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An die Zurückgebliebenen

One-Shot-Sammlung
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Da das meine liebe Probeleserin verwirrt hat, sollte ich es vielleicht um weitere Unklarheiten vorzubeugen doch kurz anmerken: Die One Shots laufen alle grob in derselben Zeitlinie ab (weil ich es schöner fand, nicht weil es sein muss) und wir befinden uns gerade in der Female Titan Arc, nach der Rückkehr von der Expedition. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
TheUnpleasant (ff.de) hatte sich Mikasas Briefe an Eren und Armin gewünscht. Leider kann ich diesen Wunsch nicht wirklich erfüllen, aber ich wollte wenigstens auch begründen, warum und damit auch alle drei Hauptcharaktere in dieser Geschichte unterbringen.
Ich hoffe, niemand ist enttäuscht, dass diesmal kein Brief kommt, aber es hätte für mich einfach nicht gepasst. Komplett anzeigen

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Petra -> Levi

Er starrte auf das Stück Papier in seiner Hand und zögerte es aufzureißen. Es war in ihrer sauberen, geschwungenen Art mit nichts weiter als seinem Namen beschriftet. Kein Titel, keine Verzierungen oder Schnörkel. Nur sein Name.

Es war klar gewesen, dass Petra zu den Menschen gehören würde, die einen solchen Brief schreiben. Einen Abschiedsbrief. Vor jeder einzelnen Expedition. Immer und immer wieder. Als wäre es noch nicht klar genug, wie hoch ihr Risiko zu sterben war, als gäbe es nichts wichtigeres als Worte zu hinterlassen, die den Menschen, die zurückblieben, noch einmal vor Augen führten, was sie verloren hatten.

Es war keine Pflicht, aber viele rieten gerade jungen Soldaten immer wieder dazu. Er hielt es für reine Folter. Vor einer Expedition sollte man sich auf Vorbereitungen konzentrieren, nicht darüber nachdenken, was man Menschen zurücklassen wollte, sollte man doch nicht zurückkehren. Es gab keinen inneren Frieden, es brachte nur das Wissen, dass es nicht unwahrscheinlich war. Es führte wieder und wieder vor Augen, was verloren werden konnte. Selbst wenn er gewollt hätte, er hätte nie die Kraft dazu gehabt. Nicht immer und immer wieder.

Aber Petras Brief war neu. Der so falsch erscheinende Eingangsstempel auf dem unteren, rechten Rand trug das Datum einen Tag vor ihrem Ausritt. Einen verdammten Tag. Und er kannte sie, das hatte sie auch letztes Mal so gemacht und all die Male davor. Sie schrieb immer neue Briefe und vermutlich wurden es auch noch immer mehr.

Sein Blick wanderte zu seinem Schreibtisch herüber, wo vier weitere Briefe sorgfältig versiegelt und beschriftet vor ihm lagen. Man hatte ihm die ans eine restlichen Squadmitglieder gleich mitgegeben. Es war so ironisch.

Levi setzte sich mit Schwung auf, legte seinen eigenen Brief beiseite und griff nach den anderen. Er sortierte den an Eren ebenfalls aus und ließ ihn neben seinen eigenen fallen. Dann starrte er im Licht der Kerze einen Augenblick lang auf die drei anderen Namen. Erd. Günther. Auruo.

Mit einem Seufzen stand er auf und lief die paar Schritte zu seinem Kamin. Er fühlte sich wie ein alter Mann, seine Bewegungen schwach und müde und seinen Gedanken ging es auch nicht viel besser. Sein Blick wanderte in die Flammen und für einen kurzen Moment versuchte er an nichts zu denken, ehe ihm Bilder in den Kopf schossen, die er sogleich wieder versuchte zu verdrängen.

Er presste die Augen zusammen und rieb sich mit der freien Hand die Stirn. Immer wieder verschwanden sie alle …

Er öffnete die Augen erneut, streckte die rechte Hand aus und warf mit einer schnellen Bewegung die Briefe in die knisternden Flammen, ehe er sich schnell abwand und zum Tisch zurückkehrte. Petras letzte Worte würden sie niemals erreichen und er würde sie sicher nicht lesen wollen, das war privat.

Er ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen und sah erneut zu seinem eigenen Brief. Wollte er ihn wirklich lesen? Wollte er wissen, was sie ihm noch sagen wollte?

Mit einem Seufzen griff er ihn sich und brach ruckartig das Siegel. Wie erwartet kamen mehrere Zeilen zum Vorschein, Petra hatte sich nicht kurz gefasst.

 
 

Levi,
 

 

ich weiß, du wirst nicht gutheißen, dass ich dich ohne deinen Titel anspreche, aber ich möchte, dass dieser Brief nicht an meinen Vorgesetzten geht, sondern an einen Menschen, den ich als einen Freund ansehe und sehr schätzen gelernt habe.

Ich weiß, dass du immer versuchst unbeeindruckt zu wirken, aber ich sehe in deinen Augen, dass dir die Toten genauso zusetzen, dass du sie vermisst und dich sicher genau wie alle anderen fragst, ob du es hättest verhindern können.

Du machst es dir schwerer, als du es jemals irgendwem gegenüber zugeben würdest und ich bin mir gerade auch nicht sicher, ob ich dazu mit diesen Zeilen nicht noch beitrage. Dennoch möchte ich dir danken. Dass du immer für deine Leute da bist, dass du dich immer um sie kümmerst, selbst, wenn sie selbst das nicht einmal merken werden.

Ich könnte mir von einem Vorgesetzten nicht mehr wünschen und ich bin sicher, ich bin mit dieser Ansicht nicht allein. Diejenigen, die das Glück haben dich wirklich kennenzulernen, werden es zu schätzen wissen. Nimm dir die Gerüchte darüber, wie kaltherzig und unzugänglich du bist nicht zu Herzen. Du bist ein sehr warmherziger und guter Mensch und ich bin froh und stolz in deiner Einheit gedient zu haben.

Danke auch für die erste Zeit. Vielleicht war es für dich zu unwichtig und du hast es bereits wieder vergessen, aber als ich frisch dabei war, hast du mir beigebracht ruhig zu bleiben und gesagt, dass wir alles unter Kontrolle haben, dass das Risiko kalkulierbar ist, solange wir den Überblick behalten.

Du hattest Recht. Auch wenn ich nicht immer in der Lage war wirklich ruhig zu bleiben, so habe ich doch versucht es mir zu Herzen zu nehmen und es hat es mir leichter gemacht.

Was die Leute auch sagen mögen, bleib, wie du bist, sie werden es eines Tages sicher verstehen.

 

Vielen Dank für alles und, bitte, pass auf dich auf.

 
 

Petra
 

 

Levi ließ seinen Arm langsam sinken und lehnte den Kopf zurück, während er die Augen schloss. Ein leise gemurmeltes „Petra …“ entwich ihm zusammen mit einem Seufzen. Sie sah mehr in ihm, als er überhaupt war, das war sicher und sie machte sich eindeutig über die falschen Dinge Gedanken, aber … er lächelte traurig, faltete den Brief ordentlich zusammen und legte ihn fast schon behutsam in seine Schreibtischschublade zu zwei anderen.

Er würde sie vermissen.

Petra -> Eren

Die Zellentür wurde geöffnet und Eren blickte auf. Natürlich war er wieder eingesperrt worden, wie hätte es auch anders sein sollen? Aber immerhin hatten sie dieses Mal darauf verzichtet ihn an das Bett zu ketten. Sicher, die Ketten waren da und vermutlich hielten sie den Schlüssel auch bereit aber noch durfte er sich frei in der winzigen Kammer bewegen. Noch. Draußen auf dem Gang kam dann und wann eine Wache vorbei, sonst war er mit seinen Gedanken allein – auch wenn er recht sicher war, dass sie ihn nie komplett allein ließen, würde er irgendeinen Mist anstellen, etwa laut schreien, wäre sicher sofort jemand zur Stelle, um ihn zurechtzuweisen.

Er saß mit angezogenen Beinen auf dem Bett, die Arme um die Knie geschlungen und starrte vor sich hin, daher hatte er nicht einmal mitbekommen, dass jemand da war. Als er nun den Kopf hob, stand Levi bereits direkt vor ihm, musterte ihn einen Augenblick lang.

„Eren.“

Wirkte er so abwesend? Eren seufzte. „Ja, Captain?“

Levi zögerte kurz, musterte ihn noch einmal, als versuchte er seine Reaktion abzuschätzen. Eren wand sich leicht unter dem Blick, er war unangenehm, durchleuchtend, kalkulierend. Dann hob Levi auf einmal die Hand und Eren zuckte leicht, warum wusste er selbst nicht, es wäre vollkommen sinnlos ihn jetzt zu schlagen, aber er war auf alles gefasst.

Alles, außer, dass Levi ihm einen Brief entgegenhielt. Genauer einen bräunlichen Briefumschlag, auf dem in sauberer Schrift sein Name stand. „Das haben sie mir gerade mitgegeben“, einen Moment herrschte Schweigen und als Eren etwas ungläubig auf den Brief starrte und zögerte danach zu greifen, fügte Levi etwas leiser hinzu, „Er ist von Petra.“

Eren blinzelte ungewollt, als seine Augen sich leicht weiteten. Er hatte nicht erwartet, dass sie ihm schreiben würde. Nein, dass irgendjemand ihm schreiben würde.

„Haben Sie ihn gelesen?“, fragte er und hoffte tatsächlich auf eine Bestätigung, dass in diesem Brief keine Vorwürfe und nichts Schlimmes stand, doch Levi schnaubte nur, als Eren das Papier endlich entgegennahm. Es fühlte sich schwer an in seiner Hand.

„Natürlich nicht. Falls du lesen kannst, sollte dir auffallen, dass dein Name darauf steht, nicht meiner.“

Damit bedachte er Eren mit einem letzten Blick den dieser nicht entziffern konnte, machte auf dem Absatz kehrt und war verschwunden, noch ehe das Schloss wieder an Eren Zellentür angebracht und verschlossen worden war.

Eren starrte auf den Brief in seiner Hand und er spürte, wie ihm bereits wieder Tränen in die Augen stiegen. „Petra …“, flüsterte er nur leise, ehe er schwer schluckte und den Umschlag mit dem überraschenderweise wirklich unversehrten Wachssiegel aufriss.

 
 

Lieber Eren,
 

 
 

wenn du diesen Brief in der Hand halten solltest, dann ist vermutlich die Expedition nicht so abgelaufen, wie sie geplant war. Ich hoffe wirklich, dass es dir gut geht und ich die Einzige bin, die nicht wieder zurückgekehrt ist.

Was auch immer passiert ist, bitte, Eren, gib dir nicht die Schuld daran, ich bin sicher, du trägst sie nicht.

Ich weiß, es ist nicht leicht für dich und ich fürchte um das, was man dir antun sollte, wenn die Expedition tatsächlich schief gegangen ist. Gib nicht auf, halte dich an die anderen, sie werden dir sicher helfen und vertrau Captain Levi und Kommandant Erwin. Sie werden bestimmt alles in ihrer Macht stehende tun um den Schaden einzudämmen.

Du bist ein guter Junge, Eren, daher bin ich absolut überzeugt, dass es nicht deine Schuld ist, dass du dich niemals bewusst gegen uns oder irgendwen aus der Einheit stellen würdest. Es tut mir unfassbar leid, dass ich am Anfang an dir gezweifelt habe.

Es mag sein, dass es vielen so ging, dass die Nachricht, dass du dich in einen Titanen verwandeln kannst, unglaubwürdig, bizarr und furchteinflößend war, aber das ist keine Entschuldigung.

Als man mir von dir erzählte, war ich unsicher, was ich davon halten sollte, als ich dich dann kennenlernte, dachte ich, das alles wäre eine Lüge gewesen. Ich wollte nicht glauben, dass es stimmt und war umso erschrockener, als es dann doch passierte. Ich hätte es besser wissen sollen, wir alle hätten das.

Es ist unentschuldbar, wie wir in diesem Moment reagiert haben. Du warst selbst nervös und hast nicht verstanden, was vor sich ging, das ist mir heute klar. Es wäre unsere Aufgabe gewesen ruhig zu bleiben und die Lage erst zu überblicken, aber stattdessen haben wir alles noch schlimmer gemacht, indem wir viel zu schnell zu einem falschen Schluss kamen und dachten, du wolltest uns Böses. Hätte uns Captain Levi nicht aufgehalten hätten wir womöglich einen folgenschweren Fehler begangen. Ich mache mir nach wie vor schlimme Vorwürfe deswegen. Ich hätte es wissen sollen, ich kannte dich gut genug, um zu wissen, dass du nicht diese Art Mensch bist, die so etwas tun würde.

Eren, es tut mir unfassbar leid und ich kann nur hoffen, dass du uns deswegen nicht in zu schlechter Erinnerung hältst.

Ich sehe mich daher auch nicht im Recht dir an dieser Stelle Ratschläge zu erteilen oder große, letzte Worte mit auf den Weg zu geben.

Ich hoffe einfach, dass ich wirklich die Einzige war und alles andere glatt gelaufen ist. Und solltest du je diesen Eindruck gehabt haben, bitte, glaube mir, dass niemand von uns dich hasst. Im Gegenteil, trotz allem was an Mysteriösem um dich oder diese Titanen vor sich geht, bin ich froh, dass dich kennengelernt zu haben.

Ich wünsche mir, dass auch alle anderen schnell lernen dich als der Mensch zu sehen, der du bist und nicht als Maschine, Waffe oder Monster. Lass dir nichts einreden, Eren, du bist keines davon und ich bin sicher, eines Tages werdet ihr alle die Welt vor den Mauern zurückerobern.

 

Gib gut auf dich Acht und lass dich nicht unterkriegen. Und vergiss mich ganz schnell wieder, ich will es dir nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist.

 
 

Petra
 

 
 

Ein paar nasse Tropfen fielen auf das Papier und ließen die Tinte leicht verlaufen, ehe Eren es langsam an seine Brust drückte und die Augen fest schloss.

„Wie könnte ich euch jemals hassen …“, murmelte er leise und traurig, dann blinzelte er ein paar Tränen weg und hielt den Brief wieder vor sich, um ihn noch einmal zu lesen.

Er bekam nicht einmal mit, dass jemand an die Gitterstäbe getreten war und stumm zu ihm herüberblickte, sich dann aber mit einem leichten Kopfschütteln wieder abwand und ihn erneut alleine ließ.

Levi -> Eren & Erwin

Levi seufzte, als er die Tür zu seinem Zimmer wieder hinter sich schloss. Er war sich nicht ganz sicher, ob Eren Petras Brief nun gut getan hatte oder ob er es tatsächlich schlimmer machte. Aber wie er sie einschätzte, hatte sie sicher die richtigen Worte gefunden, um Eren hoffentlich zu sagen, dass es nicht seine Schuld war.

Offenbar nahm Eren das ganz deutlich mehr mit, als er anfangs vermutet hatte. Vielleicht lag er hier doch ein wenig falsch mit seiner Einschätzung, Eren hatte offenbar ein paar eindeutig wunde Punkte, was das anging. Das war ungünstig. Auch wenn er es ihm keineswegs verübeln konnte, wirklich nicht.

Dafür, was mit ihm bisher passiert war, hatte er sich schon überraschend gut geschlagen, das musste Levi ihm ja lassen. Allerdings ließ ihn dieser kleine Ausbruch ein wenig zweifeln, ob Eren wirklich schon bereit für Expeditionen war. Er war trotz allem noch ein fünfzehnjähriger Teenager, der ohne seine Eltern aufgewachsen war und einen Schrecken hinter sich hatte, wie ihn die meisten der feineren Pinkel weiter im Inneren in ihrem ganzen Leben niemals zu Gesicht bekommen würden.

Und trotzdem ruhte offenbar ihre ganze, verdammte Hoffnung ausgerechnet auf ihm. Levi setzte sich mit zwei schnellen Schritten an seinen Schreibtisch und zog eine Schublade auf, um Papier und Federhalter herauszufischen.

Es war seine Aufgabe sich um seine Untergebenen zu kümmern und er musste sichergehen, dass Eren nicht daran zerbrach, sollte jemandem etwas zustoßen. Und, so, wie der Junge auf ihn reagierte, konnte das einmal unangenehm werden.

Als Levi das Tintenfass aufschraubte, wanderte sein Blick kurz herüber zum Kamin, in dem das Feuer nach wie vor brannte. Er war nicht wie Petra, er schrieb keine Briefe immer und immer wieder. Er konnte es überhaupt nicht.

So gesehen konnte Eren sich wirklich glücklich schätzen. Denn bisher gab es nur einen anderen Brief, den er zurückgelassen hatte, schon vor Jahren und er hatte nie einen Grund gesehen, ihn zu ändern. In Gedanken fragte er sich manchmal, was Erwin wohl denken würde, wenn er ihn jemals erhalten sollte und sah, dass er mehrere Jahre alt war.

Levi sah wieder auf den Tisch herab und tauchte die Feder ein, ehe er kurz zögerte. Er fasste so etwas nicht gerne in Worte, es war meist für beide Beteiligten seltsam. Aber Eren musste verstehen, dass es passieren konnte, dass auch er nur sterblich war, dass er … weitergehen musste. Und Levi senkte die Spitze auf das Papier und begann zu schreiben.

 

Eren,

 

solltest du diesen Brief jemals in der Hand halten, habe ich wohl versagt. Es ist nicht meine Art dir jetzt zu sagen, dass du weitermachen musst und dir eine große Rede darüber zu halten, warum. Und ich werde es auch nicht versuchen.

Du musst lernen dich dem Leben alleine entgegenzustellen, denn im Moment bist du ein Feigling. Beeil dich und lerne gefälligst, wie man Entscheidungen trifft und auch mit ihnen lebt.

Wage es niemals zu bereuen was immer es auch war, das zu meinem Tod geführt hat. Selbst wenn du dumm genug sein solltest dir irgendwie einzureden, dass es deine Schuld war – im Gegensatz zu dir bestimme ich meinen Weg selbst, also war auch das meine eigene Entscheidung.

Solltest du noch leben, ist das gut. Belass es dabei, ich möchte deine dumme Visage für mindestens die nächsten dreißig bis vierzig Jahre nicht wiedersehen.

 

Zugegeben, das war nicht gerade Petras warme oder Erwins gekonnte Wortwahl, aber Levi sah nicht ein sich zu irgendeinem Rumgesülze zu zwingen. Abgesehen davon traute er Eren zu ihn durchaus zu verstehen.

Er wartete kurz, bis die Tinte getrocknet war, faltete das Papier und steckte es in einen Umschlag, den er dann mit Erens Namen beschriftete. Er atmete noch einmal tief durch und machte sich auf den Weg zum Verwaltungsbüro. Sicher würde die „werte“ Frau überrascht sein, ihn doch nach all der Zeit einmal etwas schreiben zu sehen. Und sie würde es bestimmt falsch deuten.

Nein, er war nicht weich geworden, aber Eren würde verstehen, warum er das schrieb. Genauso, wie Erwin, sollte der Fall jemals eintreten, verstehen würde, was das eine Wort in seinem Brief zu bedeuten hatte. Denn im Gegensatz zu Erens Brief war Erwins wirklich kurz, aber damit war auch bereits alles gesagt.

 

Danke

Eren -> ?

„Eren.“

Langsam hob er den Kopf, als die nur zu bekannte Stimme ihn ansprach. Drei Tage waren seit ihrer Rückkehr vergangen und Eren hatte sich ein wenig beruhigt. Es schmerzte noch immer zurückzudenken und er vermied es, wo es nur ging.

Das funktionierte recht gut, nachdem ihm Armin und der Kommandant heute Morgen etwas gänzlich Neues zum Grübeln gegeben hatten. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Aktion, die in etwa drei Stunden starten würde, sobald er offiziell überführt werden würde, auch nicht gerade das war, was er sich wünschen würde.

Er hatte sich auf seine Liege gesetzt, die Beine angezogen und den Kopf darauf vergraben, in dem Versuch einfach alles auszublenden und sich nicht immer wieder zu fragen, ob Armin am Ende recht behalten würde. Er konnte es, nein, er wollte es einfach nicht einsehen.

Nun aber stand Levi vor ihm und Eren schluckte schwer. Hatte er die Zeit doch vergessen? War es soweit? Er war ziemlich sicher noch nicht bereit dafür!

Automatisch beschleunigte sich seine Atmung leicht, doch noch ehe er etwas sagen konnte, hielt Levi ihm etwas entgegen.

Eren blinzelte leicht verwirrt und griff dann nach dem flachen, aber länglichen Kästchen. „Was ist das?“

Levi antwortete nicht, aber als Eren den Deckel hob, wusste er auch so Bescheid. Im Inneren lagen ein paar Blätter Papier, Umschläge, eine Schreibfeder und ein kleiner Glasbehälter mit Tinte.

Eren seufzte leise und sah wieder auf. „Gehen Sie davon aus, dass ich sterben werde?“, fragte er direkt.

Levi musterte ihn einen Moment lang schweigend und unbewegt, dann schüttelte er langsam den Kopf. „Wir alle können jederzeit sterben, darüber solltest auch du dir im Klaren sein. Ich weiß, dass du keinen einzigen Brief geschrieben hast.“ Woher auch immer er das wusste? „Das könnte deine letzte Chance sein. Ich komme in einer Stunde wieder.“

Damit wand er sich ab und gab dem Wachposten ein Zeichen ihn hinauszulassen. Eren sah ihm einen Augenblick hinterher. Das stimmte, ehe sie zu ihrer Expedition aufgebrochen waren, hatte er nicht einmal daran gedacht, dass er vielleicht einen Brief schreiben könnte und nun …

Sein Blick wanderte hinunter auf das Papier und er fischte langsam eines heraus, legte es oben auf das Kästchen als Unterlage und tauchte die Feder ein. Er beobachtete, wie ein Tropfen Tinte wieder von ihr herabfiel und für Sekundenbruchteile winzige Wellen auf dem Rest verursachte.

Petras Brief hatte ihm irgendwo wehgetan, aber er war lieb und warm und einfach sie gewesen. Es hatte gut getan zu wissen, dass sie an ihn dachte, ihn zu lesen war, als würde sie ein letztes Mal mit ihm reden. Vermutlich waren solche Abschiedsworte wichtig, konnten den Menschen helfen. Aber … was sollte er schreiben?

Langsam hob er die Feder über das Papier, zögerte kurz, ließ sie dann noch langsamer sinken.

 
 

Armin,
 

 
 

ich weiß, ich bin wirklich schlecht in sowas, aber

 

mir fällt es schwer in Worte zu fassen, was ich dir sagen will, du warst darin immer besser als ich es jemals sein werde und

 

ich bin froh, dass wir befreundet waren un

 

pass auf dich auf

 

Frustriert gab Eren es nach dem vierten Versuch auf. Es war unmöglich, einfach vollkommen unmöglich Worte für das zu finden, was er Armin sagen wollte. Egal, wie er es auch versuchte, es klang immer falsch und so verdammt nach einem Abschied, dass es Eren einen Stich versetzte. Ja, diese Briefe sollten für den Fall sein, dass es ein Abschied war, dass er starb, aber … einen zu schreiben ließ ihn sich fühlen, als würden sie in den sicheren Tod gehen. Das ging einfach nicht.

Er atmete mehrfach tief durch, zwang sich zur Ruhe, griff sich dann das Papier und zerknüllte es, um ein weiteres zu nehmen und es langsam auf der hölzernen Oberfläche glattzustreichen. Armin würde es sicher wissen. Er würde verstehen, wie schwer ihm so etwas viel, aber es hatte nie Worte gebraucht, damit er wusste, was Eren ihm sagen wollte. Und Eren würde einfach darauf vertrauen, dass sein Kindheitsfreund auch diesmal Bescheid wusste.

Er tunkte die Feder erneut ein und startete einen neuen, anderen Versuch.

 
 

Mikasa,
 

 
 

auch wenn wir uns unter sehr unschönen Umständen kennengelernt

 

es tut mir leid, dass ich nicht mehr da sein werde, um

 

ich wollte nicht sterben, ich wollte nicht versagen, ich

 

bitte, vergiss mich und

 

Entnervt warf Eren die Feder auf den Boden, riss auch dieses Papier herunter und knüllte es ebenfalls zusammen, ehe es der Feder folgte.

Er schnaubte wütend auf sich selbst, nahm sich immerhin die Zeit die Tinte vorsichtig zuzuschrauben und wieder in das Kästchen zu verstauen, ehe er es beinahe sanft auf den Boden legte und sich mit verschränkten Armen mit dem Rücken gegen die Wand sinken ließ.

Mikasa würde es sicher ebenso wissen, wie Armin. Alle, denen er einen Brief schreiben konnte, würden es wissen.

Er konnte nicht davon ausgehen, dass er versagen und sterben würde, denn dann würde er es tun. Er musste das überstehen und wenn er wirklich nicht mehr leben sollte, dann würde er bei dem Versuch draufgegangen sein und sie alle würden es wissen.

Armin würde wissen, wie dankbar er ihm für die Freundschaft war, Mikasa würde wissen, dass er das nicht gewollt hätte und gerne länger für sie da gewesen wäre, Jean würde wissen, dass Eren ihn eigentlich längst als Freund ansah und große Stücke auf ihn setzte und auch seine Vorgesetzten würden wissen, dass er sich alle Mühe gegeben hatte ein guter Soldat zu sein.

Er musste es nicht schreiben.

Als Levi zurückkam, saß Eren noch genauso da, nur, dass er inzwischen aus dem winzigen Fenster nach draußen zu dem schmalen Streifen Himmel hinaufsah, den es preisgab.

Levi sagte nichts, als er die beiden zusammengedrückten Papiere einsammelte und das Kästchen aufhob.

Er fragte nicht, erinnerte ihn nur daran, dass es in Kürze losgehen würde. Eren nickte darauf und Levi ging wieder.

Offensichtlich hatte er bereits verstanden und ein winziges, trauriges Lächeln huschte über Erens Gesicht. Er durfte einfach nicht versagen.

Armin -> Eren

Armin hatte sich in den hinteren Winkel der Bibliothek zurückgezogen. Seit er Zugang zu diesen Räumen hatte, waren sie schnell seine Zuflucht geworden, wenn er Ruhe brauchte. Oder Zeit zum Nachdenken. Oder auch beides.

Auch wenn es im Augenblick wohl müßig war, denn das, was ihm Kopfzerbrechen bereitete, war etwas, das er niemals durch Grübeln würde lösen können. Schlicht, weil es keine Lösung gab. Es gab Antworten auf die Fragen, aber sie warfen neue Fragen auf, insbesondere die, wie man damit umgehen, wie nun handeln sollte.

Und auch wenn er nicht verhindern konnte, dass er darüber wieder und wieder nachdachte, so war Armin unheimlich froh, dass nicht er es war, der eine Entscheidung treffen musste, vollkommen gleich, wie sie aussah. Er beneidete Kommandant Erwin wirklich nicht. Wie viele Soldaten waren sich wohl im Klaren darüber, wie schwer es war, wie viel dahinter steckte, bis ein Befehl gegeben wurde?

Armin schüttelte langsam den Kopf und wand sich etwas anderem zu. Etwas, das er schon längst hätte tun sollen, aber bisher nicht über sich gebracht hatte. Er lächelte traurig, als er in sauberer Handschrift langsam seine Gedanken zu Papier brachte. Es tat irgendwie gut sie loszuwerden, zu wissen, dass sie im Falle eines Falles nicht verloren gingen. Aber es stimmte ihn traurig, dass es gar nicht so unwahrscheinlich war, dass diese Briefe sehr bald gelesen werden würden.

 
 

Eren,
 

 
 

ich weiß nicht, was es sein wird, das mich am Ende umbringt. Wahrscheinlich etwas Dummes, das ich getan habe, obwohl ich genau wusste, dass ich es nicht kann. Vielleicht war es auch ein Missgeschick oder ein Unfall. Wir wissen beide, wie schwach ich eigentlich bin und dass ich ohne deine und Mikasas Hilfe niemals so weit gekommen wäre.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ich weit vor euch sterbe und dafür bin ich dankbar. Nicht, weil ich sterben will, sondern, weil ich sicher sein kann, dass du mich überleben wirst. Dass du alt werden, vielleicht einmal Nachkommen haben wirst.

Und wenn schon nicht das, dann doch zumindest älter werden als ich. Und wenn du diesen Brief in Händen hältst, dann heißt das auch, dass ich nicht noch einmal zusehen musste, wie du stirbst.

Ich weiß, wie unheimlich schmerzhaft es ist, einen guten Freund sterben zu sehen und ich hoffe wirklich, dass du nicht dabei warst, als es passiert ist. Ich hoffe auch, dass die anderen da sind, um dich abzulenken, dir Halt zu geben und zu zeigen, dass es weitergeht, dass da noch mehr Menschen sind, die dich brauchen und für die du stark sein kannst.

Denn du musst weitermachen. Du musst weiterleben, eines Tages nach draußen kommen, die Titanen besiegen und all die wunderbaren Orte sehen, von denen wir immer geträumt haben. Ich erinnere mich noch immer gerne daran zurück, wie wir schon vor annähernd zehn Jahren zusammen auf den Stufen saßen und uns die Bilder angesehen und diese Welt dort draußen vorgestellt haben.

Die kochende Erde, das Eisland, die Seen so groß, dass man das Ende nicht sieht. All diese fantastischen, unvorstellbaren Orte dort draußen – du musst sie eines Tages sehen. Und du musst sie dir genau einprägen, denn ich werde dich einmal danach fragen. Irgendwann, in ferner Zukunft, wenn wir uns wieder sehen, musst du mir davon erzählen, damit wir endlich all den Spöttern von damals ins Gesicht lachen und ihnen sagen können, dass sie wahr sind. Dass wir nicht nur Träumer und Spinner sind, sondern an etwas geglaubt haben, das es wirklich gibt.

Wenn ich nun nicht mehr mitkommen kann, dann musst du das für uns beide übernehmen. Ich werde darauf warten.

Solange lebe, denk nicht zu viel an mich außer an die angenehmen Erinnerungen. Du warst in meiner Kindheit der Einzige, der nicht gelacht, sondern mir zugehört hat. Ich denke, du weißt es, aber ich möchte es dennoch einmal direkt sagen: Danke, Eren, danke für deine Freundschaft.

 

Ich werde auf dich warten, aber, bitte, lass dir Zeit.

 
 

Armin
 

 
 

Armin lachte leise, als er sich vorstellte, er würde Eren heute diesen Brief zeigen. Sicher würde er ihm den Kopf waschen für diese Worte und die Tatsache, dass er auch nur einen Gedanken daran verschwendete, dass er sterben könnte. Er würde ihm etwas erzählen von wegen er würde auf ihn aufpassen und er solle aufhören an den Tod zu denken.

Es wäre so typisch Eren.

Aber Armin wusste, wie sterblich und schwach er war und früher oder später würde auch Eren das wohl merken.

Langsam und bedacht faltete er den Brief zusammen, steckte ihn in den bereitliegenden Umschlag und versiegelte ihn, ehe er Erens Namen darauf schrieb und ihn langsam zur Seite legte.

Armin -> Mikasa

Armin griff sich langsam ein neues Blatt Papier. Es gab noch einen zweiten Brief, den er auf jeden Fall schreiben musste.

Für einen Augenblick überlegte er, die Feder in seiner Feder kippte ein Stück auf und ab, während Armins Blick aus dem Fenster hinaus fiel. Ob die Briefe wirklich nötig waren? Fast war er in Versuchung sie direkt darauf anzusprechen, schlug sich das aber schnell wieder aus dem Kopf.

Sie würde es genauso wenig hören wollen, wie Eren. In dem Punkt waren beide sich sehr ähnlich, sie wollten nicht einsehen, dass jeder sterben konnte und nicht darüber nachdenken, was wäre, wenn es eben doch passieren würde.

Er schmunzelte sacht. Seine Freunde waren schon eine Geschichte für sich. Behutsam tunkte er die Feder ein und strich sie am Rand ab, ehe er zu schreiben begann.

 
 

Mikasa,
 

 
 

ich hoffe, wenn du diesen Brief liest, ist nicht zu viel schief gegangen, Eren und die anderen sind bei dir und ich bin der Einzige, der es nicht zurück geschafft hat.

Ich hoffe außerdem, dass weder du noch Eren sich Vorwürfe machen, weil ihr mir nicht helfen oder mich retten konntet. Bitte, tut es nicht. Es gibt zu viele Möglichkeiten, was einmal passieren könnte, aber mit den Erfahrungen vom letzten Mal bin ich mir ziemlich sicher, wenn ich sage, es ist mir lieber, ihr ward nicht dabei und es war nicht zu knapp.

Es tut mir bis heute leid, was damals geschehen ist und ich habe gesehen, was es für Auswirkungen hatte.

Danke, dass du es mir damals nicht vorgeworfen hast, wie ich es mir selbst vorgeworfen habe. Danke für all die Male, in denen du mich gerettet hast. Solche Freunde sind nicht selbstverständlich und ich bin sehr froh euch gehabt zu haben.

Mikasa, bitte pass auf Eren auf. Ich würde zwar gerne schreiben, dass er sicher auch erwachsener wird und das hinbekommt – und ich zweifle auch nicht, dass ihr am Ende einmal erfolgreich sein werdet – aber, ehrlich, wir wissen beide, dass er es bestimmt wieder schaffen wird sich in Schwierigkeiten zu bringen. Vor allem in unnötige.

Brems ihn, halt ihn auf, wenn er wieder etwas Undurchdachtes tun will und sorg dafür, dass er erst zuhört und sich an Befehle hält. Wenn er sie nicht versteht, erklär sie ihm – oder frag nach, ich glaube, im Moment ist es wichtig, dass wir den Durchblick haben.

Politik ist schwieriger als Titanen umzulegen, man muss den Überblick behalten. Ich weiß, dass Eren sich mit Händen und Füßen wehren wird, aber im Zweifel redet mit den anderen. Ich denke, Jean ist auf dem Weg den Überblick zu finden oder sonst, lasst es euch wirklich noch einmal erklären, ich bin mir recht sicher, dass unsere Vorgesetzen einen Plan haben und daran sollten wir uns halten.

 

Ansonsten pass bitte auch auf dich auf. Ich weiß, du bist stark und du bist gut, aber, Mikasa, auch du musst einen kühlen Kopf bewahren, damit dir nichts passiert.

Ich möchte lieber lange auf euch warten, als euch zu bald wiederzusehen. Lebe noch lange weiter und finde den Weg nach draußen!

 
 

Armin
 

 
 

Er ließ die Feder langsam sinken und las noch einmal über das, was er gerade geschrieben hatte. Es klang ein wenig seltsam und falsch und er war sich nicht sicher, ob der Brief genauso ausgesehen hätte, hätte er ihn an einem anderen Tag in einer anderen Situation geschrieben.

Aber im Augenblick ging ihm viel zu viel durch den Kopf und er wusste, dass Eren und Mikasa auch nicht wirklich das Gesamtbild sahen, nach dem er so verzweifelt suchte.

Er erinnerte sich aber nur zu gut daran, wie Mikasa reagiert hatte, als Eren vermeintlich gestorben war und auch wenn Armin davon ausging, dass sie auf seinen Tod nicht derart heftig reagieren würde – er glaubte nicht, dass es sie kalt lassen würde.

Mit einem traurigen Lächeln lehnte er sich zurück und schloss in Gedanken vertieft die Augen.

Hanji -> Erwin

Sie saß zurückgelehnt auf ihrem Stuhl in ihrem Labor und sah tief in Gedanken versunken auf ihr Experiment herüber. Eine Unmenge von Glasröhren verband über verschiedene Verstrebungen, Filter und Kühlungsmechanismen zwei große Glaskolben mit einander. Im ersten köchelte eine dunkelrote Flüssigkeit langsam vor sich hin, rosa Dampf stieg in die Apparatur, entfärbte sich allmählich und tropfte schließlich als klare Flüssigkeit langsam in das zweite Gefäß.

Es würde noch mindestens eine halbe Stunde dauern, bis sie das Destillat würde untersuchen können und somit blieb ihr genug Zeit, um über ein paar Dinge zu grübeln. Auf ihrem viel zu voll gemüllten Schreibtisch, über den sich Levi jedes Mal wieder beschwerte, wenn er ab und an hier vorbeikam, lag ihr Notizblock und Schreibzeug. Hanji grübelte einen Moment, dann griff sie langsam danach.

Sie notierte alle ihre Ergebnisse hierauf, aber auch ihre Gedanken, Theorien, teils skizzenhafte Zeichnungen oder Schemata, wenn sie ein Bild im Kopf hatte. Sie schrieb alles auf, egal, wie abwegig oder unsinnig es sein mochte. Sie wollte, dass nichts verloren ging, wenn ihr einmal etwas passieren würde.

Aber vielleicht wurde es Zeit, dass sie dafür sorgte, dass es auch die richtigen Leute in die Hand bekommen würden, wenn der Fall eintreten sollte. Gedankenverloren kritzelte sie ein paar Linien auf das Blatt, ehe sie langsam anfing zu schreiben.

 
 

Erwin,
 

 
 

vermutlich wirst du überrascht sein, von mir einen Brief zu erhalten, nicht? Keine Sorge, ich werde dich nicht mit einem endlosen Lebewohl langweilen oder dir eine vergessene Liebeserklärung machen. Nein, ich möchte eine letzte Bitte äußern.

Unter meinem Bett, hinten ganz in der Ecke an der Wand findest du eine lose Bodendiele (und ehe du fragst, ja, ich habe sie selbstständig gelöst). Wenn du sie hochhebst, wird darunter eine Kiste liegen.

Es sind meine gesamten Gedanken, Theorien und Ideen. Einige davon sind sehr abstrakt und einige wohl auch nicht gerade wahrscheinlich. Aber darunter könnte sich vielleicht auch ein Gedankenanstoß sein, der dir weiterhilft und ich möchte nicht, dass alles verloren geht.

Ich weiß, dass du mir sehr viel zugestanden hast, seit du mir die Leitung des Forschungstrupps anvertraut hast und dass ich manchmal vielleicht ein wenig arg auf einige Dinge beharrt oder an meine und deine Grenzen gestoßen bin. Ich hoffe einfach, dass ich zumindest einen Teil dafür auch beitragen konnte.

Außer dir habe ich nur Moblit einen Brief mit dem Versteck hinterlassen, ich denke, er wird am ehesten fortführen können, was ich begonnen habe, falls du einen Nachfolger suchen solltest. Wenn die Kiste also nicht an ihrem Platz ist, dann hat sehr wahrscheinlich er sie. Und vermutlich wird auch er am ehesten derjenige sein, der aus meinen wirren Aufzeichnungen schlau wird, wenn es dir nicht gelingen sollte.

Solltest du nicht die Zeit oder die Nerven haben, dich damit zu beschäftigten, dann, bitte Erwin, sieh dir wenigstens die obersten beiden Blätter einmal genauer an. Es sollten die Ergebnisse meiner Untersuchungen an Eren sein und einige meiner neuen Vermutungen über die Beschaffenheit und die Herkunft seiner Verwandlungsfähigkeiten.

Ich habe bisher mit niemandem darüber gesprochen, weil ich nicht sicher genug bin, um es wirklich auszusprechen, aber wenn ich Recht haben sollte, könnte es einiges gefährlicher machen, weil wir noch mehr solcher Menschen wie ihn unter uns haben könnten.

Aber damit erzähle ich dir wahrscheinlich auch nichts Neues, oder?

Wie auch immer, ich hatte mir eigentlich geschworen es nicht zu tun, aber ich habe das Gefühl, ich sollte, also, hier:

Danke, Erwin. Danke, dass du mich hast forschen lassen, wie ich es für richtig hielt und nicht, wie es unser Protokoll vorgeschrieben hat, dass du dir meine Theorien angehört und nicht gleich verworfen hast und auch, dass du mir einen Versuchstitanen gefangen hast.

Ich werde mich dann jetzt wohl der nächsten Frage widmen, was nach dem Tod passiert, ich werde dir dann gehorsam berichten, wenn es soweit ist.

 
 

Hanji
 

 
 

Sie hielt zwischendurch immer wieder inne, um kurz nachzudenken. Als sie geendet hatte, war aus den Linien oben in der Ecke eine Skizze ihres Bettes und eine Art Schatzkarte mit einem Kreuz in der oberen rechten Ecke geworden.

Sie schmunzelte über sich selbst und legte den Brief schnell beiseite, als ihre Apparatur auf einmal einen pfeifenden Ton von sich gab und an irgendeiner Stelle gelblicher Dampf austrat.

Hanji -> Levi

Sie brauchte etwa zehn Minuten, um das Problem (eine undichte Verbindungsstelle) zu finden und so zu beheben, dass ihr Versuch keinen Schaden daran nahm. Allerdings war bei dem Malheur ein wenig der Testflüssigkeit in das Destillat getropft.

Hanji nahm das Gefäß mit der klaren, ein wenig ölig schimmernden Flüssigkeit in die Hand, schätzte die Menge ab und tauschte dann kurzerhand die beiden Glaskolben, ehe sie einen dritten aus dem Schrank holte und ans Ende der Apparatur setzte. Sie brauchte ein reines Ergebnis, wenn sie daraus etwas ablesen wollte.

Ohne weiter groß darauf zu achten, stellte sie die Reste der ersten Testflüssigkeit irgendwo auf ihren Tisch und ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken.

Jetzt hieß es also noch einmal warten.

Sie machte sich eine kurze Notiz auf einem Schmierzettel, dass sie den Aufbau wiederholt hatte und warum, dann wollte sie das Papier wieder weglegen, hielt aber kurz inne. Sie hatte Zeit, dann konnte sie auch, wenn sie ohnehin dabei gewesen war, gerade noch einen weiteren Brief schreiben, nicht?

Er war nicht notwendig, zumindest nicht in der gleichen Art und Weise, wie der an Erwin es war, aber … sie lächelte sacht und griff sich ihren Stift. Vielleicht war er es auf eine andere Art und Weise doch und wenn nicht, so war sie auf jeden Fall auf Nummer sicher gegangen.

 
 

Lieber Levi,
 

 
 

ja, du hast richtig gelesen. Lieber. Sieh mich nicht so an, so beginnt man Briefe im Allgemeinen, auch wenn du mir jetzt vermutlich gleich sagen wirst, dass ich mich doch auch sonst einen Dreck darum schere, wie „man etwas macht“. Und natürlich hast du damit vollkommen recht, aber ich dachte trotzdem, dass es ein netter Anfang wäre.

Irgendwie muss ich diesen Brief ja beginnen, warum dann nicht ausnahmsweise einmal so, wie andere es auch tun?

Verdreh nicht die Augen, ist ja schon gut, ich höre auf. Dann bringen wir lieber das „Gesülze“, wie du es vermutlich nennen würdest, hinter uns, was meinst du?

Nein, nicht wieder die Augen verdrehen! Lass mich doch erstmal anfangen, ich versuch es auch unsülzig zu halten, extra für dich (denke ich … ich weiß nicht, ob ich etwas sülzig schreiben könnte, wenn ich wollte … soll ich es nicht doch mal …? Okay, okay, ich weiß schon, sag nichts).

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich das erste Mal gesehen habe. Und mein erster Gedanke war, dass du klein bist. Ja, ich weiß, das überrascht dich nicht und das habe ich oft genug klar gemacht. Aber es ist nun einmal eine Tatsache, dass du der kleinste Mann bist, den ich kenne. Ich mein, schau mal, selbst unsere Neuzugänge sind fast alle größer als du – und die wachsen noch!

Schon klar, ich weiß, Klappe halten. Aber ich denke, du weißt, dass ich es nie böse gemeint habe, wenn ich dich damit aufgezogen habe. Ebenso wenig, wie mit allem anderen. Und du glaubst nicht, wie herrlich es war endlich jemandem zu begegnen, der meinen Sinn für Humor versteht … oder zumindest nicht komisch guckt, wenn ich versuche einen Witz zu reißen. Ganz sicher, ob du ihn wirklich verstanden hast, bin ich nicht, wenn ich so darüber nachdenke.

Aber ich glaube, da haben wir eine Gemeinsamkeit, so, wie alle immer gucken, versteht auch niemand deine Witze, oder?

Haha, jetzt schau nicht so grummelig, das weißt du doch selbst auch ganz genau. Sie sind halt alle komisch. Oder wir. Macht keinen Unterschied.

Was ich auf jeden Fall sagen wollte, ich weiß, dass ich anstrengend bin. Ich weiß, dass ich unordentlich bin und nicht halb so oft dusche, wie ich sollte (ja, okay, nach deiner Definition, wahrscheinlich nicht mal ein Zehntel so oft), ich weiß, dass die Leute Angst vor meinem Labor haben und kaum jemand freiwillig herkommt.

Und ich bin froh, dass du trotzdem immer wieder gekommen bist. Obwohl du einen halben Anfall wegen meiner Unordnung (ja, ich habe das gesehen, auch wenn du es nicht glaubst) bekommen hast. Ich bin froh, dass dich all das nicht davon abgehalten hat mit mir zu reden.

Vermutlich würden mich die meisten für diese Worte seltsam ansehen, aber ich habe unsere Gespräche immer unglaublich genossen und ich denke gerne an jedes einzelne Mal zurück, wenn wir abends noch hier zusammensaßen, du dich über die Zeit oder deine Leute beschwert hast, während ich am Werkeln war … ja, und wie du mich mehr als einmal darauf aufmerksam machen musstest, dass irgendwas überkocht, das wolltest du doch gerade sagen, oder?

Ich schätze, da hast du mich ein paar Mal vor Schlimmerem bewahrt und dafür schulde ich dir wohl was.

Und ich bin auch fast am Ende, denn wenn du das hier lesen solltest, dann habe ich wohl mein letztes großes Experiment begonnen und erforsche jetzt, was nach dem Tod kommt. Wir können dann darüber reden, wenn du irgendwann einmal in hoffentlich ferner Zukunft folgen solltest. (Ja, das muss sein, immerhin habe ich dann deutlich mehr Erfahrung als du.)

Bis dahin aber, rede doch mal mit Erwin oder Moblit, ich habe den beiden meine Forschungen überlassen. Du wirst es Zeitverschwendung und wirres Gerede nennen, aber vielleicht interessiert dich die eine oder andere Theorie über die Schwachpunkte der Titanen ja doch. (Ja, das glaube ich wirklich, egal, wie sehr du jetzt das Gesicht verziehst.)

 

Nun, ich denke, ich sollte mich jetzt wieder um mein Experiment kümmern. Es wird verdammt langweilig ohne dich in Zukunft sein, pass auf dich auf.

(Und ich weiß, dass du jetzt entnervt den Kopf schütteln und den Brief weglegen wirst, daher kann ich es am Ende ruhig noch schreiben, wenn du es ohnehin nicht lesen wirst.)

Danke, Levi. Danke, dass du da warst.

 
 

Hanji
 

 
 

Hanji sah traurig auf den überraschend lang gewordenen Brief in ihrer Hand. Er war unordentlich geschrieben, auf einem Notizzettel, der offenbar schon den einen oder anderen Tropfen abbekommen hatte und wirkte … so unwichtig.

Und doch hatte es sie ein wenig melancholisch gestimmt. Noch während sie schrieb, hatte sie Levi vor sich gesehen, wie er reagiert hätte, wenn sie diese Worte zu ihm gesagt hätte. Sie hatte auf ihre letzten Worte hin tatsächlich eine andere Reaktion gesehen – ein langsames, schweres Schließen der Augen, als wollte er nicht vorhandene Tränen wegblinzeln und ein trauriges Seufzen – aber sie weigerte sich darauf einzugehen.

Er war der stärkste Kämpfer der Menschheit, er würde auch mit ihrem Tod fertig werden, irgendwie. Aber es schmerzte immer einen Freund zu verlieren und egal, was einige Leute sagen oder denken mochten, Hanji sah ihn schon lange als einen an und sie war sich sehr sicher, dass er es ähnlich sah.

Zumindest würde er sich sonst sicher niemals freiwillig in ihre „Muffhölle“ begeben, wie er das Labor seit dem ersten Tag nannte, dachte sie mit einem kleinen Lächeln.

Dann erklang ein Krachen und sie sprang schnell auf, als ihr Experimentaufbau gefährlich zu schwanken und knallen begann.

Mikasa

Mikasa mochte die herrschende Stimmung nicht. Die Atmosphäre war düster, gedrückt und beschwert von Trübsinn und Hoffnungslosigkeit.

Egal, wohin sie lief, überall sahen ihr die gleichen, bedrückten Gesichter entgegen, überall kamen ihr Menschen entgegen, deren Augen rot und geschwollen waren und in deren Gesichtern Schmerz und Trauer zu lesen war.

Es erinnerte sie viel zu sehr an die Zeit vor drei Jahren. Es fühlte sich an wie damals nach dem Fall von Maria, als sie in Notunterkünften gelebt hatten. Es war das gleiche erdrückende Gefühl in der Luft, das sich breit zu machen und sich um sie zu legen schien, als wollte es sie mit hinunterziehen. Es ließ sie frösteln und den Schal um ihren Hals enger ziehen, während sie die Nase darin vergrub und tief durchatmete.

Sie durfte sich nicht davon anstecken lassen, nicht so kurz, ehe sie hoffentlich Eren aus dem Gewahrsam holen würden. Das war der falsche Zeitpunkt für Trauer über gefallene Kameraden.

Es waren Menschen gestorben, die sie gekannt hatte, mit denen sie sich am Abend vorher noch unterhalten hatte. Es versetzte ihr einen Stich, es ließ sie nicht los, aber sie verdrängte das ganze bisher noch halbwegs erfolgreich. Dafür würde später Zeit sein, nur nicht jetzt.

Eine Frau kam ihr entgegen, die einen Brief in Händen wog und offenbar zögerte ihn zu öffnen.

Auch das war keine Seltenheit in den letzten Tagen. Mikasa seufzte im Stillen und durch den Stoff ihres warmen Schals gedämpft leise und lief schnell weiter. Nach draußen, ins Freie, wo Armin und Jean bereits auf sie warteten.

Während sie sich auf den Weg machten, fragte Mikasa sich einmal mehr, ob ihr wohl auch jemand einen solchen Abschiedsbrief schreiben würde. Die wahrscheinlichsten Kandidaten dafür waren die beiden Jungen neben ihr und Eren, aber irgendwie war sie gar nicht sicher, ob sie wirklich wissen wollte, ob oder was in einem solchen Brief stehen würde.

Es war nicht verboten darüber zu sprechen, aber irgendwie tat es nie jemand. Man fragte nicht, ob ein anderer einem eine Nachricht hinterließ, es fühlte sich falsch und komisch an und sie wäre auch nicht auf die Idee gekommen es überhaupt zu versuchen.

Im Falle, dass einer ihrer Freunde wirklich sterben sollte … nein, sie wollte gar nicht genauer darüber nachdenken, solange das nicht der Fall war. Es war damals schlimm genug gewesen wenn auch nur für kurze Zeit zu glauben, dass Eren tot war. Bei der Vorstellung, dass sie zu diesem Zeitpunkt einen Brief von ihm erhalten hätte, wurde ihr kalt und sie schauderte.

Ein paar Mal hatte sie gesehen, wie es Leuten danach wirklich besser ging, wie sie traurig lächelten oder etwas darüber sagten, dass sie froh wären, dass sie diesen Abschied hätten.

Mikasa konnte es nicht wirklich nachvollziehen. Wie konnte man froh sein, wenn ein wichtiger Mensch nicht nur gestorben war, sondern auch noch eine Nachricht hinterlassen hatte, die eigentlich nur aussagte, dass er davon ausgegangen war, dass er sterben würde? Bedeutete das nicht im Umkehrschluss, dass man im Prinzip wissentlich in den Tod lief und aufgegeben hatte lebend zurückzukommen?

Waren es nicht genau die Menschen, die aufgaben, die ihr Leben verloren? Die nicht mehr darum kämpften, dass es weiterging? Sie hatte sich geschworen niemals mehr dort zu landen. Wenn sie alle aufgeben würden, dann hatten sie wirklich verloren, dann würden sie alle sterben und das konnte und wollte sie nicht zulassen.

Ehe sie zur Expedition ausgeritten waren, hatte ihr Vorgesetzter auch sie gefragt, ob sie einen Brief schreiben wollte, aber Mikasa hatte nur den Kopf geschüttelt und niemand hatte weiter nachgefragt.

Für sie kam so ein Brief einer Resignation gleich und wenn sie wirklich sterben sollte, wollte sie nicht, dass der letzte Eindruck von ihr der war, dass sie es nicht einmal mehr versucht hatte. Ganz abgesehen davon, dass sie auch nicht gewusst hätte, was sie darin hätte sagen sollen.

Was waren passende Abschiedsworte? Was hinterließ man anderen, wenn man ihnen nicht noch mehr Trauer und Schmerz auferlegen wollte?

Nein, sie war sicher, dass es besser war, wenn sie nichts schrieb und einfach annahm, dass die anderen wussten, was sie ihnen sagen würde, wenn sie wirklich sterben sollte.

Und im Stillen betete sie auch, dass sie niemals einen Brief erhalten würde, es würde nur einen weiteren, schmerzhaften Verlust in ihrem Leben symbolisieren und sie wusste nicht, ob sie stark genug sein würde, um ihn wirklich zu lesen.

Erwin -> Levi

„Ich versuche dann mal zu Eren durchzukommen und mit ihm zu reden. Bin in etwa einer Stunde wieder zurück.“

Erwin nickte die Aussage ab und Levi ließ sich von seinem Schreibtisch herunterrutschen und lief langsam in Richtung Tür. Den meisten Menschen wäre es vermutlich nicht aufgefallen, aber Erwin bemerkte die kleinen Anzeichen.

Dass Levi sich auf seinen Schreibtisch setzte, war keine Besonderheit, aber normalerweise war es eher ein leichter Sprung als ein Heruntergleiten und wenn er genau hinsah, merkte er auch ein winziges Zucken, wann immer Levi mit links auftrat. Es war kein wirkliches Humpeln, aber er schonte die linke Seite und auch wenn er stand lehnte er sich leicht nach rechts.

Erwin blieb ruhig sitzen und sah Levi noch einen Moment lang hinterher, als dieser die Tür schon hinter sich geschlossen hatte. Es war wie ein kleines Mahnmal. Levi war glimpflich davon gekommen, es war keine schlimme Verletzung und sie würde schnell und ohne bleibende Schäden heilen und dennoch …

Auch sein mit Abstand stärkster Soldat war nur ein Mensch. Er war verwundbar und verletzlich wie alle anderen. Er konnte bluten und er konnte genauso gut das nächste Mal sterben. Stärke sicherte nicht das Überleben, sie machte es nur wahrscheinlicher.

Erwin erlaubte sich ein Seufzen, als er sich zurücksinken ließ und kurz die Augen schloss. Nach all den Jahren war er vielleicht ein wenig abgestumpft und zu blind für so etwas geworden. Vielleicht wurde es Zeit, dass er sich wieder in Erinnerung rief, dass sie alle sterblich waren. Auch Levi. Auch er selbst.

Er öffnete die Augen wieder und griff in die Schublade und zog einen angefangenen Brief heraus. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er begonnen hatte ihn zu schreiben oder was ihn unterbrochen hatte. Aber vielleicht war das nun der richtige Zeitpunkt, um ihn endlich zu Ende zu bringen. Schließlich wusste er nicht, wann er vielleicht keine Gelegenheit mehr dazu haben würde.

Er griff seinen Federhalter und zögerte kurz, während seine Augen über das huschten, was er schon geschrieben hatte. Er lächelte traurig und öffnete sein Tintenfass.

 
 

Levi,
 

 
 

ich komme mir ein wenig wie ein alter Mann vor, der mit dem Leben abgeschlossen hat, während ich diese Worte schreibe, aber ich denke, sie werden es für den Fall der Fälle für uns beide zumindest ein wenig leichter machen.

Im Augenblick ist die größte Wahrscheinlichkeit meines Todes wohl eine unserer Expeditionen und ich möchte gerne glauben, dass ich dort an der Seite meiner Leute gestorben bin und nicht durch einen politisch inszenierten Mord. Es ist eine angenehmere Vorstellung.

Ich weiß, dass du nicht meinen Posten einnehmen willst. Ich erinnere mich viel zu gut an die unzähligen Gespräche, in denen wir das Thema angeschnitten haben, und auch wenn ich es mir gewünscht hätte, ich respektiere diese Entscheidung. Ich habe in der Akte einen Vermerk hinterlassen, dass ich keinen Kandidaten für eine Nachfolge benennen möchte – denn das hätte ich zu oft ändern lassen müssen – aber dass sie sich an dich wenden sollen, wenn sie Namen brauchen. Ich vertraue darauf, dass du unsere Soldaten kennst und weißt, wer in der Lage ist fortzuführen, was wir seit Jahrzehnten versuchen.

Wen immer du vorschlägst und wer immer meinen Platz einnehmen wird, ich wünsche und hoffe, dass du eines Tages in der Lage sein wirst mit ihm oder ihr zusammenzuarbeiten und den gleichen Respekt entgegen zu bringen, wie du es bei mir getan hast.

Ich bin mir vollkommen bewusst, dass man so etwas nicht von dir verlangen kann, dass Vertrauen hart erarbeitet ist und ich bin unheimlich stolz darauf, dass wir so weit gekommen sind.

Vermutlich sollte ich mich an der Stelle für unser erstes Treffen entschuldigen, aber wenn ich ehrlich bin, trotz allem, was passiert ist, bin ich unheimlich froh, dass es geschehen ist. Versteh mich nicht falsch, der Tod deiner Freunde war niemals meine Absicht oder Teil meiner Planung und ich bedauere ihn und ich hätte ihn auch gerne verhindert, aber für alles andere werde ich mich nicht entschuldigen, denn es würde bedeuten, dass ich mich für unsere Freundschaft und Zusammenarbeit entschuldigen würde.

Ich hätte damals nicht damit gerechnet, wie die Dinge laufen würden. Ich wollte dich in die Armee holen, weil ich deine Kampfkraft und dein Können wollte. Heute bin ich unheimlich dankbar dafür, was ich über beides hinaus bekommen habe.

Es ist nicht selbstverständlich, dass Zusammenarbeit derart einfach und natürlich vonstatten geht. Dass man sich blind darauf verlassen kann, dass jemand anderes die Soldaten im Auge hat, während man selbst sich mit der Politik herumschlägt.

Ich bin mir dessen vollkommen bewusst und habe keinerlei Bedenken dir die weiteren Dinge in die Hände zu legen. Zu diesem Brief werde ich einen Zettel mit Notizen legen, die ich mir gemacht habe. Pläne, Gedanken, Vorhaben. Ich denke, du wirst wissen, was du damit anfangen kannst.

Es tut mir leid dir so viel aufzubürden, wenn ich gehe, aber mit dem Wissen, dass du weitermachen kannst, bin ich vollkommen beruhigt, was das angeht.

 

Ich weiß nicht, ob es nach dem Tod noch etwas gibt und ob wir uns jemals wieder sehen. Wenn es so sein sollte, werde ich dort warten, falls nicht … bin ich einfach dankbar, dass wir ein Stück dieses Lebens zusammen erlebt haben.

Bitte, achte auf dich, werde nicht, wie ich es bin.

 

Danke, Levi.

 
 

Erwin
 

 
 

Er ließ den Federhalter langsam sinken und starrte einen Augenblick lang auf die stellenweise noch glänzende, dunkle Tinte.

In diesem Augenblick wusste Erwin selbst nicht, ob er sich wünschen sollte, dass es nach dem Tod noch ein Wiedersehen gab oder dass es einfach endete. Hätte er Levi diesen Brief heute gezeigt, hätte der ihm sicher erzählt, was für ein schnulziger, alter Sack er geworden war.

Und dennoch … Erwin hatte nur wenige Menschen gekannt, die ihm wirklich nahe standen, ehe sie starben, aber er wusste, dass die Briefe gut taten. Es war ein kleines Stück von ihnen, ein letztes Andenken, ein richtiger Abschied anstelle einer schlichten Todesnachricht.

Es war nicht viel und meistens schmerzten sie im ersten Moment noch viel mehr, aber danach waren sie wie Balsam auf einer Wunde und ließen den Schmerz ein wenig abklingen.

Er faltete den Brief zusammen und griff nach einem Umschlag.

Ja, sie waren traurig, aber auf ihre eigene Art wichtig, auch oder vielleicht gerade für diejenigen, die meinten, sie nicht zu brauchen.

Er lächelte traurig, als er Levis Namen schrieb und ein Siegel aufdrückte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Da ich nicht ganz sicher bin, ob es klar geworden ist, hier kurz die Erläuterung: Ja, Levi hat bisher wirklich nur den einen Brief an Erwin geschrieben und das ist bereits Jahre her. Den an Eren schreibt er aus dem einfachen Grund, dass er merkt, dass Eren mit den Toden nicht sehr gut zurecht kommt und weil er sicher gehen will, dass der Junge, sollte ihm selbst was passieren, weitermachen kann. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kurze Zwischeninfo: Ich habe noch zwei Briefe fest in der Planung und einen mit einem ziemlichen vielleicht. Wenn bis dahin keine weiteren Wünsche geäußert wurden, wird die Geschichte danach vermutlich enden. :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wer jetzt überrascht über diesen Brief ist - ja, ich wollte ihn unbedingt mit reinnehmen, gerade, weil er anders ist, als die anderen. ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Noch einmal kurze Zwischeninfo: Entgegen der ursprünglichen Planung wird das hier doch nicht der letzte Brief sein. Ich habe mich entschieden noch zwei weitere Kapitel hochzuladen. Nach diesen wird es dann aber wirklich zu Ende sein. :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und damit sind wir am Ende angekommen. Erwin ist für mich ein sehr schwieriger Charakter (leider, ich würde ihn gerne öfter einbauen) und ich habe sehr lange gezögert, ob ich diesen Brief schreiben soll. Ob ich ihn überhaupt schreiben kann. Aber da ich halbwegs zufrieden mit diesem Versuch bin, habe ich mich dafür entschieden ihn mit hochzuladen und ich finde, er bildet einen schönen Abschluss.

Als ich angefangen habe, diese Briefe zu schreiben, war es nur eine fixe Idee, die ich selbst mochte, aber bei der ich nicht sicher war, ob ich sie würde so umsetzen können, wie ich das vorhatte. Ich habe ehrlich gesagt keine große Reaktion erwartet, gerade, da ich viele Charaktere in dieser Geschichte hatte, die sehr unterschiedlich interpretiert werden können.
Ich bin nach wie vor unglaublich froh und glücklich mit der so positiven Resonanz darauf und ich kann nur sagen: Vielen, vielen Dank.
Danke, an alle, die diese Fanfic gelesen, verfolgt und natürlich kommentiert und favorisiert haben. Ihr habt mich unheimlich glücklich und auch irgendwo stolz gemacht, dass ich es geschafft habe die Charaktere so darzustellen, dass sie doch glaubhaft geblieben zu sein scheinen.

Vielen, vielen Dank euch allen! Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von: abgemeldet
2014-03-12T17:59:00+00:00 12.03.2014 18:59
Wow, also ich bin ehrlich gesagt platt.
Das war meine erste FF von Attack on Titan und ich hatte sie mir irendwie ... brutaler vorgestellt, weswegen ich mich geweigert hatte, überhaupt eine aus dem Fandom zu lesen. Aber dein Titel hat mich einfach zum Nachdenken angeregt und ich hab mich mal durch die Seiten gefuttert (Ja, statt die Wörter zu lesen, esse ich sie ^^")

Und ich muss wirklich sagen, dass ich teilweise sehr gerührt war und dann wieder mit Tränen in den Augen lachen musste.
Mit persönlich gefielen alle Briefe, doch am Besten waren der von Petra an Levi und der von Levi an Eren. Die haben einfach klasse die Charaktere wiedergegeben und ... tja, wie soll man sagen, irgendwie fand ich die Vorstellung traurig. Ich hasse es allgemein, wenn Hauptcharaktere (und das sind sie doch ->zumindest für mich ;) ) sterben und diese Briefe.

Ich denke mal man merkt, dass ich leicht aufgewühlt deswegen bin. Puh, also ich setz erstmal ein Favo und schreib dir nochmal, wenn ich mich wieder eingekriegt habe. Aber toll inszeniert!

Liebe Grüße
abgemeldet
Von:  Pibu-san
2014-03-06T20:52:55+00:00 06.03.2014 21:52
hoffentlich wird es nie so weit kommen! toller brief!
Von:  Pibu-san
2014-02-21T17:31:02+00:00 21.02.2014 18:31
So briefe sind traurig :( als abschiedsbriefe... aber so schön sie geben einem hoffnung
Von:  happy-chan
2014-02-13T20:38:44+00:00 13.02.2014 21:38
Der arme pevi die Briefe zu lessen von seine fraunden die gestorben sind er tut mir sehr leid für levi :/


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