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Engel tragen nicht immer Flügel

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo,
ich lebe auch noch ;)
Meine neue Geschichte soll ein wenig auf Weihnachten einstimmen.
Ich hoffe sie gefällt euch.
Viel Spaß beim Lesen!) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So hier ist das neue Kapitel.
ich weiß es hat gedauert, aber Weihnachtsgeschenke gehen vor! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, erst einmal ein Frohes Neues Jahr an alle meine Leser! Ich hoffe ihr habt es gut begonnen.
Und jetzt geht es weiter.
Viel Spaß beim Lesen!) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So das hat jetzt lange gedauert.
Irgendwie habe ich immer nur Teile dieses Kapitels geschrieben, aber nie zusammen gebastelt.
Also jetzt viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So das ist das letzte Kapitel!
Ich hoffe euch hat meine Geschichte gefallen! Komplett anzeigen

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Prolog : Im Advent

Prolog: Im Advent
 

„Danke für ihr Vertrauen, Herr Woods!“ Der schmierige Banker auf der anderen Seite des wuchtigen Schreibtisches schob seine Akten zusammen und erhob sich. Dann kam er um den Tisch herum und streckte seine saubere manikürte Hand aus. Das Allerweltsgesicht des Mannes war zu einem überschwänglichen Lächeln verzogen. Adams Gesichtsausdruck stand dem des Schlipsträgers in nichts nach, zumindest was die Unpersönlichkeit betraf. Seine dunklen Augen waren kühl und ausdruckslos, seine schmalen Lippen zu einer festen Linie zusammengepresst. Für Außenstehende wirkte er wohl einfach nur gelangweilt, doch da war mehr. Dieser Typ ihm gegenüber, der ihm abwartend die Hand hinhielt, ging ihm einfach nur auf die Nerven. Kurz griff Adam an die Reifen seines Rollstuhls und drehte sich dem Mann zu.

„Wir werden sie nicht enttäuschen!“ Ein unzufriedenes Schnauben unterdrückend wandte Adam sich zu Jonathan Parker um. Sein Begleiter stand an der Tür, Adams dunklen Mantel bereits über dem Arm.

„Auf Wiedersehen!“ Adam wandte sich ab und rollte zu Jonathan hinüber. Dabei verdrehte er die Augen. Der blonde Mann mit den klaren blauen Augen betrachtete seinen Freund genau und reichte ihm dann den Mantel. Ein wenig umständlich zog Adam den schweren Stoff über und wartete dann bis Jonathan ihm die Tür aufhielt. Gemeinsam verließen sie die Bank und traten auf die Straße. Jonathan zog die Schultern hoch und schob die Hände in seine Taschen.

„Brr, es ist schon kalt geworden!“ Adam hob das Kinn und sah in den Himmel. Es wurde bereits dunkel und vereinzelt schwebten kleine weiße Flocken Richtung Boden.

„Lass uns fahren!“ Adam griff an die Räder und drehte sich in Richtung Parkhaus.

„Warte!“ Jonathan legte eine Hand auf die Schulter seines Freundes.

„Hast du nicht Lust noch auf den Weihnachtsmarkt zu gehen, wenn wir schon mal in der Stadt sind!“ Eigentlich meinte er damit etwas anderes. Er selbst kam öfters mal in die Stadt, aber bei Adam sah das ganz anders aus. Seit dem Unfall vor zwei Jahren verließ er kaum noch das Haus und wenn dann nur um in die Firma zu fahren und nach dem Rechten zu sehen. Niemals zur Freude oder um etwas Spaß zu haben. Auch jetzt wusste Jonathan schon in dem Moment in dem er fragte, dass der andere nein sagen würde. Aber das war nicht das, was Jonathan wollte.

„Komm schon Adam! Nur ein Glühwein, danach fahre ich dich wieder nach Hause und du kannst dich wieder in deinen Büchern vergraben!“ Adam presste die Lippen zusammen.

„Alkohol!? Klingelt da etwas bei dir?“ Jonathan biss sich auf die Unterlippe. Daran hatte er gar nicht gedacht. An manchen Tagen kam Adam noch immer nicht ohne die starken Schmerzmittel aus und er selbst musste fahren.

„Tschuldige, dann eben Kinderpunsch!“ Adam schüttelte den Kopf und rollte an.

„Lass gut sein!“ Aber so leicht gab der Blonde nicht auf.

„Adam, bald ist Weihnachten! All der Glanz, die Lichter, die Gerüche nach Glühwein und Bratwurst, das Lachen der Menschen! Komm schon, springe über deinen Schatten!“ Der schwarzhaarige senkte den Blick auf seine Hände, dunkle Strähnen verdeckten seine Augen. Jonathan seufzte leise.

„Dann tu es für mich! Nur eine Stunde!“ Noch immer zögerte er, dann nickte er langsam.

„Na gut! Aber nur eine Stunde!“
 

Liliana schlenderte durch die Fußgängerzone. Mit einem Lächeln beobachtete sie die beiden Kinder, die vor ihr her über das Kopfsteinpflaster sprangen. Lola hielt ihren kleinen Bruder Mark an der Hand. Die beiden Kinder strahlten über das ganze Gesicht.

„Mama schau mal!“ Liliana folgte dem Blick ihrer Tochter, die vor einem Schaufenster und deutete auf das Spielzeug. Ihr kleines Gesicht strahlte vor Freude, die grünen Augen glänzten.

„Minnie Maus!“ Nuschelte Mark und betrachtete die beiden Stofffiguren ganz vorne. Lola lachte.

„Nein, das ist Micky Maus. Minnie ist die mit dem roten Rock!“ Liliana zog ihren Mantel enger um die Brust und beobachtete die beiden eine Spur traurig. So gerne würde sie den beiden eine Freude machen. Einfach da hinein in diesen Laden gehen und diese beiden Plüschmäuse kaufen. Aber dafür hatten sie kein Geld. Sie hatten ja kaum genug Geld um die Miete zu bezahlen. Selbst den kleinsten Luxus mussten sie sich versagen. Schon vor der Scheidung von Lolas und Marks Vater war viel zu wenig Geld da gewesen. Aber seitdem war es nur noch schlechter geworden. Brad Damon war ein arbeitsloser Alkoholiker. Er konnte keinen Unterhalt für seine Beiden Kinder zahlen und Liliana alleine schaffte es trotz zweier Jobs die Miete zusammen zu bekommen. Und einen besseren Job zu bekommen war auch nicht leicht, welcher Arbeitnehmer würde sie schon nehmen. Mit zwei kleinen Kindern. Sie seufzte leise und schob die trüben Gedanken zur Seite. Zu mindestens für den heutigen Tag. Sie würde mit den Kindern auf den Weihnachtsmarkt gehen und sie würde ihnen eine Waffel und einen Kinderpunsch kaufen.

„Na los ihr beiden Süßen. Lasst uns weitergehen, sonst kommen wir nie am Weihnachtsmarkt an.“ Lola und Mark drehten sich herum und strahlten sie an.

„Weihnachtsmarkt!!“ Und schon waren sie schon wieder losgesprungen und flitzten zwischen den Menschen hindurch die Fußgängerzone hinunter. Liliana schob sich die Rotbraunen Locken aus der Stirn und Lächelte. Ja, für heute würde sie alle Sorgen vergessen und einfach nur einen schönen Tag mit ihren Kindern verbringen. Dann eilte sie los und folgte der grünen und der roten Mütze, die fröhlich vorwärts strebten.

Auf dem Weihnachtsmarkt

Kapitel 1: Auf dem Weihnachtsmarkt
 

Adam saß am Rand des Weihnachtsmarktes und starrte blind auf seine eiskalten Finger. Jonathan hatte ihn nur ungerne dort sitzen lassen, aber nach der zweiten Reihe Gedränge hatte er einfach die Nase voll. Am liebsten wäre er auf der Stelle nach Hause gefahren, aber jetzt wo sie schon einmal hier waren, wollte er seinem Freund nicht den Spaß verderben. Vor allem wo Jonathan einen ehemaligen Klassenkameraden getroffen hatte. Also hatte er sich ohne Widerworte gelten zu lassen hier her an den Rand zurückgezogen und hatte die beiden ziehen lassen. Aber er hätte sich vorher noch einen Kinderpunsch bringen lassen sollen, denn mit dem Rollstuhl käme er nicht einmal bis zu der Bude. Seine Finger waren taub und steif. Müde fuhr er sich über die Augen. Plötzlich zog sich eine leichte Erschütterung durch seinen Rollstuhl. Er fuhr herum und wollte gerade denjenigen anschnauzten, der da in ihn hinein gerannt war, als sein Blick auf den kleinen Störenfried fiel. Ein Mädchen mit feuerroten Locken. Grünen Augen und einer roten Mütze saß auf dem Boden und sah verkniffen zu ihm auf.

„Alles in Ordnung, Kleine?“ Vorsichtig um ihr nicht über die Finger zu rollen drehte er seinen Rollstuhl zu ihr herum.

„Warum hat dein Stuhl Räder?“ Mit großen Augen sah sie zu ihm auf. Adam rutschte ein wenig nach vorne und klappte die Fußstützen zur Seite um einen sicheren Stand zu haben. Dann beugte er sich zu dem Mädchen hinab.

„Steh erst mal auf, der Boden ist doch eisig kalt!“ Das Mädchen nahm seine ausgestreckte Hand und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen.

„Wofür sind die Räder?“ Vorsichtig berührte sie das kalte Metall. Adam zögerte. Sein Blick lag auf ihrer kleinen behandschuhten Hand.

„Ich kann nicht gut laufen!“ Große grüne Augen sahen ihn an.

„Du kannst nicht laufen?“ Aus irgendeinem Grund wollte er das richtig stellen. Das kam selten genug vor. Die meisten Leute kamen ja nicht einmal auf die Idee ihn auf seine Behinderung anzusprechen. So als wäre das ein Tabuthema, ein rotes Tuch. Sie alle hatten Mitleid mit ihm. Aber dieses kleine rothaarige Mädchen dachte nichts von alledem. In ihren Augen stand nur Interesse. Also deutete er nach vorne auf eine Bude, die gut zwanzig Meter von ihnen entfernt war und auf deren Dach ein großer Weihnachtsmann stand.

„Siehst du die Bude dort vorne, die mit dem Weihnachtsmann oben drauf?“ Er wartete auf das Nicken des Mädchens.

„Bis dahin könnte ich laufen!“ Aber auch nur unter Schmerzen und der Weg zurück wäre auch unmöglich. Resigniert sah er auf sein linkes Bein. Schon bei der kleinsten Belastung fühlte es sich an, als würde man ihm ein glühendes Messer ins Bein rammen.

„Warum hast du dann keinen Stock?“ Die Kleine war nicht dumm, aber Adam hatte das bereits versucht. Für kurze Strecken kamen Stützen auch definitiv in Frage. Zuhause nutzte er sie auch, aber längere Strecken konnte er damit nicht bewältigen. Denn auch wenn er das linke Bein vollständig entlastete, war da trotzdem noch der Zug, der durch das Eigengewicht seines Beines entstand und der dazu führte, dass er nach knappen fünfzehn Minuten nicht mehr stehen oder gehen konnte. Aber das wollte er keinem Kind erklären. Stattdessen wechselte er das Thema.

„Wo sind eigentlich deine Eltern?“

„Mama ist mit Mark Punsch holen. Ich soll hier auf sie warten!“ Das Mädchen lächelte fröhlich und pustete sich eine Locke aus dem Gesicht.

„Wie heißt du?“ Abwartend sah sie zu ihm auf. Adam zögerte. Was wollte dieses Mädchen mit seinem Namen. Morgen hätte sie ihn sowieso wieder vergessen. Als er nicht reagierte streckte sie ihm ihre kleine Hand entgegen.

„Ich bin Lola!“ Da nahm er ihre Hand in seine und schüttelte sie leicht.

„Adam!“ Erwiderte er und lehnte sich wieder zurück.

„Lola wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst nicht einfach wildfremde Menschen ansprechen!“ Eine junge Frau mit langen roten Locken beugte sich zu dem Mädchen hinunter und gab ihr eine Tasse in die Hand.

„Entschuldigen Sie, wenn Lola sie gestört…“ Die Frau sah ihn das erste Mal an und brach mitten im Satz ab.

„Herr Woods…“ Adam zog die Brauen zusammen, dass sie seinen Namen war nicht gerade ungewöhnlich, immerhin stand er als Besitzer eines Weltunternehmens in der Öffentlichkeit. Viel verwirrender war, dass diese Frau ihm aus irgendeinem Grund bekannt erschien.

„Entschuldigen sie, ich kenne sie, aber an ihren Namen kann ich mich nicht erinnern.“ Die Frau strich sich die Locken aus der Stirn und schnappte einen kleinen Jungen mit grüner Mütze an der Jacke, der gerade losstapfen wollte.

„Hier geblieben, du Frechdachs!“ Der Junge prustete und nippte dann an seiner Tasse, blieb allerdings stehen.

„Entschuldigen sie, die beiden machen manchmal was sie wollen. Mein Name ist Liliana Berger. Ich arbeite für sie.“ Adam musste schlucken, eigentlich kannte er alle seine Angestellten, obwohl vor allem in den letzten Wochen seine Aufmerksamkeit wohl zu wünschen übrig gelassen hatte.

„Entschuldigen Sie Frau Berger!“ Die junge Frau lächelte und schüttelte leicht den Kopf.

„Das macht nichts. Außerdem bin ich erst seit einer Woche in ihrer Firma angestellt.“ Lola sah zwischen ihrer Mutter und Adam hin und her, dann blieb ihr Blick an seinen schlanken Händen hängen. Adam rieb sich die steifen Finger und bewegte sie vorsichtig. Wo zum Teufel steckte eigentlich Jonathan?

„Hier nimm!“ Überrascht ah er auf die Tasse, die Lola ihm hinhielt.

„Das ist deine Tasse!“ Doch die Kleine zog ihre ausgestreckte Hand nicht zurück.

„Aber du frierst.“ Da hatte Lola recht, aber deswegen konnte er trotzdem ihr Angebot nicht einfach so annehmen.

„Ich kann mir auch selbst einen Punsch holen!“

„Aber du kannst doch nicht laufen!“ Adams graue Augen wurden dunkel und er senkte den Blick. Die Worte selbst waren nicht das was ihn aus dem Konzept brachte, sondern ihre unbekümmerte Art, so als wäre das für sie einfach eine Selbstverständlichkeit.

„Du kannst mir auch Geld geben!“ Liliana sah entsetzt zu ihrer Tochter hinab.

„Lola! Entschuldigen Sie Herr Woods, normalerweise ist sie nicht so!“ Adam schmunzelte über das vorlaute Mädchen.

„Aber Mama! Wenn er mir Geld gibt kann ich ihm doch einfach seinen eigenen Punsch holen!“ Bevor Liliana etwas sagen konnte zog Adam seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und reichte Lola einen Zehner. Die Kleine lächelte und flitzte los.

„Ihre Tochter ist wirklich ein nettes Mädchen.“ Sagte Adam leise und fuhr sich durch das schwarze Haar.

„Lola hat sich wirklich nicht gestört?“ Er schüttelte den Kopf.

„Machen sie sich keine Gedanken. Wir haben uns nur ein wenig unterhalten.“ Dann schwiegen sie bis Lola mit einer vollen Tasse zurückkam.

„Hier bitte!“ Dankbar schloss Adam die kalten Finger um die heiße Tasse und nippte vorsichtig daran. Es tat unheimlich gut, endlich wieder etwas Wärme in die Hände zu bekommen.

„Danke Kleine.“ Lola lächelte und kramte in ihrer Jackentasche nach dem Restgeld. Dann streckte sie es ihm entgegen.

„Lass gut sein! Kauf davon lieber ein paar gebratene Mandeln für dich und deinen Bruder!“ Lolas Augen begannen zu leuchten.

„Darf ich wirklich?“ Als Adam nickte, nahm sie Mark an der Hand und zog ihn zu dem Süßigkeitenstand, der gerade mal fünf Meter von ihnen entfernt stand.

„Das hätten sie nicht tun müssen!“ Liliana betrachtete das sanfte Lächeln in seinem Gesicht.

„Na und. Allein schon das Lächeln der Beiden ist die paar Euro wert. Es zeigt einem immer wieder, dass manchmal schon ganz kleine Dinge glücklich machen können und das ist viel wert!“ Glücklich. Er musste sich eingestehen, dass er das schon eine ganze Weile nicht mehr gewesen war. Um genau zu sein seit dem Unfall. Klar er hatte sich mit seiner Situation arrangiert, was blieb ihm auch anderes über. Aber so wirklich glücklich war er schon lange nicht mehr gewesen. Und allein dieses kleine Mädchen hatte ihn tiefer berührt als alles andere in den letzten zwei Jahren.

„Dann Danke!“ Er sah auf in Lilianas lächelndes Gesicht und ihm wurde klar, dass diese Frau und ihre Kinder etwas Besonderes waren. Aber bevor er seine Gedanken weiterführen konnte kamen die Kinder mit jeweils einer Papiertüte in der Hand wieder zurück.

„Ich habe gebratene Mandeln, aber Mark wollte lieber Magenbrot!“ Adam lächelte die beiden an.

„Dann lasst es euch schmecken!“ Gerade als er seine Tasse hob zupfte eine kleine Hand an seinem Ärmel. Er sah hinab und direkt in Marks rundes Kindergesicht. Wortlos streckte er ihm seine offene Tüte entgegen. Adam zögerte einen Moment, dann griff er nach einem der Teilchen und biss ab.

„Danke!“ Der Junge lächelte und stellte sich dann zu seiner Mutter. Eine Zeit lang war es still zwischen ihnen, bis Jonathan plötzlich vor ihnen auftauchte.

„Frau Berger, freut mich Sie hier zu treffen! Wie geht es ihnen?“ Liliana erwiderte das freundliche Lächeln von Adams Freund und rechter Hand.

„Danke, es geht mir gut!“ Jonathan gab ihr überhaupt keine Möglichkeit noch etwas anderes zu sagen, sondern wandte sich mit einem ernsteren Blick an Adam.

„Hey, ich habe dir doch gesagt, dass wir eine neue Sekretärin haben! Dass ist Liliana Berger. Ich wollte sie dir eigentlich noch vorstellen, aber dann kam uns ja… etwas dazwischen.“ Was auch immer Jonathan eigentlich sagen wollte, trieb Adam einen dunklen Schatten übers Gesicht.

„Schon gut John!“ Er lehrte seine Tasse und sah dann auf seine Hände.

„Können wir gehen?“ Jonathan stockte kurz und betrachtete ihn genau. Adam zitterte und seine Lippen hatten einen Tatsch Blau angenommen.

„Na klar, Adam. Frau Berger wir sehen uns dann morgen im Büro. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Abend!“ Liliana nickte und erwiderte den Gruß. Adam griff nach den Rädern und zuckte sofort zurück. Das kalte Metall brannte auf seiner Haut. Jonathan winkte den Kindern noch einmal zu und schob ihn dann Richtung Parkhaus.

„Warum hast du nichts gesagt?“ Adam schwieg.

„Verdammt Adam! Du hast nicht mal Handschuhe dabei und sitzt über eine Stunde auf dem Weihnachtsmarkt, ohne dich zu bewegen! Du hättest mir wenigstens Bescheid sagen können, dass dir kalt ist! Jetzt hast du bestimmt wieder Schmerzen, weil deine Gelenke steif sind. Das heißt du kannst die ganze Nacht wieder nicht schlafen, hast morgen schlechte Laune, gehst trotzdem Arbeiten und…“

„JOHN!“ Adam wurde laut, damit der andere sich endlich unterbrach.

„Lass gut sein! Es ist alles in Ordnung, okay!“ Er fuhr sich durchs Haar und ließ dann den Kopf hängen.

„Es hat gut getan. Das Gespräch mit Lola… Sie hat mich einfach akzeptiert!“ Jonathan blieb stehen. Er wusste wie sehr sein Freund noch immer litt, wie sehr er mit sich selbst zu kämpfen hatte. Genau das war der Grund warum er immer wieder versuchte ihn aus seiner Höhle zu holen, damit er unter Menschen kam.

„Und Liliana Berger?“ fragte er vorsichtig. Die Frau war ihm sehr sympathisch auch wenn sie zurzeit einige Probleme hatte mit den beiden Kindern, einem alkoholabhängigen Exmann und finanziellen Schwierigkeiten. Aber dass hatte ihn nicht daran gehindert sie einzustellen, denn jeder verdiente eine faire Chance und vielleicht…

„Sie scheint nett zu sein! Und sie hat mich nicht angeschaut, als wäre ich zu bemitleiden oder zu verachten!“ Das war ein Anfang. Denn was Adam nicht wusste war, dass Jonathan die junge Frau eingestellt hatte um in den nächsten Tagen die Position von Adams persönlicher Assistentin zu übernehmen, die ihren Chef nicht so unterstützte wie es vertragstechnisch geregelt war. Jetzt drückte er seinem Freund nur aufmunternd die Schulter und machte sich dann auf zum Parkhaus.

Arbeitstag

Kapitel 2: Arbeitstag
 

Jonathan hatte Recht behalten. Adams Nacht war gelinde gesagt bescheiden gewesen. Wenn es hoch kam hatte er vielleicht zwei Stunden geschlafen und die meiste Zeit damit verbracht blind auf den großen Fernseher zu starren und doch nichts von dem was er da sah mitzubekommen. Der Schmerz in seinem Bein war relativ erträglich, als er sich zur Arbeit bringen ließ. Allerdings hatte er Kopfschmerzen, wie nach jeder Nacht, die im selben Muster wie die letzte verlief. Das dumpfe Pochen hinter seinen Schläfen machte es immer schwerer sich zu konzentrieren. Müde rieb er sich die Schläfen und kniff die Augen zusammen. Das änderte aber nichts daran, dass die Worte auf der Akte vor seinen Augen verschwammen. Er seufzte, fuhr sich über die Augen. Kaffee wäre jetzt gut, aber da seine Sekretärin mal wieder krank war, müsste er dafür selbst in die kleine Küche am Ende des Flures. Was sich als schwierig herausstellen dürfte, da der Architekt beim Bau der Küche diese nicht auf Rollstühle ausgelegt hatte. Adam warf einen Blick auf die Uhr und schloss resigniert die Augen. Neun Uhr dreißig. Er war gerade mal seit eineinhalb Stunden im Büro und fühlte sich vollkommen erledigt. Er könnte Jonathan bitten ihn wieder nach Hause zu fahren. Nur würde das für seinen Freund und Kollegen Überstunden bedeuten. Denn gerade jetzt in der Weihnachtszeit kamen sie kaum mit der Arbeit nach. Und wenn Adam ausfiele würde Jonathan seine Arbeit auf den Schreibtisch bekommen, immerhin war der blonde sein direkter Vertreter. Plötzlich flog seine Bürotür auf und knallte gegen die Wand. Adam zuckte zusammen und presste beide Hände an die Schläfen. Ein leises Wimmern fand den Weg über seine zusammengepressten Lippen. Er versuchte gegen den stechenden Schmerz in seinem Kopf anzukommen. Was ihm nur teilweise gelang.

„Sorry, daran habe ich nicht gedacht!“ Jonathans sanfte Stimme drang zu ihm durch. Adam öffnete vorsichtig die Augen und sah den Blonden direkt neben seinem Stuhl knien.

„Ich hole dir Wasser!“ Jonathan erhob sich und verlies leise das Büro, nur um wenige Sekunden später mit einem Glas und einer Wasserflasche zurück zu kommen.

„Hier Trink!“ Er schenkte ein und reichte dann Adam das Glas, der vorsichtig daran nippte.

„Danke!“

„Schon gut, wenn du nach Hause möchtest, dann sag einfach Bescheid!“ Auch wenn er genau wusste, dass Adam sein Angebot nicht annehmen würde, wie immer, so sprach er die Worte doch immer wieder aus.

„Geht schon!“ antwortete Adam wie immer. Jonathan ließ es gut sein, es brachte nichts Adam zu irgendetwas überreden zu wollen. Der schwarzhaarige hatte seinen eigenen Willen und davon ließ er sich kaum abbringen. Allerdings hieß das nicht, dass Jonathan ihm das Ganze nicht etwas erleichtern konnte.

„Wo steckt eigentlich Saskia. Ihr Schreibtisch ist unbesetzt!“ fragte er also nach Adams Sekretärin. Die grauen Augen des Firmenchefs wurden ein wenig dunkler und er zog die Augenbrauen zusammen.

„Keine Ahnung. Nele hat mir heute Morgen ein Memo geschickt, Saskia wäre mal wieder krank. Ich habe ihr gesagt sie soll sich Saskia mal genauer anschauen. In letzter Zeit ist sie mehr ab- als anwesend! Wenn sie dafür keinen triftigen Grund hat, hat sie die längste Zeit für uns gearbeitet.“ In Adams Stimme klang ein wenig Wut mit, was Jonathan erstaunte. Denn sein Freund war eigentlich der letzte der vorschnell urteilte oder einem Mitarbeiter einfach so kündigte.

„Was ist passiert? Das letzte Mal dass du so wütend auf einen Mitarbeiter warst, war als du herausgefunden hast, dass Mark Glirr Geld veruntreut.“ Die Frage war wirklich ernst gemeint. Adam sah seinen Freund einen Moment nur an, dann lehnte er sich zurück und leerte das Wasserglas.

„Wenn keine Sekretärin da ist, brauche ich für die einfachsten Dinge mindesten doppelt so lange! Das ewige hin und her nur wegen ein paar bescheuerten Akten…“ Adam klang erschöpft und rieb sich wieder die Schläfen. Da begriff Jonathan, dass Saskia ihn im Stich ließ, wenn sie nicht erschien. Dann musste Adam sich um alles selbst kümmern, was nicht so einfach war. Klar er kam bis zum Archiv und er kam auch an die Akten heran, das hatte Jonathan bereits mit eigenen Augen gesehen. Allerdings war das ein enormer Kraftakt für den Schwarzhaarigen. Dementsprechend brauchte er auch mehr Zeit, die ihm dann wieder fehlte. Und so war es auch mit vielen anderen Dingen. Adam käme alleine zurecht, aber den Preis den er dafür zahlen müsste, war es nicht wert.

„Ich kann dir jemanden von unten hoch schicken.“

„Danke, aber du brauchst deine Sekretärinnen mehr!“ Damit hatte er wohl Recht, denn immerhin übernahm Jonathan die meisten Kunden und Vertragspartner. Sein Telefon klingelte den ganzen Tag und die Geschäftsleute gingen in seinem Büro ein und aus. Ein Grund, warum er nicht das Büro neben Adams hatte, sondern eine Etage darunter. Er wollte seinem Freund Ruhe verschaffen, die er auch dringend brauchte, vor allem an Tagen wie diesen.

„Seit ich Liliana eingestellt habe, sind die Damen zu dritt. Vorher haben sie es auch geschafft, also kann ich dir ruhig eine abtreten.“

„Wie das klingt!“ schnaubte Adam, widersprach allerdings nicht.

„Also ist es in Ordnung, wenn ich dir Liliana schicke? Sie ist noch nicht ganz so schnell und sicher wie die anderen, aber das lernt sie auch noch!“ erklärte Jonathan.

„Du musst deine Entscheidungen nicht vor mir rechtfertigen, John. Wenn du sagst, dass sie mit der Arbeit klar kommt, dann glaube ich dir das!“ Adam blickte seinen Freund ernst an.

„Außerdem, so viel wird sie hier eh nicht zu tun haben! Akten holen, wegräumen, kopieren und abtippen. Mein Telefon klingelt im Gegensatz zu deinem nicht Sturm und wenn jemand zu mir will, wir sie es ja wohl schaffen ihn weiterzuleiten!“ Jonathan wusste dass das die Arbeiten waren, die Liliana würde erledigen müssen, aber er selbst würde ihr noch einen weiteren Auftrag geben. Davon würde er seinem Freund allerdings nichts erzählen.

„Okay! Ich schick sie dir gleich hoch!“ Adam nickte und wollte sich gerade wieder seiner Arbeit zuwenden, sah dann aber noch einmal auf.

„Warum warst du eigentlich hier?“ Einen Moment sah Jonathan ihn verdutzt an, dann schlug er sich mit der Han gegen die Stirn und nahm eine Akte, die er zuvor auf dem Schreibtisch abgelegt hatte.

„Schau dir das mal an und sag mir was du davon hältst. Irgendwie kommt mir das Angebot nicht ganz koscher vor!“ Adam nickte und überblätterte das ganze kurz.

„Das wird etwas dauern! In einer Stunde kann ich dir mehr sagen!“ Jonathan nickte.

„Klar lass dir Zeit! Das reicht auch Morgen noch!“ Damit verließ Jonathan das Büro und machte sich auf den Weg nach unten.
 

Nach der schon fast unheimlichen Stille auf Adams Etage kam es ihm vor als würde er gegen eine Wand rennen, als er aus dem Fahrstuhl trat und durch den Flur zu seinem eigenen Büro ging. Ann kam ihm mit einem Stapel Akten auf dem Arm entgegen, über den sie kaum hinweg sehen konnte. Dass klappern ihrer Absätze wurde nur schwach vom Teppich geschluckt. Auch wenn sie sichtlich in Eile war schaffte es die junge Frau ihm ein aufmunterndes Lächeln zu schenken. Sie wusste genau wo er herkam und da es länger gedauert hatte, war irgendetwas nicht so wie es sein sollte. Jonathan erwiderte ihr lächeln und betrat dann das Vorzimmer zu seinem Büro. Clara saß an ihrem Schreibtisch und telefonierte. Als er eintrat sah die Frau auf. Sie war nicht mehr so jung wie Ann, aber dafür sehr erfahren und er konnte immer auf sie bauen. Jetzt formte sie mit ihren Lippen ein unhörbares:

Wie geht es ihm?

Clara hatte bis zu dem Unfall für Adam gearbeitet, aber als damals Jonathan die Führung übernahm hatte sie ihn unterstützt wo sie konnte. Und als Adam dann wieder angefangen hatte zu arbeiten, sich allerdings aus den Verhandlungen zurückgezogen hatte, hatte sie entschieden Jonathans Sekretärin zu bleiben. Das tat ihrer Loyalität Adams gegenüber allerdings keinen Abbruch, wenn er sie zurück fordern würde, würde sie sofort gehen.

Jonathan schüttelte leicht den Kopf, was Clara dazu veranlasste, denjenigen am anderen Ende der Telefonleitung schnell abzufertigen und dann aufzulegen.

„Was ist los?“ Besorgnis schwang in ihrer Stimme.

„Er hatte eine beschissene Nacht und Saskia ist nicht zur Arbeit erschienen!“

„Schon wieder nicht?“ Clara zog eine Augenbraue nach oben und schüttelte dann leicht den Kopf.

„Jetzt hat sie es sich aber endgültig mit ihm verspielt. Soll ich hoch gehen?“ Sie war schon im Begriff sich zu erheben, als Jonathan den Kopf schüttelte.

„Er ist sowieso nicht wirklich bereit jemanden zu akzeptieren, vor allem nicht, wenn du hier unten viel dringender gebraucht wirst!“

„Du willst ihn ernsthaft alleine lassen?“ Ungläubig sah Clara ihren Vorgesetzten an.

„Nein, natürlich nicht!“ Jonathan schüttelte sich.

„Schon die Tatsache, dass da oben wirklich kein anderer ist finde ich gruselig! Aber wenn ich dich oder Ann schicke wird er das nicht akzeptieren! Deswegen werde ich Liliana schicken.“ Langsam nickte die Sekretärin.

„Das ist wirklich eine gute Idee! Sie ist noch nicht so lange hier, trägt nicht so viel Verantwortung, kommt aber trotzdem mit den Aufgaben zurecht, die auf sie warten werden. Liliana ist wirklich eine gute Wahl.“

„Wobei bin ich eine gute Wahl?“ Liliana kam mit einem Tablett auf dem mehrere Tassen standen herein und stellte es auf ihrem Schreibtisch ab um Clara und Ann jeweils eine Tasse auf den Schreibtisch zu stellen. Die letzte drückte sie Jonathan in die Hand.

„Also? Um was geht’s?“ Da klingelte Claras Telefon und Jonathan winkte sie in sein Büro.

„Du musst keine Angst haben!“ erklärte der Blonde mit einem verschmitzten Lächeln als er ihre Unsicherheit sah.

„Ich habe nur eine neue Aufgabe für dich!“ Abwartend sah die Rothaarige ihn an.

„Also es geht darum: Adams Sekretärin ist krank und ich möchte, dass du so lange ihre Aufgaben übernimmst.“ Er sah wie Lilianas Augen sich weiteten.

„Ich? Alleine?“ fragte sie auch prompt, Jonathan nickte.

„Ja, glaub mir, bei Adam geht es wesentlich ruhiger zu als hier unten. Um die Geschäftskontakte kümmere zu neunundneunzig Prozent ich mich. Also keine Angst, das schaffst du schon und im Notfall kannst du Adam jederzeit um Hilfe bitten!“ Sie wirkte immer noch unsicher, also seufzte Jonathan leise und sah ihr tief in die Augen.

„Hör zu! Ich schickte dich weniger nach oben, weil Adam dich unbedingt braucht. Wenn es sein muss kommt er gut alleine zurecht! Ich schickte dich hoch, damit er nicht alleine ist und sich nicht überanstrengt. Er wird dir genau sagen was er haben möchte. Du musst ihn nur ab und zu fragen ob du ihm noch etwas zu trinken bringen kannst oder ähnliches. Darum würde er niemals von sich aus fragen. Meinst du, du schaffst das?“ Er wollte ihr immer noch die Chance geben nein zu sagen. Liliana zuckte mit den Schultern.

„Ich denke schon! Und im Zweifelsfall hole ich mir eben Hilfe!“ Jonathan lächelte, genau die Antwort hatte er hören wollen.

„Gut, dann gehst du am besten gleich hoch.“
 

Liliana war nervös, als sie vor Adams Bürotür stand und sich die feuchten Handflächen an der Hose trocken wischte. Dann klopfte sie zaghaft.

„Herein!“ erklang seine tiefe Stimme.

„Guten Morgen, Herr Woods! Jonathan schickt mich…“ Sie blieb auf der Türschwelle stehen und sah sich vorsichtig um. Das Büro war ähnlich Jonathans, die Wand vor der der wuchtige Schreibtisch stand war eine Glasfront und ansonsten standen in dem Hellen Zimmer noch ein Sofa und zwei Aktenschränke.

„Kommen sie schon! Ich beiße nicht!“ murmelte Adam, als er bemerkte, dass sie nicht näher kam. Liliana gehorchte und setzte sich auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand.

„Wie werden meine Aufgaben aussehen, Herr Woods?“ fragte sie kaum, dass sie saß. Adam verdrehte die Augen.

„Also erst mal, wir können uns gerne duzen, wenn sie damit einverstanden sind?“ Liliana nickte erleichtert und streckte ihre Hand über den Schreibtisch.

„Gerne, ich bin Liliana. Aber auch gerne Lily.“ Er erwiderte ihren Händedruck.

„Adam. Also zu deinen Aufgaben. Im Grunde wirst du nichts anderes machen wie bei John auch. Nur dass es hier oben fiel weniger stressig abläuft. Falls du Fragen hast, kannst du jederzeit auf mich zu kommen! Hier sind die Zugangsdaten für den Computer auf Saskias Schreibtisch.“ Er schob ihr einen Notizzettel entgegen und nahm dann einen Stapel Akten in die Hand.

„Hier bring die in das Archiv den Gang hinunter, danach schicke ich dir ein paar Dokumente, die Korrektur gelesen werden müssen. Alles Weitere sehen wir dann.“ Liliana nickte und verließ dann sein Büro um ihrer Arbeit nachzugehen. Es war schon kurz nach Elf, als sie die Verträge Korrektur gelesen, ausgedruckt, abgeheftet und an die Rechtsabteilung geschickt hatte. Zeit für einen Tee. Sie wollte sich gerade auf den Weg zu der kleinen Küche machen, als ihr Jonathans Worte wieder einfielen. Also drehte sie noch einmal um und klopfte an Adams Bürotür. Auf seine Aufforderung steckte sie den Kopf durch die Tür. Er saß noch genauso am Schreibtisch wie zuvor und sah sie an.

„Ich mache mit einen Tee, willst du auch etwas?“ Er zögerte kurz dann nickte er langsam.

„Und was?“ fragte sie als, er keine weitere Reaktion zeigte.

„Entschuldigung, ich war mit den Gedanken wo anders! Tee klingt gut!“ Liliana nickte und ging zur Küche. Sie sah sich erst einmal um, stellte dann Wasser auf und durchforstete die Schränke nach Teebeuteln. Dabei fiel ihr auch noch eine Packung Kekse in die Hand. Fünf Minuten später betrat sie sein Büro, diesmal ohne auf seine Antwort zu warten. Adam saß über eine Akte gebeugt und grübelte. Mit der linken Hand rieb er sich die Schläfe, während die Rechte einen unregelmäßigen Rhythmus auf den Tisch trommelte.

„Hier!“ Er zuckte zusammen und sah von ihr zu der Tasse und den Keksen auf dem kleinen Tablett und schob dann einen Aktenstapel zur Seite damit sie Platz zum Abstellen hatte.

„Danke!“ Dann wandte er sich wieder der Akte zu.

„Kann ich noch irgendetwas tun? Ich habe die Verträge fertig.“ Er sah sie verwirrt an und rieb sich dann übers Gesicht.

„Ich brauche die Akte 212, und dann kannst du mir alle Informationen zusammensuchen, die wir über Tender&Storm haben. Recherchiere auch im Internet. Irgendetwas stimmt da nicht!“ Den letzten Satz sagte er mehr zu sich selbst und griff mit einer Hand nach der Tasse. Liliana nickte und beeilte sich dann ihm die Akte zu bringen. Dann setzte sie sich vor ihren Rechner und begann zu suchen. Um halb eins klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch.

„Woods Electronics, Liliana Berger am Apparat, was kann ich für sie tun?“

„Ist ja schön, dass du dich so meldest, aber das musst du nicht, wenn meine Nummer angezeigt wird!“ Liliana wurde rot und sah auf den Display der Station. Da stand tatsächlich Adam Woods.

„Entschuldige! Das ist wohl schon zur Gewohnheit geworden. Was gibt’s?“ Ein wenig nervös strich sie sich das Haar aus der Stirn.

„Komm rein und bring mit, was du bis jetzt gefunden hast!“ Damit hatte er bereits wieder aufgelegt. Liliana sprang auf und schnappte sich die Dokumente.

Sie stolperte ins Büro und schaffte es gerade so vor seinem Schreibtisch stehen zu bleiben.

„Langsam!“ Er nahm ihr die Akten ab und legte sie unbetrachtet zur Seite.

„Es ist halb eins. Mach Mittagspause!“ Liliana nickte und blieb dann abwartend stehen.

„Das ist alles.“ Sagte er leise und sie verließ das Büro und machte sich auf in die Kantine. Ruhig aß sie zu Mittag und wollte sich gerade auf den Rückweg machen, als plötzlich Jonathan vor ihr stand mit einem abgedeckten Tablett in der Hand.

„Hier bring das Adam mit. Normalerweise nimmt Saskia es gleich mit, aber daran habe ich vorhin nicht gedacht!“ Liliana machte sich mit dem Mittagessen ihres Chefs auf den Rückweg.

Der Nachmittag verlief ruhig, Lily ging mehreren kleinen Aufgaben nach und machte schließlich um halb sechs Feierabend. Als sie in Adams Büro trat telefonierte er gerade.

„Warte kurz John!“ Er ließ das Telefon sinken.

„Ich wollte eigentlich nur kurz tschüss sagen. Und brauchst du mich morgen auch wieder hier oben?“

Adam nickte als Antwort nur.

„Okay, dann bin ich um acht Uhr hier. Bis morgen!“

„Bis morgen!“ erwiderte Adam, als sie die Tür bereits wieder hinter sich geschlossen hatte.

„Und wie hat sie sich geschlagen?“ Er nahm das Telefon wieder ans Ohr.

„Ganz gut! Ich habe Saskia die Kündigung geschickt, Nele hat da so einige ausgegraben. Wenn du also nichts dagegen hast würde ich Liliana vorerst gerne behalten.“ Müde schloss er die Augen.

„Kein Thema! Wenn du mit ihr zufrieden bist.“ Erwiderte Jonathan, dann war es einige Zeit still bis er seufzte.

„Adam, ich brauche noch eine viertel Stunde, dann fahre ich dich nach Hause. Dein Tag war lange genug!“ Adam wollte widersprechen ließ es dann allerdings bleiben. Jonathan hatte ja recht.

„Okay, bis gleich!“

Feuer und ein unerwartetes Angebot

Kapitel 3: Feuer und ein unerwartetes Angebot
 

Liliana stand mit Mark auf dem Arm und Lola an der Hand vor dem Mietshaus in dem sie wohnten und sah zu wie Flammen ihr zu Hause zerstörten. Es war kurz nach halb sieben gewesen. Als die Feuerwehr an ihrer Wohnungstür geklingelt hatte. Die Zeit hatte gerade noch gereicht um sich die Jacken und ihre Handtasche zu schnappen, bevor sie das Haus verließen. Jetzt standen sie neben einem Krankenwagen und sahen dabei zu wie ihre Existenz in Flammen aufging. Lily drückte ihre Kinder an sich, eine Träne lief über ihre Wange. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte, wohin sie mit den Kindern gehen sollte. Ihre Eltern hatten sich nach der Trennung von Brad sprachen ihre Eltern kein Wort mehr mit ihr. Brad war doch so ein toller Mann, warum hast du dich nur von ihm getrennt? Die Kinder brauchen ihren Vater! Egal wie Liliana auch argumentiert hatte. Klaus und Maria Berger standen auf der Seite ihres Exmannes. Also war Liliana ihren eigenen Weg gegangen, hatte sich und den Kindern ein unabhängiges Leben aufzubauen versucht. Das alles war mit einem Schlag vorbei. Wohin sollten sie jetzt? Sie kannte niemanden, der sie einfach so aufnehmen würde und ein Hotel konnte sie sich nicht leisten. Vorsichtig setzte sie Mark ab und wühlte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy. Zumindest Adam müsste sie anrufen, zur Arbeit konnte sie wirklich nicht. Mit zitternden Händen hielt sie inne. Sie hatte nicht einmal seine private Nummer und dass er um sieben Montagmorgens bereits in der Firma war, war unwahrscheinlich. Die einzige Nummer die sie hatte war die von Jonathan. Also würde sie ihn anrufen. Sie wählte und wartete dann, dass jemand abhob.

„Jonathan Clark!“ Als sie seine ruhige Stimme hörte sackten ihr fast die Knie weg.

„Hallo hier ist Liliana Berger!“ dann schluckte sie erst einmal und kämpfte gegen die Tränen an. Nur unter stocken schaffte sie ihm zu erzählen, was geschehen war.

„Oh Gott! Ich hol dich sofort ab!“ Jonathan klang geschockt.

„Ich will dir keine Umstände bereiten!“ Doch davon ließ er sich nicht abhalten, sondern machte sich sofort auf den Weg zu Lily.

„Hey, geht es euch gut?“ Liliana erschrak, als Jonathan plötzlich hinter ihnen auftauchte, ließ es allerdings zu, dass er sie auf ihr leises „Uns geht es gut!“ in seine Arme zog.

„Kommt mein Wagen steht dort hinten!“ Lily liefen Tränen über die Wangen und sie fing an unkontrolliert zu zittern.

„Ich weiß doch nicht wo hin!“ Lola strich ihrer Mutter unsicher über den Rücken, die Augen ängstlich geweitet.

„Ganz ruhig Liliana, wir finden eine Lösung! Ihr kommt jetzt erst mal mit zu meinem Wagen und dann fahren wir zu Adam!“ Liliana wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Warum zu Adam?“ sanft schob Jonathan die junge Frau Richtung seines Wagens.

„Weil ich in einer viertel Stunde bei ihm sein soll! Außerdem denken zwei Köpfe besser als einer!“ Wortlos ließ Liliana es zu, dass der Blonde sie und ihre Kinder in sein Auto setzte und es startete. Was hatte sie auch eine andere Wahl. Keine!
 

Adams Haus lag in einem der gehobeneren Stadtviertel. Es war ein großes, aber gemütlich wirkendes Gebäude mit großen Garten und einer langen auffahrt. Jonathan parkte seinen Wagen vor der Tür und stieg dann aus um zu klingeln. Liliana und die Kinder folgten ihm zögerlich. Als der Summer des Türöffners erklang drückte Jonathan die Tür ohne zu zögern auf und ging los. Liliana folgte ihm in eine kleine Eingangshalle, von der eine Treppe nach oben und eine nach unten führte. Jonathan nahm ohne zu zögern die nach unten. Am Absatz angekommen wandte er sich nach links und stieß eine unscheinbare Metalltür auf.

„Morgen Adam, Timo!“ Sie betraten einen perfekt ausgestatteten Trainingsraum. Liliana sah sich mit großen Augen um. Das war mit Sicherheit nicht billig gewesen. Dann fiel ihr Blick auf die Therapiebank in der Mitte des Raums. Adam lag auf dem Rücken, die Beine angestellt und sah zu ihnen herüber. Anscheinend hatte er die Übung die er gerade gemacht hatte unterbrochen. Der Mann neben ihm sah sie ein wenig genervt an und legte die Hand dann auf Adams linkes Knie.

„Los, Junge. Ein letztes Mal noch, dann hast dus für heute geschafft!“ Adam biss sich auf die Unterlippe und hob dann langsam sein Becken an, bis seine Oberschenkel und sein Körper eine Linie ergaben.

„Sehr gut und Halten! Komm, hier bleib an meiner Hand!“ Der Mann legte eine Hand auf Adams Bauch, als dieser wegzusacken drohte.

„Noch fünf, vier, drei, zwei, eins und langsam absetzten! Sehr gut!“ Adam atmete schwer und fuhr sich durch das klatschnasse Haar. Dann setzte er sich langsam auf und Lilys Blick blieb an seinem durchtrainierten Oberkörper hängen. Sie hätte nie gedacht, dass er unter seinem Anzug feindefinierte Muskeln versteckte. Aber wenn man mal überlegte, wie er seinen Alltag wohl meisterte war das nur selbstverständlich. Und das wurde noch einmal deutlich, als er sich ohne Probleme von der Bank in seinen Rollstuhl hievte und dann dem Therapeuten die Hand schüttelte.

„Dann bis übermorgen!“ Der Mann nickte.

„Ja, bis übermorgen, Adam!“ Adam wandte sich Jonathan zu und kam näher. Lily konnte ihren Blick noch immer nicht von ihm losreißen und sie bemerkte mehrere hauchfeine, bereits verblassten Narben auf seinem Brustkorb und dem Bauch.

„Du bist früh dran! Und warum hast du Liliana mitgebracht?“ Er wirkte alles andere als begeistert. Verständlich, immerhin drangen sie einfach so in seine Privatsphäre ein.

„Entschuldigung, wir gehen. Mark, Lola…“ Liliana nahm ihre Kinder an der Hand und wollte zur Tür, als Adam sie mit einem leisen Seufzen zurückhielt.

„Bleibt. Ich geh duschen, danach können wir reden! John, bring sie in die Küche und kümmere dich ums Frühstück!“ Damit verließ Adam den Raum du auch Jonathan führte Liliana und die Kinder wieder nach oben und in eine geräumige gelbweiße Essküche.

„Setzt euch, ich koche Tee!“ Es herrschte ein eher bedrückendes Schweigen im Raum. Lily starrte in ihre Tasse, die Kinder machten sich über das Müsli her, das Jonathan ihnen hingestellt hatte und er selbst betrachtete Lily.

„Also?“ Adam rollte in die Küche und nahm eine Tasse aus dem Schrank um sich Tee einzugießen.

„In unserer Wohnung hat es gebrannt. Ich habe Jonathan angerufen, damit er dir Bescheid sagt, dass ich nicht zur Arbeit kommen kann. Er hat darauf bestanden uns abzuholen.“ Fasste Liliana in kurzen Sätzen ihren Morgen zusammen.

„Warum hast du sie dann nicht einfach in ein Hotel gefahren?“ Jonathan zögerte zu antworten, obwohl Adams Frage eindeutig an ihn gerichtet war.

„Das kann ich mit finanziell nicht leisten!“ Liliana senkte den Blick und verbarg ihr Gesicht hinter ihren langen Locken.

„Wir kamen mit dem was ich verdiene gerade so aus, jetzt weiß ich nicht weiter!“ Es war still am Tisch, Adams graue Augen betrachteten Lily lange und durchdringend.

„Ihr könnt erst einmal hier bleiben!“ Lily riss den Kopf hoch und sah ihn mit geweiteten Augen ungläubig an. Hatte sie gerade richtig gehört? Bot ihr Chef ihnen da gerade wirklich an, bei ihm zu wohnen.

„Ich meine es ernst. Das Haus ist groß genug, der Platz ist also da und ich möchte nicht, dass ihr Weihnachten auf der Straße verbringen müsst. Also könnt ihr erst einmal hier bleiben!“ Wiederholte Adam seine Worte und rieb sich dabei den Nacken. So als überraschte ihn sein Angebot selbst. Jonathan war definitiv überrascht. Er sah zu seinem Freund, der in Jeans und einem grauen Hemd vor ihm saß und so ganz anders reagierte als er erwartet hatte. Klar, er hatte gewusst, dass Adam die alleinerziehende Mutter niemals einfach so aus dem Haus jagen würde. Aber dass er sie hier wohnen ließe… Nein, damit hatte er definitiv nicht gerechnet. Adam mochte es ja schon nicht, wenn er Besuch bekam und auch Jonathan selbst ließ er höchstens mal eine Nacht in seinem Haus verbringen.

„Danke!“ Adam winkte ab und widmete sich dann seinem Tee. Bis Jonathan schließlich aufstand und den Tisch abräumte.

„Wir sollten langsam los!“ Adam nickte und stellte seine Tasse ebenfalls in die Spülmaschine.

„Ich muss Mark und Lola noch in den Kindergarten bringen und dann sollte ich vielleicht noch das nötigste einkaufen, Zahnbürste und ein paar Wechselkleider und ähnliches.“ Wortlos rollte Adam hinaus zur Garderobe und nahm einen Schlüssel aus dem Schlüsselkasten.

„Hier, du kannst meinen Wagen nehmen! Und hier…!“ Damit reichte er ihr noch eine Kreditkarte aus seinem Geldbeutel. Entsetzt sah Liliana ihn an. Das kann ich nicht annehmen, doch Adam drückte ihr die Karte zusammen mit dem Autoschlüssel in die Hand.

„Sieh es als Leihgabe, zahl mir das Geld das du jetzt brauchst um alles zu kaufen, was ihr braucht, einfach dann zurück, wenn du kannst! Und Liliana…“ er sah zur Küchentür, wo Jonathan gerade damit beschäftigt war, den Kindern ihre Jacken überzuziehen.

„…besorge den beiden eine Kleinigkeit zu Weihnachten. Ich möchte nicht, dass unschuldige Kinder wegen einem Feuer auf Weihnachten verzichten müssen!“ Adams graue Augen wirkten traurig und straften sein Lächeln lügen. Liliana beugte sich zu ihm hinunter und umarmte ihn kurzerhand fest.

„Danke! Danke für alles!“ Dann nahm sie die Kinder und ging hinaus zur Garage und stieg in den Sportwagen, für den Adam ihr die Schlüssel gegeben hatte. Zuerst setzte sie die Kinder im Kindergarten ab und fuhr dann weiter zur Einkaufsmeile, wo sie den teuren Wagen im Parkhaus abstellte und dann einkaufen ging. Nach einer knappen Stunde hatte sie Kleider für sich und die Kinder, außerdem Hygieneartikel und für Lola ein Puzzel gekauft. Fehlte nur noch ein Geschenk für Mark. Lily ging in die Kuscheltierabteilung und suchte für ihren Sohn einen Bären mit eingebauter Spieluhr aus. Dann blieb sie unschlüssig stehen. Sie würde gerne noch etwas für Adam zu Weihnachten kaufen. Immerhin hatte er sehr viel für sie getan. Er hatte ihr geholfen, als sie Hilfe am dringendsten Brauchte und er unterstützte sie immer noch. Aber was schenkte man seinem Chef. Eine Krawatte? Sie hatte wirklich keine Ahnung. Sie machte sich gerade schweren Herzens daran das Kaufhaus zu verlassen, als ihr Blick auf ein Regal mit Tassen fiel. Sie könnte ihm einfach eine Tasse kaufen und dazu eine Auswahl Tee, denn wenn sie in den wenigen Tagen, die sie jetzt schon für Adam arbeitete etwas mitbekommen hatte, dann, dass er Tee liebte. Das war zwar nichts besonderes, aber er könnte immerhin etwas damit anfangen. Schnell ging sie zu dem Regal und las die Aufdrucke. „Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer der wusste das nicht, und hat´s einfach gemacht!“ Dieser Spruch gefiel ihr am besten und Kurzerhand kaufte sie die Tasse und zwei Teesorten. Ein Kräutertee und ein Weihnachtstee mit dem Namen Kaminfeuer.

Um kurz nach Zehn war sie im Büro, nachdem sie Adams Auto in der Tiefgarage geparkt hatte.

„Ich bin da!“ Damit betrat sie Adams Büro und blieb überrascht stehen. Ihr Chef saß auf dem dicken Teppich und schob vor sich auf dem Boden Bilder hin und her.

„Du hättest nicht herkommen müssen! Nach dem was passiert ist.“ Er hielt kurz inne in dem was er da tat und fing dann wieder von vorne an. Liliana kam näher und kniete sich neben ihn.

„Was machst du da?“ Er seufzte und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.

„Das neue Werbegesicht aussuchen!“ Mit einer ausladenden Bewegung deutete er über die Bilder.

„Sag mir doch mal, welches dir am besten gefällt!“ Liliana überflog die Bilder von verschiedenen Models und blieb dann an einem hängen. Eine junge Frau saß an einem Schreibtisch und sah über die Schulter zum Betrachter.

„Ihre Ausstrahlung gefällt mir. Sie wirkt seriös und gleichzeitig locker!“

„Okay!“ Adam nahm das Bild und zog sich wieder in seinen Rollstuhl hoch.

„Kannst du den Rest der Bilder aufsammeln?“
 

Um halb sechs betrat Liliana Adams Büro wieder.

„Adam, ich muss die Kinder aus dem Kindergarten hohlen!“ Er nickte.

„Okay, mach Feierabend!“ Liliana trat einen Schritt weiter an seinen Schreibtisch heran.

„Willst du nicht mitkommen? Sonst muss Jonathan dich extra noch nach Hause fahren wo ich doch auch da hin fahre?“ Adam zögerte und packte dann die Akten zusammen und fuhr seinen Computer herunter. Dann holte er seine Jacke und schloss hinter ihnen ab.

„Ich sag schnell John Bescheid.“ Keine zwei Minuten später waren sie in der Tiefgarage. Adam rutschte auf den Beifahrersitz und Lily verstaute seinen Rollstuhl im Kofferraum. Irgendwann ertrug Lily die Stille zwischen ihnen nicht mehr und sie räusperte sich leise.

„Hast du etwas dagegen, wenn ich heute Abend kochen würde? Und vielleicht mit Lola und Mark ein paar Plätzchen backen?“ Adam schüttelte den Kopf.

„Nein, mach nur. Ich werde sowieso erst einmal ein paar Runden schwimmen gehen. Was für Plätzchen möchtest du backen?“

„Hast du Stechförmchen da?“ Einen Moment starrte er nur aus dem Fenster.

„Irgendwo ganz hinten in einer der Schubladen müssten welche sein. Warum?“ Ungläubig sah Liliana ihn an und dann sofort wieder zurück auf die Straße.

„Ausstechen macht doch am meisten Spaß! Hast du noch nie Plätzchen gebacken?“ fragte sie und hielt vor dem Kindergarten.

„Nein, meine Mutter hielt davon nichts!“ Oh, Lily betrachtete ihn von der Seite. Welche Mutter buk denn keine Plätzchen mit ihren Kindern?

„Wenn du Lust hast kannst du ja mit uns backen!“ Sie lächelte ihn an, er zuckte mit den Schultern.

„Mal schauen!“

Plätzchen und Wärme

Kapitel 4: Plätzchen und Wärme
 

Adam hatte Liliana kurz das Haus gezeigt, dann hatte sie ihre Einkäufe in das Schlafzimmer gebracht, in dem sie schlafen würde und hatte dann die wirklich gut ausgestattete Küche in Augenschein genommen. Lola und Mark saßen am Tisch und schlenkerten mit den Beinen.

„Backen wir Plätzchen?“ Lily stellte alle Zutaten auf den Tisch, wog sie ab und ließ die Geschwister den Teig rühren. Dann stellte Lily die Schüssel mit dem fertigen Teig in den Kühlschrank.

„Aber das sind doch noch gar keine richtigen Plätzchen!“ beschwerte sich Lola und verzog schmollend den Mund. Lily strich ihrer Tochter etwas Mehl von der Wange.

„Nach dem Abendessen, Mäuschen!“ Sie beschäftigte die Kinder mit einem Block und Stiften, die Adam ihr vorhin noch gegeben hatte, während sie selbst sich um das Abendessen kümmerte. Es gab Nudeln mit Tomatensoße. Schließlich saßen die drei am Tisch und sahen auf den leeren Platz.

„Mama, kommt Adam nicht zum Essen?“ Lola sah ihre Mutter fragend an und spießte die erste Nudel auf. Lily zögerte.

„Das weiß ich nicht!“ sagte sie schließlich ehrlich.

„Kannst du ihn nicht fragen gehen?“ Jetzt war Lolas Blick bittend. Lily erhob sich seufzend und stieg die Treppe hinauf. Adam hatte ihr gezeigt wo sein Schlafzimmer war. Ob er allerdings dort war wusste sie nicht. Er hatte irgendetwas von schwimmen gesagt. Außerdem hatte sie ihn auch nicht mehr gesehen, seit sie nach Hause gekommen waren. Kurz und eher zögerlich klopfte sie an die Tür.

„Was?“ kam es brummig aus dem Zimmer. Lily legte die flache Hand gegen die Tür.

„Adam? Kann ich kurz reinkommen?“ Es blieb still. Sie wollte gerade zurück nach unten gehen, als Adam doch noch antwortete.

„Komm rein!“ Vorsichtig öffnete sie die Tür und betrat das halbdunkle Zimmer. Es war spartanisch eingerichtet. Ein Schrank und ein Bett. Der einzige Luxusgegenstand war ein großer Fernseher, der gegenüber dem Bett an der Wand hing. Adam lag auf seinem Bett, ihr zugewandt. Seine grauen Augen sahen sie erschöpft an.

„Was willst du?“ Langsam trat Lily näher.

„Ich habe Abendessen gekocht. Wenn du auch etwas möchtest… Wir würden uns freuen…“ Statt einer Antwort schloss er die Augen. Lily wartete, doch er antwortete nicht. Leise ging sie zur Tür und blieb dann noch mal stehen.

„Okay, falls du es dir anders überlegst… Wir sind unten in der Küche!“ Damit schloss sie die Tür hinter sich.
 

Adam blieb alleine in der stille seines Zimmers zurück. Er kämpfte mit sich selbst. Er wollte sich einfach nur vor der Welt verkriechen, alles vergessen. Seine Behinderung. Den Unfall. Majas Tod. Den Tod seiner kleinen Schwester. Er presste die Hände an die Schläfen, versuchte die Erinnerung zu verdrängen. Vergeblich. Morgen war ihr Todestag. Dann war das ganze zwei Jahre her. Sie war seit zwei Jahren tot. Der dreiundzwanzigste Dezember. Es war, als würde sich ein Schraubstock um sein Herz schließen. Als würde sein Magen zusammengepresst. Hätte er heute normal gegessen, hätte er sich mit Sicherheit übergeben müssen. Jetzt würgte er nur trocken und rollte sich auf dem Bett zu einer Kugel zusammen. Er sah sie. Seine Schwester. Das schmale, blasse Gesicht. Ihr schwarzes Haar, strähnig, dunkel, feucht. Ihre grauen Augen, den seinen so ähnlich, leer und leblos. Und Blut. Überall Blut. Abrupt setzte Adam sich auf. Er konnte das nicht. Er hielt das nicht aus. Liliana… Lola… Mark…

Vielleicht half ihre Gesellschaft gegen die Erinnerung, den Schmerz, die Verzweiflung. Wohl kaum, sonst hätte er Jonathan bestimmt nicht ausgeredet ihm heute und morgen Gesellschaft zu leisten. Er vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte seinen flatternden Atem unter Kontrolle zu bekommen. Aber hier zu liegen und sich gehen zu lassen? Nein… Nein, das wollte er nicht. Und vielleicht… vielleicht half Gesellschaft ja wenigstens gegen die Einsamkeit. Er fuhr sich über die Augen und hievte sich vom Bett in den Rollstuhl, der direkt daneben stand. Der Transfer fiel ihm wesentlich schwerer als sonst, was vermutlich daran lag, dass er sich vollkommen ausgepowert hatte. In der Hoffnung, dass sein erschöpfter Körper seinen Geist irgendwann zur Ruhe zwang. Vergeblich. Aber darüber wollte er jetzt nicht weiter nachdenken, sondern machte sich auf den Weg nach unten.
 

Liliana sah auf, als er in die Küche kam. Sie war gerade dabei den Tisch abzuräumen und Platz zum Plätzchenbacken zu schaffen. Ihr Blick blieb an seinem blassen Gesicht und den trüben Augen hängen.

„Möchtest du etwas essen?“ Er schüttelte den Kopf und kam dann näher. Lola lächelte ihn sofort breit an.

„Aber Mama ist die beste Köchin der Welt. Das musst du unbedingt probieren!“ Hilflos sah Adam zu Lily. Die Rothaarige strich ihrer Tochter übers Haar und lächelte.

„Das ist wirklich lieb von dir Mäuschen, aber du kannst Adam nicht einfach irgendetwas aufzwingen!“ Mit großen Augen sah Lola ihre Mutter an.

„Aber du sagst doch immer, man muss essen, damit man groß und stark wird!“ Lily wollte gerade antworten, als Adam die Hand nach dem Topf griff, der noch auf dem Tisch stand, und den Deckel abnahm.

„Was gibt es denn?“ Bevor Lily reagieren konnte, donnerte der Deckel zu Boden und sprang durch die Küche. Erschrocken beobachtete sie, wie Adam noch blasser wurde und sich zusammenkrümmte. Eine Hand auf Höhe seines Magens in sein Sweetshirt gekrallt. Schon alleine der Geruch der Tomatensoße drehte ihm den Magen um. Lily zog ihn ein Stück vom Tisch zurück und kniete sich neben ihn.

„Was hast du? Magenschmerzen?“ Lily brauchte sein abgehacktes Nicken nicht als Bestätigung. Sie hob die Hand, schob ihm ein paar seiner dunklen Haarsträhnen aus dem Gesicht, legte ihre kühlen Finger auf seine Stirn. Fieber hatte er keines. Er wich auch vor ihrer Berührung zurück.

„Ich bin nicht krank!“ kamen seine Worte ein wenig ungehalten. Er schämte sich für seine Schwäche. Wäre er besser oben in seinem Bett geblieben. Dann wäre ihm Lilianas besorgtes Gesicht erspart geblieben. Es war schon schwer genug gewesen, Jonathan davon abzuhalten herzukommen. Er konnte einfach die Sorge in den blauen Augen seines besten Freundes nicht sehen. Auch wenn der der einzige war, der die Dämonen kannte, die ihn verfolgten, besonders an Majas Todestag. Aber Adam wollte das nicht. Er wollte nicht, dass sich irgendjemand Sorgen machte, wegen ihm. Er wollte das ganze einfach vergessen. Nicht ständig danach gefragt werden, wie es ihm ging. Er sah die Fragen auf Lilianas sanften Zügen, dann erhob sie sich allerdings wortlos und trat an einen der Küchenschränke. Fünf Minuten später stellte sie ihm eine Tasse und einen Teller mit handtellergroßen braunen Scheiben auf den Tisch.

„Was ist das?“ Sein Blick war abweisend. Lily holten den Teig aus dem Kühlschrank und rollte ihn auf dem Tisch aus.

„Fencheltee beruhigt den Magen! Und Zwieback, damit du wenigstens etwas zu dir nimmst!“ Sie sagte das nebenbei, während sie Lola und Mark die Ausstechförmchen gab. Adam griff nach einem Zwieback und besah ihn lustlos. Auch wenn er keinen Hunger hatte und sein Magen sich immer noch zusammenzog… Sie hatte ja recht. Er hatte bisher kaum etwas gegessen. Gerade einmal die paar Bissen zu denen ihn John am Mittag gedrängt hatte. Borsichtig biss er ab und musste sich zum Schlucken zwingen. Dann warteteer einen Moment. Doch sein Magen blieb ruhig. Adam entspannte sich ein wenig und sah hinüber zu den Kindern. Lolas kleine Zunge schlich sich immer wieder aus ihrem Mund, während sie Plätzchen ausstach und auf das Blech vor sich legte. Mark dagegen stand auf einem der Küchenstühle um überhaupt an den Teig heranzukommen und drehte ein Förmchen in der Hand. Sein Blick lag auf Adam. Dann sah er seine Mutter an.

„Mama, mag Adam keine Tomatensoße?“ Lily strich dem Jungen übers Haar.

„Weißt du Mark, manchmal hat man einfach keinen Hunger!“ Mark kaute auf seiner Unterlippe und kletterte dann vom Stuhl. Langsam kam er auf Adam zu und sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an. Dann versuchte er auf den Schoß des Schwarzhaarigen zu krabbeln. Überrascht hielt Adam den Jungen fest und hob ihn ganz nach oben.

„Du bist traurig!“ Mark drückte sich an Adams Brust und umarmte ihn fest. Zögerlich hob Adam die Arme und legte sie auf den Rücken des Kindes. Seine Kehle schnürte sich zu. Aber es tat unglaublich gut, einfach so in den Arm genommen zu werden. Und in diesem Moment war er froh nach unten gekommen zu sein.

Lily beobachtete wie Mark auf Adam zuging und ihn umarmte. Kurz sah sie Schmerz in den grauen Augen ihres Chefs aufblitzen, dann erwiderte er die Umarmung. Mark war ein sehr feinfühliges Kind und es wunderte Lily keineswegs, dass er Adam Trost anbot. Aber überrascht war sie schon, seit sie sich von dem Vater der beiden getrennt hatte, war Mark sehr schüchtern und ging kaum auf andere zu, das war er Lola. Das Mädchen war frech und offen. Jetzt löste sich Mark etwas und schaute zu dem Erwachsenen auf.

„Jetzt backen wir Plätzchen. Da rüber!“ Er dirigierte Adam zu dem Platz, wo er zuvor auf dem Stuhl gestanden war. Lily machte Platz und beobachtete wie Mark nach den Förmchen griff und Adam eines in die Hand drückte. Sie schaltete das Radio an und ließ leise Weihnachtsmusik den Raum erfüllen. Wie nebenbei stellte sie Tee und Zwieback in Adams Reichweite. Adam drückte die Herzform in den weichen Teig und legte das Plätzchen auf das Blech. Dabei war er ruhig. Die Gedanken, die ihn schon den ganzen Tag quälten wurden verdeckt, von der stillen Akzeptanz und der familiären Atmosphäre, die Lily und ihre Kinder ausstrahlten. Er fühlte sich wohl, soweit das eben ging, denn ganz verdrängen konnte er es nicht. Die Erinnerungen waren immer noch da. Nur eben nicht so quälend. Es störte ihn auch nicht, dass Lily Tee und Zwieback so platzierte, dass er sie jederzeit erreichen konnte. Langsam, bedächtig aß er Bissen für Bissen. Auch wenn sein Magen noch immer rebellierte und sich nur langsam beruhigte, vertrug er es doch erstaunlich gut. Mark rollte sich schließlich zusammen und lehnte den Kopf an seine Brust, während der süße Duft, der ersten fertigen Plätzchen, die Küche erfüllte. Adam strich dem Jungen übers Haar. Lily kam zu ihm herüber und legte Adam eine Hand auf die Schulter.

„Ich nehme ihn dir ab!“ Doch der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf.

„Schon okay!“ Adam behielt den Jungen auf dem Schoß, während Lily die Bleche aus dem Ofen holte und Lola dann Richtung Schlafzimmer dirigierte. Adam brachte Mark schon einmal ins Bett, während Lily mit Lola im Bad war. Vorsichtig legte er den Jungen auf die weiche Matratze und deckte ihn zu. Sofort spürte er die Leere, die zurückblieb, als er ihn los ließ und vom Bett zurück wich. Je weiter er sich von der kleinen Wärmequelle entfernte, desto mehr schnürte es ihm die Kehle zu, verkrampfte sich sein Magen mehr. Seine Hände begannen zu zittern. Abrupt wandte er sich ab, flüchtete in sein Zimmer. Die Einsamkeit flutete über ihn hinweg, ließ ihn zusammensacken. Sein Atem ging stoßweise und abgehackt. Seine Hände krallten sich in seinen Nacken, rissen an seinem Haar, zerkratzten die empfindliche Haut. Bilder zuckten vor seinem inneren Auge. Maja. Wie sie lacht. Wie sie zusammen in das Auto steigen. Die Kreuzung. Der Betrunkene, der die rote Ampel übersehen hat. Grellend weißes Licht. Schwärze. Majas blasses Gesicht. Ihre Leblosen Augen. Blut. So viel Blut. Dann war es vorbei. Zurück blieb nur die Einsamkeit, die Trauer der Schmerz, die Verzweiflung. Schweratmend starrte Adam auf seine blutigen Fingerkuppen. Als er sich ein wenig beruhigt hatte ging er ins Bad, wusch sich sein Blut von den Händen. Er wagte es nicht in den Spiegel zu sehen, denn er wusste genau was er sehen würde. Hatte es bereits oft genug gesehen.
 

Lily sah, wie Adam in sein Schlafzimmer verschwand. Sie hatte sein blasses Gesicht gesehen und die leeren Augen. Aber sie wollte ihn nicht stören. Sie brachte Lola ins Bett und ging dann wieder hinunter um in der Küche aufzuräumen. Sie stellte Gerade Wasser auf, als die Küchentür aufging. Ihre Frage, ob Adam ebenfalls noch einen Tee wollte, blieb ihr in der Kehle stecken. Adam war nicht nur blass, sondern schneeweiß. Die grauen Augen voller Schmerz und Verzweiflung. Wortlos goss Lily auch ihm einen Tee auf und stellte einen Teller mit Plätzchen auf den Tisch. Adam kam nur zögerlich näher, fuhr sich unbewusst über den Nacken und zuckte zurück. Lily, die seiner Bewegung gefolgt war, sah ihn entsetzt an.

„Oh Gott, Adam was ist passiert?“ Seine Hände begannen wieder zu zittern. Er versuchte es zu unterdrücken, wollte nicht vor Liliana zusammenbrechen. Verzweifelt schlang er die Arme u seinen Oberkörper. Lily wusste nicht, was sie tun sollte. Sie kniete sich vor ihn, sah ihn unsicher an.

„Adam? Was ist los? Sprich mit mir!“

„Maja!“ flüsterte er. Immer und immer wieder. Die Bilder waren wieder da. Seine Schwester. Ihr blasses Gesicht. Die leeren, leblosen Augen und das Blut.

„Maja!“ Nur diesen Namen. Blass. Leblos. Blut.

„Maja!“ Lily schauderte. Was war los?

„Adam?!“ Sie griff nach seiner Schulter. Er riss sich los, den Blick in die Ferne irgendwo hinter ihr gerichtet. Irgendwie schaffte Adam es sich hochzustemmen. Stand wackelig auf seinen Beinen, machte einen Schritt.

„Maja!“ Einen zweiten. Dann sackte er einfach zusammen. Lily versuchte seinen Sturz so gut es ging abzufangen und ging mit ihm etwas unsanft zu Boden. Er lag halb auf ihrem Schoß.

„Maja!“ wimmerte er. Tränen liefen über seine blassen Wangen. Liliana zog ihn näher an sich. Adams Hände lagen an Lilianas Bauch, krallten sich dort in den Stoff ihres Pullovers. Eine verzweifelte Geste, während seine Tränen ihre Schulter durchnässten. Er wusste selbst nicht, ob er sei festhalten oder von sich stoßen wollte. Er wollte alleine sein, wollte nicht, dass sie ihn so sah. Warum ging sie nicht einfach? Warum stieß sie ihn nicht einfach von sich? Warum konnte er selbst es nicht? Verzweifelt presste er seien Stirn an ihre Brust, verbarg sein Gesicht. Vorsichtig legte Lily ihm eine Hand in den Nacken, über die Kratzer, die er sich selbst zugefügt hatte. Beschützend.

„Es ist okay!“ flüsterte Lily leise, obwohl sie wusste, dass es eine Lüge war. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Beruhigend streichelte ihm über den Rücken. Adam zitterte wie Espenlaub.

„Maja!“ Wimmerte er leise. Die Bilder verblassten. Verdrängt von der Wärme und Geborgenheit, die von der jungen Frau ausging, an die er sich klammerte. Lily fragte nicht wer Maja war, sondern zog den Schwarzhaarigen nur noch etwas fester an sich.

„Es ist okay, Adam. Ich bin da, ich bin da!“ flüsterte sie leise und hielt ihn einfach fest im Arm. Den Rücken an ein Tischbein gelehnt und den Blick auf seinen Hinterkopf gerichtet. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis Adam langsam ruhiger wurde. Langsam zögernd lösten sich seine Finger aus ihrem Pullover und rutschten hinab. Vorsichtig hob Lily Adams Kinn an und sah in seine erschöpften Augen.

„Hey!“ Er verbarg sein Gesicht wieder an ihrer Schulter, bevor sie die Scham sehen konnte, die ihm erneut die Tränen in die Augen trieb. Er war vor ihr zusammen gebrochen. Lily gab ihm noch ein paar Minuten sich zu fassen, dann löste sie langsam ihre Umarmung.

„Adam! Wir sollten aufstehen, die kalten Fliesen sind nicht gerade bequem!“ Er drehte ein wenig den Kopf um zu seinem Rollstuhl zu sehen. Jetzt würde er sich endgültig blamieren. Ohne Hilfe käme er nicht hoch. Seine Arme fühlten sich an wie Gummi und sein Bein schmerzte höllisch. Reichte der Zusammenbruch nicht? Musste er jetzt dafür auch noch die Quittung bekommen?

„Das schaffe ich nicht!“ nuschelte er leise an Lilys Schulter.

„Was? Ich habe dich nicht verstanden.“ Mit geschlossenen Augen wiederholte Adam seine Worte diesmal lauter. Jetzt drückte Lily ihn ein wenig von sich weg und er versuchte ihrem Blick auszuweichen.

„Adam! Verdammt noch mal sieh mich an!“ fauchte Lily jetzt etwas genervt. Es dauerte einen Moment, dann gehorchte er. Sie erschrak, als sie Scham und Furcht in seinen Augen sah. Er fürchtete sich vor ihrer Reaktion. Sie zog ihn wieder an sich. Hielt ihm fest und fuhr ihm tröstend durchs Haar.

„Adam. Da ist doch nichts Schlimmes dabei! Ich mache dir keine Vorwürfe! Du musst dich nicht schämen, jedem geht es mal schlecht. Klar, dann will man nicht unbedingt eine völlig Fremde dabeihaben. Aber Adam! Das ändert überhaupt nichts daran, dass ich dich als verantwortungsbewussten und seriösen Chef respektiere. Und als Freund, nach allem, was du heute für uns getan hast. Ich weiß nicht, warum du zusammengebrochen bist. Aber, was auch immer du erlebt hast, gehört zu dir und deswegen werde ich dich bestimmt nicht auslachen oder niedermachen. Und ich werde dich jetzt auch ganz bestimmt nicht im Stich lassen! Hast du das verstanden?“ Langsam nickte er.

„Ja!“ flüsterte er erstickt.

„Gut! Dann sollten wir jetzt wirklich mal aufstehen!“ Bevor Adam wieder einwerfen konnte, dass er das nicht schaffen würde, redete sie einfach weiter.

„Wir kriegen das hin! Du musst mir nur sagen, wie ich dir am besten helfen kann!“ Er wollte nicht, dass sich von ihm entfernte. Er wollte ihre Wärme nicht verlieren. Sie sollte ihn weiter so festhalten, wie sie es gerade tat. Das tat so unheimlich gut. Aber sie hatte Recht. Die Fliesen waren nicht sonderlich bequem und so rutschte er von ihrem Schoß um ihr Platz zum Aufstehen zu geben. Noch blieb sie allerdings neben ihm knien.

„Also wie kann ich dir helfen?“ Kurz dachte er nach und kaute auf seiner Unterlippe. Alleine bekäme er das so nicht hin und die einzige andere Möglichkeit, die ihm einfiel, würde verdammt schmerzhaft werden. Er atmete tief durch.

„Stell den Rollstuhl hier hin.“ Er zeigte rechts von sich und fuhr sich durchs Haar. Lily tat was er sagte.

„Stell die Bremsen fest und klapp die Fußstützen weg. Und kannst du den Tisch etwas zur Seite schieben? Ich will nicht, dass du dich verletzt, wenn ich das Gleichgewicht nicht halten kann.“ Lily tat auch dies und kniete sich dann vor ihn.

„Okay und jetzt?“ Aufmerksam sah sie ihn an. Sah in seine trüben, rotgeränderten Augen.

„Ich muss erst auf die Knie kommen und dann in den Stand. Das Problem ist: Mir fehlt die Kraft. Für dich heißt das, du gehst vor mit in die Hocke und kommst dann mit mir hoch. Wenn ich stehe ist der Rest einfach. Hast du das verstanden?“ Lily nickte zögerlich. So in etwa. Jetzt beobachte sie wie Adam sich auf den Bauch drehte und sich dann mit den Armen aufstützte. Langsam drückte er sich nach oben bis er auf allen vieren stand und setzte sich dann auf die Fersen ab. Kurz hielt er inne. Die Augen geschlossen.

„Alles in Ordnung?“ Er nickte nur. Mehr ging gar nicht, wenn er die Zähne auseinander nehmen würde, würde er wohl vor Schmerzen schreien. Sein Knie brannte wie Feuer, fühlte sich an, als würde man es zertrümmern und dann noch auf den Einzelteilen herum trampeln. Mühsam brachte er seinen Körper nach oben, sodass er jetzt kniete. Er schwankte gefährlich. Lily ging vor ihm in die Hocke und griff nach seinen Armen, legte sie auf ihre Schultern.

„Halt dich fest!“ Ihre eigenen Hände legte sie auf seine Hüften und stabilisierte ihn, als er nun, das gute rechte Bein nach vorne zog. Ein schmerzerfülltes Stöhnen konnte er nicht unterdrücken. Sein ganzes Gewicht lag nun auf seinem kranken Bein und es tat einfach nur höllisch weh.

„Wir schaffen das, komm Adam!“ Lilianas Worte rissen ihn aus dem Schmerznebel und er verlagerte mit Mühe das Gewicht nach vorne, drückte sich hoch. Mit Lilys Hilfe schaffte er sich ganz aufzurichten und den Schritt zur halben Drehung um sich endlich setzten zu könne. Schweiß stand auf seinem Blassen Gesicht. Zittrig atmete er durch und fuhr sich durchs Haar. Liliana hob seine Beine auf die Fußstützen und entfernte sich dann kurz.

„Hier, für dein Knie!“ Mit bebenden Fingern griff er nach dem Eisbeutel, den sie ihm anscheinend geholt hatte und drückte ihn auf sein Knie. Währenddessen löste Lily die Bremsen und schob den Rollstuhl auf den Flur und zu dem Aufzug an dessen Ende.

„Was wird das?“ Adam sah zu ihr auf. Fragend. Erschöpft.

„Ich bringe dich ins Bett. Dann schaue ich nach deinem Knie!“ Er widersprach nicht. Alleine ins Bett zu kommen. In seinem Zustand so gut wie unmöglich, obwohl das wesentlich einfacher werden würde, als das eben in der Küche. Doch statt in sein Schlafzimmer brachte Lily ihn erst einmal ins Bad.

„Vielleicht willst du dich etwas frischmachen. Soll ich dir deinen Schlafanzug holen…“ Adam nickte.

„Unterm Kopfkissen!“ Lily brachte ihm das T-Shirt und die Shorts, die er zum Schlafen trug und ließ ihn dann alleine. Sie zog sich rasch selbst um und räumte in der Küche auf. Mit einer Kanne Tee und zwei Tassen kam sie gerade zurück ins Zimmer, als Adam das Bad verließ. Er sah etwas besser aus. Er hatte ein wenig mehr Farbe im Gesicht und seine Augen waren klarer. Den Rollstuhl stellte er neben das Bett und zog die Bremsen an. Mit Lilys Hilfe kam er in den Stand und saß wenige Sekunden später auf dem Bett. Sie hob seine Beine auf das Bett als er sich hinlegte und schob dann sein Hosenbein etwas zur Seite. Sein linkes Knie war warm und sichtlich geschwollen.

„Das sieht nicht gut aus!“ Er zuckte unter ihrer Berührung zurück.

„Ich weiß! Ich habe es überlastet!“ murmelte Adam und zeigte dann auf seinen Rollstuhl. Auf der Sitzfläche lagen eine breite Binde und eine Salbe.

„Die hat mir der Arzt verschrieben. Sie soll abschwellend wirken.“ Lily nickte, reichte ihm eine Teetasse und verteilte die Salbe großflächig auf seinem Knie und wickelte den Verband dann locker ab, damit er nichts einschnürte. Dann sah sie Adam lange nur an.

„Soll ich heute Nacht hier bleiben?“ Auch wenn sie nur leise gesprochen hatte, saß Adam steil im Bett, die Augen weit aufgerissen. Keine Antwort. Diesmal war das allerdings für Lily kein Zeichen zu gehen. Sie legte sich neben ihn und zog ihn an sich, als er sich zurücklehnte und die leere Tasse zur Seite stellte. Deckte sie beide zu. Adam lehnte seinen Kopf an ihre Schulter. Erleichtert. Friedlich. Da war sie, diese Wärme nach der er sich schon so lange sehnte. Sie hielt die Dämonen in Schach.

„Wie geht es deinem Knie?“ Er hielt die Augen geschlossen.

„Hab ein Schmerzmittel genommen.“ Murmelte er und gähnte. Er wollte schlafen. Einfach nur diese Ruhe genießen. Lily löschte das Licht, streichelte ihm durchs Haar.

„Danke!“ flüsterte Adam in die Stille hinein in der nur ihrer beider Atem zu hören war.

„Danke, für alles!“

Zweifel

Kapitel 5: Zweifel
 

Das schrille Klingeln eines Weckers riss Lily aus dem Schlaf. Müde streckte sie sich und erstarrte. Irgendetwas war anders als sonst. Irgendetwas… oder besser irgendwer lag hinter ihr im Bett und hielt sie fest. Lily wurde an eine muskulöse Brust gedrückt. Ein ebenso starker Arm war um ihren Bauch geschlungen. Vorsichtig drehte sie sich um. Oder versuchte es zumindest. Warmer Atem schlug ihr in den Nacken und ließ sie erschauern. Ihr Bettgefährte zog sie noch näher an sich, Bartstoppeln kratzten leicht über ihre nackte Schulter. Warte nackt? Lilys Augen weiteten sich, dann atmete sie erleichtert aus. Sie trug ihren Schlafanzug bei dem das Oberteil nur Spagettiträger hatte. Aber warum lag da ein Mann in ihrem Bett. Stopp. Das war ja gar nicht ihr Bett. Was hatte sie am Abend zuvor nur angestellt? Da war das Feuer gewesen. Jonathan hatte sie abgeholt und sie waren zu Adam gefahren.

„Adam!“ Sie riss die Augen weit auf. Das war die Lösung. Sie hatte Adam angeboten bei ihm zu bleiben, weil er so ausgesehen hatte, als könnte er etwas Nähe gut gebrauchen.

„Was ist denn?“ grummelte seine tiefe Stimme nun und er kuschelte sich noch etwas näher an sie. Langsam wurde ihr die Luft eng. Sie versuchte sich aus seiner Umarmung zu befreien.

„Bleib doch liegen, Süße. Es ist doch noch viel zu früh.“ Adams verschlafene Worte machten ihr klar, dass er nicht wusste wer da bei ihm im Bett lag. Und noch immer klingelte dieser bescheuerte Wecker.

„Argh, lass mich los!“ Keine Antwort. War er etwa wieder eingeschlafen? Bei diesem nervigen Gepiepse? Wer kann da schlafen?

„Adam!“ Sie stieß ihm forsch mit dem Ellenbogen gegen die Brust.

„Schalt wenigstens diesen verdammten Wecker aus!“ Wenn er sie schon nicht los ließ wollte sie wenigstens Ruhe haben. Ein tiefer Seufzer dehnte Adams Brust, dann ließ er sie los und rollte sich von ihr weg. Kurz darauf erstarb der Lärm.

„Danke!“ Gerade wollte Lily sich aufsetzen, da zog Adam sie schon wieder an sich und rollte sich zusammen. Immerhin schaffte sie es noch sich zu ihm zu drehen, bevor sein Atem wieder gleichmäßig ging und er erneut eingeschlafen war. Also wirklich. Wie konnte man nach diesem Wecker wieder einschlafen. Sie zumindest nicht, sie war hellwach. Aber was sollte sie tun? Adams muskulöse Arme hielten sie wieder fest, als wären sie aus Stahl. Und um ehrlich zu sich selbst zu sein. Sie könnte ihn stundenlang anstarren. Rasch schloss sie die Augen und ermahnte sich selbst leise.

Lil! Er ist dein Chef. Du darfst gar nicht daran denken wie gut er aussieht! Aber es half nichts. Also öffnete sie ihre Augen und linste durch ihre Wimpern. Adam sah wirklich… süß aus, wie er da lag und schlief. Süß und sexy und… Nein, darüber durfte sie gar nicht nachdenken! Stattdessen betrachtete sie ihn ausführlich. Sein schwarzes Haar war durcheinander und hing ihm verstrubbelt in die Stirn. Lange pechschwarze Wimpern warfen einen leichten Schatten auf seine Wangenknochen. Seine Lippen waren leicht geöffnet und von einem sanften Bartschatten umgeben. Er sah einfach nur zum an… Nein, denk nicht dran! Sie biss sich auf die Unterlippe und schloss die Augen wieder. Am besten weckte sie ihn so schnell wie möglich und verschwand aus seinem Bett. Ja genau das sollte sie tun. Ihn wecken und dann zu den Kindern gehen. Wieder öffnete sie die Augen und betrachtete sein friedliches Gesicht. Er sah so jung aus, so sorglos. Aber da waren auch die dunklen Ringe unter seinen Augen, die an eine alles andere als ruhige Nacht erinnerten. Lily hob die Hand und strich ihm sanft das Haar aus der Stirn. Sie brachte es nicht über sich ihn zu wecken. Nicht nachdem er in der Nacht immer wieder schweißgebadet aus dem Schlaf geschreckt war. Zitternd und mit rasendem Herzen, die Augen geweitet und voller Schmerz. Sie hatte ihn an ihre Brust gezogen und ihm tröstend das Haar gezaust, bis er nach wieder eingeschlafen war. Sie hatte nicht gezählt wie oft er wach war, konnte sich selbst nur dunkel an die einzelnen Phasen erinnern. Das alles war verschwommen und schien ihr jetzt wo sie wieder wach war ziemlich unwirklich. Aber sie war selbst nie richtig wach gewesen und war deswegen auch jetzt ziemlich fit, obwohl es erst kurz nach sechs Uhr war. Sie versank in einem leichten Dämmerschlaf mit dem blassen Gedanken, dass sie ja eigentlich zur Arbeit mussten. Irgendwann merkte sie, dass Adam sich regte. Sein Griff um ihre Mitte wurde schwächer und er streckte sich. Langsam hoben sich seine Lider und er blickte sie aus verschleierten Augen an, die viel heller schienen, als sonst. Dann riss er sie erschrocken auf.

„Liliana, was…?“ Er rutschte von ihr weg, zu schnell und schließlich fiel er vom Bett. Ein dumpfer Schlag, zeugte davon, dass er ziemlich unsanft auf dem Boden aufgekommen war. Lily trat die Bettdecke von sich und krabbelte selbst zum Bettrand. Adam lag auf dem Rücken. Seine Decke lag halb auch ihm, bedeckte seine Brust und einen Teil seines Gesichts. Die Augen hatte er geschlossen.

„Alles in Ordnung?“ fragte Lily leicht panisch und beugte sich zu ihm hinunter. Genau diesen Moment wählte Adam um sich aufzusetzen. Und wie sollte es auch anders sein donnerten sie gegeneinander.

„Aua!“ Lily fiel zurück auf das Bett, während Adam das Gleichgewicht halten konnte und sich nur die Stirn hielt.

„Tschuldige!“ murmelte er und blickte unter halb geschlossenen Lidern zu ihr hinauf. Leise stöhnend hielt sie sich den Kopf.

„Kein Thema! Mein Schädel hält das aus!“ Doch Adam reagierte anders als sie erwartet hatte.

„Das meine ich nicht!“ murmelte er leise, fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar.

„Entschuldige, dass ich… dass ich dir heute Nacht… so nahe gekommen bin!“ Unsicher sah er zu ihr auf. Lily drehte den Kopf und zog eine Augenbraue hoch. Meinte er das jetzt ernst? Er hatte etwas Gesellschaft dringend nötig gehabt und es war ja nichts passiert, als dass er sich an sie gekuschelt hatte. Sie hatten ja nicht… Denk ja nicht daran, hielt Lily sich selbst davon ab diesen Gedanken weiter zu verfolgen.

„Schon Okay!“ Adam rieb sich den Nacken und sackte ein wenig zusammen.

„Nichts ist okay! Du bist meine Sekretärin! Ich bin dein Chef! Wir sollten lediglich auf einer rein geschäftlichen, seriösen Basis verkehren! Ich habe keinerlei Recht meinen persönlichen Ballast bei dir abzuladen, geschweige denn die Nacht mit dir in ein und demselben Bett zu verbringen!“ Ungläubig sah Lily Adam an.

„Soll ich dich jetzt etwa verklagen, weil du etwas Trost gesucht hast? Himmel!“ Sie lachte leise.

„Wo kämen wir da denn hin?“ Unsicher sah der schwarzhaarige zu ihr auf, als sie sich auf den Bauch rollte, sodass sie ihn besser ansehen konnte. So wirklich überzeugt schien sie ihn nicht zu haben. Er hatte das rechte Bein angezogen und stützte das Kinn darauf.

„Erstens arbeite ich, wenn man es genau nimmt nicht für dich, sondern für Jonathan. Und fang jetzt nicht damit an, dass das deine Firma ist. Meinen Vertrag kündigen kann nur dein Freund, da hast du keine endgültige Entscheidungsgewalt. Und zweitens, meinem Wissen nach ist nichts geschehen, weswegen dich dir böse sein sollte, oder was gegen die geltenden Sitten verstoßen hätte. Also…steh endlich von dem kalten Boden auf und hör auf dreinzublicken, als hätte man dir deinen Teddybär geklaut!“ Mit zusammen gezogenen Augenbrauen sah er zu ihr auf.

„Ich habe keinen Teddybär!“ grummelte er. Lily starrte ihn nur an. Das war das einzige, das er mitbekommen hatte? Dass sie ihn mit einem Kind verglich, dass verzweifelt war, weil sein heiß geliebtes Kuscheltier weg war. Okay, er hatte wirklich sehr traurig gewirkt, aber trotzdem! Ihre Argumentation hatte er einfach überhört, oder was? Sie schnaubte.

„Vielleicht sollten wir dir dann einen besorgen!“ Dann hatte er wenigstens etwas mit dem er kuscheln konnte, wenn sie und ihre Kinder nicht mehr bei ihm wohnten. Das sollte sie sich merken. Verwirrt sah er sie an.

„Das verstehe ich jetzt nicht.“ Grummelte er und legte sich einfach wieder rückwärts auf den dunklen Teppich. Hatte sie ihm nicht gerade gesagt, er solle von dem kalten Boden aufstehen?

„Adam, du wirst noch krank, wenn du da unten liegen bleibst!“ schollt sie ihren Chef leise, doch er schloss einfach nur die Augen.

„Der Teppich ist dick genug! So schnell wird mir hier nicht kalt!“ Super! Lily drehte sich von Adam weg und starrte an die Wand. Wenn er es so wollte, dann sollte er doch da unten liegen bleiben. Doch dann kam ihr ein anderer Gedanke. Was wenn er nicht ohne Hilfe von dort unten hoch kam, wie am Abend zuvor. Sie drehte sich wieder zu ihm und wollte ihn gerade fragen, ob es ihm gut ginge, da stemmte er sich rückwärts am Bett hoch und setze sich neben sie auf die Kante. Etwas verwirrt sah er auf seinen Wecker, dann fluchte er.

„Was ist los?“ fragte Lily und folgte seinem Blick. Verdammt. Es war bereits halb neun durch. Adam fuhr sich durchs Haar und griff dann nach seinem Handy, das neben dem Wecker auf dem Nachttisch lag. Er schaltete es ein. Zehn SMS und fünf verpasste Anrufe. Alle von John. Seufzend wählte er und wartete bis sein bester Freund abhob.

„Adam, verdammt wo hast du gesteckt?“ Jonathan war gerade in einem Meeting, doch als er Adams Nummer auf dem Display seines Handys sah, entschuldigte er sich und verließ das Konferenzzimmer.

Im Flur lehnte er sich an die Wand.

„Zuhause!“ kam Adams spärliche Antwort. Gerade wollte er ziemlich wütend nachhaken, immerhin hatte er sich ziemliche Sorgen um den Schwarzhaarigen gemacht. Und wenn nicht dieses verdammte Meeting gewesen wäre, dann hätte er schon längst vor dessen Haustür gestanden.

„Ich habe verschlafen!“ John riss die Augen auf. Das war nicht sein Ernst! Adam verschlief nicht, niemals. In den ganzen fünf Jahren, die er ihn schon kannte, war er nicht einmal zu spät zur Arbeit erschienen.

„Was ist passiert?“ Hatte er endlich mal die Schlafmittel genommen, die der Arzt ihm extra verschrieben hatte, da Adams Schlafpensum nächteweise gegen Null ging. Vor allem Nächte die eng im Zusammenhang mit dem Unfall vor zwei Jahren standen. Und heute war der Jahrestag. Kein Guter. Ein weiter Grund, der Jonathan dazu veranlasste sich Sorgen um Adam zu machen.

„Nichts ist passiert!“ erwiderte Adam unwillig. Er saß noch immer auf der Bettkante und warf einen vorsichtigen Blick zu Lily, die ihn mit hochgezogener Augenbraue ansah. Okay, es war etwas passiert, aber darüber würde er bestimmt nicht reden, solange sie neben ihm lag. Aber Jonathan ließ sich nicht so leicht abfertigen, auch wenn er das gerne gehabt hätte.

„Adam, verarsch mich nicht! Ich habe einen Kalender. Und ich weiß welcher Tag heute ist! Also hör auf mir etwas vorzumachen!“ fing der Blonde auch sofort an und ging unruhig auf und ab. Was war bloß los mit Adam. Er klang ruhig und keineswegs so wie er ihn an solchen Tagen kannte. Aber das musste auch nichts heißen. Sein Freund war keineswegs ungeübt anderen etwas vorzuspielen. Jetzt hörte er Adam tief durchatmen.

„Mein Knie ist dick und meine Hüfte tut etwas weh. Außerdem werde ich eine schöne Beule bekommen. Aber ansonsten geht es mir gut, John!“ Liliana sah wie Adam sich wehrte und unsicher immer wieder zu ihr sah. Anscheinend wollte er vor ihr nicht frei mit Jonathan reden. Also stand sie auf und ging zur Tür.

„Ich gehe mal nach den Kindern sehen und mache Frühstück.“ Er nahm das Handy vom Ohr und hielt die Sprechmuschel zu.

„Ich fahre heute nicht mehr in die Firma, also brauchst du dich nicht extra schick zu machen!“ Kurz hob sie die Augenbraue, nickte dann allerdings und verschwand aus dem Zimmer. Adam legte sich auf den Rücken und streckte sich aus. Dann hielt er sich das Handy wieder ans Ohr.

„…erzähl mir keinen Scheiß!“ bekam er Johns letzte Worte gerade noch mit. Er schloss die Augen.

„Sorry, aber ich habe dir gerade nicht zugehört.“ Murmelte er. Jonathan, der sich inzwischen in sein Büro zurückgezogen hatte, da er auf dem Flur nicht wirklich alleine gewesen war, starrte wortlos auf seinen Computer. War das sein Ernst? Er hatte ihm gerade die Leviten gelesen, dass er so nicht mit ihm umgehen konnte. Dass er ihn gut genug kannte um zu wissen, dass irgendetwas passiert war. Und Adam hörte ihm einfach nicht zu?

„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Ich habe mir die letzte dreiviertel Stunde verdammte Sorgen gemacht wie es dir geht! Und dann hörst du mir nicht mal zu! Ich…“

„Lily, war bei mir!“ Damit brachte er Jonathan zum verstummen.

„Du hast mit ihr darüber geredet?“ Leise Hoffnung keimte in Jonathan. Er hatte einen Grund gehabt Lily einzustellen. Und der hatte wenig damit zu tun, dass sie wirklich gut für diesen Job geeignet war. Sicher, sie hatte die entsprechenden Qualifikationen, aber sie war ihm auch als sehr offene Frau erschienen. Und sie war eine Kämpfernatur. Das war der Hauptgrund, denn sie würde sich nicht so einfach von Adam unterkriegen lassen. Er hatte sie nie eingestellt, damit sie Ann und Clara unterstützte, sondern damit sie Adam endlich aus seiner selbst gewollten Einsamkeit riss.

„Nein!“ Damit zerschlugen sich Johns Hoffnungen wieder. Aber Adams nächste Worte erschütterten ihn.

„Ich habe mich bei ihr ausgeheult!“ Meinte Adam da wirklich was er sagte? Hatte er sich ihr wirklich anvertraut?

„Du hast ihr alles erzählt?“ Adam schnaubte auf diese Frage. Als ob er am Abend zuvor auch nur in der Lage gewesen war darüber zu reden. Selbst jetzt schnürte sich sein Hals zu und die Erinnerung lauerte unter der Oberfläche, obwohl sie es nicht mal wirklich angeschnitten hatten.

„Ich habe mich lächerlich gemacht!“ Er rollte sich auf die Seite. Spielte mit dem Zipfel der Decke, die Lily in der Nacht benutzt hatte. Ja das hatte er, sich lächerlich gemacht. Er wusste nicht wie Lily es schaffte, so leicht damit umzugehen, was am Abend geschehen war. Er schaffte es auf jeden Fall nicht. Nein, im Gegenteil. Er schämte sich dafür.

„Erzählst du mir, was passiert ist?“ fragte Jonathan vorsichtig und wartete. Fast fünf Minuten war es zwischen ihnen fast muksmäuschen still. Nur ihr beider Atem war zu hören, dann holte Adam tief Luft.

„Ich bin zusammengebrochen. Lily hat mich in den Arm genommen und getröstet. Dann hat sie mir ins Bett geholfen und ist hier geblieben. Ich habe ziemlich durchgeschlafen, bis auf ein paar Unterbrechungen.“ Murmelte er leise. Er biss sich auf die Unterlippe. Bis jetzt hatte ihn nur John so gesehen. Und sein jüngerer Bruder Andy. Denn der war es gewesen, der im Krankenhaus an seiner Seite gewesen war, als er nach dem Unfall aufwachte. Seit dem hatte er sich immer mehr von seiner Familie zurückgezogen und auch von seinen Freunden. Nur John war geblieben. Hartnäckig hatte er es geschafft zu dem Schwarzhaarigen durchzudringen.

„Adam. Dafür brauchst du dich nicht schämen. Und ich bin mir sicher Lily macht dir deswegen mit Sicherheit keine Vorwürfe, das kann ich mir gar nicht vorstellen!“

„Nein, sie war sehr verständnislos und sie hat keine Fragen gestellt. Trotzdem. Ich bin ihr Chef.“ Adams Stimme wurde immer leiser, bis sie verstummte.

„um genau zu sein, bin ich ihr Chef, denn du kannst ihren Vertrag nicht kündigen!“ erklärte John ruhig.

„Das hat Lily auch gesagt.“ Adam rollte sich auf die andere Seite. Unruhig, ahnungslos wie er Lily jetzt entgegen treten sollte.

„Also, warum machst du dir dann solche Gedanken. Du hast nichts Falsches getan. Und jetzt sag mir warum dein Knie wieder dick ist und dein Bein weh tut!“ Wollte John wissen, denn er machte sich immer noch Sorgen um seinen Freund.

„Es ist nicht weiter schlimm. Ich musste gestern nur irgendwie wieder hochkommen und im Gegensatz zu dir packt Lily mich nicht. Ich habe das Bein überbelastet, das ist alles.“ John wurde hellhörig. Bei Adam konnte Überbelastet alles bedeuten. Von `Ich habe ein wenig zu lange gestanden´ bis `Ich bin gestürzt´.

„Was hast du gemacht?“ fragte er deshalb auch sofort. Er hörte Adams leicht genervtes Seufzen, aber es war ihm egal. Er wollte eine Antwort und das wusste der andere auch.

„Ich habe mich beim aufstehen darauf knien müssen!“ Okay, das beruhigte John etwas. Das war definitiv eine Überbelastung, die eher harmlos war, denn das trainierte er auch hin und wieder mit seinem Physiotherapeuten.

„Okay... Dann brauche ich mir also keine Sorgen machen!?“ Auch wenn das eher eine Aussage sein sollte, schwang doch ein fragender Unterton in seiner Stimme mit.

„Nein, John, du musst dir keine Sorgen machen. Und im Notfall ist Lily ja hier!“ Adams Worte klangen ein wenig genervt, doch er war froh, dass er Jonathan hatte, auch wenn der manchmal etwas gluckenhaft war.

„Na dann… Wie sieht’s eigentlich aus? Kommt ihr heute noch mal in die Firma?“ meint der Blonde schließlich.

„Nein, ich werde heute nicht mehr in die Firma kommen und Lily muss dann ja auch nicht.“ Sagte Adam und sah auf seinen Wecker. Kurz nach Neun.

„Okay, dann macht euch einen ruhigen Tag. Ich komme heute Abend mal vorbei.“

„Musst du nicht! Es ist alles in Ordnung! Außerdem ist kurz vor Weihnachten. Du solltest die Zeit lieber mit deiner Freundin verbringen! Juliana wird dich doch mit Sicherheit schon sehnsüchtigst erwarten.“ Jonathan lachte auf Adams Worte.

„Lia, versteht sehr gut, dass ich mir Sorgen um dich mache! Ich komme heute Abend vorbei!“ erwiderte er fest und Adam wusste, davon würde er sich nicht abbringen lassen.

„Wenn es unbedingt sein muss! Dann werde ich eben kochen und du bringst Juliana gefälligst mit. Nicht dass du wegen mir noch deine Freundin vernachlässigst!“ Außerdem würde das John etwas davon abhalten um ihn herum zu scharwenzeln, denn auch wenn Juliana ihm in Bezug auf Adam viel durchgehen ließ, so merkte sie wann ihr Freund übertrieb. Und las ihm dann die Leviten.

„Okay, das ist in Ordnung! Dann bis heute Abend und hör auf die zu viele Gedanken wegen Liliana zu machen. Sie nimmt dir nichts davon krumm, glaub mir.“ Adam glaubte ihm. Lily war wirklich ein herzensguter Mensch, das hatte sie in den letzten beiden Tagen mehr als deutlich gezeigt. Und jetzt wo John seine Bedenken ein wenig beruhigt hatte, freute er sich fast schon ein wenig auf ihre Gesellschaft.

„Okay, bis später!“ Dann legte er auf und sah noch einen Moment an die Decke. Schließlich stand er auf und machte sich auf ins Bad. Vielleicht hätten Lola und Mark Lust etwas mit ihm zu spielen. Irgendwo auf dem Dachboden müsste noch eine Kiste mit seinem Kinderspielzeug sein. Seine Mutter hatte gemeint, er solle sie für seine eigenen Kinder aufbewahren. Er hatte damals gemeint, denen könne er doch dann auch etwas Neues kaufen. Wer konnte auch damit rechnen, dass er es wirklich mal gebrauchen würde.
 

Jonathan saß derweilen an seinem Schreibtisch und sah auf sein Handy. Er hatte gewollt, dass Adam und Liliana sich näher kamen. Klar hatte er nicht wissen können, ob dabei wirklich das herauskäme, was er Adam wünschte. Vor allem hatte er niemals damit gerechnet, dass die beiden sich so schnell näher kämen. Das Feuer in Lilianas Wohnung hätte er niemals gewollt, doch es hatte ihm ihn die Hände gespielt. Denn auch wenn Adams Haus nicht gerade klein war, so war es ihm doch unmöglich sich vor Liliana zu verstecken. Und egal was dabei heraus kommen würde. Die Nähe Lilys und ihrer Kinder tat ihm definitiv gut. Jonathan lächelte. Diese junge Frau einzustellen, war definitiv eine gute Idee gewesen. Mal schauen, was die Zukunft so brachte.

Familie und Antworten

Kapitel 6: Familie und Antworten
 

Riiing.

„Wer ist das?“ fragte Lola, als die Türklingel ertönte. Sie saßen im Wohnzimmer auf dem Boden und spielten mit den Legosteinen, die Lily vom Dachboden geholt hatte. Adam setzte gerade einen blauen Stein in den Pool, den er gerade baute und wechselte einen Blick mit Lily, die es sich mit einem Buch auf der Couch bequem gemacht hatte.

„Jonathan wird es ja wohl nicht sein, du hast gesagt er käme erst nach Feierabend.“ Adam schüttelte den Kopf.

„Hat er auch gesagt.“ Er stemmte sich hoch in seinen Rollstuhl und wandte sich der Tür zu.

Ring…Ring…RingRing…Riiiiiing.

„Das ist nicht John! Das ist meine Mutter!“ murmelte er und ging dann um zu öffnen. Lola wollte ebenfalls aufstehen, doch Lily, die die Neugierde ihrer Tochter kannte hielt sie mit einem einzigen Blick davon ab. Seufzend wandte Lily sich wieder den Steinen zu.

„Mum. Dad. Andy.“ Adams Worte klangen alles andere als begeistert.

„Was wollt ihr hier?“ Keine Antwort auf seine Frage, stattdessen…

„Wie geht es dir Schatz? Ist alles in Ordnung? Wie hast du geschlafen? Hast du genug gegessen….“

„MUM!“ Adam sah seine Mutter genervt an und hätte ihr am liebsten die Tür vor der Nase zugeschlagen. Allerdings stand sie da schon im Flur und zog sich die Jacke aus. Na toll. Genau das was er jetzt brauchte.

„Was wollt ihr?“ Sein Vater und Andy sahen alles andere als begeistert aus.

„Wir wollten Majas Grab besuchen und dachten, du hättest vielleicht Lust mitzukommen!“ Die braunen Augen seiner Mutter sahen sanft auf ihn hinab. Adams Hände dagegen krallten sich so fest um die Lehnen seines Rollstuhls, dass seine Knöchel weiß wurden.

„Nein!“ Damit drehte er sich um und ging zurück ins Wohnzimmer. Lily sah ihn fragend an. Er wich ihrem Blick aus. Er wollte auf irgendetwas einschlagen. Wie konnten sie nur? Wie kam seine Mutter auf die verdammte Idee, dass er mit wollte? Zorn brodelte in seiner Brust. Zorn und Schmerz. Statt irgendetwas zu zertrümmern ließ er sich wieder auf die Decke am Boden sinken und nahm den nächsten Stein. Seine Hände zitterten. Lily beobachtete Adams blasses Gesicht, seine Zitternden Finger. Sie hatte das Gespräch im Flur gehört, Adam hatte die Tür nicht ganz hinter sich zugezogen, selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie das alles andere als leise Gespräch nicht überhören können. Wer war Maja? Adam lies den Baustein fallen. In seinem Kopf jagten sich die Gedanken. Maja. Warum wollte seine Mutter unbedingt, dass er ihr Grab besuchte. Warum konnte sie ihn damit nicht zufriedenlassen? Er würde das nicht schaffen. Allein der Gedanke daran, an ihrem Grab zu stehen, allein der Gedanke an Maja brachte ihn dem Abgrund immer näher. Adam vergrub das Gesicht in den Händen. Lily legte ihr Buch zur Seite und sprang auf. Sie ließ sich neben ihn auf die Knie sinken und legte die Hände an seine Wangen.

„Adam, sieh mich an!“ Langsam hob er den Kopf, ließ die Hände sinken. Seine grauen Augen waren verschleiert. Aus ihnen schrie Lily Schmerz entgegen. Sie streichelte mit den Fingerspitzen langsam durch sein dunkles Haar.

„Was ist los?“ fragte sie sanft und sah ihn fest an. Adam erschauerte. Jeder Muskel in seinem Körper war angespannt. Vorsichtig zog Lily ihn an sich. Er ließ es geschehen, lehnte den Kopf an ihre Schulter. Es erinnerte sie stark an den vergangenen Abend.

„Maja.“ Flüsterte Adam und sah zu ihr auf. Sie zog ihn noch ein wenig näher zu sich.

„Wer…wer war Maja?“ fragte sie vorsichtig, zögernd. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass es anders war, als am Abend zuvor. Heute war sein Blick klarer, er war noch nicht gefangen in seiner Erinnerung und vielleicht…vielleicht würde er ihr antworten. Adams Hand krallte sich in ihre Bluse, er atmete zittrig ein. Lily hatte ein Recht auf eine ehrliche Antwort. Nach allem, was sie für ihn getan hatte… Sie hatte zumindest das verdient.

„Meine…“ Er stockte, die erste Träne lief über seine Wange und tropfte auf ihre Schulter.

„Meine kleine Schwester!“ Er hatte es ausgesprochen. Nach zwei Jahren hatte er es endlich wieder ausgesprochen. Es tat weh, aber irgendwie war es auch erleichternd. Also atmete er noch einmal tief durch und sprach dann leise weiter. Stockend, doch mit jedem weiteren Wort wurde es leichter.

„Maja war meine kleine Schwester. Vor zwei Jahren… Wir waren am zweiundzwanzigsten Abends zusammen im Theater… Als wir nach Hause fuhren… hatten wir einen schweren Unfall. Maja…Maja war sofort… tot.“ Trotz all der Erinnerungen die über ihn hinweg fluteten fühlte er sich sicher in Lilys Armen. Er vergaß seine Familie, die im Türrahmen stand und unsicher auf sie hinabsahen. Er vergaß die Kinder, die ihr Spiel unterbrochen hatten und ihn ansahen. Unwissend was geschah, aber mit wachen Augen. Es war das erste Mal, dass er darüber sprach. Über das was passiert war.

„Ich… ich habe sie… sterben sehen. Ich erinnere mich an jeden einzelnen Moment. Die Ampel, das andere Auto. Sie ist gefahren… sie hatte gerade ihren Führerschein gemacht.“ Adam lächelte schwach an ihrer Schulter an der ihre Bluse inzwischen vollständig durchweicht war.

„Der andere Fahrer kam von links… er hat die Fahrerseite… voll erwischt… Dabei war die Ampel doch rot! Das nächste was ich sah war Maja. Ihr blasses Gesicht, ihre leblosen Augen und das Blut. Da war so viel Blut! Ihres… Meines…“ Lily drückte seinen zitternden Körper fester an sich. Strich ihm tröstend durchs Haar. Immer und immer wieder.

„Es ist vorbei! Es ist vorbei!“ flüsterte sie leise. Irgendwann versiegten Adams Tränen, er klammerte sich nicht mehr an sie. Vorsichtig strich Lily ihm die dunklen Strähnen aus der Stirn. Er hatte die Augen geschlossen, sein Atem ging gleichmäßig. Er schlief. Lily schnaubte leise. Wahrscheinlich konnte ihn so schnell jetzt erst einmal nichts mehr wecken. Nach gestern Abend und der unruhigen Nacht, war er sowieso schon den ganzen Morgen über müde gewesen. Und jetzt dieser seelische Marathon. Er hatte Ruhe verdient. Vorsichtig um ihn nicht zu wecken setzte sie sich anders hin, sodass sie mit dem Rücken an der Couch lehnte und Adam mit dem Kopf in ihrem Schoß lag. Mark nahm die Flickendecke von der Couch und tappte damit zu seiner Mutter.

„Danke, Mark!“ Sie breitete die Decke über Adam aus und sah dann zu den Besuchern auf. Seine Eltern und sein Bruder, wie es schien, standen noch immer im Türrahmen. In ihren Augen lag Schmerz und irgendetwas, das Lily nicht genau verstand. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass keiner von ihnen die Details von Majas Tod bisher gekannt hatte.

„Kommen sie und setzten sie sich. Er wird wohl noch eine Weile schlafen.“ Der schlaksige junge Mann nahm sich als erster zusammen und kam auf sie zu.

„Ich bin Adams Bruder Andre. Aber alle rufen mich Andy!“ Er hielt ihr seine Hand entgegen. Er könnte Adams Zwilling sein. Allerdings schien er einige Jahre jünger. Lily ergriff seine Hand.

„Und das sind unsere Eltern. Elisabeth und Nicolai Woods!“ Nur langsam kamen die beiden erwachsenen näher und setzten sich auf die Couch gegenüber von Lily und Adam.

„Ich bin Liliana Berger. Und das sind Mark und Lola!“ Sie deutete auf die Kinder, die inzwischen wieder mit den Legosteinen spielten. Dann war es still im Raum.

„Ich habe nicht gewusst, dass er so sehr darunter leidet!“ flüsterte Elisabeth schließlich traurig. Ihr Ehemann legte ihr einen Arm um die Schultern.

„Beth, Schatz, mach dir keine Vorwürfe.“ In den braunen Augen der Frau schimmerten Tränen.

„Er hat versucht uns zu schützen.“ Sagte Andy leise. Er hatte sich zu Lola gesetzt und drehte eines der Legomännchen zwischen den Fingern.

„Adam wollte nie, dass wir uns Sorgen um ihn machen. Im Krankenhaus, kurz nach dem er aufgewacht war, hat er zu mir gesagt ich solle mich um euch kümmern. Nicht um ihn. Er käme damit zurecht.“ Er strich sich durch das schwarze Haar, das etwas länger als Adams war.

„Ich dachte er bräuchte nur etwas Zeit. In den zwei Jahren hat er es immer einfach abgetan, wenn ich ihn darauf ansprach. Ich dachte er hätte sich damit arrangiert.“ Andy sah auf seinen schlafenden Bruder.

„Er hat schon immer gedacht, er müsse der Starke von uns sein, nur weil er der älteste von uns war. Eigentlich hätte ich es wissen müssen!“ Es herrschte stille im Wohnzimmer, bis Adams Mutter es nicht mehr aushielt.

„Ich koche uns einen Tee!“ Damit erhob sie sich und Nicolai erhob sich ebenfalls.

„Auf der Küchenteke in der roten Blechdose sind Plätzchen.“ Sagte Lily schnell und streichelte Adam durchs Haar, er regte sich ein wenig, drehte sich dann allerdings nur etwas, sodass er das Gesicht an ihren Bauch presste.

„Adam hat nie etwas von einer Freundin erzählt!“ Andy betrachtete sie forschend, Lily wich seinem Blick aus und seufzte.

„Ich bin auch nicht seine Freundin. Ich bin seine Sekretärin. Meine Wohnung ist abgebrannt und weil ich nicht wusste wohin, da hat Adam uns angeboten hier zu wohnen bis ich etwas anderes gefunden habe.“ Erklärte sie leise und sah zum Fenster, wo Schneeflocken langsam zur Erde fielen.

„Das sieht Adam gar nicht ähnlich.“ Murmelte Andy.

„Ich glaube auch, dass er es weniger meinetwegen getan hat. Den Ausschlag haben wohl eher die Kinder gegeben.“ Andy sah die Frau an, die da auf dem dicken Teppich vor dem Sofa saß und Adam sanft übers Haar strich. Er beobachtete diese Geste schon, seit sie sich zu ihm hinab gehockt hatte. Und Adam, der seit Majas Tod immer empfindlicher auf Berührungen reagiert hatte, ließ es zu. Er schmiegte sich sogar noch näher an sie, ließ sich von ihr trösten, als er zusammenbrach. Und er hatte ihr erzählt, was bei Majas Tod geschehen war. Denn auch wenn sie alle dabei gewesen waren, so war für ihn doch eindeutig gewesen, dass er seine Worte alleine an Liliana gerichtet hatte. Die jetzt allerdings behauptete, sie wäre nichts weiter als seine Sekretärin. Da kannte Andy seinen Bruder allerdings besser. Selbst vor dieser ganzen Geschichte, als er noch gesund war, hätte sich Adam niemals von einer Frau so anfassen lassen, die ihm nicht nahestand.

„Er sollte mit zum Friedhof gehen!“ Lily spürte wie Adam sich bei Andys Worten anspannte.

„Warum?“ fragte sie ruhig.

„Weil es ihm helfen könnte abzuschließen. Er war noch nie an ihrem Grab. Damals zur Beerdigung, da lag er noch im Krankenhaus und danach hat er sich immer geweigert.“

„Ich kann nicht!“ Die leisen verzweifelten Worte kamen von Adam. Anscheinend war er wach geworden und hatte die letzten Worte mitbekommen.

„Warum nicht?“ fragte der jünger sanft.

„Hast du aus dem Fenster gesehen? Wir haben bestimmt zwanzig Zentimeter Schnee…“

„…und er Friedhof ist sowieso kein besonders behindertenfreundliches Gelände. Das sagst du jedes Mal Bruderherz.“ Andy sah seinen Bruder eindringlich an.

„Eine viertel Stunde. Das schaffst du mit den Stützen, danach…“ Adam schüttelte den Kopf. Er hatte Angst vor sich selbst, Angst davor, was geschehen könnte.

„Adam, wenn du mitkommst, sprechen wir das Thema nie wieder an, wenn es das ist was du möchtest!“ Vorsichtig setzte Adam sich auf.

„Kannst du mir das versprechen?“ Langsam nickte Andy. Egal, was seine Eltern auch sagen würden, er würde es durchsetzen. Für Adam, auch wenn er glaubte, dass er ihn nur dieses Mal überreden müsste. Danach würde Adam freiwillig gehen. Woher er das wusste? Ihm war es selbst so gegangen.

„Ich verspreche es! Und wenn du möchtest kann Liliana auch mitkommen!“ Adam nickte langsam und stemmte sich hoch in seinen Rollstuhl.

„Lass uns gehen!“ Andy stand ebenfalls auf.

„Ich gehe Mum und Dad holen!“ Doch da schüttelte der Ältere den Kopf. Seine grauen Augen waren hart.

„Du und Lily! Sonst komme ich nicht mit!“ Einen Moment kämpften die Brüder mit ihren Blicken, dann senkte Andy die Augen.

„In Ordnung.“ Adam verschwand um sich umzuziehen. Genau in dem Moment kamen ihre Eltern zurück ins Wohnzimmer.

„Was ist mit Adam los?“ fragte Elisabeth.

„Er kommt mit auf den Friedhof. Allerdings nur mit mir und Liliana. Ich weiß nicht, die Kinder…“

„…wir können solange auf sie aufpassen!“ schlug Nicolai vor und sah Liliana an. Er hatte dieses rothaarige Mädchen auf Anhieb gemocht und so wie sie mit seinem Jungen umgegangen war… Elisabeth sah ihren Mann ein wenig böse an. Sie war Adams Mutter, eigentlich sollte sie ihrem Sohn beistehen und nicht so ein wildfremdes Mädchen, von dem sie gerade einmal den Namen wusste. Aber Adams Zustimmung alleine war schon ein Fortschritt, auch unter diesen Bedingungen, dass sie nicht widersprechen wollte.

„Wenn es ihnen nichts ausmacht. Ich würde sie nur ungerne mitnehmen.“ Lily sah zu dem grauhaarigen Mann, der sich bei ihren ersten Worten zu Lola und Mark auf den Boden gesetzt hatte und fragte, was die beiden denn da bauten.

„Natürlich, das ist überhaupt kein Problem! Pass du nur gut auf meinen Jungen auf!“ Elisabeth sah Liliana fest an, diese nickte und verabschiedete sich dann von den Kindern. Zusammen mit Andy wartete sie im Flur bereits fertig angezogen auf Adam. Der kam wenige Minuten später mit ein paar schwarzen Stützen in der Hand. Dann zog er sich Turnschuhe an und stand auf. Andy hielt ihm die Tür auf und beobachtete die vorsichtigen Schritte seines Bruders hinaus in den Hof und zu seinem Auto. Lily machte ihm die Wagentür auf und setzte sich selbst auf die Rückbank. Die Fahrt zum Friedhof brachten sie schweigend hinter sich. Dort blieb Adam erst einmal sitzen und sah vor sich auf das Armaturenbrett.

„Egal, was jetzt passiert! Wir sind für dich da!“ erklärte Andy ernsthaft und öffnete dann die Tür um Adam beim aussteigen zu helfen. Den verschneiten Weg über den Friedhof flankierten sie ihn. Lily rechts und Andy links. Schließlich blieben sie vor einem unter Schnee verborgenen Grab stehen.

„Hier ist es!“ Andy trat vor und wischte ein wenig der weißen Pracht beiseite. `Maja Woods´ stand dort in geraden harten Lettern. Adam schluckte schwer. Er hatte Maja geliebt. Sie hatte ihn nur mit ihren großen Augen ansehen müssen und er hätte ihr die Sterne vom Himmel geholt, wenn sie es sich gewünscht hätte. Sie war das Nesthäkchen gewesen, acht Jahre jünger als er selbst. Sie hatte immer gelächelt und sie hatte ihn immer zum Lachen gebracht. Maja war eine fröhliche junge Frau gewesen. Sie hätte nicht gewollt, dass er sich selbst so gehen ließ, weil sie nicht mehr da war. Sie hätte gewollt, dass er lächelte. Kalt blies der Wind ihm um die Ohren, ließ seine Finger fast erfrieren, da er mal wieder keine Handschuhe trug. Seine Schuhe waren inzwischen vollkommen durchnässt. Maja würde ihn jetzt schimpfen, wie er nur so unverantwortlich mit seiner Gesundheit umgehen könnte. Sie hätte ihn so niemals aus dem Haus gelassen, auch wenn die Turnschuhe die einzigen waren, die er problemlos tragen konnte, einfach, weil sie leichtgenug waren. Maja hatte den Winter geliebt. Die Kälte, den Wind und den Schnee. Sie war jedes Jahr durch den Schnee gerannt, hatte die kleinen Flocken mit dem Mund gefangen und ihn mit Schnee beworfen. Er erinnerte sich an ihr glockenhelles Lachen, ihre Geröteten Wangen und ihre funkelnden Augen. So wollte er seine Schwester in Erinnerung behalten, als die fröhliche, lebenslustige junge Frau, die sie gewesen war. Liliana beobachtete die Brüder wie sie neben dem Grab standen und stumm auf den Schriftzug starrten. Andys Augen waren ein wenig traurig, er hatte die Hände in seine Jackentasche gestopft und scharrte etwas unruhig im Schnee. Adam dagegen stand völlig still, als wäre er aus Stein. Nur der Wind zerzauste seine schwarzen Haare, Schnee verfing sich in ihnen. Seine Wangen waren gerötet. Seine Augen in die Ferne gerichtet. Eine einzelne Träne rann über seine Haut. Doch seine Lippen waren zu einem leichten Lächeln verzogen. Lange standen sie so stumm an Majas Grab, bis Lily schließlich entschied, dass es ihr zu kalt wurde. Auch die viertel Stunde, von der Andy gesprochen hatte war schon lange vorbei.

„Adam, Andy! Lasst uns zurückgehen!“ Die Brüder sahen sie erst verwirrt an, nickten dann allerdings. Adam strauchelte schon beim ersten Schritt und hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen.

„Scheiße! Du bist viel zu lange gestanden!“ Andy stützte seinen Bruder sofort und sah ihm ins Schmerzverzerrte Gesicht.

„Geht schon!“ murmelte er leise und machte vorsichtig den nächsten Schritt. Er schaffte keine zwei Meter, dann rutschte ihm die eine Stütze weg. Er setzte sich rücklings in den Schnee. Leise stöhnte er und versuchte wieder auf die Beine zu kommen, doch erst mit Lilys und Andys Hilfe gelang es ihm. Sie hakten sich rechts und links bei ihm unter und führten ihn zum Wagen. Erleichert ließ Adam sich auf den Sitz sinken und schloss die Augen. Wortlos fuhren sie wieder zurück. Bei Adam angekommen verschwand er ersteimal nach oben um sich trockene Kleider anzuziehen, während Andy seinen Eltern einen kurzen Bericht erstattete. Lily setzte sich zu ihren Kindern auf den Teppich und ließ sich zeigen was sie in ihrer Abwesenheit gebaut hatten. Dann verabschiedeten sich Adams Eltern mit der Einladung an Adam, er solle doch morgen mit Liliana und den Kindern zum Abendessen vorbeikommen. Der schwarzhaarig, der ziemlich fertig schien schloss die Haustür hinter seiner Familie und kam dann zu Liliana ins Wohnzimmer. Er war blass und sichtlich erschöpft.

„Vielleicht solltest du dich hinlegen bis Jonathan mit seiner Freundin kommt.“ Er schüttelte den Kopf.

„Ich habe gesagt ich koche das Abendessen.“ Liliana erhob sich.

„Du legst dich hin und wenn es nur hier auf der Couch ist und ich kümmere mich um das Essen!“ Mit einer entschiedenen Geste deutete sie auf das Möbelstück. Als er sich weigern wollte hielt sie ihm ihre Hand zur Unterstützung hin und nach kurzem Zögern ergriff er sie. Seine Finger waren eiskalt. Kurz darauf lag er lang ausgestreckt auf der Couch und Lily deckte ihn zu.

„Ich mache dir einen Tee und du ruhst dich so lange aus!“ Dann griff sie nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher an. Bei einem Kinderkanal blieb sie hängen und kurze Zeit später saßen Lola und Mark bei ihm auf der Couch und sahen gebannt auf den Flachbildschirm. Sie strich den beiden übers Haar und ging dann in die Küche. Sie wartete darauf, dass das Wasser zu kochen anfing, und legte währenddessen alle Zutaten, die sie für ein Lasagne brauchte bereit. Fünf Minuten später brachte sie Adam den Tee und eine Wärmflasche. Er sah sie unter halb geschlossenen Augen dankbar an. Als sie das nächste Mal nach ihm sah, war er eingeschlafen und Lola und Mark saßen wieder bei den Legosteinen auf dem Boden. Also schaltete sie den Fernseher wieder aus und ging auf leisen Sohlen zurück in die Küche.

Kurz nach halb sieben klingelte es an der Haustür. Lily legte das letzte Messer an seinen Platz und ging dann um auf zu machen. Vor der Tür stand Jonathan und eine zierliche Frau mit kurzen braunen Haaren und einem sanften Lächeln.

„Hi, Lily. Das ist meine Freundin Juliana. Lia, Adams neue Sekretärin.“ Die beiden Frauen gaben sich die Hand, dann sah Jonathan sich suchend um.

„Wo ist Adam?“ Lily deutete über ihre Schulter.

„Im Wohnzimmer. Als ich das letzte Mal nach ihm gesehen habe hat er geschlafen.“ Erklärte sie. Dann folgten Lily und Juliana Jonathan ins Wohnzimmer. Er setzte sich zu seinem Freund auf die Sofakante und rüttelte ihn leicht an der Schulter.

„Hey Adam!“ Der Schwarzhaarige blinzelte müde und setzte sich langsam auf.

„Hey John! Ihr seid schon da?“ Er gähnte und rieb sich erst einmal über die Augen.

„Heißt das, es gibt kein Abendessen?“ fragte John mit hochgezogener Augenbraue.

„Doch, aber Lily hat gekocht!“ John erhob sich und ging zur Tür, als ihm auffiel, dass sein Freund ihm nicht folgte. Abwartend drehte er sich um und sah Adams hilfesuchenden Blick. Kurzerhand hob er seinen Freund einfach ihn dessen Rollstuhl und schob ihn Richtung Küche. Adam war während des gesamten Essens still und John glaubte mehrmals zu sehen wie ihm die Augen zu fielen. Also erhob er sich als alle fertig waren.

„Adam, ich würde gerne unter vier Augen mit dir reden!“ Gemeinsam verließen sie das Zimmer und fuhren nach oben.

„Was ist los mit dir? Du siehst aus, als könntest du auf der Stelle einschlafen!“ Adam gähnte und schaffte es irgendwie in sein Bett zu kommen.

„Meine Eltern und Andy waren vorhin da und ich war mir Andy und Lily auf dem Friedhof. Es war einfach anstrengend!“ grummelt er und schon fielen ihm die Augen zu.

„Okay, dann schlaf dich aus! Wir reden ein andermal.“ Seufzte John und zog die Decke über seinen Freund, der nur noch zustimmend grummelte und dann eingeschlafen war. John betrachtete noch einen Moment sein friedliches Gesicht und stand dann auf.

„Gute Nacht Adam!“ flüsterte er leise und machte sich dann auf den Weg nach unten. Lily und Lia hatten zusammen den Tisch abgeräumt und saßen jetzt bei einer Tasse Tee zusammen. Sie unterhielten sich über den neusten Kinofilm, unterbrachen sich allerdings als John hereinkam.

„Wie geht es ihm?“ fragte Lily.

„Er war ziemlich erschöpft und ist fast sofort eingeschlafen.“ John zuckte mit den Achseln.

„Ja, das war er schon, seit wir vom Friedhof zurück sind!“ Damit war das Thema erledigt und sie unterhielten sich noch ein wenig über andere Dinge bis John und Lia sich schließlich verabschiedeten. Als das Paar gegangen war, schnappte sich Lily ihre Kinder. Sie räumte mit ihnen das Legochaos im Wohnzimmer auf und steckte die Beiden ins Bett. Bevor sie selbst schlafen ging sah sie noch einmal kurz nach Adam. Er schlummerte seelenruhig. Beruhigt schloss sei leise seine Tür und ging in das zweite Gästezimmer, das eigentlich für sie vorgesehen war.

Heiligabend

Kapitel 7: Heiligabend
 

Lily streckte sich um den Stern auf die Spitze des Tannenbaums zu setzten, allerdings fehlten immer noch ein paar Zentimeter. Fluchend ließ sie sich zurück auf die Fersen sinken.

„Mama, das ist ein böses Wort!“ Lola stemmte die kleinen Hände in die Hüften. Adam lachte und fing sich einen tödlichen Blick des Mädchens ein. Beschwichtigend hob er die Hände. Lily stand noch immer mit dem goldenen Stern in der Hand da und sah ganz unschuldig drein.

„Aber wenn der doofe Stern doch nicht will!“ Jetzt konnte Adam nicht mehr. Sie sah einfach nur so unschuldig drein. Er lachte aus vollem Hals. Lily und Lola sahen ihn nur verständnislos an. Atemlos und noch immer glucksend hielt er sich den schmerzenden Bauch. Lily zuckte mit den Schultern und versuchte erneut ihr Blick mit dem Stern. Allerdings kam sie ins Straucheln und nur Adams schnelle Reaktion hielt sie davon ab in den Tannenbaum zu fallen. Er hatte sie gerade noch so am T-Shirt saum erwischt.

„Hey, nicht fallen!“ Er lächelte. Lily ließ resigniert die Schultern hängen.

„Ich bin einfach zu klein!“ Adam zögerte kurz und nahm ihr dann den Stern aus der Hand.

„Ich mach das!“ Vorsichtig stand er auf und konzentrierte sich darauf erst einmal sein Gleichgewicht zu finden. Ein schlanker Arm legte sich um seine Hüfte. Dankbar lehnte er sich ein wenig an Lily und befestigte den Stern. Dann blieb er stehen, auch wenn er dafür spätestens am Abend die Quittung bekäme. Aber er war Glücklich. Das erste Mal seit Majas Tod war er glücklich. Und das lag an Lily und ihren Kindern. An Lola und Mark, die ihn so hin nahmen wie er war, ihn trösteten und zum Lachen brachten. Und an ihrer Mutter, die ihm die Sicherhit gab, dass da jemand war, der ihn auffing. Aber so würde es nicht bleiben. Das war ihm bewusst. In ein oder zwei Wochen hätte Lily eine neue Wohnung gefunden und dann würden sie wieder ausziehen. Und er wäre wieder alleine. Alleine mit seiner Vergangenheit.

„Hey, einen Pfennig für deine Gedanken!“ Lily sah zu Adam auf. Irgendwie wurde sein Blick immer trauriger. Lag das an ihr? Weil sie ihn einfach so stützte? Oder dachte er an seine Schwester? Ihre Worte schüttelten ihn aus seiner Trance. Er drehte sich ein wenig zu ihr und sie versank in seinen klaren grauen Augen. Alles um sie herum trat in den Hintergrund. Federleicht legten Adams Lippen sich auf ihre. Lily streckte sich ihm entgegen. Ihre Hand legte sich in seinen Nacken und zog ihn zu sich hinunter. Sanft erwiderte sie den Kuss. Sie wussten nicht wie lange sie so dastanden. In Adams Wohnzimmer, vor dem Weihnachtsbaum, eng umschlungen. Erst die Türklingel ließ sie ertappt auseinander fahren. Lilys Wangen röteten sich, als sie Adam in den Rollstuhl half und dann schon fast fluchtartig das Zimmer verließ um die Tür zu öffnen. Hätte sie es bloß nicht getan. Wie erstarrt blickte sie auf die drei Menschen vor der Tür. Ihre Eltern und …Brad!

„Was wollt ihr?“ fragte Lily emotionslos. Sie hatte es schon lange aufgegeben, sich darüber aufzuregen, dass ihre Eltern unvorbereitet vor ihr standen und über Brad reden wollten. Immerhin hatten sie ihren Ex nicht mitgebracht. So wie diesmal. Sie wollte ihn nicht sehen, so viel war während ihrer Ehe schief gelaufen. Und auch wenn sie getrennt waren, so behandelte er sie immer noch, als wäre er ihr Ehemann.

„Es ist Weihnachten, das Fest der Familie und der Liebe! Schatz!“ Lilianas Mutter trat näher und sah ihre Tochter bittend an.

„Und warum habt ihr ihn dann mitgebracht?“ Sie deutete auf Brad, der hinter ihrem Vater stand und sie begierig anstarrte.

„Aber Lily. Er gehört doch auch zur Familie!“ Sie schnaubte empört.

„Nicht zu meiner Familie! Er kann mir gestohlen bleiben!“ Brad trat einen Schritt auf sie zu.

„Mark und Lola sind meine Kinder! Und du bist meine Frau! Natürlich sind wir eine Familie!“ Verständnislos sah Lily ihren Exmann an.

„Du kapierst es einfach nicht, oder? Wir waren eine Familie! Bevor du angefangen hast zu saufen, deine Wut an mir ausgelassen und die Kinder ignoriert hast! Wir sind geschieden! Und ich habe das alleinige Erziehungsrecht für die Kinder! Also lass mich endlich in Frieden!“ Eine große Warme Hand legte sich auf Lilys zur Faust geballten Finger. Sie sah zu Adam hinunter, der fragend zu ihr hinaufsah. Lily schüttelte nur resigniert den Kopf.

„Ach deswegen willst du nichts mehr von mir wissen! Du hast dir einen anderen Kerl gesucht?“ Brad trat direkt vor Lily. Sein braunes Haar war fettig, seine Augen blutunterlaufen. Und er stank nach Alkohol.

„Und noch dazu ein Krüppel!“ Er lachte dreckig, als Lily ihn böse anfunkelte und nun ihrer seits Adams Hand drückte.

„Was willst du von dem da? Der Versager kann es dir ja nicht mal richtig besorgen! Und so jemanden lässt du in die Nähe meiner Kinder?“ Jetzt brannten bei Lily sämtliche Sicherungen durch. Sie ließ Adams Hand los und stürzte sich wütend auf Brad. Verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.

„Das nimmst du zurück! Adam ist ein wesentlich besserer Mann als du jemals sein wirst!“ Brad packte sie an den Schultern und küsste sie roh auf die Lippen. Lily wehrte sich, er war um einiges stärker. Kurzerhand biss sie ihm in die Lippe. Er stieß sie von sich, sodass sie ins Stolpern kam und rückwärts in eine Schneewehe stürzte. Bedrohlich ging er ihr nach. Das war zu viel für Lilys Vater. Er hielt seinen ehemaligen Schwiegersohn an der Schulter fest.

„Du lässt auf der Stelle meine Tochter zufrieden!“ Als Antwort bekam er lediglich einen Kinnhaken, der den älteren Mann zu Boden schickte. Brad wandte sich Lily zu, die sich gerade aufrappelte und ihn ängstlich ansah.

„Nah, nicht mehr so mutig, was Süße?“ grinste er dreckig. Lily rutschte von ihm weg.

„Du bist ein elendiger Säufer! Sonst nichts.“ Er packte sie und verpasste ihr eine Ohrfeige, dass ihr Kopf zur Seite geschleudert wurde. Adam sah dem Schauspiel entsetz zu. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte nicht helfen. Er verfluchte seinen Rollstuhl. In Lilys Augen glänzten Tränen.

„Du musst immer alles kaputt machen!“ flüsterte sie. Adam stemmte sich mühsam hoch. Er musste ihr helfen. Es waren nur fünf Meter. Fünf Meter. Für ihn war das ewig weit. Aber Lily… Ohne lange darüber nachzudenken stolperte er los. Ignorierte den Schmerz. Sah nur Lilys angstverzerrtes Gesicht. Dann hatte er sie erreicht. Er riss Brad von ihr weg, stürzte mit dem braunhaarigen zusammen in den Schnee. Brad wehrte sich, schlug nach ihm. Traf. Aber Adam gab nicht nach. Mühte sich ihn unter Kontrolle zu bekommen. Den Schmerz spürte er gar nicht. Dann hatte er Brad auf dem Bauch, die Arme auf dem Rücken verschränkt. Keuchend saß er auf dem Braunhaarigen. Sah zu Lily, die sich in die Arme ihrer Mutter geflüchtet hatte und weinte. Die Schmerzen kehrten in sein Bewusstsein zurück, er stöhnte, als Brad sich unter ihm wand. Drückte ihm sein Knie fester in den Rücken, bis der andere still lag. Irgendwo erklang eine Sirene. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Adam biss sich auf die Unterlippe. Er durfte jetzt nicht loslassen. Ein Polizeiwagen fuhr die Einfahr hoch, gefolgt von einem Krankenwagen. Zwei Polizisten stürmten aus ihrem Auto und auf ihn zu.

„All..s ..n… Ord…ng?“ Er verstand nur die Hälfte von dem, was der junge Mann ihn fragte, also nickte er einfach und ließ es zu, dass sie Brad Handschellen anlegten. Lola kam aus dem Haus und auf ihn zu gestürmt.

„Der da hat meiner Mama weh getan!“ Sie zeigte auf Brad und versteckte sich dabei halber hinter, Adam, der noch immer auf dem Boden kniete. Lily fiel neben ihm auf die Knie.

„Ad..m? Kann… du... ch...ör…?“ Er sah ihr in die besorgten grünen Augen und sackte dann in ihren Armen zusammen.

Lily sah entsetzt auf den schwarzhaarigen hinunter. Er lag schweratmend an ihrer Brust. Ohnmächtig. Er hatte sie gerettet. Er hatte mit Brad gekämpft. Für sie. Dann war plötzlich die Polizei da gewesen. Die Sanitäter kamen mit der Trage auf sie zu und gingen neben ihr in die Knie. Vorsichtig hoben sie Adam aus dem kalten Schnee. Adam stöhnte und blinzelte.

„Lil…“ Sie griff nach seiner Hand und drückte sie fest.

„Ich bin hier Adam!“ Sie musste ihn loslassen, als er in den Krankenwagen geschoben wurde.

„Möchten sie mitfahren?“ fragte der ältere der beiden Sanitäter. Lily sah unsicher zu den Polizisten. Ihre Mutter kam auf sie zu.

„Fahr mit Schatz. Ich kümmere mich um die Kinder. Ruf mich an sobald du etwas weißt!“ Dankbar fiel sie ihr in den Arm und stieg dann in den Krankenwagen. Dort wurde sie auf einen Sitz dirigiert und fasste wieder nach Adams Hand. In der anderen hatte man ihm bereits einen Zugang gelegt. Er sah sie mit trüben Augen an, als sie ihm durch das dunkle Haar strich.

„Es tut mir so leid!“ flüsterte sie leise. Er lächelte schwach.

„Du kannst doch nichts dazu!“ Die restliche Fahrt war es still zwischen ihnen. In der Notaufnahmen wurden sie getrennt. Lily setzte sich auf einen Stuhl und wartete darauf, dass irgendjemand sie über Adams zustand informierte. Sie hatte Angst. Was wenn Brad in ernsthaft verletzt hatte. Nach knapp einer halben Stunde kam eine Schwester auf sie zu.

„Sind sie Frau Berger?“ Sie nickte und folgte dann der Schwester in einen Untersuchungsraum. Adam lag auf der Liege, auf dessen kannte ein Arzt saß, der sich bei ihrem Eintreten erhob.

„Guten Tag. Ich bin Doktor Simons.“ Liliana schüttelte seine Hand und trat dann zu Adam.

„Hei, wie geht’s dir?“ Der schwarzhaarige zuckte mit den Schultern, lächelte aber.

„Mach dir keine Vorwürfe. Es ist alles in Ordnung. Sie wollen nur noch mein Knie röntgen. Zur Sicherheit! Wenn nichts auffällig ist, dann darf ich nach Hause!“ Erleichtert küsste sie Adam auf die Wange und errötete sofort. Doch bevor sie noch etwas sagen konnten. Holte ein Pfleger ihn zum Röntgen ab. Lily blieb mit dem Arzt zurück.

„Er hat einige Prellungen und Abschürfungen. Dass er ohnmächtig wurde, lag an den Schmerzen, die seine alten Verletzungen hervorgerufen haben. Ich hätte ihn gerne eine Nacht hier behalten, aber er möchte nach Hause. Wenn die Bilder also ohne Befund sind, dann werde ich ihn gehen lassen. Das heißt aber, dass er sich die nächste Woche schonen muss!“ Lily nickte und blieb dann alleine zurück, als der Arzt ging um sich die Bilder anzusehen. Adam kam lächelnd und in einem Rollstuhl zurück in das Zimmer.

„Ich darf nach Hause.“ Lily widersprach nicht. Auch wenn, der Arzt vielleicht recht hatte. Aber sie konnte sich denken, dass er sich nicht besonders wohl im Krankenhaus fühlte. Also nickte sie nur und stand auf.

„Papa holt uns ab. Er dürfte gleich da sein, wollen wir schon einmal raus gehen?“ Adam nickte, also schob Lily ihn nach draußen und sah wie er erleichtert aufatmete. Seine ganze Körperhaltung wurde lockerer. Lilys Vater fuhr direkt vor dem Krankenhauseingang vor und stieg aus. Er half Adam auf den Beifahrersitz und brachte den Rollstuhl zurück, dann stieg er ein und startete den Wagen.

„Wie geht es Ihnen?“ fragte er nach einigen Minuten der Stille Adam.

„Ich bin froh, nach Hause zu dürfen.“ Murmelte er und sah aus dem Fenster. Lily legte ihm von hinten eine Hand auf die Schulter.

„Wer hat eigentlich die Polizei gerufen?“ Ihr Vater sah in den Spiegel und lächelte.

„Lola, das Schlitzohr. Sie hat angerufen und denen etwas davon erzählt, dass da ein böser Mann ist, der ihrer Mama weh tut. Naja, die dachten erst, dass sie einen Telefonstreich spielt. Aber die Kleine ist nicht blöd. Sie hat das Telefon an die Tür getragen, sodass die dort den Streit mitbekommen haben. Da haben sie eine Streife vorbeigeschickt.“ Er lenkte das Auto in die Einfahrt und schaltete den Motor ab. Als er die Beifahrertür öffnete, ging die Haustüre auf.

„Ich trage Sie bis zur Tür!“ Adam sah zu dem Älteren und dann auf die verschneiten fünf Meter bis zur Haustür. Wie hatte er die vor einer knappen Stunde überhaupt geschafft.

„Dich. Mein Name ist Adam!“ Er hielt Lilys Vater die Hand hin, die dieser ergriff und fest drückte.

„Robert!“ Dann wies er Adam an, seine Arme um seinen Hals zu legen und packte den Jüngeren unter den Knien und um den Rücken. Die Fünf Meter zum Haus hatte er schnell geschafft und setzte Adam in seinem Rollstuhl ab. Kaum war Robert zurückgetreten hatte sich Lilys Mutter dem Schwarzhaarigen in den Arm geworfen. Ihr kurzes rotes Haar strich ihm über die Wange.

„Danke, dass du unser Mädchen verteidigt hast. Ich bin Jula und…“ Lily zog ihre Mutter von Adam weg und verdrehte die Augen.

„Mama, bitte. Lass ihm doch Luft zum atmen!“ Jetzt wurde sie selbst in eine feste Umarmung gezogen, sodass ihr die Luft weg blieb.

„Es tut uns so leid Schatz. Wir haben Brad so falsch eingeschätzt. Du hattest Recht. Er ist nicht der Richtige für dich!“ Jula presste ihre Tochter fest an sich.

„Mama. Bitte. Es ist doch nichts wirklich Schlimmes passiert! Und das mit Brad ist jetzt ein für alle mal Vergangenheit!“ Es dauerte etwas bis sie ihre Eltern beruhigt hatte. Sie machte den beiden keinen Vorwurf. Sie hatten Brad nie so erlebt, wie sie. Nach einer Tasse Tee und einer Schale Plätzchen verabschiedeten sich ihre Eltern sich schließlich, da sie einen Tisch reserviert hatten und sich noch fertig machen mussten. An der Tür gaben sie Lily noch die Geschenke. Sie sollte sie unter den Tannenbaum legen und später öffnen. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, lief Lily die Treppe hinauf und zu Adams Schlafzimmer. Er hatte sich kurz nachdem sie aus dem Krankenhaus gekommen waren zurückgezogen um zu duschen. Da das inzwischen aber schon eine Stunde her war machte sie sich langsam Sorgen. Auf sein leises herein öffnete sie die Tür. Adam saß vor seinem geöffneten Kleiderschrank und hatte bereits mehrere Hosen hervorgezerrt.

„Was machst du denn da?“ Er sah zu ihr und seufzte leise.

„Ich weiß nicht was ich anziehen soll. Wir sind ja noch zum Essen bei meinen Eltern eingeladen…“ Lily hob eine schwarze Jogginghose vom Boden auf und hielt sie ihm hin.

„Hier, jeder wird es verstehen, wenn du die anziehst. Und vielleicht solltest du deinen Eltern absagen. Ich meine, dir geht es nicht so gut und…“ Adam nahm die Hose und drehte sie in der Hand.

„Das wird meine Mutter nicht akzepieren!“ Lily strich ihm über den Rücken und gab ihm noch einen grauen Rollkragenpullover.

„Ich werde deine Mutter anrufen!“ Er zögerte, gab ihr dann allerdings sein Handy. Leise seufzte er.

„Es ist ja nicht so, dass ich sie nicht sehen wollte. Aber hier kann ich mich zurückziehen, wenn irgendetwas ist. Und da sind noch die Treppen…“ murmelte er, während er sich anzog. Lily setzte sich auf sein Bett und wartete darauf, dass der Anruf angenommen wurde.

„Woods.“ Adams Dad war am Telefon. Lily atmete tief durch.

„Hallo Nicolai. Hier ist Liliana. Kann ich ihre Frau sprechen?“ Sie musste nicht lange warten, dann hatte sie Elisabeth am Telefon.

„Ich… Mein Exmann war vorhin hier… er hat sich mit Adam geprügelt. Also besser… Adam hat mich vor ihm beschützt. Es ist nichts Schlimmes passiert. Aber Adam ist ziemlich erschöpft und er möchte heute Abend zuhause bleiben.“ Kurz war es still am anderen Ende der Leitung.

„Das ist nicht euer Ernst. Es ist Weihnachten…“ Lily seufzte leise.

„Ich weiß, und es tut mir wirklich leid. Aber es wäre wirklich besser, wenn wir heute zu Hause bleiben. Ihr könnt höchstens her kommen!“ Sie wusste nicht wo der Gedanke herkam, aber irgendwie war es doch keine schlechte Idee. Adam hatte bei ihren Worten einen Moment lang skeptisch ausgesehen, dann allerdings zustimmend genickt.

„Okay, das bringt zwar meine ganze Planung ziemlich durcheinander. Aber das wird schon. Wir sind so in etwa einer Stunde da! Und du passt gut auf meinen Jungen auf!“ Damit hatte sie aufgelegt. Lily sah zu Adam.

„Sie kommen in einer Stunde.“ Adam nickte nur und rieb sich müde das Gesicht.
 

Um sechs Uhr Abends saßen sie zusammen am Esstisch. Adams Mutter hatte die ganze Mannschaft auf Trab gehalten. Bis auf Adam, der hatte Schonfrist. War mit einer Tasse Tee und ein paar Plätzchen ins Wohnzimmer verbannt worden. Andy und Nicolai waren mit den Kindern draußen im Schnee gewesen und hatten einen Schneemann gebaut, während Lily Elisabeth bei den Vorbereitungen fürs Abendessen half. Es gab Bratwürste mit Kartoffelsalat und grünem Salat. Adam saß sichtlich müde am Tisch, aber er lächelte. Andy tat allen auf und unterhielt nebenbei mit kleinen Spielereien die Kinder. Lily hatte unter dem Tisch ihre Finger mit Adams verschränkt. Sie spürte bei welcher Bewegung er sich verspannte und strich ihm dann tröstend über die Finger. Elisabeth beobachtete ihren Ältesten genau. Es war gut, dass sie hergekommen waren, denn ihm war anzusehen, wie erschöpft er war. Aber sie sah auch, wie wohl er sich in Lilianas Nähe fühlte und hoffte, dass das zwischen den beiden wirklich funktionieren würde. Beim Nachtisch konnten Lola und Mark es kaum noch erwarten, endlich ihre Geschenke aufmachen zu dürfen. Und schließlich ließen sie die Kinder ins Wohnzimmer stürmen. Die Erwachsenen folgten langsamer und Andy hob seinen Bruder auf das Sofa. Adam lehnte sich erschöpft in die Polster und beobachtete wie Lola und Mark die Geschenke unter dem Baum sortierten. Zu seiner Überraschung suchten sie nicht nach ihren. Denn das erst, das sie hervorholten gaben sie Lily.

„Mach auf Mama!“ Schon am Geschenkpapier war zu erkennen, dass es wohl von den Beiden sein musste. Und tatsächlich packte sie eine Kinderzeichnung aus.

„Das sind du, Mark und ich.“ Lily nahm ihre Tochter fest in den Arm. Mark war schon mit einem ähnlichen Päckchen auf dem Weg zu Adam. Mit einem leisen Danke öffnete er das Papier. Das war er mit Mark auf dem Schoß und Lily und Lola im Hintergrund. Auf einer Wolke im oberen Teil des Bildes saß eine junge Frau und lächelte. Mark deutete auf das Strichmännchen.

„Das ist Maja! Sie ist immer da und passt auf dich auf! So wie du auf Mama!“ Adams Augen füllten sich mit Tränen. Er beugte sich zu dem jungen hinab und nahm ihn fest in den Arm.

„Danke!“ Mark erwiderte seine Umarmung. Danach packten die Kleinen ihre Geschenke aus und freuten sich riesig über die Spielsachen. Adam bekam von seiner Mutter ein Päckchen gereicht. Sie sah ihn unsicher an und Adams Hand begann zu zittern, als er die zierliche Schrift auf dem Umschlag sah. Majas Schrift.

„Ich habe es gefunden, als ich ihr Zimmer ausräumte. Ich denke, du bist jetzt bereit dafür!“ Elisabeth lächelte ihn an. Traurig. Vorsichtig öffnete er den Umschlag. Eine Träne tropfte auf den Brief.
 

Für meinen geliebten großen Bruder,

weil du mich immer unterstützt und immer an mich glaubst.

Frohe Weihnachten

Maja
 

Nur ein paar Zeilen, doch sie nahmen Adam jegliche Beherrschung. Er legte das Blatt zur Seite und vergrub das Gesicht in den Händen. Tränen rollten über seine Wangen. Lily streichelte ihm tröstend über den Rücken. Es dauerte etwas, bis er die Kraft fand, das Päckchen zu öffnen. Es war eine gerahmte Malerei. Er kannte das Motiv. Seine Mutter hatte das Foto gemacht. Das war ein halbes Jahr vor Majas Tod gewesen. Sie hatten gemeinsam im Garten auf der Bank gesessen. Maja hatte sich an ihn gekuschelt und den Kopf an seine Schulter gelehnt. Trotz der Tränen musste er lächeln. Die Malerei war wirklich gut. Maja hatte das sehr realistisch gemalt. Jetzt lehnte er sich an Lily, Trost suchend, aber auch irgendwie glücklich.

„Danke Maja!“ flüsterte er leise und atmete zittrig durch. Lily schlang einen Arm um seine Schultern und ließ ihn den ganzen Abend nicht mehr los. Ihn störte das nicht.
 

Lily kam aus dem Bad und setzte sich neben Adam auf die Bettkante. Er sah sie aus dunklen Augen an.

„Kannst du hier schlafen?“ seine Stimme klang leise und sie verstand ihn kaum. Lange sah sie ihn an. Sein blasses Gesicht, die trüben Augen und seine unruhig über die Decke huschenden Finger. Er konnte seine Hände einfach nicht still halten. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er längst schlief, immerhin hatte Andy ihm vor knapp einer Stunde ins Bett geholfen. Lily selbst hatte nachdem sich Adams Familie verabschiedet hatte noch die Küche aufgeräumt. Sie war sich unsicher, ob sie wirklich hier bleiben sollte. Aber er hatte ihr gegen Brad geholfen. Wegen ihr hatte er ziemliche Schmerzen, also hatte er es sich definitiv verdient, dass sie ihm seine Wünsche erfüllte. Adam sah, dass sie zögerte und rollte sich auf die Seite, sodass er sie besser ansehen konnte. Seine Hände krallten sich in das blaue Laken. Ein leises Wimmern konnte er nicht unterdrücken.

„Was ist? Hast du Schmerzen?“ fragte Lily überflüssigerweise. Ihm war deutlich anzusehen, wie schlecht es ihm ging.

„Ich kann nicht schlafen.“ Flüsterte er leise, Tränen standen in seinen Augen. Er konnte nicht mehr. Schon seit er im Bett war quälten ihn die Schmerzen. Egal wie oft er sich hin und her wälzte, es wurde einfach nicht besser. Er rollte sich wieder auf den Rücken. So war es immer noch am erträglichsten. Trotzdem war er alles andere als entspannt. Lily strich ihm über das schwarze Haar.

„Wie ist es besser? Auf dem Rücken, oder auf der Seite?“ Adam beobachtete wie sie die zweite Decke nahm und längs faltete.

„Rücken!“ Ohne auf seine unsichere Stimme einzugehen legte sie eine Hand an seine linke Hüfte und zog ihn ein wenig zu sich. Adam stöhnte schmerzerfüllt auf, was Lily dazu veranlasste, die Decke schnell unter seine linke Seite zu schieben. Dann nahm sie noch das Kissen und schob es zwischen seine Knie.

„Besser?“ Überrascht nickte er und entspannte sich langsam, als sie sich neben ihn legte und die zweite Decke über sie beide zog.

„Woher kannst du das?“ fragte er. Er kannte das aus dem Krankenhaus, allerdings war das damals, damit er sich nicht wundlag. Lilys Hand streichelte leicht über seine Brust.

„Hab nach dem Abi ein FSJ gemacht.“ Dann war es für lange Zeit still. Bis Lily sich ein wenig aufrichtete und sich über ihn beugte.

„Entschuldige, wegen heute Mittag. Und was Brad gesagt hat war wirklich nicht nett.“ Adam drehte den Kopf weg, wich ihrem Blick aus.

„Er hat doch recht! Was sollst du schon von einem Kerl wie mir wollen?“ murmelte er bitter.

„Ich werde mein Leben lang auf den Rollstuhl angewiesen sein! Was kann ich dir also bieten?“ Entsetzt legte Lily ihre Finger an sein Kinn, zwang ihn sanft sie anzusehen.

„Adam das ist doch alles nicht wahr. Du bist ein liebevoller, fürsorglicher Mann! Es ist egal ob du laufen kannst oder nicht! Du bist genau so richtig wie du bist! Ich mag dich genauso wie du bist!“ Sie legte ihre Stirn an seine.

„Ich mache nur Arbeit! Es gibt so viele Dinge die ich nicht machen kann! So vieles, worauf meine Partnerin wird verzichten müssen. So vieles wobei sie mir wird helfen müssen! Es wäre unfair irgendjemanden an mich zu binden.“ Er wich ihrem Blick aus. Lily sah ihn entsetzt an. Hatte er wirklich so eine geringe Meinung von sich selbst? Dachte er wirklich, er wäre nichts als eine Bürde?

„Das stimmt nicht! Du kannst alles machen was du willst!“ Jetzt sah Adam sie doch an verzweifelt und mit Tränen in den Augen.

„Ich werde meine Frau nie über die Schwelle tragen können. Ich werde in unseren Flitterwochen nie mit ihr am Strand spazieren können. Ich werde sie zur Geburt unserer Kinder nicht alleine ins Krankenhaus bringen können. Ich werde mit meinen Kindern niemals im Garten Fußball spielen. Ich werde mit meiner Tochter niemals auf ihrem Abschlussball tanzen können…“ Seine Stimme versagte. Lilys Herz zog sich zusammen. Wie oft musste er schon darüber nach gedacht haben. Er hatte sich selbst verboten eine Beziehung einzugehen… Lily kam ihm noch näher, legte ihre Lippen auf seine, küsste ihn sanft.

„Adam, sieh mich an! Brad war an unserer Hochzeit so betrunken, dass ich ihn über die Schwelle tragen musste. Die Flitterwochen bestanden aus einem einzigen Tag in einem Einkaufszentrum. Zur Geburt meiner Kinder haben mich meine Eltern ins Krankenhaus gefahren. Er kam erst als alles vorbei war. Mit Mark und Lola hat er nie gespielt und ich bezweifle stark, dass er auf Lolas Abschlussball überhaupt aufgetaucht wäre! Also hör auf dich selbst so in den Dreck zu ziehen!“ Wieder küsste sie ihn.

„Ich mag dich so wie du bist. Und wenn das heißt, dass wir über die Schwelle rollen, dass wir nur über die Uferpromenade spazieren statt am Strand entlang. Dass du mich nicht alleine ins Krankenhaus bringst. Dass du mit den Kindern Lego, statt Fußball spielst und der Abschlusstanz deiner Tochter etwas lustig aussehen wird!“ Adam zog sie fest an seine Brust, vergrub das Gesicht in ihrem Haar.

„Du würdest mich wirklich nehmen?“ Noch immer klang Unsicherheit mit. Lily schmiegte sich an ihn.

„Auf der Stelle!“ Sie lag halb auf ihm, lauschte seinem ruhigen, gleichmäßigen Atem.

„Ich mag dich auch Liliana. Sehr.“

Beziehung?

Kapitel 8: Beziehung?
 

Den ersten Weihnachtsfeiertag war der erste Tag, den Lily seit langem wieder bei ihren Eltern verbrachte. Sie hatte Adam gefragt ob er mitkommen wollte. Doch dem schwarzhaarigen ging es wirklich schlecht. Er konnte sich kaum bewegen und Lily verstand, dass er nicht mit wollte. Sie hatte ihm das Frühstück ans Bett gebracht und ihm dann seine Schmerzmittel geholt. Eigentlich hatte sie ihn nicht alleine lassen wollen. Aber dann hatte er John angerufen und der hatte versprochen vorbei zu kommen, also hatte sie ihm alles in Reichweite gestellt und sich schweren Herzens von ihm verabschiedet.

„Hey Mama!“ Lily lächelt ihre Mutter an, als diese ihr die Tür öffnete. Lola und Mark wischten durch ihre Beine und liefen ins Haus.

„Opa, wir sind daaaaa!“ Jula sah ihren Enkeln lächelnd nach und wand sich dann an ihre Tochter.

„Hallo Schatz! Adam wollte nicht mit?“ Gemeinsam gingen sie rein und Lily hängte ihren neuen Wintermantel an die Garderobe.

„Ihm geht es nicht gut!“ Lily wusste, dass das noch untertrieben war. Sie hatte ihm am Morgen ins Bad helfen müssen. Ihm hatten vor Schmerz die Tränen in den Augen gestanden.

„Oh, hoffentlich erholt er sich schnell wieder!“ Lily sah die Schuld in den Augen ihrer Mutter, sagte aber nichts weiter dazu, sondern betrat die Küche, wo ihr Vater am Herd stand und versuchte die Kinder davon abzuhalten in die Töpfe zu schauen. Sie umarmte ihn von hinten und schnappte sich Mark, der gerade an dem Schrank hinaufkletterte.

„Ihr Schlingel, deckt den Tisch und dann werdet ihr schon sehen was es zu essen gibt!“ Mark schob seine Unterlippe vor und sah sie schmollend an, bevor er Teller aus einem Schrank holte.

„Du solltest aufhören so gut zu kochen, Paps. Dann würden die beiden nicht mehr versuchen sich in deine Kochtöpfe zu stürzen!“ Er lacht und küsst sie dann auf die Stirn.

„Hallo meine Kleine, wie geht es Adam?“ Sein ernster Blick sprach Bände. Der Bluterguss an seinem Kinn seine eigene Sprache.

„Nicht so dolle! Aber Jonathan, sein bester Freund ist bei ihm, sonst wäre ich nicht hier. Dann hätte ich ihn nie alleine gelassen.“ Sie waren alleine in der Küche. Robert sah seine Tochter fest an.

„Du magst Adam, nicht wahr?“ Lily nickte und lehnte sich an die Küchenzeile in ihrem Rücken.

„Sehr! Aber es ist nicht einfach. Er ist mein Chef!“ Sie biss sich auf die Zunge und fuhr sich übers Haar.

„Was? Wie kommt es, dass du bei deinem Chef wohnst?“ Ohne ihrem Vater in die Augen zu sehen hob nahm sie Besteck aus einer der Schubladen.

„Jonathan, sein bester Freund und rechte Hand hat mich angestellt. Wenn man´s genau nimmt, unterstehe ich ihm und nicht Adam. Aber momentan bin ich Adams Sekretärin. Meine Wohnung hat gebrannt und ich wusste nicht wohin. Adam hat mir angeboten bei ihm zu wohnen, bis ich etwas anderes gefunden habe! Und die Kinder mögen ihn, also habe ich zugesagt.“ Er umarmte seine Tochter und strich ihr über den Rücken.

„Pass auf, dass das nicht in die Hose geht. Ich mag ihn!“ Also gab er ihnen seinen Segen. Lächelnd nahm Lily einen der Töpfe und trug ihn schon einmal ins Esszimmer. Nach dem Gespräch mit ihrem Vater wurde nicht mehr über Adam geredet, oder über das was am Tag zuvor geschehen war. Sie aßen zu Mittag, spielten Karten und lachten viel zusammen. Plötzlich klingelte Lilys Handy. Nach einem kurzen Blick auf die Nummer stand sie vom Tisch auf und ging ran.

„Hallo, Adam?“ Sie stand im Wohnzimmer ihres Elternhauses und sah nach draußen in die aufziehende Dunkelheit.

„Ich bin´s Jonathan.“ Erschrocken weiteten sich ihre Augen.

„Ist mit Adam alles in Ordnung?“ fragte sie alarmiert.

„Naja den Umständen entsprechend eben. Aber darum geht es nicht. Ich wollte nur fragen, wann du wieder kommst. Ich bin mit Juliana bei ihren Eltern eingeladen. Ich will nur wissen, ob ich gleich ganz absagen soll oder noch nachkomme.“ Liliana ging zur Garderobe und nahm ihre Jacke. Sie fragte nicht, aber sie ahnte, dass das nicht der Hauptgrund war, warum John sie anrief. Da war das Gefühl, dass sie für Adam da sein sollte.

„Ich bin in einer halben Stunde da!“ Dann legte sie auf und ging zurück zu ihren Eltern.

„Lola, Mark, kommt. Wir müssen los!“ Die Kinder sahen verwirrt von dem Kartenspiel auf.

„Aber Mama, warum?“ quängelte Lola. Robert sieht zu seiner Tochter.

„Du kannst die beiden auch hier lassen. Ich bringe sie dir morgen vorbei, wenn du möchtest!“ Flehend sahen die beiden Kindern sie an. Lily seufzte leise und nickte dann.

„Okay. Bis morgen ihr beiden. Macht euren Großeltern keinen Ärger!“ Sie umarmte ihre Kinder und verließ dann das Haus.
 

John saß auf Adams Bettkante und legte das Handy seines Freundes auf den Nachttisch. Adam lag auf dem Bett. Sein Gesicht war blass wie ein Laken und seine grauen Augen glasig.

„Ich glaube sie hat gemerkt, dass da noch was anderes ist als das Essen bei Lias Eltern. Du hättest ihr ja auch die Wahrheit sagen können. Nach dem was du mir von gestern erzählt hast, seid ihr doch zusammen. Und glaub mir es ist vollkommen normal, dass man seine Freundin bei sich haben möchte wenn es einem schlecht geht!“ Adam biss sich auf die Unterlippe.

„Ich weiß nicht, ob wir wirklich zusammen sind. Und ich möchte sie nicht damit belasten, dass ich…du weißt schon!“ John seufzte und schob Adam dann einen Arm unter die Schultern um ihm beim Aufsetzen zu helfen. Er reichte ihm das Glas vom Nachttisch.

„Hier trink!“ Adam wirkte alles andere als begeistert, nahm aber das Glas an.

„Du solltest auch etwas essen. Du hast schon das Mittagessen ausgelassen.“ Doch sein Freund schüttelte den Kopf. Er bekäme nichts herunter. Was zum Großteil an den Schmerzmitteln lag, denn sie schlugen ihm ziemlich auf den Magen. John seufzte und half Adam sich wieder hin zu legen. Die beiden Männer saßen schweigend nebeneinander. Plötzlich hörten sie die Haustüre. John stand auf und lief nach unten. Lily zog sich gerade die Schuhe aus.

„Wo hast du die Kinder gelassen?“ Sie hängte ihre Jacke auf und sah dann zu John.

„Bei meinen Eltern! Wie geht es Adam?“ Kurz zögerte John.

„Du musst noch einmal mit ihm reden. Wegen gestern! Seid ihr zusammen?“ Kam er direkt knallhart zum Punkt. Langsam nickt Lily. Adam und sie hatten zwar noch nicht wirklich darüber gesprochen, wie das mit ihnen ablaufen soll. Und okay, vielleicht war das nicht ganz so eindeutig rüber gekommen. Aber für Lily war die Sache klar.

„Ja, ja, das sind wir!“ John umarmt sie kurz.

„Kümmere dich gut um Adam! Und mach ihm klar, dass ihr zusammen seid! Er glaubt nicht wirklich daran!“ Nach einem kurzen Abschied verließ er das Haus. Klar ein wenig doof, aber wenn er wollte, dass Lily und Adam miteinander reden, dann musste er verschwinden. Sonst wäre er nur im Weg.

Liliana stieg die Stufen hinauf zu Adams Schlafzimmer und hob die Hand um an die Tür zu klopfen. Dann ließ sie sie allerdings wieder sinken. Adam und sie waren zusammen, sie musste nicht an die Tür klopfen. Es war ja nur das Schlafzimmer und nicht sein Büro. Vorsichtig schiebt sie die Tür auf und tritt an das Bett. Erschrocken sieht sie in Adams angespanntes und blasses Gesicht.

„Hey Adam!“ Sie beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn sanft auf die Lippen. Einen Moment war er wie erstarrt, dann hob er die rechte Hand und legte sie in seinen Nacken, zog sie ein wenig näher an sich.

„Du willst mich also wirklich?“ Liliana streichelte ihm übers Haar und küsste ihn erneut.

„Das habe ich doch gesagt!“ Er zog sie so fest an seine Brust, dass Lily die Luft weg blieb.

„Obwohl ich mich kaum bewegen kann? Und du wegen mir den Tag mit deinen Eltern abgebrochen hast?“ Lily verdrehte die Augen.

„Adam jetzt hör mir ganz genau zu! Es ist mir so was von scheiß egal, dass du im Rollstuhl sitzt! Ich mag dich, okay? Und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ich mich vielleicht etwas öfter um dich kümmern muss als es in einer normalen Beziehung üblich ist. Du kümmerst dich ebenso um mich und die Kinder. Also hör bitte auf an dir selbst zu zweifeln!“ Lily streckte sich neben ihm auf dem Bett aus, sobald er ihr etwas Freiraum gab.

„Das ist nicht so einfach!“ flüsterte Adam und beobachtete ihre Finger, die sanft über seine Brust strichen. Lily betrachtete sein verschlossenes Gesicht genau. Irgendetwas bedrückte ihn.

„Du kannst jederzeit mit mir reden!“ Er nickte nur und schloss dann die Augen. Anscheinend wollte er nicht jetzt reden. Lily beließ es dabei und ließ ihre Hand über seine Seite hinunter zur Hüfte wandern. Adams leises Wimmern ließ sie zurückschrecken. Hatte sie ihm weh getan? Doch der Schwarzhaarige griff nach ihrer Hand und legte sie zurück auf sein Bein.

„Bitte…“ flüsterte er leise. Ganz vorsichtig begann Lily sein Bein zu massieren. Strich behutsam über die steinharte, verspannte Muskulatur. Adam wand sich unter ihrer Berührungen, doch jedes Mal wenn sie die Finger zurückziehen wollte hielt er sie zurück. Irgendwann spürte sie wie die Spannung in seinem Oberschenkel nachließ und er sich langsam entspannte. Lilys Hand lag wieder ruhig auf seiner Hüfte.

„Geht’s dir besser?“ Er nickte und verbarg das Gesicht an ihrer Schulter.

„Wie war es bei deinen Eltern?“ Lily richtete sich bei seiner Frage ein wenig auf.

„Ganz gut, wir haben gegessen und Karten gespielt. Die Kinder bleiben heute Nacht bei meinen Eltern. Sie wollten noch nicht los, als John angerufen hat.“ Dann war es für lange Zeit zwischen ihnen still und Lily lauschte Adams ruhigem, gleichmäßigen Atem. Unausgesprochene stand zwischen ihnen, dass zwar nicht die Kinder, aber Lily sofort zu Adam gewollt hatte, als John angerufen hatte. Und sie geahnt hatte, dass irgendetwas nicht stimmte. Wie hatte der Schwarzhaarige es nur geschafft in der kurzen Zeit in der sie sich kannten, ihr so ans Herz zu wachsen. Auf der einen Seite war er so stark und auf der anderen so hilfsbedürftig und verletzlich. Sie wollte ihn beschützen. Er war so ein wundervoller Mann.

„Seit Majas Tod habe ich versucht eine Beziehung zu führen. Die Frau war allerdings weniger an mir interessiert, als an meinem Geld.“ Sagte er irgendwann leise. Sehr leise und Trauer schwang in seiner Stimme mit. Nach allem was er erlebt hatte musste diese Frau ihm das letzte bisschen Vertrauen genommen haben. Die letzten Jahre müssen wirklich sehr schwer für ihn gewesen sein.

„Nur um das klar zu stellen! Ich bin nicht hinter deinem Geld her!“ Adam lächelte schwach.

„Das weiß ich!“ Er setzte sich auf. Noch immer waren seine Bewegungen mühsam und etwas angestrengt. Aber es ging ihm wesentlich besser als noch am Morgen.

„Können wir vielleicht etwas essen?“ fragte er vorsichtig und sah sie zögernd an. Lily erhob sich und half Adam in seinen Rollstuhl.

„Klar und dann machen wir uns einen gemütlichen Abend!“ Sie küsste ihn auf die Wange. Adam lächelte noch immer etwas unsicher.

„ Ein Liebesfilm und Kuscheln?“ Mit hochgezogener Braue sah Lily den Schwarzhaarigen an. Hatte er das gerade wirklich gesagt und noch dazu in einem wirklich fast schon bettelnden Ton? Welcher Mann tat sich schon freiwillig einen Liebesfilm an? Aber seine grauen Augen sahen sie vollkommen ernst an. Er wollte es also wirklich. Er wollte ihr wirklich nahe sein. Und diese Beziehung.

„Wohnzimmer oder Schlafzimmer?“ Bei ihrer Antwort begannen seine Augen zu funkeln. Glücklich. Friedlich.

„Suchs dir aus!“

Epilog

Epilog
 

Liliana verließ Lolas Zimmer. Sie hatte das Mädchen endlich ins Bett gebracht. Leise schloss sie die Zimmertür hinter sich und strich sich die langen roten Locken aus der Stirn. Es war ruhig im Haus. Mark war schon lange eingeschlafen und auch Lola war nun im Land der Träume. Vorsichtig um nicht doch eines der Kinder zu wecken lief sie die Treppe hinunter und betrat das Wohnzimmer. Adam saß auf dem dicken Teppich und sah zu dem bunt geschmückten Tannenbaum hinauf. Sein Blick war nachdenklich. Lily kniete sich hinter ihn und umarmte ihn zärtlich.

„Worüber denkst du nach, Schatz?“ Er drehte sich ein wenig in ihren Armen und seine grauen Augen sahen sie liebevoll an.

„Manche Engel haben keine Flügel!“ Er hielt ihr eine kleine Tonfigur entgegen. Den Engel hatte Lola am Mittag als sie den Baum geschmückt hatten fallen lassen. Ihm waren die Flügel abgebrochen. So genau wusste Lily nicht was er wollte. Fragend sah sie ihn an.

„Engel sind Boten. Lichtwesen.“ Flüsterte er leise und schloss ihre Finger über der Figur.

„Du bist mein Engel Liliana. Du hast das Licht in mein Leben zurück gebracht. Du hast mich aus der Dunkelheit gezerrt in der ich nach Majas Tod gefangen war!“ Er lehnte seine Stirn an ihre, Lily schlang die Arme um seinen Nacken, sah ihm tief in die Augen.

„Adam…“ Doch er legte ihr einen Finger auf die Lippen.

„Bitte… lass mich ausreden!“ Seine Hände strichen über ihre roten Locken.

„Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass es erst ein Jahr her ist, das wir uns das erste Mal trafen. Ich habe das Gefühl ich würde dich schon seit einer Ewigkeit kennen. Ich habe es in dir in dieser Zeit bestimmt nicht einfach gemacht. Aber du bist trotzdem bei mit geblieben, egal wie unausstehlich ich war.“ Ein wenig schuldbewusst sah Adam sie an. Er wusste, dass er ziemlich grantig war, wenn er schmerzen hatte und dann nicht alles nach seinem Kopf lief. Aber Lily hatte ihre ganz eigene Art.

„Wenn es mir schlecht geht, dann bist du für mich da. Nimmst mich in den Arm und hältst mich einfach fest. Ich weiß nicht wie ich mich bei dir das jemals zurückgeben kann!“ Er legte seine Hände an ihre Wangen. Lily sah ihn gebannt an.

„Liliana, du bist eine wunderbare Frau. Du bist unglaublich liebevoll. Du bist ehrlich und immer für mich da. Ich möchte dich nie wieder her geben. Du bist das Beste, was mir passieren konnte. Und deswegen möchte ich dich etwas fragen.“ Er sah ihr tief in die Augen.

„Liliana ich liebe dich von ganzem Herzen… möchtest du mich heiraten?“ Ihre grünen Augen weiten sich überrascht und Tränen laufen über ihrer Wangen. Sie zieht Adam fest zu sich, drückt ihr Gesicht an seinen Hals. Ein leises Schluchzen dringt an sein Ohr.

„Adam du bist stark und treu. Du bringst mich zum Lachen und tröstest mich, wenn ich traurig bin. Ich kann mich immer auf dich verlassen. Ich liebe dich und ja! JA, ich möchte dich heiraten!“ Sie schiebt sich ein wenig von ihm. Sieht ihm einen Moment tief in die Augen und presst dann stürmisch ihre Lippen auf seine. Er zieht ein Kästchen aus seiner Hosentasche und löst sich von Lily. Die linke Hand bleibt allerdings in ihren roten Locken vergraben, sodass Lily das Kästchen selbst öffnet und auf die zwei schmalen goldenen Ringe hinunter sieht. Sie lächelt.

„Stecke ihn mir an!“ Adam nimmt den Kleineren der Verlobungsringe heraus und schiebt ihn an ihren Ringfinger, dann tut sie es mit dem zweiten gleich. Noch einmal küssen sie sich.

„Auf unsere Zukunft!“ flüstert Lily leise gegen seine Lippen.

„Auf uns!“ erwidert Adam und zieht die junge Frau fest an sich.



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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Von:  Saph_ira
2015-08-02T16:02:15+00:00 02.08.2015 18:02
Eine sehr wundervolle Geschichte - so traurig und schön! Ich habe jede einzelne Zeile verschlungen. Du hast die Gefühle, Emotionen und einfach alles einfach so toll hinübergebracht, dass ich nicht anders konnte, als mitzufiebern und mitzufühlen. Mögen Adam und Lily glücklich werden - sie haben das verdient. ;-) Eine hervorragende Leistung und ich danke dir für diese Geschichte, die ich mitreißend und sehr gerne gelesen habe. :-)

Liebe Grüße
Saph_ira
Von:  Saph_ira
2015-05-06T17:37:59+00:00 06.05.2015 19:37
Sehr, sehr emotionales Kapitel... ich konnte nicht aufhören zu lesen... Bis auf kleine Tippfehler, hast du trotzdem sehr ergreifend geschrieben, dass ich mir alles bildlich vorstellen und mit Figuren mitfühlen konnte. Eine gute Leistung, mach weiter so. :-)

Liebe Grüße
Saph_ira
Von:  Saph_ira
2015-05-06T17:05:05+00:00 06.05.2015 19:05
Ein rührendes Kapitel... schnief...
Das ist sehr großzügig von Adam, dass er Lily und ihre Kinder bei sich aufnimmt. Und ich kann Lily sehr gut verstehen, dass sie für ihn auch ein Geschenk kauft. Aber sie bezahlt nicht etwa das Geschenk für ihn mit seiner Kreditkarte? Das wäre bissl unschicklich für mich.^^ Aber so ist dir das Kapitel gut gelungen. :-)

Liebe Grüße
Saph_ira
Von:  Saph_ira
2015-03-01T16:28:05+00:00 01.03.2015 17:28
Ein ruhiges Kapitel, aber auch auf seine Weis interessant. Bin gespannt wie es weiter geht. ;-)

Liebe Grüße
Saph_ira
Von:  Saph_ira
2015-03-01T16:07:51+00:00 01.03.2015 17:07
Schnief, die Kinder sind einfach herzzerreißend - vor allem die kleine Lola. Und Jonathans Plan scheint auch aufzugehen...^^ Na dann auf zum nächsten Kapitel. :-)
Von:  AnniinaAgricola
2015-02-23T14:43:06+00:00 23.02.2015 15:43
Wunderschön! Ich hab glatt mitgeheult! Echt! Die Geschichte sollte man verfilmen!!!!^-^
Antwort von:  kateling
24.02.2015 05:59
Danke,
Es freut mich, dass es dir so gut gefallen hat!;-)
Von:  Saph_ira
2015-02-20T22:19:51+00:00 20.02.2015 23:19
Hallo,
du hast sehr angenehmen und lokeren Schreibstill, was mir sehr gefällt. Auch die Handlung ist interessant und macht neugierig auf weiterlesen. ;-)

Liebe Grüße
Saph_ira
Antwort von:  kateling
21.02.2015 16:57
Vielen Dank und noch viel Spaß beim weiterlesen :)
kateling
Von:  AnniinaAgricola
2015-02-10T09:19:01+00:00 10.02.2015 10:19
Ahhh!!! Schreib weiter!!!! Bitte bitte bitte!!!
Antwort von:  kateling
17.02.2015 13:01
Natürlich ;-)
Hab ich sogar schon, wartet nur noch auf Freischaltung!
Von:  alandatorb
2014-12-30T08:40:03+00:00 30.12.2014 09:40
Ich bin heute durch Zufall auf deine Geschichte gestoßen und bin begeistert. Du hast einen sehr schönen Schreibstil und der Verlauf deiner Story ist mitreißend und sehr gut nachvollziehbar.
Ich konnte mich sehr gut in die einzelnen Personen deiner Geschichte hineinversetzen und wie du Adam beschreibst und sein Verhalten ist sehr realistisch.
Ich hoffe du schreibst weiter!!!
LG
Alanda
Antwort von:  kateling
31.12.2014 11:04
Danke :-)
Es freut mich, dass es dir gefällt. Und natürlich werde ich weiterschreiben! Allerdings muss das bis ins Neue Jahr warten;-)
Ich wünsche dir einen guten Rutsch B-)
Kateling


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