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Dann ändert sich alles

Chelsea&Vaughn
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo an meine treuen Leser!

An dieser Stelle möchte ich kurz bekannt geben, dass das nächste Kapitel bereits in der Bearbeitung ist. Ich hoffe, dass ich es auch bald hochladen kann.

Ansonsten noch, viel Spaß beim Lesen und ein großes Dankeschön für die letzten (teilweise ersten) Kommentare!

Gruß, jane-pride Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi!

Mit Erschrecken musste ich feststellen, dass es schon länger her ist, als ich das letzte Kapitel online gestellt habe.
Dennoch habe ich nebenbei weiter geschrieben und nun folgt auch endlich ein weiteres Kapitel dieser Fanfic, die ich endlich zum Abschluss bringen möchte. Bis dahin kommen aber noch einige Kapitel.
Also, wer noch mit dabei sein will, ist jederzeit willkommen.

Viel Spaß mit dem neuen Kapitel!
Eure jane Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Weil heute Ostern ist!

Viel Spaß beim Lesen und frohe Ostertage!

Eure, jane Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi!
Ich hoffe ihr hattet schöne Feiertage gehabt. Außerdem werde ich mich wieder an ein wöchentliches Intervall versuchen und jeden Freitag ein neues Kapitel einstellen. Über die Hälfte ist bereits geschafft, aber es fehlen noch einige Kapitel und es wird noch Vieles passieren.
Viel Spaß und gute Unterhaltung beim Lesen!
eure, jane Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi!

Ich bin mir absolut sicher, dass der ein oder andere Leser diese Fanfiction bis zum Ende verfolgt hat oder noch tun wird.
Nun ist auch der zweite Teil mit diesem Kapitel abgeschlossen. Derzeit arbeite ich bereits an einem dritten Teil, womit die Trilogie letztendlich abgeschlossen sein wird. Allerdings werde ich diese erst dann anfangen online zu stellen, wenn ich die Story zum Ende gebracht haben, damit nicht wieder so eine lange Pause zwischen den einzelnen Kapitel entstehen wird.
Im Moment kann ich nicht sagen, wann es soweit sein wird. Auf jeden Fall nicht in nächster Zeit, aber garantiert noch im Sommer.

Bis dahin vielleicht und viel Spaß mit dem letzten Kapitel! Und ich hoffe, dass euch meine Fanfic bis hierher gefallen hat.
Eure, jane-pride Komplett anzeigen

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Der Winter naht heran

Kapitel 1: Der Winter naht heran

Auf der Sonnenschein-Insel rüsteten sich sämtliche Inselbewohner für den kommenden Winter. Die Tage wurden kürzer und somit eher dunkel und die Temperaturen fielen, sodass die lange Kleidung aus den Schränken hervorgekramt werden musste.

Kinder freuten sich auf den ersten Schnee, für den es allerdings noch zu früh war, worüber viele Erwachsene noch froh waren. Dadurch hatten sie noch genügend Zeit eventuelle Reparaturen vorzunehmen, die an Zäunen, Häusern oder Tiergehegen fällig waren. Außerdem musste alles frostdicht verkleidet werden, damit keine bösen Überraschungen im Frühjahr auftauchen konnten.

 

Der junge Farmer, Mark, war seit den frühen Morgenstunden damit beschäftigt, jedes Feld mit einer Folie abzudichten, um die jungen Pflanzen vor den kommenden Frost zu schützen. Dasselbe war auch in den zwei Tunneln fällig, in denen bereits die ersten Stiefmütterchen gepflanzt wurden. Natürlich waren sie noch sehr jung und es würde noch einige Wochen dauern bis diese in voller Blüte standen. Im Großen und Ganzen war Mark sehr stolz auf sich und seine kleine Schwester Chelsea. Die Planung fürs kommende Jahr ging bis jetzt voll auf. Er war froh darüber, dass in der nächsten Zeit wenige Felder bewässert werden mussten. Das raubte einem immer viel Zeit am Tag. Jetzt würde einzig und allein das neue kleine Gewächshaus auf Wasser bestehen.

 

In der letzten Saison hatten er und Chelsea mit ihrer Feldarbeit einen guten Gewinn gemacht, weswegen sie beschlossen hatten, ein Gewächshaus anzubauen. Vaughn war für diese Entwicklung mit verantwortlich.

Der Freund seiner Schwester war fast jeden Tag auf der Farm gewesen, um in erster Linie Zeit mit Chelsea zu verbringen, aber er hatte dennoch nicht gezögert, kräftig bei jeder anfallenden Arbeit mit anzupacken, obwohl er noch seiner Arbeit bei Mirabelle in ihrem Tierladen nachging.

 

Weiterhin kam auch Nathalie oft zu Besuch. Marks Arbeit nahm ihn sehr in Anspruch, weswegen er wenig Zeit hatte, häufiger ins Dorf zu gehen und seine Freundin zu besuchen. Meistens war sie auch nicht sauer auf ihn, weil sie ihn verstehen konnte. Trotzdem konnte sie Verärgerung über mangelnde Aufmerksamkeit von seiner Seite aus kaum verbergen. Das junge Paar hoffte, dass sie die fehlende Zeit in den nächsten Wochen nachholen konnten. Denn schließlich gab auch das Lichterfest einen willkommenen Anlass um einen romantischen Abend zu zweit zu verbringen. Allerdings würde es noch einige Wochen dauern bis es soweit war.

 

Die Geschwister spannten gerade die letzte Folie über das Feld nahe ihrer Haustür, als Nathalie und Elliot angelaufen kamen. Beide waren außer Atem, als sie vor den zweien zum Stehen kamen. Wobei Elliot sofort auf seine Knie sank und seine Schwester Mark freudig um den Hals fiel.

 

„Hoppla! Nicht so stürmisch, Liebling! Was ist denn los? Ihr seid beide ziemlich aufgeregt.“, fragte der junge Farmer lachend nach und strich seiner Freundin eine pinke Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Wir haben tolle Neuigkeiten.“, sprudelte Nathalie gleich darauf los und musterte ihren älteren Bruder mit gerunzelter Stirn, weil er immer noch auf dem Boden hockte. Chelsea war soeben vor ihn  getreten und bot hilfsbereit ihre Hand an.

„Jetzt steh schon auf, Bruder. Was soll Julia davon halten, wenn sie dich so kraftlos am Boden sehen würde?“

„Ich…bin…gleich…soweit.“, keuchte Elliot und nahm dankend Chelseas ausgestreckte Hand an.

 

„Was ist denn der Grund, dass ihr einen Sprint zu uns gemacht habt? Außerdem weißt du doch, dass du schneller als dein Bruder bist.“, redete Chelsea und wandte sich zu ihrer Freundin.

„Er soll sich mal nicht so anstellen.“, erwiderte Nathalie gehässig und drehte sich mit sichtlich weicheren Gesichtszügen zu ihrem Freund um. Ihren Bruder hatte sie auf der Stelle wieder vergessen.

 

„Neue Leute wollen sich auf der Insel niederlassen. Mein Großvater weiß noch nichts genaueres, außer dass es sehr vornehme und wohl reiche Leute sein sollen. Ihr habt doch bestimmt mitbekommen, dass weiter abseits vom Dorf neue Häuser gebaut wurden?“

„Klar. Einmal war ich dran vorbeigefahren und Chelsea hatte ein paar Mal davon berichtet.“, antwortete Mark  und nickte Bestätigung suchend zu seiner Schwester.

„Das stimmt. Sogar Julia hatte vor kurzem erwähnt, dass wahrscheinlich neue Leute auf die Insel ziehen werden.“

 

„Heute Morgen kam ein Brief an unseren Großvater…“, fing Elliot an zu erzählen, doch Nathalies Mundwerk war mal wieder schneller.

„In dem wurde angekündigt, dass sie nächste Woche eintreffen werden. Opa soll sie am Hafen empfangen und wurde darum gebeten sie zu ihrem Anwesen zu führen.“

„Nathalie, es ist nicht nett, wenn du deinen Bruder unterbrichst.“

„Was hast du gesagt, Mark?“

„Nichts. Gar nichts.“

Entschuldigend suchte er Elliots Blick, der mit einem Seufzen zu verstehen gab, dass er seine kleine Schwester nur all zu gut kannte. Sogar Chelsea verdrehte leicht ihre Augen. Nathalie war in manchen Dingen einfach unbelehrbar.

 

„Elliot, hast du vor zu Julia zu gehen? Wenn du ein wenig warten möchtest, können wir zusammen gehen. Ich bin nämlich gleich mit Vaughn verabredet und wollte mich sofort auf den Weg machen.“

„K-Klar. Kein Problem, Chelsea. Ich warte hier.“ Der tollpatschige Elliot wurde immer leicht verlegen, wenn man den Namen seiner Freundin aussprach. Es schien für ihn ein unbeschreibliches Wunder zu sein, dass sich so eine tolle Frau wie Julia für ihn interessierte.

„Ist gut. Ich werde mich auch beeilen.“ Mit diesen Worten eilte die Brünette ins Haus, um sich schnell umzuziehen.

 

„Seid ihr für heute mit der Arbeit fertig?“, fragte Nathalie hoffnungsvoll ihren Freund, weil sie gerne wieder etwas mehr Zeit mit ihm verbringen wollte.

„Gestern wurde aus unserer Verabredung schließlich nichts, weil ihr mit eurem Pferd auf den Tierarzt warten musstest. Hat sich denn alles geklärt?“

„Ja, Gott sei Dank. Es hat sich einen Huf verknackst und darf erstmal nicht ausgeritten werden. Es tut mir auch Leid, Nathalie. Das war nicht geplant.“

„Ist schon gut. Wir können es ja jetzt nachholen, oder?“

„Ich muss nur noch einen wichtigen Anruf erledigen, der wird aber nicht lange dauern. Danach werde ich nur noch Augen für dich haben, einverstanden?“

Gerötet schloss Nathalie für einen Moment ihre Augen. Elliot war so aufmerksam und entfernte sich wenige Schritte von dem verliebten Paar, damit sie ungestört ihre Gefühle füreinander ausdrücken konnten.

 

Nachdem beide ins Haus gegangen waren, kam auch Chelsea wieder, sodass er und sie gemeinsam zu ihren jeweiligen Partnern aufbrechen konnten.

 

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Ausnahmsweise herrschte in Mirabelles Tierladen reger Betrieb. Die Besitzerin und ihre Angestellten hatten alle Hände voll zu tun und freuten sich über jede Minute Verschnaufpause, in der sie tief Luft holen konnten. Der junge Mann, Vaughn, hielt sich wenig im Laden mit den Kunden auf, aber da er kräftig und stark war, musste er pausenlos Kisten und Futtersäcke schleppen. Für die wirklich schweren Sachen nutzte er eine Schubkarre oder auch einen fahrbaren Lastenaufzug, je nachdem was praktischer war.

Aufgrund der vielen Arbeit, die kein Ende nehmen wollte, verdrängte er die Verabredung mit seiner Freundin. Sie fiel ihm erst dann wieder ein, als ein Blick auf die Uhr ihm verriet, dass Chelsea in knapp zehn Minuten bei ihm sein wollte, um ihn abzuholen.

 

Nachdem er die letzte Kiste geschleppt hatte und zurück zu Mirabelle und Julia in den Laden trat, verkündete seine Chefin, dass sie für heute Feierabend machen konnten. Ein erleichterter Seufzer wurde von allen Anwesenden geteilt. Über diese Erleichterung waren sie so dankbar, dass sie erschrocken ihre Köpfe hoben, als wieder die Ladenklingel ertönte und Julia schon davonlaufen wollte. Doch dann entdeckte sie Elliot und ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

 

„Himmel sei Dank, ihr seid es.“, verkündete Julia laut und ging ihrem Freund die wenigen Meter entgegen.

„Ihr habt so erschrocken ausgesehen. Wen habt ihr denn erwartet?“, fragte der junge Mann neugierig und schloss seine Geliebte in seine Arme.

„Weitere besserwisserische Kunden, die mit nichts zufrieden sind.“

„Kopf hoch, Julia. Wir haben den Tag erfolgreich hinter uns gebracht. Ruht euch aus und macht euch noch einen schönen Abend.“

Mit diesen Worten zog sich Mirabelle in die Hinterzimmer zurück.

 

„Vaughn, bist du auch fertig? Wollen wir dann aufbrechen?“, hakte sich Chelsea bei ihrem Freund unter, wobei sie es gekonnt ignorierte, dass er nach Schweiß roch.

„Einen Moment, ja? Ich gehe vorher noch unter die Dusche. Wartest du hier auf mich?“ Vaughn war es vor der Brünetten unangenehm, dass er in seiner verschwitzten Arbeitskleidung vor ihr stand und sie so freundlich tat, nichts darüber zu sagen.

„Aber natürlich. Lass dir Zeit.“

Damit eilte auch Vaughn davon, hauchte vorher seiner Freundin aber noch einen Kuss auf die Stirn.

 

„Euer Tag war wohl ziemlich anstrengend?“, fragte Elliot in diesem Moment und Chelsea gesellte sich kurz zu ihnen.

„Ja, es war stressig.“, seufzte Julia und lehnte sich erschöpft an den Verkaufstresen. „Dabei fing der Tag ruhig an. In den ersten zwei Stunden war kaum was los, außer die Tiere in ihren Gehegen zu versorgen. Doch dann kam ein Käufer nach dem anderen vom Festland. Ich sage euch, so schnell brauche ich das nicht wieder.“

„Man merkt, dass es auf den Winter zugeht. Jeder will gut vorbereitet sein, sobald die Kälte einsetzt.“, erwiderte Chelsea und stellte sich neben ihre Freundin.

„Das ist auch in Ordnung, aber müssen die dann immer alle gleichzeitig auftauchen und uns die Bude einrennen?“, beklagte sich die junge Frau weiterhin und sehnte sich nach ihrem flauschigen Bett.

 

„Kopf hoch, Julia.“, wiederholte Elliot die Worte ihrer Mutter. „Ihr habt sehr gute Arbeit geleistet und als Team funktioniert ihr alle wunderbar. Ihr könnt stolz auf euch sein.“

„Ach, Elliot.“ Glücklich schmiegte sich Julia an seine Brust. „Weißt du eigentlich, dass du immer die passenden Worte zur richtigen Zeit findest?“

„Nun, w-wenn du d-das sagst.“

„Mein lieber Elliot. Ich finde es süß, wenn du vor Verlegenheit stotterst.“

 

Elliot lief an wie eine überreife Tomate und Chelsea erkannte, das sie jetzt nur fehl am Platz war und wartete vor dem Laden auf Vaughn. Es dauerte auch nicht mehr lange und er erschien hinter ihr und legte ihr zugleich einen Arm um die Schulter.

„Entschuldige, dass du warten musstest.“

„Schon gut. Bloß, drinnen turtelten Julia und Elliot wieder rum, als wäre sonst niemand mit im Raum. Das wollte ich ihnen nicht antun und auch noch zuhören.“

„Ich weiß, was du meinst. Als ich eben runter kam und wieder durch den Laden bin, waren sie so eng umschlungen, dass sie nicht einmal bemerkt haben, dass ich an ihnen vorbei ging.“

 

Beide kicherten über das verliebte Verhalten ihrer Freunde und unternahmen einen Spaziergang zum einzigen Brunnen im Zentrum des Dorfes. Die Sonne ging bereits unter, aber davon ließen sie sich nicht beirren. Es war ein schöner Anblick, der sich ihnen dadurch am Himmel bot und ganz nah beieinander sitzend tauschten sie sich über den heutigen Tag aus.

 

„Ach, bevor ich es vergesse. Ich habe dir Reisbällchen gemacht. Nach der harten Arbeit hast du gewiss Hunger.“, freudig hielt Chelsea ihrem Freund ihre selbstgemachten Reisbällchen entgegen.

„Oh! Vielen Dank, Chelsea. Du weißt immer, was mir fehlt.“

„Keine Ursache. Ich hoffe, dass sie dir schmecken werden.“

„Bestimmt.“

 

Beherzt biss Vaughn ins erste Bällchen. Seinen Hunger hatte er kaum noch wahrgenommen, doch jetzt, wo er etwas aß, kehrte dieser wieder mit einem Schlag zurück.

„Fantastisch.“, verkündete Vaughn zwischen zwei Happen und Chelsea musste über dessen Appetit lachen. Er sah auch einfach zu gut aus, wenn er wie ein Kind mit leuchtenden Augen ihr Essen genoss. In diesem Moment spürte sie wieder, wie verliebt sie in Vaughn war und sie sich wünschte ihn jeden Tag bekochen zu können.

 

„Du hast bestimmt schon mitbekommen, dass neue Bewohner auf die Insel ziehen wollen.“, fing Chelsea ein neues Gespräch an, nachdem Vaughn seine Finger abgeleckt hatte.

„Ja. Gestern Morgen bin ich an dem neuen Anwesen vorbeigekommen. Zwei beeindruckende Villen sind dort entstanden.“

„Eine richtige Villa? Und dann auch gleich zwei? Du meine Güte, die Neuen müssen ein Vermögen besitzen.“

„Sieht ganz danach aus.“

„Ich bin gespannt, wie sie wohl sein werden. Es wäre schön neue Freunde zu finden.“

 

„Du schließt gerne neue Bekanntschaften, nicht wahr?“, hakte Vaughn nach und musste sich gerade daran erinnern, wie Chelsea nicht locker gelassen hatte, ihn zu einen ihrer Freunde zu machen. Das sie beide im Anschluss ein Paar wurden, hätte keiner von ihnen  für möglich gehalten. Zumindest am Anfang nicht. Im Nachhinein, wenn er sich zurück erinnerte, wie es sich zwischen ihnen entwickelt hatte, würde er nichts mehr daran ändern wollen. Fast nichts. Den Streit im Wald hätte er ruhig vermeiden können.

 

„Ja, aber mach dir keine Sorgen. Du wirst bei mir an erster Stelle stehen.“, neckte die junge Frau ihren Freund und hakte sich bei ihm unter.

„Dasselbe gilt für mich mit dir.“, entgegnete Vaughn und streichelte Chelsea übers weiche braune Haar. „Außerdem würde ich es niemals erlauben, dass du mir weggenommen wirst.“

„Das wird garantiert nicht passieren.“ Ernst schaute die Brünette ihrem Freund in die Augen.

„Wir gehören zusammen, Vaughn. Daran wird sich, hoffe ich, nichts ändern.“

 

Ein langer inniger Kuss folgte.

 

„Das wird sich auch nicht, Chelsea. Das verspreche ich dir.“

Eine reiche Familie

Kapitel 2: Eine reiche Familie

 

 

Ein luxuriöses Schiff lief am Hafen der Sonnenschein-Insel ein. Solch einen vornehmen Dampfer hatten die Inselbewohner zuvor noch nie gesehen. Die einzige Fähre, die regelmäßig am einzigen Hafen ein- und auslief, war ein simples Handels- bzw. Passagierschiff mit dem man zwischen Festland und Insel hin und her wechseln konnte, um Einkäufe zu erledigen oder Verwandte zu besuchen.

Deshalb war ein Schiff, das in all seinen Formen anders aussah, eine Sensation auf der eher ruhigen Insel. Gebannt verfolgten die Schaulustigen, darunter Julia, Lana und Chelsea, wie dieses tolle Schiff im Hafen halt machte.

 

Die Familie vom Bürgermeister, Taro, hatte sich in der vordersten Reihe eingefunden, um die neuen Inselbewohner als erste auf der Insel willkommen zu heißen und sie zu ihrem neuen Anwesen zu führen.

 

„Wie sie wohl sein werden?“, überlegte Julia laut. „Hoffentlich sind es nette Leute.“

„Bestimmt, Julia.“, antwortete Chelsea neben ihr und nickte ihr aufmunternd zu.

„Sie müssen eine Menge Kohle haben, wenn sie sich gleich zwei prachtvolle Villen leisten konnten.“

„Vielleicht sind es auch zwei Familien und für jede Familie eine Villa.“

„Schon möglich. Ich hoffe nur, dass sie nicht so überheblich uns gegenüber tun werden, weil sie glauben etwas Besseres zu sein, aufgrund ihres Reichtums.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen.“, lachte Chelsea und zeigte hinüber zu Lana, die vor lauter Staunen ihren Mund nicht mehr schließen konnte.

 

„Schau dir mal unsere Lana an. Sie ist ein berühmter Popstar drüben auf dem Kontinent. Hast du jemals erlebt, dass sie mit ihrem Vermögen oder Starsein angegeben hat? Mit ihrem kindischen Verhalten kostet sie uns manches Mal unzählige Nerven. Ihr Haus ist auch nicht zu verachten. Als das gebaut wurde, dachte ich damals schon, dass es ein solch riesiges Haus gar nicht geben kann und dann nur für eine Person. Jetzt haben wir zusätzlich zwei fulminante Villen auf unsere Insel bekommen. Ich sag dir, ich würde sie zu gerne mal von innen sehen.“

„Ich auch. Was das angeht, bin ich extrem neugierig. Elliot und ich haben uns gestern noch zusammen ausgemalt, wie wohl deren Einrichtung aussehen mag. Es wird bestimmt alles vom Feinsten sein und unsere leichtgläubigen Vorstellungen noch bei weitem übertreffen.“

 

„Hey, Mädels, seht!“, unterbrach Lana ihre Freundinnen aufgeregt. „Jetzt kommen sie an Land. Schaut!“

 

Tatsächlich erschien in diesem Augenblick an der Reling des Schiffes ein älterer Herr mit dunklen Haaren und Schnauzbart und einem schicken schwarzen Anzug. Sein Teint war ziemlich blass, dass man den Eindruck gewann, dass er nur sehr wenig Zeit draußen an der frischen Luft verbrachte und eher ein typischer Stubenhocker war.

Neben ihm erschien ein junges Mädchen, das ebenfalls tiefschwarze Haare besaß, die mit einer violetten Schleife zusammengebunden waren. Des Weiteren trug sie ein runde Brille und ein passendes lilafarbenes Kleid zu ihrer Schleife. Auch sie wirkte sehr blass. Allem Anschein nach, war sie die Tochter des nebenstehenden Herrn.

 

Beide gingen voran über die Treppe des Schiffes, die soeben zum Pier runtergelassen wurden war und Taro begrüßte die vornehmen Leute herzlich.

 

Hinter ihnen tauchten noch zwei weitere Personen auf. Einer von ihnen war ein attraktiver gut aussehender junger Mann mit goldblonden Haaren, die im Wind locker um seinen Kopf wehten. Er trug eine weiße Hose und einen weißen Blazer und dazu ein hellblaues Hemd. Seine Schuhe waren ebenfalls weiß. Die Farbwahl brachte seine goldene Haarpracht erst richtig zur Geltung und wer vorne in der ersten Reihe stand, konnte erkennen, dass er hellblaue Augen hatte, die wie Diamanten im Licht funkelten.

An der Treppe hielt er einer jungen schönen Frau seinen Arm entgegen, die hinter ihm  aufgetaucht war. Von der Frau konnte man wenig erkennen, da sie ihr Gesicht hinter einem roten Schleier versteckt hielt. Das einzige, was man von ihr bewundern konnte, waren ihre extrem langen schlanken Beine, die unter einem engen kurzen Rock sehr gut betont wurden und in aufwendig verzierten Schuhen steckten. Ihre Bewegungen waren graziös und elegant.

 

Viele junge Männer, die ihren Weg zum Strand gefunden hatten, verliebten sich auf der Stelle bei diesem Anblick und auch etliche junge Mädchen seufzten, aufgrund des jungen Herren, der der jungen Frau galant an Land half.

 

„Ach du meine Güte.“, stöhnte Julia. „Die fahren ja voll auf. Hoffentlich passiert Elliot kein Missgeschick vor diesen Leuten. Schau, Chelsea! Jetzt muss mein Elliot einen riesen Koffer entgegen nehmen. Wenn das mal gut geht.“

Julia hatte mit ihrer unguten Vorahnung recht behalten. Kaum hatte Elliot den Koffer auch nur berührt, verlor er sein Gleichgewicht und landete wenig elegant auf seinen vier Buchstaben. Zum Glück viel der Koffer nicht auch noch ins Meer, da er ziemlich nahe am Rand des Gewässers gestanden hatte. Man sah, wie seine Schwester vor Scham rot anlief. Zu allem Überfluss half der junge Mann Elliot wieder auf die Beine und wechselte mit ihm ein paar Worte.

 

„Sieh mal! Der blonde Typ scheint ganz nett zu sein, wenn er Elliot wieder auf die Beine geholfen hat. Taro und die anderen sehen weniger begeistert über sein Aktion aus.“ Mitleidig beobachtete Julia ihren Freund und wäre am liebsten sofort zu ihm rüber gelaufen, aber sie wollte ihn nicht noch mehr blamieren, in dem sie seine Hand hielt.

„Mach dir nicht so viele Gedanken, Julia.“, munterte die Brünette sie wieder auf. „Elliot ist stark. So leicht gibt er sich nicht geschlagen. Er wird seine Aufgabe bis zum Ende durchführen, egal wie viele Missgeschicke ihm noch passieren werden.“

„Du hast recht. Darum bewundere und liebe ich ihn auch so sehr.“

 

„Na, ihr Hübschen! Was läuft hier so Spektakuläres?“

Der Fischer, Denny, war von hinten an die drei Mädchen getreten und beobachtete nun wie die anderen, wer an Land gekommen war.

„Denny!“, quiekte Lana vergnügt und klammerte sich augenblicklich an Dennys linken Arm. „Von wo kommst du her? Ich habe dich den ganzen Morgen schon gesucht.“

„Ich war drüben an der Bergmine.“, antwortete er.

 

„An der Bergmine? Wieso denn das?“, hakte Julia nach und musterte den jungen Fischer neugierig. „Willst du unter die Bergarbeiter gehen?“

„Haha! Nein. Chen erzählte mir gestern, als ich in seinem Laden war, um neue Köder zu kaufen, dass aufwändige Arbeiten an der alten Mine vorgenommen wurden. Es sieht so aus, als ob dort wieder Erdmaterialien gefördert werden sollen.“

„Echt? Nur wer will sich die Mühe machen? Zwar heißt es, dass die Mine in früheren Zeiten reichlich Gold und Silber zu Tage befördert hatte, aber das ist schon sehr lange her.“, sprach Chelsea und verfolgte wie die neuen Herrschaften von Taro zu ihrem zu Hause geleitet wurden.

 

„Ob die neuen damit etwas zu tun haben?“

„Das kann schon sein.“, antwortete Julia und machte sich auf dem Weg zum Tierladen. „Ich muss jetzt auch wieder zurück und meiner Mutter im Laden helfen. Ich habe ihr versprochen, dass ich sofort zurück gehe, wenn die neuen Bewohner den Strand verlassen haben.“

„Ich muss auch wieder los. Noch einkaufen und dann auf die Farm zurück.“

 

Lana blieb zufrieden bei Denny eingehakt. Damit verabschiedeten sich die Freunde, um ihren jeweiligen Pflichten nachzugehen.

 

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Regis, der Hausherr in der neuen Villa, bedankte sich mit einem knappen Nicken für Taros Hilfe und die seiner Familie, obwohl er Elliot so abfällig musterte, als wäre seine bloße Existenz eine Beleidigung in seinen Augen. Einen solch unbegabten jungen Mann hatte er noch nie zuvor gesehen oder erlebt.

Er erteilte seiner Tochter, Sabrina, und Will und Lilly, die er vor kurzem unter seine Obhut genommen hatte, Anweisungen, dass sie rasch ihre Sachen in ihre Zimmer bringen und sich fürs Mittagessen umziehen sollten.

 

Auf der ersten Etage angekommen, löste Lilly ihren Schleier und brachte somit ihre schwarze Haarpracht, die zu einer aufwendigen Hochsteckfrisur gestaltet wurden, zum Vorschein.

 

„Warum hast du den Schleier nicht schon am Hafen abgenommen?“, fragte ihr Cousin Will, der das arrogante Verhalten seiner Kusine nicht billigte. „Das war sehr unhöflich von dir gewesen.“

„Wieso unhöflich?“, flötete die atemberaubende Schönheit, die im Gehen angefangen hatte, ihr Make-up zu kontrollieren. „Peinlich war schließlich dein Verhalten, lieber Cousin. Warum hast du diesem Tollpatsch wieder auf die Beine geholfen?“

 

„Ich fand das sehr nett von ihm.“

„War doch klar, dass du alles, was mein Cousin tut, gut finden wirst.“, fauchte Lilly Sabrina an, die einen guten Kopf kleiner als sie war. Aufgrund ihres vorwurfvollen Tonfalls zuckte diese ertappt zusammen und wandte ihren Blick von ihr ab.

„Jetzt sei nicht so gemein, Lilly.“, mischte sich Will wieder ein und legte Sabrina begütigend eine Hand auf ihre Schulter. Aufgrund dieser plötzlichen Berührung von dem jungen Mann errötete das zierliche Mädchen leicht und verschränkte ihre Hände, die sie eingehender musterte.

 

„Hmpf! Es kann mir doch egal sein, was die anderen über mich denken.“, fuhr die junge Frau fort und steuerte ihr neues Zimmer an. „Ich hoffe, dass mein Gepäck bereits auf dem Zimmer ist und ein großer Spiegel im Raum steht, damit ich mich begutachten kann, ob meine Haut irgendeinen Kratzer von dieser langen Reise davon getragen hat.“

Mit einem lauten Knall warf sie die große Tür hinter sich ins Schloss.

„Nimm dir ihre Worte nicht zu Herzen.“, redete Will auf Sabrina ein und lächelte ihr freundlich zu. „Du kennst meine Kusine. Im Grunde genommen, ist sie ein liebevoller Mensch, die es nur ungern zugeben will.“

„Ich weiß, Will. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. Ich muss mich fürs Essen fertig machen, damit Vater nicht so lange auf uns warten muss.“

 

Einige Sekunden lang blickte der junge Mann ihr nach. Seine Kusine und er waren mit Sabrina zusammen aufgewaschen. Ihre Familien hatten im selben reichen Viertel drüben auf dem Kontinent gewohnt, weswegen sie Nachbarn waren und somit viel zusammen unternommen hatten.

Im letzten Sommer hatten seine Eltern einen schweren Verkehrsunfall gehabt, von dem sie sich erst noch erholen mussten. Inzwischen konnten sie aus dem Krankenhaus entlassen werden und ihre Rehamaßnahmen antreten. Er hoffte, dass sie sich gut erholen würden und keine bleibenden Schäden behielten.

Es war gut für sie beide gewesen, dass Regis sogleich zur Stelle war und sich seiner und Lillys angenommen hatte.

 

Lilly hatte es noch schwerer als er. Ihre Eltern hatte sie kaum gekannt. Als Kind wurde sie bereits sehr früh bei Wills Eltern untergebracht. Seine Mutter war die Schwester von ihrer Mutter gewesen. Dies hatte den Grund, damit Lillys Eltern ungestört um die Welt reisen konnten, ohne sich noch um ein nerviges Kind kümmern zu müssen.

Kein Wunder, dass sie oft so barsch und gehässig anderen gegenüber war. Sie hatte nie gelernt, was es heißt gemocht oder geliebt zu werden und eine intakte Familie zu haben.

 

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Auf der Starrysky-Ranch saßen Mark, Nathalie, Chelsea und Vaughn zusammen im Wohnzimmer, tranken eine warme Tasse Tee und unterhielten sich über das Gesprächsthema Nummer 1: die neuen Inselbewohner.

 

„Jetzt erzähl uns schon, Nathalie. Du hast in der ersten Reihe neben deinem Bruder gestanden, was für einen Eindruck hast du von den neuen bekommen?“, kam Chelsea gleich auf das Thema zu sprechen und nahm einem Schluck von ihrem grünen Tee.

„Neugierig, wie immer.“, neckte Vaughn seine Freundin und grinste ihr verstohlen zu.

„Mach dich nicht über mich lustig. Ihr seid doch genauso neugierig, oder etwa nicht?“

„Natürlich sind wir das. Bloß haben wir es damit nicht so eilig wie du.“, entgegnete ihr Bruder und zwinkerte Vaughn verschwörerisch zu.

 

„Du nicht auch noch, Mark.“, ärgerte sich Chelsea und zog eine beleidigte Schnute.

„Sei jetzt nicht beleidigt.“, flüsterte Vaughn ihr zu und legte einen Arm um ihre Schulter. „Wir meinen es doch nicht böse.“

„Trotzdem müsst ihr nicht immer gemeinsam auf mir rumhacken.“, erwiderte Chelsea und löste sich aus Vaughns Umarmung.

„Das tun wir doch nicht.“, rief Mark und wurde nun von seiner Freundin unterbrochen.

 

„Soll ich jetzt anfangen zu erzählen oder geht es hier noch weiter um Chelsea?“

„Nein. Fang ruhig an, mein Liebling.“, besänftigte der blonde Farmer seine Freundin, die schnell gereizt wurde, wenn man sie lange warten ließ. Auch Vaughn und Chelsea legten ihren kleinen Streit bei und richteten ihre volle Aufmerksamkeit auf Nathalie.

Nachdem sich die pinkhaarige vergewissert hatte, dass sämtliche Augen auf sie gerichtet waren, fing sie an zu berichten.

 

„So viel gibt es gar nicht zu erzählen.“, begann sie und führte ihre Tasse zum Mund. „Sie machen alle einen sehr feinen und vornehmen Eindruck. Sehr wortkarg, außer der junge Mann in dem weißen Anzug. Will heißt er. Die junge Frau mit dem Schleier ist seine Kusine Lilly, aber ihr Gesicht habe ich nicht zu sehen bekommen. Das andere Mädchen heißt Sabrina, die unscheinbare mit der Brille. Der ältere Herr ist ihr Vater Regis.

Die drei sind ungefähr in unserem Alter würde ich sagen. Doch über meinen Bruder waren sie nicht erfreut. Besonders Regis hatte ihn so verachtend angesehen.“

 

„Ich habe beobachtet, wie er mit dem Koffer fast ins Meer gefallen war. Hat es denn noch mehr solcher Ausrutscher gegeben?“

„Leider ja.“, seufzte Nathalie und lehnte sich auf dem Sofa zurück. „Mein Bruder ist wirklich ein hoffnungsloser Fall. Zu Hause hat ihn unser Opa rüde angefahren. Ein solch tollpatschiges Benehmen hätte vor diesen Leuten nicht sein müssen. Unsere Mutter wollte ihn in Schutz nehmen, aber Opa hatte sie nicht zu Wort kommen lassen. So kenne ich meinen Opa gar nicht, dass er mal so ausflippt und das nur wegen dieser Leute, die sich sowieso für etwas Besseres halten.“

 

„Armer Elliot. Er hat es wirklich nicht leicht.“

„Stimmt.“, nickte Mark seiner Schwester zu und auch Vaughn stimmte dem so.

„Wisst ihr,“, setzte Nathalie ihre Erzählung fort. „Mein Bruder hat mir richtig leid getan, dabei weiß ich, dass er sich große Mühe gibt, den Anforderungen unseres Großvaters gerecht zu werden. Das er nun mal zwei linke Füße hat, tja.“

„Solch netten Worte aus deinem Mund zu hören. Sind schon äußerst selten.“, sagte Vaughn und blickte das junge Mädchen erstaunt an. „Das du dir Sorgen um deinen Bruder machst, hätte ich nicht gedacht.“

 

„Selbstverständlich sorge ich mich um meinen Bruder.“, herrschte Nathalie den weißhaarigen Mann an. „Nur weil wir uns oft streiten, heißt es noch lange nicht, dass ich ihn nicht mag.“

„Beruhige dich wieder, Nathalie. Vaughn hat es nicht so gemeint. Natürlich wissen wir, dass du deinen Bruder gern hast.“

 

Mark hatte es geschafft seine Freundin wieder zu besänftigen. Niemand verbesserte sie, dass die Streitereien mit ihrem Bruder häufig von ihr ausgingen, denn sie wussten, dass Nathalie ungern ihre Gefühle offen zeigte. Mit Ausnahme vor Mark, und selbst das geschah relativ selten.

Verwöhntes Mädchen trifft aufs Inselleben

Kapitel 3: Verwöhntes Mädchen trifft aufs Inselleben

 

 

Verflucht! Wie war es überhaupt soweit gekommen, dass ich mich zu so einem Schwachsinn habe überreden lassen?

Lily hatte nach einer hitzigen Auseinandersetzung mit ihrem Cousin seinen Vorschlag angenommen und einen Spaziergang unternommen. Inzwischen wohnten sie nun seit einer Woche auf dieser abgelegenen Insel. Für die vornehme junge Dame war es nach wie vor die reinste Folter. Auf dieser gottverlassenen Insel gab es nichts, was im Entferntesten mit Vergnügungen und Spaß zu tun haben könnte. Alles war so schlicht, hässlich und kahl. Überall gab es Bäume und die Tiere lebten hier in freier Wildbahn. Ein Graus für das Großstadtmädchen, das bisher den besten Komfort gewohnt war.

 

Sie musste zugeben, dass die Villa sehr imposant geworden war. Ihrem Rang und Namen auf jeden Fall würdig. Zusätzlich protzte das zweite Gebäude, das eine reine Schwimmhalle war, vor Reichtum und prahlte in ihrem erhabenen Glanz. Lily schwor sich, dass niemals ein Außenstehender diese heiligen Hallen betreten durfte. Die primitiven Inselbewohner waren dem einfach nicht würdig genug.

Genau darum war es in ihrem Streit mit Will gegangen.

 

Leider teilte er nicht ihre Ansichten und hatte vorgeschlagen einige Gäste zu ihnen einzuladen, um ihre Nachbarn auf direkter Ebene zu begrüßen. Für Lily kam das absolut nicht in Frage. Sie konnte nicht verstehen, was ihr Cousin an diesen einfachen Leuten fand, die alleine schon in anderer Kleidung als sie herum liefen und sogar Gartenarbeit oder dergleichen betrieben. Eine grauenhafte Vorstellung.

Noch dazu, kamen täglich mehrere neugierige Inselbewohner vorbei und erhaschten einen eingehenden Blick auf die Villen und Neuankömmlinge, als wären sie irgendeine Zirkusattraktion oder Ähnliches. Ein solches Benehmen fand Lily indiskutabel und verdiente es erst recht nicht, wenn man diese Leute auch noch zu sich einladen würde.

 

Sabrina war natürlich für den Vorschlag von Will gewesen, was Lily keineswegs überrascht hatte. Sogar ein blinder mit Krückstock konnte sehen, dass dieses Mauerblümchen bis über beide Ohren in ihren Cousin verknallt war. Demnach konnte sich Lily jegliche Unterstützung von dem einfältigen Mädchen abschreiben. Das wäre auch zu schön gewesen.

Doch Lily erkannte, dass sie sich wohl oder übel, um jedes Problem alleine kümmern musste. In ihrer Rage hatte sie Will nur zugestimmt einen Spaziergang zu machen, um wieder einen klareren Kopf zu bekommen und in der Hoffnung noch vor ihrem Cousin auf Regis zu stoßen, der am Ende dem Vorschlag von Will zustimmen musste. Das wollte sie unter allen Umständen verhindern. Koste es, was es wolle!

Wären nur ihre Füße nicht, die inzwischen angefangen hatten entsetzlich in ihren hochhackigen Schuhen zu schmerzen.

 

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Im dichten Wald nahe der Mine waren Mark und Vaughn dabei Holz zu hacken und auf ihren Pferdeanhänger zu laden. Währenddessen versorgte Chelsea ihr Pferd Shadow und schaute den jungen Männern bei der Arbeit zu. Eigentlich war sie mit Lana verabredet gewesen, doch diese hatte kurzfristig abgesagt, und da Chelsea keine große Lust gehabt hatte, alleine zu Hause zu bleiben, hatte sie sich entschlossen, die Jungs zu begleiten. Dies hatte auch den Vorteil, dass sie mit Vaughn zusammen sein konnte. Außerdem sah sie ihm unwahrscheinlich gerne bei der Arbeit zu. Sein konzentrierter Anblick verursachte bei ihr jedes Mal weiche Knie, dass sie sich unweigerlich fragen musste, wie man bloß so verdammt gut aussehen konnte?

Sie war so vertieft in ihrer Schwärmerei über ihren Freund, dass sie die wiederholten Rufe ihres Bruders nicht mitbekam. Erst, als er direkt neben ihr stand und sie brüderlich auf ihrem Kopf tätschelte, kehrte sie wieder in die Gegenwart zurück.

 

„Klopf, klopf! Jemand zu Hause? Mein liebes Schwesterchen, ich weiß, dass dein Freund bei körperlicher Arbeit einen hervorragenden Anblick abgibt, aber es wäre doch sehr freundlich, wenn du mich darüber nicht vergessen würdest. Ich habe nämlich Durst und dich die ganze Zeit darum gebeten, mir etwas zu Trinken entgegen zu bringen.“, neckte Mark seine kleine Schwester, die vor Scham prompt rot anlief. Selbstverständlich hatte Vaughn, Marks Worte mitbekommen, immerhin stand er, nur wenige Schritte von ihnen entfernt und musste innerlich darüber grinsen.

 

„Wie? Mark, du du…ach du Idiot!“

Es war Chelsea so peinlich, dass ihr Bruder so etwas vor ihrem Freund laut ausgesprochen hatte, dass sie hinter einem großen Baumstamm ihr Gesicht in ihren Händen verbarg.

„Ach, Chelsea, das war doch nur Spaß.“, lachte der Farmer auf und wollte sich bei seiner Schwester entschuldigen gehen, als Vaughn an ihm vorbei ging und auf Chelsea zu steuerte. Diskret zog sich Mark zurück und schnappte sich wieder seine Axt.

 

„Chelsea? Chelsea, sieh mich bitte an.“, forderte Vaughn seine Freundin auf, die allerdings vehement ihren Kopf schüttelte und weiterhin ihr Gesicht in ihren Händen versteckte.

„Chelsea, ich finde es nicht schlimm, wenn du mich so genau bei der Arbeit beobachtest. Im Gegenteil, ich freue mich sogar darüber, dass ich dir so gut gefalle.“

„Trotzdem! Das hätte mein Bruder nicht so laut sagen müssen. Es ist mir peinlich genug.“

„Aber warum denn?“, wollte Vaughn von ihr wissen und versuchte die Hände von ihrem Gesicht zu entfernen, was ihm allerdings nicht gelang und ihr unnötig wehtun wollte er schon gar nicht.

„Chelsea, was ist los? Weinst du etwa?“

 

„Nein.“, stieß die junge Frau hervor und warf sich ihrem Freund in die Arme, um nun an seiner starken Brust ihr gerötetes Gesicht zu verbergen. „Ich muss nicht weinen, es ist nur, das…“

„Ja, was ist es Chelsea?“

„Weißt du, ich…ich weiß auch nicht so genau. Es ist mir eben peinlich, wenn du solche Sachen mitkriegst.“

„Darüber musst du dir aber keine Sorgen machen, Chelsea. Wie schon gesagt, ich finde es schön und freue mich so etwas zu hören. Denn ich habe teilweise den Eindruck, dass ich dir nicht gut genug sein kann, weswegen ich mich natürlich doppelt darüber freue, wenn ich so etwas zu Ohren kriege.“

 

„Wie?“, erstaunt hob Chelsea ihren Kopf und blickte ihrem Freund direkt in die Augen. „Wie kommst du auf so einen absurden Gedanken, dass du mir nicht gut genug bist?“

„Nun ja.“, verlegen räusperte sich Vaughn. Eigentlich wollte er nicht darauf hinaus, sondern seine Freundin lediglich trösten und ihr versichern, dass alles in Ordnung ist. Das sie jetzt über ihn sprachen, passte ihm normalerweise nicht in den Kram. Doch nun, wo die Worte einmal raus waren, gab es für ihn kein Zurück mehr.

 

Um sicher zu gehen, dass Mark nichts von ihrem innigen Gespräch mit kriegen würde, entfernte er sich mit Chelsea sicherheitshalber noch ein paar Schritte von dem Anhänger und schaute seiner Freundin verliebt in die Augen.

„Weil ich dich so sehr liebe, dass ich Angst habe, wenn ich irgendetwas falsch mache oder sage, dass du mich dann nicht mehr attraktiv und anziehend finden wirst. Kurzum, dass du mich nicht mehr bei dir haben willst.“

„Aber Vaughn, wie kannst du nur so etwas denken? Ein Leben ohne dich, kann ich mir doch gar nicht mehr vorstellen. Das ist unmöglich.“

 

Erneut lief Chelsea an wie eine überreife Tomate und senkte wieder ihren Blick. „Weißt du, Vaughn, von all den Menschen, die mir bisher begegnet sind, bist du der wichtigste für mich. Durch dich erlebe ich Gefühle und tue Sachen, die ich vorher nie für möglich gehalten habe. Manchmal stehe ich sogar über einer Stunde oder länger vor meinem Kleiderschrank und überlege, was ich anziehen soll, damit ich dir auch sehr gefalle. Denn ich…ich will schön neben dir aussehen…“ Die letzten Worte hatte Chelsea nur noch geflüstert. Trotzdem hatte Vaughn sie verstanden und zog seine Freundin noch enger an sich heran.

„Chelsea...“

 

Ihre Lippen trafen sich wie selbstverständlich und bekundeten ihre tiefen Gefühle füreinander. Es war ein Kuss, der alle bisherigen davor in den Schatten stellte. Chelsea fühlte sich wie auf sanften Wolken und hatte das unbeschreibliche Gefühl jeden Moment den Boden unter ihren Füßen verlieren zu müssen. Und Vaughn konnte gar nicht genug von seiner Chelsea kriegen, die so unwahrscheinlich gut roch und sich sanft an ihm schmiegte. Er glaubte in Ohnmacht fallen müssen, so berauscht war er von ihr.

 

„Was hältst du davon, wenn wir wieder einen Abend zu zweit verbringen? Nur wir beide, ganz alleine?“, fragte Vaughn ein wenig außer Atem, nachdem sie den wundervollen Kuss beenden mussten.

„Ja, das wäre sehr schön.“

„Und Chelsea?“

„Ja?“

Zärtlich hauchte er ihr einen Kuss auf die linke Wange und flüsterte nur für sie bestimmt ins Ohr: „Du bist die unfassbar schönste Frau, die ich kenne. Egal, was du anhast.“

 

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Okay. Was zu viel ist, ist eben zu viel! Nach stundenlangem umherirren, musste sich Lily im Stillen eingestehen, dass sie sich verlaufen hatte. Sie konnte weder sagen, wo sie sich gerade befand, noch wohin die abzweigenden Wege führen sollten. Das einzige, was sie mit Sicherheit sagen konnte, war, dass sie sich in einem Wald befand und ihr zunehmend kälter wurde. Der Tag neigte sich allmählich dem Ende entgegen, sogar die Sonne war kaum noch zu sehen.

Ihr blieb keine andere Wahl. Da ihre Füße immer noch schmerzten, sodass sie sie kaum noch spüren konnte, setzte sich Lily auf einen großen Stein und hoffte, dass irgendjemand vorbeikommen und sie finden würde. Vielleicht hatten bereits Will und Sabrina angefangen sich wegen ihres langen Fernbleibens Sorgen zu machen und waren mittlerweile auf der Suche nach ihr. Immerhin kannten die zwei sie nur all zu gut, dass sie es normalerweise niemals lange außer Haus aushielt, sofern es nicht mit Shoppen zu tun hatte. Hier auf dem Eiland gab es eben nichts, wo man ausgiebig Shoppen konnte. Ein Jammer für die rückständische Zivilisation.

 

Lilys Körper begann zu zittern. Ihr langer Mantel hüllte sie zwar von Kopf bis Fuß ein, aber ohne baldige Bewegung würde sie vermutlich noch erfrieren und sich eine Erkältung oder Schlimmeres einfangen. Als ob sie es geahnt hätte, musste sie in diesem Moment niesen und kramte bibbernd ein Taschentuch aus ihrer kleinen roten Handtasche hervor. Bei dieser Gelegenheit begutachtete sie eingehender ihr Gesicht. Ihre Lippen waren bereits leicht blau angelaufen vor Kälte und etwas von ihrem aufwändigen Make-up war verschmiert. Unter keinen Umständen wollte sie so jemanden unter die Augen treten und richtete so gut sie es in dieser Situation konnte, ihr Make-up. Zum Glück hatte sie immer ihr kleines Notfallset für solche Fälle dabei.

 

Nachdem sie ihren letzten Lidstrich aufgetragen hatte, konnte sie wieder einigermaßen vergnügter in den Handspiegel sehen. Dennoch war noch niemand aufgetaucht, der sie nach Hause bringen konnte. Lily hatte ganz vergessen, dass ihre Füße sie kaum noch tragen konnte und zuckte vor Schmerz zusammen, sodass sie etwas unsanft auf ihre Knie fiel. Der Schmerz war mit einem Schlag wieder gekehrt und führte ihr deutlich vor Augen, dass sie sich vermutlich mehrere Blasen durch ihre unbequemen Schuhe gelaufen haben musste. Um ihren Füßen Erleichterung zu verschaffen, zog sie diese entschlossen aus und rieb sich sanft ihre lädierten Füße.

 

In diesem Augenblick hörte sie Pferdegetrappel näher kommen. Zuerst sah sie sich hoffnungsvoll nach sämtlichen Richtungen um, ehe sie von links ein schwarzes Pferd mit Anhänger auf sie zu traben sah. Auf dem Kutschbock saßen, soweit sie es erkennen konnte, drei Personen, die Lily noch nie zuvor gesehen hatte.

Natürlich hatten auch Chelsea, Mark und Vaughn die junge Frau in ihrem roten Mantel bemerkt, die mit fast nackten Füßen auf einem kalten Stein saß. Kurzum brachte Vaughn Shadow zum stehen und stieg vom Anhänger ab, um zur Unbekannten vorzutreten. Neugierig regte Chelsea ihren Hals und musterte die junge Frau, die sie als Lily erkannte somit genauer.

 

„Hallo. Können wir dir behilflich sein? Es ist nicht klug im Dunkeln und barfuß draußen in der Kälte zu bleiben.“

„Was du nicht sagst!“, fauchte Lily den großgewachsenen Mann an und warf ihm einen beleidigten Blick zu. Doch als sie in die violetten Augen von Vaughn sah, schmolz ihr Stolz rasch dahin und sie konnte es nicht verhindern, das eine leichte Röte auf ihren Wangen erschien.

„T-tut mir Leid. Ich bin neu hier und habe mich anscheinend verlaufen.“, sprach Lily und streckte Vaughn ihre zarte Hand entgegen und wartete darauf, dass er diese auch ergriff.

„Mein Name ist Lily. Ich bin vor einer Woche mit meinem Cousin hier auf diese bescheidene Insel gezogen.“

„Ähm, ja…Also, hallo. Ich heiße Vaughn.“, antwortete der junge Mann unbeholfen und erwiderte kurz ihren Handschlag.

 

Obwohl sich die Hände von den beiden nur sehr kurz berührt hatten, spürte Chelsea ein fremdes und eigenartiges Gefühl in sich aufsteigen. Sie konnte es sich nicht genau erklären, aber irgendwie hatte sie das unbeschreibliche Gefühl Lilys Hand aus dem ihres Freundes schlagen zu wollen. Nebenbei hätte sie ihr nur zu gerne recht deutlich klar gemacht, dass Vaughn allein zu ihr gehörte und sonst niemanden.

 

„Freut mich, Vaughn. Du bist der erste freundliche Mensch, dem ich begegne.“, flirtete Lily ungeniert weiter, was Vaughn sehr unangenehm war. Zudem war seine Freundin in der Nähe. Eilig drehte er sich zu ihr um und stellte die Geschwister schnell vor.

„So wie es aussieht, kannst du mit diesen Schuhen nicht weiterlaufen.“, nutzte Mark die Gelegenheit und wies mit einem Nicken auf die hochhackigen Schuhe. „Du kannst auf unserem Anhänger steigen, dann setzen wir dich bei dir zu Hause ab.“

 

Dankbar nickte Lily und musste ebenso feststellen, dass der blonde junge Mann, auch wenn er eine ziemlich dreckige Hose trug, die bestimmt schon bessere Tage gesehen hatte, sehr attraktiv aussah und ein anziehendes Lächeln besaß.

Doch kaum hatte Lily den Anhänger umrundet, war ihre freundliche Miene dahin.

„Wie bitte? Das ist doch nicht euer Ernst? Nie im Leben setze ich mich auf dreckiges Holz mit meinem teuren roten Mantel. Das könnt ihr schnell wieder vergessen.“

„Was ist so schlimm daran?“, hakte Chelsea nach, die Lilys Gebaren nicht nachvollziehen konnte.

 

„Wundert mich gar nicht, dass du das nicht verstehen kannst.“, bedachte die junge Frau Chelsea mit einem abschätzenden Blick. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie auf Holz gesessen und ich werde jetzt garantiert nicht damit anfangen.“

Mit einem liebevollen Lächeln wandte sich Lily wieder an Vaughn und schenkte ihm einen verführerischen Augenaufschlag. Prompt spürte Chelsea wieder diesen eigenartigen Stich in ihrem Innern und sprang eilig vom Anhänger und hakte sich bei ihrem Freund unter.

„Wie wäre es, wenn wir uns auf die Ladefläche setzen und Lily kann neben meinem Bruder Platz nehmen?“

 

Verständnislose Blicke tauschten die zwei Männer miteinander aus. Allerdings nickte Mark Vaughn rasch zu, dass er das am Sinnvollsten hielt und half der armen Lily auf den Kutschbock. Ansonsten hätten sie hier vermutlich noch übernachtet.

Zufrieden lehnte sich Chelsea an die Schulter ihres Freundes, der beschlossen hatte, dass es wohl besser wäre, nicht weiter nach zu fragen, was dieses seltsame Benehmen von eben sollte. Nichtsdestotrotz freute er sich, dass sich seine Freundin glücklich an ihm schmiegte und er somit die Nähe zu ihr ungestört genießen konnte.

 

Lily entging nicht, dass Vaughn und dieses Mädchen Chelsea, anscheinend ein Paar waren. Zwar wunderte sie sich darüber, wie es sein kann, dass ein solch attraktiver Kerl wie Vaughn eine kleine Freundin wie Chelsea haben kann, aber sie sah darin auch ihren Vorteil. Es würde garantiert ein leichtes sein, die Aufmerksamkeit von Vaughn auf sie zu lenken, denn bisher hatte ihr noch nie ein Mann widerstehen können und sie zweifelte nicht im Geringsten daran, dass es diesmal anders sein könnte.

Außerdem wäre dann auch noch Mark, der ebenfalls einen passenden Kandidaten an ihrer Seite abgeben würde.

Diese kleine Insel schien doch noch ihre Reize zu offenbaren.

Ein Männergespräch und vier fleißige Hausfrauen

Kapitel 4: Ein Männergespräch und vier fleißige Hausfrauen

 

 

Ein schrilles Klingeln weckte Chelsea an einem schönen Sonntagmorgen aus ihren tiefen Träumen. Normalerweise hatte sie sich vorgenommen, auszuschlafen und sich von der anstrengenden gestrigen Arbeit zu erholen. Leider, hatte sie vergessen, das Telefonkabel aus der Steckdose zu ziehen. Im Traum hätte sie auch niemals daran gedacht, dass jemand so dreist wäre und sie um kurz vor 6 Uhr aus dem Bett klingeln würde.

Dummerweise blieb ihr keine andere Wahl, da auch schon ihr Bruder an ihrer Tür erschien und mit brummiger und verschlafener Stimme anklopfte.

 

„Schwesterherz, eine deiner Freundinnen ruft hier in aller Herr Gotts frühe an und möchte dich unbedingt sprechen.“, sarkastischer konnte Marks Tonfall wirklich nicht mehr werden. Schnell war Chelsea klar, dass er mehr als nur verstimmt war, über diese frühe Störung.

Eilig rannte das junge Mädchen zur Tür und nahm ihrem missgelaunten Bruder den Hörer aus der Hand.

 

„Hier ist Chelsea.“

„CHELSEA! Endlich!“, ertönte bald darauf Lanas glockenklare Stimme am anderen Ende der Leitung.

„Lana, du? Was ist denn los? Ist irgendetwas passiert?“, hakte Chelsea besorgt nach, weil sie natürlich davon ausging, dass irgendetwas Schlimmes passiert sein müsste, was den Anruf ihrer Freundin zu dieser unchristlichen Zeit rechtfertigte.

„Du musst auf der Stelle vorbeikommen. Ich brauche ganz dringend deine Hilfe! Alleine schaffe ich es einfach nicht!“, jammerte Lana und die Brünette konnte sogar hören, dass ihre Freundin den Tränen nahe war.

 

„Beruhig dich erstmal wieder, Lana. Sag mir doch zuerst, was los ist, vielleicht kann ich dir auch so weiterhelfen.“, versuchte Chelsea das aufgebrachte Mädchen zu besänftigen und rieb sich erneut den Schlaf aus ihren Augen. Lana hatte ihr an diesem sonst ruhigen Morgen wirklich noch gefehlt. Außerdem kannte man ihre Starallüren nur all zu gut. Bestimmt war sie gerade dabei eine Kleinigkeit, wie immer, zu dramatisieren.

 

„NEIN! Du musst schon vorbeikommen. Bitte, Chelsea, komm´ sofort zu mir. Ich schaffe das sonst nicht mehr rechtzeitig!“

„Aber, kannst du mir nicht sagen, worum es geht, bevor ich mich zu dir auf den Weg mache?“

„Nichts da. Das kann ich dir am Telefon nicht verraten. Bitte, Chelsea! Julia und Natalie rufe ich auch noch an. Du kommst also, ja?“

Lanas Flehen konnte man wahrlich nicht so einfach wiederstehen. Also, versprach Chelsea, sich so schnell sie konnte, auf den Weg zu ihr zu machen und ihr – bei was auch immer – zu helfen. Immerhin würde sie damit nicht alleine sein. Schließlich kämen Julia und Natalie auch noch in den Genuss ihr beizustehen, ob sie es nun freiwillig wollten oder nicht.

 

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An seinem freien Tag hatte Vaughn beschlossen, seiner Freundin einen Überraschungsbesuch abzustatten. Zwar konnten sie sich in letzter Zeit fast jeden Tag sehen, aber häufig wurden sie dabei von ihren Freunden und Nachbarn gestört, sodass die zwei nie wirklich zusammen ihre Zeit alleine verbringen konnten. Vaughn würde nur zu gerne Chelseas Aufmerksamkeit alleine für sich beanspruchen, und wenn es auch nur für einen Tag war, das würde ihm schon genügen. Er hoffte, dass es Chelsea genauso erging. Denn, irgendwie erweckte sie nie den Eindruck, als ob sie sich sonderlich von den anderen gestört fühlte, obwohl sie beide verabredet waren.

Allerdings hoffte Vaughn, dass er sich dies nur einbildete. Natürlich hatten sie bereits häufiger alleine ihre Zeit verbringen können, aber das schien mittlerweile eine lange Zeit zurückzuliegen.

 

Am Tor zur Starry-Sky Ranch wurde der junge Mann von Toto, Chelseas und Marks Hofhund schwanzwedelnd begrüßt.

„Na,  mein kleiner.“, bückte sich Vaughn zum kleinen Hund hinunter und kraulte ihm ausgiebig den Bauch. „Das gefällt dir, nicht wahr? Kannst du mich zu Frauchen führen?“

Als ob Toto ihn verstanden hätte, bellte er einmal auf und lief dann vor Vaughn geradeaus wieder in Richtung Haus.

Mark, der das Gebell gehört hatte, öffnete noch immer mürrisch, wegen dem frühen Klingeln des Telefons die Haustür und deutete gen Vaughn ein kraftloses Nicken an.

 

„Morgen, Mark. Na, du siehst ja munter aus. Bist wohl gestern nicht so früh ins Bett gekommen, wie es scheint.“

„Quatsch. Ich war so erledigt, dass ich noch vor 22 Uhr im Bett war.“, brummte Mark und ließ Vaughn eintreten. Zielstrebig steuerte er die Küche an, in der soeben eine volle Kanne warmer Kaffee durchgelaufen war. Inzwischen schon die zweite Kanne.

„Falls du Chelsea suchst, muss ich dich enttäuschen. Meine Schwester ist mit den anderen Mädchen bei Lana.“

 

„Wie? Wir haben doch gerade mal halb 11 Uhr. Ist denn was passiert?“, wollte Vaughn neugierig wissen und setzte sich resigniert, da seine Hoffnung Chelsea zu überraschen, sich soeben in Luft aufgelöst hatten, auf die Küchenbank und ließ sich von Mark eine Tasse Kaffee einschenken.

„Wir reden hier von Lana.“, kommentierte der junge Farmer ungehalten und zerzauste sein blondes Haar noch mehr. Seine Stimmung war so tief gesunken, dass er es noch nicht mal für nötig befunden hatte, seine Haare an diesem Morgen zu bändigen.

 

„Eigentlich wollte ich den ganzen Tag heute mit Natalie verbringen, aber Miss Diva war leider schneller.“

„Was bist du denn gleich so gereizt? Vielleicht braucht Lana diesmal bei etwas Ernsthaften Hilfe.“

„Das glaubst du doch wohl selber nicht.“, starrte Mark seinen Gast ungläubig an. „Du kennst Lana. Es handelt sich doch immer, um irgendwelche Nichtigkeiten.“

„Damit hast du auch wieder Recht. Aber, kann es sein, dass dich etwas anderes viel mehr stört, als Lanas Störung am Sonntagmorgen?“, hakte Vaughn nach und trank nebenbei seinen Kaffee.

 

Kurz schien Mark zu überlegen, ob er sich Vaughn anvertrauen sollte. In letzter Zeit waren sie ganz gute Freunde geworden, was sie ausschließlich Chelsea zu verdanken haben. Es könnte bestimmt nicht schaden, sich von ihm einen Rat unter Männern einzuholen.

 

Der blonde Mann seufzte. „Es geht um Natalie.“

„Was ist mir ihr? Habt ihr euch gestritten?“

„Nicht so richtig.“, antwortete Mark und begann weiter zu erzählen. „Im Herbst, als Hochsaison war, hatten wir nur wenig Zeit miteinander verbringen können. Hauptsächlich wegen meiner Arbeit. Du kannst es bestimmt nachvollziehen, immerhin hattest du uns ein paar Mal ausgeholfen.“

Vaughn nickte ihm zu. „Stimmt. Meinen Respekt, dass du und deine Schwester alleine die Ranch führt.“

 

„Ja, dafür haben wir noch längst nicht sämtliche Felder bepflanzt. Zu zweit muss man eben erstmal sehen, wie weit man kommt. Doch, ich denke, aufgrund der hohen Einnahmen aus der letzten Saison, können wir einiges neues anbauen oder sogar anschaffen. Eine vollautomatische Bewässerungsanlage müsste ganz dringend her.

Und, nun ja, Zeit mit Natalie ist dabei auf der Strecke geblieben, weswegen sich Natalie bei mir schon beschwert hat. Ich kann sie ja verstehen, aber sie muss auch sehen, dass ich meine Arbeit, die die Existenz meiner Schwester und meine eigene sichert, nicht vernachlässigen kann.“

 

„Das ist richtig, aber hatte Natalie nicht auch euch geholfen, als die große Erntezeit war?“

„Das hat sie auch und ich bin ihr unendlich dankbar dafür. Heute hatte ich eigentlich geplant mit ihr etwas zu unternehmen, um die verlorene Zeit nachzuholen, aber dann rief Lana an und kurze Zeit später, als ich bei meiner Freundin zu Hause anrief, musste ich leider erfahren, dass Lana sie ebenfalls zu sich beordert hatte.“, knirschte Mark mit den Zähnen. „Taro klang auch sehr begeistert am Telefon, das sage ich dir.“

 

„Hm. So wie es aussieht, haben wir fast dasselbe Problem.“, meinte Vaughn nachdenklich und kreiste mit einem Löffel im Kaffee herum.

Von diesem Satz hellhörig geworden, fragte Mark auf der Stelle nach, was er damit genau gemeint hat. „Hast du Probleme mit meiner Schwester? Das wäre mir neu.“

„Oh, nein. Wir haben uns nicht gestritten. Es ist nur, dass mir aufgefallen ist, dass jeder mit seinen Sorgen und Nöten rasch zu Chelsea rennt und sie um Unterstützung bittet.“

 

„Das ist richtig. Meine Schwester hilft, wo sie nur kann. So war sie schon immer gewesen. Es fällt ihr schwer, nein zu sagen, wenn man sie um Hilfe gebeten hat.“, lächelte Mark und freute sich, eine so fürsorgliche Schwester zu haben.

„Ich finde das auch nicht schlimm. Schließlich hat sie mir auch geholfen.“, erinnerte sich Vaughn an die Zeit zurück, in der er noch ein Fremder auf dieser Insel gewesen war und Chelsea die einzige war, die sich bemüht hatte mit ihm Freundschaft zu schließen. Das mehr daraus geworden war, damit hatte er auch nicht gerechnet.

 

„Du liebst meine Schwester aufrichtig, nicht wahr, Vaughn?“

„Wie? Wie kommst du denn jetzt darauf?“, wollte der junge Mann sofort wissen und lief ein wenig rot an im Gesicht. Ihn so frontal mit so einer Aussage zu konfrontieren, damit konnte er noch nicht umgehen und war ihm irgendwie peinlich.

„Das muss dir doch nicht unangenehm sein. Wir sind hier unter uns. Ich verrate es auch niemanden weiter, obwohl es jedem auf der Insel klar ist, dass du unsterblich in Chelsea verknallt bist.“, neckte Mark ihn weiter und vergas darüber hinaus seinen Ärger über Lana und sein Problem mit Natalie.

 

„Jetzt hör schon auf damit, sonst verpass ich dir eine.“, drohte Vaughn ihm gereizt und bereute es inzwischen, ihm etwas über sein Beziehungsproblem erzählt zu haben.

„Ist doch schon gut. Stell dich mal nicht so an. Was ist denn nun eigentlich dein Problem? Davon hast du noch kein Wort erwähnt.“

„Na gut. Nun ist es auch egal, dann kann ich es dir auch erzählen. Ich habe den Eindruck, dass es Chelsea nichts ausmacht, wenn man sie um Hilfe bittet, obwohl wir miteinander verabredet sind. Heute nicht. Ich wollte sie eigentlich überraschen. Pech gehabt. Aber manchmal, da glaube ich, ist sie sogar erleichtert, wenn ihre Freunde oder Nachbarn auf sie zugehen und uns dann…stören.“

 

„Tja, dazu kann ich nichts sagen. Bist du dir dessen denn absolut sicher?“, hakte Mark zweifelnd nach.

„Nicht hundertprozentig. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.“, antwortete Vaughn, stand von der Bank auf und stellte sich ans Fenster.

„Hast du mit ihr schon darüber geredet?“, stellte sich der junge Farmer neben seinen Kumpel.

„Nein. Meinst du, ich sollte das tun?“

 

„Auf jeden Fall. Wenn du Zweifel hast, frag sie lieber, bevor sie zu groß werden und alles nur noch schlimmer machen. Außerdem erlaube ich es dir nicht, dass du meine Schwester unglücklich machst. Kapiert?“

„Einverstanden. Ich will dich nicht zum Feind haben. Und? Wie wirst du das mit Natalie regeln?“

„Was das angeht, bin ich ziemlich optimistisch. Sag, was hältst du davon, wenn wir unsere Freundinnen nach dem Mittagessen bei Lana abholen gehen, sollten sie bis dahin noch nicht wieder zurück sein?“

„Eine grandiose Idee. Ich bin dabei.“

 

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„Ich kann es immer noch nicht fassen!“, fluchte Natalie laut und musste bereits zum dritten Mal ein und dasselbe Fenster putzen, weil das Fräulein Lana der Meinung war, dass ihre Freundin jedes Mal einen Fleck übersehen hätte. „Lana, es reicht mir langsam! Du übertreibst es maßlos! Das Fenster ist tadellos.“

„Du hast gut reden.“, schimpfte Lane und drehte sich mit verärgerter Miene zu ihrer Freundin um. „Immerhin erwartest du heute keinen wichtigen Besuch, so wie ich.“

 

„Keinen wichtigen Besuch? Eigentlich hatte ich vorgehabt mit Mark etwas zu übernehmen. In letzter Zeit hatten wir uns kaum gesehen. Dann schlägst du an einem Sonntag Alarm, dass ich dachte, es wäre wer weiß was passiert und du echte Schwierigkeiten hättest. Stattdessen hast du uns alle hier her zitiert, damit wir dein Haus putzen?!“

„Ja. Das ist doch wohl selbstverständlich.“

„Wie BITTEEE?“

 

„Natalie, bitte, schrei hier nicht so rum.“, rief Julia den beiden Streithähnen zu und servierte den Mädchen ein Tablett mit geschnittenem Obst und duftendem Kaffee. „Lana hat uns doch erklärt, warum ihr das bevorstehende Rendezvous mit Denny so wichtig ist. Versetz dich doch mal in ihre Lage. Mark wolltest du am Anfang eurer Beziehung schließlich auch beeindrucken, oder etwa nicht?“

„Das ist etwas völlig anderes.“, mokierte sich die pinkhaarige weiterhin und warf frustriert den Putzlappen zurück ins Seifenwasser, sodass einiges davon über den Rand und auf dem Fußboden spritzte. „Mark und ich konnten in den letzten Wochen nicht richtig viel Zeit miteinander verbringen und heute, an dem unser gemeinsamer freier Tag ist, muss ich das Haus von unserer Diva putzen! Sagt jetzt nicht, dass euch ihr Anruf heute Morgen nicht auch gestört hat?“

 

„Schon.“, gab Chelsea zögernd zu. „Aber Lana braucht unsere Hilfe. Also…“

„Also was? Chelsea, dass kann doch nicht dein ernst sein. Kannst du denn nichts anderes außer „Ja“ sagen, wenn jemand nach dir pfeift?“

„Werd nicht unverschämt, Natalie.“, mischte sich Julia erneut ein. „Wir haben uns alle bereit erklärt Lana bei der Hausarbeit zu helfen. Führ dich hier also nicht so auf und vergeude kostbare Zeit mit Streiten. Je eher wir fertig sind, desto früher können wir wieder gehen und Lana wird bestimmt ein wundervolles Date mit Denny haben.“

 

Vergnügt drehte sich Lana um ihre eigene Achse und sang dabei ein paar Noten.

„Ich bin so aufgeregt, könnt ihr euch das vorstellen? Mein Herz klopft wie wild, wenn ich nur an Denny denke.“

„Wir verstehen dich nur all zu gut, Lana.“, zwinkerte Julia ihrer Freundin zu und musste spontan an ihr erstes Date mit Elliot zurückdenken. Damals war sie genauso aufgeregt gewesen und eigentlich, ist sie es immer noch.

 

Schnaubend drehte sich Natalie von den träumenden Mädchen weg und griff gedankenverloren wieder ins Seifenwasser und begann das vermaledeite Fenster ein viertes Mal zu putzen. Natürlich konnte sie ihre blonde Freundin verstehen, auch ihr Herz machte immer einen gewaltigen Salto, wenn sie Mark schon von weitem erblickte. Jedes Mal aufs Neue, war es ein unfassbares Gefühl und sie alles um sich herum vergessen konnte. An diesen wunderbaren blonden jungen Mann musste sie Tag und Nacht denken. Irgendwie vermisste sie ihn, deswegen war ihr nun mal jede mögliche freie Zeit extrem wertvoll, die sie mit ihm zusammen sein konnte.

 

„Selbstverständlich werde ich mich bei euch revanchieren.“, wandte sich Lana wieder an ihre Freundinnen und aß genüsslich ein Stück Apfel. „Ich weiß, was ihr hier für mich tut, und dass werde ich euch nie vergessen. Ich will, dass alles perfekt wird, sobald Denny bei mir auftauchen wird. Ich hoffe, dass er genauso aufgeregt ist wie ich…also, das er dieselben Gefühle für mich hat wie ich für ihn. Das wäre einfach wundervoll.“

 

Lächelnd trat Chelsea auf die glückliche Blondine zu und umarmte sie liebevoll. „Es wird ein schöner Tag für dich werden, Lana, dessen bin ich mir sicher. Außerdem glaube ich nicht, dass Denny großartig auf die Ordnung in deinem Haus achten wird. Wahrscheinlich werden ihm die sauberen Fenster nicht einmal auffallen, weil er nämlich nur Augen für dich haben wird.“

„Meinst du?“

„Na klar.“, antwortete Julia und klopfte Natalie auf die Schulter, damit sie ebenfalls etwas dazu sagen sollte.

„Auf jeden Fall, Lana.“, seufzte die pinkhaarige, doch Lana hörte den zweifelnden Unterton in der Stimmer ihrer Freundin nicht mehr und konnte es kaum erwarten, dass endlich ihr Date mit Denny beginnen würde. Doch bis dahin, gab es noch reichlich Arbeit für die Mädchen.

 

Eine unverhoffte Begegnung

Kapitel 5: Eine unverhoffte Begegnung

 

 

Regis neue Residenz auf der Sonnenschein-Insel sorgte in den ersten Wochen für viel reges Interesse und Neugierde auf den Seiten der alteingesessenen Inselbewohner. Selbst die betagteren unter ihnen konnten sich nicht daran erinnern, jemals zuvor ein solch prachtvolles Anwesen gesehen zu haben. Zumindest nicht auf diesem kleinen Eiland, die kaum ein Mensch vom Festland kennt, geschweige denn in natura gesehen hat. Folglich war durch das unglaublich architektonische Bauwerk für viel Gesprächsstoff gesorgt.

Unterhielt man sich den einen Tag über die Bauweise der beiden Villen, ging es am darauffolgenden Tag über den botanisch angelegten Garten oder über die Bediensteten, die zahlreich vertreten waren. Das äußere Erscheinungsbild zeugte somit in den Augen der gaffenden Leute von einem glamourösen und luxuriösen Lebensstil, die eine finanzielle Notlage niemals in Betracht ziehen müssen, bzw. es überhaupt jemals werden.

 

Während man die Mauern des Grundstücks Tag und Nacht bewundern konnte, bekam man dessen Bewohner relativ selten zu Gesicht. Bis auf deren Namen und die Anzahl der gehobenen Gesellschaft wusste man sich im Grunde genommen nichts Weiteres über die Familie zu erzählen. In der ersten Woche hatte sich noch schnell herumgesprochen, dass der Herr des Hauses Regis, die alte Mine auf der Insel wieder in Betrieb genommen hatte und fortan jeden Tag Rohstoffe, Erze, und wenn möglich einige Schätze ans Licht beförderte. Aufgrund dessen hatte man versucht häufiger mit den feinen Leuten ins Gespräch zu kommen, aber es gestaltete sich als sehr schwierig. Die allgemeine Neugierde und Sensationslust der Inselbewohner konnte von Regis nicht genährt oder gestillt werden. Er blieb zwar höflich, jedem gegenüber, jedoch gleichzeitig so distanziert, dass ein besseres Kennenlernen unmöglich schien.

Die jüngeren Herrschaften sah man ebenfalls nur sehr selten auf offener Straße. Über Sabrina und Will wusste man praktisch gar nichts zu erzählen. Es war, als wären sie Schatten, die hier und da mal im Licht des Tages auftauchten. Dagegen hatte Lilly für einen unschönen Ruf ihrer eigenen Person betreffend gesorgt. In den meisten Augen war die hochwohlgeborene junge Dame eine gewaltige Zicke, viel zu hochnäsig und eine beeindruckende Diva, die sogar Lanas Starallüren in den Schatten stellen konnte. Allerdings machte sich die feine Dame nichts im Geringsten aus dem Gerede der niederen Gesellschaft.

 

Im Gegensatz zu seiner Kusine, ließ das Gerede Will keineswegs unberührt. Sofern es seine Zeit außerhalb seiner Studien zuließ, versuchte er das Dorf aufzusuchen und mit seinem hin reizenden Charme für ein besseres Ansehen seiner geliebten Familie zu sorgen.

 

 

Für den jungen Herrn war Freizeit zu haben etwas Kostbares. Neben seinem Geographiestudium unternahm er gerne lange Spaziergänge. Bevorzugter weise durch fremde Wälder, die im Glanz ihrer Natur strahlen konnten. Will wusste eine Menge über Pflanzen jeglicher Art und versäumte es nie, eine schöne unbekannte Blume in ihrer ganzen Pracht zu bewundern.

Der junge Mann war das genaue Gegenteil seiner Kusine, die im Gegensatz zu ihm, die Natur in ihrer reinen Form grundsätzlich mied. Natürlich wusste auch Will, wie man sich in den höheren Kreisen angemessen zu kleiden hatte, aber für ihn war diese banale Sache nicht weiter redens- und beachtenswert oder mit übertriebenem Aufwand als nötig zu betreiben, wie Lilly es gerne tat.

 

Jedoch, wofür sich Lilly nicht begeistern kann, kann es Sabrina umso mehr. Obwohl  die Kusinen Sabrina bereits seit ihrer Kindheit an kennen, ist es hin und wieder schwierig ihre Vorlieben  und Interessen in Erfahrung zu bringen. Regis Tochter ist extrem introvertiert und gibt deswegen nur wenig über sich Preis. Aus diesem Grund hatte es Will zur Gewohnheit gemacht lediglich durch seine Anwesenheit ihr von Zeit zu Zeit nahe zu sein, damit die junge Frau von sich aus irgendwann merken würde, dass sie dennoch keineswegs alleine ist, selbst wenn sie glauben sollte, dass keiner sie verstehen würde. Denn sie sollte wissen, dass es jemanden direkt an ihrer Seite gibt, der sie durchaus wahrnahm und ihr nur allzu gerne näher kommen würde.

 

In den letzten Jahren hatte Will herausgefunden, dass Sabrina Blumen über alles liebte und sich darüber hinaus für Kunst begeisterte. Zu besonderen Anlässen versäumt er es nie, seiner heimlichen Angebeteten, durch kleine Gesten und Geschenke ihr Interesse und ihr Talent in dieser Hinsicht zu fördern. Sabrinas strahlende Augen, wenn sie von ihm wieder eine Farbpalette oder eine neue Leinwand bekam, ließen Will jedes Mal sein Herz vor Sehnsucht nach ihr schmerzlich vergehen. Dennoch konnte er nicht anders und musste Tag und Nacht an sie denken, obwohl er wusste, dass er sie niemals würde an seiner Seite haben können.

Sabrina gehörte dem höheren Adel an, aufgrund ihrer Geburt. Das bedeutete, dass sie nur einen Mann ehelichen darf, der in derselben Klasse geboren wurde. Der junge Mann und seine Kusine kamen zwar ebenfalls aus sehr gutem Hause, waren aber einen Rang, eine Klasse unter Sabrina und ihrem Vater. Will war sich ziemlich sicher, dass ihr Vater nie und nimmer eine Liaison seiner einzigen Tochter, die eine vielversprechendere Partie haben könnte, mit ihm jemals gestatten würde.

Aber er hoffte weiterhin. Und diese Hoffnung hielt ihn all die Jahre aufrecht.

 

                                                                                           ~<>~

 

Nathalie konnte nicht anders. Wütend und enttäuscht ließ sie ihren gewaltigen Ausbruch gegenüber ihren Freund aus und stampfte schnaubend wieder von der Starry-Sky Ranch davon. Mark machte keine Anstalten ihr hinterherzulaufen, und das frustrierte dem jungen Mädchen noch mehr.

Ziellos lief sie umher und machte ihrem Ärger Luft bis sie irgendwann erschöpft und verzweifelt auf eine Bank am Wegesrand zusammenfiel. Dabei hatte der Tag so schön begonnen. Nachdem die Putzaktion bei Lana am gestrigen Tag beendet war, tauchten überraschend Mark und Vaughn vor Lanas Haustür auf und hatten ihre jeweiligen Freundinnen ohne Widerrede abgeholt. Kichernd und amüsierend hatten die anderen Mädchen den beiden glücklichen Paaren hinterher gesehen und sich ebenfalls bald danach zeitig von Lana verabschiedet, weil Denny jeden Moment vorbeischauen würde. Und Nathalie war unbeschreiblich glücklich gewesen. Mark hatte sie zu ihrem gemeinsamen Lieblingsplatz an der Göttinenquelle geführt und einen besinnlichen Nachmittag allein zu zweit verbracht.

Davon war sie beschwingt am nächsten Tag ohne Ankündigung ihren Freund aufsuchen gegangen, um einen weiteren wunderschönen Tag nur mit ihm alleine zu verbringen, nur um enttäuscht feststellen zu müssen, dass eines der Milchkühe Nachwuchs erwartete und deswegen der junge Farmer und seine Schwester nicht vom Hof wegkonnten. Vaughn und Julia waren ebenfalls anwesend gewesen und halfen, wo sie nur konnten. Doch Nathalie konnte nicht dabei sein und helfen, während ihr Freund mit eine ihrer Freundinnen Hand in Hand die trächtige Kuh umsorgten.

Bei diesem Anblick hatte Nathalie Rot gesehen, ihm eine heftige Szene gemacht, verständnislose Blicke dafür kassiert und war schließlich fortgelaufen. Etwas hatte ihr einen schmerzenden Stich versetzt. Jetzt, nachdem sie wieder etwas klarer sah, wusste sie auch, was es gewesen war.

Mark hatte sie nicht um  Hilfe gebeten.

Er hatte noch nicht einmal Anstalten gemacht, sie zu fragen, ob sie es sich vorstellen könnte bei der Geburt eines Kalbes zu helfen. Natürlich hätte Nathalie vehement abgelehnt, weil ihr so eine Arbeit einfach zuwider und zu schmutzig war, aber trotzdem, hätte Mark sie wenigstens fragen können. Denn das, war er ihrer Beziehung mindestens schuldig, fand sie.

 

Sie konnte sich nicht im Geringsten erklären, warum sie jedes Mal aufs Neue dermaßen übellaunig und unkooperativ reagierte, wenn Mark keine Zeit für sie hatte. Dabei kannte sie seine Arbeit und Verantwortung für eine so große Ranch nur zu gut. Schließlich hatte sie bei der Ernte im letzten Herbst regelmäßig ausgeholfen, weswegen sie eigentlich keinen Grund haben sollte so verletzend und herrisch zu reagieren, wenn ihr Freund sie in ihren Augen vernachlässigte.

Andererseits, hatte er sich nicht relativ oft um sie bemüht, und versucht ihr zu gefallen, im vorherigen Sommer, wo die Hauptsaison schlecht hin war? Hatte er da nicht auch Zeit für sie gefunden, egal zu welcher Uhrzeit es auch gewesen war?

Das hatte er.

Diese spontanen und unerwarteten Besuche, an diese hatte sie sich ohne es wirklich zu merken gewöhnt, und sich als attraktive und unwiderstehliche Frau gefühlt.

Wo war nun diese schöne Zeit hin? Nathalie wollte sie unbedingt wieder haben. Koste es, was es wolle.

Jedoch musste sich Mark erst einmal bei ihr entschuldigen, dafür dass er sie heute Morgen eiskalt ignoriert hatte. Vorher würde sie nicht wieder freiwillig zu ihm gehen. Nein. Nun war er an der Reihe, ihr erneut Avancen zu machen.

 

„Eine schöne und junge Frau wie Sie weint an diesem herrlichen klaren Tag?“

Erschrocken fuhr Nathalie auf und sah sich einem unglaublichen jungen attraktiven Mann gegenüber, der sie freundlich und aufmunternd anlächelte. Nach kurzem Zögern erkannte Nathalie ihn als Will, der ihr soeben ein Taschentuch reichte. Perplex starrte sie ihn an. Sie verstand seine Geste nicht und war zudem von seinen hinreißenden leuchtenden blauen Augen abgelenkt.

„Ich weine nicht.“, platzte es schließlich aus ihr heraus und schallt sich innerlich für ihren patzigen Ton dabei.

„Und was ist es dann, was sich heimlich einen Weg über ihre linke Wange bahnt?“, hakte Will behutsam nach und entfernte einfach selber die Träne mit seinem Taschentuch, da Nathalie keine Anstalten gemacht hatte, es zu ergreifen.

 

Überfordert mit dieser unverhofften Nähe durch einen anderen wunderschönen Mann, hielt Nathalie ihren Atem an, während er mit seiner Hand sanft über ihre Wange fuhr und die Träne dadurch auffing. Sie ertappte sich bei den Gedanken, dass sie sich wünschte, dass kein dünner Stoff zwischen dieser Berührung gewesen wäre, da sie ihn nur all zu gerne auf seiner nackten Haut berührt hätte. Des Weiteren schämte sie sich für diese eine Träne, die sie selber nicht einmal bemerkt hatte.

„So. Nun ist wieder aller gut.“, lächelte Will sie liebenswürdig an. „Wenn ich mich richtig erinnere, sind wir uns schon einmal begegnet. Kann das sein?“

„Wie? Ähm, ja. Ja, das sind wir.“, antwortete Nathalie unbeholfen und atmete einmal tief ein und wieder aus, ehe sie fortfuhr. „Meine Familie und ich, hatten dich und deine Verwandten zu eurem Anwesen begleitet. Mein Bruder hätte beinahe einen der Koffer ins Meer fallen lassen.“, lachte sie auf und spürte, nachdem sie diesen Satz ausgesprochen hatte, kurz ein wenig Reue, die jedoch schnell wieder verflog.

„Stimmt. Jetzt weiß ich es wieder. Elliot. So heißt dein Bruder, nicht wahr? Und du musst Nathalie sein?“

Nathalie nickte. Vor Freude darüber, dass sich der junge Mann an ihren Namen erinnern konnte, pochte ihr Herz vor Aufregung gegen ihre Brust und eine zarte Röte zeichnete sich auf ihren Wangen ab.

„Habt ihr euch schon gut eingelebt?“

„Ja. Es ist wirklich sehr schön hier. Der Winter hat etwas Magisches an sich. Im Sommer muss es auf dieser Insel bestimmt unbeschreiblich schön sein, wenn alles wieder erblüht.“

„Das tut es auch. Hast du denn schon alles von der Sonnenscheininsel gesehen?“

„Noch nicht ganz. Meine Studien halten mich momentan davon ab und zusätzlich…Ach, ist nicht so wichtig. Ich möchte dich nicht langweilen oder gar weiterhin aufhalten. Darf ich dich begleiten? Eine junge Frau wie du, sollte nicht alleine durch die Gegend laufen, gerade dann, wenn die Wege hier so dicht gesäumt von Bäumen sind.“

 

Aufgrund dieses charmanten Angebots konnte Nathalie einfach nicht anders und sah sich wenige Sekunden später in der Begleitung eines netten jungen Mannes wieder, der ihr unerwartet, die Aufmerksamkeit schenkte, nach der sie sich seit heute Morgen gesehnt hatte.

 

Der Rausch der Gefühle

 

Kapitel 6: Der Rausch der Gefühle

 

 

„Mark? Hey, Bruder! Ich rede mit dir. Zumindest versuche ich das.“

 

Die jungen Rancher Chelsea und Mark waren gerade dabei gemeinsam den Pferdestall auszumisten, nachdem sie bei ihrem neuen Bewohner, dem Kälbchen, vorbei geschaut hatten, ob auch alles in Ordnung war. Sowohl Mutter und Kind waren wohlauf und auch die eifrigen Geschwister waren sehr stolz auf sich, dass ihre harte Arbeit endlich sichtbare Früchte trug.

 

Jedoch bemerkte Chelsea schnell, dass ihr Bruder heute nicht ganz bei der Sache war. Monoton erledigte er seine Arbeit, doch ständig waren seine unruhigen Gedanken bei Natalie, die am vorigen Tag außer sich vor Ärger den Hof eiligen Schrittes verlassen hatte. Am gestrigen Abend hatte Mark seiner Freundin einen Versöhnungsbesuch abstatten wollen, obwohl er sich keines Verbrechen schuldig fühlte, immerhin müsste Natalie wissen und verstehen, was seine Arbeit und damit seinen Lebensunterhalt ausmachte. Allerdings hatte der junge Mann nicht die geringste Lust auf einen neuen Streit mit seiner Geliebten, doch leider wollte sie ihn an diesem Abend nicht mehr sehen. Mit besorgten Augen teilte Felicia ihm diese irritierende Nachricht mit und Mark war wütender als zuvor wieder gegangen. Ohne eine Nachricht von sich zu hinterlassen.

 

Unbeholfen beobachtete Chelsea ihren Bruder und sah ihm dabei zu,  wie er nun vor Wut auf einen Heuballen mit seiner Schaufel einschlug, mit der er zuvor die Pferdeäpfel auf eine Schubkarre geladen hatte. Dementsprechende Spuren blieben im Heu kleben. Endlich hörte der junge Farmer damit auf und ließ sich erschöpft draußen gegen die Stalltür sinken. Ein eisiger Wind wehte ihm ins Gesicht, der ihn keineswegs störte. Schnaufend verstränkte er seine Arme vor der Brust und zog seine Knie an. Nach wenigen Augenblicken gesellte sich seine Schwester zu ihm und legte ihm tröstend einen Arm um die Schulter.

 

„Du denkst die ganze Zeit an Natalie, nicht wahr, Bruder?“

Mark antwortete nickend. „Sorry, dass ich nicht so gut drauf bin und noch dazu langsam bei der Arbeit, aber ich verstehe Natalie einfach nicht mehr. Verdammt!“

Eine Faust schlug hart auf dem Boden auf, die dummerweise einen spitzen Stein gestreift hatte. Augenblicklich sickerte etwas Blut aus Marks Fingergelenken, das er stoisch betrachtete.

„Weißt du, Schwesterherz, als ich feststellte, dass ich mich zu Natalie hingezogen fühlte, das war, als wäre auf der Stelle eine neue Welt entstanden, die sie als Mittelpunkt hatte. Von da an konnte ich mir nichts Schöneres mehr vorstellen, als den Rest meines Lebens mit ihr zu verbringen.“ Ein trauriges, doch zugleich hoffnungsvolles Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

„Ich weiß, was du fühlst, Bruder.“ Nebenbei hatte Chelsea die Wunde an Marks Hand mit einem Taschentuch verbunden. „Mir geht es mit Vaughn ähnlich. Es gibt kein schöneres und wärmeres Gefühl, als wenn man den einen Menschen gefunden hat, mit dem man zu zweit das Leben verbringen will.“

 

„Genauso ist es. Meinst du, dass ich mich bei Natalie entschuldigen sollte? Wegen gestern?“

Entschlossen antwortete Chelsea mit einem resoluten „Nein“. Erstaunt blickte Mark seiner jüngeren Schwester ins Gesicht. Bisher war der junge Farmer davon ausgegangen, dass Frauen und besonders so gute Freundinnen ausnahmslos zusammen halten würden, ob man nun selber im Unrecht war oder nicht.

„Du hast nichts falsch gemacht. Natalie ist diejenige, die sich bei dir entschuldigen müsste. Sie kennt deine und unsere Arbeit. Was hättest du sonst tun sollen? Natalie hätte uns sowieso nicht helfen können, da sie sich zu sehr vor der „dreckigen Arbeit“ ziert.“

„Damit hast du recht.“, gab Mark kurzum zu und war verblüfft, das seine jüngere Schwester ihre Freundin genauso einschätzte, wie er sie.

„Kurz hatte ich überlegt, wie ich sie hätte einbinden können, aber wir waren schon genug Leute und außerdem muss ich zugeben, dass ich das Natalie auch nicht wirklich zutraue.“, seufzte Mark und schaute betrübt in den wolkenverhangenen Himmel. „Das passt einfach nicht zu ihr. Die Arbeit mit den Tieren, meine ich. Auf dem Feld und bei der Ernte ist es wieder etwas anderes, aber selbst dazu musste sie sich arg überwinden. Verflucht! Es ist alles nicht mehr so einfach und überhaupt nicht so, wie ich es mir vorgestellte hatte.“

 

„Kopf hoch, Bruder! Es mag jetzt nicht rosig bei euch zugehen, aber, weißt du, was ich felsenfest glaube? Das, wenn ihr diese Krise überwunden habt, ihr eine stärkere Bindung zueinander haben werdet, als ihr sie jetzt bereits habt. Manchmal hält das Leben harte Prüfungen für uns bereit, die wir, vielleicht nicht unbedingt einfach, anpacken müssen und daran wachsen und hoffentlich gescheiter werden.“

„Das hat Mutter immer zu uns gesagt.“ Dankbar zog Mark seine Schwester in seine Arme. In diesem Moment fühlte er sich nicht mehr ganz so mutlos wie kurz zuvor.

„Es wird alles wieder gut werden. Daran glaube ich. Immerhin gehört ihr zwei einfach zusammen. Etwas anderes ist inzwischen undenkbar geworden.“

„Du hast recht.“

 

Mit neuem Tatendrang sprang der junge Mann vom Boden auf, streckte seine steifen, mittlerweile kalten Glieder und half seine Schwester wieder auf die Beine. „Lass uns schnell unsere restliche Arbeit erledigen, damit wir uns anschließend einen erholsamen Tag machen können. Nur wir zwei. Was hältst du davon? Wir haben schon lange nichts mehr gemeinsam alleine unternommen.“

„Tut mir leid, Bruder. Doch heute kommt noch Vaughn vorbei. Nachdem Mittagessen und naja…“ leicht errötete Chelsea. „Nun, wir wollen…alleine sein.“

„Haha! Das muss dir doch nicht peinlich sein. Gut. Damit ihr auch wirklich ungestört sein könnt, werde ich Toto nehmen und einen sehr langen Waldspaziergang machen.“

 

Mark liebte es seine kleine Schwester zu necken und fuhr noch einige Zeit damit fort, ehe Chelsea ihm drohte, nie wieder für ihn zu kochen, wenn er nicht endlich wieder damit aufhörte. Sofort lenkte der Farmer ein. Denn um nichts auf der Welt wollte er sich das wundervolle und leckere Essen seiner begabten Köchin in Zukunft entgehen lassen.

 

    ~<>~

 

Obwohl sich zwischen Vaughn und Mark eine solide Männerfreundschaft entwickelt hatte, hoffte er dennoch inständig, dass er seine Freundin den ganzen Nachmittag für sich alleine haben würde. Auf dem Weg zur Ranch hatte er sich ungefähr tausend Möglichkeiten überlegt, wie er es anstellen könnte, entweder Mark vom Hof zu verscheuchen oder Chelsea heimlich zu entführen. Beide Varianten fand der hinterlistige Mann reizvoll und grinste breit, als er erwartungsvoll an der Tür klingelte. Es dauerte keine drei Sekunden, da flog bereits die Tür auf und braunes glattes Haar wehte ihm ins Gesicht.

 

„Wie immer so stürmisch.“, freute sich Vaughn und zögerte keine Sekunde die junge Frau näher in seine Arme zu ziehen und sie hingebungsvoll zu küssen. Wohlig seufzte Chelsea auf und öffnete sich ihm bereitwillig. Vaughns Zunge drang verlangend in sie ein und liebkoste die ihre. Schützend hüllte Vaughn seine Freundin ihn seinen Mantel ein und überflutete sie mit seiner heißen Körperwärme. Sein Blut geriet derart in Wallung, dass er vergas, wo sie sich eigentlich befanden. Zudem hätte Mark auftauchen können, der dem wilden Treiben überraschend ein Ende bereitete. Allerdings kümmerte ihn das nicht. Selbst Chelsea konnte an nichts anderes mehr denken, als an Vaughns verlangenden Mund, der ihren noch nicht wieder frei gegeben hatte. Er leckte ihre Lippen, knabberte an ihren und hielt ihre Hüfte eng an seine gepresst. Haltsuchend grub Chelsea ihre Hände in Vaughns weiße Haare und hatte das berauschte Gefühl den Boden unter ihren Füßen zu verlieren.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals zuvor von ihm so geküsst worden zu sein. Es war wie eine Art Rausch, dem beide verfallen waren und ein Zurück fast unmöglich machte.

 

Erst, als ein heftiger Luftzug dafür sorgte, dass die schwere Haustür wieder krachend ins Schloss fiel, kehrte das verirrte Paar wieder in die Gegenwart zurück. Etwas außer Atem blickten sie sich tief in die Augen und konnten nichts anderes darin erkennen, als Überraschung, aber auch unschuldiges Verlangen füreinander, dass zum ersten Mal ihren Weg an die Oberfläche gebahnt hatte.

 

„Hallo Vaughn.“, hauchte Chelsea ihm ins Ohr, der es lächelnd erwiderte.

„Eine etwas andere Art von Begrüßung. Wollen wir lieber rein gehen? Du hast keine Jacke an und heute wird es wohl nicht mehr viel wärmer.“

Zwar konnte die junge Frau ihm diesbezüglich nicht recht geben, da ihr vom Küssen so warm geworden war, dass sie komplett vergessen hatte, dass sie draußen vor der Tür gestanden hatten. Doch lieber behielt sie ihre Gedanken für sich, da sie immer noch zu verwirrt war mit den unglaublichen Gefühlen, die sie bis vor kurzem noch übermahnt hatten. Ohne ein Wort zu sagen, führte sie Vaughn in die Wohnstube und erklärte rasch, dass sie erstmal für beide Wasser für Tee aufsetzen wollte. Dadurch hätte sie die Chance wenige Minuten für sich alleine zu sein und ihre Balance wieder zu finden, die auf mysteriöse Weise verschwunden war.

 

Vaughn war es ganz recht, ebenfalls einige Augenblicke allein sein zu können, um sich bewusst zu werden, was eigentlich mit ihnen geschehen war. Für kurze Zeit hatte er das Gefühl gehabt seine Beherrschung zu verlieren. Er konnte in diesen knappen Minuten an nichts anderes denken, als an Chelseas betörenden blumigen Duft und dem Geschmack von ihren zarten Lippen auf seinen, die sich ihm ohne Umschweife hingegeben haben. Oh, du meine Güte! Er liebte diese faszinierende junge Frau und wollte unbedingt noch mehr von ihr haben. Am liebsten sofort.

Und schon wieder tat er etwas ohne vorher nachzudenken. Er lief in die Küche und fand Chelsea am dampfenden Wasserkocher stehen.

 

„Chelsea? Ist dein Bruder zu Hause?“ Erschrocken fuhr die Brünette zu ihrem Freund herum und schüttelte eiligst den Kopf. „Nein. Er ist mit Toto im Wald und wollte erst heute Abend wieder zurück sein.“, erklärte sie rasch und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme einen viel zu hohen Ton angenommen hatte.

„Heute Abend.“, murmelte Vaughn gedankenlos und ließ Chelsea dabei keine Sekunde aus den Augen.

Das Wasser kochte bereits. Doch keiner von ihnen machte sich die Mühe Tassen und Teebeutel aus dem Schrank zu holen. Wie durch Zauberhand ging Vaughn auf die junge Frau vor ihm zu und reichte ihr seine Hand. Abwartend und mit wildem Herzklopfen starrte Chelsea seine Hand an. Dann flüsterte Vaughn liebevoll ihren Namen und schon war es wieder um sie geschehen.

 

Chelsea hatte keine Ahnung, wie sie in ihr Zimmer gekommen waren. Sie wusste nur noch, dass sie mit einem Mal auf ihrem weichen Bett lag und Vaughn ganz eng neben ihr, der sie erneut fest in seinen Armen hielt und fordernd küsste. Ihr Herz hämmerte inzwischen wild gegen ihren Brustkorb und drohte zu sprengen. Zusätzlich rauschte ihr Blut in den Ohren und ließ sie orientierungslos dahinschweben.

Vaughn fasste ihr Handgelenk, hielt es sanft auf ihrem Kissen gedrückt und drehte sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie. Abermals flüsterte er ihren Namen mit heißem Atem an ihr Ohr und übersäte ihren freien Nacken mit unzähligen Küssen. Da Chelsea nicht wusste, was sie tun sollte, krallte sie sich mit beiden Händen in Vaughns Hemd und genoss seine atemberaubenden Berührungen auf ihrer Haut.

 

Erneut nahm er von ihrem verführerischen Mund Besitz und wanderte mit einer Hand an ihrer Seite entlang, die sich langsam einen Weg unter ihren Pullover suchte. Das ganze nahm Chelsea am Rande wahr, viel zu sehr war sie auf ihre eigenen undefinierbaren Gefühle konzentriert, die sich allmählich überall in ihr ausbreiteten. Wie flüssige Lava wanderten sie in jede Faser ihres Körpers und verursachten ein Meer an Empfindungen, denen sie nicht so schnell Herr werden konnte. Sie genoss und fühlte. Spürte Vaughn über ihr, der ihr mittlerweile den Pullover ausgezogen hatte und bereits dabei war ihren BH sachte zu öffnen. Kaum war das geschehen, zog auch er sein langes Hemd aus und Chelsea konnte seine muskulöse glatte Brust sehen, die  sich behutsam auf ihren freien Oberkörper legte.

 

Die Gefühle des jungen Mannes fuhren Achterbahn. Schon lange hatte er sich gewünscht Chelsea so nahe zu sein, wie in diesem Moment und spürte deutlich, dass er noch viel mehr von ihr wollte. Er streichelte ihre zarte Haut und fuhr mit den Fingern die Form ihrer Brüste nach, die sich durch ihre Atmung hoben und senkten. Extrem stark fühlte er auch seine eigene Erregung, die sich inzwischen fast schon schmerzlich gegen seine Hose drückte. Ein tiefes Seufzen konnte er nicht länger unterdrücken.

Sein sehnsüchtiger Gedanke war, die junge Frau augenblicklich zu nehmen, so unschuldig sie in diesem Moment für ihn war. Gerade deswegen wusste er, dass es jetzt garantiert noch nicht an der Zeit war, diesen Schritt zu wagen.

Vaughn wusste, dass Chelsea noch nicht so weit war, obwohl sie sich nicht wehrte oder dem Treiben Einhalt gebot. Aufgrund ihrer unsicheren Körpersprache signalisierte sie ihm, dass sie neugierig war und ihm bestimmt alles geben würde, was er wollte, aber Vaughn war es viel wichtiger, dass auch sie es wollte, bevor sie zum ersten Mal gemeinsam diese tiefe Erfahrung machen würden.

 

Also begnügte sich Vaughn damit, Chelsea weiterhin zu küssen und ihre nackte Haut zu streicheln, wobei er die unsichtbare Grenze kein einziges Mal überschritt. Was ihn eine enorme Willensstärke abverlangte, die er zutiefst bereit war, aufzubringen. Nachdem Chelseas Unsicherheit und Angst nachgelassen hatten, die sie selber erst dann wahrgenommen hatte, als sie schon wieder verschwunden waren, kuschelte sie noch über eine Stunde mit Vaughn und nahm entspannt seine herrlichen Küsse auf, die nicht sinnlicher hätten sein können.

 

An diesem Nachmittag wussten beide, wie viel sie überhaupt füreinander empfanden und was sie sich gegenseitig bedeuteten. Eine wichtige Erfahrung, die unschätzbar für beide war, besonders für die junge Chelsea. In brünstig wünschte sie sich, dass dieser wunderschöne Tag niemals zu Ende gehen würde. 

 

Ihre Hände waren glückselig ineinander verschlungen, als die Sonne letztendlich begann unter zu gehen.

Eine schwere Prüfung

Kapitel 7: Eine schwere Prüfung

 

 

Normalerweise hätte Nathalie erzürnt darüber sein müssen, dass ihr Mark in den vergangenen Tagen keine Aufwartung gemacht hatte. Doch aufgrund von neuen Ereignissen und irritierenden schönen Empfindungen nahm sie davon fast gar nichts wahr. Ihr aktuelles Interesse galt dem wunderschönen jungen Mann Will, der durch sein charmantes und elegantes Verhalten dafür sorgte, dass sich Nathalie herrlich verloren in seiner Gegenwart fühlte. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den neuen Nachbarn in die Geschichte der Sonnenschein-Insel einzuweihen und ihm alles Sehenswerte zu zeigen. Trotz des kalten Winters, der die Insel in einen schlafähnlichen Zustand versetzt hatte.

 

„Und? Wie gefällt dir bisher das Leben auf der Insel? Ist kein Vergleich mit der Groß- stadt auf dem Festland, habe ich recht?“

„Nicht wirklich, aber ich muss zugeben, dass ich die Stadt auch nicht sonderlich vermisse. Hast du denn schon immer auf der Insel hier gelebt?“, hakte Will neugierig nach und schlug im selben Atemzug vor, ob sie ihr Gespräch nicht lieber in der gemütlichen Teestube fortsetzen wollten.

Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatte, erzählte Nathalie davon, wie ihr Großvater das kleine Dorf gegründet hatte und das im Laufe der Jahre immer mehr Menschen ihren Weg auf das kleine Eiland gelenkt hatten.

„Hört sich ja spannend an. Mit so einem berühmten Menschen in meiner Familie kann ich leider nicht angeben.“, lachte Will sein hinreißendes Lächeln und die junge Frau konnte ihr schnelles Herzklopfen nicht unterdrücken. Was waren das nur für schöne Gefühle, die sie zu spüren begann, wenn sie dem jungen Mann gegenüber stand? Seine Augen zogen einen unmittelbar in seinen Bann und wirkten so offen und einladend. Welche Frau könnte ihm dabei nicht widerstehen?

 

„Nathalie? Nathalie, hörst du mir noch zu?“

„Wie? Oh, tut mir Leid. Was hast du eben gesagt?“ Wie peinlich, dachte sich Nathalie und senkte vor Verlegenheit ihren Blick und krallte sich krampfhaft mit ihren Händen an ihrer warmen Teetasse fest.

„Ist alles in Ordnung? Du wirktest eben etwas zerstreut.“ Besorgt musterte Will die junge Dame vor ihm. Eiligst verneinte Nathalie und machte ihm klar, dass er sich um sie keine Sorgen machen müsse, obwohl es sie insgeheim unheimlich schmeichelte, dass er sich offenbar solche Gedanken um ihr Wohlergehen machte.

„Okay, wenn du das sagst. Was ich noch sagen, bzw. fragen wollte: Bei uns zu Hause ist ein kleines Fest geplant. Keine große Sache. Sabrina und ich sind der Ansicht, dass es an der Zeit ist, dass wir einen Empfang geben und uns richtig vorstellen sollten. Lilly, meine Kusine, ist davon nicht allzu sehr begeistert, aber ich hoffe, dass sie dadurch ein anderes Bild von der Insel und ihren Bewohnern bekommt. Daher wollte ich dich bitten, ob du die Einladungen, die ich mitgebracht habe, bei deinen Freunden und Nachbarn verteilen kannst? Ich meine, wenn ein so bezauberndes Mädchen wie du, die Einladungen verteilst, dann können die Leute bestimmt nicht ablehnen.“

 

Natürlich konnte Nathalie daraufhin gar nicht anders reagieren, als den freundlichen Auftrag anzunehmen und sich innerlich schon darüber freuen, Wills bescheidenes Anwesen aus nächster Nähe zu begutachten. Als sie die Einladungen durchsah, musste sie mit geringem Erschrecken feststellen, dass auch Chelsea und Mark eingeladen werden sollten. Ein Stich durchfuhr ihr Herz. Schweren Gemüts musste sie feststellen, dass sie an Mark die letzten Stunden überhaupt nicht gedacht hatte. Irgendwie hatte Will anscheinend den Platz unverhofft übernommen, den kurz zuvor noch Mark inne gehabt hatte.

Zunehmend verwirrter, versuchte Nathalie so ungezwungen wie zuvor mit Will umzugehen, doch das schlechte Gewissen begann allmählich an ihr zu nagen.

 

                                                                                           ~<>~

 

„Also wirklich, Elliot! Du schaffst es immer wieder, mich jeden Tag aufs Neue zu überraschen.“, jubelte Julia und fiel ihrem Geliebten prompt um den Hals. Fast hätte er sein Gleichgewicht verloren, was fatal gewesen wäre, denn dann wären beide unsanft auf den harten steinigen Boden gefallen, noch dazu die Kälte, die den Boden nahe dem Gefrierpunkt trieb. Zum Glück konnte sich Elliot aufrecht halten und Julia einen sanften Kuss schenken, den sie seufzend erwiderte.

„Es freut mich immer ungemein, wenn ich dich so überraschen kann.“, entgegnete der schüchterne junge Mann und reichte seiner Freundin die Hand, um sie zu ihrer Verabredung zu führen. Glücklich schmiegte sich Julia an Elliots linken Arm und hakte sich bei ihm ein.

 

„Es ist verdammt lange her, als wir zuletzt in Maggies Teestube gesessen haben. Aber es ist schön, dass wir da erneut hingehen. Dort herrscht immer eine gemütliche und harmonische Atmosphäre.“, freute sich Julia und strahlte bei ihrer letzten Erinnerung an die Verabredung mit Elliot über das ganze Gesicht.

„Auch wenn mir damals die Teetasse samt dem Inhalt umgekippt ist? Hinterher hatte ich Blasen auf meinem Handgelenk gehabt.“, erinnerte sich Elliot ungern daran.

„Aber Elliot, dein Handgelenk war schnell danach wieder verheilt. Außerdem war es trotz des unglücklichen Zwischenfalls ein romantischer Nachmittag gewesen, oder möchtest du lieber doch nicht hingehen?“, hakte die junge Frau besorgt nach und schaute eindringlich zu ihrem Geliebten auf.

„Wie? Oh, nein, n-nein, Julia! So w-war das d-doch nicht gemeint.“, stotterte Elliot unbeholfen und in dem Versuch seine Freundin zu beruhigen, wollte er sie enger an sich heran ziehen, rutschte in dem Moment bedauerlicherweise aus und fiel ungalant auf seine vier Buchstaben. Zuvor hatte er es noch rechtzeitig geschafft, Julias Hand loszulassen, ansonsten wäre sie mit ihm auf dem Boden gefallen.

„Elliot! Ist alles in Ordnung mit dir? Hast du dich verletzt?“, beugte sich Julia über ihn und half ihm augenblicklich wieder auf die Füße.

„Nein, es…es geht schon. Sorry, ich bin einfach ungeschickt.“

„Solange du dich nicht ernsthaft dabei verletzt hast, bin ich erleichtert, mein Schatz.“

Einen zarten Kuss hauchte sie ihm auf die Wange. Sofort hatte der tollpatschige Mann vergessen, dass er kurz zuvor vor seiner Liebsten hingefallen war.

„Danke, Julia. Lass uns weitergehen. Die Teestube ist bereits in Sicht.“

 

Kaum, nachdem das junge Paar die Tür zur Teestube betreten hatten, blieben sie wie angewurzelt stehen und beobachteten Nathalie, wie sie vergnügt und lachend mit einem gutaussehenden jungen Mann plauderte, der nicht Mark war. Als Julia und Elliot ihre Sprache wieder gefunden hatten, suchten sie sich einen Tisch in der Nähe der beiden und winkten unbeholfen herüber. Vor Schreck verschluckte sich Nathalie an ihrem Tee und musste husten. Als Will dann auch noch den Vorschlag machte, sich zu den beiden rüber zu setzen, da er sich an ihren Bruder erinnern konnte, wünschte sich die Pinkhaarige im Erdboden zu versinken, der sich leider nicht unter ihren Füßen auftun wollte. Somit blieb ihr nichts anderes übrig, als sich mit Will zu ihrem Bruder und seiner Freundin zu setzen, die ihr mittlerweile einen verständnislosen und unübersehbaren vorwurfsvollen Blick zuwarf. Allem Anschein nach hat Miss Perfect wieder ein Fehlverhalten an Nathalie entdeckt mit dem sie sie in den nächsten Tagen zurechtstutzen wird.

 

„Hallo! Du bist doch Elliot, nicht wahr? Du hast uns zu unserem Anwesen gebracht, als wir hier ankamen.“, begrüßte Will das Paar freundlich und lächelte sie offen an. Zögerlich stellte Elliot seine Freundin vor. Nebenbei versuchte er Blickkontakt mit seiner Schwester aufzunehmen, die beide bewusst ignorierte. Zumindest versuchte sie es.

„Das ist aber schön. Nathalie hat mir gar nicht erzählt, dass ihr Bruder in solch bezaubernden Händen ist.“, zwinkerte der blonde Mann dem Pärchen verschwörerisch zu. Das Paar errötete leicht, nahm aber das Kompliment dankend entgegen.

„Komisch.“, erwiderte Julia und sah dabei Nathalie eindringlich an. „Dabei dachte ich, dass Nathalie heute mit Mark verabredet ist. Ihrem Freund!

Am liebsten hätte die Angesprochene ihrer Freundin die Teetasse über dem Kopf ausgekippt. Jedoch wollte sie vor Will keine schlechte Figur machen und riss sich gerade noch so zusammen. Es war ihr schon peinlich, dass Julia ihm so plump mitteilen musste, dass sie ebenfalls in festen Händen war. Sie konnte nicht ganz nachvollziehen, warum es ihr etwas ausmachte. Eigentlich hätte es sie freuen sollen. Allerdings war Mark zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein sensibles Thema mit dem sie sich nicht befassen wollte. Schon gar nicht vor Will!

 

„Ach so! Ist das etwa ein Geheimnis oder wieso hast du mir das nicht erzählt?“, wandte sich Will lächelnd an seine Begleiterin.

Störte es ihm etwa nicht?, dachte sich Nathalie unwillkürlich und versuchte dieses eigenartige Gefühl von Enttäuschung zu unterdrücken.

„Nun, wir…bisher haben wir darüber noch nicht gesprochen. Es gab noch keine Gelegenheit dazu…“, versuchte sie sich unbeholfen rauszureden und hoffte, dass damit das Thema vorübergehend erledigt war. Jedoch hatte sie die Rechnung ohne ihrem unsensiblen Bruder gemacht.

„Mit Mark habe ich gestern flüchtig gesprochen. Er meint, ihr hättet euch in letzter Zeit nicht so oft sehen können, weil du mit zurückgebliebener Arbeit überhäuft wärst.“

„Und was hast du ihm daraufhin gesagt?“, zischte Nathalie über den Tisch und ballte ärgerlich ihre Hände zu Fäusten. Garantiert hat ihr Bruder sie verpfiffen und ihm mitgeteilt, dass sie in den letzten Tagen, so gut wie nie zu Hause gewesen war, obwohl sie ihrer Familie gesagt hatte, dass sie mit ihm, also mit Mark, verabredet gewesen war.

„Nichts Genaueres. Nur das die Arbeit eben manchmal Vorrang hat.“, erklärte der sonst so zurückhaltende junge Mann in einem ernsten Ton, den Nathalie überraschte. Sie wusste darauf keine Antwort und hatte mit einem Mal das Gefühl sich in große Schwierigkeiten gebracht zu haben. Abrupt stand sie auf, murmelte eine knappe Entschuldigung und versicherte Will noch, dass sie die Einladungen an alle verteilen würde, bevor sie regelrecht fluchtartig die Teestube verließ.

 

Nach wenigen Metern ergriff sie jemand von hinten am rechten Arm und sah sich kurz darauf ihrem Bruder erneut gegenüber.

„Lass mich los, Elliot! Den Weg finde ich schon allein nach Hause.“, schnauzte sie ihn an und entzog sich rasch seinem Griff.

„Daran zweifele ich nicht, kleine Schwester.“

„Seit wann nennst du mich, kleine Schwester?“

„Dann, wenn es sein muss.“

Nathalie stockte. War das wirklich ihr Bruder, der ihr gegenüber stand und ihr mit ernster Miene ins Gesicht starrte?

„Hör mir gut zu. Ich weiß nicht, was für ein abgekatertes Spiel du hier treibst und möchte es auch gar nicht wissen. Du sollst aber wissen, dass ich dieses hinterhältige Verhalten nicht lange tolerieren werde. Immerhin betrifft es auch Mark, der sich ernsthafte Sorgen um dich macht, weil du ihm die letzten Tage so oft ausgewichen bist.“

„Er und sich Sorgen machen? Warum ist er dann nicht hier und erzählt es mir selber? Bisher hat er sich noch nicht bei mir entschuldigt.“

„Wofür auch, Nathalie? Sag es mir. Du stößt ihn doch permanent von dir zurück. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mark das noch lange mit machen wird. Hier mein Rat an dich: Rede mit ihm. Versöhne dich wieder mit ihm und komm mit ihm zusammen zur Wills Feier. Ich weiß, du liebst Mark. Mach also nicht alles kaputt, was ihr bisher erlebt habt. Ich will, dass du glücklich bist, kleine Schwester.“

 

Tränen rannen dem jungen Mädchen über das Gesicht. „Glück? Was faselst du hier von Glück und meinen Gefühlen? Das geht dich alles überhaupt nichts an. Lass mich also in Frieden damit. Mark hat mich enttäuscht, dass ist alles, was ich dazu zu sagen habe.“

„Und wenn er das von dir und Will erfährt? Meinst du nicht, dass Mark ebenso von dir enttäuscht sein wird?“, ließ Elliot nicht locker. Er konnte es kaum noch mit ansehen, seine Schwester so traurig zu sehen, aber er wusste auch, dass ihr Verhalten alles andere als richtig war. Das musste sie von sich aus einsehen.

„Zwischen mir und Will läuft nichts! Schreib dir das hinter die Ohren. Und überhaupt ist es mir ein Rätsel, wie ausgerechnet DU eine glückliche Beziehung führen kannst!“

 

Damit blieb Elliot allein zurück. Lange starrte er seiner Schwester hinterher. Sie musste noch eine Menge lernen und erst einmal begreifen, was Liebe eigentlich bedeutet. Er hoffte das Beste für seine kleine Schwester, die, wie es scheint, zum ersten Mal auf seine Hilfe angewiesen war. Nur, leider hatte er noch keine Ahnung, wie er ihr helfen könnte. Mark war der richtige für sie, dass wusste er. Nathalie musste es nur noch selber erkennen.

Wie sollte er das anstellen, ohne dass noch ein größeres Unheil geschieht? Momentan konnte er nicht sagen, ob das Treffen zwischen Will und seiner Schwester bereits weitere Schäden angerichtet hatte.

 

Sorgenfreie und sorgenschwere Zeiten

Kapitel 8: Sorgenfreie und sorgenschwere Zeiten

 

 

„Weißt du schon, was du zur Party bei Will und Sabrina tragen wirst?“

Verloren stand Julia vor ihrem nicht mal annähernd riesigen Kleiderschrank und schaute mit einem Blick hinein, der soviel aussagte das, was auch immer Julia für einen Fetzen Stoff wählen würde, dieser nicht einmal ansatzweise in einer Million Jahre an der Garderobe von Regis und seiner Familie mithalten könnte. Besonders Lilys Kleiderschrank. Davon war die Braunhaarige überzeugt.

„Bestimmt wird unsere Diva in einem hautengen Kleid gesteckt sein und meterlange Absätze tragen, in denen kein gewöhnlicher Mensch normalerweise in der Lage ist zu gehen.“

„Wieso machst du dir so viele Gedanken über Lily und ihre Kleidung?“, hakte Chelsea nach, die eine Tierzeitschrift zur Seite legte und bereits seit einer halben Stunde versuchte ihrer Freundin gute Modetipps zu geben. Obwohl sie von Mode noch weniger Ahnung als Julia hatte. „Elliot wird dich in allem was du trägst schön finden.“

 

„Daran zweifle ich auch gar nicht. Es ist nur, ach, ist dir aufgefallen, wie Lily vorgestern durch unser Dorf marschiert ist? Mit ihrem sündhaft teuren schwarzen Mantel, der ihr bis zu den Knöcheln reichte und einer dunklen Sonnenbrille??? Welcher vernünftige Mensch trägt zu dieser dunklen Jahreszeit eine Sonnenbrille? Wie hochnäsig ist diese Person eigentlich?“, echauffierte sich Julia und ruderte wild mit ihren Armen.

„So aufgebracht erlebe ich dich nur selten. Meinst du nicht, dass du ein wenig übertreibst? Immerhin kennen wir Lily nicht wirklich.“

„Da hast du recht, aber irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl bei der. Ich kann nicht sagen warum. Außerdem hatte ich den Eindruck…Äh, nein. Vergiss es. Ist nicht so wichtig.“

Ruckartig wandte Julia ihrer Freundin wieder ihren Rücken zu und tat so, als würde sie erneut ihren Kleiderschrank inspizieren.

 

„Julia, kann es sein, dass du mir irgendetwas verschweigst?“, bohrte Chelsea nach.

„Nö. Es war wirklich nichts Wichtiges, Chelsea. Beschäftigen wir uns lieber wieder mit der Kleiderfrage. Was meinst du, sollte ich eher das rote oder das blaue…“

Weiter kam sie nicht. Denn in diesem Moment hatte sich Chelsea direkt neben sie gestellt und funkelte ihre Freundin ungeduldig an. „Was verschweigst du mir, Julia?“

„Ach, Chelsea.“, seufzte Julia und erkannte, dass sie sich wohl oder übel geschlagen geben musste. Allerdings war es auch ihre eigene Schuld, hätte sie nur ihren Mund gehalten. Dabei hatten Elliot und sie ausgemacht, es Chelsea nicht zu verraten. Gerade jetzt, wo ihr Bruder und Nathalie so große Beziehungsprobleme haben.

 

„Tja, weißt du, im Grunde genommen, bin ich mir nicht ganz sicher was ich gesehen bzw. beobachtet habe.“

„Hast du Streit mit Elliot? Das würde mich jetzt wirklich überraschen.“

„Was? Nein. Zwischen mir und Elliot läuft alles bestens, das versichere ich dir. Ich bin unglaublich glücklich mit ihm.“, träumte die Braunhaarige bei diesen Worten und überlegte, ob sie nachher noch auf einen spontanen Besuch bei Elliot vorbeischauen sollte.

„Nein. Mit Elliot und mir hat es nichts zu tun. Sondern Lily. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich vorgestern an …nun ja, an deinen Bruder herangemacht hätte.“ Nervös betrachtete Julia ihre Hände. Perplex schaute Chelsea ihre Freundin an.

„Was genau meinst du? Wann sind sie sich denn begegnet?“

„Vorgestern. Dein Bruder stand vor Taros Haus und machte einen unsicheren Eindruck, ob er an die Tür klopfen sollte oder nicht.“

„Ja, mein Bruder wollte Nathalie sehen und vielleicht mit ihr reden.“

„Vielleicht?“

„Nun, dass mein Bruder völlig neben sich steht, ist dir bestimmt schon selber aufgefallen. Der andauernde Streit zwischen ihm und Nathalie lässt sich nach wie vor nicht so einfach aus der Welt schaffen. Außerdem meinte ich neulich zu ihm, dass sich Nathalie bei ihm zuerst entschuldigen müsste, aber…Inzwischen denke ich, dass egal wer, jemand von den beiden den Anfang machen müsse, damit wir alle wieder in Ruhe zusammen abhängen können. Denn von ihrem Disput sind wir alle betroffen.“

 

„Das stimmt. Mittlerweile ist es wirklich nicht mehr schön mit anzusehen, wie die beiden sich komplett ignorieren. Also, um wieder zurück zu kommen. Elliot und ich sahen Mark vor der Tür stehen. Wir kamen gerade von einem Spaziergang wieder und gingen direkt auf ihn zu. Allerdings wechselten wir nicht viele Worte miteinander. Mark hatte beinahe die Flucht ergriffen, als dann plötzlich Lily um die Ecke kam und deinen Bruder am weitergehen hinderte. Ich…kann dir nicht sagen, worüber sie miteinander gesprochen haben. Dafür standen Elliot und ich zu weit weg. Doch, für einen kurzen Moment hatte Lily deinen Bruder am Arm gepackt und sich sehr nahe an ihn geschmiegt. Sie war gerade dabei ihren Kopf auf seine Schulter ablegen zu wollen, als sich Mark ruckartig von ihr losriss und schleunigst das Weite suchte.“

„Hm. Das ist schon seltsam. Mark hatte mir gar nichts von dieser Begegnung erzählt.“, erwiderte Chelsea und ließ sich bäuchlings auf Julias Bett fallen. „Aber jetzt, wo du es erzählt hast, Mark wirkte an dem Abend zerstreuter als die Tage davor. Ich hatte es auf das Problem mit Nathalie geschoben. Lily wäre mir niemals eingefallen.“

„Wie gesagt, es muss nichts heißen. Elliot und ich sind uns beide unsicher, was wir nun genau gesehen haben. Dafür ging alles viel zu schnell. Ich vermute, dass diese Initiative ganz allein von Lily ausging und nicht von Mark.“

 

„Das denke ich auch. Mark liebt Nathalie über alles. Hatte er mir vor kurzem noch versichert. Ach Julia. Warum läuft es bei den beiden so arg schief und bei uns dagegen…Ich kann mir gar nicht vorstellen, auf diese Art mit Vaughn zu streiten. Noch dazu über mehrere Tage hinweg.“

„Das kann ich mir mit Elliot ebenfalls nicht vorstellen. Allein schon der Gedanke ist völlig absurd.“

Ein leises Kichern entrang den Mädchen.

„Ich liebe Vaughn.“, flüsterte Chelsea leise, dennoch hatte es Julia gehört.

„Wird dich Vaughn zur Party begleiten oder möchte er die neuen Inselbewohner lieber meiden?“

„Hm. Ich glaube, dass er am liebsten nicht zur Party gehen würde, aber da ich ihn gefragt hatte, ob wir nicht zusammen gehen wollen, kommt er natürlich mit. Außerdem hatte er etwas gemurmelt, was so viel klang wie „Nur über meine Leiche lasse ich dich alleine zu den reichen Snobs gehen“ oder so ähnlich.“

„Haha, das kann ich mir denken. Vaughn ist richtig vernarrt in dich, Chelsea. Du hast einen guten Einfluss auf ihn.“

 

Sofort errötete Chelsea. Zumal ihr unwillkürlich das Bild von ihr und ihm in ihrem Bett vor ihr geistiges Auge trat. „Kann schon sein.“, gab die Brünette zögernd zu.

„Am Anfang war er wirklich wortkarg und fast schon unfreundlich uns allen gegenüber gewesen.“

„Ja, aber das zeigt uns mal wieder wie sehr sich jemand ändern kann. Ich würde nicht behaupten, dass Vaughn mit jedem auf der Stelle Freundschaften schließen würde, aber er ist nicht mehr so distanziert. Er ist offener. Nur Lana kann er nach wie vor nicht ausstehen.“, lachte Julia und Chelsea stimmte mit ein.

„Wohl wahr. Die beiden werden unter Garantie immer eine Art von unsympathischer Zuneigung füreinander haben. Vaughn kann sich stundenlang über den Kosenamen aufregen, den Lana ihm verpasst hat. Vaughnie!“

„Lana ist und bleibt ein Original.“

„Ich selber darf ihn ebenfalls nicht so nennen. Dann wird er ungemütlich.“, redete Chelsea weiter.

„Ungemütlich?“, hakte Julia neugierig nach. „Inwiefern ungemütlich? Drängt er dich gegen eine Wand und lässt dir keine Möglichkeit zu fliehen?“

„Julia!“

 

Feuerrot im Gesicht warf Chelsea ihre lachende Freundin mit einem Kissen ab.

„Warum wirst du denn rot? Sag bloß, ich habe mit meiner Äußerung recht?“

„Halt die Klappe! Was Vaughn und ich tun, geht dich gar nichts an. Lass uns wieder darüber reden, was wir zur Party nun anziehen werden.“

„Ich finde das andere Thema aber bei Weitem interessanter.“, neckte Julia ihre wütende Freundin noch und sorgte nur wieder dafür, dass sie ein weiteres Kissen am Kopf traf.

 

                                                                                        ~<>~

 

Lily stand in der Mitte einer riesigen Halle und gab lautstarke Befehle von sich, die dafür sorgten, dass das Personal eiliger als sonst versuchte ihre Arbeiten zu erledigen. In zwei Tagen sollte eine Feier stattfinden, dem der Hausherr zugestimmt hatte, und Lily wollte, dass das gesamte Anwesen den ganzen Abend über von seiner besten Seite präsentierte. Ihr Cousin Will beobachtete sie, wie sie ein junges Dienstmädchen verbal zur Schnecke machte, weil sie ein Staubkorn auf der Fensterbank übersehen hatte. Normalerweise hätte sich Will inzwischen an das unmögliche Benehmen seiner Kusine gewöhnen müssen, aber er tat es nicht. Nebenbei konnte er sich auch nicht so einfach damit abfinden. Denn, er kannte sie auch anders. Früher war Lily nicht so herrisch und gebieterisch gewesen. Allerdings wusste der junge Mann nicht im Geringsten, wie er seiner Kusine helfen konnte, damit sie endlich wieder zur Vernunft kam.

Nachdem Lily dem jungen verängstigten Mädchen mit einer Kündigung drohte, mischte er sich doch in die heikle übertriebene Situation ein und sorgte dafür, dass das zitternde Mädchen einer anderen Tätigkeit, weit weg von Lily, nachgehen konnte. Natürlich war seine Kusine alles andere als zufrieden damit, doch einschüchtern konnte sie ihn nicht, das wusste sie. Also, bedachte sie ihn mit einem finsteren Blick und stolzierte erhobenen Hauptes davon.

 

Nach dieser, fast schon alltäglichen, Auseinandersetzung mit seiner Kusine suchte Will Sabrina in ihrem Atelier auf. Das schüchterne Mädchen wirkte immer sehr beruhigend auf den jungen Herrn, egal welche Sorgen in von Zeit zu Zeit plagten. Leise setzte er sich auf einen Sessel nahe der Tür und beobachtete Sabrinas schmale Gestalt.

Um ihre Haare nicht zu beschmutzen, hatte sie sie zu einem praktischen Dutt aufgesteckt. Selten trug sie ihre Haare zusammengebunden und Will kam dann immer in den Genuss, ihren nackten geraden Hals zu bewundern. Die junge Frau war mit dem Rücken zu ihm gewandt und konzentrierte sich voll und ganz auf ihre langsamen und zarten Pinselstriche, die eine malerische Landschaft auf die Leinwand zauberten. Ohne das Sabrina es bemerkte, gab sich Will seiner Fantasie hin und verspürte wie so oft den Wunsch, seine kräftigen Arme um ihre schmale Taille zu legen und seine Nase in ihren Nacken zu versenken, um ihren betörend femininen Duft einatmen zu können. Heute sah er wieder mehr als verführerisch aus. Unmerklich zuckte Wills linke Hand, bevor er sich innerlich befahl seine Gedanken nicht in derartige Richtungen schweifen zu lassen. Bedauerlicherweise wusste er nur allzu gut, dass Sabrina für immer unerreichbar für ihn bleiben würde.

 

Will wollte resigniert wieder aufstehen, als sich Sabrina plötzlich nach ihm umdrehte und ihre Farbpalette mit einem Quicken aus ihrer Hand fallen ließ. Errötend machte sich die junge Frau daran, ihr Malheur schnell wieder zu bereinigen und vermied es in Wills Augen zu sehen, der, wie ein Gentleman ebenso ist, ihr sofort zu Hilfe geeilt war. Gemeinsam wischten sie nun den Boden auf, wobei ihre jeweilige Atmung nicht weit genug vom anderen entfernt war.

 

„Es tut mir sehr leid, Sabrina. Ich hätte dir gleich sagen sollen, dass ich ins Zimmer gekommen bin.“

„Schon gut. Ich war nur so vertieft und…Wie lange hast du schon auf dem Sofa gesessen?“

Und mich heimlich beobachtet, wollte Sabrina eigentlich noch hinten dran hängen, brachte diese Worte aber nicht so einfach über ihre Lippen. Denn, dass Will ausgerechnet sie beobachtete und wahrnahm, das konnte sie sich  nicht mal im Entferntesten vorstellen.

„Eine Weile.“, gab Will zögernd zu und wischte den letzten Farbklecks auf. „Lily hat mal wieder maßlos übertrieben und eine Angestellte richtig runtergeputzt, sodass ich dazwischen bin und Lily jetzt sauer auf mich ist. Das übliche, also.“

Er versuchte ein sorgloses Lächeln, doch Sabrina kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass ihm Lilys unmögliches Benehmen sehr belastete.

 

„Für mich hat es den Anschein, als ob Lily irgendetwas mit der Feier am Samstag erreichen will. Vermutlich ist sie deswegen aufbrausender als sonst.“

„Aber warum? Zuerst konnte sie die Insel nicht leiden, geschweige denn ihre Bewohner und nun versucht sie eine Party auf die Beine zu stellen, bei der sie sich benimmt, als ginge es um Leben und Tod.“

„Vielleicht hat sie jemanden kennen gelernt und demjenigen will sie imponieren.“

„Was? Wann hat sie denn jemanden kennen gelernt? Den ganzen Tag über ist sie doch immer in ihrem Zimmer.“

„Vor ein paar Tagen ist sie abends noch mal aus dem Haus gegangen.“, erklärte Sabrina.

 

„Wie? Warum denn das?“ Erstaunt blickte Will die junge Frau vor ihm an, die eiligst ihren Blick von ihm abwandte und ans Fenster trat.

„Nun, sie hat mir nichts gesagt. Aber als sie wieder heim kam, hatte sie ein triumphierendes Lächeln im Gesicht und meinte im Vorbeigehen zu mir, dass sie sich schon richtig auf die Party am Samstag freue. Als ich daraufhin von ihr wissen wollte, woher ihr plötzlicher Sinneswandel kam, hat sie nur gegrinst und gemeint, das wäre ein Geheimnis.“

„Hm. Irgendetwas muss vorgefallen sein.“, murmelte Will und stützte sich neben Sabrina auf der Fensterbank ab. Traurig starrte er nach draußen und nahm das Bild einer kahlen Landschaft in sich auf, womit der Winter leider immer einherging.

 

Verstohlen starrte Sabrina den jungen Mann von der Seite an und hatte das dringende Bedürfnis ihn in ihre Arme nehmen zu wollen, um ihn zu trösten. Damit sie keine peinliche Situation verursachte, ballte sie krampfhaft ihre Hände zu Fäusten und tat so, als würde sie ebenfalls wahrnehmen, was draußen vor dem Fenster geschah.

Keiner von ihnen wusste, dass sie in diesem ruhigen Moment an den jeweilig anderen dachten und sich wünschten, dass keine Etikette zwischen ihnen wäre, die es verhinderte, dass sie sich näher kommen konnten.

Am Tag vor der Party

Kapitel 9: Am Tag vor der Party

 

 

Der junge Rancher, Mark, unternahm wie so häufig in den letzten Tag einen langen und einsamen Spaziergang durch den Wald. Ab und zu hatte er Toto mitgenommen, aber, immer wenn Chelsea in der Küche stand und backte, war der kleine Vierbeiner nicht von ihrer Seite zu kriegen. Immerhin hatte er die Hoffnung, dass ein kleines Leckerli für ihn dabei herauskam. Was ständig der Fall war. Ja, dieser kleine Racker ist wahrhaftig mehr als nur ein bisschen verwöhnt. Dennoch musste Mark darüber schmunzeln. Glücklicherweise eine Erinnerung, die ihn halbwegs zum Lachen bringen konnte.

 

Länger konnte er es nicht mehr vor sich selber leugnen. Er liebte und vermisste Nathalie. Er vermisste die Abende, die sie zu zweit auf der Veranda oder am Kamin verbracht hatten, die zufälligen Begegnungen auf der Straße im Dorf, wobei es nie wirklich Zufälle waren. Mark hatte es mit Absicht jedes Mal auf diese zufälligen Treffen ankommen lassen, weil er neben seiner anstrengenden Arbeit in der Hochsaison, trotzdem für ein paar Minuten mit seiner Nathalie zusammen sein wollte. Ihm war aufgefallen, dass seine Freundin nicht hellauf erfreut gewesen war, dass Mark über mehrere Wochen hinweg so wenig Zeit für sie übrig hatte. Persönlich, gefiel es ihm auch nicht. Tatsächlich konnte er sich einen besseren Zeitvertreib vorstellen, als jeden verdammten Tag Ställe auszumisten oder den Acker zu pflügen. Es gab weiß Gott, schönere und entspannende Dinge als die eigene Arbeit, die man jeden Tag vor seiner Haustür hatte. Besonders zur Winterzeit, die für Paare, wie geschaffen schien.

 

Frustriert begann er Steine aus dem Weg zu kicken und hin und wieder Äste zu zerbrechen, als ihm plötzlich auffiel, dass er unbewusst den Weg zur Göttinenquelle eingeschlagen hatte. Hilflos starrte er auf die klare glänzende Wasseroberfläche und spürte eine wahnsinnige Wut in sich aufsteigen. Vor seinem geistigen Auge erschien das Bild von Nathalie, wie sie errötend zu ihm aufgeschaut hatte, als sie sich das erste Mal an dieser Stelle geküsst hatten. Wie sehr hatte sie gegen ihre Gefühle für ihn gekämpft, weil sie es damals einfach nicht wahrhaben wollte und sich nicht eingestehen konnte. Sein unschuldiges Mädchen, die so unvergleichlich süß geschmeckt hatte, als seine Lippen endlich von ihren kosten konnten. Sogar sein Herz war für einen Moment stehen geblieben. Mit einem Mal wünschte er sich diesen Augenblick bitterlich zurück.

 

Außer sich vor Zorn schlug er auf den harten kalten Boden ein und warf alles in die Quelle, was er in die Finger kriegen konnte. Er fluchte dabei, war sauer auf sich selbst und den stillen Wald um sich herum. Das Wasser platschte und brach die glatte Oberfläche entzwei. Dass er selber dabei nass wurde, störte ihn gar nicht, obwohl es ein verdammt kühler und teilweise eisiger Tag war. Sein Atem kam stoßweise. Nachdem er völlig erschöpft auf die Knie sank und seine komplette Wut verraucht war, konnte er noch immer Nathalies Gesicht vor sich sehen. In der Hoffnung, dass sie mit einem Mal hinter ihm auftauchen würde, drehte er sich um und blickte keuchend den Weg hinunter. Doch, niemand erschien.

Als er sich wieder der Quelle zuwandte, funkelte die Wasseroberfläche wie zuvor in einem herrlich schönen Blau, welches nicht von dieser Welt schien. Einen tröstlicheren Anblick konnte Mark ansonsten nur in Nathalies klaren blauen Augen sehen.

 

                                                                                          ~<>~

 

„Chelsea, ich verlange eine Erklärung.“

Wenig begeistert zog Vaughn seine dicke Jacke an und trat mit Chelsea in die eisige Kälte vor seiner Tür. „Warum müssen wir ausgerechnet heute, an diesem verdammt kalten Tag, an den Strand gehen und Steine sammeln? Noch dazu mit Lana???“

Daraufhin lächelte Chelsea bloß, trat auf ihre Zehenspitzen und küsste ihrem Freund besänftigend auf den Mund. Diese Gelegenheit nutzte Vaughn und zog seine Chelsea noch enger in seine Arme und erwiderte leidenschaftlicher den Kuss. Inzwischen tat er das ziemlich oft, wenn das junge Paar alleine war. Trotzdem hatte sich Chelsea noch nicht wirklich daran gewöhnt. Sie bezweifelte, ob man sich jemals an die innige und aufrichtige Zuneigung von seinem eigenen Freund gewöhnen konnte. Denn so, behielt es die knisternde Spannung zwischen den beiden bei.

„Lass uns zu Hause bleiben und einen gemütlichen Nachmittag zu zweit machen. Nur wir beide.“

„Vaughn, ich, ich habe es Lana nun mal versprochen. Es dauert auch nicht lange, das verspreche ich dir. Außerdem, das letzte Mal als wir beide allein waren, da…“

 

Dem Paar gingen dieselben Gedanken durch den Kopf. Beide dachten an den Nachmittag zurück, an dem sie gemeinsam und halbnackt in Chelseas Bett gelegen und alles andere um sich herum vergessen hatten. Dies waren unglaublich sinnliche Stunden für sie beide gewesen. Besonders für Chelsea, die immer noch leicht errötete, wenn sie daran dachte, dass Vaughn zum ersten Mal ihren halbnackten Körper gesehen hatte. Allerdings war er so unfassbar sanft und zärtlich gewesen, dass das junge Mädchen es nach wie vor nicht bereute. Wozu auch? Hatte sie es denn selber nicht ebenfalls so gewollt, wie Vaughn? Bestimmt. Außerdem, fast jedes Mal, wenn sie an ihren Freund denken musste, wünschte sie sich ihm körperlich nahe zu sein. War es dann nicht normal, dass man solche Sehnsüchte bekam, wenn man schon so lange mit jemanden zusammen war?

 

„Chelsea? Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Wie? Oh, äh, ja. Ja, es ist alles gut. Ich habe nur gerade daran denken müssen, als wir beide…Äh, du weißt schon.“

„Mm, ja, das weiß ich noch. Es war ein herrlicher Nachmittag gewesen.“, flüsterte Vaughn ihr ins Ohr und küsste sie dann auf ihre Stirn.

„Werden wir es irgendwann wieder machen?“

Perplex starrte Vaughn seine Freundin aus großen Augen an und Chelsea hätte sich am Liebsten auf ihre Zunge gebissen. Die Worte waren aus ihrem Munde gewesen, noch ehe sie sie aufhalten konnte, geschweige denn richtig darüber nachdenken konnte, was sie überhaupt sprach. „Oh, Gott!“

Abrupt wollte sich Chelsea von ihm abwenden, doch Vaughn hielt sie zurück und nahm sie erneut in seine starken Arme.

 

„Das muss dir nicht peinlich sein.“, versuchte Vaughn seine Freundin zu besänftigen.

„Dafür hast du mich aber völlig entsetzt angesehen.“

„Entsetzt? Chelsea, nein, nicht entsetzt. Ich war bloß überrascht, dass ist alles.“

„Und ich erst.“

„Willst du mich nicht wieder ansehen?“

Stur schüttelte die braunhaarige ihren Kopf und drückte ihr Gesicht noch tiefer an Vaughns Brust.

„Nun, wenn das so ist. Irgendwann musst du es aber wieder, weil ich darauf bestehen werde. Und, soll ich dir was verraten?“

„Was?“

„Ich freue mich schon darauf, wenn wir wieder so eng zusammen sein werden, wie neulich.“

 

Vaughn wollte, das Chelsea ihn wieder ansah, aber sie war noch nicht bereit ihren Kopf wieder zu heben, der so tiefrot angelaufen sein musste, dass sich Chelsea nur noch mehr geschämt hätte.

„Du musst dich vor mir nicht schämen.“

„Vaughn?“

„Ja, Liebling.“

„Ich habe noch nie…ich meine, was ich fragen wollte…Hast du schon mal mit einer…mit einer anderen…Gott! Du weißt, was ich sagen will.“

 

Nie in seinem Leben hätte Vaughn es für möglich gehalten, dass er ein solches Gespräch führen würde. Anscheinend war es Chelsea wichtig, und sie hatte bereits länger darüber nachgedacht. Er hörte es an ihrer Ungeduld an, die in ihrer Stimme lag und daran, wie krampfhaft sie ihn festhielt. Als könnte die Antwort, die er ihr geben musste, ihr nicht gefallen. Dabei, und Chelsea wusste es noch nicht, war es für ihn ebenso Neuland, wie für sie.

„Liebling, ich, nun. Ich war noch nie mit einer anderen Frau als mit dir zusammen in einem Bett.“

„Ist das wahr?“ Und endlich sah sie wieder zu ihm auf. Liebevoll strich er eine braune Haarsträhne aus ihrem Gesicht und nickte bestätigend.

„Aber, du bist doch schon 20 und ich dachte immer, ich bin davon ausgegangen, dass du…“

„Chelsea, vor dir hat mich keine Frau so sehr fasziniert wie du. Du weißt, meine Kindheit war nicht einfach, deswegen habe ich lange nie jemanden an mich heran gelassen. Ich hätte es auch gar nicht tun können, weil ich nicht wollte, dass mir jemals jemand zu nahe kommt. Ich dachte immer, ich hätte es nicht verdient, geliebt zu werden.“

Zärtlich bedeckte er ihr Gesicht mit unzähligen Küssen. Mühsam unterdrückte Chelsea ihre Tränen. Einerseits, weil sie daran denken musste, wie ihr Vaughn von seinem eigenen Vater schwer misshandelt wurden war, andererseits, weil es sie so sehr rührte, dass sie fürchtete etwas falsches sagen zu können und der innige Moment wäre damit ruiniert.

 

„Nicht weinen.“

„Du kennst mich einfach zu gut.“

„Ja, überrascht mich nach wie vor noch. Ich liebe dich, Chelsea.“

„Ich liebe dich auch, Vaughn.“

Ein langer sanfter, warmer Kuss folgte. Dann setzten sie ihren Weg zum Strand fort.

 

                                                                                        ~<>~

 

Der fantastische, glückliche Moment war so eben vorbei. Ausgerüstet mit einem blümchenbemalten Eimer sammelte Vaughn am Strand Steine ein. Nicht nur irgendwelche Steine. Es durften nur schöne und glänzende Steine sein, die eine makellose und glatte Oberfläche besaßen. Seit einer guten halben Stunde versuchte er allen Ernstes derartige Steine zu finden. Hinter seinem Rücken hörte er Chelsea und Lana miteinander reden und zeitweise lachen. Beim besten Willen konnte sich der junge Mann nicht vorstellen, was am Steine sammeln Spaß machen konnte, noch dazu in dieser Kälte. Dummerweise trug er keine Handschuhe. Chelsea hatte ihre zu Hause liegen gelassen und er hatte ihr seine überlassen. Bei dieser gehirnamputierten Aktion, die sich Lana mal wieder in den Kopf gesetzt hatte, sollte seine Freundin garantiert nicht unnötig frieren.

 

„Vaughnie!“

Vaughn zuckte zusammen. Oh, großer Gott, mach dass das endlich aufhört.

„Ich habe dir doch gesagt, dass du mich so nicht nennen sollst!“

„Und ich habe dir gesagt, dass ich solche hässlichen Steine nicht haben will.“, keifte die junge Sängerin. Demonstrativ hielt sie ihm eine der Steine vors Gesicht, die Vaughn achtlos in seinen blümchenbemalten Eimer geschmissen hatte. Dabei konnte er es immer noch nicht fassen, dass er mit einem herumlief. Was tat man nicht alles für seine Freundin.

„Das ist ein Stein, Lana. Genau, wie du wolltest.“

„Nichts da. Dieser hier ist dunkel, zu dunkel und rau. Ich will und brauche aber glatte und helle Steine. Mit so einem hier, kann ich nichts anfangen, Vaughnie!“

„Hör zu, Lana. Es reicht mir endgültig mit dir. Ich werde jetzt…“

„Hey, Leute, beruhigt euch.“

Gerade noch zur rechten Zeit trat Chelsea zwischen die Kontrahenten und nahm Lana den Stein wieder ab.

 

„Wozu brauchst du überhaupt all diese vielen Steine?“, lenkte Chelsea Lana von ihrem Freund ab und sorgte so dafür, dass sich Vaughn beruhigen konnte. In diesem Moment trat ein strahlendes Lächeln auf Lanas Gesicht.

„Ich möchte mit den Steinen etwas herstellen. Was genau, weiß ich noch nicht, aber es wird bestimmt etwas ganz Tolles. Und es soll eine Überraschung sein.“

„Für Denny?“

„Ja. Für wen wohl sonst? Damit versuche ich mir die Zeit zu vertreiben, solange er nicht da ist.“ Sehnsüchtig schaute Lana übers Meer und hoffte, dass sie Denny so schnell wie möglich wieder sehen würde.

 

„Denny ist zum Arbeiten aufs Festland gegangen, oder?“, hakte Chelsea nach und überraschenderweise war es Vaughn, der ihr antwortete.

„Ja. Sein Onkel besitzt eine Fischfabrik drüben. Ab und zu hilft Denny ihm aus, weil er sich mit seinem kleinen Anglerladen hier kaum über Wasser halten kann. Warum siehst du mich jetzt so komisch an?“

„Du und Denny, ihr seid Freunde?“ Ungläubig starrte Chelsea ihren Freund an. „Davon hast du mir gar nichts gesagt.“

„Tja, also, ob wir Freunde sind, weiß ich nicht, aber ab und zu sind wir uns überm Weg gelaufen und dabei hat er mir davon erzählt.“

„Ach, so ist das.“

„Ist alles in Ordnung, Chelsea?“ Bereits zum zweiten Mal stellte er an diesem Tag diese Frage.

„Wie? Ja, es, es ist alles gut. Mach dir keine Sorgen. Sammeln wir lieber weiter Steine.“

 

Mit diesen Worten wandte sich Chelsea von ihrem Freund ab und vertiefte sich von neuem wieder in ein Gespräch mit Lana. Dabei hatte Vaughn die restliche Zeit über das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben.

 

                                                                                    ~<>~

 

Im Haus des Bürgermeisters stand Nathalie vor ihrem Kleiderschrank und probierte inzwischen das zwanzigste Outfit aus, welches sie am nächsten Tag zur Party anziehen wollte. Währenddessen, zwischen Make-up, Frisur und Kleid, plagten sie tiefe Gewissensbisse, weil ihr oberstes Ziel es war, mit ihrem hoffentlich atemberaubenden Aussehen Will endlich zu beeindrucken. Mittlerweile hatte sie Mark in die hinterste Ecke ihrer quälenden und reuigen Gedanken verbannt.

 

Zudem war Julia vor einer Stunde vorbeigekommen, um mit ihr gemeinsam ein passendes Outfit auszusuchen, doch Nathalie hatte ihre Freundin brüsk abgewiesen. Sie wusste, sie war unfair ihr gegenüber gewesen. Immerhin waren sie schon seit Ewigkeiten befreundet und sie hatten sich stets alle Geheimnisse, Sorgen und Nöten miteinander geteilt. Jedoch, konnte sie aus irgendeinem Grunde nicht anders, als ständig nur noch gemein und abweisend ihren Mitmenschen gegenüber zu sein. Sogar ihre Mutter hatte ihr angeboten zu reden. Nathalie hatte es ihrem Blick angesehen, dass sie sich um ihre einzige Tochter Sorgen machte.

 

Allerdings, es gab für Nathalie jetzt wichtigere Dinge zu durchdenken, als dauernd Trübsal zu blasen. Sie wollte sich keinen deprimierenden Gedanken länger widmen, sondern sich an ihrer neuen Hoffnung klammern, dem überaus attraktiven und charmanten jungen Mann, Will, zu gefallen.

Doch, warum tat ihr dabei nur ihr Herz so weh?

Die Gäste treffen ein

Kapitel 10: Die Gäste treffen ein

 

 

Nervös schlug ihr das Herz bis zum Hals. Es pumpte jede Menge warmes Blut durch ihre Venen, und diese heiße Lava breitete sich bis in ihre Zehenspitzen aus. Diese Wärme kam von innen und ließ sie bereits etliche Male fragen, woher bloß? Und warum?

Sabrina hatte bereits häufiger Partys und Veranstaltungen beigewohnt, die weitaus größer und aufwändiger gewesen waren. Sie war in die Welt hineingeboren wurden, in der man mit Geld um sich warf oder vor anderen damit protzte, um sich im Neid der anderen baden zu können. Schon immer hatte Sabrina solche Leute verabscheut, die lediglich ihr Geld sprechen ließen, als die Person selbst. Zum Glück war ihr Vater keiner dieser eingebildeten Lackaffen. Selbstverständlich genoss er den Reichtum und besaß gerne schöne Dinge. Wer tat das nicht? Dennoch hatte ihr Vater niemals anderen gegenüber spüren lassen, als wäre er etwas Besseres, aufgrund seines vielen Geldes. Wäre dem tatsächlich so gewesen, hätte er sich bestimmt niemals dazu entschlossen auf diese kleine schöne abgelegene Insel zu fahren und einen dauerhaften Wohnsitz darauf einzurichten.

 

Inzwischen hatte Sabrina diese kleine Insel lieb gewonnen. Zwar war durch die kalte Jahreszeit bedingt alles um sie herum kahl und die Tiere hatten sich in ihre Höhlen und Bauten zurückgezogen, trotzdem konnte sie bereits das bunte Leben fühlen, das im Frühjahr wieder kommen würde. Sobald das erste frische Grün den Boden durchbrochen hatte.

 

An diesem Abend trug Sabrina ein langes violettes Kleid, das bis zu ihren Knöcheln reichte. Es war schlicht und mit langen Ärmeln versehen. An ihrem linken Handgelenk trug sie ein filigranes silberfarbenes Armband, an dem ein vierblättriges grünes Kleeblatt hing. Dazu passend trug sie grüne Ohrstecker und eine grüne Haarspange teilte ihr Haar elegant in zwei Teile, wodurch ihr Pony locker ins Gesicht fiel. Ansonsten legte Sabrina keinen weiteren Schmuck an. Weil sie in Schuhen mit hohen Absätzen nicht laufen konnte, hatte sie sich für bequeme Ballerinas entschieden, in derselben Farbe des Kleides. Außerdem wollte die junge Frau auf ihre runde Brille heute Abend verzichten und es nach Monaten mal wieder mit Kontaktlinsen ausprobieren. Die letzten hatte sie nicht vertragen, woraufhin ihr neue verträglichere empfohlen wurden. Nach langem hin und her hatte sich Sabrina endlich wieder dazu durchgerungen, es erneut mit Kontaktlinsen zu probieren. Mittlerweile trug sie die seit zwei Stunden und ihre Augen haben noch nicht begonnen zu rebellieren. Das hielt sie für ein gutes Zeichen.

 

Wahrscheinlich kam ihre Nervosität daher. Im Spiegel betrachtet, sah sie heute so anders aus. Elegant, feminin und irgendwie…hübsch. Bis auf ein wenig Wimperntusche hatte sie auf weiteres Make-up verzichtet. Ihre natürliche Ausstrahlung war ihr lieber. Zudem erinnerte ihr Gesicht sie so noch an sich selbst, weswegen Sabrina mit ihrem Aussehen sehr zufrieden war. Eine leichte Röte zierte ihr Gesicht. Ihr Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals. Was war denn nur heute mit ihr los? Woher diese Aufregung?

Ein kurzes Klopfen riss sie aus ihren unruhigen Gedanken und eilte zur Tür.

 

Will blieben die Worte im Halse stecken, nachdem er Sabrina erblickt hatte. Stumm starrte er sie an und hoffte nur, dass man nicht hören konnte, wie verräterisch ihm sein Herz in diesem Moment schlug. Er war wie gebannt und hatte plötzlich den innigen Wunsch Sabrina in seine Arme zu schließen und ihr einen langen Kuss zu geben. Er wollte schon einen Schritt auf sie zu machen, ehe er sich in der letzten Sekunde zusammennahm und Sabrinas zitternde Stimme ihn aus seinem Bann zog.

 

„Will ist…ist alles in Ordnung? Stimmt denn etwas…an meinem Aussehen nicht?“

„Wie?“

Na großartig gemacht. Sein langes hohles Starren muss in Sabrina den Eindruck erweckt haben, als würde er sie alles andere als schön finden. Super gemacht, du Held.

„Wie kommst du denn darauf? Nein, Sabrina. Ich war nur überrascht, weil du keine Brille aufhast und man so deine schönen Augen direkt ansehen kann.“

Nun war Will derjenige, der nervös mit seinen Händen gestikulierte und keinen Schimmer mehr hatte, wozu sie eigentlich da waren.

Überrascht über seine ehrliche Aussage, lief Sabrina rot an und senkte verlegen ihren Blick. Innerlich freute sie sich und sie spürte, wie ihr Bauch anfing vor Vorfreude zu kribbeln.

„D-danke, Will. Ich…ich finde, dass du in dem Anzug auch sehr gut aussiehst.“

„Oh.“

 

Will wusste nicht, ob er lachen oder vor Freude jubeln sollte. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er Sabrina, die er seit langem heimlich liebte, auf diese Art aufgefallen war. Tatsächlich hatte er lange überlegt, welchen Anzug er wählen sollte. Bis er sich für den dunkelgrauen mit Fliege entschieden hatte und seine blonden Haare mit Gel nach hinten frisiert hatte, damit ihm keine Haarsträhne ausnahmsweise mal ins Gesicht fiel.

„Danke, Sabrina. Ich bin gekommen, um dich abzuholen und dir Bescheid zu geben, dass unsere ersten Gäste soeben eingetroffen sind. Wollen wir?“

 

Galant, mit einer leichten Verbeugung, hielt er ihr seinen rechten Arm hin, damit sich Sabrina bei ihm einhaken konnte. Mit einem knappen Nicken und einem Lächeln tat sie das auch. Nachdem sie sich berührt hatten, hatte Will das Gefühl das es ein schöner Abend für ihn werden würde und er würde alles dafür tun, damit auch Sabrina diesen Abend nie so schnell vergessen würde.

 

                                                                                             ~<>~

 

Julia, Elliot und Nathalie waren die ersten, die Regis Anwesen betraten. Es sollte eine Feier unter den jungen Erwachsenen werden, weswegen keine Eltern der Party beiwohnen sollten und Regis sich abseits vom fröhlichen Treiben in sein Arbeitszimmer verzogen hatte.

Lily hatte all ihr dekoratives Können aufgefahren und die Eingangshalle, sowie den angrenzenden großen Saal in ein Meer aus bunten Farben verwandelt. Alles war blitzplank geputzt, kein Fenster wies fettige Fingerabdrücke auf, Lampen und Kronleuchter strahlten in goldener Pracht um die Wette, dass man gewiss erblindet wäre, würde man allzu lange in dieses blendende Licht schauen. Girlanden hingen an den Decken und Wänden und ein Meer aus roten Rosen, die in ein Dutzend Vasen gestopft wurden, standen geschickt verteilt im gesamten Raum herum. Weiterhin gab es kleinere Tische mit jeweils drei Stühlen, die mit einem kleinen gelben Blumenbouquet bestückt waren und ein meterlanges Büffet zierte die komplette linke Wandseite des Raumes. Es gab etliche köstliche Speisen, wie gebratenes Fleisch, zartes Hühnchen, eine Menge an Buttergemüse, Kartoffeln, Reis, drei verschiedene Puddingsorten, selbstgemachter Joghurt, Kuchen, Obst und einen beeindruckenden Schokoladenbrunnen. Schon beim Anblick lief einem das Wasser im Mund zusammen.

Julia hörte den Magen ihres Freundes Knurren, musste darüber schmunzeln und fragte sich, wer all diese Speisen aufessen sollte. Insgesamt erschien ihr das recht viel und sie hatte den Verdacht, dass die gesamte Planung und Gestaltung auf Lilys Konto ging.

 

Übertrieben nahm sie jeden einzelnen in Empfang und führte jeden Gast persönlich zu seinem Tisch. Erst jetzt fiel ihr auf, dass es sogar Namenskärtchen gab. Was hatte das zu bedeuten? Sie saß mit Elliot und Nathalie an einem Tisch. Nathalie schien über die Sitzordnung alles andere als zufrieden zu sein. Immer wieder warf sie einen verstohlenen Blick in Wills Richtung, der allerdings nur Augen für Sabrina zu haben schien. Julia merkte die Unruhe ihrer Freundin. Gleich auf dem ersten Blick hatte sie gesehen, dass sich Nathalie besonders in Schale geworfen hatte, um anscheinend niemand anderem als Will zu gefallen. Sie trug ein minzfarbenes Kleid, das mit einem schicken Gürtel ihre Taille betonte. Zudem trug sie ihr Haar offen und allem Anschein nach, hatte ihre Freundin versucht, sich aufreizend zu schminken. Wenn man ihr direkt gegenüber saß, konnte man erkennen, dass sie zu viel Make-Up aufgetragen hatte und ihre Augen rot umrandet waren, was ein Zeichen dafür war, dass sie sich mehrere Male abgeschminkt hatte, bevor sie sich für ein helles pink entschied.

Julia und Elliot selber haben auf aufwändige Kleidung verzichtet und sind wohl die einzigen, die in Jeans, Elliot im Hemd und Julia in einfacher Bluse aufgetaucht waren.

 

Wie nicht anders zu erwarten war, hatte Lily für derartige Kleidung nur einen herablassenden Blick übrig gehabt. Beim besten Willen konnte sie nicht nachvollziehen, wie man so unscheinbar herum laufen konnte, und sich als Mädchen mit einem tollpatschigen Trottel wie Elliot einlassen konnte. Seine Ungeschicklichkeit zeigte sich bereits in dem Versuch, seiner Freundin und seiner Schwester jeweils ein Glas Wasser zu besorgen. Wäre Will nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen, wäre dieser Trottel über seine zwei linken Füße gestolpert und hätte kostbares Wasser verschüttet.

Und diese Nathalie versuchte mehr als deutlich die komplette Aufmerksamkeit ihres Cousin für sich zu gewinnen. Dabei hätte sie erstmal einen Stylisten zu Rate ziehen sollen. Dieses einfache Bauernmädchen sah aus, wie eine vollbemalte Leinwand ohne jegliche Anziehungskraft. Die Gastgeberin zweifelte, dass sie jemals bei Will landen würde.

 

Außerdem hatte Lily für heute Abend andere Pläne, als sich um das Liebesleben ihres Cousin zu kümmern, der sowieso nur Augen für die schüchterne Sabrina hatte, die wiederum heute ausnahmsweise sehr hübsch aussah, musste Lily insgeheim zugeben. Doch sie wartete auf diesen attraktiven Vaughn und vielleicht auch auf den smarten Mark. Einen von den beiden, wollte sie sich heute Abend schnappen. Dabei war ihr es egal, dass Vaughn offensichtlich mit Chelsea zusammen war. Jedoch war sich Lily ziemlich sicher, dass es ihr gelingen würde, Vaughns vollständige Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Nicht umsonst hatte sie drei Stunden vor ihrem Spiegel zugebracht, bis sie sich letzten Endes für ein hautenges rot-schwarz gestreiftes Kleid entschieden hatte und eine aufwendige Aufsteckfrisur kreierte und überaus teures Make-Up benutzte, um einen atemberaubenden Anblick heute Abend abzugeben. Das Ergebnis war ihr auch tatsächlich gelungen, denn der nächste der die Ehre hatte, Regis Villa zu  betreten war der dümmliche Koch Pierre, der doch tatsächlich einen Mehlfleck auf seiner linken Wange hatte. Zu allem Überfluss trug er einen violetten Anzug mit viel zu großer Fliege und einen potthässlichen Zylinder. Wozu sollte der nur gut sein?

 

„Schönen guten Abend. Vielen Dank für die Einladung. Und was riecht da mein feines Näschen? Ist das etwa selbstgemachtes Hühnerfrikassee?“

Mit leuchtenden Augen ließ er Lily einfach stehen, nachdem er ihr übertrieben die Hand geschüttelt hatte und eilte zum gegenüberliegenden Büffet. Wahrscheinlich musste sich Lily erstmal ihre Hände gründlich desinfizieren. Wer weiß, wo er zuvor alles seine Hände drin gehabt hatte. Schnurstracks wollte sie schon die nächste Toilette aufsuchen, als ihre zwei Zielobjekte endlich den Raum betraten. Obwohl weder Mark noch Vaughn einen Anzug trugen, sondern beide eine elegante Jeans und dazu farblich passende Hemden trugen, gefiel Lily durchaus, was sie da vor sich sah. Mark hatte zu seinem blonden Haar blau-weiße Kleidung gewählt, wohingegen Vaughn komplett in schwarz auftrat. Hinter den beiden erschienen dann auch Chelsea und Lana. Chelsea wurde von einem roten Kleid mit passender Schleife unterhalb ihrer Brüste gehüllt. Ein geflochtener Zopf fiel ihr elegant über die Schulter und kleine Silberohrringe zierten ihre unschuldigen Ohrläppchen. Lana hingegen trug ein einfaches pinkfarbenes Kleid mit dazu passendem Haarreif.

 

Nachdem Lily sich ausgerechnet hatte, dass sie auf jeden Fall Chancen bei Vaughn im Laufe des Abends haben würde, eilte sie nun geschwind herbei und entführte ihn zielstrebig zu einem der Tische.

„Willkommen, dass ihr gekommen seid. Vaughn, wenn du mir die Ehre erweisen würdest, an dem Tisch hier mit mir zu sitzen? Deine Begleitung kann an dem Tisch neben der anderen Gäste Platz nehmen.“

Chelsea traute ihren Ohren kaum. Begleitung? Was hatte das zu bedeuten? Und warum sollte ihr Freund mit Lily alleine an einem Tisch sitzen? Sogar Lana und Mark schauten überrascht drein.

„Was meinst du, Lily?“, fragte Vaughn perplex nach und entzog sich eilig ihrem Griff.

„Na, was wohl? Es gibt eine Tisch- und Sitzordnung, die ich zusammengestellt habe. So wird das immer gemacht, wenn ich eine Feier organisiere und ich dulde keinen Widerspruch.“

 

„Lily, vielleicht sollten wir davon heute Abend absehen.“, mischte sich ihr Cousin ins Gespräch ein, der ahnte, dass es sonst eine Katastrophe geben könnte. „Was haltet ihr alle davon, wenn wir die Tische zusammen schieben und uns um sie herum verteilt nebeneinander setzten? So sind wir alle näher zusammen und können uns auch viel besser unterhalten.“

„Schweig! Ich dulde keine Planänderung.“, fauchte sie ihn ungehalten an. „Es wird so gemacht, wie ich es die ganze Zeit geplant habe, ansonsten ist die Party vorbei bevor sie richtig angefangen hat.“

„Aber Lily,“, wollte nun auch Sabrina etwas einwerfen, aber ihr Gegenüber warf ihr einen dermaßen vernichtenden Blick zu, dass sie auf der Stelle wieder verstummte.

Auch die übrigen waren wie vor dem Kopf geschlagen und wussten nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten. Beschämt schaute Vaughn seine Freundin an, die nun beschwichtigend lächelte.

 

„Okay. Wenn sich Lily so viel Mühe mit ihrer Planung gegeben hat, sollten wir uns auch daran halten.“

Ach, Chelsea, dachte Julia, die ahnte, dass ihre Freundin ihre eigentliche Gefühlsregung mächtig im Zaum halten musste.

„Vaughn, Mark. Wir sind alle zum ersten Mal hier und haben Taro versprochen, dass wir nicht negativ bei unseren neuen Nachbarn auffallen werden. Also lasst uns, unsere Plätze suchen und dann gemütlich miteinander feiern.“

„Ist das in Ordnung für dich, Schwester?“, hakte Mark besorgt nach und bedeutete auch Vaughn, dass er endlich etwas dazu sagen sollte. Doch bevor er reagieren konnte, ergriff Chelsea erneut das Wort.

„Ja, es ist alles in Ordnung so. Lasst uns kein Wort mehr darüber verlieren. Inzwischen kriege ich wahnsinnigen Kohldampf. Findet ihr nicht auch, dass das Essen vorzüglich riecht?“

 

Daraufhin wusste niemand mehr was zu sagen, außer dass sie Chelsea mit ihrer letzten Äußerung Recht gaben. Vaughn versuchte noch einen letzten Blick von seiner Freundin zu erhaschen, die sich allerdings bereits von ihm abgewandt hatte und mit den anderen ihren Platz einnahm. Lily lächelte triumphierend und führte Vaughn bestimmt an ihren Tisch, an dem sie endlich ungestört sein konnten.

Will war sich nicht wohl dabei. Die Atmosphäre unter ihnen war bedrückend und er war sich mit einem Mal nicht mehr so sicher, ob es ein wirklich schöner Abend für alle werden wird.

Ein Gespräch im Bad

Kapitel 11: Ein Gespräch im Bad

 

 

Es herrschte eine eher gedrückte Stimmung. An den vier Tischen wurde zunächst wenig geredet. Ständig wurden stumme Blicke untereinander ausgetauscht oder man versuchte zwischen zwei Happen zu Essen eine Resonanz von einer bestimmten Person zu erhaschen, die jedoch ausblieb.

Eigentlich war Mark davon ausgegangen, dass es ein gezwungener Abend für ihn werden würde, und zwar in der Hinsicht, entweder zu versuchen mit Nathalie ins Gespräch zu kommen oder ihr den ganzen Abend aus dem Weg zu gehen. Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass er sie nicht gänzlich über mehrere Stunden hinweg ignorieren konnte, weswegen sein Ärger zunehmend größer darüber wurde, da sie ihm so offensichtlich auswich. Hinzu kam Lilys eigenartige Partyplanung oder was auch immer das hier war. Er machte sich Sorgen um Chelsea, die von Vaughn durch Lilys Hand getrennt worden war, und sei es auch nur durch diese alberne Sitzordnung. Zwar plauderte sie mit Pierre oder Julia, die ihr am nächsten saßen fast in einer Tour, dennoch wusste er, dass sie sich Sorgen machte und garantiert nicht begeistert darüber war, dass sich eine andere Frau so offensiv an ihren Freund heranmachte.

 

Am liebsten wäre er mit ihr auf der Stelle nach Hause gegangen, aber was hätte das gebracht, außer Zwietracht in der Nachbarschaft heraufzubeschwören. Was das anging, hatte Chelsea Recht. Sie haben Taro versprochen keinen Ärger zu machen, auch wenn es bedeutete gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Zudem hatte Mark auch den Eindruck, dass diese schlechte Stimmung von Lily mit Absicht heraufbeschworen war. Ein Blickkontakt mit Julia hatte ihm bestätigt, dass sie genauso dachte, wie er. Julia war alles andere als begeistert und warf der Gastgeberin eisige Blicke entgegen, die sie jedoch kein einziges Mal bemerkte, da sie zu sehr damit beschäftigt war Vaughn zu umgarnen.

Vaughn sah alles andere als glücklich aus und wohl schien er sich in seiner Haut ebenso wenig zu fühlen.

 

„Dieses Essen ist wahrlich nicht schlecht.“, verkündete Pierre zum wiederholten Mal und schien als einziger, die unangenehme Stimmung im Saal nicht zu bemerken. „Zwar könnte diese Sauce noch eine zusätzliche Prise Pfeffer vertragen, aber ansonsten ist sie wirklich delicious.“

„Du scheinst nur fürs Essen zu leben, nicht wahr Pierre?“, fragte Lana vom Nachbartisch und probierte gerade den Wackelpudding aus. „Wie verlief deine Suche im dichten Waldgebiet? Zu dieser Jahreszeit wird man da wohl kaum etwas finden.“

„Ich habe keine Ahnung, weil ich nicht allzu tief vordringen konnte. Irgendetwas oder irgendjemand hatte mich die ganze Zeit über beobachtet, weswegen ich schnell wieder nach Hause gelaufen bin.“

„Meinst du die Gegend um den weißen Turm herum?“, hakte Mark nach und konnte im letzten Moment eine Bewegung aus seinem Augenwinkel ausmachen. Doch Nathalie hatte sich bereits wieder abgewandt.

 

„Ja, dort war ich vor wenigen Tagen gewesen. Es ist die einzige Gegend von der wir nicht allzu viel wissen und ich gehe jede Wette ein, dass es dort Zutaten vom unschätzbaren Wert geben muss.“

„Du denkst immer nur mit dem Magen.“, lachte Chelsea auf.

„Für etwas Anderes außer Essen scheint Pierre auch gar nicht zu leben. So wirst du niemals eine Freundin kriegen.“, neckte Julia ihn und alle anderen stimmten in dem Lachen mit ein.

 

Sabrina beobachtete bereits einige Zeit das lustige Treiben ihrer Gäste und gewann den Eindruck, dass sie trotz des holprigen Einstiegs in deren Haus, allmählich ihre Gelassenheit wieder fanden. Zudem stellte sich Lana als ein reizvolles Mädchen heraus, die ihrem Tisch mit Will zugeteilt wurden war. Irgendwie bewerkstelligte sie es, das sie sowohl gleichzeitig mit ihnen und ihren Freunden an den anderen Tischen reden konnte. Als ob zwischen ihnen keine räumliche Distanz geschaffen worden war.

„Sabrina, ist alles in Ordnung? Amüsierst du dich?“, beugte sich Will besorgt zu seiner langjährigen Freundin herüber, da sie in den letzten Minuten wieder sehr still geworden war. Ertappt zuckte die Angesprochene zusammen.

„Wie? Ja, ja, Will. Es ist alles gut. Ich dachte nur gerade daran, wie viel Spaß die anderen zusammen haben. Dabei war ich kurz davon ausgegangen, dass es kein schöner Abend mehr werden könnte, nachdem Lily so…“

Rasch verstummte sie wieder. Immerhin wollte sie nicht schlecht von seiner Kusine sprechen.

 

„Ist schon gut, Sabrina.“, beruhigte der junge Mann sie und nahm kurz entschlossen ihre Hand. „Ich weiß, dass meine Kusine kein einfacher Mensch ist und ich kann nur hoffen, dass unsere Nachbarn noch erkennen werden, was für ein gütiger Mensch sie in Wirklichkeit ist.“

Sanft hauchte er ihr einen Kuss auf ihre Hand. Überrascht, aber auch gerührt zierte eine zarte Röte Sabrinas Wangen.

„Ja, bestimmt.“

 

Bedauerlicherweise hatte Nathalie diese zärtliche Geste bemerkt und kam sich mit einem Mal so entsetzlich dumm vor. Augenblicklich schämte sie sich in Grund und Boden und wäre am liebsten davon gelaufen und hätte ihren Tränen, die sich unaufhaltsam hinter ihren Lidern anbahnten freien Lauf gelassen.

„Nathalie.“, versuchte Julia ihre Freundin aus ihren trübsinnigen Gedanken zu ziehen, die mitbekommen hatte, dass sich Nathalie nur noch schwer zusammenreißen konnte. „Lass uns gemeinsam zur Toilette gehen und unser Make-Up auffrischen. Was hältst du davon?“

Dankbar nahm Nathalie ihren Vorschlag an und ergriff wortlos die Hand ihrer Freundin.

„Soll ich mitbekommen?“ Doch Julia gab ihrem Freund zu verstehen, dass sie erstmal alleine sein mussten und Elliot verstand.

 

An einem anderen Tisch, wo Lily seit einer geschlagenen Stunde versuchte mit ihrem Gegenüber zu flirten, bekam von den Geschehnissen um sie herum nichts mit. Sie hatte bloß Augen für Vaughn, doch der ließ seinen Blick immer in Richtung Chelsea schweifen, die ihn bisher nicht einmal angesehen hatte. Mittlerweile machte sich Vaughn große Sorgen und zudem schwere Vorwürfe. Er fragte sich, ob er nicht anders hätte reagieren sollen und darauf zu bestehen, einen Platz an Chelseas Seite zu bekommen. Außerdem langweilte ihn Lilys dämliches Geplapper über diverse Nichtigkeiten, wie angesehen und wohlhabend ihre Verwandten seien. Das alles interessierte ihn nicht. Lieber wollte er auf Nummer sicher gehen, dass zwischen ihm und Chelsea noch alles in Ordnung war, denn ihr Verhalten war seit gestern Abend ihm gegenüber sonderbar geworden. Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten und er ihr noch zugesichert hatte, dass er sie abholen kommen würde, hatte Chelsea nur knapp genickt und war ohne ihm einen Abschiedskuss zu geben einfach ins Haus gegangen und hatte ihn stehen lassen. Vaughn konnte sich nicht vorstellen, was er falsch gemacht haben sollte, wodurch sein mulmiges Gefühl nur noch zunahm.

Er nahm sich fest vor, bei der sich nächstbesten Gelegenheit Lilys aufdringlichem Verhalten zu entkommen und ein offenes Gespräch mit Chelsea zu führen.

 

Im nahegelegenen Badezimmer heulte sich währenddessen Nathalie die Seele aus dem Leib. Tröstend lag sie in Julias Armen, die ihr beruhigend und mit einer Engelsgeduld sanft über ihren Rücken strich. Nachdem einige Minuten vergangen waren, war Julia der Meinung, dass sie so langsam das Thema zur Sprache bringen sollte.

„Nathalie? Geht es wieder einigermaßen?“

Zwar zitterte ihr Körper nicht mehr und der Tränenstrom war zum größten Teil besiegt, dennoch liefen ihr weiterhin wenige Tränen über das von Make-Up verschmierte Gesicht. Wortlos reichte ihr Julia ein Handtuch mit dem sie Nathalies Gesicht säuberte.

„Nathalie, was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Das Will dich mit offenen Armen empfangen wird? Obwohl ihr euch kaum kennt?“

„Ich…Ich weiß es nicht.“, gab die pinkhaarige kleinlaut zu. „Ich weiß wirklich nicht, was ich mir dabei gedacht habe…schnief…Will gefallen zu wollen.“

 

„Was war überhaupt zwischen dir und Mark? Hattet ihr einen so gewaltigen Streit, dass ihr euch deswegen getrennt habt?“

„Getrennt? Schnief…Nein, wir…wir haben uns nicht getrennt.“

„Wie bitte?“ Julia war fassungslos. Damit hatte sich ihre schlimmste Vermutung bestätigt.

„Nathalie, ich…Jetzt weiß ich nicht was ich dazu sagen soll. Außer, ich bin sehr enttäuscht von dir.“

Abrupt stand Julia auf und lief einige Schritte vor ihrer Freundin auf und ab. „Das du mit Will geflirtet hast, das haben Elliot und ich gesehen, aber…Wie konntest du das Mark nur antun?“, forderte Julia ihre Freundin knallhart dazu auf ihr das zu erklären.

 

„Will war so anders. Er…er hat mir zugehört.“

„Und Mark etwa nicht, oder wie?“

„Doch, schon.“

„Und was sollte das dann mit Will? Ihn betören zu wollen?“

„Er war einfach für mich da. Hat sich Zeit für mich genommen, während Mark in den letzten Wochen wenig Zeit für mich hatte.“, erklärte Nathalie und lief beschämt rot an. Jetzt, nachdem sie es ausgesprochen hatte, fiel ihr auf, dass das so gar nicht mehr stimmte. Vor wenigen Tagen hatte er sehr wohl versucht mit ihr vernünftig über alles zu reden, aber sie hatte ihn,  trotzig und stur wie sie war,  wieder weg geschickt.

 

„Nathalie? Woran denkst du?“, holte ihre Freundin sie wieder aus ihren Gedanken und kniete sich erneut vor sie hin.

„Ich glaube…Ich befürchte, ich habe Mark Unrecht getan. Ich war einfach nur verletzt, weil ich…Ich war so dämlich. Anscheinend hatte ich das Gefühl, dass ihm seine Arbeit wichtiger war als ich.“

„Nathalie, du hörst mir jetzt mal ganz genau zu. Natürlich ist Mark seine Arbeit wichtig, genauso wie für Chelsea. Damit verdienen sie ihren Lebensunterhalt. Das muss ich dir nicht erklären, weil ich weiß, dass auch dir das bewusst ist. Trotzdem hat Mark alles versucht, um immer Zeit für dich zu finden, weil er ebenso gerne mit dir zusammen ist, wie du mit ihm, weil er dich liebt, Nathalie. Und du liebst ihn auch.“

 

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. In diesem Augenblick verstand Nathalie selber nicht, wie sie Marks Gefühle für sie dermaßen in Frage stellen konnte. Sie wusste die ganze Zeit über, dass sie sich mit Will nur etwas vormachte, aber sie hatte einfach nicht den Mut gehabt offen zu ihren eigenen Gefühlen zu stehen und mit Mark darüber zu reden.

„Julia, meinst du…meinst du, Mark wird mir verzeihen?“ Hoffnungsvoll blickte sie ihre Freundin an.

„Ganz bestimmt. Ihr beide gehört eben zusammen.“

 

Ja, sie beide gehörten zusammen. Dem war sich auch Mark schmerzlich bewusst, der die ganze Zeit vor der Tür gestanden und der Unterhaltung gelauscht hatte.

 

Auf dem Tanzparkett

Kapitel 12: Auf dem Tanzparkett

 

 

Inzwischen machte sich Chelsea Sorgen um zwei ihrer Freundinnen, die seit über einer halben Stunde in Richtung Toilette gegangen waren. Nachdem Julia und Nathalie aufgestanden waren, war wenige Minuten später ihr Bruder den Mädchen gefolgt. Man hatte Nathalie angesehen, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Sie hatte sich sehr um Beherrschung bemüht, und dass ihr Bruder sich ebenfalls Gedanken um seine Freundin machte, war diesbezüglich nachvollziehbar. Für einen Augenblick hatte Chelsea den Gedanken erwogen sich zu ihren Freundinnen zu gesellen, aber sie wollte Nathalie nicht unnötig bedrängen. In den letzten Tagen hatte es Mark extrem schwer gehabt, und bestimmt war es ihrer Freundin ebenso ergangen. Zudem wusste sie, dass Nathalie bei Julia in guten Händen war.

Beziehungsprobleme waren echt nicht leicht. Gerade weil sie die ungute Befürchtung hatte, dass es mit ihrer Beziehung zu Vaughn momentan genauso holprig war. Dabei geschah es von einem Augenblick auf den anderen. Schon seltsam, fand die braunhaarige, aber dieses eigenartige Gefühl ließ sich auch nicht so einfach wieder aus der Welt schaffen.

 

Warum hatte ihr Vaughn nicht erzählt, dass er sich offenbar so gut mit Denny verstand, dass sie sogar gute Freunde geworden waren? Natürlich ist es kein Verbrechen, dass er Freundschaften schloss, aber erzählte man sich nicht sowas in einer Beziehung? Jetzt, wo Chelsea darüber nachdachte, wurde ihr erst so richtig bewusst, dass sie Vaughn stets sämtliche Gedanken und Ereignisse der Tage mitteilte, an dem sie sich nicht haben treffen können. Es war ihr von Anfang an ein dringendes Bedürfnis gewesen, ihm über alles in ihrem Leben auf dem Laufenden zu halten, während es Vaughn nie getan hatte. Das einzige, wovon er erzählt hatte, war seine Arbeit, und ob es Probleme im Geschäft gab. Ansonsten hatte er nie etwas von sich erzählt. Seinen Gefühlen ihr gegenüber, war sich Chelsea ziemlich sicher. Doch warum erzählte er ihr nie etwas von sich? Konnte es sein, dass er ihr diesbezüglich nicht hundertprozentig vertraute? Dass es ihm nach wie vor schwer fiel, ihr von sich zu erzählen, obwohl er ihr die grausame Misshandlung durch seinem Vater anvertraut hatte?

 

Vielleicht machte sich Chelsea aber auch zu viele Gedanken darüber und sie interpretierte ein Problem herbei, welches es gar nicht gab. Sie seufzte gerade, als sich plötzlich Will an ihrer Seite auftauchte.

„Hi! Stimmt etwas nicht? Wenn es wegen meiner Kusine ist, ich kann dafür sorgen, dass sie sich den Rest des Abends um jemand anderen kümmert, als um deinen Freund.“

„Oh, ich…äh…danke, aber es geht schon. Glaube ich.“

Will lächelte so charmant, dass Chelsea nicht anders konnte, als verlegen zur Seite zu schauen und just in diesem Moment dem Blick von Vaughn traf, der alles andere als begeistert schien.

„Sag, woher wusstest du, dass ich mit Vaughn zusammen bin?“

„Eure Körpersprache hat es mir verraten. Außerdem seid ihr Hand in Hand angekommen, das erklärt doch alles.“

„Stimmt.“, gab Chelsea lächelnd zu, als Vaughn urplötzlich neben sie trat und sie ohne Umschweife aufforderte ihr zu Folgen. Dabei zog er sie am Ellenbogen vom Stuhl und führte sie vor den Augen der anderen in die Eingangshalle, während Lily mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck hinterher sah.

 

„Kannst du mir mal verraten, was das soll?“, forderte Vaughn Chelsea direkt auf und baute sich drohend vor ihr auf, nachdem er sie mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt hatte.

„Hey, was…? Würdest du mich erstmal loslassen? Du tust mir nämlich weh!“

Sofort ließ Vaughn sie los und positionierte seine Arme links und rechts von Chelseas Kopf.

„Also?“

„Was also? Will hat mich nur gefragt, ob mit mir alles in Ordnung sei. Mehr nicht.“

„Das war alles?“, hakte Vaughn ungläubig nach und versetzte aufgrund seiner Tonlage Chelsea damit einen Stich.

„Ja, das war alles. Kannst ihn selber danach fragen, wenn du mir schon nicht glaubst.“

 

„Ich glaube dir.“, gab Vaughn nach kurzem Zögern zu.

„Will und ich haben nur wenige Worte miteinander gewechselt. Ich gehe davon aus, dass du das mit Lily auch nur tust.“

Die junge Frau spürte, wie sie mit einem Mal den Tränen nahe war. Anscheinend war sie doch nicht so cool und gelassen, wie sie dachte.

„Chelsea, ich…Es tut mir Leid.“

Vaughns Zorn war augenblicklich verraucht. Stattdessen überkam ihm ein schlechtes Gewissen, dass er den bisherigen Abend einfach so geschehen ließ und seine Freundin dadurch unglücklich gemacht hatte.

 

„Inzwischen habe ich von Lily sowieso die Schnauze voll. Sie nervt mit ihrer Angeberei in einer Tour. Lass uns den Rest des Abends nur noch zu zweit verbringen, einverstanden?“

„Das heißt, du kommst zu mir an den Tisch?“

„Unbedingt. Du hast mir gefehlt, obwohl du nicht weit von mir entfernst saßt.“

Dennoch war es ihm wie eine kilometerlange Entfernung vorgekommen. Seine geliebte Chelsea zwar zu sehen, aber nicht zu berühren. Er wollte ihr gerade einen Kuss auf die Stirn geben, als sie sein Gesicht mit ihren Händen einrahmte.

„Vaughn?“

„Ja?“

„Wir können doch offen miteinander über alles reden, oder?“

„Ja, natürlich. Wie kommst du jetzt darauf?“

„Nun ich, ich hatte gestern den Eindruck, dass du mir nie alles erzählst. Bis auf deine Arbeit, erzählst du mir kaum etwas.“

 

Einige Sekunden starrte der junge Mann seine Freundin an, ehr er begriff, worauf sie eigentlich hinauswollte.

„Du meinst wegen Denny? Weil ich dir nicht erzählt habe, dass ich ihn häufiger getroffen habe?“

„Ich weiß, es klingt vermutlich dämlich, aber ich bin davon ausgegangen, dass wir uns immer alles erzählen. Besonders…nach der Sache mit deinem Vater.“, gab Chelsea kleinlaut zu und hoffte, dass sie nicht allzu viele schreckliche Bilder wieder in ihm hervorgerufen hatte.

„Chelsea, ich…“

Seufzend wandte sich Vaughn von ihr ab und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Er konnte nachvollziehen, was ihm Chelsea damit sagen wollte. Allerdings war er bisher davon  ausgegangen, dass es in einer Beziehung reichte, wenn er ihr stets ein offenes Ohr schenkte und sie in allen Schwierigkeiten unterstütze. Und Vaughn hörte ihr sehr gerne zu. Chelsea war das komplette Gegenteil von ihm. Wahrscheinlich war es das, was er so anziehend an ihr fand und was er auch brauchte, um seine Wunden vollständig zu heilen. Mit Intimität konnte er in seinem bisherigen Leben nicht viel anfangen, geschweige denn begreifen, was das eigentlich bedeutete. Erst als er der jungen Frau vor ihm begegnet war, wusste auch er, dass er mehr vom Leben wollte, als ewig nur alleine zu sein. Er wusste nur noch nicht, wie er richtig damit umzugehen hatte.

 

„Chelsea, ich bin gewiss alles andere als einfach. Du weißt, wie meine erste Zeit hier auf der Insel für mich war und einiges aus meinem Leben davor. Ich kann bestimmt nicht immer alles richtig machen, aber ich kann und werde dir versichern, dass ich mich bemühen werde, dir gegenüber immer ehrlich und offen zu sein, weil du für mich der wichtigste Mensch auf Erden geworden bist. Du hast von Anfang deine Nähe zu mir gesucht, auch wenn vielleicht nicht bis zu dem Status, den wir heute haben, sondern damit ich es in deinen Augen leichter habe mich auf dieser Insel einzugewöhnen. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, jemals wieder von hier fort zu gehen und dich alleine zu lassen. Dich alleine zu lassen ist garantiert niemals eine Option.“

 

„Ach, Vaughn.“ Glücklich schlang Chelsea ihm ihre Arme um den Hals. „Es tut mir Leid, wenn ich ungerecht dir gegenüber war, aber…ich war einfach in Sorge, dass das, was wir haben nicht ausreicht oder dauerhaft Bestand hat. Bitte, entschuldige. Manchmal mache ich mir einfach unsinnige Gedanken, wenn ich Angst habe, dass ich dich eines Tages wieder verlieren könnte.“

„Das wird bestimmt niemals geschehen.“, versicherte ihr Vaughn und wischte ihr eine Träne aus dem Gesicht, die sie nicht mehr verbergen konnte.

„Ich liebe dich, Chelsea. Mehr als alles andere auf der Welt.“

„Ich liebe dich auch.“

 

Zur Bestätigung gab er ihr einen heißen innigen Kuss und schwor sich, seiner Geliebten nie wieder einen Grund zu geben an ihm zu zweifeln. Er hoffte inständig, dass ihm das auch gelingen würde.

 

                                                                                          ~<>~

 

Der geborene und charmante Gastgeber Will hatte sich bei all seinen Gästen erkundigt, ob sie mit allem Zufrieden waren oder ob etwas mit dem Essen nicht in Ordnung gewesen war. Dadurch kam er mit einigen ins Gespräch, die er zuvor nur vom Sehen her kannte und Pierres lustige Art hatte es ihm besonders angetan. Selbst Lana übte einen positiven Einfluss auf ihn aus, sodass er nicht anders konnte, als sie gern zu haben. Soweit er beurteilen konnte, erging es Sabrina ebenso. Es freute ihn ungemein, dass sie im Laufe des Abends ruhiger und gelassener geworden war und sogar mit Lana herzhaft lachen konnte. Im Großen und Ganzen gefiel ihm dieser bunte Haufen, die sich necken und trösten konnten, ohne mit giftigen Krallen aufeinander zuzugehen. Zudem war er sich auch ziemlich sicher, dass sich Lily wohl unter ihnen fühlen könnte, wenn sie endlich von ihrem hohen Ross herunterkommen würde.

Er hatte mitbekommen, dass sie mehr als verärgert ihren Platz verlassen hatte, nachdem Vaughn sie einfach hatte sitzen lassen. Sabrina war zugleich auf sie zugegangen, aber seine Kusine hatte sie wie immer unwirsch abgeblockt.

 

In diesem Moment kam Mark in den Saal zurück. Chelsea eilte sofort zu ihm, sobald sie ihn erblickt hatte.

„Hey, Bruder? Was ist los? Wie geht es Nathalie?“

„Ich…ich bin mir nicht sicher. Ich habe nicht mit ihr gesprochen.“, antwortete Mark, wobei er so traurig aussah, als wäre jemand gestorben. „Julia ist noch bei ihr.“

„Aber Mark. Was bedrückt dich so?“, ließ Chelsea nicht locker, doch ihr Bruder schüttelte bloß seinen Kopf. Als zu allem Überfluss Will auf die drei zu gesteuert kam, bedachte der junge Mann ihn mit einem finsteren Blick und ließ seine Schwester mit ihrem Freund einfach stehen.

„Hast du das verstanden?“, wandte sich die braunhaarige an Vaughn, doch er schüttelte verständnislos seinen Kopf.

Hinter ihnen kamen dann auch Julia und Nathalie wieder zurück. Da man der jungen Frau ansah, dass sie geweint hatte, wollte Will besorgt wissen, was denn mit ihr los sei, doch sie winkte eilig ab und suchte mit ihren Augen den Saal nach Mark ab. Kaum hatte sie ihn gefunden, dröhnte aus Lautsprechern, die von Geisterhand am Türeingang erschienen waren, eine kreischende Melodie und zusätzlich Lilys laute Stimme über Mikrofon.

 

„So. Könnt ihr mich alle hören? Was für eine Frage, natürlich könnt ihr mich alle hören. Damit die Party so richtig in Schwung kommt, habe ich ein paar Boxen aufstellen lassen und einen CD-Player, der nun laute und stimmungsvolle Musik wiedergeben wird und wir das Tanzbein schwingen können.“

 

Gesagt. Getan. Kaum ertönte die erste Strophe von irgendeinem Poplied, als Lily ohne viel Zeit zu verlieren, sich Mark geschnappt hatte und mit ihm auf der Tanzfläche rhythmisch ihren Körper bewegte. Eins musste man ihr lassen, obwohl sie Schuhe mit zentimeterlangen Absätzen trug und sie in einem hautengen Kleid steckte, konnte sich Lily dennoch anmutig und graziös bewegen. Sie tanzte schnell und betonte dabei jede einzelne ihrer Kurven und sparte nicht mit ihren betörenden weiblichen Reizen.

Fassungslos sahen die anderen dabei zu und fühlte sich alles andere als wohl in ihrer Haut, diesem Paarungstanz oder was auch immer Lily dabei veranstaltete, zuzusehen. Mark versuchte die ganze Zeit über Lilys hartnäckigen Klauen zu entkommen. Jedoch ließ sie ihn nicht. Die Amazone fühlte sich wie auf einer Mission und wollte unter gar keinen Umständen verlieren, und dass ihr der zweite Kerl auch noch entkam.

 

Den anderen wurde fast vom Zusehen schlecht, denn es war mittlerweile offensichtlich, was Lily damit bezwecken wollte. Über die dröhnende Musik konnte man sich kaum noch miteinander unterhalten, weswegen Will todesmutig zur Anlage lief und sie kurzerhand ausstellte.

Kaum war die letzte Musiknote verklungen, nutzte Mark den Moment in dem Lily abgelenkt war, und machte sich eilig von ihr los.

„Könnt ihr mir mal verraten, was dieses Affentheater von euch soll?“, brüllte er zugleich los und bedachte insbesondere Will mit einem alles vernichtenden Blick. „Habt ihr uns nur eingeladen, um uns wie Vollidioten aussehen zu lassen oder was?“

„Will, dreh sofort die Anlage wieder auf!“

„Nichts wird hier wieder aufgedreht!“, wandte sie Mark ungehalten an die zeternde Gastgeberin.

„Das hast du nicht zu entscheiden!“, schnauzte sie ihren ehemaligen Tanzpartner an. „Ihr solltet dankbar sein, dass wir euch überhaupt eingeladen haben und euch die Ehre erweisen unter unserem Dach zu sein.“

„Lily, sei sofort still! Weißt du überhaupt, was du da sagst?“, ging Will rüde seine Kusine an und starrte sie nur fassungslos an. Sogar Sabrina konnte ihren Ohren nicht trauen und war augenblicklich den Tränen nahe.

 

„Halt die Klappe, Will! Du Feigling hast es nicht einmal geschafft, dem Mauerblümchen zu sagen, was du für sie empfindest. Außerdem ist das hier meine Party. Hätte ich gewusst, dass es so ein lahmer Abend wird, hätte ich die Hälfte und vor allem dich nicht dazu eingeladen.“

„Was faselst du da für einen Unsinn?“, herrschte Will sie an und war inzwischen puterrot vor Ärger geworden, weil sie seine Gefühle für Sabrina mit ins Spiel gebracht hatte. Dummerweise hatte Mark Lilys Aussage falsch verstanden, weswegen er nun zielgerade auf den jungen Mann los ging und ihn unsanft am Kragen packte.

„Was höre ich da? Du hast dich an meine Freundin herangemacht?“

„Was? Wie? Wovon redest du?“

„Stell dich nicht dumm! Antworte mir gefälligst!“

„Ich weiß allerdings nicht, worum es eigentlich geht.“

 

„Bruder! Das reicht jetzt! Alle beide! Hört sofort auf damit!“

Mutig versuchte Chelsea den Griff von ihrem Bruder an Wills Kragen zu lösen. Mit Vaughns Hilfe gelang es ihr auch schließlich.

„Es bringt doch nichts, wenn wir uns gegenseitig angehen.“, versuchte Chelsea ihren aufgebrachten Bruder zu besänftigen und zog ihn sicherheitshalber von Will weiter fort. „Ich schätze, es ist das Beste, wenn wir alle wieder nach Hause gehen. Was meint ihr?“

Hoffnungsvoll blickte Chelsea ihre Freunde nacheinander an, die zustimmend nickten. Während der ganzen Auseinandersetzung war Nathalie erneut in Tränen ausgebrochen und hatte ihr Gesicht an Julias Schulter vergraben. Heftige Schuldgefühle plagten sie.

 

Unverhofft tauchte der Hausherr auf und verlangte umgehend eine Erklärung für diesen Aufruhr. Nun war auch Lily blass um ihre Nasenspitze geworden. Selbst wenn sie vor anderen stets arrogant und überheblich tat, vor Regis ganz sicher nicht. Flüsternd versuchte Sabrina ihrem Vater diese prekäre Situation zu erklären. Erst als Will an ihre Seite trat, gelang es ihr.

Unwohler konnte man sich wirklich nicht mehr fühlen, ging es Julia durch den Kopf und sah wie die anderen dabei zu, wie Lily unter Regis strengem Blick aus dem Raum geführt wurde. Mitleid keimte für einen kurzen Moment in ihr auf, war aber schnell wieder verschwunden, als sie die Miene der anderen sah. Kurz begegnete sie Marks Blick, der Nathalie zusammengesunken an ihrer Schulter gelehnt sah. Doch in diesem Augenblick war er zu aufgewühlt und zu wütend, um auf sie zuzugehen.

Rasch verließ er das Anwesen und die anderen wurden nach und nach von Will und Sabrina hinausbegleitet.

 

 

 

 

Auf holprigen Wegen

Kapitel 13: Auf holprigen Wegen

 

 

Die Tage nach der Party, oder viel eher nicht Party, vergingen recht langsam. Mühsam zogen die Stunden an einem vorbei und hinterließen einem das Gefühl, dass man etwas unerledigt liegen ließ. Als hätte man etwas vergessen oder würde am liebsten nur noch vergessen wollen.

Aber es ging nicht.

Seit jenem Abend war Mark übellaunig und auch oft ungehalten seiner Schwester gegenüber. Dabei versuchte sie alles, um ihn wieder aufzumuntern, sei es durch Kuchen, Plätzchen oder einem deftigen herzhaften Mittagessen. An Mark ging alles vorbei. Er registrierte kaum noch etwas um sich herum und ging wie jeden Tag seiner Arbeit nach, die er sich zu dieser kalten Jahreszeit akribisch suchen musste.

 

Taro war alles andere als begeistert, nachdem er erfahren hatte, wie der Abend in Regis Anwesen verlaufen war. Allerdings, zur Überraschung aller, enthielt er sich jeglichen Kommentars. Die jungen Leute waren auf sich alleine gestellt. Da niemand gewillt war, den Abend wieder zur Sprache zu bringen, wurde es eine Art stilles Abkommen, darüber möglichst auch kein Wort mehr zu verlieren. Zumindest nicht in Nathalies oder Marks Reichweite. Denn Julia war von dem Schweigen nicht begeistert und beschloss dagegen etwas zu unternehmen.

 

                                                                                 ~<>~

 

In Regis Anwesen herrschte seitdem ebenfalls eine reservierte Stimmung. Will und Lily hatten einen gewaltigen Streit miteinander gehabt und zum ersten Mal in seinem Leben war Will nicht bereit nachzugeben. Und Lily, die Regis Rede und Antwort stehen musste, war sowieso nicht im Mindesten daran interessiert, einen weiteren Fehler zuzugeben. Außerdem gab sie Sabrina die Hauptschuld daran, dass Regis ihr die Leviten gelesen hatte. Immerhin hatte sie persönlich mitbekommen, wie sie als erste zu ihm gerannt war und gepetzt hatte.

Über diese Tatsache war sich Sabrina bewusst. Ebenso dem Umstand, dass sie den Konflikt nicht eher mit Lily bereinigen konnte, solange sie nichts mit ihr zu tun haben wollte und ihr stur aus dem Weg ging.

 

Inzwischen hatte die junge Dame des Hauses ihr aktuelles Leinwandprojekt vollendet. Stolz und höchst zufrieden auf sich selbst, betrachtete sie es eine ganze Weile und erinnerte sich plötzlich daran, wie Will damals zu ihr ins Atelier gekommen war und sie eine Zeit lang beim Malen beobachtet hatte. Seit diesem Tag überkam Sabrina das Gefühl, dass er das bereits länger getan hatte. Sie heimlich beobachten. Denn wie sonst ließe es sich erklären, dass er auffallend oft immer dann zufällig aufgetaucht war, wenn sie sich traurig gefühlt hatte oder ein völlig anderes Problem sie beschäftigte? Vorher hielt sie diese Treffen tatsächlich für Zufälle. Ihr war nie in den Sinn gekommen, dass Will das mit Absicht tat, um ihr nahe zu sein, geschweige denn, dass er tiefer gehendes Interesse an ihr haben könnte. Doch warum verlor er nie ein Wort darüber?

Zudem gingen ihr Lilys Worte nicht mehr aus dem Kopf, die sie in ihrer Wut ihrem Cousin entgegen geschleudert hatte.

Du Feigling hast es nicht einmal geschafft, dem Mauerblümchen zu sagen, was du für sie empfindest.

 

Mauerblümchen. Lily hatte sie sehr oft so genannt, wenn sich Sabrina in ihren Augen zu konservativ gekleidet hatte. Jahrelang hatte Sabrina es über sich ergehen lassen ohne dagegen etwas zu unternehmen. Außerdem mochte sie ihre Garderobe, egal was andere sagten. Sicher, es gefiel ihr bestimmt nicht immer zu hören, dass sie hässlich war oder sich nicht altersgerecht kleidete, aber in Kleidern, die Lily stets trug, könnte sie selber niemals anziehen ohne sich wie eine Heuchlerin darin vorzukommen. Dann blieb sie doch lieber zugeknöpft. Wie auf den Bildern ihrer Mutter.

 

Wichtiger war jetzt aber herauszufinden, warum Lily diesen Satz auf der Party geäußert hatte. Konnte es wirklich wahr sein und Will hegt heimliche Gefühle für sie oder wollte sie ihren Cousin nur weiter anstacheln und ihn provozieren?

Insgeheim hatte die dunkelhaarige oft davon geträumt, wie es wäre, wenn Will sie mehr als nur mögen würde. Denn sie tat es seit sie denken konnte, aber hatte bisher gedacht, dass sie nie eine Chance haben könnte ihm auf diese Weise näher zu kommen. Denn sie war ein Mauerblümchen und Will war immer von gutaussehenden Mädchen umgeben gewesen. Sabrina war alles andere als gutaussehend, selbst wenn sie sich mal für einen kurzen Moment hübsch fühlte und Will ihr kurz vor der Party so etwas Ähnliches gesagt hatte…

 

Eilig schüttelte Sabrina ihren Kopf und hoffte, dass dieser nichtssagende Gedanke sobald wie möglich wieder verschwinden würde. Schließlich hätte Will auf sie zugehen können, wenn es tatsächlich wahr sein sollte. Oder sie auf ihn? Niemals.

„Das Bild ist also fertig geworden.“ Eine melodische Stimme, die ihr so vertraut war wie ihre eigene holte sie aus ihren wirren Gedanken ins Hier und Jetzt zurück.

„Ich bin vorbeigekommen, weil ich schauen wollte wie es dir geht und ob dein Bild inzwischen fertig ist.“

„Hi, Will. Schön dich zu sehen.“

Was für eine dumme Aussage. Erst beim Frühstück hatten sie sich doch zuletzt gesehen. Was er jetzt wohl von ihr denken mag?

„Ich freue mich auch immer dich zu sehen.“, gab Will ehrlich zu und lächelte seine heimliche Liebe aufrichtig an. „Wie wirst du das Bild nennen?“

„Oh! Ich, äh, darüber habe ich mir noch nicht so richtig Gedanken gemacht.“

„Aber du hast eine Idee, oder?“, hakte Will nach und stellte sich direkt neben sie und sah sich das Bild aus nächster Nähe an. Wie so oft war er überwältigt, wenn er eines von Sabrinas Kunstwerken betrachtete. Die junge Frau neben ihm hatte ein echtes Gespür für Farben und wie man sie am Sinnvollsten aneinanderreihte, vereinte, mischte und so weiter. Sie konnte Kontraste herstellen, Schattierungen darstellen und den Farben irgendwie Leben einhauchen. Noch nie zuvor hatte der junge Mann etwas Vergleichbares gesehen und war mal wieder überwältigt von ihrem künstlerischen Talent.

 

Auf der Leinwand hatte Sabrina einen atemberaubenden See entstehen lassen. Auf dessen Oberfläche das Sonnenlicht reflektierte. Ein Fisch sprang aus dem Wasser und es schien, als ob er die wunderschöne Frau mit den langen blauen Haaren, die in ein weißes Gewand gehüllt war, anlächelte. Die Frau auf dem Bild lächelte ebenfalls und hatte ihre Arme offen nach vorne gestreckt, als würde sie sagen: Willkommen. Über sie strahlte der azurblaue Himmel und um den See herum war herrliches frisches Grün und eine Vielzahl an Gänseblümchen zu bewundern.

 

„Wie eine Göttin.“,  flüsterte Will und wand sich abermals Sabrina zu. „Hast du diese Frau schon einmal gesehen?“

„Einmal.“

„Ach ja?“ Verblüfft hob Will seine Augenbrauen. „Wann? Und vor allen Dingen Wo?“

„In meinem Traum. Einen Abend bevor wir auf diese Insel hier gezogen sind.“

Sabrina wusste, dass er sie nicht auslachen würde. Noch nie hatte er das getan, wenn sie anfing von Dingen zu reden, die mit rationalem Denken nicht zu erklären waren. „Es mag komisch klingen, aber sie hat zu mir gesprochen und mir gesagt, dass wir es auf dieser Insel wunderschön haben werden. Gleich nachdem ich damals aufgewacht war, habe ich sofort eine Skizze von ihr angefertigt, damit ich nicht so schnell vergesse, wie sie ausgesehen hat. Aber, soll ich dir was verraten? Die Skizze habe ich gar nicht gebraucht, weil mir ihr Bild fest im Gedächtnis verankert blieb.“

 

„Du bist einmalig.“

„Wie?“

„Ach, nichts. Es ist nur, dass…“ Verlegen wandte sich Will von ihr ab und hätte fast das Atelier schon verlassen, wenn Sabrina ihn nicht zurückgehalten hätte.

„Will! Bitte, warte.“

„Ja?“ Langsam drehte er sich wieder um und zwang sich sie erneut anzusehen. Zu seiner Überraschung schien Sabrina den Tränen nahe.

„Sabrina? Was ist denn los? Habe ich dich verärgert?“

„Nein. Es ist bloß, mir geht Lilys Bemerkung seit jenem Abend nicht mehr aus dem Kopf.“

„Welche…? Ach so, die.“ Konnte es wirklich sein, dass seine Angebetete wusste, wen seine Kusine damit gemeint hatte? Aber woher?

„Ich hatte nichts mit Nathalie, wenn du das wissen willst. Mark hat sich da etwas zusammen gereimt, was nicht stimmt.“

„Wovon redest du?“

„Äh, ich. Mark war doch auf mich losgegangen, nachdem Lily das gesagt hatte und…“

„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“

 

Resigniert ließ Sabrina ihre Schulter sinken und wischte sich unbeholfen die Tränen aus ihrem Gesicht. Dabei hatte sie vergessen, dass noch etwas blaue Farbe an ihrem Ärmel haftete, die sich nun über ihrem Gesicht verteilte.

„Warum? Ich verstehe das nicht. Ist denn etwas zwischen dir und Nathalie gelaufen?“

„Nein, Sabrina. Bitte glaub mir. Zwischen und war nichts.“

Schuldbewusst gab Will ihr ein Taschentuch.

„Du hast blaue Farbe im Gesicht.“, erklärte er eilig, nachdem sie ihn verständnislos angesehen hatte. „Nathalie und ich haben uns zwar ein paar Mal getroffen, aber dabei habe ich mir von ihr nur die Insel zeigen lassen. Außerdem ist Taro ihr Vater und der Bürgermeister des kleinen Dorfes auf der Sonnenschein-Insel. Er konnte mir allerhand interessante und spannende Geschichten über diesen Ort hier erzählen.“

„Und warum dachte Mark, dass du dich an Nathalie herangemacht hast?“

„Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. An dem Abend lief sowieso einiges schief.“

„Ja. Ja, das stimmt.“, sinnierte Sabrina und wartete bis Will den letzten Rest blaue Farbe von ihrem Gesicht entfernt hatte. Seine Berührungen waren so angenehm und sanft. Eine tiefe Sehnsucht breitete sich in ihr aus und tat ihr mit einem Mal entsetzlich weh.

 

„Will, ich…Es gibt da etwas, was ich dir schon längst sagen wollte.“ Sie stockte. Wie sagte man jemanden, dass man diesen jemand liebt ohne einen Korb zu kassieren?

„Hm?“

„Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Nur…Lily hat mich immer als Mauerblümchen bezeichnet, darum dachte ich…Ach, nichts. Vergiss es wieder.“

„Aber du bist kein Mauerblümchen!“, protestierte Will und begriff erst wenige Sekunden später, was er da gesagt und was Sabrina überhaupt erwähnt hatte. Wie auf Kommando wurden beide rot und trauten sich nicht wieder anzusehen.

„Sabrina, ich…Ich hätte dir schon längst erzählt, dass…Das ich dich sehr gern hab, aber…ich habe gehört, wie dein Vater am Telefon gegenüber jemanden erwähnt hatte, dass du bereits vergeben bist.“

Verdattert sah die junge Frau ihren Gegenüber an und versuchte den Sinn hinter diesen Worten zu begreifen. Wovon redete er bloß? Und seit wann war sie vergeben?

„Wovon sprichst du?“, hakte Sabrina nach. Nun war Will derjenige, der verständnislos aus der Wäsche schaute.

 

„Es ist schon länger her, aber ich habe ihn sagen hören, dass du mit jemanden verlobt wärst?“

„Das wäre mir neu.“, antwortete Sabrina prompt.

„Aber wie…?“

„Will, ich kann dir versichern, dass ich weder vergeben, noch verlobt mit irgendjemanden bin. Was auch immer du da gehört haben magst, du musst dich vertan oder verhört haben.“

„Aber, er hat deinen Namen gesagt, dass du für keine Verabredungen zur Verfügung stehst, weil bereits jemand ein Auge auf dich geworfen hat.“, beharrte Will schon fast trotzig.

„Nun, vielleicht erklärt das, was mir mein Vater irgendwann mal gesagt hatte, dass ich mir sehr sicher sein soll mit der Wahl, die ich mal treffen sollte. Denn diese Entscheidung sollte dann für ewig währen. Was er dann noch gesagt hatte, weiß ich nicht mehr. Kann mich nicht mehr daran erinnern, aber er hatte ein Foto in den Händen gehalten.“

„Gut. Offenbar habe ich mich verhört, aber…Was für ein Foto?“

„Keinen Schimmer.“

 

Stille legte sich über die beiden. Bis sich Will wieder das Bild ansah und von Sabrina wissen wollte, wie sie es nennen würde. Dankbar über dem Themenwechsel, nahm sie den Faden auf.

„Ich weiß nicht. Ursprünglich hatte ich eine ganz andere Idee, aber vorhin sagtest du was von Göttin, also vielleicht Die Göttin oder so? Die Göttin der Insel?“

„Jetzt, wo du es sagt, Taro hat tatsächlich von einer Erntegöttin gesprochen. Es war die erste Geschichte, die er mir über diese Insel erzählt hatte.“

„Hm, Erntegöttin…Warum nicht? Was hältst du von die Erntegöttin?“

„Klingt gut. Es gefällt mir sehr.“

 

                                                                                      ~<>~

 

Viel später am Ende des Tages suchte Sabrina ihren Vater auf und wollte ihn fragen, ob an der Behauptung, die Will gehört haben wollte etwas Wahres dran wäre.

„Wie bitte? Du und verlobt? Seit wann? Und warum erfahre ich das erst jetzt?“, scherzte Regis und Sabrina erkannte sofort, dass an diesem Gerücht kein Körnchen Wahrheit war.

„Und Will glaubte das?“

„Ja, offenbar schon. Er war ziemlich überzeugt davon, wie du mit jemanden am Telefon darüber gesprochen hast.“

Regis lachte dermaßen schallend auf, dass seine Tochter sich die Ohren zuhalten musste.

„Dann hat der gute Junge etwas völlig missverstanden. Ja, es stimmt ich habe etwas Ähnliches mal gesagt. Du kennst unsere Kreise, Sabrina. Man will wohlhabend bleiben und zudem das eigene Vermögen und deren Besitztümer vergrößern. Manchmal auch durch Heirat. Ein Geschäftspartner, damals hatte ich ihn noch als Freund angesehen, hatte mir ein solches Angebot einst unterbreitet, aber ich hatte entschieden abgelehnt und ihm gesagt, dass ich mit meiner Tochter keine Geschäfte dieser Art machen werde.“

„Oh.“ Sabrina wurde rot. Davon hatte sie bisher nichts gewusst.

„Du bist meine einzige Tochter, Sabrina. Das Wertvollste, was ich habe. Darüber hinaus habe ich deiner Mutter versprochen, dass ich zusehe, dass du immer glücklich sein wirst und ich dafür sorgen werde, dass du an einen Mann gerätst, der dich verdient.“

 

„Hattest du an Mama gedacht, als du mir geraten hast, dass ich sehr gut überlegen soll, für wen ich mich entscheide?“

„Ja. Ihr Foto hatte ich dabei in der Hand. Du wirst ihr von Tag zu Tag ähnlicher. Aber, kann es sein, dass du dich nicht schon längst für einen jungen Mann entschieden hast?“

„Wie? Ach, Vater, nein. Wie kommst du denn darauf?“, meinte Sabrina verlegen. Ein solches Gespräch wollte sie jetzt garantiert nicht mit ihrem Vater führen und wandte sich zum Gehen.

„Liebe geht manchmal eigenartige Wege, meine Tochter. Du und ein gewisser blonder junger Mann, ihr müsst euren gemeinsamen Weg noch finden.“

 

Perplex hielt Sabrina im Gehen inne und schaute  über ihre Schulter zu ihrem Vater, der an seinem Schreibtisch saß und das Bild von seiner geliebten Frau lächelnd betrachtete.

„Deine Mutter und ich hatten eine schöne gemeinsame Zeit zusammen gehabt. Leider viel zu kurz. Manchmal sollte man nicht zu lange warten, wenn einem das Glück vor der Nase liegt.“

Die gute Seele

Kapitel 14: Die gute Seele

 

 

„Bist du dir sicher, dass das funktionieren wird?“, wollte Elliot von seiner Freundin wissen, während beide die Starry Sky Ranch verließen.

„Es muss funktionieren.“. beharrte Julia und hatte ihren Blick aufgesetzt, der so viel aussagte: Und wehe, wenn nicht. Mittlerweile war das junge Paar schon so lange zusammen, dass Elliot ganz genau wusste, dass es für alle Beteiligten besser wäre, wenn man ihr dann auch nicht wiedersprach.

„Chelsea und Vaughn werden dafür sorgen, dass Mark mit ihnen zusammen das Haus verlässt und wir beide zwingen deine Schwester mit uns zu kommen. Zur Not benutzen wir eben Gewalt.“, ergänzte Julia lapidar.

„Meinst du, dass es so weit kommen wird?“ Was seine Schwester betraf, hatte Elliot natürlich seine Zweifel. Immerhin kannte er sie seit sie ein Baby war.

 

„Sei nicht so pessimistisch, Elliot. Es wird schon klappen. Warum sollte das nicht?“

„Nun ja, wenn einer von den beiden einfach davon läuft? Oder Mark gar nicht erst Chelsea und Vaughn begleiten wird? Oder schlimmer noch, dass Nathalie uns vorher zu Brei verarbeiten wird? Ihre Laune war in den letzten Tagen fast schon unerträglich.“

„Eben. Genau deswegen und aus vielen anderen Gründen muss dagegen endlich etwas unternehmen. Die zwei wollen nicht miteinander reden und sich aussöhnen, also zwingen wir sie eben dazu. Mensch, Elliot. Die zwei sind für einander geschaffen und trauen sich nicht, den Stier bei den Hörnern zu packen. Ewig kann es so zwischen den beiden nicht weitergehen. Darunter leiden zwangsläufig wir alle.“, beteuerte die Brünette und hakte sich bei ihrem Freund unter.

 

„Ich weiß, dass du Recht hast, Julia. Aber wir müssen ebenso damit rechnen, dass die zwei sich nicht aussöhnen werden. Zumindest nicht so, wie wir es gerne hätten. Denn, ich sehe es genauso wie du, mein Gott, jeder hier auf der Insel ist dieser Ansicht, dass meine Schwester und Mark ein prima Paar abgeben und einfach zusammen gehören.“

„Siehst du! Aus diesem Grund dürfen wir nichts unversucht lassen. Je mehr Zeit vergeht, desto schlimmer wird es und der Kummer immer größer. So sollte es zwischen den beiden nicht sein. Sondern sich in die Arme nehmen, Händchen halten und einen kleinen schönen Abendspaziergang in dieser eisigen Kälte machen.“

 

„So wie wir gerade?“, fragte Elliot und küsste seine Freundin aufs Haar. Zumindest fast, denn sie trug eine Wollmütze. Die Luft war wirklich verdammt kalt.

„Stimmt, wie wir. Vertrau mir Elliot. Das wird schon funktionieren.“

„Ich vertraue dir. Dir am meisten.“

Sie nahmen sich diesen Moment und versiegelten ihre Lippen miteinander. Als sie ihren Weg fortsetzen, fragte sich Julia, warum nicht jedes Paar so glücklich miteinander sein konnte?

 

                                                                                    ~<>~

 

Es war schwierig für einen jungen Mann den erforderlichen Mut aufzubringen, seiner heimlichen Geliebten nach Jahren endlich seine Liebe zu gestehen. Nachdem Will unverhofft erfahren hatte, dass Sabrina doch nicht an jemand anderen vergeben war, hatte er nun den Vorsatz gefasst ihr zu beichten, was er für sie fühlte. Doch, wie zum Teufel sollte man sowas anstellen? In seiner Vorstellung war alles so einfach. Dort wusste er, wie er es machen würde, aber es dann auch noch in die Realität umsetzen? Ins Besondere dann, wenn man jahrelang zuvor davon ausgegangen war, dass er das niemals tun würde? Es blieb dem jungen Mann ein Rätsel mit was für dämlichen Gedanken er sich überhaupt beschäftigte. Im Grunde genommen war er sich fast zu hundert Prozent sicher, dass Sabrina für ihn ähnliche Gefühle hegte, aber eben nur fast zu hundert Prozent. Einige Prozent an Zweifel blieben übrig und waren komischerweise stärker, als die positiven fast hundert Prozent, weswegen er sein Vorhaben bisher noch nicht umgesetzt hatte.

 

Seit einer ganzen Weile ging er den Flur vor Sabrinas Zimmer auf und ab und hatte es bisher noch nicht geschafft, an ihre Tür zu klopfen und sie zu einem Spaziergang am Fluss einzuladen. Etwas Besseres war ihm nicht eingefallen. Er wollte vor allen Dingen ungestört sein und seiner Geliebten ein bisschen die Gegend zeigen, denn allzu häufig war Sabrina noch nicht draußen gewesen. Dies wäre ein Vorteil für den jungen Mann. Mittlerweile kannte er sich recht gut auf der Insel aus und könnte ihr alle schönen Ecken und Orte zeigen, die auch ihn verzaubert hatten. Besonders im Winter glänzte alles richtig. Zudem hoffte Will bald auf Schnee, den Sabrina immer schon gern gehabt hatte. Viele Schneemänner und Schneeballschlachten haben sie miteinander und gegeneinander ausgetragen und es hatte ihnen immer ziemlichen Spaß gemacht.

Eine schöne Erinnerung, die Will ein Lächeln aufs Gesicht zauberte und ihm den benötigten Mut schenkte endlich an Sabrinas Tür zu klopfen.

 

                                                                                    ~<>~

 

Den jungen Farmer aus dem Haus zu bekommen, stellte sich als Schwieriges Unterfangen raus. Chelsea und Vaughn konnten so viel argumentieren wie sie wollten, Mark wollte nicht klein beigeben. Allerdings hatte er vergessen, wie hartnäckig seine kleine Schwester sein konnte, die ihm damit drohte seine Wäsche nicht mehr zu waschen, wenn er sich nicht bereit erklärte, sie und Vaughn auf dem Weg zur Göttinnen Quelle zu begleiten. Mark wollte schon erwidern, dass ihm das herzlich egal wäre, aber er stimmte doch noch zu. Der Gedanke, dass ihm alles egal geworden war, hatte ihn für einen kurzen Moment doch sehr erschreckt. Außerdem sah er die Erleichterung in den Augen seiner Schwester. Anscheinend hatte er sich in letzter Zeit wie der letzte Idiot benommen und nicht mehr darauf geachtet, ob er seine Schwester mit seinem Verhalten verletzte oder nicht. Das sollte sich wieder ändern und er zog sich eifrig seine dicken Winterstiefel an.

 

Vaughn hatte die ganze Zeit etwas abseits von den beiden die Diskussion mit angehört und Chelseas Mimik beobachtet. Zur gleichen Zeit war er fasziniert, als auch ein wenig verängstigt gewesen. Ihm kam der Gedanke, dass es wohl stets ratsam wäre, einer Frau, in diesem Fall seiner Freundin, niemals zu wiedersprechen, wenn sie sich etwas hartnäckig in den Kopf gesetzt hatte.

Nachdem sie vor die Tür gegangen waren, hatte Vaughn sowieso seine Zweifel daran, ob sich Nathalie und Mark wieder versöhnen werden. Wenn man sich so lange aus dem Weg gegangen war, hielt er es für extrem unwahrscheinlich, dass eine Versöhnung auf diesem simplen Weg möglich war. Weiterhin waren ihm die Ideen und Gedankengänge von Frauen oft so irrational, dass er nicht wirklich nachhakte, was Julia sich dabei gedacht hatte. Sie war gestern Abend in sein Zimmer gestürmt und hatte ihn praktisch mit dieser heimlichen Liebesoperation überfallen. Da er seine Ruhe haben wollte, hatte er einfach zugestimmt und sie war strahlend wie ein Honigkuchenpferd wieder gegangen.

 

„Warum muss es ausgerechnet die Göttinnen Quelle sein?“, brummte Mark vor sich hin und wäre am liebsten wieder umgedreht. Schon allein der Name dieser Quelle riefen Erinnerungen in Mark hervor, die er nicht wieder hervorholen wollte. An dieser Quelle hatte er viele und schöne Stunden mit Nathalie zusammen erlebt. Vor allen Dingen ihren ersten gemeinsamen Kuss…

„Ich geh wieder zurück. Ich glaube, dass ich die Kühe noch nicht gefüttert habe und…“

„Mark! Du bist mein Bruder und ich habe dich, warum auch immer, verdammt doll lieb, aber wenn du jetzt umkehrst, kündige ich dir hier und heute unsere Verwandtschaft. Hast du mich verstanden?“ Chelseas blaue Augen funkelten zornig, dass Mark unter diesem Blick noch aufrecht stehen konnte, hielt er für ein Weltwunder.

 

„Schon gut. Ich bleibe und folge euch. Brav wie in Hündchen. Ach, und Schwesterherz,“ , diesem Wort ließ er seine besondere Betonung beikommen, „führ dich nicht so auf wie ein Drache. Du machst deinem Freund noch Angst.“

„Mein liebes Brüderchen, kümmere dich gefälligst um deine Angelegenheiten. Vaughn hat es bei mir schon sehr gut und er ist gerne bei mir.“

„Was du nicht sagst.“, flüsterte Vaughn und presste auf der Stelle seine Lippen aufeinander, da ihn Chelsea alles andere als begeistert von der Seite ansah.

 

 

In Taros Haus hatten Julia und Elliot ähnliche Probleme mit Nathalie, sie dazu zu überreden die beiden zur Göttinnen Quelle zu begleiten. Weil ihre Mutter eingeweiht war, gelang es nur durch ihr geduldiges Zureden, Nathalie aus dem Haus zu kriegen. Während Julia und ihr Bruder miteinander redeten, ging sie missmutig neben den beiden her und wäre vermutlich heimlich davon geschlichen, wenn sich Julia nicht bei ihr eingehakt hätte. Natürlich hatte Julia ihre Freundin durchschaut und ihr diese Möglichkeit gleich von vornherein verhindert.

 

Dabei wäre Nathalie viel lieber woanders hingegangen, als ausgerechnet zur Quelle, wo sie und Mark ihren ersten Kuss gehabt hatten. Schmerzlich zog sich ihr Herz an diese wehmütige Erinnerung zusammen. Sogar jetzt noch, Monate später konnte sie genau beschreiben, wie sich der Kuss damals angefühlt hatte. Sie hatte geweint, weil sie zum ersten Mal richtig glücklich gewesen war und geglaubt hatte, es würde ewig währen.

Warum hatte sie sich von Mark abgewandt, der der erste war, der sich auf diese Art für sie interessiert hatte? Er war ihr erster Freund gewesen und sie hatte alles verbockt, was man wohl falsch machen konnte. Hätte sie doch nur den Mut und die Möglichkeit alles wieder rückgängig zu machen, sie würde es auf der Stelle tun. Nur so, war es ihr unmöglich ihrem Geliebten in die Augen zu sehen und sich bei ihm zu entschuldigen. Dafür schämte sie sich zu sehr.

 

Ihr Unbehagen nahm auch noch zu, als sie an der Weggabelung zur Quelle mit einem Mal Mark und seine Schwester mit Vaughn auftauchen sah. Selbst Mark guckte ziemlich verwundert und blieb wie erstarrt stehen. Sie war die erste von den dreien die er bemerkt hatte. Immer würde er sie als erste sehen, wenn er irgendwo hinging. Es war anscheinend sein Schicksal.

Doch warum war sie hier? Nathalies Verhalten zu urteilen, hatte sie genauso wenig von diesem Hinterhalt gewusst wie er.

 

                                                                              ~<>~

 

Überrumpelt und gleichzeitig hocherfreut war Sabrina auf Wills Vorschlag eingegangen, wenige Stunden außer Haus zu verbringen und sich von ihm die Gegend zeigen zu lassen. Erst jetzt fiel dem Mädchen auf, dass sie so viel noch gar nicht gesehen hatte. Wie lange wohnten sie überhaupt schon auf der Insel? Einige Wochen waren es bereits. Sabrina hatte viel Zeit in ihrem Atelier zugebracht und die nähere Umgebung ihres Hauses erkundigt, mehr jedoch nicht. Deswegen war sie auch so unglaublich froh über Wills Vorschlag und hätte zudem die Möglichkeit eine Zeit lang mit ihm alleine zu sein. Vor Aufregung schlug mal wieder ihr Herz bis zum Hals und ließ sie das Tragen von Winterkleidung schon fast unnötig erscheinen, so warm war ihr inzwischen geworden.

Will ging direkt neben. Was er wohl gerade dachte?

 

„Hier läuft der Fluss. Er kommt direkt aus dem dichten Wald zu unserer linken Seite.“, klärte Will sie auf und holte sie damit zurück aus ihren Träumereien. „Von wo er genau entspringt, kann ich nicht sagen. Dieser Wald soll wohl ziemlich gefährlich sein, weswegen niemand mir sagen konnte, wie es in dem aussieht oder was es dort zu sehen gibt.“

„Und was meinst du mit gefährlich?“

„Auch das weiß ich nicht genau. Angeblich befindet sich in dem Wald ein weißer Turm, aber ob es dort auch Menschen gibt, die ihn bewachen oder andere Wesen, konnte man mir nicht sagen.“

„Es ist schon komisch, dass ihn sich niemand näher angesehen hat.“

„Irgendwie schon, aber Taro hatte sehr ernst dabei ausgesehen, als er mir von der Gegend hier erzählt hatte. Daher gehe ich davon aus, dass irgendeine Wahrheit an den Gerüchten dran sein muss.“

 

Einige Minuten liefen sie schweigend nebeneinander her und hingen ihren Gedanken um den Wald nach. Neugierig war Sabrina schon geworden, aber deswegen ein unnötiges Risiko eingehen, wollte sie auch nicht. Also betrachtete sie eingehender den klaren Fluss und die Umgebung darum. Alles sah so friedlich aus. Es war ruhig und die Sonne schien sogar. Dennoch war es ziemlich kalt. Wenige Meter vor ihnen erschien eine kleine Brücke. Sofort lief Sabrina auf sie zu und schaute über das Geländer ins fließende Wasser unter ihnen.

 

„Es ist schön hier, nicht wahr?“, fragte sie nach einer Weile Will, der neben sie getreten war und lächelte ihn mit einem strahlenden Lächeln an.

Auf der Stelle setzte sein Herz für einen kurzen Moment aus und er verlor sich in diesen wunderschönen blauen Augen, die er trotz der Brille ganz klar erkennen konnte.

„Du trägst heute wieder deine Brille.“, stellte er plötzlich fest und die junge Frau wandte sich verlegen ab.

„Ja. Ähm, zwar habe ich die Kontaktlinsen am Abend von Lilys Party vertragen, aber … ich bin meine Brille gewohnt.“

„Du bist mir keine Erklärung schuldig.“, versicherte Will ihr schnell. „Sie steht dir. Das hat sie schon immer getan. Und deine Augen kann man trotzdem sehr gut hinter ihr erkennen.“

„Oh. Wenn du so etwas sagst, fällt es mir schwer das zu glauben, selbst wenn ich mir nicht vorstellen kann, weswegen du mich anlügen solltest.“

 

„Ich werde dich niemals anlügen, Sabrina. Und wenn ich dir sage, dass ich dich hübsch finde, dann ist das auf jeden Fall ehrlich gemeint.“

„Du findest mich hübsch?“

„Natürlich…Schon immer.“, gab der junge Mann nach kurzem Zögern zu und strich ihr eine dunkle Strähne wieder hinters Ohr, die sich am Gestell der Brille verfangen hatte.

„Bitte…Lass das.“, hauchte Sabrina fast und wandte sich verlegen von ihm ab.

„Aber warum? Ich…habe ich was falsch gemacht?“

„Ja, nein. Ich…Will, ich…“

„Würdest du mich wieder ansehen?“

 

Sabrina schüttelte ihren Kopf und der Mut des jungen Mannes wollte sich bereits wieder verflüchtigen, als er einfach entschlossen um sie herum trat und seine Hände auf ihre bebenden Schultern legte. Abrupt hob die junge Dame ihren puterroten Kopf, ließ ihre Lider aber gleich danach wieder sinken. Mit geschlossenen Augen stand sie nun vor ihm. Etwas zerknirscht schloss auch Will kurz seine Augen ehe er einen letzten tiefen Atemzug nahm und mit warmer Stimme seiner Geliebten seine Gefühle offenbarte.

 

„Sabrina, ich…Verdammt! Ich habe mir bereits so oft vorgestellt, was ich dir gleich sagen werde, dass ich es schon gar nicht mehr zählen kann. Hinzu kommt, dass…dass ich schrecklich nervös bin und das kenne ich normalerweise gar nicht von mir. Also, ich…Lieber wäre es mir, du würdest mich ansehen.“

Will wartete einen Moment, doch Sabrina schüttelte zögernd ihren Kopf, weil sie nicht glauben konnte, worauf ihre heimliche Liebe offenbar hinaus wollte.

„Na gut, dann eben so. Puh. Ich…Sabrina, ich…Wir kennen uns schon so lange und ich weiß nicht mehr genau, wann es angefangen hat, aber…Außerdem war ich immer davon ausgegangen, dass ich auf diese Art nicht für dich empfinden darf, weil ich dachte, du wärst vergeben und verdienst jemand besseres als…als mich. Aber jetzt…Es ist alles anders geworden, wodurch ich wieder gehofft habe, dass…Ach, verdammt!“

 

Er fluchte plötzlich so laut, dass Sabrina kurz zusammen zuckte und ihre Augen wieder auf ihn richtete. Anscheinend sammelte er all seinen Mut zusammen, um ihr die Worte zu sagen, die ihm eigentlich auf der Zunge lagen.

„Ich…Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen. Ich…Ich liebe dich.“

Die letzten Worte waren nur noch ein Flüstern. Dennoch hatte Sabrina jede einzelne Silbe verstanden. Sofort bahnten sich unzählige Tränen ihren Weg über ihre geröteten Wangen. Unbeholfen wollte Will schon ein Taschentuch hervorholen, weil er mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte, als Sabrina unvermittelt ihm an die Brust fiel und ihre Arme um seinen Hals legte.

„Oh, Will.“

 

„Sabrina, ich…Ist alles in Ordnung?“

„Schnief. Ja. Mein Gott, Ja! Ich hatte immer davon geträumt und gehofft, dass du für mich so empfindest.“

„Heißt das, du…du auch?“ So viel Hoffnung schwang in seiner Frage mit, dass Will die junge Frau nicht eher aus seinen Armen entlassen wollte, bevor sie ihm geantwortet hatte.

„Immer wenn Lily zu  mir gesagt hatte, ich wäre ein Mauerblümchen, habe ich ihr auf der Stelle geglaubt. Ich meine, ich weiß, dass ich mich nicht so hip kleide wie sie oder andere Mädchen in unserem Alter. Und du warst immer von hübschen und schicken Mädchen umgeben, dass ich befürchtete, dass ich nicht dein Typ bin und ewig darauf warten werde, dass sich ein Junge jemals für mich interessieren könnte. Deshalb…“

 

„Schon gut, Sabrina. Ich habe verstanden.“ Beendete er ihren Redefluss, der sie überfallen hatte. Vorsichtig wischte er ihr die Tränen aus dem Gesicht und nahm ihr sogar ihre Brille ab, damit er sie säubern konnte.

„Will, das musst du nicht.“

„Ich weiß, aber ich möchte es so gerne.“

Kaum hatte er ihr die Brille wieder aufgesetzt, als seine Hände erneut auf ihren Schultern lagen.

„Du bist wunderschön.“

 

Zwar war Sabrina schleierhaft, wie er sie noch schön finden konnte, nachdem sie völlig verheult vor ihm gestanden hatte und ihre Augen sichtbar gerötet waren. Allerdings war ihr das ziemlich egal. Verliebt strahlte sie ihn an und konnte ihre Gefühle nicht mehr für sich behalten.

„Ich liebe dich auch, Will. Schon immer.“

Ihre Lippen fanden sich von alleine. Es war ein schönes Gefühl. Sie schmeckte für ihn sogar noch viel besser, als er sich jemals hätte vorstellen können. Ihre Lippen waren weich, zart. Endlich konnte er sie berühren und ihr so nahe sein, wie er es beinahe sein ganzes Leben lang gewollt hatte.

 

                                                                                       ~<>~

 

Mark konnte nicht anders, als sich in die Enge getrieben fühlen. Zwar hatten seine Schwester und die anderen so getan, als ob es Zufall wäre, dass sie sich hier alle über den Weg gelaufen wären, aber Nathalie und er ließen sich nicht täuschen. Die Krönung des ganzen war, als Julia mit einem Mal verkündete, dass die zwei ihre gemeinsame Zeit wieder aufleben lassen sollten und die anderen einfach wieder verschwanden, als wäre nichts gewesen.

Betroffen, verwirrt und maßlos überfordert blieb das verzweifelte Paar zurück. Zudem hatte es Mark vermieden Nathalie direkt anzusehen, weswegen er mit den Schultern zuckte, als die anderen gegangen waren und er sich zur Quelle gewandt hinstellte und Nathalie den Rücken zukehrte. So lange er noch so wütend und bitter enttäuscht war, sah er sich nicht in der Lage den ersten Schritt zu machen und auf seine Liebe zuzugehen. Denn, er konnte es in alle Richtungen drehen so viel er wollte, seine Gefühle für sie konnte er nicht leugnen. In diesem Moment war es ihm auch einerlei, sollte Nathalie vor ihm davon laufen. Schließlich hatte sie das schon immer getan, wenn es ein Problem zwischen ihnen gab oder es brenzlig wurde.

Darum erstaunte es ihn umso mehr, als Nathalie das Wort an ihn richtete.

 

„W-wie…geht es dir?“ Er spürte ihre Unsicherheit und Nervosität. Es war nicht leicht für sie. Seine erste Regung war es, sich umzudrehen und sie ihn seine schützenden Arme zu schließen. Aber er tat es nicht. Dafür saß seine Kränkung zu tief.

„Könnte besser sein.“, antwortete er knapp und blickte weiterhin auf die glatte Oberfläche der Quelle.

„Okay.“ Was sollte sie nur tun? Nathalie fühlte sich völlig überfordert und verfluchte sich innerlich dafür, dass sie sich in diese heikle Situation gebracht hatte. Doch was sollte sie ihm sagen? Würde er ihre Entschuldigung überhaupt akzeptieren? Würde er sie noch wollen, nach allem was geschehen war?

„Wie läuft es auf der Farm?“ Blöde Kuh, schallte sich die junge Frau selbst.

„Gut. Zu der Jahreszeit hat man viel Freizeit.“

 

Sie konnte es ihm nicht verdenken, dass er noch Salz in die offene Wunde streute. Wahrscheinlich hätte sie dasselbe getan. Trotzdem tat es unbeschreiblich weh.

„Ich kann verstehen, dass du…“ Weiter kam sie nicht.

„Warum hast du das getan? Verrate es mir!“

Der Farmer hatte sich so abrupt zu ihr gewandt, dass ihm sein Wutausbruch bis in ihre kalten Gliedmaßen überging.

„Ich kann mich nicht daran erinnern dich dermaßen vernachlässigt zu haben, dass du Gesellschaft von einem anderen Kerl brauchst.“, brüllte er sie an, sodass Tränen ihr Gesicht zierten. Krampfhaft krallten sich ihre Hände in den Stoff ihrer Jacke. Ihre Handschuhe hatte sie nämlich zu Hause liegen lassen.

„Ich kann verstehen, dass du sauer auf mich bist, aber bitte, bitte schrei mich nicht an. Das ertrage ich nicht.“

„Aber ich soll dein Fehlverhalten ertragen oder wie?“

„Nein, aber…“

„Wie nah seid ihr euch gekommen?“

„Was?“

„Du hast mich schon verstanden. Wie nah war er dir?“

 

„Schnief…Ich…Nicht so wie du denkst. Es ist nichts passiert. Wirklich nichts.“

„Und das soll ich dir glauben?“ Obwohl Mark instinktiv spürte, dass Nathalie die Wahrheit sprach. Sein Stolz war eben zu sehr verletzt worden.

„Ja…schnief. Bitte, glaub mir.“

Mühsam versuchte Nathalie ihren Tränenstrom zum Versiegen zu bringen. Allerdings war es hoffnungslos. Ihre Trauer und ihr Schmerz und die panische Angst davor Mark zu verlieren, waren zu groß. Es ließ sich nicht annähernd in Worte fassen.

„Was hat dann diese Lily den Abend gemeint?“

Normalerweise wollte Mark diesen unmöglichen Abend schon längst vergessen haben. Zu viel war an dem Abend geschehen oder eben nicht geschehen. Mit Sicherheit konnte er sagen, dass er diese Lily nicht so schnell wieder sehen wollte.

 

„Das kann ich dir nicht sagen. Will hat…Er hat sich nie an mich heran gemacht. Ich hatte nur gehofft oder gedacht, dass…Ach, es ist alles so furchtbar.“ Beschämt verbarg sie ihr Gesicht hinter ihren Händen. „Bitte, Mark…Ich war so entsetzlich dumm und zu egoistisch. Ich wollte dich für mich alleine haben und dich mit niemanden teilen auch nicht mit deiner Arbeit. Bitte, verzeih mir.“

„Sag mir nur eins, wolltest du mit ihm zusammen sein?“ Er konnte nicht anders. Er musste diese Frage stellen, ansonsten würde er es vermutlich niemals abschließen können. Auch wenn er die Antwort darauf nicht unbedingt hören wollte.

Nathalie zögerte. Sie brauchte einen Moment ehe sie den Mut fand, ihm ehrlich zu antworten, denn sie wusste, dass eine Lüge ihre Beziehung, wenn es sie denn noch gab, nur noch schlimmer belastet hätte.

„Am Anfang schon.“ Erneut wandte sich Mark von ihr ab. Seine schlimmste Befürchtung hatte sich bewahrheitet.

„Zumindest habe ich das gedacht, nachdem…Will war mir über dem Weg gelaufen, als ich mal wieder wütend und enttäuscht von eurer Farm gerannt bin. An dem Tag war ein neues Kalb geboren und du hattest keine Zeit. Darüber war ich so sauer, dass…Ich konnte nicht klar denken. Ich habe ständig an dich gedacht, auch als ich mich mit ihm getroffen habe. Dabei wollte er nur nett sein und alles über diese Insel wissen. Viel mehr Zeit hat er zusammen mit meinem Opa verbracht weil er die Insel eben am besten kennt und viele Geschichten auf Lager hat. Ich weiß nicht wie ich es anders erklären soll, aber ich habe die ganze Zeit dich in ihm gesehen, da ich stets an dich gedacht habe. Natürlich, es entschuldigt vielleicht nicht, was ich getan habe, aber…Ich habe ihn nie berührt. Das hätte ich nicht gekonnt. Als ich dich mit Lily dann tanzen sah, war ich so eifersüchtig, dass ich ihr am liebsten die Augen ausgekratzt hätte. So fordernd wie sie sich an dich herangeschmissen hat. In diesem Moment habe ich gefühlt, bzw. wurde mir richtig bewusst, was ich im Begriff war zu tun und irgendwie auch getan habe ohne es richtig zu registrieren. Julia hat mir an dem Abend ins Gewissen geredet und mir die Augen geöffnet. Es tut mir so entsetzlich Leid. Das habe ich wirklich nicht gewollt. Ich…ich war so egoistisch und jämmerlich und…“

 

Die nächsten Tränen kamen und Nathalie versagte ihre Stimme. In dem ganzen Durcheinander hatte Mark sie aber verstanden. Zumindest glaubte er das. Einerseits war er erleichtert, dass sie sich nicht direkt an Will herangemacht hatte oder er sich an sie, andererseits wollte sie von ihm etwas, was er ihr kurzzeitig nicht geben konnte und das schmerzte ihn. Andersherum war er auch froh darüber, dass Nathalie ihm das enge Tanzen mit Lily nicht vorwarf. Immerhin hatte sich Lily an ihn herangeschmissen und ihm fast keine Möglichkeit gelassen, sich aus ihren Klauen zu befreien.

Des Weiterhin tat es ihm weh, Nathalie verheult und beschämt vor sich zu sehen. Er spürte und wusste, dass es ihr Leid tat. Ja, es war ein völliges Durcheinander und ihr ehrlich gegenüber hatte er sich auch nicht verhalten.

 

„Nathalie, an dem Tag als das Kalb kam, habe ich dir angesehen, dass du enttäuscht von mir warst, dass ich dich nicht zur Hilfe geholt habe. Ich schätze, diese Tatsache hat den Stein ins Rollen gebracht und dich zutiefst verletzt. Das tut mir Leid. Es war nur so, dass ich dir nicht zugetraut habe, diese Arbeit an meiner Seite zu verrichten. Es war ein Fehler von mir, so von dir zu denken.“

„Nein, Mark.“, unterbrach sie ihn. „Du hattest damit vollkommen Recht. Deine Arbeit mit den Tieren, die … die liegt mir nicht und ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde, an den ganzen Stallmief und alles was damit verbunden ist. Aber, ich würde es gerne versuchen, wenn du mir noch eine Chance gibst.“

 

Sehnsüchtig sah sie ihn an und er konnte diese Sehnsucht nachempfinden und war froh, dass sie in seiner Nathalie noch existierte. Ohne auch noch weiter darüber nachzudenken, lief er auf sie zu und küsste sie stürmisch. Hart und fordernd lagen seine Lippen auf ihre. Für einen Augenblick war Nathalie überrascht und aus dem Konzept gebracht, doch dann erwiderte sie diesen Kuss mit der gleichen Sehnsucht und Leidenschaft. Endlich war sie wieder dort, wo sie hingehörte. In seinen starken Armen und seine heißen Lippen auf ihre, die ihr so vertraut waren.

 

„Lauf nie wieder vor mir weg. Versprich es.“, brachte Mark zwischen den Küssen keuchend hervor und konnte nicht verhindern, dass ihm eine einzelne Träne über die Wange lief. Behutsam entfernte sie Nathalie für ihn.

„Ja. Ich verspreche es dir. Ich will auch bei niemand anderen sein.“

„Nie werde ich dich hergeben. Du gehörst zu mir.“

Um diesem Versprechen zusätzlichen Nachdruck zu verleihen, folgte ein weiterer inniger Kuss und noch unzählige weitere, die ihre Liebe füreinander erneuerten und festigten. Keiner von ihnen war bereit, den anderen wieder loszulassen.

Liebe liegt in der Luft

Kapitel 15:  Liebe liegt in der Luft

 

 

Ein größeres und schöneres Glück konnte sich Mark gar nicht vorstellen. Endlich, nach schwerwiegenden Tagen, an denen er mit seiner Geliebten nicht zusammen sein konnte, stand nun das Lichterfest vor der Tür und Nathalie hatte soeben seine Einladung angenommen, den ganzen Abend des Feiertages mit ihm zu verbringen. Es würde deren erstes gemeinsames Fest werden, an denen man Glühwürmchen beobachten konnte oder man machte es sich zu Hause bequem und tauschte Geschenke aus. So oder so, Geschenke waren immer mit von der Partie. Zudem fühlte er sich so unbeschwert und glücklich wie lange nicht mehr, dass seine Nathalie endlich wieder an seiner Seite war.

 

„Hast du irgendeinen besonderen Wunsch, wie wir den Abend nächsten Freitag verbringen wollen?“, fragte er zum wiederholten Mal seine Freundin neben sich auf dem Sofa und küsste sie zärtlich hinterm Ohr. Wohlig erschauderte die Pinkhaarige und stieß ihren Geliebten gespielt von sich weg.

„Mark, das kitzelt. Hör sofort auf damit!“, lachte sie herzlich und hatte damit nur erreicht, dass Mark erneut über sie herfiel und sie ordentlich durchkitzelte.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“

„Wenn du mich auch permanent ablenkst.“

„Das gehört eben dazu. Ansonsten macht es doch keinen Spaß dich zu ärgern.“

„Ach, Mark.“

 

Vergnügt und verliebt kuschelte sie sich an ihn und atmete seinen unfassbar herrlichen maskulinen Duft ein. Wie sehr sie ihn doch vermisst hatte. Das wurde ihr in den letzten Tagen wieder so richtig bewusst. Teilweise schämte sie sich immer noch dafür, dass sie ihn aus reiner Dummheit und einer Laune heraus beinahe verloren hätte.

„Woran denkst du?“

„Ach nichts. Wo ist eigentlich Chelsea? Trifft sie sich mit Vaughn?“

„Ja. Vaughn hatte sie gestern Abend noch angerufen und ihr mitgeteilt, dass eine Hündin, die sie in den letzten Tagen auf den Straßen aufgelesen hatten,  kleine Welpen geworfen hat. Und da meine Schwester für so etwas Feuer und Flamme ist, ist sie heute ziemlich früh schon aus dem Haus.“

„Ändern wird sie sich wohl nie. Und zwischen ihr und Vaughn ist auch alles in Ordnung?“

 

„Soweit ich weiß, ja. Zumindest strahlt meine kleine Schwester jedes Mal, wenn er anruft oder vor der Tür auftaucht.“

„Verständlich. Trotzdem finde ich es manchmal noch etwas seltsam, dass sich die beiden ausgerechnet gefunden haben. Die beiden sind Grund auf verschieden.“

„Manchmal ziehen sich Gegensätze eben an. Das trifft wohl auf die beiden zu.“

„Chelsea herzlich und lebhaft. Vaughn oft sehr stur und reserviert…Ja, du hast anscheinend recht.“

„Ich habe immer Recht.“, hauchte Mark ihr ins Ohr und nahm sie unvermittelt auf seinen Schoß, dass Nathalie keine Zeit blieb, sich darüber zu wundern, weil sie mit einem Mal eng in seinen starken Armen lag und er fordernd ihren Mund eroberte.

 

Immer wenn sie zusammen waren, überfiel er sie aus heiterem Himmel und ließ ihr fast keine Möglichkeit zum Rückzug. Doch Nathalie machte das herzlich wenig aus. Im Grunde genommen gar nichts, weil auch sie das Bedürfnis hatte ihre verlorene Zeit gemeinsam wieder aufzuholen. Es war überaus praktisch, dass Chelsea oft ihre Zeit bei Vaughn verbrachte. Dadurch hatten sie und Mark das komplette Haus für sich alleine. Denn bei ihrer Mutter zu Hause waren sie nie wirklich ungestört und zusätzlich den strengen Blicken von ihrem Großvater ausgesetzt. Nathalie war es schleierhaft, wie sie diese Glück, welches sie mit Mark erlebte, aufs Spiel gesetzt hatte, nur um jemand völlig Fremden nahe zu sein, den sie gar nicht gekannt hatte. Sie hätte es verstanden, wenn Mark nie wieder etwas mit ihr zu tun haben wollte. Stattdessen hatte er ihr verziehen, was für die junge Frau  ein wahres Wunder war und ihr verdeutlichte wie sehr er sie liebte und begehrte.

 

Auch jetzt auf dem Sofa, eng in seinen Armen liegend, setzte ihr Verstand völlig aus, sobald sein heißer Atem ihren nackten Hals nur streifte. Dabei flüsterte er ihr stets aufs Neue zu, wie sehr er sie liebte und sie bat, ihn nie wieder im Stich zu lassen, weil er sie so sehr brauchte. Mehr als sein eigenes Leben. Nathalie war nicht gewillt, dieses Glück erneut ziehen lassen, sondern für alle Zeit festzuhalten, weil auch sie ihn ebenso sehr brauchte, um glücklich weiter zu leben.

Wie so oft, wenn Mark über sie herfiel und sie mal fordernd, mal sanft oder zärtlich küsste, verlor sie sich auf unbeschreiblich süße Art in ihren Gefühlen für ihn und ließ ihn gewähren. Er gab so viel von sich preis und sie nahm alles in sich auf. Seine Hände streichelten sie, durch den Stoff ihrer Kleidung und ihre nackte Haut darunter. Angst hatte Nathalie keine mehr. Sie genoss jede seiner Berührungen, die ausschließlich für sie bestimmt waren und wollte mit jedem Mal mehr von ihm. Mehr von ihm spüren…

 

„Liebling?“

„Hmm?“

„Hast du nun irgendeinen besonderen Wunsch für Freitagabend?“

„Nein. Nur, dass wir zwei zusammen sind. Für immer.“

„Ja. Für immer.“

 

                                                                                           ~<>~

 

Das Farmermädchen war wegen der kleinen Welpen hin und weg. Begeistert sah sie ihnen beim Trinken der Muttermilch zu und lachte vor Begeisterung auf, wenn eines der kleinen Hundebabys versuchte seine Augen zu öffnen. Über das wackeln der Nase musste man gar nicht erst reden. Chelsea schwebte glücklich und zufrieden im Himmel.

 

„Ich kann mich noch daran erinnern, als Toto zu uns kam. Er war so winzig klein und fast verhungert, wenn wir ihn nicht von der Straße aufgelesen hätten. Damals war wie jetzt auch Winter und es war extrem kalt gewesen. Frischer Schnee war gerade gefallen.“

„Da hatte der kleine Racker aber Glück, dass ihr ihn rechtzeitig gefunden habt.“, erwiderte Vaughn und hockte sich neben seine Freundin ins Stroh.

„Gefallen dir die Kleinen?“

„Ja, und wie. Danke, dass du mich angerufen hast.“ Vor Freude gab sie ihrem Freund einen Kuss.

„Kein Problem. Ich lasse es mir doch nicht entgehen, dein überraschtes und glückliches Gesicht zu sehen, wenn sich die Gelegenheit für mich bietet. Und dein Bruder wollte nicht mit herkommen?“

 

„Vergiss es. Er hat momentan Besseres zu tun, als sich Hundebabys anzusehen. Da er mit Nathalie wieder versöhnt ist, dem Himmel sei Dank, verbringen sie jede freie Minute miteinander.“

„Verstehe. Hätte wirklich nicht gedacht, dass Julias Plan funktioniert. Wie lange die sich aus dem Weg gegangen waren und dann noch die Sache mit Nathalie und Will.“

„Zwischen den beiden ist aber nichts gelaufen. Zum Glück. Dann hätte ich Nathalie wahrscheinlich einen gewaltigen Tritt in den Hintern verpasst, wenn sie Mark auf diese Art das Herz gebrochen hätte.“

„Was wollte Nathalie überhaupt von Will?“

„Keine Ahnung. Ich denke, es ist auch besser so, dass wir kein Wort mehr darüber verlieren und die Sache erledigt ist. Mark ist seitdem auch wieder richtig vergnügt und kann das Lichterfest kaum noch erwarten.“

 

„Das Lichterfest? Das ist diesen Freitag, oder?“

„Haargenau.“, antwortete Chelsea und hakte sich bei ihrem Freund unter. Die Welpen waren vorerst wieder vergessen.

„Und was machen wir an dem Abend?“, hakte Vaughn nach, obwohl seine Freundin ihm anmerkte, dass ihm diese Frage peinlich war.

„Plötzlich so schüchtern? In letzter Zeit hatte ich von dir einen anderen Eindruck.“, neckte sie ihn und kassierte von ihm einen beleidigten Blick.

„Ich bin nicht…schüchtern. Also, irgendeine Idee für Freitag? Mirabelle sprach neulich davon, dass man die Glühwürmchen am besten auf der Lichtung der großen Wiese beobachten kann.“

„Stimmt. Letztes Jahr war ich mit meinem Bruder und Julia dort gewesen. Es wäre schön, wenn nur wir beide dieses Jahr dahin gehen.“

 

„Hm. Bestimmt werden auch andere auftauchen. Meinst du nicht?“

„Kann schon sein. In der Nähe der Mine gibt es eine Schlucht. Dort sollen sich auch Glühwürmchen sammeln.“, schlug Chelsea vor. Allerdings war Vaughn von diesem Vorschlag weniger begeistert.

„Ist es nicht zu gefährlich? Nein, Chelsea. Du hast dir einmal deinen Fuß verletzt, das reicht für den Rest des Jahres.“

„Musst du mich daran erinnern? Außerdem kann ich mich noch recht gut entsinnen, dass du mich damals getragen hast, nicht?“

„Stimmt. Trotzdem kann ich es nicht gebrauchen, dass du dir weitere Knochen brichst.“

„Spielverderber.“, neckte sie ihn und sah sich in einem liebevollen Kuss von ihm wieder.

 

„Ich möchte lieber mit dir alleine sein.“, hauchte Vaughn und strich zärtlich über ihre Wange.

„Also, von meiner Seite spricht nichts dagegen. Allerdings muss ich vorher noch abklären, wo Mark und Nathalie den Abend verbringen werden.“

„Wieso? Willst du sie mit dabei haben?“, ungläubig starrte er seine Freundin an. Er hatte ganz andere Pläne für den Abend im Sinn.

„Nein.“, lachte die Baunhaarige auf und wuschelte mit einer Hand durch sein dichtes Haar.

„Garantiert nicht. Ich möchte auch viel lieber mit dir alleine sein.“

„Gut, dass wir das schon mal geklärt haben.“

„Was hältst du davon, wenn wir zu dir gehen? Deine Wohnung über dem Tierladen ist doch inzwischen ausgebaut.“

 

„Ja, daran habe ich bereits gedacht. Dann sehen wir uns Freitag also bei mir?“

„Hört sich toll an. Dann komme ich am Nachmittag vorbei. Wir gehen kurz spazieren, sehen uns die Glühwürmchen an und essen dann zusammen, oder nicht?“

„Hört sich toll an.“, wiederholte der junge Mann ihre Worte und freute sich auf den Abend, an dem er mit seiner Freundin alleine sein würde.

 

                                                                                           ~<>~

 

Zum ersten Mal nach Jahren weinte sich Lily an diesem Abend in den Schlaf. Sie konnte sich selber ihre momentane Gefühlslage kaum erklären. Regis hat ihr mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass ihr Verhalten ihren Gästen gegenüber alles andere als vorbildlich gewesen war. Er hatte sie weder angeschrien, noch sonst sie in irgendeiner Weise bestraft. Allerdings hatte er ihr ehrlich ins Gesicht gesagt, dass er sehr enttäuscht von ihr war und ihre Eltern ebenfalls nichts begeistert wären.

Zum Teufel mit ihren Eltern! Seit sie klein war, kam sie prima ohne ihre Eltern aus. Im Grunde genommen hatten Wills Eltern sie mit großgezogen, da sie mehr Zeit bei ihnen verbracht hatte, als bei ihren leiblichen Eltern. Wills Eltern waren sehr liebevoll zu ihr gewesen. Hatten sie ernährt und gekleidet und ihr nie das Gefühl gegeben unerwünscht zu sein. Sie mochte ihre Tante und ihren Onkel sehr. Dass sie sich immer noch von ihrem schweren Autounfall erholen mussten, bekümmerte die junge Frau im Moment wahnsinnig.

 

Alles war anders geworden. Ihr Cousin und sie kamen bei Regis unter und zu allem Überfluss waren sie auf diese abgelegen Insel gezogen. Wozu das gut sein sollte, wusste sie nicht. Denn mit dem Minenbetrieb hatte sie nichts zu tun. Außerdem hatte sie nicht verstanden, warum Wills Eltern damit einverstanden waren. Inzwischen wollte Lily nur noch Heim, in ihr früheres zu Hause und früheres Leben. Von diesem Leben hier hatte sie nichts, außer Kummer und Schmerz, der ihre Einsamkeit vergrößerte. Lily war schon immer einsam gewesen. Egal in welchem Bett sie geschlafen hatte, ob bei ihren Eltern oder ihrer Tante zu Hause. Sie war und blieb einsam.

 

Dieses Gefühl hatte auch noch zugenommen, als sie unverhofft Sabrina und ihren Cousin beim Händchen halten beobachtet hatte. Kurz darauf hatten sie sich geküsst. Draußen, direkt vor ihrem Fenster, welches zum Garten zeigte. Wann war das passiert? Des Weiteren hatten sie sich über das kommende Lichterfest unterhalten. Dieses Jahr würden sie es zu zweit verbringen. Allein. Ohne Lily.

Neben ihrer Einsamkeit fühlte sie sich auch noch ausgeschlossen. Ihre Tränen wollten nicht aufhören zu fließen und hinterließen einen salzigen Geschmack auf ihrer Zunge.

Dabei sehnte sich die junge Frau schmerzlich nach Liebe und Geborgenheit. Wie so oft in letzter Zeit fragte sie sich, wann sie endlich an der Reihe war? Im Allgemeinen,  fand sie, war das Leben ihr gegenüber verdammt hart und unfair. Das sollte sich endlich mal ändern…

Das Lichterfest

Kapitel 16:  Das Lichterfest

 

 

Die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren in der Villa war vor Aufregung so nervös, dass sie ständig versucht war an ihren Fingernägeln zu kauen. Als Sabrina klein war, hatte sie dies häufiger getan, wenn sie sich unwohl gefühlt hatte oder sie kurz davor stand Ärger zu bekommen. Allerdings bekam sie relativ selten Ärger von ihrem Vater. In den letzten Jahren fast gar nicht mehr, was auch verständlich ist. Immerhin war sie kein kleines Kind mehr und es ärgerte sie umso mehr, weil sie das Gefühl hatte sich wieder wie eines zu benehmen. Dabei hatte sie gewiss nichts falsch gemacht. Sie war nur extrem aufgeregt über den kommenden Abend, an dem sie ihr erstes gemeinsames Date mit Will haben würde.

Ihr allererstes Date!

 

Verflucht! Sie hatte nicht die geringste Ahnung wie sich benehmen sollte. Ihre gewaltige Garderobe ließ sie heute ebenfalls im Stich. Kein Wunder, dass sie versucht war an ihren Nägeln zu kauen. Dummerweise brauchte sie aber ihre Nägel unversehrt, weil sie zudem immer noch nicht wusste, ob sie sich Nagellack auftragen sollte oder nicht. Zudem sähe es äußerst unschön und unattraktiv aus, wenn sie keine Fingernägel mehr hätte. Was sollte Will dann von ihr denken?

Wahrscheinlich würde er davon laufen und nie wieder ein Wort mit ihr reden. Wenn doch, dann unter dem Spitznamen, das reiche Mädchen, dass keine Fingernägel besaß. Es war einfach zu frustrierend. Und zeitverschwendend obendrein, wenn sie nicht endlich in die Gänge kam und überhaupt Kleider wählte, damit sie nicht nackt herum lief.

 

Also, alles schön der Reihe nach. Als erstes brauchte sie bequeme Unterwäsche. Zwar konnte sie nicht genau sagen warum, aber sie wollte Unterwäsche anziehen, die sie schön fand. Nicht das sie sich ausziehen lassen würde, um Himmels Willen. Dafür war es eindeutig noch zu früh. Trotzdem musste passende Unterwäsche her. Endlich fand sie welche und sogar dazu farbliche Socken. Wobei die am Unwichtigsten waren, aber eben nicht zu vernachlässigen waren. In beiden Fällen entschied sich Sabrina für die Farbe dunkelblau. Ihr BH und dazugehöriger Slip waren mit feiner Spitze verziert und sie sah darin wirklich umwerfend aus. Da ihre Brüste recht klein waren, trug der BH dazu bei, dass sie vorteilhaft angehoben wurden. Zumindest etwas und das reichte ihr auch. Achtlos warf sie ihren langen Bademantel zu Boden und wählte danach eine mit Muster besetzte schwarze Strumpfhose und ein dunkles Hemd. Bedauerlicherweise waren die Temperaturen für heute sehr tief, weswegen warme Kleidung unerlässlich war.

 

Danach wurde es schon schwieriger. Sabrina brauchte noch fast eine komplette Stunde, ehe sie sich für eine modische warme Jeans entschied und einen figurbetonten marineblauen Rollkragenpullover aus ihrem Schrank nahm. Nun war ihr Outfit vollständig. Ihre Haare wollte sie offen tragen. Als weitere Ergänzung nahm sie wieder ihre Kontaktlinsen hervor, denn sie wollte nicht, dass ihre Brille an diesem Abend beschlägt.

Jetzt fehlten nur noch Stiefel und sie hatte gerade noch genug Zeit ihre Handschuhe und ihren Schal zusammen zu suchen, als es auch schon Zeit wurde, sich mit ihrem Freund am Hauseingang zu treffen.

 

                                                                                             ~<>~

 

Alles war perfekt. Vielleicht zu perfekt, aber Nathalie war nicht bereit ihren alten Gewohnheiten erneut nachzugeben und wunderte sich, wie leicht es ihr fiel, sich ihrem Gefühl überwältigenden Glücks hinzugeben.

Mark hatte an alles gedacht. Es gab Kerzen, die überall im Wohnzimmer und im Flur seines Hauses verteilt waren. Die Deckenbeleuchtung spendete nur wenig Licht, damit die Kerzen besser zur Atmosphäre beitragen konnten. Im Wohnzimmer war der Esstisch dekorativ gedeckt. Hauptsächlich in der Farbe rot. Leichte Speisen befanden sich auf dem Tisch, sowie leckere Zimtplätzchen, die Nathalie bereits kannte. Außerdem war sie sich völlig sicher, dass die Hauptarbeit hierfür auf Chelseas Konto ging. Immerhin wusste sie nur zu gut, wie ungeschickt der junge Farmer in der Küche war. Dennoch freute sich die Pinkhaarige ungemein darüber, dass sich Mark so offensichtlich Mühe gegeben hatte, und bekam im Laufe des Abends ständig verführerische Komplimente, wie unsagbar hübsch sie aussah.

Nathalie trug einen roten Pullover, der ihr Dekolletee vorteilhaft betonte. Eine silberfarbene Kette zierte ihren atemberaubenden Hals und ihre Haare umrahmten eindrucksvoll ihr wunderschönes Gesicht. Aufgrund des Rotweins wurden ihren Wangen von einen zarten Röte überzogen und Mark konnte nicht anders, als sich zunehmend von ihr angezogen zu fühlen. Er erkannte deutlich, dass sie sich Mühe gegeben hatte für ihn heute Abend schön auszusehen, obwohl sie das in seinen Augen schon immer gewesen war. Egal, was sie trug oder in welcher Stimmung sie sich befand. Denn, ob sie wütend, traurig oder glücklich war, stets war sie seine Version einer perfekten Frau und einfach unvergleichlich. Deswegen und vielen anderen Gründen war er heilfroh, dass sie immer noch an seiner Seite war und er sie nicht verloren hatte.

 

„Wie wäre es mit ein bisschen Musik?“, fragte Mark, nachdem sie die letzten Plätzchen verputzt hatte. Als er den leeren Teller betrachtete, nahm er sich fest vor, seiner Schwester ein riesen Geschenk zu machen, dafür, dass sie sich auch für ihn stundenlang in die Küche gestellte hatte.

„Musik?“, irritiert blickte Nathalie zu ihm auf. „Was hast du denn noch vor?“ Vom Alkohol mutiger geworden, wagte sie sich näher an ihm heran und hauchte ihm einen sanften Kuss hinters Ohr. Sofort erschauderte Mark. Doch er blieb standhaft. Fürs Erste.

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“

„Was meinst du?“, unschuldig suchte Nathalie seinen Blick und konnte nicht anders, als plötzlich in schallendes Gelächter auszubrechen.

„Was findest du jetzt so komisch?“

„Dich.“

 

„Wie mich?“ Aus dem Konzept gebracht, rutschte Mark unsicher auf seinem Stuhl herum.

„Du siehst aus, als ob du dich furchtbar zusammen nehmen musst.“, kicherte die junge Frau weiterhin ungehalten und kassierte dafür einen vorwurfsvollen Blick.

„So so. Du findest mich also komisch.“ In Marks Stimme schwang mit einem Mal etwas Bedrohliches mit. Abrupt hörte Nathalie auf zu kichern. Ehe sie sich versah, war Mark von seinem Stuhl aufgesprungen, sodass er durch den Schwung nach hinten fiel, zog seine Freundin von ihrem Platz hoch und entführte sie energisch in Richtung der Treppe hinauf in sein Zimmer. Sobald sie beide im Zimmer standen, drehte er die verblüffte Nathalie mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür und drückte sich mit seinem Körper gegen den ihren.

Heiße Küsse waren nun die Folge. Irgendwo im Schleier ihrer eigenen Sehnsucht bemerkte Nathalie erst jetzt, wie beherrscht Mark den Abend über gewesen war. Er war ihr mit Absicht aus dem Weg gegangen, um sie nicht kopflos und direkt zu überfallen. Doch das hier, war viel schöner und vor allem aufregender.

 

„Nathalie.“, keuchte Mark und gab für einen kurzen Augenblick ihre Lippen wieder frei. Offen sah er ihr in die Augen. In ihnen loderte ungezügelte Leidenschaft, die Nathalie alles um sie herum vergessen ließ.

„Ich will dich.“, hauchte Mark und strich ihr sanft mit dem Handrücken über die nach wie vor gerötete Wange.

„Dann nimm mich.“ Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern, doch für Mark war es Bestätigung genug, weswegen er zugleich mit ihr gemeinsam aufs Bett fiel.

 

Anfangs waren beide etwas unbeherrscht. Gleichzeitig wollten sie sich küssen, überall berühren und nebenbei die störenden Kleider entfernen. Zwischendurch mussten sie mehrmals lachen, weil sie zu unerfahren waren, um sich der Reihe nach den Einzelheiten zu widmen. Dabei fühlten sie sich endlos befreit, weil ihre innigen Gefühle füreinander am Ende doch den richtigen Weg wiesen. Keiner schämte sich den anderen nackt zu sehen. Mit liebevollen Worten bekundeten sie sich gegenseitig ihre Liebe. Als Mark auf ihr lag und Nathalie ihn endlich in sich aufnahm, war es, als wären sie nie voneinander getrennt gewesen. Eng hielt sie ihn an sich gedrückt und Nathalie schwor sich, ihn nie wieder loszulassen. Ganz egal, wie ihre gemeinsame Zukunft aussehen würde.

 

                                                                                             ~<>~

 

Händchen haltend spazierten Chelsea und Vaughn am Fluss entlang in Richtung Festwiese zu. Sie hatten bereits beide zu Abend gegessen, was Chelsea liebevoll für ihren Freund zubereitet hatte. Nur die Zimtplätzchen hatten keinen Platz mehr in ihren vollen Bäuchen gefunden.

Unterwegs waren sie auf Sabrina und Will getroffen. Überraschte Blicke wurden ausgetauscht, da Chelsea keine Ahnung gehabt hatte, dass die zwei ein Paar waren. Nach einem kurzen Gespräch wurden sie aufgeklärt und sie versprachen sich, mal zu viert etwas gemeinsam zu unternehmen.

„Chelsea? Du wirkst gedankenverloren, nachdem Sabrina und Will sich von und verabschiedet hatten.“

 

„Ich musste die ganze Zeit daran denken, wie unglücklich mein Bruder und Nathalie in letzter Zeit gewesen waren, nachdem Nathalie scheinbar ein wenig Interesse an Will gezeigt hatte.“, gab sie nach kurzem Zögern zu.

„Aber sie haben sich doch wieder versöhnt, oder nicht? Die zwei feiern doch heute auch zusammen, oder?“

„Ja, Gott sei Dank! Mein Bruder wäre vor Liebeskummer vermutlich gestorben, wenn sie sich nicht wieder vertragen hätten. Aber, es ist dennoch seltsam, dass Nathalie sich überhaupt von Mark abgewandt hatte. Jetzt, da wir wissen, dass Will mit Sabrina geht, erscheint mir Nathalies Verhalten mehr als fragwürdig. Hätte sie tatsächlich alles aufs Spiel gesetzt, was sie mit Mark zusammen hatte, nur um einem anderen Kerl nahe sein zu können, der offenkundig kein Interesse an ihr hatte? Wie dämlich ist das denn?“

„Verstehen kann ich das auch nicht.“, antwortete Vaughn und zog seine Freundin näher an sich heran. Mittlerweile waren sie auf der Festwiese angekommen. Auch hier hatte der Winter seine Spuren hinterlassen. Die Wiese wirkte kahl und die Bäume rings um sie herum ebenso. Allerdings hatten sich schon die ersten Glühwürmchen auf die Wiese verirrt und blinkten hier und da kurz auf.

 

„Du hast Nathalie noch nie richtig leiden können.“, sprach Chelsea unvermittelt weiter und konnte momentan keine wirkliche Ruhe bei dem Anblick vor ihnen und im Beisein mit Vaughn finden.

„Nun, ich finde sie extrem aufbrausend und etwas herrisch, aber seit wann stört dich das?“, beunruhigt schaute er auf seine Freundin hinab, die sich enger in seine Arme flüchtete. Als wäre ihr mit einem Mal ziemlich kalt geworden.

„Nein, es stört mich nicht. Es ist nur…ich weiß auch nicht wie ich das erklären soll. Ich kenne Nathalie länger als du und ich hätte nie für möglich gehalten, dass sie so etwas Unüberlegtes tun würde. Schon gar nicht, wenn mein Bruder der Hauptleidende ist. Ach, ich schätze, ich denke mal wieder zu viel nach. Dabei bin ich wahnsinnig erleichtert, dass die zwei wieder richtig zusammen sind und den Abend miteinander verbringen ohne das etwas Schlimmeres geschehen war.“

 

„Manchmal denkst du wirklich zu viel. Aber dafür liebe ich dich umso mehr.“, hauchte Vaughn ihr zu und küsste sie zärtlich auf ihren Mund.

„Vielleicht solltest du mich häufiger zurecht weisen, damit ich nicht selber irgendwann mal etwas entsetzlich Dummes tue.“, lachte die Braunhaarige ihren Freund an und wandte sich mit einem Mal von ihm ab. „Ich habe noch etwas für dich.“

„Ja? Was denn?“, hakte Vaughn neugierig nach und war erleichtert, dass Chelsea ihre unbeschwerte Gemütsfassung wieder gewonnen hatte.

Unter ihrem Mantel kramte Chelsea ein kleines Päckchen hervor und reichte es ihrem Freund.

„Mach es auf!“, forderte sie ihn unverzüglich auf und Vaughn kam dem nur zu gerne nach.

 

Nachdem er das Papier entfernt hatte, hielt er in der Hand einen schwarz-weiß karierten Schal. Verblüfft starrte er ihn an, da er keinen Preisschild oder Ähnliches entdecken konnte, dass darauf schließen lässt, dass der Schal gekauft war.

„Hast du ihn selber gestrickt?“

„Ja. Es hat mich einige Wochen gekostet, weil ich unbedingt wollte, dass er ein Karomuster bekommt. Mir ist nämlich aufgefallen, dass du nie einen Schal trägst, deswegen kam mir die Idee dazu. Ich möchte nicht, dass du unnötig frierst oder sogar krank wirst.“

Etwas peinlich berührt nahm Vaughn seine Freundin liebevoll in seine Arme. „Danke. Ich habe ebenfalls ein kleines Geschenk für dich.“

Eifrig packte Chelsea das Päckchen auf, welches Vaughn ihr gereicht hatte und hielt wenig später ein kleines Bettelarmband in der Hand. Beim Näheren betrachten, entdeckte sie, dass eines der Anhänger ein Pferd war, wie das, was sie als Kette um ihren Hals trug. Gerührt traten ihr Tränen in die Augen. Noch vier weitere Anhänger waren an dem Armband befestigt: ein vierblättriges Kleeblatt, ein Hufeisen, ein Herz und ein Schlüssel.

 

„Wofür steht der Schlüssel?“, wollte die Braunhaarige von ihrem Freund wissen. Die anderen Symbole konnte sie sich erklären, aber der Schlüssel blieb ihr ein Rätsel.

„Das ist mein Geheimnis.“, neckte Vaughn sie und legte ihr zaghaft das selbstgemachte Armband an. „Es steht dir.“

„Kein Wunder. Du scheinst magische Hände zu haben, was Schmuck betrifft.“, neckte Chelsea ihn und zog sich rasch ihren Handschuh wieder an, weil es immer noch ziemlich kalt an der frischen Luft war. Inzwischen waren auch weitere Glühwürmchen aufgetaucht, die fast die gesamte Wiese einnahmen und das Paar in ihre Mitte genommen hatten. Funkelnde Lichter umgaben sie.

„Irgendwann musst du mir aber erklären, wofür der Schlüssel steht.“

„Ich denke, dass wirst du selber noch früh genug herausfinden.“

„Vaughn, ich…“

 

Weiter kam sie nicht, da sie in einem langen Kuss gefangen wurde und es ihr augenblicklich nichtig erschien, wofür der Schlüssel eigentlich gedacht war. Hauptsache sie lag in seinen starken Armen bei einer sternenklaren Nacht und zahlreichen leuchtenden Lichtern umgeben.

Der Kuss

Kapitel 17: Der Kuss

 

 

Völlig verschlafen und leicht desorientiert öffnete Nathalie am nächsten Morgen mühsam ihre Augen. Es wunderte sie nicht im Geringsten, warum sie noch im Bett lag, immerhin war noch die Jahreszeit in der wenig Arbeit anfiel und die Tage sichtbar später anfingen. Allerdings wunderte sie sich über den Geruch der ihr nach und nach in die Nase stieg und fühlte sich prompt an den gestrigen Abend erinnert. Der angenehm bekannte Geruch, der ihr in die Nase gestiegen war, gehörte eindeutig zu Mark, der sich allerdings nicht mehr neben ihr im Bett befand. Die ganze Nacht über hatte er sie in seinen Armen gehalten, hin und wieder war sie nämlich kurz aufgewacht, um sich zu vergewissern, dass alles kein Traum gewesen war. Selbst wenn, es wäre ein unglaublich schöner Traum gewesen, den sie garantiert niemals vergessen hätte. Die Tatsache, dass es tatsächlich geschehen war, machte es sowieso für sie unvergesslich.

 

In Gedanken ließ sie nach und nach den gestrigen Abend Revue passieren und war sich ziemlich sicher, dass er nicht hätte besser laufen können, wenn man bedenkt, wo sie sich am Ende des Abends wiedergefunden hatten. Für Nathalie war es mehr als schön gewesen. Ihr fehlten die Worte, um das Erlebte in geeignete Worte zu packen. Beide waren extrem aufgeregt, nervös und neugierig gewesen mit unbändiger Lust aufeinander. Ja, es war auf jeden Fall richtig gewesen. Mark war zärtlich mit ihr umgegangen, als sie sich vereint hatten. Sie erinnerte sich daran, dass sie diesen Moment des tiefen Zusammenseins fast schon ungeduldig herbeigesehnt hatte. Sie waren so lange voneinander getrennt gewesen, dass sie seine Nähe auch in physischer Form unbedingt spüren wollte. Und es war ihr sagenhaft vorgekommen. Es war perfekt.

 

Gerade als sich Nathalie wieder fragen wollte, wo Mark abgeblieben war, wurde vorsichtig die Tür aufgeschoben und Mark trat vorsichtig mit einem voll beladenen Frühstückstablett herein.

„Morgen.“

Auf der Stelle war Mark verzaubert von Nathalies Anblick mit ihren zerzausten Haaren, die in allen Richtungen von ihrem Kopf abstanden. Und als sie nach seinem Eintreten ein strahlendes Lächeln aufsetzte, hatte er endlich die Gewissheit, dass auch ihr die letzte Nacht gefallen hatte. Während er das Frühstück für sie beide vorbereitet hatte, musste er sich unweigerlich ein und dieselbe Frage stellen, ob es für Nathalie ebenso ein unbeschreibliches Erlebnis gewesen war wie für ihn.

„Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du aufgestanden bist.“

„Das war auch der Sinn des Ganzen. Du hast so schön ausgesehen, als du neben mir gelegen hast. Ich brachte es nicht über mich dich zu wecken.“

Vorsichtig stellte er das Tablett vor ihnen auf dem Bett ab und beugte sich danach zu seiner Freundin rüber, um ihr einen leichten Kuss auf ihre Lippen zu hauchen.

„Wie geht es dir?“, fragte Mark.

„Oh, ich…mir geht es gut, danke.“

Nathalie wusste nicht, wie sie sonst reagieren sollte und zog sich unwillkürlich die Decke vor ihre nackte Brust.

„Mit einem Mal so schüchtern?“, neckte Mark sie und gab ihr einen weiteren Kuss, der intensiver als der erste war.

„Nun, was soll ich sagen, Mark? Es war sehr schön.“, gab Nathalie dann doch zu und senkte verlegen ihren Blick.

„Für mich auch.“, erwiderte Mark und reichte ihr ein aufgebackenes Croissant, damit sie gezwungen war ihn wieder anzusehen. „Es war fantastisch.“

 

                                                                                       ~<>~

 

Auch Chelsea und Vaughn hatten gemeinsam die letzte Nacht verbracht, wobei sie sich nicht so nahe gekommen waren, wie Vaughn es gehofft hatte. Zwar hatten sie sich eng in seinem Bett umschlungen gehabt und viele leidenschaftliche Küsse ausgetauscht, aber zu mehr war Chelsea nicht bereit gewesen. Vaughn akzeptierte es, wenn auch etwas wiederstrebend, weil er von einem anderen Abschluss des Tages ausgegangen war. So gut es ging, unterdrückte er seine Enttäuschung darüber, aber er hätte sich noch schäbiger gefunden, wenn er Chelsea zu etwas überredet hätte, wofür sie offenbar noch nicht bereit war. Gedankenverloren war er nach dem Frühstück mit Chelsea unter die Dusche gegangen und hing seinen Gefühlen für Chelsea nach.

Er liebte sie, daran gab es keinen Zweifel, und er würde nie etwas tun, was ihr schaden könnte oder ihr mit Absicht wehzutun. Jedoch konnte er nicht vor sich selber leugnen, dass er allmählich etwas mehr wollte. Er wollte seiner Freundin so nahe sein wie es für zwei Menschen möglich war. Die Frage, die sich für ihn stellte war, ob auch Chelsea es ebenso wollte wie er.

 

Der gestrige Abend war schön gewesen, obgleich Chelsea zeitweise mit ihren Gedanken völlig woanders verweilt hatte. Er konnte nachvollziehen, dass sie sich Sorgen um ihren Bruder und ihre Freundin gemacht hatte. So war Chelsea nun mal. Es gehörte zu ihrem Wesen, dass sie sich um jeden Sorgen machte, der ihr einmal ans Herz gewachsen war. Der- oder diejenige konnte sich sicher sein, dass sie immer auf ihre Freundschaft zählen konnte. Hin und wieder kam ihm der eifersüchtige Gedanke, dass er seine Chelsea am Liebsten für sich alleine hätte. Oft waren ihre Verabredungen kürzer ausgefallen oder sogar komplett abgesagt, wenn Chelsea jemandem zu Hilfen eilen musste. Sie hatte einfach ein zu gutes Herz. Doch manchmal ging es ihm mächtig gegen den Strich. Immerhin war er auch noch da. Vor allen anderen hatte er ja wohl den meisten Anspruch auf sie.

Vaughn fluchte, als ihm bewusst wurde, dass er den letzten Gedanken lauf ausgesprochen hatte. Allerdings entsprach er der Wahrheit. Von Anfang an hatte er eifersüchtig reagiert, wenn ein anderer Kerl seiner Chelsea zu nahe kam, bereits zu dem Zeitpunkt, als sie noch gar kein Paar gewesen waren.

 

Im Nachhinein betrachtet, konnte es dafür nur eine logische Schlussfolgerung geben, nämlich, dass er bereits hoffnungslos in sie verliebt war, nachdem er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Damals, vor einigen Monaten auf Mirabelles Geburtstag. Vaughn lächelte als er sich an ihre erste Begegnung mit ihr erinnerte. Sie hatte ihn unfassbar genervt, dabei wollte sie nur höflich sein, damit er nicht so alleine war.

Alleine war er inzwischen nicht mehr. Doch er wusste immer noch nicht, wie er Chelsea begreiflich machen sollte, dass er an erster Stelle bei ihr kommen wollte ohne dass es zu selbstsüchtig rüberkam. Mit derartigen Gefühlen konnte Vaughn noch nie sonderlich gut umgehen. Woher auch? Er hätte nie für möglich gehalten, dass ihm so viel an einer anderen Person liegen könnte und von dessen Lächeln sein weiteres Glück abhing.

 

                                                                                          ~<>~

 

Lily war früh aus dem Haus gestürmt ohne recht zu wissen, wohin sie eigentlich wollte. Sie wusste nur, dass sie Sabrinas und Wills Anblick nicht mehr länger ertragen konnte. Wie sie sich ständig verliebte Blicke zuwarfen, offen und direkt ohne Scheu vor anderen. Das war der übellaunigen Diva wahrhaft zu viel. Wütend schnaubte sie, fluchte über sich selbst, weil sie den Neid, den sie spürte seitdem sie die beiden das erste Mal zusammen gesehen hatte, nicht mehr länger unterdrücken konnte. Die Turtelei war ihr eindeutig zu viel.

Ohne auf den Weg vor sich zu achten, setzte sie einen Fuß vor den anderen. Leider wurde ihre aktuelle Gemütsfassung davon auch nicht besser.

 

                                                                                          ~<>~

 

„Was ist das?“, brachte Nathalie zwischen zwei Bissen ihres Croissants hervor und deutete mit ihrem Finger auf ein eingepacktes Geschenk neben dem Frühstückstablett. Mark folgte der Richtung.

„Das? Das ist dein Geschenk. Gestern waren wir nachdem Essen nicht mehr dazu gekommen.“, zwinkerte er ihr zu und reichte ihr das Päckchen.

„Oh! Jetzt, wo du es erwähnst. Dein Geschenk befindet sich auch noch in meiner Handtasche.“

„Mach erstmal deines auf und danach frühstücken wir zu ende.“

„Ich kann es auch schnell holen gehen.“, wandte Nathalie ein, doch Mark hielt sie fest, weil es ihm ein gutes Gefühl bereitete, sie unmittelbar neben ihm zu spüren. Noch dazu in seinem Bett. „Später. Öffne deines.“

Die Pinkhaarige lächelte ihren Mark an, der so gar nicht gewillt war, sie loszulassen. Eine romantischere Geste konnte sie sich nicht vorstellen.

 

Vielleicht doch. Denn nachdem sie das Papier abgewickelt hatte, kam eine kleine Schatulle zum Vorschein in der ein silberner Ring verborgen war. Sprachlos starrte die junge Frau auf den funkelnden Ring, der mit einem rosafarbenen Stein in Blütenform besetzt war.

„Mark.“, krächzte die überwältigte Nathalie und starrte ihr Gegenüber wortlos an.

„Gefällt er dir?“ Etwas verlegen fuhr sich Mark durch seine blonden Haare.

Stumm nickte die Fassungslose mit ihrem Kopf.

„Er soll ein Versprechen sein.“

„Ein Versprechen?“, hakte Nathalie leise nach, nachdem sie einigermaßen ihre Sprache wieder gefunden hatte.

 

„Ich wollt es dir eigentlich gestern Abend sagen.“, begann ihr der Farmer zu erklären und nahm fest ihre Hände in seine, die den Ring umschlossen hielten. „Ich bin überwältigt von dir, meine Nathalie. Bedauerlicherweise kann ich nicht mehr genau sagen, wann ich anfing zu begreifen, was für Gefühle ich für dich hege, die seitdem von Tag zu Tag größer werden. Meine Liebe für dich kennt keine Grenzen. Ich hatte vor, dich während des Tanzes zu fragen, zudem es gestern Abend nicht mehr gekommen war. Allerdings kann ich mir in diesem Moment keinen schöneren Augenblick vorstellen, als den, dich in meinen Armen zu halten, wo du für immer hingehörst. Ich hatte den gestrigen Abend so lange geplant und er war viel schöner geworden, als ich ihn mir hätte vorstellen können. Darum frage und bitte ich dich, meine Nathalie, willst du für immer an meiner Seite sein und den Rest deines Lebens mit mir zusammen verbringen?“

 

Überwältigt von den wahrscheinlich schönsten und fantastischen Gefühlen, die es auf dieser Welt gab und die Nathalie fühlen konnte, gab sie ihrem vor Freude strömenden Tränenfluss nach und schniefte ziemlich undamenhaft ein „Ja“ heraus. Überglücklich strahlte Mark seine von nun an zukünftige Frau an. Steckte ihr zitternd den Ring an und küsste sie überschwänglich, wie er sie noch nie zuvor geküsst hatte.

Der Ring war ein Symbol dafür, dass er sich versprach seinen Freundin und nun Verlobte für alle Zeiten glücklich zu machen und nie wieder von ihr abzuwenden.

 

                                                                                          ~<>~

 

Nach dem die junge Farmerin eher nachdenklich als glücklich Vaughn wieder verlassen hatte, war sie relativ langsam den Weg zu ihrem nach Hause eingeschlagen. Vaughn wollte sie nach Hause begleiten, aber sie hatte entschieden abgelehnt, da sie Zeit für sich zum Nachdenken brauchte.

Der gestrige Abend war schön gewesen und hatte ihr auch wirklich gut gefallen, aber nachdem sie mit ihm alleine in seiner renovierten kleinen Wohnung über Mirabelles Tierladen war, hatte es nicht lange gedauert und sie hatten eng in den Armen haltend in seinem Bett gelegen. Auch das war schön und toll gewesen. Vaughn konnte unfassbar zärtlich sein und ihr wirklich das Gefühl vermitteln begehrt zu werden. Vor kurzem war sie sich noch ziemlich sicher gewesen, dass auch sie ihm näher sein wollte als davor. Warum sie plötzlich einen Rückzieher gemacht hatte, konnte sie nicht nachvollziehen. Erstaunt hatte Vaughn sie daraufhin angesehen und ihr war bewusst geworden, dass er damit nicht gerechnet hatte. Chelsea hatte seine Augen gesehen, die ihre Zurückweisung für einen kurzen Moment wiederspiegelten. Sie hoffte, damit keinen Fehler gemacht zu haben, denn wenn sie weiter gegangen wären, wäre es ihr nicht richtig vorgekommen. Dieses komische Gefühl ließ sich auch jetzt nicht einfach abschütteln.

 

Zerstreut ging Chelsea weiter ihres Weges und befingerte geistesabwesend ihr neues Armband. Er liebte sie. Das wusste Chelsea und sie liebte ihn, dessen war sie sich ganz sicher. Noch nie zuvor hatte sie solche innigen Gefühle für jemanden gehegt. Was es bedeutete zu lieben, war ihr vorher nicht klar gewesen und sie bezweifelte, dass sie es in der Zeit mit Vaughn vollends verstanden hätte.

Plötzlich nahm Chelsea eine Bewegung aus ihrem Augenwinkel wahr. Sah nach rechts und entdeckte Lily, die ihren Blick gen Boden geheftet hatte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie unbewusst den Weg wieder zurückgegangen war. Anscheinend wollten ihre Füße, dass sie die folgende Szene mitbekam, die sich direkt vor ihren Augen abspielte.

 

Hinter Lily kam mit einem Mal Vaughn angerannt, der Chelsea hinterhergelaufen war, um sie doch nicht alleine nach Hause gehen zu lassen. Als Lily vor seinem Blickfeld auftauchte, fragte er höflich nach, ob er ihr behilflich sein könnte. Zu spät fiel ihm ein, dass er dank dieser Diva eine kleine Auseinandersetzung mit seiner Freundin gehabt hatte. Da die Dunkelhaarige nicht sofort reagierte, wollte Vaughn sie einfach stehen lassen und schon an ihr vorbei gehen, als sie ihn abrupt am Kragen packte und sein Gesicht zu ihrem runter zog.

Vaughn spürte die Lippen einer anderen Frau auf seinen. Rasch schob er sie wieder von sich und sah zu seinem Unbehagen Chelsea, die an der nächsten Weggabelung vor ihnen gestanden hatte und nun tränenüberströmt das Weite suchte. Er rief ihr laut hinterher und eilte ihr nach, wohingegen Lily vergessen zurück blieb.

 

„Chelsea! Chelsea! So warte doch! Bleib bitte stehen!“

„Fass mich nicht an!“, fauchte sie ihn prompt an, nachdem er sie endlich eingeholt hatte. „Fass mich bloß nicht an!“

„Aber, Chelsea, so hör mir doch zu. Lass es mich erklären.“, setzte Vaughn an, der Mühe hatte sich ruhig zu halten. Normalerweise hätte sie sehen müssen, dass der Kuss von eben nicht von ihm ausging und er nicht begriff, warum Chelsea davongelaufen war.

„Lily hat mich überrumpelt.“

„Überrumpelt? Spar dir das.“, schrie Chelsea beinahe schrill. „Ich habe euch doch gesehen.“

„Dann hast du nicht richtig hingesehen.“, brüllte Vaughn zurück. Erschrocken wich Chelsea von ihm zurück. Augenblicklich tat ihm sein harter Tonfall Leid.

 

„Chelsea…Bitte, lass es mich erklären.“

„Nein, es gibt nichts zu erklären.“ Inzwischen liefen ihre Tränen unaufhaltsam übers Gesicht.

„Anscheinend hatte dir der Abend mit Lily alleine am Tisch doch ganz gut gefallen.“

„Was? Wovon redest du überhaupt?“ Fassungslos starrte er seine Freundin an, die immer weiter von ihm zurück wich. Mit jedem Schritt den sie tat, fühlte er sich einsamer. „Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Ich verstehe dich nicht, Chelsea. Warum weichst du von mir ab?“

„Es reicht, dass ich dich mit ihr gesehen habe.“, schluchzte Chelsea. Sie erinnerte sich an seinen Blick, als sie ihm letzte Nacht nicht geben konnte, was er wollte. Vielleicht war es tatsächlich besser so, dass es nicht so weit gekommen war. Oder es hatte gerade den gegenteiligen Effekt.

 

„Schwachsinn! Purer Schwachsinn!“, brüllte Vaughn erneut, aber dieses Mal mehr in seine Umgebung als direkt an sie. „Weißt du wie oft ich zurück stecken musste, wenn wir verabredet waren und du kurz vorher abgesagt hattest oder früher wieder gehen musstest?“

„Was? Das ist doch gar nicht wahr!“

„Und ob das wahr ist!“, beharrte Vaughn und erkannte sich selbst kaum wieder. „Du bist ständig für andere da, für alles und jeden, aber ich muss stets auf dich warten. Es ist frustrierend, Chelsea. Ständig muss ich auf dich warten oder wir sind nie lange genug allein.“

„Ist es, weil ich gestern nicht wollte?“

„Was? Das hat damit nichts zu tun. Ich würde dich niemals zu etwas zwingen.“

„Und warum hast du dann so enttäuscht ausgesehen?“

 

Vaughn verstand die Welt nicht mehr. Was war eigentlich gerade los? Er hatte den Eindruck, dass sie sich im Kreis drehten. Irgendetwas, was er gestern getan hatte, hatte Chelsea verletzt. Nur was? Und warum hat sie nichts zu ihm gesagt?

„Chelsea, ich verstehe das nicht. Was ist überhaupt los?“, verzweifelt sah er sie an und hoffte auf einen Wink von ihr.

Doch Chelsea antwortete nicht. Sie war zu aufgewühlt und ließ ihn alleine stehen.

 

Abermals fühlte sich Vaughn verloren. Widerstrebend ging er nach Hause und versuchte zu begreifen, was er eigentlich verkehrt gemacht hatte.

Ein weiterer Schritt

Kapitel 18:  Ein weiterer Schritt

 

 

Das Farmermädchen hatte den restlichen Tag und das Wochenende danach durchgehend im Bett gelegen. Sie fühlte sich nicht imstande mit ihrem Bruder oder Freundinnen über den Vorfall mit Vaughn zu reden. Zuerst war sie ziemlich sauer, enttäuscht und gekränkt gewesen. Hinzu schlich sich das Gefühl von ihm kurzzeitig verlassen worden zu sein, als seine Lippen eine andere Frau berührt hatten. Chelsea wusste, dass der Kuss nicht von Vaughn ausgegangen war, immerhin hatte sie die schreckliche Szene mit eigenen Augen gesehen. Viel eher hatte sich Vaughns Blick in ihr Gedächtnis eingebrannt, als sie ihn am Abend des Lichterfestes zurückgewiesen hatte. Doch warum, konnte sie sich beim besten Willen nicht erklären. Es war nicht die Furcht vor dem Unbekannten oder Neuem gewesen, die letzte Grenze zwischen ihnen zu überwinden, sondern eher ein Gefühl von Unbehagen und ihm nicht genügen zu können.

Inzwischen war sich Chelsea ganz sicher, dass sie Angst davor hatte, Vaughn nicht alles geben zu können, was er von ihr wollte und erhoffte. Das sie am Ende etwas falsch machen würde und er sie nie wieder mit seinen leuchtenden violetten Augen ansah, wie er es seitdem Tag getan hatte, als er ihr offenbarte, dass er sie liebte.

 

Nur, woher kamen mit einem Mal diese irritierenden Gefühle? Vermischt mit der Angst eines Tages von ihrem Geliebten verlassen zu werden? Sie hatte ihrem Bruder tagelang dabei zugesehen, wie er vor Liebeskummer gelitten hatte, als es den Anschein für ihn hatte Nathalie für immer zu verlieren. Nathalie hatte ebenfalls darunter zu kämpfen gehabt. Wahrscheinlich hatte sie ebenso Panik davor gehabt, Mark zu verlieren, wie Chelsea jetzt Vaughn. Denn Marks Zurückweisung, dass er seine Freundin nicht bei der Arbeit brauchte, hatte sie zutiefst getroffen.

Sollte dieses Beispiel Chelsea nicht eine Lehre sein, dass es besser wäre auf der Stelle zu Vaughn zu eilen, um mit ihm das zu klären? Zum ersten Mal verstand sie, wie sich ihre Freundin gefühlt haben musste, als sie nicht bereit gewesen war Mark schnell zu verzeihen. Aber Vaughn tagelang aus dem Weg gehen, wollte sie auch nicht. Allerdings saß der Stachel der Kränkung noch zu tief und Vaughns harte Worte kamen ihr immer wieder in den Sinn.

 

Die Braunhaarige hatte lange darüber nachgedacht und eingesehen, dass Vaughn Recht hatte. Häufiger hatte sie Verabredungen platzen lassen oder war früher als geplant wieder gegangen, wenn jemand sie um Hilfe bat oder sie der Meinung war, dass andere ihre Hilfe brauchten. Dabei war das nicht immer der Fall gewesen.

Dennoch hätte er nicht so rüde mit ihr umspringen müssen. Andersherum hatte sie es ihm auch nicht gerade einfach gemacht. Es war alles so verdammt kompliziert.

 

„Schwesterherz, das reicht mir jetzt mit dir!“, kam plötzlich Mark in ihr Zimmer geeilt und baute sich fast schon drohend vor ihrem Bett auf. Hinter ihm folgte Nathalie und bedachte ihre Freundin mit einem mitfühlenden Blick. „Nathalie und ich haben die Schnauze voll davon, dich in deinem Zimmer einigeln zu sehen und zu heulen. Hinzu kommt, dass du eine ordentliche Mahlzeit vertragen könntest. Du siehst beinahe wie ein Gespenst aus. Entweder kommst du auf der Stelle mit uns runter an den Mittagstisch und das freiwillig oder ich schleife dich eigenhändig dorthin. Wie entscheidest du dich?“

 

Chelsea konnte sich nicht daran erinnern, ihren Bruder jemals so resolut erlebt zu haben. Zumindest nicht in den letzten Jahren. Sah sie denn wirklich so erbärmlich aus?

„Chelsea, bitte.“, wandte sich Nathalie an sie und setzte sich auf ihre Bettkante. „Wenn du uns nicht erzählen magst was los ist, werden wir dich auch nicht weiter bedrängen, aber wir machen uns dennoch Sorgen. Tu uns bitte den Gefallen und komm runter zum Essen. Ich habe versucht dein Lieblingsessen zu kochen. Nudelsuppe mit Rindfleisch und zum Nachtisch Schokoladenpudding. Mark hat geholfen. Trotzdem gehe ich nicht davon aus, dass wir das so gut hinbekommen haben, wie du sie machst.“ Ein verlegenes Lächeln trat auf ihr Gesicht. „Hast du dennoch Hunger?“

 

Die junge Frau war zu müde, um zu wiedersprechen, obwohl sie von dem Vorschlag alles andere als begeistert war. Nichtsdestotrotz rappelte sie sich mühsam auf und erreichte dadurch, dass sich das junge Paar erleichterte Blicke über Chelseas Kooperation zuwarfen. Von denen bekam die Farmerin allerdings nichts mit.

 

                                                                                         ~<>~

 

„Kannst du Hornochse mir mal erklären was das soll?“

Wie eine Furie baute sich Julia vor ihrem Cousin auf und warf ihm zornige Blicke zu. Elliot hielt sich aus Sicherheitsgründen im Hintergrund des Hühnergeheges.

„Was willst du schon wieder?“ Genervt warf Vaughn die Schaufel beiseite mit der er eben noch dabei war, den Hühnerkot aufzusammeln. „Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“

„Wag es ja nicht mich weiterhin anzuschreien oder mir aus dem Weg zu gehen!“, fauchte Julia erbost zurück. „Und du weißt genau, worum es geht. Zuerst streiten sich Nathalie und Mark fast über Wochen hinweg und jetzt Chelsea und du. Ich möchte wissen, was mit euch los ist oder viel mehr, was du verbockt hast, weswegen Chelsea hier nicht mehr aufkreuzen will?“

 

„Wieso gehst du davon aus, dass ich dafür verantwortlich bin?“ Ungläubig starrte er sie an.

„Weil ich dich mittlerweile gut genug kenne, um das behaupten zu können. Du bist beinahe Gefühlsresistent was die Empfindungen einer Frau angehen. Also, warum weint sich Chelsea wegen dir die Augen aus dem Kopf?“

„Woher weißt du, dass sie wegen mir traurig ist?“, hakte Vaughn neugierig nach. Nach wie vor konnte er es nicht hinnehmen, dass seine Chelsea wegen ihm weinen musste.

„Mein Gott, Vaughn! Euer Verhalten geht mir dermaßen gegen den Strich, dass ich bei Mark angerufen habe, um von ihm Näheres zu erfahren. Ich hatte Nathalie am Hörer gehabt. Allerdings konnte sie mir ebenso wenig sagen, was eigentlich geschehen ist und sie und Mark sich große Sorgen machen. War euer Date am Lichterfest so miserabel?“

 

„Nein.“, seufzte Vaughn, doch Julia merkte ihm an, dass er ihr etwas Wichtiges vorenthielt. Ein kurzer Blick zu Elliot und er nickte ebenfalls auffordernd, dass sie weiter nachhaken sollte.

„Vaughn.“ Spontan schlug Julia die sanfte Tour ein. Misstrauisch beäugte Vaughn seine Kusine. „Was du und Chelsea alleine tut, geht mich nicht im Geringsten etwas an. Aber, es geht mich etwas an, wenn meine langjährige Freundin zu aufgelöst ist, um Freunde an sich heran zu lassen. Ich kenne Chelsea, Vaughn, besser als du. Sie hat ein großes Herz und hilft jedem, wo und wie sie nur kann. Und sie will niemanden etwas Böses. Normalerweise geht sie auch jedes Problem direkt an, aber wenn es mit dir zu tun, verkriecht sie sich. Das kann ich nicht dulden. Sie hat schon so viel für mich und meine Mutter getan, bevor du zu uns gekommen bist. Also bitte, tu ihr nicht weiter weh, indem du eurem Problem ebenfalls hartnäckig und stur aus dem Weg gehst. Wenn es um verletzten Stolz geht, sage ich dir gleich hat er in einer Beziehung keinen Platz. Geh zu ihr und rede mit ihr. Sie liebt dich über alles Vaughn. Du bist der Mensch, der ihr am Wichtigsten ist. Ansonsten würde sie nicht so stark darunter leiden.“

 

Instinktiv spürte Vaughn, dass Julia Recht hatte. Er war tatsächlich verletzt gewesen von Chelseas Zurückweisung und es mit mangelndem Interesse ihrerseits abgetan. Das war ein großer Fehler gewesen. Endlich ging ihm ein Licht auf und er begriff allmählich, was er Chelsea angetan hatte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, rannte er aus dem Gehege und ließ Julia und Elliot alleine zurück.

 

„Das hast du gut gemacht.“, flüsterte Elliot neben seiner Geliebten ins Ohr und nahm sie in seine Arme. „Ich bin stets aufs Neue überrascht, wie gut du es schaffst genau die richtigen Worte zu wählen.“

„Ja, das ist wohl mein Schicksal, dass ich immer wieder den rettenden Engel spielen muss. Du, sag mal, wer macht von uns beiden die Arbeit fertig, die Vaughn zurückgelassen hat?“

„Hmm.“ Rasch sah Elliot sich um. „Vielleicht wir beide?“

Julia lachte und nahm vergnügt die Schaufel wieder vom Boden auf.

 

                                                                                         ~<>~

 

Wenn Chelsea nicht dermaßen neben sich stehen würde, wäre ihr aufgefallen, dass sich zwischen Nathalie und ihrem Bruder etwas verändert hatte. Zuerst waren da Nathalies ungewöhnlich höfliches und verständnisvolles Verhalten und ihre vielsagenden Blicke, die sie ihrem Verlobten fast ununterbrochen zuwarf. Auf der anderen Seite Mark, der permanent über Nathalies Handrücken strich. Selbstverständlich die Hand, die den Verlobungsring von ihm trug. Zugern hätten sie seiner Schwester erzählt, dass sie sich am Lichterfest verlobt hatten. Als sie nach dem Fest wieder zu Hause ankam, war sie ohne ein Wort an den zwei vorbei hinauf in ihr Zimmer gerannt und war seitdem so gut wie gar nicht mehr zu sehen gewesen.

Jetzt, am Mittagstisch, wirkte Chelsea wie ein Schatten ihrer selbst. Sie war blass und ihr Appetit im Grunde genommen nicht vorhanden.

 

„Vielleicht kochen wir mal zusammen, Chelsea.“, richtete Nathalie das Wort an ihre Freundin, woraufhin sich Mark beinahe am Essen verschluckte. Für diese Reaktion erntete er einen gespielt tadelten Blick seiner Verlobten. „Ich bin mir im Klaren darüber, dass mein Essen nicht so ausgezeichnet schmeckt, wie die Kochkünste deiner Schwester es zustande bringen.“

„Ist ja gut. Ich habe doch nichts gesagt.“ Entschuldigend hob Mark seine Hände, dass er keinen Streit mit ihr wollte. Inzwischen wusste er, dass Nathalie versuchte Chelsea aus ihrer Lethargie zu holen. Ihr Essen war noch so gut wie unangetastet.

„Was sagst du dazu, Chelsea? Wollen wir regelmäßig gemeinsam Kochen, Backen oder dergleichen?“

„Woher dein plötzliches Interesse?“, hakte Chelsea bloß aus Höflichkeit nach in der Hoffnung, dass sie dann eher wieder auf ihr Zimmer kam.

 

„Tja, weißt du, ich dachte, ich könnte einige hauswirtschaftliche Fähigkeiten aneignen. Wer weiß, vielleicht wird es eines Tages von Nutzen sein.“

„Manchmal überrascht du mich.“, zwinkerte Mark seiner Freundin zu und endlich war Chelseas Neugierde geweckt.

„Habe ich etwas verpasst?“

Verschwörerisch grinste sich das junge Paar an. Zudem waren sie erleichtert, dass Chelsea zumindest vorübergehend ihren Kummer vergessen hatte.

„Nun ja, möchtest du es ihr sagen?“, wandte sich Nathalie an Mark und errötete leicht, wobei ihr silberner Ring auffallend glitzerte.

„Was…?“ Weiter kam Chelsea nicht. Mit einem Mal hatte sie den Eindruck, zehn Tage am Stück geschlafen zu haben, und ihr dadurch etwas Wesentliches entgangen war. Allerdings fühlte sie sich noch nicht ganz auf der Höhe, weswegen ihr der Zusammenhang mit dem was sie sah nicht zeigte.

 

„Chelsea,“, setzte Mark allmählich an. „Ich habe um Nathalies Hand angehalten und sie hat ja gesagt.“

Perplex starrte die junge Frau ihre Gegenüber an. Ganz langsam schlichen die eben gehörten Worte in ihr Bewusstsein und formten den Inhalt zu einer logischen Aussage zusammen. Dann macht es mit einem Mal klick.

„Du meinst, ihr werdet heiraten?“

„Das ist die einzig richtige Schlussfolgerung.“

Vor Freude und Überraschung sprang Chelsea von ihrem Stuhl und fiel als erste ihrem Bruder um den Hals. Danach war Nathalie an der Reihe und sie verlangte von ihr den Verlobungsring zu sehen.

„Wow! Der ist aber schön. Ich gratuliere euch beiden. Das ist die schönste Nachricht, die ich seit langem gehört habe.“

„Danke, Schwesterherz.“

„Ich wusste gar nicht, dass du in der Lage bist einen Ring auszusuchen. Wie lange hast du mir das schon verschwiegen?“

 

„Eine Weile. Als erstes wollte ich meine zukünftige Frau damit überraschen.“ Mark nahm ihre Hand und gab ihr einen charmanten Handkuss. „Vor zwei Tagen hat sie mich zum glücklichsten Mann auf der Welt gemacht.“

„Jetzt übertreibst du aber.“ Die Pinkhaarige lief puterrot an. „Du bist die erste, der wir es erzählen.“

„Ich freue mich wahnsinnig für euch zwei.“

Vor Rührung traten Chelsea die Tränen in die Augen. Zeuge dieser romantischen Szene zu sein, tat ihr gebrochenes Herzen gut. Es war wie Balsam für ihre Seele, die einen Grund gefunden hat, doch noch an das Gute zu glauben und das wahre Gefühle immer ihren Weg zueinander finden werden.

„Das werde ich auf der Stelle Vaughn sa…“

Für einen Moment hatte die Farmerin vergessen, dass sie sich mit ihrem Freund gestritten hatte. Dennoch war er ihr erster Gedanke gewesen, ihm von der neuesten Entwicklung zu berichten. Nathalie und Mark bemerkten den erneuten Stimmungsschwung.

„Chelsea, ist alles in Ordnung zwischen dir und Vaughn?“

„Nein.“, begann Chelsea wieder zu heulen und ließ sich in die Arme ihrer langjährigen Freundin fallen. „Es ist überhaupt nicht mehr gut zwischen uns.“

„Willst du uns davon erzählen? Oder nur einem von uns?“, fragte die Pinkhaarige behutsam nach. Doch Chelsea schüttelte vehement ihren Kopf. „Das kann ich nicht.“

 

„Aber ihr solltet miteinander reden.“, mischte sich Mark ein und strich seiner Schwester zärtlich über ihr Haar. „Bei uns beiden hat es auch geholfen. Ansonsten wären wir jetzt nicht hier.“

Ihr Bruder hatte Recht. Hätten sie und ihre Freunde nicht darauf bestanden, dass die zwei ihren Streit endlich beilegten, wären sie jetzt nicht verlobt. Für Chelsea war es die einzig logische Entwicklung. Zwei Verliebte, die zueinander gehören, haben sich gesucht und gefunden, ganz gleich welcher Stein sich in ihnen in den Weg gelegt hatte. Die Hürde haben sie erfolgreich mit positiven Ausgang gemeistert. Jetzt war es an Chelsea dasselbe zu tun und auf einen ähnlichen positiven Ausgang zu hoffen.

 

„Ihr habt beide Recht.“, schniefte Chelsea ein letztes Mal und löste sich wieder aus Nathalies Umarmung. „An deine fürsorgliche Art muss ich mich aber erst noch gewöhnen.“

„Nun, auch ich habe Fehler gemacht und hoffe aus ihnen zu lernen.“, gestand die Angesprochene ein und griff Marks ausgestreckte Hand. „Sollen wir eventuell mit Vaughn zuerst reden?“, bot ihr Bruder an und man hörte seiner Stimme an, dass er bereit war dem jungen Mann eine ordentliche Abreibung zu verpassen, da er es gewagt hatte seine Schwester ins Unglück zu stürzen.

„Nein, Bruder. Lieb gemeint, aber das muss ich alleine klären. Ich war auch nicht fair zu ihm gewesen. Aber zuerst gehe ich duschen. So möchte ich ihm nicht unter die Augen treten. Ach, und Nathalie? Das Kochen werde ich dir beibringen, damit ich in Zukunft die Aufgabe meinen Bruder zu versorgen an meine Schwägerin abgeben kann.“

 

Mit ungeahnter Energie und Entschlossenheit verschwand Chelsea aus der Küche und ließ ein glücklich lachendes junges Paar zurück.

Wahre Gefühle

Kapitel 19: Wahre Gefühle

 

 

Ein lautes Klopfen beendete Nathalies und Marks innigen Kuss.

„Wer mag das denn sein?“, fragte sich Mark auf dem Weg zur Haustür und seine Verlobte folgte ihm. „Vaughn!“, rief der Farmer überrascht und bedachte ihn zugleich darauf mit einem finsteren Blick.

„Hi, Mark. Nathalie. Ich möchte zu Chelsea. Ist sie da?“, keuchte der junge Mann außer Atem. Es war ihm anzusehen, dass er den ganzen Weg hierher gerannt war.

„Ja, aber ich weiß nicht, ob sie dich jetzt sehen will.“ Verwirrt sah Nathalie ihren Verlobten an. Was hatte Mark nur vor? Erst jetzt erkannte sie, dass seine Haltung ziemlich angespannt war. Ab und zu vergas die Pinkhaarige, dass Mark seine Schwester neben ihr über alles liebte.

„Bitte, Mark. Ich möchte nur mit deiner Schwester reden. Ich verspreche, dass ich ihr nichts tun werde.“

„Du meinst, du hast ihr bereits genug wehgetan?“ Er ließ einfach nicht locker. Zudem hatte er das Gefühl, dass er das seiner kleinen Schwester schuldig war.

 

„Verdammt, ich…“, fluchte Vaughn und spürte die zusätzliche Kälte des Windes um sich herum. Er wusste nicht, wieviel Chelsea ihrem Bruder erzählt hatte, aber es war klar, dass er so oder so nicht begeistert sein würde über sein ungehobeltes Verhalten. „Mark, ich verspreche, ich mach das wieder gut. Sollte Chelsea….sollte sie hinterher dennoch nichts mehr von mir wissen wollen, werde ich das akzeptieren. So schmerzlich das für mich auch sein wird.“

In Vaughns Augen zeichnete sich pure Entschlossenheit wieder. Nickend trat er zur Seite und ließ Vaughn ins Haus ein. „Chelsea ist oben in ihrem Zimmer. Aber ich warne dich nur einmal, Vaughn, gib meiner Schwester keinen weiteren Grund tagelang zu weinen, denn sonst werde ich wirklich unangenehm.“

Vaughn nickte nur und sprintete fast die Treppe hinauf.

„Du hast ihm nicht gesagt, dass Chelsea noch unter der Dusche steht.“, hakte sich Nathalie bei ihrem Farmer ein. „Ich weiß.“, antwortete der junge Mann und zog seine Freundin grinsend zurück in die Küche, um sich um den Abwasch zu kümmern.

 

                                                                                    ~<>~

 

Regis Tochter hatte sich zunehmend mehr Sorgen um Lily gemacht, die seit Tagen so gut wie kein Wort mehr sprach. Betrübt starrte sie stundenlang aus dem Fenster und sah der weißen Landschaft beim Frieren zu. Die Dunkelhaarige wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte, als sie Vaughn unverhofft geküsst hatte. Sie hatte das Bedürfnis gehabt, kurzzeitig etwas anderes fühlen zu wollen, als diese stetige Einsamkeit. Natürlich hatte Vaughn sie zurückgestoßen, wie er es auf der Party zuvor tat, aber Lily konnte noch nie gut mit Zurückweisung umgehen. Dennoch wusste sie, dass sie zu weit gegangen war. Und sie hoffte, so komisch es ihr auch vorkam, dass sich das junge Paar wegen ihr nicht getrennt hatte. Lily war zu feige, um sich selber von dieser Sache zu überzeugen und sperrte sich stattdessen lieber in ihrem Zimmer ein.

 

Sabrinas Versuche mit ihr zu reden, lehnte sie jedes Mal konsequent ab und stieß ebenso ihren Cousin von sich. Sie ahnte nicht, dass das junge Paar zum Herrn des Hauses gegangen war, um über ihr ungewöhnliches Verhalten zu reden. Daraufhin machte sich sogar Regis Sorgen um die junge Frau und beschloss etwas zu unternehmen. Einem plötzlichen Impuls nach, griff er zum Telefon und wählte eine Nummer vom Festland. Ratlos wechselten Sabrina und Will kurze Blicke, bis Regis ein paar Worte mit jemanden wechselte und das Gespräch auf Lilys Zimmer durchstellte.

Das Telefon klingelte ewig. Irgendwann fand es Lily zu nerv tötend, stand wiederstrebend auf und griff zornig nach dem Hörer. „Wer wagt es mich zu stören?“

„Lily? Ich bin es. Deine Tante. Wie geht es dir, mein Schatz?“

Auf der Stelle flossen Tränen über Lilys Gesicht. Nach endlosen Tagen trat endlich ein Lächeln auf ihr Gesicht und sie konnte ihrem Kummer freien Lauf lassen.

 

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Chelsea starrte perplex in Vaughns aufgerissene Augen, als sie aus dem Badezimmer gekommen war und Vaughn im selben Moment durch ihre Zimmertür gestolpert kam. Ein kurzer Aufschrei entfuhr ihr.

„T-tut mir Leid. I-ich warte draußen. Bis du angezogen bist.“, stotterte Vaughn und trat rückwärts den Fluchtweg an.

Nachdem der erste Schrecken überwunden war, löste Chelsea langsam ihre krampfhafte Haltung um ihr Handtuch und setzte sich Luft holend aufs Bett. Was machte Vaughn hier? Und, warum haben ihr Bruder und Nathalie ihn nicht aufgehalten?

Im Moment waren es ihr eindeutig zu viele Fragen, die sie nicht sinnvoll beantworten konnte und zog sich allmählich an. Sie öffnete einen Spaltbreit die Tür, um Vaughn zu signalisieren, dass sie fertig war, obwohl sie ihre Nervosität nicht verbergen konnte. So bald hatte sie mit einer Gegenüberstellung nicht gerechnet und sie wusste nicht, was sie zuerst sagen sollte.

Der Weißhaarige trat ein, fühlte sich genauso unwohl und entschloss an die Tür gelehnt stehen zu bleiben. Er hatte auf den ersten Blick gesehen, dass Chelsea nicht so rosig und lebhaft wie sonst aussah. Ihr blasses Äußeres versetzte ihm einen harten Stich ins Herz. Er war schuld an ihrem momentanen Gemütszustand.

„Hi.“, brachte der junge Mann schließlich hervor.

„Hey.“, erwiderte Chelsea und bedeutete ihm sich zu setzen, aber er blieb weiterhin stehen.

„Wenn es dir nichts ausmacht, bleibe ich lieber stehen.“ Chelsea zuckte mit ihren Schultern, um anzudeuten, dass es ihr einerlei war. Ein angespannter Moment der Stille folgte.

„Wie geht es dir?“ Die Frage war so überflüssig und deplatziert, dass sich Vaughn auf die Zunge biss.

„Es geht so.“, antwortete die Farmerin nach kurzem Zögern, wobei sie es vermied Vaughn direkt anzusehen.

„Chelsea, ich…es tut mir Leid. Ich wollte Lily garantiert nicht küssen.“

„Das weiß ich.“

„Trotzdem tut es mir Leid. Das hättest du nicht mit ansehen müssen.“

„Nein. Gehört nicht zu meinen Lieblingsaugenblicken.“

„Meiner auch nicht.“ Wieder Schweigen.

„Möchtest du deine Jacke nicht ausziehen?“

„Was?“ Vaughn hatte komplett vergessen, dass er noch seine Jacke und Stiefel trug. Automatisch zog er sie aus, um die anhaltende Stille zu überbrücken.

 

„Chelsea, ich bin hier, um dir zu sagen, dass das, was am Lichterfest geschehen ist, nicht deine schuld war.“ Überrascht sah Chelsea ihn an. Damit hatte sie nicht gerechnet. „Insgesamt betrachtet, fand ich, dass es ein schöner Tag mit dir gewesen ist. Ich habe jede Sekunde davon genossen und ich hatte dich…für mich allein.“

„Ich wusste nicht, ob es richtig von mir war, dass ich die Situation mit dir im Bett vorzeitig beendet hatte.“ Mit jeder Silbe wurde ihre Stimme leiser. Das Ganze war ihr immer noch ziemlich unangenehm.

„Du hast jedes Recht dazu.“, erwiderte Vaughn energisch und bat die Braunhaarige ihm direkt in die Augen zu sehen. „Chelsea, wenn du nein sagst, dann ist es absolut in Ordnung für mich. Ich bestehe sogar darauf, dass es lieber so läuft, als wenn du dich zu etwas gezwungen fühlst, was du gar nicht wirklich willst.“

„Wirklich?“ Erneute Tränen sammelten sich in ihren Augen. „Du hast so enttäuscht ausgesehen.“

„Ich schwöre dir, dass geschah nicht mit Absicht. Ich wollte und will dir immer noch niemals wehtun. Du sollst nicht wegen mir weinen müssen. Ganz ehrlich, ich war, wenn dann nur für einen winzigen Augenblick gekränkt oder etwas in der Art, aber ich kann dir deswegen nicht böse sein oder Vorhaltungen machen.“

„Ich dachte, ich hätte damit zwischen uns alles kaputt gemacht.“, schluchzte Chelsea und wischte sich die ersten Tränen vom Gesicht. Ihr Körper bebte leicht. Die Angst ihren Vaughn zu verlieren, nahm wieder zu.

Sofort ließ sich Vaughn vor ihr auf die Knie fallen, ohne sie jedoch zu berühren. Er wollte keinen Fehler machen, bevor nicht alles zwischen ihnen gesagt wurde.

„Chelsea,“ Mit sanfter Stimme redete er auf sie ein. „Du hast den ganzen Abend nichts falsch gemacht. Es war alles richtig. Ich muss mich tausendmal und noch öfter bei dir entschuldigen, weil ich ein solcher Hornochse gewesen bin.“

„Ein Hornochse?“, lachte die junge Frau überrascht auf. Erleichtert stahl sich ein Lächeln auf Vaughns Gesicht. Er spürte, dass noch nicht alles verloren war.

„Ja, ein Hornochse. Julia ist ziemlich streng mit mir ins Gebet gegangen.“, gab er zerknirscht zu. „Sie kann eben nicht locker lassen.“

„Stimmt, das konnte sie noch nie.“

 

Für wenige Sekunden mussten beide vergnügt über Julia lachen und Chelsea spürte tiefe Dankbarkeit für ihre gute Freundin. Sie kramte ein Taschentuch aus ihrer Schublade, ehe sie den nächsten schwierigen Punkt anschnitt.

„Vaughn, du…“

„Ja?“ Seinen Namen aus ihrem Mund zu hören, klang wie Musik in seinen Ohren, auch wenn ihre Tränen noch nicht ganz versiegt waren. Er hatte schon befürchtet, seinen Namen nie wieder von ihr zu hören.

„Du hast gesagt, dass ich nicht viel Zeit mit dir verbringe. Ich habe lange darüber nachgedacht und …“

„Vergiss es wieder.“, unterbrach er sie abrupt und schüttelte energisch den Kopf. „Ich war wütend und wusste nicht, was ich von mir gab.“

„Nein, Vaughn. Denn du hast damit recht.“

„Chelsea, ich…Lassen wir es gut sein. Ich …Lass uns das vergessen.“ Es war ihm sichtlich unangenehm, dass er sich wie ein trotziges Kind benommen hatte und wollte die peinliche Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich lassen.

 

„Ich kann es aber nicht einfach so unbeantwortet lassen.“, beharrte Chelsea und gewann ihre frühere Stärke wieder. „Ich weiß nicht genau warum, aber ich habe dich oft im Stich gelassen, obwohl wir verabredet waren oder ich habe dich kurzfristig zu Nachbarn mitgenommen, die mich um Hilfe baten. Dabei wusste ich, dass du Lanas Gesellschaft nicht unbedingt magst.“

„Das ist noch untertrieben.“, knirschte Vaughn mit seinen Zähnen. „Was wollte sie überhaupt mit den ganzen Steinen?“

„Sie hat ein Bild daraus gefertigt. Im Sand vor Dennys Haus. Damit, sobald er wieder kommt es direkt sehen kann. Sie schwört, dass es ein Fisch mit einem Haken sein soll, obwohl man ihn nicht zwingend erkennen kann.“, lachte die Braunhaarige. „Zum Neujahrsfest möchte Denny wieder hier sein.“

„Dann freut sich Lana bestimmt schon.“

„Und wie. Und Vaughn? Es tut mir Leid. Wir haben uns versprochen, dass wir ehrlich über alles reden können und als es nötig war, bin ich einfach davongelaufen. Das tut mir richtig Leid. Ich hoffe, du verzeihst mir. Ich verspreche dir auch, dass, wenn wir verabredet sind, nur wir beide etwas zusammen unternehmen. Keine Dritten mehr.“

„Chelsea.“, seufzte der junge Mann und griff prompt nach ihrer Hand. „Mir tut es leid, dass ich dich angeschrien habe, weil ich ebenso wenig mit dir offen und ehrlich darüber gesprochen habe. Es ist noch schwierig für mich. Du bist neu. Meine Gefühle für dich sind neu. Leider sehe ich viel zu oft nicht, wie du dich fühlst, aber ich versuche mich zu ändern. Das verspreche ich dir.“

„Oh, Vaughn.“ Zugleich warf sich die junge Frau in seine Arme. „Es tut mir so leid. Ich wollte dir nicht wehtun und habe es dennoch unbewusst getan.“

„Ist schon gut. Bitte, versprich mir, dass du Geduld mit mir haben wirst. Selbst wenn ich nicht sofort verstehe, was du meinst oder ich ein gewaltiger Hornochse bin.“

Beide lachten herzlich und schlossen den jeweils anderen enger in seine Arme. „Das verspreche ich dir gern. Vaughn, ich mag es nicht mit dir zu streiten.“

„Ich auch nicht.“

Und Vaughn küsste sie, als ob es kein Morgen mehr gäbe.

Die Verlobungsfeier

Kapitel 20: Die Verlobungsfeier

 

 

Viele der Inselbewohner waren überrascht, aber zugleich hocherfreut als sie hörten, dass vor dem Neujahrsfest eine zusätzliche große Feier kurz bevor stand. Die unmittelbaren Angehörigen ließen sich keine Gelegenheit entgehen, jedem der ihm über den Weg lief zu berichten, dass Nathalie und Mark sich verlobt hatten. Ins besonders freute sich die ältere Generation, weil bereits einige Jahre zurücklagen, als das letzte Paar unter ihnen geheiratet hatte.

Mark musste sich eine noch längere Predigt von Taro über sich ergehen lassen, als vor wenigen Monaten, wo Nathalie und er zusammen gekommen waren. Allerdings wusste jeder, dass es nur der Form halber war, denn auch der Bürgermeister freute sich ungemein, dass seine jüngste Enkelin in so gute Hände gekommen war. Ihre Mutter schluchzte immer vor Freude auf, wenn sie den Verlobungsring sah und war zugleich Feuer und Flamme und erstellte hunderte von Plänen für ihre bevorstehende Hochzeit.

Elliot wurde rückfällig und stotterte, wenn er seine Schwester oder Mark antraf oder wenn die Sprache auf die Verlobungsfeier kam. Insgeheim dachte jeder der Freunde und Angehörigen dasselbe, nämlich dass es ein schöneres Paar nicht geben konnte. Wenn sich einige noch über die Konstellation wundern sollten, so behielten sie es für sich oder wurden über kurz oder lang allmählich vom Gegenteil überzeugt.

 

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„Wohin sollen die Blumen nochmal, Felicitas?“ Julia war mit einem Korb voll Blumen beladen, die Felicitas hinter ihrem Haus in einem kleinen Gewächshaus gezüchtet hatte.

„Die Stiefmütterchen nach draußen auf die Fensterbank. Am besten gleichmäßig verteilen, damit jedes Fenster welche abbekommt. Solltest du noch mehr brauchen, bediene dich aus dem Gewächshaus.“ Felicitas gab strenge Anweisungen und setzte die Planung der Verlobungsfeier rigoros um, nachdem sie mit ihrer Tochter abgesprochen hatte, wie die Feier von statten gehen sollte. Als erstes wurde das Haus verschönert und farbig geschmückt, um auch von außen zu zeigen, dass eine junge Frau bald unter die Haube kam. Es war eben Tradition auf der kleinen Insel. Eine große Sonne prangte über dem Hauseingang, die bei Nacht angeschaltet wurde. Cannon und Chen waren echte Meister auf dem Gebiet der Bastelei.

Ein lautes Klirren ertönte aus der Küche. Elliot war gerade dabei gewesen, dass beste Silbergeschirr zu putzen, welches seine Mutter bei der Verlobung verwenden wollte.

„Meine Güte, Elliot!“, tadelte seine Mutter ihn, die ihn sonst eher in Schutz nahm, wenn ihm ein solches Missgeschick passierte. „T-tut m-mir Leid, M-Mutter.“

„Ein Glück, dass wir noch mehr solcher Teller haben. Verschwinde aber lieber aus der Küche und helfe Julia mit den Blumen. Und sag, weißt du, wo deine Schwester abgeblieben ist?“

„Nein. Zuletzt habe ich sie mit Opa in seinem Büro gesehen.“

„Bestimmt ging es bei dem Gespräch um Finanzen. Aber sie sollte mir bei der Auswahl ihres Kleides helfen. Wo kann sie nur abgeblieben sein?“

 

Tatsächlich war Nathalie in dem allgemeinen Trubel um sie und die Feier geflohen und eilig zur Ranch ihres zukünftigen Ehemannes gelaufen. Chelsea öffnete gerade die Tür um mit Toto einen Spaziergang zu unternehmen, als sie Nathalie den Weg zum Haus hinauf laufen sah.

„Nathalie? Du hier? Hast du nicht alle Hände voll zu tun, wegen der Feier morgen Abend?“

„Ich brauche bloß ne kurze Auszeit.“, schnaufte die Pinkhaarige. „Meine Mutter dreht komplett durch und mein Bruder lässt dauernd etwas zu Bruch gehen. Mein Großvater liegt mir wegen irgendwelcher Weisheiten über die Ehe in den Ohren. Chelsea, ich kriege noch nen Knall, wenn das so weitergeht. Mit einer so großen Feier habe ich nicht gerechnet.“

„Dann komm rein und ruh dich aus. Du kannst mich auch begleiten, wenn ich mit Toto Gassi gehe.“, meinte die Braunhaarige mitfühlend und schlug sich ihren Schal enger um den Hals. Zwar waren die Temperaturen nicht mehr ganz so tief, aber kalt blieb es dennoch. In den nächsten Wochen würde sich das aber schon ändern.

 

„Ist Mark denn nicht da?“ Nathalie wollte eigentlich zu ihm und sich Trost suchend an seine Schulter lehnen.

„Er und Vaughn sind beide zu Regis aufgebrochen. Aber worum es geht, kann und darf ich dir nicht sagen.“, zwinkerte Chelsea ihrer Freundin zu und begannen die große Farm zu umrunden.

„Zu Regis? Davon hat mir Mark nichts gesagt.“

„Du musst dir keine Sorgen machen. Es geht um eine Überraschung, die ich nicht verraten darf.“

„Und er hat Vaughn mitgenommen? Hat sich dein Bruder mit ihm wieder versöhnt?“

„Ja. Weißt du, es ist manchmal komisch. Es ist noch gar nicht lange her, da hat es nur Mark gegeben, der sich beschützend vor mich gestellt hat. Er war meine Konstante, auf die ich mich immer verlassen konnte. Es ist auch noch heute so, aber jetzt wo ich Vaughn habe und Mark dich hat, spüre ich, dass sich unser Verhältnis verändert hat. Jetzt ist Vaughn derjenige, der in meinen Mittelpunkt gerückt ist. Kannst du das verstehen?“

„Ja, irgendwie schon. Obwohl ich persönlich meinen Bruder nie als meinen Beschützer gesehen habe. Ich habe stets auf mich selber aufgepasst. Aber das mit dem Mittelpunkt kann ich sehr gut nachvollziehen. Bevor Mark mir gestanden hatte, dass er mich liebt, wusste ich gar nicht, dass mir eine solche Verbindung und Vertrautheit fehlt. Dein Bruder hat sie mir gegeben und damit wusste ich anfangs nicht so recht umzugehen.“ Daher ihre vorübergehende Verwirrung, als sie von ihrem Weg abgekommen war. Zum Glück hatte sie den Absprung noch rechtzeitig gefunden.

„Zunächst war ich ziemlich sauer auf dich gewesen, dass du meinem Bruder so verletzt hast. Aber nun, bin ich davon überzeugt, dass es vielleicht so hätte laufen müssen. Ansonsten hättet ihr zwei nie erkannt wie tief und ernst eure Beziehung ist.“

„Damit kannst du Recht haben. Danke, Chelsea, das bedeutet mit sehr viel.“

 

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Vaughn hatte sich noch nie überflüssiger gefühlt, wie in diesem Moment. Es war schon überraschend für ihn gewesen, dass Mark mehr oder weniger darauf bestand, dass er ihn zu Regis begleitete, aber als er den Zweck endlich erkannte, fragte er sich, was er um Himmels Willen hier sollte? Mark war gerade dabei finanzielle Details mit Regis zu besprechen, was ihre Eheringe betraf. Wozu sollte Vaughn dabei sein? Zudem hatte er keine Lust Lily in diesem Anwesen über dem Weg zu laufen. Seine letzte Begegnung mit ihr hatte ihm gereicht.

 

„Super! Vielen Dank, Regis. Wegen der endgültigen Auswahl machen wir einen neuen Termin aus.“

„Mit dem größten Vergnügen.“, versicherte ihm der Herr des Hauses, der ein fundamentales Wissen über Schmuck jeglicher Art besaß. Von ihm hatte Mark bereits den Verlobungsring gekauft. „Außerdem meine herzliche Glückwünsche zur Verlobung.“

„Vielen Dank. Sie und ihre Familie werden doch morgen Abend ebenfalls dabei sein?“

„Selbstverständlich. Ich hoffe ja, dass es dann sehr bald eine zweite Verlobungsfeier geben wird.“, grinste Regis verschmitzt und klärte seine Besucher nicht auf, um wen es sich hierbei handeln sollte.

 

„Ich wusste gar nicht, dass du sie auch eingeladen hast?“, wandte sich Vaughn an den jungen Farmer, als sie die Eingangshalle zur Haustür durchkehrten. 

„Es war Chelseas Idee gewesen.“, offenbarte er und man hörte ihm an, dass er nicht ganz so begeistert von der Entwicklung schien.

„Wie? Chelsea hat es vorgeschlagen?“, argwöhnisch geworden, zog Vaughn  seinen Mantel an. „Wie kam sie darauf?“ Noch dazu, nach der letzten Begegnung mit Lily.

„Sie meinte, dass wäre die ideale Gelegenheit das Kriegsbeil mit Will und Lily für immer zu begraben.“

„Du klingst nicht überzeugt davon.“

„Nun ja, du erinnerst dich bestimmt noch daran, wie Lily sich bei der Feier offen an mich herangemacht hat. Nathalie wollte ich eine weitere Begegnung dieser Art ersparen. Aber Chelsea ist zuversichtlich, dass es zu keinem weiteren Vorfall oder Missverständnis dieser Art kommen wird.“

 

„Woher nimmt sie nur ihren unendlichen Optimismus?“

„Keine Ahnung. Eine Eigenschaft, die ich an meiner Schwester sehr bewundere, aber auch verabscheue. Aber meistens hat sie mit ihren Vermutungen recht.“

„Hoffen wir, dass es auch diesmal so ist.“, seufzte Vaughn und stieg auf den angespannten Wagen.

„Ja, hoffen wir mal.“, gab ihm Mark ebenso begeistert zu.

„Warum sollte ich überhaupt bei deinem Gespräch mit Regis dabei sein?“

„Ach ja. Das habe ich noch gar nicht erwähnt. Ich wollte dich bitten mein Trauzeuge zu werden.“

Perplex starrte Vaughn seinen Kumpel an. Anscheinend hatte er nicht mehr alle Tassen im Schrank.

 

„Wie kommst du darauf? Sollte der nicht lieber Elliot sein? Ihr kennt euch doch schon länger.“

„Das stimmt zwar, aber ich finde, du passt eher in diese Rolle.“

„Falls du mich bestrafen willst, weil ich Streit mit deiner Schwester hatte, ist das kein kluger Schachzug.“

„Nein, darum geht es nicht. Oder vielleicht doch.“, lachte der Blondhaarige und lenkte sein Pferd Richtung Ranch.

„Als ich meine Schwester so verletzt gesehen hatte, ist mir gleichzeitig klar geworden, dass sie dich über alles auf der Welt liebt und du immer an ihrer Seite sein wirst. Deswegen und weil du ein guter Kumpel und Freund geworden bist, frage ich dich, ob du den Trauzeugen für mich machst? Ich bin mir sicher, Chelsea würde es ebenso befürworten. Lass dir nur eines gesagt sein, sei für meine Schwester da, wenn ich es nicht sein kann. Egal was passiert.“

 

Es waren die Worte eines lieben Bruders und guten Freundes. Vaughn musste auch nicht weiter nachhaken und nahm die Aufgabe an.

                                                                      

                                                                                       ~<>~

 

Am darauffolgenden Abend war es dann soweit. Taro hat für diese Feier den großen Gemeindesaal zur Verfügung gestellt, da es für diese Jahreszeit noch zu kalt war, um draußen zu feiern. Felicitas und ihre fleißigen Helfer haben Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und den Saal zu einer einmaligen Pracht verholfen. Passend zum Outfit des Verlobungspaares prangten Bänder und Verlobungsbanner in grün und blau um die Wette. Es gab ein meterlanges Büffet, viel größer als zu Lilys Party mit so vielen Speisen, die einzeln aufzuzählen würde den Bogen überspannen und die Geschichte vorzeitig zu Ende gehen lassen.

Ein paar Kellner, bzw. Angestellte des Gemeindehauses liefen in schwarzen Sakkos umher und verteilten großzügig Champagner. Das zukünftige Brautpaar stand direkt am Eingang und nahm von jedem Gast persönlich die Glückwünsche entgegen. Während des gesamten Abends krallte sich Nathalie am marineblauen Anzug ihres Verlobten fest. Passend zu ihrem blauen knöchellangen Kleid, dass mit einem schwarzen Gürtel um ihre Taille verziert war. Der junge Mann spürte die Anspannung seiner Freundin, nicht weniger als seine. Dennoch bemühte er sich um eine gelockerte Atmosphäre und brachte Nathalie gelegentlich zum Lachen. Auch er ließ keinen Augenblick die feuchte Hand seiner Verlobten los.

 

Es wurde ein wahnsinnig schöner, bunter und lebhafter Abend. Felicitas koordinierte die gesamte Feier über und gab Anweisungen zu allen möglichen Details. Es gab wenige Festspiele, die nicht lange andauerten, weil man eher begierig darauf war, Geschichten aus Nathalies und Marks Kindertagen zu erfahren. Selbstverständlich auch, wann, wie und wo Mark um ihre Hand angehalten hatte. Bei dieser Frage verschluckte sich die Pinkhaarige an ihrem Sekt und überließ ihrem Verlobten das Reden, der den Abend des Lichterfestes mit einer Ausnahme, wahrheitsgemäß schilderte.

Viele waren gerührt und etliche Frauen mussten ihr Taschentuch herauskramen, um sich die Tränen abzutrocknen.

Dann erklang wenig später Musik. Chen hatte einen Plattenspieler organisiert und übernahm die Aufgabe, regemäßig die Schallplatten zu wechseln. Daraufhin wurde viel getanzt und nebenbei der wunderschönen Musik gelauscht, die fröhliche und glückliche Zeiten prophezeite. Am späten Abend erschien mit einem Mal Denny an der Tür und Lana verfiel sofort in lautstarkes Kreischen. Jeder Gast hielt sich die Ohren zu, applaudierte aber gleich darauf, da Denny die Sängerin unvermittelt zu einem Kuss heranzog. Nur Lana bekam mit, was er ihr leise ins Ohr flüsterte und sich liebevoll für das Steinbild im Sand bedankte. Anscheinend war nur Denny in der Lage zu erkennen, was es tatsächlich darstellen sollte und Lana schwebte für den Rest des Abends im siebten Himmel.

 

Auch Lily gratulierte den beiden und überlegte sich schon seit Stunden, wie sie sich bei Chelsea und Vaughn für ihr Verhalten entschuldigen sollte. Das Telefonat mit ihrer Tante hatte sie aus ihrer Isolation gelöst und ihr die Augen geöffnet. Bei ihrem Cousin, Sabrina und Regis hatte sie sich noch am selben Tag entschuldigt und bereits bei Mark und Nathalie, denen sie zu Beginn der Feier an der Tür begegnet war. Jetzt fehlten nur noch Chelsea und Vaughn, die allerdings gerade so ausgelassen miteinander tanzten, dass sie der Mut bei deren Anblick gleich wieder verließ. Irgendwann, als ihr die Ausreden ausgingen, fasste sie sich doch noch ein Herz und trat entschlossen auf sie zu.

 

Vaughn sah sie bereits auf sie zukommen und wollte mit Chelsea schnell in die entgegen gelegene Richtung, da hatte Lily die beiden, schneller als er dachte, schon eingeholt.

„Chelsea? Vaughn? Kann ich ganz kurz mit euch reden?“

„Wozu?“ Vaughn wollte bestimmt nicht mit ihr reden und versuchte Chelsea von ihr weg zu bugsieren, aber sie blieb einfach stehen.

„Was gibt es denn?“, fragte die Braunhaarige spitz.

„Nun, ich, ich wollte nur sagen, dass es mir Leid tut, was ich euch angetan habe. Ich war ziemlich egoistisch gewesen in letzter Zeit. Inzwischen habe ich das eingesehen.“

„Sonst noch was?“, hakte Chelsea nach.

„Nur, dass ich mich nie wieder zwischen euch drängen werde.“

„Gut. Dann ist alles geklärt.“

Lily nickte und wandte sich bereits zum Gehen als Chelsea sie noch kurz aufhielt.

„Und Lily? Ich danke dir. Dennoch möchte ich nie wieder sehen, wie du meinem Freund zu nahe kommst.“

 

„Ich staune immer wieder.“

„Worüber?“ Chelsea und Vaughn begannen erneut sich im Kreis zu drehen.

„Das du so einfach jedem verzeihen kannst. Egal, was der- oder diejenige getan hat.“

„Tja, weißt du, ich habe gern viele Freunde um mich herum.“

„Ich weiß und anscheinend gibst du besonders auf mich Acht.“

„Auf dich immer. Garantiert, Vaughn.“

 

 

                                                                                   ~ The End ~



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  Fuyuko_the_white_Fox
2016-07-26T16:53:49+00:00 26.07.2016 18:53
Klasse Happy Ending! XD
Ich weiß gar nicht, was ich sonst noch sagen soll, mir fehlen einfach die Worte! ^^
Aber eins steht fest, die Fortsetzung lasse ich mir nicht entgehen! Ich werde da bestimmt auch wieder staunen und Chelsea hin und wieder gedanklich den Hals umdrehen, weil sie so einen heißen und absolut süßen Freund bekommt, wo die Jungs bei mir immer auf mindestens zwei Meter Abstand gehen. ^^

Dafür dass mir die Worte fehlen, habe ich irgendwie doch viel gequatscht... egal!^^
Man liest sich!

LG, Quercy;D
Von:  Tigerlilli22
2015-10-24T20:47:34+00:00 24.10.2015 22:47
Hi. Ich muss da auch mal was los werden. Eine wunderschöne Geschichte, die du da schreibst. Da muss ich "Quercy" voll und ganz recht geben. Ich war auch schon so ein Fan von deiner anderen Story "Harvest Moon - The Distance Between us". Freue mich schon auf das nächste Kapitel. LG Tigerlilli22 ^_^
Von:  Fuyuko_the_white_Fox
2015-10-19T05:19:26+00:00 19.10.2015 07:19
Voll süß!!!! >.< *.*
Am liebsten würde ich mit Chelsea tauschen. ^^
Ich hoffe, man kann bald schon auf ein neues Kapi hoffen.;)
LG, Quercy
Antwort von:  jane-pride
20.10.2015 17:48
Hi!
Erstmal vielen Dank für deine beiden Kommentare! Es freut mich immer riesig, wenn man Geschichten auf Begeisterung bei anderen Lesern stoßen.
Und ja, ich werde versuchen, trotz meines vollen Semesterplans, etwas zeitnaher folgende Kapitel hochzuladen, sobald ich mit dem Schreiben hinterher komme...
Alleine jetzt dieses Kapitel empfand ich als eine große Herausforderung, und süß finde ich sie beide auch!

Vielen Dank nochmal und bis zum nächsten Mal!
LG jane-pride
Von:  Fuyuko_the_white_Fox
2015-08-31T13:55:08+00:00 31.08.2015 15:55
Hallo! ^^
Ich finde es eine Schande, dass hier niemand schreibt, denn deine Texte sind der Hammer! ^^
Ich bin ein großer Fan von Harvest Moon und habe auch mein Inselparadies und habe mich da mit Vaughn verheiratet und liebe daher die Tatsache, dass du über die beiden schreibst. ^^

Auch liebe ich deinen Schreibstil und dass du immer so detailliert und ruhig schreibst. In deiner FF ist keine Hektik zu spüren, wenn sie nicht erwünscht ist und du machst Vaughn und Chelsea so süß. *.* am liebsten würde ich mit Chelsea tauschen. ^^'

Ich habe übrigens auch die Vorgeschichte hierzu gelesen und als Favorit gewählt. Ich hoffe, das inspiriert dir. Vielleicht schreibe ich auch mal eine FF über Geschichten zweier Städte. ;)

Ich freue mich darauf, wenn du weiterschreibst. ^^
LG, Quercy


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