Zum Inhalt der Seite

Willkommen in Briarcliff

Hast du Angst vor Nadeln?
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Nach der langen Pause geht es weiter. ^^ Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Marik betrat mit einem schwarzen Klemmbrett unter dem Arm das Krankenzimmer in dem sich der Mann befand, den er zuvor im Warteraum hatte sitzen sehen. Eine junge Schwester legte dem Patienten gerade eine Gummischlaufe um den definierten Oberarm um das Blut abzusperren, welches ihm für ein routinemäßiges Blutbild abgenommen werden sollte.

"Kisara, der Oberarzt bittet dich in sein Büro. Ich mache hier für dich weiter", sagte der blonde Krankenhausangestellte in neutralem Ton, während er am Fuß des grünen Untersuchungstisches stehen blieb und dem darauf sitzenden Mann ein dünnes aber freundliches Lächeln schenkte. Als die Schwester gegangen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog Marik sich einen schwarzen Drehstuhl heran und nahm Platz während er einen knappen Blick auf die Akte warf, um zu überprüfen was genau zu tun war. Dann legte er das Papier zur Seite.

"Sie haben doch keine Angst vor Nadeln, oder?", erkundigte er sich mit einem schiefen Grinsen während er sich ein Paar weiße Gummihandschuhe überzog und die Armbeuge des Andern mit einem Wattebausch desinfizierte. Die Frage wurde mit dem schlichten Hochziehen einer weißen Augenbraue quittiert während Marik den Monolog ohnehin in einem Tempo fortsetzte, der einem keinen Platz für eine Antwort einräumte.

"Sie müssen wissen, dass es immer wieder Menschen gibt, von denen man es nie denken würde, die aber ziemlich große Panik bekommen wenn sie eine Nadel sehen... und schon passiert", Marik befestigte die Kanüle - welche er schnell und präzise während des kleinen, taktischen Ablenkungsmanöver unter die Haut geschoben hatte - geschickt mit einem Pflaster. Freundlich lächelnd sah er dem Mann noch einmal kurz ins Gesicht währen er den obligatorischen Smalltalk fortsetzte und dabei an völlig andere Szenerien dachte. Der Mann war ihm schon aufgefallen als sich die elektrische Doppeltür zum Flügel geöffnet hatte und er eingetreten war. Ein gestresster Oberarzt würde eine verwirrte Kisara wohl bald wieder in das Stockwerk jagen, aber die Zeit sollte genügen um seinen Plan durchzuführen.

Marik zapfte ihm die wenigen Ampullen Blut ab, die für die Routineuntersuchung des Blutbilds gebraucht wurden und legte diese auf einen silbernen Beistelltisch mit Rollen. Dann nahm er noch eine Spritze zur Hand, die er unauffällig und außerhalb des Blickfeldes seines Gegenübers aus seiner Manteltasche gefischt und von der Schutzkappe befreit hatte. Als er den skeptischen Blick des Patienten bemerkte, setzte er zur Erklärung an, ehe dieser nachfragen konnte.

„Das ist eine isotonische Kochsalzlösung“, erklärte er den Vorgang wie selbstverständlich und ließ die transparente Flüssigkeit langsam durch den gelegten Zugang in der Blutbahn verschwinden. Bakura hatte bislang noch keinen Ton verloren.

„Reden Sie immer so viel?“, war das erste, was er von sich gab und er klang dabei vermutlich weniger unhöflich als er es vorgehabt hatte. Mit sadistischer Genugtuung sah Marik, wie er im Schmerz kurz den Mund verzog als er ihm das Pflaster und die Kanüle weniger vorsichtig als angebracht vom Arm nahm und ein neues Pflaster über die Einstichstelle klebte. Der Gummischlauch wanderte mit den anderen gebrauchten Utensilien in eine Schale auf dem Beistelltisch.

„Gehören Sie etwa zu der Sorte Patient, die ohne Wenn und Aber alles mit sich machen lassen was ein Arzt anordnet? Ich hätte Sie vielmehr so eingeschätzt, dass sie zumindest erklärt haben wollen, was um Sie vor sich geht“, erwiderte Marik und nahm das Klemmbrett wieder in die Hand um einen Blick auf den Namen seines Gegenüber zu werfen. Bakura schnaubte leise und ließ den Blick über den jungen Mediziner gleiten.

„Kann ich jetzt gehen?“, wollte er unwirsch wissen, was Marik dazu veranlagte sich zu erheben.

„Die Proben werden gleich ins Labor geschickt. Sie können die Ergebnisse in ungefähr einer Stunde abholen, wenn Sie solange warten möchten. Sie sollten ohnehin sitzen bleiben, wenn es geht“, sagte er und hielt Bakura die Hand hin um sie zu schütteln. Dieser rutschte von der Liege und riss dabei das Papier mit sich, das nach jedem Patienten neu von einer Rolle gezogen wurde um eine möglichst saubere Oberfläche zu erlauben. Im selben Moment bereute er es sich so schnell erhoben zu haben, weil seine Beine nachgaben und er an der Liege Halt suchen musste. Marik war mit einem Schritt bei ihm und hielt die Hand fester gepackt, die Bakura ihm bereits hingestreckt hatte um sie zum Abschied zu schütteln.

„Hoppla- es ist vollkommen normal, wenn Ihnen jetzt schwindelig wird“, hörte Bakura die Stimme des Blonden, die sich mit einem Mal seltsam verzerrt in seinem Kopf anhörte und immer dumpfer wurde während sich der Raum um ihn zu drehen begann und er nicht mehr wusste, ob er stand oder schon zu Boden gegangen war. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
 

"Tztztz... und genau darum sollte man auf den Onkel Doktor hören, wenn er eine Empfehlung gibt", spottete Marik noch als Bakura bereits zu Boden gegangen war. Die Gummihandschuhe anbehaltend kniete er sich neben Bakura hin um den Puls und die Reflexe der Pupillen zu überprüfen. Von der Wirkung des Narkotikums zufrieden gestellt hatte er etwas Mühe den entspannten Körper auf eines der rollbaren Krankenhausbetten zu hieven und zuzudecken. Gerade rechtzeitig zog er den Vorhang, der den Raum abtrennte, zu. In diesem Augenblick kam Kisara mit geröteten Wangen zurück.

"Der Chef meinte, er hätte gar nicht nach mir rufen lassen", erklärte sie Marik und an ihrer Stimme erkannte man, wie sehr sich die junge Frau eine Rüge zu Herzen nahm.

"Das hat er in seinem Stress bestimmt vergessen", winkte Marik ab und klopfte ihr kurz kollegial auf die Schulter, wohl wissend, dass Kisara ständig rot wurde, wenn er in der Nähe war. Das nutzte er schamlos aus.

"Geh ruhig schon Mittagessen und mach Pause. Heute ist nicht viel los, das schaffe ich schon allein. Ich nehme dir den Papierkram ab", versprach er. Marik nahm das Klemmbrett und das Krankenhausprotokoll. Dort waren die Daten des Patienten vermerkt, die mit den Blutproben ins Labor geschickt werden mussten. Nachdem er die Schwester erfolgreich abgewimmelt hatte, widmete er sich der Spurenbeseitigung. Die Plastiktüte mit der Spritze und die Ampullen mit Blut legte er zu Bakuras Füßen unter die Bettdecke, dann warf er einen Blick auf den Flur um die Lage zu überprüfen. Er schien Glück zu haben. Das Stockwerk war zwar nicht ganz von Personal befreit, doch die paar wenigen seiner anwesenden Kollegen hatten besseres zu tun als ihm dabei zuzusehen wie er - wie jeden Tag sonst auch - ein Bett bis zum großen Aufzug schob. Ein PING ertönte, die Türen schlossen sich und Bakura verschwand von der Bildfläche.
 

Viel Zeit hatte er nicht gehabt, aber trotzdem war sein Plan wunderbar aufgegangen. Marik hatte sich lange genug überlegt wie er es anstellen könnte und als Bakura am heutigen Tag in sein Schussfeld geraten war, hatte er die Gelegenheit am Schopf gepackt. Tief in den Eingeweiden des Hospitals gab es einen unbenutzten Trakt, der lange schon auf Sanierung wartete. Anstatt ihn zu renovieren hatte man das Geld in einen nagelneuen Anbau gesteckt und die Räume waren verlassen. Die Atmosphäre hatte einen leichten Neu-Silent-Hill Einschlag, auch wenn alles noch relativ sauber und intakt war.

Marik hatte sich seit seiner Entdeckung ordentlich darum gekümmert alles auf Vordermann zu bringen. Das hatte eine kleine Ewigkeit gedauert, denn um nicht aufzufallen hatte er in seinen Pausen oder nach seiner Schicht geschuftet. Aber es hatte sich gelohnt.

Als er mit Bakura im zweiten Untergeschoß aus dem Fahrstuhl kam, überquerte er einen Flur der als Lagerraum für alte Krankenhausbetten herhielt und allein schon ausreichte um klar zu machen, dass hier keine Menschenseele mehr hinunter kam, wenn man nicht etwas holen musste. Die Räume zu allen Seiten waren ebenso verlassen. Am Ende des langen Raumes schloss er eine weiße Brandschutztür auf und betrat sein kleines Reich. Diesen Flügel hatte er in mühsamer Arbeit so hergerichtet, dass er wieder wie einer der Teile in den oberen Räumen aussah- mit dem Unterschied, dass hier kein Mensch zu finden war. Alles war geputzt, geschrubbt und wirkte sehr normal, bis auf die durchdringende Stille.

Es gab einige Patientenräume neben Räumen mit der üblichen Krankenhauseinrichtung die der Untersuchung dienten. In eines dieser Zimmer schob Marik das Bett mit seinem auserkorenen Opfer, das nichts weiter verbrochen hatte als zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und seinen Augen zu gefallen. Dort überprüfte er noch einmal den Zustand Bakuras ehe er die Blutproben und den Abfall mit sich nahm. Bakura blieb der Narkose überlassen und da der Blonde ein Betäubungsmittel verwendet hatte, das bei OPs zum Einsatz kam, hatte er keine Eile.
 

Marik kehrte nach seiner Schicht mit einem verchromten Servierwagen zurück, auf dessen Etagen er verschiedene Dinge aus dem Krankenhausfundus mitgebracht hatte. In seiner Pause hatte er Bakuras Existenz aus der Datenbank des Krankenhauses mit Stumpf und Stiel verschwinden lassen. Marik war außerordentlich gründlich was solche Dinge anbelangte. Die Blutampullen waren in seinem eigenen kleinen Laboratorium verblieben, den Rest in der Plastiktüte hatte er in den Brennofen geworfen, in dem sonst verkeimte Körperreste von OPs vernichtet wurden. Damit sollte man ihm nichts mehr nachweisen können.

Die Brandschutztür schluckte jedes Geräusch und der Flur mit den abgestellten Betten davor diente zusätzlich als Lärmschutz. Bakura würde so schnell nicht mehr das Tageslicht erblicken. Die Türe war präpariert, verriegelte sich automatisch und nur Marik hatte einen Schlüssel. Kurz begab er sich in die kleine Kammer mit der verglasten Wand, in dem sonst PCs standen, mit den ganzen Daten über Patienten und sonstiges. Dieser PC hier diente jedoch rein der Tarnung, war ohne Internetanschluss und nur für eines gut: Marik schaltete ihn ein und startete ein Programm im Hintergrund, welches über versteckte Lautsprecher eine Tonspur laufen ließ, die verschiedene Geräusche des Alltages in einer zufälligen Anordnung abspielte um zunächst einen kleinen trügerischen Schein aufrecht zu erhalten. Man hörte in der ferne eine Straße, Schritte, Unterhaltungen verschiedener Ärzte und Patienten, das Quengeln eines Kindes und vieles mehr, das darüber hinwegtäuschen würde, wie abgeschieden sie hier waren. Er wollte Bakura sich etwas eingewöhnen lassen und nicht gleich einem Schock aussetzen. Immerhin würde der hübsche junge Mann eine ganze Weile hier sein.

Marik verteilte die Dinge die er mitgebracht hatte in den entsprechenden Räumen, die allesamt von innen nicht mehr zu öffnen waren, sobald die Tür geschlossen war. Alle gefährlichen Gegenstände waren beseitigt und auch sonst hatte Marik penibel darauf geachtet Bakura nichts zu lassen, das ihn auf dumme Ideen bringen konnte. Dann sah er nach seinem persönlichen Patienten, der noch ein bisschen Zeit zum Aufwachen hatte.

Marik nahm eine der mitgebrachten Nährlösungen und hängte diese an einen Tropf, dann legte er Bakura einen neuen Zugang dafür in der rechten Armbeuge. Er wollte ihn ja nicht verhungern lassen, aber er konnte schwerlich jeden Tag mit einem Tablett aus der Mensa Fahrstuhl fahren ohne aufzufallen. So würde Bakura sich ab jetzt wohl oder übel an flüssige Nahrung gewöhnen müssen...

Sicherheitshalber brachte der Blonde ein paar Fesseln aus der psychiatrischen Einrichtung an diesem Bett an, wie er es an allen anderen getan hatte und zurrte den bewusstlosen Bakura fest. Dann nahm er sein Klemmbrett vom Servierwagen und zog seinen Stuhl heran um neben dem Bett darauf zu warten, dass sein Spielzeug zu sich finden würde.

2. Einsteins Relativitätstheorie

Ein fremder, penetranter Geruch in seiner Nase war das erste, das Bakura wahrnehmen konnte als sein Bewusstsein langsam zu ihm zurückkehrte. Sein Kopf fühlte sich leer an und gleichzeitig war da ein Druck von innen gegen seine Stirn, als hätte man sein Gehirn mit einem Luftbalon vertauscht und würde versuchen ihn aufzublasen. Was war dieser Geruch?

Zahnpasta, dachte Bakura. Irgendwie erinnerte der sterile Geruch ihn an eine Zahnarztpraxis.

Ein paar Sekunden später runzelte er die Stirn als ihm die Absurdität des Gedankens bewusst wurde und er zwang seine Augen auf, nur um sie gleich wieder zu schließen. Seine Lider waren schwer wie Blei und das weiße, kalte Neonlicht stach in seinen Augen wie tausend kleine Nadeln.

Nadeln-

Bakuras Arme zuckten träge und sein Herz machte einen unwilligen Sprung als ihn mit aller Wucht die Erkenntnis traf, dass er kaum Herr über seine Glieder war. Die Einstichstelle der Nadel in seiner Armbeuge juckte wie ein Moskitobiss.

Marik beobachtete still, wie sein Patient den Kopf zur Seite drehte und verstimmt stöhnte als die simple Bewegung starkes Schwindelgefühl auslöste. Bakura glaubte fast, dass sein Kopf sich vom Hals lösen und vom Krankenbett auf den Boden kullern müsste, denn im Augenblick fühlte er sich nicht als würden Kopf und Körper zusammengehören. Der Raum um ihn tanzte in weißen Punkten und seine Iriden zuckten schnell hin und her als er versuchte den Blick zu fokussieren.

Beim dritten Versuch die Augen offen zu halten klappte es schließlich endlich und das blassgrüne T-Shirt des jungen Krankenhausangestellten rückte in sein Blickfeld.

Bakura schöpfte Atem um etwas zu sagen, doch alles, das ihm gelang war es die Luft wieder auszustoßen, so dass es nach einem indignierten Schnauben klang. Was, genau genommen, die Situation doch ganz gut kommentierte.
 

“Na, Sie sind ja wieder wach.” Die Stimme des Blonden klang entschieden zu laut (und etwas zu fröhlich) in seinem Kopf und hallte dumpf.

“Wassis' passiert?”, presste Bakura hervor und hatte das Gefühl, dass demnächst eine Steppenhexe über seine Zunge wehen würde. Sein ganzer Mund fühlte sich trocken an und die Zunge klebte ihm am Gaumen.

“Erinnern Sie sich nicht mehr? Sie sind einfach umgekippt... Folgen Sie bitte mit den Augen meinem Finger.” Marik zückte eine kleine Taschenlampe aus seiner Brusttasche und zog erst das eine, dann das andere Augenlid sanft nach oben um die Reflexe der Pupillen zu testen.

Bakura wollte einen Arm heben um sich über das Gesicht zu fahren, doch außer einem kurzen Rucken tat sich nichts. In der nächsten Sekunde sah er den jungen Mann an seiner Bettseite angefressen an.

“Und warum bin ich hier festgeschnallt?”

“Sie haben um sich geschlagen und einen der Pflege gebissen als man Sie vom Boden aufgelesen hat”, konstatierte Marik sachlich, knipste das kleine Licht aus und steckte die Lampe wieder ein. “Die Fesseln dienen Ihrem eigenen Schutz. Wenn Sie jemanden ernsthaft verletzt hätten, wären Sie vermutlich mit einem Polizeibeamten vor der Nase aufgewacht.” Mit einem unverschämten Grinsen fügte er hinzu: “Über Bisse beklagen sich im Allgemeinen nur die Kinderärzte hier... Der Pfleger wird davon absehen irgendwelche rechtlichen Schritte gegen Sie einzuleiten.”

Bakura hatte das irritierende Gefühl, dass sich sein Gegenüber auf seine Kosten amüsierte, ohne dass er den Witz an der Sache begriff.

“Dann können Sie mich jetzt ja wieder losmachen. Ich bin klar im Kopf”, grollte er und versuchte den Ärger zu schlucken. Das Jucken in seiner Armbeuge war entnervend. Bakura drehte den Kopf um einen Blick auf die Stelle zu werfen und sah etwas überrascht, dass er am Tropf hing. Die Einstichstelle brannte leicht und er hatte das Gefühl, dass die klare Lösung, die in seiner Blutbahn verschwand, etwas zu schnell floss.

“Dazu bin ich leider nicht befugt,” sagte Marik. Bakuras Kopf ruckte herum und die roten Augen sprühten Funken. “Das muss der Oberarzt entscheiden.”

“Dann holen Sie den Mann gefälligst her!”

“Das geht nicht. Er ist im Augenblick im OP.”

“Das ist ja wohl ein schlechter Scherz”, fauchte Bakura ungehalten und begann an den Fesseln zu ziehen.

“Keineswegs. Nur Vorschrift”, erklärte Marik trocken.

“Das ist Freiheitsberaubung!” Bakura begann zu zetern und so derbe zu fluchen, dass Marik beinahe rote Ohren bekam. Beinahe.

“Wenn Sie sich aufführen wie ein Irrer muss ich Sie sedieren”, drohte der Blonde als die Beschimpfungen gegen ihn richteten und die Wunderwirkung der Worte setzte sofort ein. Bakura hielt inne, als hätte man die Zeit eingefrohren und starrte Marik groß an. “Sie wollen doch nicht, dass ich Sie mit dem Bett in diesem Zustand quer über den ganzen, vollen Flur bis zum Aufzug schieben und in den fünften Stock bringen muss?” Das Stockwerk war die erste Anlaufstelle für psychische Erkrankungen und praktisch zu Redewendung in der Stadt verkommen.

“... schon gut”, resignierte Bakura, plötzlich lammfromm und ließ sich zurück auf das Bett sinken. “Wann kommt der Chef denn so ungefähr aus dem OP zurück?”

“Das kann ich Ihnen leider nicht so genau sagen. Herztransplantation... könnte noch ein paar Stunden dauern.”

“Na großartig!” Bakura erwischte sich kurz bei dem Gedanken, dass etwas schieflaufen sollte, damit der Arzt früher fertig war und keinen Wimpernschlag darauf überrollte ihn das schlechte Gewissen über die unwillkürliche Abschweifung wie die sprichwörtliche Dampfwalze. Ob man für reine Gedanken auch mieses Karma sammeln konnte?

“Ich muss mich jetzt wieder um die anderen Patienten kümmern.” Marik stand vom Stuhl auf und bückte sich nach einer Schaltvorrichtung, die von einem Kabel hinter dem Bett an der Wand baumelte und legte sie so hin, dass Bakura sie erreichen konnte. “Wenn etwas sein sollte, drücken Sie einfach auf den Knopf, dann ertönt draußen ein Signal und es kommt jemand vorbei um nach Ihnen zu sehen.”

Marik war schon halb zur Tür hinaus als Bakura ihm hinterher rief: “Hey! Machen Sie mir wenigstens den Flimmerkasten an”, verlangte er mit einem Kopfnicken zu dem kleinformatigen Fernseher, der vermutlich die erste Mondlandung ausgestrahlt hatte und auf einem erhöhten Regal an der Wand gegenüber des Bettes lag.

“Ist leider kaputt. Da läuft nur Ameisenfußball.” Damit schloss Marik die Tür und ließ einen absolut perplexen Bakura allein zurück.
 

Bakura hatte noch nie so lang und ausgiebig über Einsteins Relativitätstheorie nachgedacht. Die Zeit schien nicht zu vergehen und der Vergleich mit der heißen Herdplatte schien ihm mit einem mal sehr einleuchtend.

Es gab keine Uhr im Zimmer. Nur ein Lämpchen am ausgeschalteten TV-Gerät, das rhythmisch blinkte. Es gab nichts, aber auch rein gar nichts, mit dem er sich hätte die Zeit vertreiben können. Inzwischen hatte er den Schatten der einzelnen Streben des Rolladen an der Wand dreimal gezählt – 37 Ecken an den Rändern konnte er ausmachen bevor der Schatten verschwand – und das Zeitgefühl war ihm absolut abhanden gekommen. Gleichzeitig angepisst und ermattet war er dazu übergegangen zu beobachten, wie die Tropfen aus dem sich stehts weiter leerenden Beutel aus dem Tropf nach unten wanderten.

Dann, nach gefühlten zwei Stunden war es ihm schließlich zu blöd. Nichtmal einschlafen konnte er... Mit frischem Elan drückte er den Knopf unter seinem Daumen und wartete mit exponentiell wachsender Ungeduld darauf, dass sich die Tür öffnete.
 

Draußen sah Marik von seinem Laptop auf und grinste. Er hatte dem jungen Mann etwas mehr Geduld angerechnet. Sich alle Zeit der Welt nehmend streckte er sich ausgiebig bevor er das Signal ausmachte und zum Zimmer ging, ein freundliches Lächeln auf den Lippen.

“Alles in Ordnung bei Ihnen?”, erkundigte er sich zuckersüß als er das Zimmer betrat und ans Bett kam.

“Können Sie mir was zu trinken beschaffen?”

“Wenn Sie lieb fragen~”, teilte Marik einen Seitenhieb auf die Umgangsformen des Weißhaarigen aus und machte sich in Gedanken eine Notiz, dass daran gearbeitet werden müsste. Der bitterböse Blick aus roten Augen, der ihn nach der Antwort traf, ließ ihn ein Sternchen hinter den mentalen Vermerk setzen.

“Ich verdurste hier”, beschwerte Bakura sich im Tonfall eines quengeligen Kindes. Er wollte nicht einsehen, warum er um etwas Lapidares wie Wasser bitten sollte.

“Das würde in der Tat schlechtes Licht auf das Krankenhaus werfen. Bin gleich wieder da”, meinte der Blonde mit einem aufgesetzten Lächeln und verschwand für einen Moment ehe er mit einem Plastikbecher und einer Karaffe voller Wasser zurückkam. Am Bett blieb er stehen und schenkte ein, nur um Bakura dann den Becher in die festgebundene Hand zu drücken.

“... sehr witzig”, grollte Bakura und unterdrückte mühsam den aufsteigenden Frust. Er würde einen Teufel tun um sich hier im Bett zu verbiegen, damit er an den Becher kam. “Machen Sie mir wenigstens eine Hand los, damit ich trinken kann?” Mit dem letzten Rest zusammengekratzter Geduld taxierte er den Ägypter mit seinem Blick.

“Tut mir leid, Vorschrift ist Vorschrift.” Marik stellte die Karaffe ab und nahm Bakura den Becher wieder aus den Fingern, um ihm diesen kurzerhand an die blassen Lippen zu setzen. So schnell wie das geschah konnte der Albino gar nicht über die unwürdige Situation protestieren, in die der andere ihn so zwang. Marik kippte den Becher und Bakura trank rasch in großen Zügen, ehe ihm die charmante Krankenschwester den Inhalt noch über die Brust kippte. Eine Ahnung sagte ihm, dass Marik nicht innegehalten hätte um sich seinem Tempo anzupassen.

“Noch was?”, erkundigte Marik sich als der Plastikbecher leer war und Bakuras Magen sich kurz zusammenzog als die Kälte sich ausbreitete. Mit einem leisen Keuchen schüttelte er den Kopf. Dann nickte er schnell.

“Mir ist stinklangweilig-”, setzte er an und wollte seinem Unmut Luft machen, als Marik ihm schon das Wort abschnitt.

“Dann sollten Sie versuchen etwas zu schlafen. Losmachen kann ich Sie nicht.”

Wäre er kein Erwachsener gewesen... Bakura fühlte den unbändigen Drang seinem Ärger lautstark Luft zu machen. Allein die angedrohte Sedierung ließ ihn sich zurückhalten.

“Ja, ja. Vorschrift. Ist angekommen. Bringen Sie mir wenigstens ein Magazin vom Kiosk oder von mir aus ein Micky Maus Heft. Völlig wurscht. Zur Not nehme ich auch ein Kinderbuch.” Er und verzweifelt? Niemals.

“Mal sehen, was sich machen lässt”, versprach Marik und grinste in sich hinein. Damit ging er wieder zur Tür.
 

“Ich dachte schon Sie hätten auf mich vergessen”, stöhnte Bakura erleichtert und hob den Kopf vom Kissen als der blonde Pfleger wieder ins Zimmer kam.

“Aber niemals. Sie sind meine oberste Priorität hier”, versicherte dieser und hob einen rettenden Spiderman Comic in die Höhe. Der Gesichtsausdruck von purer Erleichterung und Dankbarkeit auf dem blassen Gesicht des ahnungslosen Schönlings ließ Marik insgeheim schnurren. So ein hübscher Fang...

“Machen Sie sich immer über Ihre Patienten lustig?” Bakura rutschte mit der Hüfte mehr nach rechts, so dass er das Heft mit seinem Oberschenkel aufstützen konnte und mit der rechten Hand ungelenk umblättern konnte als Marik es ihm gegeben hatte.

“Das war mein voller Ernst”, versicherte Marik, der auf die andere Seite des Bettes wechselte und den Schlauch an dem gelegten Zugang in der linken Armbeuge mit einem neuen Beutel verband. Den leeren Beutel des Tropfs ließ er am Ständer hängen. Sein Tun wurde nicht hinterfragt. In der Regel ließ man einen Mediziner machen, im Gottvertrauen darauf, dass er schon wusste, was er tat. Bakura hatte gerade keinen Nerv dafür sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob hier alles mit rechten Dingen vor sich ging – und auch keinen Grund dafür etwas zu hinterfragen.

“Hm-”, brummte Bakura und kämpfte mit einer widerspenstigen Seite um weiter zu lesen. Bei sich dachte er, dass der junge Ägypter an sich doch ganz nett war, auch wenn er ihn zuerst am liebsten erwürgt hätte. Immerhin nahm er sich die Zeit und gab sich Mühe ihm die Situation angenehmer zu machen. “Vergessen Sie bloß nicht drauf den Oberarzt herzuschicken. Vorschrift ist ja schön und gut, aber das kann ja wohl einfach nicht angehen. Seien Sie froh, dass ich mit einer Engelsgeduld gesegnet bin und mir nichts daran liegt dem Krankenhaus Probleme zu machen.”

“Das ist sehr löblich von Ihnen.” Marik trat ans Fußende des Bettes und legte die dunklen Hände um die silberne Metallstange des Rahmens. Bakura sah von einer vollbusigen Felicia Hardy im engen Black Cat Kostüm auf und grinste schief.

“Hey, ich weiß ja, dass Sie nichts für die Regeln hier können. Aber Ihrem Chef werde ich die Meinung geigen.”

Das Grinsen, das sich daraufhin auf Mariks Gesicht ausbreitete, war echt.

“Tun sie das!”

“Wie gut, dass ich im Moment nicht zur Arbeit muss. Ob ich hier herumliege oder zuhause vor dem PC hocke macht wenig Unterschied... nur der Service könnte besser sein.”

“Dann haben wir ja nochmal Glück gehabt.”

Bakura grinste ebenfalls. Oh, es würde ihm ein Vergnügen sein dem Chef hier seine Meinung über die Vorschriften hier um die Ohren zu hauen. Marik ließ den Blick kurz schweifen während sein Patient sich wieder dem pseudo Kampf zwischen der Diebin und Spiderman widmete.

“Sie wissen ja, wie sie mich rufen können.” Von Bakura kam nur ein zustimmendes Brummen und das Rascheln von Papier als er umblätterte und Marik ließ ihn wieder alleine.
 

Er musste doch eingeschlafen sein.

Bakura trat die Bettdecke zwischen seine Beine und war erleichtert über den kühlen Luftzug. Es war ganz schön heiß geworden. Das Comicheft war auf den Boden gerutscht und lag unerreichbar auf dem Laminat.

Ein nervöses Flattern meldete sich in seiner Brust als Bakura plötzlich zwei Sachen zur gleichen Zeit bewusst wurden: er trug keine Hose und hatte es bislang nicht bemerkt. Doch noch bevor er anfangen konnte die Ratio dahinter zu suchen, fiel sein Blick an die Wand und den Schatten des Rolladen. Es dauerte ein Bisschen, bis ihm endlich bewusst wurde, was ihn daran in Alarmbereitschaft versetzte: Er war seit mehreren Stunden hier. Die Sonne schien aber nicht gewandert zu sein.

Sein Magen zog sich nervös zusammen, als hätte er nochmal etwas von dem Eiswasser hinuntergestürzt. Sich selbst zur Ordnung rufend zählte er nochmal die Ecken am Schatten... Eins, zwei, drei..., 37! Wie schon vor ein paar Stunden auch schon.

Sein Herzschlag wurde schneller und er lauschte. Zuerst fiel ihm nichts auf- dann erschien in der Geräuschkulisse von Schritten, Gemurmel, dem Rascheln von Arztkitteln, Summen von Geräten und dem Klackern von Patientenbetten das Quengeln eines Kindes. Schon wieder.

Dieselbe gedämpfte Kinderstimme, die selbe Beschwerde, die ihm schon einmal zu Ohren gekommen war.

Da wurde die Türklinke hinuntergedrückt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
EDIT:
Betaleser gefunden. Danke Arai_Isis_Nefreti.
Sollten jemandem trotzdem noch Fehler ins Auge stechen, bin ich für jeden Hinweis dankbar.^^

---

Ich arbeite leider ohne Beta-Leser.
Falls jemand Interesse hat, wäre ich sehr dankbar. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
(Bakura ist zu clever für sein eigenes Wohl.) Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (10)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2017-03-08T00:23:50+00:00 08.03.2017 01:23
Schreibst du noch weiter?
Von:  DivaLila
2015-06-17T06:47:10+00:00 17.06.2015 08:47
Endlich bin ich auch noch dazugekommen, das Kapitel zu lesen :3
Hab mich doch so gefreut, als es erschienen ist :D
Bin nämlich wirklich gespannt wies weitergeht und was Marik denn alles so vor hat. Wundere mich z.B., warum Bakuras Arm so juckt in der Beuge... aber selbst wenn er das irgendwann hinterfragt, was will er schon ausrichten?
Aber viellecht erfahren wir dann mehr ;)
Ich mag sehr, dass du nicht hetzt und der Handlung den Raum gibst, den sie braucht - ich kann mich unglaublich gut in die Langeweile von Bakura hineinversetzen.
Ansonsten hoffe ich, du schreibst bald weiter (egal bei welcher Geschichte, ich liebe deinen Stil) und etwas sehr nachträglich noch herzlichen Glückwunsch zum YL ^^
Liebste Grüsse, Aya
Von:  linus0605
2015-04-02T11:14:04+00:00 02.04.2015 13:14
Hallo,
mir gefällt der Anfang Deiner Story auch super gut und ich hoffe bald weiter lesen zu können.

LG
Von:  linus0605
2015-04-02T11:14:04+00:00 02.04.2015 13:14
Hallo,
mir gefällt der Anfang Deiner Story auch super gut und ich hoffe bald weiter lesen zu können.

LG
Von:  linus0605
2015-03-09T11:53:40+00:00 09.03.2015 12:53
Hallo,
mir gefällt Deine Story super gut und ich bin schon sehr gespannt wie es weiter geht. Ich hoffe es geht bald weiter.

LG
Von:  lncubus
2014-04-02T17:58:48+00:00 02.04.2014 19:58
Das erste Kapitel ist auf jeden Fall schon sehr spannend und ich finde deine Schreibweiße wirklich gut.
Ich hoffe du wirst bald weitere Kapitel folgen lassen °v°
*Bestechungskekse hinleg*
Von:  DivaLila
2014-03-16T03:44:30+00:00 16.03.2014 04:44
hui, das fängt ja vielversprechend an...
ich mag es total, wie du Marik beschreibst, so penibel und irgendwie kühl-distanziert.
Und die Kochsalzlösung war ja der Hammer XD ich hab mich schon gefragt, wofür Bakura die in so ner kleinen Dosis braucht...
Auch ansonsten mag ich deinen Schreibstil sehr gerne, ich kann mich super in das Szenario versetzen.
Bin also sehr gespannt auf das nächste Kapitel ^.^

Liebste Grüsse
Aya

Von: abgemeldet
2014-02-27T12:52:22+00:00 27.02.2014 13:52
Die story hört sich Interessant an.^^
Bin mal Neugericht auf das nächstes Kapitel.^^

Antwort von:  Salai
27.02.2014 14:21
Dankeschön ^^
Von:  Arya-Gendry
2014-02-15T18:15:44+00:00 15.02.2014 19:15
Hi^^
Bakura kann ja schon einen leid tut.
Bin mal gespannt was so alles auf ihn zukommt.
Lg. ;)
Von:  Leaf-Phantomhive
2014-02-14T18:02:21+00:00 14.02.2014 19:02
OH man der arme Bakura.
Irgednwie leidet man ein bisschen mit ihm mit.
Ich find deinen Schreibstil echt toll und ab und an bekam man echt Gänsehaut.
Ich freu mich schon auf die Fortsetzung
LG Riley


Zurück