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Ghost Whisperer

Oder auch: Wakatoshi, nein.
von
Koautor:  Jeon_Jungkook

Vorwort zu diesem Kapitel:
Triggerwarnung: Die ersten paar Absätze enthalten eine Beschreibung einer Panikattacke. Wenn du Dinge in der Art nicht gut verträgst, empfehle ich, CTRL+F zu drücken und "als ich zum zweiten Mal erwachte" zu suchen. Dort geht es dann panikattackenfrei weiter! :) Komplett anzeigen

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Alle guten Dinge beginnen mit Schmerz

Achtung!“

Der Ausruf klang dumpf, entfernt. Wie Überreste eines wilden Traums. Die Welt drehte sich, etwas raschelte laut und mein Kopf traf auf Asphalt. Der Schmerz kam verzögert, drängte sich einen Augenblick nach dem Aufprall in meinen Schädel und Tränen schossen mir in die Augen.

Ein Zug fuhr mit lautstarkem Rattern vorbei, warf einen Schatten auf die Treppe zum Unieingang.

Das Letzte, das ich sah, war der wolkenlose blaue Himmel über der Kunsthochschule, bevor mein Sichtfeld schwarz wurde.
 

 

Es war warm, als ich wieder zu mir kam. Warm und kuschlig. Die Luft war stickig, das Geräusch des vorbeifahrenden Zugs immer noch in meinen Ohren. Ich öffnete meine Augen und bereute es sofort. Das Erste was ich sah war … nichts. Der Raum war zwar etwas abgedunkelt, aber es fiel doch genug Tageslicht hinein um mich zu blenden und mir Kopfschmerzen zu bereiten. Stöhnend wandte ich das Gesicht ab, um es wieder im Kissen zu vergraben.

Moment. Kissen.

Ich traute mir oft nicht ganz über den Weg, aber wenn ich mich recht erinnerte, dann sollte ich eigentlich irgendwo draussen vor der Hochschule liegen und irre Kopfschmerzen haben. Letztes traf tatsächlich zu, aber das war eher von der ‚nicht genug Schlaf‘-Sorte und nicht wie ‚hallo, du hast eine Gehirnerschütterung‘.

Zögerlich öffnete ich erneut die Augen, dieses Mal darauf bedacht, vielleicht nicht direkt ins grelle Licht zu gucken. Begrüsst wurde ich mit dem schlafenden Gesicht eines jungen Mannes.

 

Irgendwo im Raum ging ein Wecker los.

Während ich einen halben Herzinfarkt hatte, murrte der Junge in meinem Bett etwas Unverständliches und zog mich näher an sich heran, um sein Gesicht in mein nachlässig ausgebleichtes Haar zu pressen. Er ignorierte das Piepsen des Weckers eine gute Minute, bevor er über mich hinweg griff und den Ton wegschaltete.

Ich war zu beschäftigt mit Starren, um zu sehen, wie er das bewerkstelligt hatte. Denn – mal davon abgesehen, dass mein Bettgefährte sehr dreidimensional und echt ausschaute – ich musste mich gerade damit konfrontieren, dass er verdächtig nach Yaku Morisuke aus Haikyuu aussah. Was natürlich nur bedeuten konnte, dass ich träumte. Denn Yaku war eine fiktionale Person.

Ich wollte mich nicht beklagen – schliesslich war es besser, als irgendwo vor der Hochschule am Boden zu liegen und Kopfschmerzen zu haben –, aber es war wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass sich gerade eine riesige Menge an Fragen in meinem Kopf auftat.

 

„Morgen“, grüsste Yaku – oder sein Doppelgänger? – verschlafen. Ich war nach wie vor damit beschäftigt herauszufinden, was gerade passierte, um ordentlich zu antworten, aber er schien das als Müdigkeit zu deuten und küsste mich auf die Stirn.

Oha. Okay. Anscheinend sah die Lage so aus.

Nach etwas genauerer Inspektion – und einem unverbesserlichem 'ich sehe es, also muss ich es anfassen'-Moment – wurde mir bewusst, dass Yakus Gesichtsstruktur nicht nur anders aussah, weil er jetzt ein richtiger Mensch war, den ich anfassen konnte, sondern auch weil er älter zu sein schien. Ich machte mir keine Mühe herausfinden zu wollen, wie das jetzt mathematisch aufgehen sollte. Es war zu früh für Mathe. Alles, was mir dazu einfiel war, dass ich seine ID mopsen sollte, um zu sehen, ob ich hier nicht gerade vollkommen überschnappte.

 

„Midori?“

Seine Stimme schreckte mich schlagartig aus meinen wirren Gedanken.

Yaku sah besorgt aus, als er mir mit der Hand über die Stirn strich. „Geht es dir nicht gut?“

Für satte drei Sekunden sagte ich nichts, überrascht darüber, dass er meinen japanischen Namen verwendet hatte. Das war mir schon eine ganze Weile nicht mehr passiert. „A-alles super!“, krächzte ich. Ich hatte die Befürchtung gehabt, dass ich kein Wort herausbringen würde. Trotz japanischer Mutter waren meine Sprachkenntnisse eher bescheiden, aber anscheinend war das plötzlich auch kein Problem mehr.

Gut. Eine Hürde weniger. Man schaut einem geschenkten Gaul bekanntlich nicht ins Maul.

 

„Bist du dir sicher? Du hast gestern Abend doch gemeint, du fühlst dich nicht gut.“

Gestern Abend. Klar. Gestern Abend war ich noch an einem völlig anderen Ort unter völlig anderen Menschen gewesen, also wusste ich selbstverständlich nicht, was ich da gesagt haben soll. „Oh! Aber jetzt geht es mir besser!“

Für einen Augenblick wurde ich skeptisch gemustert. „Bist du dir sicher?“

Ich nickte. Vom schwindenden Kopfweh abgesehen, ging es mir tatsächlich sehr gut.

„Dann sollten wir langsam mal“, meinte er mit einem beruhigten Lächeln.

Ich war immer noch nicht ganz darüber hinweg, dass er ein echter Mensch, mit einer echten Stimme und einem echten Körper war.

 

„Heute ist die Beerdigung.“

„… Beerdigung?" Meine Wiederholung war dumpf, verwirrt.

Yaku nickte langsam, vollkommen unwissend darüber, dass in meinem Kopf gerade ein riesiges Fragezeichen war.

„Sag bloss nicht, du hast das vergessen. Ushijima-san ist während des Unfalls letzte Woche umgekommen."

Oh. Das hatte ich nicht kommen sehen.

In was für einer Version von Haikyuu ich auch immer gelandet war, es hatte sich so einiges getan. Und wie es aussah existierte ich hier tatsächlich, denn es wurde ja vorausgesetzt, dass ich wusste, was letzte Woche passiert war. Was ich übrigens tat. Nur halt nicht so, denn letzte Woche war ich mit der Planung für Dreharbeiten und Designtheorie beschäftigt gewesen. Da war Ushijima Wakatoshi sicher noch am Leben gewesen – oder so hätte ich wenigstens angenommen.

 

„N-nein, natürlich nicht", stammelte ich betreten. Ich hatte den Typen während des Lesens nicht sonderlich gemocht, aber zu hören, dass er jetzt tot war, das war trotzdem nicht schön.

Yaku seufzte und strich mir übers Haar. Dann wurde ich dichter an seine Brust gezogen und für eine Sekunde glaubte ich, dass mein Herz bestimmt aussetzen würde. Das hier konnte doch nie im Leben real sein.

Yaku Morisuke war eine fiktionale Figur. Bestimmt hatte ich mir den Kopf zu hart angeschlagen oder so. Wahrscheinlich vegetierte ich eigentlich irgendwo vor mich hin und meine Fantasie war nur hyperaktiv. Das konnte nichts anderes als ein Traum sein.

Die Arme meines augenscheinlichen Freundes waren genau so warm und stark, wie sie auf Papier aussahen. Ich beschloss, dass ich noch etwas länger träumen mochte.

„So, husch jetzt, anziehen“, kam der müde Befehl und ich erhielt einen Kuss auf die Wange. „Sonst sind wir am Ende noch zu spät.“
 

 

Ich erhaschte beim Umziehen im Bad einen Blick auf eine Trainerjacke in Wäschekorb und staunte nicht schlecht, dass sie nicht nur eine grosse Nummer Acht und ‚YAKU‘ auf den Rücken gedruckt hatte, sondern auch dass es sich dabei um eine Jacke der Nationalmannschaft handelte.

Oh wow. Sah so aus, als hätte sich da wer gut gemacht.

Das galt auch für mich, wie ich mit Staunen feststellte. Mein Kleiderschrank war gut ausgestattet, darunter auch mit einem Blazer, der ordentlich sass. Massgeschneidert anscheinend. Hatte ich eine Bank überfallen? Wie wäre ich sonst an so viel Geld gekommen?

Ich nahm mir die Zeit, den Inhalt meiner Handtasche zu überprüfen (die mir auch kein Stück bekannt vorkam und, nach ganz japanischer Manier, eine Markentasche war) und ja, auf meinem Ausweis stand „Kato Midori“ in ordentlichen Kanji. Hätte Yaku nicht gedrängt, dass er auch noch gerne das Bad benützen würde, ich hätte wahrscheinlich alles auf dem Boden ausgelegt und inspiziert.
 

 

Der Fernseher war an, als wir uns um ein schnelles Frühstück bemühten, und ich war froh, war Yaku viel zu sehr auf die Wettervorhersage fixiert, um mit anzusehen, wie ich nicht so recht aus dem Staunen kam. Es war der achte Juli 2015, was mich schon mal ordentlich überrumpelte. Ausserdem war ich immer noch nicht ganz davon überzeugt, dass ich wirklich so gut Japanisch verstand. Irgendwas war doch mega faul.

Wieso überraschte mich das überhaupt? Alles hier war faul.
 

 
 

· · ·
 

 

Die Beerdigung war, verständlicherweise, eine düstere Angelegenheit.

Ich musste mich zusammenreissen, um nicht offen die anderen Gäste anzustarren. Eingeklemmt zwischen Yaku und Oikawa – ja, genau, dem Oikawa Toru! – verbrachte ich die Mehrheit der Zeit damit, mir einen Überblick zu verschaffen. Manche Leute erkannte ich vom Manga Lesen.

Ushijimas Vater war da, neben ihm eine Frau, die Ushijima selbst so ähnlich sah, dass es beinahe schon schmerzhaft war. Ich erinnerte mich daran, dass laut Mangaka die beiden geschieden waren.

Neben den beiden waren noch andere bekannte Gesichter unter den Anwesenden. Darunter Bokuto Kotaro, der im schwarzen Anzug ungewohnt ernst wirkte, und Hinata Shoyo, der selbst im Traueranzug zu strahlen schien. Es machte mich glücklich zu sehen, dass er sowohl ein gutes Stück gewachsen zu sein schien als auch tatsächlich Teil der Mannschaft war.

 

Es waren auch eine gute Anzahl Menschen da, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte und denen ich wahrscheinlich auch nie wieder begegnen würde. Je länger das Begräbnis dauerte, desto mehr kam ich mir fehl am Platz vor.

Ich hatte den Mann nie persönlich gekannt. Meine Güte, ich hatte ihn beim Lesen von Haikyuu gar nicht wirklich gemocht. Und jetzt war ich hier, bei seiner Trauerfeier, und wusste nicht so recht, was mit mir anfangen.

Die Zeremonie dauerte glücklicherweise nicht lange. Ich hatte noch nie zuvor eine shintoistische Beerdigung gesehen und sog das Erlebnis in mich auf, auch wenn es nicht wirklich angebracht war.

 

Ich begleitete Yaku als er Madame Ushijima sein Beileid aussprach und dann, schneller als erwartet, standen wir vor dem Schrein.

Das Gebäude war grösser als die üblichen kleinen Schreine, die wie zwischen die Häuser gestopft wirkten, und ein renovierter Altbau diente wahrscheinlich dazu, die Leichen für die Zeremonie vorzubereiten. Es war auch der Altbau, der uns entgegen kam. Yaku meinte, er müsste noch kurz aufs Klo, und ich blieb zurück, sein Jackett in der Hand und sah mir die Bäume an.

 

Zumindest war das mein Plan gewesen. Der wurde aber über den Haufen geworfen, als sich jemand neben mir räusperte.

Ich war schon immer schreckhaft gewesen, zu dem Ausmaß, dass es während meiner Zeit am Gymnasium praktisch Komödie für meine Mitschüler gewesen war. Das hatte sich auch in den vier Jahren seit meinem Abschluss nicht geändert. Das unerwartete Geräusch warf mich dermassen aus der Bahn, dass ich mit einem undefinierbaren Geräusch Yakus Jackett fallen liess und einen Hopser zur Seite tat. Ich betete, dass niemand das gerade eben gesehen hatte, sonst konnte ich meiner Würde zum Abschied winken.

Was mich noch weitaus mehr überraschte war aber, in wessen Gesellschaft ich mich befand. Denn da stand, so unglaublich es auch klang, Ushijima Wakatoshi.

 

Um fair zu sein – er war sichtlich untot. Ich konnte gut erkennen, dass es sich um ihn handelte, aber er war trotzdem seltsam durchsichtig und bläulich und er trug immer noch seinen Traineranzug, den er wohl auch zum Zeitpunkt des Todes getragen haben muss.

Ich hatte keine Ahnung, wie darauf reagieren. Also starrte ich.

„Du bist klein.“ Ushijima, oder … Ushijimas Geist (?) sah mich unbeeindruckt an.

Mein Herz klopfte wie wild und so langsam, dachte ich mir, sollte es doch an der Zeit sein, dass ich aufwache, oder? Stattdessen änderte sich nichts an der Situation. Ich stand alleine vor dem Schrein und wartete darauf, dass mein (fiktionaler) Freund vom Klo zurückkehrte, während ein (fiktionaler) Verstorbener mir an den Kopf warf, dass ich klein war. Was im Vergleich zu seinen 1,90m angebracht war, mir aber trotzdem nicht schmeckte.

Ushijima hob die Augenbraue als ob ich ihm eine Antwort schuldete.

 

Ich schluckte und hob das Kinn, wild entschlossen, mir so was nicht von wem mit einem derart beschränkten Repertoire an Gesichtsausdrücken sagen zu lassen. „Falsch. Richtig wäre: Ich bin beeindruckt, dass so viel Stärke und Wucht in einen so kleinen Behälter passt.“ Ob meine Stimme zitterte, weil ich immer noch den Schock über sein plötzliches Auftauchen verdaute oder weil ich einfach sonst nervös war? Wahrscheinlich beides.

„Wucht.“ Ushijima sagte das Wort mit einer nachdenklichen Note und ich war mir nicht ganz sicher, ob er sich überlegte, ob es in meinem Satz Sinn machte oder nur nicht ganz wusste, wie man es in Kanji schreiben würde.

Ich wollte dazu ansetzen, etwas daran anzuhängen, aber genau in dem Moment hörte ich die Tür hinter mir. „Midori, mit wem sprichst du?“

 

Und zum erneuten Mal an diesen Tag, sprang ich in Schrecken auf. Auf Dauer konnte das für mein Herz nicht gut sein. Eine Hand auf die Brust gepresst drehte ich mich zu Yaku um.

„Meine Güte, hab ich dich derart erschreckt?“

Schmollend nickte ich und liess mich in eine Umarmung ziehen. Wenn wir wirklich schon so lange zusammen waren, dass wir eine Wohnung teilten, dann sollte er so etwas ja gewohnt sein. Seiner Belustigung nach zu urteilen schien er tatsächlich nicht besonders überrascht darüber, wie schreckhaft ich war.

„Tut mir leid.“ Ich bekam als Entschädigung einen sanften Nasenstüber, dann liess Yaku mich los und sah sich um. „Niemand von den anderen mehr hier, oder?“

Ich schüttelte den Kopf und liess den Blick misstrauisch über den Vorhof schweifen. Von Ushijimas Geist war keine Spur zu sehen.

 
 

· · ·

 

Ich ging davon aus, dass ich mir für die Beerdigung den Tag freigenommen hatte. Yaku meinte, dass er sicher kein Training haben würde und seine Uni-Kurse schwänzenswert genug waren, um den Nachmittag stattdessen mit mir zu verbringen. Also gingen wir in der Stadt essen und verbrachten den Rest des Tages damit, zu Hause auf dem Sofa rumzuliegen und einander friedlich anzuschweigen.

Es kam mir sehr gelegen, dass er nicht zu erwarten schien, dass ich gross redete, denn ich hätte nicht wirklich gewusst, was sagen, ohne ihm beichten zu müssen, dass ich keine Ahnung hatte, von was er da sprach. Oder wo ich war, wieso Ushijima tot war. Ich hatte es versäumt, bei unserem Abstecher in Shinjuku in einem Kiosk nachzusehen.

Die Wohnung, die wir bewohnten, war klein (was hatte ich auch erwartet, das hier war Tokyo), aber sie lag praktisch. In der Nähe war der Bahnhof Meguro. Ich wagte es nicht zu fragen, wie wir sie finanzierten. Oder das Leben ganz allgemein . Allzu schlecht gehen konnte es uns aber nicht. Wir hatten uns ein ordentliches Mittagessen geleistet und die Wohnung war zwar nicht extravagant, aber durchaus geschmackvoll eingerichtet. Wir hatten sogar einen Fernseher. Zwei Studenten die auf das Geld achten mussten schienen wir nicht zu sein.

 

Irgendwann entwickelte sich das gemeinschaftliche auf-dem-Sofa-liegen-und-Filme-gucken in einen Austausch von Zärtlichkeiten, was ich persönlich ganz willkommen hiess. Ich war nach wie vor orientierungslos, hatte einen Geist gesehen, selbst wenn Yaku davon nichts wusste, und aufmerksamkeitsbedürftig war ich ohnehin ständig. Es gab schlimmere Arten, den Abend zu vertreiben, als sich von einem hübschen Jungen mit wirklich netten Oberarmen küssen zu lassen.

Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, aber irgendwann wechselte das K-Drama, das über den Bildschirm des Fernsehers flimmerte. Neue Besatzung, neuer Plot – den ich mir wahrscheinlich trotzdem nicht merken konnte.

Es war irgendwann kurz nachdem sich warme Fingerspitzen unter den Saum meines schwarzen Shirts geschlichen hatten, als die Haustür geöffnet wurde. Ich nahm das Geräusch nur sehr marginal wahr. Schliesslich musste ich mich aufs ordentliche Knutschen konzentrieren. Ich war ausser Übung, aber das sollte mein Freund lieber nicht merken.

„He, Yaku, sag mal– WOAH!“

 

Die Tür fiel mit einem Knall ins Schloss und das war so mein Moment, um sich erneut zu erschrecken. Ich schrie in den Kuss hinein, stiess mich weg und purzelte vom Sofa. Und während ich mir gut vorstellen konnte, dass es zum Zugucken herrlich ausgesehen haben musste, tat mein Hinterkopf wieder weh und ich verfiel in meinen Heulsusen-Modus.

„Alles okay?“, fragte Yaku besorgt und krabbelte zu mir.

„Siehst du doch!“, fuhr ich ihn an und rückte etwas von ihm weg. Dass die Aktion nicht so gut bei ihm angekommen war, sah man beinahe augenblicklich, und ich fühlte, wie ich nervös wurde. Mist. Das war ein schlechter Moment für meine Alltagsmacken. Jetzt würde er mich bestimmt nicht mehr mögen und– okay, nein. Tief durchatmen. Nicht wegen kleiner Dinge in eine Panikattacke verfallen. Damit würde niemandem geholfen sein. Weder mir noch ihm noch Ushijima, dem Geist.

Wieso mir der gerade jetzt einfiel, damit wollte ich mich nicht auseinandersetzen.

 

„Schaut so aus als hätte ich 'nen schlechten Moment erwischt, hm?“ Kuroo klang so, als wäre ihm die Angelegenheit unangenehm, und mir wurde wieder bewusst, dass er auch noch im Raum war. Jetzt war definitiv kein guter Augenblick, um selbstmitleidig zu sein, weil ich umgefallen war.

„Ist schon gut“, murmelte ich und vermied es, Yaku in die Augen zu sehen.

„Was brauchst du eigentlich zu der Zeit von mir?“, fragte mein Freund mit einem verärgerten Unterton und stand auf.

Statt ordentlich zu antworten, gestikulierte Kuroo. „Ich dachte für 'ne Sekunde, du gehst mit 'nem Oberschüler fremd.“

Oberschüler?

Ah. Ich erinnerte mich an das Selfie, das ich einer Freundin vor einer Weile geschickt hatte, und sie mit „du siehst echt wie ein Junge darauf aus!“ geantwortet hatte. Anscheinend war das etwas, das auch für die Version von mir in dieser Welt galt. Schön, wurde mir das so charmant mitgeteilt.

 

„Nö, das bin ich“, bestätigte ich mit einem nervösen Lachen.

Kuroo grinste mich für einen Moment verlegen an, dann kehrte sein Blick zu Yaku zurück, der etwas entrüstet wirkte.

„Können wir bitte wieder zum Punkt kommen, Tetsuro?“ Sein Tonfall war unheilverheissend und anscheinend fasste das auch Kuroo so auf. Es konnte gut an der Verwendung des Vornamens liegen.

„Äh, also. Kenma und ich haben gemerkt, dass wir nichts ausser Instant Ramen in der Küche haben und wollten fragen, ob wir uns etwas Sojasauce borgen dürfen.“

Sah so aus, als wären die beiden unsere Nachbarn. Noch was Neues gelernt. Ich verkniff mir die Frage danach, wie es dazu gekommen war, dass sie nebenan wohnten. Mehr verständnislose Blicke wollte ich definitiv nicht kassieren.

„Und du denkst, das sei sinnvoller als kurz einkaufen zu gehen?“ Yakus Ärger schien zu verfliegen und machte Platz für seine mütterliche Seite. Es war beeindruckend, wie nur schon die gehobenen Augenbrauen dazu führen konnten, dass sich die Stimmung im Raum veränderte.

 

„Wow, Mutter, jetzt krieg dich wieder ein. Es ist fast elf Uhr abends!“

„Ja, aber der Convenience Store an der Ecke hat bis zwei offen.“

Während die zwei Männer sich über die Vor- und Nachteile von spätabendlichen Einkaufstouren unterhielten, befand ich, dass ich definitiv nicht zu schwer verletzt war, um wieder aufzustehen und mich davonzustehlen. Kuroo und Yaku zuzuhören war witzig und, zugegebenermassen, sehr niedlich, aber ich kam mir seltsam fehl am Platz vor.

„Als ob ich gerade gar nicht existieren sollte,“ murmelte ich als ich mit einem Lächeln die Tür zum Bad hinter mir schloss.

 

„Du existierst aber.“

Ich fiel beinah ein zweites Mal um, als ich herumwirbelte und auf den Fliesen ausrutschte. Ein beherzter Griff zur Kloschüssel, bewahrte mich vor einem weiteren Zusammentreffen mit Herrn Boden. Gut so, ich hatte genug von ihm. Genug von Ushijima hatte ich auch, aber der sass trotzdem mit gelangweilter Miene auf dem Rand der Badewanne. Vielleicht war das aber auch einfach sein üblicher Gesichtsausdruck.

„Ja, sieht so aus“, antwortete ich langsam und leise. Wer wusste schon, wie dick die Wände hier waren. Ich ging davon aus, dass Ushijima als Geist nicht für alle hörbar sein sollte, und Yaku den Eindruck zu geben, dass ich nicht ganz okay in der Birne war (oder, sagen wir es so, weniger okay als ich es ohnehin schon war), wollte ich auch nicht. „Und womit verdiene ich deine Anwesenheit, abends spät in meinem Bad?“ Ich hoffte, dass meine Mimik ihm ganz klar sagte, was ich davon hielt.

 

„Ich brauche deine Hilfe.“

Oh. Das war ja einfacher gewesen als ich gedacht hatte.

Ich hob die Augenbrauen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Meine Hilfe.“

„Ja.“

„Dir ist schon bewusst, dass du tot bist und ich dir eigentlich nicht mehr helfen kann, oder?“

Ushijima sah mich unverändert ausdruckslos an. Es war zehnmal unangenehmer, wenn man ihm persönlich gegenüber sass, statt ihn übers Papier anzusehen. „Ich kann nicht ruhen, bevor die Mannschaft die Weltmeisterschaft gewinnt.“

Irgendwie hätte ich es ahnen sollen. Das hier war die Welt eines Shonen Sport Mangas. Natürlich drehte sich alles um den Ball.

„Ich bin …“ Ich versuchte, mich daran zu erinnern, was ich beruflich machte. Nach dem zu urteilen, was ich den Tag über gesehen hatte, konnte ich so gut wie alles sein; Putzfrau, Büroangestellter, Student, Grafiker. „Ich kann das nicht beeinflussen“, korrigierte ich mich.

„Ich weiss. Aber wenn Japan ein gutes Team hat, gewinnen wir den Titel. Nach meinem Tod sind aber einige unserer Spieler ausgetreten, weil sie denken, dass wir keine Chance mehr haben.“

Na, wenn hier mal wer nicht grosse Stücke auf sich hielt.

Nickend griff ich nach meiner Zahnbürste. Sah so aus, als würde das ein längeres Gespräch werden. Da konnte ich mich auch nebenbei um meine Hygiene kümmern.

„Deshalb will ich, dass du das bestmögliche Team für uns findest.“

 

Uns. Niedlich, wie er immer noch die Mehrzahl benutzte – Moment!

Entgeistert spuckte ich den Zahnpastaschaum aus. „Du willst das– Ich?!“ Hoffentlich war mein Zischen nicht zu laut gewesen. Ich sollte mich glücklich schätzen, hatte ich nicht gleich lauthals ausgerufen.

„Das habe ich gerade gesagt, oder?“

„Ich spiele kein Volleyball, Ushijima-san!“

Nach wie vor keine einzige Regung seiner Gesichtsmuskulatur. Genau das war einer der Gründe gewesen, aus denen ich mich nie hatte mit ihm anfreunden können.

„Und ich hab keinerlei Einfluss darüber, wer in den Kader kommt und wer nicht!“

„Dafür hast du ja mich.“

Kein Konjunktiv. Er sah das tatsächlich als beschlossene Sache an.

 

„Ja, genau. Ich geh dann mal morgen zu eurem Coach und sage ihm, dass Ushijima-san ihm ausrichten lässt, dass er doch bitte von nun an auf mich hören soll.“

Ushijima sah mich an als wäre ich nicht mehr ganz dicht. „Dann wird er dich für wahnsinnig halten.“

Oh, schön sah er mein Dilemma ein.

„Genau das meine ich!“

Es klopfte an der Tür.

„Brauchst du noch lange? Ich wollte früh ins Bett, aber wenn du noch etwas brauchst, komm ich mit dir duschen, ja?“

Ich fuhr zusammen und starrte die Tür an als wollte sie mich auffressen. „Dusch du sonst zuerst.“ Mehr als ein klägliches Quaken brachte ich nicht heraus.

 

„Warte auf meine Anweisungen, bevor du irgendetwas unternimmst“, befahl Ushijima hinter mir, doch als ich mich umdrehte, war er weg. Wieder.

Wenn er mit mir zusammenarbeiten wollte, dann würde er sich dieses Verschwinden, bevor ich nachfragen konnte, abgewöhnen müssen.

Yaku betrat das Badzimmer, sein T-Shirt schon zur Hälfte ausgezogen, und ich versuchte, mich vom Starren abzuhalten.

Wir waren beide erwachsen und lebten zusammen. So was war doch normal. Nach aller Logik sollte mich so etwas gar nicht weiter stören.

„Sorry wegen eben“, murmelte ich zerknirscht und spülte den Mund in einem Versuch, mich selbst zur Ordnung zu rufen.

Für eine Sekunde schien Yaku nicht zu wissen, wovon ich sprach, dann lächelte er schwach. „Ist doch okay. Wusste nicht, dass du so sensibel reagierst, das war alles.“

Sensibel reagieren. Recht hatte er, aber ich hörte es trotzdem nicht gerne.

„Jetzt komm, Mi, duschen. Ich dachte, wir wollten früh schlafen gehen.“

Früh schlafen, ich. Ja, klar, dachte ich belustigt. Guter Scherz.

Visite im Katzenkorb

Das Herzrasen kam am frühen Morgen, kurz vor Sonnenaufgang. Es war mehrheitlich ruhig, vom entfernten Heulen von Polizeisirenen mal abgesehen, aber es fühlte sich trotzdem alles erdrückend an. Ich wusste nicht, wann der Tinnitus einsetzte, aber als Yaku wach wurde, hatte ich mich weinend vom Futon gerollt und mich zu einem Ball zusammengekauert. Wie lange er gebraucht hatte, wusste ich nicht. Es war unheimlich leicht, jegliches Zeitgefühl zu vergessen, wenn man nicht aus dem überwältigenden Gefühl der Angst kam.

Was, wenn ich nie mehr nach Hause kam? Ich war schlafen gegangen, wieder aufgewacht und trotzdem immer noch hier. Ich hatte keine Ahnung, was los war, wo ich genau war, was aus meiner Familie und meinen Freunden geworden war. Ich schlief im Bett eines Fremden. Alles, was mir gestern hätte auffallen sollen, prasselte nun auf mein Bewusstsein und ich hatte den Eindruck, mein Brustkorb würde gleich in sich zusammenfallen. Ich dachte, so musste sich sterben anfühlen.

Hätte ich einen kühleren Kopf wahren können, vielleicht hätte ich über meine eigene Dramatik gelacht, aber in dem Augenblick fühlte ich mich, als würde die Welt untergehen.

Yaku kam mit einem Glas Wasser und einer Schmerzmitteltablette zurück. Meine Finger zitterten dermaßen, dass er mir mit dem Öffnen des Päckchens helfen musste und ich schüttete bestimmt die Hälfte des Wassers über mein Shirt, das ich zum Schlafen angezogen hatte. Als ich ausgetrunken hatte, nahm mein Freund mir das Glas wieder weg und bettete meine Hände stattdessen auf seinen.

„Wie spät ist es?“, krächzte ich erbärmlich, als die Schmerzen endlich dumpfer wurden.

„Ich glaub drei“, flüsterte er zurück. Ein Daumen strich über meinen Handrücken.

„Mist. Sorry. Wollte dich nicht wecken.“ Ich zitterte immer noch, aber das Medikament schien auch gegen die Panik selbst zu ziehen — oder vielleicht war es die Anwesenheit eines Menschen, der zu wissen schien, wie man mit mir in einem solchen Moment umging.

„Ist okay.“ Seine Antwort war sanft und er zog mich zu sich, bis er einen Arm um meine Schulter legen und seine Wange auf meinem Kopf betten konnte. „Ich bin etwas erschrocken. Ist eine Weile her, seit so was passiert ist.“

Oh. Gut. Gut, es hätte mir schon vorher auffallen können, dass er sehr gezielt in seiner Hilfestellung gewesen war. Anscheinend hatte ich auch in dieser Welt ganz ähnliche Probleme. „Tut mir leid.“

Yaku lachte. „Herrje, jetzt entschuldig dich doch nicht. Es passiert. Nur weil du Medikamente dagegen hast und in die Therapie gehst, heisst das nicht, dass du auf einen Schlag gesund bist.“ Er küsste mich auf die Stirn. Schien ein Ding zwischen uns Beiden zu sein, die Küsschen auf die Stirn. „Das hattest du mir doch sogar gesagt, bevor wir zusammengezogen sind.“

Ich antwortete nicht. Für eine sehr lange Weile verblieben wir in der Stille, Finger ineinander verschlungen, bis meine Füsse eingeschlafen waren und Yaku über kalte Zehen klagte.

„Ich schlage vor, du machst morgen frei, ja?“, wisperte er, als wir wieder sicher unter der warmen Decke eingekuschelt waren. Bevor ich etwas erwidern konnte, war ich eingeschlafen.
 

· · ·
 

Als ich zum zweiten Mal erwachte, war das Bett leer. Die Stelle neben mir war kühl, das Fenster aufgekippt und die Zimmertür offen. Ich fühlte mich schwer und unendlich müde. Für einige Herzschläge lag ich bloss dort und starrte auf Yakus Kopfkissen, benommen und träge, bis unten auf der Strasse ein Auto hupte. Ich seufzte schwer und nahm das als mein Stichwort, meinen Hintern aus dem Bett zu bewegen. Am Ende würde ich sonst gar nichts auf die Reihe kriegen.

In der Küche stand etwas Reis, Fisch und eine kaltgewordene Misosuppe, daneben lag ein Post-It-Zettel in beinah unleserlicher Handschrift. Sah so aus, als wäre Kalligraphie nicht so das Metier meines Liebsten.
 

Musste los, hab gestern schon blau gemacht. Mach heute langsam, ja? Du hast gesagt, du hast bis zu deiner nächsten Deadline noch etwas Zeit. Schau, dass du etwas rausgehen und Sonnenlicht/Vitamin D tanken kannst. Kenma und Kuroo sind beide gegen drei Uhr nachmittags wieder da. Hab sie gebeten, ein Auge auf dich zu haben.

Magst du uns Abendessen kochen? Wenn nicht schreib 'ne Mail. Ich bring dann was mit.

Kuss und Herz,

Mori.
 

„Definitiv mütterlich veranlagt“, murmelte ich mit einem schwachen Lächeln, bevor ich mich daran machte, die Küche etwas genauer zu erkunden. Wir schienen über das Nötigste (Mikrowelle, Wasserkocher, Herd und Toastofen) zu verfügen und obwohl wir den Abwasch gestern wohl vernachlässigt hatten, davon abgesehen war es ziemlich ordentlich. Das war ja mal was Neues für einen Ort, an dem ich lebte. Normalerweise brachte ich die Unordnung mit mir wie eine Plage. Sah stark danach aus, als hätte Yaku über die Zeit, die wir zusammen verbracht hatten auf mich abgefärbt.

Ich war beim Kühlschrank angekommen, als sich jemand hinter mir räusperte. So langsam schien das zu einer Gewohnheit zu werden und zum Glück für meine Würde hatte ich auch nur ganz kurz einen Schockmoment. Es war keinesfalls angenehm, aber nicht so schrecklich peinlich wie auf dem Friedhof. „Ushijima-san,“ grüsste ich trocken. Der Geist sass auf meinem Platz und sah mich ausdruckslos an, als wäre das hier seine Wohnung.

„Du hast lange geschlafen“, stellte er fest und obwohl er ganz neutral klang, fühlte es sich doch wie ein Vorwurf an.

Ich seufze müde und öffnete den Kühlschrank. Es kam mir sehr gelegen, dass ein Pack Orangensaft in der Tür stand, das so aussah, als wartete es nur darauf, ausgetrunken zu werden.

„Aufregende Nacht?“

„Ich würde dir ja einen Kaffee anbieten, aber erstens tauchst du so unangekündigt hier auf, zweitens geht dich mein Tagesablauf nichts an und drittens glaub ich nicht, dass du als Geist noch Kaffee trinken kannst.“

Ushijima war für einen anstrengenden Moment still. „Ich bin Leistungssportler. Ich trinke keinen Kaffee, genauso wenig wie dein Freund.“

Oh. Mist. Das klang vernünftig, jetzt wo mir das so gesagt wurde.

„Ausserdem stimmt der zweite Punkt nur begrenzt. Solange du mir hilfst, ist dein Tagesablauf von Bedeutung für mich. Also geht er mich was an.“

Ich verdrehte die Augen und liess mich ihm gegenüber am Tisch nieder. Ich war definitiv zu müde dafür. „Wenig Schlaf, ja. Wie kann ich dir helfen?“ Mein Tonfall war sarkastisch, aber das schien vollkommen an meinem Besucher vorbeizugehen.

„Ich will, dass du jemanden begutachtest.“

Wenn ich geglaubt hatte, dass ich für alles gewappnet gewesen wäre, ich wurde erneut eines Besseren belehrt. Ich seufzte und nahm einen Schluck Orangensaft. So viel zu 'sich einen ruhigen Tag machen'. „Und du glaubst, ich sei qualifiziert dazu?“

Mein Kommentar wurde ignoriert, Ushijima fuhr unbeirrt fort. „Als Kapitän der Mannschaft war ich an den Inter High-Spielen dieses Jahr und einer der Aussenangreifer der aktuellen Nekoma High School ist mir dabei sehr positiv aufgefallen. Ich möchte dein Gutachten.“

„Oh, der Prinz möchte ein–“

Moment, Gutachten. Bedeutete das, dass ich ein Urteil abgeben sollte? Nervosität kochte in meinem Bauch auf. Ich war doch Kunststudent, ich war nie im Leben qualifiziert dafür! „Ich soll den Jungen anschauen?“

„Und mir sagen, ob du findest, dass er in die Mannschaft passen würde.“ Ushijima nickte.

„Und du glaubst, ich kann das?!“ Meine Stimme klang panisch und schrill. Lustigerweise antwortete mir nicht mein toter neuer Freund, sondern etwas in mir. Ja, das kann ich, wisperte ich mir aufmunternd zu. Ich verstehe was von Volleyball. Der Gedanke war plötzlich und überraschend.

Ushijima schwieg und beobachtete mich mit einem beunruhigenden Lächeln, das mich fast glauben liess, dass er meine Gedanken lesen konnte. „Ich glaube, die Frage kannst du besser beantworten als ich. Mittagstraining beginnt um viertel nach zwölf. Du solltest dich vorher noch ankündigen. Sag, dass du im Namen von Coach Aoyama unterwegs bist.“
 

Ushijima leistete mir eine Weile lang beim Frühstück Gesellschaft und entschwand dann wohin auch immer Geister gingen, wenn sie nicht gerade die Lebenden belästigten. Ich vertrieb mir die Zeit bis um halb elf damit, die Wohnung genauer unter die Lupe zu nehmen. Gross war sie zwar nicht, aber sie war sauber, hell und bot mehr als genug Platz für Yaku und mich. Eine Ecke im Wohnzimmer war in ein kleines Büro umfunktioniert worden, mitsamt iMac und meinem Cinitiq-Grafiktablett. Ich wusste auf einen Schlag, dass es meines und kein Neues war. Die Washi-Tape-Verzierungen sahen abgeschabt und etwas dreckig aus, aber sie waren dieselben, die auch ich auf die Kabel geklebt hatte. Okay. Ich zeichnete also auch hier.

Der Computer wurde hochgefahren und mit Bangen stellte ich fest, dass ich mein Passwort vielleicht gar nicht kannte. Mit klopfendem Herzen tippte ich das Einzige ein, das mir gerade einfallen wollte; die Abfolge für mein Passwort am Laptop daheim. Eingabe positiv. Mit einem erleichterten Seufzer liess ich mich etwas ins Sitzkissen fallen. Mein Puls raste nach wie vor, aber ich fühlte mich etwas besser. So wie ich mich kannte, würde ich auf meinem Computer wenigstens ein Bisschen Infos über mein Leben hier finden.

Ich öffnete das Mailprogramm und holte während es laden musste meine Handtasche aus dem Schlafzimmer, um mir wieder meine Dokumente und Karten anzusehen. Die Mails verrieten mir, dass ich anscheinend als Freelance-Illustrator tätig war, ein Kalender an der Wand neben dem Bildschirm hatte die Deadlines für meine Arbeiten. Ich versuchte, das Gefühl jemandem nachzuschnüffeln abzuschütteln. Das hier war mein Computer, mein Leben. Ich tat nichts Verbotenes oder Verwerfliches.

In meiner Handtasche fand ich auch eine Agenda mit Moomin-Aufdruck, in der neben arbeitsbezogenen Terminen anscheinend auch private Dinge drinstanden. Tee mit Sayaka, Besuch bei Yaku-san, Kino mit Kuro & Kenma. Gut. So würde ich mich wenigstens nicht damit blamieren, Wichtiges vergessen zu haben. Aus einer Laune heraus griff ich nach einem Kugelschreiber und schrieb unter das heutige Datum Unterwegs für Kuh-kun. Und schwupps, ich fühlte mich schon ein kleines Bisschen heimischer.
 

· · ·
 

Wider Erwarten, fand ich Nekoma High erstaunlich schnell. Ich kannte den Stadtteil Nerima nicht besonders gut, aber er grenzte an Suginami, wo meine Grosstante jahrelang gelebt hatte und die Strassen hatten etwas sehr Vertrautes.

Ich hatte Coach Naois Nummer im Verzeichnis des Haustelefons gefunden und ihn gegen zehn kurzerhand angerufen. Es war ein ziemliches Unterfangen und ich hatte sicherlich erst eine Viertelstunde in der Küche umhergehen müssen, bevor ich mich hatte dazu aufraffen können, einen praktisch fremden Mann bezüglich einer Sache, die mir vollkommen ausserirdisch vorkam, anzurufen, aber der Zeitdruck und Ushijimas Wiederauftauchen gaben mir den notwendigen Tritt in den Hintern.

Der Coach war sehr freundlich gewesen, obwohl ich mir so vorkam, als wäre ich vollkommen sozial inkompetent herübergekommen. Unter dem fadenscheinigen Vorwand, für einen Auftrag für die U-21 Nationalmannschaft Volleyballspieler in Aktion zeichnen zu wollen, hatte ich ihm angekündigt, dass ich gerne das Training sehen würde. Dass ich dafür eigentlich auch bei der eigentlichen Mannschaft hätte zeichnen gehen können, das schien Naoi glücklicherweise zu übergehen. Vielleicht kannten wir uns schon und er machte sich deshalb keine Sorgen, dass ich womöglich eine Perverse sei.

„Kato-san!“

Ich wurde am Eingang zur Turnhalle vom Coach mit einer schnellen Verbeugung und einem Lächeln begrüsst. Ich verbeugte mich hastig zurück und murmelte etwas von tiefster Dankbarkeit, dass er mich zusehen lasse.

„Ah, nicht doch!“ Naoi lachte und klopfte mir sachte auf die Schulter. Entweder war er von Natur aus ein sehr körperlicher Mensch oder, wahrscheinlicher, wir kannten uns tatsächlich auch schon etwas. Was auch immer es war, sein Vertrauen war praktisch und so dreckig ich mich dabei auch fühlte, es auszunutzen, ich machte Verwendung davon. „Wie geht es Yaku-kun?“, fragte er mich beiläufig, während er mich zur Trainerbank geleitete. „Das Team kommt übrigens erst in fünf Minuten, die Jungs sind zum Aufwärmen laufen.“

Ich nickte und gab eine kurz gemurmelte Auskunft, die mich sicherlich nicht besonders eloquent dastehen liess, aber ich war dermaßen nervös, allzu wählerisch sein konnte ich nicht.

„Wow. Mit Leuten reden ging gestern doch noch gut“, kommentierte Ushijima just in diesem Moment, die Augenbrauen anklagend gehoben.

Er stand neben Coach Naoi und am liebsten hätte ich ihm laut geantwortet, dass er doch bitte den Rand halten solle. Beinahe hätte ich es auch getan, nur erinnerte ich mich da, dass ich mich ja in der Öffentlichkeit befand und ohnehin schon nicht ganz dicht in der Birne wirken musste, so wie ich Blickkontakt vermied und vor mich hin nuschelte. Das Letzte, das ich brauchte, war, als vollkommen verrückt abgestempelt zu werden. Also lächelte ich stattdessen so gut wie ich nur konnte und liess mich vom Coach kurz durch die Halle führen, bevor das Team sich einfand und ich einer zehnköpfigen Gruppe Teenager vorgestellt wurde.

Ein besonders vorwitziger Junge fragte lauthals danach, ob ich denn die Freundin des Coaches sei und ich fühlte, wie ich wieder einen halben Herzkasper bekam.

„Nicht doch, nicht doch“, beschwichtigte Naoi mit roten Wangen. „Aber Kato-san steht einem ehemaligen Spieler eures Teams sehr nahe. Strengt euch also an, damit sie Yaku-kun Gutes von euch berichten kann!“

Ich durfte mir ein Fleckchen Bank einrichten, während die anderen mit Anspieltraining beschäftigt waren. In weiser Voraussicht hatte ich neben dem Block Skizzenpapier auch ein kleines Notizheft eingepackt, das ich für Mission Team Weltherrschaft verwenden wollte.

»Welcher von ihnen ist es?«, kritzelte ich eilig auf die erste Seite und schob das Heft gerade so herunter, dass man es von vorn nicht sehen konnte, aber Ushijima einen guten Blick darauf hatte. Mein ‚guter Geist‘ stand hinter mir und obwohl er theoretisch gesehen nicht existieren sollte, war seine Präsenz doch spürbar. Ich schauderte etwas. In echt musste seine Anwesenheit eine Wucht gewesen sein. Woher nahm man so viel Selbstvertrauen?

„Ogawa Riku“, antwortete er knapp und deutete auf einen athletischen Jungen, der als Übernächster anspielen sollte. „Aussenangreifer, 17 Jahre alt, drittes Jahr, 186 Zentimeter. Spielt seit seinem ersten Jahr als Stammspieler.“

Ich notierte mir hastig alle Angaben auf die nächste Seite, damit ich sie nicht vergass. »Wow. Stalker«, antwortete ich Ushijima stumm.

Der Geist bewegte sich so, dass er neben mir auf dem letzten Bisschen Bank sitzen konnte und wieder wurde mir bewusst, dass er sich dafür, dass er eigentlich tot sein sollte sehr real anfühlte. „Ich mache keine halben Sachen.“

»Hab ich gemerkt.«

Ogawa Riku, so stellte sich heraus, war der König der Breitseiten. Aber damit hatte es sich eigentlich auch schon gegessen.

„Wenn er nur Breitseiten schlagen kann, dann brauchen wir ihn nicht. Meine Breitseite war besser und die von Hinata ist es auch.“

Ich nickte abwesend und machte mir eine schnelle Notiz. Nicht besonders flexibel. Daneben kritzelte ich die nächste Frage für Ushijima, »Ist Hinata Angreifer?«

„Nein, er blockt.“

»Wieso nicht?«

„Weiss ich nicht. Der Trainer hat ihn ohne weiteres wieder ins Blocker-Training gesteckt. Er und Tendou funktionieren gut als Team.“

»Wäre er als Angreifer nicht stärker?«

„Er wäre unnötig gewesen, wenn wir beide gespielt hätten. Alles was er kann, kann ich auch. Besser als er.“

Ich verdrehte die Augen. Er mochte ja Recht haben, aber seine Bemerkung klang überheblich. Darauf hatte ich keine Lust. »Dann taugt er also zum Angreifer? Wäre guter Ersatz für dich.«

Ushijima drehte den Kopf und obwohl ich ihn gerade nur aus den Augenwinkeln sah, ich erkannte den Beleidigten-Leberwurst-Ausdruck.

„Niemand ersetzt mich.“

»Du weisst, was ich meine.« Dann malte ich – ganz demonstrativ – eine schöne, unnötige Grafik dazu, wie Hinata von den Blockern zu den Angreifern verschoben werden sollte.

Mein untoter Begleiter schnaubte.
 

· · ·
 

„So, und was ist jetzt dein Plan?“ Ich war keine zwanzig Meter weg vom Schultor, als sich Ushijima mir auch schon fordernd in den Weg stellte.

Ich hätte natürlich weiter laufen können als wäre nichts, schliesslich war er heisse Luft — wortwörtlich und im Übertragenen Sinne — aber nur schon ihn vor mir zu sehen war genug Anlass, um mich anhalten zu lassen. „Mein Plan?“ Ich sah mich hektisch um, um sicher zu gehen, dass mich gerade keiner dabei sah, wie ich mit der Luft redete. „Ich weiss nicht, wie du das siehst, aber ich kenne dein Team nicht richtig. Ich weiss auch nicht, wie ich neue Spieler rekrutieren soll!“

Ushijima sah mich weiterhin unbeirrt an und langsam war mir zum Heulen zumute. Bloss nicht wieder eine Panikattacke. Ich war ausser Haus und mein lieber Geist würde bestimmt auch nicht wissen, wie damit umzugehen war.

„Erstmal musst du tief atmen.“ Ich blinzelte ungläubig, bereit, eine weitere giftige Bemerkung zu machen, aber Ushijima schüttelte den Kopf. „Mach jetzt. Du siehst aus, als würdest du jeden Moment umfallen.“

Also atmete ich tief ein. Und aus. Und nochmals ein.

Mein Begleiter wartete bloss ab und – überraschenderweise und, zugegebenermaßen, auch sehr niedlich – atmete mit mir mit. Ich wollte gerade etwas im Bezug zu seiner unerwarteten therapeutischen Begabung sagen, als jemand an die Schulter fasste.

„He, Alter, bist du okay?“

Ich wirbelte herum und sah geradewegs in das besorgte Gesicht eines Jungen in seinen späten Teeniejahren.

Er trug die Uniform der Nekoma High und wirkte skeptisch.

„Alles Bestens“, versicherte ich ihm mit einem Lächeln.

„Neu in der Gegend, hm?“, erkundigte er sich und liess mich los. „Ist schon okay. Ich, Horikita Atsumu, bin für dich da!“

Ich hatte gedacht, so Gestalten wie dieser Horikita existieren nur in Anime und Manga. Vielleicht lag es auch daran, dass ich in einem Manga war, aber der Typ machte es sich ganz schnell zu seinem neuen Job, mich zum Bahnhof zu begleiten.

Ushijima, der gemächlich neben uns herlief warf meiner neuen Bekanntschaft einen Blick zu, der ganz klar ‚was ist denn das für einer‘ sagte. Jeder Pieps den Horikita tat, wurde von ihm kommentiert und wenn ich nicht wüsste, dass ihm jeglicher Sinn für Sarkasmus fehlte, ich hätte echt gedacht, dass er versuchte, mich zum Lachen zu bringen.

„Du musst echt aufpassen, was du trägst! Du hast so'n Milchgesicht, wenn du dich so anziehst denkt am Ende ein Perverser, dass du 'n Mädel bist!“

„Ja, so einer wie du“, lautete Ushijimas Urteil und er sah meine helfende Elfe von oben herab an als wäre er ein hoffnungsloser Fall.

Ich war derweil damit beschäftigt zu verarbeiten, dass der arme Kloss tatsächlich glaubte, dass ich ein Junge war.

„Bis die Tage also! Geh schnell nach Hause, nicht dass du dich wieder verläufst und heulen musst!“

Und dann hatte sich die Sache erledigt. Ich war, ehrlich gesagt, mehr als baff und überlegte für einen Augenblick, ob ich Horikita hinterherrufen sollte, dass ich kein Typ war, beliess es aber dann dabei. „Das war mal 'ne Nummer“, seufzte ich, eher an mich selbst gerichtet.

„Kannst du laut sagen“, stimmte mir Ushijima mit ernstem Gesicht zu.

Und obwohl ich von Fremden umgeben war, musste ich lachen.
 

· · ·
 

Der Wolkenbruch kam, als ich in Ikebukuro umsteigen musste. Als der Zug der Seibu-Ikebukuro-Linie in den Bahnhof eingefahren war, hatte der Himmel bereits bedrohlich dunkel ausgesehen, doch als ich in der Yamanote-Linie heimwärts sass, schüttete es wie aus Kübeln. Ich stellte beunruhigt fest, dass ich in meiner Tasche keinen Schirm hatte und überlegte, ob ich vielleicht nicht eine Chance dazu hätte, den Regen am Bahnhof abzuwarten. Der Zug war zu dieser Zeit gerade noch leer genug, dass ich gut einen Sitzplatz gefunden hatte und so über Notizbüchlein mit Ushijima kommunizieren konnte, der sich mit aller Selbstverständlichkeit neben mich gesetzt hatte.

»Ich frage Yaku daheim, ob ihm andere Spieler einfallen, die vielleicht was für die Mannschaft wären«, schlug ich vor.

„Kannst du machen, wird aber wahrscheinlich nicht viel bringen. Vom Team wissen alle etwa so viel wie ich“, kam die Antwort. „Du nennst deinen Freund bei seinem Nachnamen?“

»Geht dich nichts an. Aber denkst du nicht, dass dort der beste Ansatz zum Anfangen wäre?«

„Nein. Man hat mir gesagt, dass du besser Bescheid wissen würdest.“

Oh. Jetzt wurde ich hellhörig. Man war immer sehr mysteriös. Und klar, ich wusste besser Bescheid, weil ich Haikyuu las. Aber das konnte er doch nicht wissen, oder? »Wie meinst du das denn?«

Der Zug hielt in Takadanobaba und just als Ushijima davor stand, mir eine Antwort zu geben (obwohl, ich hätte wohl nicht mit etwas Brauchbarem rechnen müssen), stand Kuroo vor mir. „Yo, Micchi.“

Ich winkte und war froh, hatte er einen grossen Schirm unter den Arm geklemmt. Ich war gerettet. „Kuroo-kun“, grüsste ich ihn mit deutlicher Erleichterung. „Was machst du denn hier?“

Ich bekam keine direkte Antwort, nur ein kokettes Zwinkern. Und dann liess er sich ohne zu fackeln auf Ushijimas Sitz fallen. Der Geist zerpuffte und ich sah förmlich, wie all die Antworten auf meine Fragen sich in Luft auflösten.

„Du warst alleine unterwegs?“ Kuroos Tonfall war überrascht und ich verdrehte die Augen.

Ich war ja bei Gott kein Vampir, der sich nur in der Nacht aus dem Haus traute. Also, hoffte ich, auf jeden Fall. „War meine Grosstante besuchen“, log ich und beobachtete mit Genugtuung, wie mir Glauben geschenkt wurde.

„Oha! Wusste gar nicht, dass du auch Verwandtschaft in der Gegend hast!“ Er lächelte und sah mich aus dem Augenwinkel an. „Ich hätte ja gedacht, so gut wie du dich mit Eriko-san verstehst, warst du sicher sie besuchen.“

Ich legte verwirrt den Kopf schief.

„Du weisst schon. Yakkuns Mutter.“

Der Spitzname, den er so selbstverständlich und ohne weiter nachzudenken für Yaku verwendete, liess mich schmunzeln. „Heute nicht“, meinte ich betont ruhig, um auch ja den Anschein zu erwecken dass ich wusste, dass Mama Yaku mit Vornamen Eriko hiess.

Während ich noch über das nachdachte, fiel Kuroos Blick auf meine Notizen zu Ogawa, die aufgeschlagen auf meinem Schoss lagen, mein Druckbleistift wie ein Lesezeichen zwischen den Seiten. „Oha. Du recherchierst für die U-21?“

Ich zuckte zusammen und nickte. Hoffentlich sah ich nicht extra schuldbewusst aus. „Ja, Y- Morisuke-kun meinte, aktuell fehlen ihnen einige Spieler im Kader.“

Dieses Mal war klar, dass meine Erklärung nicht alles sagen konnte und ich erkannte Skepsis in Kuroos Gesicht. Zeit, um das Thema etwas abzulenken.

„Sag, Kuroo-kun, könnte ich dich nicht zum Spielen überreden?“

Ich erntete ein trockenes Lachen. „Mich? Nee. Ich spiel schon seit zwei Jahren nicht mehr. Hat dir Yakkun nie was davon erzählt?“

„Schon, aber nicht viel. Er plaudert nicht gerne über anderer Leute Angelegenheiten“, schätzte ich.

Anscheinend kaufte er mir den Grund für meine Frage ab. Er seufzte. „Klingt nach ihm.“ Ein trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Ich studier‘ Medizin, Micchi. Ich hab keine Zeit mehr für Volleyball.“

Sein Tonfall klang trotz all seiner Mühe so, als wäre da weitaus mehr dahinter als nur keine Zeit, aber ich nahm die Antwort mit einem stillen Nicken hin. Wenn er mir davon erzählen wollte, dann würde er das. Wenn nicht, dann sollte ich wahrscheinlich nicht weiter nachhaken.

„Ausserdem; Kenma zum Mitbewohner zu haben ist so, als hätte man frühzeitig ein Kind bekommen. Einen Teenager. Er kommt alleine zurecht, aber es ist mir trotzdem wohler, wenn ich Zeit für ihn hab. Alleine geht er nicht gerne aus dem Haus, so Zeug. Da seid ihr beiden euch doch ähnlich.“ Kuroo zuckte mit den Schultern und warf einen prüfenden Blick aus dem Zugfenster. Begrüsst wurde er nur von unerbittlichem Regen.

„Aber wenn du einen guten Blocker suchst, frag mal Inuoka an. Inuoka Sou. Hat auch für Nekoma gespielt, studiert jetzt aber an der Keiô. Bio, glaub ich.“

Ich hob eine beeindruckte Augenbraue. Es war nicht die kaiserliche Uni von Tokyo, aber die Keiô-Universität setzte trotzdem gute Noten voraus. Da hatte sich wer gemacht.

„Ich kann dir seine Nummer geben, wenn du magst. Er ist ein freundliches Kerlchen.“

Ich musste mir einen Kommentar darüber verkneifen, dass ich sehr wohl wusste, dass Inuoka ein netter Mensch war. Wenn der Haikyuu-Manga nur ansatzweise ein Richtwert war, dann sollte er ein Zuckerstück sein. „Vielen Dank, Kuroo-kun. Ich weiss deine Hilfe zu schätzen.“
 

Als wir zurückkehrten, sass Kenma am Küchentisch. Yaku war damit beschäftigt, Misosuppe zu machen und im Hintergrund lief ein Spice Girls-Song.

"Kenma?" Kuroo klang müde aber nicht minder erstaunt.

Sein Mitbewohner sah von seinem DS auf und ich beobachtete mit etwas Neid, wie er Fire Emblem Fates spielte. Sauerei. Das Spiel würde daheim in etwas weniger als einem Jahr verfügbar sein. Vielleicht liess mich Kenma ja auch mal probieren.

„Wir haben nichts Essbares", erklärte er und drückte nervös auf dem A-Knopf herum.

„Das stimmt nicht! Ich hab gestern gekocht!" Kuroo blies die Backen auf und ich verkniff mir ein Lachen. Er sah verdächtig nach einem Kugelfisch aus.

„Eben. Nichts Essbares."

„Du hast dich echt nicht verändert, hm?“ Yaku klang sowohl belustigt als auch der Verzweiflung nahe. „Ich dachte, ich mach uns Curry zum Abendesse–“

„AUF GAR KEINEN FALL.“ Kuroos Protest war so laut, dass wir anderen Anwesenden für einen Augenblick beinahe an der Decke klebten. Wow. Das nannte ich mal leidenschaftlich. „Finger weg vom Curry, Yakkun! Sonst pupsen wir morgen alle Blut!“

Kenma seufzte und beschloss, dass das Spiel mehr Aufmerksamkeit bedurfte als diese Unterhaltung. Yaku stemmte die Hände in die Hüften. „Das was du Curry nennst, ist mehr Dessert als sonst was. Kann ja keiner essen.“

Oh. Die uralte Curry-Debatte. Ich stellte mit Zufriedenheit fest, dass ich absolut wusste, wovon die beiden hier sprachen. Ich feierte das Kapitel über Kuroos und Yakus gemeinsame Vergangenheit an der Nekoma High nach wie vor, hatte aber irgendwie gar nicht damit gerechnet, dass manche Dinge noch sechs Jahre später diskutiert wurden.

„Micchi! Sag deinem Freund dass er die Finger vom Curry lassen soll, sonst hast du danach ja keine Zunge zum Küssen!“
 

Das Abendessen verlief entgegen meiner Erwartungen überraschend ruhig. Yaku und Kuroo kabbelten zwar immer noch über Curry und irgendwann kam es so weit, dass ich vor Lachen meinen Schluck Soda über den Tisch spuckte, aber davon abgesehen passierten mir auch keine wirklichen Patzer.

Kuroo langte über den halben Tisch hinweg, um mir das Haar zu zerstrubbeln während ich mir den Mund mit einer Serviette putzte. „Du und Kenma, ihr seid wie niedliche Kätzchen.“

Ich rümpfte über den Kommentar die Nase, Kenma tat es mir gleich.

„Ich bin nicht niedlich“, protestierte er genervt.

„Und ich kein Kätzchen“, fügte ich an.

Yaku versuchte, sein Lachen als Husten zu verkleiden. „Ganz wie ihr meint.“

„Ich hab Bock auf Final Fantasy zocken“, verkündete Kuroo sehr zusammenhangslos.

Sein bester Freund seufzte. „Du darfst das Spiel ausborgen, wenn du es drüben in der Wohnung holst“, meinte er und ich drehte mich erstaunt auf meinem Stuhl um, um einen Blick zum Fernseher im Wohnzimmer zu werfen. So eine offene Küche war doch ziemlich cool.

„Kann man denn so was bei uns überhaupt spielen?“ Meine Aufmerksamkeit wanderte zurück zu Yaku, der mit den Schultern zuckte.

„Glaub schon. Oder, Kenma?“

„Ihr habt 'ne Wii. Echoes of Time oder Crystal Bearers sollte also funktionieren.“ Ich erntete vorwurfsvoll hochgezogene Augenbrauen, die mir den Eindruck vermittelten, dass ich hier gerade einen Game Geek-Pakt gebrochen hatte.

Mit einem entschuldigenden Lächeln nahm ich einen Schluck Wasser. Sah so aus, als wären unsere Pläne für den Abend ziemlich klar.
 

Oder sagen wir es so: wäre alles planmässig verlaufen, wäre unser Abendprogramm klar gewesen.

Keine Minute nachdem ich damit angefangen hatte, Yaku beim Geschirrabwasch zu helfen klingelte es nämlich an der Tür Sturm.

Yaku stöhnte resigniert, anscheinend bereits sicher, wer da zu Besuch kam. „Ich hatte ihm gesagt, er soll bis acht warten“, beschwerte er sich und wischte die Hände am Geschirrtuch trocken.

Lass ihn bloss warten“, murrte Kenma, aber die Klingel wurde trotzdem weiter missbraucht und ich wollte langsam nur noch, dass es aufhörte.

Ich verkniff mir eine müde Frage danach, wer das denn sei, denn wie es schien waren sich alle hier schon gewohnt, dass so Dinge passierten. Am besten tat ich auch so, als hätte ich die volle Ahnung, die ich natürlich nicht hatte. Die Frage erledigte sich ohnehin sehr schnell, als die Tür geöffnet wurde und ich jemanden „Yaku-san!“ rufen hörte. Mein Freund fluchte und es folgte ein Schmerzenslaut. Wenn das nicht unverkennbar war.

Haiba Lev war für unsere Wohnung fast schon etwas zu gross. Er nahm im Alleingang fast das gesamte Sofa ein und ich begnügte mich damit, neben Kenma auf dem Boden zu sitzen und ihm beim Zocken zuzusehen, während Lev versuchte, ein Gespräch mit ihm zu führen. Kenma schien nicht wirklich interessiert und stierte lieber hochkonzentriert auf die Karte eines Schlachtfelds im Spiel, aber wenn das halb-russische Kätzchen für was bekannt war, dann für seine Beharrlichkeit.

„Kenma-san! Lass mich auch mal probieren!“ Anscheinend war das gerade Levs neuster Ansatz dazu, mit seinem ehemaligen Senpai sozial interagieren zu wollen.

Vielleicht hätte es bei Kuroo funktioniert, doch so wie die Dinge standen wählte Kenma vor Schreck die falsche Option und sah etwas ungläubig dabei zu, wie eine seiner stärksten Kampfeinheiten ihren jämmerlichen Tod fand. Mit einem Seufzen klappte er seinen DS zu. „Nein.“

„Aber–“

„Lev, weisst du eigentlich, was 'leise' bedeutet?“ Yakus Tonfall war missbilligend und der Schlag auf den Hinterkopf, den unser Besuch erntete sah definitiv unangenehm aus.

Ich konnte mich nicht ganz dazu durchringen, Mitleid mit Lev zu empfinden. Nach dem halben Tag auswärts hatte ich dringend Ruhe und etwas Abgeschiedenheit nötig, die man sich mit ihm in der Bude sonst wohin stecken konnte.

Während Lev beteuerte dass er eine sozial akzeptable Lautstärke in Person war, beugte sich Kuroo vor und seufzte. „Wird wohl ein langer Abend“, meinte er und ich nickte hoffnungslos. Sah schwer danach aus.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Aufgaben für das erste Kapitel:

— Deine Reise in die Welt des Volleyball beginnt mit dem Ausrutschen auf einer Plastiktüte
— Du erwachst in der gemeinsamen Wohnung von dir und deinem Freund
— Gehe auf die Beerdigung von Ushijima. Dort begegnest du ihm zum ersten Mal.
Er wird sich leider dazu entschließen mit dir das Beste Team ever aufzustellen. Aber immerhin hast du so fachliche Unterstützung.
— Beginne deine Kapitel mit dem Buchstaben A
— Ende mit dem Buchstaben Z
— Lasse dein OTP in einer peinlichen Stimmung aufeinander treffen
— Deute ein anderes OTP an - eventuell auch in einer interessanten Krise. Immerhin darfst du das alles richten :P

· · ·

Meine Antwort auf Ushijimas "du bist klein" stammt nicht aus meiner eigenen Feder, ich zitiere da nur Mara Wilsons Tweet (x), den ich sehr amüsant und passend für die Situation fand.
Angedeutet, wie im letzten Punkt verlangt, wurde leider nur sehr schwach — findet wer das zweite OTP?

EDIT — nachgebessert, um Punkt "A & Z" zu erfüllen! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Aufgaben dieses Kapitel:

Ushiwaka hat einen Plan, ein Ziel. Und du musst leider kooperieren, weil er dich sonst wahrscheinlich bis an dein Lebensende verfolgt. Du erfährst, dass Ushiwaka von einem talentierten Schüler erfahren hat und dass er sich diesen gerne anschauen würde. Also wirst du von ihm [s]als Junge verkleidet[/s]* an die Nekoma geschickt. Leider ist der junge eine Enttäuschung. Auf dem Heimweg bist du heftig am Diskutieren und läufst Kuroo in die Arme. In eurer Unterhaltung fallen Hinweise, auf das einstige Existieren deines OTP. Ob du diese jetzt oder erst in einem späteren Kapitel bemerkst, ist dir überlassen.

*geändert; Bedingung war, dass ich allerdings mit einem Jungen verwechselt werden muss.

— Baue die folgenden Worte ein: Prinz, Final Fantasy, Soda, Wolkenbruch, Sonnenaufgang (nicht unbedingt in der Reihenfolge)
— Lass Lev bei dir zu Hause auftauchen und Kenma und Yaku nerven
— Überlege dir, wer alles in deinem derzeitigen Kader sein soll. (Du hast insgesamt 13-15 Plätze frei)
--> da die Aufgabe überlege war, habe ich es mir vorbehalten, noch nicht alle meine Wahlen auch schon zu erwähnen ;P Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  Kim_Seokjin
2016-06-23T16:18:55+00:00 23.06.2016 18:18
So, endlich habe ich Ruhe um das Kapitel zu kommentieren.
Zu aller erst, finde ich es toll, dass du die weiteren Charaktere und auch Spitznamen von Kuh-kun aufgenommen hast. :3

Ich finde es sehr gut, dass im zweiten Kapitel darauf eingegangen wird dass du nicht so einfach mit dieser neuen Situation umgehen kannst. Auch wenn ich eine Panikattacke natürlich alles Andere als gut ist. Es ist toll umgesetzt, wie du im Ushi-kun kommunizierst und wie du dich gegen ihn zur Wehr setzt. Und dann hast du es auch noch geschafft, dass ich ihn sympathisch finde - shame on you! Nein, Scherz beiseite. Es ist toll, wie er dir hilft und sich über diesen schrägen Schüler lustig macht. Bis jetzt wollte ich ihm ja mit einem Kochlöffel oder Nudelholz jagen. <3
Kuroo <3 Erst freu ich mich, dass er da ist und dann trauere ich schon, dass er nicht mehr spielt! ;_; Aber er kümmert sich um Kenma, der das auch dringend benötigt und Inouka. Ich freu mich schon auf ihn. :3
Die Curry-Debatte ist herzallerliebst, allgemein mag ich es, wie das Zusammenleben bei euch abläuft. :'3
Und dann kommt Lev.....
Von:  Jeon_Jungkook
2016-06-08T16:15:53+00:00 08.06.2016 18:15
Ich habe das Kapitel so geliebt.
Wieder einmal. =D
Ich liebe einfach deinen Schreibstil und was du aus meinen Vorgaben so machst! Nun bin ich gespannt,was du das nächste Mal zauberst!
Von:  Kim_Seokjin
2016-05-29T13:55:31+00:00 29.05.2016 15:55
Herrlich! Ich bin ja erst seit Kurzem dem Fandom verfallen, aber diese Geschichte ist wirklich sehr, sehr witzig und süß. Ich kann sehr gut verstehen, wie so ganz normale Dinge, eben nicht normal sind.
<3
Ist das angedeutete OTP Kenma und Kuuro?

Ich freue mich auf das nächste Kapitel. :3
Von:  Jeon_Jungkook
2016-04-03T21:16:33+00:00 03.04.2016 23:16
cptuzfguögulvgulvgul...
ich bin verliebt 😍
Es hat so viel Spaß gemacht das Chapter zu lesen und du hast deine Aufgaben auch zu 99% erledigt. Aber das ist okay. Weil das Chapter inhaltlich einfach perfekt war. 
 
 I wanna be you, sitting next to Oikawa 
 
weiter so meine herzallerliebste Dienerin ❤️


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