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Der Teufel soll dich holen...

von

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Hölle


 

Prolog - Hölle
 


 

 
 

 

"Zu nichts bist du zu gebrauchen. Zu gar nichts."

Es ließ mich nicht mehr los. Verfolgte mich selbst jetzt noch, wo eigentlich alle Last des Alltags von mir abfallen sollte.

"Wenn du keinen ordentlichen Beruf erlernst, dann braucht dich niemand."

Ich wollte mir die Ohren zuhalten, die Augen und den Mund - aber es half doch nichts. Es war seine Stimme, die noch immer in meinem Hirn nachhallte. Und Erinnerungen konnten lästige Biester sein. Man vermochte sie nicht abzuschütteln, egal, wie sehr man sich bemühte. Zudem handelte sich dabei nicht nur um Gedanken, sondern um Vorwürfe. Vorwürfe, die im Grunde stimmten. Die sich aber trotzdem so tief in mich bohrten, dass ich einen Knoten in meinem Magen verspürte.

 

"Faul bist du. Den ganzen Tag. Während ich alles Geld verdiene. Hast du dir das eigentlich schon mal überlegt, Junge? Ich schufte, und dein Arsch wird derweil immer fetter."

Wahrscheinlich tat es nur deswegen so weh. Weil er Recht hatte. Was tat ich denn den lieben, langen Tag? Meine Ausbildung hatte ich abbrechen müssen, weil ich mehrfache Nervenzusammenbrüche während der praktischen Arbeit erlitten hatte. Ich war krank und ängstlich geworden. Sensibel und zerbrechlich. Misstrauisch und paranoid. Ich wartete auf einen Termin beim Psychologen, aber ich ahnte bereits jetzt, dass er mir nicht würde helfen können. Auch er würde mich nur wieder zu einer Arbeitsmaschine zu trimmen versuchen. Zu einem Menschen, der sich wie ein Schäfchen brav in den Strom der Gesellschaft fügte. Doch da hätte ich nicht mitgemacht. Natürlich, das Leben fiel mir in alltäglichen Situationen ziemlich schwer, aber gleichzeitig machte es mich auch zu etwas Besonderem. Ich konnte mit Sicherheit behaupten, dass ich intelligent war, und dass ein Psychologe nur versuchen würde, mich zu verändern. Dass alle versuchten, mich zu verändern. Mich zu brechen. Mich in eine Schublade zu pressen. Und davor hatte ich Angst. Ich fürchtete mich davor, eines Tages einem komplett anderen Menschen ins Antlitz zu schauen, wenn ich vor dem Spiegel stand. Einem, der seinen Kajalstift weggeworfen hatte, weil er der Meinung war, dass Männer sich nicht schminkten. Einem jungen Mann mit kurzgeschorenen, ungefärbten Haaren, welcher urplötzlich angefangen hatte, seine Alternative-Metal-CDs auszusortieren und Gefallen an den Charts fand.

Das war es, was die Menschen wollten. Die Gesellschaft hasste Außenseiter. Hatte keine Verwendung für sie. Wer nicht arbeitete, der konnte genauso gut verrecken.

Brechen wollten sie mich. Mich und meinen Willen. Die Kontrolle über mich an sich reißen. Und das war das Schlimmste.

Wenn ich spürte, dass mir etwas entglitt, sich mir etwas entzog und ich es nicht mehr fassen konnte, dann fühlte ich bereits die nächste Panikattacke nahen.

 

"Und wie du aussiehst. Schminke. Lippenstift. Schwarzgefärbte Haare. Und immer solche dunklen Klamotten. Tze. Karin hat wirklich eine Schwuchtel großgezogen. Kein Wunder, dass sie abgehauen ist, als sie davon Wind bekommen hat. Jetzt schämt sie sich in ihrem stillen Kämmerlein. Zu Recht. Absolut zu Recht. "

Scheiße. Ich hatte meinen Fahrplan zerknüllt, auf den ich bis jetzt beinahe durchgängig gestarrt hatte. Ich sollte nicht mehr darüber nachdenken. Es war sinnlos. Über dieser Sache zu grübeln war besonders nutzlos. Denn sie stimmte nicht einmal. Jedenfalls nicht komplett.

Hoffentlich kommt der Zug bald, dachte ich und warf der Anzeigentafel einen Blick zu. Die Buchstaben flackerten auf, verschwanden dann für den Bruchteil einer Sekunde komplett und tauchten dann wieder auf, als wäre nichts gewesen. Seltsam.

Immer noch ein paar Minuten. Ich wollte endlich weg. Nicht nur weg von diesem kalten Bahnhof. Ich wollte endlich wieder in der Stadt sein, in der ich mich ausnahmsweise nicht wie ein Alien fühlte.

Leipzig. Wo man nicht doof angestarrt wurde, wenn man sich wahrscheinlich zum männlichen Geschlecht zählte, sich aber dennoch die Augen kohlrabenschwarz umrandete. Wo man auch außerhalb des WGTs an beinahe jeder Straßenecke auf einen Schwarzgewandeten traf und dann mit Stolz zeigen konnte: Ich bin einer von euch. Wir haben etwas gemeinsam. Wir stehen der Gesellschaft kritisch gegenüber. Wir hinterfragen Dinge, die viele als selbstverständlich hinnehmen.

Jeder Mensch strebte im Grunde nach Zugehörigkeit. Selbst der Sozialphobischste. Ein zu Hause, das benötigte jeder, denn ohne Wärme konnte niemand überleben.

 

Und ich fand diese Wärme in meiner Musik. Und in Leipzig.

Weil heute der Samstag des Pfingstwochenendes war, würden sich wahrscheinlich schon sehr viele Gothics und ähnlich schwarze Gruppierungen in der Stadt herumtreiben, um gemeinsam zu feiern oder einfach nur um wie ich das Gefühl zu genießen, nicht allein zu sein. Verstanden zu werden. Denn mein Vater, der konnte einfach nicht akzeptieren, dass ich nicht so war wie er in diesem Alter. Dass ich nicht Tischler oder KFZ-Mechatroniker werden wollte. Dass ich lieber zeichnete oder Kurzgeschichten verfasste. Dass es das war, worin ich aufblühte.

Als besonders seltsam erachtete er allerdings die Tatsache, dass ich mich scheinbar nicht für Mädchen interessierte. Schon kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag fing er an, mich mit Fragen zu löchern, die mein Liebesleben betrafen. Ich hatte stets nur verschämt weggeschaut und mich krampfhaft mit etwas anderem beschäftigt. Darüber hatte ich noch nie sprechen wollen. Darüber dachte ich noch nicht einmal gern nach.

Eigentlich gab ich einen Scheiß auf solche Dinge, die man einfach tat, weil es sich gehörte. Weil sie jeder machte. Und doch hatte sich auch in mir so ein gewisser Druck aufgebaut. Ich würde irgendwann einmal eine Beziehung führen müssen. Ich sah mich bereits mit dreißig; noch immer jungfräulich, noch nicht einmal geküsst worden. Mir selbst machte diese Vorstellung nichts aus. Aber ich wusste, dass die Fragen zunehmen würden. Diese nicht enden wollenden Fragen. Schließlich gab es in den Köpfen der meisten Menschen nur zwei Sexualitäten - homo- oder heterosexuell. Tja, oder eben verklemmt. Verklemmt, das traf wohl auf mich zu. Ich hatte schon immer irgendwie Angst vor Sex gehabt. Vor Nähe. Obwohl es natürlich Phasen gab, in denen ich gewisse Fantasien hegte. Von den Mädchen, die ich auf Bildern im Internet gesehen hatte. Oder in Leipzig. Doch diese Phasen dauerten nie lange an. Ich verlor schnell die Lust daran, mir vorzustellen, wie sie mir einen bliesen. Vielleicht, weil ich einfach nicht glauben konnte, dass das auch mal jemand in Echt bei mir tun würde. Meist verspürte ich nur Hass- und Ekelgefühle gegenüber meinem Körper. Ich erachtete es als einen Fakt, dass ich unattraktiv war mit meinem leichten Speckrollen und diesen widerlichen Hautkrankheiten. Jeder hätte sich von mir abgewandt, hätte er mich so zu Gesicht bekommen. Noch nicht mal ich selbst schaffte es, mich nackt im Spiegel zu betrachten. Ja, ich onanierte noch nicht einmal nackt. Ich wollte nicht meine bloßen, auseinandergespreizten, dicken Oberschenkel sehen müssen. Und meinen Bauch. Diese blasse, schwabbelige Haut. Natürlich, ich hätte Sport treiben und  mich gründlicher pflegen können, aber ich hatte keinen Auftrieb. Keinen Grund. Es erschien mir zu mühselig. Und außerdem hasste ich diese blöden Tussen mit ihrem Schlankheitswahn. Doch ganz besonders verabscheute ich jene, die über ihr Gewicht jammerten, aber noch in Größe M passten.

 

"Der Teufel soll dich holen."

Mit diesen Worten hatte das Gespräch mit meinem Vater sein Ende gefunden. Und ich hatte mich fröstelnd auf den Weg zum Bahnhof gemacht. Und ja, nun saß ich hier. Auf dieser kalten Metallbank, einen Sitz entfernt von einem langhaarigen Typen, dem ich immer wieder verstohlene Blicke zuwerfen musste.

Eine imposante Erscheinung. Groß, kräftig. Sehr kräftig. Seine Oberarme schienen aus purer Muskelmasse zu bestehen. Da war nichts aus Pudding wie bei mir. Die schweren Stiefel und die dicken Nietenarmbänder verstärkten den mächtigen Eindruck des Typen noch zusätzlich. Sicherlich fürchteten sich manche Leute vor solchen Zeitgenossen. Im Gegensatz zu mir. Ich bewunderte ihn in gewisser Weise. Und konnte mich kaum an ihm sattsehen.

 

Zwei Minuten noch bis zur Einfahrt des Zuges. Falls nicht mit Verspätungen zu rechnen war.

Wieder waberten die Buchstaben vor meinen Augen. Die Schrift verschwamm regelrecht. Schien von der Tafel hüpfen zu wollen.

Wahrscheinlich drehte ich langsam durch. Oder mit meinen Augen stimmte etwas nicht. Ich kniff sie angestrengt zusammen und spähte dann wieder in Richtung der Tafel. Und erstarrte.

Hölle.

Immer wieder brannte dieses Wort auf meiner Netzhaut. In roten Buchstaben. Verflüssigte sich. Kehrte zurück. Brüllte mich erneut lautlos an. Bis es endgültig verschwand und ich wieder die übliche weiße Schrift lesen konnte. Leipzig. Und die Abfahrtszeit.

Gott, begann so nicht der Wahnsinn? Mit Halluzinationen? Dass es schon soweit mit mir gekommen war...hoffentlich würden sich nicht noch mehr solcher Merkwürdigkeiten ereignen.

 

Kurz darauf wurde die Einfahrt des Zuges über Lautsprecher angekündigt. Und dann rauschte er auch schon in den Bahnhof. Nur noch hinein, und dann weg.

Weg von dieser beschissenen Stadt. Weg von meinem Vater, der mich eh nur noch hasste und verabscheute.

Weg von dieser Welt. Die bessere wartete längst auf mich.

Eigentlich will ich gar nicht mehr zurück, blitzte es durch meinen Kopf, als ich mich ganz allein auf einen Viererplatz fallen ließ und vom Fenster aus den sich beeilenden Menschen zuschaute.

"Nee. Hierher will ich nicht mehr zurück."

Ich erschrak, als ich mich diese Worte laut sprechen gehört hatte. Schnell verstummte ich.

Mein Blick schweifte anstelle durch den Zug. Und wurde eingefangen. Ganz kurz nur. Aber ich konnte diese mich durchdringend anstarrenden Augen noch Sekunden später vor mir sehen. Sie hatten ein Bild in meinen Erinnerungen hinterlassen.

Helle Augen, die durch ihre pechschwarze Umrandung etwas Wildes ausstrahlten. Wenn nicht sogar etwas Bedrohliches.

Sie gehörten dem langhaarigen Typen, neben dem ich vorhin gesessen hatte. Dem Metaller, vor dem ich keine Angst gehabt hatte.

Doch jetzt, da war mir schon ein wenig mulmig zumute. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass der Kerl irgendetwas von mir wollte. Etwas, von dem ich nicht den Ansatz einer Ahnung hatte, was es sein könnte.

Am liebsten hätte ich mich weggesetzt, doch das ging nicht. Der Zug füllte sich zusehends und all die Plätze, die vor wenigen Momenten noch leer gewesen waren, wurden nun von Menschen besetzt. Nur die Sitze um den Metaller herum blieben leer.

Wir setzten uns in Bewegung. Rollten sanft aus dem Bahnhof, wurden dann aber immer schneller. Für mich jedoch noch nicht schnell genug. Die Bäume draußen verzerrten sich aufgrund des Tempos vor meinen Augen.

Dann erreichte der Zug einen Tunnel, und obwohl es nichts zu sehen gab, schaute ich aus dem Fenster.

Ein Fehler.

Die durchdringenden Augen des Typen bildeten sich auf dieser dunklen Leinwand ab. Und ließen mich nicht mehr los. Ich wollte wegschauen, aber es gelang mir nicht. Panik kroch in mir hinauf. Panik, die ich eigentlich nicht zeigen wollte, denn ich wollte mich nicht als Opfer enttarnen. Leider war ich allerdings genau ein solches. Wehrlos. Unsicher. Ob er es sah? Ob er es ausnutzen würde?

Schließlich rissen sich meine Blicke von der Scheibe und ich senkte sie auf den Boden. Hoffend, dieser Verfolgungswahn würde somit ein Ende nehmen.

Doch war es überhaupt ein Wahn? War das nicht die Realität? Ich wurde verfolgt. Ich zweifelte nicht mehr daran. Der Typ hatte es auf mich abgesehen. Vielleicht wollte er mich abmetzeln. Ich sah mich bereits mit einem Messer konfrontiert, dessen Klinge sich gegen meine Kehle drückte. Gegen den Kerl würde ich keine Chance haben.

Ich fragte mich, ob er mir wehtun würde. Der Tod, wenn er mich holte. Das danach fürchtete ich nicht. Nur den Schmerz. Und den Verlust meines Lebens. Ich hing daran, trotz allem.

 

Und dann fiel das Licht aus. Oben und unten, links und rechts, das alles schien sich in das Gegenteil umzukehren.

Ich spürte noch, wie ich aus meinem Sitz geschleudert wurde und mir den Kopf an irgendeiner spitzen Kante aufschlug. Zum Fühlen und Denken blieb keine Zeit. Deswegen wehrte ich mich auch nicht, als mich jemand packte und emporhob. Ich ließ es geschehen, dass man mich aus dem Zug schleppte, einfach so, obwohl sich doch die Türen nicht öffneten während der Fahrt...heute taten sie es jedenfalls. Keiner der anderen Menschen flüchtete, obwohl es offenbar einen Unfall gegeben hatte. Nur ich befand mich nun auf einem zugigen Bahnsteig, wo der Wind so kalt um meine Ohren blies, dass meine Wangen brannten.

Als ich die Augen öffnete erkannte ich direkt vor meiner Nase die langen, schwarzen Haare und die mächtigen Schultern. Als sich schließlich auch noch der kalte, dunkle Blick hinzugestellte, wusste ich, wer gerade drauf und dran war, mich zu entführen.

Nun wurde ich panisch. Hatte mich selbst nicht mehr unter Kontrolle. Hektisch schlug ich um mich, traf den Typen mit den Fäusten ein paar Mal am Kopf und drückte ihm mein Knie in die Magengrube. Und trotzdem ließ er mich nicht los. Eisern hielt er mich fest und beendete meinen Gewaltausbruch irgendwann mit einem rabiaten Griff um mein Handgelenk, der mir bis auf den Knochen schmerzte. Und sein Blick zwang mich endgültig zur Ruhe. Ich gab keinen Mucks mehr von mir.

"Besser ist es auch, wenn du brav bist."

Die tiefe Stimme des Typen war ganz nah an meinem Ohr. Sogar seinen Atem konnte ich durch meine Haare spüren. Seine Lippen klebten an einer Strähne. Ich zitterte. Wenn nicht äußerlich, dann auf jeden Fall innerlich, so kalt wie mir nun war.

"Sonst muss ich dir nämlich wehtun, und das wird dem Meister nicht gefallen."

Ich hatte so viele Fragen. Wollte so vieles wissen. Wie ein Wasserfall rauschten die Gedanken durch meinen Kopf.

Wohin brachte er mich? Welcher Meister?

Aber ich wagte es mir nicht, auch nur den Mund aufzumachen.

Ich tröstete mich damit, dass ich es ohnehin bald erfahren würde. Denn der Kerl stiefelte mit mir im Arm bald schon von dannen. Wir erreichten eine Stadt.

Und was für eine...

 

Wo bin ich hier?

So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Graue Häuser, die sich ohne Unterbrechung aneinanderreihten. Überspannt von einem Himmelszelt, schwärzer als die Nacht und mit roten Schlieren durchzogen, die wie Blutspritzer aussahen.

Und es stank. Der Geruch erinnerte mich an die Silvesternacht. Schwefel. Und Erde. Ein furchtbares Gemisch. Doch mein Entführer schien sich daran nicht zu stören. Er lief vorwärts, als wäre diese Stadt oder was auch immer das darstellte das Normalste auf der ganzen Welt. Als hätte er sie bereits hundertmal betreten. Um ehrlich zu sein konnte ich mir jedoch nicht vorstellen, dass er in dieser unwirtlichen Gegend wohnte. Dass hier überhaupt jemand wohnte. Keines der Fenster war hell erleuchtet. Alles wirkte verlassen, kalt und feindlich.

Lebensfeindlich. Böse.

 

Wie die Hölle...

 

Meister


 

1. Kapitel - Meister
 

 
 

 

Ein Gefühl ähnlich wie Erleichterung durchströmte mich, als ich bemerkte, wie ich endlich wieder Boden unter den Füßen gewann. Ich war mir wie ein Kleinkind vorgekommen wegen der Art und Weise, wie der Metaller mich getragen hatte; sein Arm hatte sich um meine Hüfte geschlungen und ich konnte nichts anderen tun, als über seine Schulter hinweg die Pflastersteine zu zählen, die hinter ihm auf dem Boden auftauchten.

Ich war es irgendwann leid und hatte aufgegeben, Gegenwehr zu leisten, zudem fühlte sich mein Kopf allmählich immer schwerer an und seine harte Schulter hatte die ganze Zeit auf meine Brust gedrückt.

Nun, so wirklich glücklich war ich natürlich nicht, als ich abgesetzt wurde. Aber ich war wenigstens wieder Herr über mich selbst. Konnte mich frei bewegen. Obwohl ich kaum einen Grund sah, mich überhaupt zu regen, umgeben von all dieser Schwärze und Unwirtlichkeit. Schließlich musste ich ohnehin folgen, denn ich fürchtete, dass der Typ mir gnadenlos den Arm gebrochen hätte, wenn ich noch einmal aufmüpfig geworden wäre. Er erweckte mit seinem ausdruckslosen Gesicht und den eisigen Augen auf mich nicht den Eindruck, als wäre seine Drohung vorhin lediglich einem Scherz entsprungen. Einem sehr schlechten Scherz, versteht sich.

Also versuchte ich, die Ruhe zu bewahren und hielt weiterhin meine Klappe. Ich verkniff mir die Frage danach, wo wir uns befanden. Einige Dinge benötigten sowieso keine Bezeichnung. Dieser riesige Palast zum Beispiel, der sich direkt vor meinen Augen beinahe bis in den rotschwarzen Himmel erstreckte, war so imposant, dass ich mich augenblicklich noch kleiner und nichtiger fühlte, als ich es eh schon war. Und dieses ziehende Gefühl, welches sich meinen Rücken hinaufschlich und schließlich in meinem Nacken saß, verstärkte sich bei dem Anblick des Gebäudes.

Mein Ende würde es sein, dachte ich. Wahrscheinlich würde ich darin nichts als den Tod finden. Ob sie mich foltern würden? Oder auffressen? Oder ob sie mir kurz und schmerzlos den Garaus machen würden? Ich stand wie angewurzelt da, während ich dem Metaller dabei zuschaute, wie er sich mit aller Kraft gegen das Tor stemmte und dieses sich daraufhin gnädig auftat. Schweflige Luft floss durch meine Kehle und egal wie tief ich einatmete, ich glaubte, ersticken zu müssen. Und daran war bei Weitem nicht nur das Gift Schuld, sondern vor allen Dingen auch die rieselnde Angst, die mich lähmte und förmlich verschlang.

 

"Komm."

Ein Wort, ein Aufforderung. Das Tor stand offen. Das Schicksal erwartete mich.

Ich setzte mich erst zögernd in Bewegung, als der riesige Kerl mir seine ebenso riesige Hand auf den Rücken legte und mich bestimmt vorwärts schob.

Noch nie zuvor hatte ich so einen schweren Gang absolviert. Einen Gang ins Ungewisse.

Einen Gang in den Tod.

 

Zunächst umfing mich nur gnadenlose Schwärze. Das Innere des Palastes war genauso dunkel wie es das Himmelszelt gewesen war und ich befürchtete zu stolpern und hinzufallen, denn der Boden fühlte sich uneben unter den Sohlen meiner Stiefel an.

Wahrscheinlich war ich langsamer geworden, denn der Metaller verlagerte seine Pranke bald schon von meinem Rückenansatz hin zu meiner Schulter, wobei mir sein Unterarm dabei wie eine Stange in das Kreuz drückte. Ich konnte gar nicht anders, als mit ihm Schritt zu halten und ich hoffte, dass das, was mich gleich erwartete, nicht so schlimm werden würde. Wenigstens einen schnellen Tod sollten sie mir geben. Ich war kein böser Mensch. Vielleicht war ich ein Rebell und manchmal auch ein Arschloch, aber nie im Leben hatte ich irgendjemandem ein Leid zugefügt. Aber vielleicht hängten sie hier auch die Guten. Wer wusste das schon. Oder womöglich taten sie hier noch ganz andere Sachen. Irgendeinen Grund musste es jedoch haben, dass man mich hierher gebracht hatte. Diese Umgebung und der Palast waren viel zu bedeutungsschwanger, um mich einfach aus Jux und Tollerei aufzunehmen.

 

Licht. Es gab in dieser dunklen Stadt tatsächlich Licht.

Es strömte aus der knarrenden Tür, die der Metaller bald schon aufstieß und es genügte, um mir für einen kurzen Moment die Sicht zu rauben. Doch ich bemühte mich, wenige Augenblicke später blinzelnd direkt in die Helligkeit zu blicken, denn ich musste wissen, was hier vor sich ging. Ich wollte den Pranger sehen, an dem sie mich aufhängen würden. Ich wollte ihn nicht nur spüren, den Strick um meinen Hals.

Aber da war kein Pranger. Nichts dergleichen fand sich in dem Raum, der sich vor uns ausgebreitet hatte. Lediglich ein hölzerner Schreibtisch mit einem Stuhl dahinter und links davon erstreckte sich ein langes Ledersofa. Ansonsten gab es nichts Sehenswertes, weder waren die Wände irgendwie ansprechend gestrichen (was hatte ich auch erwartet) noch gab es irgendeine Dekoration, die das Zimmer hätten freundlicher gestalten können. Lediglich die Lampe stand auf dem Tisch und verbreitete ein warmes, gelbliches Licht.

 

"Meister! Wir sind da!"

Ich zuckte zusammen, als der Metaller urplötzlich seine Stimme erhob, hatte ich doch nicht damit gerechnet, dass er einen wahren Urschrei erklingen lassen würde. Doch wahrscheinlich war dies vonnöten, denn wie ich festgestellt hatte, waren die Türen aus massivem Holz gefertigt und ließen nicht so schnell einen Laut durchdringen.

Meister. In mir flammte etwas auf. Etwas, das mir eisige Hände und klappernde Zähne bescherte.

Meister. Den hatte er vorhin schon erwähnt. Und schon erst hatte dieses Wort nicht gerade vertrauenserweckend in meinen Ohren geklungen. Es hörte sich viel zu mächtig und eindrucksvoll für meinen Geschmack an, aber es passte haargenau zu der Außenansicht dieses Schlosses. Hierin konnte nur ein hohes Tier herrschen. Ein hohes und sicher sehr grausames Tier. Mir wurde übel. So übel, dass ich mich vor Anspannung am liebsten erbrochen hätte.

 

Und dann hörte ich eine Tür quietschen. Es musste jene sein, die sich hinter dem Schreibtisch befunden hatte und von der ich vorhin noch gar keine Notiz genommen hatte. Aber da war eine gewesen. Und meine Ohren täuschten mich nicht.

Ich konnte mich nicht dazu überwinden, aufzusehen, als die Tür wieder geschlossen wurde und Schritte über den hölzernen Fußboden tappten. Ich war so gespannt, dass sich die Bilder vor meinen Augen zu drehen begannen. Mein ganzer Körper vibrierte. Denn ich meinte zu wissen, dass mich jetzt etwas äußerst Unangenehmes erwarten würde. Etwas, das durch einen Jemand ausgeführt wurde, dessen Schatten ich direkt vor mir wahrnehmen konnte. Sogar seinen Atem konnte ich hören. Ich spürte, dass er da war.

Der Meister.

 

Meine Kinnlade bebte, als ich wie durch einen Reflex mein Haupt erhob und ich in ein Augenpaar starrte, welches sich tief in mich hineinbohrte, tiefer noch als es die Pranke des Metallers hätte tun können. Eigentlich konnte ich nur sehr selten die Augenfarbe eines Menschen benennen, wenn man mich später danach gefragt hätte, doch diese hier war von einem leuchtenden Grün und so etwas vergaß man nicht einfach oder nahm es gar nicht erst wahr. Ich nahm im Moment ohnehin einfach alles wahr. Angefangen von der hünenhaften Gestalt des Mannes, der mich von oben bis unten hastig musterte. Seine überaus breiten, muskulösen Schultern, die denen des Metallers in nichts nachstanden. Lange, schwarze Locken reichten weit bis über sie hinaus, aber nichts konnte mich so in seinen Bann ziehen wie seine Augen, im Grunde sein Gesicht im Ganzen. Die eckigen, kantigen Züge. Die schmale Nase, die auf mich etwas zu lang wirkte, aber doch passend in dieses Antlitz.

Noch einmal trafen sich unsere Blicke, aber dieses Mal wich ich zurück. Starrte dafür jedoch unbeabsichtigt auf seine rechte Hand. Und schluckte. Wenn er mir damit den Hals umdrehen will, dann wird das ein sehr präziser Mord. Und ich hätte ihm eine solche Gräueltat zugetraut, ohne weiteres. Es war nicht nur der grimmige, dunkle Ausdruck, der in seinem Gesicht schwelte, der das verursachte, nein; es war seine Gestalt im Allgemeinen.

Noch nie zuvor war mir ein Mann wie er begegnet. Natürlich kannte ich solche äußerst muskulösen Typen, aber keiner davon strahlte das aus, was ihm anhaftete.

Macht. Gnadenlosigkeit. Dominanz. Und vor allen tiefe, tiefe Dunkelheit.

Dieser Mann war ein Tier. Und ich wusste, dass ich nichts anderes tun konnte, als still zu gehorchen, wenn ich noch ein bisschen am Leben bleiben wollte.

 

"Das ist nicht dein Ernst, Weston."

Augenscheinlich war er fertig damit, mich zu inspizieren. Nun zeigte er nämlich mehr Interesse für den Metaller. Und ich konnte wirklich sagen, dass ich heilfroh war, nicht selbst mit diesem Blick besehen zu werden. Dieser war nämlich noch viel finsterer und ließ selbst mir, dem er nicht galt, das Blut in den Adern gefrieren. Mittlerweile war mir nicht einmal mehr kalt. Im Gegenteil. Durch die ganze Aufregung spürte ich den Schweiß über meinen Rücken rinnen und wie mich heiße Schauer durchfuhren. Weggerannt wäre ich natürlich am liebsten noch immer. Aber irgendwie war ein klein wenig von der Anspannung von mir abgefallen, als der Mann, den der Metaller als Meister betitelt hatte, seine zu seinem ganzen Äußeren passende, tiefschwarze Stimme erhob. Wahrscheinlich hatte mein Unterbewusstsein ein wenig Menschlichkeit gewittert. Aber es sollte sich besser nicht zu früh freuen.

 

"Was denn?"

Auf einmal war der Metaller, der anscheinend Weston hieß, erschreckend kleinlaut geworden. Beinahe wie ein Kind, welches man beim Unsinnmachen erwischt hatte. Nun erschien die Machtposition immer klarer vor meinem Auge. Weston hatte nichts zu sagen. Er war nur ein kleines Licht. Der da, der vor uns stand, der hatte das Zepter in der Hand. Und das strahlte er auch unmissverständlich aus.

"Du solltest eine Frau bringen. Eine Frau! Hab ich mich denn so undeutlich ausgedrückt?"

Die Frage war rein rhetorischer Natur. Und es war ein Spektakel, wie Weston förmlich vor ihr einknickte. Sein Haupt hielt er gesenkt und er wagte es weder, mich noch seinen Meister anzuschauen. Nur ein paar unsichere Worte krochen aus seinem Mund hervor.

"Aber...der Bengel hier ist doch auch so was wie eine Frau. Schaut ihn euch an. Selten findet man Knaben, die von solch femininer Gestalt sind. Ich habe ihn gesehen und musste ihn mitnehmen. Es tut mir leid."

"Tritt weg."

Sein Kopf zuckte in die Höhe, so, als hätte er nicht richtig verstanden. Von unten blickte er seinen Meister aus großen Augen an. Doch der Befehl war eindeutig. Und der Blick des Meisters war von Entschlossenheit geprägt. Ich ahnte, dass er keine Widerworte zulassen würde. Auch nicht von einem körperlich beinahe ebenbürtigen Gegner. Er hatte hier das sagen. Und Weston hatte zu gehorchen.

Dieser zögerte noch etwas, verdünnisierte sich dann jedoch im Rückwärtsgang durch die Tür, durch die wir gekommen waren. Dann war er weg. Und obwohl ich den Kerl nicht hatte leiden können, ja mich sogar von ihm bedroht gefühlt hatte, so wünschte ich mir nun doch, dass er an meiner Seite geblieben wäre. Ich befand mich nun allein mit diesem Mann in einem Raum, und ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte. Das Prickeln der Angst war nach wie vor mein treuer Begleiter, und nun schwoll es sogar wieder an. Mir gelang es nicht einmal, den Blick von meinem Gegenüber zu wenden. Auf irgendeine unheimliche Art und Weise hielt sie mich gefangen, seine schwarze Aura. Und ich wusste, dass ich ihn durch mein Starren erst wieder auf mich aufmerksam gemacht hatte. Besser gesagt, ich vermutete es. Aber wahrscheinlich hatte er die ganze Zeit über ohnehin nur Augen für mich gehabt.

 

In mir explodierte ein Angstschauer, als er ohne Vorwarnung mein Kinn packte und es nach unten zog. Dabei teilten sich meine Lippen und ich gewährte ihm unfreiwillig einen Blick in meinen Mund, und seinem prüfenden Gesichtsausdruck nach zu urteilen war dies genau das, was er bezweckte.

Doch er war noch nicht fertig. Als nächstes packte er den Saum meines T-Shirts und machte schließlich sogar Anstalten, es über meinen Körper zu streifen! Da erwischte mich die große Panik und ich setzte mich wimmernd zur Wehr, denn der Kerl war mir ohnehin schon viel zu nah gekommen, erdrückte mich mit seiner bloßen Anwesenheit, und nun wollte er mich auch noch ausziehen! Das führte zu weit. In meiner Angst vergaß ich sogar, wen ich vor mir hatte. Doch meine Ausweichversuche wurden ohnehin stumm ignoriert. Der Mann war stärker als ich, viel stärker. Und so musste ich über mich ergehen lassen, dass er meinen Oberkörper entblößte und seine Augen an ihm auf und abwandern ließ.

Ich fühlte mich schrecklich. Hilflos. Nackt. Noch nie hatte mich jemand so zu Gesicht bekommen. Meine von roten Ekzemen übersäte Brust. Meinen fetten Magen. Ich wollte, dass es schnell vorbeiging. Und das tat es auch. Aber nur, um noch schlimmer zu werden.

Die Angst hatte mich dermaßen hypnotisiert, dass ich nicht einmal mehr etwas dagegen tat, als er mir mit einem Ruck die Hose nach unten riss und ich somit untenrum nackt war. Nicht mal mehr meine Unterhose hatte er mir gelassen. Ich stand da, sah an mir hinab und erblickte meinen Penis und gleichzeitig schwelte in mir die Gewissheit, dass ihn auch noch jemand anderes anschaute. Ein Fremder.

Als er nach ihm griff, schrie ich auf. Alles Mögliche raste durch meine Hirnwindungen. Alle möglichen Horrorvorstellungen. Er würde ihn mir abschneiden. Oder gleich abbeißen.

Ich konnte nicht hinsehen, aber ich spürte, wie er meine Vorhaut zurückschob und ich hatte keine Ahnung, wie lange ich das noch aushalten würde, ohne zu kollabieren.

"Wenigstens hat mir der Idiot einen eindeutig geschlechtsreifen Knaben gebracht", murmelte er vor sich hin, was ich allerdings nur wie durch einen Schleier wahrnahm.

 

Zum Glück ließ er mich danach in Ruhe, folterte mich nicht noch weiter. Ich durfte meine Hosen wieder anziehen. Und während ich mich mit bis zum Hals klopfenden Herzen nach unten beugte, fuhr er mir mit seiner Pranke durch das Haar.

"Komm, ich zeig dir nun dein Zimmer."

Seine Stimme hallte dumpf in meinem Kopf wieder. Und auch wenn ich es vielleicht hätte tun sollen, ich stellte keine Fragen. Erkundigte mich auch jetzt nicht, wohin man mich gebracht hatte. Wer er war. Und was das alles zu bedeuten hatte.

Mein Zimmer. Das bedeutete wohl, dass ich hierbleiben sollte? Nie im Leben! Hier würde ich es keinen einzigen Tag aushalten. Wo war der Pranger? Ich wollte gehängt werden. Das erschien mir angenehmer als mich noch einmal auf diese Art und Weise demütigen zu lassen. Aber hatte ich eine Wahl?

 

Nein, die hatte ich natürlich nicht. Und so taumelte ich benommen hinter diesem Hünen her, welcher mich allen Anscheins nach in mein Zimmer bringen wollte.

Weit mussten wir nicht gehen, bis er vor einer Tür Halt machte. Im Grunde war es jene, die genau gegenüber der des Schreibtischraumes lag.

Er drehte kurzerhand einen Schlüssel im Schloss herum und schaute dann auffordernd in meine Augen. Ich wagte es nicht, mich dagegen zu sträuben, aber ich betrat noch immer zögerlich das mir zugewiesene Zimmer.

Es war schlicht. Ein Bett, ein Tisch und ein Kleiderschrank. Mehr sollte ich nicht besitzen. Oder doch. Noch ehe ich mich noch ausgiebiger hatte umschauen können, hielt mir der Mann etwas hin.

Ich erkannte einen schwarzen Stoff, eine Tube und einen Rasierapparat. Misstrauisch nahm ich die Dinge entgegen und riskierte dabei, dass meine Blicke erneut auf die des anderen trafen. Die Schatten, die in seinen Augen tanzten, gefielen mir nicht. Sie suggerierten mir etwas. Etwas, das mit großen, schweren Händen nach mir zu greifen schien. Etwas, gegen das ich nichts tun konnte.

Kontrollentzug. Eins der Dinge, die ich am meisten fürchtete.

 

"Zieh das an, creme dir deine Haut ein und rasiere dir den Intimbereich. Dann komm zurück in mein Büro. Wir haben einiges zu besprechen."

Er wartete gar nicht erst irgendwelche Rückfragen meinerseits ab, sondern schob sich zugleich aus dem Raum und überließ mich meiner selbst.

Und ich stand da und beäugte die Gegenstände in meinen Händen.

 

Das alles hier erschien mir wie ein schlechter Horrorfilm. Es mutete viel zu unwirklich an, um dass ich es tatsächlich erleben konnte.

Womöglich war ich während der Zugfahrt eingeschlafen und das alles spielte sich lediglich in meinen Träumen ab. Ja, so musste es sein. Ich träumte das alles nur.

 

Als ich aber über die knarrenden Dielenbretter lief und die Kälte spürte, die durch alle Ritzen zu kriechen schien, da zweifelte ich meine Vermutung ernsthaft an...

 

Lämmchen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Naschkater

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Naschkater II

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Weiße Schokolade auf Eis

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Rückkehr


 

Epilog - Rückkehr
 

 
 

 

Gleißendes, weißes Licht. So hell, dass es in meinen Augen schmerzte. Erbarmungslos durchdrang es meine geschlossenen Lider, welche ich kaum zu heben vermochte. Schwer waren sie. Genau wie meine Glieder. Mein Arm gehorchte mir nicht so recht, als ich versuchte, ihn anzuheben. Und mein Kopf, er schien fast zu explodieren...

 

Wo war ich hier? Ich war das Licht nicht mehr gewöhnt, denn ich hatte einige Tage in ewiger Dämmerung verbracht. All das Weiß, es schrie regelrecht auf mich ein. Und es war nur Weiß, alles was mich umgab. Die Wände, die Decke.

Wohin hatte man mich gebracht? Wo war Mister Steele? War ich nicht gestern Nacht neben ihm in seinem Bett eingeschlafen, nachdem ich...nachdem wir...

Zwischen all den Schmerzen funkte etwas in mir auf. Ein zartes Wohlgefühl, hervorgerufen durch all die Erinnerungen an die letzte Zeit. Doch ich verlor diesen Pfad sehr schnell wieder. Denn nichts schien mehr so zu sein, wie es gewesen war. Ich hatte eine Nadel in meinem Arm. Und irgendetwas steckte in meiner Nase.

Ich befand mich im Krankenhaus, ohne Zweifel. Ich musste einen Unfall gehabt haben oder etwas dergleichen.

 

Gut, an das Weiß hätte ich mich gewöhnen können. Und vielleicht sogar an den Schmerz in meinem Kopf und in meiner Brust. Aber da gab es etwas, das mir einen Pfahl mitten in das Herz schlug.

Ich war in der Hölle gewesen. Es stimmte tatsächlich. Ich war tot gewesen. Aber seit dem Zugunglück war sicher beinahe eine Woche vergangen.

Hatte Mister Steele mir etwas angetan? Nein. Das hätte er niemals fertiggebracht. Ich vermutete, dass die Wahrheit eine ganz andere war.

Egal wie viel Zeit vergangen war - man hatte es irgendwie geschafft, mich zurück in das Leben zu holen. Mich aus der Hölle zu reißen. Und nein, das wollte und konnte ich einfach nicht wahrhaben. Ich war wieder hier und man erwartete, dass ich mein jämmerliches Leben fortsetzte, das ich vor meiner Reise in die Unterwelt geführt hatte. Dieses Leben umgeben von all dem Luxus. Welches mir aber doch nicht das geben konnte, was ich wollte. Was ich brauchte. Man hasste mich hier. Und ich hasste wider. Hasste mit einem Mal noch stärker als jemals zuvor.

Das hier, das war nicht der Ort, an dem ich sein wollte. Hier hatte ich alles. Alles, was man mit Geld hätte kaufen können. Und doch war es so wenig gewesen. Mister Steele hatte Recht. Die Dinge, die man nicht mit Geld bezahlen konnte, das waren die besten, die wertvollsten. Das hatte ich am eigenen Leib spüren dürfen. In der letzten Nacht, da hatte er mich geheilt. Das, was er mit mir getan hatte, das war wirkungsvoller gewesen als es hätte jede Psychotherapie sein können. Und nun lag ich hier, umgeben von Schläuchen und piepsenden Geräten. Getrennt von ihm.

Nein.

Das wollte ich nicht. Das wollte ich um keinen Preis. Lieber wollte ich für immer in der Dunkelheit mein totes Leben führen, als Lustknabe des Teufels, als noch einmal diesen Menschen unter die Augen treten zu müssen, die mich nicht verstanden.

Sterben wollte ich nicht. Und das würde ich auch nicht tun. Ich würde lediglich einen anderen Ort für meine Existenz auswählen. Ich kannte das Prozedere. Wusste, dass es nicht wehgetan hatte, als Weston mich geholt hatte. Ich empfand keine Angst gegenüber dem, was die Menschen als den Tod bezeichneten. Denn ich wusste, was danach kam. Dass es weiterging. Und dass die Hölle im Grunde das war, was man als das Paradies bezeichnete. Dort hatte ich alles. Dort hatte ich das gefunden, was ich immer gesucht hatte.

Und hier, da hielt mich nichts. Nicht mein Vater. Nicht meine Mutter. Vielleicht würde ich sie irgendwann einmal vermissen, aber sicher nicht mehr als sie mich. Und sicher nicht mehr, als ich Mister Steele im Moment vermisste.

Dieses Gefühl strömte plötzlich so heftig durch mich, dass es unter meinen Augenlidern drückte. Alles hätte ich dafür getan, für immer bei ihm zu bleiben, in der Unendlichkeit. Und deswegen fiel es mir auch nicht schwer, das zu tun, was ich mir überlegt hatte.

 

Ich biss die Zähne zusammen, als ich die Nadel mit meiner verbundenen Hand aus meinem Arm riss. Die Maschine neben mir stieß ein alarmiertes Piepsen aus, das meine Ohren beinahe betäubte.

Blut quoll aus der Wunde, die ich mir zugefügt hatte, es rann vielen roten Regentropfen gleich über meine bleiche Haut und färbte die Bettdecke in ebendieser Farbe ein.

Nun überkam mich doch ein kleiner Anflug von Panik. Wollte ich tatsächlich sterben? Endgültig? Unwiederbringlich? Was, wenn es schiefging? Oder der Ort, an dem ich Mister Steele getroffen hatte, gar nicht die Hölle gewesen war? Was, wenn es doch nichts gab nach dem Tod?

Doch es war längst zu spät für mich. Wahrscheinlich hatte ich mir bei dem Zugunglück zu schwere Verletzungen zugeführt, denn es dauerte nicht lange, bis ich eine große Müdigkeit spürte, die ihre schwere Decke über mir ausbreitete.

 

Und dann wurde ich emporgehoben. Ich hoffte so sehr, dass es der war, den ich erwartet hatte.

Mit noch immer geschlossenen Augen streckte ich meine Hand aus, um irgendeinen Anhaltspunkt an dem Körper der Person zu ertasten, die mich in ihren Armen hielt.

"Weston..."

Ich klang so klein und schwach. Doch als mir Westons unverkennbare Stimme antwortete, da war mit einem Mal alles gut. Es gab nichts mehr, vor dem ich Angst haben musste.

"Bleib ganz ruhig, wir sind gleich da. Tut mir leid, dass ich dich zurückholen muss..."

"Es ist...es ist das, was ich will...", stammelte ich leise und blinzelte empor zu seinem Gesicht. Die Helligkeit war längst verschwunden. Über uns brannten wieder die roten Schlieren in dem schwarzen Himmelszelt. "Ich will...zu Mister Steele...bring mich zu ihm..."

"Das werde ich", versicherte mir mein Retter. "Der Meister wird mich sicher auf ganz besondere Weise dafür belohnen, dass ich dich wiedergefunden habe..."

Über sein Gesicht zuckte ein Grinsen, doch dieses verbargen gleich darauf die langen, schwarzen Haare, die der Wind in alle Richtungen blies.

"Ich habe mich umgebracht", gestand ich ihm. "Ich habe mir die Nadel aus meinem Arm gezogen. Ich war im Krankenhaus...ich wollte...sterben..."

"Du wärst ohnehin gestorben", erklärte mir der andere. "Denn du gehörst längst nicht mehr in die Welt. Du gehörst dem Meister. Er hatte mich sofort nach deinem Verschwinden losgeschickt, um dich zu suchen."

Eine leise Träne rann über meine Wange. Er hätte mich so einfach ersetzen können. Mit irgendeinem anderen Jungen. Oder einem Mädchen. Aber er hielt an mir fest. Wollte mich bei sich haben.

Ich war sein.

 

Und als ich spürte, wie Westons Hände mich in zwei andere übergaben, da wusste ich, wo ich zu Hause war.

Nicht in der Musik. Nicht in Leipzig.

Sondern in Mister Steeles Armen. In den Armen des Teufels.

 

"Mein süßer André...", hauchte er mir in mein Ohr und ich erkannte ihn auch mit geschlossenen Augen am bloßen Klang seiner Stimme und seinem männlichen Duft. "Noch einmal lasse ich dich nicht gehen. Du bist jetzt ein Engel. Mein Engel."

 

Und ich fühlte mich lebendig.

Viel lebendiger, als ich es jemals während meiner Zeit auf der Erde gewesen war.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine Lieben,
die Geschichte endet an dieser Stelle. Doch es gibt eine Fortsetzung namens Wenn man vom Teufel spricht..., die ich in der Kurzbeschreibung verlinken werde. Oder ihr sucht sie euch selbst, wenn ihr wissen wollt, wie es weiter geht. ;)

Ich danke euch fürs Lesen. :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (11)

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Von:  Leviathena
2014-01-13T22:04:44+00:00 13.01.2014 23:04
Zuerst war ich traurig, dass es nun vorbei ist. Und ich bin auch etwas traurig, dass André den Freitod gewählt hat anstatt nun vielleicht doch mit gestärkten Bewusstsein durch die Welt zu gehen. Aber über die Ankündigung auf eine Fortsetzung freue ich mich :D
Ich frage mich etwas, wie Andrés Familie denkt. Ob sie es bereut, nicht an seinem Bett gewacht zu haben. Aber offensichtlich waren die bande da ja nicht so stark. So, auf geht's zum zweiten teil xD
Antwort von:  Anemia
14.01.2014 18:32
Na ja, ich hab mich eben für diese Variante entschieden, weil sie mir persönlich richtiger erschien...mein sentimentales Herz hat mich dazu gedrängt...*schnief* :D
Die Fortsetzung wird sich jedoch nicht so sehr um André drehen, wie du vielleicht bemerkt hast. Ich hoffe aber, dass du sie trotzdem magst. :)

Mh ja, natürlich gibt es noch ein paar ungeklärte Fragen, wie eben die nach seiner Familie. Aber das hätte nicht in mein Konzept gepasst. Und um ehrlich zu sein hab ich darüber gar nicht nachgedacht. ;P

Ich danke dir fürs Verfolgen und eifrige Kommentieren. :)

lg Serpa
Von:  Leviathena
2014-01-13T22:04:31+00:00 13.01.2014 23:04
Zuerst war ich traurig, dass es nun vorbei ist. Und ich bin auch etwas traurig, dass André den Freitod gewählt hat anstatt nun vielleicht doch mit gestärkten Bewusstsein durch die Welt zu gehen. Aber über die Ankündigung auf eine Fortsetzung freue ich mich :D
Ich frage mich etwas, wie Andrés Familie denkt. Ob sie es bereut, nicht an seinem Bett gewacht zu haben. Aber offensichtlich waren die bande da ja nicht so stark. So, auf geht's zum zweiten teil xD
Von:  kill-me
2014-01-09T09:32:31+00:00 09.01.2014 10:32
geil
aber der letzte satz mach neugierig auf mehr *-*
Antwort von:  Anemia
09.01.2014 16:59
Na ja, ich hoffe, du bist nicht zu enttäuscht, wenn ich dir jetzt sage, dass nur noch der Epilog kommt und die Geschichte dann beendet ist...;)

ABER es wird noch eine Fortsetzung geben...zwar geht es da nicht so sehr um den Meister persönlich und auch nicht um André, aber dafür um jemand anderen...kannst ja schon mal spekulieren, wer es sein könnte (okay, so viel Auswahl ist ja nicht...hehe...)
Von:  Leviathena
2014-01-04T11:52:55+00:00 04.01.2014 12:52
Uiuiui, da begibt sich jemand freiwillig in die Höhle des Löwen! :D hach die story ist einfach mal nur hot! Ich wünsch ihm nen guten Orgasmus, damit er seine Körper Probleme mal vergisst xD (Den Teufel zieht doch eh das jungfräuliche magisch an )
Antwort von:  Anemia
05.01.2014 18:34
Oh ja, ich find sie selbst auch sehr hot (man muss es selbst hot finden, damit es auch andere hot finden ;)).
Und yes, den Teufel zieht die Unschuld an...*dreckig grins* Es ist ja auch reizvoll...muss ich ihm recht geben...;P
Von:  karula
2014-01-01T14:10:14+00:00 01.01.2014 15:10
ohh ich erlebe hier grade selbst eine süße qual weil ich warten muss bis das nächste kapitel online ist... das ist fies ;-; du schreibst so toll.
Antwort von:  Anemia
01.01.2014 16:54
Das nächste Kapitel kommt bald. :) Freut mich sehr, dass es dir so gefällt...danke für das liebe Kompliment. <3
Von:  Leviathena
2013-12-30T09:20:39+00:00 30.12.2013 10:20
Woooohoooo omg omg was kommt als nächstes * hibbel* einfach nur hot xD
Antwort von:  Anemia
30.12.2013 11:33
Ich fang ja erst an...;) Kannst dich also schon freuen. :P
Antwort von:  Leviathena
30.12.2013 11:52
Das tu ich, keine sorge ;)
Von:  Leviathena
2013-12-24T22:51:06+00:00 24.12.2013 23:51
Ich mag den Teufel xD frohe Weihnachten ;) und ich freue mich aufs nächste Kapitel
Antwort von:  Anemia
25.12.2013 08:55
Ha, wer mag den Teufel auch nicht? :D Ich meine...der ist schon toll, auf seine ganz eigene Art...;)
Jup, gibt bald mehr.
Von:  Leviathena
2013-12-23T22:37:14+00:00 23.12.2013 23:37
Oho, na ich bin ja gespannt was der Meister von ihm will*'hihi* Scheint aber ein sehr williges Opfer zu sein, bei so wenig gegenwehr :D
Antwort von:  Anemia
24.12.2013 08:11
Tja, dreimal darfst du raten, was er von ihm will...*dreckig grins*
Na ja, wie willig, das wird sich noch zeigen. ;)
Antwort von:  Leviathena
24.12.2013 14:45
Ich freue mich auf mehr xD
Von:  Leviathena
2013-12-18T22:17:51+00:00 18.12.2013 23:17
Oh ich freue mich über ein neues Werk von dir. ICh finde es immer wieder Klasse wie du die schwarze SZene einbeziehst mit Eckpunkten versehen, die stimmen und somit deinen Stories einen Hauch Realität verleihen...wobei diesmal ja offensichtlich ein guter Schwung fantasy dabei zu sein scheint! :D ich bin gespannt, aufs nächste Kapitel!
Antwort von:  Anemia
19.12.2013 08:21
Der Bezug zur schwarzen Szene sollte eigentlich gar nicht so eindeutig vorhanden sein...aber ich kann eben nicht anders. Das steckt so in mir drin, die Liebe dazu...:)
Mh, ja, ich habe vor gar nicht allzu langer Zeit meine Vorliebe für Fantasyliteratur entdeckt und wahrscheinlich wird nun derartiges öfter in meine Werke einfließen. Reine Fantasy zu schreiben ist schwer, aber so ein dezenter Mix aus dem und Erotik...und hier wird es wieder sehr, sehr viel Erotik geben. ;P

Freut mich, dass dir der Auftakt gefällt. :) Bald kommt Nachschub.

lg Serpa


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