direkt früh am Morgen so gut gelaunt sein konnte, war mir ein Rätsel.
 

"Kommt ihr beiden! Das Frühstück ist fertig! Nicht dass es kalt wird!",
 

summte sie, ließ die Tür offen und ging summend die Treppe hinunter. Jetzt wo die Tür geöffnet war, drang der leckere Geruch von gebratenem Speck in meine Nase, und wenn man die Ohren spitzte, konnte man diesen sogar noch leicht in der Pfanne brutzeln hören. Das schien auch Gatsby so zu sehen, denn seine Nase zuckte ohne Unterlass und er schleckte sich mehrmals übers Maul.
 

Ich stand auf und betrachtete mich kurz im Spiegel. Irgendwie war mir so, als würde mich eine fremde Person durch mein Spiegelbild ansehen. Ich zog mir eine dünne Kapuzenjacke über, um mich mehr wie mich selbst zu fühlen und folgte Sally nach unten. Die Küche war erfüllt von fröhlichem Geplapper, Radiomusik und köstlichem Essensduft. Ich schenkte Sallys älterem Bruder Eric zur Begrüßung ein Lächeln. Er zwinkerte mir über die Zeitung hinweg zu und ich musterte kurz seinen bandagierten Knöchel, welcher auf dem Stuhl neben ihm, begraben unter mehreren Kühlakkus, lag.
 

"Autsch! Wie ist das passiert?",
 

fragte ich mit schmerzverzogenem Gesicht und setzte mich neben Sally. Gatsby winselte leise und beäugte Teddy, die rothaarige Katze der Caters, argwöhnisch. Ich kraulte ihm beruhigend das Ohr. Teddy schien sich dagegen überhaupt nicht für Gatsby zu interessieren.
 

"Der Junge hat nicht aufgepasst!",
 

brummte Mr. Cater und kaute mürrisch auf seinem Rührei herum. Ich war nie einem waschechtem Cowboy begegnet. Aber wenn ich mir einen Cowboy vorstellen müsste, dann würde ich sofort an Mr. Cater denken. Ein Cowboy der alten Schule. Eric wischte die Worte seines Vaters mit einer Handbewegung weg, legte seine Zeitung beiseite und setzte sich etwas auf.
 

"Ich habe die neuen Pferde eingeritten und hab den Junghengst falsch eingeschätzt, wurde abgeworfen und bin doof gelandet. In zwei Wochen ist alles wieder gut!",
 

erklärte er kurz und knapp und leerte seinen Kaffee, welcher sofort von Mrs. Cater wieder aufgefüllt wurde.
 

"Mein armer Schatz!",
 

seufzte sie und strich Eric, auf mütterliche, liebevolle Art, durchs Haar. Mr. Carter kommentierte das mit einem Brummen.
 

"Und für welchen Kurs müsst ihr jetzt durch den Wald laufen?",
 

fragte Mr. Cater mit rauchiger Stimme und sah Sally an.
 

"Für den Aktkurs. Wir müssen wieder eine neue Hausarbeit machen. Und wir suchen nach Inspiration! Nicht wahr?",
 

fragte Sally und log seinem Vater einfach ins Gesicht. Und was tat ich? Ich nickte. Denn so hatten wir es besprochen. Und ich fühlte mich nicht so schlecht dabei, wie ich mich eigentlich hätte fühlen sollen. Aber wenn ich wollte, dass Sally mich begleitete, dann mussten wir eine plausible Erklärung abgeben, warum wir heute nicht auf der Ranch bleiben konnten. Eine bessere Ausrede, als es auf die Uni zu schieben, war uns gestern Abend nicht eingefallen.
 

"Ach dieser Professor Hanks hält euch aber ganz schön auf Trab!",
 

seufzte Mrs. Cater und schaufelte reichlich Rührei, Speck und Würstchen auf unsere Teller. Mein schlechtes Gewissen, welches ich energisch versuchte zu unterdrücken, wuchs bedenklich an.
 

"Macht aber nicht zu lange. Morgen früh bräuchte ich eure Hilfe!",
 

brummte Mr. Cater. Sally und ich nickten synchron.
 

Ich schnappte mir meine Gabel und begann zu essen. Ich dachte mir, solange ich Essen im Mund hatte, konnte ich nicht reden und somit keine weiteren Ausflüchte erfinden. Ich schob Gatsby unauffällig ein Würstchen zu, damit er endlich von der Katze abgelenkt war und lauschte dem Gespräch von Sally und Eric.
 

"Möchtest du noch einen Tee, Liebes?",
 

fragte Mrs. Cater und ich nickte. Sie lächelte mich auf eine herzerwärmende Weise an, während sie mir einen frischen Tee zubereitete. Manchmal beneidete ich Sally. Er hatte eine richtige Familie. Mit zwei liebevollen Eltern, auch wenn ein Elternteil etwas brummig und wortkarg war. Einem älteren, großen Bruder, der ihn noch heute, ohne lange zu überlegen, mit allem was ihm möglich war, beschützen würde. Sie lebten alle auf dieser Ranch, wo die Zeit anders tickte und die Probleme der echten Welt fern und unbedeutend wirkten. Sally meinte, dass es an den Pferden liegen würde, da sie die seelische Last für einen tragen würden. Und ich glaubte, dass er Recht damit hatte.
 

Dennoch erinnerte mich Sallys Familie immer daran, was ich nie in diesem Ausmaß gehabt hatte. Natürlich hatte ich Ben. Ben mein großer Bruder. Ben meine Vaterfigur. Ben mein Zuhause. Er war die einzige Familie die ich hatte, da Caroline sehr deutlich geworden war, dass sie in ihrem Vorstadtleben keinen Platz für ihre viel jüngere Schwester hatte.
 

"Hier der Tee, Liebes!",
 

flötete Mrs. Cater fröhlich und holte mich aus meinen Gedanken. Ich war ihr dankbar dafür. Heute war kein guter Tag, um in Selbstmitleid zu versinken. Ich legte meine kalten Hände um die warme Tasse und nahm einen kleinen Schluck. Es schmeckte herrlich fruchtig.
 

Ich klinkte mich in das Gespräch von Eric und Sally ein und verscheuchte so die Reste meiner deprimierenden Gedanken. Währenddessen bereitete Mrs. Cater für uns zwei riesige Lunchpakete zu. Sie war wirklich eine Bilderbuch-Mom. Ich half ihr dabei den Tisch abzuräumen und beim Abwasch. Dabei redete ich mir ein, dass ich das tat, um mein schlechtes Gewissen, zu besänftigen. Doch eigentlich wollte ich nur Zeit schinden, in der Hoffnung, dass Sally und ich zu spät am Treffpunkt ankommen würden und Jared mit seinen Freunden schon längst in den Wald losmarschiert wäre. Ich war so ein Feigling.

Sally stopfte die Lunchpakete und zwei große Wasserflaschen in seinen Rucksack, und half mir dann dabei, das saubere Geschirr abzutrocknen. Er schaute dabei fast alle zwei Minuten auf die große Uhr am Herd und wurde beim Abtrocknen immer schneller. Anscheinend war Zuspätkommen keine Option mehr. Verdammt!
 

"Okay meine zwei Lieben! Dann passt auf Euch auf! Und trinkt ausreichend!",
 

seufzte Mrs. Cater und drückte Sally einen Kuss auf die Stirn. Sally murmelte etwas unverständliches, schulterte seinen Rucksack und zog mich mit nach draußen.
 

"Kann ich dich mit irgendwas bestechen, damit wir da jetzt nicht hinfahren?",
 

seufzte ich. Mein letzter elendiger Versuch, dem heutigem Geschehen aus dem Weg zu gehen.
 

"Nope!",
 

grinste Sally und warf den Rucksack auf den Rücksitz seines Autos. Ich seufzte enttäuscht und ließ mich kraftlos auf den Beifahrersitz fallen.
 

"Ich mache ein Semester lang alle grafischen Abgaben für dich!",
 

versuchte ich es weiter und Sally lachte laut auf.
 

"Keine Chance!",
 

grinste er und startete den Motor.
 

"Rosie! Ich verlange ja nicht von dir nach Modor zu wandern und den Schicksalsberg zu erklimmen. Sieh es einfach als eine Art Spaziergang mit mir und ein paar anderen. Und ehe du dich versiehst, wirst du dabei Spaß haben!",
 

zwinkerte er und ich schnaubte, während wir die Ranch hinter uns ließen. Ich zog mein Handy aus der Kapuzenjacke. Keine Nachricht von Jared. Aber warum sollte er mir auch schreiben? Immerhin würden wir uns ja gleich sehen. Und warum zerbrach ich mir über so eine Kleinigkeit schon wieder den Kopf? Stattdessen schrieb ich Ben, um ihn zu informieren dass Sally und ich jetzt doch wandern gehen würden. Natürlich antwortete Ben sofort.
 

BEN OHNE JERRY 09:39

Morgen Kleines! :)

Oh man... Pass bloß auf! Und mach

regelmäßig Pausen! Überanstreng

dich nicht! :/
 

DU 09:40

Mach dir keine Sorgen! Sally ist ja da!

Wie ist es in Palm Springs? :P
 

BEN OHNE JERRY 09:42

Mh... geht so! Amy will unbedingt zu

dieser komischen Seilbahn. Die soll die

längste der Welt sein... oder so! XD

Was möchtest du als Mitbringsel haben?
 

Du 09:43

Haha!

Du musst mir nichts mitbringen! Aber

ich hätte auch nichts gegen eine

Überraschung! :)
 

"Schreibst du etwa mit Prince Charming so eifrig?",
 

fragte Sally grinsend und warf mir einen vielsagenden Seitenblick zu. Ich schüttelte den Kopf und steckte mein Handy zurück in die Jackentasche.
 

"Nein! Mit Ben. Prince Charming hat seit gestern Nachmittag nicht mehr geschrieben!",
 

murmelte ich und versuchte nicht so enttäuscht zu klingen, wie ich es eigentlich war. Ich spürte den durchdringenden Seitenblick von Sally, doch ich starrte stur weiter aus dem Fenster Und suchte nach Ablenkung. Ich versuchte mich auf den sonnigen Horizont zu konzentrieren. Die Vögel. Die Bäume. Der leichte süßliche Geruch nach gemähtem Gras. Ich versuchte krampfhaft an alles zu denken, nur nicht daran, dass ich in wenigen Minuten Jared treffen würde. Mein Herz raste so schnell, dass es meinen Kolibri bereits vor den letzten 50 Metern abgehängt hatte. Das konnte nicht gutgehen.

Überpünktlich fuhr Sally auf den Parkplatz. Meine Hände schwitzten und ich wischte sie mir am Autositz ab. Sally stellte den Motor ab und tätschelte seufzend mein Knie.
 

"Das wird schon! Sei einfach du selbst!",
 

flüsterte er lieb und kletterte aus dem Auto. Mit weichen Knien tat ich es ihm gleich und atmete die frische, waldgetränkte Luft tief ein. Gatsby bellte und ich beeilte mich ihm die Tür zu öffnen, damit er vom Rücksitz springen konnte. Da der Parkplatz geschmückt von Warnschildern war, in denen dazu aufgefordert wurde, seinen Hund anzuleinen, kramte ich eifrig in Sallys Kofferraum nach Gatsbys Leine. Gatsby stand schwanzwedelnd neben mir und seine Nase schnüffelte aufgeregt im Wind.
 

"Na? Riechst du ein freches Eichhörnchen?",
 

fragte ich ihn grinsend und er bellte mich leise an. Ich lachte und hakte die Leine an seinem Halsband ein. Gatsby lehnte sich gegen meine Hand und ich streichelte ihm über den Rücken. Wie mich eine so einfache Geste immer wieder beruhigte.

Sally lehnte sich gegen seinen Wagen und nahm einen Zug aus seiner E-Zigarette. Heute duftete der Qualm nach Pfirsicheistee.
 

"Ist ja noch nicht gerade viel los!",
 

stellte Sally seufzend fest und machte große, donutförmige Rauchringe in meine Richtung. Ich lachte und pustete sie weg. Aber er hatte Recht. Es war tatsächlich wenig los. Denn Sallys Auto war das Einzige auf dem gesamten Parkplatz.
 

"Vielleicht kommen viele ohne Auto her. Und wandern direkt von der Haustür los!",
 

grinste ich und erstarrte als ich einen Motor aufheulen hörte. Ich wirbelte herum und hielt automatisch die Luft an. Doch um die Ecke bog nicht der feurige blaue Jeep von Jared, sondern ein flaschengrünes Carpio mit nur einem Insassen. Ich erkannte den Fahrer sofort. Es war Kyle.
 

"Was hat das zu bedeuten?",
 

zischte ich Sally entgeistert an. Doch dieser steckte sich unbekümmert seine E-Zigarette in die Hosentasche und strich sich durch die Haare.
 

"Ich dachte... wenn du Spaß hast, dann darf ich auch Spaß haben!",
 

grinste er unbekümmert. Ich musste dringend an meiner bösen Stimme arbeiten. Irgendwie nahm die nie jemand ernst.
 

"Ich dachte du hilfst mir mit Jared. Damit er nichts Blödes macht. Und ich nichts Blödes sage!",
 

keuchte ich und versuchte meinen aufschwellenden Selbsthass zu unterdrücken, weil ich jammerte wie eine Fünfjährige.
 

"Rosie! Ich bin multitaskingfähig!",
 

zwinkerte er und ließ mich einfach stehen. Ich sah ihm nach, wie er mit tänzelndem und beschwingtem Schritt zu Kyle eilte, welcher zwei Parkplätze weiter geparkt hatte, und ihn zur Begrüßung umarmte. Bei ihm sah das so einfach aus. Gatsby winselte leise und ich seufzte.
 

"Tja alter Knabe... Wie es aussieht stehen wir doch alleine da!",
 

seufzte ich und musste der Versuchung widerstehen, nicht sofort "Gewitterwolke!" über den Parkplatz zu brüllen. Kyle winkte mir freundlich lächelnd zu und ich erwiderte die Geste, während ich innerlich mit den Zähnen knirschte. Gottverdammter Sally!
 

Die beiden redeten munter aufeinander ein, während Kyle seinen Rucksack und einen monströsen Hut vom Rücksitz seines Autos hievte. Ich wandte den Blick ab und hängte mir meine alte Polaroidkamera um den Hals, damit ich jederzeit bereit war, einen Augenblick einzufangen und festzuhalten. Sallys Lachen drang in meine Ohren und ich schaute auf. Er sah aus wie ein liebeskranker Trottel. Sah ich in Jareds Nähe etwa auch so aus?
 

Bei dem Gedanken stieg meine Aufregung weiter ins Unermessliche. Ich schielte ins Auto und sah dass Sally die Schlüssel stecken gelassen hatte. Ich könnte einfach auf den Fahrersitz rutschen und wegfahren. Als ob Sally meine panischen Gedanken gehört hätte, vereitelte er meinen letzten kläglichen Fluchtgedanken, indem er mit Kyle zu mir herüberschlenderte, seinen Rucksack vom Rücksitz hob und danach das Auto abschloss. Ich sah zu, wie er den Autoschlüssel in seine Hosentasche schob und konnte nur mit Mühe ein enttäuschtes Seufzen verhindern.
 

"Hey Rosie-Rose! Ein schöner Tag zum Wandern, nicht wahr?",
 

begrüßte mich Kyle und strahlte mich mit seinem perfekten Zahnpastalächeln an. Ich nickte, während ich zur Sonne hinaufblinzelte, welche bereits jetzt schon hoch am wolkenlosen, glasblauen Himmel stand. Nervös sah ich auf mein Handy. Es war genau 10:00 Uhr. Mein Herz zog sich vor Aufregung so sehr zusammen, dass meine Brust schmerzte, während ich versuchte, nicht die Einfahrt anzustarren, an der immer noch kein Auto aufgetaucht war. Hatte er es sich anders überlegt? Oder waren wir am falschen Treffpunkt? Unruhig wippte ich auf den Füßen hin und her, krempelte die Ärmel meiner Kapuzenjacke hoch, nur um sie dann wieder glatt zu streichen.
 

"Jetzt zappel doch nicht so!",
 

raunte mir Sally leise zu und strich mir aufmunternd über den Ellenbogen.
 

"Es ist schon irgendwie süß, wie aufgeregt du bist!",
 

kicherte Kyle und Sally lachte auf.
 

"Muss ich jetzt etwa eifersüchtig werden?",
 

fragte Sally amüsiert und noch ehe Kyle antworten konnte, bog ein blauer Truck mit aufgemalten gelb-orangenen Flammen auf den Parkplatz. Das war der Moment, an dem mein Herz für kurze Zeit stehen blieb, und doch hörte ich das aufgeregte und viel zu laute Rauschen des Blutes in meinen Ohren. Mir wurde übel und doch bekam ich eine Gänsehaut. Meine Füße kribbelten, jederzeit bereit wegzulaufen, und doch suchten meine Augen sehnsuchtsvoll nach Jareds Profil.
 

"Showtime!",
 

grinste Sally und schob mich etwas weiter nach vorne, nachdem der Truck zwischen Sallys und Kyles Auto geparkt hatte. Der flinke, aufgeregte Kolibri in meiner Brust überforderte mein armes, langsames Menschenherz dermaßen, dass mir innerhalb von Sekunden mehrmals schwindelig wurde. Ich leckte mir nervös über die Unterlippe und versuchte mich an meine auswendig und penibel ausgewählte Begrüßung zu erinnern. Doch mein Kopf war leer. Und schlimmer noch: mein Hirn spielte alles in Zeitlupe ab.
 

Jared sprang elegant aus dem Jeep und warf dabei sein, in der Sonne glänzendes, Haar über die Schultern. Er trug eine verspiegelte Pilotenbrille. Und obwohl ich dadurch seine Augen nicht sehen konnte, stellten sich meine Nackenhärchen auf, als sich unsere Blicke trafen. Sein Mund verzog sich zu einem verspielten, schiefen Lächeln, was seine Grübchen betonte. Ich seufzte sehnsüchtig gegen meine Willen. Sallys leises Kichern und die Anwesenheit von Jareds Freunden, welche fröhlich aus dem Jeep hüpften, nahm ich in diesem Moment nicht bewusst wahr. Meine ganze Aufmerksamkeit galt Jared. Alles um ihn herum schien zu verschwimmen. Mein Kolibri in der Brust schlug, fröhlich singend, Purzelbäume, und ich hätte schwören können, dass man dessen Gesang in der ganzen Stadt hören konnte.
 

Jared strich sich anmutig durch die Haare und kam dabei auf mich zu. Als er direkt vor mir stand, nahm er seine Brille ab und das Leuchten seiner Augen traf mich mit voller Wucht. Oh Gott hilf mir! Mit aller Kraft versuchte ich den kitschigen Liebesromanfilter aus meinem Hirn zu entfernen, doch Jareds Nähe war alles andere als vorteilhaft für meine Konzentration.
 

"Hey!",
 

lächelte er, und als sein Blick kurz aber intensiv an meinem Körper entlang glitt, konnte ich ein Schaudern nicht unterdrücken. Sally stieß mir leicht gegen die Schulter und meine stille Bewunderung, mit der man schöne Gemälde ehrte, brach in sich zusammen.
 

"... Hi!",
 

stammelte ich unbeholfen und schluckte. Jareds Grinsen wurden breiter. Amüsierte ihn etwa meine unbeholfene Art?

Als er den Blick abwandte und fragend in Sallys und Kyles Gesichter sah, räusperte ich mich und straffte die Schultern.
 

"Das ist Sally, wir studieren zusammen. Sally das ist Jared, der Polaroid-Finder!",
 

stellte ich die beiden vor. Ich holte gerade wieder Luft um Jared auch Kyle vorzustellen, doch Jareds Lachen hinderte mich daran.
 

"Polaroid-Finder? Das klingt ja nicht gerade schmeichelhaft und verschleiert die eigentliche, selbstlose Tat. Wie wäre es mit Polaroid-Retter? Das hat gleich viel mehr Dramatik!",
 

grinste er und ich rollte amüsiert mit den Augen.
 

"Wir können auch gern 'Gemeiner Geheimnis-Erpresser' draus machen!",
 

stichelte ich und fragte mich gleichzeitig, woher dieser freche Mut kam, so mit ihm zu reden. Es lag vermutlich an dem unendlich vielen Adrenalin, welches gerade literweise durch mein Adern gepumpt wurde, seit Jared aufgetaucht war.
 

"Jede andere Frau würde dieses Geste romantisch und nicht erpresserisch sehen!",
 

kommentierte er schmunzelnd und ich lachte leise, dabei bemüht mein Lachen nicht schrill klingen zu lassen, da ich bei dem Wort "romantisch" einen kurzen Aussetzer hatte.
 

"Tja... ich bin halt nicht wie jede andere!",
 

sagte ich leise und errötete unter seinem durchdringenden Blick.
 

"Das ist mir auch schon aufgefallen!",
 

raunte Jared mit leiser und rauchiger Stimme, welche meinen Bauch zum Kribbeln brachte. Ich sah ihm scheu in die Augen und war mir dabei leider nur allzu sehr bewusst, dass meine Wangen feuerrot glühten. Ich war die Motte und er das Licht. Und ich war drauf und dran mich an ihm zu verbrennen.
 

Durch Kyles erschrockenes Keuchen wurde unser Blickkontakt unterbrochen, da Jared ihn nun musterte. Der Zug um seinen Mund bekam etwas Verkniffenes.
 

"Ich hole mal meine Sachen!",
 

sagte er und lächelte mir zu, während ich ihm verwirrt nachschaute. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Ich hörte Sally und Kyle hinter mir aufgeregt flüstern, doch als ich mich zu ihnen umdrehte, verstummten beide sofort.
 

"Was ist los?",
 

flüsterte ich leise aber sowohl Sally als auch Kyle schüttelten energisch mit dem Kopf, was beide nur noch verdächtiger wirken ließ.
 

"Und was tuschelt ihr dann so eindringlich?",
 

brummte ich verärgert, da es offensichtlich war, dass sie mir etwas verschwiegen. Ich musterte Sally eindringlich, doch es war Kyle der das Schweigen brach.
 

"Weißt du denn nicht wer da- Aua!",
 

keuchte Kyle schmerzverzerrt und rieb sich die Seite, in die Sally ihm mit voller Wucht den Ellenbogen gestoßen hatte. Ich zuckte erschrocken zusammen. Was war denn nur in die beiden gefahren? Doch noch eher Sally oder ich etwas sagen konnten, tippte mir jemand auf die Schulter.
 

Kurz starr vor Schock, genauso wie in Kindertagen, wenn Ben oder Dad, mich bei dem Versuch erwischt hatten, an die heißbegehrte Keksdose zu gelangen, drehte ich mich langsam um und sah in die großen, olivgrünen Rehaugen eines grinsenden Mannes. Sein Lächeln war so echt und strahlend, dass sich meine Mundwinkel automatisch anhoben. Er schob sich sein Basecap zurecht und da erkannte ich ihn wieder. Mit ihm war Jared in der Arztpraxis gewesen. Er legte seine Hand leicht an meinen Rücken und schob mich sanft Richtung Waldeingang.
 

"Hi! Ich bin Shannon, Jareds Bruder! Und wegen dir musste ich gestern also in aller Frühe am Osteingang der Uni stehen?",
 

grinste er zwinkernd und ich sah ihn einfach nur mit tellergroßen Augen an. Mein Griff um Gatsbys Leine wurde so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.
 

"Osteingang?",
 

fragte ich total perplex, und warf einen Blick hinter mich. Auch die anderen machten sich langsam auf dem Weg. Und als ich sah wie Sally wieder flüsternd auf Kyle einredete, wurde ich nur noch nervöser. War es schon zu früh "Gewitterwolke" zu rufen?
 

"Und mich hat er beim Nordeingang einfach abgestellt!",
 

lachte ein Mann mit vielen wirren Locken auf dem Kopf und tauchte neben mir auf.
 

"Hi ich bin Jamie! Du musst Rosie sein!",
 

grinste mich der Lockenkopf an und schüttelte mir enthusiastisch die Hand. Gatsby schnüffelte kurz argwöhnisch in seine Richtung, bevor er anfing mit dem Schwanz zu wedeln. Und mir blieb nichts anderes übrig, als nur noch verblüffter zu werden. Von welchen Eingängen sprachen die beiden?
 

"Hörst du gerne Musik?",
 

fragte Shannon plötzlich und mein Kopf fuhr zu ihm herum. Seine Augen hatten etwas an Freundlichkeit verloren. Glichen sie vor wenigen Augenblicken noch einem gutherzigen Reh, so ähnelten sie jetzt eher einer wachsamen Eule. War die Frage nach Musik so wichtig für ihn? Gab es etwa eine richtige und eine falsche Antwort?
 

"Natürlich höre ich gerne Musik. Macht das nicht jeder?",
 

stotterte ich unbeholfen und sah abermals über meine Schulter und suchte nach Sally. Dieser schien meilenweit weg zu sein. Ich versuchte mit ihm Blickkontakt aufzubauen, doch dieses Unterfangen war vergebens, da er nur Augen für den schmollenden Kyle hatte. So viel dazu, er wäre multitaskingfähig.
 

"Und was hörst du so?",
 

brummte Shannon mit scharfer, tiefer Stimme, wodurch ich eine Gänsehaut bekam. Es war keine angenehme Gänsehaut. Nicht wie die gestrige Gänsehaut, welche von Jareds Hand auf meiner Hand ausgelöst worden war und meinen gesamten Körper mit wohlig kribbelnden Funken übersät hatte. Doch die jetzige Gänsehaut war von einem ganz anderen Schlag. Es war eine Gänsehaut, die meinen Körper in Alarmbereitschaft fallen ließ.
 

"Eigentlich alles Mögliche!",
 

kommentierte ich kurz angebunden, aus Angst irgendwie in ein Fettnäpfchen zu treten.
 

"Verdammt Shannon! Ich habe dir so oft gesagt, dass du das lassen sollst!",
 

seufzte Jared und drängte sich zwischen mir und seinem Bruder. Beide sahen sich kurz an und schienen einen stilles Wortgefecht auszutragen. Seufzend marschierte Shannon, gefolgt von Jamie, voraus. Und schon war ich mit Jared allein. So allein, wie man es auf einer Wanderung mit zehn Leuten nur sein konnte. Statt nervös zu sein, war ich erleichtert. Erleichtert, dass Jared neben mir ging. Erleichtert, dass sich unsere Arme beim Gehen fast berührten. Erleichtert, dass sich das Schweigen zwischen uns nicht erdrückend, sondern vollkommen richtig anfühlte. Wenn ich bei ihm war, schien immer alles so leicht zu sein. Ich schien immer leicht zu sein. Leicht wie einer Feder, die sich vom Wind mitreißen ließ. Natürlich war er der Wind, der mich durch die Lüfte tanzen ließ. Dabei kannten wir uns noch gar nicht. Diese Intensität meiner Gefühle hätten mich eher abschrecken, als anlocken sollen. Doch auch wenn ich es nie zugeben würde, war ich dankbar, heute noch einen Tag mit Jared verbringen zu können. Im Stillen sein schönes Profil bewundern zu können. Und einfach das kribbelnde Gefühl in meinem Bauch genießen zu können, was er immer in mir auslöste, wenn sein Blick mich streifte.
 

"Sorry, falls er zu aufdringlich war!",
 

seufzte Jared nach einer Weile, strich sich durch die Haare und warf mir einen vorsichtigen Seitenblick zu. Ich nickte nur, und begriff warum ich bei Shannon sofort an die Erinnerung mit der Keksdose gedacht hatte.
 

"Er ist dein älterer Bruder, oder?",
 

lächelte ich verstehend und Jared lachte leise auf.
 

"Ist das so offensichtlich?",
 

fragte er amüsiert und stopfte seine unruhigen Hände in die Hosentaschen. War er etwa auch nervös? Das konnte ich mir irgendwie gar nicht vorstellen.
 

"Naja... Ich habe auch einen großen Bruder. Und bei ihm und Shannon steht ganz groß 'Beschützer' auf der Stirn geschrieben!",
 

grinste ich und Jared erwiderte diese Geste, wodurch sich meine Brust, auf herrliche Weise, zusammenzog.
 

"Zum Glück ist dein großer Bruder gerade nicht hier!",
 

grinste Jared schief und strich sich eine Strähne aus der Stirn.
 

"Wieso?",
 

fragte ich perplex. Ben würde es hier sicherlich gefallen. Und mit Ben wäre ich um einiges sicherer, als mit Sally. Dieser war nämlich nur mit seinem Date beschäftigt, als das er auf mich und Jared achten würde. Oder auf meine Leggings, die hoffentlich noch nicht von meinem Hintern gefressen wurde.
 

"Na weil er meine Absichten, seiner kleinen Schwester gegenüber, bestimmt nicht gut heißen würde!",
 

grinste er frech und bei dem Anblick seines Grübchens, kribbelte es aufgeregt in meinen Fingern. Ich würde so gerne darüber streicheln.
 

"Welche Absichten hast du denn?",
 

fragte ich errötend, wusste ich doch schon irgendwie die Antwort auf meine eigene Frage. Oder hoffte vielmehr darauf. Jared grinste mich über beide Ohren an. Unsere Blicke trafen sich und ein kunterbuntes Feuerwerk schien in meinem Bauch zu explodieren. Ich sah ihm an, dass er nach einer geschickten Antwort suchte. Er leckte sich elegant über die Unterlippe und ich unterdrückte ein sehnsuchtsvolles Wimmern. Wie gern würde ich diese Unterlippe mit meiner Zunge berühren. Noch eher ich mir dieses, für meine Verhältnisse viel zu leidenschaftlichen, Gedankens bewusst wurde, stolperte ich über eine Baumwurzel.
 

Gatsby bellte erschrocken auf und auch Jared gab einen unterdrückten Laut von sich. Ob aus Belustigung oder Schreck, konnte ich nicht sagen. Jared packte mich am Oberarm und zog mich zurück auf die Füße.
 

"Woah! Alles okay?",
 

fragte er keuchend und musterte mich wieder auf diese intensive Weise. Mein Körper war plötzlich wie eine Katze, die zu schnurren begann und sich liebend gern um seine Beine gewunden hätte, nur um mehr Aufmerksamkeit zu erbetteln. Das kurze stumpfe Ziehen in meiner rechten Wade nahm ich kaum wahr. Ich war viel zu abgelenkt von seinen strahlenden, blauen Augen. Im Kopf ging ich abermals meine blauen Farbpaletten durch. Würde ich seine Augen jemals originalgetrau malen können?
 

"Es ist wohl besser wir treffen Vorsichtsmaßnahmen!",
 

lächelte er sanft, glitt mit seiner Hand, die eben noch mit einem kräftigen Griff meinen Oberarm festgehalten und mich vor dem Sturz bewahrt hatte, über meinen Ellenbogen, hielt kurz an meinem Unterarm inne, ehe er mit seiner Hand um die meine griff. Unsere Finger verschränkten sich automatisch ineinander, gerade so, als hätten wir das schon öfter gemacht; so als ob es für uns das normalste auf der Welt wäre, mit verschlungen Händen nebeneinander her zu gehen.
 

Mein Herz hingegen sah es nicht als normal an. Es war im Ausnahmezustand. Es schlug so schnell und laut, dass mein gesamter Körper zu vibrieren schien. Es war aufregend und zugleich etwas beängstigend.
 

"Also! Du wolltest mir erzählen, wie du mich gefunden hast!",
 

räusperte ich mich unbeholfen, um mich von seiner Hand, die angenehm warm und sanft in der meinen lag, abzulenken. Was nicht leicht war, da das Pochen seines Pulses mich regelmäßig erschaudern ließ.
 

"Wollte ich das?",
 

fragte er und verzog seine Lippen zu dem wohlbekannten, frechen Grinsen.
 

"So war der Deal!",
 

nickte ich und versuchte nicht zu oft in seine Augen zu starren. Ich entschied mich, dass es sinnvoller war, lieber nach vorne zu schauen, damit ich vor tückischen Baumwurzeln und griesgrämigen großen Steinen, die sich auf dem Wanderweg verirrt hatten, rechtzeitig gewarnt zu werden. Sinnvoll, aber nicht annähernd so verlockend, wie das triumphierende Blau von Jareds Augen.
 

"Deine genauen Worte waren: eine wahnsinnig aufregende Geschichte! Also! Ich bin ganz Ohr!",
 

lächelte ich, und konnte meine Neugier jetzt kaum mehr im Zaum halten.
 

"Shannon und Jamie meinten vorhin irgendwas mit Eingängen!",
 

versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen, damit er endlich anfing zu erzählen. Aber als ich ihn kurz musterte, entging mir nicht sein vorwitziges Funkeln, welches seine Augen zum Glitzern brachte.
 

"Soso, haben sie das? Ich glaube ich muss mit den beiden nochmal ein Wörtchen reden!",
 

grinste er belustigt und ich seufzte. Es würde wohl nicht einfach werden, ihm zum Reden zu bringen.
 

"Hast du denn vielleicht eine Theorie?",
 

grinste er noch breiter und, ohne es zu wollen, kicherte ich. Ich kicherte. Es war ein echtes und ehrliches Kichern. Ein Kichern, welches das Herz leicht werden lässt. Es fühlte sich an, als ob ich jahrelang nicht mehr so unbeschwert gekichert hätte.
 

"Oh ich habe so viele verrückte Theorien!",
 

bestätigte ich und Jared schaute neugierig auf.
 

"Ich liebe verrückte Theorien! Dann lass mal hören!",
 

flötete er und seine strahlenden Augen zogen mich abermals in ihren Bann.
 

"Okay! Du hast es ja nicht anders gewollt!",
 

lachte ich und er drückte leicht meine Hand. Eine stille Aufforderung, was meine Wangen eine Spur röter werden ließ.
 

"Eine meiner ersten Theorien war, dass du eventuell ein gemeingefährlicher Stalker sein könntest!",
 

grinste ich und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. Doch er lachte nur herzhaft auf.
 

"Und was lässt dich jetzt glauben, dass ich kein gemeingefährlicher Stalker bin?",
 

lachte er weiter und ich schnaubte.
 

"Wer sagt, dass ich das nicht mehr glaube. Nicht ohne Grund habe ich Verstärkung mitgebracht!",
 

konterte ich vergnügt und streckte ihm die Zunge raus.
 

"Du meinst die beiden Kerle die spurlos verschwunden sind?",
 

fragte Jay im munteren Ton, doch seine Worte veranlassten meinen Magen, sich auf Übelkeit erregende Weise zu drehen.
 

"Was?",
 

keuchte ich erschrocken und warf einen Blick hinter mich. Und tatsächlich. Sally und Kyle waren weg. Ich konnte spüren, wie ich innerhalb weniger Sekunden bleich wurde. Wo war Sally hin? Er hatte doch versprochen bei mir zu bleiben! Ich fühlte mich wieder wie mein vierjähriges Ich, welches richtig Fahrrad fahren lernen wollte, und Ben die Stützräder abmontiert hatte. Unsicher und wackelig. Jared drückte behutsam meine Hand.
 

"Vielleicht sind die beiden auch nur seeeeehr langsame Wanderer!",
 

raunte er beruhigend und ich nickte, weil ich nicht wahr haben wollte, dass Sally mir so einfach in den Rücken fallen würde.
 

"Könnte sein. Ich glaube Kyle hat nicht sonderlich viel mit der Natur am Hut!",
 

erklärte ich. Zum einen um deren Abwesenheit zu rechtfertigen und zum anderen, um mich zu beruhigen.
 

"Ich kann dir versichern dass ich kein gemeingefährlicher Stalker bin. Sonst hätte mich Gatsby bestimmt schon davon gejagt!",
 

plapperte er munter drauf los und ich stolperte unbeholfen neben ihn her. Sein Griff wurde etwas fester, so als ob er sich darauf gefasst machte, mich wieder aufzufangen, sollte es nötig sein.
 

"Erzähl mir noch eine Theorie!",
 

bat er und strich mit dem Daumen zärtlich über meinen Handrücken. Mein Körper reagierte sofort mit einem Schaudern. Ich räusperte mich, um etwas Zeit zu schinden und meine Gedanken zu ordnen. Kurz sah ich Gatsby dabei zu, wie er aufgeregt schnüffelnd den Rand des Wanderweges inspizierte. Ich ermahnte mich ruhig zu bleiben. Vielleicht waren die beiden nur kurz pinkeln. Oder Kyles lächerlich großer Sonnenhut hatte sich in einem Vogelnest verfangen. Das lag alles im Bereich des Möglichen. Und Gatsby würde nicht von meiner Seite weichen. Das tat er nie! Bei diesem Gedanken konnte ich die aufkeimende Angst, welche mich dazu drängen wollte, einfach kehrt zu machen und zurück zum Parkplatz zu laufen, wieder zurückdrängen. Dadurch konnte ich mich wieder auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Und als würde Gatsby meine innerliche Unruhe spüren, ließ er vom Unterholz ab und schob seinen Kopf unter meine Hand. Lächelnd kraulte ich ihm den Kopf.
 

"Ehm... du könntest natürlich auch bei der CIA oder dem FBI oder so sein. Dort hättest du mittels hochentwickelter Gesichtserkennungssoftware meinen Standort ausfindig machen können!",
 

erklärte ich mit ernster Stimme und Jared nickte erfreut.
 

"Oh die Idee gefällt mir! Und so viel stilvoller als die Wahrheit!",
 

grinste er und ich horchte interessiert auf.
 

"Dann ist es wohl Zeit mit der Wahrheit herauszurücken!",
 

lächelte ich und platzte fast vor Neugier. Er hatte mich wirklich lange genug hingehalten. Doch er winkte ab.
 

"Ich glaube es ist eher an der Zeit, für noch eine Theorie deinerseits!",
 

grinste er und zwinkerte mir zu. Ich seufzte etwas enttäuscht.
 

"Ich habe eigentlich nur noch eine brauchbare... aber die ist ziemlich abgedreht!",
 

erklärte ich und verzog das Gesicht zu einem verlegenen Lächeln.
 

"Erzähl!",
 

gluckste er und stieß mit seiner Schulter sachte gegen meine, was mich auflachen ließ.
 

"Okay... Es könnte natürlich auch sein, dass du der Urenkel von Professor X bist, und seine Mutation, Gedanken lesen zu können, geerbt hast. Und als wir uns in der Arztpraxis unterhalten haben, hättest du in Seelenruhe alle notwendigen Informationen aus meinem Kopf stehlen können!",
 

erklärte ich mit so viel ernster Überzeugung, wie es meiner schauspielerischen Fähigkeiten möglich war.
 

"Wow!",
 

grinste er und strahlte mich an.
 

"Ich wäre gerne ein X-Men!",
 

scherzte er und ich nickte.
 

"Wer nicht!",
 

grinste ich und begann mich wieder zu entspannen. Alles war gut. Ob mit oder ohne Sally!
 

"Ich bin auch leider kein X-Men!",
 

gestand er grinsend und ich sah ihn amüsiert an.
 

"Für einen X-Man bist du auch viel zu fröhlich. Comichelden müssen düster, brummig und ernst sein!",
 

erklärte ich schmunzelnd und brachte ihn wieder zum Lachen.
 

"Du kennst dich aber gut mit Comics aus!",
 

stellte er fest und strich abermals über meinen Handrücken. Diese kleine Geste verfehlte ihre intensive Wirkung nicht.
 

"Ich musste im letzten Semester in diese Richtung viel recherchieren!",
 

gestand ich und sah wieder auf meine Füße.
 

Wir fielen wieder in ein angenehmes Schweigen. Zu hören war nur Gatsbys Hecheln, der Gesang vieler unterschiedlicher Vögel, das leise Ächzen der Zweige, welche vom Wind wie in Trance sich leise hin und her wiegten und das lebhafte Rauschen der leuchtend grünen Blätter. Der Wald roch nach Sommer und fruchtbarer Erde. Und hier und da, schafften es vorwitzige Sonnenstrahlen durch das dicke Blätterdach des Waldes und schimmerten in allen Regenbogenfarben. Ein perfekter Tag wie auf einem Ölgemälde.
 

"Wann wirst du mir denn endlich erzählen, wie du mich ein einer Stadt mit knapp vier Millionen Menschen gefunden hast?",
 

fragte ich leise mit einem ungeduldigen Unterton. Er sah mich kurz an. Sein Blick glitt sanft über mein Gesicht und verweilte einen langen Augenblick auf unsere verschlungenen Hände.
 

"Wenn der richtige Moment gekommen ist!",
 

raunte er und grinste sein Grübchenlächeln.
 

"Und wird das heute sein?",
 

hakte ich nach und versuchte mich nicht wieder von seinen Grübchen ablenken zu lassen.
 

"Ich hoffe doch!",
 

lachte er und ich schüttelte amüsiert den Kopf.
 

"Das ist irgendwie ungerecht!",
 

kommentierte ich und kramte in meinem Hirn nach einem besseren Argument, mit die Geschichte sofort zu erzählen.
 

"Nein! Es ist spannend!",
 

stellte er klar und schnitt eine Grimasse, als er plötzlich erstarrte und mit dem Kopf herumwirbelte. Ich zuckte leicht erschrocken zusammen und hielt aus irgendeinem unbestimmten Grund den Atem an.
 

"Hörst du das?",
 

strahlte er plötzlich und mein Herz setzte bei diesem Anblick mehrere Schläge aus, ehe es so schnell schlug, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Ich schnappte rasselnd nach Luft und genoss das kribbelige Gefühl in meinen Gliedern.
 

"Was?",
 

flüsterte ich automatisch und spitze die Ohren. Ich hörte rein gar nichts. Aber als ich sah, das auch Gatsby, mit schief gelegtem Kopf und angehobener Vorderpfote, in die gleiche Richtung wie Jared starrte, war ich mir sicher das dort etwas sein musste. Dort. Mitten im Wald.
 

"Komm!",
 

hauchte er leise an meinem Ohr und abermals durchfuhr mich ein elektrisierender Schauer.
 

Er zog mich mit sich und drückte grinsend den Zeigefinger gegen seine Lippen. Wir mussten wohl sehr leise sein. Hand in Hand und darauf achtend, auf keinen herabgefallenden Ast zu treten, lotste Jared mich durch den Wald. Gatsby hatte sogar aufgehört zu hecheln und schlich förmlich durch das Unterholz. Und je weiter wir in den Wald traten, desto deutlicher konnte ich es hören. Ein Summen. Nicht wie das Summen einer Biene. Es klang eher nach einem ganzen Bienenschwarm. Und irgendwie auch ganz anders. Es war ein Summen, gepaart mit einem samtigen Rascheln. So als würden weiche Federn aus einem Kissen platzen und zu Boden fallen. Neben dem immer lauter werdenden Geräusch, begann auch die Luft sich zu verändern. Sie wurde von schwerer Süße getränkt. Es roch nach satten Blüten und mir war, als würde ich bei jedem Atemzug unendlich viele Pollen einatmen.
 

Durch das Geäst wagten sich immer mehr Sonnenstrahlen durch die majestätischen Baumkronen des Waldes und mir wurde klar, dass wir direkt auf eine kleine Lichtung zugingen. Am Rand der Lichtung, und noch im Schutz und Windschatten des Dickichts, kniete Jared sich leise hin. Da er meine Hand nicht losließ, kniete ich mich eng neben ihn. Auch Gatsby legte sich flach auf den Bauch und robbte zu mir heran.
 

Ich schluckte laut, da meine Kehle vor Anspannung und Neugier völlig ausgetrocknet war. Jareds Körperwärme verbrannte meine Seite und ich hätte mich am liebsten noch mehr gegen ihn gelehnt. Ich wollte mich an ihm verbrennen.
 

Doch da zeigte er mit dem Zeigefinger geradeaus; in Richtung der Lichtung. Ich folgte mit den Augen seinem Finger und blinzelte in das grelle Sonnenlicht. Und da waren sie. Kleine, fröhlich und herrlich bunt schimmernde Lichtpunkte. Wilde Kolibris, die sich an den satten Blüten der Büsche satt aßen.
 

"Wow!",
 

formte ich lautlos mit den Lippen und wagte es nicht zu blinzeln. Es war ein wunderschöner Anblick. Ich hatte bis jetzt nur Kolibris im Zoo bestaunen können. Sie hier aber wild und frei betrachten zu können, war ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Jared schien meine Gedanken zu lesen, denn er drückte meine Hand und schenkte mir einen begeisterten Blick. In Gedanken machte ich ein Foto von seinem Gesicht, fest entschlossen es so schnell wie möglich auf Leinwand zu bringen.

Ich wusste nicht, wie lange wir da hockten und in stiller Bewunderung und Eintracht dieses farbenfrohen Schauspiel, aus glänzenden Federn und Nektar schlürfenden Kolibris, bestaunten, als Jared leise gegen meine Polaroidkamera tippte. Ich biss mir ertappt auf die Unterlippe. Natürlich. Dieser Moment musste festgehalten werden und verdiente einen Ehrenplatz an meiner Fotowand. Mit leicht zitternden Händen hob ich meine Kamera und schaute durch den Sucher. Ich hoffte, dass man, trotz der Entfernung, noch etwas auf dem Polaroid erkennen würde. Ich atmete tief durch und drückte ab.

Das maschinelle Surren, als die Kamera das Polaroid entwickelte, hatte ich noch nie als so ohrenbetäubend laut empfunden. Einige der Kolibris horchten auf und begangen schrill zu zwitschern. Und ehe ich mich versah, waren sie weg.
 

"Ach verdammt!",
 

seufzte ich enttäuscht und Gatsby kommentierte deren plötzlichen Aufbruch mit wildem Gebell. Jared lachte nur und tätschelte meinem Hund den Kopf, was er sich schwanzwedelnd gefallen ließ.
 

"Früher oder später wären sie eh weitergezogen!",
 

zwinkerte er mir aufmunternd zu und nahm mir das Polaroid ab. Neugierig schauten wir auf das Foto und sahen dabei zu, wie das Schwarz der lebhaften Farbe des Waldes wich. Und da waren sie. Kleine schillernde und farbenprächtige Kolibris. Einige nur verschwommen und zu erahnen und andere, für Polaroid-Verhältnisse, gestochen scharf.
 

"Da hast du die Geister des Waldes ja perfekt eingefangen!",
 

strahlte er mich an und ich strahlte zurück.
 

"Na wenn das kein perfekter Moment ist!",
 

hauchte ich und er lachte leise auf. Sein Atem streifte meine Wange, welche sofort anfing zu brennen. Er beugte sich leicht vor und mein Herz raste so schnell, als wollte es mir aus der Brust springen.
 

"Sie erinnern mich irgendwie an dich!",
 

raunte er und ich blinzelte.
 

"Wer?",
 

fragte ich mit belegter Stimme.
 

"Die Kolibris!",
 

grinste er und sein Blick glitt über meine Lippen, welche dadurch erregt kribbelten.
 

"Warum?",
 

keuchte ich atemlos und versuchte nicht zu vergessen, regelmäßig nach Luft zu schnappen.
 

"Naja... sie sind bunt. So wie du. Sie strahlen. So wie du. Sie sind zart. So wie du. Und sie sind einmalig. So wie du!",
 

raunte er und hätte ich nicht schon gekniet, wäre ich auf der Stelle zusammengesackt. Meine Beine fühlten sich taub und gummiartig an. Mein Herz platze voller noch nie empfundener Gefühle und mein Hirn schaltete sich überfordert ab.
 

Zögernd legte er seine Hand auf meine Wange und ich senkte den Blick. Seinem intensiven Blick war ich nicht mehr gewappnet. Ich spürte, dass er sich zu mir beugte. Und ich hielt still. Schloss sogar die Augen. Voller heimlicher Neugier und Hoffnung.
 

Vergessen war meine Angst. Vergessen waren meine viel zu komplizierten Gedanken. Vergessen war die Zeit.
 

Es gab nur mich. Und Jared.
 

Mehr musste ich nicht wissen!

KAPITEL VIER

KAPITEL VIER
 

Los Angeles, 2017
 

Ich hörte meinen bebenden Atem. Ich hörte das leise elektrische Knistern, als Jared mit seinem Daumen sanft über mein Kinn strich. Ich hörte wie der Ast unter Jareds Fuß leise knackte, als er meinen Lippen so nahe kam, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spüren konnte. Heute roch er nach süßer Schokolade. Nach Schokolade und dunkler Versuchung. Ich holte tief Luft; atmete ihn ein und genoss das tiefe Prickeln in meinem Körper.
 

Seine Barthaare kitzelten mein Gesicht und ich hielt automatisch die Luft an. Jeder einzelne Herzschlag hallte tausendfach in meinem Brustkorb nach und brachte meinen gesamten Körper zum Beben. Ich konnte die Wärme spüren, die von Jareds Körper ausging. So musste sich Ikarus gefühlt haben, als er der Sonne zu nahe gekommen war. Ich wusste, dass ich bereits schmolz; zu heißem Wachs in seinen Händen wurde. Und ich genoss es.
 

Ohne darüber nachzudenken, öffneten sich meine vor Aufregung kribbelnden Lippen. Jared gab ein leises, gänsehauterregendes Raunen von sich und ich lehnte mich ihm entgegen. Jede Faser meines Körpers sehnte sich danach von ihm geküsst zu werden.
 

Seine Nasenspitze glitt so behutsam sanft über die meine, dass eine ungeahnte Wärmewelle von meinem Bauch hinaufstieg. Ich spürte wie er leise und leicht nach Luft schnappte, und eine erregende Gänsehaut überfuhr meinen Körper. Ein in mir verschollen geglaubter Instinkt erwachte und da wusste ich es. Der Moment war endlich da. Jared würde mich jetzt küssen. Er würde mich küssen und ich würde endlich seine Lippen schmecken; würde genießerisch von ihnen kosten. Und ich wusste, dass ich es wollte. So sehr wollte.
 

Für einen Moment, nicht länger als der Flügelschlag eines Kolibris, schien alles in ein strahlendes Weiß gehüllt zu sein. Ein schwereloses Weiß, welchem ich mich nur zu gerne hingab. Ein warmes Weiß, das mich zu durscheinen schien und mich enger an Jared drückte.
 

Doch plötzlich wurde dieses Weiß von schwarzen Punkten unterbrochen und ehe ich begriff was passierte, landete ich unsanft auf meinen Hintern und kippte um. Trockenes Laub und kleine Äste raschelten unter mir, als ich mich mühsam aufrappelte. Was war das denn gerade gewesen? Mir war zwar vor Aufregung etwas mulmig gewesen, aber ich war definitiv weit davor entfernt, ohnmächtig oder dergleichen zu werden.
 

Gedämpftes Lachen, Schleckgeräusche und wildes Unterholzrascheln zogen meine Aufmerksamkeit und verwirrten Gedanken zurück in die Realität. Und die Realität konnte so grausam sein. Anstatt von Jared geküsst zu werden, küsste dieser nun meinen Hund. Oder wohl eher anders herum. Gatsby drückte ihn mit seinem gesamten Körper gegen den Waldboden, während er Jareds Gesicht schwanzwedelnd von oben bis unten abschleckte.
 

Es gab jetzt natürlich mehrere Möglichkeiten auf diese Situation zu reagieren. Humor, wäre eine angemessene Reaktion gewesen. Einfach über dieses absurde Schauspiel, welches sich mir da gerade bot, herzhaft lachen und vielleicht mit der Polaroidkamera oder dem Handy schnell ein Foto schießen, damit man später auch noch darüber lachen könnte.
 

Dann gab es da noch die Scham-Variante. Ich könnte mich für meinen, sonst eigentlich gut erzogenen, Hund schämen, ihn von Jared herunterziehen und mit ihm schimpfen. Darauf bedacht den Rest des Tages peinlich berührt Jareds Blick auszuweichen, weil ich fest entschlossen sein würde, diese Situation aus meinem Kopf zu streichen. Natürlich würde ich es tunlichst vermeiden mit jemanden darüber zu reden. Und ich würde weitere Versuche von Jared als auch von Sally, mich auf weitere Treffen einzulassen, standhaft ablocken.
 

Obwohl ich mir gerade nicht so sicher war, ob Jared überhaupt noch Interesse hatte, mich noch ein weiteres Mal treffen zu wollen. Immerhin glänzte sein ganzes Gesicht von dem Sabber meines Hundes. Sein Bart tropfte und triefte sogar vor Hundesabber. Ich glaube ich würde mich selbst auch nicht mehr treffen wollen. Innerlich seufzte ich resigniert.
 

Und diese Tatsache brachte mich zu der unterwürfigen Option. Gatsby bestimmend von ihm herunterzerren, sich auf Knien entschuldigen und beteuern das Gatsby das noch nie zuvor getan hätte, weil er eigentlich ein ganz "Lieber" war.
 

Da mein Hirn von dem Fast-Kuss mit Jared noch ziemlich vernebelt war, und ich meine Tollpatschigkeit nicht einkalkuliert hatte, reagierte ich vielleicht etwas zu panisch, keiner meiner zuvor zurechtgelegten Möglichkeiten entsprechend und zu schnell. Definitiv zu schnell.
 

"Gatsby! AUS!",
 

schrie ich erschrocken mit einer mir fremden und viel zu schrillen Stimme, stand mit weichen Knien auf und Griff gleichzeitig nach der Leine in meiner Jackentasche. Dadurch bemerkte ich meine offenen Schnürsenkel nicht, über die ich auch sofort stolperte, als ich einen großen Schritt zu Gatsby machte, um diesen anzuleinen und von Jared wegzuziehen.
 

In dem Moment, wo keiner meiner Füße den laubbedeckten Boden berührte, sprang Gatsby fröhlich bellend von Jared herunter, welcher lachend und erleichtert aufatmete. Sein vor Erleichterung strahlendes Lächeln erstarrte und seine Augen weiteten sich erschrocken, als sein Blick auf mich fiel. Und während ich im Begriff war auf ihn zu stürzen, gefühlt in der langsamsten Zeitlupe der Weltgeschichte, hasste ich mich dafür, dass ich mich schon wieder in seine meerblauen Augen verlieren wollte; in ihnen baden wollte; sie zeichnen wollte; ohne an meinen eigentlichen Sturz zu denken. Meinen Sturz auf ihn. Jared. Der eh schon voller Hundesabber war und nun gleich mein Knie im Magen haben würde.
 

Ich schloss reflexartig die Augen und wünschte mir, dass ich nicht auf Sally gehört hätte. Dann wäre ich jetzt auf der Ranch. Würde selbstgemachten Eistee schlürfen und kleine, süße Ponys putzen. Aber wie immer sah die Realität ganz anders aus. Und sie wurde von Sekunde zu Sekunde grausamer.
 

"Rose!",
 

keuchte Jared und ich zuckte vor Angst zusammen; war halbwegs gefasst, entweder auf ihn oder den Boden aufzuprallen, für den gering eintreffenden Fall, dass er es noch geschafft hatte, sich wegzurollen. Und irgendwie betete ich dafür, dass er sich weggerollte hatte. Schließlich beinhaltete kein Date, und besonders nicht das erste Date, sein Knie in den Körper seines Date-Partners zu rammen. Normale Dates jedenfalls nicht.
 

Doch ein Aufprall im herkömmlichen Sinn fand nicht statt. Stattdessen schlangen sich kräftige Arme um mich und hielten mich fest an einem warmen Körper gedrückt. Teils aus Überraschung, teils aus Schreck, und ich wagte nicht näher darüber nachzudenken welche Empfindung schwerer wiegte, drang ein erstickter Laut aus meiner Kehle. Ich riss die Augen auf. Panische braune Augen trafen auf zuversichtliche blaue Augen. Ein gefühlsgeladener Blitz durchfuhr meine Brust und ließ mich zitternd nach Luft schnappen, während wir über das Laub rollten. Mein Sturz schien mehr Geschwindigkeit und Kraft in sich gehabt zu haben, als vermutet.
 

Als wir endlich aufhörten, uns um die eigene Achse zu drehen, konnte ich Jareds Gewicht auf mir spüren. Meine Wangen brannten beinahe, so heiß liefen sie an. Ein Glück, dass sie nicht dampften. Atemlos sah ich ihn weiter an und auch er unterbrach den Blickkontakt nicht. Das Blau seiner Augen wirkte heller als sonst, so wie das hell leuchtende Blau des Meeres an einem Strand mit beinahe weißem Sand. Mir war, als ob ich sogar leichte Wellen sehen konnte.
 

Ich hörte nur meinen Atem, das Rasen meines viel zu überforderten Herzens und Jareds Lachen. Er lachte. Wieso lachte er? Lachte er mich etwa aus?
 

"Mit dir wird es nie langweilig, was?",
 

gluckste er und musterte mich eingehend. Er löste seine Hand, welche meinen Hinterkopf umfasst hatte, vorsichtig und stützte sich mit beiden Armen über mir ab. Er musterte mich so intensiv, dass ich mich nicht gewundert hätte, wenn jetzt mein gesamter Körper rot angelaufen wäre. Warm genug dafür war mir jedenfalls.
 

"Hast du dir wehgetan?",
 

hörte ich ihn fragen, doch ich war unfähig darauf zu antworten, da mein verräterisches Hirn, überladen und überlastet von nichtsnutzigen Hormonen wieder den kitschigen mit Herzen überladenen Rosarotenbrillenfilter angeschaltet hatte. Unter aufbegehren meiner ganzen restlichen, noch nicht vom Liebesfilter infiltrierten, Gedankenkraft, brachte ich ein klägliches und vielmehr nur angedeutetes Kopfschütteln zu stande. Na immerhin etwas!
 

"Gut!",
 

lächelte er und seine Grübchen ließen den Kolibri in meiner Brust liebestrunken schwanken.
 

Er sah mir so tief in die Augen, als ob er in mir lesen würde und mein Bauch zog sich aufgeregt zusammen. Etwas zögerlich strich er mir durch meine, vom Sturz und seinem Auffang-Manöver, nun wirren Haare und zog ein kleines Blatt heraus.
 

Ich konnte meinen Blick nicht von seinem Gesicht abwenden, versuchte mir jedes noch so kleine Merkmal einzuprägen; zeichnete ihn in Gedanken. Ich wusste, dass es vielleicht besser gewesen wäre, etwas zu sagen. Doch mein Mund wollte keine Wörter formen. Er wollte etwas ganz anderes. Er wollte da weitermachen, wo wir gerade unterbrochen wurden. Am liebsten hätte ich meinen Kopf angehoben, um ihn zu küssen; wollte endlich mutig sein und mir nehmen, was ich begehrte, auch wenn ich es nie zugeben würde.
 

So als hätte Jared meine Gedanken gehört, glitt sein Blick vom Blatt, welches er aus meinem Haar befreit hatte, wieder zu mir. Er erkundete mein Gesicht und meine Lippen kribbelten elektrisiert, als er diese einen Augenblick zu lang musterte.
 

"ROSIEEEE!",
 

schrie plötzlich jemand, und wir beide zuckten erschrocken zusammen. Schneller als ein Blinzeln glitt Jared von mir herunter, und ich vermisste sofort sein Gewicht auf mir. Was war denn nur los mit mir? Ich kannte ihn gar nicht. Hatte mich nur vor zwei Tagen einige kurze Minuten mit ihm unterhalten und ein paar Whats App Nachrichten ausgetauscht. Das war alles. Und doch vermisste ich sein Gewicht auf mir? Sehnte mich nach seiner Wärme? Jeder normale Mensch hätte nicht so empfunden. Es war unreif, verantwortungslos und vielleicht auch ein bisschen pervers. Und pervers wollte ich schon mal gar nicht sein.
 

Jared reichte mir seine Hand, welche ich zögernd nahm, und zog mich auf meine Füße. Gerade rechtzeitig, wie sich herausstellen sollte. Denn Sally, Shannon und Jamie kamen auf die Lichtung geeilt. War irgendwas Schlimmes passiert?Ich warf einen verwirrten Seitenblick zu Jared, doch dieser seufzte nur und ließ die Schultern hängen.
 

"Alles okay? Wir haben Schreie gehört!",
 

keuchte Sally, kam direkt vor mir zum Stehen und musterte mich. Ich konnte spüren wie seine Augen an meinem, von Blättern und kleinen Stöckern durchwühltem Haar, klebten. Schamesröte kroch meinem Hals empor. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Jareds und mein Erscheinungsbild auf eine ganz falsche Weise gedeutet werden konnte. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt das Experiment "Date" abzubrechen und einzusehen dass ich Date-unfähig war.
 

"Rose! Ist alles in Ordnung?",
 

fragte Sally argwöhnisch und musterte Jared auf eine, schon beinahe feindselige Art, die ich noch nie zuvor an ihm vernommen hatte. Es war auch nicht hilfreich, dass auch Jareds Haare belaubt waren und kleine Erdkrümel an seinen Ellenbogen klebten.
 

Ich nickte schnell und Gatsby kam unbekümmert schnaufend, mit einem Ast der doppelt so groß war wie er, zu mir getorkelt und legte sich neben mich. Nur um damit anzufangen, besagten Ast kategorisch von oben nach unten zu zerpflücken.
 

"Gatsby war's!",
 

hörte ich mich sagen und deutete sogar, unnötiger Weise, auf meinen Hund. Jared lachte leise auf, verstummte aber sofort wieder, als Shannon neben ihn trat. Shannon musterte mich abschätzend, packte seinen Bruder am Ellenborgen und zog ihn von mir und Sally weg. Kaum als sie außer Hörweite waren, begann Shannon auf Jared einzureden.
 

Sally begann den Dreck von meiner Kapuzenjacke zu klopfen und zupfte an meinem Zopf herum, um die restlichen Blätter, und wer weiß was sonst noch, von meinem Haar zu befreien.
 

"Der Hund hat also geschrien?",
 

fragte er mich leise, und ging weiter seiner Beschäftigung nach, während ich, peinlich berührt, auf meine Füße starrte.
 

"Nein... das war schon ich!",
 

seufzte ich leise und Sally hielt inne.
 

"Ist ein Unwetter in Anmarsch?",
 

fragte er besorgt und hob mein Kinn, damit ich gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen.
 

"Nein! Keine Gewitterwolke zu sehen!",
 

seufzte ich und schielte zu Jared, Shannon und Jamie, welche sich immer noch leise unterhielten.
 

"Es war nur ziemlich doll peinlich. Obwohl peinlich trifft es nicht. Es war schlimmer als peinlich!",
 

murmelte ich und sah mich suchend nach einem Erdloch um, indem ich mich verkriechen konnte.
 

"Was ist denn passiert?",
 

fragte Sally immer noch besorgt. Er schien noch nicht überzeugt, dass es kein "Gewitterwolken"-Alarm gab.
 

Ich schnappte schon nach den ersten Worten der Erklärung, doch noch ehe auch nur ein einziger Laut meine Zunge verließ, bohrte ich ihm meinen Finger in die Brust.
 

"Wo warst du?",
 

brummte ich nachtragend und versuchte ihn böse anzusehen.
 

"Mh?",
 

machte Sally unschuldig und zupfte wieder an meiner Jacke herum.
 

"Jetzt tu nicht so. Bevor Jared und ich zur Lichtung gegangen sind, warst du nicht mehr da! Und Kyle natürlich auch nicht! Dabei hast du versprochen mich nicht allein zu lassen! Du hast versprochen auf mich aufzupassen!",
 

platzte es aus mir heraus und Sally verzog vor schlechtem Gewissen das Gesicht.
 

"Nur weil ich mal kurz nicht da bin, ist das noch lange kein Grund mit Prince Charming Bibbidi Bobbidi Boo im Dickicht zu machen! Ich hab zwar gesagt, dass du ruhig für Zärtlichkeiten offen sein sollst, aber das hier geht entschieden zu weit. ",
 

zischte er und ich schnappte gekränkt nach Luft.
 

"Wir haben überhaupt kein Bibbidi Bobbidi Boo gemacht! Und hatten es auch nicht vor!",
 

knurrt ich schon beinahe. Sally schnaubte und zog eine Augenbraue hoch. Ich wusste, dass mein äußerliches Erscheinungsbild Beweis genug war, um das Gegenteil zu glauben.
 

"Wenn hier einer Bibbidi Bobbidi Boo gemacht hat, dann ja wohl du! Oder wo waren du und Kyle plötzlich! Schließ nicht von dir auf andere!",
 

fauchte ich und leinte mit zitternden Händen Gatsby an. Das war's. Hiermit war die Wanderung für mich beendet. Wie konnte Sally nur so etwas von mir denken?
 

"Warte!",
 

seufzt Sally und hielt meine zitternden Hände fest.
 

"Tut mir leid. Das kam vielleicht falsch rüber. Ich hab mit nur Sorgen gemacht. Als ich wieder kam warst du nicht da. Und Jared auch nicht. Und dann hab ich die Schreie gehört. Ich bin eigentlich auf mich selbst sauer... weil ich dich nicht im Auge behalten habe!",
 

seufzte er und ich sah ihn trotzdem zerknirscht an. Das war noch lange kein Grund, seine Wut an mir auszulassen. Da ich nicht wusste, was ich auf seine Worte erwidern sollte, brummte ich nur. Sally seufzte.
 

"Auch wenn es schwer zu glauben ist, haben Kyle und ich kein Bibbidi Bobbidi Boo gemacht. Er hat schlicht und einfach seine Sonnencreme im Wagen vergessen und da ich zusehen konnte, wie seine Haut von Minute zur Minute röter wurde, bin ich halt schnell mit ihm zurückgegangen. Ich habe mich wirklich beeilt, aber als ich die anderen wieder eingeholt hatte, warst du nicht da. Und der Muskulöse -",
 

er deutete auf Shannon der immer noch auf Jared einredete, welcher nur am nicken war,
 

"- war auch nicht gerade begeistert, als wir bemerkten dass ihr beide verschwunden wart. Ich war kurz davor Ben anzurufen, obwohl das mein Todesurteil gewesen wäre!",
 

gestand Sally und drückte meine Hand. Ich nickte. Vielleicht waren wir beide gerade etwas zu aufgewühlt.
 

"Die Kurzform?",
 

fragte ich nach einem versöhnlichen Lächeln, und Sally nickte.
 

"Wir haben Kolibris gehört. Du weißt das sind meine Lieblingstiere. Also sind wir durchs Dickicht gegangen. Wir haben die Kolibris gefunden, ich habe ein Polaroid gemacht und dann war da ein Bibbidi-Moment, der von Gatsby vereitelt wurde. Und als ich versucht habe Gatsby wieder anzuleinen bin ich gestolpert, Jared hat mich aufgefangen und wir sind über den Boden gerollt. Ende!",
 

murmelte ich und wich Sallys Blick aus. Ich konnte hören wir er ein Lachen unterdrückte.
 

"Okay das klingt so absurd, dass es dir zuzutrauen ist!",
 

grinste er und tätschelte meine Schulter.
 

"Wollen wir schon mal vorgehen?",
 

fragte Jamie plötzlich fröhlich und sah uns lächelnd an. Sowohl Sally, als auch ich zuckten erschrocken zusammen. Wie lange stand er schon da? Was hatte er alles gehört?
 

Ich blickte zu Jared. Die Unterhaltung mit seinem Bruder schien energischer zu werden, da beide aufeinander einredeten. Ich unterdrückte ein Seufzen. Nur ein Idiot würde nicht erkennen, dass sein Bruder mich nicht leiden konnte.
 

"Na komm!",
 

sagte Sally, der meinem Blick gefolgt war und wohl zur gleichen Erkenntnis gekommen war. Er legte einen Arm um mich und führte mich durch das tückische Dickicht. Gatsby stieß regelmäßig mit seinem gigantischen Stock gegen die Baumstämme, was ihn aber nicht davon abhielt, ihn immer weiter mitzuzerren. Auf dem sicheren Wanderweg angekommen, wurden wir von neugierigen Augenpaaren angestarrt. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich Jareds restlichen Freunden noch gar nicht vorgestellt hatte. Oh Gott wie unhöflich und selbsteingenommen ich rüberkommen musste. Das mit dem "guten Eindruck hinterlassen" hatte ich wohl nicht so gut drauf.
 

"Entschuldigung für die Unterbrechung. Da... da waren Kolibris. Ich bin übrigens Rose!",
 

sagte ich und hätte mir am liebsten die Zunge abgebissen. Wie bescheuert klang das bitte?
 

Die anderen fingen prompt an zu lachen. Aber es war kein gehässiges oder böswilliges Lachen, eher ein frommes und amüsiertes. Meine Wangen glühten trotzdem, als sie sich vorstellten. Emma, Stevie, Shayla und Paula. Emma, Stevie, Shayla und Paula. Ich zählte die Namen mehrmals geistig auf, um sie ja nicht zu vergessen.
 

Hinter uns hörten wir schwere Schritte und knackende Äste. Shannon und Jared waren wieder da. Shannon musterte mich und schüttelte leicht abfällig mit dem Kopf, ehe er an mir vorbeiging. Ich schluckte schwer. Bestimmt dachte er, dass ich mich Jared an den Hals geworfen hatte. Diese Erkenntnis ließ mein Innerstes gefrieren. Doch schmolz es wieder dahin, als Jared mir zuzwinkerte und sich neben mich stellte. So als wäre nichts gewesen.
 

"Dann lasst uns mal weiter!",
 

lächelte er und unsere Gruppe setzte sich langsam in Bewegung. Es herrschte Schweigen. Shannon stapfte voraus.
 

"Also... was studiert ihr zwei denn?",
 

fragte Stevie munter und sah zu mir und Sally. Ich glaube ich war noch nie so dankbar für Smalltalk gewesen.
 

Während Sally und ich pflichtbewusst die, zum Teil sehr neugierigen Fragen, der Gruppe beantworteten, wich Jared nicht von meiner Seite. Dennoch griff er auch nicht mehr nach meiner Hand, was mich doch mehr bekümmerte, als ich es mir eingestehen wollte. Jedoch glitt sein Handrücken viel zu oft über den meinen, als das es ausschließlich Zufall sein konnte. Und diese Tatsache freute mich so sehr, dass jedes Mal mein Herz schneller schlug, wenn wir uns kurz berührten.
 

Ich hatte es aufgegeben zu hinterfragen, was er da mit mir tat. Ich kannte mich mit Liebesangelegenheiten nicht aus. Ich hatte über sowas nur in meinen Büchern gelesen. Und wenn ich durch diese Lektüre eins gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass Liebe viele Gesichter hatte und jeden anders traf. Vielleicht war meine Form des Verliebtseins intensiver, als es bei anderen Menschen der Fall war. Vielleicht war es so intensiv, weil Jared und ich gut zusammenpassen würden. Ich wusste es nicht. Aber vielleicht war es an der Zeit, es nicht skeptisch zu hinterfragen, und sich einfach darauf einzulassen. Quasi: Learning by doing. Oder so.
 

Wir mussten bereits eine Weile gewandert sein, da die Sonne tiefer am Himmel hing und mein Mund ganz ausgetrocknet vom vielem Reden und Lachen war. Der peinliche Vorfall von heute Morgen schien unendlich weit weg. Dennoch kam ich nicht umhin zu bemerken, dass keiner der anderen beabsichtigte, mich und Jared noch einmal aus den Augen zu lassen. Besonders Shannon nicht. Ich hatte jetzt keine Angst vor ihm, aber ich musste mir doch eingestehen, dass er mich ziemlich einschüchterte, wie er mit seinem braungrünen Augen und brummig verzogenen Mund immer wieder musterte.
 

"Der See muss nicht mehr weit weg sein!",
 

sagte Jared plötzlich.
 

"See?",
 

frage ich überrascht. Und alle, außer Sally und Kyle natürlich, nickten eifrig mit einem vorfreudigen Lächeln auf dem Mund.
 

"Gehen wir baden?",
 

fragte Kyle und ich konnte hören wie er versuchte ein fröhliches Quietschen zu unterdrücken.
 

"Natürlich!",
 

grinste Jamie und ging gleich einen Schritt schneller, um eher als die anderen an den See zu gelangen.
 

"Ich hab keine Badesachen mit!",
 

bemerkte ich leise und hoffte dass diese Information ausreichte, um deutlich zu machen, dass ich nicht im See baden würde.
 

"Wir auch nicht!",
 

lachte Shayla.
 

"Irgendwie ist es Tradition geworden, wenn wir diese Route wandern, mit Klamotten in den See zu springen!",
 

erklärte sie.
 

"Und während unsere Kleidung in der Sonne trocknet, essen wir unseren Proviant auf!",
 

freute sich Emma und ich sah beide ungläubig an. Gegen meinen Willen tauchte ein sehr nudistisch angehauchtes Bild vor meinem geistigen Auge auf, indem alle nackt im Kreis saßen, aßen und lachten, während ihre Kleidung an Bäumen hing und im Wind wehte und trocknete. Das war wieder so ein Moment, wo ich mir wünschte, nicht so viel Phantasie zu haben.
 

"Wir behalten die Sachen natürlich an. Bei den Temperaturen trocken die schnell und gut am Körper!",
 

flüstere Jared leise, aber deutlich belustigt neben mir. Er konnte wohl wirklich meine Gedanken lesen.
 

"Aha!",
 

gab ich von mir, da kein Wort das beschreiben konnte, wie ich diese Tradition fand und wie ich mich dabei fühlte, dieser Tradition beizuwohnen. Ich sah kurz zu ihm auf. Er schien genau darauf gewartet zu haben, denn er fing meinen Blick sofort auf. Wieder unterlag ich seinen Augen. Jetzt schienen sie dunkler zu sein, wirkten tiefer und ein Schauer durchfuhr meinen gesamten Körper.
 

Durch seinen Blick abgelenkt stolperte ich prompt, und Jared lachte leise, eher er seinen Arm schützend auf meinen Rücken legte. Meine roten Wangen ignorierend starrte ich stur geradeaus und erkannte in der Ferne ein Glitzern. Je weiter wir gingen, umso mehr entpuppte sich das Glitzern, als die Seeoberfläche, welche von der Sonne angestrahlt wurde. Leider war mir immer noch keine Ausrede eingefallen, warum ich nicht fröhlich in den See springen konnte. Jedenfalls keine, die mir nicht unangenehm peinlich gewesen wäre.
 

Alle um uns herum beschleunigten ihre Schritte; konnten es kaum erwarten in den See zu springen. Das Wasser war bestimmt erfrischend bei den warmen Temperaturen.
 

"Ist es okay, wenn Kyle und ich schwimmen gehen?",
 

fragte Sally mich, während Kyle seinen monströsen Hut an seinem Rucksack festband.
 

"Natürlich! Geht nur!",
 

erwiderte ich lächelnd und hoffte so, wieder ein paar Augenblicke mit Jared allein zu haben. Noch ein paar weitere Schritte, und das dumpfe Aufprallen von Rucksäcken und Schuhen, welche unbedacht in den Sand geworfen wurden, war zu hören. Darauf folgte freudiges Gekicher und Geplantsche. Gatsby folgte Sally und Kyle freudig bellend und schmiss sich förmlich in die Wellen. Ich lachte und setzte meinen Rucksack ab. Ohne den Schatten der Bäume wurde mir schnell warm, und ich zog meine Kapuzenjacke aus.
 

Doch gerade als ich mich in den pudrigen, hellen Sand setzen wollte, griff Jared nach meiner Hand.
 

"Komm ich muss dir was zeigen!",
 

grinste er und zog mich mit sich. Ohne Widerreden folgte ich ihm. Vertraute ihm.
 

Er zog mich hinter sich her, während wir einen schmalen, von Felsen gesäumten Weg entlangkletterten. Ich starrte die ganze Zeit auf seine breiten Schultern. Sein leicht durchsichtiges Shirt ließ einen muskulösen Rücken erkennen. Ich erschauderte und ermahnte mich selbst, mich gefälligst zusammenzureißen.
 

"Da sind wir!",
 

strahlte Jared und drehte sich zu mir um, ohne meine Hand loszulassen. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir auf einem kleinen Abhang standen. Der See war gut zehn Meter unter uns. Ich japste erschrocken nach Luft und lehnte mich gegen die Felswand.
 

"Du musst keine Angst haben. Das macht Spaß, glaub mir. Shannon und ich sind schon ganz oft von hier gesprungen!",
 

lachte er und zog mich sanft von der Felswand weg.
 

"Wir springen zusammen, okay?",
 

raunte er in mein Ohr, und verstärkte den Griff um meine Hand.
 

Ich sah panisch den Abhang herunter, und mein Magen drehte sich mir um. Ich musste wieder an Dad und den Unfall denken. Den Aufprall. Seine toten Augen. Der metallische Geruch nach Blut. Der Qualm der in meinen Lungen brannte und mir die Luft zum Atmen nahm.
 

Ich spürte wie Jared mein Gesicht in seine Hände nahm. Seine Augen durchdrangen den dunklen Schleier der Erinnerung und ich schnappte nach Luft. Konnte wieder atmen. Hier war kein Qualm. Hier waren nur Jared und ich.
 

"Weißt du... mir hilft es immer, mich lebendig zu fühlen. Und ich möchte, dieses Gefühl mir dir teilen!",
 

flüsterte er leise und leckte sich über die Lippen.
 

"Ich habe keine Ahnung was das zwischen uns ist. Aber ich bin bereit es herauszufinden!",
 

raunte er und seine Züge bekamen etwas Sanftes. Ich krallte meine Hände in sein Shirt, weil meine Knie mal wieder drohten nachzugeben. Er spürte es also auch. Er spürte es auch und wusste nicht was es war. Es beruhigte mich irgendwie, dass wir beide ein gewisses Maß an Unwissenheit hatten.
 

"Spring mit mir!",
 

lächelte er und strich mit dem Daumen über meine Wange, was mein Herz fast zum Platzen brachte.
 

"Erzähl mir wie du mich gefunden hast! Dann spring ich mit dir!",
 

keuchte ich aufgeregt, von mir selbst überrascht, etwas so waghalsiges überhaupt in Erwägung zu ziehen.
 

Jared blinzelte mich verdutzt an, ehe er den Kopf in den Nacken legte und kurz aber herzhaft lachte.
 

"Stimmt ja. Das habe ich dir ja noch gar nicht erzählt. So spannend und aufregend wie deine Theorien ist die Geschichte leider nicht.",
 

seufzte er und sah mich entschuldigend an.
 

"Egal! Ich will es wissen! Sonst kannst du alleine springen!",
 

erwiderte ich und hielt seinem Blick stand.
 

"Also, ich erzähl dir, wie ich dich gefunden habe, und dann springst du mit mir. Hab ich dein Wort?",
 

fragte er und intensivierte seinen Blick, was mich zitternd seufzen ließ.
 

"Versprochen!",
 

nickte ich und sah ihn neugierig an.
 

"Okay!",
 

er nahm die Hände von meinem Gesicht, griff nach meiner Hand und stellte sich dicht an die Felskante. Durch seinen festen Griff war ich gezwungen es ihm gleich zu tun. Dennoch traute ich mich nicht hinabzusehen und starrte deshalb in die Ferne. Schaute auf die majestätischen Baumkronen und beobachtete kleine Vogelschwärme wie sie von Baum zu Baum flogen.
 

"Als wir uns im Wartezimmer unterhalten haben, kam ich nicht umhin den Aufnäher von der 'University of California Los Angeles', an deinem Rucksack zu bemerken. Und da du wie eine Studentin aussiehst und kohleverschmierte Hände hattest, war ich mir zu 99 Prozent sicher, dass du dort noch studierst. Auf dem Weg zu meinem Auto dann, sah ich das Polaroid. Und da ich Gatsby erst wenige Minuten vorher kennengelernt hatte, zog ich eins und eins zusammen. Ich hätte ja gerne auf dich gewartet und es dir gegeben, aber mein Bruder und ich hatten leider einen Termin!",
 

seufzte er und warf mir einen Seitenblick zu.
 

"Und weiter?",
 

wollte ich wissen, und Jared lachte wieder.
 

"Naja, wie soll ich sagen? Irgendwie gingst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Und ich dachte mir, dass du dein Polaroid bestimmt wieder haben möchtest, immerhin wirst du es ja aus einem bestimmten Grund geschossen haben. Und obwohl ich mir sicher war, wo du studierst, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen was du studierst. Du hättest Kunst auch nur als Nebenfach haben können, und daher die kohlebeschmierten Hände. Daher überredete ich Shannon, Jamie, Stevie und Shayla mir zu helfen. Da es an der Uni-"
 

"- fünf Eingänge gibt!",
 

unterbrach ich ihn keuchend und Jared lächelte verlegen. Jetzt ergaben Shannons und Jamies Andeutungen von heute Morgen einen Sinn.
 

"Ich habe ihnen gesagt, dass sie nach einer hübschen, brünetten Frau mit einem Dalmatiner namens Gatsby Ausschau halten sollen. Aber dass ich es sein würde, der dich findet war Zufall. Und ich bin diesem Zufall sehr dankbar!",
 

raunte Jared und drückte meine Hand.
 

"Was hättest du gemacht, wenn die anderen mich gefunden hätten?",
 

fragte ich unendlich gerührt, aber meine Neugier war noch nicht gestillt.
 

"Sie hätten mich angerufen und ich wäre gerannt wie der Teufel, um dich noch zu erwischen!",
 

grinste er und sah mich mit leuchtenden Augen an.
 

"Und jetzt hol tief Luft!",
 

lächelte er und sprang ohne Vorwarnung den Abhang herunter. Da er meine Hand fest umklammert hielt, zog er mich mit sich. Wir fielen zusammen in die Tiefe, während ich einen erstickten Schrei von mir gab. Er ließ meine Hand nicht los, auch nicht als wir in den See eintauchten.
 

Das Wasser war erfrischend kühl, doch seine warme Hand hielt meine unerbittlich fest. In diesem Moment, hatte ich die Gewissheit, dass er meine Hand nie mehr loslassen würde.
 

Ich war sicher.
 

Ich musste keine Angst mehr haben.
 

Ich fühlte mich lebendig.
 

Mit Jared.

KAPITEL FÜNF

KAPITEL FÜNF
 

Los Angeles, 2017
 

Warme Sonnenstrahlen streichelten meinen nassen Rücken, während sich die letzten Wassertropfen von meinen Locken lösten und still in den weichen Sand eintauchten. Meine Kapuzenjacke hing, schwer von dem eingesogenen Seewasser, provisorisch zum Trocknen an einem Ast. Das Wandern und Schwimmen hatte mich so hungrig gemacht, dass ich schon beinahe gierig in das selbstgemachte Sandwich von Mrs. Carter biss. Sally und Kyle waren noch im See und versuchten sich gegenseitig nasszuspritzen. Ihr Gelächter wurde, wie die sanften Wellen des Sees, ans Ufer geschwemmt. Ich beobachtete sie schmunzelnd. Beobachten war eventuell nicht die passendste Beschreibung. Starren oder gar Glotzen wären eine zutreffendere und unverschönte Charakterisierung meiner Blicke gewesen. Das war mein verzweifelter Versuch, mich selbst daran zu hindern, andauernd rechts neben mich zu schauen und etwas anderes anzustarren und anzuglotzen. Oder wohl eher jemand anderen ohne zu blinzeln zu begaffen.
 

Auch wenn ich nicht hinsah, war ich mir Jareds Nähe mehr als bewusst. Ich wusste nicht, wie ich es beschreiben sollte. Es fühlte sich wie ein sanftes Vibrieren an, dass mich wie ein leichter Mantel einhüllte und in mir regelmäßig eine Gänsehaut auslöste. Ich verbot es mir selbst in Jareds Richtung zu schauen, da ich meiner Selbstkontrolle nicht mehr vertraute. In Jareds Anwesenheit schien sie sich schier in Luft aufzulösen. Daran musste ich arbeiten. Dringend!
 

Und meine wildgewordenen Hormone, diese heimtückischen Verräter, sorgten dafür, dass vor meinem inneren Auge immer wieder die Szene abgespielt wurde, wie ich mit Jared ans Ufer gegangen war. Sein, durch das Wasser durchsichtiges, Shirt klebte ihm regelrecht am Oberkörper und betonte seine Muskeln. Muskeln welche ich nachzählte und mit Blicken verschlang. Auch erkannte ich unter dem nassen Stoff verborgene Tattoos. Die Künstlerin in mir, hätte am liebsten vor Freude jauchzend den Skizzenblock und Bleistift geschnappt, um die Bauchmuskeln und die breiten Schultern so schnell wie möglich auf Papier festzuhalten. Der, in mir neu erwachte und zu Peinlichkeiten neigende, Teenager musste sich daran hindern, ihn nicht anzusabbern.
 

"Sind die beiden schon lange zusammen?",
 

flüsterte Jared mir plötzlich ins Ohr und ich erschauderte. Mein eigenes auferlegtes Verbot seinen Anblick lieber zu meiden ignorierend, sah ich etwas erschrocken zu ihm auf. Nach seinem schiefen und frechen Grinsen zu urteilen, hatte er mein Schaudern bemerkt.
 

"Mm?",
 

brachte ich wortgewandt von mir, während mein Blick kurz über seine grinsenden Lippen streifte. Dadurch musste ich wieder an den Fast-Kuss denken. Schnell senkte ich den Blick und schluckte ungewollt betont laut; meine unbeholfene Bemühung ihn nicht Hier und Jetzt anzusabbern.
 

"Sally und Kyle!",
 

erklärte er grinsend und nickte in die Richtung meiner Freunde. Ich sah zu den beiden und lächelte sanft.
 

"Ich glaube, dass sie offiziell noch nicht zusammen sind. Jedenfalls hat Sally nichts gesagt. Das ist heute aber auch das erste Mal, dass sie sich außerhalb der Uni treffen!",
 

erklärte ich und zuckte mit den Schultern.
 

"Oh!",
 

kam es nur von Jared und begann weiter sein Popcorn zu essen.
 

"Willst du auch?",
 

fragte er mich grinsend und ich lachte leise.
 

"Ich glaube du bist der einzige Mensch auf der Welt, der es für eine gute Idee hält, Popcorn als Proviant mit auf eine Wanderung zu nehmen!",
 

stellte ich belustigt fest und naschte etwas von dem süßen Popcorn.
 

"Popcorn kann man überall essen!",
 

zwinkerte er und schob sich eine ganze Handvoll in den Mund, was mich wieder zum Lachen brachte. Noch ehe ich ihm zustimmen konnte, schob sich Shannon zwischen uns.
 

"Wir sollten langsam zurück, bevor es zu dunkel wird. Außerdem haben wir ja noch-",
 

brummte Shannon und hielt, mit einem bedeutungsvollen Blick in meine Richtung, inne.
 

"... einen Termin!",
 

knirschte er mit den Zähnen. Ich traute mich nicht den Blick zu senken, also starrte ich ihn mit großen Augen an. Das Atmen hatte ich vor Anspannung eingestellt. Mir fiel zwar auf, dass er das Wort "Termin" eigenartig betonte, aber ich hätte mich im Leben nicht getraut, nach dessen Bedeutung zu fragen.
 

Jared räusperte sich und drängte Shannon mit seinem Arm wieder zurück.
 

"Du hast Recht!",
 

sagte er zu seinem Bruder, sah mich dabei aber entschuldigend an. Ich lächelte ihn leicht an, um ihm zu verdeutlichen, dass ich ihm nicht böse war und nickte.
 

"Ich hol dann mal Sally und Kyle!",
 

lächelte ich und stand auf. Gatsby, welcher bis eben leise schnarchend in der Sonne gedöst hatte, wurde durch meine Bewegungen wach und sah mich vorwurfsvoll an. Heftig gähnend und sich streckend stand er auf und tapste mir hinterher.
 

Ich spürte Jareds Blick auf meinem Rücken, und einem naiven Impuls folgend, versuchte ich elegant zum Ufer zu gehen. Leider konnten meine Füße diese waghalsige Information nicht verarbeiten und standen sich direkt selbst im Weg. Unbeholfen herumstolpern war das genaue Gegenteil von anmutiger Eleganz. Innerlich fluchend und vor Scham zergehend, stakste ich zum Ufer.
 

"Sally! Kyle! Wir wollen langsam los, bevor es zu dunkel wird!",
 

sagte ich laut und es tat mir schon fast leid die beiden beim gegenseitigen Necken zu unterbrechen. Sally sah mich außer Atem an und nickte, während er nach Kyles Hand griff und zusammen mit Ihm zum Ufer watete.
 

"Ist es schon so spät? Hab ich gar nicht mitbekommen!",
 

grinste Sally und wrang sich neben mir seine blauen Haare aus.
 

"Und wie läuft es?",
 

flüsterte er leise und ich zuckte errötend mit den Schultern.
 

"Sein Bruder mag mich nicht!",
 

wich ich aus und fuhr mit meinem nackten Fuß durch den weichen Sand.
 

"Ach der taut noch auf.",
 

winkte Sally ab und Kyle nickte zustimmend. Und wieder überkam mich dieses eigenartige Gefühl, dass die beiden mehr wussten als ich. Ich hob eine Augenbraue und mustere Sally abwartend. Doch dieser achtete nicht auf meinen fragenden Blick, da etwas hinter mir, seine Aufmerksamkeit weckte.
 

"Prince Charming beobachtet dich!",
 

grinste er breit, und ich konnte ein leises Kichern in seiner Stimme hören. Kaum hatte ich die Worte verarbeitet, versteifte sich mein ganzer Körper.
 

"Wie guckt er denn?",
 

fragte ich gerade so laut genug, dass Sally mich hören konnte. Ich selbst wagte es nicht hinter mich zu schauen, und wieder in den Bann seiner klaren, blauen Augen zu tauchen. Schließlich war mein größtes Ziel heute, keinen weiteren Peinlichkeiten zu unterliegen. Und dafür brauche ich meine ganze Konzentration; eine Konzentration, die durch Jareds blaue Augen schnell abgelenkt wurde.
 

"Er sieht dich auf eine Art an, mit der man gerne angesehen wird. Weißt du wie ich das meine?",
 

flüstere Sally und warf kurz Kyle einen verliebten Blick zu. Ich runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf.
 

"Woher soll ich wissen was du meinst?!",
 

murmelte ich etwas verärgert. Schließlich wurde ich noch nie von einem Mann angesehen. Also nicht auf 'eine Art, mit der man gerne angesehen wird'. Ich kannte viele Blicke. Mitleidige Blicke von Freunden und Verwandten nach dem Unfall. Abschätzende und hasserfüllte Blicke von meiner Schwester. Lustige Blicke von Sally. Genervte Blicke von Amy. Sanfte Blicke von Ben. Und nicht zu vergessen die herzerwärmenden Blicke meines Vaters. Doch an seine Blicke durfte ich nicht denken. Nicht jetzt. Damit tat ich mir keinen Gefallen. Also schloss ich die Erinnerungen an diese Blicke schnell wieder weg; vergrub sie ganz tief in mir.
 

"Naja... er sieht dich an, als ob du die einzige Person hier wärst.",
 

erklärte er.
 

"Das klingt zwar kitschig, aber es stimmt!",
 

bestätigte Kyle und trocknete sich mit seinem Shirt, welches er vor dem Schwimmen ausgezogen hatte, grob ab.
 

"Und das ist was Gutes?",
 

fragte ich unnötiger Weise, und ich spürte wie meine Wangen vor Wärme pulsierten.
 

"Sogar was sehr Gutes!",
 

lächelte Sally und zwickte mir in die Seite. Ich lachte auf und schob seine Hand weg.
 

Zusammen gingen wir zurück zu den Anderen, welche bereits eifrig am Packen waren. Bei diesem Anblick wurde mir das Herz schwer. Ich konnte es nicht erklären. Der Tag neigte sich dem Ende und es war nur noch eine Frage der Zeit bis ich mich von Jared verabschieden musste. Und obwohl ich die aufkeimende Gewissheit hatte, dass es nicht das letzte Mal war, dass Jared und ich uns sehen würden, war ich auf eine eigenartige Weise traurig, dass unser gemeinsamer Tag bald vorbei war. Ich stopfte alle meine Sachen zurück in meinen Rucksack, einschließlich meines leider immer noch feuchten Kapuzenpullis. Meine Polaroidkamera hing ich mir um den Hals und sofort wurde mein schwermütiges Herz leichter.
 

Ich ließ mich in den Sand plumpsen und zog meine Turnschuhe an, als ein Schatten auf mich fiel und Jared sich neben mich hockte.
 

"Hier!",
 

raunte er auf Gänsehaut erregende Weise und reichte mir einen Pullover. Statt eine Frage zu formulieren, oder gar nach dem Pullover zu greifen, sah ich ihn verwirrt an.
 

"Wenn wir wieder im Wald sind, wird es um einiges Kälter sein, als heute Mittag. Ich will nicht, dass du frierst!",
 

lächelte er und hielt mir den Pullover jetzt direkt vors Gesicht. Ich wusste, dass dieses liebenswerte Angebot seiner Höflichkeit zuzuschreiben war, aber meinem Herzen war das egal. Es schlug so laut und heftig, dass mir kurz der Atem stockte und mein Bauch sich auf herrliche Weise zusammenzog.
 

"Danke!",
 

wisperte ich und nahm den Pullover. Jared zwinkerte mich an. In seinen Augen spiegelte sich das frühe Dämmerungslicht. Seinen Augen schienen zu leuchten. Sie leuchteten. Und das nur für mich.
 

Ich spürte wie seine Augen über mein Gesicht strichen; schon beinahe streichelten. Überall wo er mich ansah, begann meine Haut angenehm zu kribbeln. Angefangen bei meiner Stirn, über meinen Nasenrücken bis zu meinen Lippen, welche mit einem sanften Beben reagierten. Er sah mich an wie etwas Kostbares; gar etwas Zerbrechliches. Doch in seiner Nähe war ich nicht zerbrechlich. Auch wenn ich sonst nichts in seiner Nähe wusste, war ich mir dieses Gefühls sicher.
 

Er reichte mir seine Hand und ich ergriff sie sofort. Er zog mich auf meine Füße. Ich nahm meine Polaroidkamera wieder ab und zog mir Jareds Pullover an. Ich musste mich zusammenreißen, nicht zu enthusiastisch an dem weichen Stoff zu riechen. Der Pullover roch nach Jared. Es war das Schönste was ich je gerochen hatte. Ich spürte wie sich meine Nackenhärchen aufgeregt aufstellten und ein gänsehautartiges Schaudern über meinen Rücken zog.
 

"Steht dir!",
 

grinste er und ich lächelte verlegen. Ich schulterte meinen Rucksack, hing mir meine Polaroidkamera wieder um den Hals und nahm Gatsbys Leine in die Hand. Ohne ein weiteres Wort zu verschwenden, griff Jared nach meiner freien Hand und verflocht seine Finger mit den meinen. Es fühlte sich wie ein Versprechen an.
 

Auf dem Rückweg schwiegen wir, weil wir wussten, dass jedes weitere Wort zwischen uns nicht für die Ohren Anderer bestimmt war. Und so schwiegen wir in angenehmer Harmonie und genossen die Anwesenheit des Anderen.
 

Die Sonne war bereits untergangen, lediglich ihre letzten Strahlen erleuchteten den Himmel in einem warmen Orange und leuchtenden Rosa. Und dennoch erschien es mir viel zu früh, als meine Füße nicht mehr auf den erdigen Waldboden, sondern auf den grauen Asphalt des Parkplatzes traten.
 

Ich wusste, dass es albern war. Albern und kindisch und infantil. Aber ich wollte Jared nicht verabschieden. Ich wollte weiter bei ihm bleiben. Ich wollte weiter Zeit mit ihm verbringen. Ich wollte ihn besser kennenlernen. Ich wollte seine Hand nicht loslassen.
 

"Da wären wir!",
 

raunte Jared mit rauer Stimme und ich nickte, während ich scheu in sein Gesicht sah.
 

"Irgendwie kam mir der Rückweg schneller als der Hinweg vor!",
 

gestand ich und sah auf meine Füße.
 

"Mir auch!",
 

flüstere er und aus dem Augenwinkel sah ich, wie er nach einer meiner Locken griff. Neugierig sah ich wieder zu ihm auf. Er lächelte mich sanft an und strich meine verirrte Strähne mit einer mir unbekannten Zärtlichkeit hinters Ohr.
 

"Ist es okay, wenn ich dich morgen anrufe?",
 

fragte er und ich sah kurz ein kleines Fünkchen Unsicherheit in seinen Augen aufblitzen.
 

"Natürlich!",
 

sagte ich mit viel zu lauter Stimme und nickte viel zu eifrig. Meine Unbeholfenheit ließ Jared leise auflachen, und auch ich musste schmunzeln.
 

"Gut! Dann können wir einen Tag ausmachen, wo wir ungestörter sind!",
 

grinste er und deutete mit einem Blick zu seinen Freunden, die so taten, als ob sie uns nicht zuhören oder anstarren würde.
 

"Klingt gut!",
 

kicherte ich schon fast, und sah zu Sally und Kyle, welche ertappt zusammenzuckend so taten als würden sie sich unterhalten. Allein das brachte mich wieder zum Lachen.
 

"Jetzt weiß ich, wie sich Goldfische im Glas fühlen müssen!",
 

grinste ich und Jared nickte zustimmend. Doch von einem Augenblick auf den Anderen, verschwand sein Lächeln auf den Lippen und er sah mich ernst an, als seine Hände vorsichtig meine Schultern packten.
 

"Was-",
 

wollte ich fragen, doch Jared unterbrach mich sofort.
 

"Ist nur eine Sicherheitsmaßnahme, damit du nicht wieder im Stehen stolperst, oder irgendwas anderes Undenkbares passiert!",
 

grinste er mit leuchtenden Augen, was meine Knie wieder weich werden ließ. Ein Glück, dass er mich festhielt. Gatsby winselte leise und stupste mit der Schnauze gegen mein Bein, doch ich war gerade nicht in der Lage auf ihn zu achten.
 

Noch ehe ich fragen konnte, warum Jared solche Sicherheitsmaßnahmen traf, beugte er sich vor und ich schnappte bebend nach Luft. Seine Lippen strichen kurz über meinen Mundwinkel und legten sich dann auf meine Wange. Ich schauderte und drückte mich leicht gegen ihn. Meine Haut unter seinen Lippen prickelte und ich seufzte leise; verzaubert; verzerrend; verloren.
 

Ein leises, nur für mich gedachtes, Raunen ging durch Jareds Körper und flutete meine Haut mit elektrisierenden Fünkchen. Ich biss mir auf die Unterlippe und strich mit der Nase über seinen Bart. Nach einigen und viel zu wenigen Augenblicken löste Jared sich langsam von mir. Ich sah ihm direkt in die Augen. Jetzt wirkten sie dunkel und schwer. Ich sah mein Spiegelbild in ihnen und es war beinahe so, als ob seine Augen mich verschlingen würden. Und in diesem Moment wäre ich liebend gerne von ihnen verschlungen worden.
 

"Dann hören wir uns morgen!",
 

lächelte er schief und ich nickte etwas steif, weil mein Gehirn noch benommen war.
 

"Bis morgen!",
 

hauchte ich und erwiderte sein Lächeln.
 

Ohne mich weiter zu rühren, sah ich ihm zu, wie er sich abwandte und ins Auto stieg. Ich wandte meinen Blick nicht von ihm ab. Als er den Motor startete, sah er noch einmal zu mir herüber und ich lächelte übers ganze Gesicht. Und dann fuhr er weg. Gatsby bellte aufgebracht. Aber ich hörte das Bellen nicht. Es prallte dumpf an mir ab, weil ich Jared immer noch vor mir sah, wie er meine Wange küsste. Ich spürte immer noch seine Lippen auf meinen roten Wangen. Ich roch immer noch seinen verführerischen Duft. Und ich hörte sein Versprechen in meinen Ohren widerhallen.
 

"W-O-W! Dich hat es echt schwer erwischt!",
 

staunte Sally, der plötzlich neben mir stand und Gatsby streichelte. Ich sah ihn blinzelnd an.
 

"Es hat dich ziemlich schwer erwischt!",
 

wiederholte er grinsend und mein Hirn wurde langsam klarer.
 

"Erwischt?",
 

fragte ich und leinte Gatsby ab, damit er auf den Rücksitz springen konnte. Sally rollte belustigt mit den Augen.
 

"Du bist total verliebt!",
 

lachte er und nahm mir den Rucksack ab, um ihn schwungvoll in den Kofferraum zu schmeißen.
 

"Verliebt...!",
 

sagte ich leise und strich über meine Wange, welche immer noch warm von Jareds Kuss war. Ja. Verliebt. Hoffnungslos, unwiderruflich und unabänderlich verliebt. Ich nickte und Sally grinste nur noch breiter.
 

"War doch gut, dass deine gute Fee dich gedrängt hat, heute hierherzukommen!",
 

flötete er und piekte mir seinen Ellenbogen in die Seite. Ich lachte, ging aber nicht auf seine freundschaftliche Provokation ein. Damit er sich in Ruhe und mit der erwarteten Angemessenheit von Kyle verabschieden konnte, stieg ich ins Auto und ließ mich auf den Beifahrersitz fallen. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich immer noch Jareds Pullover trug. Ich grinste und roch an dem weichen Stoff. Ein Kichern drang ungewollte aus mir heraus und Gatsby streckte den Kopf zwischen die beiden Sitze, um mich neugierig und schwanzwedelnd anzusehen. Ich kraulte ihm das Ohr, während ich ihm versicherte, dass das heute der schönste Tag seit Langem gewesen war.
 

Ich hörte wie ein Motor gestartet wurde. Kyle musste losgefahren sein. Kurz darauf ließ sich Sally hinters Steuer fallen. Er seufzte.
 

"Anscheinend hat es meine gute Fee auch erwischte!",
 

lächelte ich sanft und Sally lachte leise.
 

"Mein Bibbidi Bobbidi Boo ist halt so stark, dass es für vier Leute ausreicht!",
 

gab er mit stolzer Brust von sich und ich lachte laut.
 

"Danke, dass du mich überredet hast!",
 

sagte ich dann leise, als er den Schlüssel ins Zündschloss steckte. Sally hielt in seiner Bewegung inne und sah mich an.
 

"Dafür sind Freunde da. Außerdem will ich, dass du glücklich bist. Und ich glaube mit ihm wirst du das irgendwann sein!",
 

gab er leise von sich und tätschelte mein Knie. Mein Herz quoll über vor lauter Rührung und Gefühlsseligkeit. Weil ich nicht wusste, wie ich das in Worte fassen sollte, griff ich nach seiner Hand und drückte sie. Sally verstand mich und nickte lächelnd.
 

"So! Genug mit der ganzen Ernsthaftigkeit. Lass und nach Hause. Ich sterbe vor Hunger!",
 

grinste er und fuhr los. Ich sah aus dem Fenster, obwohl dort nur das Schwarz der Nacht zu sehen war. Ich ließ den Tag Revue passieren, und konnte selbst nicht umhin zu bemerken, dass sich meine Lippen, ohne mein Zutun, zu einem strahlenden Lächeln formten. Ich war glücklich. Das war ich schon lange nicht mehr gewesen.
 

Auf dem Weg zur Ranch von Sallys Eltern schrieb ich Ben eine Nachricht. Ich hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen, dass ich mich seit heute Morgen nicht mehr gemeldet hatte.
 

                                   DU 20:32

                                   Hey! :)Sally und ich sind aufm Rückweg.

                                   Die Wanderung lief super. Stell dir vor,

                                   ich habe sogar Kolibris gesehen. Konnte

                                   ein Polaroid davonmachen! :3
 

                                   BEN OHNE JERRY 20:34

                                   Hey Kleines! :)

                                   zum Glück. Hab mir ab und zu

                                   schon Sorgen gemacht. ^^'

                                   Na das Polaroid werde ich mir morgen

                                   sofort ansehen!

                                   Sag Sally, dass er dich nicht fahren braucht.

                                   Ich hol dich ab!
 

                                   DU 20:35

                                   Cool! Freu mich schon! ;D
 

                                   BEN OHNE JERRY 20:33

                                   Ich mich auch! :-)

                                   Schlaf nachher schön!
 

Ich grinste das Display meines Handys an. War jetzt nur zu hoffen, dass Amy nicht mehr im Auto saß, wenn er mich abholte. Aber Hauptsache Ben war wieder da. Ich steckte mein Handy wieder in die Hosentasche und Sally drehte die Musik auf. So kamen wir, schief und inbrünstig singend mit einem jaulenden Hund, auf der Ranch an. Sallys Mutter winkte uns von der Veranda aus. Ich stieg aus und wurde sofort vom leckeren Geruch des Abendessens begrüßt.
 

"Uh es gibt Lasagne!",
 

grinste Sally und leckte sich über die Lippen. Ich nickte nur, während mein Magen laut knurrte. Gatsby sprang schwanzwedelnd aus dem Auto und folgte mir in die Küche. Da die für Gatsby hinterhältige und böswillige Katze der Caters gerade draußen durch die Dunkelheit streifte, traute er sich, sich unter dem Essenstisch auf meine Füße zu legen. Natürlich mit der Hoffnung, dass im Laufe des Abendessens ein paar Happen Fleisch den Weg zu ihm finden würden.
 

Müde von einem vollen Magen und den am Tag gelaufenen Kilometern, als auch erschöpft von dem vielen Herzklopfen, gähnte ich bereits, als Sally und ich die Treppe zu seinem Zimmer hochgingen. Sally lachte nur und überließ mir den Vortritt im Bad. Ich entschied mich ein Bad einzulassen, weil meine Beine etwas schmerzten und die Wärme würde meinen beanspruchten Sehnen und Muskeln guttun. Ich ließ mich langsam in das heiße und schaumige Wasser gleiten, während Gatsby sich vor der Wanne lang machte.
 

Ich massierte meine Beine so, wie Aiden es mir gezeigt hatte. Es schmerzte etwas, aber es war auszuhalten. Noch nach all den Jahren fühlte es sich komisch an, die vernarbte Haut zu berühren. Langsam fuhr ich mit der Hand über eine der Narben. Ich sah zwar, dass ich mein Bein berührte, doch ich spürte es nicht; zumindest nicht sonderlich. Es war tote und hässliche Haut, die meine Beine zusammenhielt. Doch ich begrüßte die Taubheit. Anfangs hatten die tiefroten Narben geschmerzt, waren wund gewesen und hatten empfindlich auf Wetterumschwünge reagiert. Heute waren sie blasser, rauer und beinahe taub. Taub war besser als Schmerz.
 

Ich seufzte resigniert und schob meine Beine unter das Wasser, wo sie von einer dicken Schaumdecke verschluckt wurden. Ich wusch mir das Gesicht und strich mit meiner Hand über meinen Hals. Kurz bevor die Schulter begann, spürte ich sie. Meine andere Narbe. Sie war feiner und nur an einer leichte Erhebung in der Haut zu erahnen. Sie war schwieriger zu erkennen und sie kitzelte, wenn ich darüber strich. Ich war ein Mädchen voller Narben. Sichtbare und innerliche.
 

Sally klopfte an die Badezimmertür und Gatsby als auch ich schreckten hoch.
 

"Alles okay?",
 

fragte Sally, seine Stimme hörte sich stumpf durch die Holztür zwischen uns an.
 

"Ja! Natürlich!",
 

sagte ich sofort und war erleichtert aus meinen Gedanken gerissen worden zu sein.
 

"Ich bin gleich fertig!",
 

ergänzte ich und stand auf. Ich griff nach dem Handtuch und trocknete mich ab, ehe ich in meinen Pyjama schlüpfte. Als ich die Tür öffnete, stand Sally noch da und musterte mich. Ich schnitt eine Grimasse und er lachte leise.
 

"Wollen wir gleich noch einen Film gucken?",
 

fragte er und ich nickte.
 

"Klingt gut!",
 

lächelte ich und schlurfte in Sallys Zimmer. Ich ließ mich auf Sallys Bett fallen und Gatsby sprang sofort neben mich und gähnte herzhaft.
 

"Ich auch Kumpel!",
 

gähnte ich und streckte mich auf dem großen Bett aus. Das Bad hatte mich noch müder gemacht. Und so bekam ich gar nicht mehr mit, wie Gatsby sich neben mich kuschelte. Meine Augenlider waren unglaublich schwer und fielen einfach zu, um mich in einen Traum zu tragen.
 

Plötzlich stand ich mit Jared wieder an der Klippe. Er lächelte mich auf diese herzerwärmende Weise an. Und ich lächelte zurück. Ich konnte gar nicht anders. Er nahm meine Hand und ich ließ es zu.
 

"Lass uns springen! Zusammen!",
 

lachte er und ich wollte schon kichernd zustimmen, als mein Blick nach unten fiel. Dort war kein See. Kein glitzerndes Wasser. Dort war nur Stein. Harter, spitzer Stein. Und je länger ich hinsah, umso deutlicher sah ich etwas Weißes. Etwas Weißes mit roten Streifen. Ich zog scharf die Luft ein, als ich unseren Schulterdecker erkannte. Ich stand so dicht an der Klippe, dass sich kleine Steine von der Kante lösten und hinunterfielen. Laut prallten sie auf das kleine Flugzeug meines Vaters. Ich wollte hier weg; musste hier weg. Doch Jareds Hand hielt mich erbarmungslos fest.
 

"Lass uns zusammen springen!",
 

wiederholte er und seinem Blick fehlte jede Freundlichkeit. Seine Augen waren leer und hohl. Wie zwei schwarze Abgründe verzogen sie sein Gesicht in eine unmenschliche Fratze. Ich schnappte erschrocken nach Luft und schlug mit meiner freien Hand so kräftig ich konnte gegen seinen Arm. Doch er löste den Griff nicht. Stattdessen sprang er von der Klippe. Und zog mich mit. Zog mich mit in die Tiefe. Vor Schreck konnte ich noch nicht mal schreien. Ich schloss die Augen und machte mich auf den Aufprall gefasst. Doch statt an einem der spitzen Steine aufgespießt zu werden, kroch beißender Qualm in meine Nase. Krächzend hustend öffnete ich die Augen. Ich fiel nicht mehr. Jared war weg und ich saß in dem kleinen Flugzeug. Schwarzer Rauch brannte in meinen Augen und in meiner Lunge. Ich hustete schwarzen Ruß und meine Kehle schmerzte. Ich bekam keine Luft. Ich wollte die Gurte lösen, doch als ich den Arm bewegte, schrie ich vor Schmerz auf. Ein Teil des Flugzeugs steckte in meiner Schulter. Meine Tränen hinterließen weiße Spuren auf meinem verrußten Gesicht.
 

Ich hörte wie Steine auf das Dach des Flugzeugs prallten. Es bewegte sich leicht, und drohte weiter abzustürzen. Ich schrie erschrocken auf. Schrie nach meinem Vater. Mein Vater. Wo war er? Das Metallteil in meiner Schulter versperrte mir meine Sicht zu seinem Sitz. Ich schrie immer wieder nach ihm. Doch keine Antwort. Das Flugzeug bewegte sich in dem starken Wind und ich keuchte vor Schmerz.
 

Ich musste aus dem Flugzeug raus. Das wusste ich. Und ich wusste auch, was ich tun musste um aus dem Wrack zu kommen. Ich atmete ein paar Mal tief durch, was in meinen Lungen ein ungeahntes Feuer entfachte. Mit einem kräftigen Ruck zog ich an dem Metallteil. Es löste sich und ich schrie auf vor Schmerz. Ich spürte wie warmes Blut meine Schulter herunterlief. Unachtsam warf ich das Metall weg und befreite mich aus den straffen Gurten.
 

Und dann sah ich sie. Meine Beine. Sie steckten zwischen zwei abgebrochenen Propellerflügeln. Ich spürte sie nicht. Der Anblick brachte mich zum Wimmern. Das Flugzeug wurde wieder von einem Stein getroffen und sackte weiter ab. Ich schrie erschrocken auf und erkannte plötzlich, zwischen all dem Schutt und dem stinkendem Qualm, die Hand meines Vaters. Ich weinte beinahe mehr vor Erleichterung, als vor Schmerz.
 

"Dad!",
 

schrie ich und streckte mich zu seiner zuckenden Hand. Es tat unendlich weh, aber ich musste ihn festhalten. Er würde wissen was zu tun war. Ich klammerte mich an seine Hand. Er erwiderte den Griff nicht. Seine Hand zuckte einfach weiter. Und als der Qualm für einen Augenblick dünner wurde, sah ich es.
 

Der Sitz meines Vaters war ab Schulterhöhe abgerissen und ein spitzer Stein hatte sich durch das Flugzeug gebohrt. Erschrocken ließ ich die Hand los und starrte ungläubig auf den kopflosen Sitz. Vergessen waren meine Schmerzen. Vergessen waren meine eingekeilten Beine. Vergessen war das Feuer, das das Flugzeug zu verschlingen drohte. Vergessen war der drohende Absturz des Flugzeugs. Ich konnte einfach nur starren. Ich starrte auf den leblosen und noch leicht zuckenden Körper meines Vaters. Ich konnte meinen Blick nicht lösen und begann unkontrolliert zu zittern.
 

Dann schrie ich. Ich schrie so laut, wie ich noch nie in meinem Leben geschrien hatte.
 

Ich schrie mir die Lunge aus dem Leib. Ich schrie selbst dann noch, als meine Stimmbänder zu reißen drohten und nur noch krächzende Töne hervorbrachten. Ich schrie bis ich stumm war und selbst dann schrie ich noch.
 

Ich schrie. Und schrie. Und schrie. Bis ich selbst zu einem Schrei wurde. Einem Schrei aus Schmerz, Trauer und Tod.
 

Und da wusste ich es. Ich würde hier und jetzt sterben.
 

Und so schrie ich.
 

Und schrie.
 

Und schrie.

KAPITEL SECHS

KAPITEL SECHS
 

Los Angeles, 2017
 

Ich hörte meinen Namen. Es klang dumpf und weit weg. Vielleicht bildete ich mir das nur ein. Hier konnte niemand nach meinem Namen rufen. Ich war hier allein. Allein und eingekeilt; dazu verdammt auf den Tod zu warten. Ich würgte. Mein Hals brannte. Der Qualm schien meine Lungen von Innen aufzufressen. Meine Schreie waren versiegt; hallten nur noch in meinen Gedanken wider. Neben erschreckenden Gedanken. Es waren keine Gedanken über eine Rettung. Rettung hatte ich längst aufgegeben. Das Feuer breitete sich viel zu schnell aus. Niemand würde mich rechtzeitig finden. Ich hoffte viel mehr auf Erlösung. Auf das ich endlich erstickte, verbrannte oder noch weiter abstürzte und von einem der spitzen Felsen durchbohrt wurde. Ich konnte nicht mehr; wollte nicht mehr.
 

"ROSE!",
 

schrie plötzlich jemand und mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich sah auf und blinzelte direkt in besorgte und warmgraue Augen. Ben! Ich schnappte nach Luft um ihn anzubrüllen und wegzuscheuchen. Er sollte sich in Sicherheit bringen. Für mich und Dad war es zu spät, aber nicht für ihn. Er sollte mich einfach hier lassen. Damit würde er uns beiden einen Gefallen tun. Und obwohl er direkt vor mir hockte und ich sah, dass sich seine Lippen bewegten, konnte ich ihn nicht verstehen. Es war als ob zwischen uns eine dicke Glaswand wäre und seine Worte prallten an ihr ab und nur dumpfe und verzerrte Laute drangen zu mir.
 

Ich schnappte wieder nach Luft, was meine Lungen zum Platzen und meinen Hals zum Würgen brachte. Ich versuchte Ben von mir zu stoßen, weil meine wunden Stimmbänder mir nicht mehr gehorchten und kein Ton meine Lippen verließ. Es tat endlos weh. Und ich wollte, dass es aufhörte. Ich konnte nicht mehr; wollte nicht mehr.
 

"Rose! Es ist alles gut. Du bist in Sicherheit. Du bist bei mir!",
 

drangen Bens Worte zu mir. Seine Worte klangen plötzlich glasklar und direkt an meinem Ohr. Ich zuckte erschrocken zusammen und hielt den Atem an, was meine brennende Lunge kurz beruhigte. Ich spürte seine Hände die mein Gesicht umfassten und mich zwangen ihm weiter in die Augen zu sehen.
 

"Du bist in Sicherheit. Du bist bei mir!",
 

wiederholte mein Bruder mit tiefer Stimme und ein verzweifeltes Zittern ging durch meinen Körper. Wie konnte ich in Sicherheit sein? Hier in dieser brennenden Hölle die bereits unseren Vater verschluckt hatte und die auch keinen Halt davor machen würde, mich und ihn zu verschlingen; bei lebendigem Leib zu verbrennen. Ich weinte, weil ich hilflos war, weinte weil ich mich bereits vom Leben verabschiedet hatte und weinte, weil ich den Schmerz nicht länger ertrug. Ich konnte nicht mehr; wollte nicht mehr.
 

"Du bist in Sicherheit. Du bist bei mir!",
 

hörte ich wieder Bens Stimme, als ein sanfter Ruck durch meinen Körper ging. Bens starke Arme umschlangen meinen zitternden Körper und hoben mich mit Leichtigkeit hoch. Ich hielt mich automatisch an ihm fest, während mein Kopf gegen seine Brust gedrückt wurde. Ich hörte seinen Herzschlag. Stark. Stetig. Beruhigend.
 

Bumbum Bumbum Bumbum
 

Wie hatte er das nur geschafft? Wie hatte er so schnell meine Beine aus dem verbogenen Metall befreien können?
 

Bumbum Bumbum Bumbum
 

Etwas in mir regte sich; kroch langsam an die Oberfläche. Ich konnte aufgeregtes Hundegebell hören. Gatsby?
 

Bumbum Bumbum Bumbum
 

Mein Körper entspannte sich. Meine Glieder hörten auf zu zittern. Meine Lunge brannte nicht mehr. Meine Beine waren nicht länger leblos.
 

Bumbum Bumbum Bumbum
 

Ein verzweifeltes Wimmern verließ meine Kehle, als ich meine Tränen weggeblinzelte und meine Umgebung erkannte. Ich war in Sallys Zimmer. Ich war nicht mit meinem Vater im brennenden Flugzeug. Scherben lagen auf dem Boden verstreut. An einigen Bruchstücken klebte eine rote Flüssigkeit und kaum als ich dies sah, spürte ich ein leichtes Brennen an meinem Unterarm. Ich sah auf und wünschte mir beinahe sofort, dass ich dies nicht getan hätte. Ich sah in die kreidebleichen Gesichter der Carters. Ihre Blicke lagen auf mir. Ihr Mitleid und ihre Sorge erdrückten das Zimmer und ich schloss die Augen. Ich wollte ihr Mitleid nicht; wollte ihre Angst nicht; wollte nicht, dass sie mich so sahen und erkannten was ich wirklich war. Eine menschliche Hülle, die nur aus schlechten Erinnerungen bestand und an diesen zu zerbrechen drohte.
 

"Tut mir leid!",
 

murmelte ich zu niemandem Bestimmten und heiße Tränen rollten über mein Gesicht. Jemand legte tröstend eine Hand auf meine Schulter. Und auch wenn ich meine Augen nicht öffnete, wusste ich, dass es Sally war. Er wickelte behutsam etwas um meinen Arm, während ich still weinte und Ben mich weiter festhielt.
 

"Es wird alles wieder gut!",
 

sagte Ben leise und trug mich die Treppe runter. Ich krallte mich in sein, von meinen Tränen, nasses Shirt.
 

"Tut mir leid!",
 

wiederholte ich mit kratziger Stimme. Ich wusste nicht was ich sonst sagen sollte. Ich hörte Mrs. Carter etwas flüstern, aber ich konzentrierte mich wieder auf Bens Herzschlag.
 

Bumbum Bumbum Bumbum
 

Es war beruhigend und holte mich zurück in die echte Welt. Ich fühlte Bens Bartstoppeln an meiner Nasenspitze, als er auf Mrs. Carters Worte nickte. Die Haustür ging auf, und nach Heu riechende Luft erfüllte meine Lungen. Ich schnappte nach mehr Luft, nur um mich davon zu überzeugen, dass meine Lungen nicht mehr aus Ruß bestanden.
 

Bumbum Bumbum Bumbum
 

Ich hörte wie eine Autotür geöffnet wurde und Ben beugte sich langsam vor.
 

"Es ist alles gut. Du bist in unserem Wagen.",
 

raunte Ben leise und setzte mich auf dem weichen Sitz ab. Er schnallte mich vorsichtig an, weil ich keine Anstalten machte mich zu bewegen. Und ich konnte mich auch nicht bewegen. Es fühlte sich an, als ob an meinen Armen und Beinen schwere Bleigewichte hingen und mich runterzogen; mich zurück in die grauenvolle Tiefe meiner Erinnerungen ziehen wollten.
 

Gatsby kroch vorsichtig neben mich und legte winselnd seinen Kopf auf meinen Schoß. Ben drückte meine Hand und legte diese dann auf Gatsbys Kopf. Ich öffnete meine Augen einen kleinen Spalt breit.
 

"Ich rede noch kurz mit den Carters. Und dann fahren wir los, okay Rosie?!",
 

flüsterte Ben mit leicht zitternder Stimme und ich nickte, was mich all meine Kraft kostete. Er beugte sich zu mir und gab mir einen Kuss auf die Stirn, ehe er die Wagentür schloss.
 

Ich lehnte meinen erhitzten Kopf gegen das kalte Glas des Autofensters und sah Ben nach, wie er in Begleitung von Sally wieder Richtung Haus ging.
 

"Tse!",
 

ertönte es unvermittelt vom Beifahrersitz. Ich blinzelte und bemerkte erst jetzt, dass Ben mich auf die Rückbank gesetzt hatte. Amys eiskalter Blick durchbohrte mich, als sie sich auf dem Sitz umdrehte, um mich besser mustern zu können. Bei meinem Anblick rümpfte sie angewidert die Nase. Am liebsten wäre ich aus dem Wagen gesprungen, aber ich hatte schon Schwierigkeiten meine Augenlider zu bewegen. An eine rasante Flucht war also erst gar nicht zu denken.
 

"Das ist wieder typisch du! Du kleine, egoistische Göre! Du gönnst mir aber auch gar nichts! Ist ein Wochenende Ruhe echt zu viel verlangt?",
 

zischte sie so wütend, dass ihre rechte Augenbraue unkontrolliert zu zucken begann. Ich sah sie reglos an, und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihre Worte mich verletzten. Gatsby begann wieder zu winseln und rutsche näher an mich. Er schien genauso überfordert zu sein wie ich.
 

"Weißt du eigentlich wie krank das ist? So ein künstliches Drama zu veranstalten, damit dein großer Bruder kommen muss um dich zu retten? Weißt du eigentlich wie spät es ist? Es ist mitten in der Nacht und Ben hat mich vor zwei Stunden ins Auto gezerrt und ist hier her gerast. Uns hätte sonst was passieren können. Und das nur weil du blöde Kuh das geistige Niveau eines Babys hast!",
 

spie sie mit voller Verachtung aus. Schlagartig wurde mir eiskalt. Weg war die Hitze des Feuers, welches gerade noch meine Haut gestreichelt und meine Haare versengt hatte. Amys Worte waren wie scharfe Eiskristalle, die sich in meine Brust bohrten; mich aushöhlten. Ich begann zu zittern und schloss die Augen. Eine stille Träne fand den Weg über meine Wange und Amy stöhnte genervt auf.
 

"Oh mein Gott! Verschon mich mit deinem schlechten Schauspiel. Ich habe Ben so oft gesagt, dass du in die Geschlossene gehörst. Vielleicht hört er jetzt endlich auf mich. Sowas wie heute muss ja echt nicht nochmal passieren.",
 

zischte sie weiter und ich versuchte mich auf etwas anderes als auf ihre Stimme zu konzentrieren. Aber sie sprach gnadenlos weiter.
 

"Kein Wunder das deine Schwester nichts mit dir zu tun haben will. Trauer hin oder her. Irgendwann ist auch mal gut. Andere in deinem Alter leben schon allein und verdienen ihr eigenes Geld. Und ich kann wegen dir nicht mit meinem Freund zusammenziehen, weil er sich um deine beschissene Psyche mehr Sorgen macht als um mich.",
 

brummte Amy frustriert. Sie schien sich in Rage zu reden und ihre Worte prügelten auf mich ein, während ich bereits hilflos am Boden lag. Ich hatte schnell gemerkt, dass Amy mich nicht mochte und das hatte ich ihr nie übel genommen, weil ich ihr ebenfalls nicht viel abgewinnen konnte. Trotzdem erschrak ich jetzt vor ihren hassverzerrten Worten und fragte mich, was ich ihr getan haben musste, um das zu verdienen. Aber vielleicht verdiente ich es ja auch? Vielleicht hatte sie ja Recht?
 

"Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!",
 

brüllte sie schon fast und zog an meinem vor Schmerz pochenden Arm. Ich stöhnte qualvoll auf und öffnete die Augen. Gatsby hob den Kopf und knurrte Amy an. Doch die Warnung meines Hundes ließ sie kalt. Ich versuchte ihr meinen Arm zu entziehen, aber sie hielt ihn gnadenlos fest, während ihre absurd langen, falschen Fingernägel sich in meine Haut bohrten.
 

"Du sagst Ben jetzt, dass es dir gut geht und dass wir zurückfahren können! Hast du verstanden?!",
 

knurrte sie und sah mir fest in die Augen. Dass ich sie nur reglos anstarrte und nicht antwortete, schien sie nur wütender zu machen. Sie schnappte nach Luft und ich machte mich darauf gefasst noch mehr Beleidigungen über mich ergehen zu lassen. Doch das Geräusch einer zufallenden Tür ertönte. Schnell ließ sie meinen Arm los und setzte sich wieder gerade hin. Ich sah aus dem Fenster und sah Ben mit schnellen, großen Schritten zum Auto kommen. Er trug meine Tasche bei sich und legte sie in den Kofferraum, eher er sich hinters Steuer fallen ließ. Sofort sah er zu mir und musterte mich besorgt. Dadurch, dass Amy meinen Arm so gnadenlos festgehalten hatte, war der provisorische Verband von meinem Blut durchweicht und Ben verzog sorgenvoll das Gesicht.
 

"Es ist wohl besser wir fahren ins Krankenhaus! Okay, Kleines?",
 

raunte er und strich über mein Knie, eher er den Rückspiegel so einstellte, dass er mich während der Fahrt im Auge behalten konnte.
 

"Ach Ben das ist nur ein Kratzer! Mach dir deswegen keinen Kopf. Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus! Sie braucht nur ne ordentliche Mütze Schlaf!",
 

flötete Amy mit liebreizender Stimme und mir wurde übel dabei mit anzusehen, wie leicht es ihr fiel diese freundliche Fassade vorzuspielen. Doch Ben schüttelte den Kopf.
 

"Das muss vielleicht genäht werden!",
 

brummte er streng und damit war die Diskussion beendet. Er startete den Motor und fuhr los. Mein Blick schweifte wieder aus dem Fenster. Sally stand auf der Veranda und winkte dem Auto nach. Ich hatte nicht die Kraft diese Geste zu erwidern. Danach beobachtete ich die Straßenlaternen an denen wir vorbeifuhren und wie ihr weiches Licht die Nacht verbannte.
 

Ben hielt direkt vor der Notaufnahme und drückte Amy den Schlüssel in die Hand.
 

"Such du bitte einen Parkplatz!",
 

sagte er während er sich abschnallte. Amy schnappte empört nach Luft. Ihre freundliche Maske drohte zu bröckeln, aber nach einigen Augenblicken hatte sie sich wieder unter Kontrolle.
 

"Natürlich!",
 

murmelte sie steif mit zusammengebissenen Zähnen und rutschte auf den Fahrersitz, als Ben ums Auto ging und mich vorsichtig vom Sitz hob. Ich fühlte mich noch immer kraftlos und war dankbar, dass Ben mich trug. Für ihn war es selbstverständlich und ich war endlos dankbar dafür.
 

"Ich setz dich hier kurz ab und rede mit der Schwester, okay? Ich bin gleicht wieder da!",
 

flüsterte er mir ins Ohr und setzte mich auf einen der Stühle im Wartezimmer ab. Gatsby sah mich traurig winselnd an und setzte sich leicht auf meine Füße, während er die Umgebung im Auge behielt. Bereit mich zu beschützen. Ich kraulte leicht sein Ohr und hoffte, dass Amy keinen Parkplatz finden würde.
 

"Okay wir haben Glück! Du kommst gleich ran!",
 

lächelte Ben als er wieder zu mir trat und mich hochhob. Er folgte einer Krankenschwester zu einem Bett auf welchem er mich absetzte.
 

"Der Arzt kommt gleich!",
 

lächelte die kleine Frau und drückte Ben ein Klemmbrett in die Hände. Er setzte sich neben mich und begann die Formulare auszufüllen. Ich sah ihm dabei zu, während Gatsby seinen Kopf wieder auf meinen Schoß schob, damit ich ihn kraulen konnte. Das beruhigte uns irgendwie beide.
 

"Tut mir leid wegen deinem Wochenende!",
 

murmelte ich schließlich, da Amys kalte Worte mir nicht mehr aus dem Kopf gingen. Ben legte den Stift beiseite und schlang einen Arm um meine Schultern.
 

"Das muss dir nicht leid tun! Dafür kann niemand etwas!",
 

flüsterte er und drückte mich an sich. Er war mir nicht böse. Ich glaube er konnte gar nicht anders. Er war so liebenswürdig selbstlos, dass mir das Herz schwer wurde. Er strich über meinen Arm und ich versuchte Amys Stimme aus meinem Kopf zu verbannen die mir einredete, dass ich eine hinterhältige Egoistin war.
 

"Willst du darüber reden?",
 

fragte er leise und sofort kamen die Bilder meines Alptraums hoch. Die Flammen, die meine Haare und Lunge versengt hatten, das unnachgiebige Metall, das sich in mein Fleisch gegraben hatte und Dads lebloser Körper. Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht reden. Ich wollte vergessen. Auch wenn dies unmöglich war.
 

"Soll ich Dr. Hard anrufen? Wegen einem früheren Termin?",
 

schlug Ben vor und ich nickte. Das war bestimmt das Beste. Und ich wusste, dass Ben ein "Nein!" auf diese Frage nicht akzeptieren würde.
 

"Was habe ich kaputt gemacht?",
 

fragte ich leise und deutete auf meinen blutbeschmierten Arm.
 

"Oh... ehm...!",
 

überlegte Ben und seine Stirn legte sich in Falten.
 

"Es sah aus wie eine Lampe... glaube ich! Ich habe da ehrlich gesagt nicht so genau drauf geachtet!",
 

sagte er dann leise und ich nickte. Mein schlechtes Gewissen wuchs und wuchs.
 

"Hey mach dir nichts draus!",
 

lächelte er mich aufmunternd an und tippte mir gegen die Nase.
 

"So eine Lampe lässt sich leicht ersetzen. Und ich schätze Sally jetzt nicht so ein, dass er dir das übel nimmt!",
 

erklärte er und zwinkerte mir zu. Ich nickte. Als Ben sich wieder den Formularen widmen wollte, wurde der Vorhang aufgerissen. Amy hatte leider doch einen Parkplatz gefunden. Sie strahlte uns über beide Ohren an und deutete auf den Arzt neben ihr.
 

"Das ist Dr. Jenkins. Er will sich unsere Rose einmal ansehen.",
 

lächelte sie und mir wurde bei dem Wort "unsere" übel.
 

"Oh das ging jetzt aber wirklich schnell!",
 

freute sich Ben und deutete auf meinen Arm. Doch Dr. Jenkins interessierte sich nicht im Geringsten für meinen Arm. Aus seinem Kittel zog er eine kleine Taschenlampe und leuchtete mir damit in die Augen.
 

"Wissen Sie welcher Tag heute ist?",
 

fragte er und hielt mein Kinn fest, um mir wieder in die Augen zu leuchten, da ich diese immer wieder zusammenkniff.
 

"Sie ist nicht auf den Kopf gefallen oder so. Sie hat eine Schnittwunde am Arm!",
 

gab Ben irritiert von sich, doch Dr. Jenkins machte eine wegwerfende Handbewegung.
 

"Darum wird sich bestimmt gleich ein Chirurg kümmern!",
 

kommentierte der Doktor und sah mich prüfend an.
 

"Wenn Sie kein Chirurg sind, was sind Sie denn dann für ein Doktor?",
 

brummte Ben nun misstrauisch und schob sich vor mich.
 

"Ich bin stellvertretender Oberarzt der psychiatrischen Abteilung dieses Krankenhauses. Ihre Lebensgefährtin berichtete mir den Fall ihrer Schwester und wir könnten sie sofort aufnehmen!",
 

näselte der Doktor und ich sah wie sich Bens Muskeln anspannten, während mir das Herz in die Hose rutschte. Amy hatte das vorhin im Auto anscheinend nicht nur so daher gesagt. Mein Mund wurde schlagartig trocken. Am liebsten wäre ich aus dem Bett gesprungen und weggelaufen, aber meine verräterischen Beine hatten noch nicht vor mich zu tragen. Ich fühlte mich in der Zeit zurückgeworfen. Vor zehn Jahren hatten sich Ben und Caroline beinahe täglich darüber gestritten, wie man am besten mit mir verfahren sollte. Meine Schwester wollte mich in eine Schickimiki-Psychiatrie stecken, die ihr großzügiger, reicher Mann bezahlen würde, damit man sich um meine Posttraumatische Belastungsstörung, die Depression und die Reha ausgiebig kümmern konnte. Sie wollte mich abschieben; hatte mich aufgegeben; konnte mir nicht verzeihen, dass ich unsere Eltern auf dem Gewissen hatte. Doch Ben wollte von Alldem nichts hören und ließ es nicht zu, dass unsere Schwester mich als "verrückt" abstempelte. Ich wusste noch genau was sie damals zu ihm gesagt hatte, als er sich weigerte die Einweisungspapiere zu unterschreiben: "Damit wirfst du dein Leben weg!". Dieser Satz meiner Schwester erdrückte meine Brust und beschrieb unser Verhältnis zueinander am besten.
 

"Wie bitte?",
 

stieß Ben mit dunkler Stimme aus. Ich wusste nicht, wen er damit genau ansprach, weil sein breiter Rücken mir die Sicht versperrte, aber ich hörte Amy nach Luft schnappen.
 

"Hier handelt es sich offensichtlich um ein Missverständnis. Wir sind wegen einer Schnittwunde hier. Ihre Dienste, Doc, werden hier nicht benötigt!",
 

gab er mit solch einer angsteinflößenden Autorität wieder, dass weder der Doktor noch Amy ihm widersprachen. Nach einigen kurzen entschuldigenden Floskeln verabschiedete sich Dr. Jenkins und Bens Zorn richtete sich nun allein auf Amy.
 

"Was zur Hölle ist in dich gefahren?",
 

keuchte er und seiner Stimme war deutlich die Überraschung über diesen Verrat anzuhören.
 

"Das ist das Beste für dich! Für uns!",
 

säuselte Amy mit ihrer melodischen Stimme. Ben schüttelte den Kopf und legte das Klemmbrett auf mein Bett.
 

"Verschwinde!",
 

sagte er und ich sah wie Amy unter diesem Wort zusammenzuckte.
 

"Was? A-aber Ben du musst doch einseh-",
 

begann Amy stotternd. Verschwunden war der betörende Singsang ihrer Stimme.
 

"Du sollst verschwinden!",
 

unterbrauch Ben sie. Seine Stimme klang fremdartig. Ganz ohne Wärme, ohne Gefühl und voller Verachtung. Und obwohl ich Amy nicht leiden konnte, obwohl sie mir vorhin im Auto ihre kalte Seite gezeigt hatte und obwohl sie mich vor ein paar Minuten versucht hatte loszuwerden, tat sie mir leid. Manchmal verstand ich mich selbst nicht mehr.
 

Als Amy keine Anstalten machte zu gehen, seufzte Ben und streckte die Hand aus.
 

"Die Autoschlüssel!",
 

knurrte er und ich sah wie Amy einen weiteren Schritt zurückwich.
 

"Nein! Lass uns reden!",
 

flehte sie ihn an und ich hörte das sie den Tränen nahe war.
 

"Du hast genug geredet!",
 

erwiderte er und verlangte wieder nach seinem Autoschlüssel.
 

"Willst du echt alles wegschmeißen? Das ganze halbe Jahr?",
 

keuchte sie und ihr war deutlich anzuhören, dass es kein Mann je zuvor gewagt hatte sie zu verlassen. Ihr Blick glitt an Ben vorbei und bohrte sich in mein Gesicht.
 

"Und das nur wegen dir. Das ist alles deine Schuld!",
 

schrie sie mich an und ich zuckte zusammen.
 

"Das reicht jetzt!",
 

brummte Ben. Weder er noch ich hatten Lust auf eine Szene.
 

"Ich bin gleich wieder da!",
 

murmelte er und warf mir über die Schulter einen Blick zu. Er wartete bis ich nickte, dann nahm er Amy am Handgelenk und zog sie aus dem Krankenhaus.
 

"Tut mir leid!",
 

murmelte ich leise, als ich den beiden hinterher sah. Gatsby stupste mit der Schnauze gegen mein Knie und sah mich mit seinen treuen Augen an. Ich begann sein Ohr zu kraulen und er bellte leise und zufrieden.
 

Als Ben endlich zurückkam, war mein Arm bereits behandelt. Vier Stiche waren nötig gewesen. Trotzdem hatte ich mich geweigert etwas gegen die Schmerzen zu bekommen. Schmerzmittel machten mich müde und wenn es eins gab an das ich erstmal nicht denken wollte, dann war das Schlaf. Viel zu groß war die Gefahr wieder zu träumen und noch so einen Traum verkraftete ich erst einmal nicht.
 

Ben unterhielt sich noch kurz mit dem Arzt der mich behandelt hatte, während ich vorsichtig aus dem Bett kletterte. Zwar zitterten noch meine Knie unter meinem Gewicht, aber ich wollte endlich hier raus. Ich hielt mich an Gatsby fest und betrachtete meinen bandagierten Arm. Das schmerzhafte Pochen war fast verstummt. Ich seufzte innerlich. Eine weitere Narbe die mich daran erinnerte was für ein kaputter Mensch ich war. Ein Mensch der nicht nur sich, sondern auch andere kaputt machte. Ich konnte nicht mehr; wollte nicht mehr.
 

"Geht es?",
 

fragte Ben besorgt und ich nickte. Ich traute mich nicht ihn anzusehen. Mir waren seine roten Augen und das gezwungene Lächeln sofort aufgefallen. Er hatte geweint. Und ich war schuld. Damals war ich Ben dankbar gewesen, dass er mich zu sich geholt hatte; sich um mich gekümmert und mich nicht weggesperrt hatte, so wie Caroline es verlangt hatte. Doch langsam fragte ich mich, ob es für ihn nicht besser gewesen wäre, dem Wunsch unserer Schwester nachzukommen. Dann wäre nur einer von uns unglücklich.
 

Ben legte vorsichtig den Arm um meine Taille und stütze mich. Er half mir ins Auto, während Gatsby sich in meinem Fußraum einrollte und fest entschlossen war, mich keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Als Ben hinters Steuer gerutscht war, sah ich kurz zu ihm herüber.
 

"Tut mir leid... wegen Amy!",
 

murmelte ich. Es waren dumme und unzureichende Worte. Aber mir fielen keine anderen ein. Es tat mir zwar nicht um Amy als Person leid, aber es brach mir beinahe das Herz, meinen Bruder so traurig zu sehen, auch wenn er sich alle Mühe gab es zu verstecken. Aber darin, unsere Gefühle zu verbergen, waren wir noch nie gut gewesen. Musste wohl in der Familie liegen.
 

Ben, der gerade den Motor starten wollte, erstarrte in der Bewegung und ich spürte seinen Blick auf mir.
 

"Es ist gut, dass ich jetzt weiß was für ein Mensch sie ist. Ich hab dich lieb Rosie, und das wird immer an oberster Stelle stehen!",
 

flüsterte er und strich mir sanft über den Kopf. Ben mein großer Bruder. Ben mein Beschützer. Ben mein zweiter Vater. Mein bester Freund. Ich schluckte trocken und spürte wie meine Augen feucht wurden.
 

"Danke!",
 

flüsterte ich und mit diesem einfachen und doch bedeutsamen Wort war alles gesagt.
 

Ben startete den Motor und wir fuhren der aufgehenden Sonne entgegen. Die leuchtenden Farben des Himmels hätten ein schönes Polaroid abgegeben. Meine Haare tanzten im Fahrtwind und ich genoss die kühle Luft. Und plötzlich fiel die ganze Anspannung von mir ab, was meine Augenlider schwerer und schwerer werden ließ. Obwohl ich mich vehement dagegen wehrte und versuchte meine Augen immer wieder aufzureißen, fiel ich in einen tiefen Schlaf. Es fühlte sich an, als ob sanfte Hände mich in eine schwarze, schwerelose Tiefe zogen und ich endlich die Ruhe fand, die ich so sehr brauchte.
 

Mein Schlaf war herrlich traumlos und wurden von einem stetigen und wohltuenden Bumbum Bumbum Bumbum begleitet. Ich hielt mich an diesem Geräusch fest; es war mein Anker um nicht zu tief abzutauchen. Denn zu tief durfte ich nicht. Zu tief wartete mein Unterbewusstsein darauf, mich wieder zu quälen und dafür zu bestrafen was vor zehn Jahren passiert ist.
 

Bumbum Bumbum Bumbum
 

Ich spürte warme Sonnenstrahlen die meine Nase kitzelten und spürte das weiche Fell meines Hundes unter meiner Hand. Es dauerte eine Weile bis ich aus dem Schlaf auftauchte und die tröstliche Benommenheit abgestreift hatte. Ich blinzelte und meine Augen brauchten einen Moment, um sich zu fokussieren. Gatsby schaute sofort auf und leckte mir winselnd übers Kinn. Ich lächelte und streichelte ihn.
 

"Na? Gut geschlafen?",
 

ertönte Bens leise Stimme. Mein Kopf lag auf seiner Brust und ich streckte mich.
 

"Überraschenderweise ja!",
 

sagte ich leise und gähnte. Ben legte sein Buch beiseite und musterte mich mit diesem bestimmten Blick den wohl nur große Brüder innehatten, während Gatsby zwischen uns begann mit dem Schwanz zu wedeln.
 

"Was hältst du von warmen Cookies?",
 

fragte er unvermittelt und ein Grinsen deutete sich auf seinen Lippen an. Es war ein Ablenkungsangebot. Und ich war darüber mehr als dankbar.
 

"Mit Vollmilchschokoladenstückchen?",
 

fragte ich und Ben rollte amüsiert mit den Augen.
 

"Gibt es denn noch andere?",
 

fragte er und ich ertappte mich dabei wie ich lächeln musste.
 

"Klingt perfekt!",
 

flüsterte ich und setzte mich auf. Ich unterdrückte ein Keuchen. Mein Körper fühlte sich an, als ob ein LKW mich gerammt hätte. Von diesem Muskelkater würde ich eine Weile was haben. Gatsby sprang fröhlich bellend auf und tapste in die Küche.
 

"Da ist aber einer scharf drauf die Schüssel auszulecken!",
 

lachte Ben und folgte ihm.
 

"Wieso darf er die Schüssel auslecken?",
 

fragte ich empört und folgte meinem Bruder in die Küche. Die nächsten Stunden verbrachten wir damit uns gegenseitig mit Mehl und Keksteig zu bewerfen, während wie ein Blech Cookies nach dem anderen backten. Meine Haare klebten mir von der Wärme des Ofens an meiner Hauf und ich genoss das süßliche Aroma welches das gesamte Haus erfüllte. Nebenbei blinkte immer wieder der Laptop meines Bruders auf, weil wir auf Ebay eine herrlich kitschige Elvis Porzellanlampe gefunden hatten und auf diese boten, in der Hoffnung, dass es Sallys Geschmack an Klimbim traf. Dabei hörten wie alte Klassiker aus den 90ern und mein Bruder mutierte zum besten Luftgitarristen in ganz Los Angeles.
 

Ich leckte gerade genüsslich einen Löffeln mit rohem Keksteig ab, während ich Gatsby die Schüssel auf den Boden stellte, als Ben einen Anruf bekam.
 

"Ist die Wache! Ich geh kurz ran!",
 

sagte er und verschwand ins Nebenzimmer. Ich sah ihm kurz nach und drehte die Musik leiser, wodurch man Gatsbys genüssliches Schlabbern nur umso deutlicher hören konnte. Ich lachte leise auf und tätschelte seinen Rücken. Mein Blick fiel auf die Uhr am Backofen. Es war schon fast Abend und ich spürte einen komischen Druck in meiner Brust. Der Kolibri, welcher seinen Kopf unter seinen schimmernden Flügeln versteckt hatte, wagte sich langsam heraus und sah sich unsicher um.
 

Plötzlich hatte ich das Gefühl etwas Wichtiges vergessen zu haben. So wie wenn man in den Urlaub flog und man sich im Flugzeug nicht mehr sicher war, ob man Zuhause den Herd ausgeschaltet hatte und einem dieser beunruhigende Gedanke keine Ruhe mehr ließ. Und so sah ich mich jetzt ruhelos um, bis mein Blick auf meinen Rucksack auf dem Sofa fiel.
 

Jared!
 

Der Name wurde schon beinahe durch meinen Kopf gebrüllt und der Kolibri in meiner Brust begann aufgeregt zu hüpfen.
 

Jared! Er wollte anrufen.
 

Ich stolperte über meine eigenen Füße, weil ich viel zu schnell und zu abrupt loslief. Ich schlitterte schon beinahe zum Sofa und durchwühlte meinen Rucksack mit zitternden Händen. Als ich mein Handy endlich gefunden hatte, stöhnte ich erleichtert auf und auf dem Sperrbildschirm sah ich mehrere Nachrichten von Sally und einige Mails von der Uni. Ich scrollte weiter runter und da waren sie: zwei verpasste Anrufe von 'PRINCE CHARMING'!
 

Mir blieb das Herz stehen. Oh nein! Ich hatte ihn verpasst und er hatte gleich zweimal angerufen. Ich ließ mich deprimiert aufs Sofa fallen und starrte auf das Display meines Handys. Ich scrollte weiter und da wurde mir eine Benachrichtigung über eine eingegangene Voicemail angezeigt. Ich schluckte aufgeregt und drückte mit zitternden Händen auf die Benachrichtig, ehe ich das Handy schnell gegen mein Ohr drückte.
 

"Hey Rose!",
 

ertönte Jareds Stimme und ich hielt die Luft an, während der Kolibri in meiner Brust sein buntes Federkleid schüttelte.
 

"Ich krieg dich irgendwie nicht erreicht. Und ich habe leider gleich ein paar wichtige Termine, wo ich mein Handy ausschalten muss. Daher wunder dich nicht. Ich versuche es nachher nochmal.",
 

hörte ich weiter zu und ich dachte schon die Sprachnachricht wäre zu ende, da hörte ich ihn leise einatmen und etwas raschelte im Hintergrund.
 

"Ich würde gerne deine Stimme hören! Bye!",
 

raunte er und ein warmes, sehr angenehmes Kribbeln durchfuhr meinen Körper. Ein Klicken ertönte und die Aufnahme war zu ende. Ich strich mir fahrig durchs Haar und hörte mir die Voicemail noch einmal an. Und noch einmal. Ich sog jedes Wort in mich auf und schloss die Augen, versuchte ihn mir beim Telefonieren vorzustellen. Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich vermisste ihn. Und das war schwachsinnig. Wie konnte ich einen Typen vermissen, den ich erst seit ein paar Tagen kannte, und erst gestern gesehen habe? Aber es war wahr. Ich vermisste ihn. Sehr sogar. Und auch ich wollte seine Stimme hören, wollte mit ihm reden, ihm nahe sein. Aber durfte ich das?
 

Im Krankenhaus wurde mir schmerzlich verdeutlicht, wie sehr ich Bens Leben belastete, auch wenn er mir versicherte, dass es nicht so war. Es war so! Er litt, weil ich litt. Ein nicht enden wollender Teufelskreislauf. Hatte ich das Recht Jared mit in diesen Teufelskreislauf zu ziehen? Nein. Das Recht hatte ich nicht.
 

Ich war verliebt in ihn. Und vielleicht war der beste Weg meine Zuneigung Ausdruck zu verleihen, indem ich ihn ziehen ließ. Ihm die Chance gab eine nette Frau ohne katastrophale, traumatische Vergangenheit zu finden und lieben zu lernen. Eine Frau die ihn glücklich machte. Denn so eine Frau würde ich nie sein. Ich machte niemanden glücklich. Ich riss alle nur in den Abgrund.
 

Ich sollte den gestrigen Tag als ein Polaroid ansehen. Ein Polaroid, das zu lange in der Sonne gelegen hatte und nun langsam verblasste und nur noch in der Erinnerung bestand. Durch meinen Entschluss verlor der Kolibri in meiner Brust seine bunten Farben. Ich legte betrübt das Handy auf den Tisch und ließ mich nach hinten gegen das Sofa fallen.
 

Es war besser so!
 

Plötzlich begann mein Handy zu vibrieren und ich saß sofort kerzengerade da und starrte auf das Display.
 

ANRUF PRINCE CHARMING,
 

prangte es in großen Buchstaben auf dem Display und mein Herz zog sich zusammen. Noch ehe ich darüber nachdenken konnte, schnappte ich nach dem Handy und war schon kurz davor den Anruf anzunehmen, bevor ich mich eines Besseren besann.
 

"Nein!",
 

sagte ich zu mir selbst und wollte das Handy wieder zurück auf den Tisch legen. Doch mein Arm gehorchte mir nicht. Ich seufzte verzweifelt auf. Mein Handy vibrierte in meiner Hand, eine stetige Aufforderung endlich das Gespräch entgegen zu nehmen. Mein Daumen glitt unentschlossen zwischen dem grünen und roten Button hin und her.
 

Ich konnte nicht rangehen. Es gab so viele gute Gründe dieses Gespräch nicht anzunehmen. Aber ich wollte rangehen, weil jede Faser meines Körpers nach Jared schrie; sich nach seiner Nähe sehnte. Ich wollte wieder seine Hand halten und in seine leuchtenden Augen eintauchen.
 

Ich konnte nicht mehr; wollte nicht mehr nachdenken.
 

Ich schloss verzweifelt und hin- und hergerissen die Augen und drückte blind aufs Display. Mein aufgeregter Herzschlag dröhnte mir in den Ohren, während ich mich nicht traute die Augen zu öffnen. Ich wusste nicht ob ich den Anruf angenommen oder weggedrückt hatte, aber das vibrieren hatte aufgehört. Mit trockener Kehle hob ich das Handy an mein Ohr und lauschte.
 

Ich lauschte voller Ehrfurcht und angehaltenen Atem.
 

Ich lauschte voller Hoffnung.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  ColsonBaker
2017-10-12T11:20:13+00:00 12.10.2017 13:20
Ich bin eigentlich nicht so der Fanfiction Leser und schreibe lieber RPGs. Aber warum auch immer habe ich mal neugierig nach Fanfictions geguckt und natürlich gleich deine Gefunden! Sie ist wirklich gut geschrieben bisher und ich finde die Charaktere sehr interessant! Auch die erste Begegnung mit Jared gefiel mir! Freue mich schon auf die weiteren Kapitel. =)


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