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Star Trek - Timeline - 05-01

EXODUS-Freunde
von

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Prolog


 

2371
 


 

Es ist Unsinn,

sagt die Vernunft.

Es ist Unglück,

sagt die Berechnung.

Es ist nichts als Schmerz,

sagt die Angst.

Es ist aussichtslos,

sagt die Einsicht.

Es ist lächerlich,

sagt der Stolz.

Es ist leichtsinnig,

sagt die Vorsicht.

Es ist unmöglich,

sagt die Erfahrung.

Es ist was es ist,

sagt die Liebe...

(Erich Fried)
 


 

Prolog
 

U.S.S. AKIRA / NX-62497

Sternenzeit: 48130.3

Im Orbit über Heralan
 

„Was, bei allen Dingen, die Ihnen heilig sind, haben Sie sich dabei gedacht, Commander, einfach die Tochter des Clan-Häuptlings zu umarmen? Ist es für Sie so schwer, einfach mal Ihre langen Arme bei sich zu lassen?“

Commander Valand Kuehn, der sich gemeinsam mit seiner Vorgesetzten, Captain Marina Ramirez-Escobar, in ihrem Bereitschaftsraum, an Bord der AKIRA, aufhielt, erwiderte gefasst den finsteren Blick ihrer dunklen Augen. Nach seiner Rückkehr von einem bisher nicht kartografierten Planeten, den die Bewohner selbst Heralan nannten, hatte er mit einem solchen Empfang annähernd gerechnet.

Der hochgewachsene, dunkelblonde Mann zog seine breiten Schultern etwas nach Hinten und erwiderte betont: „Woher hätte ich denn wissen können, dass es bei den Heralanern Sitte ist, dass nur deren Frauen die Männer berühren dürfen, aber nicht umgekehrt. Ich hielt es für einen Akt der Höflichkeit. Reiner Instinkt sozusagen.“

„Ach!“, schnappte die Latina und erhob sich aus dem Sessel hinter ihrem Schreibtisch. „Und dass Sie anschließend, bevor man Sie zurück auf das Schiff beamen konnte, den Unterhäuptling mit Ihrem Phaser betäubt haben? War das auch reiner Instinkt?“

Mehr amüsiert, als ernsthaft besorgt, sah Valand Kuehn in die beinahe schwarzen Augen seiner Vorgesetzten, die auf dem Schiff den Spitznamen Señora 10.000 Volt inne hatte. Dabei machte eine entschuldigende Miene. „Mir bleib keine Wahl, Captain. Der Mann wollte mich ergreifen lassen, und anschließend eigenhändig mein bestes Stück abschneiden. Zum Glück war Lieutenant Dharell geistesgegenwärtig genug, dem Transporter-Chief umgehend zu befehlen uns zur AKIRA zurück zu beamen.“

„Vielleicht wäre das, was der Unterhäuptling da mit Ihnen vorhatte, ja nicht unbedingt das Schlechteste gewesen“, konterte die fünfundvierzigjährige Frau trocken.

Sie setzte sich nach einer Weile wieder und fuhr, mit etwas weniger grimmiger Miene fort: „Zum Glück gelang es mir, vor diesem Gespräch, nach einer Unterhaltung mit dem Häuptling, einen diplomatischen Eklat gerade noch abzuwenden. Die weiteren Verhandlungen leite ich selbst, Sie bleiben auf der AKIRA, solange wir uns im Orbit um Heralan befinden. So können sich Ihre Arme nicht um eine weitere planetare Schönheit verirren. Ich wüsste zu gerne, was Counselor Lanoi dazu zu sagen hat.“

In ehrlichem Erstaunen hob der Commander seine Augenbrauen. „Captain?“

Marina Ramirez-Escobar grinste verschmitzt, als sie Kuehn ansah. „Glauben Sie etwa, mir wäre Ihre Liaison mit der Counselor entgangen?“

Valand Kuehn machte nicht den Versuch zu leugnen. Er und die Latina kannten sich nun seit über drei Jahren. Während dieser Zeit hatten sie einiges gemeinsam erlebt, und sich dabei sehr gut kennengelernt.

„Dass Feyquari und ich… Verzeihung, ich meine, dass Lieutenant-Commander Lanoi und ich seit zwei Monaten eine Beziehung führen, das haben wir Ihnen zu verdanken. Sie bestanden darauf, dass ich mich regelmäßig mit der Counselor treffe.“

Die Miene des Captains wurde wieder ernst, wenn auch nur gespielt. „Ja, aber die Rede war von Sitzungen, nicht von Umarmungen, Commander.“

„Nun, mitunter ergeben sich bei der Behandlung eines Patienten unverhofft Nebenwirkungen. Zu Ihrer Beruhigung, Captain, die Beziehung fing erst nach Abschluss meiner regelmäßigen Sitzungen an. Vom ethischen Standpunkt ist alle einwandfrei.“

„Interessant!“, brauste die Latina wieder leicht auf. „Und dass sich mein Erster Offizier bei seinem zweiten Erstkontakt als Krake entpuppt hat? Ist das auch einwandfrei?“

Der Norweger musste sich Mühe geben ernst zu bleiben, bei ihren Worten. Zerknirscht gab er zurück: „Ich bitte Sie, dem Häuptling meine aufrichtige Entschuldigung zu überbringen, Captain.“

„Ich werde mich hüten auf diese Weise vielleicht einen erneuten, diplomatischen Zwischenfall zu provozieren, Commander. Machen Sie sich mit dem Gedanken vertraut, dass man Sie, auf diesem Planeten, auf Lebenszeit, als Persona non grata betrachten wird.“

Valand Kuehn seufzte übertrieben. „Jammerschade, bei der netten Häuptlingstochter.“

Die Stimme der Latina wurde zu einem gefährlichen Flüstern. „Verschwinden Sie aus meinem Bereitschaftsraum, Commander. Nehmen Sie sich eine Stunde frei, und dann übernehmen Sie, exakt um 15:00 Uhr Bordzeit, das Kommando über das Schiff, während ich mich mit dem Häuptling treffe.“

Kuehn nahm Haltung an. „Aye, Captain.“

Als Valand Kuehn den Bereitschaftsraum verlassen hatte und mit Turbolift-II hinunter fuhr, zu Deck-5, da atmete er erleichtert auf. Der erwartete, heftige Anschiss war weitgehend ausgeblieben. Vielleicht wurmte ihn der Fauxpas, der ihm unten auf der Planetenoberfläche unterlaufen war, darum nun umso mehr. Seinem Vater, Diplomat auf Krios-Prime, hätten vermutlich die Haare zu Berge gestanden, wäre er dabei gewesen.

Vor dem Quartier der Counselor angekommen legte Valand Kuehn seine Hand auf den Meldekontakt, der Feyquari sein Erscheinen ankündigen sollte.

Es dauerte nur einen Moment bis das Schott zischend zur Seite fuhr, und er in das hell und freundlich eingerichtete Quartier eintreten konnte. Es war, bedingt durch den zusätzlichen Sitzungsraum, etwas größer als eins der Standard-Quartiere für Offiziere.

Feyquari Lanoi blickte kurz aus dem Nebenraum zu ihm und rief, erfreut darüber ihn zu sehen: „Nur einen Moment, Valand, ich bin sofort bei dir!“

„Nur keine Hektik!“.

Aus dem Nebenraum heraus rufend meinte die Betazoidin: „Dein Gespräch mit dem Captain hat etwas länger gedauert. Ist etwas vorgefallen?“

„Das könnte man sagen“, rief Valand zurück. „Aber das erzähle ich dir lieber in aller Ruhe.“ Er warf einen Blick auf die Liege, überlegte kurz und machte es sich dann darauf bequem. Wie immer, wenn ihn etwas beschäftigte, etwas umständlich, bis er am Ende eine einigermaßen passende Position eingenommen hatte.

Während er auf Feyquari wartete sinnierte er darüber, was für eine Art von Beziehung er und die Counselor, seit zwei Monaten führten. Es war die Betazoidin gewesen, die zu Beginn klargestellt hatte, dass sie in dieser Liaison keine endgültige Bindung sah. Zuerst hatte ihn das ernüchtert, sogar enttäuscht, doch bis heute hatte er sich schließlich damit abgefunden, Feyquari nicht für immer an seiner Seite zu haben. Andererseits hätte er sich nicht darauf einlassen müssen, doch nach einer Weile war er zu der Erkenntnis gelangt, dass er das, was momentan war, genoss wie es war.

„Seltsame Beziehung“, murmelte der Norweger nach einer Weile.

Beschwingt betrat Feyquari Lanoi Augenblicke später, den Raum und fragte mit vergnügter Miene: „Was meintest du gerade?“

Valand Kuehn ließ seine Blicke über ihre Erscheinung wandern und einmal mehr stellte er fest, dass die neue, hauptsächlich schwarze, Uniform, mit den blau abgesetzten Schulterbereichen, ihre makellose Figur fabelhaft zur Geltung brachte. Im ersten Moment war er versucht, eine ausweichende Antwort zu geben. Doch schließlich antwortete er wahrheitsgemäß: „Ich dachte über unsere Beziehung nach.“

Feyquari, die ihr schulterlanges, braunes Haar bis eben kunstvoll geflochten hatte, zupfte nervös an dem mittelgrauen Uniform-Pulli, und berührte dabei die drei Rank-Pins an dessen Rollkragen. Unmerklich hoben sich ihre Augenbrauen.

„Mit welchem Ergebnis?“

Der Norweger grinste schwach. „Wie bisher – es ist immer noch seltsam. Mein andorianischer Freund würde das nicht verstehen, denke ich. Tar´Kyren ist da wohl mehr der Alles-oder-Nichts-Typ. Eine Beziehung, wie die unsere, wäre für ihn nicht vorstellbar.“

Feyquari setzte sich zu Valand auf den Rand der Liege, legte ihre Hände auf seine Brust und gab ihm einen Kuss.

Valands Arme legten sich um die schlanke Frau. Erst einen langen Moment später gab er sie wieder frei und blickte in ihre beinahe schwarzen Augen.

Die Betazoidin erwiderte seinen Blick und fragte leise: „Du meinst, weil wir uns in unserer Freizeit oft sehen, wir uns oft und gerne küssen, aber nicht miteinander schlafen?“

„Nein, das ist es nicht.“

Valand Kuehn suchte nach Worten und gab dann zu: „Na, ja, vielleicht ist es das doch. Ich weiß es selbst nicht so genau. Es ist...“

Feyquari lächelte sanft. „Verrückt? Verwirrend? Ungewohnt?“

Sie küssten sich erneut, bevor Valand antwortete: „Ja, so etwas in der Art. Aber das soll keine Beschwerde sein, okay?“

Feyquari richtete sich etwas auf. „Okay. Aber nun erzähl mir erst einmal, was sich bei deinem zweiten Erstkontakt zugetragen hat. Ich bin neugierig.“

Valands Gesichtsausdruck veränderte sich, als er seufzte: „Ich schätze, das war der undiplomatischste Erstkontakt seit dem Bestehen der Föderation. Nur gut, dass mein Vater das nicht miterlebt hat.“

Valand Kuehn berichtete Feyquari davon, was sich auf Heralan abgespielt hatte, und die Betazoidin lachte hell auf, als er endete. „Wirklich zu schade, dass ich nicht dabei war. Was hat Captain Ramirez-Escobar dazu gesagt?“

Der Norweger verzog das Gesicht. „Lass es mich einmal so formulieren: Für den Goldenen Palmenzweig wird sie mich nicht vorschlagen, beim Sternenflottenkommando. Sie trifft sich nachher mit dem Häuptling um das geradezubiegen, was ich vermasselt habe. Die Heralaner haben immerhin seit siebzehn Jahren den Warp-Antrieb, und sie wären ein wirklich vielversprechendes neues Mitglied in der Föderation. Zumal ihr Planet reich an Dilithium-Kristallen ist. Dafür könnten wir ihnen im Gegenzug helfen, ihre Antriebe moderner, leistungsfähiger und wesentlich unkomplizierter und weniger störanfällig zu konstruieren. Ein Beitritt wäre also von beiderseitigem Vorteil.“

„Und dann kommst du, umarmst die Tochter des Häuptlings, schießt auf den Unterhäuptling, und ruinierst so dieses Vorhaben. Komische Diplomatie.“

„Ich höre förmlich, wie mein Vater dir zustimmt.“

Feyquari lachte erneut hell auf. Sie zog Valand an den Händen zu sich herauf. Ihn ernst dabei ansehend fragte sie dann: „War sie hübsch, und hat es dir gefallen sie zu umarmen? Die Wahrheit!“

Valand war das Thema etwas unangenehm. „Nun ja, sie war gutaussehend. Aber gedacht habe ich mir wirklich nichts dabei. Ich heiße schließlich nicht Kirk.“

Der Norweger wollte Feyquari in seine Arme ziehen, doch sie legte ihre Hände auf seine Brust und hielt ihn etwas auf Distanz. „Na, ich weiß nicht. Ich bin mir da gar nicht so sicher, dass du nicht vielleicht doch einer seiner Nachfahren bist.“

Valand legte seine Hände sacht auf die Wangen der betazoidischen Frau. „Du siehst heute besonders hübsch aus. Diese Frisur steht dir außerordentlich gut.“

„Jetzt bin ich mir sicher, dass du sein Nachfahre bist.“

Sie zwinkerte belustigt und ließ es zu, dass er sie in seine kräftigen Arme zog. Nach einem schnellen Kuss auf die Lippen des Mannes fragte sie: „Gehen wir etwas essen? Das war nämlich mein Vorhaben, bevor du hier eingeschlagen bist.“

„Gerne.“

Sie verließen das Quartier der Counselor und machten sich auf den Weg zum Turbolift. Unterwegs trafen sie mehrere Crewmitglieder, die sie respektvoll grüßten.

In der Offiziersmesse stellten sie fest, dass sie dort allein waren. Beide ließen sich einen Salat replizieren und dazu einen der vielen Fruchtsäfte, die zur Auswahl standen. Sie nahmen an einem der Fensterplätze dieser Offiziersmesse platz. Diese Messe lag im linken Katamaran, an der Außenseite, und es gab noch eine zweite, identische Messe, im rechten Katamaran des Raumschiffs.

Die Aussicht auf die grün-gelben Kontinente des Planeten unter ihnen, dessen Ozeane sich, von türkis bis tiefblau um sie herum erstreckten, war beeindruckend. Selbst für Raumfahrer, die sich bereits seit vielen Jahren im All befanden, wirkte ein solcher Anblick immer noch erhaben.

Valand Kuehn blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Für solche Momente lohnte sich der, mitunter harte, Dienst in der Sternenflotte.

„Von hier oben wirst du sie nicht finden“, spöttelte Feyquari Lanoi gutmütig und ließ sich, Valand gegenüber, am Tisch nieder.

Der Norweger reichte mit seinen Händen über den Tisch und nahm ihre Hände in seine. „Bitte Schluss damit. Sie würde dir nie das Wasser reichen können.“

Die Betazoidin spürte durch den Körperkontakt, auch ohne den aktiven Einsatz ihrer paramentalen Fähigkeiten, die Aufrichtigkeit in Valands Worten und mit einem gelösten Lächeln erwiderte sie: „Ich bin froh, dass du das wirklich so meinst, Valand.“

Sie führte seine Hände zu ihren Lippen und drückte einen flüchtigen Kuss auf seine Finger, bevor sie losließ und ihre Gabel in die Hand nahm.

Um eine Gabel voll Salat herum fragte Valand Kuehn: „Hast du von dem neuesten Gerücht an Bord gehört? Es heißt, dass das Sternenflottenkommando plant, einige erfahrene Commander der Sternenflotte vorzeitig in den Rang eines Captain zu befördern. Nach dem Angriff der Borg, bei Wolf-359, wurden einige neue Schiffstypen entwickelt und auf Kiel gelegt, doch jetzt, wo diese Raumschiffe fertiggestellt sind, fehlt der Flotte offensichtlich das nötige Personal. Die Verluste bei Wolf-359 konnten immer noch nicht ausgeglichen werden.“

Feyquari Lanoi ließ ihre Gabel sinken. „Hoffst du, dass das Sternenflottenkommando dabei auch auf dich zukommen wird?“

Valand Kuehn schüttelte den Kopf. „Ich bin erst einmal weit vor der Zeit zum Commander befördert worden, und dazu erst seit drei Jahren auf der AKIRA. Ich schätze, dass sich der Flottenstab eher an erfahrene Commander, wie Riker, T´Lora, von der AKULA, oder an Elarica Ferris, von der ABERDEEN, wenden wird.“

„Das war nicht meine Frage, Valand.“

Der Norweger blickte in die großen, dunklen Augen der Betazoidin. „Um ganz ehrlich zu sein, Feyquari, ich würde es mir schon wünschen. Andererseits würde das bedeuten, dass ich die AKIRA verlassen müsste. Ich bin nicht sicher, ob ich das gegenwärtig möchte.“

Feyquari lächelte schwach und deutete mit der Gabel auf ihn. „Oh doch, das weißt du, und ich bin mir ziemlich sicher, dass du das selbst bereits erkannt hast. Du gehörst nämlich zu jenen Offizieren, die nur aus einem einzigen Grund zur Sternenflotte gegangen sind. Den, irgendwann ein eigenes Kommando, auf einem Sternenflotten-Raumschiff, zu führen. Gestehe dir das ein, denn alles Andere wäre Selbstbetrug.“

Etwas verwundert über diesen Vortrag lehnte sich Valand in seinem Sitz zurück und erwiderte nachdenklich: „Ja, du hast Recht. Bereits auf der ALAMO, kurz nach der Katastrophe, wusste ich, nachdem ich notgedrungen das Kommando übernommen hatte, dass ich irgendwann auch ein reguläres eigenes Kommando über ein Sternenflotten-Raumschiff haben möchte. Aber vielleicht ist es dazu noch zu früh, Feyquari.“

Intensiver lächelnd, als zuvor, legte die betazoidische Frau ihre Gabel zur Seite und griff nach den Händen ihres Gegenübers. „Jetzt hör mir mal gut zu, Valand: Ich bin nicht der Ansicht, dass viele Commander dort draußen mehr bereit für ein eigenes Kommando wären, als du. Deine Bedenken entspringen Verlustängsten. Aber niemand auf diesem Schiff, inklusive ich selbst, sollte dich davon abhalten, deinen Weg zu gehen, der dir bestimmt ist. Der dir bestimmt war, seit du dich zur Sternenflotte gemeldet hast.“

Valand blickte Feyquari lange an, bevor er nickte. „Du bist wirklich etwas ganz Besonderes. Ist das Wissen darum, dass ich vielleicht nicht mehr lange auf der AKIRA sein werde, vielleicht der Grund, warum wir...“

„Nein!“

Die Betazoidin ahnte was der Norweger hatte fragen wollen. „Es liegt daran, dass ich bei Wolf-359 meinen Lebensgefährten verloren habe. Ich habe mit dir nie ausführlich über diesen Teil meines früheren Lebens gesprochen. Er war ebenfalls Betazoide. Die Liebe zwischen zwei Telepathen, das ist etwas Besonderes, schwer Greifbares, und noch viel schwerer erklärbar.“

Valand Kuehn schluckte. „Du musst nicht darüber sprechen, wenn du nicht willst.“

Feyquari Lanoi blickte kurz zum Fenster hinaus. Als sie Valand wieder ansah schimmerten ihre Augen feucht. „Doch, ich möchte sehr gerne darüber reden. Nur nicht jetzt, sondern vielleicht zu einem Zeitpunkt, wo wir mehr Zeit dafür haben.“

Valand Kuehn nickte nur. Nach einem Moment wechselte er das Thema und sagte: „Wie ich hörte, werden wir, nach dem Abschluss der Gespräche mit den Heralanern, zur Erde fliegen und Landurlaub bekommen. Wenn wir dort sind ist gerade Karneval. Was hältst du davon, wenn wir die Zeit dort nutzen, um Rio zu besuchen und uns in das alljährliche, bunte Treiben dort zu stürzen. Auf eine solche Gelegenheit warte ich seit Jahren.“

Dankbar für den Themenwechsel fragte die Frau: „Ist das jene Jahreszeit, in der sich die Menschen verkleiden? Ich glaube, davon hast du mir mal erzählt.“

Valand Kuehn grinste jungenhaft. „Ja, das ist sie. Ich schleppe bereits seit Jahren ein Harlekin-Kostüm mit mir herum. Inklusive der Gesichtsmaske und Schellenkappe.“

„Schellenkappe?“, echote die Betazoidin.

Der Norweger lachte unterdrückt. „Das Ding wirst du noch früh genug zu sehen bekommen, mein Herzblatt. Also, kommst du mit mir nach Rio?“

Feyquari machte eine zustimmende Geste, bevor sie wieder ihre Gabel ergriff. „Unbedingt, Valand. Diesen Anblick darf ich mir nicht entgehen lassen.“

Der Hochgewachsene lächelte hintergründig: „Aber das bedeutet, dass du dich ebenfalls verkleiden musst. Ich könnte dir bei der Auswahl eines Kostüms helfen.“

„Oh, nein“, wehrte Feyquari entschieden ab. „Ich schaffe das. Schließlich möchte ich dich damit ebenfalls überraschen.“

„Na, das kann ja was geben“, brummelte der Norweger, bevor ihm etwas einfiel. „Übrigens, Captain Ramirez-Escobar weiß von unserer Beziehung, wie sich vorhin herausstellte. Ich wüsste nur zu gerne woher.“

Feyquari Lanoi schien nicht sonderlich überrascht zu ein, wie Valand erstaunt feststellte. Ihre nächsten Worte bestätigten diese Vermutung. „Ja, wir sprachen am Rande darüber, als sie vor vier Wochen bei mir war.“

„Das ist ja herrlich“, entfuhr es dem Norweger. „Ich bin froh, dass meine Person als Thema für das Kaffeekränzchen herhalten durfte.“

Feyquari Lanoi legte ihre Linke beruhigend auf seine Hand und widersprach: „Als Tratsch-Thema hast du nun wirklich nicht gedient, Valand. Mir schien es eher so, dass unser Captain glaubte, du würdest eine Beziehung mit Tia´Lanai unterhalten. Ihr zwei versteht euch, seit du an Bord kamst, ausgezeichnet. Darum habe ich unsere Beziehung, aber nur ganz am Rande, ihr gegenüber erwähnt. Was sie zu beruhigen schien.“

Etwas weniger verärgert erwiderte der Blonde: „Dabei habe ich dem Captain, gleich zu Beginn, versichert, dass ich keine Dummheit mit unserer Andorianerin begehen würde.“

Feyquari legte den Kopf etwas auf die Seite. „Vielleicht kam ihr der Gedanke aufgrund der Tatsache, dass du mal mit einer Andorianerin verheiratet warst.“

Wie immer, wenn dieses Thema angeschnitten wurde, sah Valand für einen kurzen Augenblick das Gesicht seiner verstorbenen Frau, Ahy´Vilara Thren, vor seinem inneren Auge. So wie es war, als sie sich das erste Mal begegneten. Der Moment verging und Valand lächelte schwach. „Ja, vermutlich.“

Der Norweger sah auf den Wand-Chronograf und seufzte. „Nur noch fünf Minuten, bis ich wieder auf der Brücke sein muss. Kommst du mit?“

Feyquari Lanoi nickte. Gemeinsam erhoben sie sich, brachten ihr Geschirr und die Gläser zum Replikator, und machten sich dann auf den Weg.

Karneval in Rio


 

1.

Karneval in Rio
 

Rio de Janeiro

Sternenzeit: 48130.3

Sol-System - Terra
 

Das bunte Treiben um sie herum war ansteckend, der Trubel unbeschreiblich, der Lärm der Musik beinahe ohrenbetäubend. Bunt glitzerndes Konfetti schwirrte überall durch die Luft und hüllte die tanzenden, lachenden Menschen und Aliens ein.

Anders, als Jahrhunderte zuvor, wimmelten nicht nur Menschen durch die bunt geschmückten Straßen der Metropole Rio de Janeiro, sondern auch Wesen aus der gesamten Föderation. Der irdische Karneval erfreute sich bereits seit langer Zeit auch weit über die Grenzen Terras hinaus, großer Beliebtheit. Dabei hätte so Mancher, der heute hier war, nicht einmal eine Verkleidung benötigt.

Valand Kuehn, dem dieser Gedanke durch den Kopf ging, sah lachend zu seiner Begleiterin, wobei er immer wieder bewundernd ihr Erscheinungsbild in sich aufnahm. Feyquari hatte es tatsächlich geschafft, ihn mit ihrem Tanzkostüm positiv zu überraschen. Im Grunde bestand es aus einer Unzahl von handlangen, roten Federn, die einen langen Rock bildeten und einem farblich passenden, knappen Bustier, das ihre wohlgeformten Brüste betonte indem es sie nur sehr spärlich bedeckte. Ihr flacher Bauch und die Schultern blieben frei. Auf dem Kopf trug sie einen Federschmuck, wie er seit Jahrhunderten von brasilianischen Frauen, zu dieser Gelegenheit, getragen wurde. Ebenfalls rote, hochhackige Riemchensandalen, mit glitzernden Steinen darauf, rundeten das Bild der fröhlich Karneval feiernden Betazoidin ab.

Valand Kuehn selbst trug sein rot-gelbes Harlekin-Kostüm mit einer passenden Schellenkappe und einer schwarzen Augenmaske. Auf eine, mehr traditionelle, Halbmaske hatte er bewusst verzichtet. Sie war ihm schlicht zu unbequem. Vergnügt tanzte er mit Feyquari durch das Gewühl von Leibern vieler Spezies. Dabei gaben die drei Glöckchen an den Spitzen der Schellenkappe, bei jedem seiner Schritte, ein leises Klingeln von sich, was momentan jedoch im Lärm der traditionellen Samba-Klänge unterging.

Feyquari wurde gegen Valand gedrückt, als sie in ein dichtes Gewimmel von Menschen gerieten und ihr straffer Körper drückten sich, deutlich spürbar, gegen seinen. Instinktiv legte er seinen rechten Arm um ihre schmalen Hüften.

In früherer Zeit hatten die brasilianischen Samba-Mädchen gerne auch mal blankgezogen und ihre nackten Brüste zur Schau gestellt. Heute war das nicht mehr der Fall, doch auch so berauschte der Anblick der vielen, leicht bekleideten Frauen aus vielen Teilen der Galaxis die Sinne der anwesenden Männer und Frauen gleichermaßen.

Valand Kuehn hatte, einige Stunden zuvor, nicht schlecht gestaunt, als er mit Feyquari auf dem Weg zum Transporterraum gewesen war, um sich hierher beamen zu lassen. Denn in den Gängen der AKIRA war ihnen Marina Ramirez-Escobar begegnet. Ebenfalls auf dem Weg zum Transporterraum und in einem Kostüm, das noch deutlich gewagter war, als das seiner Begleiterin. Ihm waren, bei dieser Begegnung, beinahe die Augen übergegangen und es hatte eines festen Stoßes von Feyquari, in seine Rippen, bedurft um seine Vorgesetzte nicht ungebührlich lange anzustarren. Natürlich hatte es Captain Ramirez-Escobar dennoch bemerkt und lediglich amüsiert geschmunzelt.

Inzwischen war es fast vollkommen dunkel geworden und überall flammten nun bunte Laternen auf. Vor etwa einer Stunde hatten sie den Captain und einige andere Mitglieder der AKIRA-Crew im Getümmel verloren, und noch immer wirkte der Gedanke daran, dass die Latina, mehr als knapp bekleidet, nun irgendwo ausgelassen und sich lasziv bewegend, mit ihnen in der Menge herum tanzte, abstrakt auf den Norweger.

Die Gedanken des Mannes kehrten sehr schnell in die Gegenwart zurück, als Feyquari ihm spontan einen herzhaften Kuss gab.

„Hey, das ist wirklich toll hier!“, schrie die Betazoidin gegen den Lärm an. „Ich bin glücklich, dass ich mit dir hergekommen bin!“

Valand nickte nur zufrieden. Er genoss, nach der langen Zeit an Bord der AKIRA und den Jahren im Bajoranischen Sektor, um dort den Frieden zu bewahren, diesen fröhlichen und unbeschwerten Trubel. Und er genoss die Nähe der Betazoidin in seinem Arm. Zum ersten Mal seit langer Zeit erfüllte ihn ein Gefühl innerer Zufriedenheit, und er gewann den Eindruck, dass es Feyquari in diesem Moment ebenso erging.

Sie ließen die Gruppe zurück um gleich darauf in einem Pulk aus andorianischen und rigelianischen Männern und Frauen zu verschwinden. Einer der Rigelianer reichte Feyquari seine Hand und im nächsten Moment tauchten sie auch schon, eng umschlungen, in der Menge der Feiernden unter.

Valand selbst blieb kaum Zeit sich darüber Gedanken zu machen, denn bereits einen Augenblick später hatte er selbst eine der Andorianerinnen am Hals, und das wortwörtlich, denn sie hatte ihre Arme eng um seinen Nacken geschlungen und im nächsten Augenblick in das muntere Treiben der Gruppe gezogen.

Valand legte erst nach einer Phase der Überraschung seine Hände auf die Hüften der langhaarigen Andorianerin, deren grün-blaue Augen ihn fragend fixierten. Dabei bewegten sich ihre Antennen scheinbar im Takt der Musik.

Selbstbewusst nahm sie seine Hände und legte sie sich enger um den Körper, bevor sie ihm vergnügt zu zwinkerte. Entgegen vieler anderer Frauen um sie herum trug sie ein nicht ganz so freizügiges Kostüm, das dennoch ihre Proportionen positiv zur Geltung brachte.

Während sie sich im Takt der Musik, eng an einander geschmiegt, bewegten, stellte Valand Kuehn fest, dass diese Andorianerin kaum weniger hochgewachsen war, als er selbst. Zuvor war ihm kaum aufgefallen, dass sie die meisten ihrer Begleiter überragte. Er bemerkte in der allgemeinen Ausgelassenheit kaum, wohin sich die Hände der Andorianerin überall verirrten, während sie tanzten. Dabei gingen seine eigenen Hände ebenfalls auf die Reise, und die Andorianerin gab einen schrillen Ton von sich, als seine Rechte fest ihren Po drückte.

Im nächsten Moment wurden sie bereits wieder auseinander gerissen, und bevor Valand es richtig realisierte tanzte er mit einer deutlich kleineren, und auffällig spärlicher bekleideten, Rigelianerin, die ihrer andorianischen Freundin kaum nachstand, was Direktheit und die Neugier ihrer Hände betraf.

Bis sich nach einigen Augenblicken plötzlich Feyquari Lanoi dazwischen drängte, Valand fest an die Hand nahm, und ihn entschlossen mit sich zog.

„Tot oder lebendig, du kommst mit mir!“, lachte die Betazoidin und zwinkerte Kuehn dabei anzüglich zu. „Du wirst mir auch mit diesen beiden Damen keine Dummheiten anstellen, mein Freund! Und nun lass uns irgendwo etwas trinken, in Ordnung?“

Valand lachte ausgelassen, jedoch gleichfalls überrascht wegen des entschlossenen dazwischen Gehens seiner betazoidischen Begleiterin. „Sehr gerne! Ich habe da vorhin eine nette Strandbar gesehen.“

Der Norweger wandte sich nochmal den beiden Tänzerinnen zu, die Feyquari Lanoi gleichermaßen kritisch musterten, und warf ihnen dabei einen bedauernden Blick zu. Einen Moment später hatte er sie bereits aus den Augen verloren.

Feyquari Lanoi legte eine Hand auf seine Brust, während sie ihn mit dem linken Arm eng gegen sich drückte. „Dann los, du lüsterner Harlekin. Glaub nur nicht, ich hätte nicht gesehen, was du da eben mit dieser langen Andorianerin und ihrer kecken, rigelianischen Freundin so alles aufgeführt hast.“
 

* * *
 

Valand Kuehn und Feyquari Lanoi verließen das Espetto Carioca erst, als bereits der Morgen graute. Noch immer waren Feiernde unterwegs, wenn sich auch die Reihen deutlich spürbar gelichtet hatten.

Der Norweger schätzte, dass es etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang war, als sie aufbrachen. Hand in Hand und beide ziemlich angetrunken, schlenderten sie über die Strandpromenade in Richtung Osten, dem nahen Sonnenaufgang entgegen. Dabei blickten sie die Avenida Atlântica entlang, die sich vor ihnen in einer sanften Rechtskurve erstreckte. Mittlerweile führte kein Verkehr mehr über sie. Aus der früher sechsspurigen Straße war bis heute eine reich begrünte Allee geworden.

Nach einer Weile hielt Feyquari an und zog sich die Schuhe aus. Valand tat es ihr, gleich darauf, nach. Die Schuhe an den Senkeln zusammenbindend und am Gürtel befestigend, stellte der Norweger schmunzelnd fest, dass auch Feyquari ihre Sandalen, auf ganz ähnliche Weise an ihrem Rock fixiert hatte. Wieder ihre Hand in seine nehmend schritten sie über den feinen Sand.

Am fernen Horizont zeigte sich der erste schwache, rötliche Streifen unter vereinzelten, ultrablauen Wolken, die sich gegen das hellere Blau des Himmels abhoben. Eine leise, salzig schmeckende, Brise wehte ihnen vom Atlantik her entgegen.

Feyquari hatte es vermieden das Thema anzuschneiden, seit sie hierher gekommen waren, doch nun verspürte sie den Drang darüber zu reden, und so fragte sie: „Worüber wollte Captain Ramirez-Escobar mit dir sprechen, als sie dich gestern Morgen zu sich, in ihr Quartier, gerufen hat? Bisher hast du darüber nicht ein Wort verlauten lassen.“

Valand Kuehn sah Feyquari offen an. „Ich wollte damit eigentlich warten, bis dieser Landurlaub zu Ende ist. Aber du sollst es natürlich erfahren. Der Captain hat mich zu sich gerufen, weil das Sternenflottenkommando entschieden hat. Wie ich es vermutete, hat sich der Stab, für die Auswahl neuer Schiffskommandanten, zunächst an die erfahrenen Commander, wie T´lora, Ferris und Riker gewandt. Riker hat jedoch überraschend abgelehnt. Dafür bin ich in die Auswahl der Admirals gerutscht. So, wie ich unseren Captain verstanden habe, wohl auch dann deswegen, weil ich über Erfahrungen auf einem Raumschiff der AKIRA-KLASSE verfüge, denn bei einem der neuen Raumschiffe, die demnächst in Dienst gestellt werden, soll es sich um eine neue Trägervariante der AKIRA-KLASSE handeln.“

Feyquari Lanoi blieb stehen. Sie nahm beide Hände ihres Gegenübers in ihre und beobachtete das Spiel des fahlen Morgenlichtes auf seinem Gesicht. Erst nach einer Weile fragte sie: „Und du hast dich entschieden?“

Valand nickte schwach. „Aye. Ich werde der angebotenen Beförderung und dem eigenen Kommando zustimmen.“

Feyquari legte ihre Hände auf die Wangen ihres Gegenübers. „Ich freue mich aufrichtig darüber, Valand. Denn ich bin mir sicher, dass du ein sehr guter Kommandant werden wirst. Aber im Grunde warst du das ja schon, für viele Jahre, auf der ALAMO. Die neue Verantwortung wird also kein Problem für dich darstellen, da du das bereits kennst.“

Valand zog die betazoidische Frau näher zu sich heran. „Ja, das ist wohl richtig. Aber bereits jetzt befinden sich meine Emotionen in einem gewissen Chaos deswegen. So sehr ich mich auf die neue Aufgabe freue, so sehr werde ich dich, und alle Freunde, die ich an Bord der AKIRA gefunden habe, sehr vermissen. Selbst unseren Captain.“

Valand Kuehn gab einen Laut der Überraschung von sich, als Feyquari ihn fest in die Seite stupste. Dabei meinte sie heftig: „Selbst unseren Captain? Ja, klar. Ich will dir mal etwas sagen: Ihr zwei seid euch, in den letzten drei Jahren, menschlich weitaus näher gekommen, als die meisten andere Führungsoffiziere im doppelten Zeitraum. Aber das wollt ihr beiden Dickköpfe natürlich nicht zugeben – oder?“

Der Norweger grinste und erwiderte ironisch. „Richtig, das würden wir nie tun.“

Feyquari Lanoi funkelte ihn für einen kurzen Moment lang beinahe wütend an. Dann erklärte sie: „Es ist hoffnungslos mit euch beiden. Weißt du, was die Gelehrten der Psychoanalyse auf Betazed über Terraner behaupten?“

Kuehn grinste breit. „Dass sich Terraner der Psychoanalyse entziehen? In dem Fall würdest du mächtig in der Tinte sitzen.“

Die Frau schlug mit ihrer Rechten schwach gegen die Brust ihres Gegenübers. „Ich wusste es ja. Es ist absolut hoffnungslos.“

Bereits wieder lächelnd umarmte die Betazoidin Valand Kuehn und legte ihren Kopf auf seine Brust. Fast unhörbar sagte sie: „Lass uns zum Hotel gehen.“

Etwas enttäuscht, weil er gehofft hatte noch etwas mehr Zeit mit Feyquari verbringen zu können, erwiderte er, ihre Worte mit erzwungenem Humor nehmend: „Zu deinem, oder zu meinem Hotel.“

Zur Überraschung des Norwegers erwiderte sie, ohne ihren Kopf von seiner Brust zu nehmen: „Natürlich zu deinem Hotel, Valand, ich habe mir hier kein Zimmer reservieren lassen, und jetzt dürfte ich auch keins mehr bekommen.“

Es dauerte eine ganze Weile, bis Kuehn den Sinn ihrer Worte ganz verstanden hatte. Sie an den Schultern etwas von sich haltend fragte er sanft: „Bist du dir ganz sicher?“

Ihre Antwort bestand aus einem langen Kuss. Erst nachdem sie den Mann in ihren Armen wieder freigegeben hatte, sagte sie leise aber bestimmt: „Ganz sicher.“

Sie küssten sich erneut, bevor sie sich, Arm in Arm, auf den Weg machten.
 

* * *
 

Die bereits wieder untergehende Sonne schien orange-rot durch die leichten Vorhänge des farbenfroh eingerichteten Hotelzimmers, als Valand Kuehn die Augen aufschlug. Kein Wunder, denn sie hatten, nachdem sie in diesem Hotel angekommen waren, noch lange keinen Schlaf gefunden.

In angenehmer Erinnerung des vergangenen Morgens lächelte der, auf dem Rücken liegende, Norweger und blinzelte vorsichtig zu Feyquari, die ihren Kopf auf seine rechte Schulter gebettet hatte und noch friedlich schlief. Er bemühte sich, sie nicht zu wecken.

Im Schlaf hatte sie offensichtlich die leichte Bettdecke bis zu ihrer Hüfte hinunter gestrampelt, so dass er die Linie ihres nackten Oberkörpers erkennen konnte. Den rechten Arm hatte sie quer über seine Brust gelegt.

Fix und Fertig, dachte Valand Kuehn belustigt. Aber das schien ihm auch nicht verwunderlich, nach der Leidenschaft, die sie an den Tag gelegt hatte, bevor sie beide schließlich Entspannung und den wohlverdienten Schlaf fanden.

Der Norweger beobachtete für eine Weile das gleichmäßige Heben und senken ihres durchtrainierten Körpers, bevor er sacht mit seinen Fingern über ihren Rücken fuhr.

Noch im Halbschlaf schnurrte die Betazoidin, wie eine Katze, und schmiegte sich an Kuehn, bevor sie endgültig erwachte und leicht ihren Kopf anhob, um ihn verschlafen anzusehen. Sie rutschte höher und küsste ihn auf die Wange. Dann gähnte sie herzhaft und murmelte: „Guten Morgen, Imzadi.“

„Im-Was?“

Feyquari lachte leise. „Imzadi. Das ist ein Kosename und bedeutet so viel wie: Geliebter, oder auch Geliebte im umgekehrten Fall. Er besitzt aber noch eine weitergehende Bedeutung. Er steht gleichfalls für betazoidische Paare, bei denen Mann und Frau gegenseitig ihre Seelen berührt haben. Somit geht Imzadi über den Begriff Geliebter hinaus und drückt eine geistige Verbundenheit aus.“

Valand Kuehn überlegte eine Weile und erwiderte dann: „Aber ich bin kein Telepath. Warum nennst du mich dennoch so?“

Wieder lachte die Betazoidin leise. „Weil ich glaube, dass sich unsere Seelen trotzdem berührt haben, Valand. Ganz ohne Telepathie.“

Der Commander zog Feyquari zu sich heran. „Das empfinde ich ebenso. Ich weiß, dass wir bereits eingehend darüber gesprochen haben, aber ich wünschte mir wirklich, du würdest deinen Entschluss, in Bezug auf unsere Beziehung, nochmal überdenken.“

„Das habe ich in den letzten Tagen. Und auch wenn es mir gerade jetzt sehr schwer fällt, so bin ich immer noch sicher, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.“

Die Frau legte ihre Hände auf seine Brust und stützte sich leicht ab.

Valand Kuehn legte seine linke Hand sacht auf ihre Wange und streichelte sie. „Ich glaube dir das und ich gebe zu, dass ich in dieser Hinsicht etwas eigensüchtig denke. Denn du bist auf eine ganz besondere Art liebenswert, Feyquari.“

Die Betazoidin beugte sich schnell vor und gab Valand einen flüchtigen Kuss. Als sie ihn wieder ansah schimmerten ihre Augen feucht. „Glaub nicht, dass ich nicht versucht wäre, Valand. Aber ich kann auf Dauer nicht ohne diese telepathische Verbindung eine Beziehung führen. Selbst mit dir nicht, obwohl ich, seit den schrecklichen Ereignissen bei Wolf-359, zum allerersten Mal wieder eine besondere, vertraute Verbindung zu einem Mann gespürt habe, ohne dabei gleichzeitig diesen schmerzenden Druck von Trauer zu empfinden. Es war, seit diesem schrecklichen Tag, an dem ich meine große Liebe verlor, das erste Mal, dass ich wieder das Gefühl hatte, mich ganz und gar fallenlassen zu können. Das war wirklich wunderschön. Irgendwann würde ich dir jedoch wehtun, würde ich dir heute nachgeben.“

Ihr Lächeln bekam eine schmerzliche Note.

Valand Kuehn nahm Feyquari sacht in seine Arme und streichelte über ihr Haar. Erst nach einer ganzen Weile sagte er leise: „Die Zeit mit dir werde ich in meinem Herzen mitnehmen, egal wohin es mich in der Zukunft auch immer verschlagen mag. Ich liebe dich, Feyquari, auch wenn ich dir das bisher nie gesagt habe. Darum akzeptiere ich deine Entscheidung ohne sie in Frage zu stellen. Aber das fällt mir in diesem Moment wirklich nicht leicht, Imzadi.“

Lange Zeit hielten sie sich einfach so in den Armen, nur gelegentlich unterbrochen von sanften Liebkosungen und Küssen.

Endlich atmete Valand Kuehn tief durch, räusperte sich und fragte: „Was hältst du davon aufzustehen, gemeinsam mit mir zu duschen und anschließend zu Frühstücken. Oder wohl besser: Zu Abend zu essen.“

Ihn dankbar ansehend nickte Feyquari Lanoi. „Das klingt gut.“

Sie begaben sich in den Sanitärbereich der Hotelsuite. Unter der Dusche meinte Valand Kuehn, der die größte Enttäuschung inzwischen überwunden hatte: „Wir sollten heute Abend auf jeden Fall nochmal ordentlich auf die Pauke hauen.“

Feyquari prustete etwas Wasser aus, das sie versehentlich verschluckt hatte. „Wir sollten auf was hauen?“

Der Norweger kitzelte sie am Hals, weil er wusste, dass betazoidische Frauen dort allgemein sehr empfindlich waren. „Ich meine, wir sollten uns nachher nochmal richtig amüsieren, bevor uns morgen der Dienst wieder in seinen Fängen hält. In weniger als vierundzwanzig Stunden sind wir bereits schon wieder auf dem Weg. Es geht erneut in Richtung des Bajoranischen Sektors. Gegenwärtig gibt es beim Stab der Sternenflotte den Plan die Station DEEP SPACE NINE massiv aufzurüsten, wie mir der Captain verriet. Aber das habe ich dir nie gesagt, klar?“

Feyquari grinste verschmitzt und fragte mit unschuldigem Augenaufschlag: „Was denn gesagt?“

Valand Kuehn legte seine Arme um die nackte Betazoidin. Für eine geraume Weile küssten sie sich und als sie sich trennten meinte die Frau anzüglich: „Also doch Krake.“

Die Betazoidin beugte sich leicht vor und flüsterte etwas in Valands Ohr, was dieser etwas seltsam fand, da sie doch allein waren. Danach hauchte sie einen Kuss auf sein Ohr und blickte ihn fragend an.

Der Dunkelblonde erwiderte leise zustimmend: „Das wäre, im Anschluss, natürlich auch sehr schön. Ich hoffe nur, du glaubst nicht...“

Feyquari legte ihre Finger auf seine Lippen. „Nein, denn das würdest du nie tun. Außerdem möchte ich es ja auch. Und nun sollten wir wirklich zusehen, dass wir nicht den gesamten Abend unter der Dusche vertrödeln, oder daraus wird nichts.“

„Du sagst es“, gab Valand zurück und begann vergnügt damit, laut und falsch unter der Dusche zu pfeifen, bis sich Feyquari, mit gespielter Leidensmiene, die Ohren zu hielt.

Captain Valand Kuehn


 

2.

Captain Valand Kuehn
 

U.S.S. AKIRA / NX-62497

Sternenzeit: 48400.9

Im Orbit von Sternenbasis-375
 

Vor der U.S.S. AKIRA schwebte die Sternenbasis-375 in der, von funkelnden Sternen übersäten, Schwärze des Weltalls. Hauptsächlich bestand diese Station aus einem halben Dutzend von Scheiben-Sektionen, die alle, mehr oder minder, mit dem zylindrischen Mittelstück der Station verbunden waren. Den oberen Abschluss dieses Mittelteils bildete eine klobige Sektion, einer gewaltigen Zwiebel nicht unähnlich. Dort lagen die Hauptbüros der Verwaltung und es gab eine auffällige Hangarsektion für Raumschiffe, bis zur Größe der DEFIANT-KLASSE.

Die MAGELLAN war nur wenige Stunden vor der AKIRA dort angekommen, um Nachschubgüter und Ersatzteile an Bord zu nehmen. Sie würde bis morgen hier bleiben und Commander Valand Kuehn, der momentan auf der Brücke der AKIRA weilte, freute sich darauf, endlich seinen andorianischen Freund, Tar´Kyren Dheran, wiedersehen zu können. Der Andorianer diente seit etwa einem Jahr nun schon auf der MAGELLAN, als Erster Offizier. Obgleich er nur den Rang eines Lieutenant-Commanders bekleidete, war ihm, im Sommer des Jahres 2370, dieser verantwortungsvolle Posten vom Oberkommando der Sternenflotte, wegen des knappen Führungspersonals zu diesem Zeitpunkt, angeboten worden. Natürlich hatte der Freund diese Chance ergriffen.

Auf dem Hauptschirm drehte sich die, nach DEEP SPACE NINE, wichtigste Sternenbasis des gesamten Sektors, langsam um ihre Längsachse. Etwas an Steuerbord querab schwebte die gewaltige MAGELLAN, ein Raumschiff der GALAXY-KLASSE. Entgegen seines andorianischen Freundes hatte es Valand Kuehn nie gereizt, auf einem dieser gewaltigen Raumschiffe, auf denen man sich verlaufen konnte, zu dienen. Ein schneller Angriffskreuzer, wie die AKIRA, erschien ihm genau richtig.

Im Sessel des Captains sitzend lehnte sich der Norweger nachdenklich zurück und fragte sich, wann ihm der Drang, nur Forscher zu sein, abhanden gekommen war. Er hasste den Krieg, im Grunde seines Herzens, und doch war er, im letzten, halben Jahr, mehr Krieger, als Forscher, gewesen. Und ein guter dazu, wie sein Captain gelegentlich behauptete.

Valand Kuehn hatte, in der letzten Zeit, häufiger mit Feyquari Lanoi, aber auch mit Lieutenant Junior-Grade Tia´Lanai Dharell und Lieutenant-Commander Mark Wilmots, der vor drei Monaten zum Leitenden Ingenieur der AKIRA befördert worden war, darüber gesprochen. Dabei war es die junge Andorianerin gewesen, derer er sich vor drei Jahren, als Mentor, angenommen hatte, die ihm sagte, dass es wohl seine Bestimmung sei, mehr ein Kämpfer zu sein, als ein Forscher. Er fragte sich, ob das vielleicht stimmen könnte.

Bei einem Blick auf den Chronografen, über den Hauptschirm der Brücke, stellte der Commander fest, dass es bereits 07:53 Uhr Standardzeit war. In knapp sieben Minuten würde Admiral William Ross an Bord kommen, und seine Beförderung, vor der versammelten Freiwache der AKIRA, vornehmen. Nicht zuletzt aus diesem Grund war momentan, außer ihm selbst, kein einziger Führungsoffizier auf der Brücke zu sehen.

Zwei Minuten später übergab er das Kommando über das Raumschiff an den zweiten Piloten der AKIRA, Ensign Thomas Flandry, und verließ die Brücke über Turbolift-I.

Während er mit dem Lift hinunter zur Hangar-Ebene fuhr, wurde sich Valand Kuehn bewusst, dass er gerade eben seinen letzten Befehl als Commander erteilt hatte. In wenigen Minuten schon würde Konteradmiral Ross ihn in den Rang eines Captains befördern und er würde sein bisheriges Kommando an einen frisch zum Commander beförderten Offizier abgeben. Dabei dachte er an seine erste Begegnung mit Captain Marina Ramirez-Escobar, nachdem er selbst ihrem Kommando unterstellt worden war.

Damals hatte die Latina ihm unverblümt gesagt, dass sie lieber einen anderen Offizier für diesen Posten gehabt hätte, und ein Anflug von Bedauern, für den neuen, zukünftigen Ersten Offizier der AKIRA, überkam ihn.

Auf Deck-10 angekommen verließ Kuehn die Kabine des Turbolifts und schritt rasch durch den kurzen Gang, der zum Roll-On-Roll-Off-Hangar des Raumschiffes führte.

Bereits von Weitem erkannte Valand Kuehn seine angetretenen Kameraden, die im rückwärtigen Steuerbord-Bereich, vor mehreren, für diesen Anlass speziell in Reihe abgestellten Raumjägern der PEREGRINE-KLASSE, Aufstellung genommen hatten. Mit dem Rücken zu den Jägern blickten sie auf die große Hangar-Öffnung, deren Schutztor sich bereits geöffnet hatte. Nur das, an den Rändern leicht bläulich glühende, energetisch Sperrfeld verhinderte ein Entweichen der Atmosphäre im Hangar.

Schnell schritt Valand Kuehn zu Captain Ramirez-Escobar.

„Sie sind knapp dran, Commander, der Konteradmiral befindet sich bereits im Anflug“, raunte die Latina ihm so leise zu, dass nur er ihre Worte verstehen konnte. Laut sagte sie: „Treten Sie zur Truppe, Commander, bis der Konteradmiral, mit seinem Shuttle, an Bord gekommen ist und ich ihm Meldung gemacht habe.“

„Aye, Captain“, antwortete Kuehn und begab sich neben den ganz rechts angetretenen Leitenden Ingenieur der AKIRA. Dabei fing er die begeisterten Blicke von Mark Wilmots auf und musste sich ein Grinsen verbeißen. Gleichzeitig rührte es ihn, dass Wilmots, der ihm in den letzten Jahren ein echter Freund geworden war, sich so sehr für ihn freute.

Es dauerte nicht lange, bis das Admirals-Shuttle durch das Sperrfeld schwebte, und dicht bei Marina Ramirez-Escobar aufsetzte. Der Pilot konnte was.

Eilig nahmen sechs erfahrene Chief-Petty-Officers der AKIRA, die bisher am anderen Ende der Truppe gewartet hatten, am seitlichen Backbord-Schott des Shuttles Aufstellung, und der höchstrangige von ihnen pfiff Seite auf einer altertümlichen Bootsmanns-Pfeife, als der Konteradmiral es verließ.

Die blauen Augen des charismatischen Flaggoffiziers richteten sich auf Captain Ramirez-Escobar, als er vortrat und dem uralten Prozedere der Flotte folgend fragte: „Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen, Captain?“

„Erlaubnis erteilt, Admiral!“, erwiderte die Latina, gemäß dieser Tradition. „In meinem Namen und im Namen der gesamten Mannschaft begrüße ich Sie ganz herzlich an Bord der AKIRA, Sir.“

Der breitschultrige Mann lächelte verbindlich, und sagte so laut, dass ihn auch die angetretenen Männer und Frauen hören konnten: „Danke, Captain Ramirez-Escobar. Sie haben da ein beeindruckendes Schiff unter Ihrem Kommando. Und wohl auch einen beeindruckenden Commander, sonst wäre ich wohl kaum hier, richtig?“

Ebenso laut erwiderte die schwarzhaarige Kommandantin der AKIRA bissig, an Kuehns Adresse gerichtet: „Nun ja, dieser Commander hat mich zwar einige Nerven und Jahre meines Lebens gekostet, aber inzwischen macht er sich ganz gut.“

Auf den Scherz eingehend erwiderte Ross: „Ja, mir ist so, als hätte ich da mal so etwas vernommen, Captain.“

Konteradmiral Ross und die Kommandantin der AKIRA wandten sich, gleichermaßen amüsiert wirkend, den Angetretenen zu und die Latina sagte: „Commander Valand Kuehn, bitte treten Sie vor.“

Es war soweit.

Kuehn trat, mit fest auf den Admiral gerichteten Blick, nach vorne, blieb drei Schritt vor ihm stehen und nahm Haltung an. Obwohl er versucht hatte, sich mental auf diesen Moment vorzubereiten, spürte er in diesem Moment ein Kribbeln am gesamten Körper.

Konteradmiral William Ross schritt zu Valand Kuehn und reichte ihm die Hand, der sie ergriff, wobei der Flaggoffizier deutlich vernehmbar sagte: „Commander Kuehn, sie haben sich in der Vergangenheit, durch unablässig vorbildlichen Einsatz und die stetige Bereitschaft Verantwortung auch dann zu übernehmen, wenn die Lage scheinbar hoffnungslos ist, die Anerkennung und den Respekt, nicht nur Ihrer Kameraden, sondern auch ihrer Vorgesetzten, verdient. Ansonsten hätte Sie Ihr Captain bestimmt nicht vehement für ein eigenes Kommando vorgeschlagen. Ich bin hoch erfreut darüber, dass Sie nun auch bereit sind, einen weiteren Schritt nach vorne zu machen. Darum ist es mir eine besondere Freude, Sie mit dem heutigen Tag, in den Rang eines Captains der Sternenflotte zu befördern. Mit allen Pflichten und Privilegien, die dieser Rang mit sich bringt.“

Ross wandte sich mit Kuehn den Angetretenen zu und befestigte dann einen zusätzlichen Rank-Pin am Kragen von Kuehns Uniform. „Meinen herzlichen Glückwunsch, Captain Valand Kuehn.“

Es war Mark Wilmots, der es übernahm, an dieser Stelle den uralten Brauch aufleben zu lassen, ein dreifaches Hipp-Hipp-Hurra anzustimmen. Zwar gehörte dieser Brauch noch nie offiziell zum Prozedere der Sternenflotte, aber er war nicht loszuwerden, und das seit mehreren Jahrhunderten bereits. Noch kein Vorgesetzter hatte je dagegen interveniert. Es gehörte einfach zu einer Beförderung dazu, und weil es bei seiner letzten Beförderung nicht möglich gewesen war es anzustimmen genoss es Valand Kuehn diesmal umso mehr.

Nachdem es wieder ruhig geworden war, beglückwünschte ihn Marina Ramirez-Escobar, als Erste. Sie gab ihm dabei, entgegen des Protokolls, einen flüchtigen Kuss auf die Wange, wobei sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste.

„Genießen Sie den Moment, Captain“, riet ihm der Konteradmiral leise und blickte dabei vielsagend auf die angetretene Mannschaft.

„Aye, Sir“, antwortete der frischgebackene Captain, bevor er zu seinen Kameraden ging um nun auch ihre Glückwünsche entgegen zu nehmen.

Neben Mark Wilmots schien Tia´Lanai Dharell gleichfalls ungeheuer stolz auf seine Beförderung zu sein, obwohl sie wusste, dass sie nun bald ihren Mentor verlieren würde. Doch sie war längst nicht mehr die zurückgezogene und in sich gekehrte Frau, die sie noch vor drei Jahren gewesen war. Heute war sie eine starke Persönlichkeit und vollkommen in die Mannschaft integriert, und darüber freute sich Valand Kuehn, denn das war sein Ziel gewesen, als er sich damals der Andorianerin angenommen hatte.

Ross und die Kommandantin der AKIRA gesellten sich nach einer Weile dazu, und der Konteradmiral sagte zu Kuehn: „Ich erwarte Sie nachher, um exakt 12:00 Uhr, in meinem Büro, auf der Station, Captain. Es geht um Ihren Flug nach Antares und die Übernahme des Raumschiffes, das Ihnen das Sternenflottenkommando zugedacht hat. Das lässt Ihnen Zeit genug, sich von Ihren Freunden und Kameraden auf der AKIRA zu verabschieden.“

„Danke, Sir.“

Der Konteradmiral verabschiedete sich von ihm und Marina Ramirez-Escobar und gab damit gleichzeitig das Zeichen zur Auflösung dieser Versammlung.

Auf dem Weg aus dem Hangar wandte sich die Kommandantin der AKIRA zu Valand Kuehn und sagte amüsiert: „Damit haben Sie es endlich geschafft, nicht wahr? Sie bekommen Ihr eigenes Kommando und müssen nicht mehr mit mir konkurrieren.“

Valand Kuehn, der wusste, worauf sie mit ihrer letzten Bemerkung anspielte, stöhnte übertrieben: „Oh nein, Captain, Sie wollen doch nicht immer noch auf dieser alten Geschichte herumreiten.“

Kuehn erinnerte sich dabei an seine erste Zeit, an Bord der AKIRA. Seinerzeit war er es, nachdem er zwangsläufig jahrelang das Kommando über die ALAMO inne gehabt hatte, noch nicht wieder gewohnt gewesen, wieder einen Kommandierenden Offizier zu haben, und einige Male war es dabei vorgekommen, dass er Schiffsweite Entscheidungen getroffen hatte, ohne Marina Ramirez-Escobar dabei mit einzubeziehen. Das hatte zunächst für eine ziemliche Spannung zwischen ihnen geführt, die sich erst nach einer gründlichen Aussprache gelegt hatte. Und einem gemeinsam überstandenen Einsatz auf einem Planeten, bei dem er, gemeinsam mit einem romulanischen Commander, namens Kevek, ihr Leben gerettet hatte.

Nach diesem holprigen Start hatte sich zuerst ihr dienstliches Verhältnis zueinander, später dann auch ihr menschliches, zusehends verbessert. Es war zwar immer eine gewisse Spannung, aufgrund ihrer sehr verschiedenen Gemüter, geblieben, doch das hatte ihrem, mittlerweile sehr herzlichen, Verhältnis zu einander keinen Abbruch getan.

Die Antwort der Latina riss den Norweger aus seinen Gedanken. „Warum sollte ich diese vermutlich letzte Gelegenheit denn auslassen, Captain?“

Ihre Augen funkelten vergnügt, bevor sie beschwichtigend meinte: „Ich erwarte Sie um 09:00 Uhr in meinem Quartier, Valand. Ihre besten Freunde an Bord dieses Schiffes habe ich ebenfalls für dieser Uhrzeit geladen. Wir möchten Sie gemeinsam verabschieden.“

Valand Kuehn nickte gerührt. „Dafür danke ich Ihnen, Marina.“

Es hatte sich irgendwann während des letzten Jahres so ergeben, dass sie sich bei den Vornamen nannten, wenn sie unter sich waren. Ein weiteres Zeichen dafür, wie positiv sich ihr zu Beginn angespanntes Verhältnis bis heute entwickelt hatte.

Marina Ramirez-Escobar nahm den Faden nochmal auf. „Um Ihr Gepäck brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Ich sorge dafür, dass es auf die NIMROD gebracht wird, mit der Sie heute Nachmittag zum Antares-System aufbrechen. Ich hoffe, Sie haben schon gepackt.“

„Schon gestern, Marina. Semper paratus, wie die Lateiner gesagt haben.“

„Aber Sie waren damals doch gar nicht dabei“, konterte die Latina trocken.

Sie lachten und trennten sich vorläufig, als sie vor Kuehns Quartier ankamen.
 

* * *
 

Eine Stunde später rückte der Zeitpunkt des endgültigen Abschieds, von der AKIRA und von seinen Freunden, an Bord, immer näher.

Vor etwa zwanzig Minuten hatte Valand Kuehn das Quartier der Kommandantin betreten und festgestellt, dass er als Letzter erschienen war. Marina Ramirez-Escobar hatte ihn dabei nur bezeichnend angesehen, aber nichts gesagt.

Nach einer kurzen Ansprache hatte die Latina ihre Gäste, außer Kuehn der Leitende Ingenieur, Der Leitende Wissenschaftsoffizier, Senak, Feyquari Lanoi, Tia´Lanai Dharell und der erste Taktische Offizier, Lieutenant Senior-Grade To´Raan Yr Paragon, ein Efrosianer mit schulterlangen, schlohweißen Haaren, dazu aufgefordert, mit einem Glas Champagner auf die Verabschiedung anzustoßen.

Danach hatten die Gäste damit begonnen einige Anekdoten, in Bezug zu ihren Erlebnissen mit Valand Kuehn, zum Besten zu geben. Dabei lachte Marina Ramirez-Escobar vergnügt auf, als die Andorianerin erzählte, wie wütend Valand Kuehn geworden war, nachdem sie ihn als Bordmaskottchen bezeichnet, und behauptet hatte, dass, mit ihm an Bord, die TITANIC nicht untergegangen wäre.

„Unser frischgebackener Captain ist wirklich zu bescheiden.“

Valand erwiderte verteidigend: „Damals nahmen diese viel zu bewundernden Blicke und Bemerkungen einfach Überhand. Ich gewann den Eindruck, die Leute würden mich zu sehr auf einen Podest stellen und dabei vergessen, dass ich ein ganz gewöhnlicher Mensch bin, mit Stärken und auch mit Schwächen.“

„Ganz gewöhnliche Menschen werden aber nicht in Ihrem zarten Alter bereits zum Captain befördert“, hielt die Latina ihm augenzwinkernd entgegen. Und sie bleiben auch nicht auf dem Sessel des Captains sitzen, wenn der Captain die Brücke betritt und lassen ihn auf dem Platz der Counselor schmoren.“

Feyquari Lanoi, die von diesem Ereignis heute zum ersten Mal hörte, blickte ungläubig zu Valand Kuehn und lachte erheitert. „Das hätte ich zu gerne miterlebt.“

Kuehn grinste schließlich selbst, als er sich an diese Begebenheit erinnerte. „Nun, vielleicht haben Sie da nicht ganz unrecht. Aber jetzt werde ich mich bald selbst mit solchen Geschichten herumschlagen müssen – da bin ich schon jetzt gespannt, was in dieser Hinsicht so Alles auf mich zukommen wird. Speziell, welche Spitznamen mir von der Besatzung verpasst werden. Ich hatte da bisher eine Triple-C und eine Señora 10.000 Volt.“

Beim letzten Namen wurde Marina Ramirez-Escobar sehr hellhörig. Sie wusste schließlich, dass dieses Bordkommando erst das zweite war, für Valand Kuehn. „Ach, das ist ja sehr interessant. Señora 10.000 Volt? Wirklich?“

Sie blickte in die Runde und bemerkte, dass selbst Senak irgendwie amüsiert wirkte.

Valand Kuehn, auf den sich alle Blicke richteten, sagte verlegen: „Tut mir leid, Freunde, das ist mir einfach so herausgerutscht.“

„Besten Dank auch“, warf Feyquari Lanoi ein und unterdrücktes Gelächter brandete auf. „Damit werden wir leben müssen, während du dich rar machst.“

Ablenkend begann Mark Wilmots mit der nächsten Anekdote.

Als eine der altertümlichen Uhren, die Marina Ramirez-Escobar auf ihren Kommoden stehen hatte, um 10:00 Uhr zu läuten begann, hob sie ihre Stimme etwas an. „Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie Abschied von Captain Valand Kuehn. Wir beide werden Ihnen gleich nachfolgen.“

Ein Offizier nach dem Anderen verabschiedete sich nun von Valand Kuehn, wünschte ihm Glück und alles erdenklich Gute.

Nachdem Senak, am förmlichsten von Allen, den Abschluss gemacht, und das Quartier verlassen hatte, stellte Marina Ramirez-Escobar ihr Glas auf dem Tisch ab. Dicht vor Kuehn stehen bleibend sah sie zu ihm auf und sagte leise: „Wissen Sie, Valand, ich konnte Sie zu Beginn manchmal nicht ausstehen. Aber heute bedauere ich aufrichtig, dass Sie von Bord gehen. Sie waren nicht nur ein sehr guter Erster Offizier, Sie waren auch ein guter Kamerad. Manchmal auch mein Gutes Gewissen und ich betrachte Sie mittlerweile sogar als einen Freund. Ich verliere Sie höchst ungern.“

„Deshalb haben Sie mich auch für ein eigenes Kommando vorgeschlagen“, bemerkte Valand Kuehn launig und grinste dabei.

„Ja, machen Sie nur Ihre Scherze, doch ich weiß, dass Sie ebenso empfinden“, ließ sich die Latina nicht beirren. „Dazu kenne ich Sie mittlerweile viel zu gut. Darum möchte ich, dass wir uns verabschieden wie Freunde.“

Mit diesen Worten nahm sie Valand in den Arm und Valand erwiderte die Umarmung, wobei er spürte, wie die Emotionen unaufhaltsam in ihm aufstiegen. Er schluckte trocken, bevor er ruhig sagte: „Ich werde Sie sehr vermissen, Marina. Sie waren ein sehr guter Vorgesetzter und Kommandant.“

Die Latina, die nicht weniger mit ihren Emotionen zu kämpfen hatte, als Valand Kuehn, erwiderte: „Unsinn, Valand, ich war Ihr verdammt bester Vorgesetzter.“

Die Worte der Latina halfen ihnen beiden, den Moment der Rührung zu verarbeiten. Als sie sich losließen schimmerten ihre Augen dennoch gleichermaßen feucht. Es dauerte eine Weile, bis sich Marina Ramirez-Escobar schließlich räusperte und fragte: „Sind Sie bereit, das Schiff zu verlassen, Valand?“

Der Norweger nickte. „Aye, das bin ich.“

Sie schritten gemeinsam zum Schott. Nachdem die Latina es geöffnet hatte ließ sie Valand den Vortritt, wobei sie erklärte: „Die Mannschaft will sich von Ihnen verabschieden, Captain, nicht von mir.“

Valand Kuehn trat auf den Gang hinaus, und in demselben Moment erkannte er, was die Kommandantin der AKIRA gemeint hatte.

Auf dem Gang standen die Männer und Frauen der AKIRA beidseitig Spalier, auf dem Weg zur Seitenschleuse des Raumschiffs, an der es an einer der Scheibensektionen von Sternenbasis-375 angedockt hatte. Langsam, fast andächtig, schritt Valand Kuehn die Reihen der Angetretenen ab, wobei ihn fast die Rührung um diesen tollen Abschied zu übermannen drohte. Dicht gefolgt von seiner bisherigen Kommandantin.

Einige Männer und Frauen berührten ihn sacht auf der Schulter, oder am Oberarm, als er vorbei kam und Valand lächelte dankbar für diesen unvergesslichen Moment.

Hatten sich zu Anfang die Mannschaftsdienstgrade aufgestellt, so folgten daraufhin die Petty-Officers und Chief-Petty-Officers, bis Valand Kuehn zum Schluss an den Reihen der Offiziere entlang schritt. Direkt am Schleusenschott standen dabei die Führungsoffiziere der AKIRA.

Vor dem Schott blieb Valand Kuehn, sichtlich ergriffen, stehen und wandte sich um. Nochmal die Reihe der Offiziere entlang blickend, wandte er sich schließlich an die Männer und Frauen, in unmittelbarer Nähe. „Ich danke Ihnen allen für diesen Abschied. Meine Zeit an Bord der AKIRA wird mir immer in guter Erinnerung bleiben. So, wie auch die Männer und Frauen an Bord dieses Raumschiffs.

Während Mark Wilmots vorbereitend das Schott öffnete, blickte Valand Kuehn der Kommandantin des Schiffes in die Augen. „Meine besten Wünsche begleiten die Crew und das Schiff, Captain. Ich hoffe, dass wir uns irgendwann gesund wiedersehen werden.“

Für einen langen Moment blickten sie einander in die Augen, bevor sich Valand Kuehn abwandte und entschlossen die Schleusenkammer durchschritt, um auf der anderen Seite die Station zu betreten.

Nachdem er außer Sicht war gab Marina Ramirez-Escobar den Befehl an die Mannschaft abzutreten. Nur Feyquari Lanoi blieb zurück, als die Latina selbst die Schleusen-Schotts schloss und verriegelte.

In den Blicken beider Frauen lag ein trauriger Zug.

„Sie lieben Ihn aufrichtig“, stellte die Kommandantin fest, als sie mit Feyquari Lanoi allein waren. „Haben Sie Valand das gesagt?“

Langsam mit der Latina den Gang hinunter schreitend erwiderte die Counselor: „Er weiß es, und er liebt mich ebenfalls, doch auf lange Sicht wäre es aussichtslos. Er ist kein Telepath und damit würde mir immer ein wesentlicher Teil fehlen, in einer Beziehung mit ihm. Irgendwann würde ich ihn deswegen verlassen. Trotzdem tut es weh, Captain.“

Die Kommandantin schwieg für einen Moment, bevor sie erwiderte: „Ich hätte nicht gedacht, so etwas irgendwann einmal über Valand Kuehn zu sagen, doch auf eine gewisse, rein platonische, Art liebe ich diesen Mann ebenfalls.“

Als die Betazoidin sie etwas überrascht von der Seite ansah, lächelte die Latina schmerzlich und fügte an: „Das habe ich Ihnen in ihrer Funktion als Counselor anvertraut. Es bleibt also unter uns.“

„Natürlich, Captain.“

Schweigend setzten sie ihren Weg fort, und erst an der nächsten Gangbiegung murmelte Marina Ramirez-Escobar, mit grimmigem Tonfall: „Señora 10.000 Volt. Pah…!“

Wiedersehen auf Sternenbasis-375


 

3.

Wiedersehen auf Sternenbasis-375
 

Sternenbasis-375

Sternenzeit: 48401.2

Im Bajoranischen Sektor
 

Sich eben noch melancholisch fühlend, verspürte Valand Kuehn eine reine, echte Freude, als er seinem besten Freund, Tar´Kyren Dheran, eilig entgegen schritt. Nicht auf die anderen Wesen achtend, die vor und hinter ihnen durch den breiten Hauptgang der Basis eilten, blieben sie schließlich stehen und umarmten sich freundschaftlich.

„Wir haben uns schon viel zu lange nicht mehr gesehen, Tar“, freute sich Valand, nachdem er den Freund ein Stück von sich geschoben hatte. „Erzähl mal. Wie ergeht es dir, als Erster Offizier der MAGELLAN.“

Der Andorianer sah seinen Freund, mit seinen blau-violetten Augen, ebenso erfreut an, wobei die beiden Antennen auf seinem Kopf sich unruhig in alle Richtungen bewegten, und erwiderte begeistert: „Die Aufgabe ist ziemlich anspruchsvoll, aber auch erfüllend. Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich langsam erwachsen werde. Das muss wohl an der Verantwortung liegen, die der Posten eines Ersten Offiziers mit sich bringt. Und du hast Recht, wir haben uns viel zu lange nicht mehr gesehen. Wie lange hast du Zeit?“

Valand Kuehn verzog das Gesicht. „Leider nur knappe neunzig Minuten. Dann muss ich beim Konteradmiral antreten. Und danach werde ich bereits auf der NIMROD erwartet. Was hältst du davon, wenn wir das Casino aufsuchen? Da können wir in Ruhe reden.“

„Gute Idee!“, stimmte der athletische Andorianer zu.

Gemeinsam machten sich die beiden äußerlich so ungleichen Männer auf den Weg zum Casino dieser Station.

Als sie das Casino betraten sahen sie, dass nur etwa die Hälfte der Tische belegt waren und Valand Kuehn deutete auf einen der freien Tische, die an der Fensterfront standen. Nachdem eine Ordonanz nach ihren Wünschen gefragt, und ihnen zwei Altair-Wasser gebracht hatte, blickte Tar´Kyren Dheran auffällig zum Kragen des Freundes und meinte schließlich grinsend: „Die vier goldenen Rank-Pins stehen Dir ausgezeichnet. Aber du weißt schon, dass du viel zu jung für diesen Rang bist.“

„Wenn du jetzt auch noch so anfängst, dann schreie ich“, drohte sein Freund mit warnendem Unterton.

Die Antennen des Andorianers bewegten sich schnell zur Seite und wieder nach oben, als Zeichen dafür, dass er seine Worte nicht ganz ernst gemeint hatte. „Ich denke, dass dir das peinlicher wäre, als mir, Valand. Und wie würde das aussehen? Für einen Captain?“

Valand Kuehn seufzte schwach. „Na gut. Aber mal ganz ohne Spaß, wie geht es deiner Familie, Tar. Und wie macht sich deine Schwester, als angehende Ärztin der Sternenflotte?“

„Meinen Eltern geht es gut und Tia´Lynara beendet momentan auf der CEYLON ihr Zusatzstudium. Sie schreibt dort gerade ihre Doktorarbeit. Anders, als die meisten anderen Ärzte der Sternenflotte, hatte sie sich vor zwei Jahren dazu entschlossen, nicht bis zu diesem Zeitpunkt noch zwei weitere Jahre an der Akademie, oder einer ihrer Außenposten, zu bleiben. Wie steht es bei dir? Ist in deiner Familie alles in Ordnung?“

Meine Eltern und meine Schwester sind wohlauf. Alana ist übrigens immer noch mit Sonak zusammen. Du, ich glaube, ihr ist es tatsächlich ernst mit dem Vulkanier.“

Dherans Antennen richteten sich auf den Freund. „Warum sollte es ihr nicht ernst damit sein? Ich weiß, zu Akademiezeiten hat sie ein recht verwirrendes Durcheinander mit gleich drei Kadetten gleichzeitig bevorzugt, aber immerhin hatte es mich, in meinem ersten Jahr an der Akademie, ja auch bei einer Vulkanierin erwischt. Aber das weißt du ja.“

Valand Kuehn lächelte in der Erinnerung. „Oh ja, daran erinnere ich mich gut. Dabei hättest du nicht nur bei einer Anderen, sondern derer gleich zwei, offene Türen eingerannt, was das angeht. Ich fürchte, wir beide schaffen es immer wieder, an die Falsche zu geraten.“

Der Andorianer wurde hellhörig. Außerdem fiel ihm der leicht abwesende Blick des Freundes auf, und so hakte er ein: „Immer wieder? Das scheinst du jetzt eher auf dich bezogen gemeint zu haben, oder irre ich mich?“

Der Norweger nickte. Er wusste, dass er nicht umhin kommen würde, über Feyquari zu sprechen, deshalb versuchte er das gar nicht erst. Er berichtete dem Freund von der Betazoidin wobei er nur die pikanten Details ausließ.

„Tut mir leid, dass daraus nichts geworden ist“, erklärte Tar´Kyren Dheran nachdem sein Freund geendet hatte. „Sie hat dir offensichtlich viel bedeutet. Aber erkläre mir mal, warum wir uns, seit dem letzten Mal, immer dann treffen wenn gerade eine deiner Beziehungen in die Brüche geht?“

Valand Kuehn lachte verzweifelt und deutete mit dem Glas in seiner Hand auf den Freund. „Vielleicht ist es deine Schuld.“

Der Andorianer sah ihn verblüfft an und Valand Kuehn grinste breit. „He, das war nur ein Scherz. Ich weiß auch nicht woran es liegt. Was ist denn mit dir?“

Die Antennen des Andorianers spreizten sich leicht. „Es gibt da eine Izarianerin. Sie ist zwei Jahre jünger als ich. Eine tolle Wissenschaftlerin und hübsch dazu. Seit der letzten Silvesterfeier, an Bord der MAGELLAN, versuchte sie immer wieder, sich mit mir zu verabreden, bis ich zugesagt habe.“

Valand Kuehn sah den Freund erstaunt an. „Warum denn das lange Abwarten“

Der Andorianer zögerte einen Augenblick, bevor er zugab: „Es ist wegen Christina. Ich habe zwar seit neun Jahren gar nichts mehr von ihr gehört, doch sie will mir immer noch nicht aus dem Kopf gehen. Es ist verwirrend.“

Der Norweger, der um die Geschichte von Christina Carey wusste, erwiderte ernst: „Du solltest dich nicht mehr daran klammern, sondern dieser hübschen Wissenschaftlerin eine faire Chance geben. Vielleicht merkst du dabei ja, dass sie besser zu dir passt.“

„Ja, vielleicht hast du Recht. Ich werde mich zumindest bemühen.“

Valand nickte zustimmend. „Das ist der Tar´Kyren den ich kenne. Aber da wir das Thema eben hatten: Weißt du, wie es T´Rian und John geht?“

Dherans Gesichtszüge wurden um eine Spur angespannter, als sein Freund die Vulkanierin erwähnte, in die er sich zu Akademiezeiten verliebt hatte, und den gemeinsamen Freund, John McTiernan, mit dem sie zusammen war.

„Ich habe vor einigen Monaten mit John, via Federation-Skynet, gesprochen“, gab der Andorianer zurück. „Beide sind gesund, und glücklich miteinander. John berichtete mir, dass Lizzy Dane etwas, wie er sich ausdrückte, angesäuert wäre, weil ich mich bisher so selten bei ihr gemeldet habe.“

„Wo wir gerade wieder bei hübschen Wissenschaftlerinnen wären“, lachte Valand Kuehn. „Hat die hübsche Wissenschaftlerin der MAGELLAN auch einen Namen?“

Der Andorianer trank von seinem Wasser. „Ihr Name ist Thyrea Garth.“

In Kuehns Augen zeichnete sich Überraschung ab. „Ist sie etwa mit dem ehemaligen Captain Kelvar Garth verwandt, der den Vier-Jahre-Krieg maßgeblich mit entschieden hat?“

„So gut kenne ich sie noch nicht. Aber ich werde sie das nächste Mal fragen.“

Valand Kuehn grinste schief. „Das nützt mir nichts.“

Sie tranken aus und Dheran wechselte das Thema. „Du warst in den letzten Jahren in diesem Sektor stationiert. Wie steht es momentan mit den Übergriffen der Jem´Hadar? Sind die in den letzten Monaten wieder aktiv geworden?“

„Mal hier und mal da“, knurrte der Norweger. „Aber bisher kam es nie zu einem offenen, bewaffneten Konflikt, seit sie die ODYSSEY, auf der anderen Seite des Wurmlochs, vernichtet haben. Manchmal denke ich, in Bezug auf dieses Wurmloch, wir hätten diese Büchse der Pandora nie öffnen dürfen. Es gibt auch im Alpha- und Beta-Quadranten noch genug unerforschte Bereiche. War es nicht ebenfalls eine hübsche Wissenschaftlerin, die das Wurmloch entdeckte?“

„Ja, eine Trill, soweit ich gehört habe“, bestätigte Tar´Kyren Dheran. „Meines Wissens nach dient sie auf DEEP SPACE NINE. Stell dir mal vor, ich wäre nicht einige Monate, bevor die ODYSSEY aufbrach um Sisko aus den Händen des Dominion zu befreien, von diesem Schiff zur MAGELLAN gewechselt. Dann wäre ich wohl bei dieser Aktion ebenfalls umgekommen. So, wie einige sehr gute Kameraden an Bord dieses Raumschiffs. Mit einem Lieutenant, namens Namoro Kunanga, kam ich besonders gut zurecht. Ein besonderer Mensch, dessen Tod ich sehr bedauere.“

„Ich hoffe nur, dass wir da nicht in irgendetwas hinein schlittern“, bemerkte Valand Kuehn düster. „Dazu ist die Sternenflotte momentan nicht bereit.“

Die Antennen des Andorianers bewegten sich unruhig. „So pessimistisch warst du früher nicht, mein Freund. „Hältst du denn die Sternenflotte wirklich für so schwach?“

„Nein, aber vielleicht ist das Dominion ja so stark. Im Grunde wissen wir immer noch nicht viel mehr über diese mysteriöse Großmacht des Gamma-Quadranten, als vor einem halben Jahr. Vielleicht hätten wir diese Leute besser in Ruhe gelassen. Wir wären ja auch nicht besonders begeistert gewesen, wenn im umgekehrten Fall immer wieder bewaffnete Raumschiffe von denen hier im Alpha-Quadrant aufgekreuzt wären. Da hätten wir doch auch ein paar kritische Fragen gestellt.“

„Die haben nicht gefragt – die haben geschossen.“

Valand wiegte den Kopf. „Das stimmt zwar, aber sie haben auch gleichzeitig davor gewarnt, erneut ihr Territorium zu verletzen. Aber genau das hat die ODYSSEY später im Grunde getan. Ich will nicht deren brutales Handeln rechtfertigen, aber bis zu einem gewissen Grad kann ich deren Rechtsauffassung verstehen. Auch wenn ich es persönlich für überzogen halte, dass das Dominion einen ganzen Quadrant für sich beansprucht.“

Dheran grinste humorlos. „Da höre ich deinen Vater aus dir sprechen.“

Valand Kuehn verzog sein Gesicht. „Der wäre im Moment wohl kaum von mir erbaut, nachdem ich meinen zweiten Erstkontakt gründlich vermasselt habe.“

Auf die fragende Miene des Freundes hin erzählte der Norweger ihm nun, was sich auf Heralan ereignet hatte.

Schneller als gedacht war die Zeit herum, bis es Zeit zum Aufbruch für sie beide war. Sie verließen gemeinsam das Casino und Dheran begleitete den Freund bis zum Schott des Büros, in dem Ross den Freund, in wenigen Minuten erwartete. Als sie sich zum Abschied umarmten fragte der Norweger: „Bist du noch hier, wenn ich beim Admiral fertig bin?“

„Leider nein“, erwiderte der Andorianer bedauernd. „Die MAGELLAN legt bereits in zwanzig Minuten ab. Es war überhaupt ein Kampf mit meinem Captain, bis er mir erlaubte, so lange auf der Station zu bleiben.“

„Dann grüße deinen Captain herzlich von mir und bedanke dich, auch in meinem Namen, dafür, dass er dir diese Zeit zur Verfügung gestellt hat.“

Der Andorianer sah Kuehn an. „Das werde ich. Pass auf dich auf, mein Freund.“

„Ja, du auch.“

Valand Kuehn blickte dem Freund nach, als er sich abwandte und eilig durch den Gang davon schritt. Dann machte er sich von allen melancholischen Anwandlungen frei, atmete tief durch und legte seine Rechte auf den Meldekontakt des Schotts.
 

* * *
 

Konteradmiral William Ross empfing Valand Kuehn mit einem festen Handschlag, nachdem er sich von der Ordonanz bei ihm hatte anmelden lassen. Ross beorderte Kuehn, zu dessen Überraschung, nicht zu seinem ausladenden Schreibtisch, sondern er deutete zur Sitzecke hinüber, die aus zwei gemütlich aussehenden Couchen, über Eck, und einem kleinen Tisch davor, bestand. Eine Schale mit Früchten, und zwei Karaffen mit Kaffee und Tee, sowie eine Auswahl an Tassen, standen auf der semitransparenten Tischplatte.

„Bitte setzen Sie sich, Captain, und greifen Sie zu“, forderte William Ross seinen Besucher auf und nahm selbst auf einer der Couchen platz.

Kuehn nickte dankbar, setzte sich und wartete höflich, bis der Admiral sich einen Kaffee eingegossen hatte, bevor er sich selbst bediente.

Während Valand Kuehn sich seinen Kaffee einschenkte fiel dem Konteradmiral etwas ein und entschuldigend meinte er: „Oh, es tut mir leid, Captain. Ich vergesse stets zu fragen, ob jemand seinen Kaffee mit Zucker und Milch trinkt, da ich selbst ihn schwarz bevorzuge.“

„Ich ebenfalls, Sir“, wehrte Kuehn schnell ab. „Vielen Dank.“

Die blauen Augen des Konteradmirals musterten Kuehn aufmerksam und der Norweger fühlte eine gewisse Anspannung in sich aufsteigen. Erst nach einem langen Moment begann Ross: „Ich gebe zu, Captain Kuehn, dass ich sehr neugierig auf Sie war, bevor ich Sie vorhin auf der AKIRA zum ersten Mal getroffen habe. Natürlich habe auch ich, kurz nach der Schlacht bei Wolf-359, von Ihrer unerwarteten Rückkehr aus dem Beta-Quadrant, und der Rettung der ALAMO gehört. Auch von Ihrem persönlichen Verlust. Wie ich hörte starb Ihre Frau bei der Havarie der ALAMO.“

Kuehn nahm einen Schluck von seinem Kaffee und stellte die Tasse wieder auf dem Tisch ab. „Ja, diese Zeit war sehr schwer für mich. Meine Kameraden und Freunde an Bord der ALAMO haben mir sehr geholfen darüber hinweg zu kommen.“

William Ross Gesicht deutete ein Lächeln an. „Ich kannte einige der Offiziere an Bord der ALAMO, Captain. Unter ihnen auch den Schiffsarzt, Alloran Veron.“

„Er war mein Mentor, Admiral.“

Valand Kuehn lächelte in der Erinnerung. „Wissen Sie, er war es, der mich mit meiner Frau bekannt machte. Dabei hatte ich ihn anfangs im Verdacht, er würde sich einen Scherz mit mir erlauben, weil er immer von seiner andorianischen Assistenzärztin sprach, wir uns aber Monate lang nie begegneten. Gerade die erste Zeit, an Bord der ALAMO, wurde durch sein Dasein sehr viel leichter für mich.“

Das Lächeln des Konteradmirals vertiefte sich. „Ja, das ist der Alloran Veron, an den ich mich erinnere. Sie können sich sicher vorstellen, Captain, dass ich gerne erfahren würde, wie er gestorben ist. Ich habe da bisher nur sehr vage Aussagen vernommen.“

Der Norweger erwiderte den Blick des Konteradmirals. „Sie werden verstehen, Sir, dass damals kaum Zeit dafür war, die exakte Todesursache aller Opfer festzustellen. Aber es stellte sich für mich so dar, dass er zunächst durch Splitter von der Decke, im Labor, in dem er zusammen mit meiner Frau arbeitete, verletzt wurde. Aufgefunden habe ich ihn und meine Frau jedoch im Nebenraum. Da vereinzelt dieselben Splitter, wie in Allorans Körper, auch im Körper von Ahy´Vilara steckten, vermute ich, dass er ihr zuvor das Leben rettete und sie ihn danach zu einer der Medo-Liegen bringen wollte. Dort wurden sie beide von einer explodierenden Wandkonsole erwischt, wie es den Anschein hatte. Sie erlagen dort beide ihren Verletzungen. Meine Frau lebte nur noch wenige Augenblicke, als ich die Krankenstation erreichte. Sie starb in meinen Armen.“

William Ross sah seinen Besucher entschuldigend an. „Ich wollte keine alten Wunden aufreißen, Captain. Aber Alloran Veron war auch mein Freund.“

„Das verstehe ich, Sir.“

Der Konteradmiral trank von seinem Kaffee und sagte dann, mit verändertem Tonfall: „Kommen wir nun zum eigentlichen Grund, warum ich Sie, vor Ihrem Abflug mit der NIMROD, hierher bestellt habe, Captain. Einerseits wollte ich mich davon überzeugen, dass Sie in der Lage sein werden, ein Raumschiff, wie die U.S.S. EXODUS, zu führen.“

Ross machte eine kleine Pause und beobachtete aufmerksam die unmerkliche Veränderung, die mit seinem Besucher vorging. Zufrieden, mit dem, was er sah, fuhr der Konteradmiral fort: „Andererseits besagt ein so kurzer Besuch noch nicht viel. Aber ich vertraue in dieser Hinsicht eher auf mein Gefühl, Captain. Und mein Gefühl sagt mir, dass Sie, trotz ihrer frühen Beförderung zum Captain, ein guter Kommandant sein werden.“

Valand Kuehn wusste für einen Moment lang nicht, was er darauf antworten sollte. Erst nach einer Weile sagte er: „Ich bedanke mich, Sir. Sie erwähnten den Namen EXODUS. Darf ich fragen, um welche Schiffsklasse es sich bei diesem Schiff handelt?“

Der Konteradmiral erlaubte sich ein Schmunzeln, denn das Aufleuchten in den grün-grauen Augen des Captains war ihm zuvor nicht entgangen. „Ich glaube, dass Sie es bereits ahnen, Captain. Es wird Ihnen bestimmt gefallen, zu hören, dass die EXODUS ein Kreuzer der AKIRA-KLASSE ist. Allerdings handelt es sich bei diesem Raumschiff um eine modifizierte Träger-Variante. Mit anderen Worten, sie wird deutlich weniger Shuttles an Bord haben, als die bisherigen Schiffe dieser Klasse, dafür aber vierzig Raumjäger der verbesserten PEREGRINE-KLASSE, statt der bisherigen zwölf. Das Oberkommando der Sternenflotte ist davon überzeugt, in Ihnen den passenden Offizier gefunden zu haben, der einen solchen, Leichten Träger an seine Grenzen bringen, und neue Taktiken für eine solche Schiffsklasse entwickeln kann. Gerade Letzteres sieht das Sternenflottenkommando, hinsichtlich der zunehmenden territorialen Übergriffe durch die schnellen Raumschiffe der Jem´Hadar, als einen wesentlichen Punkt an, Captain.“

„Ich werde mein Bestes geben, Sir“, versprach der Norweger, und wieder leuchteten seine Augen dabei in einem besonderen Glanz auf.

„Nicht weniger werde ich von Ihnen erwarten, Captain.“

„Sir?“

Der Konteradmiral grinste vergnügt. „Das Sternenflottenkommando war so freundlich, mich vorab bezüglich ihres Marschbefehls in Kenntnis zu setzen, sobald Sie die EXODUS übernommen haben. Des Weiteren bin ich dazu befugt, Ihnen zu verraten, dass ihr Kreuzer zunächst einmal als Teil der Verstärkung für diese Station dienen soll, was ich hiermit getan habe, Captain.“

„Ich freue mich darauf, Sir.“

Sie tranken ihren Kaffee aus, und als sich der Admiral erhob tat Valand Kuehn es ihm umgehend nach.

Konteradmiral William Ross reichte Kuehn erneut die Hand. „Ich danke Ihnen für die Informationen über Alloran, Captain, und ich freue mich gleichfalls auf unsere zukünftige Zusammenarbeit. Guten Flug zunächst, nach Antares. An Bord der NIMROD werden Sie bereits erwartet.

Den festen Händedruck des Konteradmirals erwidernd gab Valand Kuehn zurück: „Danke, Sir. Auch für die Vorabinformationen.“

Als der frischgebackene Captain wenig später durch die hellgrauen Gänge der Station zu einem der Transporterräume schritt, verspürte er fast so etwas wie Euphorie in sich. Ein Raumschiff zu kommandieren, wie die AKIRA, das war ein Traum für ihn. Er bekam damit eine große Chance, und diese wollte er nutzen.

Attacke auf DEEP SPACE NINE


 

2372
 


 


 

Wenn einer von uns müde wird,

der Andere für ihn wacht.

Wenn einer von uns zweifeln wird,

der Andere gläubig lacht.

Wenn einer von uns fallen wird,

der Andere steht für zwei.

Denn jedem Kämpfer gibt der Herr,

den Kameraden bei.

(Soldatenlied)
 


 


 


 


 

5.

Attacke auf DEEP SPACE NINE
 

Logbuch der Station DEEP SPACE NINE

Sternenzeit: 49904.1

Major Kira Nerys
 

Gegen 21:20 Uhr Föderations-Standardzeit habe ich die OPS der Station inspiziert und sie zehn Minuten später, nach einem Blick in die Datei der für morgen angekündigten Raumschiffe, verlassen, um mir einen Überblick über den Stand der Wartungsarbeiten am oberen Pylon Drei zu verschaffen. Leider ist Chief O´Brien momentan noch an Bord der DEFIANT unterwegs, zusammen mit Captain Sisko und dem Großteil der Führungs-Crew dieser Raumstation. Doch ich bin recht optimistisch, dass Rom, der mit für diese Arbeiten eingeteilt ist, der Herausforderung gewachsen sein wird.
 

* * *
 

Major Kira Nerys, seit nunmehr fast vier Jahren als Verbindungsoffizier des Bajoranischen Militärs zur Vereinten Föderation der Planeten auf dieser Raumstation tätig, bog in den angenehm beleuchteten Gang ein, der vom Andockring der Station zur Andock-Schleuse des Oberen Pylons Drei führte. Die zierliche, rothaarige Bajoranerin schritt mit jenem leicht federnden Gang, der sie für Leute, die sie näher kannten, schon von Weitem erkennbar machte, auf die offene Kabine des Turbolifts zu, dessen einzige Sicherung aus zwei Durastahl-Geländern bestand. Ein überdeutliches Zeichen dafür, wer diese Station erbaut hatte, denn Cardassianer legten allgemein keinen übertriebenen Wert auf Arbeitssicherheit.

In Gedanken war sie dieser Tage sehr oft bei den Ereignissen des im nächsten Monat ablaufenden Jahres, das gleich zu Beginn mit einem Knalleffekt losgegangen war.

Nachdem das Cardassianische Zentralkommando aufgelöst worden war, und durch eine zivile Institution, dem Detapa-Rat, ersetzt wurde, glaubten die Klingonen fest daran, dass das nur das Dominion dabei die Hände im Spiel haben konnte. Eine schleichende Invasion des Alpha- und Beta-Quadranten befürchtend, rückten sie kurze Zeit später mit einem beeindruckenden Flottenkontingent bei DEEP SPACE NINE an, um von dort aus gegen Cardassia vorzurücken. Dabei hatte sich der Kanzler des Klingonischen Hohen Rates höchst selbst auf die NEGH´VAR begeben – das Flaggschiff der Klingonischen Kriegsflotte.

Nachdem der Föderations-Rat, trotz des politischen Drucks durch Kanzler Gowron, sich strikt gegen eine Auseinandersetzung mit den Cardassianern ausgesprochen hatte, und zudem kurze Zeit später, Captain Benjamin Sisko den von Cardassia evakuierten Detapa-Rat, inklusive ihres obersten militärischen Beraters, Gul Dukat, an Bord der DEFIANT auf der Station in Sicherheit brachte, kam es zu einer bewaffneten, militärischen Auseinandersetzung auf, und um DEEP SPACE NINE herum.

Im letzten Moment erreichte eine Kampfgruppe von sechs Raumschiffen der Föderation, geführt von der VENTURE, die Station, und es gelang Sisko, die Klingonen zum Rückzug zu bewegen. Doch Gowron der bereits zuvor das Khitomer-Abkommen für Null und Nichtig erklärt hatte, war nicht bereit einzulenken, und erklärte, kurze Zeit später, auch der Föderation den Krieg. Später wurden gleichfalls romulanische Außenposten durch klingonische Verbände angegriffen.

In den Augen der Bajoranerin war dies genau das, was das Dominion wollte – ein blutiger Krieg, der die vorherrschenden Großmächte zweier Quadranten entzweite. Für sie war es nur eine Frage der Zeit, wann das Dominion offen eingreifen, und den momentan destabilen Zustand in dieser Hälfte der Galaxis ausnutzen würde.

In demselben Moment, in dem sich die Plattform des Lifts in Bewegung setzte, lief eine Erschütterung durch die Station, gleich gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen, hoch über ihr.

Die Bajoranerin riss den Kopf nach oben und erkannte über sich einen grellen Feuerregen, der direkt auf sie hinunter schoss. In einem instinktiven Reflex riss sie schützend den rechten Arm hoch, um damit ihr Gesicht zu schützen und machte im nächsten Moment einen weiten Hechtsprung von der Plattform, zurück in den Gang.

Ein grässlicher Schmerz am rechten Oberarm ließ sie aufschreien, noch bevor sie auf den Boden prallte, wo sie, vor Schmerzen verkrümmt, liegenblieb.

Wie durch ein Wunder wurde sie nicht von den scharfkantigen Trümmerteilen getroffen, die gleich darauf, durch den Turbolift-Schacht heruntergestürzt kamen, und krachend, an ihr vorbei, in den Gang polterten.

Noch bevor sich Kira Nerys vom Boden aufrappeln konnte, sich dabei verwirrt fragend, was eben geschehen war, durchlief ein erneuter, mächtiger Stoß die Station, die für einen Augenblick zu schwingen begann, wie eine Glocke.

Als die Trägheitsstabilisatoren die Station endlich wieder zur Ruhe brachten, sah sich Kira Nerys, für einen Moment orientierungslos um.

Die Beleuchtung war ausgefallen. Zumindest in diesem Teil der Station. Doch es gab einen hellen unsteten Lichtschein, nicht weit von ihr entfernt. Außerdem roch es nach verschmorten Isolationen und Rauch. Irgendwo in ihrer Nähe brannte es. Außerdem hörte sie ein hohes Pfeifen, das jedoch Augenblicke später abriss.

Dieser Gedanke ließ die ehemalige bajoranische Widerstands-Kämpferin endgültig wieder munter werden. Sie stützte sich vom Boden ab und stöhnte unterdrückt, als ein wilder Schmerz durch ihren rechten Arm fuhr. Ein Blick auf ihren Oberarm bestätigte ihr, was sie bereits geahnt hatte. Ein Teil des Ärmels ihrer Uniform war verbrannt und ebenfalls die oberen Hautschichten ihres Arms. Erst jetzt schien der Schmerz seine ganze Wirkung zu entfalten und Tränen rannen über ihr Gesicht. Doch sie biss tapfer die Zähne zusammen.

Beim Aufstehen stellte sie gleichfalls heftige Schmerzen im Handgelenk fest. Vermutlich hatte sie es sich beim Aufprall verstaucht.

Noch bevor sie endgültig wieder auf ihren Füßen stand, gellte der akustische Alarm durch die Gänge der Station.

Kira Nerys tippte auf ihren Kommunikator, doch vergeblich. Offensichtlich hatte die Explosion einen Puls erzeugt, welcher die empfindlichen Geräte lahmgelegt hatte.

Verdammt, ich muss wissen, was das war, dachte sie fieberhaft und versuchte dabei, sich die Schmerzen zu verbeißen. Was ist geschehen? Ein Unfall? Oder haben die Klingonen einen erneuten, überraschenden Angriff auf unsere Station gestartet?

Mit einem gequälten Ausruf straffte sie sich und wankte ein paar Schritte durch den Gang, bevor sie entfernt Stimmengewirr vernahm. Außerdem klangen Geräusche an ihr Ohr, die sie nur zu gut kannte. Während ihrer Zeit im Widerstand hatten sie sich in ihr Gedächtnis gebrannt, und sie würde sie vermutlich nie wieder ganz daraus bannen können.

Waffenfeuer!

Aus einem ersten Impuls heraus bewegte sie sich auf die Quelle der Geräusche zu, bis ihr einfiel, dass sie unbewaffnet war. Fluchend entschied sie sich dazu, einen Umweg zu nehmen, um sich zu bewaffnen. Nur gut, dass sie diese Station, nach den fast vier Jahren ihres Dienstes hier, so gut wie auswendig kannte.

Noch bevor Major Kira den Habitat-Ring erreichte, kamen ihr zwei Männer und eine Frau der Stationssicherheit entgegen. Bei ihnen war Leutnant Veris Laren, Bashirs bajoranische Stellvertreterin auf DEEP SPACE NINE. Die bajoranische Ärztin begab sich kommentarlos zu Kira und untersuchte die Brandverletzung an ihrem Oberarm.

Indessen wandte sich Kira Nerys an den Truppführer des Sicherheitskommandos. „Berichten Sie, aber in knapper Form.“

„Constable Odo schickte uns, um Sie zu suchen, Major“, schnarrte der kräftige Bajoraner, den Kira angesprochen hatte. „Jem´Hadar haben die Station infiltriert und einen Sprengsatz gezündet. Vermutlich nur zur Ablenkung. Der Constable und ein Großteil der Sicherheitskräfte haben ihre Verfolgung aufgenommen. Zwei von ihnen konnten wir stellen und unschädlich machen.“

Kira nickte und verzog für einen Moment das Gesicht, als Veris verbrannte Uniformfetzen von ihrem Arm entfernte und ihre Verbrennung mit einem schmerzlindernden Sprühmittel behandelte. Dann fragte sie den Mann: „Funktioniert Ihr Kommunikator?“

„Ja, Major.“

Kira warf Veris Laren einen giftigen Blick zu, als sie ihr ein Hypospray injizierte und erwiderte in Richtung ihres bisherigen Gesprächspartners: „Dann rufen Sie die OPS. Sie soll einen Notruf an die Sternenflotte absetzen, damit sie uns Unterstützung schickt. Danach unterstützen sie Doktor Veris dabei, nach Verletzten zu suchen. Sie und Ihre Leute sind mir für ihren Schutz verantwortlich.“

Der Mann bestätigte. Gleichzeitig hatte Veris ihre vorläufige Behandlung abgeschlossen und meinte: „Sie sollten sich zur Krankenstation begeben, Major. Ich habe die Wunde notdürftig behandelt, aber es befinden sich noch verbrannte Fasern ihrer Uniform in der Wunde, die rasch entfernt werden sollten.“

Kira Nerys war versucht ihr zu widersprechen. Doch sie spürte, dass sie mit einem verstauchten Handgelenk keine Hilfe für Odo und seine Team sein würde. Beinahe gegen ihren Willen erwiderte sie: „In Ordnung, Doktor.“

Einer der beiden Männer der Sicherheit schloss sich ihr unaufgefordert an.

Kira, die es stillschweigend registrierte, hielt den langsam immer weniger schmerzenden Arm mit der Linken an sich gepresst und hoffte, während sie eilig zur Krankenstation schritten, dass Odo und das Sicherheitskommando die Jem´Hadar bald aufgebracht und unschädlich gemacht haben würde.
 

* * *
 

Ein gerichteter Polaron-Strahl, aus einer schweren Waffe der Jem´Hadar, verfehlte Odo, der gerade noch rechtzeitig hinter einem der breiten Träger, an den Wänden des Ganges, in Deckung gehen konnte, nur um Haaresbreite. Einer seiner Leute lag, nur wenige Meter von ihm entfernt, tot auf dem Boden – erschossen von einem der Eindringlinge, die sich wie die Berserker, an drei verschiedenen Stellen, durch die Station kämpften. Dabei stieg eine undefinierbare Wut in dem Formwandler auf, denn er hatte diesen jungen und so lebenslustigen Mann, der erst seit wenigen Wochen unter seinem Kommando gestanden hatte, sehr gemocht. Soweit das auf einen Formwandler, wie ihn, zutraf.

Der Formwandler wünschte sich, er hätte das Ziel der Jem´Hadar, und das Transportmittel, mit dem sie herkamen, gekannt. So wusste er nicht, was ihr Ziel war, und wo ihr Rückzugspunkt lag, was einen Zugriff erschwerte. Fest stand für Odo momentan nur, dass sie keinesfalls durch eine der Schleusen die Station betreten hatten, ansonsten wäre der Waffenalarm ausgelöst worden. Darum vermutete er, dass sie sich von Bord eines der zahlreichen Frachtraumschiffe auf die Station gebeamt hatten. Dabei konnte man davon ausgehen, dass der fragliche Transporter keiner war, sondern eher ein, als Frachter getarntes, schwer bewaffnetes Kriegsschiff.

Der Constable warf einen Blick um die Ecke. Nichts war zu sehen, und so gab er seinen Leuten den Befehl, weiter mit ihm vorzurücken.

Obwohl auch den bajoranischen Sicherheitskräften sicherlich ähnlichen Fragen durch den Sinn gingen, sprach keiner von ihnen ein Wort. Der Tod ihres jungen Kollegen zeigte ihnen eindringlich, dass sie in der momentanen Lage hoch konzentriert bleiben mussten.

Um jederzeit in Deckung gehen zu können hasteten sie dicht an den Gangwänden entlang, wobei sich Odo versuchte in Gedächtnis zu rufen, welche wichtigen, oder kritischen, Abteilungen dieser Station sich vor den Jem´Hadar befanden.

Als vor ihnen ein Jem´Hadar seinen Kopf um die Gangecke reckte, versuchte Odo ihn mit zwei Pseudopodien, die er aus seinem Körper auf den Gegner zu schießen ließ, zu ergreifen, doch der Versuch ging fehl.

Sein Mitarbeiter hatte mehr Erfolg und erwischte ihn mit seinem Polaron-Phaser, der nach einem ähnlichen Prinzip arbeitete, wie die Jem´Hadar-Waffen, dabei jedoch deutlich weniger effektiv war. Nach vorne sichernd zog die Gruppe von insgesamt sieben Sicherheitsleuten nach.

Unterwegs erhielt der Formwandler, über seinen Kommunikator, die Meldung, dass einer der drei Trupps der Eindringlinge sich im Wissenschaftslabor verschanzt hatte. Was sie da wollten war gegenwärtig nicht zu ermitteln. Die beiden anderen Trupps des Feindes hielten ihren Weg zur Reaktorkontrolleinrichtung, und zu den Frachtrampen.

Nachdem Odo seinen Stellvertreter, der diese Nachricht absetzte, um äußerste Vorsicht gebeten hatte, nahm der Formwandler Verbindung zu Lieutenant-Commander Michael Eddington auf. Der Chef der Föderation-Sicherheitskräfte auf dieser Station, und sein Team, unterstützte ihn nach Kräften. Sie versuchten zu ermitteln, welchen Fluchtweg die eingedrungenen Feinde nehmen würden, nachdem sie ihren Auftrag, worin auch immer der bestehen mochte, ausgeführt hatten. Falls es einen Fluchtweg gab, denn es war ebenso gut möglich, dass es sich hierbei um einen Kamikaze-Angriff handelte. Zuzutrauen war das den Jem´Hadar zumindest.

Odo und sein Team setzten die Verfolgung des Gegners fort. Ganz in der Nähe des Eingangsschotts zum Wissenschaftslabor schlug ihnen ein mörderisches Abwehrfeuer entgegen und erneut waren die Leute das Sicherheitskommandos gezwungen Deckung zu nehmen. So gut sie konnten erwiderten sie das Feuer der Jem´Hadar. Einige grell-weiße Polaronschüsse der Jem´Hadar schlugen in einem der Beleuchtungskörper des Ganges ein, der funkensprühend seinen Dienst einstellte.

In demselben Moment, in dem sich Odo dazu durchrang, den Befehl zum Sturmangriff auf das Labor zu geben, lösten sich die Jem´Hadar, die eben noch wild um sich geschossen hatten, vor seinen Augen in grün-goldenen Energiewirbeln auf. Fast gleichzeitig erreichten ihn Anrufe von seinem Stellvertreter, und Michael Eddington. Beide sagten übereinstimmend aus, dass sich die Jem´Hadar, denen sie auf den Fersen gewesen waren, ebenfalls von der Station gebeamt hatten.

Der Formwandler gab ein Schnauben von sich und kontaktierte die OPS. Der Stellvertretende Taktische Offizier bestätigte, dass ein Frachter soeben unerlaubt von der Station abgelegt hatte. Er war von der Station aus unter Feuer genommen worden, doch zu spät, um ihn ernsthaft zu beschädigen, oder ihn aufhalten zu können, bevor er durch das Wurmloch entkommen konnte.

Odo gab Entwarnung und erstattete Kira Nerys Meldung. Danach wies er seine Leute an, sich um verletzte Kameraden zu kümmern, die Toten aus den Gängen zu schaffen und bei der Bergung eventuell weiterer Verletzter und Toter, in der Nähe des stark beschädigten Pylons zu helfen. Dabei fragte er sich die gesamte Zeit über, was diese Jem´Hadar zu ihrer seltsam anmutenden Tat bewogen haben mochte.

Spuren


 

6.

Spuren
 

Logbuch der U.S.S. EXODUS / NCC-77007

Sternenzeit: 49904.1

Captain Valand Kuehn
 

Vor wenigen Minuten wurden wir von der Station DEEP SPACE NINE kontaktiert. Offensichtlich gab es einen Angriff der Jem´Hadar auf die Station, wobei es zu zahlreichen Verletzten, und auch zu Toten kam. Wie mir von dort aus berichtet wurde, befindet sich die DEFIANT momentan nicht in der Nähe der Station, was für mich die Frage aufwirft, ob der Gegner bereits zuvor davon wusste.

Da wir momentan nicht weit der Station Patrouille fliegen habe ich dem Piloten der EXODUS befohlen, nachdem Konteradmiral William Ross sein Einverständnis dazu gegeben hat, mit maximaler Warp-Geschwindigkeit Kurs auf den Außenposten der Föderation zu nehmen. Admiral Ross versprach zudem, dass er weitere Einheiten in Richtung der Station DEEP SPACE NINE in Marsch setzen würde.

Wir werden in etwa zwanzig Minuten unser Ziel erreichen, und ich hoffe, wir kommen rechtzeitig um den Angreifer zu stellen, und Schlimmeres für die Station zu verhindern.
 

* * *
 

Valand Kuehn saß angespannt in seinem Sessel und blickte fragend zu seiner XO, die vor wenigen Augenblicken die Brücke erreicht hatte.

Noch etwas verschlafen wirkend, da sie sich vor einer knappen Stunde erst zu Bett begeben hatte, erwiderte sie den Blick und erkundigte sich bei Kuehn: „Was halten Sie von diesem Überfall, Captain?“

Kuehn verzog das Gesicht. „Um etwas von dem Überfall halten zu können fehlen mir Informationen dazu, was genau sich an Bord der Station abgespielt hat. Würde ich eine Station wie DEEP SPACE NINE überfallen, dann entweder, um sie zu erobern, oder aber, weil es dort etwas gibt, dessen ich habhaft werden möchte. Meine Vermutung, nachdem was ich von dem Bajoraner erfahren habe, der die Meldung machte, würde ich den ersten Grund ausschließen. Die Frage ist also: Was, an Bord der Station, ist für die Jem´Hadar von Interesse, Commander.“

„Oder wer“, warf die Rigelianerin ein.

Valand Kuehn wiegte zweifelnd den Kopf. „Das wäre zwar möglich, aber der Bajoraner sprach von drei Trupps, die sich zielstrebig durch die Station kämpfen. Also müssten es auch drei Leute sein, von denen die Eindringlinge noch dazu wissen müssten, wo genau sie sich momentan auf der Station aufhalten.“

Der Norweger überließ es Zaralee Scarinnan ihre eigenen Schlüsse zu ziehen, statt seinen Worten ein Fazit anzufügen. Denn es war immerhin möglich, das sie Recht hatte.

Die Rigelianerin schwieg eine Weile, bevor sie fragte: „Hat der Stationsoffizier gesagt, wohin genau die drei Trupps unterwegs sind?“

„Er erwähnte das Wissenschaftslabor, die Reaktorkontrollen und die Frachtrampen. Was uns leider kaum weiterbringen wird, da wir nicht wissen, was die fraglichen Frachtrampen an Gütern beinhalten.“

Die Rigelianerin lächelte aufmunternd. „Vielleicht sehen wir klarer, sobald wir die Station erreicht haben.“

Der Norweger nickte und wandte sich zu Lieutenant Karen Gallagher um. „Miss Gallagher, geben Sie Gelben Alarm. Zwei Minuten bevor wir die Station erreichen gehen Sie, ohne Rückfragen, auf Alarmstufe ROT.“

Die Frau an der Taktischen Konsole bestätigte.

Die Zeit schien sich zu dehnen, und Valand Kuehn war es, als sei eine Ewigkeit vergangen, bis die Alarmgeber ertönten und die Alarmpaneele ihre Farbe von Gelb zu Rot wechselten, wobei sie nun zyklisch aufblinkten.

„Das könnte der erste Kampfeinsatz der EXODUS werden, Captain“, bemerkte Zaralee Scarinnan leise zu Kuehn. „Also lächeln Sie, Sir.“

Valand Kuehn blickte seine XO ein wenig befremdet an. „Warum ist das denn ein Grund zum Lächeln, Commander?“

„Das ist ein alter Brauch, in einigen Gegenden meiner Heimat, Sir. Dort lächelt man, sobald man etwas zum ersten Mal macht. Bitte, tun Sie mir den Gefallen.“

Im Zweifel, ob sich die Rigelianerin einen Scherz mit ihm erlaubte, blickte er in ihre bernsteinfarbenen Augen. Gleichzeitig verzogen sich seine Mundwinkel, fast gegen seinen Willen, zu einem schiefen Grinsen. Er glaubte, so etwas wie Erleichterung in den Augen von Zaralee Scarinnan zu entdecken, und ahnungsvoll fragte er: „Sie sind doch nicht abergläubisch, Commander?“

Ihre Antwort bestand in einem vielsagenden Blick, wobei sich die gelblichen Streifen ihrer Gesichtshaut etwas intensiver zu färben schienen, und leise seufzte Kuehn: „Na, das kann ja heiter werden.“

Das kurze Augenzwinkern des Norwegers nahm seinen Worten die Spitze. Sich wieder ganz auf das konzentrierend, was der Crew und dem Raumschiff möglicherweise bald bevorstand, richtete er seinen Blick auf den Hauptschirm der Brücke.

Als die EXODUS unter Warp fiel, gab Irgendwer auf der Brücke einen leisen Laut der Überraschung von sich, und auch Valand Kuehn spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte, als er auf dem Hauptschirm die Station DEEP SPACE NINE in Vergrößerung betrachtete.

Einer der drei oberen Pylone der Station bestand quasi nur noch zu einem Drittel, der komplette obere Teil schwebte als Trümmerwolke darüber. Einige kleinere Trümmerstücke brachten den vorderen Deflektorschirm, der hauptsächlich im Weltall vorhandene Mikromaterie abweisen sollte, zum kurzzeitigen Aufflackern.

„Mister Ta Regalus: Halten Sie Abstand zu den größeren Trümmerstücken“, gab Kuehn Anweisung, während er sich langsam aus seinem Sessel erhob. Gleichzeitig hörte er seine Stellvertreterin sagen: „Lieutenant Gallagher: Phaser in Bereitschaft, falls uns doch eins der Trümmerstücke zu nahe kommen sollte.“

Abergläubisch oder nicht, der Commander ist bei der Sache, stellte Kuehn in Gedanken fest und ein flüchtiges Lächeln überflog seine Lippen. Dann gab er Anweisung: „Lieutenant Karimba, öffnen Sie einen Kanal und stellen Sie eine Verbindung zur Station.“

Bereits während seiner Zeit auf der AKIRA hatte es sich Kuehn abgewöhnt, einen bereits mit einer anderen Aufgabe beschäftigten Taktischen Offizier mit derlei Routine-Aufgaben zu traktieren, für die der Navigationsoffizier in solchen Situationen zumeist mehr Zeit hatte.

Elana Karimba, die Kuehns Angewohnheiten mittlerweile kannte, reagierte prompt. Kurz nach Kuehns Dienstantritt auf der EXODUS hatte sie sein erster Befehl in dieser Art überrascht, und seinerzeit hatte sie deutlich gezögert bei der Ausführung. Der Blick, der daraufhin von Valand Kuehn an ihre Adresse gegangen war, hatte ausgereicht, um sie solche Unachtsamkeiten in der Folgezeit vermeiden zu lassen.

„Kanal ist offen, Sir.“

„Danke, Lieutenant.“ Valand Kuehn legte die Hände auf den Rücken und sagte deutlich: „Hier ist Captain Valand Kuehn, von der EXODUS. Ich rufe DEEP SPACE NINE.“

Das Bild des Hauptschirms wechselte und zeigte einen Ausschnitt der Operations-Zentrale der Station, als sich der dortige Offizier vom Dienst meldete. Valand Kuehn erkannte den Hauptmann des Bajoranischen Militärs, Lorn Teras, wieder, mit dem er bereits vor knapp einer halben Stunde bereits gesprochen hatte. Aus diesem Grund stellte sich der Offizier diesmal nicht erneut vor, sondern eröffnete, erleichtert wirkend, das Gespräch, indem er sagte: „Ich bin froh, dass Sie hier sind, Captain. Die Jem´Hadar sind zwar bereits wieder von der Station verschwunden, aber sie könnten wiederkommen. Sie sind, nach ihrer Flucht von der Station, durch das Wurmloch geflogen.“

Kuehn nickte. „Admiral Ross hat bereits Verstärkung hierher in Marsch gesetzt, Hauptmann Lorn. Ich lasse die Zweite Staffel der EXODUS-Jagdstaffeln hier bei der Station und folge den Jem´Hadar. Die Erste Staffel werde ich am Wurmlochausgang in Warteposition gehen lassen. Sie wird, im Notfall, die Zweite Staffel unterstützen, sollte sich das als notwendig erweisen. Zusammen mit den Verteidigungsanlagen der Station sollte das ausreichen, falls die Jem´Hadar zurückkehren, bis die von Ross in Marsch gesetzte Verstärkung hier eintrifft. Benötigen Sie medizinische Unterstützung?“

Der Bajoraner lächelte verbindlich. „Nein, nicht nötig, Captain Kuehn. Die Verletzten werden bereits versorgt.“

Kuehn nickte in Gedanken. „Dann bitte ich Sie, sofern diese Daten vorliegen, mir eine Liste der, von den Jem´Hadar, gestohlenen Güter zu übermitteln.“

„Ich übertrage die Daten, soweit sie vorliegen, Sir. Viel Erfolg.“

„Danke, wir werden unser Bestes geben. Kuehn, Ende.“

Valand Kuehn setzte sich wieder in seinen Sessel und befahl: „Lieutenant Karimba, Kanal schließen und einen Kurs setzen, in Richtung des Wurmlochs. Lieutenant Ta Regalus, Kurs folgen, mit halber Impuls-Geschwindigkeit, sobald die Zweite Staffel ausgeschleust worden ist.“

Zaralee Scarinnan hatte ihrerseits inzwischen Lieutenant Rahirrim Ben Haris instruiert, darum dauerte es nur wenige Augenblicke, bis vom CAG die Vollzugsmeldung eintraf, dass seine Stellvertreterin mit zehn Jägern der neuen PEREGRINE-KLASSE von Bord des Raumschiffes gestartet war.

Kuehn seinerseits wechselte mit Karen Gallagher, die konzentriert wirkte, einen kurzen Blick – ein besonderer Befehl war bei Alarmstufe ROT nicht notwendig. Kuehn wusste mittlerweile, dass er sich auf seinen Taktischen Offizier verlassen konnte.

Aus den Augenwinkeln nahm der Norweger auf dem Hauptschirm wahr, wie sich die Perspektive änderte, als der Pilot das Schiff in Richtung des Wurmlochs lenkte und beschleunigte. Sich Zaralee Scarinnan zu wendend meinte er: „Die Ionenspur wird noch nicht zerfallen sein, es sollte demnach kein Problem darstellen, den Jem´Hadar zu folgen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen soll“, gab die Rigelianerin mit leicht spöttischem Unterton zurück. „Wer weiß schon, wie viele von denen am Ziel der Verfolgung herumschleichen, Captain.“

Ein feines Lächeln des Norwegers ging seinen nächsten Worten voraus. „Aber, aber, Commander, Sie sollten doch mittlerweile erkannt haben, dass ich kein Heißsporn bin, der sich Hals über Kopf in irgendeine unwägbare Geschichte stürzen würde. Falls wir einer Übermacht gegenüberstehen sollten, mit der wir nicht allein fertig werden können, so werden wir umdrehen und mit Verstärkung zurückkehren.“

Zaralee Scarinnan erlaubte sich ein Schmunzeln. „Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen werden, Captain.“

Kuehns Augen funkelten vergnügt. Diese Art von verbalem Geplänkel hatte sich im letzten Jahr zwischen ihnen entwickelt, und sie wussten beide inzwischen, wie sie sich gegenseitig einzuschätzen hatten. Im Grunde war es die Rigelianerin, die stets dazu bereit war etwas mehr zu riskieren, als Kuehn, der seinerseits gerne genau abwägte, wo seine Vorteile lagen, bevor er zu riskanten Unternehmungen aufbrach. Etwas, das sich bei ihm erst richtig unter dem Kommando von Marina Ramirez-Escobar herausgebildet hatte.

Beide Offiziere blickten nach vorne als sich mit einem grellen Gleißen der Eingang des Wurmlochs vor der EXODUS öffnete. Wie eine große, ultrablaue Blume, mit einem leuchtenden, goldenen Kelch, auf den der efrosianische Pilot das Raumschiff zu steuerte, lag es nun vor ihnen. Ein machtvoller, erhabener Anblick, der jedem, der es zum ersten Mal sah, verdeutlichte, welche sagenhaften Wunder das Universum für den bereit hielt, der sich aufmachte es zu erforschen.

Noch kein Besatzungsmitglied der EXODUS hatte diesen Effekt je mit eigenen Augen und aus nächster Nähe erlebt, weshalb die Brückenoffiziere fasziniert auf den schnell vor dem Schiff anwachsenden Energiestrudel blickten, aus dessen Innern das gelb-goldene Glühen drang. Beim Anflug konnte man das Aufleuchten etwas hellerer Feldlinien erkennen, die ein filigranes Muster bildeten - fast wie einen kreisrunden Korridor – der ins eigentliche Innere des Wurmlochs führte.

Die Hände Kuehns umklammerten die Sessellehnen, während sie das Wurmloch durchflogen. Mit Vielem hatte er gerechnet, aber nicht damit, dass sich ihnen das Innere des Wurmloches in einem sanften Blauton, durchzogen von silbernen und goldenen Schlieren und geometrischen Mustern, derart prächtig präsentieren würde.

Bereits einen Moment später war es vorbei, und der Norweger entspannte sich, beinahe ernüchtert, weil der wunderschöne Anblick ihn kurzzeitig in den Bann geschlagen hatte. Bei einem Blick zu Zaralee Scarinnan stellte er belustigt fest, dass ein Lächeln auf ihrem Gesicht lag, und er dachte: Das ist ihr wohl tatsächlich heilig.

Als die Rigelianerin ihren Kopf wandte und den Norweger ansah ließ nichts erkennen, woran er eben gedacht hatte. Ernsthaft erklärte er, nachdem Karen Gallagher ihm gemeldet hatte, dass keine unmittelbare Gefahr drohte: „Sie, Commander, werden sich wieder hinlegen und mich in acht Stunden ablösen, es sei denn, dass wir vorher auf die Jem´Hadar treffen, und ich Sie erneut aus dem Bett werfen muss.“

„Vielleicht könnten Sie ja netterweise die Verfolgung auf ein erträgliches Tempo drosseln, so dass das nicht der Fall sein wird“, konterte Commander Scarinnan trocken. Damit erhob sie sich und verließ die Brücke.

Kuehn blickte ihr grinsend hinterher. Im nächsten Moment mahnte er sich zu mehr Disziplin und setzte eine dienstliche Miene auf, als er sich erhob und Karen Gallagher zu wandte. „Was können Sie scannen, Lieutenant?“

Die junge Frau sah zu ihm und erwiderte: „Etwa ein halbes Lichtjahr entfernt trennt sich eine zweite Ionenspur von der des angeblichen Transporters. Sie zerfällt mit doppelter Geschwindigkeit, Sir. Selbst wenn sich die DEFIANT beeilt hierher zu kommen, wird sie vermutlich nur noch die des Transport-Raumschiffes anmessen können. Der Signatur nach handelt es sich bei der zweiten Spur um die Rückstände eines Raiders der Jem´Hadar.“

„Danke, Miss Gallagher. Geben Sie Lieutenant-Commander Ben Haris die Startfreigabe für die Erste Staffel. Danach stimmen sie die Scanner auf die Spur des Raiders ab. Ihm werden wir folgen, die DEFIANT kann sich später immer noch um die Spur des Transporters kümmern, sobald sie hier eintrifft. Überspielen Sie die Scanner-Daten permanent zur Navigationskonsole.“

Der Norweger setzte sich wieder, nachdem Karen Gallagher bestätigt hatte, und gab seine nächsten Anweisungen, als die Vollzugsmeldung von Ben Haris eingetroffen war. „Navigator: Setzen Sie einen Verfolgungskurs und passen Sie ihn ununterbrochen an die eingehenden Daten an. Pilot: Kurs folgen, mit Warp 9,5. Achtung – Beschleunigen.“

Die EXODUS beschleunigte signifikant und drang nur wenige Momente später, mit einem grell-weißen Blitz in den Subraum ein. Zurück blieben die zehn Piloten der Ersten Staffel, in ihren Jagdmaschinen, unter der Führung von Lieutenant-Commander Rahirrim Ben Haris, der von Kuehn den Auftrag erhalten hatte, der Besatzung der DEFIANT zu melden, welcher der beiden Spuren die EXODUS folgte, damit sie sich auf die andere Spur konzentrieren konnte, falls wider Erwarten zu diesem Zeitpunkt noch beide Spuren anzumessen waren. Andernfalls sollte Ben Haris die Erste Staffel bereits vorher nach DS9 zurück bringen und dort auf die Rückkehr der EXODUS warten.

Dabei hoffte der Norweger richtig gehandelt zu haben, die Jem´Hadar in den Gamma-Quadrant zu folgen, ohne zuvor die spezielle Erlaubnis von Admiral Ross eingeholt zu haben. Zwar lag es im Verantwortungsbereich eines Captains der Sternenflotte, eine solche Verfolgung anzuordnen, wenn Gefahr im Verzug war, doch möglicherweise sah Ross diesen Fall am Ende anders als er. Aber das würde letztlich die Zeit erweisen.

Sich zum Chef-Wissenschaftler der EXODUS wendend sagte Kuehn: „Mister Ran, haben Sie die Daten gesichtet, die wir von Hauptmann Lorn Teras bekommen haben?“

Yazee Ran blickte zu seinem Captain. „Ja, Sir.“

„Dann kommen Sie bitte mit in meinen Bereitschaftsraum, Lieutenant-Commander. Miss Gallagher, Sie haben die Brücke.“

Kuehn verharrte für einen Augenblick, bevor er seinen Kommunikator aktivierte und den bolianischen Chief ebenfalls in seinen Bereitschaftsraum bestellte. Danach folgte er Yazee Ran zu seinem Bereitschaftsraum, der dem des Commanders gegenüber lag. Wie schon auf der AKIRA besaß auch die EXODUS zwei Bereitschaftsräume, je einen für den Captain und für den XO des Schiffes.

Dort angekommen bot Valand Kuehn dem Wissenschaftler einen Platz auf der Couch an, vor der ein niedriger, gläserner Tisch stand. „Möchten Sie vielleicht etwas zu trinken, Mister Ran?“

„Ein Kirschsaft, bitte.“

Kuehn hob seine Augenbrauen, sagte aber nichts, während er sich zum Replikator begab. Manchmal wunderte es ihn etwas, dass so viele Außerirdische terranische Fruchtsäfte mochten und beinahe hätte er Ran eine entsprechende Frage dazu gestellt. Doch der Geschmack von Ran war seine Angelegenheit, befand er dann.

Mit dem Kirschsaft für Ran und einem Andorianischen Tee für sich selbst kehrte er zum Tisch zurück und stellte den Fruchtsaft vor Ran ab.

Beinahe gleichzeitig öffnete sich das Schott und Lieutenant-Commander Chirome trat zu ihnen ein. Ran zu nickend blickte der Bolianer zu Kuehn und sagte: „Da bin ich.“

„Man hört und sieht es“, gab Valand Kuehn launig zurück und zwinkerte Chirome belustigt zu. „Möchten Sie etwas zu trinken?“

„Nein danke, Captain. Ich hatte heute bereits drei heiße Raktajino.“

„Wow“, entfuhr es dem Trill auf der Couch. „Heißt das Sprichwort nicht: Drei Tassen klingon´scher Kaffee und deine Eingeweide sind wund?“

„Vielleicht ist heute ein guter Tag, um herauszufinden was fünf Tassen anrichten“, knurrte der Bolianer finster und setzte sich neben Yazee Ran auf die Couch. Frustriert klingend fuhr er fort: „Meine Stellvertreterin hat heute eine geschlagene Stunde gebraucht, bis die Warpkern-Simulation zum Synchronisieren beider Warpkerne endlich funktionierte.“

Valand Kuehn fing einen sehnsüchtigen Blick des Bolianers auf. „Wissen Sie, Sir: Manchmal wünschte ich mir, dass Sarah Mintal an Bord wäre. Aber nicht sehr oft.“

Valand Kuehn grinste offen, und erklärte Ran: „Die erwähnte Dame ist eine Technikerin, die an Bord der ALAMO gedient hat. Eine hervorragende Spezialistin, aber etwas eigen, um es mal vorsichtig zu formulieren.“

„Etwas sehr eigen“, ergänzte Chirome. „Ich glaube, dass niemand in der gesamten Sternenflotte mehr Flüche kennt.“

Yazee Ran runzelte die Stirn. „Klingt nach einer interessanten Person. Immerhin heißt es, dass die ALAMO, zum Ende ihrer Reise hin, nur noch durch Spucke und guten Willen zusammengehalten wurde.“

Kuehn nickte in Gedanken. „Zumindest kam es uns manchmal so vor. Tatsächlich waren es Chirome, Sarah, und all die anderen Crewmitglieder, die das vollbracht haben.“

Der Captain der EXODUS schüttelte die Erinnerung an diese Zeit ab und setzte sich, den beiden Führungsoffizieren gegenüber, an seinen Arbeitstisch.

„Kommen wir auf aktuelle Probleme zurück, meine Herren. Mister Ran, bitte sagen Sie uns, was Sie aus den vorliegenden Daten in Bezug auf die, von den Jem´Hadar gestohlenen, Güter entnehmen können.“

Der Trill wechselte einen schnellen Blick mit Chirome und führte aus: „Ich habe mit Hilfe des Bordcomputers einige Querverweise durchgeführt, Captain. Zwischen den gestohlenen Gütern und den möglichen gemeinsamen Anwendungen. Zuerst schien dieser Prozess zu nichts Konkretem zu führen, doch dann habe ich Einsatzberichte der letzten zehn Jahre in meine Analysen einfließen lassen und das Ergebnis war ziemlich aufschlussreich. Ein Bericht der U.S.S. ENTERPRISE, und besonders die Daten über eine gefundene, außerirdische Technik in diesem Bericht, lassen mich vermuten, dass die Jem´Hadar die Station überfielen, weil sie ein kompliziertes, technisches Gerät reparieren wollen. Genauer gesagt, ein Transporter-System, Captain.“

Valand Kuehn kniff seine Augenlider zusammen. „Aber um einen normalen Transporter zu reparieren fliegen die doch nicht in einen anderen Quadranten, Mister Ran. Worauf also wollen Sie hinaus?“

Ran nickte. „Das ist korrekt, Sir. Nach meiner Analyse drängt sich mir der Verdacht auf, als würden die Jem´Hadar die gestohlenen Güter benötigen, um ein Iconianisches Portal zu reparieren. Eine andere Möglichkeit kann ich mir nicht vorstellen, bei der Zusammenstellung dessen, was gestohlen wurde.“

Valand Kuehn blickte seinen Chefwissenschaftler mit versteinerter Miene an. Im ersten Moment war er versucht gewesen, die Theorie des Trill als zu fantastisch abzutun. Doch Yazee Ran war ein Offizier, der nicht leichtfertig solche Möglichkeiten in den Raum warf und so presste er die Lippen zusammen.

Schließlich wandte er sich zu Chirome und fragte: „Was sagen Sie, als Techniker, dazu, Mister Chirome?“

Der Bolianer wiegte leicht seinen Kopf. „Möglich wäre es, Captain. Wenn mein Kollege Recht hat, dann wäre ein solches Portal, in den Händen der Jem´Hadar, fatal. Wir sollten in jedem Fall klären, ob etwas an dieser Theorie dran ist.“

Valand Kuehn machte eine zustimmende Geste. „Das denke ich auch. Ich danke Ihnen, meine Herren.“

Die beiden Führungsoffiziere verstanden den Wink und erhoben sich, wie auf ein geheimes Kommando hin.

Nachdem Ran und Chirome den Bereitschaftsraum verlassen hatten lehnte sich Kuehn in seinem Sessel zurück und dachte über die Gefahr nach, die ein Iconianisches Portal, in den Händen dieser Kampftruppe des Dominion bedeuten konnte. Schließlich ballte er seine Hände zu Fäusten. Sie mussten um jeden Preis herausfinden ob Ran Recht hatte.

Der erste Kampfeinsatz


 

7.

Der erste Kampfeinsatz
 

Logbuch der U.S.S. EXODUS / NCC-77007

Sternenzeit: 49909.5

Captain Valand Kuehn
 

Zwei volle Tage sind vergangen, seit die U.S.S. EXODUS in den Gamma-Quadrant eingeflogen ist, um die Spur der flüchtigen Jem´Hadar zu verfolgen, die DEEP SPACE NINE überfielen. Jetzt scheinen wir das Ziel der Jem´Hadar zu kennen, denn sie halten auf ein Sonnensystem zu, das von einem orange-roten Hauptreihenstern beherrscht wird. Ich bin guter Hoffnung, die Flüchtigen dort endlich stellen zu können.
 

* * *
 

Vor fünf Minuten hatte Ensign Ladarion Eglee, der Zweite Taktische Offizier, Alarmstufe ROT ausgelöst.

Als Valand Kuehn, der vom Alarm aus dem Tiefschlaf gerissen worden war, die Brücke betrat stand Commander Scarinnan bereits an ihrem Platz.

Auf dem Hauptbildschirm zeichnete sich ein orange-gelber Stern ab, der im Zentrum stand. Etwas unterhalb querab am rechten Rand des Bildschirms, etwa apfelgroß, erkannte Kuehn einen Planeten. Neben weißen Wolkenformationen gab es braune, grüne und tiefblaue Bereiche, so dass Valand Kuehn die Vermutung anstellte, dass es sich um einen Planeten der M-Klasse handelte.

Kuehn trat zu seiner XO und verlangte mit gedämpfter Stimme: „Bericht, Commander, was haben wir hier?“

Die Rigelianerin erklärte: „Die Ionenspur endet hinter diesem Planet, Captain. Ich habe die Anweisung gegeben, dass wir uns von dieser Seite des Planeten nähern. Die Umrundung ist beinahe abgeschlossen. Wenn wir Glück haben, dann fällt den Jem´Hadar unser Annähern erst auf, wenn es zu spät ist.“

In diesem Moment warf Ensign Eglee ein: „Captain, der verfolgte Raider tritt gerade hinter dem Planeten hervor, zusammen mit einem zweiten Raumschiff derselben Klasse. Sie scannen uns und reagieren auf keinen meiner Kontaktversuche, Sir.“

„Tja“, seufzte Kuehn grimmig. „So viel zu unserem Glück, Commander.“

Dann wandte sich Kuehn zu Eglee. Startbefehl für unsere beiden PEREGRINE-Staffeln. Sie fliegen an Backbord einen der Raiders an, während wir uns den anderen Raider vornehmen. Feuererlaubnis, sobald sich die Schiffe in Reichweite befinden.“

Inzwischen hatte Zaralee Scarinnan es übernommen, die Navigatorin einen Kurs setzen zu lassen, und wandte sich zu Na´Loon Ta Regalus um ihm ihr Ziel zuzuweisen.

Aus den Augenwinkeln hatte Valand Kuehn das Erscheinen von Karen Gallagher registriert, die von Eglee eingewiesen wurde und dann übernahm. Eglee blieb, auf ihr Geheiß hin, bei ihr, um sie zu unterstützen.

Zufrieden begab sich Kuehn zu seinem Sessel und nahm darin Platz. Ohne es zu bemerken mit einem feinen Lächeln auf den Lippen. Erst als Zaralee Scarinnan sich setzte und ihn amüsiert von der Seite ansah wurde er sich dessen bewusst.

„Der erste Kampfeinsatz der EXODUS, Captain. Mein Kompliment, Sie lernen es allmählich.“ Augenzwinkernd konzentrierte sich die Rigelianerin wieder.

Kuehn, der als Einziger die fast geflüsterten Worte hatte verstehen können, seufzte unterdrückt und erwiderte ebenso leise: „Sie machen mich noch fertig damit, Commander.“

Einen Moment später hatte er diese kleine Ablenkung vergessen und blickte angespannt nach vorne und wies den Piloten des EXODUS an: „Lieutenant Ta Regalus: bereiten sie sich darauf vor, schnell den Feindschiffen ausweichen zu müssen. Fluchtvektor nach eigenem Ermessen.“

„Aye, Captain!“

Ohne sich umzudrehen sagte Valand Kuehn im nächsten Moment: „Miss Gallagher, wir greifen an. Achtung – Feuer!“

Von den sechs Torpedorampen im vorderen Teil des Waffen-Pods, im Hinteren Bereich des Raumschiffs, zwischen und über den beiden Katamaranen, gelegen, jagten beinahe gleichzeitig sechs grell-weiß leuchtende Quantentorpedos und schlugen Augenblicke später in den Schilden eines der Raiders ein. Gleich darauf eröffnete die EXODUS auch aus den dem Bereich der drei Torpedorampen, im vorderen Bereich der unteren Primärhülle, das Feuer auf das Kriegsschiff der Jem´Hadar. Mit Unterstützung der Phaser versuchte Karen Gallagher dabei, das zweite Feindschiff auf Distanz zu halten, wobei die PEREGRINE-Jäger sie aktiv unterstützten.

Fast gleichzeitig eröffneten beide Jem´Hadar-Schiffe das Feuer. Normalerweise war Valand Kuehn geneigt, dem Gegner den ersten Schuss zu lassen doch das wäre, hier, weit ab und gegen einen Gegner, wie diese Jem´Hadar, die bereits ihre Kompromisslosigkeit auf der Station DEEP SPACE NINE unter Beweis gestellt hatten, eine zu gewagte Taktik gewesen.

Der Jem´Hadar-Raider, an Steuerbord der EXODUS, verlor seine Schilde und versuchte eine scharfe Kehre, doch der Lieutenant Ta Regalus schien dieses Manöver antizipiert zu haben, denn er legte das Sternenflottenraumschiff gleichfalls in eine Kurve, so dass Karen Gallagher den ungeschützten Kiel des Feindschiffes, der ihnen düster-violett entgegen glühte, unter konzentriertes Feuer nehmen konnte.

Die Schilde der EXODUS leuchteten auf, als das Raumschiff der AKIRA-KLASSE durch die Randzone der Explosion flog, in der das Schiff der Jem´Hadar unterging. Ein leises Rütteln durchzog das Schiff. Im nächsten Moment lag die Zone der Vernichtung bereits hinter der EXODUS und Ta Regalus wendete den Kreuzer, als handhabe er lediglich einen leichten Jäger. Als dabei kurzzeitig ein geringfügig höherer Andruck spürbar wurde, fing sich der Pilot einen mahnenden Blick von Kuehn ein.

„Halten Sie die Manöver im grünen Bereich, Lieutenant Ta Regalus“, wies der Norweger ihn zurecht. „Notmanöver sind nur etwas für wirkliche Notsituationen.“

„Aye, Captain!“, erwiderte der Efrosianer, und war froh, dass sein Kommandierender Offizier nicht seine mürrische Miene sehen konnte. Natürlich hatte der Captain Recht, doch es lag in seiner Natur, Grenzen auszureizen. In jedweder Hinsicht.

Der zweite Jem´Hadar-Raider hatte gewendet und hielt direkten Kurs auf die EXODUS. Offensichtlich wollte er zu einem ähnlichen Kamikaze-Manöver ansetzen, wie jener Raider, der die U.S.S. ODYSSEY auf dem Gewissen hatte.

Die Piloten der PEREGRINE-Jäger setzten alles daran, dieses Manöver zu stören, wobei zwei von den grellen, bläulich-weißen Polaronphaser-Waffenstrahlen des Feindschiffs erfasst und vernichtet wurden.

Die übrigen Jäger der EXODUS griffen an, wie zornige Hornissen. Gemeinsam schafften sie es, den Schild des Raiders zu überlasten. Als das Schutzfeld des Raiders zusammenbrach war die inzwischen ausgewichene EXODUS heran und nahm das nun ungeschützte Raumschiff der Jem´Hadar unter konzentriertes Phaserfeuer, wobei Teile der Hülle in den Weltraum geschleudert wurden, als sich die gerichteten Nadionstrahlen ins Innere des Raiders fraßen. Als sie den Hauptreaktor trafen wurde das Feindschiff von mehreren Folgeexplosionen förmlich zerrissen.

Mehrere Jäger entgingen dabei nur knapp den herum wirbelnden Trümmerteilen des zerstörten Raiders.

„Beide Raiders wurden zerstört!“, meldete Karen Gallagher nüchtern. Keine Lebenszeichen von Überlebenden. Zwei unserer Piloten wurden ebenfalls getötet, Sir.“

Kuehns Miene wirkte versteinert, bei dieser Meldung. „Danke, Lieutenant.“

Valand Kuehn wandte sich zu Zaralee Scarinnan. „Stellen Sie die Namen der Gefallenen fest und schicken Sie mir später einen kurzen Bericht in meinen Bereitschaftsraum, Commander.“

Während die Rigelianerin bestätigte, erhob sich Valand Kuehn, fast mechanisch, aus seinem Sessel. Für einen Herzschlag starrte er auf den Hauptschirm, bevor er den Taktischen Offizier des Raumschiffs anwies: „Miss Gallagher, geben sie unseren Jagdpiloten Bescheid, zum Schiff zurückzukehren.“

Die Frau bestätigte und der Captain wandte sich wieder nach vorne. Lieutenant Karimba, setzen Sie einen Kurs zum Planeten. Lieutenant Ta Regalus, sobald unsere Jäger an Bord sind, folgen Sie dem Kurs und schwenken in einen Standard-Orbit ein.

Als sich Kuehn wieder setzte, und mit nachdenklicher Miene vor sich hin starrte, legte Zaralee Scarinnan kurz ihre Hand auf seinen Unterarm. Beinahe entschuldigend blickend nahm sie ihre Hand wieder fort, als er zu ihr sah, und sie sagte leise: „Sie konnten das nicht verhindern, Sir. Es ist nicht Ihre Schuld, Captain, es ist deren Schuld. Die Jem´Hadar waren es, die DEEP SPACE NINE überfielen. Das Alles ist nur deren Schuld.“

Die Eindringlichkeit ihrer Worte, obwohl fast flüsternd gesprochen, zeigte Wirkung bei dem Norweger. Dankbar sah er zu ihr und nickte unmerklich. „Ja, ich weiß, Commander. Trotzdem schmerzt es, Kameraden im Kampf zu verlieren.“

Die Rigelianerin war taktvoll genug, in diesem Moment nicht zu lächeln, und Valand Kuehn war ihr dankbar dafür, denn das hätte er in diesem Moment nicht ertragen.

Als die verbliebenen Jäger schließlich alle eingeschleust worden waren, und sich die EXODUS dem Planeten näherte, meldete Karen Gallagher: „Captain, ich habe einen Punkt auf dem Planeten erfasst, wo Energieanlagen in Betrieb genommen worden sind. Offensichtlich haben die Jem´Hadar dort einen Stützpunkt errichtet. Ich messe jedoch nur ein gutes Dutzend Lebenszeichen an.“

Kuehn blickte zu seiner XO. „Den Stützpunkt werden wir ausheben, Commander. Wir müssen herausfinden, was die Jem´Hadar hier treiben.“

Sich zu Karen Gallagher wendend, befahl er: „Rufen Sie die fünfzehn Leute der Sicherheit in den Besprechungsraum. Wir zwei werden die Leute einweisen, sobald wir in der Umlaufbahn des Planeten sind, Lieutenant.“

Den Ensign ansehend fuhr Kuehn fort: „Mister Eglee, Sie scannen weiter die Oberfläche des Planeten und berichten mir laufend über neue Erkenntnisse.“

Beide Offiziere bestätigten und der Norweger blickte zu Zaralee Scarinnan. „Sie, Commander, werden in meiner Abwesenheit das Kommando über das Schiff übernehmen. Für den Fall, dass mehr Jem´Hadar in diesem System erscheinen sollten, während wir unten auf dem Planet sind, halten Sie uns den Rücken frei, solange Sie können.“

In den Augen der Rigelianerin erkannte Valand Kuehn Widerspruch, doch sie sagte lediglich: „Verstanden, Captain.“

Während Karen Gallagher das Sicherheits-Team informierte meldete Ladarion Eglee: „Captain, auf dem Planeten scheint es so eine Art Werftkomplex direkt beim Stützpunkt zu geben. Groß genug für die Raiders der Jem´Hadar. Sie haben starke Schutzschilde aktiviert. Die werden wir knacken müssen, bevor wir Sie und Ihr Team in den Komplex beamen können, Sir.“

Valand Kuehn nickte in seine Richtung. „Danke, Ensign Eglee. Bereiten Sie die Waffensysteme der EXODUS dementsprechend vor.“

„Das ist merkwürdig, Captain.“ Commander Scarinnan machte eine irritierte Miene. „Ein Werftkomplex erfordert eine wesentlich größere Besatzung, als nur ein gutes Dutzend Wesen. Das ergibt keinen Sinn.“

„Nicht, wenn das hier der Hauptstützpunkt wäre“, gab Valand Kuehn nachdenklich zu bedenken und fuhr sich mit den Fingern der Linken über Schnurrbart und Kinnbart. „Ich habe den leisen Verdacht, dass nicht wir, sondern die DEFIANT den Flüchtigen im Nacken sitzen, die DEEP SPACE NINE überfallen haben. Die zweite Ionenspur, der wir folgten könnte in dem Fall bedeuten, dass man Truppen auf den angeblichen Transporter verlegt hat, die zuvor in diesem System stationiert gewesen sind.“

„Sie glauben, wir sind der falschen Fährte gefolgt, Captain?“

Kuehn machte eine verneinende Geste. „Nein, diesen Stützpunkt zu eliminieren ist wichtig, da es fraglos eine Verbindung zwischen diesen Jem´Hadar und denen gibt, die auf der Station ihr Unwesen getrieben haben. Ich frage mich nur, ob die DEFIANT dem Gegner, der zweifellos auf sie wartet, gewachsen sein wird. Bei der DEFIANT handelt es sich zwar um eine zornige, kleine Kiste, doch ich würde die Kampfkraft der EXODUS als deutlich höher bewerten. Selbst ohne die Jagdstaffeln.

Die Rigelianerin lächelte verstehend. Captain Sisko soll mit dem Schiff schon einige haarsträubende Einsätze durchgeführt haben. Der kommt bestimmt klar, Sir.“

„Das hoffen wir alle“, murmelte Valand Kuehn, kratzte sich dabei, seinen eigenen Worten nach horchend, überlegend am Kinn und schüttelte dann in Gedanken den Kopf. Irgendwie hatte das eben nicht wirklich nach ihm geklungen.

Die fragende Miene der Rigelianerin ignorierend meinte er zustimmend: „Sie haben Recht, Commander. Vertrauen wir auf Sisko und konzentrieren uns auf den Feind, den wir vor uns haben.“

Damit schritt er zu Karen Gallagher und meinte: „Kommen Sie, Lieutenant, wir wollen das Team einweisen.
 

* * *
 

Als die beiden Offiziere den Besprechungsraum betraten, erhoben sich die Männer und Frauen der Sicherheit, die sich hier eingefunden hatten.

Valand Kuehn ließ seinen Blick kurz über die Anwesenden schweifen. „Bitte setzen Sie sich wieder, wir wollen gleich zur Sache kommen.“

Der Norweger gab Karen Gallagher ein Zeichen, und die Frau aktivierte die Wandkonsole, neben dem Bildschirm, der in die Wand gegenüber der Fensterfront eingelassen war.

Kuehn postierte sich auf der anderen Seite des Bildschirms, auf dem Lieutenant Gallagher eine topografische Grafik des Gebiets eingeblendet hatte. Dabei erklärte er: „Wir haben einen Stützpunkt der Jem´Hadar ausgemacht. Offensichtlich wurde die reguläre Besatzung dieser Anlage für eine andere Aufgabe abgezogen, so dass wir es nur mit einem Dutzend Feinden zu tun haben. Diese Basis der Jem´Hadar wird von Schutzschilden geschützt, die wir mit den Bordwaffen zunächst ausschalten werden. Danach werden wir uns in den Stützpunkt beamen und den Gegner überwältigen. Mir ist wichtig, dass wir dabei den Stützpunkt möglichst unbeschadet in die Hände bekommen. Danach laden wir so viel an Daten von den Computern des Stützpunktes herunter, wie wir können. Wir müssen herausfinden, welche Ziele diese Jem´Hadar verfolgen. Falls der kürzlich erfolgte Überfall auf DEEP SPACE NINE der Auftakt zu einem Generalangriff des Dominion auf die Föderation darstellt, dann will ich das wissen.“

Kuehn blickte bei diesen Worten zu Karen Gallagher, die an dieser Stelle übernahm und den Anwesenden erklärte: „Die Jem´Hadar konzentrieren sich auf zwei bestimmte Bereiche der Basis. Darum werden wir zwei Teams bilden. Das erste Team, unter dem Kommando des Captains wird die Jem´Hadar im Hauptkomplex der Basis überraschen, während das zweite Team, unter meinem Kommando, die Jem´Hadar im Kontrollraum des Werft-Komplexes übernehmen wird.“

Karen Gallagher warf Kuehn einen fragenden Blick zu.

Mit einem knappen Nicken gab der Captain der EXODUS seine Zustimmung. Karen Gallagher sollte merken, dass er ihrer Expertise vertraute. „Teilen Sie die Leute ein, Lieutenant. Danach geht es zur Rüstkammer, wo jeder Teilnehmer einen Handphaser und eins der brandneuen Phasergewehre vom Typ-III bekommen wird. Von dort aus machen wir uns auf den Weg zu den Transporterräumen Eins und Zwei. Die beiden Transporter-Chiefs werden den Beamvorgang so koordinieren, dass wir zeitgleich unten ankommen werden.“

„Aye Captain!“

Karen Gallagher teilte das Sicherheits-Personal der EXODUS zügig in zwei gleichgroße Gruppen ein. Gemeinsam verließen sie den Besprechungsraum und begaben sich gruppenweise zu den beiden Turbolifts, die von der Brücke aus tiefer in den Schiffskörper der EXODUS führten.

Als Valand Kuehn und seine Gruppe Transporterraum-I erreichten gab Karen Gallagher über Kommunikator die Bereitschaft ihres Teams durch. Mit einem feinen Schmunzeln auf den Lippen wies der Captain seine Leute an, sich ebenfalls bereit zu machen und trat dann zu ihnen auf die Plattform, wobei er den Anruf des Taktischen Offiziers bestätigte, und den Transporter-Chief anwies auf das Zeichen seines Kollegen hin den Transportvorgang zu den Koordinaten durchzuführen, die er mittlerweile von Ensign Eglee empfangen hatte.

Es dauerte nur Sekunden, bis der Chief das Zeichen gab, dass er den Transport nun durchführen würde. Im nächsten Moment löste sich die Umgebung des Transporterraum vor den Augen Kuehns in blauem Licht auf. Irgendetwas schien in seinem Gehirn zu explodieren, bevor das blaue Glühen vor seinen Augen schwächer wurde und Platz für neue Eindrücke machte. Die fremdartige Umgebung der Feindbasis wurde…

Daran werde ich mich nie ganz gewöhnen, dachte Valand Kuehn, hob dabei gleichzeitig sein Typ-III-Phasergewehr, und blickte sich kampfbereit um. Im Gegensatz zu den meisten älteren Raumschiffen und den Stationen der Föderation, gab es an Bord der EXODUS bereits diese brandneuen Gewehr-Typen. Sowohl ihre Reichweite als auch ihre Wirkung waren deutlich verbessert worden, gegenüber den älteren Typ-II-Gewehren. Außerdem konnten sie umgeschaltet werden, von normalem Phaserstrahl auf Phaser-Puls. Zudem war eine positronische Visiereinrichtung eingebaut worden.

Nachdem sich Valand Kuehn und seine Begleiter davon überzeugt hatten, dass der Bereich, in dem sie angekommen waren, feindfrei war, zog Kuehn seinen Tricorder hervor und gab gleichzeitig den Befehl zum Aufbruch.

Zusammen mit einem weiblichen Master-Chief-Petty-Officer bewegte sich Valand Kuehn an der Spitze des Trupps durch einen nur mäßig erleuchteten Gang, der keinerlei Vermutung darauf zuließ, wohin genau er führte. Anhand der Scanns von Ensign Eglee wusste der Captain jedoch, dass dieser Gang zu einem sechseckigen Hauptgebäude gehörte, und ins Zentrum des Gebäudes führte, wo sich die Jem´Hadar nach den letzten Ortungen aufgehalten hatten.

Hier unten bekam Valand Kuehn jedoch keinerlei Werte herein, was ihn zu der Annahme veranlasste, dass die Jem´Hadar Dämpfungsfelder aktiviert hatten. Doch warum erst jetzt, und nicht bereits früher?

Die hagere, entschlossen wirkende, Trill an Valand Kuehns Seite umklammerte den Lauf ihrer Waffe so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervorstachen. Auch er selbst verspürte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Er hatte bereits zu Akademiezeiten solche Nahkampf-Szenarien gehasst. Dafür war er nicht zur Sternenflotte gegangen. Doch gerade die letzten Jahre hatten ihn gelehrt, dass solche Szenarien sich häuften. Momentan gehörten sie zur Realität des Dienstes in der Sternenflotte.

Sie erreichten eine Gangkreuzung, und die Trill spähte vorsichtig um die Gangecke nach rechts und nahm Scanns mit ihrem Tricorder vor, während er selbst nach links sicherte.

„Feindfrei, Sir!“, meldete die Trill leise. „Allerdings zeigt mein Tricorder noch immer keine klaren Werte an. Die arbeiten mit Dämpfungsfeldern, Sir.“

„Bei mir ist es dasselbe, Master-Chief...“

„Anzaria Harin“, half die Trill ihm auf die Sprünge. „Nicht vereinigt, Sir.“

Valand Kuehn lachte lautlos und flüsterte dann ironisch zurück: „Das hätten wir dann auch geklärt, Master-Chief Harin.“

Er deutete mit seinem Phasergewehr in der Linken nach vorne. „Weiter jetzt.“

An den graubraunen Wänden entlang schlichen sie weiter. Auch an der nächsten Gangkreuzung gab es kein Anzeichen von Jem´Hadar, und Valand Kuehn, der es aufgegeben hatte, den Feind mit Hilfe seines Tricorders aufspüren zu wollen, begann sich zu fragen, wohin es die Soldaten des Dominion verschlagen haben mochte.

Einen Augenblick später meldete Anzaria Harin mit vibrierender Stimme: „Captain, ich messe plötzlich einen signifikanten Energieanstieg an. Wenn das trotz der Dämpfungsfelder möglich ist, dann...“

Valand Kuehn begriff augenblicklich und gab überlaut den Befehl: „Raus aus dem Gebäude, die Jem´Hadar überlasten die Haupt-Energiequelle des Komplexes!“

Kuehn packte die Trill, die wie erstarrt auf den Tricorder blickte, am Oberarm und zog sie mit sich, den Weg zurück den sie gekommen waren. Hinter den anderen rannten sie durch den Gang, zurück zum Erfassungspunkt des Transporters. Dabei fluchte er erbittert, als er bemerkte, dass die überwiegend jüngeren Mitglieder seines Teams ihn abhängten. Auch die etwa gleichalterige Trill war auf einige Meter davongezogen.

Im nächsten Moment schien die Welt unterzugehen. Unter Valand Kuehn schien der Boden lebendig zu werden und er wurde durch die Luft geschleudert. Den Gleichgewichtssinn verlierend begann sich die Umgebung um ihn herum zu drehen. Gleichzeitig marterte ein fürchterliches Donnern sein Gehör.

Irgendwann schlug er hart gegen eine feste Oberfläche. Er bemerkte nicht, dass er aufschrie – auch nicht, das er seine Waffe fallen ließ. Etwas landete auf seinen Beinen und auf seinem Oberkörper, und presste ihm die Luft aus den Lungen. Im nächsten Moment erfolgte ein harter Schlag gegen seinen Kopf und löschte sein Bewusstsein.
 

* * *
 

Ein scharfer Schmerz, der durch Kuehns gesamten Körper flutete, gerade so als würde jemand Stacheldraht durch seinen Körper ziehen, machte Valand Kuehn schmerzhaft bewusst, dass er noch unter den Lebenden weilte. Erst als er versuchte, sich zu bewegen bemerkte er, dass etwas Schweres auf seinem geschundenen Körper lag. Darüber hinaus fühlte sich sein rechtes Bein so an, als würde flüssiges Feuer hindurch fließen. Möglicherweise war es gebrochen.

Der Norweger versuchte verzweifelt Luft zu bekommen und hustete, als sich dabei Staub auf seine Atemwege legte.

Was war passiert?

Valand Kuehn versuchte den rasenden Schmerz zu unterdrücken, der seinen Körper peinigte und sich auf sein bewusstes Denken zu konzentrieren. Dabei vor Schmerz aufstöhnend nahm er all seinen Willen zusammen und krächzte schließlich heiser: „Hallo, hört mich jemand!“

Für eine ganze Weile blieb es still, bis in einiger Entfernung eine Stimme auf klang, von der Kuehn glaubte, dass sie Master-Chief Harin gehörte. Eine neue Schmerzwelle drohte, ihm erneut das Bewusstsein zu rauben, und es brauchte seine gesamte Willenskraft, um sich gegen die drohende Bewusstlosigkeit zu stemmen.

„Captain? Sie leben noch?“

Mehr schlecht als recht krächzte Kuehn heiser: „Ja, aber nicht mehr sehr lange!“

Nun bereits etwas näher antwortete die Stimme von eben: „Das will ich nicht hören, Sir. Halten Sie durch, ich bin gleich bei Ihnen.“

Die Stimme gehörte wirklich Anzaria Harin. Kuehn hörte sie in einiger Entfernung zu ihm rumoren. Offensichtlich wühlte sie sich durch den Schutt und die Trümmer, die ihn umgaben und halb begraben hatten.

„Ich habe Sie gleich erreicht, Sir“, sprach ihn die Trill erneut an. „Der Rest des Trupps konnte offensichtlich noch vom Transporter erfasst werden, bevor hier die Hölle losging. Die Explosion hat scheinbar unsere Kommunikatoren überlastet, darum kann ich dem Transporter-Chief, an Bord der EXODUS nicht unsere Position mitteilen. Und da wir immer noch hier unten sind vermute ich, dass das Material der Trümmer unsere Lebenszeichen zerstreuen. Darum müssen wir weg von den Trümmern.“

„Dann bewegen Sie gefälligst Ihren Hintern hier raus und holen Hilfe, Master-Chief.“

Ein ganz und gar unangenehmes Krachen und Knacksen drang von Oben an das Ohr des Norwegers, während die Stimme der Trill nun schon ganz nah zu sein schien, als sie sagte: „Negativ, Sir. Die Zeit bleibt uns nicht, fürchte ich. Noch hält die Decke des Ganges, über uns, doch das kann sich jeden Moment ändern.“

Kuehn überlegte fieberhaft und stöhnte angestrengt: „Bringen Sie sich in Sicherheit, Master-Chief, es nützt keinem etwas, wenn wir beide hier unten verschüttet werden.“

„Ich werde Sie nicht hier unten verrecken lassen, Sir.“

Kuehn stöhnte schwach auf. „Master-Chief, das war ein Befehl. Haben Sie mich verstanden?“

„Ja, Captain“, gab die Trill mit giftigem Unterton zurück. „Doch mit Verlaub: Stecken Sie sich diesen Befehl dahin, wo nie die Sonnen hin scheint... Sir. Wir verschwinden gemeinsam von hier, oder gar nicht.“

Ein unartikulierter Laut von Kuehn war die Antwort, und er hörte die Trill, nun ganz nah bei sich, antworten: „Ich fasse das als Zustimmung auf, Captain.“

Der Druck auf seinen Oberkörper ließ nach, als die Trill den Trümmerbrocken zur Seite wuchtete, der darauf gelegen hatte. Ein leises Seufzen ausstoßend bemerkte Kuehn, dass sie auch seine Beine freilegte, wobei ihn ein wilder Schmerz an seinem linken Arm aufstöhnen ließ. „Verdammt, passen Sie mit Ihren Quadratlatschen auf, Master-Chief.“

Schnell ihren Fuß von Kuehns Arm hebend sagte die Trill entschuldigend: „Tut mir leid, Sir, das war keine Absicht.“

Kuehn hustete krächzend. „Na, da bin ich mir nicht sicher...“

Ein unterdrücktes Lachen der Trill war die Antwort. Schließlich hatte sie die letzten Trümmer beiseite geräumt und aufatmend fragte sie drängend: „Können Sie sich bewegen, Captain?“

Der Norweger machte ein paar Versuche und gab einen wilden Schmerzlaut von sich. Heftig keuchend ächzte er: „Mein rechtes Bein scheint gebrochen zu sein.“

„Zum Glück haben Sie ja noch das linke“, gab die Trill betont grob zurück. „Ich helfe Ihnen jetzt auf, Sir. Halten Sie sich gut an mir fest und stemmen Sie sich mit dem linken Bein hoch, haben Sie gehört?“

„Aye, Ma´am“, erwiderte Kuehn ironisch. Seine Augen hatten sich inzwischen an die fast vollständige Finsternis gewöhnt, so dass er ihre entschlossene Miene erkennen konnte.

Ihn stirnrunzelnd ansehend, als sie ihren linken Arm unter ihn schob, bemerkte sie bestimmt: „Legen Sie mir jetzt bloß keine falsche Scham an den Tag, Captain. Halten Sie sich lieber gut an mir fest, wir werden es jetzt wagen.“

Zu Valand Kuehns Überraschung entwickelte die hagere Frau eine erstaunliche Kraft, als sie ihn, unterdrückt grunzend, nach oben zog und auf das linke Bein stellte. Ohne lange zu fackeln legte sie sich danach zwanglos seinen rechten Arm um die Schulter und umfasste seine Hüfte mit ihrem linken Arm. Dabei knurrte sie scherzhaft: „Kommen Sie mir jetzt nur nicht auf komische Gedanken, Sir.“

„Würde mir nie einfallen“, ächzte der Norweger mit schmerzverzerrtem Gesicht und blickte in das amüsiert wirkende Gesicht der Trill. Er atmete einige Male heftig ein und aus und sagte dann angestrengt: „Danke, Master-Chief. Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie eine echte Nervensäge sind?“

Die Trill überging die Frage und zog ihren Vorgesetzten mit sich. „Los jetzt, Sir.“

Mühsam bahnten sich die beiden so verschiedenen Humanoiden den Weg durch das halb eingestürzte Gebäude, wobei ein pulsierender Schmerz im rechten Bein Kuehn von Zeit zu Zeit unterdrückt aufstöhnen ließ. Doch er presste die Zähne zusammen und wankte an der Seite der Trill durch endlich immer weniger zerstörte Bereiche der Anlage.

Als sie nach einer Weile ins Freie traten schloss Kuehn geblendet die Augen und registrierte erst nach und nach, dass sie es geschafft hatte.

Ein Tosen hinter ihnen, ließ ihn den Kopf drehen, wobei seine Nasenspitze die der Trill berührte, da sie auf dieselbe Idee gekommen war. Ihr Gesicht dicht vor seinem sah Kuehn sie für einen Augenblick unwillig an, bevor er seinen Blick, so wie auch die Trill, nach Hinten richtete.

Sie bekamen gerade noch mit, wie der Komplex in einer dichten Staubwolke unterging, und ihnen beiden wurde bewusst, wie knapp sie dem Tod entronnen waren.

„Das war aber knapp, Sir.“

Noch bevor Valand Kuehn etwas auf die Worte der Trill erwidern konnte, hüllte sie beide ein blaues Glühen ein. Als er schließlich antwortete: „Da haben Sie verdammt Recht, Master-Chief“, geschah das bereits auf der Transporterplattform, an Bord der EXODUS.

Zur Erleichterung der beiden Ankömmlinge wartete bereits ein Medizinisches Notfall-Team auf sie.

„Der Captain scheint sich das rechte Bein gebrochen zu haben“, meldete Anzaria Harin zu Naomi Giger gewandt. „Sonstige Verletzungen konnte ich, ohne funktionierenden Tricorder, nicht feststellen.“

Lieutenant-Commander Naomi Giger lächelte erleichtert. „Danke, Master-Chief. Sie kommen mit zur Krankenstation. Ich werde Sie zur Sicherheit ebenfalls durchchecken.“

Die Leitende Medizinerin der EXODUS veranlasste, dass der Captain auf eine Schwebebahre gelegt wurde. Bevor sie ihn abtransportieren konnte ergriff Kuehn die Hand von Anzaria Harin und drückte sie sacht. „Sie haben mich nicht aufgegeben, Miss Harin. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar.“

„Das nächste Mal sind Sie mit dem Retten an der Reihe, Sir“, scherzte die hagere Frau bevor der Captain ihre Hand wieder losließ.

Valand Kuehn bemerkte kaum, dass Naomi Giger einen Hypospray-Injektor an seine Halsschlagader legte und im einige Einheiten Inoprovalin injizierte. Eine zweite Injektion mit einem Sedativum folgte.

„Sie sind zu vergnügungssüchtig“, konterte Valand Kuehn schläfrig werdend. Dass er aus dem Transporterraum geschoben wurde bekam er schon nicht mehr mit.
 

* * *
 

Als Valand Kuehn zu sich kam und seine Augen öffnete fand er sich, auf dem Rücken liegend, auf der Krankenstation der EXODUS wieder. Die Behandlung seiner Verletzungen hatte er nicht mitbekommen. Der Norweger registrierte nur, erleichternd aufatmend, dass er keinerlei Schmerzen mehr empfand. Tief durchatmend schloss er wieder seine Augen und ließ den Einsatz Revue passieren. An der Stelle, an der sich Master-Chief Anzaria Harin geweigert hatte ihn zurückzulassen, verzogen sich seine Mundwinkel zu einem flüchtigen Lächeln, denn dieses Verhalten kam ihm reichlich bekannt vor. Er selbst hatte sich, beim ersten Einsatz der U.S.S. AKIRA, geweigert, seinen Captain auf einer sterbenden Welt zurückzulassen. Gegen ihren ausdrücklichen Befehl.

Jetzt, da er selbst den Stuhl in der Mitte inne hatte, wusste er, dass dieser Befehl der Sorge um jedes einzelne Leben ihrer Besatzung entsprungen war. Dabei vergaßen Captains offensichtlich gerne mal, dass diese Besatzungen sich ebenso um sie sorgten. Daran musste er sich erst noch gewöhnen. Auf der ALAMO hatte er zwar das Kommando geführt, doch dort war sein Leben, abseits der allgemeinen Gefahren, nie nur allein ernsthaft bedroht gewesen.

Er musste schlucken, weil ihn seine Gefühle beinahe übermannt hätten. Fast gleichzeitig klang zu seiner Rechten eine Stimme auf, die ihm nur allzu bekannt vorkam.

„Ich bin erleichtert, dass es Ihnen wieder gut zu gehen scheint, Captain.“

Ahnungsvoll öffnete Kuehn seine Augen erneut und drehte seinen Kopf zur Seite. Auf der Nachbar-Medoliege lag Master-Chief Harin und grinste ihn offen an.

„Was, bei allen Sternengöttern, machen denn ausgerechnet Sie hier?“, spöttelte Valand Kuehn und fügte spitz hinzu: „Haben Sie etwa beschlossen, ihrem Captain so lange auf den Wecker zu fallen, bis er Sie feuert und auf ein anderes Sternenflottenraumschiff versetzt?“

Ein leises Lachen war die Antwort. Dann erklärte sie seufzend „Nein. Commander Giger fand einen Metallsplitter in meiner Schulter, den sie heraus operieren musste.“

Die Trill bewegte ihr linkes Bein etwas, so dass die leichte Bettdecke etwas zur Seite rutschte und ihren Fuß und Unterschenkel freigab.

Valand Kuehn blickte unwillkürlich auf die Flecken. Die Augenbrauen hebend sah er in die dunklen Augen der Trill. „Ich dachte immer, die Flecken würden bei den Schultern aufhören. Gehen die etwa ganz…?“ Er machte eine wischende Geste mit der rechten Hand, von seiner Brust an seinem Körper hinunter.

Die Trill ließ den Fuß schnell wieder unter der Decke verschwinden. Dabei blickte sie ihren Captain, beinahe verschmitzt, an. „Das überlasse ich ganz Ihrer Fantasie, Sir.“

„Ich könnte unsere Chefärztin fragen.“

Die hagere Trill zwinkerte vergnügt. „Ja, das könnten Sie, aber dann würden Sie immer noch nicht sicher sein können, ob nicht bei jedem Trill diese Fleckenmuster individuell anders verlaufen, Captain.“

Kuehn seufzte übertrieben und wechselte das Thema: „Wissen Sie wenigstens, ob das zweite Team es ohne Verluste zurück an Bord geschafft hat?“

„Da gab es nur einen Leichtverletzten, Sir.“

Valand Kuehn atmete erleichtert auf. „Das ist eine gute Nachricht, Miss Harin. Was mir unten auf dem Planeten auffiel, als wir uns aus dem Staub machen wollten ist, dass Sie, und die übrigen Männer und Frauen der Sicherheit, ziemlich fit sind. Oder besser, dass ich selbst in dieser Hinsicht offenbar Defizite habe.“

„Vielleicht das Alter, Sir.“

Der Blick, den Kuehn ihr zuwarf verhinderte, dass Anzaria Harin allzu breit grinste, bei ihren letzten Worten. „Master-Chief Harin, entgegen der landläufigen Meinung darf man einem Vorgesetzten nicht alles sagen, solange man nur ein „Sir“ hinten anfügt.“

Die Miene des Norwegers verriet der Trill nicht, wie er seine Worte nun gemeint hatte und für einen Augenblick verlor sich das Lächeln auf ihrem Gesicht. Erst, als der Captain sein Schmunzeln nicht länger zurückhalten konnte entspannten sich ihre Gesichtszüge wieder. Sich mit der Rechten durch das kurze, braune Haar fahrend meinte sie ablenkend: „Wenn sie möchten, dann könnte ich Sie, wann immer es Ihr Dienst zulässt, in das Trainingsprogramm der Sicherheit einbinden, Captain. Ich denke, dass Sie in relativ kurzer Zeit auf dem Stand der Übrigen sein werden. Aber ich will das nicht mit Ihnen absprechen, ohne Lieutenant Gallagher vorher zu fragen.“

Kuehn nickte zustimmend. „Ja, tun Sie das bitte. Es hat mir nämlich gar nicht gefallen, wie Sie alle mir dort unten vor der Nase weggerannt sind.“

Mit mahnendem Blick erwiderte die Trill, nun etwas ernsthafter, als zuvor: „Captains sollen ja auch das Raumschiff kommandieren, und nicht irgendein Außenteam anführen. Dafür hat er schließlich seine jüngeren Offiziere.“

Dem Norweger gefiel diese schlecht versteckte Kritik an seiner Entscheidung nicht, doch andererseits fiel ihm auch kein Argument dagegen ein, denn die Trill hatte Recht. Zum Verdruss so mancher Admirals waren die Sternenflotten-Direktiven, in dieser Hinsicht, immer noch erstaunlich vage formuliert. Der Gedanke daran, dass es möglicherweise eine hoch geheime Lobby der Sternenflotten-Captains geben könne, die eine schärfere Formulierung der entsprechenden Regularien seit Jahrhunderten erfolgreich verhinderte, brachte ihn schnell dazu, ziemlich breit zu grinsen.

In diesem Moment betrat der Leitende Medizinische Offizier den Patientenbereich. Lächelnd meinte Naomi Giger: „Ich freue mich, dass es Ihnen bereits wieder ganz gut zu gehen scheint, Captain. Trotzdem werde ich Sie, und auch Miss Harin, noch einen Tag lang zur Beobachtung hier behalten.“

Valand Kuehn richtete sich halb auf und war drauf und dran zu widersprechen, als die Ärztin mahnend ihren rechten Zeigefinger hob und ihn scharf dabei ansah. Er erkannte, dass sich die Ärztin nicht erweichen lassen würde, ihn vorher gehen zu lassen, und so legte er sich langsam wieder zurück. Dabei überlegte er, in einem Anflug von Sarkasmus, dass ihn die Damen, an Bord der EXODUS, schon ganz gut im Griff hatten. Allesamt.“

Die nächsten Worte der Ärztin brachten ihn schnell wieder auf dienstliche Gedanken. „Ich soll Ihnen übrigens, von Commander Scarinnan, ausrichten, dass die Jem´Hadar-Basis, nachdem klar wurde, dass dort keinerlei Computerdaten mehr zu retten sind, komplett vernichtet wurde, durch Beschuss mit Quantentorpedos der EXODUS. Von dort aus wird niemand mehr zu einem Überfall aufbrechen, Sir. Wir befinden uns auf dem Rückflug zum Wurmloch, um in den Alpha-Quadrant zurückzukehren. Wenn wir DEEP SPACE NINE erreichen sind Sie wieder auf dem Damm.“

„Danke, Doktor.“ Kuehn sah der zierlichen Ärztin sinnend hinterher, legte sich dann entspannt zurück und faltete zufrieden die Hände über dem Bauch. Sein Schiff war in guten Händen, und er hatte die Gewissheit, dass er über eine hervorragende Crew verfügte. Der einzige Wermutstropfen war für ihn der Verlust von zwei Piloten. Der Gedanke daran verursachte immer noch ein Ziehen in der Magengegend bei ihm.

Ein leises Seufzen drang an seine Ohren, und im nächsten Moment hörte er Anzaria Harin sagen: „Ich hatte gehofft, dass sie wenigstens mich eher entlässt.“

„Das macht der Lieutenant-Commander bestimmt nur meinetwegen“, spöttelte Kuehn. „Geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid.“

Ein unzufriedenes Knurren war die Antwort und Valand Kuehns Augen funkelten vergnügt, als er zu ihr hinüber sah. „Außerdem ist es mir ganz angenehm Gesellschaft zu haben, Master-Chief, und Sie haben mir das Leben gerettet. Das werde ich nicht vergessen.“

Der Norweger schloss seine Augen und gähnte schläfrig. Dabei hörte er die Trill schelmisch fragen: „Dann ist meine Beförderung zum Master-Chief-Of-The-Fleet also beschlossene Sache, Captain?“

Noch einmal seine Augen halb öffnend blickte Kuehn mit leicht angehobenen Augenbrauen zu der Trill hinüber. „Abwarten, Master-Chief. Abwarten...“ Dann schloss er wieder seine Augen und war einige Augenblicke später bereits wieder eingeschlafen.
 

* * *
 

Im Büro des Kommandanten der Station DEEP SPACE NINE blickte Captain Benjamin Sisko, hinter seinem breiten Arbeitstisch sitzend, auf, als sich die beiden Hälften des Schotts öffneten, die hinunter zur OPS der Station führten. Der Captain der EXODUS, die vor einer halben Stunde am unteren Pylon-2 angedockte, hatte sein Erscheinen für diese Zeit angekündigt, und offensichtlich war er pünktlich.

Er selbst war, vor einem halben Tag erst, wieder aus dem Gamma-Quadrant zurückgekehrt. Durch den Funkkontakt zum CAG der EXODUS-Jagdstaffeln, und durch eine kurze Meldung eines seiner bajoranischen Offiziere an Bord der Station, wusste Sisko natürlich davon, dass Captain Valand Kuehn sich, kurze Zeit vor ihm, mit einem Raumschiff in den Gamma-Quadrant begeben hatte, um denen zu folgen, die seine Station überfallen hatten. Doch das Schicksal hatte es gewollt, dass die DEFIANT es gewesen war, die die wahre Gefahr für den Alpha-Quadrant hatte bannen müssen. Deshalb war er bereits sehr gespannt darauf zu erfahren, wie es dem Captain der EXODUS ergangen war.

Sisko kannte den Namen Valand Kuehn natürlich. Dieser Offizier hatte von sich reden gemacht, indem er, kurze Zeit nach der Attacke der Borg bei Wolf-359, die bereits abgeschriebene U.S.S. ALAMO, und mit ihr 109 weitere Überlebende der Havarie dieses Raumschiffs, ins Sonnensystem zurückgebracht hatte. Damals hatte es geheißen, dass die ALAMO nur noch durch Mut und Spucke zusammengehalten worden war. Im Anschluss war Kuehn, von vielen Angehörigen der Flotte, zu einer Art Held hochstilisiert worden. Er selbst hatte nicht zu diesen Leuten gehört. Er bildete sich lieber selber eine Meinung, und dazu gab es nun die Gelegenheit.

Als der hochgewachsene, selbstbewusst wirkende Mann nun zu ihm ins Büro schritt erhob sich Sisko höflich und umrundete halb seinen Arbeitstisch. Dabei bemerkte der Stationskommandant die schnellen, prüfenden Blicke, mit denen sich sein Gegenüber umsah. Ein ähnliches Verhalten hatte bisher nur ein anderer Captain an den Tag gelegt, der auf dieser Station geweilt hatte. Captain Jean-Luc Picard, von der ENTERPRISE. Das machte ihm diesen Captain nicht gerade sympathischer, denn Picard war es gewesen, der den Angriff der Borg geleitet hatte, bei dem seine Frau Jennifer, an Bord der SARATOGA, gestorben war.

Als Valand Kuehn ihn erreicht hatte reichte er Sisko spontan seine Hand.

Benjamin Sisko drückte sie. Ein fester Händedruck, aber ohne den Versuch, ihn zu einer Kraftprobe werden zu lassen. Ganz so wie er sein sollte, nach Siskos Geschmack. Freundlich meinte er: „Ich begrüße Sie herzlich auf DEEP SPACE NINE, Captain Kuehn.“

„Danke, Captain“, erwiderte Kuehn und wurde sich erst jetzt der Tatsache bewusst, dass zwar Sisko der Ältere von ihnen beiden war, aber nicht dienstälter in seinem jetzigen Rang, da Sisko einige Monate nach ihm zum Captain befördert worden war. Er räusperte sich und schlug vor: „Nennen Sie mich Valand.“

„Ben“, erwiderte der Dunkelhäutige und bot Kuehn Platz vor seinem Arbeitstisch an. Während der Stationskommandant selbst wieder zu seinem Sessel schritt, meinte er verbindlich: „Ich habe bereits von Ihnen gehört, Valand. Sie waren es, der die ALAMO zurück brachte.“

Zu Siskos gelinder Überraschung seufzte Kuehn schwach, als er vor dem Schreibtisch Platz nahm. „Wissen Sie, Ben, manchmal wünschte ich, ich könnte die Zeit zurückdrehen. So gut wie jeder Sternenflottenangehörige hat von der ALAMO gehört und macht sich ein übertrieben glorifiziertes Bild von mir, dem ich in keinster Weise entspreche.“

„Dann haben Sie ja Glück, dass ich nicht zu diesen Leuten gehöre“, erwiderte Benjamin Sisko mit vielsagendem Grinsen. „Ich mache mir nämlich gerne mein eigenes Bild von meinem jeweiligen Gegenüber.“

„Dafür bin ich Ihnen wirklich dankbar.“

Sisko offen ansehend wechselte der Norweger dann das Thema und fragte: „Sie konnten die flüchtigen Jem´Hadar, die den Angriff auf Ihre Station durchführten, stellen, wie ich hörte?“

Der Stationskommandant lehnte sich in seinem Sessel zurück und legte dabei die Fingerspitzen beider Hände gegeneinander. „Das ist richtig. Unterwegs trafen wir auf einen halbwracken Raider der Jem´Hadar. Er gehörte jedoch nicht zu den Kräften, die den Überfall begingen, wie wir von den Überlebenden auf diesem Raider erfuhren, nachdem wir sie an Bord der DEFIANT gebeamt hatten. Es handelte sich viel mehr um einen Trupp, der die Abtrünnigen, die das Dominion verrieten, gejagt hat. Die Abtrünnigen ihrerseits fanden ein Iconianisches Portal, das sie mit den gestohlenen Gütern und Ersatzteilen zu reparieren gedachten, um mit seiner Hilfe die Macht über das Dominion zu erlangen.“

„Dann hat mein Wissenschaftsoffizier also richtig vermutet“, warf Kuehn ein. Bei Siskos fragendem Blick erläuterte er: „Mein leitender Wissenschaftler stellte, während wir die zweite Ionenspur verfolgten, die Hypothese auf, dass die gestohlenen Güter zur Reparatur eines Transporter-Systems, möglicherweise eines Iconianischen Portals, Verwendung finden könnten. Ich hatte bis eben immer noch meine Zweifel an dieser Hypothese.“

„Sie war zutreffend. Gemeinsam mit einer Handvoll Jem´Hadar, in der Begleitung eines Vorta, konnten wir das Portal finden, in den Komplex eindringen und es vernichten. Der Gedanke daran, mit diesen Vertretern des Dominion zusammenzuarbeiten gefällt mir auch im Nachhinein noch nicht. Aber wir hatten keine andere Wahl.“

Kuehn nickte nachdenklich. „Gab es Verluste?“

Siskos Miene wurde um eine Spur ernster. „Wir verloren zwei gute Leute der DEFIANT-Besatzung. Drei weitere erlitten zum Teil schwere Schnittwunden.“

„Ich verlor bei diesem Einsatz zwei meiner Jagdpiloten“, bemerkte der Norweger düster. „Sie sind ebenfalls ein frisch gebackener Captain, so wie ich auch, Ben. Darf ich Sie fragen, wie Sie mit solchen Verlusten, als Verantwortlicher, fertig werden?“

Sisko blickte seinem Gegenüber in die Augen und es dauerte einen Augenblick, bis er schließlich sagte: „Zählen Sie die, deren Leben Sie retten können, nicht jene, die Sie verlieren, Valand. Das macht es nicht besser, aber es wird Ihnen dabei helfen es zu ertragen.“

„Ich danke Ihnen für den Rat.“

Beide Männer verbrachte die nächste halbe Stunde damit, gegenseitig von ihren jeweiligen Einsätzen zu berichten.

Als Benjamin Sisko ein Anruf von Major Kira erreichte erhob er sich. Valand Kuehn tat es ihm nach.

„Ich fürchte, die Pflicht ruft“, seufzte Sisko und reichte Kuehn, über den Schreibtisch hinweg, die Hand.

Nachdem Valand Kuehn sie ergriffen hatte, meinte er: „Da die EXODUS bei Sternenbasis-375 stationiert ist werden wir uns ganz sicher öfter sehen, in der nächsten Zeit.“

Sisko grinste offen. „Sie sind jederzeit herzlich willkommen, auf meiner Station.“

Kuehn wandte sich ab, und Sisko beobachtete den Norweger dabei, wie er den Offizieren auf der OPS zu nickte, bevor er in den Turbolift stieg und nach unten fuhr. Dann konzentrierte er sich wieder und verließ ebenfalls sein Büro, um sich zu Major Kira Nerys zu begeben, die ihn bereits erwartete.

Transzendenz


 

2373
 


 


 

Jedes Wesen folgt in seinem Leben einem Pfad.

Keiner weiß vorher, oder wann und wo er endet.

Sie hinterlassen Spuren und manche kreuzen unseren Weg.

Einige, die wir treffen, werden wir nicht vergessen.

Auch wenn sie möglicherweise für immer gehen,

in unseren Herzen und unserer Erinnerung bleiben sie.

(Aus dem japanischen Epos: Das Rote Banner)
 


 


 


 


 

8.

Transzendenz
 

Logbuch der U.S.S. EXODUS / NCC-77007

Sternenzeit: 50741.4

Captain Valand Kuehn
 

Vor zehn Minuten hat mich auf Bajor ein Anruf von Lieutenant Gallagher erreicht. Ein Raumschiff der Föderation ist im Grenzgebiet zum Cardassianischen Raum verschollen. Es handelt sich dabei um die U.S.S. NAGOYA, einem Raumschiff der MIRANDA-KLASSE, das in diesem Gebiet auf Patrouille war. Das Schiff antwortet seit einem halben Tag auf keinerlei Funkrufe, hat jedoch andererseits auch keinerlei Notrufe gesendet.

Da die Lage unklar ist, und die EXODUS am schnellsten den betreffenden Sektor erreichen kann, übermittelte die Funkstation von Sternenbasis-375, den Befehl von Vizeadmiral Ross, dass wir uns vor Ort umschauen, und ermitteln sollen, was geschehen ist. Auf seinen Wunsch hin dient William Ross, auch nach seiner Beförderung, weiterhin als Sektorenkommandant am Rand der Grenze zum Cardassianischen Raum.
 

* * *
 

Scheinbar zufällig war Ensign Lianna Harlenoi, Valand Kuehn vor dem Schott seines Quartiers begegnet. Dass es kein Zufall war, wurde durch ihre Worte ersichtlich, nachdem sie ihn freundlich gegrüßt hatte. „Ich muss mit Ihnen sprechen, Captain. Wie ich hörte, haben Sie in den letzten Wochen ziemlich hart trainiert, zusammen mit den Leuten der Sicherheit. Das empfinde ich nicht als negativ, Sir, doch Ihnen ist hoffentlich klar, dass sie körperlich nicht mehr leisten müssen, als Besatzungsmitglieder, die zum Teil zehn Jahre jünger sind, als Sie.“

„Schaden kann es andererseits aber auch nicht“, erwiderte Kuehn, etwas überrascht. „Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Ensign?“

Während sie den Gang zum Turbolift durchschritten, sah die Betazoidin ihren Vorgesetzten von der Seite an, bevor sie nachdenklich meinte: „Ich möchte mich nur vergewissern, dass es keinen psychischen Grund gibt, für ihren Kräfteraubbau, Sir.“

„Der da sein könnte?“

Die Counselor legte ihre Hände auf den Rücken. „Um offen zu sein, Captain, ihr letzter Urlaub liegt schon eine ganze Weile zurück. Da bauen sich zwangsläufig Spannungen auf. Dasselbe gilt für die gesamte Crew. In den letzten Wochen kam es hier und da bereits zu mehreren Streits, ein sicheres Anzeichen dafür, dass die Leute eine Pause benötigen. Inklusive Ihnen, Captain.“

Valand Kuehn spürte bei den Worten der Frau Ärger in sich aufsteigen. In demselben Augenblick erkannte er, dass nichts besser ihre Worte hätte untermauern können, denn Verärgerung empfand er äußerst selten. Schon gar nicht so spontan und unangemessen.

„Sie haben wohl Recht, Counselor“, antwortete Kuehn als er sich wieder beruhigt hatte. Nach diesem Einsatz werde ich mit Admiral Ross darüber reden. Eine Woche auf Risa könnte uns allen nicht schaden, schätze ich mal.“

Die Counselor lächelte zufrieden. „Ich nehme Sie beim Wort, Captain.“

Damit entfernte sich die Betazoidin und ließ einen nachdenklichen Captain zurück, der sich auf dem Weg zur Brücke befand.

Im Turbolift überlegte Kuehn, dass Lianna Harlenoi wirklich Recht hatte. Fast ein Jahr hindurch war die EXODUS im Dauereinsatz. Aber die Lage war angespannt und der Sternenflotte fehlten Raumschiffe, um alle Grenzen zu überwachen, an denen Gefahr drohte. Wenn er es recht bedachte, so war sein letzter richtiger Urlaub jener gewesen, den er mit Feyquari Lanoi auf der Erde verbracht hatte. Er seufzte bei diesem Gedanken. Erst vor wenigen Tagen hatte ihn eine Nachricht von ihr erreicht. Bei einem Urlaub auf ihrem Heimatplaneten, vor einem halben Jahr, hatte sie einen Mann kennengelernt, mit dem sie seit einiger Zeit zusammen war. Sie harmonierten perfekt auf mentaler Ebene, wie sie sich in der Nachricht ausgedrückt hatte. Er hatte Feyquari umgehend geantwortet, und sie dazu beglückwünscht, doch ihr das zu sagen hatte ihn einiges an Überwindung gekostet.

Der Turbolift hielt auf Deck-1 und als Kuehn die Liftkabine verließ war er gedanklich bereits wieder voll im Tagesgeschäft. „Bericht, Commander.“

Zaralee Scarinnan wandte sich ihm zu und meldete: „Wir haben unsererseits versucht, die NAGOYA über Subraumfunk zu erreichen, Captain. Ohne Erfolg. Die NAGOYA meldet sich nicht. Ich habe bereits einen Kurs setzen, und das Schiff beschleunigen lassen. Momentan fliegen wir mit Warp-9,5 dem letzten bekannten Aufenthaltsort des vermissten Raumschiffs entgegen. Wir werden in knapp zwei Stunden vor Ort sein.“

Valand Kuehn lächelte dünn. „Danke, Commander. Sagen Sie mir Bescheid, wenn es noch zehn Minuten sind, ich bin in meinem Bereitschaftsraum.“

Zaralee Scarinnan bestätigte und beobachtete Kuehn dabei, wie er in seinem Bereitschaftsraum verschwand. Zu Beginn hatte er ihn nur gelegentlich mal aufgesucht, doch im letzten Jahr hatte er sich angewöhnt ihn häufiger zu nutzen.

In seinem Bereitschaftsraum angekommen schritt der Norweger zunächst zu einem der beiden hohen Fenster und blickte abwesend auf die vorbei ziehenden Sternenstreifen. Erst nach einer geraumen Weile wandte er sich ab und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Dabei fiel sein Blick auf die Vitrine, in der auch das Abzeichen der RED-SQUAD lag, das er zu Akademiezeiten am Kragen seiner Uniform getragen hatte.

Valand Kuehns Blick verfinsterte sich, als er daran dachte, dass seit dem letzten Jahr, dieses Abzeichen stellvertretend für die Leichtgläubigkeit von Elitekadetten stand, und für deren Unvermögen, illegale Befehle zu erkennen. Kadetten, wie Riley Shepard, hatten im letzten Jahr, durch blinden Befehlsgehorsam, fast dazu beigetragen, dass der geplante Putsch von Admiral Leyton gelungen wäre. Dieser Gedanke machte Kuehn mächtig wütend, und das in zweierlei Hinsicht. Nicht allein deswegen, weil er von Kadetten der RED-SQUAD einfach viel mehr erwartete, sondern, vielleicht noch mehr, deswegen, weil sich ein Flaggoffizier der Flotte die absolute Hingabe junger Schutzbefohlener, für die eigene, schmutzige Sache, gewissenlos zunutze gemacht, und die RED-SQUAD nachhaltig in Verruf gebracht, hatte.

Für einen Moment starrte der Captain ins Leere, bevor seine Gedanken schließlich zu den aktuellen Ereignissen zurückkehrten. Vor drei Monaten war es einer gewaltigen Flotte des Dominion gelungen, in den Alpha-Quadrant einzudringen. Sie hatte überraschender Weise DEEP SPACE NINE nicht angegriffen, sondern sich in den Cardassianischen Raum abgesetzt, wo sie nun seit dieser Zeit lauerte. Die Cardassianer, unter der Führung von Gul Dukat, hatten insgeheim ein Bündnis mit dem Dominion geschlossen, was sie, mit der Macht des Dominion im Rücken, zur momentan stärksten Fraktion des Alpha-Quadranten machte. Eine Vorstellung, bei der ein leiser Schauer über Kuehns Nacken lief. Das war auch einer der Gründe, warum die EXODUS, in den letzten drei Monaten, fast pausenlos auf Patrouille flog, entlang der Grenze zum Cardassianischen Raum.

Dass sich nun die NAGOYA nicht mehr meldete konnte gut bedeuten, dass es zu offenen Kampfhandlungen gekommen war. Das war zugegebenermaßen die düsterste aller Möglichkeiten und Valand Kuehn hoffte inständig, dass sie nicht zutraf.

Der Captain der EXODUS brütete für eine geraume Weile vor sich hin, wobei ihm die Verschiedensten Dinge durch den Kopf gingen, bis ihn der Türsummer, der ein aufdringliches Zirpen von sich gab, zurückholte in die Wirklichkeit. Aus seinen Gedanken auftauchend, an die Oberfläche der Realität, gab Valand Kuehn den akustischen Öffnungsbefehl für das Schott seines Bereitschaftsraums. „Herein!“

Mit einem leisen Zischen glitt das Schott zur Seite und Commander Scarinnan betrat den Bereitschaftsraum des Captains. Mit fragendem Blick musterte sie ihren Vorgesetzten. „Möchten Sie lieber allein sein, Captain, oder haben Sie einen Moment?“

Valand Kuehn war versucht der Rigelianerin zu sagen, dass er seine Ruhe haben wollte, doch dann wies er mit der rechten Hand auf das Sofa, an der Wand gegenüber seines Schreibtisches. „Nehmen Sie Platz, Commander.“

Ein Zug von Erleichterung schien auf dem Gesicht der Rigelianerin zu liegen, soweit Kuehn das erkennen konnte, und ein wenig verwundert darüber fragte er: „Nun, was kann ich für Sie tun, Commander?“

Zaralee Scarinnan setzte sich geschmeidig. Dabei lächelte sie gezwungen: „Dasselbe wollte ich Sie gerade fragen, Captain. Ich bin zwar keine Counselor, aber mir ist aufgefallen, dass Sie, seit Ihrem Besuch auf Bajor, seltsam in sich gekehrt sind.“

Es dauerte einen Augenblick, bis Kuehn entschieden hatte, sich seinem Ersten Offizier anzuvertrauen. „Nun, während meiner Zeit an der Akademie gab es jemanden, der mir sehr viel bedeutet hat. Eine Bajoranerin um es zu präzisieren. Auf Bajor habe ich versucht herauszufinden, was aus ihr geworden ist. Ich konnte zwar ihre Cousine ausfindig machen, doch die war mir gegenüber verschlossen, wie eine Auster, falls Ihnen der Vergleich etwas sagt, Commander.“

Die Rigelianerin lächelte unmerklich. „Ich denke, ich verstehe, Sir. Diese Bajoranerin, an der Akademie. Sie war Ihre feste Freundin?“

Valand Kuehn zögerte eine ganze Weile, bevor er tief durchatmete und sich dazu entschloss, Zaralee Scarinnan von seiner Zeit an der Akademie zu erzählen. „Ich bin mir nicht sicher, ob man das so bezeichnen kann, Commander. Gleich in den ersten Tagen an der Akademie lernte ich Linara Enari kennen. Obwohl sie scheinbar das genaue Gegenteil von mir war, und zudem um einige Jahre älter als ich selbst, haben wir uns, trotz aller kulturellen Unterschiede, von Anfang an hervorragend verstanden. Sie gestand mir eines Tages, dass sie vor ihrem Eintritt in die Sternenflotte, auf ihrer Heimatwelt im Widerstand gewesen war, und dass sie zu dieser Zeit auch Cardassianer getötet hat. Ich merkte damals deutlich, wie diese Taten an ihr nagten, aber auch ihre Erleichterung, als sie merkte, dass ich sie dafür nicht verurteilte. Als ich zu Beginn meines zweiten Semesters der RED-SQUAD beigetreten bin, war Enari alles andere als begeistert, da sie einer Organisation innerhalb einer Organisation nicht über den Weg traute. Im Zuge dieser Entwicklung kühlte sich die bislang sehr gute Freundschaft zwischen uns merklich ab, worüber wir beide nicht sehr glücklich waren. Ich bemühte mich zwar redlich um unsere Freundschaft, doch Enari blieb dennoch reserviert. Mit der Zeit haben wir uns schließlich unseren eigenen Freundeskreisen zu gewandt und der Kontakte zu einander war von da an eher sporadisch. Als Enari, im Sommer des Jahres 2357 die Akademie abschloss, versuchte ich, am Vorabend ihres Weggangs, noch einmal, mit ihr darüber zu reden, was sich im Laufe der letzten Jahre unmerklich zwischen uns aufgestaut hatte. Es gelang uns schließlich, jene unsichtbare Mauer niederzureißen, die sich in den letzten Jahren zwischen uns gebildet hatte. Der Rest des Abends verlief sehr emotional und... intensiver, als es vielleicht für uns gut gewesen ist.

Es dauerte einen Moment lang, bis Zaralee Scarinnan die volle Bedeutung der letzten Worte erfasste. „Also haben Sie zwei...“

„Ja, haben wir“, fiel Kuehn der Rigelianerin schnell ins Wort. „Dennoch habe ich, bis zum heutigen Tag, kein Wort mehr von ihr gehört. Ich hatte gehofft, seit die EXODUS in diesem Sektor stationiert ist, wieder mit ihr in Kontakt treten zu können.“

Zaralee Scarinnan legte zwanglos ihre Arme auf die Couchlehne und musterte Valand Kuehn fragend. „Was empfinden Sie für diese Bajoranerin, Captain? Ist es noch immer mehr, als nur platonische Freundschaft?“

Valand Kuehn erhob sich aus seinem Sessel, umrundete seinen Schreibtisch, und setzte sich dann auf dessen Kante. Er blickte auf seine Schuhspitzen „Offen gestanden, ich weiß es nicht, Commander. Ich hatte wohl gehofft, es bei meinem Besuch auf Bajor herausfinden zu können.“

Als Valand Kuehn wieder den Kopf hob und Commander Scarinnan in die Augen sah, stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. „Sie sind die erste Person, der ich von Linara Enari erzählt habe, Commander. Vielleicht sollten Sie es doch einmal als Counselor versuchen.“

„Lieber nicht, Sir.“

Die Rigelianerin erhob sich. „Kommen Sie mit, auf die Brücke?“

Valand Kuehn nickte schwach. „Ja, da bin ich momentan bestimmt besser aufgehoben, als allein hier drin. Danke, Commander.“
 

* * *
 

Als sich die EXODUS der letzten bekannten Position der NAGOYA näherte, da war Valand Kuehn bereits wieder ganz auf den Auftrag von Admiral Ross konzentriert. Sie sollten klären, was mit dem Raumschiff der MIRANDA-KLASSE passiert war, und genau das würden sie auch tun.

In die angespannte Konzentration der Anwesenden auf der Brücke des Raumschiffs sagte Karen Gallagher: „Noch zwei Minuten bis zum Ziel, Captain. Ich scanne ein Objekt, etwa eine Astronomische Einheit abseits unseres Zielpunktes. Nach seiner Größe und Masse handelt es sich um die NAGOYA. Allem Anschein nach ist es vollständig intakt. Aber ich empfange kein Erkennungssignal.“

Valand Kuehn gab ruhig zurück: „Rufen Sie das Schiff, Lieutenant.“

Einige Augenblicke verstrichen, bevor Karen Gallagher meldete: „Ich bekomme keine Verbindung, Sir.“

Commander Scarinnan wandte sich zum Taktischen Offizier der EXODUS um. „Geben Sie Gelben Alarm, Miss Gallagher. Können Sie Energiewerte orten?“

Gemeinsam mit dem gelben Aufleuchten der Alarmpaneele antwortete Karen Gallagher: „Positiv, Commander. Aber ich kann nur einen geringen Energiefluss feststellen. Außerhalb des Schiffes messe ich eine geringe Warpplasma-Strahlung an, aber der Bereich ist frei von Objekten, die so etwas verursacht haben könnten. Seltsam, Sir.“

Zaralee Scarinnan blickte fragend zu Valand Kuehn. „Was kann da wohl passiert sein, Captain? Nach einem Angriff sieht das nicht aus.“

Valand Kuehn lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Warten wir es ab.“

Kuehn blickte von der Rigelianerin zu Na´Loon Ta Regalus. „Mister Ta Regalus, bringen Sie uns, zehn Million Kilometer von der NAGOYA runter auf ein Viertel Impuls. Danach bringen Sie die EXODUS auf eine Distanz von eintausend Kilometern zum Schiff und halten die Position.“

Sich zu Karen Gallagher wendend fuhr der Norweger fort: „Miss Gallagher, sie behalten die Scanner im Auge und melden alles Ungewöhnlich. Tasten Sie die NAGOYA während der Annäherung genau ab. Scannen sie besonders nach allen Lebenszeichen.“

Sein nächster Befehl an Commander Scarinnan ging Valand Kuehn etwas gegen den Strich, doch er hatte im letzten Jahr oft an das gedacht, was Master-Chief Anzaria Harin ihm gesagt hatte, in Bezug auf die primäre Aufgabe eines Sternenflottencaptains. „Commander, bereiten Sie sich darauf vor ein Außenteam zusammenzustellen, falls uns auch nach unserer Ankunft beim Schiff nicht gelingen sollte, Kontakt zur Crew der NAGOYA herzustellen.“

„Aye, Captain.“

Die Rigelianerin lächelte, und Kuehn dachte säuerlich: Ja, ich weiß es schon, Commander: Der Captain der EXODUS verzichtet zum ersten Mal darauf selbst das Außenteam zu anzuführen. Sie hätten lieber lächeln sollen, als wir alle zum ersten Mal die neuen Uniformen getragen haben, die vor wenigen Wochen erst eingeführt worden sind. Denn die sind der wirkliche Lichtblick des Jahres.

Im nächsten Moment fiel die EXODUS unter Warp und der efrosianische Pilot des Leichten Trägers meldete: „Unser Schiff hält Kurs auf die NAGOYA, mit einem Viertel Impulsgeschwindigkeit, Captain. Eintreffen dort in zweieinhalb Minuten.“

Valand Kuehn erwiderte: „Danke, Lieutenant. Schiff auf den Hauptbildschirm. Maximale Vergrößerung.“

Es dauerte nur wenige Augenblicke, und in der Mitte des konkaven Bildschirms zeichneten sich die Umrisse eines Raumschiffes der MIRANDA-KLASSE ab.

Das Schiff schien unbeschädigt zu sein, doch die Bussard-Kollektoren und die Intercooler der beiden Warpgondeln blieben dunkel. Entgegen der veralteten Version aus dem 23. Jahrhundert, besaßen die Raumschiffe der MIRANDA-KLASSE vom Typ-II signifikant modernisierte Warpgondeln, die ihnen fast dieselbe Höchstgeschwindigkeit verlieh, wie den moderneren Einheiten der Sternenflotte. Die Raumschiffe dieses Typs waren ab dem Jahr 2350 in Dienst gegangen und hatten die älteren Einheiten dieses Klasse nach und nach ersetzt. Bis auf die etwas anders konstruierten Gondeln hatte sich diese Schiffsklasse jedoch kaum in seinen Äußerlichkeiten verändert. Wohl aber, was die Ausstattung im Innern betraf.

Während sich die EXODUS weiter annäherte konnte Valand Kuehn den Namen und die Registriernummer des treibenden Raumschiffs identifizieren. Es handelte sich tatsächlich um die U.S.S. NAGOYA / NCC-31202. Als die EXODUS noch eine Minute entfernt war, meldete Karen Gallagher: „Ich habe erneut versucht einen Kanal zur NAGOYA zu öffnen, Captain. Kein Erfolg. Ich scanne auch keinerlei Lebenszeichen. Obwohl die Lebenserhaltung, wenn auch mit ungewöhnlich niedrigen Werten, arbeitet.“

„Verstanden, Lieutenant. Man kann sich dort also gefahrlos ohne Raumanzug aufhalten, Miss Gallagher?“

„Positiv, Sir.“

Valand Kuehn blickte mit verschlossener Miene auffordernd zu seiner Stellvertreterin. „Das ist Ihr Stichwort, Commander. Nehmen Sie Mister Chirome, Mister Ran und drei Leute der Sicherheit mit und verschaffen Sie sich einen Überblick, was auf der NAGOYA passiert sein könnte. Halten Sie dabei permanent Funkkontakt und melden Sie, was sie dort drüben vorfinden. Ach, und Commander: Seien Sie bitte vorsichtig.“

Die Rigelianerin erwiderte den Blick ihres Vorgesetzten ernst. „Das werde ich sein. Lieutenant Gallagher, geben Sie bitte Mister Chirome Bescheid, dass er sich umgehend in Transporterraum-II einfinden soll. Bestellen Sie zusätzlich drei Ihrer Leute dorthin.“

Karen Gallagher bestätigte.

Valand Kuehn blickte Commander Scarinnan und Yazee Ran nachdenklich hinterher, als sie gemeinsam in der Kabine von Turbolift-I verschwanden. Für einen Moment fühlte er sich versucht doch mitzugehen, aber er ballte die Hände zu Fäusten und beherrschte sich. Zur Aufgabe eines Captains der Sternenflotte gehörte es, seinen Untergebenen zu vertrauen, und er vertraute Zaralee Scarinnan. Sie würde ihre Aufgabe erfüllen. Tief durchatmend lehnte er sich in seinem Sessel zurück und blickte wieder auf den Hauptbildschirm. Was mochte sich dort drüben abgespielt haben?
 

* * *
 

Zaralee Scarinnan zog gleich nach dem Transport auf die NAGOYA ihren Phaser und blickte sich nach allen Seiten sichernd um. Sie hatten sich direkt auf die Brücke des Raumschiffs beamen lassen.

Von der Brückencrew war keine Spur zu entdecken, ebenfalls von keinem anderen Lebewesen, und so steckte sie den Phaser wieder zurück ins Futteral und zückte dafür ihren Tricorder, um ihn zu aktivieren.

Die sechs Sternenflottenangehörigen verteilten sich auf der, im Vergleich zum Kommandozentrum der EXODUS, beengt wirkenden Brücke der NAGOYA, wobei das Augenmerk der drei Unteroffiziere der Sicherheit, primär dem Schott des Turbolifts galt. Entgegen neuerer Designs der Sternenflotte gab es auf Raumschiffen dieser Klasse immer noch keinen Bereitschaftsraum für den Captain. Geschweige denn für den Commander, wie auf Schiffen der AKIRA-KLASSE. Zudem machte das Brückendesign an sich einen leicht antiquierten Eindruck, auf Zaralee Scarinnan.

Master-Chief-Petty-Officer Anzaria Harin, die von Karen Gallagher dem Außenteam zugeteilt worden war, wandte sich der Rigelianerin zu. „Niemand auf der Brücke oder auf dieser Ebene des Raumschiffs, Commander. Ich habe den Suchbereich des Tricorders ausgeweitet, scanne aber auch auf den übrigen Decks keine Lebenszeichen. Es hat den Anschein, als wäre niemand mehr an Bord der NAGOYA.“

Commander Scarinnan spreizte bestätigend die Finger ihrer linken Hand. „Schicken Sie Chief-Petty-Officer Soerensen und Petty-Officer Devereaux zu den beiden Hangars des Schiffes. Sie sollen sich dort umsehen und berichten, ob die Crew das Raumschiff vielleicht mit Hilfe der Shuttles verlassen hat. Sie selbst kommen mit mir, wir zwei bleiben auf der Brücke und sehen die Logbuch-Dateien durch.“

Während die Trill der Aufforderung ihrer Vorgesetzten nachkam, wandte sich Zaralee Scarinnan an Chirome und Yazee Ran. „Sie zwei werden sich zum Maschinenraum begeben. Sehen Sie sich dort um und erstatten Sie mir Bericht, wie es dort aussieht.“

„Aye, Ma´am“, gab Yazee Ran zurück und gab Chirome einen Wink, ihm zu folgen.

Als der Trill mit Chirome im Lift zur Maschinendeck-Ebene hinunter fuhr, meinte der Bolianer bedrückt: „Es ist zwar schon fast elf Jahre her, dass die ALAMO havarierte, doch die leere Brücke der NAGOYA, hat mich daran erinnert, was sich seinerzeit auf der ALAMO ereignet hat. Ich hoffe, wir finden einen Hinweis auf den Verbleib der Crew.“

„Die Ereignisse auf der ALAMO waren bestimmt traumatisch“, gab Ran zurück. „Aber dieses Raumschiff macht einen unbeschädigten Eindruck. Eine Havarie schließe ich darum mal aus. Es muss einen anderen Grund geben, für das bisherige Fehlen jeglicher Hinweise auf den Verbleib der Besatzung.“

Die Liftkabine hielt an und die beiden ungleichen Männer traten auf den Gang hinaus. Langsam durch den Gang schreitend ließen sie ihre Tricorder arbeiten, doch auch jetzt gab es keinen Hinweis darauf, dass der Warpkern arbeitete.

Nach einer Weile sagte Chirome in die sie umgebende Stille: „Es macht den Anschein, als würden wirklich nur die Impuls-Aggregate das Schiff mit Energie versorgen. Ich frage mich, warum der Warpkern nicht läuft?“

Sie erreichten den Hauptzugang zum Maschinenraum, und Yazee Ran öffnete das Schott. Die beiden Männer traten ein, und sie blieben beide, wie auf ein geheimes Kommando hin, gleichzeitig wie angewurzelt stehen. Für einen Moment lang blieb es still, bevor der Wissenschaftler zu Chirome sagte: „Jetzt wissen wir definitiv, warum nur die Impuls-Aggregate des Raumschiffs laufen.“
 

* * *
 

Commander Zaralee Scarinnan sah von dem Computerterminal, im hinteren Bereich der Brücke, auf als der Anruf des Leitenden Ingenieurs der EXODUS sie über den Kommunikator erreichte.

„Commander, das ist vielleicht ein Ding! Der Warpkern ist weg!“

Die Rigelianerin blickte erstaunt zu Anzaria Harin auf und aktivierte ihren Kommunikator, um zu fragen: „Was meinen Sie, mit weg?“

Die Stimme des Bolianers klang erregt. „Fort. Verschwunden. Nicht da. Vermutlich ausgestoßen, Commander.“

„Aber wir haben, mit den Scannern der EXODUS, kein Objekt im näheren oder weiteren Umkreis der NAGOYA scannen können, Lieutenant-Commander.“

Der Bolianer gab ein vernehmliches Schnaufen von sich. „Darum sagte ich ja bereits: Das ist vielleicht ein Ding!

Die Rigelianerin sammelte sich schnell wieder. „Sehen Sie sich, zusammen mit Ran, die zuletzt durchgeführten Protokolle an, Mister Chirome. Vielleicht kommen wir dahinter, was mit dem Warpkern tatsächlich passiert ist. Commander Scarinnan, Ende.“

Der Bolianer bestätigte und Zaralee Scarinnan sah zu ihrer Begleiterin. „Wir haben einen ausgestoßenen Warpkern, aber draußen ist keiner. Was halten Sie davon?“

Die Trill schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Erklärung, Commander. Aber das ist andererseits auch nicht mein Metier.“

Zaralee Scarinnan grinste schief. „Das erlebe ich zum ersten Mal, Master-Chief. Ich werde den Captain informieren. Vielleicht muss die EXODUS nur ihren Scannerradius ausweiten, und das Mysterium löst sich auf.“

Anzaria Harin wandte sich wieder den Computerdateien zu, wobei sie unterbewusst mitbekam, wie der Commander Verbindung zum Captain aufnahm und Bericht erstattete. Die Scannerdateien des Schiffes waren ziemlich umfangreich. Offensichtlich gehörte der Taktische Offizier der NAGOYA zu jenen Offizieren, die jedes noch so geringe Detail genauer untersuchten. Diese Herangehensweise erschwerte zumindest das Auffinden der signifikanten Scannerdaten.

Nachdem Zaralee Scarinnan die Verbindung zu Kuehn unterbrochen hatte, nahm sie ihre ursprüngliche Beschäftigung wieder auf. Sie war die Logbucheinträge der letzten drei Tage durchgegangen und hatte keinerlei Hinweis darauf gefunden, dass sich etwas Ungewöhnliches ereignet haben könnte. Was immer sich auch zugetragen haben mochte, es schien die Besatzung vollkommen überrascht zu haben. Schließlich entdeckte sie einen Eintrag, der ihre Aufmerksamkeit erregte.

Fast gleichzeitig drangen die Worte von Anzaria Harin in ihre Gedanken. „Ich habe hier die Scanner-Aufzeichnung einer Subraumanomalie entdeckt, Commander. Offenbar trat sie phasenweise auf. Die NAGOYA entdeckte vor drei Tagen dieses Phänomen und der Captain des Schiffes entschloss sich dazu, es zu untersuchen.“

„Das bestätigt der Logbucheintrag, den ich gerade gefunden habe, Master-Chief“, gab die Rigelianerin bekannt. „Aber hier ist nicht vermerkt, was es mit dieser Anomalie auf sich hat, oder was die Ursache dafür gewesen sein könnte. Alles sehr mysteriös. Außerdem wüsste ich zu gerne, was aus der Besatzung geworden ist. Zumindest diesen Logbuch-Einträgen nach wurde von Niemandem der Befehl zur Aufgabe des Schiffes gegeben. Wo also sind die alle hin, Master-Chief?“

„Vielleicht können Chief-Petty-Officer Soerensen und Petty-Officer Devereaux uns mehr verraten, wenn sie die beiden Hangars des Schiffes untersucht haben“, gab Anzaria Harin optimistisch zurück.

„Ja, hoffentlich melden sich die beiden bald.“
 

* * *
 

Chief-Petty-Officer Helge Soerensen war gerade Anfang Dreißig, doch sein dichtes, dunkles Haar zeigte an den Schläfen bereits erste graue Strähnen. Soerensen behauptete gerne, das dies das Ergebnis des harten Dienstes in der Sternenflotte sei. Obwohl er es natürlich besser wusste, denn auch sein Vater und sein Großvater waren früh ergraut. Es lag schlicht in seinen Genen.

Vor wenigen Minuten hatten er und Petty-Officer Jeanette Devereaux den Steuerbord-Hangar erreicht und damit begonnen, Messungen mit ihren Tricordern vorzunehmen. Auf dem Weg hierher war ihnen keine Seele begegnet, und auch hier im Hangarbereich entdeckten die beiden Angehörigen der Sicherheit keinem Lebewesen. Das war für Soerensen absolut kein normaler Zustand, denn im Grunde gab es immer etwas an den Shuttles zu tun, die von den Sternenflottenschiffen mitgeführt wurden.

In den braunen Augen des Mannes lag Besorgnis, als er zu seiner Begleiterin sah, die sich etwas von ihm abgesetzt hatte, um eines der Shuttles zu umrunden und vor dem Shuttle wieder zum Vorschein kam. „Sieht nicht so aus, als wären zumindest in diesem Hangar noch alle Shuttles vorhanden. Was denkst du, könnte mit den Leuten passiert sein?“

Die Mittzwanzigerin fuhr sich durch das lange, braune Haar. Seit nun fast zwei Jahren verband sie eine herzliche Freundschaft mit Soerensen. „Ich habe keine plausible Erklärung. Wenn es einen Planeten in der Nähe gäbe, dann würde ich sagen, sie haben sich von Bord gebeamt. Aber einerseits würde das keinen Sinn ergeben, und zweitens gibt es keinen in Reichweite der Transporter.“

„Vielleicht haben sie sich auf ein anderes Raumschiff gebeamt?“

„Hm“, machte Jeanette Devereaux, wie immer, wenn sie etwas stark anzweifelte, selbst aber mit keiner besseren Erklärung aufwarten konnte. „Wäre möglich.“

Helge Soerensen, der seine Begleiterin mittlerweile gut genug kannte, um ihre Zweifel an dieser Hypothese zu bemerken, gab schmunzelnd zurück: „Aber du glaubst nicht an diese Möglichkeit.“

„Nicht wirklich.“

Die hochgewachsene, schlanke Frau kam zu ihrem Begleiter zurück und stellte fest: „Keine Lebenszeichen in diesem Bereich, und alle Shuttles sind an ihrem Platz. Vielleicht finden wir im Backbord-Hangar ja die Lösung des Rätsels.“

Ihr etwas beleibter Begleiter deutete zustimmend zum Schott. „Gehen wir hin und finden es heraus.“

Gemeinsam verließen sie den Hangar und traten hinaus auf den Gang, der beide Hangars miteinander verband. Als sie kurze Zeit später den Backbord-Hangar betraten, blieb Helge Soerensen stehen und machte eine umfassende Geste. „Die Theorie, dass die Crew mit den Shuttles von Bord ging, können wir wohl vergessen.“

Jeanette Devereaux sah ihren Begleiter, den sie um eine Handbreit überragte, von der Seite an. „Ja, auch hier scheinen sich alle Shuttles an ihrem Platz zu befinden.“

Nachdenklich gab Soerensen zurück: „Ich werde den Commander informieren, und...“

„Halt, warte noch“, fiel ihm Jeanette Devereaux ins Wort und deutete aufgeregt nach vorne. „Spinne ich, oder siehst du das auch, Helge?“

Helge Soerensen, der ihrem Blick folgte, erkannte augenblicklich, was seine Begleiterin aus der Fassung gebracht hatte. Geistesgegenwärtig aktivierte er seinen Tricorder und hielt ihn auf das, was er vor sich sah, aber nicht glauben konnte.

Vor den beiden Sicherheitsleuten der EXODUS schwebten zwei nebulöse Umrisse. Sie schienen zu pulsieren und die Abbilder zweier Humanoider in Sternenflottenuniformen zeichneten sich vor ihnen ab. Sie schienen etwas rufen zu wollen, doch es blieb still in der Hangarhalle.

„Da brat mir einer eins über, das gibt es doch nicht“, entfuhr es Soerensen. „Jeanette, ich sage dir, wir sind total übergeschnappt, denn Geister gibt es nicht.“

„Ich messe schwache Energiemuster an“, entgegnete die Frau tonlos. „Offenbar gehen sie von diesen beiden Erscheinungen aus.“

Im nächsten Moment waren beide Erscheinungen verschwunden, und Helge Soerensen fuhr sich ungläubig über die Augen. Verwirrt sah er zu Jeanette Deveraux und fragte entgeistert: „Hast du die Muster speichern können?“

„Ja, und nicht nur das. Auch die optischen Scanner haben das, was wir gesehen haben, aufnehmen können. Wir sind also durchaus noch ganz bei Trost.“

Noch bevor Helge Soerensen eine Entscheidung darüber treffen konnte, wie er nun reagieren sollte, erreichte die beiden Sicherheitsleute ein Anruf von Lieutenant-Commander Yazee Ran, dessen erregt klingende Stimme meldete: „Ran an Außenteam: Es mag verrückt klingen, aber Mister Chirome und ich haben mehrere Geister gesehen. Sie sahen aus, wie Besatzungsmitglieder eines Sternenflottenraumschiffs. Ich schlage vor, wir treffen uns auf der Brücke dieses Schiffes. Ran, Ende.“

Bevor Soerensen reagieren konnte, aktivierte Jeanette Devereaux ihren Kommunikator und meldete: „Hier Petty-Officer Devereaux. Chief-Petty-Officer Soerensen und ich haben ebenfalls ein solches Phänomen beobachtet. Wir machen sind auf dem Weg. Devereaux, Ende.“

Der Chief-Petty-Officer der Sicherheit sah auffordernd zu seiner Begleiterin. „Komm, beeilen wir uns, dieser Bereich des Raumschiffes wird mir unheimlich.“
 

* * *
 

Auf der Brücke der NAGOYA, wo es zu keinerlei Erscheinungen gekommen war, hörte sich Commander Scarinnan etwas ungläubig die Berichte der beiden von ihr ausgesandten Teams an, als sie bei ihr eingetroffen waren. Nachdem sie sich auch die Telemetrie der Tricorder angesehen hatte, schüttelte sie fassungslos den Kopf und fragte, zu Yazee Ran gewandt: „Was sagen Sie als Wissenschaftler dazu, Mister Ran?“

Der Angesprochene kratzte sich nervös am Kinn und erwiderte unsicher: „So etwas sieht man nicht alle Tage, Commander. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob es wirklich lebende Wesen waren, die wir sahen, oder Projektionen – erzeugt von wem auch immer. Ich weiß nur, dass die Erscheinungen ziemlich ungewöhnliche Energiemuster abstrahlten, die eine Verwandtschaft mit dem Subraum zu haben scheinen. Aber das kann ich erst genau sagen, wenn ich die Energiemuster an Bord der EXODUS analysiert habe.“

Ein Anruf von Valand Kuehn unterbrach die Unterhaltung. „Captain an Außenteam, halten Sie sich bereit, wir holen Sie an Bord der EXODUS zurück. Wir haben multiple Subraum-Anomalien auf und rund um der NAGOYA angemessen. Es kam selbst auf der EXODUS bereits zu Energiefluktuationen. Achtung. Jetzt.“

Einen Moment später standen die sechs Mitglieder des Außenteams auf der Transporterplattform von Transporterraum-II, wo sie von Valand Kuehn in Empfang genommen wurden.

„Ein paar von uns haben Geister gesehen, als wir auf der NAGOYA waren“, entfuhr es Commander Scarinnan, als sie auf den Captain zu trat. Bei seinem eigentümlichen Blick, mit dem er sie musterte, fügte sie schnell hinzu: Mister Ran und Petty-Officer Devereaux haben einwandfreie Aufzeichnungen davon gemacht, Captain.“

„Das sehen wir uns später an, jetzt gilt es zunächst, die EXODUS von hier weg zu bringen. Ich habe bereits Roten Alarm geben lassen. Kommen Sie mit.“

Auf dem Weg zum Turbolift aktivierte Kuehn bereits seinen Kommunikator und sprach hinein: „Lieutenant Gallagher, aktivieren Sie die Schilde. Der Pilot soll uns mit vollem Impuls von hier weg bringen, Commander Scarinnan und ich sind bereits auf dem Weg.“

Valand Kuehn unterbrach die Verbindung, nachdem Karen Gallagher bestätigt hatte, und wandte sich zu Yazee Ran. „Sie analysieren die Aufzeichnungen, die Sie und Devereaux machen konnten, Mister Ran. Ich will wissen, was in diesem Raumsektor vor sich geht.“

„Aye, Captain.“

Der Norweger nickte zufrieden und blickte Chirome hinterher, der bereits auf dem Weg zu seinem Maschinenraum war. Gemeinsam mit Zaralee Scarinnan fuhr er im Turbolift nach oben, während sich Ran von ihnen getrennt hatte, um mit den beiden Tricordern das Wissenschaftslabor der EXODUS aufzusuchen.

Sie hatten kaum Deck-1 erreicht, als die EXODUS heftig durchgeschüttelt wurde. Instinktiv klammerte sich Zaralee Scarinnan an Valand Kuehn, der automatisch die Arme um sie legte, bevor das Schiff, bereits im nächsten Moment, wieder zur Ruhe kam.

Es war Kuehn, der die sichtlich verlegen wirkende Rigelianerin anlächelte und meinte: „Ich möchte wetten, das war das erste Mal, dass Sie ihren Captain umarmt haben. Aber das lassen wir nicht zur Gewohnheit werden, Commander.“

Schnell ihren Vorgesetzten loslassend, bevor sich das Schott der Liftkabine öffnete, flüsterte die Frau: „Ganz bestimmt nicht, Captain.“

Niemand auf der Brücke erfuhr von diesem Vorfall, als die beiden führenden Offiziere des Schiffes die Brücke betraten.

„Bericht, Miss Gallagher!“, verlangte Kuehn und trat zum Taktischen Offizier der EXODUS. „Was hat diese letzte Erschütterung verursacht?“

„Rund um die NAGOYA herum entstanden eine Reihe neuer Anomalien, Sir“, gab Lieutenant Gallagher Auskunft. „Eine von ihnen entstand direkt im Wirkungsbereich unserer Schilde, was die Erschütterung ausgelöst hat. Wir entfernen uns aus diesem Gebiet. Im Bereich der NAGOYA messe ich dafür einen signifikanten Energieanstieg an. Dort scheinen die Anomalien zuzunehmen.“

„Auf den Schirm!“, verlangte Valand Kuehn. „Maximale Vergrößerung!“

„Aye, Captain.“

Gebannt blickten Valand Kuehn und Zaralee Scarinnan auf den Hauptbildschirm der Brücke, wo sich eine dramatische Entwicklung abzeichnete. Das Raumschiff der MIRANDA-KLASSE schien von Innen heraus in einem düsteren Rot zu glühen. Gleichzeitig wurde es halb durchsichtig. Ganz deutlich konnten die beiden Führungsoffiziere die Sterne erkennen, die sich hinter der NAGOYA befanden. Ein paar mal schien die NAGOYA zu pulsieren, bevor sie immer substanzloser zu werden schien. Mit einem letzten grellen Aufglühen verschwand das Raumschiff endgültig vom Bildschirm.

Gleichzeitig meldete Karen Gallagher: „Captain, ich kann die NAGOYA nicht mehr mit den Instrumenten der EXODUS erfassen. Das Schiff ist einfach verschwunden.“

Mit ungläubiger Miene blickten sich Kuehn und seine XO an, bevor der Norweger mit beinahe heiserer Stimme die Anweisung gab: „Voller Sensorfächer mit maximaler Energie!“

„Aye, Sir“, bestätigte Karen Gallagher umgehend. „Kein Objekt in unmittelbarer Umgebung der EXODUS feststellbar. Die NAGOYA ist weg, Captain.“

Es dauerte eine ganze Weile, bevor Valand Kuehn, sichtlich erschüttert antwortete: „Danke, Lieutenant Gallagher. Gab es durch die Erschütterung Verletzte, oder wurde das Raumschiff selbst in Mitleidenschaft gezogen?“

„Nein, Captain. Für einen Moment hatte ich den Eindruck als haben die Scanner einen Energieausbruch an Bord angezeigt, doch das war offensichtlich nicht der Fall, sonst hätte es Folgeschäden gegeben. Es scheint so, als hätten wir Glück gehabt.“

„Danke, Lieutenant“, bestätigte Kuehn, atmete sichtlich auf und wechselte einen erleichterten Blick mit Zaralee Scarinnan.
 

* * *
 

Beide Führungsoffiziere wären vermutlich weit weniger erleichtert gewesen, hätten sie, auf dem Weg zur Brücke der EXODUS, mitbekommen, wie sich, in einem der unteren Lagerräume, aus einer spontanen Singularität heraus, eine kurzzeitige Subraumanomalie bildete. Sie blieb gerade lange genug stabil, um einem sechsgliedrigen Wesen von deutlich mehr als zwei Metern Körpergröße den Übergang von seinem eigenen Universum, in dieses zu ermöglichen.

Nach menschlichem Ermessen sah das Wesen, das an eine Mischung von Reptil, Raubkatze und Insekt erinnerte, geradezu furchteinflößend aus. Im ersten Moment verwirrt und desorientiert musste es sich für einige Augenblicke krampfhaft auf seine momentane Umgebung konzentrieren, um wieder zu sich zu finden. Schließlich war es soweit angepasst damit es seine Umgebung annähernd gewohnt erfassen konnte.

Die Facettenaugen schienen annähernd gewohnt zu arbeiten, und auch die beiden empfindlichen Fühler, die aus seiner Stirn ragten und sich langsam, beinahe andächtig, in verschiedene Richtungen bewegten, schienen wieder ihre gewohnte Funktion ausführen zu können. Auch die Denkprozesse beider Gehirne wurden offensichtlich immer weniger beeinträchtigt, wie es schien.

Erst als das Fremdwesen ein Gerät an seiner silbernen Uniform aktivieren wollte, stellte es erschrocken fest, dass seine dreifingerige Hand keine Substanz zu haben schien. Sie griff einfach durch sich hindurch. Sich die Hand vor die Augen haltend stellte das Wesen fest, den dahinter befindlichen Bereich der Umgebung sehen zu können.

Doch dennoch stand sie auf dem Boden des Raumes, der sich fest unter den Sohlen ihrer Uniformstiefel anfühlte. Das schien ihr seltsam.

Sie, Clyntys-Vhar-Thyn, wollte nicht hier sein, und sie war bereit, alles daran zu setzen, wieder dorthin zu gelangen woher sie gekommen war. Darum stellte sie die wissenschaftlichen Überlegungen dieses Problems vorerst zur Seite und machte sich daran, einen Rückweg in ihren angestammten Lebensbereich zu finden, wofür sie Energie brauchen würde. Eine ziemliche Menge an Energie.
 

* * *
 

Eine Stunde später saßen Valand Kuehn, Zaralee Scarinnan und Yazee Ran, im Bereitschaftsraum des Captains zusammen, wobei der Leitende Wissenschaftsoffizier der EXODUS ausführte: „Ich habe die Energie-Scanns ausgewertet. Zuerst konnte ich mit diesen seltsamen Werten rein gar nichts anfangen, doch dann erinnerte ich mich an einen Vorfall aus dem letzten Jahrhundert. Seinerzeit geriet die U.S.S. DEFIANT, ein Raumschiff der alten CONSTITUTION-KLASSE, in eine Anomalie, in der sie am Ende vollständig verschwand. Ich habe daraufhin einige Recherchen angestellt und herausgefunden, dass sich die damaligen Ereignisse mit den heutigen in gewisser Hinsicht decken. Allerdings war, nach meinen Berechnungen, die damalige Anomalie nicht natürlichen Ursprungs. Außerdem äußerten sich die sichtbaren Auswirkungen so, dass es zu einer grünlichen Leuchterscheinung kam. Anders, als die Erscheinung, die wir sehen konnten, als die NAGOYA verschwand. Es gibt auch Unterschiede in den Energiesignaturen beider Ereignisse.“

Valand Kuehn, der bis zu diesem Moment aufmerksam zugehört hatte, warf ein: „Was bedeutet das aber nun, Mister Ran?“

Der Trill machte eine wiegende Geste mit seiner Rechten. „Das ist nicht mit Sicherheit zu sagen, Sir. Doch ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass es hier zu einem Kontakt mit einem Paralleluniversum kam.“

Valand Kuehns Miene versteinerte, und auch Zaralee Scarinnan wirkte nicht besonders erfreut, als sie sich vorsichtig erkundigte: „Dieses ominöse Spiegeluniversum?“

Yazee Ran zögerte eine Weile, bevor er bestimmt meinte: „Nein, das nehme ich nicht an, denn, wie ich bereits sagte, die entscheidenden Energiewerte stimmen nicht überein. Deshalb bin ich fest davon überzeugt, dass es sich um ein anderes Paralleluniversum handeln muss, alles Andere würde nicht zu den Messwerten passen.“

„Eine gewagte Theorie“, stellte Valand Kuehn fest.

Der Trill machte eine zustimmende Geste mit der Hand. „Das ist richtig, Captain, aber wir haben momentan keine bessere.“

Die Rigelianerin sprach aus, was Valand Kuehn bisher nicht gefragt hatte. „Gibt es eine Chance, die Besatzung der NAGOYA von dort zurück zu bekommen? Immerhin hat das bei einigen Ausflügen von Wesen, zwischen dem Spiegeluniversum und dem unseren, doch auch funktioniert.“

„Die von mir ausgewerteten Energiesignaturen besagen etwas Anderes. Dieses Paralleluniversum scheint, wie soll ich es sagen, energetisch weniger stark mit unserem Universum verwandt zu sein.“

Zaralee Scarinnan wirkte verwirrt. „Sie meinen, das Spiegeluniversum ist die Schwester dieses Universums, während das andere eher eine entfernte Tante ist?“

Der Wissenschaftler schmunzelte unterdrückt. „Das ist zwar ein sehr abstrakter Vergleich, aber er trifft im Grunde zu. Es ist jedoch eher so, dass sich verschiedene Universen durch einen hyperenergetischen Wert unterscheiden, den wir gemeinhin als Felddichte kennen. Per Definition beträgt die Felddichte unseres eigenen Universums Null. Die Felddichte anderer Universen unterscheidet sich von unserem und kann einen maximalen Wert von Eins annehmen. Bereits im Jahr 2314 fand der izarianische Wissenschaftler Kaldar Merth heraus, dass die Universen relativ zueinander schwingen. Das bedeutet, dass man für den Übergang zwischen zwei Universen idealer Weise die Zeitpunkte größter Annäherung abwarten sollte, um den Übergang relativ gefahrlos vollziehen zu können. Merth hat dabei die Theorie aufgestellt, diese Universen müssten sich, mehr oder weniger deutlich, in den geltenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten unterscheiden. So könnte beispielsweise in einem anderen Universum die Lichtgeschwindigkeit etwas größer, die Gravitationskonstante etwas kleiner, die elektrische Elementarladung abweichend sein oder Ähnliches. Je unterschiedlicher die Naturgesetze zweier Universen sind, desto schwieriger soll nach dieser Theorie der Übergang sein. Nach Kaldar Merth haftet beim Übergang von einem Universum zu einem anderen einem Objekt oder Lebewesen seine Eigenschwingung noch eine Zeit lang an. Es stellt so zu sagen im neuen Universum einen Fremdkörper dar, und es soll zu psychischen und physischen Auswirkungen wie Desorientierung bis hin zu Bewusstlosigkeit kommen. Nach dieser Theorie wäre der Übergang zwischen zwei Universen, mit einem Felddichten-Unterschied von annähernd Eins potenziell tödlich.“

„In der Theorie“, warf Valand Kuehn feststellend ein.

„In der Theorie“, bestätigte Yazee Ran. „Jedoch wurden an den vier Offizieren der NCC-1701, die zum ersten Mal in Kontakt zu einem anderen Universum kamen, Restenergie-Signaturen festgestellt, welche die Theorie von Kaldar Merth untermauern.“

„Mein Kopf schmerzt“, bemerkte Commander Scarinnan lakonisch. „Also, grob ausgedrückt könnte man sagen, der Übergang zwischen dem Spiegeluniversum und dem unseren ist leichter zu bewerkstelligen, als der zwischen unserem, und dem, in das die NAGOYA verschwunden ist?“

Yazee Ran nickte. „So könnte man sagen.“

Valand Kuehn beugte sich in seinem Sessel nach vorne und legte die Arme auf die Schreibtischplatte. „Eins verstehe ich dabei nicht ganz, Mister Ran. Wenn der Übergang zwischen dem von uns angenommenen Paralleluniversum und unserem größer ist, als der, zwischen dem Spiegeluniversum und dem Unseren, wie konnte dann der Übergang eines ganzen Raumschiffs vollzogen werden? Das hat doch, soweit ich weiß, bisher nicht einmal beim Übergang vom oder zum Spiegeluniversum funktioniert.“

Yazee Ran legte seine Hände ineinander. „Dazu habe ich zwei Szenarien anzubieten, Captain. Entweder handelt es sich um eine zufällige Übereinstimmung der Schwingungen in diesem Raumsektor, oder auf der anderen Seite hat jemand massiv nachgeholfen.“

„Der Gedanke an die zweite Möglichkeit behagt mir absolut nicht, Lieutenant-Commander“, antwortete der Norweger düster. „Wenn eine Spezies aus einem anderen Universum eine Möglichkeit gefunden haben sollte, einen solchen Übergang bewerkstelligen zu können, und sie uns gegenüber feindlich eingestellt sein sollte, dann hätten wir einen übermächtigen Feind gegen uns. Davon haben wir schon genug in unserem eigenen Universum, finde ich.“

„Wenn die uns aber nicht feindlich gegenüber stehen, dann könnten wir sie vielleicht dazu bewegen, uns das Dominion und die Borg vom Hals zu schaffen“, betrachtete es Commander Zaralee Scarinnan von der optimistischen Seite. „Das wäre doch was.“

Valand Kuehn verzog bei den Worten der Rigelianerin keine Miene, doch seine Augen drückten plötzlich eine gewisse Heiterkeit aus. Bevor er etwas darauf erwidern konnte, erreichte ihn ein Anruf von Karen Gallagher.

„Captain, ich habe vor wenigen Augenblicken eine schwache Fremdenergie-Strahlung auf dem Schiff angemessen. Genauer gesagt, auf Deck-12 im Gang zum Maschinenraum. Die Herkunft ist momentan noch unbekannt, und sie fluktuiert, gerade so, als wäre sie mal da und einen Moment später wieder weg.“

Verwundert blickte Valand Kuehn in die Runde, bevor er eilig auf seinen Kommunikator tippte und antwortete: „Geben Sie Eindringlingsalarm und beordern Sie sämtliches Sicherheitspersonal zu Deck-12. Waffeneinsatz nur im Notfall. Warnen Sie die Besatzung des Maschinenkontrollraums und die der beiden Maschinenräume. Ich werde mich ebenfalls dorthin begeben.“

Noch während Karen Gallagher bestätigte, wandte sich Valand Kuehn an Yazee Ran. „Übernehmen Sie die Brücke, Lieutenant-Commander, und unterstützen Sie Lieutenant Gallagher dabei, den Eindringling aufzuspüren.“

„Aye, Sir.“

Zu Zaralee Scarinnan gewandt sagte der Captain: „Sie kommen mit mir, Commander. Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, einen friedlichen Kontakt herzustellen, denn Kasalla hatten wir in letzter Zeit mehr als genug.“

Sie machten sich eilig auf den Weg.

Als Zaralee Scarinnan mit Valand Kuehn, in der Kabine von Turbolift-I zu Deck-12 hinunter fuhr, fragte sie neugierig: „Was meinten Sie eben, mit Kasalla, Captain?“

Der Captain schmunzelte unterdrückt, trotz der Anspannung, die er verspürte. „Das ist altes Wort aus der europäischen Region der Erde. Fragen Sie mich nicht, woher es genau stammt. Es bedeutet so viel, wie Krawall oder Ärger.“

„Aha“, machte die Rigelianerin. „Glauben Sie wirklich, dass es sich um einen Eindringling handeln könnte, Captain?“

Sie verließen die Liftkabine, und auf dem Weg durch den Gang, in Richtung des Kontrollraums des Hauptmaschinendecks, erwiderte Kuehn: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Fremdenergie allein und zielgerichtet durch unser Raumschiff bewegt. Man sollte zwar nichts ausschließen, aber ich pflege, mit dem Wahrscheinlichen zu rechnen.“

Am Schott zum Kontrollraum erwartete die beiden Führungsoffiziere ein Kommando von vier Sicherheitskräften. Master-Chief-Petty-Officer Anzaria Harin wirkte beinahe amüsiert, als sie Valand Kuehn ansah und meldete: „Laut Lieutenant Gallagher sind die fremden Energiewerte im Steuerraum des Backbord-Warpkerns zum Halten gekommen. Der Raum wurde bereits evakuiert. Wir werden Sie und den Commander dorthin eskortieren.“

„Keinen Waffeneinsatz, ohne dass ein Notfall vorliegt, oder ich es befehle“, schärfte Valand Kuehn den vier Sicherheitskräften ein. Dann setzte er sich in Bewegung, wobei Anzaria Harin nicht von seiner Seite wich.“

Vor dem Schott zum Steuerraum des Warpkerns blickte Valand Kuehn in die Runde. „Ich öffne das Schott. Master-Chief Harin: Sie und einer ihrer Männer sichern zu beiden Seiten des Schotts den Raum, sobald sie ihn betreten haben. Wenn Sie uns die Bestätigung geben, dass Sie ihn gesichert haben, werden Commander Scarinnan und ich mit den beiden übrigen Sicherheitsleuten folgen.“

Der Norweger machte Platz und stellte sich seitlich neben den Öffnungskontakt. Er legte seine Hand auf den Kontakt, und kaum, dass die beiden Schotthälften zur Seite glitten, bewegten sich Anzaria Harin und einer ihrer Begleiter schnell in den Steuerraum hinein.

„Kein Kontakt, Captain“, meldete Anzaria Harin gleich darauf.

Valand Kuehn nickte Zaralee Scarinnan zu und sie betraten entschlossen den Steuerraum, gefolgt von den beiden übrigen Sicherheitskräften.

Sie verteilten sich in dem Steuerraum und sahen sich aufmerksam um, wobei Anzaria Harin und ihr Begleiter, mit dem sie vorangegangen war, mit Tricordern den gesamten Bereich scannten. Schließlich sagte die Trill aufgeregt: „Die Werte kommen jetzt zyklisch aus dem unmittelbaren Bereich des Warpkerns.“

„Dann weiter, Master-Chief.“

Sie begaben sich zum Sicherheitsschott, mit dem der Bereich rund um den Warpkern hermetisch vom Rest des Raumschiffes abgeriegelt werden konnte. Chirome hatte es offensichtlich sicherheitshalber heruntergelassen.

Durch die getönten Panzer-Duralum Scheiben blickend erkannte Valand Kuehn zunächst nichts Außergewöhnliches. Doch dann glaubte er, einen schemenhaften Umriss zu erkennen, und er fragte tonlos: „Was ist denn das?“

Zaralee Scarinnan, die das Phänomen gleichzeitig entdeckt hatte, erwiderte: „Es sieht aus, wie eine Mischung aus Raubkatze, Echse und Insekt, mit sechs Extremitäten. Nur ist es halb transparent, und man sieht es mal deutlicher, und mal fast gar nicht.“

„Es schwebt auf die Reaktionskammer zu“, stellte Anzaria Harin fest.

Fast zeitgleich meldete sich Yazee Ran über seinen Kommunikator bei Valand Kuehn. „Captain, die Energiewerte des Backbord-Warpkerns beginnen zu fluktuieren. Was immer dafür verantwortlich ist, wir müssen es stoppen, ansonsten droht uns, innerhalb einer Minute, ein Warpkernbruch.“

„Verdammt!“, entfuhr es dem Norweger. „Verstanden, Lieutenant-Commander.“

Kuehn eilte zur Konsole der Warpkern-Steuerung. Er versuchte die Notabschaltung und den Ausstoß des Warpkerns zu initiieren, nur um festzustellen, dass die Steuerung nicht auf seine Eingaben reagierte.

„Öffnen Sie das Sicherheitsschott, Captain“, verlangte Zaralee Scarinnan drängend, als sie den verzweifelten Blick des Captains auffing. „Schnell, vielleicht kann man das Wesen davon überzeugen, sein zerstörerisches Werk zu beenden. Lassen Sie es gleich wieder herunter, wenn ich drin bin.“

Was die Rigelianerin von ihm verlangte war gegen Alles, woran er glaubte, doch ungewöhnliche Ereignisse erforderten ungewöhnliche Maßnahmen. Es gab auch keine Alternative um 450 Sternenflottenangehörige zu retten, deshalb reagierte Kuehn und nahm die entsprechende Schaltung vor.

Das breite Schott hob sich und Zaralee Scarinnan huschte geduckt darunter hinweg. Bereits einen Moment später ließ Kuehn das Schott wieder hinunter. Auf einen Evakuierungsalarm verzichtete er, da niemand rechtzeitig die Rettungskapseln erreicht, und Zeit genug gehabt hätte, um sie zu starten und genug Abstand zur EXODUS zu gewinnen, bevor es zur Katastrophe kam.

Durch die Scheibe des Schotts beobachtete Valand Kuehn, wie sich die Rigelianerin furchtlos den Konturen des Wesens näherte und es ansprach.

Für einen Moment lang schien nichts weiter zu geschehen, doch dann entfernte sich das fremde Wesen etwas vom Warpkern und streckte einen seiner vier Arme nach der Rigelianerin aus.

Die Augen des Captains weiteten sich, als er beobachtete, wie der Körper von Zaralee Scarinnan sich aufzulösen schien und schließlich ebenfalls halb transparent wurde, wie der Körper des fremden Wesens.

Ohne darüber nachzudenken öffnete Valand Kuehn das Sicherheitsschott. Für das Schicksal der EXODUS würde es ohnehin keinen Unterschied bedeuten, falls der Warpkern wirklich brach. Seinen Blick auf das Wesen und Zaralee Scarinnan gerichtet schritt er auf die beiden Wesen zu. Erst, als die durchscheinende Gestalt eine abwehrende Geste in seine Richtung machte, hielt der Norweger an.

Fast unverständlich leise hörte Valand Kuehn die Worte: „Bleiben Sie stehen, Captain. Ich konnte dem Wesen, das sich selbst Clyntys-Vhar-Thyn nennt, erfolgreich vermitteln, was es gerade anrichtet. Doch dabei bin ich ihr etwas zu nahe gekommen. Clyntys-Vhar-Thyn wollte nicht in dieses Universum kommen. Es war ein Unfall. Sie hat den Energieabzug, nach meinen Anweisungen, so weit verlangsamt, dass der Warpkern stabil bleibt. Sie kann jedoch nicht verhindern, dass ich ihre Rückkehr in ihr Universum mitmachen werde.“

Valand Kuehn schluckte und Tränen traten in seine Augen. „Werden Sie den Übergang überleben, Commander?“

Leiser, als zuvor kam die Antwort. „Das konnte Clyntys-Vhar-Thyn mir nicht sagen, doch ich bin vorsichtig optimistisch. Lächeln Sie, Captain. Es ist für mich der erste Übergang in ein anderes Universum. Bitte informieren Sie meine Familie.“

Valand Kuehn bemerkte das angedeutete Lächeln der Rigelianerin, die nun von Sekunde zu Sekunde substanzloser zu werden schien. Er musste sich zusammenreißen um ihr Lächeln zu erwidern. „Das werde ich, Zaralee.“

Der Kommandant der EXODUS glaubte zu erkennen, dass ihr Lächeln sich vertiefte. Im nächsten Moment löste sie sich ganz auf, und mit ihr das fremde Wesen.

Tränen rannen über die Wangen des Norwegers, als ihn der Anruf von Chirome erreichte, der von der Brücke aus die Maschinenkontrollen überwachte.

„Captain, die Werte des Energieausstoßes, für den Backbord-Warpkern, normalisieren sich. Wir haben es geschafft.“

Mechanisch aktivierte Valand Kuehn seinen Kommunikator und erwiderte: „Nein, Mister Chirome, das haben wir nicht. Wir haben Commander Scarinnan verloren.“

Kuehn wartete keine Antwort ab. Immer noch an den Punkt starrend, an dem sich Zaralee Scarinnan vor seinen Augen aufgelöst hatte, wischte er sich mechanisch die Tränen ab. Dabei bekam er nur unterbewusst mit, dass Master-Chief-Petty-Officer Anzaria Harin langsam an seine Seite trat.

Sanft sagte sie: „Kommen Sie, Captain. Hier können Sie nichts mehr tun.“

Tief durchatmend straffte sich die Gestalt des Norwegers. Ohne die Trill anzusehen antwortete er: „Es geht schon, Master-Chief. Ich möchte nur einen Moment hier allein sein.“

Die Trill zog sich zurück, und mit seinen Gedanken allein, dachte Kuehn: Ich werde Sie so in Erinnerung halten, wie Sie im Leben gewesen sind, Commander, und ich werde Ihrer Familie berichten, was sich zugetragen hat. Und auch von Ihrem persönlichen Mut.

Ein letzter Moment des Friedens


 

9.

Ein letzter Moment des Friedens
 

Logbuch der U.S.S. EXODUS / NCC-77007

Sternenzeit: 50760.0

Captain Valand Kuehn
 

Nach der Rückkehr der EXODUS zu Sternenbasis-375 habe ich mit Vizeadmiral Ross über eine Beurlaubung der Crew gesprochen. Er gewährte sie, mit der Auflage, dass ich selbst mich nicht um den Urlaub drücken würde, den meine Counselor mir verordnet hat.

Nach meinem Bericht über die Ereignisse, die zum Verlust meines Ersten Offiziers, Zaralee Scarinnan geführt haben, versicherte mir der Admiral, umgehend für Ersatz zu sorgen. Beim durchgehen der Liste an verfügbaren, geeigneten Offizieren erfuhr ich, zu meiner Überraschung, dass mein Freund, Tar´Kyren Dheran, vor einer knappen Woche erst, zum Commander befördert worden ist. Ich habe ihn angefordert und hoffe, dass er den Posten annehmen wird. Heute, am fünften Oktober des Jahres 2373 hat die EXODUS ihr Ziel, für die nächsten zwei Wochen, erreicht. Den Orbit von Risa. Meine Counselor hat darauf bestanden, dass ich nicht nur zehn Tage Urlaub dort mache, wie der Rest der Crew, sondern die vollen zwei Wochen nehme.
 

* * *
 

Eine warme, nach Salz schmeckende, Brise wehte durch den offenen Bogen, zwischen Balkon und Schlafraum, zu Valand Kuehn herein. Entspannt und hoch zufrieden atmete der Norweger tief durch, genoss für einen Moment den kühlenden Luftzug auf seiner Haut, und öffnete seine Augen. Das erste, was er bewusst sah, als er seinen Kopf leicht nach rechts drehte, war das Gesicht einer gebräunten, dunkelhaarigen Risanerin, die splitternackt neben ihm lag und noch friedlich schlief.

In seinem Rücken regte sich etwas, und ein schlanker Arm legte sich um seinen Oberkörper. Dabei berührten weiche Frauenlippen seine Schultern und seinen Halsansatz.

Für einen Moment lang verharrte Valand Kuehn und dachte flüchtig daran, dass er ein ernstes Wort mit seiner Counselor würde reden müssen. Immerhin war sie es gewesen, die ihm bei seinem Abschied von der EXODUS, vor zwei Tagen, gleich zwei Horga´hn in die Hand gedrückt hatte. Erst jetzt wusste Kuehn auch, warum sie so überaus schelmisch dabei gegrinst hatte, ohne ihn über die Bedeutung dieser kleinen Holzstatuen aufzuklären.

Natürlich hatte er zuvor bereits von Risa gehört, und von der sexuellen Aufgeschlossenheit der einheimischen Bevölkerung. Doch bis gestern hatte er keine Ahnung davon gehabt, was es mit einem Horga´hn auf sich hatte, oder was Jamaharon bedeutete.

Der Norweger schüttelte schwach den Kopf bei dem Gedanken daran, wie sehr ihn seine Counselor aufs viel zitierte Glatteis geführt hatte, indem sie ihm dringend geraten hatte, diese beiden Statuen immer gut sichtbar mit sich zu führen. Also hatte er ihren Rat befolgt, als er am Strand gelegen hatte, um die Ruhe zu genießen.

Dabei waren diese zwei hübschen Risanerinnen an ihn herangetreten und hatten sich erkundigt, ob er Jamaharon wünsche. In völliger Ahnungslosigkeit hatte Valand Kuehn vermutet, es würde sich um eine Art Wellness-Massage handeln, und höflich, da er keiner der beiden Frauen vor den Kopf stoßen wollte, hatte er beiden zugesagt.

Was daraufhin passiert war, hatte zwar nicht er, wohl aber seine Counselor vorausgesehen. Zumindest lag der Verdacht nahe, dass die Schiffscounselor sehr genau gewusst hatte, was passieren würde.

Als nun auch die zweite Risanerin erwachte, sich umdrehte und sanft an ihn schmiegte, wurde ihm bewusst, dass dies das erste mal war, dass er mit zwei Frauen im Bett aufwachte, und ein leises Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Im nächsten Moment wurde es durchdrungen von einem schmerzlichen Zug. Doch nur für einen kurzen Augenblick, denn die beiden nackten Frauen zogen seine Aufmerksamkeit auf sich, und er konnte nicht gerade sagen, dass ihm dieser Umstand unangenehm gewesen wäre.

Eine gute Stunde später lag der Norweger entspannt auf dem Rücken des breiten Bettes und küsste abwechselnd beide Risanerinnen, bevor er leise sagte: „Ich brauche jetzt dringend etwas Ruhe. Ist das für euch zwei in Ordnung?“

Beide lächelten verstehend und erwiderten, wie aus einem Mund: „Natürlich.“

Nachdem die beiden Frauen angekleidet aus dem Badezimmer kamen und sich von ihm verabschiedeten blieb Kuehn noch einen Moment lang liegen. Dann erhob er sich und schritt, in angenehme Gedanken versunken, hinüber zum Badezimmer.

Nach einer ausgiebigen Dusche kleidete er sich an und machte sich auf den Weg zum Hotelrestaurant, wohlweislich ohne eines der beiden Horga´hn. Auch hier, wie überall auf Risa, herrschte eine ausgelassene und angenehme Stimmung. Trotz der immer ernster werdenden Nachrichten aus dem Bajoranischen Sektor. Die Zeichen standen auf Krieg.

Doch an all das sollte und wollte Valand Kuehn nicht denken, während der nächsten Tage. Die Realität würde ihn schnell genug wieder einholen.

Seltsamerweise richteten sich seine Gedanken auf Sylvie LeClerc, während er frühstückte. Sie hatten sich nun seit annähernd sechs Jahren nicht mehr gesehen. Zwar standen sie, über Federation-Skynet, in regelmäßigem Kontakt, aber das konnte ein persönliches Beisammensein nicht ersetzen. Zu seiner gelinden Überraschung verspürte er ihr gegenüber leichte Gewissensbisse, obwohl sie keine Beziehung miteinander führten. Mit leisem Unwillen verdrängte er diese Gedanken und konzentrierte sich wieder auf das Hier und Jetzt. Er benötigte diesen Urlaub und die Entspannung.

Nach dem Frühstück beschloss er, einen Ausflug in die malerische Umgebung des Strandhotels zu machen, in dem er eine Suite gemietet hatte. Auf dem Weg zum Foyer hinaus begegnete er Arina, einer der beiden Risanerinnen, mit denen er die letzte Nacht verbracht hatte. Sie trug nun einen königsblauen, sehr eng anliegenden, kurzärmligen Einteiler mit Blütenmuster. Er ließ den Bauchbereich frei, so dass ihr Bauchnabel-Schmuck besonders zur Geltung kam. An den Beinen war der Einteiler raffiniert und hoch angeschrägt.

„Sehen wir uns heute Abend, an der Bar?“, hauchte sie ihm ins Ohr, als er bei ihr ankam und den Schritt verhielt.

„Sehr gerne“, stimmte Kuehn gut gelaunt zu. „Sagen wir, eine Stunde nach Untergang der zweiten Sonne?“

„Ich werde dich erwarten“, erwiderte die goldblonde Frau verführerisch. Bevor sie weiterging fügte sie etwas leiser hinzu: „Varis werden wir dazu aber nicht brauchen.“

Sie zwinkerte dem Norweger spitzbübisch zu und entfernte sich.

Mit einem Schmunzeln auf den Lippen setzte Valand Kuehn seinen Weg fort. Er freute sich bereits jetzt auf den Abend, und die anschließende Nacht, mit Arina.
 

* * *
 

Arina zog mit den Fingern ihrer linken Hand die Konturen von Valand Kuehns Gesicht nach, als sie ihm, im fahlen Licht von zwei der drei Monde des Planeten, in die Augen sah. Dabei fragte sie amüsiert: „Du wusstest wirklich nicht, was es mit den Horga´hn auf sich hat, als deine Counselor sie dir gab?“

„Nicht einmal ansatzweise“, gab der Norweger lachend zu. „Gestern Morgen fühlte ich mich schon etwas seltsam, wegen der Nacht und dem anschließenden Morgen, mit dir und Varis. Doch ich bereue diese Erfahrung nicht, muss ich gestehen.“

„Ich werde nie verstehen, was Männer anderer Spezies dazu bewegt sexuell so eingeengt zu leben“, flüsterte Arina und küsste ihn flüchtig auf die Lippen.

„Ich wette, dass eine Reihe dieser sexuell eingeengt lebenden Männer es ebenso wenig versteht“, spöttelte Valand Kuehn belustigt. Für eine geraume Weile erwiderte er die Liebkosungen der jungen Risanerin, bevor er sich etwas im Bett aufrichtete.

Am Horizont bildete sich der erste rötliche Streifen des herannahenden Sonnenaufgangs. Etwas melancholisch sah der Norweger über die vom aufkommenden Morgenwind bewegte Meeresoberfläche, bevor er sich wieder ganz auf Arina konzentrierte und in ihre, wie Smaragde glitzernden, grün-grauen Augen sah, die in ihrer Färbung den seinen sehr ähnlich waren. Sacht ihre Wange streichelnd sagte Valand Kuehn: „Ich bin froh darüber, dass meine Counselor die Sache mit den beiden Horga´hn eingefädelt hat. Sonst hätten wir nie so eine tolle Zeit miteinander, wie gerade jetzt.“

Ein interessierter Zug erschien auf dem ebenmäßigen, ovalen Gesicht der Risanerin. „Was empfindest du bei dem Gedanken daran, dass es für Risanerinnen, wie mich, völlig normal ist, mit verschiedenen Männern zu schlafen, ohne dabei Gewissensbisse zu entwickeln, Valand? Kommt dir das, als Mensch, nicht merkwürdig oder unmoralisch vor?“

Sacht die Wange der Frau streichelnd erwiderte der Dunkelblonde bestimmt: „Nein. Vielleicht hätten Menschen früherer Jahrhunderte so empfunden, doch dieser Engstirnigkeit sind wir zum Glück längst entwachsen. Die meisten Menschen, auch wenn sie für sich selbst andere Regeln des Zusammenlebens wählen, kämen nicht auf die Idee eine solche Lebensweise zu verurteilen. In dieser Hinsicht ist die Menschheit erwachsen geworden.“

„Darüber bin ich sehr glücklich“, hauchte Arina in Valands Ohr, wobei sie ihre Hände auf Wanderschaft über den Körper des Mannes gehen ließ. Nach einer Weile kicherte sie leise und meinte anzüglich: „Du scheinst den Urlaub wirklich nötig gehabt zu haben.“

Ein zustimmendes Brummen war die Antwort, bevor sich Valand Kuehn aktiv an dem erneut aufflammenden Liebesspiel beteiligte.

Lange nachdem sie Entspannung gefunden hatten küssten sie einander immer noch von Zeit zu Zeit, wobei sie sich eng aneinander geschmiegt in den Armen hielten. Den süßlichen Duft ihrer Haut einatmend flüsterte Valand Kuehn schläfrig: „Das ist der beste Urlaub meines Lebens, Arina.“

Ein sachtes Gurren war die Antwort, bevor beide in einen erlösenden Schlaf fielen, während draußen die erste der beiden Sonnen des Systems über den Horizont aufstieg.
 

* * *
 

In den nächsten fünf Tagen traf sich Valand Kuehn mit verschiedenen Risanerinnen, wobei er und Arina immer wieder Zeit miteinander verbrachten. Beide fanden Gefallen aneinander, und beide genossen das zwanglose Zusammensein.

An diesem Abend lag er, sowohl mental als auch körperlich bereits sichtlich erholt, auf der bequemen Liege in der Mitte des breiten Balkons. In bester Laune blickte er hinaus auf das kristallklare Wasser des Nachtmeeres und ließ seine Gedanken Karussell fahren. Beide Sonnen waren vor einer Weile untergegangen, als der Türsummer seiner Suite ihn aus den angenehmen Träumen riss. Wer wollte ihn jetzt sehen?

Er war bereits auf dem Weg zum Schott, als der Türsummer erneut ertönte. Das konnte unmöglich ein Einwohner des Planeten sein, denn die zeigten sich, für Gewöhnlich, sehr viel geduldiger.

Als Valand Kuehn das Schott erreicht hatte legte er seine Hand auf den Öffnungskontakt für das Schott. Als es auffuhr und er erkannte, wer da so ungeduldig auf der anderen Seite stand, konnte er es für einen Moment kaum glauben.

„Tar, was bei der grauen Kreatur der Überraschung treibt dich denn hierher?“

Der athletisch gebaute Andorianer, in der Uniform der Sternenflotte gekleidet, setzte die Reisetasche ab, die er bei sich trug, erwiderte den überraschten Blick des Norwegers und antwortete erfreut: „Das solltest du doch wissen, mein Freund. Immerhin wolltest du doch, dass ich dein neuer Ersten Offizier werde.“

Es dauerte einen langen Moment, bis Valand Kuehn den vollen Sinn der Worte erfasst hatte. Erst dann sagte er mit schwankender Stimme: „Du hast also angenommen?“

Die Antennen des Andorianers begannen damit, einen wilden Tanz aufzuführen. „Was dachtest denn du, Valand? Dass ich dich hängen lasse? Ich freue mich, dass wir in der nächsten Zeit gemeinsam auf der EXODUS dienen werden.“

Erst jetzt besann sich Valand Kuehn auf seine guten Manieren. „Aber komm doch erst einmal herein, Tar.“

Erst nachdem sich das Schott hinter Tar´Kyren Dheran geschlossen hatte umarmte Valand Kuehn seinen Freund überschwänglich. „Ich freue mich riesig, dich endlich wiederzusehen, mein Freund. Wie geht es dir?“

„Der Andorianer erwiderte kurz die Umarmung des Freundes, bevor er etwas auf Abstand zu ihm ging. „Sehr gut, und da mein Dienstantritt auf der EXODUS mit einer Woche Urlaub auf Risa beginnt wird sich daran auch erst einmal nicht viel ändern.“

„Ah, deshalb die Reisetasche. Hast du bereits eingecheckt?“

„Ja, bevor ich zu dir kam.“ Der Andorianer rückte die Reisetasche an ihrem Riemen auf der Schulter zurecht. „Am besten, ich bringe mein Gepäck in meine Suite, ziehe mich um und wir treffen uns unten im Restaurant. Ich habe nämlich Hunger. Ich schlage vor, in einer halben Stunde, dann habe ich noch Gelegenheit, mich etwas frisch zu machen.“

Valand Kuehn nickte lächelnd. „Abgemacht.“

Als Tar´Kyren Dheran zum Schott ging rief der Norweger ihm nach: „Das hier solltest du dabei unbedingt mitbringen.“ Damit warf er dem Freund einen seiner beiden Horga´hn zu.

Der Andorianer fing ihn geschickt auf und musterte den Freund fragend. Doch Valand Kuehn grinste nur spitzbübisch und meinte: „Das erkläre ich dir später, Tar.“
 

* * *
 

Als sich die Freunde, im Hotelrestaurant, erneut begegneten war mit dem Andorianer eine geradezu erstaunliche Wandlung vor sich gegangen, wie Valand Kuehn befand. Statt der Uniform trug Tar´Kyren Dheran nun eine dunkelgraue Hose und ein leichtes, ärmelloses Hemd, von hellem Beige. Das Horga´hn, dass er von dem Norweger bekommen hatte trug er bei sich und legte es achtlos auf den Tisch, als er sich zu seinem Freund gesellte.

Wie zufällig legte Valand Kuehn schnell eine Servierte darüber, so wie er es bei seinem eigenen Horga´hn getan hatte, denn im Moment war ihm zunächst danach, mit seinem Freund zu reden. Alles zu seiner Zeit…

Nachdem die beiden so verschiedenen Männer ihre Bestellung bekommen hatten speisten sie zunächst mit Behagen. Erst beim Nachtisch begannen sie davon zu erzählen, was sie in den zwei Jahren erlebt hatten. Dabei kam Valand Kuehn schließlich zögernd auf den Verlust von Zaralee Scarinnan zu sprechen. Dabei spürte er eine unheimliche Erleichterung, sich dem langjährigen Freund anvertrauen zu können. Dieses Ereignis war etwas, mit dem er eine flüchtige Bekanntschaft, wie Arina, nicht belasten wollte und auch nicht belasten konnte. Dazu brauchte es eines guten Freundes, wie es Tar´Kyren war.

Der Andorianer hörte schweigend zu, bis Valand geendet hatte. Erst dann sagte er heiser: „Es tut mir sehr leid, Valand. Bei Wolf-359 habe ich am eigenen Leib erfahren müssen, wie sehr solche Verluste die Seele belasten, und dass es seine Zeit braucht, bis man darüber hinweg kommt. Auch ich brauchte nach den traumatischen Ereignissen, nach der Attacke der Borg, einige Wochen um wieder zu mir zu kommen.“

Valand Kuehn nickte ernst. „Ja, wir beide haben in dieser Hinsicht bereits zu viele Erfahrungen gemacht. Weißt du, nach den Ereignissen an Bord der ALAMO dachte ich, es würde irgendwann leichter, mit solchen Verlusten umzugehen, doch es ist nicht so.“

Die Antennen des Andorianers bogen sich leicht durch, und für eine ganze Weile blieb es still zwischen ihnen, bevor Tar´Kyren Dheran das Thema wechselte. „Warum hast du dich vorhin so überrascht gezeigt, als du erfahren hast, dass ich den Posten des Ersten Offiziers, auf der EXODUS, antreten werde?“

Valand suchte für einen Moment lang nach Worten, bevor er frei heraus zugab: „Nun ja, als wir uns das letzte Mal trafen, da hast du von einer jungen, izarianischen Wissenschaftlerin erzählt, die zusammen mit dir an Bord der MAGELLAN dient. Ich hatte mich zwischenzeitlich gefragt, was daraus geworden sein mag.“

Dheran grinste schief. „Es war mehr Leidenschaft, als wirklich Liebe. Nach etwa sechs Monaten haben wir das beide realisiert und uns ausgesprochen. Wir sind immer noch gute Freunde, aber nicht mehr.“

Valand Kuehn seufzte schwach und zog dabei, nicht ohne ein verstecktes Lächeln, die Servierten von den beiden, bisher von ihnen verhüllten, Horga´hn. „Vielleicht hat uns beide das Schicksal momentan noch nicht für eine feste Bindung vorgesehen.“

Es dauerte nicht lange, bis sich zwei dunkelhäutige Risanerinnen, die Valand Kuehn bisher noch nicht kennengelernt hatte, zu ihnen an den Tisch gesellten. Dabei fragte die etwas kleinere von ihnen den Andorianer, mit samtweicher Stimme: „Du wünschst Jamaharon?“

Dheran warf seinem Freund einen fragenden Blick zu und der Norweger machte eine bejahende Geste. Dabei antwortete er der wohl gerundeten Frau: „Und wie er sich das wünscht, holde Schönheit.“

Dabei wandte sich Kuehn bereits der anderen Frau zu und erhob sich.

Ehe Tar´Kyren Dheran wusste wie ihm geschah hatte sich seine spärlich bekleidete Begleiterin bei ihm eingehakt und zog ihn mit sich. Erst als er wieder zu seinem Freund blickte, der ungezwungen seinen Arm um die zweite Risanerin gelegt hatte, dämmerte dem Andorianer, was die Frau von ihm erwartete.

Valand Kuehn grinste belustigt, und meinte vergnügt zu seinem Freund: „Wir treffen uns morgen Früh zum Frühstück. Du holst mich ab.“

Etwas fassungslos blickte der Andorianer seinem Freund nach. Erst dann wandte er sich der Frau an seiner Seite zu, und seine zuerst leicht nach innen gebogenen Antennen spreizten sich zur Seite, als sie ihn an die Hand nahm und lachend mit sich zog.
 

* * *
 

Die zweite Woche des Urlaubs verging wie im Flug für Valand Kuehn. Tagsüber unternahmen Tar´Kyren Dheran und er sehr viel gemeinsam, wobei sie einige der sportlichen Freizeitangebote nutzten. Die Abende verbrachten sie mit verschiedenen risanischen Frauen, wobei es sich so ergab, dass der Norweger die letzte Nacht auf Risa wieder mit Arina teilte. Nach einem langen Abend erwachten sie beide gemeinsam am frühen Morgen und liebten sich spontan und sehr leidenschaftlich.

Arina in seinem Arm haltend fuhr Valand Kuehn mit den Fingern seiner Rechten durch das lange, seidige Haar der schlanken Frau. Nach einer Weile sagte er leise: „Vermutlich hast du das schon unzählige Male gehört, Arina. Aber ich möchte Risa nicht verlassen ohne dir zu sagen, wie bezaubernd du bist. Damit meine ich nicht allein dein Äußeres, sondern ganz besonders auch dein Wesen. Eben die ganze Person.“

„Das hat mir seit Jahren niemand mehr gesagt.“

Arina blickte Valand Kuehn offen an und erkannte den leichten Unglauben in seinen Augen. „Das hört sich vielleicht seltsam für dich an, doch viele Männer und Frauen denken genauso, wie du. Und dann lassen sie solche Dinge einfach ungesagt. Darum freue ich mich sehr darüber, dass du es gesagt hast. Denn auch wenn man auf Risa unter Romantik wohl nicht dasselbe versteht, wie auf vielen anderen Planeten, so sind wir Risanerinnen doch nicht weniger empfänglich für nette Worte, als Frauen von anderen Welten.“

Nach einem langen Kuss fragte der Norweger leise: „Binden sich Risanerinnen ihr gesamtes Leben lang nicht, oder ist das nur eine Phase ihres Lebens?“

„Oh, natürlich binden wir uns irgendwann an einen festen Partner. Etwa im Alter von vierzig bis fünfzig irdischen Jahren und ausschließlich mit einem risanischen Mann. Meistens bekommen wir auch dann erst Nachwuchs.“

Die Lippen des Norwegers und der Risanerin fanden sich für einen flüchtigen Kuss, bevor Valand Kuehn leise meinte: „Dann werde ich bestimmt schon ein alter Mann sein.“

Lautlos lachend schmiegte sich Arina eng an Valand Kuehn und drehte ihn, mit sanfter Gewalt auf den Rücken. Sich lasziv auf ihm bewegend erwiderte sie fast lautlos: „Irgendwie glaube ich das nicht, Valand. Du erweckst nicht den Eindruck so früh alt zu werden.“

Die Arme des Mannes legten sich um die schlanken Hüften der Frau. „Ich hoffe, dass ich irgendwann wieder den Weg nach Risa finden werde.“

„Risa wird dich mit offenen Armen erwarten“, gab Arina leise zurück. Einen Augenblick später lagen ihre Lippen bereits wieder auf seinen. Als sie ihn schließlich, etwas außer Atem, freigab hauchte sie verlangend: „Und jetzt nimm mich noch einmal ganz liebevoll, bevor du Risa verlässt, und nimm all die die positiven Gefühle und Erinnerungen mit zu den Sternen, wenn du wieder auf deinem Raumschiff bist.“

Valand Kuehn kam ihrer Aufforderung nur allzu willig nach, ohne dabei zu ahnen, dass er, nach diesem Tag, weder Risa, noch Arina, jemals wiedersehen sollte.

Feuersturm


 

10.

Feuersturm
 

Logbuch der U.S.S. EXODUS / NCC-77007

Sternenzeit: 50975.9

Captain Valand Kuehn
 

Seit mehr als neun Wochen befindet sich die EXODUS wieder im Dauereinsatz. Mein neuer Erster Offizier, Commander Tar´Kyren Dheran, hat sich schnell in die Dienstroutine an Bord, und in das Zusammenspiel der Führungsoffiziere, hineingefunden. Der Commander ist zwar mein bester Freund, doch dies wirkt sich nicht auf den gemeinsamen Dienst mit ihm aus. Wir harmonieren dienstlich ebenso miteinander, wie privat.

Unterdessen stehen die Zeichen immer deutlicher auf Krieg. Vor wenigen Stunden unterrichtete Captain Sisko Vizeadmiral Ross davon, dass seiner Meinung nach, ein Angriff auf DEEP SPACE NINE unmittelbar bevor stehe. Der Grund dafür ist, dass die DEFIANT damit begonnen hat, auf Geheiß des Sternenflottenkommandos hin, das Bajoranische Wurmloch zu verminen, um den Truppen des Dominion, die sich im Alpha-Quadrant befinden, den Nachschub abzuschneiden.

Morgen ist der Heilige Abend, und sollte Captain Sisko mit seiner Einschätzung Recht behalten, so können wir uns auf eine bombiges Weihnachtsfest vorbereiten, bei dem das Dominion wohl kräftig mitfeiern wird.

Wider Erwarten entsendet das Sternenflottenkommando keine Raumschiffe zur Unterstützung nach DEEP SPACE NINE. Den Grund dafür habe ich, zusammen mit den übrigen einundfünfzig Captains der Sternenflotte, und weiteren siebenundzwanzig Befehlshabern klingonischer Kreuzer, von Vizeadmiral Ross erfahren.
 

* * *
 

Die U.S.S. EXODUS glitt, beinahe majestätisch langsam, von Sternenbasis-375 weg, in den Raum hinaus, wo sich die Zweite Flotte begann für den bevorstehenden Abflug in cardassianisches Gebiet zu formieren.

Captain Valand Kuehn beobachtete auf dem Hauptbildschirm der Brücke, wie sich das Raumschiff, auf seinen Befehl hin, an der Spitze der rechten Flanke des gemischten Flottenverbandes, bestehend aus 52 Sternenflottenraumschiffen der Zweiten Flotte, und 27 Klingonkreuzern, positionierte.

Da Karen Gallagher, bei der bevorstehenden Aktion genug andere Aufgaben wahrnahm, hatte Kuehn es Elana Karimba übertragen, den Kontakt zur U.S.S. VENTURE zu halten, dem Flaggschiff der Zweiten Flotte.

Die VENTURE zeichnete sich, mit den vertrauten Umrissen eines Raumschiffs der GALAXY-KLASSE, am linken Rand des Bildschirms ab. Zwei weitere, kleinere Einheiten waren in der unmittelbaren Umgebung der EXODUS zu erkennen.

Valand Kuehn beneidete Commodore Inga Nangren, die von der VENTURE aus dieses Unternehmen leitete, nicht, denn es würde ein sehr genaues Timing erfordern, um nach dieser Aktion nicht als der eigentliche Aggressor da zu stehen.

Dieser Verband war zusammengezogen worden, um gegen die cardassianischen Orbitalwerften von Torros-III loszuschlagen, und die Schwierigkeit dabei war, dass zu diesem Zeitpunkt die Station DEEP SPACE NINE bereits vom Dominion angegriffen worden sein musste, um den eigenen Angriff politisch als Gegenschlag rechtfertigen zu können. Andernfalls würde die Föderation als Angreifer da stehen, und sich nicht in der Rolle des Angegriffenen befinden. Dieser kleine Unterschied konnte sehr wohl darüber entscheiden, wen die Föderation und das Klingonische Reich, als Alliierten im Kampf gegen das Dominion finden mochten.

Im Sitz des XO rutschte Commander Tar´Kyren Dheran unruhig auf der Kante hin und her, bis er sich schließlich, mit verdrießlicher Miene, an seinen Freund wandte: „Das passt mir nicht, Captain. Wir sollten nach DEEP SPACE NINE fliegen und uns dort um die Verteidigung der Station kümmern.“

„Ich vertraue darauf, dass sich Vizeadmiral Ross etwas dabei gedacht hat“, gab Valand Kuehn mit gedämpfter Stimme zurück. „Es heißt, dass er und Sisko sich über Subraumfunk mehrere Stunden lang beraten haben, bevor der Admiral zu dieser Entscheidung kam.“

Die Antennen des Andorianers bogen sich leicht nach innen. „Wenigstens konnte Sisko die Bajoraner zur Unterzeichnung des Nichtangriffspaktes mit dem Dominion bewegen. Benjamin Sisko ist offensichtlich klar, dass die Föderation nicht für die Sicherheit Bajors garantieren kann, im Falle eines bewaffneten Konfliktes.“

Valand Kuehn machte eine zustimmende Geste. „Bei meinem Zusammentreffen mit Sisko auf der Station, nach dem Einsatz der EXODUS im Gamma-Quadrant, gewann ich den Eindruck, dass dieser Captain ein klug abwägender Stratege ist.“

Er und Dheran wurden von Elana Karimba unterbrochen. „Captain, ein Signal von der VENTURE. Die Flotte geht in zehn Sekunden auf Warp-9,5.“

„Danke, Lieutenant“, erwiderte Kuehn knapp. „Lieutenant Ta Regalus bereithalten zum Sprung auf Warpgeschwindigkeit, Faktor 9,5. Achtung – Beschleunigen!“

Fast gleichzeitig mit dem Flaggschiff des Flottenverbandes beschleunigte die EXODUS signifikant und einen Moment später zeichneten sich auf dem Hauptbildschirm die, für Warpgeschwindigkeit typischen, Sternenstreifen ab.

Währenddessen wandte sich Tar´Kyren Dheran an Karen Gallagher. „Wie lange, bis zum Ziel, Lieutenant Gallagher?“

Der Taktische Offizier antwortete umgehend: „Unter Beibehaltung der momentanen Fahrtstufe in knapp siebzehn Stunden, Commander.“

Valand Kuehn erhob sich aus seinem Sessel und legte die Hände auf den Rücken. „Das ist in etwas mehr Zeit, die der gemischte Kampfverband aus Schiffen des Dominion und der Cardassianer, den unsere Aufklärungsschiffe am Rand der Cardassianischen Grenze beobachten, von seiner aktuellen Position nach DEEP SPACE NINE braucht. Commodore Nangren hat offensichtlich vor, unmittelbar nach dem zu erwartenden Angriff des Dominion auf die Station, gegen die Orbitalwerften über Torros-III, loszuschlagen.“

„Das wird der Moral der Feindtruppen eine spürbare Delle verpassen“, grinste der Andorianer humorlos. „Commodore Nangren wird mir gerade richtig sympathisch.“

Valand Kuehn grinste breit. „Lassen Sie sie das bloß nicht hören. Wie ich mir sagen ließ ist sie keine Freundin von zu starken, menschlichen Bindungen unter Offizierskollegen.“

„Nicht so sympathisch“, stellte Dheran bestimmt fest. Dann fragte er, betont dienstlich: „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich die Einweisung von Lieutenant-Commander Ben Haris übernehme, Captain? Immerhin war ich es, der die Angriffspläne für die Jagdverbände ausgearbeitet hat.“

„Nur zu“, erwiderte der Freund. „Wenn Rahirrim Ben Haris anschließend Amok läuft dann ist er gleich an der richtigen Adresse. Zumindest wird Ben Haris ein paar Änderungsvorschläge vorbringen.“

„Damit rechne ich“, antwortete Dheran fast vergnügt. „Immerhin ist die Taktik gewagt. Deshalb habe ich bewusst einen gewissen Spielraum für Modifikationen gelassen.“

„Wie ich sehe, ist aus Ihnen ein ganz ordentlicher Offizier geworden.“

„Gab es je Zweifel daran?“ Damit wandte sich der Andorianer ab und aktivierte seinen Kommunikator, um Rahirrim Ben Haris in seinen Bereitschaftsraum zu bitten.

Valand Kuehn sah dem Freund, mit einem flüchtigen Schmunzeln auf den Lippen, nach. Im nächsten Moment setzte er wieder eine dienstliche Miene auf und blickte auf den Hauptschirm, wobei er darüber nachdachte, wie lang siebzehn Stunden werden konnten, wenn man auf ein bestimmtes Ereignis wartete. Er hatte die Ablösungen in einem Acht-Stunden-Rhythmus festgelegt, so dass er und die Führungsoffiziere, eine Stunde vor Erreichen der Torros-III-Werftanlagen, hoffentlich gut ausgeruht, wieder ihren Dienst antraten. Sie alle würden dann in Höchstform sein müssen.
 

* * *
 

Entgegen von Valand Kuehns Befürchtung verging die Zeit bis zum Eintreffen über Torros-III schneller, als gedacht. Als der Verband noch fünf Minuten vom Ziel entfernt war, gab Elana Karimba bekannt, dass eine Bestätigung von Sternenbasis-375 eingegangen war, in der es hieß, dass DEEP SPACE NINE gegenwärtig unter schwerem Beschuss durch den georteten Angriffsverband des Dominion lag.

„Die lassen sich offensichtlich von der möglichen Sperrung des Wurmlochs nicht beeindrucken“, knurrte Valand Kuehn. „Ich hatte gehofft, dass sie nicht angreifen sondern abziehen würden.“

„Es wird ihnen noch sehr leid tun geblieben zu sein, Captain“, entfuhr es Karen Gallagher prompt.

Kuehn wandte sich zu ihr um und nickte ihr zu. „Sie sprechen mir aus der Seele, Lieutenant Gallagher. Gehen Sie auf Alarmstufe ROT.“

„Aye, Captain.“

Tar´Kyren Dheran, der ganz ähnlich zu empfinden schien, wie der Taktische Offizier der EXODUS, wechselte einen schnellen, bezeichnenden Blick mit seinem Freund. Die Moral an Bord war sehr gut. Valand Kuehn hoffte nur, dass das auch nach dem Angriff auf die Orbitalwerften noch so sein würde.

Kuehn wandte sich zu Tar´Kyren Dheran. „Commander, Sie übernehmen es, während des Gefechts, den Kontakt zu unseren Jägern zu halten, und ihren Einsatz zu koordinieren.“

Der Andorianer bestätigte und begab sich zu Karen Gallagher an die Konsole. Einen Augenblick darauf wartend, dass die Frau den erweiterten Konsolenmodus aktivierte, konfigurierte er, nach Ausführen dieser Aktion, den nun aktiven Randbereich der Konsole für den Modus der Taktischen Ansicht. Dabei sagte er, mit seiner typisch etwas heiseren Stimme zu Karen Gallagher: „Geben Sie mir laufend den jeweiligen Vektor an, wenn Sie das Feuer eröffnen, und achten Sie auf den Kurs unserer Jäger, beim Einsatz der Phaser, Lieutenant. Legen Sie die Kontrollen für die drei Torpedorampen der unteren Primärhülle auf meinen Konsolenbereich.“

„Aye, Commander.“ Die schwarzhaarige Frau schmunzelte amüsiert, als sie, so leise, dass nur Dheran sie verstehen konnte, augenzwinkernd fragte: „Sie wissen doch noch, wie man Torpedos abfeuert, Commander?“

Die beiden Antennen des andorianischen Führungsoffiziers zuckten vor und richteten sich wie Dolche auf Karen Gallagher, die, unangenehm berührt, den Blick senkte.

Mit einem zufriedenen Grinsen blickte Tar´Kyren Dheran wieder auf seine Kontrollen. Einen Moment später verkörperte er erneut den Begriff Konzentration und niemand sonst auf der Brücke bemerkte das kurze Intermezzo.

„Noch zwanzig Sekunden, bis zum Ziel, Captain“, meldete Elana Karimba.

„Bereithalten unter Warp zu gehen“, befahl Valand Kuehn und beugte sich in seinem Sessel ein Stück nach vorne.

Lieutenant Elana Karimba zählte die letzten fünf Sekunden als Countdown herunter, und bei Null befahl Valand Kuehn dem Piloten der EXODUS: „Bringen Sie uns runter, auf ein Viertel Impuls, Mister Ta Regalus. Anflugvektor nach Vorgabe durch den Verbandsleiter.“

„Verstanden, Captain.“

Der gesamte Verband ging innerhalb weniger Augenblicke unter Warpgeschwindigkeit und umgehend gab Tar´Kyren Dheran die Startfreigabe an Lieutenant-Commander Rahirrim Ben Haris, dem Kommandeur des Jagdgeschwaders.

Die drei großen Front-Hangarpforten des durchgängigen Roll-On-Roll-Off-Hangars der EXODUS öffneten sich vor den längst bemannten Jägern der PEREGRINE-KLASSE, und die, für ihre geringen Abmessungen, erstaunlich schwer bewaffneten Maschinen verließen, nach Staffeln gruppiert, den Hangar. Dabei verhinderten die schwach bläulich leuchtenden Sperrfelder der Tore einen Druckabfall und somit ein Entweichen der Atmosphäre ins umgebende Weltall.

Etwas mehr als eine Stunde vor dem Angriff hatte Commodore Inga Nangren die Raumschiffe des Verbandes in drei etwa gleichgroße Gruppen eingeteilt. Jeweils sechsundzwanzig Sternenflotteneinheiten und die siebenundzwanzig klingonischen Kreuzer sollten jeweils eine der gewaltigen Orbitalwerften angreifen. Dabei gehörte die EXODUS zu dem Verband, der von der VENTURE selbst geführt wurde.

Anders, als die Ziele der beiden anderen Teilverbände, lag das Ziel ihres Verbandes auf der momentan abgewandten Seite des Planeten. Die VENTURE führte den Verband in einem möglichst engen Radius um den Planeten herum, wobei vom Planeten aus vereinzelt Plasma-Torpedos auf den Verband abgefeuert wurden. Jedoch kam dieser Widerstand nur vereinzelt und offensichtlich unorganisiert, denn die Schiffe des Verbandes wurden vom Feind weit verfehlt. Bei diesem Manöver orientierten sich die PEREGRINE-Jäger der EXODUS, und vierzig weitere Maschinen dieser Klasse, die von der TETSUO kamen, ebenfalls ein Raumschiff der AKIRA-KLASSE und baugleich mit der EXODUS, an den Flanken des Sternenflotten-Verbandes.

Als das Ziel hinter der Planetenrundung auftauchte, erwartete den Teilverband eine unangenehme Überraschung. Valand Kuehn erfuhr es, als Karen Gallagher meldete: „Um den Werftkomplex herum haben sich Kriegsschiffe der Cardassianer gruppiert. Ein Dutzend Kriegsschiffe der KELDON-KLASSE und mindestens die doppelte Anzahl leichterer Schiffe der HIDEKI-KLASSE.“

Tar´Kyren Dherans Stimme klang gleich darauf auf: „Ich gebe den Jägern die Anweisung, dass sie sich hauptsächlich um die schnellen und wendigen Raumschiffe der HIDEKI-KLASSE konzentrieren sollen. Wenn die Jäger der TETSUO ebenso vorgehen dann sollten wir mit den Kriegsschiffen der KELDON-KLASSE fertig werden können.“

„Das sehe ich ebenso“, gab Valand Kuehn sein Einverständnis für diese Taktik. Einen Moment später sah er auf dem Hauptschirm, wie sich die Jäger der TETSUO in derselben Weise zu formieren begannen, und der Norweger nickte in Gedanken. Der Captain des zweiten AKIRA-KLASSE Trägers handelte folgerichtig. Nach seinem Wissen wurde das Schiff von einer Izarianerin kommandiert.

„Von der VENTURE kommt soeben der Angriffsbefehl!“, meldete Elana Karimba. „Wir sollen uns zunächst auf die Raumschiffe der KELDON-KLASSE konzentrieren.“

Valand Kuehn dankte und warf dabei einen bezeichnenden Blick über die Schulter, zu seinem Freund. Dabei war er versucht, ihn zu fragen, ob es da nicht doch irgendeine tiefer reichende Verbindung gab, zwischen ihm und Commodore Inga Nangren. Dieser flüchtige Gedanke ging, so schnell er gekommen waren.

Wieder nach vorne sehend erkannte der Norweger, wie die VENTURE langsam seitlich nach Backbord aus dem optischen Erfassungsbereich glitt. Nach wenigen Augenblicken erreichte ihn die Meldung von Karen Gallagher.

„Feind kommt jetzt in Schussweite, Captain!“

Kuehn reagierte prompt: „Feuer frei! Zielauswahl nach eigenem Ermessen!“

Kaum hatte Lieutenant Karen Gallagher bestätigt verwandelte sich das Raumschiff der AKIRA-KLASSE in ein Instrument der Vernichtung – und mit ihm die übrigen Raumschiffe des Verbandes. Ein Schwarm von Quantentorpedos jagte von den Sternenflotteneinheiten auf die cardassianischen Raumschiffe zu, die in ihrer Formgebung eine entfernte Ähnlichkeit zu irdischen Meerestieren aufwiesen. Gerichtete, grell-gelbe Nadionstrahlen überholten sie und schlugen kurz vor ihnen in die Schilde der cardassianischen Raumschiffe ein. Manche der Schilde brachen unter diesem Feuersturm zusammen, andere hielten. Ein Zeichen dafür, dass noch nicht alle cardassianischen Kriegsschiffe mit der verbesserten Schildtechnik des Dominion ausgerüstet worden war.

Nur Augenblicke später schlugen die Torpedos ein und richteten verheerende Verluste unter den cardassianischen Einheiten an. Auch die PEREGRINE-Jäger eröffneten nun das Feuer und griffen in Schlacht über Torros-III ein.

Die Tatsache, dass dem Sternenflotten-Verband ein wütendes Abwehrfeuer entgegen schlug zeigte überdeutlich, dass eine Reihe von Feindschiffen dieses vernichtende Angriffsfeuer überstanden hatten, und die Besatzungen dieser Schiffe noch handlungsfähig waren. Mehrere cardassianische Phaserstrahlen und Torpedos jagten auf den Verband zu.

Die EXODUS wurde wild durchgeschüttelt, als ein Torpedo und zwei Phaserstrahlen fast gleichzeitig in die Frontschilde einschlugen.

„Schilde halten bei dreiundachtzig Prozent!“, gab Karen Gallagher bekannt, während sie gleichzeitig das Feuer erwiderte und eine neue Salve von Quantentorpedos gegen den Feind sandte. Diesmal aktivierte Tar´Kyren Dheran, der sich bisher voll auf die Koordination der Jagdverbände konzentriert hatte, auch die drei Torpedorampen der Primärsektion und schickte einem der KELDON-KLASSE Kreuzer, in kurzem Abstand, drei weitere der grell-weiß leuchtenden Torpedos entgegen.

Die von Karen Gallagher abgefeuerten Torpedos ließen die Schilde des cardassianischen Kriegsschiffes zusammenbrechen, und gleich darauf schlugen die drei von Dheran hinterher gefeuerten Torpedos in die Hülle des nun ungeschützten Schiffes ein. In einer spektakulären Energieorgie brach das cardassianische Raumschiff auseinander und wurde von mehreren Folgeexplosionen vollkommen zerrissen.

Mit brennendem Blick beobachtete Valand Kuehn dieses schreckliche Spektakel auf dem Hauptbildschirm und flüsterte: „Welch ein Wahnsinn.“

Diese kurze Anwandlung verging. Jetzt war weder die richtige Zeit, noch der richtige Ort, um philosophische Betrachtungen über den Wahnsinn von Kriegen anzustellen.

Karen Gallagher ihrerseits pfiff leise durch die Zähne. „Guter Schuss, Commander.“

Valand Kuehn, der diese Worte mitbekam, ballte seine Hände zu Fäusten und meinte in Richtung des Taktischen Offiziers: „Zum Glück ist Krieg so dermaßen grausam, dass wir keinen Gefallen daran finden.“

Karen Gallagher steckte die versteckte Kritik des Captains widerspruchslos ein. Sie verstand, was im Moment in ihm vorging. Dabei blickte sie kurz zu Dheran, der ihr aufmunternd zu lächelte. Unterdrückt raunte der Andorianer: „Der Captain weiß schon, wie Sie es gemeint haben, Lieutenant.“

Valand Kuehn, der die Worte des Freundes so gerade eben noch gehört hatte, streifte ihn und Karen Gallagher mit einem kurzen Blick. Dabei dachte er: Klar, dass du es bist, der von uns beiden die Notwendigkeit einer solchen Aktion klarer und kompromissloser sieht. So war es wohl schon immer, wenn ich es recht bedenke.

Die VENTURE musste einen Treffer an der Primärhülle einstecken und ein älteres Raumschiff der MIRANDA-KLASSE wurde zerstört, bevor das letzte Raumschiff der Cardassianer kampfunfähig geschossen wurde und vom Flaggschiff die Meldung eintraf, sich nun dem eigentlichen Primärziel zuzuwenden.

Noch während der Verband auf Angriffskurs ging, lief von den beiden anderen Teilverbänden die Meldung ein, dass die Orbitalwerften zerstört worden seien.

Commodore Nangren wies die Kommandeure beider Teilverbände an, die militärischen Anlagen und die Nachschublager auf dem Planeten selbst aufzuspüren und unter gezieltes Feuer zu nehmen.

Als die Sternenflottenraumschiffe, unter Nangrens Kommando, die Entfernung von 50.000 Kilometern Entfernung zum Ziel unterschritten, feuerten die Raumschiffe die ersten Salven von Quantentorpedos auf den riesigen Werftkomplex ab, der an eine Kreuzung aus einem fünfarmigen Kraken und einer Qualle erinnerte. Bei einer Entfernung von nur noch 10.000 Kilometern begannen auch die Phaserbänke der Schiffe mit ihrem Vernichtungswerk. Sie hielten diesen Sicherheitsabstand.

Nur Sekunden später blähte sich ein ultraheller Energieball dort auf, wo eben noch der gewaltige Werftkomplex in der sternengesprenkelten Schwärze des Weltalls geschwebt hatte. Offensichtlich war der Hauptreaktorkern des Komplexes getroffen worden und es kam zu einer spontanen Materie-Antimaterie-Annihilation, die das Ende des gewaltigen Komplexes und allen Lebens in ihm bedeutete. Die Trümmer der Station und einiger Raumschiffe, die sich dort im Bau befunden hatten, trieben träge auseinander. Andere, meist kleinere, Trümmerstücke der Station, wirbelten schneller davon.

Die Brückencrew der EXODUS blickte auf dieses schreckliche Szenario, wobei den Vertretern der verschiedenen Spezies ganz unterschiedliche Gedanken durch den Kopf gingen, die sich jedoch in gewisser Hinsicht glichen.

Valand Kuehns Stimme riss zwei von ihnen aus ihren Gedanken. „Commander Dheran, geben Sie Lieutenant-Commander Ben Haris den Befehl seine Geschwader zu landen. Er soll danach umgehend in meinen Bereitschaftsraum kommen, um Bericht zu erstatten. Lieutenant Ta Regalus, wir formieren uns wieder mit der VENTURE.“

Beide Offiziere bestätigten.

Gleich darauf lief der Befehl von Commodore Nangren ein, dass die Zweite Flotte das Gebiet umgehend verlassen würde, nachdem sich die drei Teilverbände wieder gesammelt hatten. Offensichtlich war sie nicht erpicht darauf, einen Gegenschlag durch überlegene Verbände des Dominion herauszufordern.

Als die Flotte auf Warpgeschwindigkeit ging, betrat Lieutenant-Commander Ben Haris die Brücke und Valand Kuehn schritt zu dem dunkelhäutigen Mann. Dabei wandte er sich zu Tar´Kyren Dheran. „Sie haben die Brücke, Commander.“

Epilog


 

Epilog
 

Logbuch der U.S.S. EXODUS / NCC-77007

Sternenzeit: 50982.4

Captain Valand Kuehn
 

Der Angriff auf die Torros-III-Werftanlagen war ein durchschlagender Erfolg, der unter relativ geringen Verlusten erkauft worden ist. Lediglich die SEOUL, ein Raumschiff der MIRANDA-KLASSE, und zwei Jäger der PEREGRINE-KLASSE, beide von der TETSUO, wurden vom Feind zerstört. Der Rest der Flotte befindet sich auf dem Rückweg nach Sternenbasis-375.

Wir schreiben heute den 25. Dezember 2373, aber mir ist nicht danach zumute, Weihnachten zu feiern. Das Dominion hat, wie es zu erwarten war, DEEP SPACE NINE erobert, dabei jedoch 50 Raumschiffe verloren. Offensichtlich haben Captain Benjamin Sisko und seine Stations-Crew, dem gemischten Kampfverband aus Einheiten der Cardassianer und der Jem´Hadar, gleichfalls einen beeindruckenden Kampf geliefert. Dabei hat die Crew der DEFIANT es geschafft, das Minenfeld rechtzeitig fertigzustellen und zu aktivieren.

All dies erfuhren wir vor wenigen Stunden erst, nachdem sich die DEFIANT und die ROTARRAN unserem Verband angeschlossen haben. Nach dem ersten Bericht von Captain Sisko gelang dem klingonischen BIRD-OF-PREY und dem Sternenflottenraumschiff nur knapp die Flucht von der Station, dank ihrer Tarnvorrichtungen.

Zwei positive Aspekte, die ich dem Schlag gegen Torros-III abgewinnen kann, sind die, dass die Crew der EXODUS hervorragend funktioniert hat, und dass es bei der Schlacht zu keinen Verlusten unter der Crew meines Schiffes gekommen ist.
 

* * *
 

Captain Valand Kuehn schaltete gerade die Aufnahmefunktion des Desk-Viewers, auf dem Schreibtisch seines Bereitschaftsraumes, ab. Fast gleichzeitig öffnete sich das Schott und Tar´Kyren Dheran trat zwanglos ein, nachdem Kuehn, nach Ertönen des Türmelders, per Stimmenkommando das Schott für den Andorianer geöffnet hatte.

Valand Kuehn deutete auf die breite Couch und lehnte sich selbst in seinem Sessel zurück, nachdem sich das Schott hinter dem Andorianer geschlossen hatte. „Setz dich, Commander. Es ist seltsam gewesen, dich vorhin im Dienst nicht zu duzen.“

Tar´Kyren Dheran spreizte die Antennen. „Das wäre kein gutes Beispiel für die Crew, Captain. Ich finde, wir sollten es so beibehalten, sonst kommen einige Leute auf diesem Raumschiff möglicherweise auf die Idee, dass du deine Untergebenen mit zweierlei Maß beurteilst. Ich weiß natürlich, dass du das nie tun würdest, aber es hätte den Anschein.“

Valand Kuehn lächelte schwach. „Lass dir bloß nicht einfallen, mich auch außerhalb des Dienstes zu siezen, oder wenn wir, so wie jetzt, unter uns sind.“

„Keine Sorge, mein Freund.“

Valand Kuehn erhob sich und umrundete den Schreibtisch, in Richtung des Replikators. Dabei fragte er: „Möchtest du auch etwas, Tar?“

„Ich könnte einen Andorianischen Tee vertragen“, erwiderte der Andorianer.

Als Valand Kuehn mit zwei Gläsern, die entfernt an langstielige Blumen erinnerten, zur Couch zurückkehrte und dem Freund eins davon reichte, meinte er: „Du hast den Einsatz der Jäger sehr gut koordiniert. Ich würde vorschlagen, das du diese Funktion auch bei zukünftigen Einsätzen ausfüllst.“

Dheran nahm das Glas in Empfang und nahm einen Schluck. „In Ordnung. Was funktioniert soll man bekanntlich nicht ändern.“

Auch Valand Kuehn trank von seinem Tee, bevor er sich auf das andere Ende der Couch niederließ. „Grummelt Lieutenant Gallagher noch, wegen meiner Bemerkung, in Bezug auf die Grausamkeit des Krieges.“

Der Andorianer grinste schief. „Nein, sie ist ein guter Offizier, wenn du mich fragst.“

„Als ich, vor zweieinhalb Jahren, meinen Dienst auf der EXODUS antrat, da dachte sie, das ich kein guter Offizier sei. Weil sie wusste, dass ich als Kadett zur RED-SQUAD gehört habe. Sag mir bitte eins, Tar, haben sich Alev, Sylvie, oder ich jemals anders verhalten, als andere Kadetten der Sternenflotte?“

„Offen gestanden, ja“, erwiderte der Andorianer und nickte todernst, bis ihn das ungläubige Gesicht des Freundes zum Lachen reizte. „Ja, denn ihr habt euch besser verhalten, als so manch anderer Kadett, auch wenn ich das, bevor ich euch kennenlernte, nicht geglaubt hätte. Du kennst ja meine anfänglichen Vorbehalte. Heute weiß ich es besser.“

Valand Kuehn erhob sich abrupt und schritt nachdenklich zur Vitrine, in der das Emblem der RED-SQUAD lag. „Vielleicht wusstest du es damals besser. Karen Gallagher erzählte mir von einem Verhalten der RED-SQUAD, in Bezug auf ihre jüngere Schwester, bei dem ich immer noch kolossal wütend werde. Damals wollte ich es nicht glauben, doch dann geschahen die Ereignisse um Admiral Leyton, der Kadetten der RED-SQUAD für seine finsteren Machenschaften einspannte. Und diese Kadetten ließen sich wohl auch nur allzu gerne, und viel zu blauäugig, dazu einspannen. Das Verhalten von Kadetten, wie diesem Riley Shepard, haben dem Ansehen der RED-SQUAD nachhaltig geschadet.“

Vor der Vitrine blieb Valand Kuehn stehen. Als sich Tar´Kyren Dheran nicht zu seinen Worten äußerte, wandte er sich um und meinte: „Ich habe in den letzten Monaten bereits einige Male ernsthaft darüber nachgedacht, das Abzeichen aus der Vitrine zu holen und es in irgendeiner dunklen Kammer zu verstauen.“

Der Andorianer musterte seinen Freund ernst. „Das solltest du nicht. Denn immerhin hast du treu dafür eingestanden, wofür dieses Abzeichen zu deiner Zeit stand. Es ist weder deine Schuld, noch die Schuld der RED-SQUAD, was Kadetten, wie dieser Shepard und Seinesgleichen, daraus gemacht haben. Du hast es ehrenhaft getragen und in Ehren gehalten, und darum hast du auch das Recht, stolz darauf zu sein.“

„Diese Worte von dir?“ Valand Kuehn wirkte überrascht. „Das hätte ich nun wirklich ganz zuletzt erwartet.“

Dheran erhob sich langsam und schritt zu seinem Freund. „Wie du weißt, habe ich nie ein Geheimnis daraus gemacht, was ich von einer Organisation innerhalb einer Organisation halte. Andererseits haben du, Alev, und selbst LeClerc, mir gezeigt, dass es die Kadetten sind, die darüber bestimmen, wie die RED-SQUAD zu bewerten ist.“

Bei dem letzten Satz des Freundes verdrehte Valand Kuehn die Augen. „Echt jetzt? Immer noch LeClerc statt Sylvie?“

Die Antennen des Andorianers bogen sich nach innen und der Norweger schüttelte fassungslos den Kopf. „Ich erinnere mich daran, dass ich, vor vielen Jahren mal mit dir gewettet habe, dass du und Sylvie eher ein eigenes Kommando haben werdet, als dass ihr zwei Dickköpfe euren Zwist, der nun immerhin fast sechzehn Jahre zurückliegt, überwinden könnt. Ich sage dir heute dies: Das Ding gewinne ich am Ende noch.“

„Hast du mal wieder etwas von ihr gehört?“, lenkte Dheran ab.

Valand Kuehn schmunzelte bei dem mittelmäßigen Versuch das Thema zu wechseln. „Ja, sie ist seit knapp einem Jahr Commander und treibt sich, an Bord der NOVA, irgendwo in der Randzone der Galaxis herum. Mir ist das ganz recht. Dort draußen ist sie sicher, denn was sollte das Dominion in der sternenleeren Randzone dieser Galaxis wohl wollen?“

„Außerdem ist sie dort draußen weit weg von mir“, ergänzte Tar´Kyren Dheran hämisch. Beim darauf folgenden, finsteren Blick des Freundes hob der Andorianer die Hände. „Ich höre ja schon auf.“

„Besser wär´s“, knurrte Valand Kuehn. „Im Gegensatz zu dir liegt mir etwas an Sylvie. Du weißt warum.“

Die Antennen des Andorianers bogen sich entschuldigend nach hinten. „Eure gemeinsame Zeit, auf der ALAMO, war bestimmt etwas, das lebenslang verbindet.“

„Sehr richtig, mein Freund.“

Für eine Weile sagte keiner der beiden Freunde etwas, bevor Valand Kuehn den Faden wieder aufnahm. „Wir können nur hoffen, dass unsere Freunde das, was nun vor uns liegt, wohlbehalten überstehen werden. Der hinter uns liegende Sieg, bei Torros-III, sollte uns weder leichtsinnig, noch zu siegessicher machen. Das Dominion ist nun gewarnt. So leicht, wie bei Torros-III, werden sie es uns nie wieder machen, Tar.“

Der Andorianer stellte das leere Glas auf die Entnahmefläche des Replikators, wo es sich im nächsten Moment auflöste. Dabei sagte er ernsthaft: „Bei einem Aggressor, wie dem Dominion, gibt es keine Alternative zum Sieg, Valand. Das wissen wir beide.“

„Erzähl das mal den Gründern“, spottete Valand Kuehn.

Auf den Ton des Freundes eingehend, gab Dheran zurück: „Frühestens morgen, denn jetzt brauche ich erst einmal etwas Schlaf. Du solltest auch die Gelegenheit nutzen, solange du noch kannst.“

Damit ging der Andorianer.

Valand Kuehn blickte für eine ganze Weile auf das Schott, als es sich längst hinter dem Freund geschlossen hatte, bevor er nachdenklich, mit seinem noch halb vollen Glas zu einem der beiden hohen Fenster hinüber schritt. Gelegentlich von dem goldgelben Getränk nippend sah er zu den Sternen hinaus, ohne sie wirklich zu sehen. Seine Gedanken weilten bei denen, die ihm am Herzen lagen. Dabei schweiften seine Gedanken schließlich auch zu Zaralee Scarinnan ab. Beinahe andächtig hob er sein Glas und sagte leise: „Zaralee, wenn du irgendwo da draußen, in irgendeiner Dimension, noch unter den Lebenden weilst, dann wünsche uns Glück. Wir können es, verdammt noch mal, gebrauchen.“

Dann trank er erneut und ein bitteres Lächeln überflog für einen Moment sein Gesicht.
 


 

ENDE
 



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Sanguisdeci
2017-05-21T16:46:29+00:00 21.05.2017 18:46
Wieder ist dir eine fesselnde, in meinen Augen gut gelungene Geschichte gelungen. Ich bin sehr gespannt, wie sich das Schicksal vom Captain Kuehn entwickeln wird und weswegen er Risa nie wieder sehen wird. Mach weiter so :)
Antwort von:  ulimann644
22.05.2017 01:03
Vielen Dank für das Lob.
Die Sache mit Risa ist unspektakulär, und ich will sie nicht spannender erscheinen lassen, als sie ist. Vermutlich lässt ihm sein Dienst keine Zeit dazu nochmal hin zu kommen. ;)

Spaßig dabei ist: Im Grunde sollte dieser Captain in meiner Hauptseite ICICLE in der zweiten Episode nur mal kurz durchs Bild laufen. Dass der sich so dermaßen entwickeln würde, war an dem Punkt weder geplant noch abzusehen.
Antwort von:  Sanguisdeci
28.05.2017 23:02
Charaktere mit einer guten Entwicklung sind etwas tolles. Das zeigt, wie viele Gedanken du dir um jeden Einzelnen machst. Umso mehr, da sich dann einige "verselbstständigen" und eigene Geschichten nahezu "einfordern" :D Weiter so! Bisher fand ich jeden der Handlungs- und Entwicklungsstränge toll und möchte keinen davon missen :-)
Antwort von:  ulimann644
29.05.2017 11:29
Wow, vielen Dank für das Lob.
Ja, dieses Einfordern von Geschichten ist mir auch bei der Entwicklung von Charaktersheets bereits öfter passiert, als nur einmal. Die TIMELINE-Episode "Rückkehr ins Licht" entstand auf diese Art und Weise.
Manche dieser Sheets haben im Laufe der Zeit einen Umfang erreicht, den andere Leute bei Kurzgeschichten nicht erreichen. Meine Charaktere, insbesondere die Serien-Charaktere, zu kennen ist mir schon ein besonderes Anliegen.


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