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Schmerzende Liebe

IN ÜBERARBEITUNG
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die folgenden Kapitel sind noch NICHT überarbeitet. Lesen daher auf eigene Gefahr!! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Achtung für alle Fans von Happy Ends! Das hier ist eine Alternative zum regulären Ende meiner Fanfiction zu Verliebter Tyrann. Es ist aus einer Laune heraus entstanden. Ich glaube jeder, der die Story (inkl. regl. Ende) gelesen hat weiß was in diesem Kapitel passieren wird. Also, wer es lieb und glücklich mag, sollte es sich überlegen, ob er das hier lesen will. Wer, aber auf Drama und Bad End steht wird es (hoffentlich) mögen ;3 Auf jeden Fall wünsche ich allen viel Spaß beim Lesen!! Komplett anzeigen

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Verabredung mit Hindernissen (Ü)

Montag! Schon wieder! Wo zum Teufel waren die freien Tage hin? Manchmal kam es Soichi Tatsumi wirklich so vor, als würde ausgerechnet das Wochenende nur einen verdammten Augenblick andauern. Normalerweise war er ja morgens gerne in der Uni unterwegs, denn er liebte die frühen Morgenstunden, in denen er ungestört arbeiten konnte, ohne, dass andauernd jemand in der Tür erschien, im Flur gebrüllt oder dort sinnlos umhergelaufen wurde. Normalerweise. Aber heute konnte er sich einfach nicht richtig konzentrieren. Denn immer wieder ertappte sich der junge Mann dabei, wie seine Gedanken abzuschweifen drohten.
 

Schlagartig wurde der Student erneut stinksauer, wenn er nur daran dachte ...
 

Rückblick: Ein paar Tage zuvor
 

Eigentlich wollte er nur in aller Ruhe an seinem Experiment weiterarbeiten. Doch wie so oft, verpasste ihn sein Mitbewohner und Kohai, Tetsuhiro Morinaga, mal wieder einen fetten Strich durch die Rechnung. Kaum hatte er es sich einigermaßen im Wohnzimmer gemütlich gemacht, tauchte diese Nervensäge auch schon auf der Bildfläche auf, nur, um ihm erneut den letzten Nerv zu rauben. Wie bereits an den Tagen zuvor, ließ sein Kohai nichts unversucht, ihn doch noch zu überreden, etwas mit ihm zusammen zu unternehmen. Am liebsten, würde Morinaga ihn ja in diese ominöse Ausstellung schleppen, von der er schon seit Wochen schwärmte. Tze, als ob er dafür Zeit hätte!

„Spinnst du? Weißt du eigentlich, wie voll das da sein wird? Auf Gedränge und stundenlangem Anstehen habe ich keine Lust. Ich muss an meinen Projekten weiterarbeiten. Die erledigen sich nämlich nicht von selbst!!“

„Aber Senpai!“ Morinaga schüttelte verständnislos mit dem Kopf. „Du arbeitest jetzt schon die letzten drei oder vier Wochenenden durch. Wenn du so weitermachst, wirst du noch krank!“

Die besorgte Miene des anderen gekonnt ignorierend, verdrehte der Ältere genervt die Augen. „Du faselst aber auch wieder Unsinn!! Ich werde schon nicht krank. Verdammt, das kann ich mir gar nicht leisten, jetzt in der entscheidenden Phase. Ich habe noch so viel zu tun, und du solltest auch langsam in die Gänge kommen.“
 

*
 

Für Soichi war die Sache damit zwar erledigt gewesen, aber Morinaga bequatschte ihn noch geschlagene zwei Stunden damit, dass er sich ruhig eine Auszeit nehmen könne, seine Arbeit ihm ja nicht weglaufe und blablabla. Schließlich gab er widerwillig nach.

„Was ist das denn genau für eine Ausstellung?“, hakte er argwöhnisch nach, während er sich in der Küche einen Kaffee einschenkte.

Tetsuhiro grinste ihn derweil glücklich an. „Es wird dir bestimmte gefallen, Senpai! Stell dir vor; das meeresbiologische Institut von Tokio stellt dort seine Funde der letzten Expedition aus. Es wurden nicht nur acht neue Tierarten entdeckt, sondern auch einige Jahrhunderte alte Schiffswracks erkundet. Cool, oder? Die Ausstellung ist leider nur zwei Wochen für die Öffentlichkeit zugänglich. Ich will das unbedingt sehen. Wer weiß, wann nochmal so eine Chance kommt!“

Die blauen Augen des Dunkelhaarigen leuchteten vor Aufregung.

„Und warum willst du mich dahin mitschleppen? Geh doch allein! Ich habe genug zu tun!“, maulte Soichi, der alles andere als überzeugt wirkte, griesgrämig vor sich hin, gleichzeitig warf seinen Mitbewohner einen argwöhnischen Blick zu.

„Ehh … Naja, weißt du …“

Verlegen schlug dieser die Augen nieder und wirkte auf einmal gar nicht mehr so selbstsicher. Morinaga zögerte einen Moment, plötzlich jedoch überwand er die wenigen Schritte, die sie voneinander trennten und berührte Soichi sachte am Arm. Vorsichtig beugte er sich dabei zu ihm hinunter.

„Ich … kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mit dir dort hinzugehen. Wir haben schon lange nichts mehr miteinander unternommen. Außerdem mache ich mir Sorgen um dich, Senpai. Ich liebe dich!“

Ein heißkalter Schauer rieselte Soichi´s Rücken hinunter, als er Morinaga´s Atem federleicht an seinem Hals spüren konnte. Es war nicht mehr als ein Hauch, dennoch wurde dem Älteren heiß, furchtbar heiß! Er erschauderte.

„Wa … Was faselst du da!“, stotterte der Blonde daraufhin mit hochrotem Kopf und versuchte sofort auf Abstand zu gehen.

Morinaga allerdings ließ sich dieses Mal nicht so schnell abschütteln. Behutsam lege er ihm stattdessen eine Hand in den Nacken, sah ihm tief in die braunen Augen. Die andere Hand wanderte währenddessen über Soichi’s Rücken. Langsam zog er ihn zu sich heran. Beinahe schüchtern trafen ihre Lippen aufeinander. Der Kuss zunächst sanfte Kuss gewann schnell an Leidenschaft. Zielstrebig drängte Tetsuhiro seinen Partner auf das Sofa. Sehnsüchtig glitten die Hände unter die Kleidung des Älteren. Als Soichi mitbekam, was der andere beabsichtigte, regte sich jedoch erneut leichter Widerstand in ihm.

„Nein … ich … Morinaga, stopp ...“

Im Grunde genommen, waren es nur halbherzige Befreiungsversuche, denn bevor er überhaupt einen klaren Gedanken fassen konnte, war es schon um ihn geschehen. Wie immer, war er einfach machtlos gegen die angenehmen Gefühle, die Morinaga´s Berührungen in ihm auslösten.
 

Tetsuhiro erstickte jeglichen Protest, indem er ihn in einen weiteren, tiefen Kuss verwickelte.
 

*
 

Schlussendlich verabredeten sie sich für den nächsten Tag, um sich, wie sollte es auch anders sein, die Ausstellung gemeinsam anzusehen. Soichi passte das natürlich überhaupt nicht in den Kram! Eigentlich wollte er sich nicht überreden lassen, aber irgendwie schaffte Morinaga es dann doch immer wieder, seinen Willen durchzusetzen.
 

So ein Dreck!
 

*
 

So ein verdammter Dreck! wusste, dass es eine dumme Idee gewesen war!
 

Er hatte von Anfang an gewusst, dass er es bereuen würde! Es war Samstag, kurz vor 13:00 Uhr und die Innenstadt war, wie befürchtet, überfüllt mit Menschen. Ungeduldig stand Soichi vor der großen Uhr der U-Bahn-Station und wartete auf seinen Kohai.

„Was mache ich hier eigentlich?“, fragte er sich mindestens zum einhundertsten Mal an diesem Nachmittag. Ein tiefer Seufzer entwich ihm. „Ich hasse große Menschenmengen. Hoffentlich sind nicht so viele Kinder da. In der Halle ist es bestimmt höllenwarm. Am besten, ich gehe. Er ist sowieso zu spät. Typisch!“

Am liebsten, wäre er auf und davon, aber aus einem ihm unverständlichen Grund, brachte er es nicht übers Herz jetzt einfach zu verschwinden. Also wartete er. Und wartete … und wartete… Als Soichi das nächste Mal auf die Uhr schaute, war es bereits 15:00 Uhr. Augenblicklich schoss sein Blutdruck unkontrolliert in die Höhe!

„Das gibt es doch nicht!?!“, rutschte es so laut aus dem Studenten heraus, sodass sich einige Passanten erschrocken zu ihm umdrehten.

Er konnte es nicht glauben!! Da nervte dieser Kerl ihn gefühlte 1.000.000 Stunden, dass er mit ihm diese bescheuerte Ausstellung besuchte und dann tauchte er gar nicht erst auf! Was zur Hölle!?.

Eine leise Stimme in seinem Inneren flüsterte Soichi zwar zu, dass es Morinaga eigentlich so überhaupt nicht ähnlich sah, eine Verabredung platzen zu lassen, aber Soichi war momentan viel zu sauer, um darauf in irgendeiner Weise zu achten. Wütend nahm er sein Handy und wählte Morinaga´s Nummer. Es knackte ein paar Mal in der Leitung …
 

„Der gewünschte Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piep!“
 

Vor Wut knirschte Soichi laut mit den Zähnen. Das Handy in seiner Hand knackte bedenklich. „Na warte, das wirst du bereuen, Morinaga! Wenn ich dich erwische, kannst du was erleben!!“

Mit einem Gesicht, das nichts Gutes für seinen Kohai bedeutete, marschierte er nach Hause.
 

**Ende Kapitel 1**

Essensschlacht (Ü)

Bis jetzt war Morinaga allerdings nicht wieder aufgetaucht.
 

Als Soichi wutentbrannt zu Hause ankam, hatte er sich felsenfest vorgenommen seinem Mitbewohner gehörig die Leviten zu lesen! Morinaga konnte sich auf ein gewaltiges Donnerwetter gefasst machen! Dummerweise erwartete ihn in ihrer Wohnung gähnende Leere. Kein Tetsuhiro weit und breit.
 

Verdammt, wäre ja auch zu schön gewesen! Wie war das noch mal gewesen? Wollte dieser Trottel vor ihrem Treffen nicht noch kurz irgendetwas erledigen? Tze, von wegen kurz …
 

Nachdem er nochmals erfolglos versuchte, Morinaga auf dem Handy zu erreichen, verfrachtete Soichi seinen Hintern kurzerhand auf die Couch. Wenn der Idiot ernsthaft glaubte, dass er ihn so einfach davonkommen lassen würde, dann hatte sich Morinaga so was von geschnitten! Angepisst und mit einer Mörderwut im Bauch begann Soichi zu warten, mal wieder! Eine Zigarette nach der anderen wurde angezündet, fast minütlich auf die Uhr geschaut. Schnell war die erste Stunde verstrichen. Als draußen allmählich die Dämmerung einsetzte, wurde Soichi dann doch ein bisschen mulmig zumute. Das sah Morinaga nun wirklich nicht ähnlich. Aber egal, wie lange er an diesem Tag noch wartete - keine Chance, Tetsuhiro tauchte nicht auf.
 

*
 

Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Tetsuhiro kam weder nachts, noch am Sonntag nach Hause und telefonisch war er, nach wie vor, auch nicht zu erreichen gewesen. Jetzt hatte Soichi den Schlamassel! Er konnte sich beim besten Willen nicht auf seine Arbeit konzentrieren.

„Verdammt! Wo treibt der sich nur rum? Er weiß doch, dass wir jetzt in der heißen Phase sind!“

Zähneknirschend warf Soichi einen vernichtenden Blick auf die Uhr, deren Zeiger alarmierend auf zwölf Uhr zumarschierten. Sofort rauschte seine Laune in den Keller. Jetzt hatte er tatsächlich den ganzen Vormittag mit Grübeleien über seinen nichtsnutzigen Assistenten vergeudet. Einen Augenblick haderte er noch mit sich selbst, ehe er dann kurzerhand aufstand, sein geliebtes Labor verließ und sich schnurstracks auf den Weg in die Cafeteria machte. So ging das nicht weiter! Es wurde Zeit, dass er etwas unternahm! Jawohl! Vielleicht konnten Morinaga´s Kommilitonen ihm eine plausible Auskunft über den Verbleib seines Assistenten geben! Ein Versuch war es definitiv wert!
 

*
 

In der Kantine war die Hölle los, wortwörtlich. Es wimmelte nur so vor Menschen, was nicht gerade dazu beitrug, Soichi´s ohnehin schon strapazierten Nerven ein wenig Ruhe zu gönnen. Im Gegenteil, entnervt und mit einem Visage wie zehn Tage Regenwetter, machte er sich notgedrungen auf die Suche nach einem bekannten Gesicht. Was unglücklicherweise gar nicht so einfach war. Er musste sich regelrecht durch die Masse hungriger Studenten kämpfen. Zur Mittagszeit nichts Ungewöhnliches und genau deswegen vermied es Soichi eigentlich sonst immer, ausgerechnet jetzt hier aufzuschlagen! Aber was tat man nicht alles für seinen Assistenten? Mühsam schlängelte sich Soichi durch die dichte Menschenmasse, bis schließlich er von einem großgewachsenen Typen, der sich rüde an ihm vorbeidrängte, zur Seite gestoßen wurde. Unsanft stolperte der blonde Student über seine eigenen Füße. Etwas mehr Schwung und er hätte unweigerlich Bekanntschaft mit dem Fußboden gemacht.

Jeder andere, normale Mensch würde in diesem Moment einfach die Klappe gehalten und die Sache wäre damit für alle Beteiligten erledigt gewesen. Höchstwahrscheinlich hätten sie nie wieder etwas miteinander zutun gehabt. Aber Soichi konnte nicht anders, man könnte fast sagen, es war so etwas wie ein natürlicher Reflex seinerseits, als er den Kerl zischend anfauchte. „Pass doch auf! Kannst du nicht aufpassen, wo du hintrampelst, du Idiot!?“

„Was … hast du gesagt?“ Der Angesprochenen warf ihm über die Schulter hinweg einen argwöhnischen Blick zu.

Der Kerl war groß, breitgebaut und trug eine Lederjacke, die ihre besten Tage schon lange hinter sich hatte. Unter einem Wust braunen Zottelhaars blitzte Soichi ein Paar dunkler Augen entgegen. Normalerweise wäre jetzt Morinaga dazwischen gegangen, aber da sein wandelndes Gewissen spurlos verschwunden war, kam es, wie es halt kommen musste.

Überrascht, weil Lederjacke ihn doch gehört hatte, zögerte Soichi zwar einige Sekunden, doch seine Zunge, war in diesem Falle um einiges schneller als sein Hirn.

„Bis du taub, oder was? Du sollst aufpassen, wo du hinlatschst!!“, wiederholte er um einiges lauter, als beabsichtig, was prompt zur Folge hatte, dass sich eine Menge neugieriger Augenpaare auf ihn richteten.

„Wie … war … das …?“

Zottelhaar, der sich eigentlich schon halb abgewandt hatte, blieb abrupt stehen und drehte sich nun vollends zu ihm um. Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, kam er langsam näher. Aus der Nähe betrachtet, erschien Soichi´s Gegenüber noch bedrohlicher. Ein 3-Tage-Bart und ein blasser Teint zeigten deutlich, dass der anderen eine anständige Portion Schlaf bitter nötig hätte. Plötzlich war es mucksmäuschenstill in der Cafeteria. Niemand wagte es, sich einzumischen. Alle starrten gebannt auf die Szene, die ihnen geboten wurde. Die ganze Sache dauerte vielleicht eine Minute. Herausfordernd verschränkte Soichi die Arme vor der Brust, eine scharfe Erwiderung auf der Zunge. Doch gerade, als er zu einer Antwort ansetzen wollte, erschien wie aus dem Nichts ein anderer Student hinter Zottelkopf und legte diesem beschwörend eine Hand auf die Schulter.

„Taro komm, lass die Flachzange in Ruhe. Der ist es nicht wert. Das gibt nur Ärger. Wir verschwinden lieber“, raunte der Neuankömmling seinem Kumpel leise zu.

Taro funkelte Soichi indessen böse an, nickte aber dann knapp. „Du hast Recht, Shingo. Ich würde mir eh nur die Hände schmutzig machen. Der Ärger ist es nicht wert.“

Die beiden Möchtegern-Rocker, Shingo trug ebenfalls eine Lederjacke, tauschten einen kurzen Handschlag, während sie Soichi links liegen ließen, auf dem Absatz kehrtmachten und davontrotteten.
 

*
 

Tatsumi hingegen blieb noch einen Augenblick an Ort und Stelle stehen, ehe auch er sich wieder in Bewegung setze, um endlich im Thema Morinaga weiterzukommen. Sich um die eigenen Achse drehend, glitt sein Blick suchend über die anwesenden Studenten. Im Großen und Ganzen wäre die Angelegenheit mit Taro vom Tisch gewesen, wenn Soichi Tatsumi seine Klappe gehalten hätte, aber weil er eben Soichi Tatsumi war, tat er es natürlich nicht.

„Hmpf, so ein Schwachkopf. Der sollte sich die Haare schneiden, damit sein Gehirn wieder Luft abbekommt. So einen Show abzuziehen. Tze …“, murmelte er, gedanklich noch immer bei besagtem Schwachkopf, halblaut vor sich hin.

Ein großer Fehler, wie sich nur zwei Schritte später herausstellen sollte. Soichi´s Such fand ein jähes Ende, denn plötzlich packte ihn eine Hand am Schlafittchen und schleuderte ihn ruckartig herum.

„Das wirst du bereuen!!“, fauchte er eine sehr wütend klingende Stimme. Es war Taro
 

Offensichtlich erwies sich dessen Gehör als überaus feinfühlig. Zweifelsohne hörte er jedes einzelne Wort. Bevor Soichi auch nur den kleinen Finger rühren konnte, spürte er bereits die Faust seines Gegners im Gesicht. Sekunden später flog er quer durch die Kantine. Die umherstehenden Studenten stoben auseinander. Stimmen wurden laut, einige Mädchen kreischten erschrocken. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen landete er auf einen der zahlreichen Tische. Alles, was sich an Essen, Trinken, Büchern oder sonstigem Zeug darauf tummelte, klatschte auf den Fußboden.
 

Und obwohl das alles nicht schon schlimm genug war, kam irgendein durchgeknallter Schwachmat urplötzlich auf eine wirklich brillante Idee.
 

„EEESSSENSSCHLAAACHT!!!!!!“
 

Ein Herzschlag verstrich, dann brach das pure Chaos aus.
 

**Ende Kapitel 2**

Cafeteria-Chaos (Ü)

„EEESSSENSSCHLAAACHT!!!!!!“

 

Der Schrei war noch nicht ganz verklungen, da flogen auch schon die ersten Essensreste quer durch den Speisesaal. Bereits wenige Sekunden später, ähnelte die Cafeteria einem ausgewachsenen Schlachtfeld. Die Studenten fackelten nicht lange und warfen quasi mit allem, was ihnen zwischen die Finger kam. Nicht nur das eine oder andere verschmähte Mittagessen, sondern ebenso die dazugehörigen Tabletts, Getränke, Bücher, Gabeln, Messer, Rucksäcke, und andere Krimskrams. Ein mutiger Mitarbeiter der Küche unternahm den verzweifelten Versuch die außer Rand und Band geratenen Studenten irgendwie zur Vernunft zu bringen. Wild fuchtelte der Mann mit seinen Armen in der Luft herum und versuchte so gegen dien anhaltenden Lärm anzukämpfen. Alle Liebesmüh war jedoch vergebens. Die jungen Männer und Frauen waren wie im Rausch. Der Küchenmitarbeiter bekam als Dank für seine Bemühungen eine ordentliche Portion undefinierbaren Breis ins Gesicht gefeuert. Empört über diese Dreistigkeit, lief er knallrot an und schleuderte nun seinerseits eine Portion Nudeln, die er sich prompt aus der Anrichte griff, in die Richtung der Angreifer. Doch waren die Angestellten der Cafeteria nicht die Einzigen, die verkrampft versuchten die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Das Ganze ging so weit, dass sich ein Professor mit Stirnglatze und Schnurrbart ohne weiteres auf einen der zahlreichen Tische stellte.

„Sie hören jetzt auf der Stelle mit diesem Unsinn auf! Das ist Beschädigung von Schuleigentum! Aufhören oder ich sorge dafür, dass Sie alle von der Uni fliegen!“, brüllte der Lehrer wutentbrannt, wurde von seinen Schäfchen allerdings eiskalt ignoriert.  

 

Soichi dagegen bekam von alledem nicht wirklich viel mit. Der Blonde war viel mehr damit beschäftigt, noch immer auf dem Tisch, auf dem er so unsanft gelandet war, ein kleines Nickerchen zu halten. Es dauerte einen Moment, bis er wieder einigermaßen klar denken konnte. Autsch! Benommen richtete er sich schließlich ein Stückchen auf und betastete vorsichtig seine demolierte Visage. Die Hand, die er danach verwirrt bestaunte, glänzte feucht von seinem eigenen Blut. Taro hatte anscheinend gut getroffen. Einige Sekunden starrte er auf die blutverschmierten Finger, unfähig sich zu rühren. Erst als irgendein Volltrottel den Tisch, auf dem er lag, an einer Seite packte, hochhob und Soichi somit krachend auf dem Boden landete, kam wieder Bewegung in den Studenten. Mühsam richtete er sich, verlor auf dem rutschigen Boden jedoch beinahe das Gleichgewicht. Mittlerweile war der schon so verdreckt, dass man den ursprünglichen Bodenbelag gar nicht mehr erkennen konnte.

Ach, du Scheiße, bin ich hier im Irrenhaus?, schoss es Soichi ungläubig durch den Kopf, während er das Chaos um sich herum betrachtete. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen

„Wo ist dieser verdammte Lederjackenfreak? Bestimmt ist der längst auf und davon … Tze …“

Leise vor sich hinmurmelnd, versuchte er seinen Widersacher in der Menschenmenge ausfindig zu machen, aber das Hämmern im Kopf des jungen Mannes war teilweise so stark, dass die Umgebung vor seinen Augen verschwamm. Mit schmerzverzerrtem Gesicht humpelte er ein paar Schritte in Richtung Ausgang.

 

Unglücklicherweise hatte er jedoch die Rechnung ohne Taro gemacht, denn dieser hatte Soichi Tatsumi keineswegs vergessen. Kurzzeitig abgelenkt durch die spontane Essensschlacht, verschwand der Blondschopf zwar aus dem Blickfeld des Rockers, als er ihn allerdings in Mitten des lärmenden Studentenhaufens entdeckte, eilte Taro mit schnellen abermals auf ihn zu. 

„Wir sind noch nicht fertig miteinander, Freundchen!“, brüllte er Soichi fauchend hinterher.

„Scheiße Mann, mach keinen Unsinn!! Lass uns abhauen!!! Hey Taroooo!!“

Taros Freund Shingo, der ihn vor langer Zeit, so schien es jedenfalls, davon abhalten wollte, Ärger zu bekommen, sah seinen Freund nach, wie der sich schnurstracks ins Getümmel warf. Taros ganze Aufmerksamkeit indessen galt der Brillenschlage, die es gewagt hatte, ihn zu beleidigen. So einfach wollte er Tatsumi nicht davonkommen lassen! Doch Taro hatte mit zweierlei Dingen nicht gerechnet. Erstens, glaubte er nicht, dass sich Soichi trotz der Abreibung, die er ihm zuvor verpasst hatte, wehren würde. Zweitens, schenkte er seiner Umgebung, speziell dem Boden, nicht die nötige Aufmerksamkeit. Schon streckte der Zottelkopf die Hand aus, um Soichi zu packen. Dumm nur, dass Tatsumi nicht zu der Art Mensch gehörte, die einem Kampf aus den Weg ging. Trotz seiner Schmerzen ballte er die Hand zur Faust und traf nun seinerseits den verblüfften Taro mit einem gezielten Hieb in den Magen. Dieser gab einen erstickten Laut von sich und konnte gar nicht so schnell reagieren, da hatte Tatsumi ihm noch zusätzlich einen Kinnhacken verpasst. Obwohl der Schlag nicht so kraftvoll war, als wenn Soichi im Besitz seiner vollen Kräfte gewesen wäre, taumelte Taro benebelt nach hinten und rutschte auf dem dreckigen Boden der Cafeteria aus. Er fiel wie ein gefällter Baum. Soichi keuchte außer Atem und sah dabei zu, wie Taro sich mühsam aufrappelte.

„Fuck, Taro!“, fluchte Shingo, der mittlerweile zu ihnen gestoßen war.

Schnell legte seinem Kumpel einen Arm um die breiten Schultern, halt ihm so auf die Füße. Blut rann dem Größeren munter aus Nase und Mund. Entgeistert öffnete er die Lippen, spuckte etwas in die hohle Hand. Geschockt starrte er auf seinen rechten Schneidezahn.

 

Derweil war es den engagierten Lehrern mit Ach und Krach gelungen die Essensschlacht niederzuschlagen. Die Cafeteria leerte sich nun zusehens. Die meisten Studenten machten sich schleunigst aus den Staub. Über die Konsequenzen hatte sich im Rausch niemand große Gedanken gemacht. Man konnte gar nicht so schnell blinzeln, da machten sich die Ersten flugs aus den Staub. Die Pechvögel, die das Unglück besaßen und von einen der sich im Raum verteilten Lehrkörpern erwischt wurden, erhielten auf der Stelle und ohne lange zu diskusstieren, eine saftige Standpauke, oder wurden augenblicklich zum Direktor befördert.

„Scheiße, Alter! Wir sollten abhauen!“

Shingo war es schließlich der eine zweite Runde zwischen Soichi und Taro verhinderte. Die Aussicht auf einen Verweis war alles andere, als verlockend.  Alarmierend zog er seinen Kumpel aus Soichis Reichweite, obwohl der Rocker eher so aussah, als wollte er Soichi viel lieber noch einmal an die Gurgel springen.

„Ich werde das nicht vergessen! Das kriegst du zurück!“ drohte er unheilschwanger, bevor er mühsam von Shingo weggezerrt wurde.

Soichi schluckte und schaute beiden hinterher. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in seinem Magen. Aber bevor er sich weitere Gedanken machen konnte, musste er erst mal sich selbst in Sicherheit bringen. Ohne erwischt zu werden, versteht sich.

 

*Ende Kapitel 3*

Wiedersehen mit Freude? (Ü)

Müde betrachtete Soichi sein angeschlagenes Gesicht am nächsten Morgen im Spiegel. Die Auseinandersetzung mit Taro hatte ihre Spuren hinterlassen, aber es war bei weitem nicht so schlimm, wie vorerst befürchtet. Abgesehen von einem blauen Auge und einer angeschlagenen Nase, hatte er keine ernsthaften Verletzungen davongetragen. Kaum zu Hause angekommen, taumelte er in sein Zimmer, fiel aufs Bett und schlief ein. Nun stand er im Badezimmer und betastete vorsichtig das Veilchen. Es tat scheußlich weh, würde aber in ein paar Tagen verschwunden sein. Mit seiner geschwollenen Nase ähnelte er zwar verdächtig Rudolph dem Rentier, alles in allem, war er jedoch ziemlich glimpflich davongekommen.

„Das hätte noch gefehlt, wenn ich ins Krankenhaus gemusst hätte. Und das alles nur, weil dieser Freak nicht aufpassen kann, wo er hinlatscht! Fuck …“, murrte Soichi angepisst.

Nach einem letzten Blick auf sein Spiegelbild, wandte er sich ab und betrat das Wohnzimmer.

 

**

 

Noch immer deutete nichts in der gesamten Wohnung darauf hin, dass Morinaga im Laufe der Nacht irgendwann zurückgekommen war. Soichi zögerte einen Moment, dann schlug er den Weg zu dem einzigen Ort ein, an dem er noch nicht nachgesehen hatte. Vor der Zimmertür seines Kohais atmete er schließlich einmal tief durch, ehe er zu einem für seine Verhältnisse zaghaften Klopfen ansetzte.

Keine Reaktion.

Soichi biss die Zähne zusammen. Warum stellte er sich eigentlich so dämlich an!? Kurzentschlossen griff er nach der Türklinke, drückte sie beherzt hinunter und schlüpfte in das Zimmer. Es war leer, absolut leer.

„Shit …“

Tatsumi ahnte es bereits, doch jetzt da er Gewissheit hatte, verspürte er tatsächlich leise Enttäuschung in sich aufkeimen. Angestrengt stieß der Blonde die angestaute Luft aus. Unschlüssig fuhr er sich durch das Haar. Schlussendlich siegte die Neugier. Wenn er schon mal hier war, dann konnte er die Gelegenheit auch nutzen, um sich einmal ausführlich umzusehen. Seitdem Morinaga und er zusammenwohnten, war er höchstens ein- oder zweimal im Inneren von Tetsuhiros persönlichen vier Wänden gewesen. Viel gab es allerdings nicht zusehen, als die braunen Augen Soichis suchend durch den Raum glitten. Das Bett war ordentlich gemacht, der Schreibtisch tiptop aufgeräumt. In den Regalen standen unzählige Bücher, Zeitschriften und CDs feinsäuberlich in Reih und Glied.

„Typisch Morinaga, alles sauber und aufgeräumt“, musste Soichi unwillkürlich schmunzeln, während er daran dachte, wie oft er von Morinaga wegen seiner Unordnung schon gescholten worden war.

Der junge Student war so in Gedanken vertieft, dass er die Haustür und die Schritte, die sich dem Zimmer nährten erst hörte, als es längst zu spät war. Soichi kam erst wieder zu sich, nachdem die Tür mit einem gewaltigen Ruck geöffnet wurde.

 

 

„Se-Senpai! Was in aller Welt, ist denn mit deinem Gesicht passiert!“

Der Schock stand Morinaga Tetsuhiro regelrecht ins Gesicht geschrieben. Mit riesigen Augen starrte er in das blasse Gesicht des Älteren. Soichi selbst, war für einen Augenblick wie erstarrt. Er fühlte sich wie ein Dieb, der auf frischer Tat ertappt worden war.

„Senpai! Wie … geht’s dir gut? Was ist mit dir passiert?! Senpai! Soll ich einen Arzt rufen!?“

Morinaga, der seinen Senpai besorgt von oben bis unten musterte, machte einen unsicheren Schritt auf diesen zu. Zaghaft, als würde Soichi bei der erstbesten unbedachten Bewegung in tausend Einzelteile zerspringen, streckte Tetsuhiro die Hand nach dem Älteren aus.

„Finger weg!“

Glücklicherweise fing sich Soichi schnell. Rüde drängte er sich daher an Morinaga vorbei und flüchtete sich ins Wohnzimmer. Verwirrt wirbelte Tetsuhiro herum, um seinem Senpai zu folgen.

„Warte doch! Was zum Teufel ist denn mit dir los?“, verlangte der Jüngere zu wissen, wurde aber von Soichi mit einer harschen Geste unterbrochen.

„Du willst wissen, was passiert ist?! Scheiß drauf! Mach lieber dein Maul auf und sagt mir, wo verdammt nochmal du gewesen bist!?“, schrie der Blondschopf nun seinerseits Morinaga an. Dieser zuckte ertappt zusammen.

„Senpai so beruhige dich doch erst einmal ...“ So ruhig wie möglich, lächelte der Kohai seinen Senpai an, doch wirkte er dabei ziemlich nervös. Schnell fuhr sich Morinaga durch das dunkle Haar. „Nun, ich war … das ist ein bisschen kompliziert … wie soll ich anfangen … Ich … weißt du was? Ein Kaffee wäre jetzt genau das Richtige, oder?“

Ohne auf Soichis Antwort zu warten, machte Tetsuhiro auf dem Absatz kehrt und verkrümelte sich schleunigst Richtung Küche.

„Was!? Scheiß auf den Kaffee! Antworte gefälligst, du …“

Verdattert blieb Soichi allein zurück. Zunächst wollte er dem anderen nachsetzen, doch dann glaubte er Tetsuhiro für einen winzigen Augenblick schwanken zu sehen. Schnell kniff er die Augen zusammen, aber als er das zweite Mal hinsah, war sein Mitbewohner bereits verschwunden.

„Hah?“

Der Ältere runzelte die Stirn, rieb sich über die Lider, dann winkte er ab. Bei dem Kampf mit Taro hatte er wohl doch mehr abgekriegt, als gedacht. Soichi zögerte kurz, setzte sich daraufhin jedoch auf das Sofa, noch immer stinksauer! Grummelnd schlug er die Beine übereinander und zündete sich genüsslich eine Zigarette an.

Seit gestern Morgen hatte er keine mehr geraucht. Für ihn ein absoluter Rekord. Tief inhalierte er den Rauch, während er Morinaga in der Küche hantieren hörte. Jetzt da sein nichtsnutziger Kohai wieder aufgekreuzt war, fiel ihm nichtsdestotrotz ein großer Felsbrocken vom Herzen. Aber er würde sich lieber die Zunge abbeißen, als zuzugeben, dass er ihn vermisst hätte! Tze!

Schnell jedoch war die erste Zigarette geraucht und Soichis Stimmung dementsprechend gesunken.

„Hey, Morinaga wo bleibt der Kaffee?“, murrte er nicht gerade leise.

Weil es ihm nicht schnell genug ging, wollte er mit einem mürrischen »Muss man den alles selbst machen« erheben, als zu seiner Freude Morinaga mit dem dunkeln Muntermachen auf der Bildfläche erschien. „Entschuldige, dass du warten musstest ...“

Verlegen stellte der Jüngere zweit Kaffeebecher auf dem Tisch ab. Gewohnt kaltschnäuzig griff sich Soichi einen, um sich einen großen Schluck zu genehmigen. Morinaga betrachtete ihn dabei.

„Und? Willst du mir erzählen, was passiert ist?“, hakte er abermals nach.

Der Ältere verschränkte die Arme. „Nichts“, erwiderte er knapp.

„Nichts? Nach »Nichts« sieht das aber nicht aus ...“, setzte er vorsichtig an und berührte sanft das Gesicht seines Gegenübers.

Soichi zuckte zurück. Nicht aus Schmerzen, sondern weil die Hände seines Kohais eiskalt waren. Normalerweise glich dieser einer wandelnden Heizung. Verstohlen musterte er Tetsuhiro, während er schnell noch einen Schluck Kaffee nahm. Erst jetzt fiel Soichi auf, wie bleich Morinagas Haut war. Außerdem schimmerten dunkle Ringe unter den Augen und sah so alles andere als gut aus.

Tetsuhiro deutete Soichis Reaktion vollkommen falsch.

„Wenn es noch wehtut, solltest du Eis drauflegen. Ich hole dir etwas ...“, sagte er besorgt und stand schon auf, um in die Küche zu eilen, aber da hielt er überrascht inne.

„Äh, ist schon gut. Er tut nicht weh. Ist doch nur ein Kratzer. Setz dich wieder hin ...“, brummte Soichi, der ihn am Arm gepackt hatte. Zögernd setzte sich Morinaga wieder hin.

 

Nach langem Hin und her, rückte Soichi schließlich mit der Sprache heraus. Zumindest tischte er seinem Kohai die abgespackte Version auf.

„In der Cafeteria gab es eine Schlägerei. Zu allem Übel war ich zufällig dort, als es so richtig zur Sache ging. So, das ist alles … also mach nicht so einen Aufstand“, endete er schließlich mit seinen Ausführungen.

Soichi wusste selbst nicht so genau, warum er nicht die ganze Wahrheit erzählte. Aber in diesem Moment erschien es einfach richtig.

„So, und jetzt bist du gefälligst an der Reihe! Wo zur Hölle bist du die ganze Zeit gewesen!?“, schnauzte Soichi im gleichen Atemzug den Jüngeren an. Böse funkelte er diesen an. „Morinaga! Erst nervst du mich stundenlang, willst unbedingt etwas mit mir unternehmen und dann tauchst du drei, ja drei verfluchte Tage nicht auf!“ Ein Knurren entwich Soichis Kehle. „Und dann hinterlässt du nicht einmal eine Nachricht! Verdammte Scheiße, du weißt doch, wie wichtig unsere Arbeit ist. Ich will eine Erklärung! Sofort!“

Die letzten Worte schrie Soichi fast. Obwohl er sich vorgenommen hatte, ruhig zu bleiben, so schoss ihm nun das Blut in den Kopf. Für einige Sekunden schwiegen beide Männer. Soichi atmete schwer, so sehr war er mittlerweile in Rage. Er war auf die Erklärung seines Assistenten gespannt, sodass er diesen nicht aus den Augen gelassen hatte.

„Senpai ...“

Während des Ausbruchs seines Senpais war Tetsuhiros Blick pausenlos auf die eigenen Hände gerichtet gewesen. Man sah deutlich, wie er sichtlich immer mehr in sich zusammenschrumpfte. Tetsuhiro presste die Lippen aufeinander, dann brach er sein Schweigen.

„Ich … Es tut mir leid“, flüsterte er so leise, dass es fast nicht zu hören war.

Als der Dunkelhaarige den Kopf schließlich hob, konnte Soichi in dessen tieftraurigen Augen schauen. Noch schockierter war er allerdings, als er die Tränen bemerkte, die Tetsuhiro die Wangen hinunterkullerten.

Was?!

So hatte er seinen Kohai noch nie gesehen. Alle Vorwürfe, die er Morinaga noch an den Kopf werfen wollte, blieben ihm schlagartig im Hals stecken. Stattdessen schluckte Soichi angestrengt.

„Äh, ich … nein …“, stammelte er verunsichert und trat sich dafür innerlich selbst in den Hintern. „So … So schlimm ist es nicht. Ich war nur sauer, weil ich nicht wusste, wo du steckst ...“

Gegen seinen Willen bekam Soichi Mitleid mit seinem Mitbewohner. Nun war er derjenige, der Morinaga besorgt musterte. Ungewohnt sanft berührte er ihn am Arm. Morinaga wischte sich indes mit dem Ärmel über die Augen. Er sah jetzt noch elender aus als noch vor wenigen Minuten.

„Nein, nein, nein. Es tut mir leid, Senpai. Es ist meine Schuld … ich hätte … Es ist … ich bin … ich … Ich bin einfach nur müde ...“, versuchte er Tatsumi zu beruhigen, was allerdings nur zur Folge hatte, dass dieser ihn noch intensiver musterte.

„Senpai … ich ...“, setzte Morinaga leise an, verstummte jedoch abrupt. Sekundenlang sahen sie einander in die Augen, doch dann ging ein Ruck durch Tetsuhiro. Gleich darauf sprang er regelrecht vom Sofa auf.

Soichi riss die Augen auf. „Hey, was ...“

Bereits nach wenigen Schritten begann Morinaga zu schwanken. Er wäre mit Sicherheit gestürzt, hätte Soichi ihn nicht in letzter Sekunde aufgefangen.

„Hey, Morinaga! Was ist mit dir?! Mach keinen Unsinn!“, rief der Ältere panisch.

Sein Kohai keuchte etwas, schloss für einen Moment die Augen. Doch so schnell ihn die Kräfte verlassen hatten, so schnell riss er sich jedoch wieder zusammen.

„Danke, Senpai. Es geht schon wieder. Mir … war nur ein bisschen schwindelig ...“, murmelte Morinaga und schüttelte die helfenden Hände sanft, aber bestimmt ab. Soichis Augenbrauen flogen in die Höh.

„Schwindelig? Dann ...“

„Mir geht es wirklich gut ...“

Der Dunkelhaarige lächelte ihn so warm an, dass Soichi für eine Sekunde die Luft wegblieb. Morinaga nutzte diesen Moment der Schwäche, um ihn endgültig abzuschütteln. Ehe Soichi noch etwas unternehmen konnte, war Morinaga bereits in den Tiefen des Flures verschwunden.

 

**Ende Kapitel 4**

Man(n) sieht sich öfter als man(n) denkt

„Morinaga! Hey Morinaga!“ Erneut stand Soichi vor der Tür seines Mitbewohners. Nachdem Tetsuhiro auf wackligen Beinen in seinem Zimmer verschwunden war, blieb Soichi wie zur Salzsäule erstarrt im Wohnzimmer zurück. War das gerade wirklich passiert? In so einen Zustand hatte er seinen Kohai noch nie gesehen. Außerdem hatte er immer noch keine Ahnung wo der andere in den letzten Tagen gewesen war.
 

Auf sein Rufen bekam er keine Antwort. Langsam begann er sich Sorgen zu machen. „Er wird doch nicht ernsthaft krank sein??“, überlegte er sich. Wenn er darüber nachdachte, hatte er Morinaga noch nie wirklich krank erlebt. Natürlich gab es die üblichen Wehwehchen, wie eine Erkältung, Kopfschmerzen oder einen Kater nach einer durchzechten Nacht. Aber nie war es etwas Gravierendes gewesen. Soichi überlegte verunsichert was er jetzt unternehmen sollte. Er selbst war mit einer blühenden Gesundheit gesegnet. Aber er konnte Morinaga auch nicht allein lassen, nicht nachdem was gerade eben passiert war. Er seufzte. Dann griff er resolut zur Türklinke und betrat zum zweiten Mal an diesem Tag Tetsuhiro´s Zimmer.
 

Im Inneren war es dunkel. Wie es aussah hatte er die Jalousien zugezogen. Soichi konnte nur schemenhafte Umrisse erkennen. Morinaga lag in seinem Bett. Die Bettdecke hatte er sich über den Kopf gezogen. Langsam ging Soichi auf ihn zu. „Hey Morinaga! Morinaga? Alles in Ordnung mit dir?“, fragte er leise. Er stand nun direkt vor dem Bett. Zögerlich streckte er seine Hand aus. Doch bevor er die Decke zurückschlagen konnte, kam ihm Morinaga zuvor. Vor Schreck stolperte Soichi nach hinten und fiel auf seinen Allerwertesten. „Senpai?“, fragte der im Bett Liegende. Er richtete sich auf und starrte den am bodenliegenden Tatsumi an. Der Angesprochene lief rot an und kratzte sich verlegen am Kopf. Schnell stemmte er sich in eine kniende Position. „Ehm, ja,…ich wollte nur mal nachsehen…wie es dir geht, ehm…“, stammelte er und wurde noch röter. Erstaunt sah Morinaga ihn an. Es kam nur selten vor, dass sein Senpai sein Zimmer freiwillig betrat. Aber als er bemerkte, dass er sich anscheinend um ihn sorgte, wurde ihm ganz warm ums Herz. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Jetzt da er den Menschen um sich hatte, den er liebte ging es ihm schon besser. Es war einfach zu süß, wie verlegen Soichi da vor dem Bett kniete. Er verspürte auf einmal den dringenden Wunsch Soichi in den Arm zu nehmen, seine Wärme zu spüren und alles zu vergessen. Aber er wollte nicht, dass sein Senpai sich noch mehr Sorgen machte. Er durfte ihm keinen Ärger machen. Nicht schon wieder.
 

Er schluckte. Ein aufmunterndes Lächeln aufsetzend sagte er: „Senpai, ich sagte doch, es geht mir gut.“ Er hoffte diese Worte würden seine Sorgen zerstreuen. Soichi hingegen sah nicht so aus als würde er diese Antwort kommentarlos schlucken. „Ach ja? Und was war das vorhin? Du konntest ja kaum stehen.“, antwortete dieser skeptisch. Morinaga öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als Soichi sich plötzlich vorbeugte um Tetsuhiro die Hand auf die Stirn zu legen. „Hhmm, du hast doch nicht etwa Fieber??“, kommentierte er seine Geste. Prüfend musterte er seinen Kohai. Sein jüngerer Mitbewohner sah nicht sonderlich besser aus als noch vor einer halben Stunde. Irrte er sich oder war er noch blasser geworden? Bevor er noch einen Gedanken fassen konnte drehte Morinaga seinen Kopf zur Seite und schlug Soichi’s Hand schroff weg. „Wie oft denn noch? Alles okay!! Ich ruhe mich etwas aus, dann geht es schon wieder.“, ranzte er Soichi an. Dieser zuckte zurück und runzelte die Stirn. Dieser Ton passte nicht zu seinem Kohai. Langsam spürte er wie der Zorn wieder in ihm aufwallte. Eine tiefe Falte erschien zwischen seinen Augen. Er holte schon Luft um seinem Ärger Luft zu machen. Soichi kam aber nicht mehr dazu. Morinaga drehte ihm demonstrativ den Rücken zu. „Ich möchte jetzt schlafen. Geh ruhig zur Uni. Ich…erklär dir alles…später….“, sagte er leise. Die Worte klangen gedämpft. Anscheinend hatte er sich die Decke wieder über den Kopf gezogen. Soichi starrte ihn sprachlos an. Da kam er extra her um zu schauen wie es ihm geht und wurde so abgespeist. Er ballte die Fäuste, stand auf und zischte: „Na gut, dann mach doch was du willst!!“ Er wartete eine Sekunde, dann drehte er sich auf den Absatz um und verließ das dunkle Zimmer. Vor Wut knallte er lauter mit der Tür als beabsichtigt.
 

Tetsuhiro Morinaga starrte noch lange nachdem sein Senpai den Raum verlassen hatte, starr in die Dunkelheit. Der Knall, mit dem die Tür zugeflogen hallte noch in seinen Ohren. Es tat ihm leid, dass er den Menschen, den er auf der Welt am meisten liebte Kummer bereitete. Er hoffte Soichi würde sich beruhigen und dass ihm noch eine gute Erklärung einfallen würde…
 

Als Soichi Tatsumi in der Uni ankam, war sein Zorn nicht weniger geworden. „Soll er doch machen was er will!!“, schimpfte er vor sich hin. Vor der Tür seines Labors holte er zweimal tief Luft. „Ganz ruhig, Soichi. Jetzt bloß nicht das Wesentlich aus den Augen verlieren.“, versucht er sich selbst Mut zu machen. Durch den Wirbel um Morinaga hatte er viel Arbeit liegen gelassen. Das musste er nun aufholen. Allein. Wusste der Teufel, wann Morinaga sich bequemte hier aufzutauchen. „Wahrscheinlich hat der zu viel gesoffen.“, mutmaßte er. Aber daran glaubte er selbst nicht wirklich. Seufzend öffnete er die Tür. Erstarrte. Es sah so aus, als ob er Besuch hätte. Ein älterer Herr mit Brille und Schnauzbart saß auf einen der wenigen Stühle, die im Labor standen. „Ah, guten Morgen Tatsumi! Kommen wir auch mal wieder her!?“, wurde er von Professor Mitzuko begrüßt, der alles andere als gutgelaunt aussah. „Äh, guten Morgen Professor. Was kann ich für Sie tun?“, erwiderte Soichi. Er versuchte so freundlich wie möglich zu klingen. Er überlegt fieberhaft was der Professor von ihm wollte. „Oh, er ist doch nicht etwa wegen….“, dachte er panikerfüllt, als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Doch bevor er Luft holen konnte, kam ihm der Professor zuvor. „Sie wissen genau warum ich hier bin. Ich sage nur: Cafeteria.“, erwiderte Professor Mitzuko scharf. Soichi schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Diesen Vorfall hatte er tatsächlich verdrängt. Aber was war das? Nun spürte er auch die Schmerzen in seinem Gesicht wider. Er stöhnte auf. Professor Mitzuko erhob sich. „Ich möchte Sie bitten mich zu begleiten. Der Dekan wartet bereits auf Sie.“
 

„Eine Schande für dieses Institut! Wir sind eine angesehene Universität dieser Stadt. Ich kann nicht glauben, dass Studenten unserer Einrichtung so etwas tun. Was haben Sie sich nur dabei gedacht? Sie sollten ein Vorbild sein. Eine Prügelei anzuzetteln!! Die Cafeteria ist total verwüstet! Es wird Tage dauern bis sie wieder benutzt werden kann!“ Mit gesenktem Kopf ließ Soichi die Strafpredigt über sich ergehen. Wie ein Angeklagter vor Gericht stand er vor dem Schreibtisch des Dekans. Er hatte ja geahnt, dass er nicht ohne Konsequenzen aus dieser Sache rauskommen würde. Aber Moment! Warum stand er eigentlich hier? Schließlich hatte nicht er angefangen, sondern dieser Lederjackenfreak! Wie hieß er nochmal?? Tori? Nein! Taro!! Genau! Soichi war so in seinen Überlegungen gefangen, dass er die letzten Worte des Dekans fast nicht gehört hätte. „Aber weil Sie sich bis jetzt nicht zu Schulden haben kommen lassen, werden wir von einem Verweis absehen! Aber seien Sie gewarnt! Sie stehen unter Beobachtung!!! Professor Mitzuko, haben Sie noch etwa hinzuzufügen??“, fragte der Dekan außer Atem. Mitzuko überlegte kurz und wollte schon den Kopf schütteln, als ihm noch etwas einfiel. „Da wäre noch etwas Direktor! Tatsumi sollte sich bei seinem bedauernswerten Opfer entschuldigen!“, schlug er vor. Der Direktor nickte anerkennend. „Gute Idee! Holen Sie Tomoya herein!“, forderte Direktor Kagoja den Professor auf. Soichi war dem Wortwechsel schweigsam gefolgt. Wer zum Teufel war Tomoya?? Er verstand die Welt nicht mehr. Warum sollte er sich entschuldigen?? Er grübelte noch, da hörte er die Tür hinter sich und wie der Professor sagte: „ Kommen Sie, kommen Sie!“ Soichi drehte sich um und erstarrte.
 

Vor ihm stand niemand anderes als Taro der Lederjackenfreak!!!! Taro grinste breit. Auch ihm waren die Spuren ihres kleinen Streites anzusehen. Seine Kinnpartie war rot und geschwollen. Er trat näher. Sie standen sich jetzt genau gegenüber. „WAS ZUM TEUFEL…!“, wollte Soichi aufbegehren, als der Dekan ihn auch schon zurechtwies. „Aber, aber Tatsumi!! Sie wollen doch nicht schon wieder anfangen? Entschuldigen Sie sich bei Tomoya, dann haben wir die Sache hinter uns! Ich kann mich nicht den ganzen Tag mit Ihnen geschäftigen!!“ Tatsumi blickte den Dekan verwirrt an. „WARUM SOLLTE ICH MICH BEI DIESEM KERL ENTSCHULDIGEN??“, schrie er aufgebracht. Er konnte sich kaum beherrschen. Am liebsten wäre er Taro an die Gurgel gesprungen. Die nächsten Worte des Professors brachten das Fass zum überlaufen. „Stellen Sie sich nicht so an!! Wir wissen genau, dass Sie Tomoya angegriffen haben. Nur weil Sie ihn in der Cafeteria angerempelt haben und sich nicht entschuldigen wollten!! Es waren Zeugen hier, die das bezeugen konnten!“, erklärte Mitzuko aufgebracht. Das war zu viel für den Studenten. Er sah rot. Sein linkes, gesundes Auge zuckte heftig. An seiner Stirn trat eine dicke Ader hervor. Er trat schon einen Schritt auf Taro zu um ihm eine zu verpassen, da spürte er die Hand des Dekans auf seiner Schulter. „Tatsumi?“, sagte er warnend. Soichi ballte die Fäuste. Er schaute zu Taro. Dessen Lächeln war noch breiter geworden. Er wartete nur darauf, dass Soichi seine Beherrschung verlor und ihn in Anwesenheit des Direktors eine reinhaute. Soichi Tatsumi atmete sehr langsam ein und aus. Nein! Diesen Gefallen würde er ihm nicht tun!! Er schluckte seinen Stolz herunter, verfluchte Morinaga innerlich, trat vor Taro und sagte so leise er konnte: „Entschuldigung…“ Direktor Kagoja und Professor Mitzuko nickten besänftigt. „Geht doch. Und nun raus mit Ihnen beiden. Ach ja Tatsumi, denken Sie an das was ich Ihnen gesagt habe!! Noch so ein Vorfall und sie fliegen in hohen Bogen von meiner Universität.“, beschwor er Soichi nochmals, bevor er beide mit einer Handbewegung hinausscheuchte.
 

Vor der Tür des Direktorats wandte sich Taro an Soichi. Er lachte hämisch. Dabei sah Tatsumi eine hässliche Zahnlücke, die seine obere Zahnreihe zierte. „Ich sagte doch, dass du das bereuen würdest, Großmaul!! Hahaha!!“
 

Ende Kapitel 5

Alles wieder gut??

„Ich sagte doch, dass du das bereuen würdest, Großmaul!! Haha!!“

Diese Worte hallten Soichi noch schmerzhaft in den Ohren. Obwohl seit dem unerwarteten Wiedersehen vor dem Büro des Direktors mittlerweile einige Stunden vergangen waren, kochte er immer noch vor Wut und Fassungslosigkeit. Wegen dieses Idioten wäre er, Soichi Tatsumi, fast von der Uni geflogen! Es war haarscharf gewesen. Dazu kam, dass er zu allem Überfluss, jetzt auch noch unter Beobachtung stand. Wie es Tomoya gelungen war, die Sache so aussehen zu lassen, als ob er an dem ganzen Schlamassel die alleinige Schuld trug, war ihm ein Rätsel. Schließlich war es genau andersherum gewesen! Dieser Lederjacken-Möchtegern-Rocker hatte ihn zuerst angegriffen! Die klitzekleine Tatsache, dass Soichi Taro provozierte, verdrängte er schlichtweg.
 

„Sie sagten doch etwas von Zeugen, oder? Ha! Die würde ich gerne sehen!!“, lachte er grimmig. Dann ballte er die Fäuste. „Ich werde die wegen Meineids drankriegen! Ja! Genau! Verklagen werde ich diesen Mistkerl!! Wenn ich den erwische werde ich… Ich werde…werde…“ Soichi stoppte. Resignierend ließ er sich auf einen Stuhl sinken. Während seines hitzigen Ausbruchs war er wild im Labor herum gewandert. Nun seufzte er tief. Es hatte ja keinen Zweck. Was sollte er machen?? Zurück zum Direktor stürmen und die Sache klarstellen?? Einen Moment überlegt er. Dann schüttelte der Student den Kopf. Direktor Kagoja und der Professor hatten sich ihre Meinung längst gebildet. Das konnte er ihnen von ihren Gesichtern ablesen. Außerdem hätte er das schon vorhin machen sollen. „Die glauben mir sowieso kein Wort.“, murmelte Soichi niedergeschlagen. Er wünschte Taro die Pest an den Hals! Noch ein paar Minuten saß er einfach nur da. „Wäre doch Morinaga hier. Er wüsste bestimmt was ich machen soll.“, schoss es Soichi durch den Kopf. Dann straffte er die Schultern, stand auf, zog seinen Laborkittel an und machte sich an die Arbeit. „Ich darf mich nicht hängen lassen! Konzentrier dich Soichi, konzentrier dich!“, baute er sich selbst auf. Doch heute ging alles schief. Die Kulturen, die Morinaga und er letzte Woche anlegten waren dahin. Weiter gingen drei Reagenzgläser zu Bruch. Und der Bericht, den er verfasste oder besser versuchte zu verfassen war eine Katastrophe. Gegen 16.00 Uhr gab er es auf. Kurzerhand packte Tatsumi seine Sachen.
 

An der Tür stieß er beinahe mit einem anderen Studenten zusammen. Soichi murmelte ein leises „Sorry“ und wollte weitergehen, aber der andere hielt ihn zurück. „Äh, Soichi Tatsumi??“, fragte er verunsichert. Der Angesprochene drehte sich genervt um. Alles was er wollte war so schnell wie möglich nach Hause zu gehen. Bloß raus hier! „Wer will das wissen?“, fragte er daher so unfreundlich wie möglich. Der junge Mann, der es wagte ihn anzusprechen war von schmaler Gestalt. Seine Haare waren dunkelblond und hätten dringend einen Haarschnitt benötigt. Sie fielen ihm immer wieder in die Augen. Nervös strich er sich die Strähnen aus dem Gesicht. „Äh, entschuldige die Störung. Ich bin ein Kommilitone von Tetsuhiro. Ich wollte kurz mit dir reden. Ihr arbeitet doch zusammen?“, stammelte der Student nervös. Tatsumi sah den Störenfried nur kurz an. Dann drehte er sich auf den Absatz um. „Ich hab keine Zeit und Nerven mir über Morinaga den Kopf zu zerbrechen.“, blaffte er über die Schulter hinweg den Jungen an. Schnurstraks bewegte er sich auf den Ausgang zu. Doch der Kommilitone ließ sich nicht so leicht abschütteln. „Aber…ich mache mir Sorgen um Tetsu. Er hat die letzten zwei Vorlesungen verpasst. Er hat sich total zurückgezogen. Irgendwas stimmt nicht mit ihm!“, erklärte er laut, während er verzweifelt versuchte mit Soichi Schritt zu halten.
 

Der Verfolgte blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, sodass die Nervensäge gegen seinen Rücken prallte. Wiederwillig drehte sich Soichi um. „Was soll das heißen?“, fragte er unwillig. „Na, wie ich es gesagt habe. Er verpasst Vorlesungen. Und seine Noten sind in letzter Zeit ziemlich in den Keller gegangen. Ich…ich mache mir Sorgen…“ Bei diesen Worten lief er rot an und schaute verlegen zu Boden. „Wie lange geht das schon?“, hörte er Soichi leise fragen. Erleichtert, dass Tatsumi-Senpai ihm Gehör schenkte blickte er auf. Doch als er Soichi’s hochgezogene Augenbraue sah, schluckte er. „Ähm, ich… ich würde sagen ei…ein Monat? Ich dachte du als sein Senpai weist vielleicht…irgendetwas??“, mutmaßte er. Voller Hoffnung wartete er darauf eine klärende Antwort zu erhalten. Doch seine Hoffnungen wurden jäh zerstört, als der Senpai leicht den Kopf schüttelte. „Nein, mir ist nichts aufgefallen. Gesagt hat er auch nichts.“, erwiderte Tatsumi knapp und wollte sich abwenden. Er hatte schon genug Zeit vergeudet. Außerdem wollte er nicht mir diesem Typen über seinen Kohai sprechen. Ihm war keineswegs entgangen wie rot dieser geworden war als er Morinaga’s Namen aussprach. Außerdem hatte er ihn „Tetsu“ genannt. Gegen seinen Willen spürte Soichi leichte Eifersucht in sich aufsteigen. Gleichzeitig überlegte er fieberhaft. Hatte sich irgendetwas an Morinaga´s Verhalten verändert? Er musste sich eingestehen, dass ihm selbst nichts aufgefallen war. In letzter Zeit waren sie dermaßen mit Arbeit beladen gewesen, dass er es beim besten Willen nicht sagen konnte. Doch anstatt den Senpai seines Freundes ziehen zu lassen, fasste der Unbekannte Soichi fest am Arm. „Aber nach den Vorfall neulich, dachte ich …“ Weiter kam er nicht, denn Soichi unterbrach ihn barsch. „Welcher Vorfall?“, wollte er wissen. Der Student blickte ihn erstaunt an. „Hat er es dir nicht gesagt?“ Der Ältere schüttelte den Kopf. Einen Moment war es still. Eine Hand fuhr sich nervös durch Haar. Dann rückte der Dunkelblonde mit der Sprache heraus. „Naja, Tetsu ist letzte Woche zusammengeklappt. Das war nicht das erste Mal. Er ist einfach umgefallen. Wir wollten schon einen Arzt rufen. Aber das wollte er nicht.“, sprudelte er heraus. Soichi erstarrte. Morinaga? Zusammengebrochen? Er packte den Studenten am Kragen. „Wieso weiß ich davon nichts?“, schrie er wütend. Das Gesicht des Jungen war schneeweiß vor Schreck. Er hatte schon Gerüchte gehört, dass mit Tatsumi-Senpai nicht gut Kirschenessen war. Deswegen hatte er lange gezögert ihn anzusprechen. Insgeheim bemitleidete er Tetsuhiro, dass dieser mit einen solchen Tyrannen zusammenarbeiten musste. Tetsu war ihm doch scheißegal! Dass er nichts vom Zusammenbruch seines Kohais wusste, bestätigte seine Vermutung nur. Mühsam befreite er sich von Soichi’s Griff. „Keine Ahnung! Ich…ich muss jetzt gehen! Bitte sag Tetsuhiro er soll Makoto anrufen. Er hat meinen Nummer.“, sprachs und machte sich schleunigst aus den Staub, bevor Tatsumi ihn noch mehr in die Mangel nehmen konnte.
 

„Willkommen zurück, Senpai!“, begrüßte ihn Morinaga an der Haustür, als Soichi gegen 17.30 Uhr die Wohnung betrat. Verdutzt blieb er stehen. Morinaga putzmunter auf den Beinen zu sehen überraschte ihn. „Das Essen ist gleich fertig. Dauert nur noch ein paar Minuten.“, verkündete Tetsuhiro gutgelaunt und verkrümelte sich wieder Richtung Küche. Schnell zog Soichi seine Jacke aus. In der Küche lehnte er sich an den Türrahmen und sah dabei zu, wie Morinaga in aller Seelenruhe, als wäre heute Morgen gar nichts passiert, das Abendessen zubereitete. Am liebsten wäre er sofort mit der Tür ins Haus gefallen. Als der Kohai seinen Senpai bemerkte meinte er: „Dauert nicht mehr lange. …Ach übrigens, … entschuldige wegen des Durchhängers heute Morgen. Ich weiß auch nicht was los war. Es tut mir leid, wenn du dir Sorgen gemacht hast.“ Während er sprach unterbrach er seine Tätigkeit nicht. Soichi beobachtete seinen Mitbewohner. Schien eigentlich alles in Ordnung zu sein. Trotzdem ließen ihn die Worte Makotos nicht in Ruhe. „Warum hast du mir nicht von deinem Zusammenbruch erzählt?“, platzt er unerwartet heraus. Morinaga zuckte leicht zusammen und drehte sich um. Seine dunklen Augen sahen ihn fragend an. „Woher weißt du das denn?“, wollte er wissen. „Beste Grüße von deinen Freund Makoto.“, schnaufte Soichi sarkastisch. Morinaga seufzte. „Ach, Makoto übertreibt mal wieder. Mir war nur etwas schwindelig. Der Kreislauf eben. Nichts Großartiges.“, versicherte er Soichi. Dieser war noch nicht überzeugt. Er bohrte weiter. „Und was ist mit den Vorlesungen, deinen Noten?“ Sein Kohai drehte sich nochmal zu ihm um. Dabei legte er das Messer, mit dem er Gemüse kleingeschnippelte beiseite. Er lehnte sich an den Küchenschrank. „Oh Mann!! Mako hat ganz schön dick aufgetragen. Gut, ich habe zwei Lesungen verpasst. Das tut mir leid. Und so schlecht sind meine Noten nun auch wieder nicht. Ich habe momentan wie gesagt einen…kleinen Durchhänger. Bei der vielen Arbeit, ist das kein Wunder.“, mit einem Lächeln beendete er seine Erklärungen.
 

Beim Essen beobachtete Soichi Morinaga aufmerksam. Er war erleichtert. Anscheinend übertrieb dieser Makoto wirklich. Sein Kohai war zwar noch etwas blass, aber sonst schien es ihm gut zu gehen. „Wo warst du denn nun die letzten 3 Tage?“, wollte er schließlich doch noch wissen. Tetsuhiro kratzte sich verlegen am Kopf. „Äh…Hiroto, du kennst doch meinen Freund Hiroto. Es gab einen absoluten Notfall. Wir kennen uns schon ewig lange, da konnte ich nicht nein sagen. Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich dich versetzt habe. Aber…mein Akku war leer und ich konnte nicht anrufen. Bitte, bitte verzeih mir. Es kommt nicht wieder vor.“, beteuerte Morinaga. Er sah dabei flehentlich zu Soichi auf. Tatsumi, der dem Blick seines Kohais nicht lange standhalten konnte, winkte schließlich ab. „Schon gut. Vergiss es.“ Eigentlich brannten ihn noch ein paar andere Fragen unter den Nägeln. Aber da alles im Großen und Ganzen wieder beim Alten war, wollte er die Sache endlich abhaken. Obwohl…ein wenig angepisst war er schon, dass er wegen dieses verrückten Kerls Hiroto sitzen gelassen wurde. Und Makoto? Der war ihm auch nicht gerade sympathisch. „Dieser Makoto und du…ihr scheint ziemlich gute Freunde zu sein…“, fragte er so beiläufig wie möglich. Morinaga, der gerade dabei das Geschirr abzuräumen, zuckte mit den Achseln „Ja, wir haben zusammen an der Uni angefangen.“ Er brachte es in die Küche und kam kurz darauf mit zwei Bier zurück. „Um ehrlich zu sein, steht Mako ziemlich auf mich.“, gab er lächelnd zu. Soichi, der an seinem Bier nippte verschluckte sich und musste heftig husten. Morinaga schlug ihm mit der flachen Hand auf den Rücken. „Kein Grund zur Panik Senpai. Ich habe ihm schon vor Urzeiten klargemacht, dass da nichts zwischen uns laufen wird. Du brauchst nicht eifersüchtig sein.“ Tatsumi der sich inzwischen von dem Schreck erholt hatte lief dunkelrot an. „Ich bin nicht eifersüchtig!“, fauchte er und errötete noch mehr. Morinaga sah in verliebt an. Wie sehr er diesen Mann doch liebte! Langsam beugte er sich vor. „In meinem Herzen ist nur Platz für dich, Senpai. Das weißt du doch.“, flüsterte er sehr leise, dass man es fast nicht verstand. Doch sein Senpai hörte die Worte. Widerstandslos ließ er sich in den Arm nehmen. Normalerweise sträubte er sich dagegen. Er wusste selbst nicht warum er es nicht tat. Morinaga’s Hände, die heute Morgen noch eiskalt gewesen waren, wanderten über seinen Rücken. Er konnte ihre Wärme nun wieder deutlich spüren. Ein wohliges Gefühl breitete sich in seinen ganzen Körper aus. Mit einer Hand hob Morinaga Soichi’s Kinn an und küsste ihn sanft auf den Mund. Schnell wurde der Kuss intensiver. Ja, Morinaga wollte Soichi. Hier und jetzt. Er begann Soichi’s Hemd aufzuknöpfen ohne den Kuss zu unterbrechen. Soichi, der sich bisher nicht gewehrte, drückte Tetsuhiro von sich weg. Beide waren außer Atem. Ohne, dass er ein Wort sagen musste, wusste der Dunkelhaarige was sein Senpai wollte.
 

Im Zimmer war es noch genauso dunkel wie am Morgen. Morinaga hatte sich entgegen seiner üblichen Gewohnheit nicht die Mühe gemacht die Jalousie hochzuziehen. Jetzt viele Stunden später ließen Soichi und er sich auf das ungemachte Bett sinken. Schnell streifte Morinaga Soichi das Hemd von den Schultern. Tatsumi hatte die Augen geschlossen. Er stöhnte, atmete schwer, als er die Hände Tetsuhiro´s auf seiner nackten Haut spürte. Der Dunkelhaarige fuhr mit seinen Händen langsam durch die langen blonden Haare seines Geliebten. „Senpai, ich liebe dich so sehr.“, wisperte er, das Gesicht in der blonden Mähne vergraben. Sog den lieblichen, so tröstlichen Geruch ein. Tetsuhiro hätte ewig so ausharren können. Wenn es doch immer so sein könnte. Einfach den anderen im Arm haltend und die gegenseitige Nähe genießen. Unwillkürlich schlossen sich die Arme fester um seinen Partner. „Morinaga?“, wisperte Soichi verunsichert an seiner Schulter. Irgendwas störte ihn. Nur leider konnte er nicht genau sagen was es war. Vielleicht der ungewohnte traurige Unterton, der die Worte Tetsuhiro´s begleitete? Doch ihm blieb nicht viel Zeit weiter darüber nachzudenken, denn seine Gedankengänge wurden durch einen erneuten leidenschaftlichen Kuss unterbrochen. Langsam wanderten warme Hände den Körper des Blonden herunter. Soichi stöhnte, als Tetsuhiro den Reißverschluss seiner Hose öffnete und seine Hände hineingleiten ließ. Deutlich konnte er die Erregung seines Senpai´s fühlen. Behutsam massierte er ihn. Soichi keuchte auf. Er krallte sich an Tetsuhiro fest, wie ein Ertrinkender an einen Rettungsreifen. Auch Morinaga in stieg eine angenehme Hitze auf. Die Lust pulsierte stark in seinen Venen. Das leise Stöhnen Soichi´s tat sein Übriges, um ihn noch mehr zu erregen. Er liebte es, wenn Soichi vor Lust zitternd unter ihm lag. Der sonst so jähzornige, aufbrausende Soichi Tatsumi zeigt dann eine Seite von sich, die nur wenige kannten. Die sanfte, verletzliche Seite. „Senpai…Senpai. Ich will dich.“, flüsterte er ihm in die rotglühenden Ohren. „Mor…inaga. Ah…“ keuchte der Ältere, als Morinaga in ihn eindrang. Seine Finger krallten sich in das Bettlaken. Er wand sich. Gleichzeitig drängte er sich Tetsuhiro entgegen. Er wollte es nicht, aber sein Verstand war ausgeschaltet. Morinaga stieß hart zu. Es war schmerzhaft und erregend zugleich. Soichi verschränkte die Hände in Morinaga´s Nacken, um ihn noch intensiver zu spüren. Ihr Rhythmus wurde schneller. Beide lief der Schweiß in Strömen über den Körper. Soichi glaubte schon bald zu verglühen. Fest biss er die Zähne zusammen um nicht laut aufzuschreien. Als Morinaga sich zu ihm hinunter beugte öffnete er willig den Mund. Laut stöhnte er in den Kuss hinein. Tetsuhiro stieß ein letztes Mal zu, bevor der Orgasmus ihn überwältigte und spürte wie auch Soichi zum Höhepunkt kam. Erschöpft sackte er über ihn zusammen.
 

Ende Kapitel 6

Ein neuer Tag

Langsam bahnten sich die Strahlen der Morgensonne ihren Weg durch die Straßen und Gassen der Stadt. Morinaga hatte einen Arm um Soichi gelegt und ihn fest an sich gedrückt. Der Blonde öffnete langsam die Augen. Benommen schaute er sich um. Konnte aber nicht viel erkennen. Mühsam richtete er sich auf. Soichi gähnte erst einmal herzhaft und streckte sich ausgiebig. „Wo ist meine Brille?“, murmelte er schlaftrunken. Dabei tastete er blind umher. Aber da! Endlich hatte er das verdammte Ding gefunden! Er gähnte noch mal, dann setzte er sie auf. Stutzte. Das war doch nicht…sein Zimmer! Die Erkenntnis schlug ein wie ein Blitz. Soichi erinnerte sich. Morinaga und er hatten sich gestern Abend noch unterhalten. Dann war eins zum anderen gekommen. Bei der Erinnerung lief er dunkelrot an. Neben sich konnte er den warmen Körper des anderen spüren, der tief und fest schlief. Im Zimmer war es inzwischen heller geworden. Das Bett indem sie lagen war total zerwühlt. Außerdem waren sie beide nackt. Ihre Klamotten lagen überall vor dem Bett zerstreut. „Scheiße.“, war alles was ihm dazu einfiel. Wie konnte das passieren? Nochmals wandte Soichi sich seinem Kohai zu. Tetsuhiro lag mit dem Gesicht zu ihm gedreht, der dunkle Haarschopf war zerwühlt. Die Haare standen nach allen Seiten ab. Auf seinen Lippen lag ein kleines Lächeln.
 

Normalerweise würde Soichi Morinaga aufwecken und ihn in die Hölle befördern. Aber stattdessen stand er so leise wie möglich auf, sammelte seine Sachen zusammen und schlich sich aus dem Zimmer. Erst als in der Abgeschiedenheit seiner eigenen vier Wände, wagte er es laut aufzustöhnen. „So ein Mist. So ein verdammter Mist!“ Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Dann schloss er die Augen. Bei den Gedanken an letzte Nacht wurde ihm ganz anders. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihm aus. Ja, es war schön gewesen die Nacht mit Morinaga zu verbringen. Aber das würde er Morinaga gegenüber nie zugeben. Sich persönlich jedoch auch nicht. Als er bemerkte, dass sich seinen Lippen zu einen Lächeln verzogen, schüttelte er resolut den Kopf. „Nein, ich bin nur schwach geworden wegen all dem Stress in den letzten Tagen. Ist ja kein Wunder. Ja, genau ich hatte nur einen schwachen Moment.“, versucht er sich selbst zu überzeugen. Sein Blick fiel auf den Wecker. „FUCK!“, rief er aus, als er sah wie spät es schon war. 7.15 Uhr zeigte die Uhr in rot leuchtenden Zahlen an.
 

Keine 20 Minuten später befand er sich schon im Wohnzimmer. Seine Haare waren noch feucht vom Duschen. Es war kurz nach halb acht. Eigentlich wollte er schon längst weg sein. „Wo ist denn diese beknackte Mappe mit den Unterlagen? Und meine Uhr ist auch weg.“ In seinem Zimmer konnte er die Mappe nicht finden. Jetzt bückte er sich um unter den Tisch zu gucken. Nichts. Im Regal. Nichts. Er hob sogar die Sofakissen hoch, um dort zu suchen. „Mein Gott! Geht denn alles schief?“, verkündete er, die Kissen immer noch in der Hand. „Senpai, was machst du denn da?“, hörte Tatsumi eine schlaftrunkene Stimme hinter sich fragen. Peinlich berührt drehte er sich zu Tetsuhiro um. Dieser stand nur mit Boxershorts und einem alten T-Shirt bekleidet an der Tür. Müde rieb er sich die Augen. Die schwarzen Haare waren noch immer zerzaust. Gegen seinen Willen wurde der Senpai verlegen. „Ich suche meine Mappe mit den Aufzeichnungen. Die mit den Experimenten vom letzten Jahr. Du weißt schon. Die große Blaue.“ Verzweifelt formte er mit den Händen den Umriss der nicht aufzufindenden Mappe nach. „Mhm, hast du die nicht in der Uni gelassen?“, antwortete Tetsuhiro. Soichi, der sich bereits wieder auf die Suche gemacht hatte, drehte sich zu ihm um und blickte ihn mit großen Augen an. Man konnte den Groschen, der gefallen war praktisch hören. Mit der flachen Hand schlug er sich auf die Stirn. Er war wütend auf sich selbst, dass er nicht allein darauf gekommen war. „Idiot! Warum hast du das nicht gleich gesagt!!!“, fuhr er Morinaga böse an. Die Zeit hätte er sich auch sparen können. „Scheiße!“ Hastig begann er seine Tasche zu packen. Morinaga sah ihm einen Augenblick dabei zu, ging dann auf Soichi zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sofort hielt sein Freund in der Bewegung inne. Die Berührung verursachte ihm eine Gänsehaut. „Senpai, ganz ruhig. Setzt dich erst mal hin. Gib mir eine Minute, um mich fertig zu machen, dann mache ich uns ein Frühstück.“, schlug er vor. „Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es auch nicht an.“ Aufmunternd nickte lächelte er Tatsumi zu bevor er auch schon den Weg ins Bad einschlug.
 

Resignierend sah Soichi Tatsumi ihm nach. „So ein Dreck! Aber was soll’s. Schlimmer kann’s auch nicht mehr werden.“ Brummend zündete er sich eine Beruhigungszigarette an. Genüsslich inhalierte er den Rauch. Im Bad hörte er die Dusche rauschen. Es ärgerte ihn, dass er es nicht konnte. Warum in drei Teufelsnamen konnte er diesen Blödmann nicht zur Schnecke machen? Wurde er langsam zu weich? Jetzt kam er sich lächerlich vor, dass er sich solch einen Kopf gemacht hatte. Nach einer Weile kam Tetsuhiro mit einem Tablett wieder. „Hier dein Frühstück.“, sagte er und reichte Soichi eine Tasse Kaffee. „Danke.“, nuschelte der knapp. „Wer soll das denn alles essen?“, meinte er mit einem Blick auf das üppige Frühstück. „Mhm? Ach, was! Ist doch nicht der Rede wert.“, lächelte Morinaga verlegen. „Iss lieber auf. Dann können wir los.“ Soichi schaute ihn skeptisch an. Nach einem winzigen Zögern hackte er nach. „Bist du sicher? Nach gestern…“ Morinaga nahm einen tiefen Schluck von seinem Kaffee, ehe er antwortete. „Natürlich komme ich mit zur Uni. Ich sagte doch, dass es nur ein kleiner Durchhänger war. Alles in Ordnung.“ Dabei schenkte er seinem Gegenüber ein bekräftigendes Lächeln.
 

Nachdem beide fertig waren drängte Soichi zum Aufbruch. „Hast du meine Armbanduhr gesehen? Gestern hatte ich sie noch!“ rief er in Richtung Küche. Dabei packte er eilig seine Tasche. Plötzlich war da was vor seinem Gesicht. „Meinst du die hier?“, grinste Morinaga und ließ die Uhr vor Soichi’s Nase hin und her baumeln. Heftiger als beabsichtigt riss er seinem Kohai die Uhr aus der Hand. Mit glühenden Wangen band er sie sich um. Morinaga´s Grinsen wurde noch breiter als er sah dass sich die Ohren Soichi’s rot verfärbten und störte sich auch nicht an dem bitterböden Blick, der ihm zugeworfen wurde. „Was grinst du so blöd?“, fauchte Tatsumi Morinaga an. Schnell griff nach seiner Tasche. Doch dann legten sich zwei Arme von hinten um ihn. „Die letzte Nacht war wunderschön Senpai. Ich bin nur glücklich, dass ist alles. Danke…“, hauchte Morinaga seinem Geliebten sanft ins Ohr. Soichi schluckte heftig, täuschte er sich oder hörte er wieder diese tiefe Traurigkeit in Morinaga´s Stimme? Doch bevor er die Sprache wiederfand hatte Tetsuhiro ihn schon losgelassen.
 

„Ach du Scheiße! Wie sieht es denn hier aus?“ Schockiert über das Durcheinander, das in ihrem Labor herrschte stand Tetsuhiro Morinaga in der Tür. Überall lagen Reagenzgläser, Pinzetten, Petrischalen oder andere Utensilien herum. Der Boden war mit Papieren übersät. Es war das reinste Chaos. Verlegen kratzte Soichi sich am Kopf. „Naja, ich hatte ein paar kleine Probleme.“ Als er Morinaga´s Blick sah, setzte er schnell hinzu: „Schließlich musste ich die ganze Arbeit allein machen!“ Tetsuhiro senkte schuldbewusst den Blick. „Es tut mir leid.“, murmelte er reumütig. Als Tatsumi ihn so dastehen sah, taten ihm die letzten Worte leid. „Was ist nur mit mir los?“, fragte er sich in Gedanken. „Egal. Räum du auf. Ich kümmere mich um die Kulturen.“, meint er schließlich achselzuckend. Sie arbeiteten einen Weile schweigend. Jeder hing seinen Gedanken nach. „PIEEP, PIEEP.“ Ein leises Signal durchbrach die Stille. Erschrocken kramte Morinaga sein Handy hervor. Er schaute nicht auf das Display. Betont gleichgültig ging er zu seiner Jacke, die an einem Hacken hinter der Tür hing. Soichi beobachtete ihn aus dem Augenwinkel dabei. Morinaga zog einen Gegenstand aus der Jackentasche. Soichi konnte nicht erkennen was es war. „Senpai, ich hole uns Kaffee. Bin gleich wieder da.“ Dabei verbarg er den Gegenstand geschickt hinter seinem Rücken. Soichi sah ihm nach. Dann zuckte er mit den Achseln. „Ich mache mir zu viele unnötige Gedanken.“, murmelte er. Dabei sah er durch sein Mikroskop. „Hhmm, interessant. Das könnte ein Ansatz sein.“ Während er an dem kleinen Rad drehte, das die Größeneinstellung änderte, tastete er nach einem Stift um sich Notizen zu machen. Hinter sich hörte er die Tür. Mit der Annahme es sei sein Assistent streckte er seine linke Hand nach hinten aus. „Gib mir mal die Objektträger aus dem Regal hinten rechts.“, kommandierte er schroff. „Wie ich sehe beschäftigen Sie sich wieder mit angemessenen Themen. Aber an Ihrem Ton müssen Sie noch arbeiten!“, hörte er eine Stimme hinter sich, die er nur zu gut kannte.
 

Wie von der Tarantel gestochen schreckte er hoch und drehte sich zu der Stimme um. Professor Mitzuko stand genau hinter ihm. „Ah, Professor. Was kann ich für Sie tun?“, fragte er in einem unterwürfigen Ton. Soichi hasste sich dafür. Aber ihm blieb nichts anderes übrig. Er musste einen guten Eindruck machen. Und er wollte den Professor so schnell wie möglich loswerden. „Ich wollte nur mal nachsehen, was Sie so treiben, um sicherzugehen, dass Sie nicht wieder Schwierigkeiten machen!“, erklärte Mitzuko. Seine Worte klangen freundlich. Doch in seinen Augen blitzte es hinterhältig auf. Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern wandte sich ab und sah sich im Labor um. Neugierig blätterte in den Aufzeichnungen, die auf dem Tisch lagen. Soichi passte das ganz und gar nicht. Mit geballten Fäusten stand er da. Wartete. Nachdem der Störenfried seinen Rundgang beendet hatte, sprach er nochmals Soichi an. „Ich behalte Sie im Auge Tatsumi.“, sagte er mit erhobenen Zeigefinger. Mitzuko drehte sich um und wollte nach der Türklinke greifen. Doch im gleichen Moment wurde die Tür von außen geöffnet. Morinaga trat herein. Um ein Haar hätte er den Professor über den Haufen gerannt. „Können Sie nicht aufpassen wo Sie hinlaufen, junger Mann?“, herrschte Mitzuko ihn an. Morinaga verzog das Gesicht. „Entschuldigen Sie Professor…?“, hilfesuchend schaute er zu seinem Senpai. „Professor Mitzuko, wenn ich bitten darf. Und wie ist Ihr ehrenwerter Name?“, tadelte der Professor. Seine Miene versprach nichts Gutes. „Entschuldigen Sie Professor. Ich heiße Tetsuhiro Morinaga. Ich assistiere Tatsumi-Senpai bei seiner Arbeit.“, stellte der Neuankömmling sich artig vor. „Morinaga? Mhm...Soso.“, überlegte der Prof. „Wie ich sehe ist Tatsumi ja ein schönes Vorbild für die jüngeren Studenten. Sie sind genauso unhöflich wie er.“, schloss er mit einen vielsagenden Blick auf Soichi. Dieser kochte innerlich vor Wut und Scham. Der Professor stellte ihn wie den letzten Idioten hin! „Nun, ja. Wir werden uns in nächster Zeit öfter sehen. Ich behalte Sie im Auge! Sie beide!!“ Morinaga sprang zur Seite um dem Professor die Tür frei zu machen. Noch ein letzter Blick auf Morinaga, dann war er verschwunden.
 

„Was wollte der denn hier?“, fragte Morinaga verwundert nach Mitzuko´s Abgang. Tatsumi atmete erleichtert aus. „Das war Professor Mitzuko. Der Wachhund des Dekans.“, klärte er seinen Assistenten auf. Auf dessen Gesicht machte sich ein fragender Ausdruck breit. Soichi seufzte genervt. Es war wohl an der Zeit Morinaga die ganze Wahrheit zu erzählen. Also setze er sich hin und beichtete den Schlamassel. Als er geendet hatte, ließ sich auch Morinaga auf einen Stuhl nieder. Sein Gesicht war leichenblass geworden. „Aber…aber das geht doch nicht. Die können das doch nicht einfach so beschließen, ohne beide Seiten angehört zu haben. Das ist nicht fair!“, rief er entrüstet aus. „Wem sagst du das? Aber da können wir nichts machen.“, versuchte der Ältere Morinaga zu beruhigen. „Das würde die Sache nur schlimmer machen. Am besten halten wir erst mal die Füße still. Irgendwann wird Mitzuko es schon leid sein mich zu kontrollieren.“, versicherte e Tetsuhiro zuversichtlicher als er war. Und in Gedanken setzte er hinzu: „Das hoffe ich jedenfalls.“ Morinaga indes machte sich selbst innerlich große Vorwürfe. „Wäre ich da gewesen, wäre das alles nicht passiert. Ich habe Senpai im Stich gelassen.“ Er schluckte trocken. Tief in Gedanken versunken überhörte er fast die nächsten Worte Soichi´s. „Was hast du gesagt?“, fragte er daher. „Kaffee. Wolltest du nicht Kaffee holen??“ Soichi sah in mit gerunzelten Brauen an. „…Ach, ja. Sorry hab ich vergessen.“, entschuldigte er sich schnell. Mist, an den Kaffee hatte er wirklich nicht mehr gedacht. Er musste aufpassen was er sagte. Sein Senpai musterte ihn. Unter seinem durchdringenden Blick wurde er sichtlich nervös. Doch zu seinem Glück ging Soichi nicht weiter darauf ein. „Mach dir keine weiteren Gedanken. Wir sollten langsam mal weitermachen. Wir haben noch viel Arbeit aufzuholen.“
 

Keine zwei Stunden später meldete sich Morinaga´s Handy erneut. Gestört blickte Soichi nur kurz auf. Dann widmete er sich wieder seiner Arbeit. Morinaga zögerte kurz. Dann stand er auf und verließ kurz das Labor. Da er nach fünf Minuten wiederkam reagierte Soichi nicht weiter darauf. Den ganzen Vormittag über war er dermaßen auf seine Arbeit konzentriert, dass er fast nichts was um ihn herum passierte wahrnahm. So bemerkte er nicht, dass Morinaga noch 3-mal kurz das Labor verließ. Kurz vor 12.00 Uhr wurde es Zeit für eine Pause. Soichi legte seine Instrumente beiseite und steckte die müden Glieder. „Zeit fürs Mittagessen.“, sagte er zu Tetsuhiro. Der Dunkelhaarige schreckte auf. „Was??“, fragte er verwirrt. Seine Augen irrten unruhig im Raum umher und blieben schließlich an Soichi hängen. „Was hast du gesagt?“, wiederholte er. „Es ist gleich 12.00 Uhr. Mittag.“, antwortete Tatsumi verdutzt. Statt einer Antwort stand sein Assistent auf. Der Senpai seufzte. Wo sein Kohai wohl wieder mit seinen Gedanken war? Manchmal wünschte er sich, er könnte Gedanken lesen. Das würde so manches einfacher machen. Auf dem Weg zur Tür fiel sein Blick auf das Klemmbrett mit den Unterlagen, an denen Morinaga die letzten Stunden gearbeitet hatte. Er glaubt nicht, was er sah. Ungläubig blätterte er sie durch. Leer. Alle Seiten waren leer. Er fragte sich was Morinaga in den ganzen Stunden gemacht hatte. Mit offenen Augen eingeschlafen, oder was?? Wütend, mit dem Klemmbrett drehte er sich zu Morinaga um. „Kannst du mir das erklären??“ Morinaga nahm ihm das Klemmbrett aus der Hand. „Was meinst du??“, fragte er unschuldig. „Was ich meine?? Die Seiten sind leer. Hast du geschlafen, oder was???“ Langsam wurde es ihm zu bunt. Er wollte nachsetzen, als Tetsuhiro die Seiten durchzublättern begann. Ratlosigkeit machte sich auf seinem Gesicht breit. Tatsumi registrierte, dass das Gesicht des Jüngeren schneeweiß war. Außerdem schien er zu schwitzen, obwohl es kühl im Raum war. „Komisch, ich dachte ich hätte alles aufgeschrieben. Ich weiß es ganz genau!?“, die Aussage hatte einen fragenden Unterton. Im Raum war es so still, das man eine Stecknadel fallen hören konnte. Fassungslos blätterte Tetsuhiro die Unterlagen ein zweites Mal durch. Tatsächlich, es stand nichts da. Er konnte es sich nicht erklären. Den Stift konnte er noch in seinen Fingern spüren. Die Worte waren noch in seinem Kopf. Schwindel erfasste ich. Plötzlich sah er Soichi nur noch als verschwommenen Umriss. Schnell schüttelte er den Kopf. Dann war sein Blick wieder klar. Er lachte unsicher auf. „Sorry, Senpai.“, war alles was er sagte und hoffte, dass Soichi seinen Zustand nicht bemerkt hatte. Dem schien nicht so zu sein. Er nahm seinem Assistenten lediglich das Brett ab und knallte es auf den Tisch. „Dann weist du ja, was du noch zu tun hast!! Und jetzt komm. Ich habe Hunger.“
 

Entgegen Direktor Kagoja´s Vermutung war die Cafeteria schon wieder im Betrieb. Beladen mit ihren Tabletts bahnten sich die beiden Studenten ihren Weg durch die Tischreihen. Störrisch ignorierte Soichi die Blicke, die ihm hier und da zugeworfen wurden. Erleichtert ließen sie sich an einen freien Tisch nieder. „Lass sie doch gucken, Senpai. Das hört bald auf. Spätestens morgen gibt es was Interessanteres….Mach dir nichts draus.“, versicherte Morinaga, der die Blick und das Getuschel auch bemerkt hatte. „Pah, als ob ich mir daraus etwas machen würde. Das würde denen so gefallen!!“ Soichi sagte es so laut, dass einige Studenten beschämt den Kopf senkten. Resolut begann er zu essen. Schnell war er fertig. Satt lehnte er sich an die Lehne seines Stuhles. Tetsuhiro hingegen stocherte nur in seinem Essen herum. Ihm war speiübel. Außerdem war sein Blick schon wieder merklich verschwommen. Resignierend schob er das noch volle Tablett von sich weg. „Was ist los? Hast du keinen Hunger?“, hörte er Soichi fragen. Die Stimme hörte sich an, als ob sie von weit weg kommen würde. Tetsuhiro räusperte sich. Doch seine Stimmbänder wollten keine Worte formen. Er schüttelte nur den Kopf. Beunruhigt sah Soichi Tatsumi seinen Kohai an. Er war noch bleicher geworden. Seine Augen wanderten unruhig umher. „Morinaga? Alles okay bei dir??“ Leichte Panik war in seiner Stimme zu hören. Er streckte seinen Arm aus, um Tetsuhiro an der Schulter zu berühren. Für eine Sekunde hatte er Angst Morinaga würde vom Stuhl kippen. Doch er stand nur etwas unsicher auf. „Ich geh mal kurz zur Toilette….Bin gleich wieder da….“, murmelte er. Tetsuhiro war erstaunt, diese Worte heraus bringen zu können. Schnell und auf erstaunlich geradem Weg, der ihm alle Mühe kostete, verließ er die Cafeteria. Doch kaum war er aus Soichi’s Blickfeld verschwunden, lehnte er sich an eine Wand und schloss die Augen.
 

Ende Kapitel 7

Alles wieder gut. Oder doch nicht?

Mühsam schleppte sich Tetsuhiro auf die Toilette. Am Waschbecken musste er sich abstützten, sonst wäre er mit Sicherheit zusammengeklappt. Er atmete ein paar Mal tief durch. Langsam ging es ihm besser. Er sah sich sein Spiegelbild genauer an. Er war immer noch blass, aber langsam kehrte die Farbe zurück. Doch plötzlich würgte er. So schnell er konnte taumelte in eine der Kabinen hinter sich. Quälende Minuten vergingen, in denen er sich übergab. Als der Brechreiz nachließ, lehnte er sich an die Kabinenwand. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell wirkt.“, dachte er erschöpft. Mit einer Hand fuhr Tetsuhiro sich über das Gesicht. Es kam ihm vor, als würde er seit Stunden auf dem kalten Boden der Uni-Toilette sitzen. Doch nach einem kurzen Blick auf die Uhr stellt er fest, dass gerade einmal 10 Minuten vergangen waren. Soichi würde sich bestimmt fragen wo er blieb. Schnell, bevor sein Senpai ihn noch so sah stemmte er sich hoch. Am Waschbecken spritzte er sich noch etwas Wasser in Gesicht. Ein letzter prüfender Blick. Ja, so konnte er zurück. Er wollte auf jeden Fall verhindern, dass Soichi ihn in diesem Zustand sah. „Ich darf Senpai keinen Ärger machen. Er hat schon genug Probleme dank mir.“
 

Die Cafeteria hatte sich während seiner Abwesenheit merklich geleert. Soichi saß noch an ihrem Tisch. Er stützte den Kopf mit einer Hand ab. Mit den Fingern der anderen Hand trommelte er ungeduldig auf der Tischplatte umher. Morinaga lächelte. Geduld war noch nie die Stärke seines Senpai’s gewesen. Mit den Worten: „Entschuldige, dass du warten musstest.“, trat er an den Tisch. Soichi hatte ihn nicht kommen hören. Erschrocken zuckte er zusammen. „Na endlich.“, stieß er erleichtert hervor. Der Blonde war kurz davor gewesen sich auf die Suche nach Morinaga zu machen. „Äh, alles in Ordnung? War dir nicht gut?“, wollte Tatsumi von seinem Assistenten wissen. Morinaga entschied sich so zu tun, als ob nichts gewesen wäre. „Mhm? Alles in Ordnung. Von mir aus können wir gehen.“, sagte er und griff nach seinem Tablett. Nachdem der Rückgabe verspürte Soichi das Verlangen nach einer Zigarette. Er tippte Morinaga auf die Schulter. „Ich will noch eine rauchen gehen. Kommst du mit nach draußen??“, fragte er. Morinaga überlegte kurz. Dann nickte er. „Warum nicht. Etwas frische Luft tut bestimmt gut.“
 

Außerhalb der Universität war es angenehm warm. Morinaga genoss die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Sie erreichten die Mitte des kleinen Parks, der die Uni umsäumte. Dort nahmen Soichi und Morinaga auf einer der zahllosen Bänke Platz. Soichi seufzte. Die Wärme genießend streckt er sich auf der Bank aus. Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette. „Ah, tut das gut.“, schwärmte er, die Augen geschlossen. Auch Morinaga fand es angenehm einfach nur dazusitzen und sich die Sonne auf den Pelz scheinen zu lassen. Verliebt sah Tetsuhiro Soichi von der Seite an. In der Sonne leuchteten seine langen Haare noch heller. „Wie funkelndes Gold.“, sinnierte er. Am liebsten würde er seine Hand ausstrecken und seine Finger hindurch gleiten lassen. Genauso wie letzte Nacht. Er saß nur wenige Zentimeter von ihm entfernt. Doch er wusste, sollte er es wagen irgendwas Dummes anzustellen, würde er es bereuen. „Naja, man darf ja noch träumen…“, dachte er sich. „Du, Senpai…“, setzte er an. Doch er wurde durch aufgeregtes Rufen unterbrochen. „Tetsuuu…….hirooo. Hey…“ Genervt öffnete Soichi Tatsumi seine Augen und schaute in die Richtung der Störung. Seine Miene verfinsterte sich, als er Morinaga´s Kommilitonen Makoto erkannte. Makoto kam schnaufend vor ihnen zum Stehen. „Wusste…ich doch...dass du es bist.“, brachte er abgehackt hervor. Anscheinend war er die ganze Strecke gelaufen. Morinaga blickte seinen Freund mit großen Augen an. Innerlich stöhnte er auf. Makoto war zwar ein sehr guter Freund, aber auch die größte Nervensäge, die es gab. Außerdem war er außergewöhnlich hartnäckig. Er ließ nicht so schnell locker, wenn er an einer Sache dran war. Morinaga hoffte inständig, Makoto würde jetzt keine Szene machen. „Mako, na wie geht’s.“, begrüßte er seinen Kommilitonen so unbeschwert wie möglich. Makoto richtete sich auf. „Mensch, Alter. Ich habe dich schon gesucht. Wie geht’s dir?? Warum hast du nicht angerufen??“ Bei jeder Frage war er näher an Morinaga herangetreten. Fast ihn sogar am Arm. Soichi, der der Unterhaltung bis dato schweigend gefolgt war, wurde es bald zu viel. Seine Miene verfinsterte sich immer mehr. Ihm gefiel gar nicht wie Makoto Tetsuhiro auf die Pelle rückte. Endlich kam Morinaga zum Zug, um den Redeschwall des anderen zu stoppen. „Makoto regt dich ab. Mir geht es gut. Kein Grund zur Panik. Nicht wahr, Senpai??“, versicherte Morinaga, einen hilfesuchenden Blick auf Soichi werfend. Jetzt erst schien Makoto Soichi zu bemerken. Er sah an Morinaga vorbei zu Tatsumi. „Oh, Tatsumi-Senpai ist ja auch da.“ Der Ton, mit dem er das sagte war alles andere als begeistert. Er schenkte ihm aber nur einen kurzen Blick, dann nahm er Tetsuhiro wieder in Beschlag. Fassungslos saß Soichi auf der Bank. Was bildete sich dieser kleine Besserwisser eigentlich ein? Einfach so reinzuplatzen! „Du weißt doch, dass du auf mich zählen kannst, Tetsu. Wenn du Sorgen hast…“ Bei diesen Worten fasste Makoto „Tetsu“ an den Händen. Da brannte bei Soichi eine Sicherung durch. Wie eine Sprungfeder schnellte er hoch. Grob packte er Morinaga an der Armbeuge und zog ihn hinter sich her. „Komm Morinaga. Wie müssen wieder an die Arbeit.“, presste er durch zusammengebissenen Zähnen hervor, ohne auf Makotos Protest zu reagieren. „Ich ruf dich an…“, konnte der überrumpelte Morinaga noch nach hinten zu Makoto rufen. Mit schnellen Schritten entfernten sie sich. Zielstrebig zerrte Soichi Morinaga in Richtung Labor. Er schäumte vor Wut. „Diese miese, kleine Kröte…“, beschimpfte er den jungen Studenten in seinen Gedanken.
 

Morinaga ließ sich widerstandslos mitziehen. Einerseits war er froh, dass sein Senpai ihn aus dieser Situation befreit hatte. Er hatte wirklich keine Lust gehabt mit Makoto, die Sache auszudiskutieren. Andererseits hätte er nie mit so einer heftigen Reaktion von Seitens Soichi gerechnet. Atemlos kamen sie wieder in ihrem Labor an. Tatsumi war immer noch wütend. „Senpai, du kannst mich wieder loslassen. Ich glaube wir sind in Sicherheit. …Obwohl ich sagen muss, dass es seeehr angenehm ist.“, lachte Morinaga und drückte dabei Soichi´s Hand. Diesem war gar nicht aufgefallen, dass er Morinaga die ganze Zeit bei der Hand hielt. Schnell ließ er die Hand los. „Das würde dir so gefallen, was??“, schnauzte er den Dunkelhaarigen an. Soichi wollte sich an Morinaga vorbeidrängen. Der Kohai hielt ihm jedoch zurück. Sanft drückte er ihn an die Wand. „Natürlich, gefällt mir das…“, erwiderte er leise. Dann hauchte er Soichi einen Kuss auf die Lippen. Kurz ließ der Älteren den Jüngeren gewähren, dann stieß er ihn rüde zur Seite. „Lass den Scheiß! Wir haben keine Zeit für so was.“ Enttäuscht verzog Morinaga das Gesicht. „Schade. Aber es hätte ja klappen können.“, tröstete er sich selbst innerlich. Sie machten sich wieder an die Arbeit. Die kurze Pause hatte beiden wieder neue Kraft gegeben.
 

Ohne große Unterbrechungen schufteten die beiden Studenten den restlichen Tag durch. Erst um 19.00 Uhr sprach Soichi die erlösenden Worte aus: „Schluss für heute, Morinaga. Packen wir zusammen.“ Morinaga rieb sich die Augen. Er war schrecklich müde. Irgendwie hatte er den Tag überstanden. Auch der Bericht war fertig. Mehr oder weniger. Ohne viele Worte machten sie sich auf den Weg. Draußen war es schon dunkel. Die Straßenbeleuchtung warf klackerndes Licht auf die Umgebung. In ihrer Wohnung fiel Soichi erschöpft auf das Sofa. War es schon immer wo weich gewesen? Soichi wusste, wenn er die Augen schloss, würde er auf der Stelle einschlafen. Tatsächlich nickte er ein. Erst als Morinaga ihn sanft rüttelte, wachte er auf. „Senpai, du erkältest dich noch, wenn du hier einschläfst.“ Schlaftrunken rieb Soichi sich seinen schmerzenden Nacken. „Ich glaube ich gehe sofort ins Bett. Ich bin hundemüde.“ Wie zur Bestätigung gähnte er ausgiebig. Tetsuhiro nickte. „Mach das. Es war ein langer Tag. Schlaf schön.“
 

Obwohl Soichi Tatsumi hundemüde war, schlief er nicht sofort ein. Mit hinter den Kopf verschränkten Armen lag er noch eine Weile da und ließ den Tag Revue passieren. Im Großen und Ganzen war alles ganz gut gelaufen. Nur eine Sache bereitete ihn Kopfschmerzen: Morinaga. Unbemerkt, das hoffte er zumindest, hatte er seinen Kohai heute nicht aus den Augen gelassen. „Was war bloß los mit ihm??“, fragte er sich schon zum hundertsten Mal. Bis jetzt hatte er noch keine Antwort. Sollte er Morinaga nochmal fragen? Vielleicht. Aber hatte dieser nicht gesagt, es sei alles gut? Er würde ihn doch nicht belügen?? Er grübelte noch lange, doch dann übermannte der Schlaf Soichi. Durch ein dumpfes Geräusch wurde er keine drei Stunden später unsanft aus dem Schlaf gerissen. Sofort war er hellwach. Erschrocken setzte er sich auf. Lauschte. Hatte er es sich nur eingebildet? Gerade als er sich wieder hinlegen wollte, rumpelte es erneut. „Was zum Teufel…“, flüsterte er. Hoffentlich war es kein Einbrecher. Leise stand Soichi auf und schlich zur Tür. Vorsichtig öffnete er sie. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Eigentlich war es kein ängstlicher Typ. Aber wenn es wirklich ein Einbrecher war, konnte man nie wissen. Ohne einen Laut zu verursachen gelang es ihm auf den Flur hinaus zu treten. Soichi fröstelte. Er spürte den kalten Boden unter seinen nackten Füßen. Von wo war das Geräusch gekommen? Verunsichert stand er da. Plötzlich hörte es wieder. Seine Füße erzeugten einen schmatzenden Laut, als er sich bewegte. Nach ungefähr 5 Metern sah er einen Lichtschimmer. Er kam aus dem Badezimmer. Nun konnte Soichi mehr hören. Von einem bösen Verdacht getrieben, ging er schneller. Zügig überquerte er die letzten Meter. Die Geräusche waren jetzt deutlich zu hören. Die Hand, die er ausstreckte um die Tür aufzustoßen zitterte leicht.
 

Die Beleuchtung in Inneren tauchte alles in ein grelles, stechendes Licht. Tetsuhiro kniete auf dem kalten Boden vor der Toilette. Er würgte hefig. Soichi starrte ihn an. Unfähig sich zu rühren. Morinaga verbarg währenddessen sein Gesicht in seiner Armbeuge. „Senpai…es ist nicht….geh….wieder ins Bett.“, kam es gedämpft von ihm. Doch kaum waren die Worte verklungen, ging ein Ruck seinen Körper und er übergab sich erneut. „Morinaga…?“, stammelte Soichi nur hilflos. Beim Nähertreten rutschte er fast auf dem Fliesenboden aus. Er kniete sich schnell neben seinem Kohai auf den Boden. Fasste ihn bei den Schultern. „Scheiße! Was…“ Morinaga´s Körper war schweißnass. Außerdem zitterte er wie Espenlaub. Er wandte sein Gesicht Soichi zu. „Senpai…geh…bitte…“ Seine Lider flatterten. Die Pupillen waren riesengroß und schwarz. Soichi bekam es mit der Angst zu tun. Das war nicht mehr normal!! „Ganz ruhig…Warte…ich hole Hilfe…“, kam ihm der rettende Gedanke. Sofort wollte er aufstehen, um den Notarzt zu alarmieren. Mit erstaunlicher Kraft hielt Tetsuhiro ihn jedoch zurück. „Nein…Senpai….bitte..nicht…bleib…bei...mir…bitte…“ Er schaute Soichi flehentlich an. Doch kurz danach musste er sein Gesicht wieder zur Toilettenschüssel wenden, hielt Soichi aber weiter umklammert. „Scchhh, ganz ruhig…ich bin bei dir. Alles wird gut…“, murmelte Tatsumi beruhigend. Dabei strich er Morinaga sanft die Haare aus der Stirn.
 

Ende Kapitel 8

Morgenstund hat Gold im Mund

Wie ein Betrunkener torkelte Tatsumi in die Küche. Er fühlte sich wie erschlagen. Nur mit Mühe belang es ihm einen der Schränke zu öffnen. Umständlich kramte er darin herum. Als er nicht fand was er suchte knallte er die Tür frustriert wieder zu. Mein Gott! Er kannte sich in seiner eigenen Küche nicht aus! Was eigentlich kein Wunder war, da Morinaga sich sonst um den Haushalt kümmerte. Anstatt weiter nach den Kopfschmerztabletten, die er beim Teufel komm raus nicht finden konnte, zu suchen begnügte Soichi sich mit einem Glas Wasser. Gierig leerte er es in einem Zug. Nachlässig stellte er das Glas in die Spüle. Dann stützte er sich erschöpft daran ab. Er war so müde, dass er im Stehen hätte einschlafen können. Letzte Nacht war er nicht mehr ins Bett gekommen. Morinaga hatte sich, im wahrsten Sinne des Wortes, die Seele aus dem Leib gekotzt. Soichi konnte nicht mehr sagen, wie lange er auf dem kalten Boden des Badezimmers gesessen hatte, Morinaga im Arm haltend. Tetsuhiro war am Ende so schwach gewesen, dass er nicht mehr allein aufstehen konnte. Sich auf ihn stützend hatte Soichi Morinaga in sein Zimmer gebracht. Dort hatte er den Rest der Nacht verbracht. Denn nachdem er Morinaga in seinem Bett zugedeckt hatte wollte er sich leise hinausstehlen, um doch noch Hilfe zu holen. Aber kaum wandte er sich ab, klammerte sich Morinaga mit beiden Armen an ihn fest. So war es gekommen, dass er die Nacht wachend bei Tetsuhiro verbrachte. Er wagte nicht einzuschlafen für den Fall das Morinaga ihn brauchte. Irgendwann war sein Kohai in einen unruhigen Schlaf gefallen. Ohne den Schlafenden zu wecken war es Soichi später gelungen sich aus Morinaga´s Klammergriff zu befreien. Er fühlte sich miserabel. Und er hatte keinen blassen Schimmer was er jetzt machen sollte. Noch einen Arzt holen? Doch warum zögerte er? Vielleicht, weil Morinaga ihn darum gebeten hatte es nicht zu tun? Soichi sah dessen flehenden Blick vor seinem geistigen Auge auftauchen. „Shit!“
 

Unentschlossen trottete er ins Wohnzimmer. Zufällig fiel sein Blick auf das Telefon, das auf einer kleinen Kommode stand. Es war ein altmodisches Ding. Ein Apparat mit Tastenfeld und Schnur. Eigentlich völlig unnütz, wie Tatsumi fand, weil sie meistens sowieso mit dem Handy telefonierten. Natürlich war es Morinaga gewesen, der das Ding angeschleppt hatte. Er habe es auf einem Flohmarkt geschenkt bekommen. Nach einer kurzen Diskussion, bei der Soichi den Kürzeren zog, stöpselte er es ein. Nicht lange danach hatten sie auch schon eine Festnetznummer. Bei der Erinnerung musste er unwillkürlich lächeln. Schnell gefror aber das Lächeln auf den Lippen. Verdammt! Was wenn es doch etwas Ernstes war? So ein „Anfall“, ein anderes Wort fiel ihn dafür nicht ein, war doch nicht normal, oder? Bevor Soichi richtig realisierte was er tat, hatte er den Hörer in der Hand, die Nummer des Notrufes bereits gewählt. Es ertönte das Freizeichen. „Notrufzentrale was kann ich für Sie tun?“, meldete sich eine freundliche Frauenstimme. Soichi schluckte. Sein Kopf war wie leergefegt. Einen Moment fehlten ihm die Worte. „Äh, ich brauche einen Krankenwagen…“, stammelte er in den Hörer. „Bleiben Sie ruhig. Erzählen Sie was passiert…“, die Stimme auf der anderen Seite der Leitung endete abrupt Es ertönte wieder das Freizeichen. Wie hypnotisiert starrte Soichi auf den Hörer in seiner Hand. „Was zum Teufel…“ Während des kurzen Gespräches stand er mit dem Rücken zum Telefon. Jetzt drehte er sich wieder dem Apparat zu, um die Nummer erneut zu wählen. Doch eine Hand lag auf dem Telefon.
 

„Morinaga?? Du…“ Tetsuhiro unterbrach ihm schroff. „Senpai? Was machst du da? Ich sagte doch, dass es mir gut geht!!“ Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter. Soichi fasste sich. „Was? Spinnst du? Nach letzter Nacht? Ich wollte…“ Sein Gegenüber sackte plötzlich in sich zusammen. Soichi konnte ihn gerade noch so auffangen. „Es geht schon…“ sagte der Dunkelhaarige und machte sich von ihm frei. Doch Soichi wollte sich nicht noch einmal abspeisen lassen. „Morinaga sag mir was los ist. Ich bin nicht blöd. Das ist doch nicht nur der Kreislauf, wie du mir immer weismachen willst!! Sag es mir. Sofort!!“, verlangte er lautstark. Doch wenn er gehofft hatte, Tetsuhiro würde ihm alles erklären, so irrte er sich. „Senpai.“, sagte dieser ruhig. „Es ist alles in Ordnung. Vergiss einfach was letzte Nacht passiert ist. Ich habe wohl nur was Falsches gegessen…Bitte Senpai…“, erklärte er zuversichtlich. Doch die Masche zog bei Soichi nicht. Nicht mehr. „Das kannst du deiner Großmutter erzählen!! Ich rufe jetzt einen Arzt. Geh vom Telefon weg!“, verlangte er von seinem Assistenten. Doch Morinaga gab nicht so schnell auf. „Aber Senpai. Das ist einfach lächerlich! Wie du siehst stehe ich vor dir. Mir geht’s prima!! Gut. Ruf den Arzt, aber ich werde mich weigern mich untersuchen zu lassen. So einfach ist das!!“ Soichi war fassungslos. Was bildete er sich ein!? Er zitterte vor Wut. Tatsumi hob schon seine Fäuste, um auf seinen Kohai loszugehen. Ließ sie aber schnell wieder sinken. Um seinen Ärger unter Kontrolle zu bekommen, atmete er angestrengt ein paar Mal ein und aus. „Schön! Fein! Meinetwegen! Mach doch was du willst!! Krepier doch!!“, schrie er. Mit diesen Worten ging er an Morinaga vorbei und ließ ihn stehen.
 

Tetsuhiro sah seinem Senpai hinterher. Einerseits war er erleichtert, dass Soichi Ruhe gab. Andererseits tat es ihm unendlich weh ihn so zu sehen. Er wusste, Soichi machte sich nur Sorgen um ihn. Tetsuhiro hätte sich dafür ohrfeigen können, dass Senpai ihn in einen solchen Zustand gesehen hatte. Mitten in der Nacht war ihm so elend gewesen, dass er es kaum auf die Toilette geschafft hatte. Doch dieses Mal war es schlimmer gewesen, als die Male zuvor. Die Mittel, die er einnahm hatten es ganz schön in sich. Er wollte Soichi nicht mit seinem Problem belasten. Lieber sollte er ihn anschreien, beleidigen oder ignorieren. Ja, alles war besser, als ihm Kummer zu bereiten. Obwohl er das mit seiner Aktion nun doch getan hatte. Tetsuhiro seufzte gequält. Er war immer noch etwas wacklig auf den Beinen. Der Dunkelhaarige hörte seinen Senpai in dessen Zimmer poltern. Wahrscheinlich wollte er zur Uni gehen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es bereits 7.30 Uhr war. Unschlüssig stand er da. Eigentlich fühlte er sich nicht gut. Aber in manchen Dingen hatte Makoto Recht, er sollte keine Vorlesungen sausen lassen. Ein paar Professoren hatten Tetsuhiro schon auf den Kieker. Außerdem durfte er seine Arbeit im Labor auch nicht vernachlässigen. Er musste ja nicht mit Soichi sprechen. Jedenfalls nicht viel. „Das Beste wird sein, ich gehe ihn in nächster Zeit aus dem Weg.“ Dieser Gedanke schmerzte, aber es war das Beste für beide.
 

Mit einem lauten „Rums“ knallte Soichi die Tür eines Schrankes im Labor zu. Ihm waren schon zwei Kulturen eingegangen seitdem er hier war. Obwohl er versuchte sich auf die Arbeit zu konzentrieren, schweiften seine Gedanken ständig ab. „Dieser elender…Soll er doch machen was er will! Pah!“ , schäumte er immer noch. Er wollte nur helfen! Aber wenn seine Hilfe nicht erwünscht war! Dann kamen Soichi jedoch Zweifel. Hatte er sich zu sehr in die Sache hineingesteigert? Vielleicht war alles halb so schlimm. Schließlich konnte Morinaga heute Morgen aufstehen. Und ihn so blöd anfahren! Soichi´s Gesicht verfinsterte sich. „Ich hätte ihm doch eine Abreibung verpassen sollen!!“ Gedankenverloren stand er da. Doch der Tag sollte nicht besser werden. Mit einem Schwung öffnete jemand die Tür. „Schönen Guten Morgen allerseits!“, flötete eine männliche Stimme. Soichi’s Miene entgleiste. Schnell setzte er ein freundlicheres Gesicht auf. Leider nicht schnell genug. Der Professor hatte es schon gesehen. „Tatsumi, Tatsumi… Sie brauchen gar nicht so ein Gesicht zu ziehen! So schnell werden Sie mich nicht los. Sie wissen genau warum. Ach ja, wo ist denn Ihr junger Assistent? Wie hieß er noch mal?? Mori..??“ Der Professor unterbrach für einen kurzen Moment seine kleine Rede. Dabei sah er sich suchend um. „Morinaga? Nun er ist nicht…hier..“ , erklärte Soichi verlegen. Was wollte Mitzuko?? „Ah, genau Morinaga! So hieß er! Er ist nicht hier, sagen Sie?? So so. Das ist schlecht. Sie beide haben doch keine Probleme miteinander? Ich werde mich bei Gelegenheit mal mit ihm unterhalten. Sie können sich ja nicht mal um sich selbst kümmern, wie wollen Sie da ein gutes Beispiel für die jüngeren Studenten sein?“ Während seiner Ansprache gestikulierte Mitzuko mit seinen Händen, um den Worten mehr Ausdruck zu verleihen. Dabei lächelte er gönnerhaft. Soichi platzte der Kragen. „Sie mieser kleiner…“, setzte er wutentbrannt an, um dem Kerl eine Abreibung zu verabreichen.
 

Er wollte schon losstürmen, als die Tür hastig aufgestoßen wurde. „Sorry Senpai, hier sind die Unterlagen, die du wolltest. Ich wurde aufgehalten.“, kam es von einem schweratmenden Morinaga. Er musste sich am Türrahmen abstützen, so außer Atem war er von seinem kleinen Sprint. In der Hoffnung die Wut seines Senpai´s wäre in der Zwischenzeit etwas verraucht, war er extra später zur Uni gekommen. Es war reiner Zufall gewesen, dass Tetsuhiro eine Unterhaltung zweier Studenten mitbekommen hatte. Die beiden jungen Männer hatten sich darüber lustig gemacht, dass Mitzuko auf seinem Kontrollgang unterwegs war. Dann fiel noch Soichi´s Name. Morinaga zählte eins und eins zusammen. Er wusste, dass Mitzuko Ärger machen würde, wenn er Soichi allein antraf. Also war er so schnell er konnte in Richtung Labor gehastet. Soichi war mitten in seiner Bewegung stehengeblieben, so überrascht war er seinen Kohai zu sehen. Wie zufällig stellte Tetsuhiro sich zwischen seinen Senpai und den Professor. Er war gerade noch rechtzeitig gekommen! Der Professor sah enttäuscht aus. Aber er fing sich schnell wieder. „Ah, Morinaga schön Sie doch noch zu sehen. Tatsumi sagte mir Sie seien heute abwesend?“, fragte er hinterlistig. „Aber Professor! Senpai wollte Ihnen bestimmt noch mitteilen, dass ich später komme. Wie Sie sehen habe ich nur noch ein paar Aufzeichnungen geholt.“ Wie zur Bestätigung zeigte er auf einen Stapel Papier in seiner Hand. „So so, dann ist ja gut.“ Mitzuko strich sich nachdenklich über seinen Schnurrbart. Dabei musterte er Morinaga verstohlen von oben bis unten. Soichi bemerkte den Blick und runzelte die Stirn. „Wie dem auch sei. Eigentlich bin ich hier, weil ich Hilfe beim Sortieren einiger Akten brauche. Uns wissen Sie was Tatsumi? Sie kamen mir als erster in den Sinn. Kenji, sagte ich mir das ist doch die richtige Aufgabe für Tatsumi! Ist das nicht schön?“ Er lachte wie ein Schulkind, das dem Lehrer einen Streich spielen wollte. Soichi schaute den Professor ungläubig an. Was sollte er? Akten sortieren? War das ein schlechter Scherz? Er blickte zum Professor. Doch dieser sah nicht so aus, als ob er scherzen würde. „Ich habe keine Zeit. Ich muss mich um meine Experimente kümmern. Ich muss…“ Mitzuko schnitt ihm brüsk das Wort ab. „Aber Tatsumi. Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie wirklich ablehnen wollen. Ich möchte dem Dekan ungern mitteilen, dass Sie nicht gewillt sind, etwas zur Wiedergutmachung zu leisten. Schließlich gaben wir Ihnen noch eine Chance, oder?“ Soichi glotzte den verdammten Professor wütend an. Er ballte so stark seine Fäuste, dass die Nägel sich schmerzhaft in seine Handflächen bohrten. Alles in ihm sträubte sich für den Professor diese nervige Arbeit zu erledigen. Aber Ihm blieb wohl keine andere Wahl. Gerade als er zähneknirschend zustimmen wollte, mischte sich Morinaga ein. Der Professor und Soichi starrten ihn verblüfft an. Für kurze Zeit hatten sie Morinaga ganz vergessen. „Ich übernehme die Aufgabe für Senpai!“, sagte er hastig, bevor Soichi seine Zustimmung geben konnte. Er sah den Professor durchdringlich an. „Tatsumi-Senpai hat genug mit seiner Arbeit zu tun. Das heißt, wenn Sie nichts dagegen haben Professor?“ Mitzuko lächelte freudig. Anscheinend hatte er auf diese Antwort gehofft. „Aber nein! Ich habe nichts dagegen. Das heißt, wenn Tatsumi nichts einzuwenden hat?“ Er wandte sich nun direkt wieder an Soichi. Tatsumi war perplex. Ihm fehlten die Worte. Der Professor fackelte nicht lange. Er wertete Soichi´s Schweigen wohl als „ja“, denn er packte Morinaga am Arm und zog ihn mit sich aus dem Labor. „Keine Sorge Tatsumi! Ich bringe Ihnen Ihren Assistenten wohlbehalten zurück!!“, rief er lachend nach hinten in den Raum. Soichi hatte sich mittlerweile aus seiner Starre befreit. Doch als er in den Flur hinausstürzte, um noch etwas zu erwidern oder es zu verhindern, waren der Professor und Morinaga schon verschwunden.
 

Ende Kapitel 9
 

Es ist nicht sehr lang, aber dafür geht es im nächsten Kapitel mit Mori und unser aller

Lieblingsprofessor weiter ;D

Es kommt noch schlimmer als man(n) denkt

„Hören Sie mir überhaupt zu, junger Mann?“ Unmotiviert legte Morinaga einen Stapel Papiere beiseite. Seit geschlagenen zwei Stunden tat er nichts weiter als Akten und sonstigen Papierkram durchzulesen, einzuordnen oder auszusortieren. Der Raum, in dem der Professor dem jungen Mann geführte hatte, war bis zur Decke mit Kartons vollgestopft. Das waren also „einige Akten“. Als wäre das allein nicht schlimm genug, ließ der Professor Morinaga nicht aus den Augen, textete ihn die ganze Zeit zu. Langsam bereute Tetsuhiro seine voreilige Entscheidung. „Was tut man nicht alles aus Liebe!“, dachte er. Dann seufzte er tief. Wenigstens konnte er Soichi so eine Weil aus dem Weg gehen. Mit einem gequälten Lächeln wandte er sich dem Professor zu. „Natürlich höre ich Ihnen zu.“, meinte er nicht sehr überzeugend. Mitzuko antwortete nicht gleich. Dem Studenten wurde sichtlich unwohl unter dem Blick des Professoren, der ihn durchdringlich musterte. Mitzuko strich sich nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger über den buschigen Schnurrbart. Plötzlich blitzte es in seinen Augen. „Wenn Sie damit fertig sind, können Sie mit den Kartons dahinten weiter machen.“ Dabei zeigte er auf den größten Stapel von allen neben der Tür. Tetsuhiro biss die Zähne zusammen, damit keines der beleidigenden Worte entschlüpfen konnte, die ihm in den Sinn kamen. Er hatte viele Gerüchte über den Mann gehört. Die meisten davon hatte er für übertrieben gehalten. Doch jetzt erkannte er, dass sie leider wahr waren. Seine Kommilitonen warnten ihn. Mitzuko spioniere gern anderen hinterher, verbreite Gerüchte wie kein anderer oder hetzte die Studenten gegeneinander auf. Außerdem trug er alles was sich in der Uni abspielte brühwarm zum Dekan. Doch Morinaga tat es als das übliche Uni-Geschwätz ab, schließlich hatte er bis jetzt nichts mit dem Professor zu tun gehabt, da Mitzuko eigentlich nur für die älteren Semester zuständig war. Aber nun er sah ein, dass er sich mächtig geirrt hatte. Er stellte sich kurz vor, was passiert wäre, wenn sein Senpai an seiner Stelle hier wäre. Mit Sicherheit hätte Soichi es keine zehn Minuten ausgehalten! Darauf würde Morinaga sein ganzes Geld verwetten. Früher oder später wäre er dem Professor an die Gurgel gesprungen. Das musste Tetsuhiro unbedingt verhindern!
 

Morinaga stellte sich Mitzuko´s erschrockenes Gesicht vor, wenn Soichi ihn sich vorknöpfen würde. Er musste unwillkürlich lachen. Schnell drehte er dem Professor seinen Rücken zu, damit dieser sein Gesicht nicht sah. Mitzuko deutete diese Geste falsch. Er trat vor und legte dem Jüngeren die Hand auf die Schulter. Tetsuhiro hätte diese am liebsten abgeschüttelt. Er riss sich zusammen. Der Professor bemerkte davon nichts. Er kam sogar noch näher heran. „Aber Sie schwitzen ja. Dieser Tatsumi muss Sie ganz schön hart drannehmen. Aber das wundert mich nicht! Was ich alles über ihn gehört habe…!“ Der Druck der Hand verstärkte sich. Die andere Hand des Professors wanderte fast unmerklich über seinen Rücken. Morinaga befreite sich und zwang sich zu einem freundlichen Ton, als er antwortete: „Ich arbeite sehr gerne mit Tatsumi-Senpai zusammen. Er hat mir viel beigebracht. Ich könnte mir niemanden vorstellen, mit dem ich lieber arbeiten würde. Das, was Sie gehört haben, ist nur aus der Luft gegriffen!!“ Die letzten Worte waren lauter als beabsichtigt. Morinaga spürte, dass es seine Pflicht war, Senpai zu verteidigen. Es stimmte schon Soichi hatte eine Menge schlechter Eigenschaften. Er war launisch, aufbrausend, vorlaut und vieles mehr. Aber es gab auch viele gute Eigenschaften. Leider zeigte Soichi diese nicht sehr oft. Der Professor starrte den Studenten mit großen Augen an. Mit einer solchen Ansage hatte er nicht gerechnet. Schnell fasste er sich. Mit der linken Hand rückte er seine Brille zurecht, mit der rechten machte er eine beschwichtigende Geste. „Ganz ruhig mein Junge. Es ist schön, dass so zu Ihrem Senpai stehen. Aber Sie verstehen sicher, ich muss die Ordnung in diesem Institut aufrechterhalten. Und Tatsumi ist mir bis jetzt leider nur negativ aufgefallen.“ Sein Gesicht zeigte Morinaga deutlich, dass es ihm nicht im Geringsten Leid tat. Im Gegenteil! Er glaubte eine gewisse Genugtuung darin lesen zu können. „Und nun seien Sie ein braver Junge und machen weiter. Die Sachen sollen heute noch erledigt werden.“ Während er sprach tätschelte er Morinaga´s Wange, als sei er ein kleiner Junge. „Sie wollen doch nicht, dass Tatsumi noch mehr Ärger bekommt, oder??“ In seiner Stimme schwang eine leise Drohung mit.
 

Der Professor und Morinaga hatten das erste zaghafte Klopfen nicht gehört. Nun vernahmen sie das mittlerweile laute Pochen an der Tür. Mit einen unwilligen „Herein!“ bat Mitzuko den Störenfried herein. Eine junge Studentin trat ein. „Ah, Professor endlich habe ich Sie gefunden. Sie sollen bitte schnell ins Labor 4.5 kommen. Professor Tagagi wartet schon auf Sie!?!“ Das Mädchen war sichtlich nervös. Sie verkrampfte ihre Hände beim Sprechen und vermied es den Gesuchten in die Augen zu sehen. „Oh nein! Ich war ja mit Tagagi verabredet! Äh, danke, sagen Sie ihm ich bin in einer Minute da.“, sagte er zu der Studentin. Diese war froh ihren Auftrag erledigt zu haben, nickte und verschwand wieder so schnell wie sie gekommen war. Mitzuko seufzte enttäuscht. „Sieht so aus als ob ich mich verabschieden muss. Die Pflicht ruft. Wenn Sie fertig sind, vergessen Sie nicht die Tür zu schließen.“, verabschiedete er sich geistesabwesend. Anscheinend war er in Gedanken schon im Labor 4.5. Ohne Morinaga noch einen Blick zu schenken verließ er den Raum. Tetsuhiro blieb paralysiert zurück. War das gerade wirklich passiert oder war es Einbildung? Er berührte die Wange, die der Prof berührt hatte. Sie brannte wie Feuer. Hatte er wirklich damit gedroht Senpai noch mehr zu peinigen? Morinaga beschlich das ungute Gefühl, dass Mitzuko alles daran setzen würde, um dafür zu sorgen Soichi von der Uni zu schmeißen. Die beiden Studenten mussten höllisch aufpassen!!
 

„Geschafft!!“ Zufrieden betrachtete Soichi seine Arbeit. Es war kein Zuckerschlecken gewesen, aber er hatte es geschafft. Jetzt hieß es erst einmal abwarten. Erschöpft, aber zufrieden sah er sich im Labor um. Was er sah bremste sein Enthusiasmus etwas. Der Raum sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Nachdem der verfluchte Mitzuko mitsamt seinem Assistenten abgetaucht war, hatte der wutentbrannte Tatsumi das Erstbeste was er fassen konnte gepackt und durch den Raum geworfen. Der Krach, der dabei entstand konnte man im gesamten ersten Stock hören. Danach räumte er mit einer einzigen fließenden Bewegung den Tisch ab. Alles was sich darauf befanden hatte lag nun verstreut im Raum. Es sah noch schlimmer aus, als am Tag zuvor. Danach war Tatsumi ohne das Chaos zu beseitigen an die Arbeit gegangen. Die Utensilien, die braucht hob er zwar vom Boden auf, den Rest ließ er liegen. Die nächsten Stunden, blendete er alles um sich herum aus. Ohne sinnvolle Beschäftigung grübelte er nun weiter. Was fällt diesem Idioten ein?! Kreutz einfach auf und will das er, Soichi Tatsumi, Akten für ihn sortierte. Fauler Hund! Überhaupt ging Soichi diese Kontrolle auf die Nerven. Er entschuldigte sich sogar für eine Sache an der er nicht mal Schuld war. Okay, er hat sich mit dem Lederjacken-Typen geschlagen. Aber das war pure Selbstverteidigung! Schon allein der Gedanke an die ganze Sache machte ihn wieder ganz kirre. „Alles Idioten! Allesamt! Genau!!“ Obwohl er noch sauer auf Morinaga war, frage er sich wo dieser blieb. Soichi war ehrlich erstaunt gewesen, als er seinen Assistenten heute Morgen hier begegnete. Eine Sekunde später und er hätte den Professor von der Wand kratzten können. An die Konsequenzen dachte er nicht. Wieder einmal hatte Morinaga seine Haut gerettet. Soichi schämte sich, er hätte es verhindern müssen, dass Morinaga mit Mitzuko ging. Der Blick, mit dem der Lehrer Tetsuhiro ansah fiel ihm ein. Da ist was faul! Und er würde herausfinden was! Soichi erhob sich. Es wurde Zeit! Resolut verließ der Senpai sein Labor.
 

„Die können doch nicht vom Erdboden verschwunden sein!“ Quer durch die Uni war er gewandert. Weder in der Cafeteria, noch in der Bibliothek oder in anderen Räumlichkeiten, die er betreten konnte fand er sie. Na ja, auf den nervigen Professor konnte er getrost verzichten. „Vielleicht ist er schon nach Hause?“ Er kramte nach seinem Handy und wählte die Nummer seines Kohais. Freizeichen. Wenigstens war es angeschaltet. Nach zehn maligen Klingel gab er auf. Auf dem Rückweg bekam er überraschender Weise eine SMS. „Raum 10.02 T. M.“ mehr nicht. Trotzdem wusste er wer der Absender war. Raum 10.02?? Obwohl er sich in der Uni recht gut auskannte, musste Soichi überlegen. Raum 10.02? 10.02?? Dann dämmerte es. Der Raum 10.02 befand sich im hinteren Teil der Uni. Es war nur ein kleiner quadratischer Raum, mit einem winzigen Fenster. Eine Art Abstellraum. Und der, wie Soichi herausfand vollgestopft war mit Kartons. Beim Öffnen der Tür wurde er fast von einem erschlagen. „Pass auf wo du hintrittst Senpai! Hier stehen überall welche.“, kam es aus einer der hinteren Ecken. Im Raum selbst war es nur mäßig hell. Die Kisten und Kartons schluckten fast das gesamte Licht. Vorsichtig bahnte Soichi sich einen Weg zu Morinaga. Sein Kohai stand vor einem niedrigem Tisch, der über und über mit Papier bedeckt war. „Dieser alte Sack! Ein paar Akten, ja? Wenn ich den erwische…“, legte der Hellhaarige kaum dass er in Sichtweite war los. „Ruf ihn bloß nicht her! Ich bin froh, dass ich den los bin!!“ erwiderte Morinaga. Tatsächlich war Mitzuko bis jetzt nicht mehr aufgetaucht. Er wollte noch mehr sagen, doch ein Hustenanfall verhinderte jedes weitere Wort. Erschrocken trat Soichi näher und klopfte seinem Kohai auf den Rücken. Als es nicht besser wurde versuchte er das Fenster zu öffnen. „Scheißding geht schon auf!“, zeterte er. Nach einem kräftigen Ruck ging es dann. Kühle Luft wehte ins Zimmer. Eine wahre Wohltat. Erst jetzt merkte Soichi wie stickig es im Raum war. „Danke!“, jabste der Dunkelhaarige außer Atem. „Der Professor ist vor einiger Zeit abgezogen. Hatte wohl eine Verabredung.“ Weiter kam er nicht, denn er musste sich auf den einzigen Stuhl im Raum niederlassen. Ihm war furchtbar war. Und schwindelig. Er war schon den ganzen Tag hier drinnen. Zu seinem eigenen Erstaunen war er, nachdem Mitzuko verschwunden war, recht gut vorangekommen. Es fehlten nur noch die Kartons, die Soichi fast abbekommen hätte. „Also, was gib es?“, fragte er nach einem Augenblick des Ausruhens. „Wenn es um die Arbeit geht, ich weiß noch nicht wann ich hier fertig bin…Sorry.“ Entschuldigend zuckte er mit den Achseln. Soichi Augen wanderten in dem kleinen Raum umher und bekam ein schlechtes Gewissen. „Nein…deswegen bin ich nicht hier…naja eigentlich schon…Ach, verdammt…Es tut mir Leid.“, platzte er heraus. Fragend schaute Morinaga ihn an. „Was meinst du?“ Soichi fuhr sich durch die Haare. „Na…das von heute Morgen. Was ich gesagt habe…war nicht so gemeint…“ Mit jedem Wort wurde er leiser und unsicherer. Tetsuhiro schüttelte lächelnd den Kopf. „Schon vergessen, Senpai. Mir tut es auch leid. Ich hab wohl überreagiert…Aber du weißt doch…ich hab´s nicht so mit Ärzten.“
 

Tatsächlich erinnerte sich Soichi, dass sein Mitbewohner ungern Ärzte aufsuchte. Eine kleine Impfung hatte dieser einmal 2 Monate aufgeschoben, bis Soichi ihn persönlich in das Behandlungszimmer schubste. Morinaga schaute zu Soichi auf und lächelte. Senpai erwiderte sein Lächeln. Dann runzelte er die Stirn. „Was ist denn mit deiner Wange? Sie ist ganz rot. Hier.“ Er zeige auf seine eigene. Morinaga´s Hand fuhr an sein Gesicht. Kurze Zeit nachdem Mitzuko verschwand, war Tetsuhiro zur Toilette geeilt, um sein Gesicht zu waschen. Er schrubbte so lange, bis er dieses ekelhafte Gefühl der Berührung Mitzuko´s los war. Morinaga überlegte. Wenn er jetzt was Falsches sagte...Entschied sich aber für die Wahrheit. Was sollte schon groß passieren? Schließlich hatte der Professor ihn nur an der Wange berührt. Sonst nichts. Er versuchte es auf die lustige Tour. „Ach, der Professor ist mir ein bisschen auf die Pelle gerückt.“ Er lachte missglückt auf. Trotz seines Schwindels stand er auf und wandte sich dem Tisch zu. „Ich mache lieber weiter. Geh doch schon mal ins Labor zurück.“ Morinaga griff nach einigen Papieren. Sein Senpai stoppte ihn mitten in der Bewegung. Seine Miene versprach nichts Gutes. „Was soll das heißen? Was hat er gemacht. Hat er dich etwa…“ Er sprach nicht aus, was er dachte, doch sein Gesicht verfinsterte sich zusehens. Schon wollte er sich abwenden. Morinaga, der vor seinem geistigen Auge seinen Senpai bereits von der Uni fliegen sah, packte ihn am Arm. „Es ist nicht so wie du denkst!! Er hat nichts gemacht. Er hat mich nur an der Wange…berührt.…Ich hab nur zu stark daran rumgerubbelt. Deswegen die Rötung. Du weißt doch ich kann allein auf mich aufpassen. Ehrlich!“ Er hoffte seine Worte würden Soichi überzeugen. Es war ja nichts passiert. Sie durften nicht vergessen, dass Mitzuko immer noch ein Professor der Uni war. Er saß am längeren Hebel. Okay, es hatte ihm überhaupt nicht gefallen, dass er so zutraulich geworden war. Aber Morinaga wusste sich zu helfen. Schließlich war er über einen Kopf größer als Mitzuko und um einiges kräftiger. Zu seinem Leidwesen beruhigte sich sein Senpai keineswegs. Im Gegenteil. Er wurde noch wütender. „DIESER EKELHAFTER, ALTER SACK! UND DER NENNT SICH LEHRER! ICH HABE ES GEWUSST! WIE ER DICH ANGESTARRT HAT! ICH BEFÖRDERE IHN IN DIE HÖLLE!!!“ Hätte Morinaga ihn nicht festgehalten wäre er schon auf und davon. Sein Gesicht war gerötet, seine Brust hob und senkte sich wie ein Blasebalg. Morinaga sah ihn ungläubig an. Er hätte nicht gedacht, dass Soichi so heftig reagieren würde. Irgendwie war er gerührt. Und froh. Das bestätigte ihm, dass er Soichi nicht egal war. Sein Herz hüpfte vor Freude auf und ab. Überwältigt von seinen Gefühlen aber auch wegen seiner wackligen Knie lehnte er sich an seinen Geliebten. „Danke Senpai, dass du das für mich machen willst. Aber wir sollten einen kühlen Kopf bewahren.“ Während er sprach drückte er Soichi an sich. Dessen Wut verpuffte, als er die matte Stimme Tetsuhiro´s vernahm. Außerdem registrierte er, dass die Hand, mit der Morinaga ihn festhielt leicht zitterte. „Morinaga…“, sagte er ungewohnt sanft. Vorsichtig berührte er die gerötete Stelle im Gesicht des Jüngeren. Sie war heiß und leicht geschwollen. „Tut schon nicht mehr weh.“, murmelte Morinaga lächelnd. Langsam beugte er sich vor küsste Soichi. Er liebte es zu sehen, wie er errötete. Sanft drückte er den Hellhaarigen an einen der mannshohen Kartonstapel. Er drängte sich noch dichter an seinen Partner. Immer fordernder wurden seine Küssen. Tiefer, länger. Morinaga´s Hände wanderten über Soichi´s Körper. Dieser hatte seine Augen geschlossen und stöhnte unter den Brührungen „Morinaga. Ich..wir…“ Er wollte ihm sagen, dass sie lieber aufhören sollten, aber er konnte es nicht. Jeder klare Gedanke war ausgeschaltet. Plötzlich fing die Welt an sich zu drehen. Keine zwei Sekunden später lagen Soichi und Morinaga auf dem Boden zwischen den Kartons. Der Stapel, an dem sie lehnten war mitsamt den beiden umgekippt.
 

Morinaga, der auf Soichi lag grinste breit und brach dann in lautes Gelächter aus. Soichi blickte ihn böse an. Sein Kopf war noch immer hoch rot. Verstimmt schubste er den immer noch lachenden Morinaga von sich runter. „Lach nicht so blöd. Geh lieber runter von mir!“, schnauzte er ihn an. Morinaga lachte nur, beugte sich erneut vor und gab ihm einen innigen Kuss. Soichi war zu überrascht, um sich zu wehren. Morinaga rappelte sich auf und streckte den am bodenliegenden Soichi seine Hand hin. Zögerlich ergriff er sie. Schnell brachten sie ihre Kleidung in Ordnung, die bei ihrer kleinen Liaison verrutscht war. Kopfschüttelnd betrachteten sie das Durcheinander um sich herum. Die Wut stieg wieder in Soichi auf. „Mitzuko...“, knirschte er mit den Zähnen. Wenn er daran dachte, wie der Kerl seinen Kohai betatschte, kam ich die Galle hoch. „Senpai, du musst nicht warten. Geh ruhig zurück.“, holte Morinaga ihn wieder in die Gegenwart. Auf keinen Fall wollte er, dass Soichi dem Professor heute noch über dem Weg lief. Nicht in diesem Zustand! Eilig fing er an, die auf den Boden gefallenden Akten aufzuheben. „Spinnst du? Ich geh doch jetzt nicht…warte ich helfe dir!“ Zusammen schafften sie einiger Maßen Ordnung. Während Soichi versuchte, die zahlreichen Karton aufzustapeln, ordnete Morinaga die verbleibenden Akten. Sein Hochgefühl war verschwunden. Ihm schwirrte der Kopf. Sein Blut rauschte in den Ohren. Tetsuhiro bemerkte einen roten Fleck auf einem der Papiere. Da! Ein weiterer Fleck erschien. Als er sich an seine Nase fasste, befand sich Blut an seinen Fingern. Nasenbluten. Ohne das Soichi es bemerkte wischte er es schnell weg. Er erstarrte, als er dessen Stimme hinter sich hörte. „Ich hab die Schnauze voll!“, verkündete Tatsumi. „Komm wir hauen ab!“ Die Sachen, die er in der Hand hielt, warf er achtlos zur Seite. „Gleich! Bin fast fertig!“, sagte Tetsuhiro noch. Doch sein Senpai wollte nicht mehr warten. „Nicht gleich! Jetzt!“ Ohne zu zögern griff er Tetsuhiro´s Hand und zog ihn mit sich. „Aber Senpai. Der Professor…“, warf er ein. „Scheiß auf den Professor. Wir haben unsere eigene Arbeit.“ Mit einem Seitenblick auf Morinaga werfend setze er hinzu: „Und du musst dich ausruhen.“ Ihm waren keineswegs das blasse Gesicht und das Schwanken seines Kohais entgangen. Er schämte sich erneut, weil er zugelassen hatte, dass er die Arbeit für diesen Mistkerl erledigte.
 

„Ah! Endlich! Schnell rein!“ Wie zwei Diebe auf der Flucht vor der Polizei hasteten sie den Flur entlang. Vor der Tür ihres Labors schaute sich der Ältere prüfend um. Dann schubste er Morinaga regelrecht hinein. Drinnen schloss er die Tür ab. „In Sicherheit!!“, brachte er erleichtert hervor. Sein Assistent kratzte sich am Kopf, während er sich das Chaos anschaute. So ein Saustall. „Senpai, Senpai…“, sagte er kopfschüttelnd. Der Angesprochene errötete. „Sorry. Ich habe wohl ein bisschen übertrieben…“ Morinaga betrachtete ihn verliebt. Er würde sich nie ändern! „Macht nichts…. Aber wir sollten dieses Tohuwabohu schleunigst beseitigen. Bevor Jemand kommt.“ Noch während er es sagte, bückte er sich nach dem sündhaft teuren Mikroskop zu seinen Füßen. Bevor Tetsuhiro sich wieder aufrichten konnte, schoss ihm das Blut aus der Nase. Erschrocken kam er hoch. Das Blut rann durch die Hand und tropfte auf den blanken Linoleumboden. „Senpai…“, würgte er gedämpft durch seine Hand hindurch hervor.
 

Ende Kapitel 10

Schön dich wiederzusehen!

Das  Blut tropfte auf den Boden und bildete eine kleine rubinrote Lache. Schnell presste Morinaga den Ärmel auf das Gesicht. Sofort färbte sich der weiße Stoff seines Laborkittels hellrot.  „Waa…?? Scheiße!“, stieß Soichi panisch aus. Vor Schreck war er für einen Moment wie gelähmt, riss sich aber schleunigst wieder zusammen. Mit zwei großen Schritten war er bei seinem Kohai. Dieser wich jedoch zurück und drehte sich etwas von ihm weg, damit er nicht sah wie sich sein Gesicht vor Schmerzen verzerrte. „Es…geht schon…Ist nur…Nas…enbl…uten…“, würgte er kaum verständlich hervor. „Morinaga!“, schrie Soichi da panisch auf, als der Jüngere entgegen seiner Worte in die Knie sank. Tetsuhiro stöhnte gequält auf. Dunkle Flecken tanzten vor seinen Augen, der Geschmack seines eigenen Blutes verursachte ihm Übelkeit. Nur verschwommen nahm er Soichi wahr, der irgendwas zu ihm sagte. Den Sinn der Worte konnte er nicht verstehen, doch allein seine Stimme beruhigte ihn ungemein. Als nächstes ging ein Ruck durch seinen Körper als Soichi ihn auf die Beine zog, sich einen Arm um die Schulter legte und mit ihm das Labor verließ.

 

Als Tetsuhiro die Augen aufschlug fühlte er sich wie erschlagen. Dröhnende Kopfschmerzen pochten in seinem Schädel. Er musste ein paar Mal kräftig blinzeln, bevor sich die Sicht klärte. Desorientiert schwirrte sein Blick im Raum umher, bis er an Soichi kleben blieb. „Se…Senpai?“ Er öffnete den Mund um noch mehr zu sagen, aber eine Frauenstimme kam ihm zuvor. „Ah! Schön, dass Sie wieder wach sind. Geht es einigermaßen?“, fragte sie mitfühlend. Verwirrt folgte Morinaga der Stimme, die wie sich herausstellte einer jungen Krankenschwester gehörte. Quietschend erhob sie sich aus ihrem Stuhl. „Sie sind ein bisschen blass um die Nase. Am besten bleiben Sie noch ein wenig liegen.“, meinte sie freundlich. Langsam raffte Morinaga wo er sich befand. Das unieigene Krankenrevier lag im 2. Stock des Gebäudes und war, schon allein wegen der hübschen Schwester, ein beliebter Ort um die eine oder andere Vorlesung zu schwänzen. Vorsichtig richtete er sich etwas auf. „Keine Bange. Die Blutung war zwar ganz schön stark, aber sie hat schnell aufgehört. Ihr Freund hat zum Glück schnell reagiert.“, erklärte die Schwester und nickte in Soichi´s Richtung. Morinaga nahm das Gesagte kommentarlos hin. Stumm starrte er auf seine Kleidung. Das Shirt war mit Blutflecken übersät, von seinem Laborkittel ganz zu schweigen. Scham stieg in Morinaga auf. „Warum musste das auch ausgerechnet hier passieren? Senpai musste das auch hautnah miterleben! Scheiße!“, wirbelte es in seinem Kopf umher. Was war das nur für ein Teufelszeug, was er da nahm?? Verlor er langsam die Kontrolle? Sein gesamter Körper fühlte sich wie Wackelpudding an. Jeder Knochen tat ihm weh. Verflucht! Mit einem Mal sehnte er sich nach Zuhause. Tetsuhiro wollte sich nur noch in seinem Zimmer verkriechen und allein sein. Erschöpft atmete er aus. „Morinaga? Alles okay?“ Soichi schaute besorgt auf den dunklen Schopf des anderen hinab. Der Jüngere hob den Kopf und sah ihn mit großen dunklen Augen an. Sekunden verstrichen in denen niemand ein Wort sagte. Die Beiden bemerkten nicht einmal, dass die Krankenschwester sie allein gelassen hatte. „Senpai…es tut mir leid…Ich…“, setzte Tetsuhiro an, doch seine Worte wurden durch das geräuschvolle Aufreißen der Tür unterbrochen.

 

 „Sieh mal einer an! Hier stecken Sie!“ Die keifende Stimme des Professors ließ Soichi wie auch Morinaga heftig zusammen zucken. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf den Lippen Mitzuko´s aus. Federnden Schrittes betrat er den Raum. „Tatsumi! Wären Sie so gütig mir zu erklären was mit Ihrem Labor passiert ist??“ In den Augen des Mannes blitzte es hinterhältig auf. Alarmiert registrierte Morinaga wie sein Senpai rot anlief.  Scheiße! Gleich gab es Tote! „Professor! Das mit dem Labor…“, wollte er zu einer plausiblen Erklärung anfangen, aber Mitzuko schnitt ihn mit einer strengen Geste das Wort ab. „Sie halten gefälligst die Füße still! Was fällt Ihnen ein! Liegen hier auf der faulen Haut! Einfach alles stehen und liegen zu lassen! Habe ich mich nicht klar ausgedrückt? “ Es bereitete dem Mann sichtliches Vergnügen die Studenten herunter zu putzen und es war ihm völlig egal, dass sie sich in der Krankenstation befanden. Seine Augen wanderten zurück zu Soichi, der bereits einen drohenden Schritt auf ihn zugemacht hatte. Dieser kochte vor Wut! Allein das überhebliche Grinsen auf Mitzuko Gesicht reichte aus, um ihn rot sehen zu lassen. Ein Zupfen am Ärmel verhinderte, dass er auf den Mann losging. Morinaga hatte seinen Senpai vorsichtshalber am Arm gepackt. Kaum merklichen schüttelte er den Kopf. Das Zähneknirschen Soichi´s war im gesamten Raum zu hören. Mitzuko schnalzte enttäuscht mit der Zunge. „Die Beschädigung von Universitätseigentum ist ein schwerwiegendes Vergehen! Das ist Ihnen hoffentlich klar? Ich…“ Ein lautes Knacken in der Leitung der Sprechanlage übertönte seine letzten Worte. Ein unangenehmer  Piepton ertönte. „Professor Mitzuko und Professor Tagagi bitte unverzüglich ins Direktorat! Professor Mitzuko und Professor Tagagi ins Direktorat!“ Die Durchsage verstummte. Mitzuko schnaubte ärgerlich. „Glück gehabt, Tatsumi!“, zischte er und fixierte den Blonden mit einem Ich-krieg-dich-noch-Blick. Doch von einer Sekunde zur anderen setzte er wieder die gewohnte freundliche Miene auf. „Ich muss Sie jetzt leider verlassen! Der verehrte Direktor erwartet mich. Aber ich versprechen Ihnen wir werden uns noch ausführlich unterhalten!“, flötete der Lehrer und schlüpfte aus der Tür. Die Freunde blieben zurück. Beide ahnten, dass Mitzuko noch lange nicht mit ihnen fertig war.

 

**

 

Fröhlich pfiff Soichi vor sich hin. Er hatte so gute Laune wie schon lange nicht mehr. Endlich konnte er ungestört seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen. Arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten!! Es war kaum zu glauben, aber schon seit einer Woche wurden Morinaga und er überraschenderweise in Ruhe gelassen. Nach ihrem letzten Aufeinandertreffen mit dem Prof waren sie, auf das schlimmste gefasst, zur Uni gekommen. Aber, oh Wunder! Weder Mitzuko noch irgendwer sonst nahm Notiz von ihnen. Es war fast wie früher. Vor dem ganzen Schlamassel. Wie er von einem Bekannten erfuhr, war der Quälgeist auf einer Fortbildung. Leider konnte er jeden Augenblick in der Tür stehen. Schade! So mussten sie das Beste aus der Situation machen. Und das machten die beiden Studenten! Von morgens bis abends ackerten sie wie die Verrückten. Eine Woche lang. Soichi war sehr zufrieden. Langsam trugen die Anstrengungen Früchte. Ihm selbst machte die Arbeit nichts aus. Schließlich war er von je her ein Arbeitstier. Bei Morinaga sah die Sache jedoch anders aus. Im Laufe der Tage nahm Soichi immer mehr Fahrt auf, sein Assistent jedoch baute immer weiter ab. Morinaga wurde schnell müde, brauchte Pausen. Wo er mit seinen Gedanken war, wusste Soichi nicht zu sagen. Jedenfalls nicht bei der Arbeit. Hatte Tatsumi sich vorher über die Schwatzhaftigkeit seines Kohais beschwert, verfluchte er nun die Stille um ihn herum. Es kam vor, dass sie den ganzen Vormittag kein Wort miteinander sprachen. Ein paar Mal versuchte Soichi Morinaga darauf anzusprechen. Doch Jüngere blockte konsequent ab. Bevor die Situation eskalieren konnte, verzog Morinaga sich einfach. Soichi gab es nach und nach auf. Schließlich war Tetsuhiro ein erwachsener Mann. Er glaubte fest daran, irgendwann würde er schon mit der Sprache herausrücken.

 

Schwungvoll stellte Soichi einen Ständer mit Reagenzgläsern auf den Tisch. Was er sah steigerte seine Laune noch mehr. Es ging doch! Wenn es nach ihm ging, konnte Professor Widerling für immer auf Fortbildung bleiben. Ach, das Leben konnte so schön sein! Gewissenhaft notierte er die Ergebnisse in seinen Aufzeichnungen. „Okay. Das hätten wir fertig. Mal sehen was die Kulturen von gestern machen.“ Mit dem Klemmbrett in der Hand durchquerte Soichi den Raum. In dem speziellen Schrank, in dem die Kulturen aufbewahrt wurden, stapelte sich eine Petrischale auf der anderen. Ein Tribut der vergangenen Woche. Vorsichtig zog der Student das Gesuchte heraus. Erleichtert stieß er die Luft aus. Auf den ersten Blick sah es ganz gut aus. Aber wie sagt man so schön? Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!  Nicht, dass er etwas an der Arbeit Morinaga´s auszusetzen hätte! Doch die Zeit war zu kostbar. Apropos Morinaga langsam konnte er hier aufkreuzen. Gestern Abend verkündete er Soichi, er komme heute später zur Uni. Einfach so, ohne weitere Erklärungen. Gegen seine übliche Angewohnheit Einzelheiten aus seinem Kohai herauszupressen, nahm Soichi es kommentarlos hin. Was sollte er auch noch sagen? Morinaga tat ja doch was er wollte. Nachdem er die Kulturen untersucht hatte, zu seiner Freude war alles einwandfrei, fand Tatsumi er habe eine kleine Belohnung verdient. „Zeit für eine Zigarettenpause!“, freute er sich wie ein Kind. Entspannt schlenderte aus dem Raum. Noch auf den letzten Metern, die große Flügeltür in Richtung Innenhof im Auge, kramte er nach der Schachtel in seiner Tasche. Es schien, dass er nicht der einzige war, der eine Pause einlegte. Einige Studenten saßen auf dem Rasen, andere auf den Bänken oder standen in kleinen Gruppen zusammen. Der Wind trug ihre Stimmen zu Soichi hinüber. Da Tatsumi keinen Wert auf Gesellschaft legte, suchte er sich ein abgelegenes Plätzchen, um in aller  Ruhe zu rauchen. Mit einer Kippe zwischen den Lippen suchte er das Feuerzeug. „Nein! Kann doch nicht…! Wo ist das blöde Ding!?“ Er hatte es doch vor einer Minute im Labor noch gehabt! Hinter ihm nährten sich Schritte. Wäre Soichi nicht so mit seiner vergeblichen Suche beschäftigt gewesen, hätte er sie gehört. Es ertönte das signifikante Klicken eines Feuerzeuges. „Feuer gefällig?“

 

Im Krankenhaus herrschte beschäftigtes Treiben. Ungeduldig saß Tetsuhiro Morinaga auf einen der unzähligen Besucherstühle und wartete. Ausgerechnet heute war besonders viel los. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Vor Nervosität wippte er mit seinem rechten Fuß auf und ab. Er hoffte seine Befürchtungen würden sich in wenigen Minuten zerstreuen. „Senpai wartet bestimmt schon! Mann! Ich wollte schon längst wieder weg sein! Vielleicht schreib ich besser eine SMS.“ Bevor er sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, rief ihn die Schwester auf. Der Arzt, der  Morinaga empfing war der Gleiche wie bei seinen vorherigen Besuchen. Freundlich wurde Morinaga aufgefordert Platz zu nehmen. „Ich habe die Ergebnisse der letzten Blutuntersuchungen. Die Kreatininwerte sind etwas erhöht. Die Ultraschalluntersuchung zeigt kleine Anomalien auf. Ich hoffe die Medikamente haben Sie regelmäßig eingenommen?“ Anscheinend erwartete er eine Antwort, denn er sah Morinaga fragend an. „Ja, natürlich. Aber…Ist es schlimmer geworden? Sie sagten doch die Medikamente würden helfen!?“ Tetsuhiro´s Stimme war vor Aufregung heiser geworden. Der Mediziner sah seinen Patienten streng an. „Ich sagte wir hätten gute Chancen. Leider sprechen die neusten Ergebnisse eine andere Sprache. Hätten Sie die letzten Termine wahrgenommen wüssten Sie es bereits.“ Tadelnd betrachtete der Arzt den Patienten, seufzte dann verstohlen. Er hatte befürchtet, dass der junge Mann seine Situation nicht ernst zu nehmen schien. Als er sah, wie blass sein Gegenüber bei den Worten geworden war, sprach er im milderen Ton weiter. „Ich möchte Ihnen keine Angst machen, aber um Gewissheit zu haben sind weitere Untersuchungen notwendig! Ja, es stimmt in einem frühen Stadium ist der Einsatz von Medikamenten ausreichend. Doch wir sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen.“ Bekräftigend klopfte er auf die Akte vor sich. „Nicht zu vergessen, dass die Nebenwirkungen der Arzneien eine große Belastung für den Körper sind.“ Während der Erklärungen des Arztes fixierte Morinaga einen Punkt an der Wand hinter ihm. In seinem Magen bildete sich ein kalter Knoten. „Wenn sich Ihr Zustand verschlechtert, muss ich Sie aufnehmen, das ist Ihnen hoffentlich klar.“ Ein prüfender Blick traf den Studenten. „Ja. Ich glaube es ist besser Sie eine Weile hier zu behalten.“ Noch beim Sprechen griff er nach einem Aufnahmeformular. Tetsuhiro riss sich endlich von der Wand los und schaute seinen Arzt direkt an. „Nein, nein. Das ist nicht nötig. Mir geht’s gut.“ Schon allein der Gedanke erneut im Krankenhaus bleiben zu müssen, war der blanke Horror. Das letzte Mal war mehr als genug gewesen. Musste er doch dafür extra sein Date absagen. Außerdem wartete eine Menge Arbeit in der Uni. Den Gedanken von seinen Beschwerden zu erzählen, verwarf er sofort wieder. Zu seinem Glück lenkte der Doktor wiederwillig ein. „Hm, na gut. Ich kann Sie nicht zwingen hier zu bleiben. Ich schreibe Ihnen noch ein neues Rezept aus. Bitte denken Sie daran: Ruhen Sie sich aus, vermeiden Sie Stress und keine großen Anstrengungen!! Schonen Sie sich so gut es geht! Wir rufen Sie an, wenn die Ergebnisse vorliegen. Das wäre erst mal alles. Gut. Folgen Sie mir jetzt bitte ins Behandlungszimmer.“

 

„Welch nette Überraschung dich wiederzusehen Großmaul.“ Überheblich wie eh und je stand Taro Lederjacke Tomoya vor dem überraschten Soichi Tatsumi. „Oh, hat dir wohl die Sprache verschlagen was? Ich hoffe du hast viel Spaß mit dem liebenswerten Professor Mitzuko!“ Die Worte strotzten nur so vor Schadenfreude. Sprachlos stand Soichi da. Die Lust auf eine Zigarette war ihm schlagartig vergangen. Taro sprach weiter: „Du solltest dich glücklich schätzen, dass du so glimpflich davon gekommen bist. Wenn es nach mir gegangen wäre, wärst du im hohen Bogen geflogen.“ Taro grinste hämisch und verschränkte die Arme. Schlagartig stieg die alte Wut in Soichi wieder auf. Da, keine zwei Meter von ihm entfernt stand die Person, der er alles zu verdanken hatte!! Er konnte sich kaum beherrschen. Vorsichthalber wich er einen Schritt zurück. Die Warnung des Direktors hatte er nicht vergessen. Wie konnte er auch? Wenn es eins gab, was Tatsumi nicht wollte, dann war es von der Uni zu fliegen. Trotzdem brannte die Schmach der Demütigung noch genau so frisch wie damals. „Der Professor scheint dich besonders ins Herz geschlossen zu haben. Es ist eine wahre Freude zu sehen, wie er sich um dich kümmert. Du glaubst gar nicht wie viel Spaß es macht dabei zu zusehen. Schon allein wegen dem hier!!“ Er zeigte auf seinen offenen Mund mit der hässlichen Zahnlücke. Tomoya´s Augen verengten sich zu Schlitzen. Die Sache lief nicht wie gedacht! Sein Ziel war es gewesen Soichi Tatsumi zu provozieren. Wenn er ehrlich war, war die Sache für ihn schon abgeschlossen gewesen. Doch dann sah er den Langhaarigen nach draußen gehen. Ein kleines Teufelchen in ihm sorgte dafür, dass er nun hier war. Leider reagierte der Blonde nicht auf die Sticheleien. Schade, eine ausgiebige Prügelei wäre im Moment  genau nach seinem Geschmack. Taro ahnte ja nicht, wie nah Soichi dran war auf den Rocker loszugehen. Er stellte sich Taro und dessen Freunde vor, wie sie sich vor Lachen bogen. Ein Knurren drang aus Tatsumi´s Kehle. Lederjackes Grinsen breitete sich aus. Mit einer Geste des Bedauerns wandte er sich von Soichi ab. Laut genug, damit sein Gegner es hörten konnte, sagte er mitleidig: „Nun, ich schätze dir gefällt die Aufmerksamkeit des Professors. Ist wohl genau dein Typ…“ Der Hieb saß. Kein Herzschlag verstrich, dann stürzte sich Tatsumi von hinten auf Taro. Weil dieser mit dem Angriff gerechnet hatte, konnte er den Angriff abwehren. Er packte den Senpai am Kragen, schleuderte ihn grob zu Boden. Soichi blieb kurz die Luft weg. Erfolgreich wich er dem kommenden Fußtritt aus, rollte zur Seite und kam wieder auf die Füße. Taro war von seiner Wendigkeit überrascht. Soichi verpasste seinem Kontrahenten einen gezielten Faustschlag in den Magen. Lederjacke seinerseits erwischte ihn am Kopf. Ein guter Treffer! Tatsumi´s Kopf dröhnte, die Sinne schwanden. Tomoya nutzte die Gelegenheit ihn an die Wand zu schleudern. Triumphierend hob er seine Faust. „Das war’s für dich!!“ Schon fuhr die Faust hinab, um den Blonden den Rest zu geben. In letzter Sekunde stoppte sie im Flug. Eine Hand hielt sie fest umklammert.

 

„Taro, Senpai!! Seit ihr verrückt geworden!! Hört auf!!!!“  Die Streithähne sahen in das Gesicht Morinaga´s, der den Schlag vereitelte. „Tetsuhiro??“ Lederjacke sah in sprachlos an. Schnell fasste er sich. „Tetsuhiro, lass mich los!! Der Kerl bekommt nur was er verdient!! Verschwinde!“ Mit einem Ruck befreite er sich von Morinaga´s Griff. Morinaga dachte nicht im Traum daran zu verschwinden. Mit seinem Körper schirmte er Soichi ab. „Taro, lass los!!“, beschwor der dunkelhaarige Student den Rocker erneut. Doch in seinem Rausch hörte Tomoya nicht auf den flehenden Ton seines Freundes. Mit einer rüden Bewegung stieß er Morinaga weg. Der hatte mit dieser Reaktion nicht gerechnet. Unsanft landete er auf dem Boden. Taro kümmerte sich nicht weiter den Jüngeren, sondern widmete sich wieder Tatsumi. Begrüßt wurde er von einem Fausthieb Soichi´s. Diesmal ins Gesicht. Vor Schmerz schrie er brüllend auf. Überrumpelt taumelte er rückwärts, ging in die Knie. Vielleicht hätte Taro Tomoya sich zurückgezogen, wenn sich nicht sein Kumpel Shingo eingeschaltet hätte, denn plötzlich waren sie nicht mehr allein. Shingo und zwei andere Lederjackenfans stürmten um die Ecke. Anscheinend hörten sie den Schrei ihres Kameraden. Sprachlos glotzten sie auf die Szene vor ihnen. Erst ein Kommando Taro´s riss die Gruppe aus der Starre. „WAS GLOTZT IHR SO!! HELFT MIR LIEBER!!“ Die zwei Namenlosen bauten sich vor Soichi auf, Shingo half Taro auf die Beine. „Alles klar?“, fragte Shingo besorgt. Taro schubste ihn barsch weg. Mit hasserfüllten Augen ging er auf Soichi zu, der zu Tomoya’s Verdruss aufrecht stand. Der Kerl war zäher, als gedacht! „SCHNAPPT IHN EUCH!!!“ Mit einem teuflischen Lachen ging er erneut auf den Studenten zu. Soichi war nun mit vier Gegnern konfrontiert. Sein Blick wanderte zu den immer noch am Boden liegenden Morinaga. Die Wut verlieh ihm neue Kraft. Die beiden Namenlosen konnte er schnell mit ein paar Schlägen ausschalten. Jammernd gingen sie zu Boden. Bei Shingo und Taro sah die Sache allerdings anders aus! Wenn nicht ein Wunder geschah…Und das Wunder, wenn man es so nennen wollte, geschah. Eine Gruppe von fünf jungen Männern, die alle etwas heruntergekommen aussahen, bemerkte die Auseinandersetzung. Später erinnerte sich Soichi, dass einer davon der Verrückte gewesen war, der die Essensschlacht angezettelt hatte. Einer von ihnen rief: „WOW! EINE PRÜGELEI! KOMMT JUNGS WIR MISCHEN MIT!!“

 

Begeistert mischten sie Taro und seine Jungs auf. Während die Chaoten Shingo und Co. in Schach hielten, kümmerte Taro sich wieder um Soichi. Lederjacke passte es anscheinend nicht, dass die Gruppe sich einmischte. Mit verkniffenem Gesicht stand er vor Tatsumi. „Wir regeln die Sache hier und jetzt. Ich mach dich fertig!!“  Mit einem Schrei stürzte er auf den Blonden. „Mein Gott! Er ist verrückt geworden!“, konnte der Blonde nur noch denken. Geschickt wich er zur Seite aus und stellte dem Angreifer ein Bein. Nicht gerade ehrenhaft, aber er konnte nicht zimperlich sein. Tomoya stürzte der Länge nach hin. Stand aber sofort wieder auf, spurtete schnell auf seinen Gegner zu und riss ihn zu Boden. Zwei kräftige Tritte setzten ihn für kurze Zeit außer Gefecht. Schwer atmend stand Tomoya über Soichi. Ein diabolisches Grinsen zierte seine Lippen. Jetzt gab er ihm den Rest! Tatsumi blickte benommen zu dem Mann auf. Dieser zückte ein Butterfly-Messer. Plötzlich jedoch weiteten sich die dunklen Augen des Rockers. „LASS IHN IN RUHE!“ Morinaga warf sich regelrecht auf Taro, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. „WAS ZUM TEUFEL….!“ Taro versuchte Tetsuhiro abzuschütteln, doch der ließ nicht locker. Um ihn doch noch loszuwerden, holte er Schwung und verpasste ihn einen harten Schlag. Tetsuhiro stolperte rückwärts. Hart knallte er auf den Boden auf. Zottelkopf, der sein Messer im Kampf verlor sah sich verärgert danach um. Schnell hatte er es ausgemacht und beugte sich nun um es aufzuheben. Bemerkte aber aus dem Augenwinkel einen Schatten kommen, reagierte aber zu spät. Soichi´s Attacke beförderte ihn an die graue Außenwand. Die Hand, welche das Messer hielt wurde gegen die Wand geschlagen, bis er es mit einem klirren zu Boden fiel. Taro schrie vor auf. Mit beiden Händen hielt Soichi Taro Tomoya am Kragen seiner Jacke fest und presste ihn gegen die Wand. „DU SCHEISSKERL!!“, schrie er wütend. Beide konnten kaum mehr atmen. Doch eine Stimme in seinem Rücken rief ihn zur Räson. „Senpai. Es reicht. Lass ihn los.“ Morinaga´s Stimme war ruhig, anscheinend hatte er keine Angst, dass Tomoya noch etwas unternahm. Tatsächlich lehnte der Rocker schlaff an der Wand. Anscheinend gab er auf. Mit einem Schnauben stieß Soichi seinen Widersacher von sich weg. „Verschwinde!“, schnaufte er. Tomoya schaute kurz über Soichi´s Schulter hinweg, dann steckte er das Messer ein. Mit einem „Shingo! Jungs! Wir gehen!“ humpelte er weg. Seine Kumpane folgten verwirrt. Sie waren dermaßen mit ihren eigenen Kämpfen beschäftigt gewesen, dass sie nicht mitbekommen hatte, dass ihr Chef den Kürzeren zog. Die Studenten, die Morinaga und Soichi unverhofft zur Hilfe gekommen waren, grölten und pfiffen. Wie es aussah hatten sie einen Mordsspaß gehabt. Aber mit dem Ende der Prügelei setzten ihre Gehirne auch wieder ein. „Wir sollten machen, dass wir wegkommen!“, sprach ihr Anführer. Ehe man sich’s versah, gingen sie von dannen. Tatsumi ging zu seinem Kohai, der noch immer auf der Erde saß. Beide schauten sich an. Morinaga schüttelte den Kopf. „Senpai…ich kann dich auch keine…Sekunde aus den Augen…lassen…“, meinte er mit einem schwachen Lächeln, dann verlor er das Bewusstsein.

 

Ende Kapitel 11

Diagnose

„Morinaga! Hey Morinaga! Wach auf!!!“ Soichi kniete neben dem Bewusstlosen am Boden. Erst schwach, dann immer nachdrücklicher rüttelte er an den Schultern des jungen Mannes. Panik stieg auf. Tetsuhiro rührte sich nicht. „DAS IST NICHT LUSTIG. HEY! MORINAGA!!“, mittlerweile schrie Soichi so laut, dass einige Leute näher kamen und gafften. Nochmals versuchte er Morinaga aufzuwecken. Und tatsächlich öffnete Tetsuhiro langsam seine Augen. „Senpai,…?“, flüsterte er tonlos. Doch dann verdrehten sich seine Augen bis nur noch das Weiße zu sehen war. „Ein Krankenwagen! Schnell!“, rief jemand aus der Menge, die sich inzwischen bildete. Tatsumi hielt Tetsuhiro im Arm und konnte nicht glauben, was hier abging. Sein Kopf war wie leergefegt. Er hörte eine Stimme, die in aufgeregtem Ton wahrscheinlich einen Notarzt rief. Er hörte sie zwar, konnte aber den Sinn der Worte nicht erfassen. Seine ganze Aufmerksamkeit galt seinem Kohai, der schlaff und mit kreideweißem Gesicht vor ihm lag. „Ein Arzt ist unterwegs!!“ wurde in die Runde geworfen. „Ausn Weg! Mach Platz!“, schnauzte plötzlich eine autoritäre Stimme aus einiger Entfernung. Die Studenten stoben auseinander um dem Besitzer Platz zu machen. Ein Mann in den mittleren Jahren kniete sich neben Soichi und Morinaga. Der Neuankömmling trug einen Overall und schwere Arbeitsstiefel. Soichi hatte ihn noch nie gesehen. „Was is passiert?“, wollte er von dem völlig überforderten Tatsumi wissen. Dieser konnte nur den Kopf schütteln. „Ich…ich weiß nicht…er ist einfach umgekippt…?“, stammelte er. „Einfach so, wat?? Wer´s glaubt! Hat doch wohl kene Überdosis??“ Noch während er es sagte, beugte er sich zu Morinaga. Mit der flachen Hand schlug er ihn mehrmals auf die Wange. „Hallo Junge! Kannste mich hören?? Hallo??“ Tetsuhiro zeigte jedoch keine Reaktion. Soichi´s Hilflosigkeit verwandelte sich in Zorn. Er stieß den Helfer roh zur Seite, packte den Bewusstlosen am Kragen seiner Jacke und schüttelte ich kräftig durch. „MACH KEINEN SCHEIß! KOMM SCHON WACH AUF DU BLÖDER IDIOT!!“ Vor Verzweiflung traten ihm Tränen in die Augen. „Aber Junge, lass dat! Hör uff!!“ Der Overall-Träger versuchte ihn von Morinaga fortzureißen, aber Soichi stieß ich weg und verpasste Tetsuhiro eine kräftige Ohrfeige, in der Hoffnung diese würde ihn aufwecken. Jetzt griffen einige der anderen Studenten, die bis dato die Szene beobachteten, ein.
 

Sie mussten Soichi regelrecht von seinem „Opfer“ wegzerren. In der Ferne ertönte bereits die Sirene des Notarztes. Schnell kam der Ton näher. Türen wurden zugeschlagen. „AUS DEN WEG BITTE! TRETEN SIE ZURÜCK!“, wurde die Menge aufgefordert. Zwei Sanitäter ließen sich neben dem Bewusstlosen mit ihrer Ausrüstung nieder. Genau wie der Mann vorher, versuchten auch die Sanitäter mit dem Verletzten zu kommunizieren. „Können Sie mich hören? Keine Reaktion!“ Vorsichtig leuchte der Helfer mit einer kleinen Lampe in die Augen Morinaga´s. „Pupillen reagieren nicht. Atmung flach, der Puls….schwach!“ Während er sprach, reichte der zweite Sani ihm eine Spritze mit einer klaren Flüssigkeit. Soichi war zum Zuschauer degradiert worden. Seine Aufpasser, die ihn noch umklammert hielten, gaben ihn frei, als er sich nicht mehr rührte. Er stand nur da, mit kraftlos herabhängenden Armen und sah wie die Sanitäter an seinem Kohai herum hantierten und ihn schließlich auf eine Trage Richtung Krankenwagen schoben. Soichi erwachte aus seiner Starre. Schnell lief er neben der der Trage her. „Warten Sie, wo…wo bringen Sie ihn hin??“, fragte Tatsumi die Ärzte. „Nakamura Hospital in der Innenstadt.“ Die Gedanken des Blonden überschlugen sich. Bevor er wusste, was er sagte hörte er sich schon fragen: „Kann ich mitfahren?“ Der Größere der Sanitäter sah kurz zu seinem Kollegen. Der zuckte mit der Schulter. „Hm, meinetwegen! Aber beeilen Sie sich!!“, sprach er und bedeutete dem anderen, die Türen des Wagens zu öffnen. In Windeseile verfrachteten sie die Trage mit dem Verletzten im hinteren Teil des Krankenwagens. Eine Kopfbewegung des Nothelfers bedeutete Soichi hinten einzusteigen. Doch bevor er sich in Bewegung setzen konnte, legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter und wirbelte ihn herum. „Sie bleiben schön hier, Tatsumi!! Ich verlange eine Erklärung!!“, brüllte Professor Mitzuko aufgebracht. Seine Hand, die noch auf der Schulter des jungen Mannes liegend war wie ein Bleigewicht, das Soichi zu erdrücken drohte. Ungeduldig klopfte einer der Nothelfer hinter ihm auf das Dach des Wagens. „Wir müssen los!“, drängelte er. Tatsumi nickte und wandte sich von Mitzuko ab. Doch der gab nicht so schnell auf. Erneut hielt er den Studenten auf. „So geht das nicht! Ich befehle Ihnen hier zu bleiben!“, donnerte der Professor. Soichi dachte nicht daran diesem Kerl zu gehorchen. In seinem Kopf war nur Platz für einen Gedanken: zu wissen was mit Morinaga ist!! „Verzieh dich!!“, zischte er und schubste den Lehrer zur Seite. Professor Widerling staunte nicht schlecht. Er war es nicht gewohnt, dass jemand so respektlos mit ihm sprach. Sein Gesicht lief rot an. „WENN SIE JETZT GEHEN, DANN…DANN WIRD DAS KONSEQUENZEN HABEN!!!“ kreischte er. Soichi aber hörten schon gar nicht mehr hin. Er saß bereits im Krankenwagen. Mit Blaulicht fuhren sie davon.
 

Das Hospital war ein großer Komplex, der wenn man ihn von der Luft aus betrachtet, wie ein Hufeisen aussah. Dazu kamen noch mehrere kleinere Nebengebäude, die sich darum schlängelten. Es war das größte Krankenhaus in der näheren Umgebung. Nach knapp 20 Minuten erreichte der Wagen sein Ziel. Mit quietschenden Reifen kam er zum Stehen. Krachend flog die Tür der Notaufnahme auf, als die Trage mit Morinaga hineingeschoben wurde. Eine Gruppe Ärzte wartete bereits auf die Ankömmlinge. Sofort scharten sie sich um den Kranken. Soichi blieb in der Tür stehen. Die Fachbegriffe, mit denen um sich geworfen worden sagten ihm nichts. „Zustand soweit stabil. Er bekam 50 ml Kochsalzlösung und Atropin….“, drangen die Wort des Sanitäters zu ihm hinüber. Ein großer grauhaariger Mann um die 50 Jahre nickte zufrieden. „Gut! Schnell bringen Sie ihn in den Behandlungsraum 4!“, befahl der Arzt, der sich schon wieder in Bewegung gesetzt hatte. Die Sanitäter bewegten die Trage weiter den Flur entlang. Soichi folgte mit etwas Abstand. Sein Blick war auf die Trage mit dem bewusstlosen Morinaga geheftet. Unwillkürlich streckte er einen Arm aus. Die Kolonne passierte eine riesige Flügeltür. Plötzlich wurde Soichi gestoppt. Eine Krankenschwester versperrte ihm den Weg. „Tut mir Leid. Hier dürfen Sie nicht rein!“ Dabei zeigte Sie auf das Schild, welches an der Tür hing. „ZUTRITT NUR FÜR PERSONAL!!“ stand dort in großen, schwarzen Buchstaben. „Aber…aber mein Freund…er ist da drin!“ Soichi wollte sich prompt an der Schwester vorbei drängeln. Diese ließ sich das aber nicht so leicht gefallen. Sie stieß dem jungen Mann ihren Zeigefinger auf die Brust und drängte Soichi so einige Schritte zurück in den Flur. „Setzen und warten! Wir werden Sie informieren, wenn es Neuigkeiten gibt!!!“ Die Frau dirigierte Tatsumi zu einen der Besucherstühle, auf dem keine 2 Stunden zuvor Tetsuhiro gesessen hatte. Mit wackligen Knien nahm er Platz. Die Schwester nickte zufrieden und stakste davon. Soichi vergrub seine Hände in den Haaren. Seine Gedanken rasten. Wie konnte das nur passieren?? Hatte Morinaga bei der Prügelei so viel abbekommen? Nein? Oder? Nein! Ihm ging es ja schon lange schlecht. Sein Kohai versuchte zwar zu verbergen, wenn es ihm nicht gut ging aber Soichi hatte es doch bemerkt. „Ich Idiot!“, flüsterte er zu sich selbst. Er machte sich große Vorwürfe! Er hätte doch einen Krankenwagen rufen sollen, damals in der Nacht im Badezimmer. Oder öfter nachfragen sollen, wie es Morinaga geht, sich nicht bequatschen lassen! Oder, oder…. Jetzt war es zu spät. Doch ein klitzekleiner Funken Hoffnung blieb, dass sein Kohai jeden Moment mit verlegenden Grinsen zu ihm treten würde. Minuten verstrichen. Ein Schatten fiel auf den Sitzenden. Der Student hob seinen Kopf. Eine junge Krankenschwester, zum Glück nicht die Gleiche wie vorhin, stand vor ihm. Sofort sprang er auf. „Was? Was ist mit Morinaga? Wie geht es ihm?“, bestürmte er die Frau. Das junge Mädchen sah sich hilfesuchend um, doch zu ihrem Verdruss war keine ihrer Kollegeninnen zu sehen. „Äh, tut mir leid. Ich kann Ihnen noch nichts Neues sagen. Ähm, könnten Sie das hier ausfüllen?“ Sie reichte Soichi ein Klemmbrett mit einem Formular. „Ja. Aber…ich…“, stammelte er. Doch die Schwester war schon weg. Erschöpft ließ er sich zurück auf den Stuhl sinken.
 

Drei Stunde später tigerte Soichi Tatsumi den Flur auf und ab. Wie lange wollten die ihn noch warten lassen! Das Klemmbrett mit dem Formular lag auf dem Stuhl. Es war fast leer. Nach einem kurzen Blick stellte Soichi fest, dass er nicht einmal die Hälfte der Angaben ausfüllen konnte. Verdammt! Er kannte ja nicht einmal die Blutgruppe seines Kohais!! Der Student blieb abrupt stehen. Jetzt reicht’s!!! Zielstrebig marschierte er zum Informationsschalter der Station. „Hey Sie!! Ich will wissen was los ist!!!“ Die Schwester hinter dem Tresen blickte von ihrem Computer auf. Sie runzelte die Stirn. Mit kühler Stimme fragte sie: „Entschuldigung? Was möchten Sie??“ Soichi knirschte mit den Zähnen. Diese blöde Kuh! Er bemühte sich um einen ruhigeren Ton. „Ich will wissen was mit Tetsuhiro Morinaga ist!! Ich warte schon seit fast drei Stunden!!!“ Die Krankenschwester ließ sich nicht beeindrucken. „Tut mir leid, ich kann Ihnen keine Auskunft geben. Bitte nehmen Sie Platz oder ich…Ah! Doktor Tonno kommen Sie bitte!!“ Schritte ertönten hinter Soichi. Ein Mann im Arztkittel kam eilig herbei. „Doktor, diese Herr möchte wissen, wie es dem Patienten Morinaga geht.“ Dr. Tonno, der ältere Arzt von vorhin, dankte der Schwester und nahm Soichi zur Seite. „Sie sind sicher Soichi Tatsumi. Hören Sie! Ihrem Freund geht es den Umständen entsprechend gut. Wir konnten ihn stabilisieren. Er braucht viel Ruhe.“ Er machte eine Pause, um die Information sacken zu lassen. „Ja, aber…was ist denn…passiert?“, wollte der junge Mann endlich wissen. Der Arzt seufzte tief. „Um es kurz zu sagen, leidet ihr Freund unter chronischen Organversagen der Nieren. Im einen frühen Stadium, ist das Problem eigentlich mit dem Einsatz von Medikamenten zu beheben. Aber leider hat sich der Zustand verschlechtert. Mhm….dabei habe ich ihm ausdrücklich gemahnt, bei Beschwerden sofort in Krankenhaus zu kommen!!!“ Soichi hörte die Worte des Mediziners, konnte aber nicht wirklich fassen was er da hörte. „Wie Organversagen? Nieren? Aber, aber so etwas passiert doch nicht von heute auf morgen?? Und woher kennen Sie ihn? Ich, ich versteh nicht??“ Hilflos und verwirrt blickte er den Arzt an. „Nein, natürlich geht das nicht von heute auf morgen. Wissen Sie, der junge Mann ist schon seit zwei, drei Monaten mein Patient. Ein Kollege hat ihn zu mir überwiesen. Wir machten ein paar Standardtests. Aber bei der Auswertung der Ergebnisse fielen Unstimmigkeiten auf. Also führten wir weitere Untersuchungen durch…“ Der Arzt redete und redete. In Soichi´s Kopf wirbelten die Gedanken umher. Zwei Monate? Die Sache lief schon seit über zwei Monaten?? Fieberhaft dachte er nach. War ihm irgendetwas aufgefallen?? Mögliche Anzeichen einer Erkrankung? Nein!! Soichi wusste es einfach nicht. Zu sehr war er mit seiner Arbeit beschäftigt gewesen. Oder? Ihm fielen die letzten zwei Wochen ein, in denen Tetsuhiro schwächelte. „Aber es muss doch Anzeichen gegeben haben!“, schrie er sein Gegenüber an. Dieser hob beschwichtigend seine Hände. „Sie haben Recht! Symptome für ein aufkommendes Nierenversagen sind vielseitig. Schwindel, Verwirrtheit, Erbrechen, Müdigkeit und und und. Ein Wunder, dass er so lange durchgehalten hat. Ich mache mir Vorwürfe. Ich hätte ihn heute Morgen doch aufnehmen sollen!“ Ein Summen ertönte. Dr. Tonno zog einen Pieper aus seiner Tasche. „Ich muss gehen.“ Soichi hielt ihn auf. „Warten Sie, kann…kann…ich ihn sehen??“ Der ältere Mann zögerte. Doch es sah so aus, als ob er sich einen Ruck gab. „Na schön. Aber nur kurz. Er braucht sehr viel Ruhe.“
 

Eine Schwester führte ich zu Morinaga´s Zimmer. „Aber nur fünf Minute!“, mahnte sie mit erhobenem Zeigefinger bevor sie davon ging. Tatsumi blieb allein zurück. Einige Sekunden starrte er gegen die Zimmertür. Nach einem tiefen Atemzug drückte er die Klinke hinunter. Das Zimmer war ein typisches Krankenhauszimmer. Alles war weiß. Der Boden, die Wände sogar die Vorhänge an den Fenstern. Neben einem Schrank gab es eine kleine Sitzgruppe mit Tisch und Stühlen. Eine zweite Tür führte ins Badezimmer. Tetsuhiro lag in dem Bett, das am Fenster stand. Das zweite Bett war leer. Er schlief. In seiner linken Hand steckte eine Kanüle, die zu einem Tropf führte. Rechts vom Bett stand ein Monitor, der die Körperfunktionen überwachte. Soichi trat leise näher. Am Fußende des Krankenbettes blieb er stehen. Tetsuhiro´s Gesicht war schneeweiß. Der Monitor gab leise Piep-Töne von sich. Soichi schluckte. Es war schwer seinen Kohai so zu sehen. Gestern noch war die Welt in Ordnung gewesen. Und jetzt? Trotzdem ergab alles etwas Sinn. „Ich selbstsüchtiger Idiot! Hätte ich doch nur besser aufgepasst…“ Mit hängenden Schultern klammerte er sich an das Bettgestell am Fußende. Doch dann kam sein Zorn wieder in ihm hoch. Er überbrückte die wenigen Schritte zum Kopfende. Tatsumi beugte sich zu Morinaga herunter und sprach mit zittriger Stimme: „Du Dummkopf! Werde ja wieder gesund, damit ich dir in den Hintern treten kann! Hörst du? Werde ja wieder gesund…“ Seine Stimme brach. Soichi ließ den Kopf hängen. Tränen traten in seine Augen. Plötzlich rührte sich der Verletzte. „Senpai…?? Was…ist…passiert??“ Soichi´s Kopf ruckte hoch. Tetsuhiro guckte seinen Senpai aus müden Augen an. Er schien anscheinend nicht zu wissen wo er sich befand, denn sein Blick irrte unruhig im Raum umher. „Wo…bin...ich??“, stammelte er verwirrte.
 

Ende Kapitel 13

Du schon wieder???

„Wo…bin...ich??“, stammelte Morinaga verwirrt. Mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte er sich aufzurichten. „Hey ganz ruhig, bleib liegen!“ Soichi drückte ihn vorsichtig zurück in die Kissen. Doch Tetsuhiro sträubte sich dagegen. Unerwartet fing der Monitor an, Geräusche von sich zu geben, rote und grüne Lämpchen blinkten im schnellen Rhythmus auf. Der Kranke verzog das Gesicht und begann nach Luft zu schnappen. „Scheiße! Morinaga!“ Soichi beugte sich zu seinem Kohai hinunter, versuchte ihn zu beruhigen. Sekunden später wurde die Tür krachend aufgerissen. Doktor Tonno und eine Schwester stürzten hinein. Die Frau bedachte Soichi mit einem vernichtenden Blick. „Sie sind ja immer noch da! Was haben Sie gemacht?? Fünf Minuten sagte ich!!“ Rüde drängte sie den Studenten vom Bett weg. „Ganz ruhig! Es ist alles in Ordnung! Sie sind im Nakamura Hospital. Ich bin es, Dr. Tonno! Erinnern Sie sich nicht? Sie sind bei mir in Behandlung!“ Ruhig und sachlich klang die Stimme Dr. Tonno´s. Morinaga sah zwischen der Schwester und dem Mediziner hin und her. Dann schüttelte er energisch den Kopf. „Ich…nein…ich möchte lieber gehen…ich….“ Ein zweites Mal unternahm er den verzweifelten Versuch aufzustehen. „Schön liegen bleiben!“, befahl die Schwester im scharfen Ton. Mit vor Anstrengung rotem Gesicht versuchte sie Morinaga in eine liegende Position zu verfrachten. Doch dieser ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Verzweifelt wehrte er sich gegen den Arzt und seine Helferin. „2 ml Morphium!“, befahl der Arzt schließlich. Er war sichtlich aus der Puste. „Schnell halten Sie ihn fest!“, blaffte die Frau Soichi an. Wie in Trance trat er näher. „Machen Sie schon! Bevor er sich verletzt.“ Die Worte rissen Tatsumi aus einer Benommenheit. Schnell nahm er den Platz der Krankenschwester, die eilig den Raum verließ, ein. „Nein! Senpai…bitte! Lass mich nicht hier!!...Bitte…Senpai..!“ Tetsuhiro standen Tränen in den Augen, als er zu seinem Freund hinaufschaute. Er flehte, nein bettelte ihn regelrecht an! Soichi´s Hals schnürte sich zu. So hatte er seinen Assistenten noch nie gesehen! Langsam verließen Morinaga die Kräfte. Trippelnde Schritte kündigten die zurückkehrende Schwester an. „Doktor hier!“ Außer Atem reichte sie Dr. Tonno eine Spritze. Der großgewachsene Mann zog die Kappe ab, spritzte ein kleines bisschen der klaren Flüssigkeit hinaus und rammte die Nadel in die Kanüle im Handrücken Tetsuhiro´s.
 

Sobald das Medikament in den Blutkreislauf gelangte, wurden die Bewegungen des Patienten langsamer, bis sie gänzlich aufhörten. Morinaga´s Lieder wurden schwer und klappten zu. Seine Atmung normalisierte sich wieder. „Sie können loslassen. Er wird nun eine Weile schlafen.“ Soichi´s Kopf ruckte in die Richtung des Arztes. Dann schaute er wieder zum schlafenden Morinaga. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er ihn immer noch umklammert hielt. Der Blonde schluckte. Sein Herz raste wie verrückt. Dr. Tonno schien zu spüren, dass er mit der Situation überfordert war. Er trat zu ihm und legte freundlich die Hand auf die Schulter. „Kommen Sie. Es ist in Ordnung. Solche Reaktionen sind nichts Ungewöhnliches.“ Der Arzt führte Tatsumi zur Tür. Soichi ging nur widerwillig mit. „Keine Sorge! Wir passen gut auf ihn auf!! Schwester Erica wird stündlich nach ihm sehen! Nicht war Schwester?“ Anscheinend wusste sie, was von ihr erwartet wurde, denn sie nickte mit ernstem Gesicht und setzte sich auf einen Stuhl vor das Bett. „Ja, aber ich…“, wollte Soichi wiedersprechen, ihm sagen, dass er auf keinen Fall gehen konnte. Doch der andere Mann schnitt ihm das Wort ab. „Kein „aber“. Sie können heute nichts mehr tun. Gehen Sie nach Hause!“ Resolut scheuchte er den jungen Mann aus dem Zimmer. Im Flur seufzte Dr. Tonno und sah Soichi, der noch immer keine Anstalten machte zu verschwinden, an. „Wenn Sie etwas tun wollen, Herr Tatsumi, bringen Sie morgen ein paar Sachen mit. Wir benötigen noch einige Papiere und es wäre schön, wenn Sie einige Kleidungstücke für ihren Freund mitherbringen könnten. Die Schwester am Empfang wird Ihnen mitteile, was benötigt wird. Sie wohnen doch noch zusammen, oder?“ Geistesabwesend nickte der Angesprochene. Dann stutzte er. „Woher wissen Sie, dass wir zusammen wohnen?“ Außerdem fiel Soichi ein, dass der Arzt ihn schon mit seinem Namen angesprochen hatte, bevor er ihn genannt hatte! Einen Moment war es ruhig. Dann räusperte sich der Mediziner. „Hhm? Wissen Sie denn nicht, dass sie als Notfallkontakt angegeben sind? Es ist bei uns üblich, dass die Patienten einen Ansprechpartner für den Notfall angeben. Beim Durchgehen der Papiere ist mir aufgefallen, dass Ihre Adressen identisch sind.“ Er zuckte mit den Schultern. Tatsumi´s Gedanken fuhren Achterbahn. Er als Notfallkontakt? Der Doktor sprach derweil weiter. „Eigentlich erwartete ich, dass er die Adresse seiner Eltern oder anderer Verwandte angeben würde. Doch das lehnte er kategorisch ab! Ich dachte mir nichts dabei. Nun ja, ich habe nicht erwartet, dass sich der Zustand so verschlechtern würde!“ Es summte aus der Tasche des Arztes. „Ich muss gehen. Die Visite.“ Zum Abschied nickte er nochmals freundlich. Kurz darauf war die große Gestalt des Arztes verschwunden.
 

Soichi blieb allein zurück, starrte auf die geschlossene Zimmertür. „Ich geh doch jetzt nicht einfach!! Ich…kann ihn…nicht allein lassen…!“ Mit entschlossenem Gesicht hob er seine Hand, um die Tür zu öffnen. Aber bevor er die Klinke hinunterdrücken konnte, riss jemand die Tür auf. Schwester Erica stand, die Hände in den Hüften gestemmt, in der Tür. Ihre korpulente Gestalt machte jedes Durchkommen unmöglich. „Sagte der Doktor nicht, Sie sollen verschwinden??“ Bevor Soichi etwas unternehmen konnte, zog sie die Tür zu. Langsam wurde der blonde Student sauer. Die kann ihn doch nicht so abspeisen! „Weg da! Ich will da rein…!“, setzte er an. Die Frau verengte ihre Augen. „Sie wollen gar nichts!!“, schnauzte sie ihn an. Erica´s Hand schnellte vor und packte das rechte Ohr Soichi’s. Mit einem schmerzhaften Ruck zog sie ihn zu sich hinunter und schleifte ihn in Richtung Empfangshalle. Die Protestlaute ihres Opfers ignorierte sie. Am Ziel angekommen, ließ sie ihn los. Das Ohr war feuerrot. „WAS SOLL DAS?? SIND SIE VERRÜCKT???“ Vorsichtig berührte er sein Ohr. Es pochte heftig. Ohne ihn zu beachten wandte sie sich an die Schwester hinter dem Tresen. „Schwester Yuki, würden Sie diesem Herrn bitte eine Liste mit den nötigen Unterlagen für den Patienten aus Zimmer 02 geben? Danke!“ Das junge Mädchen nickte und hämmerte in die Tastatur des Computers. Schwester Erica wartete einen Augenblick, dann sagte sie, ohne Soichi anzusehen: „Ich möchte Sie heute nicht mehr sehen! Der Patient muss sich ausruhen. Sie würden nur stören. Sie haben doch gesehen, wie sehr er sich aufgeregt hat. Ich wünsche noch einen schönen Tag!!“, sprachs und ging an ihm vorbei. Es war kurz vor 16:00 Uhr als Soichi das Hospital verließ. In der Hand hielt er die Liste. Diese blöden Weiber hatten ihn tatsächlich hinausgeworfen! Aus einem Krankenhaus! Nicht zu fassen! Er wiederstand der Versuchung sich umzudrehen und zurückzugehen. Vor Wut zerknüllte er das Papier in seiner Hand. „Scheiße!“ Doch die Vernunft siegte. Was sollte das bringen? Helfen konnte er Morinaga damit auch nicht. Er betrachtete den Zettel in seiner Hand, stutzte. „Oh, nein…!“, rief er verzweifelt aus. Erst jetzt merkte Soichi, dass er immer noch seinen Laborkittel trug. Seine ganzen Sachen waren noch in der Uni. Was nun? „Ich muss meine Sachen holen…“ Schließlich befand sich der Wohnungsschlüssel in seiner Tasche.
 

Erschöpft von seinem langen Fußmarsch erreichte Soichi Tatsumi sein Labor. Alles sah so aus, wie er es verlassen hatte. Neben dem Mikroskop auf dem Tisch fand er das vermisste Feuerzeug. „Verflucht!!“ Mit voller Kraft warf er das Ding auf den Boden. Es zersprang in tausend Einzelteile. Tränen stiegen in ihm auf. Ruppig wischte er sie mit dem Ärmel aus seinem Gesicht. „Ich heul doch nicht wegen dieses nichtsnutzigen …“ Die Worte blieben dem Senpai im Halse stecken. Die ganze Zeit im Krankenhaus war er relativ gefasst gewesen. Doch jetzt in der vertrauten Umgebung zitterten seine Hände und Beine wie Espenlaub. Schnell zog er einen Stuhl heran, bevor seine Beine ihn nicht mehr trugen. Am Ende seiner Kräfte lehnte er sich zurück, schloss die Augen. Wollte alles für einen Moment ausblenden. Zu seinem Leidwesen konnte er nicht lange für sich sein. Aufgeregtes Stimmengeschwirr erklang im Flur. Ein Schatten erschien vor der Tür. Die Stimmen waren jetzt deutlicher zu hören. „Ich habe ihn draußen gesehen…“ flüsterte eine Person. Es klopfte. Soichi reagierte nicht. Konnte man ihn nicht in Ruhe lassen??? Die Tür wurde geöffnet. Nicht nur eine Person, sondern ganzer Haufen quetschte sich in das Labor. „Ah! Gott sei Dank! Du bist da! Was ist mit Morinaga?? Wir hörten er sei ins Krankenhaus gekommen? Stimmt das? Sag schon…“ Sie bestürmten ihn mit Fragen über Fragen. Alle redeten durcheinander. Soichi´s Kopf dröhnte. An seiner Stirn schwoll eine Ader gefährlich an. „Nun sag schon Tatsumi-Senpai! Was….“ Soichi sprang von seiner Sitzgelegenheit auf. „SCHNAUZE ALLESAMT! RAUS!“ Die anderen glotzen ihn mit offenen Mündern an. „Ja, aber…“, versuchte der Erste, der die Worte wiederfand zu antworten, doch Soichi drängte die Studenten zur Tür, raus in den Flur. „ICH HABE KEINEN BOCK MIR ÜBER DIESEN JAMMERLAPPEN GEDANKEN ZU MACHEN!! FRAGT IM NAKAMURA NACH! UND JETZT RAUS!!“ Mit einem lauten Rumsen schloss er die Tür. Gemurmel erhob sich. Soichi hörte Worte wie: „Herzloser Idiot“, „Wie kann er nur…“ oder „Armer Tetsuhiro...“ Nach ein paar Minuten zogen sie ab. Sollten die doch denken was sie wollen! Es war ihm egal. Alles war ihm egal. Resignierend packte er seine Sachen zusammen. Zu guter Letzt zog er seinen Kittel aus und hängte ihn an den Hacken hinter der Tür. Schnell nach Hause. Aus den Augenwinkel nahm er etwas Flatterndes war und eine sehr, sehr zornige Stimme.
 

„TATSUMI!!“ Professor Mitzuko eilte auf den Blonden zu. Schweiß lief in Strömen über sein Gesicht. Er hechelte und hielt sich die Seiten. Offenbar war er zu schnell gelaufen. „Sie dachten wohl…können sich davonschleichen…“ Zu Atem gekommen musterte er Tatsumi abschätzend. Dann trat ein siegessicheres Lächeln auf seine schmalen Lippen. „Begleiten Sie mich bitte zum Dekan. Wir sind schon auf ihre Erklärung gespannt!“ Als Soichi sich nicht rührte versetzte er den jungen Mann einen Stoß. „Na wird’s bald!“ Soichi biss die Zähne zusammen um nicht die Beherrschung zu verlieren. Er hatte weiß Gott Wichtigeres zu tun, als sich das Gefasel dieser Idioten anzuhören! Aber um nicht noch tiefer in den Schlamassel zu rutschen fügte er sich. Soichi hatte gewusst, dass der Professor Rache nehmen würde. Schließlich wurde er blamiert. Aber wegen eines Schubses gleich zum Dekan? Irgendwas stimmte da nicht. Direktor Kagoja erwartete sie bereits. Die Tür war noch nicht zu, da ging es los. „Was soll ich nur mit Ihnen machen? Können Sie mir das sagen? Zum Glück unterrichtete mich der ehrenhafte Professor Mitzuko darüber. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen??“ Soichi Tatsumi hatten ein Déjà-vu. Doch dieses Mal würde er sich nicht wie ein Lamm zur Schlachtbank führen lassen! Er würde sich verteidigen, koste es was es wolle. Wenn er flog, tja, dann aber richtig. Über die Konsequenzen würde er später nachdenken. „Ich weiß nicht mal, warum ich hier bin! Könnten Sie mich bitte aufklären!“ Seine Stimme klang selbstbewusster als er sich fühlte. Mitzuko lief rot an. „Das ist ja die Höhe! Auch noch frech werden? Sie wissen nicht warum Sie hier stehen? Waren Sie es nicht, der schon wieder in eine Schlägerei verwickelt war? Gerüchten zu Folge war da was im Busch! Haben Sie mich nicht angegriffen? Hä? Hä?“ Beim Sprechen flogen Speicheltropfen durch die Luft. Angewidert drehte Soichi sich von dem Ekelpaket weg. Fieberhaft dachte er nach. Woher wusste der Professor davon? Dieser verdammte Spitzel! Der Student setzte zu einer flammenden Verteidigungsrede an, da klopfte es an der Bürotür. „Erwarten Sie noch jemanden Herr Direktor?“ Kagoja schüttelte den Kopf. „Machen Sie schon auf!“, forderte er Mitzuko ungeduldig auf. Verärgert über die Störung wurde die Tür geöffnet. „Was gibt’s??...Was denn Sie???“
 

Die Person vor der Tür drängte sich an dem älteren Mann vorbei. „Mhm? Tomoya? Was wollen Sie denn? Sehen Sie nicht, dass wir eine Besprechung haben??“ Der Dekan runzelte die Stirn über das Erscheinen des anderen Studenten. „Nein, ich denke ich bin hier genau richtig.“ Taro grinste die Männer an. Sein Blick blieb bei Soichi hängen. „Da bist du ja Kumpel!“ Gönnerhaft legte er einen Arm um Soichi. An die Männer gewandt rückte er mit der Sprache heraus. „Ich hörte, dass Sie Nachforschungen über eine angebliche Schlägerei anstellen! Doch, wenn es eine gab, haben Sie den Falschen erwischt! Tatsumi kann es nicht gewesen sein!“ Aller drei standen sprachlos da. „U-Unmöglich! Ich habe Informationen, dass…“ Mitzuko stotterte die Worte heraus. Taro blieb cool. Achselzuckend erklärte er: „Tja, ich weiß nicht von wo Sie Ihre Infos herbekommen, aber Tatsumi und ich haben den heutigen Nachmittag zusammen verbracht. Von einer Schlägerei war da nichts zu sehen.“ Mitzuko’s Bart zitterte. „Ha! Das glaube ich Ihnen nicht! Ich dachte Sie beide können sich nicht ausstehen?“ Hinterlistig funkelten die kleinen Augen des Lehrers. „Ach! Schnee von gestern! Wir haben uns ausgesprochen und sind jetzt die besten Freunde!! Nicht war Tatsumi-Chan??“ Tomoya verstärkte seinen Griff um Soichi’s Schultern. Verstohlen boxte er ihn in die Rippen. Tatsumi verstand die Welt nicht mehr. Doch er begriff, es war seine einzige Chance, aus der Sache nochmals herauszukommen. Eifrig nickte er. „Äh, ja klar…die besten Freunde.“ Kagoja schien zufrieden. „Schön zu hören Tomoya! Wie es aussieht handelt es sich um ein großes Missverständnis. Wenn das so ist, dann…“ Professor Mitzuko fiel dem Dekan ungehobelt ins Wort. „Aber ich habe Tatsumi doch erwischt! Außerdem hat er mich angegriffen!!“ Langsam schien der Mann den Spaß an der Sache zu verlieren. Sein Gesicht sprach Bände. Taro Tomoya beeindruckte das wenig. Er war um keine Ausrede verlegen. „Schon mal was von Zigarettenpause gehört? Wir haben in aller Ruhe eine gequarzt. Da war nichts! Sie sollten Tatsumi lieber danken! Er hat den Verletzen gefunden, oder? Und einen Krankenwagen gerufen! Es tut ihm sehr leid, dass er die Fassung bei Ihnen verlor Prof! Es kommt nie wieder vor, stimmst?“ Soichi war sprachlos über Taros Redeschwall. Was ging hier ab?? War das wirklich wahr? Taro rettete seine Haut? Da war bestimmt noch ein Hacken!! Aber für den Moment musste er mitspielen! Er zeigte dem Dekan sein demütigstes Gesicht. „Ich…ich…aber ich habe Informationen, die…“ Mitzuko schwitzte wie ein Schwein! Hilfesuchend wandte er sich an den Dekan. Doch Direktor Kagoja war alles andere als begeistert. „Schluss jetzt Kenji! Ich habe genug gehört! Sie sollten Ihre Informationen vorher überprüfen, bevor Sie zu mir kommen! Tomoya, Tatsumi Sie können gehen. Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten! Kenji, Sie bleiben noch einen Moment!!“ Der Getadelte schluckte. „Oje, das gibt Ärger!!“, freute sich Soichi. Sein neuer „Freund“ zog ihn schnell aus dem Büro.
 

Ihre neu entdeckte Freundschaft hielt bis zur nächsten Ecke. Kaum waren die beiden außer Hörweite des Direktorats, befreite Soichi sich aus dem Klammergriff Taros. „Was zum Geier war das???“, verlangte er zu wissen. Tomoya war wieder so arrogant wie eh und je. Keine Spur von Freundlichkeit mehr. „Ha, glaub bloß nicht, ich habe das für dich getan Großmaul! Von mir aus kannst du fliegen!“ Seine dunklen Augen sahen voller Verachtung auf Soichi hinab. Tatsumi verstand nicht. „Warum dann?“, fragte er verständnislos. Tomoya schnaubte. Es sah aus, als wolle er nicht antworten. Doch überlegte er es sich anscheinend anders, denn er blickte zu Boden und meinte: „Das habe ich für Tetsuhiro getan! Ihm scheint viel an dir zu liegen. Aber das war das erste und letzte Mal! Verstanden!“ Böse funkelte er Soichi ein letztes Mal an, bevor er an ihm vorbei stapfte und verschwand.
 

Inzwischen war die Uni nur noch spärlich besucht. Draußen wurde die Straßenbeleuchtung eingeschalte. Der Weg nach Hause erschien Soichi doppelt so lang wie sonst. Eine bleierne Müdigkeit lag auf seinen Gliedern. Die Wohnung lag im Dunkeln. Er war ein komisches Gefühl allein hier zu sein. Im Wohnzimmer setzte Tatsumi sich auf das Sofa. Er verspürte weder Hunger noch Durst. Nur ein Gedanke beherrschte seinen Geist. „Scheiße…Morinaga…du Idiot….“, flüsterte er leise. In jenen Moment blitzte der Vorfall in der Klinik vor seinem geistigen Auge auf. Morinaga hatte ihn angefleht ihn nicht dort zu lassen. Jetzt saß er hier, zu Hause. Er hätte nicht so schnell aufgeben sollen! Es wäre seine Pflicht gewesen bei ihm zu bleiben! Er war ja so ein Vollpfosten!! Etwa heißes, nasses tropfte aus Soichi´s verschränkte Hände. Ihm war nicht aufgefallen, dass er weinte. Dieses Mal machte Soichi sich nicht die Mühe, die Tränen wegzuwischen. Ungehindert benetzten sie sein Gesicht. Von Krämpfen geschüttelt gab er sich den ungewohnten Emotionen hin. Nach Ewigkeiten so schien es ihm versiegte der Tränenfluss langsam und Soichi wurde bewusst, was für eine erbärmliche Erscheinung er abgeben musste! „Ich…Idiot! Beruhigen…Ich…muss mich beruhigen!!“, schluchzte er. Ungeschickt rappelte er sich auf. In der Küche angekommen kramte er ohne Rücksicht in den Schränken herum. Alles was er zu fassen bekam landete auf den Boden. „Da seid ihr ja!!“, rief er triumphierend und riss die Packung Zigaretten auf. Genau! Er brauchte jetzt unbedingt eine Beruhigungszigarette. Doch der er erste Zug würde noch auf sich warten lassen, da seine Hände zu stark zitterten um auch nur ein Streichholz anzuzünden. „Verflucht!“ Vor Wut und Frustration schmetterte er die Streichschachtel gegen die Wand. Die kleinen Hölzchen verteilten sich im gesamten Raum. Außer Atem, mit tränenverschleierten Augen sackte Soichi auf die Knie. „Scheiße…Morinaga…“ Müde fuhr er mit dem Arm über das Gesicht. Dabei streifte sein Blick den Kühlschrank. Heute war ihm alles gleichgültig!
 

Soichi Tatsumi rauchte und soff die ganze Nacht hindurch. Vergessen war das Einzige, was er wollte. In dieser langen einsamen Nacht stellte er seinen neuen Rekord auf.
 

Ende Kapitel 13

Wichtige Worte...

„Ohhhhhhhhhhh……Scheiße…“ Nur mühsam konnte Soichi sich aufrichten. Verschwommen nahm er die Umgebung war. Um ihn herum lagen zahlreiche Bierdosen und Zigarettenschachteln. Das Wohnzimmer sah aus wie eine Müllhalde. Kein Wunder, war es doch nicht bei einem Sixpack geblieben. Der gesamte Alkoholvorrat war vernichtet. Orientierungslos hockte er auf dem schmutzigen Boden. Ihm war speiübel. Sein Kopf drohte zu platzen. Angewidert sah er an sich hinunter. Die Klamotten, die er trug waren total zerknittert und wiesen undefinierbare Schmutzflecken auf. Außerdem stank er nach Alkohol. Soichi kniff die Augen zusammen. Stöhnend massierte er sich die Schläfen. Das letzte woran er sich erinnerte war, dass er in der Küche nach Zigaretten suchte. Danach war alles weg. Blackout! Die Frage, was er danach getrieben hatte, erübrigte sich jedoch mit einem Blick auf das Chaos um sich herum. Er wischte sich mit einer Hand übers Gesicht. Normalerweise war er nicht der Typ Mann, der sich sinnlos betrank. Normalerweise…Er verstand sich selbst nicht mehr! Wie spät es wohl war? Flüchtig guckte er auf seine Armbanduhr. Musste aber ein zweites Mal hinschauen, weil er nicht fassen konnte, was er da sah. Das Ziffernblatt zeigte 15.00 Uhr an. Um auf Nummer sicher zu gehen hielt er die Uhr ans Ohr. Vielleicht war sie ja stehengeblieben. Aber das war nicht der Fall! Leise hörte er das Ticken der Zeiger. Tatsumi konnte es nicht fassen! Er hatte den halben Tag verschlafen! Er musste sehen, dass er in die Gänge kam!! Der erste Anlauf schlug fehl. Seine Glieder knackten protestierend, als er sich hochstemmte. Der ganze Körper schmerzte. Was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man die Nacht auf dem Boden verbrachte. Keuchend sank er zurück. Beim zweiten Versuch schaffte er es auf die Füße zu kommen. Unsicher setzte Soichi ein Bein vor das andere. Beinahe stolperte er. Aber wie durch ein Wunder erreichte er ohne Zwischenfälle das Badezimmer. Mit verklebten Augen betrachtete er sein Spiegelbild. Oh mein Gott! Hätte es einen Wettbewerb für die beste Schnapsleiche gegeben, Soichi wäre der erste Platz sicher! Die braunen Augen waren blutunterlaufen mit dunklen Ringen darunter. Sein fahles Gesicht war vom Weinen angeschwollen und das lange Haar fiel ihm wirr in die Augen. Am Kinn konnte er die ersten Bartstoppeln sehen. Seit Tagen war er nicht mehr dazu gekommen sich zu rasieren.
 

Unter dem heißen Strahl der Dusche löste sich ein Teil der Müdigkeit. Auch das flaue Gefühl im Magen verflog etwas. Einigermaßen wieder hergestellt schlurfte er in die Küche. „Nein…oder…?“ Auch die Küche schien von den nächtlichen Ausschweifungen nicht verschont geblieben zu sein. Der Inhalt sämtlicher Schränke war kreuz und quer verstreut. Millionen kleine Hölzchen knackten unter den Füßen. „Fuck!“ Sein Kopf benötigte unbedingt eine Kopfschmerztablette! In einer der wenigen Schublade, die noch unversehrt war fand er ein Röhrchen. Er schluckte gleich drei Tabletten auf einmal. Obwohl Soichi sich zweimal die Zähne putzte, hatte er immer noch einen scheußlichen Geschmack im Mund. Es kam ihm vor, als habe er einen vollen Aschenbecher verschluckt. Er fühlte sich wie ein 80-jähriger Opa und nicht wie ein Student von 25 Jahren, als er sich an den Küchentisch setzte, um darauf zu warten, das die Wirkung der Tabletten einsetzte. Erschöpft bettete er den Kopf auf die verschränkten Arme. Fast wäre er wieder eingeschlafen. Doch dann blitzte es gewaltig in seinem Kopf. Die Erinnerung an den gestrigen Tag kehrte schlagartig zurück. Mit einem Ruck richtete er sich auf. „Scheiße! Morinaga! Ich…muss zu ihm!“ Was tat er hier? Er konnte doch nicht nur dumm rumsitzen!! Keine fünf Minuten später stand Soichi vor der Wohnungstür. Die Jacke schon in der Hand, fielen ihm die Worte des Arztes wieder ein. Er schlug sich heftig mit der flachen Hand auf die Stirn, was seinem Brummschädel nicht gerade guttat. „Die Sachen…“, murmelte Soichi. In Morinaga´s Zimmer überlegte er. Irgendwo musste Tetsuhiro doch eine Reisetasche oder ähnliches haben. Einer Eingebung folgend schaute er unter dem Bett nach. Tatsächlich fand er dort eine kleine Tasche. Perfekt! Soichi deponierte sie auf dem Bett. Eilig suchte er die wichtigsten Anziehsachen zusammen und warf sie unordentlich hinein. Soweit so gut. Fehlten noch die Papiere. Er kratzte sich am Kopf. Wo könnten die sein? „Mein Gott!! Ich habe keine Zeit! Morinaga, du bist doch sonst so ordentlich! Wo? Wo? Aha!! Gefunden!“ Im hinteren Teil des mannshohen Regales entdeckte er einen Ordner mit der fetten Aufschrift „VERSICHERUNG“. Bingo! Tatsumi überflog flüchtig den Inhalt. Für eine genauere Inspektion hatte er keinen Nerv. „Wird schon stimmen…“
 

Im Nakamura herrschte die gleiche rege Geschäftigkeit wie am Tag zuvor. Als er die vielen Leute vor dem Empfang der Station sah, entschied er direkt zum Zimmer mit der Nummer 02 zu gehen. Außerdem verspürte er nicht das Bedürfnis dieser blöden Kuh von Schwester über den Weg zu laufen. Doch je näher er dem Zimmer kam, umso nervöser wurde er, ihm war kotzübel. Die Hand, mit der er die Tasche trug verkrampfte zusehens. Er durfte sich nichts anmerken lassen! So viel stand fest. Sein Herz pochte heftig. Soichi war ungefähr noch einen Meter vom Zimmer entfernt, da trat eine Person aus Morinaga´s Patientenzimmer. Fast hätte Soichi Taro Tomoya nicht erkannt. Der Rocker trug heute nicht seine geliebte Lederjacke, sondern ein weißes Hemd. Die wilde Zottelmähne war mühsam nach hinten gekämmt. Taro warf dem Neuankömmling einen kurzen Blick zu und nickte ihm knapp zu. Ohne weiteres Wort ging er betont lässig an ihm vorbei. „Seit wann ist der denn so zahm?? Was macht der überhaupt hier??“, dachte Soichi, der verwirrt beobachtete wie Taro im Gewimmel des Krankenhauses verschwand. Irgendwie gefiel ihm die Tatsache, dass dieser Schläger hier auftauchte, nicht. Ohne anzuklopfen betrat er den Raum und wäre am liebsten wieder umgekehrt. Überall im hinteren Teil des Raumes hingen oder standen unzählige Genesungskarten in allen erdenklichen Größen. Der Tisch war mit Blumensträußen, kleinen Präsenten und sonstigen Schnickschnack übersät. An der Decke schwebten zwei Heliumluftballons mit dem Schriftzug „Werde schnell wieder gesund!!“ Zur Krönung des Ganzen saß in einem der Stühle ein riesiger Plüschbär, geschmückt mit einer roten Schleife. Bei der enormen Masse an Kitsch brodelte es gefährlich in Soichi´s Magen. „…Senpai…??“, hörte er da die matte Stimme Tetsuhiro´s. Freudig überrascht lächelte der dem Besucher entgegen. Verlegen trat der Angesprochene näher. Pause. Keiner sagte ein Wort. Soichi musterte seinen Kohai. Morinaga sah wirklich schlecht aus. Er war so blass, dass sich sein Gesicht kaum von dem weißen Laken abhob auf dem er lag. Sein Atem ging schwer und ein feiner Schweißfilm bedeckte sein Gesicht. Täuschte Tatsumi sich oder war Tetsuhiro dünner geworden? In seinem Handrücken steckte noch immer die Kanüle. Der Monitor piepte leise vor sich hin. „Senpai…?“, flüsterte Morinaga. Der Ältere war so in seinen Beobachtungen gefangen gewesen, dass er die letzten Worte Tetsuhiro´s nicht mitbekommen hatte. „W-Was??“, stotterte er verwirrt. „Was hast du?“ Sein Kohai sah besorgt zu ihm auf. Wild schüttelte Soichi den Kopf. „N…Nichts! Alles klar. Was soll sein?“ Er lächelte schief. Tetsuhiro runzelte die Stirn, sagte aber nichts weiter dazu. „…Setz dich doch…“, sagte Morinaga, der auf einen Stuhl neben dem Bett deutete, stattdessen. Dankbar nahm Tatsumi das Angebot an. Sein Kopf tat noch ziemlich weh. Die Tasche mit den Klamotten verfrachtete er kurzer Hand mit einem gezielten Tritt unter das Bett.
 

Wieder entstand ein unangenehmes Schweigen. „…Mori…Ich…Ähm…du hattest wohl schon Besuch…?“, stellte Soichi lahm fest, da er nicht wusste wo er anfangen sollte. Zu viele Gedanken tobten gleichzeitig durch seinen Schädel. Morinaga sah verlegen zu dem Kram. „Mhm, das ist von…meinen Kommilitonen. Die wollten gar nicht mehr gehen…sie sagten…du hättest ihnen erzählt wo ich bin?“ Soichi fuhr sich durch die Haare. Er erinnerte sich an die Szene. Diese Nervensägen! „Ja, die haben nicht locker gelassen! Sorry!“ Der Kranke schüttelte leicht den Kopf. „Nein, ist okay…ich...bin nur froh…dass du jetzt da bist…“ Eine eiskalte Hand ergriff die seine, hielt sie umklammert. „Senpai…danke…Es tut mir leid….“, flüsterte Tetsuhiro dann ganz leise. Soichi fehlten die Worte. Was sollte das? Wenn jemand sich entschuldigen musste, dann er!! „Morinaga…nicht. Mir tut es leid. Wenn…Wenn ich besser aufgepasst hätte…wenn mir viel früher aufgefallen wäre, dass mit dir etwas nicht stimmt…Ich…“ Seine Stimme brach. Schnell senkte er den Kopf, damit Morinaga die Tränen nicht sah, die ihm in die Augen traten. Der Druck der Hand wurde stärker. Morinaga betrachtete den gesenkten Blondschopf seines Geliebten. Ein nachsichtiges Lächeln spielte auf seinen Lippen. „Senpai…Was redest du denn da?? Du hast nichts falsch gemacht! Ich bin doch der, der den Mist verzapft hat!! Mir geht es schon besser...Bitte…nicht weinen…!“ Ihm selbst wurden jedoch auch die Augen feucht. Soichi´s Kopf ruckte hoch. „Ich heul doch nicht!“, meinte er entrüstet. Morinaga stieß erleichtert die Luft aus. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er sich die Tränchen aus den Augenwinkeln. Ihm ging es schon erheblich besser, seit sein Senpai hier war. Gleichzeitig war er tieftraurig. Das, was er unbedingt verhindern wollte, war eingetreten. Es zerriss Tetsuhiro innerlich, Soichi in so einer Verfassung zu sehen. Schon beim Eintreten sah er, dass mit ihm nicht alles in Ordnung war. Schließlich hatte er Augen im Kopf. Morinaga zog ihn näher zu sich heran. Alles was er wollte, war in den Arm genommen zu werden. Die Wärme des anderen zu spüren. Er wollte noch so viel sagen, ihm alles erklären. „Senpai…hör zu ich...“
 

Die Tür fiel krachend auf. Augenblicklich fuhren die beiden jungen Männer auseinander. „Tetsuhirooooooo! Oh mein Gott! Wie geht es dir????“ Ein junger Mann, den Soichi als Makoto identifizierte, schmiss sich regelrecht auf das Bett. Den Blumenstrauß, den er dabei hatte drückte er Soichi nachlässig in die Hand. Der Störenfried fasste Morinaga an die Schulter. Er sah so aus ob er nicht glauben könnte seinen Freund in einem Stück vor sich zu sehen. „Tetsu!! Bin ich froh, dass es dir gut geht!! Als ich hörte du seist im Krankenhaus wäre ich fast tot umgefallen!! Nun sag schon! Wie geht es dir? Was fehlt dir? Wie lange musst du hier bleiben? Wo….?“ Makoto plapperte wie ein Wasserfall. Mit einem Jammerlaut drückte er seinen Kommilitonen fest an sich. „Mako…ich bekomme keine Luft mehr!“, beschwerte sich Morinaga, der sichtlich mit dem Klammergriff des anderen überfordert war. Soichi, der wie das fünfte Rad am Wagen auf seinem Stuhl saß, explodierte beinahe. Was dachte sich dieser Fatzke eigentlich?? Hier reinzuplatzen!! Sah der denn nicht, dass es Morinaga beschissen ging?? Soichi pfefferte den Strauß geräuschvoll auf den Boden. „He du! Es reicht!“, schnauzte er Makoto giftig an. Der junge Mann entließ Morinaga aus seiner Umarmung und rückte ein Stück von ihm ab. „Mhm?? Ach, Tatsumi-Senpai! Du bist auch da?“, genervt blickte er zu dem Älteren. Der kochte innerlich. Diese eingebildete kleine Kröte. Feindselig starrten die beiden Besucher sich an. Imaginäre Blitze wurden geschleudert. Im Kopf drehte Soichi Makoto schon den Hals um. „Tatsumi-Senpai, muss du nicht noch in die Uni? Du kannst ruhig gehen, Tetsu und ich kommen auch alleine klar…“ Das war zu viel. Soichi riss Makoto vom Bett. Mit seinen Händen packte er den Jungen an den Aufschlägen seiner Jacke. „Senpai! Mako…hört auf…!“ Tetsuhiro Stimme war mit Panik erfüllt. Die beiden Streithähne hingegen dachten nicht daran zu stoppen. Im Gegenteil! Makoto setzte noch einen drauf. „Sieh dich nur mal an!! Du stinkst wie ein ganzes Bierfass!!!“ Verachtung schwang in jeder Silbe mit. „Du…du kleines….“ Bevor die Situation eskalieren konnte, wurden die beiden Kontrahenten auseinander gezerrt.
 

„WAS IST HIER LOS?? AUSEINANDER!!“ Oberschwester Erica war unbemerkt in das Zimmer getreten. Sie wandte ihre Lieblingstechnik an. Sie schnappte sich die Ohren der beiden Männer. Rechts und links von ihr zappelten ihre Gefangenen vor Schmerzen. „Wir befinden uns in einem Krankenhaus!! Wer sich nicht benehmen kann, muss gehen!!!“ Mit einem letzten Kniff in die geschundenen Ohren, gab sie Soichi und Makoto wieder frei. Morinaga war erleichtert. Die Krankenschwester war gerade zur rechten Zeit gekommen. „Es ist Zeit für die Medikamente!!“ erklärte sie und stemmte die Hände in die Hüften. Sie ging zu einem Wägelchen mit vier kleinen Rädern. Klappernd reichte die Schwester dem Patienten einen Plastikbecher. Mindestens 10 farbige Pillen befanden sich darin. Morinaga verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Schön schlucken! Der Doktor kommt später noch vorbei!“ Zu dem Besucher gewandt sagte sie: „Sie sollten gehen! Der Patient braucht Ruhe!!“ Die Aussage kam einem Rausschmiss gleich. Ein scharfes Heben der Augenbrauen bewegte Makoto zum sofortigen Rückzug. Er seufzte. „Na schön…Tetsu ich komme dich morgen wieder besuchen…“ Der Student winkte kurz. Dann ging er ohne Abschiedswort an der Schwester und Soichi vorbei. Erica nickte zufrieden. Sie kontrollierte den Tropf und den Monitor. Gewissenhaft wurden die Ergebnisse ins Krankenblatt eingetragen. Mit quietschenden Rädern schob die Frau den Wagen aus dem Zimmer. Morinaga und Soichi waren wieder allein.
 

Schweigen. Warum passierte das immer ihm? Es war beinahe, als ziehe Soichi das Pech geradezu an. Tetsuhiro sank in die Kissen. Den Becher mit den Pillen stellte er nachlässig auf den Tisch neben dem Bett ab. Er zitterte. Der Besuch hatte ihn doch ganz schön mitgenommen. „Puh! Danke Senpai! Ich hatte keine Ahnung wie ich Mako losgeworden wäre!! Ha ha…“, grinste er. Ein leises Lachen erfüllte den Raum. Das Lachen war befreiend. Die Beklemmung zwischen ihnen wich nach und nach. Auch Soichi musste grinsen. Ja, wenn er eines gut konnte, dann war es Leute weg zu ekeln. Wie man sah, konnte diese Fähigkeit manchmal sogar nützlich sein!! „Ich sollte wohl auch gehen…“ Sonst schmiss die Kratzbürste ihn wirklich noch raus. „Warte…Bleib…noch...bitte.“ Morinaga sah flehentlich zu ihm auf. Soichi tat so als müsse er überlegen. Dabei war die Antwort klar. „Wenn du willst…“, sagte er so gleichgültig wie möglich. Sie sprachen eine Weile über dies und das. „Was ist mit der Uni? Tut mir Leid, gerade wo so viel Arbeit zu erledigen ist.“ Zerknirscht guckte er nach unten. Der Senpai winkte großspurig ab. „Ach! So viel ist das nicht! Ich schaffe das gut allein!“ Die Wahrheit sah allerdings anders aus. Tatsächlich ein Haufen Arbeit auf ihn. Wie er das schaffen sollte wusste er noch nicht. Aber er würde den Teufel tun, das zuzugeben. Dann gab es ja da noch die Sache mit dem Professor. Er hoffte inständig, dass wenigstens in dieser Angelegenheit Ruhe einkehren würde. Er ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was ihm erwarten würde…. „Was wollte Tomoya vorhin hier??“, platzte es Soichi heraus. Die Frage lag ihm schon lange auf der Zunge. Morinaga war überrascht. „Taro?? Er wollte sich erkundigen wie es mir geht und hat sich für seine Aktion entschuldigt. Ach, ja, er war immer ein Hitzkopf!“ Morinaga schmunzelte. „Woher kennt ihr euch??“ Soichi wusste selbst nicht warum ihm das so wichtig war. „Ich meine…ihr scheint ziemlich vertraut miteinander. Er spricht dich sogar mit deinem Vornamen an…?“ Gegen seinen Willen wurde er rot bis in die Haarspitzen. Tetsuhiro verstand erst nicht. Aber ein Blick in das erhitzte Gesicht seines Gegenübers sagte ihm alles was er wissen musste. Bereitwillig gab er Auskunft. „Na ja, Taro und ich kennen uns schon lange. Er ist ein guter Freund. Warte mal…ich glaube er war mit der erste, denn ich kennenlernte als ich neu in der Stadt war. Eigentlich ist er ganz in Ordnung. Taro ist eben etwas…speziell…“ Mehr brauchte Morinaga nicht zu sagen. Eifersucht stieg in Soichi auf. Ihm passte es überhaupt nicht wie nahe sich die beiden anscheinend standen. Die Empfindungen mussten sich auf seinem Gesicht gespiegelt haben, denn Morinaga lächelte ungewohnt scheu. „Senpai…du…kannst mich auch Tetsuhiro nennen…wenn du willst.“ Nun war es der Kohai, der verlegen dreinschaute. Soichi wurde noch eine Spur dunkler. „Ich…ja…nein…ich…wenn du das willst…“ Er schluckte trocken. „Das würde mich sehr glücklich machen….Senpai…“ Bei den geflüsterten Worten ergriff Tetsuhiro die Hand Soichi´s. Die Morinaga´s war kalt. Behutsam zog er den Kopf seines Senpai´s zu sich heran. „Mori….“, wollte Soichi noch sagen. Doch seine Lippen kamen nicht mehr dazu. Leidenschaftlich küssten sie sich. Endlose Minuten lang. Eine wohlige Wärme durchströmte beider Körper. „…Senpai…Senpai…“, flüsterte Morinaga. Soichi sah seinem Assistenten in die dunklen Augen. „Mori…Tetsuhiro ich bin…“ Ein Klopfen unterbrach die wichtigen Worte, welche um ein Haar ausgesprochen wurden.
 

Ende Kapitel 14
 

Sorry, ich weiß es passiert nicht viel in diesen Kapitel, aber ich kann versprechen es wird noch sehr spannend! Einfach dran bleiben ;D

Gefühlschaos

Dr. Tonno erschien in der Tür. Schnell rückte Soichi von Morinaga ab und ließ dessen Hände los. Mist! Hoffentlich hatte er nichts mitbekommen! Was war nur in ihn gefahren? Verdammt! Soichi gefiel der Gedanke überhaupt nicht, dass Tonno vielleicht was gesehen habe könnte. „Sieh mal einer an!! Noch mehr Besuch! Sie sind heute aber beliebt!“, schmunzelte der Mediziner amüsiert. Sein Blick schweifte durch den Raum. Als seine Augen an dem etwas heruntergekommenen Soichi haften blieben, runzelte er kurz die Stirn. Ohne preiszugeben, ob er mitbekommen hatte, was sich noch vor wenigen Sekunden abspielte kam er näher und positionierte sich am Fußende des Bettes. „Hier sind die Ergebnisse. Ich würde gerne mit Ihnen über Ihre Situation sprechen…“ Er zögerte, sah zu dem Besucher. Morinaga verstand. „Er…kann ruhig…bleiben…“, meinte er und deutete er auf Soichi, der mit hochrotem Kopf neben dem Bett saß. Tonno nickte langsam. „Wie Sie wollen…“ Der Arzt räusperte sich geräuschvoll. „Also gut. Nach Auswertung der Untersuchungsergebnisse kann ich Ihnen mitteilen, dass die Nieren noch zu ca. 45 % funktionsfähig sind. Das ist besser als erwartet!“ Aufmunternd nickte der Mann. „Wir werden versuchen durch Medikamenteneinsatz und Therapien die Leistung auf 60 % zu erhöhen. Das erscheint mir derzeit die beste Lösung zu sein. Die Erfolgschancen stehen sehr gut. Sie müssen sich zwar in manchen Bereichen einschränken, aber damit lässt es sich gut leben.“ Seufzend schaute Tonno von seinen Aufzeichnungen auf. „Nun ja, dazu ist es allerdings notwendig, dass Sie regelmäßig die Medikamente einnehmen und sich dieses Mal streng an gewisse Regel halten.“ Die Stimme des Mediziners war merklich schärfer geworden. Durchdringend sah seinen widerspenstigen Patienten an. Morinaga war noch eine Spur weißer geworden, ihm war sichtlich unbehaglich zu Mute. „Was…Was für Regeln?“, warf Soichi aufgeregt ein. Er hatte sich soweit beruhigt, dass er in der Lage war den Mann offen anzusehen. Ihn brannten tausend Fragen unter den Nägeln. Der Mediziner guckte überrascht. Für einen Moment vergaß er den Besuch komplett. Er hüstelte. „Das ist ganz einfach: kein Stress, viel Ruhe, keine großen körperlichen Anstrengungen, eine gesunde Ernährung. Und vor allem keine Zigaretten und kein Alkohol!“ Die letzten Worte richtete er direkt an den Tatsumi. Der schämte sich mittlerweile für sein Saufgelage von gestern Nacht.
 

„Aber…was…wenn es nicht…besser wird?“, hörte er die monotone Stimme Tetsuhiro´s neben sich fragen. Die Worte kamen Morinaga kaum über die Lippen. Aus Angst vor der Antwort schlug ihn das Herz bis zum Hals. „Nun ja, wenn sich die Leistungsfähigkeit nicht erhöht oder was viel schlimmer wäre sich noch verringert, wird in diesem Falle eine medikamentöse Behandlung nicht mehr ausreichen. Der Körper wird dann mit der Belastung nicht mehr allein fertig.“, erklärte der Mann fachmännisch. „Wie Sie sicher wissen reinigen die Nieren das Blut von Schadstoffen, sie filtern es sozusagen. Arbeitet das Organ nicht mehr, vergiftet der Körper sich selbst. Um dem entgegen zu wirken müssten wir Sie an ein Dialysegerät, das die Funktion der Niere übernimmt, anschließen. Bis wir ein neues funktionstüchtiges Organ für Sie gefunden haben. Um eine Transplantation kommen wir dann nicht mehr herum.“ Diese Informationen mussten verdaut werden. Morinaga schluckte hart. In seinen Ohren rauschte das Blut. Er wollte sich das gar nicht vorstellen, wenn…. „Und…und wenn ich mich nicht behandeln lasse…?“ Der Kohai sagte es so leise, dass Soichi glaubte er habe sich verhört. Entrüstet starrt er ihn an. Wie konnte er eine solche Frage stellen? Das kam gar nicht in Frage! Bevor er seiner Entrüstung Luft machen konnte sprach der Mediziner weiter. Nachdenklich stich Dr. Tonno über seinen grauen Kopf. „Tja, ohne jegliche Behandlung wird sich Ihr Zustand drastisch verschlechtern, dann hätten Sie noch vier höchstens fünf Monate zu leben. Aber wie gesagt das ist der Worst-Case.“ Er sah die geschockten Blicke der beiden Freunde auf sich ruhen. Sofort hob er beschwichtigend die Hände. „Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind jung und kräftig. Die Behandlung ist erprobt mit einer sehr guten Erfolgsstatistik. Sie schlägt bestimmt gut an! Bald sind Sie wieder auf den Beinen!“ Morinaga antwortete nicht. Er war mit seinen Gedanken meilenweit weg. Was sagte er? Nur fünf Monate zu leben? Dialyse? Angst durchflutete seinen Körper. Wie war es nur so weit gekommen?
 

Auch Soichi war von der letzten Äußerung des Arztes schockiert. Bis zu diesem Moment hatte er die Worte „Tod“ oder „Sterben“ weit von sich gestorben. Doch nun mussten sie sich damit auseinander setzen. Fieberhaft überlegte er. „Dann fangen Sie gefälligst mit der Behandlung an!“, blaffte er Tonno respektlos an. Vor Erregung schnellte er von dem Stuhl hoch, weil er es keine Minute länger aushielt ruhig sitzen zu bleiben. Morinaga wie auch der Doktor sahen ihn überrascht an. „Senpai, beruhig dich!“, versuchte Tetsuhiro ihn zu beschwichtigen. Aber sein Freund knirschte nur mit den Zähnen. „Wie soll ich da ruhig bleiben! Denkst du es macht Spaß zu sehen wie schlecht es dir geht?!“, erwiderte der Blonde. Grimmig blitze er Tonno an. „Sparen Sie sich Ihr Medizinerlatein! Unternehmen Sie lieber was!“, verlangte er lautstark. Tetsuhiro fasste sich an den Kopf. „Das war’s!“, dachte er nur. Gleich würde Soichi hochkant aus dem Krankenhaus fliegen. Verstohlen linste der Dunkelhaarige zum Doktor und rüstete sich schon auf das Donnerwetter was folgen würde. Aber zum Erstaunen aller lächelte der Mann nachsichtig. „Glauben Sie mir, ich kann Ihre Sorgen verstehen. Doch müssen Sie auch ein wenig Vertrauen in unsere Fähigkeiten haben!! Natürlich haben wir bereits mit den nötigen Maßnahmen begonnen! Ich bin mir sicher, wir werden in Kürze positive Ergebnisse sehen!“ Die Stimme Tonno´s war ruhig und gelassen. Er wusste genau wovon er sprach. Schließlich war das nicht der erste Fall dieser Art, den er betreute. Obwohl er zugeben musste, das Soichi Tatsumi eine Herausforderung für sich war. Jeder seiner Kollegen hätte den jungen Mann bereits Hausverbot erteilt. Aber wie es aussah tat die Gesellschaft Tatsumi´s dem Patienten gut. Und das Wohl seiner Patienten war dem Arzt sehr wichtig.
 

Erleichtert nahm der Oberarzt wahr, dass seine Antwort Tatsumi anscheinend besänftigte, denn das gefährliche Funkeln in dessen Augen ließ langsam nach. „Kommen Sie bitte kurz? Ich benötige noch eine Unterschrift, wegen des Notfallkontakts…“ Betont beiläufig trat an den Studenten heran, zog ihn etwas vom Bett weg. Verwirrt streckte Soichi die Hände aus, aber schnell wurde ihm klar, dass es nichts zu unterschreiben gab. Leise, damit Morinaga sie nicht hörte, wisperte Tonno: „Ich muss anmerken, dass die Medikamente, die eingesetzt werden sind sehr hoch dosiert sind. Die Nebenwirkungen sind dementsprechend. Neben zahlreichen körperlichen Symptomen, wie Erbrechen, Kopf- und Gliederschmerzen können auch starke Stimmungsschwankungen auftreten. Sie sollten darauf gefasst sein. Es wird nicht leicht werden!“ Soichi hörte aufmerksam zu. Die Gedanken fuhren Achterbahn. Er musste die Fassung bewahren. In seinem Magen bildete sich ein kalter Knoten. Doktor Tonno gab sein Gegenüber frei und wandte sich um. „Das wäre erst einmal alles. Wenn es noch Fragen gibt…?“ Soichi schüttelte abwesend den Kopf. Er war gedanklich noch bei der vorherigen Unterredung. Tetsuhiro hingegen überlegte nicht lange. Es gab etwas, was er unbedingt wissen wollte. „Doktor…Ich…Wie lange muss ich noch in der Klinik bleiben? Könnte ich nicht…eventuell nach Hause...?“ Er hoffte inständig der Arzt oder gar sein Senpai würde ihm keinen Strich durch die Rechnung machen. Wie nicht anders zu erwarten begehrte Soichi auf. „Tetsuhiro! Du kannst…“ Morinaga unterbrach ihn mit flehendem Ton. „Senpai! Bitte!“ Dann schaute er Doktor Tonno erwartungsvoll an. Dieser wiegte den Kopf hin und her. „Nun…eigentlich sind Sie noch nicht in der Verfassung uns zu verlassen. Sie sind zwar stabil, aber ich weiß nicht…“ Zweifelnd studierte er die Krankenakte. „Es wäre besser noch ein paar Tage zur Beobachtung hierzubleiben. Ich würde sagen mindestens eine Woche. Bis Sie sich optimal auf die Medikamente eingestellt haben. Wenn es Ihnen dann besser geht, steht einer ambulanten Weiterführung nichts im Weg!“ Tadelnd hob er seinen Zeigefinger. „Wenn es Ihnen aber in irgendeiner Weise schlechter gehen sollte nehmen ich Sie sofort wieder auf! Verstanden?“ Morinaga versicherte Tonno, er würde alles tun, was man von ihm verlangte. Die Hauptsache war er kam hier raus! Trotzdem verspürte er Enttäuschung in sich aufsteigen.
 

Nachdem der Doktor sich verabschiedete, sank Tetsuhiro in die Kissen zurück. „Du Dummkopf! Bist du bescheuert? Du wirst gefälligst im Krankenhaus bleiben! Wenn dir was passiert!“, legte Soichi los, kaum dass sie allein waren. Morinaga schloss kurz die Augen. Er spürte, wie sich starke Kopfschmerzen anbahnten. Er wusste, dass das eine der vielen Nebenwirkungen war. Schließlich war er nicht blöd. Oder schwerhörig. „Senpai…bitte...versteh doch! Ich…ich halte das hier nicht aus! Ich…will doch nur nach Hause…zu dir.“ Bei den letzten Worten schenkte er dem anderen ein Lächeln, das dessen Herz höher schlagen ließ. Soichi grummelte irgendwas Unverständliches und sank zurück auf den verlassenen Stuhl. „Du sturer Esel…Schön, aber du hast es gehört! Nur wenn es dir besser geht UND du machst was der Arzt und ich dir sagen!! Klar?!“ Tetsuhiro strahlte innerlich. Senpai machte sich tatsächlich Sorgen um ihn. Wie süß! Er hatte von Anfang an gewusst, dass er sich auf Soichi verlassen konnte! Dankbar nahm er dessen Hand. Tatsumi errötete leicht. Was war nur mit ihm los? Wieso konnte er seine Hand nicht wegziehen? Schon diese kleine Berührung machte ihn ganz kribbelig. Soichi verstand sich selbst nicht mehr! Er war unfähig sich zu rühren. Niemand sprach ein Wort. Das war auch gar nicht nötig. Sie verstanden sich auch so. Soichi hätte ewig so verharren können. Doch dann ließ Tetsuhiro die Hand los, als wäre sie glühend heiß geworden. „Senpai…du solltest jetzt…gehen.“, sagte er abweisender als beabsichtigt. Bei den eindringlichen Worten seines Kohais wachte Soichi sozusagen auf. „Meinst du wirklich…?“, setzte Soichi an. Morinaga unterbrach ihm schroff. „Geh ruhig. Du siehst aus, als ob du eine Mütze voll Schlaf vertragen könntest. Außerdem…möchte ich jetzt ein bisschen allein sein…“ Eigentlich wollte er nicht, dass sein Freund ging. Es graute ihm allein im Krankenhaus zu bleiben. Am liebsten wollte er die ganze Zeit mit ihm zusammen sein. Doch stattdessen nickte er entschlossen. Die Kopfschmerzen waren inzwischen zu einem stätigen Hämmern angestiegen. „Bitte geh jetzt…“, wiederholte er. Sein Gegenüber schaute ihn einen Augenblick unsicher an, biss sich auf die Lippen. Abrupt stand Soichi auf. Seine Kiefermuskeln mahlten. „Gut…ich gehe…“, sagte er. Sein Kohai sah ihn nicht an, sondern starrte starr auf die weiße Bettdecke. „Ist gut…“ Soichi´s Gesicht verfinsterte sich unmerklich, dann ging er. Morinaga hörte wie die Tür ins Schloss fiel. Augenblicklich entwich ihm ein schmerzerfülltes Stöhnen. Schweiß schoss aus jeder Pore. Scheiße tat das weh! Außerdem drehte sich alles um ihn herum und Übelkeit stieg auf. Er hätte sich nicht mehr lange beherrschen können. Den Abschied von Soichi hatte er sich anders vorgestellt aber es war besser so. Morinaga machte sich Vorwürfe. So wie er aussah, waren die vergangenen Tage nicht optimal für Senpai gelaufen. Wenn er gemerkt hätte wie es ihm ging, der Ältere hätte mit Sicherheit einen riesen Aufstand veranstaltet. Tetsuhiro war ihm unendlich dankbar, er fand jedoch dass es das Beste sei, wenn der Ältere nach dem ganzen Stress etwas Zeit für sich hatte. Und auch er selbst brauchte Zeit zum Nachdenken.
 

Außerhalb des Zimmers lehnte Soichi an der geschlossenen Tür. „Was ist bloß los mit mir? Bin ich blöd??“ Hatte er etwas falsch gemacht?? Wenn ja, wusste er nicht was. Moment! Halt! Stopp! Was machte er sich für Gedanken? Wurde er zu…weich? Was war das für ein komisches Gefühl? Sollte er nochmal zurückgehen? Nein! Er spürte den Restalkohol in sich. „Scheiß drauf!“ Wenn es nicht erwünscht war ging er eben nach Hause! Erholung war allerdings nicht das, was er verspürte, als er dort ankam. Den Saustall von Wohnung hatte er gekonnt ausgeblendet. Soichi brummte. Auch das noch! Sauber machen gehörte nicht gerade zu den Fähigkeiten, die er sonderlich gut beherrschte. Aber in dem Zustand konnte er die Wohnung auch nicht lassen. Ohne große Lust machte er sich ans Werk. Das Ergebnis der Säuberungsaktion war nicht perfekt, konnte man aber durchgehen lassen. Müde pflanzte Soichi sich danach auf das Sofa. Alle vier Gliedmaßen von sich gestreckt. Um ihn herum war Stille. Nur das Ticken der Uhr war zu hören. Nachdenklich starrte er an die Decke. „Ich Vollidiot!“, platzte es plötzlich aus ihm heraus. Wie konnte er das zulassen? Fast hätte man sie erwischt! Nicht auszudenken was dann passiert wäre! Schamesröte überzog sein Gesicht. Sein Herzschlag beschleunigte sich zusehens. „Schwacher Moment…es war nur ein schwacher Moment…mehr nicht...“ Warum brachte ihn das so aus der Fassung?? „Morinaga hat die Situation ausgenutzt! Ja genau! So ist es! So muss es gewesen sein!“ Ruckartig setzte Soichi sich auf. Er würde sich nie auf so etwas einlassen! Nie und nimmer! Und warum fühlte er sich dann so leer? Warum zitterte sein Körper? Und warum zum Teufel drehten sich seine Gedanken, seit er aus seinem Rausch aufgewacht war, nur um diesen blöden Kerl?? „…Tetsuhiro…“, murmelte er den Vornamen seines Kohais. Mit den Fingern berührte er sachte seine Lippen. Dachte an den Kuss. „Scheiße! Was mach ich hier eigentlich!! Bin ich total bekloppt???“ Er sprang auf. Er musste sich beschäftigen, um mit den Grübeleien aufzuhören. Obwohl er dringend Schlaf nötig hätte, beschloss er einen Abstecher in die Uni zu unternehmen. Schließlich war Arbeit die beste Ablenkung für ihn.
 

Kurze Zeit später stand er in seinem geliebten Labor. Ah, hier wusste er voran er war. „Auf geht’s!!“ Konzentriert arbeitete er. Richtig voran kam er nicht. Die Gedanken schweiften ständig ab. Früher konnte ihm nichts so schnell aus der Bahn werfen. Genervt von seiner eigenen Unfähigkeit über solchen Dingen zu stehen machte er weiter. „Mal sehen…wenn ich das dazu gebe, dann….“ Geschickt schüttete er eine Flüssigkeit in das Reagenzglas seiner rechten Hand. Leider trat nicht der gewünschte Effekt auf. Weißer Qualm stieg auf. „Verflixt!?“, schimpfte er lauthals. Resignierend widmete er seine Aufmerksamkeit dem Bericht vor ihm. Er musste unbedingt Fortschritte machen. Aber alleine würde Soichi länger brauchen, als erwartet. Vielleicht sollte er sich eine Hilfe suchen? Konnte ja nicht so schwer sein. Den Gedanken verwarf er aber sofort wieder. Die Einarbeitung würde zu lange dauern. Außerdem mochte er keine Fremden, die in seinem Refugium herumlungerten. „Mist verdammter! Das war wohl ein Schuss in den Ofen! Hätte ich mir sparen können…“ Kopfschüttelnd räumte er den Tisch ab. Scheppernd rauschte ein Reagenzglasständer zu Boden. „FUCK!“ Schäumend vor Wut über dieses Missgeschick kniete er auf den Boden, versuchte die Scherben vorsichtig einzusammeln.
 

„Tzz, ungehobelt wie eh und jäh, nicht wahr Tatsumi?“ Mitzuko stand lächelnd hinter dem Studenten. Erschrocken wirbelte dieser herum. „P…Professor!“ Mann! Musste der Kerl sich immer anschleichen?? Mitzuko lächelte ein untypisch freundliches Lächeln. „Ganz allein Tatsumi? Wo ist denn Ihr junger Assistent?“ Suchend blickte er sich im Labor um. „Als ob du das nicht wüsstest! Du alter Widerling!!“ Zu seinem Glück konnte der Professor die Gedanken Soichi´s nicht hören. Fragend sah der Professor den Studenten an. Anscheinend wollte er eine Antwort. „Was geht’s dich an?“, dachte Tatsumi. Doch wiederwillig gab er Auskunft. „…Krank…“ Der ältere Mann hob theatralisch eine buschige Augenbraue. „Ach ja, ich erinnre mich. Er musste ins Krankenhaus, oder? In welcher Klinik ist er denn?“ Vermutlich sollte es beiläufig klingen, aber Soichi war auf der Hut. Auch hatte er absolut keinen Nerv auf eine Auseinandersetzung. Ihr letztes Treffen war ihm noch lebhaft in Erinnerung geblieben. Zeit für einen strategischen Rückzug. Ohne auf die Frage einzugehen schnappte er seine Tasche. „Wenn das alles ist…Ich muss los….“, erklärte er unfreundlich. Erstaunlicherweise machte Mitzuko bereitwillig Platz. Über seine Schultern hinweg sagte er so lässig wie möglich: „Wenn Sie einen neuen Assistenten brauchen, ich könnte Ihnen weiterhelfen. Ich habe es geahnt! Der Junge ist bestimmt putzmunter! Der lacht sich sicherlich ins Fäustchen, dass Sie auf sein Schmierentheater hereinfallen! Immer dasselbe!!“, stichelte der Prof. Soichi blieb wie angewurzelt stehen. Hatte er sich verhört? Mit funkelnden Augen drehte er sich um. Professor Mitzuko strich über seinen Bart. Tatsumi ballte seine Fäuste. „Ach kommen Sie! Tun Sie nicht so überrascht! Ihr jungen Leute seid doch alle gleich. Kein Verantwortungsbewusstsein. Meiner Meinung nach sollten Sie ihn in den Wind schießen! Das ist besser so! Ich würde mich schon um ihn kümmern…!“ Ein siegessicherer Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. Mitzuko wartete nur darauf, dass Soichi etwas Unbedachtes tat. Die Beherrschung verlor. Dann konnte ihm niemand mehr helfen! Diesen Störenfried würde er von seiner Uni entfernen, koste es was es wolle. Und dann war da auch noch der andere Student, der Assistent. Um ihn würde er sich auch noch kümmern. Kenji Mitzuko hatte noch viel vor. Soichi´s Geduldsfaden war kurz davor zu reißen. Wie konnte Mitzuko es wagen so eine Behauptung aufzustellen! Es war Zeit ihm die Fresse zu polieren. Das war längst überfällig! Bevor Soichi sein Vorhaben in die Tat umsetzten konnte, ertönte eine leise Melodie. Enttäuscht sah Mitzuko wie Tatsumi auf sein Handy glotzte. Obwohl seine Ehre ihm verbot Mitzuko davon kommen zu lassen, war es wohl ein Wink des Schicksals, dass Soichi ausgerechnet jetzt diese Nachricht bekam. Das Telefon umklammernd stürmte er davon.
 

Professor Mitzuko blieb im Labor zurück. Grübelnd rückte er seine Brille zurecht. „Mhmm...So ist das...Sieht so aus, als ob ich dem Krankenhaus einen kleinen Besuch abstatten müsste…“
 

Ende Kapitel 15
 

Vorschau: Das nächste Kapitel trägt den klangvollen Namen „Besuch aus der Hölle“ ;3

Besuch aus der Hölle

„Senpai, entschuldige wegen vorhin! Bitte sei nicht sauer, ja? Ich denk an dich! Gruß T. M." Soichi´s Finger zitterten so stark, dass er sein Handy nur mühsam festhalten konnte. Er bereute schon nach den ersten Metern den Professor nicht zu Klump geschlagen zu haben. Wenn er nur zu Hause geblieben wäre! Eigentlich wollte er sich doch von seinen Grübeleien ablenken. Und was hatte er jetzt davon? Noch mehr Grübeleien und erhöhten Blutdruck. „Elender Drecksack! Ich fass es nicht! Eine Sekunde später und man hätte ihn von der Wand kratzen können!“ Soichi war nicht blöd. Er wusste ganz genau Mitzuko legte es darauf an, dass er etwas Dummes tat. Jedes Wort war die reine Provokation. Darüber hinaus schützte ihn seine Position. Als Universitätsprofessor genoss Kenji Mitzuko hohes Ansehen. Trotz seines schrecklichen Charakters wurde er von seinen Kollegen hoch geachtet. Der Dekan stand auch voll und ganz hinter ihm. Soichi war klar im Nachteil. Ohne Beweise waren Morinaga und er der Willkür des Mannes ausgeliefert. Ihr Wort stand gegen das Mitzuko´s. Wem würde man wohl eher glauben? Die Antwort lag auf der Hand. Soichi´s Schritte verlangsamten sich, bis er gänzlich zum Stehen kam. Die Situation war nicht auszuhalten! Er konnte doch nicht den Rest seiner Zeit an der Uni vor dem Professor davon laufen! Es war zum Mäusemelken! Er wollte die Uni nicht verlassen. Sie war quasi ein zweites Zuhause für ihn. Sie zu verlassen wäre katastrophal! Nicht wo er schon so weit gekommen war. „Fuck!“ Aber wenn es keinen anderen Ausweg gab, dann musste er in den sauren Apfel beißen. Aber das war wirklich die allerletzte Option. Morinaga würde, gefühlsduselig wie er war, mit ihm gehen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Es war nur ein kleiner Trost, doch in gewisser Weise war Soichi froh, dass er dann nicht allein dastand.

 

Unbewusst stahl sich ein Lächeln auf die Lippen des sonst so ernsten Studenten. Eine Gänsehaut überzog seinen Körper. Nach kurzer Überlegung sah er sich nochmal die Nachricht an. Ob Tetsuhiro eine Ahnung hatte, dass er seinem Senpai mal wieder die Haut rettete? Langsam glaubte Tatsumi der andere habe so etwas wie einen sechsten Sinn. „Ob es ihm gut geht…?“, fragte sich Soichi besorgt. Vielleicht sollte er lieber antworten? Schnell tippte er einige Worte. Als er schlussendlich auf „senden“ drückte war es draußen bereits dunkel. Genervt darüber, dass selbst die Zeit gegen ihn war trottete Soichi zum Ausgang. Während die vertraute Umgebung an ihn vorbeizog, wurde er von neuer Entschlossenheit gepackt. Nein, schwor er sich bei allen was ihn heilig war, er würde Mitzuko den Triumph nicht gönnen. Wäre doch gelacht, wenn einem Genie wie ihm nichts einfallen würde! Kaum zu Hause meldete sich sein Magen zu Wort. Das laute Knurren sagte ihm deutlich, dass es an der Zeit war sich etwas Essbares zwischen die Zähne zu schieben. Wie deprimierend es war allein in der leeren Wohnung zu hocken. Die Ruhe, die sich in jeden Winkel einnistete war bedrückend. Sonst wuselte Morinaga durch die Zimmer oder nervte ihn mit irgendwelchen Kram. Aber jetzt war alles anders. Er war allein und ganz auf sich gestellt. Ein erneutes Grummeln ertönte. Beruhigend strich sich Soichi über den Bauch. „Ist ja gut…“, murmelte er. Ein Blick in den Kühlschrank bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. So gut wie leer. Klasse!

 

Unverrichteter Dinge schmiss er sich im Wohnzimmer auf die Couch. „Allein sein ist scheiße…“, stellte er überraschenderweise fest. Eigentlich machte ihn das Alleinsein nichts aus. Ja, man könnte sagen er zog es der nervenden Gesellschaft anderer vor. Aber so verlassen wie jetzt hatte er sich noch nie gefühlt. „Ich Idiot…er ist gerade mal zwei Tage weg…“ Unruhig wälzte Soichi sich auf den Polstern. Gegen seinen Willen flogen seine Gedanken davon. Das Gespräch mit dem Arzt lief noch einmal Revue. Hoffentlich hielt er was er versprach und diese tolle Therapie war wirklich so vielversprechend. Auf Soichi hatte Dr. Tonno einen recht kompetenten Eindruck gemacht. „Es wird alles wieder gut…Morinaga wird gesund…Was anderes kommt gar nicht in Frage…“ Seufzend schloss er die Augen. Was sein Kohai wohl gerade tat? Ob es ihm gut ging? Soichi versuchte es zu unterdrücken, aber er konnte es kaum erwarten Tetsuhiro morgen wiederzusehen. Unversehens schoss eine Hitze in ihm hoch. Ihm war, als könne er die heißen Lippen Morinaga´s spüren. Unwillkürlich fuhr er mit der Zunge über die eigenen Lippen. Die Hände wanderten den Körper hinab bis sie an seiner Körpermitte ankamen. „Wa…Wa…Was!“ Unversehens riss er die Augen auf, als er da unten etwas Verdächtiges ertastete. Beschämt starrte er an sich herab. „Nein! Das ist nicht wahr!! Shit!“ So tief war er also gesunken, dass er allein bei den Gedanken an Morinaga einen…Nein! Das kann nicht sein! „Der Alkohol! Die Sauferei hat meinen Körper durcheinander gebracht! So muss es sein!!“ Natürlich gab sein widerspenstiger Körper nicht einen Pfifferling auf Soichi´s Überzeugungen. Im Gegenteil, je mehr er sich sträubte umso schlimmer wurde es. Keuchend kam der Blonde mehr schlecht als recht auf die Beine. „Will…mich heute jeder…fertig machen!? Arg! Scheiß drauf! Ich muss…ins Bett!“ Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als sich darum zu kümmern….

 

Auch Tetsuhiro sinnierte noch lange nachdem Soichi gegangen war über die heutigen Ereignisse nach. Obwohl er hundemüde war konnte er nicht abschalten. Die Schmerzen waren mittlerweile, dank der Hilfe einiger bunter Pillen, abgeflaut. Trotzdem fühlte Morinaga sich wie erschlagen. Seit er aus der Bewusstlosigkeit aufwachte war eine Flut aus Informationen auf ihn eingeschlagen. Ein Ereignis jagte das nächste! Tetsuhiro wusste nicht wo ihm der Kopf stand. Laut Doktor Tonno würde es ihm in ein paar Tagen besser gehen, aber die Angst blieb. Der Student hätte nie gedacht, dass sich harmlose Rückenschmerzen als Nierenprobleme entpuppen würden. Doch als die Schmerzen nicht mehr auszuhalten waren, überwand er seinen inneren Schweinehund und konsultierte einen Arzt. Die Diagnose hatte in umgehauen. Schließlich war er noch niemals wirklich krank gewesen. Das war auch der Grund, warum er lange so naiv gewesen war zu glauben, die Sache wäre halb so schlimm. Im Nachhinein hätte er auf die Alarmzeichen, die sein Körper mehr als deutlich aussendete hören sollen. Das Ende vom Lied war, dass er abschmierte und nun ihm Krankenhaus vergammelte. Morinaga zählte stumm die Stunden bis zu seiner Entlassung. Wie war das gewesen? Eine Woche? Eine unendliche lange Woche. „Was Senpai wohl gerade macht? Bestimmt ist er schon zu Hause. Ob er auch klarkommt?“ Verträumt starrte er an die Decke und rief sich die Erinnerung ihres kleinen Intermezzos auf. Schade, dass der Dok sie unterbrach. In letzter Zeit war Senpai viel offener was seine Annährungsversuche betraf. Soichi schmeckte einfach zu gut! Ob der Ältere überhaupt wusste wie verrückt er ihn machte? Wahrscheinlich nicht. Morinaga musste grinsen. Wenn er doch nur über Nacht bleiben könnte. Oh la la! Eine heiße Nacht im Krankenhaus? Soichi und er in dem schmalen Bett, in dem gerade mal eine Person Platz hatte? Das Grinsen wurde noch breiter. Die Vorstellung war zu verführerisch! Wenn Soichi wüsste was in seinen Phantasie abging, er wäre fuchsteufelswild! Der Dunkelhaarige schüttelte bedauernd den Kopf. Das würde sowieso nie passieren. Aber er nahm sich fest vor, wenn er erst einmal hier raus war, würde er sich für alles was in der letzten Zeit passierte, revanchieren. Nach kurzem Zögern griff der Patient nach seinem Handy. Hoffentlich war Senpai nicht mehr allzu böse, weil er ihn weggeschickt hatte. Dennoch zweifelte er nicht an der Entscheidung. Soichi spielte zwar immer den starken Mann, aber Morinaga erkannte sofort wenn es ihm nicht gut ging. Er durfte nicht so egoistisch sein ihn nur für sich zu beanspruchen. Erfreut stellte Tetsuhiro fest, dass der Ältere auf die SMS geantwortet hatte. „Wer ist hier sauer!? Hör auf mit deinem Handy herumzuspielen!“ Es war eine soichitypische Antwort. Die Nachricht bestand noch aus einem zweiten Teil. Beim lesen wurde Tetsuhiro ganz warm ums Herz. „Wir sehen uns morgen. Pass auf dich auf.“ Glücklich presste er das Handy an die Brust. Plötzlich klopfte es kräftig an der Tür. Überrascht hob er eine Augenbraue. Wer könnte das sein? Die Besuchszeit war doch längst zu Ende! „Herein!“, rief er ahnungslos. Der gutmütige Ausdruck auf seinem Gesicht wich jedoch blanken Entsetzen, als er sah wer so spät noch gekommen war.

 

„Sie? Was zum Teufel machen Sie denn hier??“ Tetsuhiro Morinaga fehlten die Worte. Es war tatsächlich Mitzuko, der langsam in den Raum schlenderte. Der störte sich nicht an der unfreundlichen Begrüßung. „Was denn? Darf ich einem kranken Studenten nicht einen kleinen Besuch abstatten? Ich hoffe es geht Ihnen besser??“ Aufmerksam schaute der ältere Mann sich das Krankenzimmer an. Bei dem Tisch mit den Genesungsgeschenken verzog sich sein Mund zu einem schmallippigen Lächeln. Mit hinter dem Rücken verschränkten Händen drehte der Professor sich um. Seine kleinen Augen fixierten den jungen Mann im Bett. Dieser verspürte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Mit allen hatte er gerechnet! Aber nicht damit! Mitzuko war wirklich der Letzte, den er erwartet hätte. Woher wusste der Kerl nur, dass er hier war? „Was wollen Sie?“, fauchte Morinaga. Unfreundlicher ging es nicht. Mitzuko war es egal. „Aber, aber mein Junge. Wie unfreundlich. Ich wollte wirklich nur gucken, wie es Ihnen geht!“ Der Kohai glaubte ihm kein Wort. „Verschwinden Sie! Wir sind nicht in der Uni! Also machen Sie das Sie wegkommen.“ Panik erfasste den Jüngeren. Zitternd tastete er nach dem Klingelschalter für den Schwesterruf. Wo hatte er das blöde Ding?? Endlich erfassten seine feuchten Finger das Gerät. Aber mit einer flüssigen Bewegung nahm Mitzuko es ihm aus der Hand. „Nein. Nein. Wir haben noch einiges zu bereden.“, tadelte er sanft. Tetsuhiro erblasste. Er war wie versteinert. Mitzuko nahm wieder Abstand ein. „Was wollen Sie???“, fragte der Student mir eisiger Stimme. Der Besucher strich über seinen Bart. „Was ich will? Nun, ganz einfach: Ich möchte mich ein wenig mit Ihnen über Ihren sauberen Freund Soichi Tatsumi unterhalten! Der hat doch sicherlich die eine oder andere Leiche im Keller? Irgendwelche schmutzigen Geheimnisse? Es wird Ihr Schaden nicht sein.“ Die Sätze wurden so beiläufig ausgesprochen, als rede er vom Wetter. Die Augen blitzten gefährlich auf.

 

Morinaga fiel die Kinnlade herunter. War das sein Ernst?? Glaubte der wirklich er, Tetsuhiro, würde ihm auch nur ein einziges Wort erzählen. Ganz davon abgesehen, dass es keine Leichen im Keller gab, die erwähnenswert gewesen wären. Er lachte schroff auf. „Sie haben nicht mehr alle Tassen im Schrank! Hauen Sie ab!!“ Mitzuko’s Augenbrauen zogen sich zusammen. Dieser kleine Dreckskerl! Ganz schön hartnäckig! Aber Moment! Ihm kam eine zündende Idee! Leise pfiff er vor sich hin. „Sehr schlecht. Nun gut! Du und Tatsumi ihr…steht euch doch sehr nahe?? Wäre doch schade, wenn er die Uni verlassen muss oder? Eine unehrenhafte Entlassung wirft überhaupt kein gutes Licht auf einen Studenten, sollte er sich bei einem anderen Institut bewerben, oder?“ Wie selbstverständlich war der Professor zum „Du“ übergegangen. Tetsuhiro biss die Zähne zusammen. Seine Gedanken rasten. Wo war er nur hineingeraten? Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren! „Sie sind ja krank! Ich werde den Dekan über Ihre Machenschaften informieren! Dann fliegen Sie von der Uni!!!!“ Die letzten Worte kamen ganz heiser aus den Stimmbändern heraus. Schwer atmend sank er etwas zurück. Hatte er gehofft, dem unerwünschten Besuch damit den Wind aus den Segeln zu nehmen, ging der Plan nach hinten los. Erst leise, dann immer lauter erscholl das hämische Lachen des Universitätsprofessors. „Du glaubst gar nicht, was ich alles kann. Du willst also zum Dekan? Nur zu! Kagoja wird dir kein Wort glauben! Keinem von deiner Sorte. Der frisst mir praktisch aus der Hand. Wenn ich will kann dafür sorgen, dass weder du noch Tatsumi in keiner Uni in ganz Tokyo Fuß fassen werdet!!!“ Das Herz des jungen Studenten drohte zu zerspringen. Gleich würde er aufwachen und der Albtraum wäre vorbei. Er schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, stand Mitzuko immer noch da. „RAUS!! VERSCHWINDEN SIE AUF DER STELLE!!“, brüllte er den Mann mit seinen letzten Kraftreserven an. Kenji Mitzuko legte den Kopf schief, zuckte mit den Schultern. „Okay…Wie du willst…“ Langsam ging er zum Ausgang. Er wusste was gleich passieren würde. Es war immer so. Keine drei Schritte, dann hörte er es: „Warten Sie…“ Der Professor klopfte sich innerlich selbst auf die Schulter. Er wusste der Sieg war sein. „Ich…bitte tun Sie das nicht…bitte!“ Vor Wut und Verzweiflung stiegen Tetsuhiro Tränen in die Augen. Mitzuko weidete sich an der Ausweglosigkeit seines Gegenübers. „Was hast du denn? Liegt dir wirklich so viel an Tatsumi? Na gut…Ich bin ja kein Unmensch…Ich werde Tatsumi unter gewissen Umständen in Ruhe lassen…Sagen wir…wenn du mir ein paar kleine Gefallen tust….“ Jedenfalls würde er Soichi Tatsumi eine Weile zufriedenlassen, bis er seinen Spaß gehabt hatte. Und wenn alles so lief wie er wollte, war er beide bald los. Morinaga wusste mit Sicherheit, er begab sich in die Höhle des Löwen. Aber dieser Mann mit dem Schnauzbart könnte das Leben Soichi’s zerstören. Tetsuhiro würde alles tun, um das zu verhindern. Egal was! Der Puls hämmerte wie verrückt. Nach einem letzten Zögern schaute er Mitzuko fest in die Augen. „Was soll ich machen…?“

 

Am nächsten Morgen verließ Tetsuhiro Morinaga das Nakamura Hospital gegen ärztlichen Rat.

 

Ende Kapitel 16

Pakt mit dem Teufel

„Wo ist er??“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte Soichi auf das leere Bett, in dem einen Tag zuvor noch sein Kohai lag. Jetzt war es verlassen. Um das Bett herum standen Dr. Tonno und die Oberschwester. Die beiden drehten sich zu Tatsumi um. Der Arzt räusperte sich angestrengt. „Es tut uns sehr Leid…Wir konnten nichts mehr für Tetsuhiro tun…“ Schwester Erica sah den jungen Mann mitleidig an. Sie ging einen Schritt auf Soichi zu, blieb aber stehen, als er wild den Kopf zu schütteln begann. „Nein!! Das kann nicht sein!!! Gestern, da war er doch….“ Verzweiflung erfasste jede Faser seines Körpers. Das konnte nicht wahr sein!!! Die Bilder vor seinem Gesicht verschwammen. Dann wurde es dunkel und er fiel in ein bodenloses schwarzes Loch.

 

Ruckartig fuhr Soichi im Bett hoch. Das Herz hämmerte so stark gegen die Rippen das es schmerzte. Schweiß lief ihm in Strömen über den Rücken. Desorientiert sah er sich um. „Ein…Traum…nur ein verdammter Traum…“, keuchte er mühsam. Langsam regulierte sich sein Atem wieder. Mit einem dumpfen Geräusch fiel er zurück in die Kissen. Mit brennenden Augen starrte er in die Dunkelheit und konnte keinen Schlaf mehr finden. Nach seinem kleinen Malheur von gestern Abend hatte es Stunden gedauert bis er sich soweit beruhigt hatte um einschlafen zu können. Und nun durchkreuzte so ein dämlicher Traum die so bitter nötige Erholung. „Wa…Was?“ Soichi spürte etwas Nasses auf seinem Gesicht. Tränen. Ruppig wischte er sie weg. „Mein Gott! Jetzt heul ich auch noch? War doch nur ein Traum. Ein blöder unbedeutender Traum!“ Trotzdem blieb eine innere Unruhe zurück. Seufzend drehte er den Kopf, um auf den Wecker sehen zu können. Da es zum Aufstehen noch zu früh war blieb er wo er war und versuchte angestrengt wieder in das Land der Träume abzutauchen. „Ah! Scheiß drauf!“, knurrte er knappe eineinhalb Stunden später. Es hatte einfach keinen Zweck! Genervt warf er die Decke zurück und stand auf. Nach einem kurzen Frühstück, das aus einer Tasse Kaffee plus Zigarette bestand, stapfte er los.

 

Wie er erwartet hatte war in der Uni noch nicht viel los. Nur wenige Studenten waren zu dieser frühen Stunde schon unterwegs. Gähnend öffnete Tatsumi die Labortür. Alles sah noch genauso aus wie er es gestern verlassen hatte. Sogar die zerbrochenen Reagenzgläser lagen noch an Ort und Stelle. „Mistkerl…“, zischte Soichi. Schon allein der Gedanke an das letzte Gespräch trieb seinen Blutdruck bedenklich in die Höhe. Fest biss er die Zähne zusammen. Mit einem lauten Knall schloss er die Tür, zog die Jacke aus und den weißen Kittel an. Missmutig machte Soichi daran die Scherben zu beseitigte. Danach baute er die Apparaturen für das anstehende Experiment auf. Doch immer wieder musste er ein lautes Gähnen unterdrücken. Der Schlafmangel und der Stress der letzten Tage machten sich nun doch bemerkbar. Und das zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Sein Professor machte schon seit einiger Zeit Druck, er müsse bald vorzeigbare Ergebnisse liefern. „Reiß dich zusammen Soichi!! Arbeit, Arbeit, Arbeit!!!“, feuerte er sich selbst an. Doch zu seinem Leidwesen ging es ihm nicht so leicht von der Hand, wie erhofft. Mist! Wenn Morinaga ihm helfen würde wäre er schneller vorangekommen. Ausgerechnet jetzt musste er ausfallen. Aber es half alles nichts. Schließlich war es ja nicht Tetsuhiro´s Schuld, dass er krank geworden war. Morinaga…der Albtraum kam Soichi in den Sinn. Vielleicht ein schlechtes Omen? Quatsch! Der Vormittag verstrich. Um 14.00 Uhr notierte der blonde Student die letzten Daten in das Arbeitsprotokoll. So ganz zufrieden war er zwar nicht aber mehr war heute nicht drin. Außerdem war es Zeit war den angekündigten Besuch bei Tetsuhiro in die Tat umzusetzen. Bei dem Gedanken an ihn wurde ihm ganz komisch. Das Herz schlug mit jeder Minute schneller. Nachdem er ein letztes Mal checkte, ob alles an seinem Platz war, sauste er aus dem Labor. In den Fluren tummelten sich mittlerweile die Studenten. Unbeeindruckt von dem Gewusel um ihn herum strebte Soichi zum Ausgang. Jedoch, als er um die letzte Ecke bog, die den Studenten und die Tür trennten kam ihn Mitzuko entgegen. Vor Schreck blieb Soichi stocksteif stehen. Dreck! Auf den hatte er überhaupt keinen Bock. Doch, einem kleinen Weltwunder gleich, schlenderte der Professor gelassen an Soichi vorbei. Er schenkte dem Blonden nicht einen Blick, als wäre er Luft für ihn. Verwirrt verfolgte dieser wie Mitzuko im Getümmel verschwand. „Ha…Habe ich irgendwas verpasst?“, fragte er sich während er weiterging. Hatte Mitzuko ihn nicht gesehen? Unwahrscheinlich. Er konnte Soichi gar nicht übersehen haben! Was solls! Schulterzuckend legte er die Angelegenheit erst einmal zu den Akten. Er würde sich später den Kopf darüber zerbrechen. Soichi hatte nun Wichtigeres vor.

 

Außer Puste erreichte er das Krankenhaus. Auf den Weg dorthin hatte er stätig an Tempo zugelegt.  Ohne Anmeldung eilte er in das Zimmer 02. Geräuschvoll betrat er den Raum. „Sorry, dass ich so spät…Was?...“ Leer. Das Bett war leer. Nichts deutete darauf hin, dass es noch vor kurzem belegt gewesen war. Das weiße Laken wieß nicht die kleinste Falte auf. Selbst die vielen Geschenke auf dem Tisch waren weg. Verwirrt ging Soichi zurück in den Flur. Vielleicht war er im falschen Zimmer? Nein, die Zimmernummer stimmte. „Was zum Teufel…?“ Ein dunkler Schleier legte sich auf Soichi´s Verstand. Der…der Traum. Es war wie in seinem Traum! Unmöglich!! Ohne Nachzudenken stürmte er zum Empfang. Die Menschen, vor dem Tresen stieß er rüde zur Seite. „Wo ist er!! Warum ist das Zimmer leer???? Was geht hier ab?“ Die junge Krankenschwester dahinter fiel fast von ihrem Drehstuhl. Nur mit Mühe konnte sie sich zusammenreißen, um nicht davonzulaufen. „Beruhigen Sie sich bitte! Ganz ruhig. Wie kann ich helfen?“ Soichi konnte sich nur unter Einsatz seiner ganzen Willensstärke dazu bringen, nicht über den Tresen zu springen. „Der…Patient…aus Zimmer 02 Morinaga wo...ist...er…?“, fragte er durch zusammengebissenen Zähnen. Schleunigst tippte die Frau in die Tasten ihres Computers. „Ein Sekunde…Morinaga….Morinaga…“ Ungeduldig trommelte Soichi mit den Fingern. Er stellte sich bereits die schlimmsten Horrorzenarien vor. Hoffentlich nicht das, woran er dachte! Was dauert denn da so lange?? Schon holte er Luft, um die Schwester erneut anzuschreien. Zu ihrem Glück fand sie den Gesuchten in ihrem Verzeichnis. „Ah! Hier ist er. Mhmm…okay…er wurde…heute Morgen entlassen. Hier steht es!“ Lächelnd schaute das Mädchen zu ihrem Gast auf. Das Lächeln gefror aber, als sie Soichi´s wütendes Gesicht sah.

 

„Entlassen?? Wie? Wann? Warum?“, bombardierte er sie mit Fragen. Gleichzeitig durchströmte die Erleichterung seinen Körper. Für einen kurzen Moment hatte er mit dem Schlimmste gerechnet. „Mal sehen…Er wurde auf eigenem Wunsch entlassen. Ähm…da war vor ein paar Stunden…“, erklärte sie freundlich. Aus einer Schublade fischte sie ein zusammengefaltetes Blatt Papier. „Wie es aussieht hat er eine Nachricht für einen gewissen…Soichi Tatsumi…hinterlassen. Hey!“ Ohne auf sie zu achten riss Soichi ihr den Zettel mit der Notiz aus der Hand. „Senpai! Mir geht es gut. Mach dir keine Sorgen! Es ist alles mit dem Arzt abgeklärt. Such nicht nach mir. Wir sehen uns später!“ Fassungslos verknüllte Soichi das Papier. Ohne ein Wort drehte er um. So schnell er gekommen war, so schnell war er wieder weg. In seinen Kopf ging alles drunter und drüber. Auf eigenen Wunsch entlassen? Warum? Ohne ein Wort zu sagen? In seinem Zustand? Er raste vor Wut. Im Gehen schnappte er sein Handy und wählte die Nummer Tetsuhiro´s. Freizeichen. Sein Handy war also an. Es bimmelte ein paar Mal, dann wurde er weggedrückt. Das Telefon knackte bedrohlich in der verkrampften Hand. „Ich glaub es nicht!! Spinnt der?? Wir sehen uns später? Soll er doch bleiben wo der Pfeffer wächst!“, schrie Tatsumi sein bemitleidenswertes Handy an. Trotzdem ging er weiter, begann ihn zu suchen. Er hatte keinen blassen Schimmer wo sein Kohai sich aufhielt, wenn sie nicht zusammen waren. Die Uni zurück? Lächerlich! Warum in alles in der Welt sollte Morinaga dort sein? Nach Hause? Namen von Freunden kannte er auch nicht. Im Grunde wusste er überhaupt nichts. Die Erkenntnis versetzte ihm einen Stich.

 

Ziellos streifte Tetsuhiro durch die Stadt. Er war zwar froh aus dem Krankenhaus raus zu sein, aber die Sache einen Hacken. Einen riesengroßen Hacken. Und dieser Hacken hieß Mitzuko. Wie ein Stachel stach er in ihrer beider Fleisch. Versuchte man ihn heraus zu ziehen, bohrte er sich nur noch umso tiefer hinein. Was der Professor von Morinaga wollte, war noch ungewiss. Nachdem er in den wortwörtlichen „Pakt mit dem Teufel“ einwilligte, nickte Mitzuko nur und meinte er würde sich mit Tetsuhiro in Verbindung setzten, dann verschwand er. Ohne weitere Erklärung verließ er den verstörten Studenten zurück. Die Ungewissheit machte Morinaga beinahe verrückt! Und dann das Theater mit dem Doktor. Er hatte das Krankenhaus nur verlassen können, weil er Dr. Tonno das Versprechen gab, sich jeden zweiten Tag bei ihm sehen zu lassen. Alles in ihm sträubte sich dagegen auch nur einen Handschlag für den Mistkerl Mitzuko zu machen. Am liebsten würde er sich zu Hause in seinem Bett verkriechen. Aber die Angst hielt ihn davon ab. Wenn er nicht tat was der ältere Mann von ihm wollte, würde er ihnen das Leben zur Hölle machen. Einen Moment stellte der Kohai sich vor es einfach zu lassen. Sollte die doch alles zusehen wie sie klarkommen! Er würde seine Sachen packen und einfach verschwinden. Das Problem wäre vom Tisch! Ha! Was für ein lächerlicher Gedanke. Er wusste schon, dass er es nicht tun würde. Für Soichi würde er seinen Stolz hinunterschlucken. „Ob Senpai noch in der Uni ist? Wahrscheinlich…“ Zum Glück hatte der junge Student daran gedacht, ihm eine Nachricht zu hinterlassen. Was nicht viel nützen würde, wenn er Soichi in die Hände fallen würde. „Das wird ein Donnerwetter geben!“ Morinaga seufzte tief. War es nicht das, was er sich all die Jahre gewünscht hatte? Die Aufmerksamkeit Soichi´s? Und nun, da es passierte wünschte Morinaga, sein Senpai würde ihn wieder ignorieren. Jedenfalls für eine Weile. Ihm graute davor, später nach Hause zu gehen.

 

Sein Handy schleuderte ihn in die Wirklichkeit zurück. Scheiße! Die Nummer kannte er nur zu gut. Wenn man vom Teufel spricht. Hypnotisiert guckte er auf das Display. Sollte er rangehen? Nichts hätte er lieber getan. Aber er wusste, wenn er die vertraute Stimme hören würde, könnte sein Entschluss die Sache durchzuziehen ins Wanken geraten. Entschlossen drückte er den Anruf weg. Tetsuhiro spürte wie das Blut in seinen Ohren rauschte. „Sorry Senpai…es muss sein…“ Schnell ging er weiter die Straße entlang. Innerhalb der nächsten halben Stunde rief Soichi nochmal drei Mal an. Mit jedem nicht angenommenen Anruf wurde Morinaga elender zu Mute. Scheiße! Scheiße! Scheiße! Sein Handy kündigte erneut einen Anruf an. Doch es war nicht sein Senpai.

 

Vorsichtig lugte Morinaga durch das Fenster des kleinen Cafés in der Innenstadt. Er zuckte zusammen, als der den Professor bereits an einen der Tische sitzen sah. Seine Beine zitterten inzwischen bedenklich und ihm war schon wieder schlecht. Kurzum: es ging ihm alles andere als gut. Sein Körper hatte sich noch nicht vollends von den Strapazen erholt. Tetsuhiro hielt die Luft an, dann betrat er das Gebäude. „Ah! Da bist du ja! Ich dachte schon du kommst nicht mehr…“ Der Professor strahlte über das ganze Gesicht. Morinaga kam fast sein Frühstück wieder hoch. Grimmig sah er den älteren Mann an. „Also, was wollen Sie…?“ Sein Hals war staubtrocken und zugeschnürt. Hoffentlich bekam er Professor nicht mit, wie es um ihn stand. Dieser war unbeeindruckt von dem Ton des Ankömmlings. „Alles zu seiner Zeit! Setz dich!“, forderte er den Studenten auf. Wiederwillig nahm der Kohai Platz. Auch Mitzuko machte es sich gemütlich. „Was soll das werden? Ich bin nicht hier um ein Kaffeekränzchen zu halten? Er soll zur Sachen kommen.“ Morinaga saß wie auf glühenden Kohlen. Mitzuko schlürfte gelassen an seinem Kaffee. Minuten vergingen. Kenji Mitzuko kostete die Gelegenheit zur Genüge aus. Er konnte sich vorstellen, was in dem Kopf des Jungen vorging. Doch hatte er gerade erst angefangen. Ja, dieser Morinaga gefiel ihm von Mal zu Mal besser. Schade, dass er nicht schon früher auf ihn aufmerksam geworden war. Er würde seinen Spaß haben, soviel war sicher. Er lächelte gutmütig. „Du möchtest wissen, was du machen sollst? Nun, wie gesagt, es handelt sich nur um einige kleine…Gefälligkeiten…“ Betont langsam zog er eine Visitenkarte aus seiner Manteltasche, legte sie auf den Tisch und schob sie über den Tisch.

 

Ohne zu wissen, was er davon halten sollte nahm der Junge das weiße Kärtchen in die schweißnasse Hand. Was sollte er damit?? Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte er zu Mitzuko auf. „Auf der Rückseite steht meine Privatadresse….“, teilte er mit einem diabolischen Grinsen mit. Morinaga guckte nach. Tatsächlich! In der fein säuberlichen Handschrift des Uniprofessors stand dort eine Adresse. Wenn Tetsuhiro sich nicht täuschte wohnte der Kerl in dem Villenviertel im Westbezirk. Als sei das Papier glühend heiß schmiss er die Karte auf die Tischplatte. Hatte er richtig verstanden? Er sollte zu ihm nach  Hause kommen? Niemals! „Mein Haus wird dir gefallen. Niemand wird uns stören. Die Gegend ist auch sehr hübsch…“, redete der Professor unbeeindruckt weiter. „N-Nein! Das mach ich nicht! Sie sind ja noch verrückter als ich gedacht habe! Sie…Sie…!!“ Er würde den Teufel tun, zu ihm nach Hause zu gehen!! Sprungartig stand er auf. Auch Mitzuko erhob sich von seinem Platz. Erstaunlich schnell. Noch bevor Morinaga gehen konnte packte er sein Opfer am Kragen und zog ihn zu sich heran. Die Gesichter berührten sich beinahe. „Du machst was ich sage, du kleiner Scheißkerl!  Denk daran! Ein Wort von mir und dein lieber Freund Tatsumi und du ihr landet in der Gosse! Ihr werdet eures Lebens nicht mehr froh!“, zischte er. „Stell dich nicht so an! Ich weiß doch was du für einer bist!“ Rückartig ließ er Tetsuhiro los. Mitzuko strich sich über seinen Bart. Störrischer kleiner Bastard! Ihn so in Rage zu bringen. Morinaga würde schon kommen. Früher oder später. Der Professor wusste inzwischen welche Verbindung zwischen ihm und Tatsumi bestand. Er sah es in seinen Augen. Aber im Grunde war es ihm egal. Das machte die Angelegenheit nur noch leichter für ihn. Und spaßiger. Wenn der Plan aufging, waren die beiden bald Geschichte! Seine Uni war dann befreit von solchen Störenfrieden. Schließlich waren sie nicht die Ersten, die es mit ihm aufnehmen wollten. „Nun gut. Alles zu seiner Zeit…Vorerst erwarte dich morgen in der Uni. Wann genau wirst du noch erfahren. Also dann. Wir sehen uns!“

 

Der Himmel färbte sich langsam rot, als Soichi nach Hause trottete. Die restlichen Stunden war er wie ein Verrückter durch die Gegend getigert. Dieser Trottel Morinaga war trotz mehrmaligen Versuchs nicht an sein verdammtes Handy gegangen. Bei dem Gedanken, dass Tetsuhiro in seinem Zustand irgendwo durch die Stadt lief machte ihn ganz verrückt. Er war kurz davor zur Polizei zu gehen. Natürlich hatte er sofort einen Abstecher nach Hause unternommen, in der Hoffnung Morinaga wäre dort. Doch keine Spur. „Schwachkopf! Wo treibt der sich rum?? Womit habe ich das verdient?“ Nacheinander klapperte er alle anderen Orte ab, an denen Morinaga sich aufhalten könnte. Ohne Erfolg. Jetzt war es fast dunkel und Soichi war so schlau wie vorher. „Hey? Was…? Na warte!!“ Die Fenster der Wohnung waren hell erleuchtet. Bingo! War der Kerl endlich aufgetaucht! Immer zwei Stufen auf einmal nehmend erklimm er die Treppen bis zu Wohnungstür. „MORINAGA!!!!!“, brüllte er quer durch den Flur. Tetsuhiro, der erschöpft am Küchentisch saß, verharrte noch eine Sekunde, bevor er tief Luft holte und sich hochstemmte. Schnell setzt er ein fröhliches Gesicht auf bevor er seinem Senpai entgegen treten wollte, doch schon in der nächsten Sekunde erschien Soichi im Türrahmen. „Senpai!! Schön dich zu sehen!! Überrasch…Aauu!!“ Bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, versetzte Soichi ihm eine saftige Kopfnuss. „S-Senpai!! Was soll das denn???“ Mit beiden Händen rieb sich der junge Mann den Kopf. „Was das soll? Das sollte ich dich fragen?? Spinnst du???? Einfach aus dem Krankenhaus abzuhauen???!“, donnerte Soichi rot vor Wut und Verzweiflung. Tetsuhiro stöhnte innerlich auf. Fieberhaft überlegte Morinaga, wie er die Situation entschärfen konnte. „Was…Was heißt abgehauen? Hast du meine Nachricht nicht erhalten?? Es ist alles mit Dr. Tonno abgesprochen!“ Morinaga schwitzte Blut und Wasser, damit Soichi nicht bemerkte was sich in seinen Inneren abspielte. Denn, wenn Tetsuhiro ehrlich war, würde er nichts lieber tun, als wie ein kleines Kind loszuflennen. Zum Glück schien Soichi nichts zu bemerken. „Tolle Nachricht! Was soll das? Du solltest noch eine Woche da bleiben! Und warum gehst du nicht an dein verdammtes Telefon??“ Tränen schossen in seine wutblitzenden Augen. Der Blick, mit dem Soichi Tetsuhiro bedachte, ging durch Mark und Bein. Morinaga wurde unbehaglich zu Mute. Tetsuhiro Morinaga zerriss es innerlich Soichi nicht die Wahrheit sagen zu können. Es selbst hatte sich nur mühsam beruhigen können.

 

Sachte trat er näher an den Älteren heran. „Senpai, tut mir leid. Ich wollte dir keinen Kummer machen…Aber…versteh doch! Ich konnte es dort keinen Tag mehr aushalten...Wenn es nicht okay wäre, hätte man mich doch nicht gehen lassen…“ Nun stand er genau vor seinem Senpai. Dieser sah immer noch skeptisch aus. Trotzig verschränkte er die Arme. „Trotzdem…so…so ein Risiko einzugehen!...Ich dachte schon du bist….Du bist ein riesengroßer Idiot!“, murmelte er leise. Dem Blick seines Gegenübers wich er aus. Der Kohai lächelte glücklich. Wie er ihn vermisst hatte! Wäre der Grund seines Hierseins nicht so tragisch, er hätte vor Freude gejubelt. Er war  wieder zu Hause. Zusammen mit Soichi. „Außerdem habe ich es keine Sekunde mehr ohne dich ausgehalten…“, setzte er leise hinzu. Sanft berührte er die Wange Soichi´s. Morinaga stutzte. Waren das etwa Tränen? Ein verräterischer Glanz lag in den Augen Tatsumi´s. Der Ältere gewährte ihm kurz die Berührung. Dann schlug er die Hand weg. „Du findest das auch noch lustig, was?“ Grimmig ging er an seinen Kohai vorbei. Schnell fuhr er sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Wurde dieses Geflenne zum Dauerzustand, oder was? Trotzdem, irgendwas stimmte nicht! Soichi´s Bauchgefühl hatte ihn eigentlich noch nie im Stich gelassen. Er musste nochmal nachhaken! „Ich…“ Weiter kam er nicht, denn zwei Arme schlangen sich von hinten um ihn. Tetsuhiro´s warmer Atem streifte seinen Nacken. „Senpai…ich…liebe dich.“, murmelte Tetsuhiro an der Schulter des Älteren. Tatsumi jagte ein Schauer über den Rücken. Jedes noch so kleine Härchen auf seinem Körper stellte sich elektrisiert auf. Nach kurzem Zögern lehnte er sich an seinen Hintermann. „Senpai….hast du…mich vermisst?“, fragte Tetsuhiro aus heiterem Himmel den anderen. Soichi schluckte. Was sollte e darauf antworten? Glücklicherweise konnte Morinaga sein Gesicht nicht sehen. „N…natürlich nicht….“, meinte er mit zitternder Stimmen, doch seine rotglühenden Ohren straften seiner Worte Lügen. „Kleiner Lügner…“, wisperte der Kohai in eben diese Ohren. Sanft drehte er den anderen zu sich um, strich ihm behutsam über die Wangen. Als sich ihre Lippen berührten schlug Soichi das Herz bis zum Hals. Automatisch schloss er die Augen und gab sich dem Kuss hin. Ermutigt durch den Mangel an Gegenwehr wurde Morinaga forscher. Er intensivierte den Kuss, drang mit der Zunge in die Mundhöhle Soichi´s ein um sie erforschen. Seine Hände rutschten nach unten und legten sich auf die Hüten des anderen. Dessen verräterischer Körper sprang sofort auf die Berührungen an. „…Nicht…warte…“, protestierte Soichi da halbherzig, obwohl sich jede Faser seines Leibes nach mehr lechzte. Er wusste einfach nicht wie er damit umgehen sollte. „…Soichi…?“ Der Klang seines Vornamens aus dem Mund Tetsuhiro’s ließ eine Sicherung in seinem Inneren durchbrennen. Ohne weiter darüber nachzudenken presste er seine brennenden Lippen auf den Mund seines Partners. Er ging dabei so stürmisch vor, dass Tetsuhiro überrumpelt nach hinten gegen die Küchenzeile taumelte. Überrascht über diese Eigeninitiative war er kurz wie erstarrt. Fing sich aber schnell und erwiderte leidenschaftlich den Kuss.

 

Während er Soichi fest an sich drückte, vergrub dieser die Hände in den schwarzen Haaren des Jüngeren. Der gesamte Körper des Blonden stand in Flammen. Sein Verstand war abgemeldet, die Lust übernahm die Kontrolle. Aus Luftmangel ließen sie voneinander ab. Speichel lief an ihren Mundwinkeln hinab. Schwer atmend hielten sie einander fest. Jeder konnte das Begehren in den Augen des anderen lesen. Über die Schulter Tatsumi´s schweifte der Blick Morinaga´s durch den Raum, blieben schlussendlich am Küchentisch kleben. Ohne lange zu fackeln stieß er sich von der Küchenzeile ab und schob sich mit Soichi zum Tisch. Willig ließ sich Soichi auf den Tisch platzieren, stöhnte lauf auf als er Morinaga´s Hände auf der nackten Haut spürte. Mit einer fließenden Bewegung riss der ihm regelrecht das Oberteil runter, fuhr mit der heißen Zunge über das erhitzte Fleisch hinauf zum Schlüsselbein, über den Hals bis zu den Ohren. Soichi keuchte erstickt auf als Tetsuhiro sich an seinem Ohrläppchen festsaugte. Das Blut schoss wie flüssige Lava durch seine Venen. Er schnappte nach Luft und wurde daraufhin in einen erneuten Kuss verwickelt. Ungestüm, wild, hart. Ihre Zungen und Münder verschmolzen miteinander. Ungeduldig zerrten sie sich gegenseitig die restliche Kleidung herunter, rieben ihre verschwitzten Körper aneinander. Beinahe grob drückte Tetsuhiro schließlich die Beine des anderen auseinander und drang ohne langes Vorspiel in ihn ein. „…Aaahhh…“ Soichi´s Stöhnen hallte in der ganzen Wohnung wieder. Lustvoll warf er den Kopf in den Nacken. Seine Hände krallten sich in das raue Holz des Tisches. Anbietend drängte er sich Morinaga entgegen. Stöhnte, ächzte und wand sich unter ihm. Er war wie im Rausch. Alles um ihn herum war ausgeblendet. Er nahm nur noch Tetsuhiro, und das was er ihm gab, wahr. Der Tisch knarrte bedenklich unter seinen heftigen Stößen. Stärker, fester, härter. Immer wieder stieß er in ihn, ließ Soichi bunte Sternchen sehen. „Te…Tetsuhiro…Ahh!“, stieß der Älteren hervor als beide gleichzeitig den Höhepunkt erreichten. Ein Zittern ging durch beider Körper, dann war es vorbei. Erschöpft sackte Morinaga auf Soichi zusammen. „Das…w…war…un…glaublich…“, stammelte der Jüngere völlig außer Atem. Seine Beine waren butterweich. Ohne den Tisch wäre er mit Sicherheit umgefallen. Allmählich beruhigte sich seine Atmung. Aber auch sein Gehirn setzte wieder mit dem normalen Denken ein. Was machte er hier? War das eben wirklich passiert? Hatten Senpai und er gerade wilden Sex auf dem…Küchentisch?! Vorsichtig lugte er zu ihm. Der andere hatte die Augen geschlossen. Sein Brustkorb hob und senkte sich im schnellen Rhythmus. Unzählige Schweißperlen glitzerten auf der erhitzten Haut. Für Tetsuhiro war das der schönste Anblick der Welt. „Senpai…Ich liebe dich…“, flüsterte er ihm leise zu. Liebevoll strich er ihm die nassen Haare aus der Stirn und staunte nicht schlecht als dieser die Arme um seinen Hals schlag. „Se…Senpai?“ Doch anstatt einer Antwort klammerte Soichi sich nur noch fester an ihn. „Soichi…soll ich heute Nacht bei dir bleiben…?“ Ein schwaches Nicken an seiner Schulter genügte Morinaga. Ohne weiteres nahm er seinen Freund sachte auf den Arm und trug ihn in sein Zimmer. Soichi, der zu müde zum Protestieren war ließ es geschehen. Er bekam gerade noch mit wie sein Kopf das Kissen berührte. Kurz darauf war er schon eingeschlafen.

 

Ende Kapitel 17

 

Begegnungen Teil I

„Mhmm…“ Schlaftrunken blinzelte Soichi der trüben Morgensonne entgegen. Stöhnend ließ er sich zurück auf das Kissen sinken und vergrub sein Gesicht darin. Sein Rücken schmerzte bei jeder Bewegung. Verdammt! Womit hatte er das verdient? Aber…konnte er sich denn überhaupt beklagen? Schließlich hatte er widerstandslos mitgemacht. Nein, viel schlimmer noch er war ja sozusagen der Anstifter gewesen! Oh Gott! Was war bloß in ihn gefahren? Die Antwort war so einfach wie schockierend. Er war total auf Tetsuhiro abgefahren und die Nacht hatten sie auch noch zusammen verbracht! Die Erkenntnis machte Soichi fast verrückt. Und seinem Rücken war die Aktion auch nicht zu Gute gekommen. „Nein…wie soll…ich mich jetzt verhalten…“, brummte er in das Kissen, sog tief den vertrauten Geruch des anderen ein und fragte sich dabei warum er eigentlich allein hier lag.

 

Müde rieb sich Morinaga den Schlaf aus den Augen. Obwohl Soichi neben ihm lag hatte er die ganze Nacht nicht wirklich geschlafen. Phasenweise fiel er in einen leichten Dämmerschlaf aber er konnte einfach nicht abschalten. Die Szene mit dem Professor schlich sich immer wieder in sein Bewusstsein. Wie sollte er aus diesem Schlamassel nur herauskommen? Von der ganzen Grübelei qualmte ihn der Kopf und sein Gehirn fühlte sich wie Matsch an. Außerdem machten ihm die Nebenwirkungen der Medikamente jetzt schon zu schaffen. Der Geruch des durchlaufenden Kaffee´s ließ ihn beinahe würgen. Jetzt wusste er wie sich eine schwangere Frau fühlte, wenn sie unter Morgenübelkeit litt. Nur, dass es in seinem Fall kein erfreulicher Anlass war. „…Morgen…“ Ein alles anderes als ausgeschlafener Soichi schlurfte in die Küche. Morinaga konnte sich ein dümmliches Grinsen nicht verkneifen als er die roten Flecken am Hals des anderen entdeckte. Sein Senpai hatte sich zwar alle Mühe gegeben sie zu verdecken aber so ganz war es ihm nicht gelungen. „Halt bloß die Klappe!“, knurrte Soichi, dem der Blick seines Kohais nicht entgangen war.  Der Gescholtene verkniff sich jeden Kommentar. Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass Soichi ihn freudestrahlend um den Hals fallen würde. Immerhin war er gestern nicht gerade sanft mit ihm umgegangen. Der Anflug eines schlechten Gewissens meldete sich. Es war ja sonst nicht seine Art so grob vorzugehen. Vielleicht sollte er sich entschuldigen? Seinen treuesten Dackelblick aufsetzend holte er schon Luft für eine überschwängliche Entschuldigung aber Soichi schnitt ihm mit einer strikten Geste das Wort ab. „Kein Wort! Sag kein verdammtes Wort! Kapiert!“, meinte er mit roten Wangen und ließ sich an den Tisch plumpsen. „Okay.“, erwiderte Tetsuhiro unschuldig. Nur mühsam konnte er sich ein Lachen verbeißen. Mit einem liebenswürdigen Lächeln reichte er seinem Freund eine Tasse Kaffee. Schwarz und schön stark, genau wie er es mochte. „Kaffee gefällig?“, flötete er. Soichi verdrehte genervt die Augen. „Blödmann!“, murmelte er aber es klang nicht unfreundlich. Nach dem ersten Schluck Kaffee ging es ihm gleich etwas besser. Aufseufzend lehnte er sich zurück. Aber die Entspannung hielt nur so lange bis ihm auffiel wo er saß. Sein Kopf wurde noch eine Nuance dunkler. Dieser verdammte Tisch. Wie konnten sie nur? Keine Frage, der flog so schnell wie möglich raus!!

 

Eine bleierne Stille senkte sich auf die beiden Freunde hinab. Soichi war verunsichert. Sollte er ihn  nochmal auf gestern ansprechen? Er hatte noch so viele Fragen! Aber wie sollte er anfangen? Die Frage erübrigte sich schon im nächsten Moment, denn ein lautes „GRRRRRRRR!“, ertönte. Peinlich berührt fuhren Soichi´s Hände zu seinem Bauch, in dem es grummelte. „Ich…das…nun…“, stammelte der Blonde verlegen. Nein! Wie peinlich war das denn!! „Ruhe da unten!!“, befahl seinem leeren Magen in Gedanken. Doch der dachte nicht im Traum daran. Das Knurren nahm sogar noch an Lautstärke zu. „Aber Senpai!“ Erst leise, dann immer lauter erscholl das Lachen Tetsuhiro´s. „Warum hast du denn nichts gesagt!“, schmunzelte er vergnügt. Liebevoll sah er auf den blonden Schopf hinab. „Ich…das ist nichts!“, behauptet Soichi schmollend und wollte von seinem Platz aufstehen. „Warte! Setz dich wieder hin!“ Kopfschüttelnd drückte Morinaga ihn zurück auf den Stuhl. „Weiß du was? Ich mach dir ein ordentliches Frühstück! So kannst du unmöglich zur Uni!“ Ohne auf Soichi´s Proteste zu achten öffnete er den Kühlschrank, holte die Zutaten heraus und begann auf der Arbeitsplatte herumzuwerkeln. Soichi fand sich notgedrungen mit seinem Schicksal ab. Verträumt blieben seine Augen an dem breiten Rücken des anderen haften, beobachtet wie sich die Muskeln unter dem dünnen Stoff der Kleidung bewegten. „Halt! Was mach ich denn? Fehlt nur noch das ich anfange zu sabbern!!“, dachte er erschrocken und guckte schnell auf seine Füße. Faszinierend. Lange konnte er sich aber nicht an seinen überaus faszinierenden Gliedmaßen erfreuen. Mit einem „Einmal Frühstück! Bitte schön!“, servierte Morinaga ihm das Essen. Lächelnd nahm der gegenüber dem Älteren Platz und beobachte wie dieser erst zögerlich, doch dann mit wachsendem Appetit zu essen begann. Nein, essen war der falsche Begriff. Er schaufelte das Frühstück regelrecht in sich hinein. „Was ist mit dir?“, fragte Soichi zwischen zwei Bissen. Tetsuhiro, der erkannte, dass die Portion unmöglich für den Appetit seines hungrigen Freundes ausreiste begab sich zurück zur Arbeitsplatte.

 

„Ich habe schon gegessen…“, log er dreist. Das Letzte was er wollte war etwas zu essen. Allein das kleingeschnippelte Gemüse drehte ihm den Magen um. Auch hatte er schon seitdem er aufgestanden war höllische Kopfschmerzen. Kurzzeitig war es besser geworden. Aber nur kurz. Irgendwie fühlte er sich schlapp und kraftlos. Scheiß Pillen! Er musste nicht eine, nein, ganze zehn bunte Tabletten schlucken! Darüber hinaus zermarterte er sein Gehirn nach einer geeigneten Lösung, wie er unbemerkt von Soichi in die Uni kommen sollte. Naja, das Hineinkommen war nicht das Problem, sondern eher wie er verhindern konnte seinem Senpai über den Weg zu laufen. Der verfluchte Mitzuko hatte ja nicht gesagt wann er genau da aufkreuzen sollte. Morinaga konnte nur hoffen, Soichi würde den größten Teil des Tages wie sonst auch im Labor verbringen. Dazu kam noch der fällige Besuch bei Tonno. Ohne diese Auflage hätte er das Krankenhaus nicht verlassen dürfen. Scheiße! Wie sollte er das alles unter einen Hut bekommen? Er konnte sich schlecht zweiteilen. Er zuckte zusammen als er sich mit dem scharfen Messer in den Finger schnitt. Auch das noch! Ein brennender Scherz setzt ein. Rotes Blut trat aus der haarfeinen Wunde. Versunken starrte Tetsuhiro auf die dunkle Flüssigkeit. Es war komisch aber irgendwie fühlte sich der Schmerz gut an. Das Messer…es wäre so einfach…wenn er…„Du kommst doch wohl nicht auf die dumme Idee mit zur Uni zu gehen, oder? Kannst du dir aus dem Kopf schlagen!“, drang die Stimme Soichi´s an sein Ohr. Offensichtlich sprach er bereits eine ganze Weile mit ihm. „Tetsuhiro, hörst du? In der nächsten Zeit ist die Arbeit tabu! Denk an dem Arzttermin! Die Medikamente nimmst du doch? Und...“ Fragen über Fragen prasselten auf ihn nieder. Seine Hände begannen zu zittern. Sein Kopf schwirrte. Konnte Soichi nicht einfach ruhig sein? Tetsuhiro kniff die Augen zusammen. Hinter ihm textete Soichi ihn weiter zu. „Morinaga? Hey! Hörst du zu??“ Zu viel. Einfach zu viel. Bei dem dunkelhaarigen Studenten machte es „Klick“. Ruckartig drehte er sich zu Soichi um. „Senpai! Es reicht! Halt die Klappe! Hörst du, halt die VERDAMMTE Klappe!“, schrie er den verblüfften Tatsumi an.

 

Der Löffel, den dieser in der Hand hielt fiel klappernd auf den Tisch. „Tetsuhiro…leg das Messer weg!“, befahl er mit erstaunlich fester Stimme und fixierte das große Messer, das der Jüngere noch fest umklammert hielt. Vorsichtig stand der Ältere auf. „Was…?“ Tetsuhiro guckte fassungslos auf das Schneidewerkzeug. Was tat er da? Warum hatte er es noch in der Hand? „Senpai…ich…“ Er schluckte. Mit einem wütenden „Scheiße!“ rammte er die Klinge in das Holzbrett auf der Anrichte. Dort blieb es stecken. Keiner sagte ein Wort. Soichi war entsetzt über das gerade Geschehende. Hatte der Arzt nicht etwas von Stimmungsschwankungen gesagt? Er machte behutsam einen Schritt auf seinen Mitbewohner, der mit kraftlos herab hängenden Armen vor ihm stand, zu. „Tetsu?“ Sanft berührte er den Kohai am Arm. Tetsuhiro wich zurück, schniefte. „Sorry…Senpai…ich…sorry.“, murmelte er niedergeschlagen. Ohne weitere drängte er sich an Tatsumi vorbei. Soichi hörte noch die Badezimmertür zuknallen. Schockiert fiel sein Blick zurück auf das Messer. Er kam sich wie in einem schlechten Film vor als er es aus dem Brett zog und in den Mülleimer warf. „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Was soll er machen? War das normal? Bestimmt nicht! Stimmungsschwankungen…. Soichi könnte sich selbst ohrfeigen! Für einen kurzen Moment hatte er sich hinreißen lassen. War von der scheinbaren Normalität geblendet gewesen. Was dachte er sich nur! Tetsuhiro war krank. Vor nicht mal 24 Stunden lag er noch im Krankenhaus. Soichi hatte ja noch nicht einmal richtig kapiert warum er nicht mehr dort war. Was war er nur für ein Freund! Ihm war zum Heulen zu Mute, doch musste er sich zusammenreißen! „Senpai…“ Mit kummervollen Augen betrat Morinaga einige Minuten später wieder in den Raum. „Es tut mir Leid….Ich wollte dich nicht anschreien….“

 

„Soll ich mitkommen?“ Zwanzig Minuten später standen Soichi und Morinaga in der U-Bahn-Station. Morinaga würde mit der Linie Richtung Innenstadt fahren, Tatsumi eine Bahn zur Uni nehmen. Ohne weitere Vorkommnisse verließen sie ihre Wohnung. Morinaga hatte tatsächlich noch die Nerven gehabt das Frühstück fertig zu machen. Wenn er sich fragte, was mit dem Messer passierte, so zeigte er es nicht. Überhaupt benahm sein Kohai sich, als wäre nichts passiert. Soichi wusste nicht was er davon halten sollte. Auf jeden Fall würde er Tetsuhiro noch mehr im Auge behalten. Ohne, dass er davon Wind bekam, natürlich. „Also, was ist? Soll ich mitkommen?“, drängte er nochmals. Tetsuhiro schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Geh zur Uni. Das könnte länger dauern. Wer weiß, was die alles mit mir machen. Wir sehen uns heute Abend. Tschüss!“  Schnell sprang er in die Bahn, bevor Soichi doch noch mitkam. Es freute ihm, dass er mitkommen wollte. Unter normalen Umständen hätte er es dankend angenommen. Er war sich sicher Soichi sorgte sich um ihn. Die Aktion mit dem Messer hatte nicht gerade dazu beigetragen seine Bedenken zu zerstreuen. Aber heute passte das nicht in seine Pläne. Noch wusste er nicht, wann Mitzuko anrufen würde. Nicht auszudenken Soichi bekäme es mit! Leider war die Fahrt zu schnell für seinen Geschmack zu Ende. Je näher er dem Nakamura kam, umso schneller schlug sein Herz. „Bitte lieber Gott! Keine schlechten Nachrichten! Heute nicht!“, bettete er stumm. Gott schien zu seinem Pech andere Pläne zu haben.

 

„Au!“ Routiniert füllte die Krankenschwester ein neues Röhrchen mit Blut. Insgesamt das Sechste. Er hing seit geschlagenen 2 Stunden fest. Nach den üblichen Untersuchungen kam dieser Blutsauger, um ihn zu quälen. Hoffentlich würde Dr. Tonno nicht noch mehr Stress machen. „So, fertig für heute. Bis zum nächsten Mal. Der Doktor kommt gleich.“ Beladen mit einer halben Blutbank marschierte die Krankenschwester davon. Erschöpft lehnte Morinaga seinen Rücken an die Lehne der Liege, auf der er saß. Nur einen kleinen Moment ausruhen. „Schön Sie zu sehen! Sieht so aus, als ob Sie vernünftig geworden sind!“, scherzte Tonno, der den Raum betreten hatte. Unmotiviert setzte Tetsuhiro sich in eine aufrechte Position. Der Arzt ließ sich von seiner schlechten Laune nicht anstecken. „So, mal schauen. Die ersten Ergebnisse sehen gut aus. Keine direkte Verbesserung, aber auch keine Verschlechterung. Allerdings ist der Blutdruck erhöht. Stress sollten Sie vermeiden. Relaxen Sie. Viel frische Luft wirkt Wunder! Die Medikamentendosis bleibt so. Haben Sie Beschwerden?“ Morinaga überlegte. Sollte er von heute Morgen erzählen? Mit etwas Abstand betrachtet kam es ihm unwirklich vor. Er schwieg. Skeptisch guckte der Mediziner Morinaga an, sagte aber überraschender nichts weiter. „Na dann. Sie können gehen. Ruhen Sie sich noch aus, wenn Ihnen schwindelig ist. Wir sehen uns in zwei Tagen. Dann müsste die Auswertung der Blutanalyse da sein. Schönen Tag noch!“ Freundlich winkte er dem jungen Mann zum Abschied zu. „Geschafft! Schnell nach Hause!“ Doch als Tetsu aufstand drehte sich die Umgebung.  Schleunigst nahm er wieder Platz. „Ich ruh mich nur noch kurz aus.“ Müde legte er die Beine hoch. Sekunden später schlief er.

 

„Sehr gute Arbeit! Ich dachte schon mit Ihnen stimmt was nicht. Zum Glück täusche ich mich nicht in Ihren Fähigkeiten.“ Professor Nagiza nickte zur Bestätigung seiner Worte. Soichi atmete auf. Eine große Last fiel von seinen Schultern. Eine Sorge weniger. Sein Mentor klopfte ihm auf die Schultern. „Sie sind dem Doktortitel einen großen Schritt näher.“  Soichi verzog seinen Mund zu einem scheuen Lächeln. Von Nagiza gelobt zu werden, darauf konnte er sich eine Menge einbilden. Der Professor war nicht gerade großzügig mit Lob. „Machen Sie weiter so, dann…Ah! Herr Kollege! Kommen Sie bitte hier rüber!“ Professor Nagiza winkte einen anderen Mann heran. Entsetz erkannte Soichi Mitzuko, der seelenruhig nährt kam. Fuck! „Lieber Kollege! Darf ich Ihnen meinen Vorzeigestudenten Soichi Tatsumi vorstellen? Ein kluger Kopf!“ Mitzuko blickte von Nagiza zu Soichi. „Der junge Mann ist mir wohl bekannt. Wie hatten einige Male das Vergnügen.“ Er nickte seinem Kollegen zum Abschied freundlich zu. Dem Studenten schenkte er jedoch einen seltsamen Blick. Doch mehr geschah nicht. Keine Verwünschungen, Anfeindungen oder Kritik. Nichts. Verwundert sah Tatsumi seinem Feind nach. Bald verabschiedete auch sein Mentor. Zurück blieb ein völlig verwirrter Soichi Tatsumi. Es keimte eine vorwitzige minimale Hoffnung auf. Konnte es sein? Gab Mitzuko auf? Immerhin war das schon das zweite Mal ohne, dass etwas passierte! Hatten Sie endlich, endlich ihren Frieden?

 

Wie von Sinnen hastete Tetsuhiro durch die Uni-Flure. Er konnte es nicht fassen! War er doch in der Klinik eingedöst!! Eingedöst war noch untertrieben. Geschlagene zwei Stunden schlief er. Und niemand, wirklich niemand hatte es für nötig gehalten ihn aufzuwecken. Als er erwachte war eine Nachricht auf seiner Mailbox. Durch das Telefon klang die Stimme des Professors unangenehm knarrend. „Anscheinend hältst du es nicht für nötig ans Telefon zu gehen! Da ich kein Unmensch bin, gebe ich dir noch eine Chance. Wenn du nicht in 30 Minuten im Raum 034 bist, ist unser Deal geplatzt! Also, die Zeit läuft.“. Raum 034 kam in Sicht. Die Uhr sagte Morinaga, dass er noch fünf Minuten übrig hatte. Ein Glück! Vor der Tür verschnaufte der junge Mann. Blutabnahme und Marathonlauf waren keine gute Kombination. Vor seinen Augen flimmerte es, ihm war schlecht. Der Kopf hämmerte. „Reiß dich zusammen Tetsuhiro!“ Ein letzter tiefer Atemzug, dann ging er hinein. „Hallo? Jemand hier?“, rief er in den Raum, der sich als Büro entpuppte. Es war ziemlich geräumig mit zwei großen Fenstern, die in den Park zeigten. Ohne einen Laut zu erzeugen schloss er die Tür und trat ans Fenster. Die schöne Aussicht beruhigte seine Nerven. Auch sein Arm, mit dem Einstich an der Armbeuge tat nicht mehr ganz so weh. „Hübsch nicht wahr?“, hörte er den Professor hinter sich sagen. Morinaga wirbelte herum. „Hm?? Du bist ein bisschen blass um die Nase!“, stellte der Mann fest. „Aber dem kann Abhilfe geschaffen werden.“ Der Professor trat zu seinem Aktenkoffer und stellte diesen auf den großen Mahagonieschreibtisch. „SCHNAPP!!“, machten die Verschlüsse, als der Koffer sich öffnete. Zum Vorschein kam eine schuhkartongroße Box. „Das sind Trägerplättchen. Im Großen und Ganzen 500 Stück. Ich will, dass du sie säuberst und wieder einsortierst. Für jedes Stück, das zerbricht, schuldest du mir einen weiteren Gefallen. Viel Spaß.“ Mit den letzten Worten kippte er den Inhalt des Kästchens auf den Teppichboden. Ungläubig starrte Tetsuhiro auf den Boden. Nicht nur, dass die durchsichtigen Plättchen kaum zu sehen waren, einige gingen gleich zu Bruch. Morinaga wusste sofort, dass er die ihm auferlegte Arbeit niemals zu Mitzuko´s Zufriedenheit erfüllen würde. Es war die reinste Syssiphus-Arbeit. Trotz der Erkenntnis kniete der Dunkelhaarige auf den Boden nieder und streckte die Hand nach den ersten Plättchen aus.

 

„Ahhhhhh!“ Ein plötzlicher Schmerz ließ Morinaga aufschreien. Professor Mitzuko´s rechter Absatz sauste mit großer Wucht auf seine Hand hinab. „Oh, wie ungeschickt von mir!“, rief er mitfühlend aus und ging in die Knie. „Warte mein Kleiner, ich helfe dir!“ Grob fasste er nach der verletzten Hand. Die Berührung verursachte bei Tetsuhiro eine Übelkeit, die er noch nie verspürt hatte. Gleichzeitig wurde ihm schwarz vor Augen. Mit aller Kraft wollte er seine Hand wegziehen, doch der Griff Mitzuko´s  war wie ein Schraubstock. „Nicht doch! Entspann dich!“, säuselte der Mann und griff mit der freien Hand nach Tetsuhiro´s Gesicht, um ihn dazu zu zwingen ihm direkt ins Gesicht zu sehen. Gleichzeitig zog er ihn näher zu sich heran. Der Schreck lähmte Morinaga´s Glieder. Er war machtlos. Stück für Stück kamen sie sich näher. Mitzuko erfreute sich an der Angst und Ausweglosigkeit seines Gegenübers. Gierig fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. Wie gerne hätte er dem kleinen Stricher auf der Stelle gezeigt was es hieß ein richtiger Mann zu sein!! Aber leider musste er sich noch gedulden. Ein bisschen quälen wollte er den Kleinen noch. Die Hände des Universitätsprofessors brannten wie Säure auf der Haut den Studenten. Ihre Gesichter waren einander so nah, er konnte den Atem des anderen auf seiner Haut spüren. Ekel überkam ihn. Gegen seinen Willen stiegen Tränen ihn ihm auf. Doch zu seinem Erstaunen verschwand die Hand von seinem Gesicht. Erleichterung durchflutete Tetsuhiro. Aber dieses Gefühl hielt nicht lange. „Was haben wir denn da?“ Grob schob Mitzuko den Armel seiner Jacke nach oben. Zum Vorschein kam die Einstichstelle der Blutabnahme. Eine dünne Blutspur rann den Unterarm hinab. „Dummer Junge, hast dir wohl einen Schuss falsch gesetzt? Amateur!.“ Diabolisch grinsend drückte er mit seinem Daumen auf die Wunde, bis noch mehr Blut floss. Tränen flossen dem Jüngeren über die bleichen Wangen. „Bitte…hören Sie auf…ich…“, schluchzte Morinaga. Mitzuko grinste noch breiter.

 

Das schrille Läuten des Telefons unterbrach die Prozedur. Schnaufend stieß Mitzuko Morinaga auf den Teppichboden. Kraftlos blieb der junge Mann liegen. Sein Herz drohte zu bersten. Ein unangenehmes Stechen breitete sich von den Seiten über den Rücken bis zum Kopf aus. Er verstand nur Wortfetzen des Telefonates, das keine zehn Schritte von ihm entfernt geführt wurde. „Muss das unbedingt jetzt sein? Ich bin sehr beschäftigt!! Gut! Bin gleich da!!!“ Fluchend wurde der Hörer aufgelegt. „Wir müssen unsere kleine Verabredung auf ein anderes Mal verschieben! Hm? Hörst du nicht? Aufstehen sage ich!“ Mitzuko runzelte die Stirn als er keine Antwort bekam. Blöder Bengel! „Du! Sollst! Aufstehen!“ Bei jedem Wort verpasste er dem Liegenden einen Fußtritt. Im Schneckentempo kam Tetsuhiro auf die Beine. Nicht schnell genug für Mitzuko. Er packte den Studenten an seiner Kleidung, riss ihn hoch und bugsierte ihn zur Tür. Nicht gerade sanft schubste er ihn aus dem Büro. Beinahe wäre Morinaga der Länge nach hingeschlagen. Sich an der gegenüberliegenden Wand abstützend hörte er die letzten Worte seines Peinigers: „Nächstes Mal gehst du an dein Handy! Ich melde mich! Und jetzt verschwinde, du siehst erbärmlich aus!!“ Knallend fiel die Tür ins Schloss.

 

Ende Kapitel 18

 

 

 

 

 

Begegnungen Teil II

„Ah! Das sieht…nicht…gut aus. Scheiße! Was…mache ich…? Aua…!“ Tetsuhiro sog scharf die Luft ein. Dunkle Blutergüsse zeichneten seinen Oberkörper dort wo die Tritte des Professors ihn getroffen hatten. Vorsichtig tastete er sie ab. Allein bei der leichten  Berührung seiner Fingerspitzen brach ihm der kalte Schweiß aus. Mitzuko hatte gut getroffen. Auch sein Arm fühlte sich wie abgestorben an. Was sagte der Professor? Erbärmlich? Ja das war er! Erbärmlich, weil er sich das gefallen ließ. Er hätte sich niemals auf den Deal einlassen sollen. Schon auf dem Weg nach Hause klappte er beinahe zweimal ab. Das erste Mal noch im Universitätsgebäude. Sein erster Gang nachdem dieser Teufel ihm die Tür vor der Nase zuknallte führte Morinaga doch tatsächlich zum Labor. Die Versuchung war überwältigend gewesen. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre hinein gestürmt. Nur eine Tür und doch so fern. Natürlich tat er es nicht. Stattdessen humpelte auf wackligen Beinen eilig aus der Uni. Die Fahrt mit der U-Bahn war eine Tortur. Sein Zustand musste sich auch auf seinem Gesicht abgezeichnet haben, denn einige Passagiere tuschelten, schielten zu ihm hinüber. Die restliche Strecke meisterte er mehr schlecht als recht.

 

Die Gestalt vor dem Spiegel verschwamm. Ein stechender Schmerz überwältigte ihn. Sich an das Waschbecken klammernd krümmte Morinaga sich zusammen. In dieser Position verharrte er bis die Schmerzwelle abflaute. „Ich muss…mich waschen…“, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Die Schmerzen ebbten allmählich ab. Ein dumpfes Ziehen blieb jedoch zurück. Wie in Zeitlupe trat er zur Badewanne. Schnell war das Bad in heißen Wasserdampf getaucht. Wie von Sinnen schruppte Tetsuhiro seinen Körper bis er feuerrot war. Obwohl das Wasser kochend heiß war begann er wie Espenlaub zu zittern. Er bemühte sich sehr die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken aber schlussendlich konnte er es nicht. Sein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt während er Rotz und Wasser heulte. Er war tatsächlich so naiv gewesen zu glauben er könne die Schikanen des Professors ertragen. Kein Stress? Witzig! Sein ganzes Leben war zurzeit vom Stress geprägt. Tetsuhiro war nervlich wie körperlich an seinem Limit. „Was…soll ich nur…machen?“, schluchzte er und vergrub das Gesicht in den Händen. Aber so sehr er sich auch anstrengte ihm fiel keine Lösung ein. Nun, genau genommen hatte er zwei Optionen. Erstens, er machte weiter wie bisher und riskierte weitere Demütigungen oder Schlimmeres. Zweitens, er machte reinen Tisch und erzählte Soichi alles. Aber konnte er Senpai auch noch damit belasten? Hatte er nicht schon genug Probleme? „Soichi…ohne mich…wäre er besser dran…“ Aus heiterem Himmel schlich sich dieser Gedanke in seinen Verstand. Sein Kopf war vollkommen leer als er die Augen schloss und in einer fließenden Bewegung untertauchte. Ohren und Nase füllten sich mit warmem Wasser. Um ihn herum verstummten alle Geräusche. Sein Körper fühlte sich wunderbar leicht an, schrie aber schon nach kurzer Zeit nach Sauerstoff. Als würde er aus einer Trance erwachen öffnete Tetsuhiro die Augen. Wa…Was zum Teufel machte er da? Prustend fuhr er hoch. Das Wasser spritzte nach allen Seiten. Keuchend schnappte er nach Luft und klammerte sich an den Badewannenrand. „Was…war das denn? Bin…ich total bekloppt??“ Benommen schüttelte er den Kopf. Das war nicht wirklich passiert! Er wollte sich doch nicht…. Schleunigst sprang er aus der Wanne, schnappte sich ein Handtuch und begann sich vorsichtig abzutrocknen. Aber als er das vom Weinen geschwollenes Gesicht und seinen geschundenen Körper im beschlagenen Spiegel sah, erkannte er, dass es so nicht weitergehen konnte. Tetsuhiro Morinaga war nur noch ein Schatten seiner Selbst. Die Angelegenheit hatte Dimensionen angenommen, die er sich nicht einmal  in seinen schlimmsten Träumen hätte ausmalen können. Nein, ihm bleib keine andere Wahl. Er musste Soichi davon erzählen.

 

„Tetsuhiro!! Ich bin wieder da! Sorry! Ist später geworden als gedacht!“, rief Soichi noch an der Haustür. Blind tastete er mit einer Hand nach dem Lichtschalter. In der Wohnung war es stockdunkel. „Hallo! Tetsuhiro!?“ Endlich fand die Hand ihr Ziel. Sofort wurde es hell in dem schmalen Hausflur. Niemand antwortete. Beunruhigt ging er in das nur spärlich beleuchtete Wohnzimmer. Der Fernseher war die einzige Lichtquelle. Soichi fand seinen Freund in eine Decke gehüllt auf dem Sofa. Er schien tief und fest zu schlafen. Erleichtert atmete er auf und schalt sich einen Kindskopf, weil so nervös geworden war. Auf Zehenspitzen schlich er in die Küche. Dort stellte er seine Mitbringsel ab. Zur Feier ihrer gelungen Arbeit besorgte er einige Sachen. Ein wenig Entspannung würde ihnen beiden gut tun! So leise wie möglich tapste der Student zurück in das Wohnzimmer. Stumm beobachtete er seinen Kohai beim Schlafen. „Wie süß er aussieht. Ob er einen guten Tag gehabt hat?“ Unwillkürlich trat er näher. Halt! Was dachte er denn da? Morinaga und süß? War er verrückt geworden? „Verdammtes Ding! Wo kommst du denn her?“, schimpfte er nicht gerade leise den niedrigen Hocker an, während er das schmerzendes Schienenbein rieb. Vor Schreck über seine verwirrenden Gedankengänge achtete er nicht auf die Umgebung. „Was…ist denn? S-Senpai!“ Erschrocken rappelte sich Morinaga auf. „Se…Senpai! Du bist schon da…“ Fassungslos bemerkte er, dass es draußen dunkel war. War er eingeschlafen? Tetsuhiro konnte sich beim besten Willen nicht mehr entsinnen, wie er auf das Sofa gekommen war. Vielleicht lag es an den Schmerztabletten, die er sich reingezogen hatte? Die mussten ihn schläfrig gemacht haben. Oh verdammt! Er wollte sich doch unbedingt auf das kommende Gespräch vorbereiten und sich die passenden Worte zurecht legen! Mist! Na ja, wenigstens hielten die Teile was sie versprachen. Die Schmerzen waren so gut wie verschwunden.

 

Soichi bemerkte nichts von dem inneren Aufruhr seines Kohai´s. Er schien ungewohnt gutgelaunt zu sein. Das machte die Sache für Tetsuhiro nicht gerade leichter. „Senpai…Hör mal ich muss…“, startete er die folgenschwere Beichte, musste aber abbrechen um Mut zu sammeln. Leider grätschte Soichi dazwischen. Aufgeregt hob er die Hände. „Warte kurz! Ich muss dir zuerst was erzählen!“, meinte er grinsend und nahm gegenüber seines Freundes Platz. Keine Minute länger konnte der Blonde warten. Er musste einfach mit den guten Neuigkeiten herausplatzen. „Aber Senpai…hör doch mal…“, versuchte der Jüngere einen zweiten Anlauf, der jedoch auch nicht für voll genommen wurde. In seiner Euphorie hörte Soichi den flehenden Ton in der Stimme des anderen nicht. „Du errätst nie wer heute unsere Arbeit gelobt hat!“, legte er los. „Professor Nagiza! Er war geradezu begeistert!! Nicht zu fassen, oder?“  Der Ältere lachte befreit auf. Er strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Tetsuhiro war überrascht. Es kam zu selten vor, dass Soichi lachte. Sein Hals schnürte sich zu. „Ich…freu mich für dich…“, murmelte er und traute sich nicht ihm in die Augen zu schauen. Er hasste sich dafür, dass er derjenige sein würde, der ihm das schöne Lachen aus dem Gesicht wischen würde. „Ach, das Beste habe ich dir noch gar nicht erzählt!“, sprach Soichi weiter. „Stell dir vor, wer dazu kam! Mitzuko! Ich dachte, jetzt wird es eine Szene geben! Und das vor Professor Nagiza! Aber anscheinend geschehen noch Wunder! Denn was hat er gemacht? Nichts! Absolut nichts!! Der Kerl schien sogar bester Laune zu sein.“ Er zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht was passiert ist, aber es sieht so aus als hätte er das Interesse verloren! Super!“ Bei den Worten erstarrte der Dunkelhaarige. Der Professor hielt sich an die Abmachung. Seine Anstrengungen waren nicht umsonst. Morinaga´s Herz zog sich zusammen. Soichi…er war so glücklich. Wann war er das letzte Mal so fröhlich gewesen? „Hey, alles in Ordnung mit dir?“ Der Kohai zuckte zusammen. Soichi berührte ihn leicht an der Schulter. Er war so nah. Die Wärme, die sein Körper ausstrahlte war ungemein tröstlich. Die braunen Augen Soichi´s fixierten die seinen. Jetzt oder nie! Es war die Chance. Aber er brachte kein einziges der Wörter, die in seinem Kopf schwirrten über seine Lippen. Er war wirklich erbärmlich! Erbärmlich und über beide Ohren verliebt. „…Nein…Es ist…nichts. Ich bin nur müde…Der Prof war also zufrieden? Schön…“

 

Enthusiastisch sprang Soichi auf. „Jawohl! So ist es! Und das muss gefeiert werden! Bin gleich wieder da!“ Ehe sich Morinaga versah war Tatsumi in der Küche verschwunden. Kam aber kurz darauf mit einer Tüte zurück. Schnell war der Tisch mit Getränken und andrem Knabberzeug überfüllt. Lächelnd reichte er Tetsuhiro eine Dose. „Limonade?“ Der Student musste trotz allen schmunzeln. Wie lieb von Senpai. Trotzdem wäre ihm etwas Hochprozentiges im Moment lieber gewesen. Aber das war leider nicht drin. Soichi holte ein weiteres Getränk heraus. Plötzlich wirkte er verlegen. „Ähm…allein saufen macht keinen Spaß…“ Zischend öffnete er seine Dose und nahm einen tiefen Zug Limonade. Tetsuhiro tat es ihm gleich. Die Säure der Limonade brannte in seinem Hals. „Und wie war dein Tag? Was sagt der Arzt??“, fragte Senpai aus heiterem Himmel und pflanzte sich neben Morinaga auf die Couch. Der hatte den Besuch bei Dr. Tonno glatt vergessen. War das heute gewesen? Es kam in unwirklich vor. Als läge der Abstecher ins Nakamura schon Tage zurück und nicht erst ein paar Stunden. „Sieht…ganz gut aus. Keine Verschlechterung…mein…Ausraster…von heute früh…liegt wohl an den Medikamenten…geht aber vorbei…sagt der Arzt…“ Vorsichtig schielte er zur Seite. Soichi schaute gedankenverloren auf die Dose in seiner Hand. Der Kohai konnte ja nicht ahnen wie groß die Erleichterung von Soichi war. Bevor der Professor Nagiza auftauchte waren seine Gedanken nicht wie es sein sollte auf seine Arbeit gerichtet gewesen, sondern hingen an dem Geschehenden in der Küche. Das Messer in der Hand Morinaga´s. Es war absurd! Doch was wäre passierte, wenn er nicht da gewesen wäre? Nein! Sein Kohai war nicht der Typ für… so was. Witzig! Er konnte es nicht einmal aussprechen. Den ganzen Vormittag wünschte er sich, er wäre doch mitgegangen. Aber dann war Nagiza aufgetaucht und seine Aufmerksamkeit wurde gefordert. Nächstes Mal würde er mitgehen! Soichi nahm es sich ganz fest vor!

 

Gemeinsam verbrachten sie den restlichen Abend. Morinaga in eine Decke gehüllt, sein Senpai direkt daneben. Im Fernsehen lief nichts Gutes und so bleiben sie irgendwann bei einem öden Krimi hängen. Tetsuhiro wusste nicht ob es an seinem Erfolg in der Uni lag, aber sein Senpai war sehr anhänglich. Wie von selbst legte dieser nach einer Weile den Arm um den verwunderten Tetsuhiro. Am Alkohol konnte es definitiv nicht liegen. Beide waren stocknüchtern. Egal woran es lag, der junge Kohai genoss die Nähe. Linderte sie doch die Schmerzen, die ihm wüteten. „Noch kann ich es ihm sagen!“, dachte er flüchtig. Doch alles was er tat, war die Augen zu schließen und sich so dicht wie möglich an seinen Freund zu kuscheln. Falls es den Älteren störte, zeigte er es nicht. Vielleicht war es die pure Einbildung, doch glaubte Morinaga zu spüren, dass sich der Druck an seiner Schulter verstärkte. Vor Glück und Liebe begann ihm das Herz zu bluten. Wenn sie nur ewig so verharren könnten. Wenn der Albtraum in dem er sich befand nur vorbei wäre.  

 

„Morgen um 13:00 Uhr bei mir. Sei pünktlich!!“ In der Abgeschiedenheit seine Zimmers las Morinaga die SMS. Resignierend saß er auf der Kante seines Bettes. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Der Absender war offensichtlich. Warum quälte der Mann ihn so? Was hatte der davon? Gab es Mitzuko einen gewissen Kick? Keine Ahnung. Aber so genau wissen wollte er es auch nicht.  Langsam öffnete und schloss er seine Fäuste. Er würde das Risiko eingehen, doch dann gab es kein Zurück! „Senpai…Senpai…Wenn ich doch nur wüsste…Moment!“ Aufgeregt kniete er vor seinem Bett nieder und zog eine staubige Kiste hervor. Der Film im Fernsehen brachte ihn auf eine Idee. Genau betrachtet war es dumm und kindisch, aber was Besseres fiel ihm nicht ein. Ein Plan formte sich in seinem Kopf.  Nachdenklich guckte er auf den Gegenstand in seiner Hand.

 

**

 

„Se…Senpai!? Du noch hier?“ Tetsuhiro war über alle Maßen überrascht Soichi zu sehen. Immerhin war es schon kurz nach 11:00 Uhr! „In der Uni steht nicht viel an…Ich geh heute etwas später los.“, meinte der Blonde und blätterte gelangweilt in der Zeitung. „Aha...wie…schön…“, antwortet Tetsu mit einem misslungenen Lächeln. Nachdem er die Hiobsbotschaft erhielt lag er noch stundenlang wach. Ratzte aber dann doch irgendwann ein und verpennte glatt! Normalerweise war sein Senpai zu dieser späten Stunde längst verschwunden. Er hatte fest damit gerechnet. „Ruhig Blut, lass dir nichts anmerken…“, dachte Morinaga beunruhigt. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Soichi würde sicherlich gleich aufbrechen. Ein unangenehmes Ziehen erinnerte ihn, warum er hier war. Aus der Schublade des Küchenschrankes zog er Packungen mit den Medikamenten hinaus. Ohne Wasser schluckte er sie hinunter. Um auf Nummer Sicher zu gehen, wollte er noch Schmerztabletten einwerfen. Er spürte jeden Knochen im Leib. Ein dumpfes Ziehen setzte ein. Genervt kramte er in den Schubladen der Küchenschränke nach den Pillen, fasste sich verstohlen an die Seite. „Alles klar?“, wollte Soichi wissen. Anscheinend war er doch nicht so vertieft. „Ja, ich hab mich wohl verlegen“, antwortete Tetsu. „…Mhmm…komisch…“ Nachdenklich sah Morinaga in die geöffneten Schubladen. Irgendwas war anders. „Nein…oder? Das gibt’s doch nicht…“ Die wenigen Küchenmesser, die er meistens zum Kochen benutzte waren…nicht mehr da!

 

„Senpai…kannst du mir erklären…was mit unseren Küchenmessern passiert ist?“ Zeitungsrascheln hinter ihm. Soichi suchte fieberhaft nach einer plausiblen Erklärung. Natürlich hatte er die Messer nicht weggeworfen, sondern sie nur in einer Kiste in seinem Zimmer verstaut. Was sollte er Tetsuhiro sagen? Das Soichi Angst hatte er würde sich bei seinem nächsten Aussetzer selbst verletzen? Er räusperte sich. „Ich…weißt du…es ist besser…“ Der laute Knall der zuschlagenden Schublade unterbrach seine Stammelei. „Das. Ist. Nicht. Dein. Ernst. Oder??“ Soichi blickte zu Tetsuhiro auf. Die Antwort stand dem Senpai ins Gesicht geschrieben. Eine ungewohnte Wut stieg in Morinaga auf. Für was hielt Senpai ihn?? Er war doch kein durchgeknallter Irrer! Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen! Deswegen war Soichi noch nicht unterwegs! Um ihn zu kontrollieren! Der Senpai konnte sich nicht länger hinter der Zeitung verstecken. „Sorry…Das war dumm…Aber versteh doch…Hey warte…“ Tetsuhiro stürmte an Soichi vorbei. Der Ältere packte ihn am Arm. Rüde riss er sich los. „Fass mich nicht an! Du solltest gehen!“ Soichi starrte seinen jungen Freund mit riesigen Augen an. Dann brach der Tatsumi-typische Jähzorn aus ihm heraus. „Schön. Wie du willst! Ich weiß auch nicht warum ich meine Zeit mit dir verplempere! Ich bin weg!“ Schnaubend ließ er Morinaga stehen, packte seien Tasche und flüchtete aus der Wohnung. Er meinte es doch nur gut. Warum verstand dieser Vollidiot das nicht???

 

Punkt 13.00 Uhr erreichte Tetsuhiro das Haus des Professors. Den Weg zu finden war nicht schwer.  Die Häuser im Westbezirk waren ausnahmslos groß und stattlich mit Garten plus Pool. Morinaga wunderte sich, dass sich ein Uniprofessor eine solch riesige Villa leisten konnte. Eigentlich hatte er andere Probleme als sich über die finanzielle Lage des Professors Sorgen zu machen. Die Auseinandersetzung mit Soichi nagte an ihm. Er war maßlos enttäuscht. Wie konnte Senpai nur so was denken! Mit mulmigem Gefühl durchquerte er den gepflegten Vorgarten. „Ah! Willkommen!! Komm rein!“, begrüßte Mitzuko seinen Gast freudestrahlend an der Tür. Beim Anblick des seidenen Bademantels, den der Mann trug zog sich alles in dem Studenten zusammen. Er rührte sich nicht vom Fleck. „Reinkomme, sagte ich!!“ Derb grabschte der Prof nach dem Arm des Neuankömmlings. Mit einem kräftigen Ruck flog er ins Haus. Scheppernd fiel die gläserne Haustür zu. „Hübsches Haus, nicht wahr? Komm, hier entlang!“ Der Mann zerrte Tetsuhiro in den hinteren Teil des Hauses. Dieser musste sich zusammenreißen um sich nicht zu übergeben. Sie erreichten einen großen Wintergarten mit Blick auf den weitläufigen Garten. Unzählige Pflanzen säumten den Platz. Morinaga zitterte inzwischen vor Anspannung. Verstohlen tastete er nach dem Diktiergerät in der Innentasche seiner Jacke. Er hatte nur eine Chance. Wenn es ihm gelang den Professor unbemerkt aufzunehmen hätte er Beweise. Nicht der beste Plan, aber immerhin. Er musste Mitzuko irgendwie zum Reden bringen! „Hier!“ Der junge Mann drehte sich zu der Stimme um. Mitzuko hielt ihm ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit entgegen. Misstrauisch nahm er das Glas. „Keine Bange! Ist nur Wasser!“, wurde versichert. Mitzuko kümmerte sich nicht weiter um seinen Gast, sondern trat an die großen Panoramafenster um hinaus zu schauen. Tetsuhiro kippte den Inhalt seines Glases in einen der Blumentöpfe. „Ich freue mich wirklich, dass du gekommen bist. Hier sind wir ungestört. Das letzte Mal…ja ist etwas unglücklich verlaufen….“ Er kicherte. „Aber zuvor möchte ich dir einen Vorschlag machen.“ Noch immer drehte er sich nicht um. „Vorschlag??“, fragte der jüngere Mann ungläubig. Als ob er einen Vorschlag von Kenji Mitzuko annehmen würde! Unter welchen Größenwahn litt der Kerl? Endlich schenkte der Professor Tetsuhiro seine volle Aufmerksamkeit. „Ich möchte, dass du für mich arbeitest. Ich brauche einen willigen Gehilfen, der tut was ich ihm sage! Es soll dein Schaden nicht sein. Wir werden eine Menge Spaß zusammen haben!“

 

Morinaga war fassungslos. War das real? „Sie…Sie sind ja noch verrückte als gedacht!! Glauben Sie wirklich ich würde für Sie Drecksack arbeiten? Nach allen was Sie getan haben??“ Mitzuko´s Miene verdunkelte sich unmerklich. „Was habe ich denn getan?? Ich habe deinem sauberen Freund Tatsumi und dir nur ein paar Manieren beigebracht! Ihr glaubt wohl ihr könnte euch alles erlauben, was? Aber nicht in meiner Universität!“, knurrte Mitzuko. Nicht gut! Der sonst so reservierte Mitzuko war richtig sauer. Langsam ging er auf ihn zu. Morinaga wich zurück. „Sie…Sie sind ein skrupelloser Erpresser!“, brüllte er. Zu lange hatte er alles hinuntergeschluckt. Tetsuhiro´s Atem rasselte. Eine unerklärliche Hitze breitete sich in seinem Körper aus. „Mir ist…ganz heiß…und schwindelig. Liegt das an den Pillen? Scheiße...nicht jetzt! Ich muss…“ Der Student kam nicht mehr dazu den Gedanken zu beenden. Plötzlich spürte er die Faust des anderen. Benommen taumelte er zur Seite. Blut rann aus der Nase. Höhnisch hörte er die Stimme des Professors. „Glaubst du wirklich ich bin so bescheuert und merke nicht, dass du irgendwas ausheckst? Mal sehen, was wir hier haben…“ Grob tastete der Professor den Körper des willenlosen Morinaga´s ab. Es bereitete ihn ein großen Vergnügen. An bestimmten Stellen verharrten die Hände länger als dem Opfer lieb war. Doch Tetsuhiro konnte nichts machen, als es zu ertragen. Seine Beine drohten unter ihm weg zu knicken. Die Gesichtshälfe wo der Schlag ihn traf wurde taub. Bevor er seine sieben Sinne sammeln konnte zog Mitzuko das handygroße Diktiergerät hervor. „Oooh, wie niedlich! Spielen wir Detektiv? So ein Pech aber auch.“ Laut krachend landete das Gerät auf dem Boden. Es krachte noch mehr, als der Fuß des Mannes wiederholt darauf nieder fuhr. Zu guter Letzt kickte der Lehrer es weg. Es verschwand zwischen den Pflanzenkübeln. „Du ungezogener Junge!!“ Ein erneuter Faustschlag begleitet die Worte. Tetsuhiro verlor das Gleichgewicht, landete in mitten der Pflanzen. Knirschend zerbrachen einige Behälter. Scherben, Erde und Blätter rieselten auf ihn hinab. Schwer lag der Geruch von Muttererde in der Luft. „Ich muss mich wohl korrigieren.“, säuselte der Prof während er sich über den am bobenliegenden Mann beugte. „Das war kein Vorschlag, sondern ein Befehl!!“ Angewidert riss er ihn an den Haaren hoch. „Da drüben ist das Bad. Geh rein und mach dich sauber. Du versaust noch den Mamorboden.“ Er schleifte den halbbewusstlosen Morinaga zum Badezimmer. „Du hast fünf Minuten!“, sagte er und verließ den Raum. Morinaga sackte auf den gefliesten Boden. Er brauchte ein paar Atemzüge um wieder klar im Kopf zu werden. So schnell es ihm möglich war sprang er auf um nach der Türklinke zu fassen. Aber auch nach mehrmaligem Rütteln ging die Tür nicht auf. Zugeschlossen. Anscheinend hatte Mitzuko Angst sein unwilliger Gast würde flüchten. „Scheiße…“ Um die Blutung zu stoppen klatschte der Kohai sich eiskaltes Wasser ins Gesicht. Sein Gesicht tat scheußlich weh. Was sollte er machen? Er saß in der Falle. So hatte er sich die Aktion nicht vorgestellt. „Toller Plan…wie komm…ich hier raus? Fenster gibt es auch keine. Arg!“ Verzweifelt sank er auf den Rand der Wanne. Ihm blieb nur ein Ausweg. Zitternd holte er sein Handy raus. Vorsichtshalber versteckte er es in seinem Schuh. Stumm betete er, dass  Senpai sein Telefon nicht ausgeschaltet hatte. Nach mehrmaligem Klingeln wurde abgenommen.

 

Verstimmt wartete Soichi darauf, dass das Wasser zu kochen begann. Um ihn herum türmte sich eine aufwendige Apparatur auf. „Morinaga du Idiot! Ich habe es doch nur gut gemeint! Mann! Soll er machen was er will! Schließlich hebe ich wichtigere Dinge zu erledigen. Die ganze Arbeit bleibt an mir hängen!!!...“ So oder ähnlich waren seine Gedankengänge während er den Bunsenbrenner ausdrehte. Okay, vielleicht war es übertrieben gewesen. Aber wenn was passierte, würde Soichi sich riesige Vorwürfe machen. „Soll er doch schmollen! Der kriegt sich schon wieder ein!“ Gerade als der Student starten wollte bimmelte sein Handy. Genervt griff er danach. Er hätte das Telefon doch ausschalten sollten! Ablenkung war jetzt schlecht. Das anliegende Experiment erforderte Konzentration. Der Anrufer war sein Kohai. „Wusste ich doch, dass er wieder runterkommt! Wahrscheinlich will er sich entschuldigen…“, dachte Soichi. Aber zu einfach wollte er es Tetsuhiro auch nicht machen. „Ja? Was willst du?“, fragte er daher mit eisiger Stimme. Doch dann schrillten die Alarmglocken. Alles was er hörte, war die erstickte Stimme Morinaga´s.  „Senpai…bitte…es tut mir Leid…kannst du bitte kommen….“ Mühsam konnte er die Worte seines Kohais verstehen. Der Empfang war nicht der Beste. „Senpai…ich bin…komm bitte schnell!!“ Die Adresse sagte Soichi nichts. War das nicht im Westbezik? „Morinaga beruhig dich!! Was machst du denn da…was ist los….?“ Tot. Die Leitung war abgebrochen. Entsetz starrte Soichi auf sein Handy. Was war das denn?? Irgendwas stimmt nicht mit ihm. Und warum zum Teufel war er im Westbezik? Soichi wusste er durfte keine Zeit verlieren. Ohne Rücksicht auf Verluste rannte er aus seinem Labor.

 

Ende Kapitel 19

Rettung in letzter Sekunde...?

Tot. Die Leitung war abgebrochen. Entsetz starrte Morinaga auf sein Handy. „Bitte nicht…“, flehte er stumm. Mit zitternden Händen aktivierte er die Wahlwiederholung, aber nur ein Rauschen antwortete ihm. „Nein…Senpai…“ Verbissen kämpfte Tetsuhiro darum Ruhe zu bewahren. Ob Soichi kommen würde? Hatte er überhaupt mitbekommen wo er war? Panik stieg ihn ihm auf. Jedes Luftholen wurde zur Qual. Schwarze Punkte tanzten vor Tetsuhiro´s Augen. Das Handy glitt ihm aus den Fingern. Er musste sich mit beiden Händen an der Wanne festhalten um nicht umzukippen. Vor dem Badezimmer ertönten Schritte. Das Geräusch des Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wurde fuhr ihm durch Mark und Bein. „Nun, ich hoffe du hast dein hitziges Gemüt ein wenig abgekühlt!“, brummte Mitzuko an der Tür. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten als er das Telefon bemerkte. „Mhm? Kein Netz, was? Mein Fehler, habe ich doch glatt vergessen dir zu sagen.“ Mit großer Genugtuung hob Mitzuko es auf und erfreute sich an dem „kein Signal“, das fett auf dem Display zu lesen war. Er lachte siegessicher. Nachlässig ließ er es in die Tasche seines Bademantels gleiten. Lüstern starrte er auf Morinaga, der wie ein Häufchen Elend vor ihm hockte. „Na ja, du sahst zwar schon mal besser aus aber ich will mal nicht so sein.“, kommentierte Mitzuko den Zustand seines Gastes. Er selbst hingeben hatte sich richtig in Schale geworfen. Der Morgenmantel war brandneu. Außerdem trug er sein teuerstes Aftershave. Nicht, das er das nötig hätte, aber es gehörte für ihn zum Spiel, das nun in die heiße Phase startete. „Genug gefaulenzt! Mitkommen!“, forderte Mitzuko harsch. „Na wird’s bald!“, setzte er, als der andere keine Anstalten machte der Aufforderung nachzukommen. Genervt verlieh er seinen Worten mit einem leichten Tritt Nachdruck. Langsam verlor er die Geduld mit dem Spielzeug. Genau das war Tetsuhiro Morinaga nämlich für ihn. Ein nettes kleines Spielzeug! Eigentlich dachte Kenji den Willen des jungen Mannes bereits gebrochen zu haben. Dieser war jedoch eine weitaus härtere Nuss als geahnt. Mit einem Grunzen packte er den Oberarm Morinaga’s und zog ihn mit sich aus dem Badezimmer. Tetsuhiro wurde wie eine Puppe mitgeschleift. Er wehrte sich nicht. Selbst wenn er gewollt hätte die Schmerzen waren inzwischen unerträglich. Sein Gesichtsfeld war deutlich eingeschränkt, ein unangenehmer Geschmack nach Blut lag auf der Zunge. Obwohl sich alles in ihm sträubte, war er nicht in der Lage etwas zu unternehmen.
 

Sie gelangten zurück in den Wintergarten. Dunkle Wolken zogen vor die Sonne und hüllten das Areal in dunkle Schatten. Mitzuko war während seiner Abwesenheit nicht untätig gewesen. Gewissenhaft verriegelte er alle Türen, Fenster und sonstige Fluchtwege. Die Haustürklingen und das Telefon stellte er ab. Außerdem positionierte er in der Mitte des Wintergartens ein ausladendes Sofa auf dem bequem zwei Personen Platz hatten. Neben dem Sofa stand ein niedriger Glastisch. Eine Karaffe Cognac wartete darauf geleert zu werden. Außerdem lagen mehrere Packungen Kondome nebst Gleitgel bereit. Immerhin wollte Mitzuko sich keine ekelhafte Krankheit einfangen. Wusste er wo sich der kleine Stricher herumtrieb? „Es wird dir gefallen…“, hauchte er Tetsuhiro zu, bevor er ihn roh auf die Polster schleuderte. Halb lag, halb saß Tetsuhiro auf der Liege. „…Schei…ße! Ich…kann mich…kaum bewegen…Senpai…“, schoss es durch den Kopf. Das Herz hämmerte schmerzhaft gegen seinen Brustkorb. Er war kaum in der Lage sich zu rühren. Nach mehrmaligem Blinzeln wurde die Sicht etwas klarer. Benebelt nahm er wahr wie Mitzuko pfeifend in einer Ecke des Raumes eine Kamera mit Stativ aufstellte. Grinsend warf der einen Blick über die Schulter ob er aus dieser Position alles gut im Blick hatte. „Perfekt!“, bestätigte er. Das würde ein schönes Exemplar für seine Sammlung werden! Wenn alles erledigt war konnte er sich nach Belieben daran erfreuen. Außerdem war der Film auch als Absicherung gedacht. Tetsuhiro war nicht der erste Student, den Kenji Mitzuko zu sich nach Hause holte. Man konnte nie sicher genug sein und bis heute hielten alle schön die Füße still. Schließlich wollte keiner, dass die unschönen Bilder an die Öffentlichkeit gelangten. Schon die bloße Andeutung genügte, um diesen Idioten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nachdem er die Speicherkarte nochmals auf ihre Funktionsfähigkeit kontrollierte wandte er sich ab. Natürlich nicht ohne vorher auf „play“ gedrückt zu haben. Jetzt wollte er seinen Spaß haben!! Immerhin wartete er schon eine Ewigkeit auf diesen Moment! Seelenruhig überbrückte er die letzten Meter zum Sofa. Wie erwartet hatte sich der Jüngere nicht von der Stelle gerührt. Er war höchstens noch bleicher geworden.
 

Mit allen ihn zur Verfügung stehenden Kräften rappelte sich Tetsuhiro in eine aufrechte Position. Jedenfalls versuchte er es. Ein fremder Körper jedoch drückte ihn erbarmungslos zurück auf das Sofa. Mitzuko! „Wir…sind noch nicht…fertig…“, presste der Professor durch zusammengebissenen Zähnen hervor. Er beugte sich tief über ihn. Morinaga hatte das Gefühl unter einer Dampfwalze zu liegen. Alle Luft wurde aus den Lungen gepresst. Seine Rippen knackten bedrohlich. Mitzuko nagelte ihn regelrecht fest. Grob schob er ein Knie zwischen die Beine des Dunkelhaarigen, grabschte mit einer Hand nach dessen Gesicht um ihn über die tränenbenetzte Wange zu lecken. Die andere Hand bewegte sich unter die Kleidung. „Senpai…Soichi…bitte…es tut…mir…leid…“, wimmerte Tetsuhiro lautlos. Er spürte den schweren Körper des anderen. Mitzuko keuchte auf. Wut, Angst und Verzweiflung über den notgeilen Professor verliehen ihm plötzlich neue Kraft. Mit letzter Anstrengung stieß er den Mann von sich weg. Kenji gab einen erstickten Laut von sich als er in hohem Bogen auf dem Marmorboden landete. Morinaga stemmte sich mit den Ellenbogen auf. Das wäre seine Chance gewesen. Doch seine nutzlosen Beine gehorchten ihm nicht mehr. Er hatte verloren. „Du kleiner Mistkerl!“ Hochrot im Gesicht und mit funkensprühenden Augen tauchte Mitzuko wieder aus der Versenkung auf. „Halt gefälligst still!“, fauchte er und verpasste Tetsuhiro eine gepfefferte Ohrfeige. Sein Kopf klappte wie eine geknickte Blume nach hinten. „So ist´s schon besser…braver Junge!“
 

Als der Student teilweise aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte war sein Hemd vollständig aufgeknöpft. Panisch fragte er sich wie lange er weggetreten war. Ekel überkam ihn als sich die Hände des Mannes auf seiner nackten Haut bewegten. „Wichser…Fass…mich nicht…an…“, krächzte er nur. Die Stimmer war nur ein heiseres Flüstern. Der Professor lachte verächtlich. „Mein Gott! Du bist aber hartnäckig!! Aber gut, wenn du weiter den Unschuldigen spielen willst…“ Spielerisch streichelte er über den mit Blutergüssen übersäten Oberkörper seines Gespielen bis er den Reißverschluss der Hose erreichte.
 

Orientierungslos wanderte Soichi durch das Villenviertel im Westbezik. Seit dem Anruf war knapp eine halbe Stunde vergangen. Wie ein Verrückter war Soichi durch die Stadt gelaufen. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Immer wieder hörte er die tränenerstickte Stimme Tetsuhiro´s in seinem Kopf. Soichi Herz klopfte wie wild. „Vielleicht ist er zusammengebrochen oder er hat wieder einen Aussetzer!“ Vor einem pompösen Anwesen kam er zum Stehen und zögerte. Das letzte was er von Morinaga hörte war die Hausnummer. „Hier?“ Die Adresse stimmte schon mal. Fehlte nur noch Tetsuhiro. Was zum Teufel trieb er im Westbezirk?? Hier wohnten doch nur reiche Bonzen! Doch dann straffte er die Schultern. Eilig durchschritt er den Vorgarten. An der Haustür klingelte er mehrmals. Keine Reaktion. Dann klopfte er kräftig mit der Faust gegen die Tür. Wartete. Keiner öffnete ihm. „Haaaallo! Niemand da?...Morinaga!! Hey Morinaga!!!“, schrie er laut. Soichi runzelte die Stirn. Sein Gefühl sagte ihm, dass irgendwas faul war. Ungeniert trat er auf das Blumenbeet vor dem Fenster und linste hinein. „Scheint die Küche zu sein…keiner zu sehen…“ Unschlüssig stand er da. Was machen? Einfach wieder gehen?? Hatte Morinaga sich in der Adresse geirrt? „Scheiße!! Wo bist du nur…?“ Die Ungewissheit machte ihn verrückt. Er beschloss es noch mal an der Haustür zu versuchen. Ungeschickt kletterte er wieder aus dem Beet, stutzte. Er entdeckte einen Kiesweg, der hinter das Haus führte. „Wahrscheinlich ist da der Garten…was soll´s…“ Wie ein Dieb schlich Tatsumi um das Haus herum. Nach einer Ewigkeit so schien es, erreichte er einen riesigen Garten mit Pool. „Morinaga!...Tetsuhiro!!“, rief er halblaut. Niemand war zu sehen. „Ich frag am besten die Nachbarn…vielleicht haben die ihn gesehen…“ Halb wandte er sich schon ab, bemerkte aber zum Glück noch an der nächsten Seite des Hauses den Wintergarten. „Hoffentlich ruft nicht jemand die Bullen, wenn man mich hier rumlungert sieht…“
 

Schnell kam er der gläsernen Front des weitläufigen Wintergartens näher. Als erstes fielen ihm die vielen Pflanzen auf. Dicht an dicht standen die verschiedensten Arten in überdimensionalen Kübeln herum. Das zweite war ein rotes Sofa auf dem sich zwei Personen befanden. Soichi fielen fast die Augen aus dem Kopf. Was er sah verschlug ihm die Sprache. Die Personen im Inneren des Hauses waren ihm wohl bekannt. Es waren Professor Kenji Mitzuko und Tetsuhiro. Sein Kohai saß oder lag vielmehr auf der Couch. Mitzuko drängte sich ihm entgegen, versuchte ihn zu küssen und tastete über seinen nackten Oberkörper. Die Situation war offensichtlich!! Soichi war wie zur Salzsäule erstarrt. Knapp zehn Sekunden stand er da, konnte nicht fassen was er da sah. Sein Gehirn musste die Fülle an Informationen erst einmal verarbeiten. Wie in Zeitlupe ballte er seine Fäuste. Sein Blut kochte vor Wut und Zorn. Er biss die Zähne so stark zusammen, dass sie bedrohlich knirschten. Eins stand fest: Er musste da rein. Sofort!!! Ohne langes Nachdenken schnappte er einen der Terrassenstühle, holte aus und warf ihn in die Glasfront. Die Scheiben barsten mit einem ohrenbetäubenden Krachen. Glassplitter regneten auf den Prof und Morinaga hinab. Mitzuko hielt mitten in seiner Tätigkeit inne. Perplex starrte der Mann auf das Loch in der Scheibe. „Was zur Hölle…“ Das nächste was er wahrnahm war ein Schatten im Augenwinkel. „Nimm deine dreckigen Finger von ihm!!!“ Mit einem überraschten Aufschrei wurde der Professor von Morinaga fortgerissen. Er landete unsanft auf den Boden, der ebenfalls mit Glassplittern übersät war. Laut schnaufend stand Soichi über den älteren Mann gebeugt. Mitzuko verzog das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse. „Ta…Tatsumi! Sie elender…“, keuchte der Mann wütend. Ihm war schleierhaft wo der Blonde so plötzlich hergekommen war. Doch dann klingelte es bei ihm. „Morinaga…du…“ Bevor er aber weitere Verwünschungen gegen die beiden Freunde aussprechen konnte explodierte sein Schädel.
 

Soichi packte ihn bei den Aufschlägen seines Mantels. „Du Arschlosch! Verfluchter Hurensohn! Ich bring dich um!!!“, brüllte er wie von Sinnen. Abermals holte er aus. Die Nase des Professors brach mit einem lauten Knirschen. Blut tropfte auf den Boden. „Ahhhhhhhh!“, kreischte Mitzuko. Gnadenlos schlug Soichi zu. Wieder und wieder. In den letzten Schlag legte er noch mal alles. Kenji vollführte eine dreiviertel Drehung. Der schwere Mann fiel wie ein Baumstamm. Ein ohrenbetäubendes Scheppern ertönte als er auf dem Glastisch landete. Stöhnend bewegte er sich in den Scherben. „Du. Elender. Drecksack!!!“ Bei jedem Tritt den Soichi den am Bodenliegenden noch verpasste wurde er lauter. Er sah buchstäblich rot! Seine braunen Augen flackerten wild. „Was? Du perverses Schwein!!“ Wie ein Berserker hastete er zu dem Kamerastativ. Höhnisch leuchtete die rote Lampe ihm entgegen. Es war eindeutig was auf dem Band zu sehen sein würde. Das teure Gerät zerschellte in tausend Einzelteile als es Bekanntschaft mit der Wand machte. Als nächstes schnappte Soichi das Stativ. Seine Fingerknöchel waren schneeweiß so fest umklammerte er es. „Hier hast du deinen Film!!“, donnerte er und zerdepperte es auf den Kopf Mitzuko´s. Der sackte mit einem Jammerlaut in sich zusammen, rührte sich nicht mehr. Soichi Tatsumi pumpte vor Anstrengung. Sein Zorn war kaum weniger geworden. Er hatte es gewusst! Dieser perverse alte Mistkerl!! Wie konnte er es wagen SEINEN Tetsuhiro anzufassen!!! Fast wäre er zu spät gekommen! Nicht auszudenken! Bei der bloßen Vorstellung wurde Soichi kotzübel. Ein weiteres Mal wollte er sich auf den Mann stürzen, doch zwei Arme, die sich von hinten um ihn schlossen rissen ihn zurück. „Senpai!!! Hör auf!! Es ist genug…genug…“, hörte Tatsumi die leise Stimme seines Kohais. Er hätte nichts lieber getan als die Morddrohung in diesem Moment wahr zu machen. Er zitterte vor Anspannung. Nur Tetsuhiro, der ihn immer noch umschlugen hielt verhinderte die Katastrohe. Ein letzter Blick auf den Professor, dann drehte er sich weg. Der Griff Morinaga´s erschlaffte. Soichi fing ihn auf, als er in sich zusammensackte. „Hey Tetsuhiro! Nicht! Was ist los!!“, schrie er alarmiert. Der Jüngere sank auf die ramponierte Couch zurück. Er war am Ende aller Kraft. Er brachte nur ein minimales Kopfschütteln zustande. „Nein…Senpai…ich…es ist…ich bin…nur so erleichtert…dass du endlich da bist…“ Seine Stimme brach. Zu Beginn schwach, doch dann immer stärker begann er zu zittern. Die Hitze in seinem Inneren schien ihn zu verbrennen. Um ihn herum wurde es mal hell, dann wieder dunkel. Und er war müde, so unendlich müde. Dankbar lehnte er sich an Soichi, der neben ihn hockte. „Ganz ruhig. Es ist in Ordnung. Alles wird gut. Es ist vorbei…“, flüsterte dieser sanft. Unbeholfen legten sich zwei Arme um ihn, drückte Tetsuhiro fest an sich.
 

Die Vertrautheit der Berührungen ließ schnell alle Dämme bei dem Dunkelhaarigen brechen. Tränen liefen in Strömen sein Gesicht hinunter, schluchzend lehnte er sich an Soichi. „Senpai…es tut mir leid…ich hab…es vermasselt…ich wollte doch nur…“, stammelte er unverständlich an Tatsumi´s Schulter. Sein Senpai wurde aus den halbverschluckten Wortfetzen nicht gerade schlau. Tausend Fragen kreisten in ihm. Was hatte Morinaga hier zu suchen? Was meinte er mit vermasselt und viele mehr. Aber die Antworten mussten bis später warten. Erst einmal mussten sie weg. Eine Weile hielt er Morinaga im Arm bis dieser sich ein wenig beruhigte. Vorsichtig rückte der Kohai ein Stückchen von seinem Senpai ab um zu ihm aufzusehen. Soichi hob langsam eine Hand und strich seinem Freund über die Wange. Eine solche Zärtlichkeit lag in dieser einen Geste Morinaga liebte ihn mehr denn je. Er brachte sogar ein schwaches Lächeln zustande. „Senpai…Ich will nach Hause…“, sagte er heiser und warf dem Professor einen Blick zu als könne der jede Sekunde aufstehen. Der Ältere folgte seinem Blick. Nur mit Mühe konnte er sich zurück halten Mitzuko nicht noch eine reinzuhauen. Der Jüngere ahnte wohl die Gedanken seines Freundes. Vorsichtshalber hielt er ihn am Ärmel fest. „…Nicht...Wir sollten wirklich…verschwinden…“ Tetsuhiro brach ab. Der stechende Schmerz war kaum auszuhalten! Mit jeder Minute, die verstrich wurde es schlimmer. Sein Gesicht war blutleer. „Morinaga!! W-Was ist?? Warte...“ Soichi stützte seinen Assistenten. „Ist das der Schock…?“, fragte er sich ängstlich. Er musste ihn hier wegbringen!! Seine Wut auf den Uniprofessor war unfassbar. Wäre er mit dem Mann alleine könnte er für nichts garantieren. „Te…Tetsuhiro! Nicht einschlafen!“ Vorsichtig rüttelte er an der Schulter Morinaga´s. Der Angesprochenen nickte nur müde. Er hörte die Stimme Soichi´s nur gedämpft. Irgendwie registrierte er wie seine Kleidung in Ordnung gebracht und ihm die Jacke übergezogen wurde. Tetsuhiro war nicht in der Lage auch nur einen Finger zu rühren. Der Schock und die Schmerzen machten jede Bewegung zur Qual. Tatsumi begab sich nochmal zum bewusstlosen Professor. Kurz stubste er ihn mit der Fußspitze an. Mitzuko wimmerte leicht. Soichi machte sich keine ernsthaften Sorgen. Der würde schon nicht abkratzen! Nein, der verdiente was Schlimmeres als den Tod! Wenn es nach Soichi ginge…. Mit leichtem Bedauern wandte er sich. Etwas kleines Glänzendes sprang ihm ins Auge. Er bedachte die Speicherkarte der Kamera mit einem mörderischen Blick. Sein erster Impuls war es sie zu zertreten, überlegte es sich aber anders. Kurzerhand steckte er sie ein. Vorsichtig legte er sich einen Arm von Morinaga um die Schultern und half ihm somit auf die Füße. „Lass uns von hier verschwinden…!“
 

Es war ein Wunder, dass keiner der Nachbarn auf den Krach, welchen Soichi veranstaltete aufmerksam wurde. Langsam aber stetig entfernten sie sich vom Westbezik. Obwohl die nächste U-Bahn nicht weit weg lag kam es Morinaga vor, als wären sie Stunden unterwegs. Nach 15 Minuten konnten beide das Schild, das die U-Bahn-Station markierte sehen. Soichi atmete erleichtert auf. Wenn erst mal einige Kilometer zwischen ihnen und dem verfluchten Villenviertel lagen konnte er besser darüber nachdenken was zu tun war. Aber soweit sollten die beiden jungen Männer nicht kommen. Sie schafften es nicht mal bis zum Bahnsteig. Nachdem Soichi und Morinaga die steile Treppe bewältigten blieb Tetsuhiro abrupt stehen. „…Senpai….ich kann nicht….mehr….ich glaube ich…“, keuchte er leise. Plötzlich fiel er nach unten. Soichi, der immer noch den Arm des anderen um seine Schulter gelegt hatte wurde regelrecht mit nach unten gerissen. „Scheiße!! Tetsuhiro…hey…“ Sein Kohai reagierte nicht. Schlaff hing er in den Armen Tatsumi´s. Der Ältere lehnte ihn an eine Wand. „Morinaga! Hey!! Nicht schlapp machen…“ Mehrmals schlug er ihn auf die Wange, damit der wieder aufwachte. Soichi stoppte. Von einer bösen Ahnung getrieben legte er Morinaga die Hand auf die Stirn. Tatsächlich, er hatte sich nicht getäuscht. Sein Kohai war kochend heiß!! Panisch blickte Tatsumi sich um. Super! Keine Menschenseele weit und breit!! Seine Hand, die nach dem Handy griff war schweißnass. Doch bevor er auch nur eine Taste drücken konnte schlug Morinaga seine Augen auf.
 

Soichi fiel ein Stein vom Herzen. „Puh! Mensch, was machst du denn…“ Doch die Erleichterung hielt nicht lange an. Morinaga sah Soichi mit glasigen Augen an. „Senpai…“, murmelte er sichtlich durcheinander. Mit einem Schrei verzog er sein Gesicht zu einer Grimasse. Die Hände verkrampfte er auf dem Bauch. Dann im nächsten Augenblick hustete er wie verrückt. Er wollte gar nicht mehr aufhören. Tatsumi´s Handy landete krachend auf den harten Boden der Station. Ohne es zu merken war es ihm aus der Hand geglitten. Seine weitaufgerissenen Augen fixierten wie gebannt die Hände Morinaga´s, die rot glänzten. Auch dieser blickte fassungslos auf seine Handflächen hinab. Langsam öffnete er seinen Mund, bäumte sich jedoch auf und spuckte einen weiteren Schwall Blut hervor. Soichi sah nur noch rot. Rotes Blut überall. Er war erstarrt. Tetsuhiro erbrach sich ein letztes Mal, dann kippte er zur Seite. „Tetsuhiro!! Nicht! Bleib wach!! Hörst du…!“, herrschte er ihn an. Aus Verzweiflung packte er den Kohai an seiner Jacke und rüttelte ihn kräftig durch, in der Hoffnung er möge wieder zu sich kommen. Der Kranke gab aber nur leises Stöhnen von sich. Krankenwagen. Ein Krankenwagen musste her. „Fuck!! Kein Empfang!“ Tatsumi haderte mit sich selbst. Er konnte Tetsuhiro doch nicht hier allein liegen lassen. Ein Schatten fiel über die beiden Studenten. „Mein Gott! Was ist passiert?? Was ist mit ihm????“ Ein Mann im schwarzen Anzug mit Aktentasche stand hinter ihnen. Wahrscheinlich ein Bewohner des Westbezirks. Der Neuankömmling beugte sich zu dem blutbeschmierten Jungen herunter. Er pfiff durch die Zähne. „Heiliger Strohsack!! Sieht schlimm aus!!“ Soichi blaffte den Anzugträger aufgebracht an. „Glotzen Sie nicht so blöd!!! Gehen sie nach oben und Rufen Sie einen Krankenwagen!!! Na los!!“ Der Pendler nickte aufgeregt und machte auf dem Absatz kehrt und stieg mit großen Schritten die Treppe hinauf. Soichi Tatsumi sah ihm nach. „Es kommt gleich Hilfe…Tetsuhiro…halte aus…gleich..“ Beruhigend sprach er auf ihn ein. Innerlich vibrierte jede Zelle seines Organismus. Während er auf dem harten Boden der U-Bahn-Station im Westbezirk hockte, seinen Freund im Arm und auf den Arzt wartete, flogen unzählige Fragen durch seinen Kopf. Was hatte Mitzuko mit Morinaga gemacht?? Warum war er, Soichi, nicht schneller gewesen? Und warum war er heute Morgen nicht wie eigentlich geplant zu Hause geblieben? Warum?? In der Ferne hörte er die Sirene des Krankenwagens näher kommen.
 

Ende Kapitel 20

Schrecken mit Ende...

Soichi wurde im Inneren des Krankenwagens kräftig durchgeschüttelt. Ihm war, als würden sie jedes verdammte Schlagloch, das sich auf der Straße befand mitnehmen. Er hatte das starke Verlangen in den vorderen Teil des Wagens zu springen und dem Idioten von Fahrer das Lenkrad aus der Hand zu reißen. Ein besonders tiefes Loch ließ ihn beinahe von der schmalen Bank auf der er saß purzeln. Vor ihm auf der Trage gab Tetsuhiro ein leises Stöhnen von sich. Seine Lider flatterten wild. Bei jedem Atemzug gab er ein raspelndes Geräusch von sich. Trotz der Medikamente, die ihm die Sanitäter durch mehrere Kanülen verabreichten wurde sein Körper immer wieder von Krämpfen geschüttelt. Die durchsichtige Sauerstoffmaske, die Nase und Mund bedeckte war mittlerweile blutverschmiert. „Se…Senpai…“, hauchte er tonlos. Ohne zu Zögern ergriff Soichi die Hand Morinaga´s. „Tetsuhiro! ich bin hier! Hörst du…“ Ganz schwach fühlte er den Druck der kalten Finger in den seinen. In diesem Moment war es ihm völlig egal, wie das aussah. Sollte der Sanitäter doch denken was er wollte! Zum Teufel mit allen! Ganz fest drückte er die Hand Tetsuhiro´s um diesen zu signalisieren, dass er da sei. Für einen kurzen Augenblick glaubte Soichi ein schwaches Lächeln auf den Lippen seines Kohais zu sehen. Plötzlich jedoch wich alle Kraft aus der Hand, die Soichi verzweifelt umklammerte. Die Monitore im Krankenwagen gaben alarmierende Geräusche von sich. „Scheiße! Los schneller! Die Werte sinken in den Keller!“, schrie der Sani zum Fahrer des Wagens.
 

Eine viertel Stunde später erreichte der Krankenwagen mit Blaulicht das Nakamura Hospital. In Windeseile beförderten die Männer die Trage mit dem Patienten ins Innere. Soichi tat es ihnen gleich. Die Beine des Studenten zitterten so stark, es hätte nicht viel gefehlt und er wäre über die eigenen Füße gestolpert. Rücksichtslos drängte er die Leute im Eingangsbereich zur Seite. „22-jähriger Mann, Vitalzeichen einigermaßen stabil, eine starke Hämatemesis lässt auf innere Verletzungen schließen!“, brüllte der Sanitäter den herbeieilenden Ärzten zu, die sich sofort um den Verletzten scharrten. Aufgeregtes Gemurmel erhob sich. „Auf der Stelle Dr. Tonno anpiepen!“, befahl eine laute Stimme. Eine Schwester stürzte zum Telefon. Soichi stand keine drei Meter von allen entfernt und durchlebte ein schreckliches Déjà-vu. Die Szene kam ihm so surreal vor. Gestern Abend saßen sie noch gemütlich vor dem Fernseher! Keine vierundzwanzig Stunden später lag Tetsuhiro blutverschmiert in seinen Armen! Was zur Hölle war hier los? Soichi´s Hals schnürte sich zu. Ein tonnenschweres Gewicht legte sich auf die Schultern, drohte ihn zu erdrücken. Mit kraftlos herabhängenden Armen konnte er nichts anderes tun als mitanzusehen wie Ärzte an Morinaga herumfummelten und mehr und mehr Nadel in ihn stachen. Keine fünf Minuten später ertönte lautes Fußgetrappel. Dr. Tonno rauschte an Soichi vorbei. Der Oberarzt erkannt sofort den Ernst der Lage. „Auf der Stelle OP 2 vorbereiten! Wir dürfen keine Zeit verlieren!“
 

Innere Verletzungen? OP? Soichi´s Gedanken schlugen Purzelbäume. Er spürte die Erschöpfung wie eine Welle über sich zusammenschlagen. Schwer atmend lehnte er sich an eine Wand und starrte mit brennenden Augen auf die Tür durch die Tetsuhiro verschwunden war. „OP-BEREICH! ZUTRITT NUR FÜR PERSONAL!“ Man hatte ihm mehr als deutlich klargemacht, dass sollte er es wagen auch nur einen Fuß durch diese Tür zu setzen, er Hausverbot bekommen würde. Angesichts der vergangenen Stunden kam ihm diese Drohung lächerlich vor. Soichi schluckte. Tränen brannten in seinen Augenwinkeln. Vergeblich fuhr er mit den Händen über die mit rostroten Flecken besudelte Kleidung, als könnte er das Blut dadurch verschwinden lassen. Tetsuhiro´s Blut. Eine unfassbare Wut in Soichi auf. Wut auf diesen Bastard Mitzuko! Wut auf Morinaga und auch auf sich selbst! Warum war er nur so verdammt schwach? Wann war dieser Albtraum endlich vorbei? „Ich bin ein Vollidiot!! Vollidiot!...“ Schroff fuhr er sich durch die langen Haare. Die Zeit verging nur schleppend. Vier Stunden wartete er nun schon. Jede Sekunde wurde zur Qual. Soichi wusste nicht ob die lange Wartezeit nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Von dem Krankenhauspersonal nahm niemand wirklich Notiz von ihm. Hier und da wurde ihm ein neugieriger Blick zugeworfen, aber sonst ließ man ihn in Ruhe. Weitere zwei Stunden später erschien Dr. Tonno auf der Bildfläche. Abgekämpft trat er aus der Tür. Soichi´s Augen wurden beim Anblick der blutverschmierten OP-Kleidung riesengroß. „Was…Was ist los? Wie geht es ihm?!“, bestürmte er den Arzt. Tonno zog sich langsam die OP-Haube vom Kopf. Er sah alles andere als glücklich aus. „…Während der Operation sind Komplikationen aufgetreten…Wir konnten die Blutung stoppen…aber…die linke Niere wurde irreparabel beschädigt. Uns blieb keine andere Wahl, als sie zu entfernen…er wurde sofort auf die Intensivstation verlegt…“, berichtete er. Tatsumi sah ihn bestürzt an. „Blutung?? Ich…versteh nicht…Niere entfernt? Aber…wie…kann das sein…“ In seinem Kopf wirbelte alles hin und her. Doktor Tonno bedachte sein Gegenüber mit einem strengen Blick. Er seufzte tief. „Nun, ich kann Ihnen genau sagen wie das sein kann! Ihr junger Freund hat eine schwere Rippenfraktur davongetragen. Ein Knochensplitter muss sich gelöst und das Organ verletzte haben. Daher die Blutung. Leider sahen wir uns nicht in der Lage die Niere zu retten.“ Tonno´s Miene verdunkelte sich. „Darüber hinaus war er mit Schmerzmitteln vollgepumpt. Was mich nicht wundert! Die Schmerzen müssen kaum auszuhalten gewesen sein! Die Fraktur war nämlich nicht die einzige Verletzung!“ Die Augen des Mediziners verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Können Sie mir vielleicht einmal erklären wie es sein kann, dass mein Patient, der erst gestern bei mir zur Untersuchung war, heute beinahe auf meinem OP-Tisch verblutet wäre??“ Die Stimme des Arztes wurde bei jedem Wort lauter. Die buschigen Augenbrauen zogen sich gefährlich zusammen. Soichi strauchelte einen Schritt zurück. Tonno funkelte ihn so böse an, dass der Student schon befürchtete er würde die Beherrschung verlieren. Gleichzeitig versuchte sein dummes Gehirn die Worte des Mannes zu verarbeiten. „Ich…weiß es nicht…Gestern war noch alles in Ordnung…aber heute da…“ Soichi verstummte. Der Gedanke an den Professor brachte sein Blut zum Kochen. Was in Gottes Namen war zwischen Tetsuhiro und Mitzuko vorgefallen? Was war alles passiert bevor er das Schlimmste verhinderte?
 

Der strenge Ausdruck im Gesicht des Arztes wurde etwas milder als er sah, dass der junge Mann vor ihm immer blasser wurde. „Entschuldigen Sie. Aber auch ich mache mir große Vorwürfe.“, gab er zu. „Ich hätte nie erlauben, dass er das Krankenhaus verlässt.“ Er schenkte dem Blonden ein freudloses Lächeln. Soichi nickte geistesabwesend. „Ja…aber was wird denn jetzt?“ Die Frage war nicht mehr als ein heiseres Flüstern. Tonno brummte und strich sich über den grauen Kopf. Leider musste er noch mehr schlechte Nachrichten überbringen. „…Ich habe ihn bereits auf die Liste des Organspendezentrums gesetzt. Die verbleibende Niere ist nicht leistungsfähig genug. Bis wir eine positive Rückmeldung erhalten, wird er an das Dialyse-Gerät angeschlossen. Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen wie lange es dauert bis wir ein passendes Organ erhalten. Es tut mir sehr leid.“ Der Oberarzt legte Soichi eine Hand auf die Schulter. Tatsumi spürte es kaum. Er atmete ein paar Mal ein und aus um die Fassung zu bewahren. Am liebsten hätte er alles kurz und klein geschlagen! „Kann ich zu ihm…?“, fragte er mit belegter Stimme. Ein Kopfschütteln antwortete ihm. „Es tut mir leid, aber das ist derzeit nicht möglich. Die OP war kompliziert. Er hat viel Blut verloren. Es besteht zwar keine akute Lebensgefahr, aber sein Körper ist sehr geschwächt. Ruhe ist jetzt das Wichtigste. In vielleicht zwei, drei Tagen werden wie weitersehen!“ In Soichi zog sich alles zusammen. Alles in ihm sträubte sich dagegen zu gehen ohne Morinaga wenigstens einmal gesehen zu haben. Resignierend sackten die Schultern des Studenten nach unten. „Okay…“, sagte er matt. Ohne weiteres wandte er sich zum Gehen, wurde aber überraschender Weise zurückgehalten. „Moment! Da wäre noch was! Wenn es möglich wäre sollten die Eltern oder andere Verwandte benachrichtigt werden! Die Angelegenheit ist zu ernst.“ Fragend sah der Mann zu Soichi. Der Jüngere nickte schwach.
 

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„Soichi Tatsumi?“ Zwei Polizeibeamte fingen Soichi vor der Wohnungstür ab. Verdutz blieb der Angesprochene beim Anblick der Uniformierten stehen. Polizei? Eine tiefe Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen und ein flaues Gefühl breitete sich im Magen aus. „Ja…der bin ich.“, gab er widerwillig Antwort. Der Kleinere der beiden musterte ihn eingehend, dann zog er aus der Innentasche seiner Uniformjacke einen länglichen Umschlag. „Wir sind hier um Ihnen mitzuteilen, dass gegen Sie und einen gewissen Morinaga Anzeige erstattet wurde.“ Der Polizist, ein hagerer Mann um die 40, begutachtete einen Augenblich das Schreiben als wollte er sicher gehen, dass er auch den richtigen erwischt hatte. Soichi fehlten die Worte. Mit offenem Mund glotzte er die beiden Gesetzeshüter an. „Anzeige? Wie Anzeige?“, schnauzte er. „Wollen Sie mich verarschen, oder was?!“ Der größere Beamte verzog angesichts der respektlosen Worte das Gesicht, überließ aber seinem Kollegen das Reden. „Nun, Sie sind doch Soichi Tatsumi, oder?“ Die Stimme des Mannes klang leicht angesäuert. „Laut unseren Informationen sollen Sie und besagter Morinaga in das Anwesen eines gewissen Kenji Mitzuko´s eingedrungen sein.“ Der Polizist wedelte mit dem Brief. „Sie beide werden des Hausfriedensbruchs und des versuchten Todschlags bezichtigt.“ Das war definitiv keine Verarsche. Soichi rutschte das Herz in die Hose. Mitzuko! Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht! Er konnte es nicht glauben! Der Kerl besaß tatsächlich die Dreistigkeit sie anzuzeigen. Wenn hier jemand angezeigt werden müsste, dann der Herr Professor selbst! Soichi spürte wie sich seine Fingernägel schmerzhaft in die Handballen bohrten. Ein verächtliches Lachen drang aus seiner Kehle. „Dieser elende Hurensohn!“ Dann riss er ohne groß über die möglichen Konsequenzen nachzudenken dem Beamten das Papier aus der Hand. „Der kann sich seine Anzeige sonst wo hinstecken!!“ In seiner Rage zerfetzte er es in Millionen kleine Schnipsel. Weißer Konfettiregen regnete auf die drei Männer herab. Soichi schnaubte schwer. Adrenalin raste durch seine Adern. „Sie sollten sich beruhigen.“ Der kleine warf dem größeren Beamten einen kurzen Seitenblick zu. „Ich möchte Sie bitten uns zu begleiten.“ Der strikte Ton ließ keinen Platz für Diskussionen. Auffordernd bezogen sie rechts und links neben ihm Stellung. „Finger weg!“ Tatsumi, dem die Wut auf den Professor blind für die Situation in der er sich befand machte, befreite sich mit einem kräftigen Ruck aus den Fängen der Gesetzeshüter. Spürte aber augenblicklich zwei große Hände, die ihn mit dem Gesicht voran gegen die Hauswand pressten. „Jetzt ist aber Schluss!!“, zischte der Große. „Sie sind vorläufig festgenommen!“ Ein leises Klirren ertönte und ehe Soichi reagieren konnte schnappten die Handschellen zu.
 

Stunden später vergammelte er ungeachtet seines Protestes in einer versifften Ausnüchterungszelle. Mehr als eine fleckige Matratze und ein in der Wand eingelassenes Waschbecken befanden sich nicht darin. Zwei Stunden waren vergangen seit er ohne große Erklärung in den kahlen Raum gestoßen wurde. Trotz seines Ekels war Soichi irgendwann auf die Matte gesunken. Eine bleierne Müdigkeit bemächtigte sich seiner. Er war kaum noch in der Lage die Augen offen zu halten. Doch als ihm dann die Lider zufielen explodierte ein Feuerwerk bunter Bilder in seinem Kopf. „Scheiße!“ Mit voller Wucht schlug er mit der Faust gegen die Wand. Ein gleißender Schmerz breitete sich von der Hand bis zum Ellenbogen aus. Aber Soichi bemerkte ihn kaum. Er war viel mehr damit beschäftigt Mitzuko in Gedanken den Hals umzudrehen. Wenn Tetsuhiro ihn doch nicht aufgehalten hätte! Mitzuko wäre nicht mehr in der Lage gewesen irgendjemanden anzuzeigen! Überhaupt, wie größenwahnsinnig war der Kerl eigentlich? War dem nicht klar, dass er sich selbst ans Messer lieferte? Wenn Soichi die Sache klarstellte, dann konnte der hochgeschätzte Professor seine Karriere an den Nagel hängen! Na gut, er hatte zwar die Bude demoliert, aber Mitzuko wollte… Auf einmal wurde Soichi schlecht. Bittere Galle stieg in ihm hoch, als er an die Szene in der Villa dachte. Bis jetzt war es ihm gelungen das Geschehende so gut es ging zu verdrängen aber plötzlich sah er es wie eine Art Standbild vor sich. Verdammt! Warum hatte er nicht besser aufgepasst! War er wirklich so blind gewesen? Sonst war er doch so schlau! Wie konnte ihm entgehen was der Professor im Schilde führte! „Ich bring ihn um!“, zischte Soichi in den Raum hinein. Eine weitere halbe Stunde verstrich, ohne, dass sich jemand zu ihm verirrte. Langsam wurde Soichi nervös. Wie lange wollte man ihn festhalten? Alles in ihm schrie danach den Bullen die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern. Frustriert begann er auf und ab zu tigern, blieb aber dann stehen. Die Polizei…wollte bestimmt…jedes verdammte Detail wissen, oder? Der Gedanke die Schnüffler würden Tetsuhiro damit konfrontierten war schrecklich. Würde er dem Druck standhalten? Soichi stieg die Schamesröte ins Gesicht. Konnte ER dem standhalten? Fuck! Er konnte es ja nicht mal aussprechen! Grübelnd nahm er seine Wanderung wieder auf und verteilte bei jedem Schritt roten Staub auf dem Boden, da die Blutflecke mittlerweile getrocknet waren und von ihm herabbröselten. Genervt sah er an sich herunter. Der Stoff, der steif von Blut war kratzte unangenehm auf der Haut. Reflexartig fuhren Soichi´s Hände erneut über seinen Oberkörper. „Was?“ Die Fingerspitzen ertasteten irgendetwas in der Brusttasche seiner Jacke. Verwundert fummelte Tatsumi an dem unhandlichen Verschluss der Tasche herum. Doch urplötzlich wurde die Tür hinter ihm aufgerissen.
 

„Na sieh mal einer an! Jetzt sind wir nicht mehr so schlagfertig, was?“, krächzte Mitzuko zur Begrüßung. Gestützt auf einen Stock humpelte er in die Zelle hinein. Hämisch grinste er Soichi an. Der junge Mann konnte ihn nur mit großen Augen anstarren. Es lief ihm eiskalt den Rücken runter. „Ich hoffe du hattest ein paar angenehme Stunden.“, lachte Mitzuko. „Aber das hier ist nur ein Vorgeschmack auf das was euch noch erwartet!!“ Bei den Worten verfestigte sich der Griff um den kunstvollgearbeiteten Knauf des Stockes. „Du und dein kleiner Freund werdet im Knast verrotten!“ Endlich gelang es Soichi sich aus der Schockstarre zu lösen. „Sie mieses Arschloch!“ Drohend machte er einen Schritt auf den Professor zu. Dieser hob tadelnd die Hand. „Ich an deiner Stelle würde das nicht tun.“ Er zeigte zur Tür. „Ein Wort von mir und du kannst deine Mahlzeiten künftig aus der Schnabeltasse schlürfen.“ Mitzuko bleckte die Zähne. Tatsumi würde bezahlen! Allein die Verletzungen würde er dem kleinen Wichtigtuer gerne zu gleichen Teilen zurückzahlen. Seine Nase war zweimal gebrochen. Laut Arzt würde sie für immer schief bleiben! Fünf Zähne hatte Tatsumi ihm ausgeschlagen und seine Augen waren dermaßen geschwollen, dass er kaum gucken konnte. Arme, Beine und andere spezielle Körperregionen waren mit tiefen Schnittwunden übersät. Darüber hinaus brachte ihm der Rücken beinahe um. Mitzuko konnte nur mit Hilfe eines Krückstockes einigermaßen gehen. Nicht zu vergessen die Schäden an seinem Haus! Ein neuer Mamorboden würde ein Vermögen kosten! Verfluchte Bengel! Den Nachmittag hatte er sich anders vorgestellt! Alles was er wollte, war ein bisschen Spaß. Was war daran bitte so schlimm? Der Gedanke an den jungen schönen Körper machte den Professor trotz Schmerzen ganz kribbelig.
 

Die Show, die er vor der Polizei abzog war vielversprechend gewesen. Keiner würde seine Aussage bezweifeln. Immerhin war er ein angesehener Akademiker. Tatsumi und Morinaga hingegen waren nur zwei mittellose Studenten. „Du musst wissen…“, sagte er an Soichi gewandt. „…Ich habe exzellente Kontakte zur Polizei. Wenn du mich auf Knie anflehst sorge ich dafür, dass man euch in eine Zelle sperrt!“ Pfeifend sog er die Luft ein. Blutiger Speichel flog Soichi entgegen. Der Blonde zitterte vor Anspannung. Er musste sich extrem zusammenreißen um dem Kerl nicht den Rest zu geben. „Sie…sind…ja größenwahnsinnig! Glauben Sie im Ernst, dass Sie damit durchkommen?“ Er ballte die Hände. „Sie können sagen was Sie wollen, dass ändert nichts daran was Sie sind! Nämlich ein mieses perverses Schwein!“ Laut hallte seine Stimme von den gefliesten Wänden wieder. Ein Sekunde herrschte Stille zwischen ihnen. „Tatsumi, Tatsumi. Mein lieber Junge. Wenn ich sage, dass ihr bei mir eingebrochen seid und mich auch noch versucht habt umzubringen, dann war es so. Da gibt es keinen Zweifel.“ Die Stimme des Professors strotzte nur so von Genugtuung. „Außerdem…“, sprach er weiter. „…Wer würde euch denn schon die Geschichte abnehmen? Denkst du ich weiß nicht über euch Bescheid?“ Bei den letzten Worten Mitzuko´s erblasste Soichi. Der Prof sah es und nickte erfreut. Er genoss die Angst des anderen. „Wie auch immer…verlieren kann nur einer und das werde garantiert nicht ich sein.“ Die kleinen Augen des Lehrers funkelten vor Vergnügen. Endlich war er am Ziel! Tatsumi war aus dem Weg geräumt. Ein kehliges Lachen drang aus der zusammengesunkenen Brust. Obwohl es schmerzte lachte er immer lauter.
 

Soichi dröhnte das Lachen in den Ohren. Ein unbändiger Hass brodelte in ihm. Er konnte es kaum ertragen im gleichen Raum mit diesem Mann zu sein. Kalter Schweiß brach ihn aus allen Poren. Tief in seinen Inneren erkannte er, dass Mitzuko Recht hatte. Die Chance, dass man ihnen glauben würde war erschreckend gering. „Nein…das können Sie nicht…machen…“, flüsterte er kaum hörbar. Das Blut rauschte unangenehm schnell durch die Venen, verursachte ihm Schwindel. Nein! Nein! Nein! Er konnte sich sein Leben doch nicht von einem dahergelaufenen Professor Mitzuko zerstören lassen!! Der Kopf drohte zu platzen. Alles ihn ihm wirbelte auf und ab. Was sollte er tun? Was… Mit einem Schlag sah er es glasklar vor sich. „Was gibt es da zu lachen!?“ Verunsichert betrachtete der Prof das feine Lächeln, das sich auf den Lippen des Jüngeren bildete. Doch anstatt zu antworten ging der anderen nun doch auf den älteren Mann zu. „K…Komm nicht näher!“, stammelte der ängstlich und wich zur Tür zurück. „Professor…“, grollte Soichi. „…Meiner Meinung nach sollten Sie mich auf Knien anflehen...“ Mitzuko´s Gesicht verfinsterte sich. Irgendwas war passiert, nur konnte er nicht sagen was. „Was soll das heißen?“, fragte er kalt. Die Miene Kenji´s entgleiste als er die Chipkarte in den Händen Tatsumi´s erblickte. Triumphierend hielt dieser die Speicherkartekarte mit dem kleinen Privatfilm in die Höhe. „Lieber Professor, es sieht so aus, als hätten Sie Ihre kleine Filmeinlage vergessen…“, meinte der Blonde so gleichgültig wie möglich. Die Erinnerung an den Film war wie ein Blitz eingeschlagen. Das im Inneren seiner Tasche war nichts anderes als die Speicherkarte, die er eingesteckt hatte. „Es wäre doch blöd, wenn der Dekan oder die Polizei davon Wind bekämen…“ Kenji wurde bleich. Durch Tatsumi´s Dazwischenfunken war der Film vollkommen in Vergessenheit geraten. Wie war er daran gekommen? Mitzuko verfluchte sich selbst für seine Nachlässigkeit! Die Bilder auf dem Film waren eindeutig. Selbst ein Vollidiot könnte die richtigen Schlüsse ziehen. Wenner nicht etwas unternahm war er erledigt! Das Knirschen seiner verbliebenen Zähne war deutlich zu hören. Soichi´s Herz dagegen raste. Würde der Lehrer anspringen? „Verfluchter…Was willst du?“, fauchte Mitzuko sauer. Tatsumi unterdrückte im letzten Augenblick ein erleichtertes Aufatmen. „Was ich will? Können Sie sich das nicht denken?“, begann er. Er wartete einen Moment bevor er weitersprach. „Hören Sie gut zu! Ich sage es nur einmal! Ziehen Sie sofort die Anzeige gegen mich und Morinaga zurück!“, knurrte er und ging noch einen Schritt weiter. „Als nächstes gehen Sie zum Dekan und legen Ihre Kündigung vor. Was Sie ihm erzählen ist mir scheißegal!“ Soichi und Mitzuko standen sich jetzt genau gegenüber. „Am besten verlassen Sie die Stadt so schnell wie möglich. Sollte ich Sie noch einmal in der Nähe meines Kohais sehen, sorge ich dafür, dass das Band in die richtigen Hände gelangt!“ Die Worte kamen Soichi´s erstaunlich flüssig über die Lippen. Der Ältere ließ den Film nicht aus den Augen, öffnete den Mund um zu wiedersprechen aber der stechende Blick seines Kontrahenten ließ jedes Wort verpuffen. Der Student hielt den Atem an. Hoffentlich merkte der andere nicht, dass er bei Weitem nicht so selbstbewusst war wie er vorgab. Ein paar quälende Minuten war es ruhig zwischen ihnen. Mitzuko war mittlerweile rot angelaufen. In seinem verunstalteten Gesicht arbeitete es. Er focht einen inneren Kampf. Sollte die Polizei Nachforschungen anstellen war er geliefert! Es wiederstrebte ihm auf die Forderungen einzugehen. Wie stellte der sich das vor? Er konnte doch nicht die Stellung, die er sich mir viel Arbeit beschaffte, aufgeben! Der Posten des Dekans war zum Greifen nahe! Aber wie er es drehte und wendete Mitzuko hatte keinen Trumpf in der Hinterhand. Er musste sich etwas einfallen lassen! Möglichst bald. Eine Niederlage war inakzeptabel! „Arg!!“ Als hätte Tatsumi seine Gedanken gelesen wurde Mitzuko gegen die Wand gepresst. Mit dem Arm schnürte Soichi ihm die Luft ab. „Ich warne Sie…Professor…“ Er verstärkte den Druck. „…das nächste Mal wird man mich nicht zurückhalten…“ Die Stimme des Studenten war nicht mehr als ein Flüstern. Mitzuko schnappte nach Luft. Der Geruch des Blutes ließ ihn würgen. „J...a..Du…hast gewonnen. Ich…mache was du verlangst!...“
 

Keine viertel Stunde später konnte Soichi das Polizeirevier verlassen. Draußen an der kühlen Luft schnappte er nach Luft. Jede Zelle seines Organismus vibrierte. Das war haarscharf gewesen! Ohne den rettenden Einfall mit der Chipkarte wäre er mit Sicherheit hinter schwedische Gardinen gewandert. Soichi bezweifelte nicht, dass Mitzuko der Forderungen nachgehen würde. Er konnte es deutlich in den Augen des Mannes sehen. Behutsam setzt er einen Fuß vor den anderen. Er war immer noch etwas wacklig auf den Beinen. Niemand begegnete ihm auf den Weg nach Hause. Nach und nach schweiften die Gedanken ab. Jetzt da das Problem mit Mitzuko geklärt war kreisten seine Gedankengänge wieder nur um Tetsuhiro. Er war das Erste woran er dachte, wenn er aufwachte und das Letzte, bevor er einschlief. Soichi´s Herzschlag verdoppelte sich. Am liebsten wäre er sofort ins Krankenhaus geeilt. Das war natürlich Quatsch, konnte er doch im Moment sowieso nichts machen. Jedoch, wenn er genauer darüber nachdachte gab es noch eine Sache gab, die er so schnell wie möglich erledigen musste. Denn als nächstes würde das Telefonat mir Morinaga´s Eltern anstehen. Und wie er das bewerkstelligen sollte, wusste Soichi beim besten Willen nicht.
 

Ende Kapitel 21

Anruf mit Folgen

„Mein Gott! Warum geht da keiner ran?“ Genervt unterbrach Soichi die Verbindung. Seit einer geschlagenen Woche versuchte er vergeblich die Eltern seines Kohais zu erreichen. Weder am Festnetz noch am Handy nahm irgendjemand ab. Nächte lang machte sich Soichi Gedanken wie er ihnen die Situation am besten schildern könnte. Nun hatte er die passenden Worte, sich überwunden die Familie Morinaga anzurufen und was war? Er bekam kein Schwein an die Strippe! Die Telefonnummern fand er nach langem Suchen in Tetsuhiro´s Adressbuch. Fein säuberlich standen dort unzähligen Daten. Die Wichtigsten waren rot markiert. Neugierig wie er war  blätterte Soichi in dem Büchlein. Wie nicht anders zu erwarten sagten ihm die meisten der Namen nichts. Zum Glück waren die Nummern der Familie ganz vorn versammelt. Seine eigene Nummer fand Soichi selbstverständlich auch. Er verdrehte die Augen, als er die vielen Herzchen sah, die sein Kohai um die Zahlen gekritzelt hatte. „Letzter Versuch!“, entschied Tatsumi und wählte ohne große Hoffnung erneut. Freizeichen - am anderen Ende der Leitung klingelte es einige Male. Kurz bevor er auflegen wollte wurde abgenommen. 
 

Ja? Hier bei Morinaga.“ Die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung klang kühl und abweisend. Soichi verschlug es kurz die Sprache, weil er nicht mehr gerechnet hatte, dass abgenommen wurde. „Äh…Ja…Spreche ich mit Frau Sakura Morinaga?“, erkundigte er sich vorsichtshalber. Nach kurzem Zögern antwortete die Frau. „Ja, die bin ich und mit wem habe ich das Vergnügen?“, erkundigte sich Morinaga´s Mutter nun ihrerseits. „Ach ja…ich…Mein Name ist Soichi Tatsumi. Ich bin…ein Studienfreund ihres Sohnes Tetsuhiro. Er ist…ja…wie soll ich sagen...“, Der Blonde verstummte, denn plötzlich waren die mühsam zurechtgelegten Sätze weg. Die kurze Pause nutze Frau Morinaga um genervt aufzustöhnen. „Oh, nicht doch! Was hat der Bengel jetzt wieder angestellt? Ich glaube es nicht! Der macht auch nur Ärger. Hören Sie, egal was passiert ist, mein Mann und ich werden nicht für den Schaden aufkommen! Tetsuhiro ist alt genug um die Konsequenzen selbst zu tragen! Jawohl!“ Soichi hörte ihr fassungslos zu. Was ging denn jetzt ab? „Nein, nein…hören Sie! Ihr Sohn liegt im Krankenhaus! Er ist krank und…“, versuchte er zu erklären. Ein schriller Aufschrei schnitt ihm jedoch das Wort ab. Der Ton schmerzte in Soichi´s Ohren. „WAAAAAAS? Krank? Nein!! Wir haben es gewusst! Oh mein Gott! Diese Schande! Mein Mann und ich wussten immer, dass ihm diese Neigung irgendwann zum Verhängnis wird. Wie sollen wir nur mit dieser…Schande leben. Schrecklich! Ich…“, kreischte sie so laut, dass der Student sein Handy ein paar Zentmeter von seinem Ohr weghalten musste. Er verstand kein Wort. „Halt! Wovon sprechen Sie überhaupt? Ich versteh nicht.“, unterbrach er sie schroff. „Ihr Sohn liegt wegen Nierenversagens im Nakamura Hospital. Er hat eine schwere OP hinter sich. Es geht ihm sehr schlecht! Verstehen Sie?“ Soichi sprach lauter und aggressiver als beabsichtigt. Aber anders würde er Tetsuhiro’s Mutter nicht zur Räson bringen können. Anscheinend drang seine Stimme tatsächlich zu der Frau durch, da  es kurz still in der Leitung wurde. Einen Augenblick glaubte Soichi schon sie habe aufgelegt. Doch dann erscholl wieder die Stimme. Dieses Mal jedoch in normaler Lautstärke. „…Sie meinen also….er hat kein…HIV...?“ 
 

„Was haben Sie gesagt?“, hakte Soichi ungläubig nach. Hatte er sich verhört? Ein lautes Schnaufen jagte durch das Telefon. „Ach, ich rechnete bereits mit dem Schlimmsten! Na Sie wissen schon! HIV, Aids! Diese widerliche Schwulenkrankheit! Wenn Sie ein Bekannter von ihm sind, dann ist Ihnen bestimmt bekannt, dass Tetsuhiro diese….perversen Neigungen hat! Wir hatten deswegen genug Ärger!! Mir fällt ein Stein vom Herzen, nicht auszudenken, was mein Mann getan hätte….diese Schande! Mein Gott!“ Soichi´s rechtes Auge begann bei dem Gejaule alarmierend zu zucken. Das Handy knackte in seiner Hand. Diese egoistische Schlampe!! Erzählte er dieser Frau nicht gerade, dass ihr Sohn schwer verletzt im Krankenhaus lag?? Und alles woran die dachte war die Familienehre? War er im falschen Film?? „Äh, Hallo? Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe? Tetsuhiro ist schwer krank!! Laut Arzt ist die Lage sehr ernst! Ich meine, Sie sollten so schnell wie möglich kommen!“, presste Soichi hervor. Mühsam beherrschte er sich nicht in das Telefon zu brüllen. Doch Morinaga´s Mutter antwortete kühl: „Wie stellen Sie sich das vor? Wir können doch nicht mir nichts, dir nichts alles stehen und liegen lassen. Außerdem muss ich zuerst mit meinem Mann darüber sprechen…wenn es wirklich so schlimm ist, wie Sie behaupten, warum erfahren wir erst jetzt davon?? Da ist doch bestimmt was faul. Wäre ja nicht das erste Mal, dass er uns an der Nase herumführt.“ Die letzten Worte brachten das Fass zum Überlaufen. „Sie sind ein egoistisches Miststück!!! Vergessen Sie es einfach!! Bleiben Sie wo der Pfeffer wächst! Ein schönes Leben noch!" Ohne die Antwort abzuwarten knallte Soichi´s Finger auf die Abbruchtaste. „Blöde Kuh!…Ich muss ich zuerst mit meinem Mann darüber sprechen…“, äffte er sie nach. Also echt, wer solche Eltern hatte, brauchte keine Feinde mehr! Die Aktion war völlig umsonst gewesen. Wie konnte man nur so herzlos sein? Jetzt verstand der Senpai, warum sein Kohai nie über seine Eltern sprach oder warum seit Jahren kein Kontakt zu ihnen bestand. „Super! Wie soll ich ihm erklären, dass seine Eltern nicht kommen? Scheiße! Immer bleibt alles an mir hängen!!“  
 

Auf dem Weg ins Krankenhaus qualmte Soichi eine Zigarette nach der anderen. Das Nikotin beruhigte seine flatternden Nerven. Die Schachtel war leer, als er vor dem Haupteingang zum Stehen kam. Die gesamte letzte Woche herrschte striktes Besuchsverbot. Vielleicht war heute das Glück auf seiner Seite und er durfte wenigstens kurz einen Blick auf Tetsuhiro werfen. Eine ganze Woche hatte er ihn nicht gesehen. Wenn Soichi genauer darüber nachdachte waren sie in den letzten Jahren nie länger als ein paar Tage getrennt gewesen. Volle sieben Tage waren der absolute Rekord! Jeden Tag trottete er zum Krankenhaus. Jedes Mal wurde er nach Hause geschickt. Soichi wusste selbst, dass dieses Verhalten total bescheuert war. Er war ja nicht gerade der anhängliche Typ. Aber immer wenn er sich auf etwas anderes konzentrieren wollte, schaltete sein Gehirn ab. Es war zum Kotzen! Die Arbeit wuchs ihm langsam über den Kopf. Eine Aufgabe jagte die nächste. Er hatte weiß Gott besseres zu tun, als seine kostbare Zeit mit ergebnislosen Fußmärschen zu vergeuden. Doch nun stand er wieder hier und war so nervös wie ein Kind vor dem ersten Schultag. Klopfenden Herzes schnippte er die letzte Zigarette weg. Wie die Tage zuvor ging er artig zum Empfang um Informationen über den Zustand Tetsuhiro´s zu erhalten. Nach ein paar Minuten des Wartens teilte ihm die Dame hinter dem Tresen überraschenderweise mit, dass Morinaga gestern von der Intensivstation auf die normale Station verlegt worden war.

  

Das Zimmer des Dunkelhaarigen befand sich im 3. Stock am Ende eines langen Ganges. Es war seltsam aber je näher Soichi kam, umso mehr Angst bekam er. Noch seltsamer war, dass er nicht einmal wusste wovor. Minutenlang starrte er die Tür an, bevor er es wagte einzutreten. Lautlos öffnete Soichi die Tür und fand sich in einem hellen Raum wieder. Zwei große Fenster versorgten die Umgebung mit warmem Sonnenlicht. Soichi wagte kaum zu atmen als er auf wackligen Beinen näher an das Bett trat. Tetsuhiro schlief. Der Brustkorb hob und senkte sich im ruhigen Rhythmus. Die dunklen Schatten unter den Augen bildeten einen scharfen Kontrast zu seiner bleichen Haut. Die schwarzen Haare standen ihn zerzaust vom Kopf ab. Außerdem war er noch schmaler geworden. Unzählige medizinische Geräte standen um das Bett herum. Durch eine Kanüle im Handrücken wurde er mit Medikamente versorgt. Abgesehen von einem vereinzelten Piepsen der Maschinen war es mucksmäuschenstill. Eigentlich hätte Soichi nicht gedacht, dass ihm der Anblick so sehr aus dem Konzept bringen würde. Aber seinen Freund in diesem Zustand zu sehen, war zu viel für ihn. Es schnitt dem Studenten ins Herz. „…Es tut mir Leid…“, flüsterte er dem Schlafenden leise zu. Unbeholfen zog er einen Stuhl heran. Eigentlich wollte er ihn doch nur kurz sehen und dann gleich wieder verschwinden. Aber jetzt wo er hier war, nur Zentimeter von Morinaga entfernt konnte er es einfach nicht. Soichi hasste sich für diese Schwäche. Er verstand sich selbst nicht mehr. Viel konnte er sowieso nicht ausrichten. Weder konnte er das Geschehene rückgängig machen, noch eine neue Niere aus dem Hut zaubern. Die Wahrheit war, dass er total nutzlos war. Doch anstatt seinem Verstand zu folgen, blieb er. Vorsichtig strich er dem Kranken die wirren Haare aus der Stirn, wie dieser es schon unendlich viele Male bei ihm selbst getan hatte. Die Haut Tetsuhiro´s war trotz der Blässe erstaunlich warm. Länger als nötig verharrten Soichi´s Finger auf der Haut des anderen, zogen langsam die Konturen des vertrauten Gesichts nach. Ihm war als sehe er es zum ersten Mal richtig an. Waren die Wimpern schon immer so lang und dicht gewesen? Der Mund so…sinnlich? Soichi war so vollkommen in den Betrachtungen gefangen, er bemerkte nicht, dass er immer näher an Tetsuhiro herangerückt war. „Tet…suhiro…“ Doch dann wurde ihm jäh bewusst was er da tat. Verwirrt über die seine verworrenen Gedanken wollte er sich zurückziehen, aber da schlug Morinaga die Augen auf und blinzelte ihm entgegen.
 

Das Blut schoss ihm in die Wangen. Wie von der Tarantel gestochen ruckte Soichi zurück in eine aufrechte Position. „Te…Tetsuhiro…ich…ähm…“, stammelte er wie der letzte Depp. War er jetzt völlig bekloppt? Was sollte das denn? Verlor er langsam die Kontrolle über sich selbst? „So…ichi?“ Morinaga rieb sich mit fahrigen Bewegungen den Schlaf aus den Augen. Tatsächlich, es war Senpai der da an seinem Bett saß. Ein Lächeln schlich sich auf die Lippen des Dunkelhaarigen. „Na, du…“, flüsterte er Soichi heiser zu. Der wurde noch eine Spur dunkler, erwiderte aber das Lächeln. „Hey…“ Ihre Blicke verhakten sich ineinander. Eine Weile schauten sie sich einfach nur an bis der Jüngere den Blickkontakt abbrach. Das Lächeln verschwand. „Senpai…ich…“ Morinaga schluckte angestrengt. Das Sprechen feil ihm unheimlich schwer. „Der Arzt…du weißt Bescheid, oder…?“ Die Stimme war rau vor Anstrengung und so leise, dass Soichi genau hinhören musste um alles zu verstehen. Besorgt betrachtete er Morinaga eher er antwortete. „Ja…ich…weiß Bescheid…“, sagte er. „Aber mach dir keine Sorge…wir bekommen das wieder hin…“, versuchte er den Jüngeren aufzumuntern, als er den Kummer in dessen Augen sah. Tetsuhiro antwortete nicht. Er wollte den Worten gerne Glauben schenken, aber seitdem er aufgewacht war und man ihm erklärte wie es um ihn stand, hatte sich eine Angst in ihm festgesetzt, die ihm manchmal die Luft abschnürte und er dachte sich, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn er nicht mehr aufgewacht wäre. „Senpai, hör mal…es tut mir…alles so leid…das mit Mitzuko…ich…“ Das Geschehende lastete wie ein Anker um seinen Hals, der ihn nach und nach in die Tiefe zog. Es quälte ihn dermaßen, dass er keine ruhige Minute haben würde, eher er mit Soichi darüber gesprochen hatte. „Über den brauchst du dir keine Gedanken mehr zu machen. Er und ich haben alles geklärt.“, eröffnete Soichi ihm unvermittelt. „Der Drecksack wird uns in Zukunft keine Schwierigkeiten mehr machen!“ Der Ältere nickte überzeugend, doch der Kohai war alles andere als beruhigt. Im Gegenteil, eine böse Ahnung beschlich ihn. Die Hände verkrampften sich auf der Bettdecke. „Senpai…hast du ihn etwa…“ War sein Senpai wirklich so weit gegangen? Der Angesprochene runzelte begriffsstutzig die Stirn, dann begriff er. „Was!? Sag mal, was denkst du denn von mir!? Falls es dich beruhigt, der Kerl ist putzmunter. Aber ich schwöre beim Grab meiner Mutter, dass sie Sache vorbei ist!!“ Zur Bekräftigung hob er die rechte Hand. Die Geste hatte etwas Kindliches, dass Morinaga unwillkürlich ein raues Lachen entlockte. „Okay, ist ja…gut. Ich glaube dir ja…“, schmunzelte er. Doch der kurze Augenblick der Unbeschwertheit dauerte nicht lange. Morinaga musste einmal tief durchatmen bevor er den Mut fand. „Senpai…bitte…ich muss...dir alles erzählen...“
 

Anfangs kamen ihm die Worte stockend über die Lippen, doch dann sprudelten sie regelrecht aus Tetsuhiro heraus. Während er erzählte stierte er stur auf die gegenüberliegende Wand. Zu viel Angst hatte er vor Soichi´s Reaktion. Die Erleichterung, die der junge Mann empfand nachdem er endete war gewaltig. „Ich hätte nie gedacht, dass es dermaßen ausarten würde…ich bin selbst schuld an allen…“ Ängstlich warf er Soichi einen Blick zu. „Ich weiß…du bist wütend auf mich…“ Mühsam setze Tetsuhiro sich auf. „Es tut mir Leid…ich habe es wohl nicht anders verdient, weil…“ Er stoppte als Soichi den Kopf zu schütteln begann. „Du Vollidiot! Was faselst du da bitte? Hörst du dir eigentlich selbst zu? Ich will so was nie wieder hören!“, schnauzte der Ältere grimmig. „Dich trifft keine Schuld. Nicht im Geringsten! Wenn jemand die Schuld trägt, dann…dann ich…weil ich nicht auf dich aufgepasst habe…“ Die Wut war so schnell verflogen wie sie aufgeflammt war. Das Eingeständnis fiel ihm nicht leicht, doch war es nichts als die reine Wahrheit. Wozu es noch länger leugnen. Geknickt ließ er den Kopf hängen, damit Morinaga nicht sah, dass seine Augen verräterisch glänzten. „Soichi…“ Zwei Arme schlangen sich um seinen Hals. Dunkle verwuschelte Haare kitzelten ihn an der Wange. Die federleichte Berührung, nicht mehr als ein Windhauch, genügte um alles um sich herum auszublenden. „Soichi…danke…“, murmelte Tetsuhiro an der Schulter des Älteren. „…das werde ich dir nie vergessen…Ich liebe dich…“ Er hätte nicht geglaubt, dass er noch in der Lage war Tränen zu vergießen. Die Umarmung allein kostete ihm all seine Kraft. Seine Muskeln waren so schwach, er konnte sich kaum aufrecht halten. Doch langsam bahnten sie sich ihren Weg, tropften hinab und versickerten in Soichis Haaren. Wie von selbst drückte dieser den Dunkelhaarigen immer fester an sich und ihre Lippen fanden wie von selbst zueinander. Sie küssten sich lange und zärtlich, eng umschlungen.

 

„Du hast was?“ Entgeistert starrte der Jüngere seinen Freund an. „Ich habe deine Eltern angerufen…“, wiederholte der Blonde zerknirscht die Hiobsbotschaft. Ihm war nicht wohl dabei Morinaga in seiner momentanen Verfassung damit zu überrumpeln, aber irgendwie war es ihm dann doch rausgerutscht. Soichi fühlte sich wie miserabel. Wie sollte er ihm erklären, dass sie höchstwahrscheinlich nicht kommen würden? „Senpai…das hättest du nicht machen sollen…“, meinte Tetsuhiro zu seinem Erstaunen. „Nach deinem Gesicht zu urteilen werden sie nicht kommen, oder? Na ja…habe ich auch nicht erwartet…“ Die Stimme mit der er sprach war vollkommen ausdruckslos. Vor Jahren hatten sie den Kontakt zu ihm abgebrochen. Eigentlich war er darüber hinweg. Trotzdem machte es ihn traurig, wie wenig er ihnen bedeutete. Er wollte es nicht zulassen, aber die Enttäuschung schlug urplötzlich über ihn zusammen. Wann hatte er seine Eltern zuletzt gesehen? Wenn er sich erinnerte, dann war das vor knapp 3 Jahren gewesen. Lächerlich, aber er konnte sich nicht einmal mehr an den Anlass erinnern. Plötzlich war er furchtbar müde. Kopfschmerzen kündigten sich an. Umgebung begann zu verschwimmen. Soichi war nur noch ein heller Fleck. „Sorry, deine Mutter…sie…wollte mir gar nicht richtig zuhören. Ich nannte kaum deinen Namen, da…“, Er zögerte. Den Inhalt des Gesprächs mit Sakura Morinaga sollte er lieber nicht wiederholten. „…Sie waren nicht begeistert…sie…werden wohl nicht kommen…ja…“ Erst recht nicht nachdem er Morinaga´s Mutter ein egoistisches Miststück nannte. „Da…kann man nichts machen. Weißt du, ich bin ganz froh, dass…sie nicht kommen.“, meinte der Jüngere müde. Die Lider wurden ihm schwer. Er musste sich zwingen wach zu bleiben. „Senpai…ich…“ Mehrmals rieb er sich über die Augen. Es wunderte Tetsuhiro, dass er noch einen Finger rühren konnte. Er konnte kaum noch klar denken. „Senpai…ich…glaube…ich ruh mich noch…ein bisschen aus…“ Die Worte waren ihm kaum über die Lippen gekommen, da schlief er schon.
 

Erst eine halbe Stunde später verließ Soichi leise das Zimmer. Er hatte sich regelrecht zwingen müssen endlich zu gehen. Er wusste natürlich, dass Morinaga hier gut aufgehoben war. Trotzdem quälte ihn schon nach einigen Metern das schlechte Gewissen. Gleichzeitig war er froh, dass sie sich ausgesprochen hatten. Soichi war erleichtert, unendlich erleichtert, dass nichts mehr zwischen ihnen stand.
 

„Kein Besuch? Aber warum denn??“ Verdatterte glotzte Soichi die Krankenschwester, die ihm am nächsten Tag vor Morinaga´s Zimmer abfing, an. Leichte Panik schwang in seinen Worten mit. Die Frau schüttelte nur kurz den Kopf. „Es geht ihm nicht besonders. Er braucht Ruhe!“, gab sie freundlich Auskunft. „Außerdem ist bereits jemand bei ihm!“, setzte sie hinzu, als Soichi keine Anstalten machte umzukehren. „Was? Jemand ist bei ihm? Was zum…!“ Er holte Luft um die Schwester zur Rede zu stellen, aber diese ließ ihn einfach stehen und ging weiter den Flur entlang. Entrüstet starrte er ihr hinterher. Eine Tür schlug in seinem Rücken laut zu. Erschrocken wirbelte Soichi herum und sah eine ältere Version seines Kohais hinter sich stehen. Nun war ihm klar wer zu Besuch gekommen war.
 

Ende Kapitel 22

 

 

 

 

 

Familienangelegenheiten

Morinaga´s Vater ging ohne Soichi die geringste Aufmerksamkeit zu schenken an ihm vorbei. Mit langen Schritten, beschäftigt auf sein Handy tippend, eilte er den Flur entlang. Soichi starrte dem Mann perplex nach. Dem jungen Mann war es, als habe er eine Erscheinung. So würde Tetsuhiro also in 30 Jahren aussehen. Es war erstaunlich wie ähnlich sich Vater und Sohn waren. Morinaga Senior war groß gewachsen, mindestens zwei Köpfe größer als Tatsumi selbst. Das dunkle, kurzgeschnittene Haar war vereinzelt mit grauen Strähnen durchzogen. Soichi wusste nicht genau wie alt der Vater seines Freundes war, aber er schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Nach der Katastrophe von Telefonat war er ehrlich erstaunt ihn hier vorzufinden. Ob die Mutter auch da war? „Super! Was mach ich jetzt? Wieder gehen?“ Wie bestellt und nicht abgeholt lungerte er nun vor dem Zimmer herum und überlegte. „Ach! Wenn ich schon mal hier bin, kann ich auch kurz reinschauen!“, beschloss er trotzig. So einfach wollte er sich nicht abspeisen lassen! Immerhin war er zuerst da gewesen! Leise trat er zur Tür und lauschte. Nichts zu hören. Ermutigt legte er eine Hand auf die Klinke. Doch dann ertönte die keifende Stimme einer Frau. Die Idee kam ihm mit einem Mal doch nicht mehr so gut vor. Aber bevor er sich zurückziehen konnte wurde die Tür unvermittelt von innen geöffnet. Tatsumi polterte regelrecht ins Innere.
 

Morinaga haderte mit dem Schicksal. Seit seine Eltern überraschend angekommen waren, hatte er keine ruhige Minute mehr. Als er sie in der Tür stehen sah, glaubte er an eine Halluzination. Nach allen was sein Senpai erzählte, waren Sakura und Yuuto Morinaga die letzten Menschen, die er erwartet hätte. Tief in seinem Inneren keimte jedoch eine klitzekleine Hoffnung auf. Vielleicht war das die Gelegenheit sich mit ihnen zu vertragen! Doch seine Träume wurden jäh zerstört. Denn was er als erstes zu hören bekam waren keine tröstenden Wort, sondern Vorwürfe. „Tetsuhiro! Was hast du nur getan?? Wie konntest du nur deine Nieren zu ruinieren? Ich wusste immer dein Lebenswandel bringt dich noch ins Grab!!!“, legte seine Mutter los, kaum dass sie eingetreten waren. Keine Begrüßung, keine lieben Worte. Morinaga Senior schüttelte nur wortlos den Kopf. Tetsuhiro verfluchte innerlich Soichi. Warum musste sein Senpai auch seine Eltern informieren? Er konnte ja nicht mal weglaufen um ihnen zu entkommen. „Ich habe doch gar nichts…“, wollte er erklären, aber sein Vater unterbrach seinen Sohn rüde. „Erzähl mir doch nichts!! So was kommt doch nicht von allein!! Wer weiß wo und mit wem du dich überall rumtreibst!! Hast du denn einmal an dein Studium gedacht?? Wir finanzieren es nicht, damit du dich mit diesen Perversen die Nacht um die Ohren schlägst!!!“, wies er Morinaga zurecht. Dieser fasste sich an seinen Kopf. Jetzt ging das wieder los! Warum konnten seine Alten ihn nicht akzeptieren wie er war? Seit sie von seiner Homosexualität erfuhren, behandelten die Morinagas Tetsuhiro wie einen Aussätzigen. Ihrer Meinung nach war er nicht ganz richtig im Kopf. Dass er mit seiner Sexualität offen umging, war ihnen ein Dorn im Auge. Das Leben auf dem Land machte die Angelegenheit auch nicht besser. Natürlich redeten die Nachbar über ihn. Tetsuhiro war egal was erzählt wurde. Das Meiste war sowieso übertrieben. Doch für seine Eltern war nichts wichtiger als der gute Ruf der Familie. Unzählige Versuche Tetsuhiro zu „heilen“ gingen schief. Er war nur noch eine Schande, die man möglichst nicht erwähnte. Kurzer Hand wurde er zum Studieren fortgeschickt. Ihm war es nur Recht. Zum Schluss war die Situation für ihn unerträglich geworden. Das war inzwischen mehrere Jahre her. Anfangs suchte er noch den Kontakt, stellte ihn aber bald ein, weil von Seiten der Eltern keine Reaktionen erfolgten. Umso mehr war er verwundert, dass sie im Krankenhaus auftauchten.
 

Seit geschlagenen zwei Stunden musste er sich jetzt schon mit ihnen herumschlagen. Sein Schädel drohte zu platzen. Darüber hinaus pochte die OP-Wunde wie verrückt. Morinaga fühlte sich so schwach, selbst das Zuhören war anstrengend und die ganze Zeit über spürte er den vorwurfsvollen Blick seiner Mutter auf sich ruhen. „Weist du eigentlich was wir alles auf uns genommen haben um herzukommen? Die Arbeit erledigt sich nicht von allein!! Tetsuhiro?? Hörst du mir zu???“, sprach Sakura Morinaga ihn eindringlich an. „Ja, ja ich höre zu…Wenn ihr so viel zu tun habt, warum seit ihr dann überhaupt gekommen??“ Im Grunde wollte er es gar nicht wissen. Doch einen sarkastischen Unterton konnte er sich dennoch nicht verkneifen. Das Gesicht seines Vaters lief rot an. „Pass bloß auf was du sagst, Freundchen!“, begann Morinaga Senior, wurde aber vom Klingeln eines Handys unterbrochen. Gereizt zog der Mann es aus seiner Hosentasche. „Da muss ich rangehen, entschuldigt mich…“, meinte er und verließ den Raum. Tetsuhiro und seine Mutter blieben allein zurück. Frau Morinaga sah auf ihre Armbanduhr und seufzte. Sie und ihr Mann warteten seit einer Ewigkeit auf den behandelnden Arzt. Wie hieß er noch mal? Tooto? Nein! Tonno!! Genau, dieser Dr. Tonno ließ sich ihrer Meinung nach viel zu viel Zeit. Ihr Blick fiel auf ihren Sohn. Er sah wirklich schlecht aus! Neben seinem Bett stand das Dialyse-Gerät. Leise summte es vor sich hin. Beim Anblick des Blutes wurde ihr leicht übel. „Wie ähnlich er seinem Vater sieht!! Es gab Zeiten, da waren sie ein Herz und eine Seele! Warum musste das auch unserer Familie passieren?“, kam es Sakura in den Sinn. Nach einigen Minuten verließ sie ihren Platz am Fenster und setze sich neben das Bett auf einen Stuhl. Vielleicht waren sie mit der Tür ins Haus gefallen. „Tetsuhiro, warum hast du uns denn nicht angerufen?“, fragte sie ihn sanft. Vorsichtig nahm sie seine Hand in die ihrige. Morinaga war erstaunt. Es war lange her, seit sie in diesem Tonfall mit ihm redete. „Warum…sollte ich? Ihr habt mir doch klar gemacht, dass ich mich bei euch nicht mehr blicken lassen soll…“ Selbst nach all den Jahren schmerzte die Erinnerung. Seine Mutter blickte empört auf. „Das war nur zu deinem Besten! Wir hatten gehofft du würdest dich besinnen und dir eine Freundin suchen!!“ Das hoffte die Morinagas wirklich. Aber ihr missratener Sohn war stur wie ein Maulesel. Und ja…in gewisser Weise stimmte, was Tetsuhiro sagte. Yuuto Morinaga stellte seinen Sohn vor die Wahl. Entweder er wurde „normal“ oder er brauchte sich bei ihnen nicht mehr blicken lassen. Flehend sah Sakura zu Tetsuhiro. Der ballte die freie Hand zur Faust. Hitze stieg in ihm auf. „Freundin…Wie oft soll ich es denn noch sagen bis ihr es versteht! Ich bin weder krank, noch ist das irgendeine Selbstfindungsphase. Ich bin schwul und das wird sich auch nicht ändern. Könnt ihr das nicht akzeptieren? Bitte!!“ Mit jedem Wort wurde seine Stimme lauter. Nun war er es, mit dem Flehen in den Augen. Er musste sich auf die Lippen beißen um nicht loszuheulend. Aber Sakura ging nicht darauf ein. Augenblicklich ließ sie die Hand ihres Sohnes los. Enttäuschung und Ablehnung zeichneten ihr hübsches Gesicht. „Dann kann ich dir auch nicht helfen…Ich schau mal wo dein Vater bleibt…“, murmelte sie und ging zur Tür. Kaum jedoch drückte sie die Klinke leicht hinunter, sprang die Zimmertür auf und eine Person fiel hinein.
 

Mehrere Schritte stolperte Tatsumi in den Raum, konnte aber zum Glück verhindern, dass er auf die Nase fiel. „W-Wer sind Sie denn??“, fragte eine schlanke Frau. Mit weit geöffneten Augen schaute sie zu Soichi auf. Vor Schreck hatte sie eine Hand vor den Mund geschlagen. Er wusste sofort, dass es sich um Tetsuhiro´s Mutter handeln musste. Die Augen hatte sein Freund definitiv von ihr geerbt. Außerdem hatte Tatsumi ihre Stimme wiedererkannt. Ansonsten war keine Ähnlichkeit zwischen ihnen vorhanden. Sakura Morinaga war nur mittelgroß, mit schulterlangen braungelockten Haaren. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Aber einige Falten in ihrem feingeschnittenen Gesicht zeigten, dass sie bereits Mitte bis Ende vierzig war. „Senpai! Was machst du denn??“ Sein Kohai sah ihn mit dem gleichen überraschten Gesicht an. Verlegen suchte Soichi nach einer guten Ausrede. „Ich…Äh…sorry. Ich wusste nicht, dass du Besuch hast…“, log er einfach. „Senpai? Sind Sie ein Bekannter von Tetsuhiro?“, wurde von Mutter Morinaga gefragt. Skeptisch musterte sie den ungebetenen Gast. Die Stimme kam ihr vage bekannt vor. Auf das Krankenhauspersonal war auch kein Verlass. Hatten sie nicht ausdrücklich gefordert ungestört zu sein? Was war das für ein Service? Soichi war die Situation hochgradig unangenehm. Oh je. Das war also die Frau, die er ein „egoistisches Miststück“ nannte. Zum Glück kam ihn der Dunkelhaarige zur Hilfe. „Mutter, das ist mein Senpai aus der Uni." Keine weiteren Erklärungen. Die Atmosphäre war zum Reißen gespannt. Mutter Morinaga schnalzte mit der Zunge „Nun, danke für den Besuch. Aber Sie können gleich wieder gehen…“ Ungeduldig wedelte sie mit der Hand, um Soichi hinaus zu scheuchen. Aber sie hatte die Rechnung ohne ihren Sohn gemacht. „Wolltest du nicht nach Vater sehen?“, warf Tetsuhiro scharf dazwischen. Die Frau warf ihm einen ätzenden Blick zu. Mehrere Male öffnete und schloss sie den Mund um etwas zu erwidern. Soichi schien es als würden beide einen stummen Kampf ausfechten. Wer am Ende gewann war nicht genau zu bestimmen. Aber schlussendlich, nach einem letzten wütenden Seitenblick auf Soichi, machte Sakura sich auf die Suche nach ihrem Mann. „Wenn Blicke töten könnte, wären Morinaga und ich mausetot.“, dachte Soichi während er der Mutter seines Kohais nachsah.
 

„Sorry für den Auftritt…“, entschuldigte sich Soichi verlegen. Konnte er ahnen, dass die Alte genau hinter der Tür stand? „Hey? Alles klar?“, fragte er als der Jüngere nicht reagierte. Tetsuhiro sah ihn nicht an. Er war kurz davor zu platzen. Die Worte seiner Mutter ätzten wie Säure in seinem Inneren. „Warum…Warum musstest du sie anrufen??“, presste er durch zusammengebissenen Zähnen hervor. Der Atem des Kranken ging stoßweise. Am liebsten würde er seinen ganzen Frust laut heraus schreien. Anstrengend atmete er ein und aus. „Ich….sorry…aber ich halte…diese ständigen…Vorwürfe nicht länger aus…“ Ein Stechen in der Brust ließ ihn verstummen. „Tetsuhiro!“ Soichi stolperte eilig an seine Seite. „Hey! Ganz ruhig! Du sollst dich doch nicht aufregen.“, tadelte er sanft. Sachte legte er ihm eine Hand auf die Stirn. Müde schloss Morinaga die Augen. Wie angenehm kühl sich Senpai´s Haut auf seiner anfühlte. „Danke…es geht schon wieder…“, meinte der Kranke nach einer kleinen Verschnaufpause. In Wahrheit fühlte er sich erbärmlich. Nach der vierstündigen Dialysesitzung war er ausgelaugter als nach einem Marathonlauf. Im Laufe des Tages ging es etappenweise bergab. Besuch war für heute nicht vorgesehen. Aber da es sich um die Familie handelte, wurden Sakura und Yuuto Morinaga zu ihm gelassen. Und so nahm das Drama seinen Lauf. Ohne das Wissen, das Soichi auf ihn wartete hätte er schon längst aufgegeben. „Soichi…du bist so lieb…“ Vorsichtig legte er dem Älteren, der mittlerweile den verwaisten Platz neben dem Bett eingenommen hatte, ein Hand auf die Wange. „Du Idiot…Musst du immer so peinliche Sachen sagen…“, motzte der Blonde halbherzig zurück.
 

„Ich glaub es nicht! Was machst du denn da?? Bist du verrückt geworden??“ Eine wutentbrannte Stimme erfüllte den Raum. Yuuto Morinaga stand fassungslos in der Tür. War sein Sohn von allen guten Geistern verlassen? Jeden Moment könnte jemand vom Personal auftauchen. Was sollte die Leute denken, wenn sie Tetsuhiro und seinen…was auch immer…sahen? Auch Tatsumi realisierte erschrocken welches Bild die beiden abgeben mussten. Doch Yuuto war schneller. Zwei Schritte des großen Mannes genügten, um die Hälfte des Raumes zu durchqueren. Hart versetzte er Soichi einen Stoß, der ihn beinahe von den Füßen riss. „Sie! Verschwinden Sie auf der Stelle! Wir haben mit unserem Sohn zu sprechen.“, brüllte er. Bei dem Wort „Sohn“ warf er dem Kranken einen Blick zu, als wollte er sich als nächstes auf ihn stürzen. Soichi Tatsumi wäre nicht er selbst, wenn er einfach so das Feld geräumt hätte. Dachte der Alte ernsthaft, dass er ihn nach diesem Auftritt mit Tetsuhiro allein ließ! „Ich denke nicht daran!“, teilte er provokant mit. Der Senior starrte ihn baff an. Anscheinend rechnete er nicht damit, dass sich jemand mit ihm anlegte. Zornig lenkte er seine Aufmerksamkeit zurück auf seinen Sohn. „Du! Hast du keinen Anstand im Leib?? Wie kannst du nur diesen…diesen…Perversen hier anschleppen??“, donnerte er gellend. Soichi wurde weiß wie die Wand. „Wie hast du mich genannt???“, zischte er respektlos zu Morinaga´s Vater. In seinem Kopf ratterte es. Was sagte der Mann zu ihm? „Spreche ich undeutlich? Sie haben mich schon verstanden!! Ich wusste auf den ersten Blick von welcher Sorte Sie sind!!“ Wild fuchtelte der Alte mit seiner Hand durch die Luft. Tetsuhiro, der sprachlos zugehört hatte, konnte regelrecht sehen, wie bei Soichi der Geduldsfaden riss. Wenn er nicht etwas unternahm, würde es ein Blutbad geben! Im wahrsten Sinne des Wortes. Er ahnte ja nicht wie kurz Tatsumi davor war genau das in die Tat umzusetzen. Er kochte innerlich. Vater hin oder her! Niemand, absolut niemand durfte so mit ihm reden. Und niemand nannte ihn einen Perversen!! Dachte der Alte wirklich er sei schwul? „Jetzt mach mal halblang Alter...“
 

Ein wildes Wortgefecht setzte sich in Gang. Plötzlich sprachen alle durcheinander. Soichi und der Vater übertönten sich gegenseitig mit ihrem Geschrei. Der Student wurde mit Beschuldigungen, Beleidigungen und Unterstellungen bombardiert. Gleichzeitig versuchte Soichi, dem älteren Mann zu erklären, dass es nicht so war wie es aussah. Um das Chaos komplett zu machen mischte sich auch noch Frau Morinaga ein. Ohne Erfolg versuchte sie ihren Mann zu beruhigen. Ihre schrille Stimme vermischte sich mit dem Geschrei der Männer. Vergeblich versuchte Tetsuhiro sich Gehör zu verschaffen. Doch teilweise war es so laut, dass er sich die Ohren zuhalten musste. „Ihr Perversen seid doch alle gleich!! Widerwertig! Ekelhaft! Das ist doch nicht normal!!“, ätzte der Senior giftig. Sein Blick huschte zwischen den beiden jungen Leuten hin und her. Dass er seinen Sohn damit aufs tiefste beleidigte war ihm egal. „Sag mal, bist du taub?? Ich bin keiner von denen!! Ich kann Schwule nicht ausstehen!! Ich hasse sie!!“, blaffte Soichi laut zurück. Die Worte verließen seinen Mund bevor er nachdenken konnte. Tetsuhiro zuckte leicht zusammen. Verblüfftes Schweigen auf beiden Seiten. Soichi schluckte. Was hatte er da gesagt...?
 

„Was ist denn hier los? Raus! Sofort! Alle raus!“ Vier Köpfe drehten sich zur Tür. Der behandelnde Arzt Dr. Tonno stand mit entsetzter Miene im Eingang. Das laute Gebrüll der Besucher war auf der gesamten Station zu hören gewesen. „Verlassen Sie alle sofort das Zimmer! Kommen Sie mit!“, wiederholte er nochmals. Mit einer nachdrücklichen Geste scheuchte die die Eltern und Soichi hinaus. „Das ist alles Ihre Schuld…“, knurrte Yuuto auf dem Flur in Soichi´s Richtung. „Schluss damit!“, brummte der Mediziner warnend. Der Senior verzog das Gesicht, hielt jedoch den Mund. Seine Frau legte ihm die Hand auf den Arm. „Beruhig dich Yuuto!!“, zischte sie ihm zu. Auch Soichi fand, dass es besser war die Klappe zu halten. „Können Sie mir bitte erklären, was das sollte??? Der Patient braucht Ruhe! Das Letzte was er gebrauchen kann ist Aufregung und Stress!!“, erklärte der Arzt kopfschüttelnd. Er seufzte genervt. Dieser Fall war wirklich schwierig! Tonno hoffte die Anwesenheit der Elternteile würde dem Jungen gut tun. Aber das Gegenteil war der Fall!! Der Vater war genauso dickköpfig wie der Sohn. „Entschuldigen Sie Doktor! Das…war…nur…eine kleine Auseinandersetzung…!“, versuchte Sakura die Szene zu erklären. Ihr war es hochgradig peinlich, wie ihr Mann sich aufführte. Der Arzt musterte sie unverständlich. „Werte Dame, ich glaube Sie und ihr Mann missverstehen den Ernst der Lage! Es gibt keinen Platz für „kleine Auseinandersetzungen“. Ihr Sohn ist ernsthaft krank. Verstehen Sie das nicht??“ Dabei hatte der Arzt bereits mit den Morinagas über den Gesundheitszustand Tetsuhiro´s gesprochen. „Und Sie müssten es doch besser wissen!“, tadelte der Mediziner erbost in Soichi´s Richtung. Dieser schrumpfte in sich zusammen. Er schämte sich für sein Verhalten. „Es…tut mir Leid…“, würgte er mühsam hervor. Die Antwort schien das Ehepaar zu verblüffen. Sakura stieß ihren Ehemann in die Seite. Er räusperte sich. „Entschuldigen Sie Doktor. Es kommt nicht wieder vor.“, bat er um Verzeihung. Tonno schien nicht gänzlich überzeugt was die Ernsthaftigkeit der Entschuldigung betraf, ließ es aber dabei beruhen. Schließlich gab es wichtigere Dinge. „Lassen wir das. Bitte folgen Sie mir in mein Büro. Ich muss mit Ihnen sprechen. Hier entlang.“, kommandierte er und ging voraus.
 

Soichi Tatsumi blieb zurück. Er musste unbedingt nochmal zu Tetsuhiro. Was er da vorhin gesagte hatte…Er musste... „Tatsumi? Kommen Sie?“ Erstaunt bemerkte er, dass Tonno auf ihn wartete. Was? Sollte er etwa mitkommen? „Was will der denn?? Das ist eine Familienangelegenheit.“, fauchte Yuuto Morinaga ihn im Büro des Oberarztes an. Er und Sakura hatten auf zwei Stühlen Platz genommen. So ähnlich Vater und Sohn auch sahen, gegensätzlicher konnte der Charakter nicht sein. „Ja, das das ist richtig. Aber unter diesen Umständen ist Anwesenheit Tatsumis erwünscht.“, erklärte Tonno, der hinter Soichi eingetreten war. Angespannt lehnte Soichi sich an die Wand. Normalerweise hatte er hier wirklich nichts zu suchen. Jetzt da die nächsten Verwandten anwesend waren, hatte er nichts mehr zu melden. „Welche Umstände?“, erkundigte sich Sakura. Der ältere Mediziner wühlte in einem Stapel Papiere und zog einen dünnen Ordner hervor. „Ähm…ihr Sohn hat eine Vollmacht unterschrieben, die Soichi Tatsumi in alle medizinischen Entscheidungen einbezieht. Hier…“ Über den Tisch hinweg reichte er dem Vater die Papiere. Rüde riss Yuuto das Blatt aus der Hand. „Er hat was??? Darf er das denn???“, baff starrte der Mann auf das Formular. „Da ihr Sohn volljährig ist, kann er über seinen Körper frei entscheiden. Das müssen Sie akzeptieren.“ Die Eheleute tauschten einen ratlosen Blick. „Verflucht! Dieser Bengel! Arg...Wenn es sein muss. Was wollen Sie mit uns bereden??“ Begeisterung sah anders aus. Vollmacht?? Was dachte Tetsuhiro nur einen Fremden in Familienangelegenheiten einzubeziehen?? Als ob seine Eltern nicht am besten wüssten, was gut für ihn ist!! Auch Tatsumi war von der Enthüllung überrumpelt. Vertraute Tetsuhiro ihm denn so sehr? Seine unbedachten Worte...Er musste sich entschuldigen. Stopp! Warum…sollte er? Schließlich war das die Wahrheit! Oder…???
 

„Ich will gleich zur Sache komme. Wie Sie wissen mussten wir eine Niere entfernen. Natürlich ist das Organspendezentrums informiert worden…“ Kaito Tonno seufzte bevor er weitersprach. „...Leider…haben sich die Werte verschlechtert. Ich weiß nicht wie lange wir sie noch stabil halten können.“ Sakura knetete nervös ihre schmalen Hände. „I-Ich verstehe nicht…?“, ängstlich wanderten ihre blauen Augen im Büro umher. „Nun, Tetsuhiro war schon vor der OP in keiner guten Verfassung. Die Dialyse ersetzt zwar die Nierenfunktion, aber sie setzt dem Körper auch zu…Um Klartext zu sprechen: Je schneller er ein neues Organ bekommt, umso besser. Wenn nicht, besteht akute Lebensgefahr. Vielleicht verstehen Sie nun, warum ich so streng bin. Er muss sich schonen!! Jegliche Aufregung ist Gift für den Körper.“ Kaito Tonno hasste es schlechte Nachrichten überbringen zu müssen. Die Gesichter der anwesenden Personen sprachen für sich. Tonno sah die unterschiedlichsten Emotionen. Fassungslosigkeit. Wut. Trauer. „Sie meinen er könnte…könnte sterben???“, kam es von Yuuto Morinaga. Sakura wurde blass. Sterben?? Ihr Sohn sollte sterben? Nein! Es musste sich um einen Irrtum handeln!! Ganz bestimmt! „Oh, entschuldigen Sie! Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen. Aber die Lage ist ernst. Deswegen wollte ich mit ihnen über eine weitere Option sprechen.“ Die Stimme des Mannes klang souverän und vertrauenerweckend. Yuuto stieß ein verächtliches Schnaufen aus. „Denken Sie ich weiß nicht worauf sie hinauswollen?“ Er bedachte den Mann hinter dem Schreibtisch mit einem mörderischen Blick. „Sagen Sie es schon! Wir sollen als Ersatzteillager herhalten? Ist es nicht so!?“ Der große breitschultrige Mann stand auf. „Es tut mir leid, aber da mach ich nicht mit!!“ Ohne weiteren Kommentar verließ das Büro. Baff starrten alle ihm nach. „Aber…Yuuto!“, rief die Mutter seines Freundes ihrem Ehemann nach. „Einen Moment…Ich rede mit ihm…“ Sofort eilte sie ihm hinterher.
 

„Da…damit habe ich nicht gerechnet!“, murmelte der Arzt überrascht. Es war das erste Mal, dass ihm die Worte fehlten. Solch eine Reaktion war ihm unverständlich. Zum Wohle seines Patienten konnte er nur hoffen, dass die Ehefrau Erfolg haben würde, denn wenn beide Elternteile sich testen ließen war die Wahrscheinlichkeit dreimal so hoch, dass einer von ihnen als Spender in Frage kam. Auch Soichi überlegte fieberhaft. War der Alte verrückt geworden? Eine Idee formte sich in seinen Kopf. „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einen Spender außerhalb der Familie zu finden? Das muss doch auch gehen oder??“ Wenn der Alte sich quer stellte musste er die Sache in die Hand nehmen! Der Arzt, der immer noch wie hypnotisiert auf die offene Tür starrte, nickte geistesabwesend. „Ja…natürlich…unter gewissen Umständen…ist das möglich…“ Auf diese Antwort hatte Tatsumi nur gewartet. Energisch krempelte er den Ärmel hoch. Auffordernd hielt er dem Arzt seinen nackten Arm hin. „Worauf warten Sie dann noch! Testen Sie mich!“
 

Tetsuhiro Morinaga lag in seinem Bett und dachte nach. Nach dem Krach war die Stille eine wahre Wohltat. Er konnte sich denken was Tonno mit ihnen besprechen wollte. Schließlich konnte er eins und eins zusammenzählen. Obwohl er kein Schwarzseher war, spielte er ernsthaft mit dem Gedanken sein Testament zu machen. Aber für was eigentlich? In seinem Besitz befand sich nichts Wertvolles, das einen Nachlass wert war. Wozu die Mühe machen? Viel mehr als ihm lieb war, drehten sich die Gedanken um Soichi. Die Vollmacht war wahrscheinlich ein Fehler. Was dachte er nur dabei?? Senpai eine solche Verantwortung aufzubürden! Sein Freund hatte andere Sachen, die seine Aufmerksamkeit benötigten. Die Uni, seine eigene Familie und vieles mehr. Schließlich waren sie kein Paar. Das war Morinaga heute schmerzlich klar geworden. Er wusste auch nicht was er sich alles eingebildet hatte. Die Worte seines Senpai´s brachten ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Er war so ein Träumer gewesen!
 

Ende Kapitel 23

Aus der Traum

„…Also gut…Machen Sie Ihre komischen...Tests. Ich bin…einverstanden…wenn es unbedingt sein muss...“ Die Worte kamen Yuuto Morinaga knapp über die Lippen. Es war kaum mehr als ein unverständliches Zischen. Der Blick, den er seiner Frau dabei zuwarf gab jedermann zu verstehen, dass sie allein für diesen Sinneswandel verantwortlich war. Der Mann knirschte laut mit den Zähnen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, Sakura und er würden schon längst auf dem Heimweg sein. Aber nachdem sie eine geschlagene Stunde auf ihn einredete gab er klein bei. Schließlich wollte er sich später nicht vorwerfen lassen er habe seinen missratenen Sohn sterben lassen. Auch wenn der Gedanke sich in den Eingeweiden herum wühlen zu lassen ihn erschaudern ließ. Ekelhaft! Vom Arbeitsausfall ganz zu schweigen! Und das alles für einen aufsässigen nichtsnutzigen Bengel. Und zur Krönung des Ganzen musste er auch noch die Visage dieser blonden Furie ertragen! Grummelnd verschränkte er die Arme und spürte neben sich wie Sakura erleichtert aufatmete. Auch Doktor Tonno´s Miene entspannte sich. Bis zu diesem Augenblick hatte der Mediziner erhebliche Zweifel. Zwischenzeitlich glaubten Tatsumi und er sogar die Morinagas wäre abgereist. In seinen 25 Jahren als Arzt hatte Kaito Tonno mehr als genug Familiendramen aus nächster Nähe miterleben dürfen. Es war nicht das erste Mal, dass am Bett eines Patienten private Streitigkeiten jeglicher Art ausgetragen wurden. Und in diesem Fall konnte er ja niemanden zwingen sich der Typisierung zu unterziehen. Egal ob es sich um den Sohn handelte oder nicht. Doch glücklicherweise hatte die Ehefrau gute Überzeugungsarbeit geleistet.
 

Auch Soichi schwitzte während der letzten eineinhalb Stunden Blut und Wasser. Er war kurz davor gewesen sich auf die Suche nach dem Ehepaar zu machen. Er traute ihnen durchaus zu sich einfach ohne ein Wort aus den Staub zu machen. Nachdem Soichi gefühlte hundert Mal den Gang auf und ab latschte, erschienen die beiden wieder auf der Bildfläche. Sakura musste Yuuto regelrecht in das Büro zerren. Als der Soichi entdeckte erdolchte er diesen beinahe mit seinen Augen. Ihm schmeckte es anscheinend überhaupt nicht, dass sich der Student in die Familienangelegenheiten einmischte. Er konnte dessen Anwesenheit nicht ertragen. Soichi erging es nicht anders. Am liebsten hätte er dem Mann kräftig in den Hintern getreten! Aber leider hing die schnelle Genesung Tetsuhiro´s von ihm und seiner ätzenden Frau ab. Als Yuuto die Sätze, auf die Soichi so sehr hoffte aussprach, fiel ihm ein riesengroßer Stein vom Herzen. Vor Anspannung waren seine Handflächen schweißnass. Ohne die Wand im Rücken wäre er vor Erleichterung mit Sicherheit umgekippt. „Was ist denn nun! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!!“, maulte Yuuto gereizt, da er die lästige Angelegenheit schnell hinter sich bringen wollte. Sakura schien das Verhalten ihres Mannes höchst unangenehm zu sein. Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Verzeihen Sie den Ton meines Mannes.“, bat sie lächelnd. „Aber auch für uns ist das alles nicht leicht. Wie geht es denn jetzt weiter?“ Die dunkelblauen Augen der Frau sahen unsicher zu Tonno auf. Ein nervöses Zucken ihrer Mundwinkel bezeugte wie unsicher sie war. Der Arzt erkannte, dass er ab sofort mit äußerster Behutsamkeit vorgehen musste. Er wollte keinen Rückzieher von Seiten des Vaters riskieren. „Keine Sorge. Ich werde Ihnen den Vorgang in allen Einzelheiten erklären.“ Er nickte besänftigend. „Aber wir sollten nicht mehr lange warten. Jede Minute zählt!“
 

Drei Stunden später tapste Soichi auf wackligen Beinen aus dem Behandlungszimmer. Ihm dröhnte der Kopf. Am Ende konnte er gar nicht mehr zählen wie viele Ampullen Blut man ihm abzapfte. Dass er seine große Klappe auch immer so aufreißen musste! Aber er hatte es ja nicht anders gewollt. Immerhin war er es gewesen, der darauf bestand sich unbedingt auch heute testen zu lassen. Nach einer kurzen Diskussion lenkte der Arzt ein. Wenn er gewusst hätte was auf ihn zukommt, hätte Tatsumi den Mund nicht so voll genommen. Was für ein Aufwand! Nicht nur, dass man ihn wortwörtlich aussaugte, es folgte auch noch ein ausführlichen Gesundheitschek und ein nervenaufreibendes Frage-Antwort-Spiel. Soichi wollte sich nicht vorstellen wie die Morinagas damit umgingen. Begeistert waren die bestimmt nicht. Schadenfroh begann er zu grinsen. Um nichts in der Welt wollte er mit dem Krankenhauspersonal tauschen. Die Ergebnisse würden laut der Aussage Tonno´s garantiert nicht vor morgen feststehen. Kaum auszuhalten, da doch Geduld nicht zu seinen Stärken zählte. Sollte Soichi wirklich nichts anderes übrig bleiben als Däumchen zu drehen? „So ein Saftladen…“, meckerte er angepisst und rieb sich versunken den Arm, der sich irgendwie taub anfühlte. Aber obgleich er doch nun allen Grund hätte zufrieden zu sein, wurde er dieses unangenehme Ziehen in der Brust nicht los. Seufzend fuhr er sich über das bleiche Gesicht. „Ich und meine große Klappe…“
 

Reglos beobachtete Tetsuhiro wie die ersten Regentropfen gegen die Scheibe klatschten. Dunkle Wolken bevölkerten den Himmel, ein eisiger Wind ließ die Blätter des großen Ahornbaumes, der direkt vor dem Fenster stand, tanzen. All dies und leises Donnergrollen waren erste Anzeichen eines heraufziehenden Sommergewitters. Es war witzlos, aber es schien Tetsuhiro als passe sich das Wetter seinem Gemütszustand an. In ihm drin sah es genauso grau und trist aus. Verschämt wischte er sich mit den Fingern die Tränen aus den Augen. Er hatte es wirklich versuchte, aber schlussendlich konnte er die Tränen nicht zurückhalten. Nach all den Jahren hätte er nicht gedacht, dass er sich noch einmal so fühlen würde. Verletzt, gedemütigt und allein. Mit brennenden Augen starrte er in den dunklen Nachmittag hinaus. Lautlos erhellte der erste Blitz den Himmel, warf unruhige Schatten in das Zimmer.
 

„Tetsuhiro?“ Eine Berührung an der Schulter ließ ihn heftig zusammenzucken. Vor Überraschung machte sein Herz einen erschrockenen Hüpfer. „Se…Senpai…“ Mit großen Augen sah er zu dem Älteren auf. Wie lange stand Senpai denn schon da? Die Tür…Er hatte die Tür überhaupt nicht gehört. Perplex über das plötzliche Auftauchen des anderen war er kurz wie erstarrt. Riss sich dann jedoch zusammen und schenkte ihm ein misslungenes Lächeln. Doch seine Kehle war auf einmal wie zugeschnürt. „…Meine…Eltern…?“, presste er nur hervor. Dann drehte er den Kopf etwas zur Seite um verstohlen die verräterischen Spuren aus dem Gesicht zu wischen. „Ähm…deine Eltern…die lassen sich gerade testen…ob sie als Spender in Frage kommen…“ Soichi schluckte. Die vom Weinen geschwollenen Augen Tetsuhiro´s waren nicht zu übersehen gewesen und ihm war nur zu bewusst, dass er zum Teil dafür verantwortlich war. Was war er nur für ein Idiot! „ Hör mal…ich…“, setzte er an, verstummte aber als Morinaga sich verblüfft zu ihm umwandte. „Sie…sie haben eingewilligt?“ Vorsichtig setzt sich der Jüngere ein wenig auf. Spielten ihm die Ohren einen Streich? Yuuto und Sakura hatten ihr Einverständnis gegeben? Unvorstellbar! Als ihm der Arzt mitteilte er wolle die beiden testen lassen war die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich überhaupt einverstanden erklärten gleich null. Und nach all den bösen Worten, die zwischen ihnen gefallen waren kam es einem kleinen Weltwunder gleich. „…Deine Mutter…das haben wir deiner Mutter zu verdanken…“, erklärte Soichi. „…Sie hat dem Alten wohl ganz schön die Leviten gelesen…“, witzelte er und versuchte sich an einem Lachen. Aber es klang einfach nur falsch.
 

Morinaga indes schwirrte der Kopf. Lag seiner Mutter doch noch etwas an ihm? Bestand vielleicht sogar die Chance auf eine Aussöhnung? Er musste unbedingt noch einmal mit ihr reden! Minimale Hoffnung keimte in ihm auf. Die Tränen waren vergessen, ein gelöster Ausdruck trat in die dunkelblauen Augen. Voller Dankbarkeit sah er zu Tatsumi auf. Dessen Herz schlug beim Anblick seines Kohais automatisch schneller. Es war beinahe als würde der alte unbeschwerte Morinaga wieder zum Vorschein kommen. Der Student war von seinen eigenen Gefühlen dermaßen überrascht, dass er kein weiteres Wort hinausbrachte. Was war nur los mit ihm? „Senpai? Geht’s dir nicht gut? Du bist ganz blass.“ Ein zaghaftes Zupfen am Ärmel riss ihn aus der Versunkenheit. „Ja…ja…es ist nichts…Ach, verdammt!“ Mit hängenden Schultern fiel er auf die Bettkante. Das schlechte Gewissen quälte ihn. „...Was ich da…da gesagt habe…“ Unsicher verkrampften sich seine Finger ineinander. „…das…habe ich nicht…so gemeint…“, stammelte er. Scheiße! Er hatte einfach kein Talent für solchen Sachen. Wie machten das nur andere Menschen? „…Na ja eigentlich schon…nein…du bist…“ Fuck! Wie sollte er etwas erklären was er selber nicht verstand? Er fühlte sich der letzte Vollidiot! „…Was…ich sagen will…Es tut mir Leid…“, setzte Soichi leise hinzu. Die Entschuldigung fiel ihm nicht leicht, denn er war nicht der Typ Mensch, der gerne seine Fehler zugab. Aber er konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass der andere wegen ihm weinte.
 

„Soichi…es ist gut…“ Warm lehnte sich Tetsuhiro an Soichi´s schmalen Rücken. „…Lass…lass uns nicht mehr davon sprechen, okay?…“ Der Dunkelhaarige schloss einen Moment die Augen. Deutlich konnte er den Herzschlag des Älteren hören. Ihm war klar wie dumm er war. Das Statement war mehr als deutlich gewesen und hatte ihn tief verletzt. Aber er konnte die Gefühle für ihn nicht abschalten. Er war ein verliebter Narr. Aber genauso wenig konnte er Soichi zwingen konnte seine Gefühlte zu erwidern. Es tat weh ihn so nah zu sein aber er konnte einfach nicht genug davon bekommen.
 

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„…Wie Sie an diesem Schaubild sehen ist der…“ Bla Bla Bla! Desinteressiert rutschte Soichi auf dem Platz hin und her. Wie konnte es nur so weit kommen! Zum ersten Mal in seinem Leben würde Soichi Tatsumi froh sein, wenn eine Vorlesung zu Ende war. Entgegen seiner Gewohnheit wählte er einen Platz in den hinteren Reihen. Unruhig wippte der Student mit seinen Fuß auf und ab. Die Zeit ging quälend langsam vorbei. Bestimmt waren die Ergebnisse schon da, oder? Die wussten doch, dass es sich um einen absoluten Notfall handelte? Tetsuhiro…er war gestern so komisch. Ob er trotz Entschuldigung noch sauer war? Als Soichi ihm beichtete, dass er ebenfalls getestet wurde, war sein Kohai noch stiller geworden. Mann! Warum war alles so ultrakomplziert? Dreck! „Tatsumi! Können Sie uns etwas darüber erzählen?“, wurde er aus heiterem Himmel vom Professor angesprochen. Soichi war so erschrocken, dass der Bleistift, den er zwischen seinen Fingern balancierte klirrend auf den Boden fiel. Fragend wartete der Lehrer auf eine Antwort. Der Student hatte keine blassen Schimmer worum es ging. „Ähm…naja…wie soll ich sagen…“ Ein Kommilitone war die Rettung. „Professor! Professor! Ich möchte was dazu sagen!“, platzte der dreist dazwischen. Normalerweise hasste Soichi solche Zwischenrufe. Nun aber wurde die Aufmerksamkeit Nagiza´s von ihm gelenkt. „Glück gehabt!!“, stieß er erleichtert hervor. Den Rest der Vorlesung verkroch er sich hinter einem Buch. Zum Glück waren nicht viele Studenten anwesend, die Zeugen dieses peinlichen Aussetzers werden konnten. Kaum war die Vorlesung beendet sprang er von seinem Platz hoch. Er konnte die Freiheit fast riechen, da pfiff ihn der Prof zurück. „Tatsumi! Kommen Sie bitte noch eine Minute zu mir!“ Der Angesprochene wartete bis alle anderen den Saal verlassen hatten, dann trat er mit einem wie er hoffte reuevollem Gesicht an den Tisch des Professors. „Was war denn heute mit Ihnen los?? So kenne ich Sie gar nicht!“, wunderte sich Nagiza. „Haben Sie Probleme mit ihren Studien??“ Ein durchdringlicher Blick folgte den Worten. „Nein, nein! Mit der Arbeit ist alles in Ordnung! Ich komme gut voran.“, beruhigte Soichi seinen Mentor, den er ungern enttäuschen wollte. „Es…Es ist nur ein bisschen stressig alles alleine zu erledigen…“ Shit! Den letzten Satz wollte er doch gar nicht laut aussprechen! Nagiza runzelte die dunkeln Augenbrauen, nickte jedoch mitfühlend. „Ach…stimmt ja…Ihr Assistent ist krankgeschrieben, nicht? Ich hoffe er fällt nicht zu lange aus?“ Soichi hatte eigentlich keinen Bock, erläuterte dem Vorgesetzten nichtsdestotrotz knapp und ohne in die Details zu gehen, die Situation. Zum Glück begnügte der Mann sich mit der Kurzfassung. „Für den Jungen tut es mir zwar leid aber rate Ihnen, sich die Sache nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen!“, mahnte der Prof ernst. „Denken Sie an Ihr Studium! So kurz vor dem Ziel, darf es keine Ablenkungen geben! So was wie heute will ich nicht noch einmal erleben! Schließlich habe ich nicht umsonst vor den Kollegen mit Ihnen angegeben!“, schloss er die kleine Standpauke.
 

Ein halbe Stunde später hastete der blonde in Richtung Labor. Wenn er nicht gänzlich untergehen wollte musste er wohl oder übel ein paar Stunden den Experimenten widmen. „Tatsumi! Warten Sie!“ Nagiza kam auf ihn zu geeilt. Im Schlepptau befand sich ein jungen Kerl, der ihm kurzer Hand als sein neuer Assistent vorgestellt wurde. „Tatsumi, darf ich Ihnen Atsuhi Oni aus dem 3. Jahr vorstellen? Er wird Ihnen gern solange es nötig sein wird assistieren! Er ist gescheiter Bursche! Ich bin mir absolut sicher Sie werden hervorragend miteinander auskommen!“ Nach einem letzten freundschaftlichen Schulterklopfen auf beider Schultern spazierte er pfeifend davon. Soichi und der Neue standen sich erst einmal sprachlos gegenüber. Der Junge streckte zögerlich die Hand aus. „Äh…Tatsumi-Senpai! Ich…bin Oni! Ich freue…mich mit dir zusammen arbeiten zu können!“ Er grinste freundlich. „Verpfeif dich!“ Böse schlug Soichi die ausgestreckte Hand weg. Ohne den Kohai zu beachten rauschte er an ihn vorbei. Verdammt!! Musste Nagiza jetzt damit kommen? Auf so einen Schleimer hatte er keinen Nerv. Außerdem hatte er bereits einen Assistenten! „Ja…aber Senpai! Halt! Warte auf mich!!“ Entgegen der Anweisung sich zu „verpfeifen“ folgte der Student dem Senpai. Vor dem Labor blieb Soichi so abrupt stehen, dass Oni regelrecht in ihn hineinrannte. „Sag mal…hörst du schlecht, Toni? Du sollst verschwinden!“ Knurrend drehte sich Tatsumi um. Ängstlich wich der Kleine zurück. „M…Mein Name ist O…Oni.“, nuschelte er, sammelte dann seinen ganzen Mut um dem berüchtigten Tatsumi-Senpai zu widersprechen. „Aber Senpai! Der Professor meinte, dass du unbedingt Hilfe brauchst! Du kannst das unmöglich allein schaffen…!“ Eine Sekunde fürchtete er Soichi würde sich auf ihn stürzen, doch zu seiner Erleichterung öffnete dieser stattdessen die Labortür. „Komm rein…“, murrte der Ältere resignierend. Wenn er schon diesen Oni am Hals hatte, konnte er sich auch nützlich machen. Er hatte es ja nicht anders gewollte! „Der Bericht muss ins Reine geschrieben werden, das Experiment wartet auf Auswertung, und hier das muss neu geschrieben werden…und das….“ In kürzester Zeit war Oni mit Aufgaben überschüttet. „Fragen!?“ Oni schüttelte schnell den Kopf. In nur zehn Minuten war es Soichi gelungen seinen neuen Helfer vollends einzuschüchtern. Tatsumi hatte ein schlechtes Gefühl dabei, sein Labor in die Hände dieser Lusche zu lassen. Aber dadurch gewann er unerwartet eine Menge Zeit! „Na dann…ich bin jetzt weg! Viel Spaß!“ Und ehe Oni bis drei zählen konnte war Tatsumi-Senpai verschwunden.
 

Wutentbrannt verließ Soichi erst eine Stunde später die Uni. Ausgerechnet heute hatte man sich anscheinend gegen ihn verschworen. Kaum war er ein paar Meter vom Labor entfernt, sprach ihn ein Kommilitone an - den abzuwimmeln dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Danach hing sich irgendeine Tussi einer Studentenverbindung an seine Fersen. Sie wandte ihre ganze Überredungskunst an, um ihn den Eintritt in ihre Verbindung schmackhaft zu machen. Er wurde sie erst los, als er sie anschnauzte sie solle sich verziehen. Heulend rannte die Studentin von dannen. Genervt beeilte er sich die Strecke zum Krankenhaus zurück zu legen. Bei jedem Schritt spritzte das Regenwasser in alle Richtungen. Die ganze Nacht regnete es ununterbrochen. Die Straßen und Gehwege waren mit Pfützen übersät. Als das riesige Gebäude in Sicht kam beruhigte er sich seltsamerweise. Auf die Gesellschafft von YuSa war er zwar nicht besonders scharf, aber da musste er durch. Schnurstracks marschierte er in den 3. Stock. Vor Aufregung war ihm ganz schlecht. Wenn alles gut ging war Tetsuhiro bald wieder auf den Beinen! Yes!! Es dauerte nicht mehr lange und alles war wie vorher.
 

„Und? Und? Wann geht es los?“ Soichi ließ Tetsuhiro nicht einmal genug Zeit um Luft zu holen. „Wie schnell wirst du operiert? Sag schon!!“ Die Zimmertür war kaum hinter ihm ins Schloss gefallen, da legte er auch schon los. Mit erwartungsvollem Funkeln in den braunen Augen wartete er auf die erlösenden Worte. Morinaga konnte dem Blick nicht lange standhalten. „Soichi…ich…“ Tetsuhiro biss sich auf die Lippen, er konnte das Zittern in der Stimme nicht verhindern. Der Ältere wusste sofort was los war. „Nein…sag nicht…bitte nicht…“ Soichi´s Schritte auf dem Linoleumboden waren unnatürlich laut. Tetsuhiro hätte sich am liebsten in einem dunklen Loch verkrochen. Aber vor der Realität konnte man nicht davon laufen. „Doch…sie kommen beide nicht als…Spender in Frage…“ Die letzten Worte erreichten Soichi nur noch als schwaches Flüstern. Das Blut sackte ihm in die Füße. Mit einem Schlag war sein Gesicht blutleer. Natürlich war die Möglichkeit nicht ausgeschlossen gewesen. Aber der Arzt war so optimistisch! War das ein makabrer Scherz? „Nein! Das kann nicht sein…Tetsuhiro…die haben bestimmt…einen Fehler gemacht!! Genau! Ich…“ Verzweifelt drehte er sich zur Tür, aber im Grunde seines Herzens wusste er, dass es zwecklos war. Doch wollte er sich mit aller Macht an diesen Strohhalm klammern. „Soichi…Hör auf…da gibt es keinen Fehler...“ Die dunkeln Augen des Jüngeren schwirrten unruhig im Raum um her. „Meine…Eltern…sind heute Vormittag…abgereist…“ Zur erhofften Aussprache war es nicht gekommen. Yuuto hatte ihn angeschrien, Sakura war sprachlos wie gleichermaßen erleichtert. Der Abschied war kurz und lieblos gewesen. Dann waren die beiden, so schnell wie sie gekommen waren, verschwunden. Zu seinem Entsetzen spürte Tetsuhiro Tränen aufsteigen. Die mühsam aufgebaute Fassade begann zu bröckeln. Plötzlich schlug eine Sturmflut über ihm zusammen. Verzweiflung, Wut und Enttäuschung bahnten sich ihren Weg. Wie ein Häufchen Elend sank er in sich zusammen. „Soichi…“ Morinaga Pupillen blieben an ihm hängen. „…Du kommt…auch…auch nicht in Frage…“
 

Ende Kapitel 24

Nicht mehr als Freundschaft!?

Schlecht gelaunt blätterte Soichi in dem ellenlangen Bericht, der vor ihm auf den Tisch lag. Eines musste man seinem neuen Kohai lassen - die Handschrift war exzellent. Entgegen Soichi´s Befürchtungen agierten Oni und er, was die Laborarbeit betraf, erstaunlich gut miteinander. Zwischenmenschlich hingegen herrschte so gut wie Funkstille. Soichi blockte jeden Versuch Oni´s sich mit ihm anzufreunden ab. Er hatte kein Interesse sich mehr als nötig mit dem Jüngeren zu befassen. Natürlich war er froh über die Hilfe und der damit verbundenen Entlastung aber schon nach kurzer Zeit hätte er Atsuhi Oni am liebsten zum Teufel gejagt! Das Kuriose dabei war, dass er nicht einmal sagen konnte, was ihn störte. Vielleicht war er einfach zu sehr an Morinaga gewöhnt? Doch wenn Soichi Oni zurückwies würde das nur wieder neuen Stress mit seinem Mentor bedeuten. Immerhin war es Nagiza persönlich gewesen, der Soichi den Studenten nahebrachte. Somit blieb ihm keine andere Wahl als die Gesellschaft des neuen Assistenten zu ertragen.
 

Beim Durchgehen des Berichtes begann er unwillkürlich seinen rechten Arm zu kratzen. „Mist verdammter!“, stieß er ärgerlich hervor als er bemerkte war er tat. Einmal angefangen konnte er nur schwer wieder damit aufhören. Blöde Ausschlag! Bestimmt hatten die im Krankenhaus ihn mit einer verseuchten Nadel gestochen! Scheppernd wurde die Tür aufgerissen. „Seeenpai! Bin wieder da!“, flötete Oni zur Begrüßung. Die Freude über das Wiedersehen werte aber nicht lange, als er sah wie der Senpai seinen Arm bearbeitete. Verstohlen verzog Oni das Gesicht zu einer Grimasse. Kratzen war ein unfehlbares Zeichen für schlechte Laune. Und schlechte Laune bedeutete nichts Gutes für ihn! Ein verstimmtes Brummen war alles, was er als Antwort erhielt. Na toll! Tatsumi-Senpai war wie immer bester Laune. „Ähm…bist du mit meinen Bericht durch?“ Atsuhi musste all seinen Mut zusammennehmen um die Frage zu stellen. Angespannt fixierte er den Blätterstapel in den Händen seines Gegenübers. Die Augen weiteten sich vor Empörung, als er zusehen musste, wie der mit Herzblut erarbeiteter Projektbericht nachlässig auf dem Tisch landete. „Nein…“, erwiderte Tatsumi gewohnt knapp. Ohne den Assistenten großartig Beachtung zu schenken stand er auf. „Ich geh eine rauchen…“, verkündete Soichi genervt und ging. Kaum war Oni allein stieß der junge Student erleichtert die Luft aus. Glück gehabt! Dieses Mal hatte ihn Tatsumi nicht zur Schnecke gemacht. Der Student gab sich wirklich alle erdenkliche Mühe, die ihm auferlegten Aufgaben zur Zufriedenheit des Älteren auszuführen. Meistens gelang ihm das auch. Aber ein Lob oder freundliche Wort bekam er noch nie zu hören. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass Soichi ihn nicht leiden konnte. Immer öfter fragte sich Oni wie sein Vorgänger das nur so lange ertragen konnte.
 

Auf einer abgelegenen Bank im Innenhof machte es sich Soichi gemütlich. Immer öfter verzog er sich hierher, wenn er die Schnauze voll von Oni und dessen Gequatsche hatte. Entnervt kramte er die Zigaretten hervor. Während er genüsslich den ersten Zug tat wirbelte ihm ein angenehmer Wind um die Nase. Der Oktober zeigte sich heute von seiner besten Seite. Es war angenehm warm, eine leichte Brise fuhr durch die Baumkronen, bunte Blätter verliehen der sonst so tristen Umgebung einen schönen Farbtouch. „Jetzt reicht es aber!“ Fluchend krempelte Soichi seinen Ärmel hoch. Der Anblick der kleinen roten Pünktchen machte ihn noch wütender – waren sie doch sozusagen ein Symbol für sein Versagen. Drei ganze Monate waren seit dem Besuch der Morinagas vergangen. Drei Monate!! Und noch immer konnten sie nur warten und hoffen. Nachdem Tetsuhiro ihn an jenem Tag mitteilte, dass auch er als Organspender nicht in Frage kam konnte Soichi seinem Freund tagelang nicht in die Augen sehen. Es war natürlich absurd, aber es fühlte sich an, als habe er Tetsuhiro im Stich gelassen. Aber das Leben, so schwer es ihnen fiel, ging weiter und so spielte sich in den vergangenen Monaten ein gewisser Trott ein. Vormittags widmete Soichi sich dem Studium, seinen Experimenten und anderen alltäglichen Ärgernissen. Nachmittags oder abends, je nachdem wann er aus der Uni wegkam, besuchte er Morinaga im Krankenhaus. Doch jeder Tag ohne die rettende Nachricht schlug ihnen aufs Gemüt. Eine Zeit lang fiel Morinaga in so starke Depressionen, dass er tagelang niemanden sehen wollte. Glücklicherweise war diese Phase überstanden, ihm ging es relativ gut. Trotzdem machte sich Soichi Sorgen. Ihre Beziehung zueinander hatte sich verändert. „Ich sollte langsam zurückgehen…“ Seufzend rauchte der Student die Zigarette auf. Einigermaßen ausgeruht warf er die Kippe weg. Vorsichtig rollte Soichi den Stoff hinunter. Es brannte und juckte unangenehm. „Scheiß drauf…“ Ohne große Lust machte er sich auf den Rückweg zum Labor.
 

Atsuhi war in seiner Abwesenheit nicht untätig geblieben. Konzentriert stand er über ein Mikroskop gebeugt. „Ah! Senpai! Ich habe schon angefangen!“, berichtete er freundlich. Unbeeindruckt nickte sein Senpai und nahm den Bericht wieder auf. Der Assistent presste die Lippen aufeinander. Ob Tatsumi zu allen so freundlich war? Die Vermutung lag nahe. Oni war so naiv gewesen den Gerüchten keinen Glauben zu schenken. Kommilitonen warnten ihn, Soichi Tatsumi sei ein echtes Ekelpaket, mit dem sei nicht gut Kirschen essen! Aber nein! Atsuhi wollte Professor Nagiza ja unbedingt gefallen. Mit seinem jetzigen Kenntnisstand über die Launen Soichi´s hätte er nie und nimmer zugestimmt. So eine Pleite. Für einen Rückzug war es längst zu spät. Nicht, nachdem er vor Nagiza schleimte, er komme wunderbar mit seinem Senpai aus. Jetzt musste er das Beste aus der Situation machen. Mit diesem Vorsatz im Hinterkopf griff er nach einem Klemmbrett. „Äh…Senpai…Ich habe die gesuchten Aufzeichnungen gefunden…“, verkündete Oni stolz. Ein Grinsen breitet sich auf seinen Lippen aus. „Also, der Typ vor mir war wohl kein Einstein. Mein Gott was für ein Gekrakel!“, kichernd hielt er Tatsumi die Unterlagen entgegen. Ein guter Witz hatte bis jetzt jedes noch so dickes Eis zum Schmelzen gebracht. Leider reagierte Tatsumi nicht wie erwartet. Anstatt zu lachen starrte dieser mit bleicher Miene auf das Papier. Eine Sekunde später riss er ihm das Klemmbrett aus der Hand und packte ihn an den Aufschlägen seines Kittels. „Halt die Schnauze!“, schrie Soichi wutentbrannt. Der Blonde brauchte nur einen Blick auf das Papier zu werfen um die Handschrift Morinaga´s zu erkennen. Was bildete sich der Kerl eigentlich ein? Er hatte kein Recht dazu auch nur ein Wort über Tetsuhiro zu verlieren! „A…Aber Senpai…Was…ich…“, stammelte Oni hilflos. Hilfe! Was war nur in den sonst so distanzierten Tatsumi gefahren? Es war doch nur ein Scherz gewesen! „Sprich noch einmal schlecht über ihn…“, knurrte der Senpai düster. Bevor er jedoch die Beherrschung verlor, schubste er Oni rüde von sich. Er würdigte ihn keines Blickes als er grummelnd seinen Tasche packte und aus dem Raum marschierte.
 

Studenten, die ihm im Flur begegnete machten schleunigst Platz. Niemand wollte in eine Auseinandersetzung verwickelt werden. Zähneknirschend kam Soichi vor dem schwarzen Brett zum Stehen. Ehe er sich versah, stand er allein davor. „1 2 3 4 5…“, zählte er stumm, um nicht auszurasten. Miese kleine Kröte! Wenn er den heute noch einmal zu Gesicht bekam, dann würde es Tote geben! „Hey! Alter!“, wurde er unvermittelt von hinten angesprochen. Oh nein! Die Stimme kannte er nur zu gut. Genervt wandte er dem Besitzer der Stimme den Kopf zu. „Was willst du!“, blaffte er Taro Tomoya giftig an. Der Rocker und er befanden sich in einem vorübergehenden Waffenstillstand. Trotzdem hatte er auf diesen Widerling so gar keinen Bock. „Freu mich auch dich zu sehen!“, erwiderte besagter Widerling unbeeindruckt. Ihm war es egal, dass der andere nicht mit ihm quatschen wollte. „Also Blondie, wie geht’s Tetsuhiro?“ In den vergangenen Wochen war der Rocker öfter, als es Soichi lieb war im Krankenhaus aufgetaucht. Aber nicht nur er, sondern auch Morinaga´s Freunde und Kommilitonen belagerten häufig das Krankenzimmer. „Als ich ihn das letzte Mal sah, ging es ihm ganz gut.“, gab Soichi wiederwillig Antwort. Sonst würde er Tomoya nie loswerden. Der runzelte verwirrt die Stirn. „Gut? Wie gut? Geht’s nicht etwas genauer!“, stichelte er in seiner gewohnten arroganten Art. Abwartend versperrte er Soichi den Weg. „Mann! Gut heißt gut! Sehe ich aus wie ein verdammter Arzt?!“, schnaufte der Blonde genervt. Jedes Wort an den Kerl war zu viel. Taro Tomoya´s Gesicht verfinsterte sich. „Fuck! Immer noch nichts? Das gibt’s doch nicht!! Ich dachte wirklich die Aktion würde helfen…“ Da Taro aufgrund einer Vorerkrankung selbst nicht in Betracht kam, startete der verrückte Rocker einen uniweiten Aufruf. Jeder, der Tetsuhiro Morinaga kannte sollte gefälligst seinen Hintern bewegen und sich testen lassen. Zwar kamen überraschend viele Leute dem nach, aber ein passender Spender war bis heute nicht ermittelt worden. „Da kann man nichts machen…du und deine bescheuerten Aktionen…“, keifte Tatsumi gereizt. Er konnte den Kerl nicht ausstehen! „Wenn dann nichts mehr ist…“ Ohne weitere Beachtung des anderen drängte sich der Blonde an Tomoya vorbei. Taro starrte ihm nach. Aus dem Kerl wurde er beim besten Willen nicht schlau. „Wenn der das Maul nicht aufbekommt muss ich mir die Infos wohl aus erster Hand holen…“ Jawohl! Er sollte seinem Kumpel Tetsuhiro bald einen Besuch abstatten.
 

Soichi Tatsumi war nicht sonderlich überrascht ein leeres Bett vorzufinden. Morinaga hatte nach langem Betteln und Bitten die Erlaubnis, das Bett verlassen zu dürfen, erhalten. Oft unternahm er lange Streifzüge durch die Klinik. Meistens übertrieb der Dunkelhaarige es jedoch mit seinem Bewegungsdrang. Man musste ihn regelrecht zwingen einen Gang runter zu schalten. In gewisser Weise konnte Soichi Morinaga verstehen. Wenn man wochenlang ununterbrochen im Bett gelegen hatte musste der Trieb sich irgendwie zu bewegen überwältigend gewesen sein. Im Laufe der Zeit war auch das Zimmer wohnlicher geworden. Neben der Krankenhauseinrichtung befanden sich nun ebenfalls zahlreiche persönliche Gegenstände vor Ort, wie z. B. Bücher, Klamotten, Morinaga´s Notebook oder Studienunterlagen. Die Hoffnung Tetsuhiro´s er könne vielleicht nach Hause verpatzte schnell. Generell sprach nichts dagegen aber in seinem Fall schwankten die Werte viel zu sehr. Es war ein ständiges auf und ab. Speziell nach der Dialyse ging es ihm besonders dreckig. Es gefiel ihnen beiden nicht aber Morinaga war ihm Nakamura einfach besser aufgehoben. „Scheißkerl…“, schimpfte Soichi leise vor sich hin. Er war, knapp zwei Stunden später, immer noch sauer auf diesen Affen von Assistenten. Vielleicht sollte er doch noch mal mit dem Professor reden. Ungeduldig ging Tatsumi im Raum umher. Wo trieb sich Tetsuhiro nur wider rum? Hier konnte ihm zwar nichts passieren, dennoch wäre Soichi wohler, wenn er wüsste wo der andere war. Außerdem verspürte er keine große Lust kreuz und quer durch die Klinik zu latschen um ihn zu suchen. Nach etwa fünfzehn Minuten des Nichtstuns trat er angenervt ans Fenster. Doch für die schöne Aussicht hatte er keinen Blick, denn Soichi entdeckte einen dunklen Schopf, der zwischen den Ästen hervorblitzte.
 

Er hatte sich nicht getäuscht. Soichi fand Tetsuhiro unter einem großen Ahornbaumes im Laub sitzen. Die Augen des Jüngeren waren geschlossen. Entspannt lehnte er am Stamm des Baumes und ließ sich die Sonne auf den Pelz scheinen. Soichi ließ seinen Blick einen Augenblick auf Tetsuhiro ruhen. Der Krankenhausaufenthalt war Morinaga deutlich anzusehen. Im Gegensatz zu vorher war er sehr viel schmaler. Dunkle Augenringe und eine anhaltende Blässe zierten das Gesicht, der dunkle Haarschopf war noch wuscheliger geworden. Es raschelte laut als Soichi langsam durch das Blättermeer auf ihn zu wartete. „Nur noch einen Moment, Senpai…“, murmelte Morinaga ohne die Augen zu öffnen. Er erkannte seinen Freund allein an dessen Gang. Tief so er die frische Herbstluft ein. Die letzten Wochen waren eher vom Regen gekennzeichnet gewesen. Heute konnte er seit langem wieder einen Abstecher nach draußen wagen und den wollte er so lange wie möglich genießen. Es raschelte erneut als Soichi sich neben ihn setzte. Auch das noch! Tetsuhiro schluckte hart. Verstohlen linste er zur Seite. Ihre Hände im Gras lagen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Der Wunsch die Hand des anderen zu ergreifen war überwältigend. Morinaga hatte sich fest vorgenommen auf Abstand zu gehen. Das war besser für alle Beteiligten. Er wollte ihre Freundschaft nicht durch seine dummen Träumereien zerstören. Aber Soichi machte es ihm nicht gerade leicht. Ob er überhaupt wusste in welch große Versuchung er ihn führte? Scheiße! Sie waren hier ganz allein! Es bedurfte seiner ganzen Willenskraft um Soichi nicht um den Hals zu fallen. Er durfte auf keinen Fall schwach werden. Bevor er irgendetwas Dummes machen konnte rückte er unauffällig ein wenig von Soichi weg. Der bemerkte dies natürlich. Glaubte seine Kohai wirklich Soichi wäre so blind? Der Blonde wurde das Gefühl nicht los Morinaga weiche ihm aus. Ja, wenn es ging vermied er jeglichen unnötigen Körperkontakt. Und die Liebesbekundungen blieben auch aus. Früher war kein Tag vergangen ohne das ständige „Ich liebe dich“. Ihre Beziehung hatte sich wirklich verändert. Und das nicht zum Positiven. „Ähm…ich…du…bist aber heute früh dran. Gab…es wieder Ärger mit Oni??“, fragte Tetsuhiro nervös. Er musste unbedingt Ablenkung finden. Die Frage war eigentlich überflüssig, denn bei jedem seiner Besuche meckerte Soichi über den neuen Assistenten. „Ach, lass mich bloß mit dem in Ruhe!“, motzte Soichi brummig. „Der Typ nervt einfach nur!“ Um den Worten Nachdruck zu verleihen nahm er eine Hand voll Blätter und warf sie in den Wind. Tetsuhiro sah ihnen nach wie sie in den Himmel davon getragen wurden. „Senpai ich…“ Die Worte, die er sagen wollte blieben ihm im Hals stecken. Stumm betrachtete er Soichi´s schönes Profil. Was sollte er nur machen? Wie sollte es weitergehen? „Senpai…“ Wie in Trance streckte er eine Hand nach Soichi aus, beugte sich zu ihm vor. Es war der erste Kuss seit einer kleinen Ewigkeit. Soichi zitterte vor Aufregung. Das Herz in seiner Brust schlug hart gegen den Brustkorb. Nicht eine Sekunde dachte er daran sich dagegen zu wehren. Das Gegenteil war der Fall. Wie von selbst öffneten sich die Lippen des Blonden, hießen die heiße Zunge Tetsuhiro´s willkommen. Fest wurde er gegen die raue Rinde des Baumes gepresst. Das Laub knisterte empört auf als sie darauf fielen. Die Hände des Dunkelhaarigen schienen überall auf seinem Körper zu sein. Er fühlte jede Berührung mit einer Intensität, die ihn ganz benommen machte. Doch ganz plötzlich verschwanden die Hände, die Lippen. „Senpai…es tut mir leid.“ Als würde er sich an ihm verbrennen wich Tetsuhiro zurück. Er sah mehr als geschockt aus. Soviel zum Thema „Abstand halten“. Was war er nur für ein Heuchler!! „Soichi…Das war dumm von mir. Ich…“ Enttäuscht über sich selbst sprang Morinaga auf und lief davon.
 

„Wa…Was? Tetsuhiro, hey!“ Auf halber Strecke zum Hintereingang des Gebäudes holte Soichi den anderen ein. Er verstand die Welt nicht mehr. Was war das denn? Hatte er etwas falsch gemacht? „Warte gefälligst!!“ Wütend packte er Morinaga am Arm. Er wollte jetzt endlich wissen was mit dem anderen los war. Langsam verlor er die Geduld! „Was sollte das eben? Warum zum Teufel weichst du mir aus?“ Solange er nicht wusste was los war, würde er keine ruhige Minute haben. Tetsuhiro zuckte ertappt zusammen. Soichi konnte ganz genau fühlen wie er erstarrte. „Soichi…“ Für einen Moment glaubte der Ältere Tetsuhiro würde davon laufen. Aber der Kohai ließ resignierend die Schultern hängen und schwieg. Soichi runzelte die Stirn. „Glaubst du im Ernst ich merke das nicht? Es reicht mir! Was ist dein Problem?“ Unwillkürlich verstärkte er den Druck seiner Hand. „…Warum sagt du mir nicht was los ist….“, flüsterte er leise. Tetsuhiros Herzschlag vervierfachte sich schlagartig. Die Hand, mit der Soichi ihn festhielt war ganz heiß. Selbst durch den Stoff konnte man die Wärme spüren. Einen Moment standen sie reglos da. „Soichi…Warum machst du es mir so schwer?“, sagte der Wuschelkopf nun seinerseits. Morinaga hasste sich für seine Schwäche! Aber es musste sein. „Okay…du…hast Recht…Es stimmt. Ich bin dir mit Absicht ausgewichen…Aber nur um unsere…Freundschaft zu retten.“ Kopfschüttelnd befreite er sich aus Soichi´s Griff. „Deine Worte haben mich aufgerüttelt. Ich weiß jetzt, dass du nie mehr als Freundschaft für mich empfinden wirst. Deswegen hielt ich es für besser, wenn wir uns nicht mehr jeden Tag sehen. Das was eben passiert ist war ein Fehler.“ Nie waren ihm Worte schwerer über die Lippen gekommen. „Ich will dir nicht noch mehr zumuten. Ich möchte dir nicht wehtun. Du wirst immer der wichtigste Mensch in meinem Leben sein…ich habe kapiert, dass ich dich nur verletze, wenn ich weitermache wie bisher. Um unserer Freundschaft willen werde ich dich aufgeben. Es ist besser so. Ab sofort sind wir nur noch Freunde, mehr nicht…“ Am liebsten wollte er sich die Zunge abbeißen. Es tat verdammt weh, mehr als er gedacht hatte. Vorsichtig schaute er Soichi in die braunen Augen. Der Ausdruck in ihnen machte ihm Angst. „…Freunde…ja…natürlich…was sonst…“, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. Innerlich war er jedoch alles andere als ausdruckslos. Freunde? Freund! Nach diesem Kuss?? Eigentlich sollte er froh darüber sein, nach all der Zeit hatte der Jüngere es begriffen!! Aber stattdessen wurde ihm kalt, eiskalt. Er wollte schreien, protestieren aber etwas in ihm hinderte ihn daran. Soichi tat nichts dergleichen. „Senpai, du solltest jetzt lieber gehen…“, meinte Morinaga tonlos. Verdrängte Tränen schwangen in den Worten mit, doch Soichi hielt ihn nicht zurück als er sich umdrehte und ging.
 

Auf direktem Weg ging Soichi nach Hause. Er achtete kaum auf die Umgebung. In seinem Kopf flatterten die Gedanken wie Vögel im Käfig. Um nicht länger nachdenken zu müssen, legte er sich früh schlafen. Allerdings konnte er keinen Schlaf finden. Unruhig wälzte er sich stundenlang hin und her. Was war sein geschissenes Problem??? Es war zum verrückt werden! Verrückt, weil er die Antwort darauf nur zu gut kannte. Das Problem war er selbst. Freundschaft. Dass er nicht lache! Wie konnte er das so einfach sagen? Ausgerechnet Morinaga! Wenn das jemand sagen müsste, dass Tatsumi selbst! Wichtigster Mensch in seinem Leben! Von wegen! Ha! Der Student war sauer. Sauer auf Tetsuhiro, weil er seine Gefühle durcheinander brachte. Vor seinem inneren Auge lief der Kuss wie ein Film auf und ab. Wenn er es genau bedachte, war es dann nicht sozusagen ein Abschiedskuss gewesen?
 

Früher als sonst betrat Tatsumi am nächsten Tag die Uni. Müde schlurfte er den Flur entlang. Die Nacht war zu kurz gewesen. Definitiv! Aber was war zu erwarten, wenn man stundenlang wach lag? Was sollte er unternehmen? Musste er überhaupt etwas unternehmen? „Tatsumi! Warten Sie eine Minute! Ich muss mit Ihnen sprechen!“ Professor Nagiza fegte mit strengem Gesicht auf seinen Studenten zu. „Tatsumi! Also wirklich! Seit zwei Tagen warte ich auf Ihre Studienarbeit! Wann kann ich damit rechnen!!!“, legte der Professor lauthals los. Der Mann war gewaltig wütend. Der Schreck fuhr dem Gescholtenen in alle Glieder. Die Studienarbeit!! Die hatte er vollkommen vergessen! Nicht einmal die Hälfte war erledigt. „Ähm…ja…ich reiche sie so schnell wie möglich nach. Ehrenwort!“ Die Miene seines Mentors wurde eine Spur grimmiger. „Ich gebe Ihnen exakt zwei Tage Aufschub. Mehr ist nicht drin. Meine Geduld ist nicht grenzenlos!!“ Es war das erste Mal für Soichi, dass er vom Professor dermaßen gescholten wurde. Es war über alle Maßen peinlich wie ein Kleinkind behandelt zu werden. Nagiza sah kopfschüttelnd seinen Vorzeigestudenten an. In letzter Zeit war Tatsumi nicht er selbst. Früher war er nicht aus der Uni wegzukriegen. Man musste ihn sogar öfter dazu bringen, einen Gang runterzuschalten. Nun aber sah man den jungen Mann öfter gehen als kommen. Dem Lehrer gefiel diese Entwicklung nicht. Erst kündigte Mitzuko von heute auf morgen und nun spielte Tatsumi verrückt! Wie sollte er da sein Gesicht vor den Kollegen und dem Dekan wahren? Sollte Kenji doch Recht behalten? Dieser warnte Nagiza, nicht zu sehr auf Tatsumi zu bauen. Der ältere Mann seufzte. „Wie gesagt, zwei Tage! Und wehe, ich habe sie nicht spätestens 16:00 Uhr auf meinem Tisch liegen!!“ Mit diesen Satz entließ er den blonden Studenten. Ein paar Kommilitonen, die die Unterhaltung mitgehört hatten, begannen zu tuscheln. „Haltet die Klappe! Verschwindet!“, fauchte Soichi die Lauscher an. Die Gaffer machten schleunigst, dass sie davonkamen. Zähneknirschend begab er sich in das Labor. „Wie soll ich in zwei kurzen Tagen eine komplette Studienarbeit schreiben???? Fuck! Ich hatte fast drei Monate Zeit!“ Immer und immer wieder schob er das Schreiben der Arbeit von sich, bis sie in Vergessenheit geriet. „Verflucht seist du Morinaga! Nur wegen dir steht mein Studium auf der Kippe! Shit!!“ Es war zum Haare raufen! „Cool bleiben! Wenn ich sofort anfange, dann…“, noch während er sprach kramte er in diversen Unterlagen herum. Wenn er umgehend loslegte ohne Unterbrechung, könnte er es schaffen.
 

Niedergeschlagen starrte Tetsuhiro auf sein Handy. Wie es Soichi wohl ging? Immer wieder suchte er im Adressbuch dessen Nummer. Nein, es war besser wenn sie sich eine Weile nicht sahen. Seufzend packte er das Ersatzhandy zur Seite. Wie sollte er sich bloß ihm gegenüber verhalten? Diese bescheuerten Gefühle!! Warum gab es eigentlich keinen Schalter, mit dem man sie an- bzw. ausschalen konnte? Ihm blieb nichts anderes übrig als sich zusammenzureißen! Richtig zusammenzureißen! Fuck! Warum konnte er sich gestern nicht zurückhalten? Selbst den Gedanken aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen zog er in Betracht, wenn es nicht anders ging. Eventuell war eine räumliche Trennung keine schlechte Idee. Während er noch nachdachte, klopfte es an der Tür. „Taro! Komm rein!“, begrüßte er den Rocker. Tomoya hob die Hand zum Gruß. „Ha Alter! Wie sieht´s aus?“, grinste der Lederjackenfan zwinkernd. Ohne zu fragen pflanzte er sich auf das Bett. Tetsuhiro machte ihm bereitwillig Platz. Er lächelte leicht. Im Grunde war Taro kein schlechter Kerl. Aber sein Temperament legte ihm so manchen Stein in den Weg. Im Grunde kam der Student Tetsuhiro gerade recht, um auf andere Gedanken zu kommen. „Komm, lass uns ein paar Schritte gehen…“, schlug er vor. Tomoya sprang schneller als man „Kawasaki“ sagen konnte auf. Schweigend spazierten die beiden den Flur entlang. „Wieder Stress mit dem Großmaul?“, mutmaßte der Besucher dem traurigen Gesicht des Kranken nach. Als Antwort fing er sich einen bösen Blick ein. „Richtig geraten, was? Dieser Blondie! Soll ich dem mal den Kopf waschen!?“ Die Vorstellung zauberte ein Grinsen auf sein Gesicht. Morinaga verdrehte die Augen. Taro war immer Feuer und Flamme, wenn es darum ging jemanden den „Kopf zu waschen“. Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Lederjackenträgers, als er bemerkte wie am Boden zerstört Morinaga war. „Alles in Ordnung? Du wirkst so geistesabwesend. Und siehst nicht gut aus…“ Wortlos schüttelte Tetsuhiro den Kopf. Ja, er meilenweit weg. Im Geiste beschäftigte er sich mit Soichi. Es gab keine Worte für das was er fühlte. Außerdem hatte er leichtes Fieber. Vielleicht war der Ausflug keine so gute Idee gewesen. Wenn die Schwester ihn erwischte… Doch die Schwester sollte Morinaga nicht erwischen, denn Sekunden später wurde ihm schwarz vor Augen.
 

Zum gleichen Zeitpunkt, in dem Tetsuhiro Morinaga neben Taro im Nakamura-Hospital zusammenbrach, befand sich Soichi Tatsumi in seinem Zimmer. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag die unvollständige Studienarbeit. „Zwei Tage! Ich schaffe das! Keine Ablenkung! Keine Verzögerung! Nur ich und die Arbeit!!!“ Er schob alle störenden Gedanken und Gefühle beiseite und machte sich ans Werk. Ungefähr zwei Stunden arbeitete er ungestört, da klingelte sein Handy. Er warf nur einen raschen Blick darauf. Nach kurzem Zögern drückte er die Nummer von Tetsuhiro weg. Dann schaltete er das Telefon aus.
 

Ende Kapitel 25

Schock

„Ich…bin…fertig…oh...ja…“ Zwei Tage und Nächte später war es vollbracht. Die Studienarbeit war komplett. Nicht perfekt aber immerhin vorzeigbar. Die Katastrophe war erfolgreich abgewandt! Als Soichi das surrende Geräusch des Druckers hörte, atmete er erleichtert auf. Er war ein Genie! Ein verdammtes Genie! In nur zwei Tagen hatte er die Arbeit von drei Monaten erledigt! Er war brillant und zu Tode erschöpft. Kraftlos hing er auf seinem Stuhl. Die letzten achtundvierzig Stunden verbarrikadierte er sich praktisch in seinem Zimmer. Dementsprechend vermüllt sahen die knapp 25 m² aus. Der Raum war mit unzähligen Arbeitsmaterialien vollgestopft. Auf Boden, Bett und Schreibtisch stapelte sich der Papierkram. Sogar die Wände waren damit tapeziert. Weder schlief, noch aß er. Sein ganzes Denken war von der Aufgabe erfüllt gewesen. Zwischenzeitlich zweifelte er an sich selbst, aber ein Soichi Tatsumi warf nicht so einfach die Flinte ins Korn!

 

Nachdem auch die letzte Seite ausgedruckt und alles ordentlich in eine Mappe geheftet war, konnte er sich endlich zurücklehnen. Müde massierte er den schmerzenden Nacken. Es würde nicht sein Meisterstück sein aber unter diesen Umständen war es gar nicht so schlecht. Jedenfalls war alles besser als überhaupt nichts abzugeben. Gähnend stierte Soichi auf den flimmernden Bildschirm des Computers. Die kleine Uhr unter rechts signalisierte ihm, dass er bis zur Abgabe noch ungefähr zwei Stunden Zeit hatte. Nachdem der größte Teil Anspannung verflogen war, spürte Soichi den Schlagmangel. Mit brennenden Augen warf er dem Bett einen unsicheren Blick zu. Konnte er es wagen? Oh Gott, noch nie sah es so einladend aus!  Schwankend stand Soichi auf. Wie magnetisch wurde er von dem unwiderstehlich weichen Kopfkissen angezogen. Nachlässig schob er die Papiere etwas zur Seite. Was war schon dabei? Er würde sich nur einen klitzekleinen Augenblick auszuruhen. Er hatte noch massenhaft Zeit. Nur ein kleine Pause, danach zur Uni und alles wäre perfekt. Doch sobald sein Kopf das Kissen berührte, fielen ihm die Augen zu.

 

„Los! Weg da! Lassen Sie mich doch durch!!“ Eine Menge empörter Blicke wurden dem jungen Mann zugeworfen, der sich grob durch die Menschenmenge drängelte. Ausgerechnet heute musste die U-Bahn-Station mit Pendlern überfüllt sein. Soichi kümmerte sich nicht um die Beschwerden. Wenn er nicht vor 16:00 Uhr in der Uni sein sollte, war er ein toter Mann! Warum musste er auch verschlafen? So schnell er konnte hastete er die Treppen der Station hinauf und betrat viertel vor vier die Uni. Hustend suchte er an einer Wand halt und musste kurz verschnaufen bevor seinen Weg fortsetzten konnte. Zum Glück lag das Büro des Professors nicht weit entfernt. Soichi war froh als er das Zimmer verlassen vorfand und wie es aussah, war er nicht der einzige Nachzügler. Ein kleiner Stapel weiterer Arbeiten befand sich bereits auf dem Schreibtisch. Geschwind legte er seine eigene Ausarbeitung dazu, dann verkrümelte sich Soichi so schnell er konnte. Er wollte auf keinen Fall irgendjemand, den er kannte begegnen. Wie peinlich wäre es denn, wenn man ihn in diesen Aufzug sehen würde! Das lange Haar war vollkommen zerzaust, ungewaschen und klebte an seiner Kopfhaut. Unter seiner Jacke trug er noch immer die Kleidung von vor zwei Tagen. Er sah wie ein dahergelaufener Penner. Soichi schwor nie wieder einen Abgabetermin zu versäumen! Unauffällig schlüpfte der Student aus dem Büro und schlich zum Ausgang. Mehrmals musste er sich dabei an der Wand abstützen. Er war so was von erledigt. Es war nicht das erste Mal, dass er eine Nachtschicht einlegte aber eine solche Plackerei war selbst für ihn eine Herausforderung. Und wessen Schuld war das alles? Morinaga! Dieser egoistische undankbare vollkommen verblödete Mistkerl!! Verflucht!! Die Wut verlieh ihm neue Kraft und er schaffte es ungesehen zum Ausgang. Jetzt wollte er nur noch nach Hause.

 

„Senpai!! Warte!! Haaallooo!!“ Die Hand an der Tür, zuckte Soichi schaudernd zusammen. Warum! Was hatte er nur verbrochen?  Wäre er doch eine Sekunde schneller gewesen! Eilige Schritte nährten sich ihm. „Senpai! Gut, dass ich dich treffe…!“ Oni kam schlitternd hinter ihm zum Stehen. Der Kohai glotzte Soichi ungeniert von oben bis unten an. „Mach´s  kurz!“, blaffte Soichi, dem es unendlich gegen den Strich ging ausgerechnet von Oni begafft zu werden. Was war er? Ein Affe im Zoo? Oni stand ein fettes Fragenzeichen im Gesicht geschrieben. Wo war sein Senpai nur die letzten Tage abgeblieben? „Nun…da…da war so ein großer Kerl vorgestern im Labor. Er hat nach dir gefragt…“, rückte Oni mit der Sprache heraus. Soichi verzog das Gesicht. Dem musste man auch alles einzeln aus der Nase ziehen. „Was für ein Kerl?“ Ungeduldig wartete der Ältere, dass der Jüngere weitersprach und aufhörte so blöd zu glotzen. „Na…so ein großer Typ…ziemlich unfreundlich…mit langen Haaren und…und einer Lederjacke…“ Mit beiden Händen formte Atsuhi eine Silhouette in die Luft. Der Kohai war vor Neugier beinahe umgekommen. Woher kannte Tatsumi-Senpai diesen Rüpel? Beim vergeblichen Versuch ihm klarzumachen, dass Tatsumi nicht da sei, scheiterte er rigoros. Der Besucher war kurz vorm Explodieren gewesen. Oni bekam es mit der Angst zu tun, der Kerl würde das Labor in Schutt und Asche legen! Nach dem er anordnete Soichi solle sich sofort bei ihm melden, verschwand er spurlos. „Kennst du den Typ?“, fragte der Assistent gespannt. Leider bekam er keine befriedigende Antwort. Soichi würde nur noch genervter. „Was wollte er?“, fragte er stattdessen. „Keine Ahnung…Ich weiß nicht genau…“, stotterte der Kohai verlegen. Vor Angst war ihm gar nicht in den Sinn gekommen danach zu fragen. Tatsumi schnaubte angepisst. Oni war wirklich ein hoffnungsloser Fall. Auch Tomoya nervte gewaltig! Jetzt kreuzte er auch noch im Labor auf! Bloß weg bevor er ihn in die Arme lief. „Wie auch immer…ich bin weg…“, verabschiedete er sich knapp und war schon dabei die Tür zu öffnen als Oni zurückhielt. „Aber Senpai! Du warst zwei volle Tage verschwunden! Unsere Experimente!“, quietschte Oni alarmiert auf. Was dachte sein Vorgesetzter nur? Ließ sich tagelang nicht blicken und tauchte dann wie ein Schluck Wasser hier auf. Gings noch? Aber Oni würde sich hüten diese Gedanken laut auszusprechen. Er hing an seinem armseligen Leben. „Tatsumi-Senpai! Was wird denn jetzt aus…unseren Experimenten…?“, rief er Soichi hinterher, aber der andere war bereits aus seinem  Gesichtsfeld verschwunden. Klasse! Super! Niedergeschlagen kehrte der Assistent ins Labor zurück. Komisch, er hatte das dumme Gefühl etwas vergessen zu haben. Hinterher als er auf dem Weg nach Hause war fiel es ihn wieder ein. Oni hatte total verschwitzt Soichi zu sagen, dass er sich bei dem Freak melden sollte. Hoffentlich war es nichts Wichtiges gewesen...

 

Zu Hause gönnte sich Soichi erst einmal eine lange heiße Dusche. Über eine halbe Stunde ließ er das wunderbar warme Wasser über den verspannten Körper laufen. Nach und nach entspannten sich die verkrampften Muskeln. Erfrischt und einigermaßen wieder hergestellt fiel er im Wohnzimmer auf das Sofa. Ihm war ein ganzes Stück leichter ums Herz. Trotzdem konnte er immer noch nicht darüber fertig werden, dass ihm dieser bescheuerte Fehler unterlaufen war. Professor Nagiza dachte nun bestimmt er nehme das Studium nicht mehr ernst genug. Tetsuhiro. Ohne Tetsuhiro wäre es nie so weit gekommen! Die vergangenen Stunden waren wie im Rausch vergangen, er hatte kaum an ihn gedacht. Doch ohne den Druck kehrten die Gedanken zurück zu ihm. Ein rasender Schmerz, der tief aus dem Inneren zu kommen schien breitete sich in seiner Brust aus. Freundschaft! Pah, die konnte der sich sonst wo hinschieben!! Soichi war verwirrt. War es nicht das was er all die Jahre wollte? Er war doch immer derjenige gewesen, der alle Annährungsversuche des Jüngeren abwehrte. Warum also fühlte er sich so…so betrogen? Was war es nur was sie beide verband? Freundschaft…oder Lie…Nein! Ausgeschlossen! Nein! Tatsumi wehrte sich gegen diesen absurden Gedanken. „Vielleicht ist etwas Abstand dar nicht schlecht…“, murmelte er in den leeren Raum. Es ging doch auch irgendwie ohne Tetsuhiro. Die letzten Tage dachte er kaum an ihn, zu sehr war er mit der Studienarbeit beschäftigt gewesen. Genau! Es musste gehen! Ansonsten würde er noch den Verstand verlieren. „Scheiße! Was soll das!!“ Um sich nicht länger quälenden Gedanken hingeben zu müssen verkroch er sich ins Bett. Ausgelaugt zog er die Decke über den Kopf. Angestrengt versuchte er einzuschlafen, lag aber noch lange wach und grübelte. Ihn beschlich ein merkwürdiges Gefühl, eine innere Unruhe erfasste Soichi. Nach unzähligem Herumwälzen fiel er in einen leichten Schlummer.

 

Mitten in der Nacht wurde Tatsumi aus seinen Träumen gerissen. Schrill ertönte die Haustürklingel. Schlaftrunken blinzelte er auf den Wecker. Die leuchtenden roten Zahlen zeigten 01:30 Uhr an. Wer war das denn? Drehten jetzt alle am Rad? Das konnte doch nicht wahr sein! Herrgott, es war zu früh für Ärger! Trotzig beschloss Soichi liegen zu bleiben. Irgendwann würde der Störenfried aufgeben. Aber wer auch immer vor der Tür stand, dachte nicht daran zu verschwinden. Im Gegenteil. Zu dem Sturmklingeln gesellte sich noch lautes Klopfen. Wütend schlug er die Decke zurück. „Wer zum Teufel…!“, schimpfte er, während er aufstand und zur Tür ging. Das erste was er zu Gesicht bekam war das zornerfüllte Gesicht Tomoya’s. Der Blonde kam erst gar nicht dazu etwas zu sagen, denn im nächsten Augenblick lag er auf dem Boden. Verwirrt sah er zu dem Mann auf. „Hier hast du dich verkrochen!“, brüllte der. Langsam breitete sich ein ziehender Schmerz im Gesicht, dort wo der Schlag ihn getroffen hatte, aus. „Was…Bist du übergeschnappt? Was soll der Scheiß?“, schrie er den Rocker an. Taro´s Miene wurde noch eine Spur grimmiger. Er antwortete nicht, zog stattdessen Soichi auf die Beine, wollte erneut zuschlagen. Diesmal sah der Senpai den Schlag jedoch kommen und wich aus. Auf wackligen Beinen stolperte er einige Schritte zurück. Auf einmal war er hellwach. Das Adrenalin strömte durch seine Adern. „Hat der den Verstand verloren?? Soll das ein Überfall sein, oder was??“, schoss dem Studenten durch den Kopf. Er konnte sich doch nicht in seiner eigenen Wohnung verprügeln lassen! Und schon gar nicht ohne Grund. Taro nutzte Soichi´s Unaufmerksamkeit. Er packte den anderen und stieß ihn erneut zu Boden. Schnell war Tomoya über ihm, nagelte ihn am Boden fest. „Du Hurensohn!“ Ein weiterer Faustschlag ließ Soichi Sternchen sehen. Ein schwacher Blutgeschmack überzog seinen Mundinnenraum. „Lass…los!...“, würgte der Gefangene mühselig hervor. Das Gewicht des anderen raubte ihm den Atem. Außerdem konnte der Blonde deutlich den Alkohol in Taro´s Atem riechen. Der Rocker lachte trocken auf. „Du kleiner Drecksack hast noch viel mehr verdient!!“, knurrte er. Tatsumi verstand überhaupt nichts mehr. War das ein böser Traum? Wovon sprach der Freak? „Nimm deine dreckigen Pfoten weg…“, erwiderte Soichi patzig. Einen dritten Schlag wehrte er erfolgreich ab, bäumte sich auf und schubste Tomoya von sich weg. Augenblicklich verschwand der Druck. „Du…widerst mich an! Ich dachte Tetsuhiro bedeutet dir etwas.“, lallte Taro zusammenhanglos. Schwer atmend hockte er nicht weit von Soichi entfernt auf dem Boden. „…Ich weiß nicht, was zwischen euch passiert ist…aber das ist kein Grund ihn eiskalt abzuservieren.“, jaulte Taro.  „Wie kannst du nur so herzlos sein?“, spukte er verächtlich aus. Umständlich zog er sich auf die Beine. Die Verachtung war deutlich in seinen Augen sichtbar.

 

Soichi lief dunkelrot an. „Schnauze! Was zwischen Morinaga und mir ist, geht nur uns was an!!“, stieß er keuchend hervor. Mühsam schluckte er und rieb den schmerzenden Hals. Dieser versoffene Kerl!! Kreuzt mitten in der Nacht auf, um ihn voll zu texten! Woher wusste er überhaupt davon? Hatte sich Morinaga bei ihm ausgeheult, oder was? Außerdem, was hieß abservieren? Tetsuhiro war doch derjenige, der Soichi den Laufpass gab! Überhaupt, warum sollte er vor Taro Rechenschaft ablegen? Mit juckenden Fingern rappelte sich Tatsumi in eine stehende Position. „Es geht mich nichts an?“, lachte Tomoya irre. „Du bist gut! Tetsuhiro verreckt und du meinst es geht mich nichts an!!“ Schnell steigerte sich sein Lachen in eine Symphonie der Verzweiflung. „Ich wusste immer, dass du ein Arschloch bist. Aber für so eiskalt habe ich dich nicht gehalten…“ Mit dieser Aussage ließ er Soichi stehen und torkelte zur Tür. Soichi war verunsichert. War irgendwas passiert? Wovon sprach Tomoya im Suff? Plötzlich kehrte das ungute Gefühl wieder. Mit wenigen Schritten war er an der Haustür. „Hey! Warte! Wovon sprichst du?“, fauchte er. Der Rocker sah ihn aus alkoholvernebelten Pupillen an. „Er ist einfach umgefallen…BUM!“ Mit einer ausschweifenden Geste kommentierte er das Gesagte. „Te…tsu…er ist so gut wie t…ot..“ Er lachte nochmals missglückt auf, dann versetze er Soichi einen schwachen Stoß und verzog sich in die Dunkelheit. „To…Tomoya! Taro! Tetsu…was ist passiert?“ Im ersten Moment wollte der Blonde hinterher laufen. Aber Taro war weit und breit nicht mehr zu sehen. Was sollte er von diesem Auftritt halten? Warum stand der Typ um Mitternacht betrunken vor seiner Haustür? „Tetsuhiro…was ist mit ihm?“  An Schlaf war nicht mehr zu denken. Er war hellwach. Noch während er über den überraschenden Besucher nachdachte, stolperte er in sein Zimmer zurück und kramte das Handy hervor. Verwirrt sah er auf das dunkle Display. Warum war es ausgeschaltet? Soichi überlegte nicht lange. Zitternd schaltete er das Gerät ein. Drei Versuche benötigte er, um den PIN einzugeben. Als das Menü ausblinkte, fiel es ihm beinahe aus der schweißnassen Hand. Es wurden 30 Anrufe in Abwesenheit und 4 Nachrichten auf der Mailbox angezeigt - alle eingegangen in den letzten zwei Tagen seiner Abstinenz. „Tetsuhiro…Tetsuhiro…Tetsuhiro…Tetsuhiro…“, stand in der Anruferliste. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er die neuste Nachricht auf der Mailbox abhörte. „…Tatsumi? Hier noch mal Dr. Tonno! Kommen Sie so schnell wie möglich ins Nakamura! Wir mussten Morinaga auf die Intensivstation verlegen! Alarm Stufe rot! Es sieht nicht gut aus. Ich glaube er wird nicht…“ Den Rest hörte Soichi nicht mehr. Knallend landete das Handy auf dem Boden. Die Umgebung drehte sich um den jungen Mann. Zitternd sank er in die butterweichen Knie, weil die Beine ihn nicht mehr tragen konnten. Minuten war er unfähig sich zu rühren. „Er…Ich…Intensiv…station…warum….“ Sein Kopf begann wie verrückt zu hämmern, das Blut rauchte laut in den Ohren. Doch allmählich ergab alles einen Sinn. Tomoya’s merkwürdiger Auftritt und seine Suche nach ihm. „Ich…muss…sofort zu ihm!!“ Mit zwei Schritten war Soichi am Schrank. Wie von Sinnen wühlte darin herum, um sich die erstbesten Klamotten überzuwerfen, die er zu fassen bekam. Auf dem Weg nach unten nahm er zwei Treppenstufen auf einmal. Verbissen ignorierte der Student die müden Beine und das Seitenstechen, das mit jedem Meter, den er hinter sich ließ stärker wurde.

 

**

 

Nachdenklich betrachtete Dr. Tonno die Laborergebnisse seines Patienten. „Mhm…nicht gut. Damit habe ich nicht gerechnet.“ Seufzend notierte er einen Vermerk auf dem Krankenblatt. Seit Tetsuhiro Morinaga vor zwei Tagen auf die Intensivstation verlegt worden war, verschlechterten sich die Werte kontinuierlich. Der Körper war an seinem Limit angekommen. Es sah düster aus. Dabei war der Zustand bis vor kurzem noch stabil. Diese Art der Entwicklung gefiel dem Arzt ganz und gar nicht! Welche Art der Behandlung sollte er anwenden? Das einzige was half, wäre eine sofortige Transplantation! Tonno würde sofort ans Telefon setzen. So schnell er konnte flitzte der Arzt zu seinem Büro. Fast war er dort angekommen, als er in einiger Entfernung einen kleinen Aufruhr wahrnahm. Nichts Ungewöhnliches. Es tat sie mit einem Schulterzucken ab, doch als er sich in das Zimmer zurückziehen wollte, hörte er eine ihm wohl bekannte keifende Stimme.

 

„Wo ist er? Was ist passiert? Sagen Sie schon!“, verlangte Soichi Tatsumi lautstark. Unbeeindruckt ließ die Oberschwester die Fragerei über sich ergehen. Als Soichi stoppte um notgedrungen Luft zu holen, unterbrach sie ihn abrupt. Nun war sie an der Reihe. „Halten Sie die Luft an!! Sagen Sie mir lieber wo Sie gesteckt haben?? Wir haben dutzende Male versucht Sie zu erreichen!!“, donnerte die Frau ihm entgegen. Soichi biss sich auf die aufgeplatzte Lippe und wurde noch blasser, als er ohnehin schon war. Bevor er sich rechtfertigen konnte, schaltete sich Tonno, der eilig näher gekommen war, ein. „Lassen Sie es gut sein Erica! Ich kümmere mich darum.“, sagte er freundlich. Achselzuckend ließ Erica die Männer allein. Dem Mediziner fiel ein Stein vom Herzen, den Vermissten zu sehen. Doch bevor er zu seinen Erklärungen ansetzen konnte, musterte er den jungen Mann nachdenklich. Tatsumi sah schrecklich aus. Er konnte sich eigentlich direkt neben Tetsuhiro legen. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sind ja weiß wie die Wand! Haben Sie sich verletzt??“ Fragend begutachtete der Mediziner Soichi´s linkes Hosenbein, das verdächtige dunkle Flecken aufwies. Der Blonde schüttelte ungeduldig den Kopf. „Nein! Mit mir ist alles Bestens!! Sagen Sie mir lieber was los ist!!! Ich habe…ihre Nachricht gehört!!“, verlangte Tatsumi nachdrücklich. Sein Herz schlug wilde Purzelbäume. Taro´s Worte klangen ihm in den Ohren. Angst setzte sich in ihm fest. Der Doktor strich sich über den Bart. „Nun, erst einmal sollten Sie sich beruhigen. Es hilft niemanden, wenn Sie umfallen!“, sagte Tonno. „Dort drüben ist ein Ruheraum.“, führsorglich legte Tonno Soichi eine Hand auf die Schulter. Die helfende Hand wurde aber grob weggestoßen. „Nein! Ich sagte doch, es ist gut!!!“ Der ältere Mann hob kurz seine Augenbrauen und betrachtete die Unvernunft in Person vor sich! Selten traf er eine verbohrtere Person, als diesen jungen Mann! Resignierend winkte er Soichi in sein Büro.

 

„Also gut. Wie Sie wollen. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir einen herben Rückschlag erlitten haben. Vor drei Tagen kam es zu einem totalen Zusammenbruch. Die andauernde Belastung war zu groß. Dazu kommt noch eine leichte Lungenentzündung, die den Körper zusätzlich angreift. Glücklicherweise war jemand bei ihm, so konnten wir unverzüglich handeln und Morinaga stabilisieren. Er befindet sich auf der Intensivstation. Aber er ist sehr schwach….es sieht nicht gut aus. Ich kann derzeit nicht sagen, wie lange er noch ohne Transplantation durchhält.“ Den Atem anhaltend, wartete der Doktor auf die Reaktion des anderen. Dieser hörte den Erklärungen wortlos zu. Eine eiskalte Hand griff nach seinem Herzen. Während er über dieser blöden Studienarbeit saß, war Tetsuhiro… „Tatsumi? Tatsumi! Hören Sie mich??“ Tonno wedelte mit der Hand vor Soichi´s Augen, um den Jungen wieder in die Wirklichkeit zurückzuholen. Der Blonde schaute ihn mit leerem Blick an. Doktor Tonno räusperte sich laut. „Ich sagte gerade, dass ich die Morinagas informieren werde. Es ist notwendig…außerdem…Hey! Wo wollen Sie denn hin???“ Ohne Vorwarnung war Tatsumi aufgesprungen. „Ich…muss ihn sehen! Auf der Stelle…“, stammelte er -  die Türklinke in der Hand. Der behandelnde Arzt war damit überhaupt nicht einverstanden. „Halt, halt! Sie können nicht einfach so auf die Intensiv spazieren. Da gibt es Vorschriften, die eingehalten werden müssen. Und...es tut mir leid, aber nur Verwandte dürfen im Augenblick…“ Schlagartig ließ der Student die Klinke los, um sich nur Sekundenbruchteile später auf den Doktor zu stürzen. Roh fasste er Tonno an seinen Kittel. „Verwandte? Seine Familie hat sich jahrelang einen Dreck um ihn gekümmert! Die wollten ihn verrecken lassen!! Ich habe mich um ihn gekümmert…also sagen Sie mir nicht ich darf nicht zu ihm….“ Blitzartig wich alle Kraft aus dem Griff, Soichi taumelte von dem Mann weg. Sein Körper bebte verdächtig, der Mediziner konnte Tränen in den Augenwinkeln glitzern sehen. Tonno haderte mit sich selbst. Vorschriften waren nun mal Vorschriften. „Was mach ich nur mit Ihnen…? Arg!! Na schön, wir haben ja die Vollmacht aber nur solange niemand von der Verwandtschaft ankommen ist….“

 

Wie in Trance trat Soichi näher. Durch eine gewaltige Scheibe konnte er ins Innere des Zimmers blicken. Tetsuhiro lag leblos in dem großen Bett. Nur eine kaum sichtbare Bewegung des Brustkorbes  ließ erkennen, dass noch ein Hauch Leben in ihm war. Schläuche, Kanülen und Elektroden bildeten den Schmalen Grad zwischen Leben und Tod. Die Kälte in Soichi lähmte ihn. Er stand wie festgewachsen vor dem Raum, traute sich keinen Schritt weiter. Er dachte an ihre letzte Begegnung. Der Kuss, seine zärtlichen Berührungen. Tränen sammelten sich in den braunen Augen des jungen Mannes. Wenn er doch nicht so schnell aufgegeben hätte! Was wenn er nie wieder die Gelegenheit bekam mit Tetsuhiro über alles zu sprechen? Wie sollte er mit der Schuld leben? „Tetsuhiro…du Idiot…“ Soichi wusste nicht wie aber er schaffte es irgendwie seine Füße in Bewegung zu setzen. In der Abgeschiedenheit des Zimmers verlor Tatsumi die Beherrschung. „Tetsuhiro…du…ich…bin so dumm…du darfst nicht…sterben…“, stieß er mit tränenerstickter Stimme hervor. Er weinte, flehte, bettelte. Es konnte doch nicht so enden?! War Gott wirklich so grausam?

 

Lautes Stimmgeschwirr flatterte in seinem Schädel umher. Desorientiert schlug Soichi die Lider auf. Wo war er? Was war passiert? Das letzte woran er sich erinnerte…war…Tetsuhiro! Sofort schnellte er hoch. Das Bett auf dem er lag war schmale und stand in einem kleinen Behandlungszimmer. Wie kam er hierher?  Das Aufstehen erwies sich allerdings als schwierig, da in seinem Arm eine Infusion steckte. „Na? Gut geschlafen?“ Schwester Erica betrat den Raum. „Was…ist passiert…?“, fragte Soichi durcheinander. Er hatte keinen blassen Schimmer was los war. Erica hob erstaunt eine Augenbraue. „Wissen Sie das nicht mehr?? Sie sind den Herrn Doktor praktisch vor die Füße gefallen! Dehydriert und erschöpft! Haben wohl Tage lang nicht richtig geschlafen.“ Schnalzend befreite Erica Tatsumi von der Infusion. „Sie müssen besser auf sich aufpassen!! Bleiben Sie noch eine Weile liegen, bevor Sie aufstehen.“ Freundlich nickte sie ihm zu. Soichi runzelte die Stirn. Der Anblick der hellen Lichtstrahlen, die durch das kleine Fenster blitzen gefielen ihm überhaupt nicht. „Wie lange liege ich schon hier?“ Ein böser Verdacht beschlich ihn. „Zirka zehn Stunden. Es ist kurz nach 12:00 Uhr…“, teilte die Schwester nach einem Blick auf die Uhr mit, schien jedoch seine Gedanken lesen zu können. „Keine Sorge. Sein Zustand ist unverändert. Aber stellen Sie sich vor! Seine Mutter ist vor einer halben Stunde angekommen. Kaum zu fassen, oder?“ Die Frau war kaum aus dem Zimmer, da hielt Soichi nichts mehr. Noch etwas wacklig auf den Beinen stand Tatsumi von der Liege auf. „Seine Mutter ist da…bin erstaunt, dass die so schnell gekommen ist…“ Humpelnd schlurfte er zum Zimmer Tetsuhiro´s. Schon von weitem erkannte er die Gestalt Sakura Morinagas. Die Mutter seines Freundes saß vor dem Bett. Als hätte sie Augen im Hinterkopf, richtete Sakura sich kerzengerade auf, drehte sich zu ihm um.

 

„Ich habe geahnt, dass Sie auftauchen werden!! Es hat wohl keinen Zweck Sie verscheuchen zu wollen, oder?“, begrüßte Frau Morinaga Tatsumi vor der Tür. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Tetsuhiro…er ist kurz aufgewacht…und hat nach Ihnen gefragt…“ Sie funkelte ihn wütend an. Sakura war enttäuscht. Ihr Sohn hatte sofort nach diesem Blonden gefragt! Unerhört! Sie war den ganzen Weg allein gereist um ihn zu sehen! Was dachte er sich? „Ich muss kurz an die frische Luft…“, entschied sie und rauschte an dem sprachlosen Soichi vorbei. Mit klackernden Absätzen entfernte sie sich.

 

„S…sen…pai….“, flüsterte Morinaga tonlos als Soichi sich dem Bett nährte. Die Lieder des Dunkelhaarigen waren leicht geöffnet. Soichi ergriff seine schlaffe Hand. „Tetsuhiro…ich bin hier…“, beruhigend strich er ihm über die kalten Finger. Er war dankbar für dieses kleine Lebenszeichen. Er klammerte sich daran wie ein Ertrinkender an einen Rettungsreifen. Es würde alles gut werden! Es musste einfach! „Oh…Entschuldigung…!“ Eine junge Krankenschwester platzte in den Raum. „Ich suche Sakura Morinaga. Ich dachte die wäre hier?“ Suchend flogen die Augen des Mädchens durch das Zimmer und blieben schließlich an Soichi hängen, der sie mit fragenden Augen ansah. „Bitte…Da ist Jemand, der sie unbedingt sprechen will… Er sagt es gehe um ihren Sohn…“

 

Ende Kapitel 26

 

Gewissheit in jeder Hinsicht

„Ku…Kunihiro? Wo kommst du denn her??“ Überrascht schloss Sakura ihren ältesten Sohn in die Arme. Mit allen hätte sie gerechnet, aber nicht mit diesem Besuch. Für einen winzigen Moment glaubte Sakura ihr Mann hätte es sich anders überlegt und wäre nachgekommen. Ein wenig enttäuscht war sie schon. Yuuto weigerte sich standhaft auch nur noch einen Finger für Tetsuhiro zu rühren. Selbst die Tatsache, dass es um Leben und Tod gehen würde, stimmte ihn nicht um. So blieb Sakura nichts anderes übrig als allein anzureisen. Umso erleichtert war sie ihren Erstgeborenen zu sehen. Die Situation überforderte die Mutter doch mehr als sie zugeben wollte. Als sie Tetsuhiro zu Gesicht bekam, befiel Sakura eine große Angst. Nun war sie froh, wenigstens einen Teil der Verantwortung abgeben zu können. „Ach…ich bin ja so froh dich zu sehen…“, schluchzte sie an der Schulter ihres Sohnes. „Ich freu mich auch dich zu sehen…aber was um Himmelswillen geht hier ab? Was ist denn mit Tetsuhiro?“, wollte Kunihiro Morinaga  von ihr wissen. Ungeduldig schob er sie ein wenig von sich weg. Sakura sah ihn leicht verwirrt an. „Ja…aber woher weißt, dass er hier bist…was machst du hier…wir dachten du bist auf deiner…Reise…“ Yuuto und Sakura Morinaga war es gewaltig gegen den Strich gegangen, als ihr Ältester sich mir nichts dir nichts eine Auszeit von der Arbeit nahm, um mit Freunden in der Welt herum zu reisen. Eine in den Augen der Eltern sinnlose Aktion und völlig untypisch für den sonst so vernünftigen Kunihiro. Aber schlussendlich konnten sie ihn nicht von der Abreise abhalten. Und so bummelte er fast ein Jahr von einem Land zum nächsten. Kontakt gab es nur spärlich in Form einer Postkarte mit ein paar Sätzen. Nichts großartiges aber immerhin wussten sie, dass es ihm gut ging. Kunihiro vollführte etwas was teil Nicken, teils Kopfschütteln war. „Ja…nein…ich bin seit gestern wieder zurück. Ich wollte euch besuchen…und traf Vater allein zu Hause an…“, erklärte er. „Er schäumte vor Wut! Ich wurde nicht richtig schlau aus seinen Worten. Nur das Tetsu im Krankenhaus liegt…ich…Ach! Ist doch egal! Was ist mit meinem Bruder?!“ Seine Stimme zitterte leicht. Dermaßen außer sich hatte er Yuuto selten erlebt. Kunihiro konnte ihn kaum beruhigen. Der Mann schimpfte und schäumte. Nur bruchstückhaft hörte er heraus, was während seiner Abwesenheit passiert war. Kunihiro Morinaga ahnte Schlimmes als Sakura niedergeschlagen zu ihm auf sah. „Es ist…schrecklich! Tetsuhiro ist…Er war…Er musste auf die Intensivstation!“, stammelte sie.  „Intensivstation?? Was? Wieso?“ Kunihiro verstand die Welt nicht mehr. Er war total überrumpelt. Sakura ergriff seinen Arm. „Komm. Ich erklär dir alles…“

 

„Oh mein Gott!“ Schockiert über den Zustand Tetsuhiro´s stand Kunihiro Morinaga eine halbe Stunde später vor dessen Krankenzimmer. Er konnte den Blick nicht von der Gestalt seines bewusstlosen Bruders nehmen. „Er sieht schrecklich aus…“ Die Geschichte Sakura´s hatte ihn ganz schön vom Hocker gehauen. Über drei Monate lag sein kleiner Bruder bereits im Krankenhaus und er hatte keinen blassen Schimmer davon! Die Nieren!? In ihrer Familie war noch nie ein solcher Fall aufgetreten. „Ich verstehe das nicht…Ich meine…er war doch immer gesund…“ Hilfesuchend blickte er zu seiner Mutter. Doch die war keine große Hilfe. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Als…wir…Tetsuhiro das letzte Mal besuchten, ging es ihm noch nicht so schlecht…“ Bei den Worten warf Sakura Soichi einen vorwurfsvollen Blick zu, als wäre er für den Zustand ihres Sohnes verantwortlich. Am liebsten würde Sakura Morinaga den Langhaarigen aus Tetsuhiro´s Nähe vertreiben. Ihr erstes Zusammentreffen war der Frau deutlich im Gedächtnis geblieben. Vom allerersten Telefonat ganz zu schweigen. So etwas Unverschämtes war ihr noch nie untergekommen! Und so einer wurde der Familie vorgezogen! Trotz der vertrackten Situation wünschte sich Sakura ihr Ehemann wäre jetzt an ihrer Seite. Aber Yuuto war stur wie ein Maulesel! Er verlor kein Wort mehr über seinen Jüngsten. Warum konnte Tetsuhiro nicht wie jeder andere junge Mann sein und sich eine nette junge Frau suchen!? Dann wäre alles wieder gut! Aber nein, er hatte sich ja in diesen fürchterlichen Kerl verguckt!  Seufzend sah sie zu Soichi und verzog das Gesicht.

 

Kunihiro entging der Blick, welcher Soichi zugeworfen wurde keineswegs. Er fragte sich wer der Mann war, der sich seit seiner Ankunft im Hintergrund hielt. Ein Bekannter Tetsu´s? Der Blonde sah erschöpft und abgekämpft aus. Seine Augen waren gerötet, das Gesicht blass. Außerdem wirkte er irgendwie angespannt, so als würde er jeden Augenblick explodieren. Wer er auch immer war Kunihiro sah auf einen Blick, dass seine Mutter ihn nicht ausstehen konnte. Der Mann räusperte sich. „Ich glaube wir wurden uns noch nicht vorgestellt.“ Ein letztes Mal schweiften seine Augen in das Zimmer bevor er sich Soichi zuwandte. „Mein Name ist Kunihiro Morinaga. Tetsu ist mein jüngerer Bruder…Und Sie sind…?“ Äußerst zögerlich wurde die dargebotene Hand ergriffen. „Soichi Tatsumi. Tetsuhiro und ich kennen uns aus der Uni.“, stellte er sich knapp vor. Natürlich wusste Soichi wen er vor sich hatte. Wie Bruder und Vater war auch Kunihiro Morinaga großgewachsen. Was das Äußere betraf schlug er eher seiner Mutter nach. Die Augen hinter den Brillengläsern musterten Tatsumi intensiv. Soichi kannte diesen Blick von Morinaga Senior. Er fühlte wie sein Blutdruck langsam anstieg. Der Student hasste es, wenn man ihn so blöd anglotzte. Demzufolge checkte er den anderen genauso gründlich ab. Aber wie nicht anders zu erwarten, streute Sakura Salz in die Wunde. „Das ist Tetsuhiro´s…ähm…du weißt schon…Freund…“, ergänzte sie missbilligend. Soichi erstarrte. Dumm Ziege! Die sollte bloß die Klappe halten! Doch seltsamerweise wiedersprach er nicht. „Verstehe…“, murmelte Kunihiro reserviert. Nochmals musterte er Soichi ausgiebig. Er billigte die Lebensumstände des Bruders nicht, vermied wenn es möglich war, darüber zu sprechen. Kunihiro würde nie verstehen wie man sich zu einem anderen Mann hingezogen fühlen konnte. Doch begegnete er Tetsuhiro nicht mit der strikten Ablehnung wie ihre Eltern, insbesondere Yuuto Morinaga. Er war sein kleiner Bruder! Komme was da wolle! Ihr Verhältnis zueinander war seit dem Coming-Out angespannt. Jedoch bestand Kontakt zwischen den Brüdern. Verlegen hüstelte der Neuankömmling. Es war ihm unangenehm dem Liebhaber seines Bruders gegenüberzustehen. „Danke…dass Sie sich um ihn gekümmert haben…“, begann er freundlich wurde aber spröde von Soichi unterbrochen. „Ja. Schön. Quatsch hier nicht so blöd rum! Beweg lieber deinen Arsch und lass dich testen!“, platzte der Student hervor. Waren alle in dieser Familie nicht ganz richtig im Kopf? Die quatschten und quatschten!   Dabei stand die Lösung des Problems genau vor ihnen! Mein Gott! Soichi hätte Kunihiro am liebsten am Schlafittchen gepackt und kräftig durchgeschüttelt. Wo war der Typ die ganze Zeit geblieben? Gleichzeitig fielen Mutter und Sohn die Kinnlade runter. Sakura lief rot an. „Das ist ja wohl die Höhe!! Wie können Sie es wagen…“, zeterte die Frau quietschend und gestikulierte wild mit den Händen. „Mutter hör auf!“, stoppte Kunihiro die Schimpftriade. „Er…hat Recht…Ich sollte sofort mit dem Arzt sprechen…würdest du mich bitte begleiten?“ Unter Protest zog der sie mit sich fort. „Warte…wir können ihn doch nicht einfach…“, schimpfte Sakura bis die beiden aus der Hörweite Tatsumi´s verschwanden. Der junge Mann sah ihnen erstaunt nach. Wie es aussah hatte Kunihiro Morinaga doch etwas in der Birne. Wenigstens einer in dieser verkorksten Familie.

 

**

 

Tetsuhiro Morinaga ahnte nicht was sich nur wenige Meter von ihm entfernt abspielte. Er war kaum in der Lage klar zu denken. Jede noch so kleine Bewegung schmerzte. Was war mit ihm passiert? In der einen Sekunde schlenderte er noch neben Taro durch das Krankenhaus, in der nächsten bildete er sich ein Sakura an seinem Bett sitzen zu sehen. Tetsuhiro konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ein gleißender Schmerz zog sich über seinen Kopf. Um ihn herum hörte er ein monotones Rauschen, Piepen und Summen. Das Atmen fiel ihm ungewohnt schwer. Immer wieder drohte ihn die Müdigkeit einzuholen. Abwechseln wurde es dunkel und hell. Die Umgebung war glasklar, dann plötzlich verschwamm sie um ihn herum. Etwas war anders als die Male zuvor. Die Geräusche um ihn herum wurden leiser und leiser, bis sie fast gänzlich verstummten. Sein Herzschlag verlangsamte sich und er fiel in ein tiefes, dunkles Loch.

 

„Ich weiß selbst, dass ich nicht zur Familie gehöre…“ Äußerlich sah man es ihn vielleicht nicht an, aber innerlich kochte Soichi vor Wut. Der Arzt und die Krankenschwestern hatten ihn regelrecht aus dem Krankenhaus geschmissen! „So ein Saftladen!!“, stieß er schnaufend hervor. Resignierend setze er ein Bein vor das andere. Soichi war sich noch nie so nutzlos vorgekommen. Ob er es wollte oder nicht zum aller ersten Mal bekam Soichi Tatsumi Angst, dass Tetsuhiro sterben könnte. Sterben…sterben…sterben…sterben…sterben…sterben…Dieses einzige Wort hallte wieder und wieder in den Ohren des Studenten. „Nein!! Das werde ich nicht zulassen!!!“, stieß er so laut hervor, dass sich einige Passanten nach ihm umdrehten. Scheiße! Es musste doch irgendetwas machen können als abzuwarten! Alles hing jetzt von den Testresultaten ab. Kunihiro hatte nach einem kurzen Gespräch sein Einverständnis gegeben. Der Funken Hoffnung, der sich in Soichi festklammerte, war so klein und schwach. „Ich weiß nicht wie lange er noch ohne Transplantation durchhält.“, hatte Doktor Tonno zu ihm gesagt. Er persönlich würde die Proben zum Labor bringen. In ein paar Stunden hatten sie Gewissheit. Auch nach langer Diskussion ließ sich Tonno nicht erweichen ihn nochmals zu Tetsuhiro zu lassen. Die Familie habe Vorrang, hieß es. Mit dem Versprechen Soichi sofort zu informieren sobald es Neuigkeiten gab wurde er abgespeist. Und nun stand er auf der Straße und wusste nicht wie er die nächsten Stunden überstehen sollte.  Der kalte Oktoberwind wehte dem jungen Mann die Haare ins Gesicht. Er fröstelte. Plötzlich blieb er stehen. Wenn er genauer darüber nachdachte, gab es da noch eine Sache, die er erledigen musste.

 

Eine Stunde später betrat der Student seine geliebte Universität. Wo war der Kerl, wenn man ihn brauchte? Kreuz und quer latschte er durch das ganze Gebäude. Die Suche endete außerhalb der Uni. Der Innenhof war so gut wie leer. Nur die Frischluftfanatiker ließen sich nicht von dem nassen Herbstwetter vertreiben. Soichi atmete auf, als er Taro Tomoya unter ihnen entdeckte. Der Rocker lümmelte rauchend auf einer Bank. Gekonnt blies er Ringe in die Luft. Der nächste Schritt fiel Soichi nicht leicht. Aber um Morinagas Willen schluckte der starrsinnige Senpai seinen Stolz hinunter. „Was willst du? Verpiss dich!“, begrüßte Taro den Blonden als er diesen kommen sah. Er hatte einen riesen Kater und keinen Nerv auf Tatsumi. „Mann…War ja klar, dass du früher oder später ankommt, um mich voll zu texten.“, stöhnte der Rocker resignierend als Soichi keine Anstalten machte zu verschwinden. Für die Aktion von heute Nacht könnte Taro sich selbst in den Hintern treten! Was war nur in ihn gefahren? Er sollte wirklich nicht so viel saufen! Aber die Sorge um seinen Freund hatte die Vernunft verdrängt. Die letzten Tage war er völlig neben der Spur gewesen. „Mann…“ Genervt stemmte Taro sich auf die Beine. „Ich habe keinen Bock auf dich…“, Nachlässig  schnippte er die Zigarettenkippe in ein Gebüsch. „Hey, warte doch mal!“, hielt Tatsumi den Lederjackenfreak zurück. Zum Erstaunen des Älteren kam Taro der Aufforderung nach. „Alter, du nervst…na gut…fünf Minuten.“, verkündete er noch genervter. Soichi schluckte, holte tief Luft. „Ich…Danke…“ Tomoya hob die Augenbrauen. Stimme etwas nicht mit seinem Gehör? Hatte der Alk ihn schwerhörig gemacht? Tatsumi fuhr mit einer Hand über seinen Nacken. „Ich war im Krankenhaus…man sagte mir…du warst bei Morinaga…als es passierte…danke…dass du für ihn da warst…“ Alle Überheblichkeit wich für einen Augenblick aus Taros Gesicht. Verblüfft über diese Geständnis fehlten ihm die Worte. Aber nur kurz. Schnell war er wieder der Alte. „An deiner jämmerlichen Gestalt sehe ich, dass es wohl keine guten Nachrichten gibt…Tja…jemand musste sich ja um Tetsu kümmern…wenn du nicht da warst. Er…war ganz schön angekratzt…sag mal, was ist das nun zwischen euch? Seid ihr zusammen oder nicht?“ Diese direkte Frage veranlasste Soichi rot anzulaufen. „Wir…Quatsch! Wir sind nur Freunde…sonst nichts. Das hat er selbst gesagt…“, versicherte er so überzeugend wie möglich. Doch die Erklärung schien Taro nicht zu überzeugen. „Freunde? So, so. Dass ich nicht lache!“ Er kicherte. „Okay, dann helfe ich dir mal auf die Sprünge! Ich mag Tetsuhiro. Sehr sogar, aber der Idiot hat nur Augen für dich! Mein Gott! Tetsuhiro ist total in dich verschossen! Das sieht ein Blinder mit ‘nem Krückstock. Wenn du dass nicht raffst, bist du noch ein größerer Volltrottel als ich dachte!“ Soichi´s Gesicht wurde noch eine Spur dunkler. Was machte er da? Warum diskutierte er solche Fragen ausgerechnet mit Taro Tomoya? „Ich…das geht dich einen Scheißdreck an!“, schrie er den anderen nun doch an, obwohl er sich vorher vornahm ruhig zu bleiben. Der Strubbelkopf lachte kurz auf. „Na klar! Sicher! Wenn du meinst. Ein kleiner Tipp: Vielleicht solltest dir  mal überlegen was du wirklich willst. Ciao, du Looser!“

 

„Versoffene Kerl…was geht den das an…mich so etwas zu fragen…dabei wollte ich mich nur bedanken.“ Krampfhaft versuchte Soichi zu verdrängen, aber die Worte hatten ihn keineswegs kalt gelassen. Tetsuhiro war in ihn verschossen. Die banale Äußerung zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. Was er wollte? Ja, WAS wollte er denn nun überhaupt? Soichi wollte… „Tatsumi!!“, wurden seine tiefgründigen Gedankengänge jäh unterbrochen. Nagiza kam schnellen Schrittes auf ihn zu. „Ich muss mit Ihnen über die Studienarbeit sprechen. Begleiten Sie mich in mein Büro.“, bat der Professor schlechtgelaunt. Er war alles andere als. Doch im Grunde war es Tatsumi egal. „Tut mir leid…im Moment ist es ganz schlecht…“, versuchte er sich aus der Affäre zu ziehen. Aber jemand anderes verlangte lautstark nach der Aufmerksamkeit des Studenten. „Seennnnpaiiii!“ Ach, du Schreck! Oni kam in einen Affenzahl auf die beiden Männer zu gerannt. Außer Atem schlitterte er zu ihnen. „Gut…dich…zu…sehen! Wir…müssen unbedingt über die Experimente reden.“, keuchte der Assistent. Soichi fasste an seine Stirn. Was zur Hölle! Für Gespräche solcher Art waren seine Nerven heute nicht stark genug. „Sorry…ich habe keine Zeit, um…“ Vier Augen spukten Feuer. „Aber Senpai…wir müssen…unbedingt…Ihre Arbeit…war…was ist mit Ihnen los…Bericht schreiben…Studium…weiß nicht mehr weiter…nur noch selten da…“, bearbeiteten der Professor und Oni den blonden Studenten gleichzeitig. Sie redeten wild durcheinander. Die Ohren klingelten bald von dem Gelaber. Beinahe überhörte Soichi das Bimmeln seines Handys. Das Herz des Blonden schlug augenblicklich schneller. Ungeachtet der anderen beiden fischte er es eilig aus der Tasche um den Anruf entgegen zu nehmen. „Ja?......Was? Wer ist da…? Fuck! Ich versteh nichts…Moment!“ Genervt er  ging einige Schritte von der Lärmquelle weg. Professor Nagiza tauschte mit Oni einen verblüfften Blick. „Tatsumi! Was soll das denn!!“, fauchte der Prof. Der Lehrer war jetzt richtig sauer auf seinen Studenten. Auch der Kohai öffnete den Mund. Schloss ihn aber wieder, als sein Senpai sich zu ihnen umdrehte.  „Haltet doch mal die Klappe!!“, schnauzte er respektlos in ihre Richtung. Erstaunt über diese Frechheit blieben sie tatsächlich stumm. Endlich Ruhe! „Ja! Ich bin wieder da!“, sprach er in sein Telefon. „Tatsumi? Hier Schwester Erica! Was war das für ein Lärm??...Na ja, egal! Wir haben die Ergebnisse!! Nicht perfekt aber die Übereinstimmungen reichen aus! Der Doktor wird noch in der nächsten Stunde mit der Operation beginnen.“, teilte die Schwester aufgeregt mit. „Ich…bin…unterwegs… “, war alles was Soichi noch sagen konnte. Adrenalin schoss durch alle Venen. Alles andere war mit einem Schlag unwichtig. Die Erkenntnis schlug ein wie Ein Blitz. Plötzlich wusste Soichi Tatsumi ganz genau was er wollte. „Ich…muss weg!“, verkündete er schlicht den Wartenden. Professor Nagiza lief rot an. „Das…das ist ja wohl die Höhe!! Bleiben Sie gefälligst hier! Tatsumiiiiiiii!!!“, brüllte er seinem ehemaligen Lieblingsstudenten hinterher. Aber dieser hatte sich schon in Bewegung gesetzt und hörte gar nicht mehr hin. So schnell wie er konnte rannte er die Flure entlang ohne auf das verärgerte Gemecker der zur Seite Gedrängten zu achten. „Nein! Nein! Nein! Wartet noch! Nicht anfangen, bevor ich da bin! Tetsuhiro…ich muss dir noch was sagen!“, wiederholte Tatsumi immer und immer wieder in seinem Kopf. Das Wetter war mittlerweile umgeschlagen. Eisiger Regen schlug ihm draußen entgegen.

 

Am Krankenhaus angekommen war Soichi bis auf die Haut durchnässt. Kleine Wasserlachen zierten den Boden entlang seines Weges. Keuchend, außer Atem und völlig erledigt gelangte er zum Zimmer Morinaga´s. Gerade noch rechtzeitig, denn schon standen zwei Pfleger bereit, um das Bett mitsamt Tetsuhiro in Richtung OP zu schieben. „Halt…einen…Moment…noch…“, bat er die Männer atemlos. Verdattert guckte das Krankenhauspersonal auf den begossenen Pudel vor ihnen. „…Sie tropfen…“, lachte der Jüngere amüsiert. Sein älterer Kollege besaß weit weniger Sinn für Humor. Er strafte seinen Freund mit einem Stirnrunzeln. „Hör auf so blöd zu lachen!“, maßregelte er ihn. Zu Soichi gewandt sagte er: „Wir haben keine Zeit! Im OP wartet man bereits auf uns. Mach Sie Platz!“ Es schien als wolle er den Besucher einfach mit dem Bett überrollen, denn er schob einfach drauf los. Zu seinem Ärger versperrte der Durchnässte ihm den Ausgang. „Nur eine Minute…bitte!“, flehte er. Ein verärgertes Schnaufen kam zur Antwort. „Ach komm! Eine Minute mehr oder weniger…er sieht echt schlimm aus. Sei nicht so herzlos…“, ergriff der andere Pfleger Partei für Tatsumi. „…Schön…aber nur eine Minute!!“, gab der Ältere schließlich nach. Zusammen verließen die beiden Pfleger das Zimmer.

 

Mit klopfenden Herzen begab sich Tatsumi an die Seite Tetsuhiro´s. Sein Puls raste, nicht nur wegen des schnellen Laufes. Plötzlich hatte er Angst. Angst vor den Gefühlen, die in seinem Inneren wüteten. Doch er musste es tun. Wer weiß, ob er nochmal den Mut dazu finden würde...oder die Gelegenheit. „Mori…Tetsuhiro…ich…ich…muss…was sagen…“, stammelte er unsicher. Obwohl er wusste, dass Tetsuhiro ihn wahrscheinlich nicht hören konnte. Zitternd nahm er die Hand des Jüngeren. „Tetsuhiro…ich habe mich lange dagegen gewährt…aber ich…ich…liebe dich!!“, platzte er nun endlich heraus. Sein Gesicht war ganz heiß vor Aufregung. Es war das erste Mal in Soichi Tatsumis Leben, dass er diese drei Worte aussprach. „Ich liebe dich.“, sagte er nochmal, beugte sich zu Tetsuhiro hinunter und küsste diesen sachte auf den Mund. Ein Regentropfen löste sich von Soichis Haaren und fiel auf Morinagas Wange. Vorsichtig hob er die Hand um den Tropfen wegzuwischen, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Tetsuhiro sah ihn mit direkt in die Augen.

 

„…Sag…das…nochmal…“, wisperte er mit einem schwachen Lächeln. Aber Soichi kam nicht mehr dazu. „Jetzt ist aber Schluss!! Ab in den OP!!!“, donnerte der grimmige Pfleger, der mitten in den  Moment platzte. „Was? Nein! Nur noch…“ Der Krankenpfleger schubste Soichi vom Bett weg und forderte den anderen Pfleger auf, mit anzupacken. „Nix da! Los! Weg da!“, schnauzte der Mann nur. In Windeseile ratterte das Bett zu den Operationsräumen. Tatsumi, dem es jetzt völlig egal war, was die anderen dachten, lief nebenher, die Hand seines Freundes haltend. „Tetsuhiro! Ich liebe dich! Hörst du! Ich liebe dich!! Alles wird gut gehen! Wir…sehen uns…nachher!!!“, schrie er laut genug  damit der andere ihn noch hören musste, dann verschwand Morinaga im OP-Bereich.

 

**

 

Tick Tack Tick Tack Tick Tack. Quälend langsam verging die Zeit. Sechs Stunden warteten Frau Morinaga und Soichi bereit im Warteraum. Sakura sprach während des gesamten Zeitraumes kein Wort. Kommentarlos duldete sie Soichi an ihrer Seite. Ab und zu verließ sie den Raum, um ihrem anderen Sohn über den Stand der Dinge zu informieren. Kunihiro war schon nach zwei Stunden aus dem OP gekommen und bereits wieder bei Bewusstsein. Sonst saß sie nur auf einen der Stühle und fummelte nervös an ihrem Ohrring herum. Soichi seinerseits schaute im Minutentakt auf die Uhr. Es machte ihn rasend nicht zu wissen, ob alles in Ordnung war. Jedes Mal wenn ein Arzt oder eine Schwester den Raum betrat, setzt sein Herz kurz aus. Aber Niemand konnte oder wollte ihnen eine Auskunft geben. „Es wird doch alles gut..., oder?“, unterbrach Sakura urplötzlich die Stille. Die Stimme der sonst so reservierten und kühlen Frau zitterte stark. Tränen schwammen in ihren dunklen Augen. Soichi sah sie erstaunt an. Seufzte dann tief. „Was ist das denn für eine Frage!? Ist doch klar!“, antwortete er  beinahe patzig. Sakura schniefte, nickte aber dann.

 

Tick Tack Tick Tack Tick Tack. Weitere zwei Stunden verstrichen. Soichi war dazu übergegangen unruhig im Raum auf und ab zu gehen. Er selbst hatte nicht die leiseste Ahnung wie lange eine solche Operation normalerweise dauerte. Er trat ans Fenster. Dunkelheit umhüllte die Klinik. Die Straßenbeleuchtung warf unruhige Schatten auf ihr Umfeld. Müde lehnte er seine verschwitzte Stirn an die kühle Fensterscheibe. „Wenn er stirbt…dann…“ Tatsumi ballte die Hände. Nein! Ausgeschlossen! Das durfte nicht geschehen! Nicht nachdem er ihn sagte, er liebe ihn. Es durfte doch nicht alles umsonst gewesen sein.

 

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Quietschend öffnete sich die Tür. Oberarzt Tonno trat ein. Sakura und Soichi erschraken, als sie die blutbesudelte Kleidung erblickten. Abgekämpft zog der Mediziner die OP-Haube vom Kopf. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. „Geschafft! Es war schwieriger als erwartet, aber er hat es überstanden! Die OP war ein Erfolg.“ Grinsend zeigte er das Victory-Zeichen. Sakura sank mit einem Laut der Erleichterung auf ihren Stuhl zurück. Auch Soichi spürte wie er weiche Knie bekam. „Da…Danke…“, flüsterte er heiser, bevor die Stimme versagte. Tonno winkte ab. „Das ist mein Job! Jedoch…noch ist nicht alles überstanden.“, meinte er ernst. „Der Genesungsprozess wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Es wird nicht leicht. Aber mit etwas Glück wird er wieder ganz der Alte.“ Tonno hüstelte. „Dazu aber später mehr. Sie sollten sich erst einmal beruhigen.“ Mit einem Schulterklopfen verabschiedete er sich fürs erste. „Ich…muss meinen Mann anrufen…und Kunihiro Bescheid sagen….Ich bin so froh!“ Frau Morinaga stand auf und kam auf den Studenten zu. Direkt vor ihm blieb sie stehen. „Ich kann Sie immer noch nicht leiden! Und finde es entsetzlich wie mein Sohn sein Leben wegwirft! Und trotz ich ein „egoistisches Miststück“ bin, liebe ich Tetsuhiro und will nur das Beste für ihn! Auch wenn er und Sie das anders sehen. Aber…ich…danke Ihnen, dass Sie für ihn da waren!“ Der Blonde starrte Sakura sprachlos an. Was sollte er davon halten? Die Frau wartete jedoch nicht auf eine Antwort, sondern floh aus den Raum. Der alleingelassene Soichi musste sich erst einmal hinsetzen, um alles zu verdauen. Es…war gutgegangen! Für Tetsuhiro bestand keine Lebensgefahr mehr! Er würde wieder gesund werden! Langsam realisierte er was das bedeutete. Die große Erleichterung schlug wie eine Welle über ihn zusammen. Der ganze Stress, die Sorgen, die Angst war vergessen. Soichi konnte nicht anders, er musste lachen. Das laute Gelächten war bis ins Erdgeschoss zu hören.

 

Ende Kapitel 27

Zwei Monate später

„So müsste es gehen…gut…Mal sehen…fehlt noch was??“ Angestrengt sah sich Soichi im Wohnzimmer um. Putzen gehörte wirklich nicht zu seinen Stärken! Den ganzen Tag wischte, fegte und wedelte er. In Morinaga´s Abwesenheit versiffte die Wohnung Stückchen für Stückchen mehr. Immer wieder schob er die lästige Aufgabe vor sich hin. Aber vor zwei Tagen begann Soichi nach und nach das bestehende Chaos zu beseitigen. Nun ja, er versuchte es jedenfalls. Nach einem letzten Kontrollgang  kam er zu dem Schluss, dass es nicht besser werden würde. Er war viel zu aufgeregt um sich auf das Raufräumen konzentrieren zu können, denn heute war ein besonderer Tag. Heute, zwei Monate nach der erfolgreichen Transplantation, würde er Tetsuhiro nach Hause holen. Anfangs bestand zwar die Gefahr, dass das Organ abgestoßen werden könnte, nach vier Wochen gaben die Ärzte jedoch zur Erleichterung aller Entwarnung. Es war kaum zu glauben, aber Sakura Morinaga blieb solange in der Stadt bis ihr Sohn über den Berg war. Anscheinend befand sich das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn auf dem aufsteigenden Ast. Kunihiro Morinaga war bereits nach drei Tagen wieder fit. Sein Bruder und er verbrachten viel Zeit miteinander. Das ein oder andere Mal war Soichi ernsthaft eifersüchtig als die beiden stundenlang quatschten. Insgesamt blieb Kunihiro noch eine Woche bevor er abreiste. Soichi freute sich für seinen Freund, dass sich die Beziehungen zu Mutter und Bruder verbesserte.

 

Eisige Temperaturen empfingen Soichi vor der Wohnungstür als er sich kurze Zeit später auf den Weg ins Krankenhaus machte. Es war Anfang Januar und klirrend kalt. Frierend zog er seinen Mantel enger um den Körper. Die Finger mit denen er die Tür abschloss zitterten leicht. Weniger vor Kälte, als vor Nervosität. Nach knapp fünf Monaten würden Tetsuhiro und er wieder zusammen sein. Nur sie beide allein…

 

**

 

Das glückliche Grinsen auf Tetsuhiro Morinaga´s Gesicht wurde mit jeder Minute, die verstrich breiter. Geschwind verstaute er die letzten Sachen in seiner Reisetasche. Er konnte es kaum erwarten zurück in den vertrauten vier Wänden zu sein. Und natürlich bei Soichi. Bei den Gedanken an die kommende Nacht kribbelte es angenehm im Magen. Sogar das schlechte Wetter konnte die Freude nicht bremsen. In den vergangenen Nächten fielen die Temperaturen erstmals unter – 20°C. Eine schöne Schlitterpartie stand ihm bevor. Mit einem surrenden Geräusch schloss sich der Reißverschluss der Tasche. „Fertig! Ab nach Hause!“, stieß Tetsuhiro erleichtert hervor. Einen kurzen Augenblick ließ er seine Augen durch das leere Zimmer schweifen. Nichts deutete mehr auf seine Anwesenheit hin. Die Entlassungspapiere waren unterschrieben, die nötigen Gespräche geführt. Es war soweit. Tetsuhiro war frei. Zeit zum Gehen. Der Herzschlag des Dunkelhaarigen beschleunigte sich. Die letzten Stunden, Tage, Wochen, Monate tanzten noch einmal vor seinem inneren Auge. Plötzlich brannte es verdächtig in den Augenwinkeln. Oh Weh! Er würde doch nicht anfangen zu heulen! Hastig fuhr er sich über die Augen und musste dabei über sich selbst lachen. Was war er nur für ein sentimentaler Dummkopf!

 

Das Knarren der Tür und eine vertraute Stimme beendeten den Nostalgieschub. „Grrrrrrr. Draußen ist es saukalt! Zieh dich bloß warm an!“ Ein verschneiter Soichi klopfte sich zähneklappernd weißen Puderschnee von den Schultern. „Und? Bist du startklar?“ Mit einem nervösen Lächeln auf den Lippen trat er auf Tetsuhiro zu. Der Jüngere blinzelte ihm grinsend entgegen. Wie niedlich sein FREUND aussah. Sein FESTER FREUND! Oh Gott! Das Verlangen ihn zu berühren, richtig zu berühren war auf einmal übermächtig. Es war eine Sache nachts davon zu träumen, aber eine ganz andere die Person in Fleisch und Blut vor sich stehen zu haben. Manchmal kam es ihm wie ein Traum vor aus dem er jeden Moment aufwachen könnte. „Wa…Nicht…ich bin ganz nass…“ Soichi wurde knallrot als Tetsuhiro ohne Vorwarnung die Arme um ihn schlang. Nein, Soichi war definitiv real. Er fühlte sich wunderbar warm und vertraut an. Genauso wie früher. „…Ich liebe dich…“, seufzte Tetsuhiro glücklich. Mit Genugtuung nahm er wahr wie Soichi sich langsam entspannte. „Na, Soichi-chan ich hoffe du bist jetzt ein bisschen aufgewärmt.“, flüsterte er seinem Senpai unschuldig zu. Sofort verfärbten sich dessen Ohren feuerrot. „Hör auf mich so zu nennen!“, beschwerte sich Soichi schmollend. Aber Tetsuhiro wusste, dass er es eigentlich gerne hörte. Ach, wie er es liebte den anderen zu ärgern.

 

„Endlich!“, stieß Morinaga  erleichtert hervor als sich die Klinikpforten hinter ihnen schlossen. Gierig sog er die frische Luft ein. Der kalte Wind fuhr ihm durch das schwarze Haar. Schnell begannen Arme und Beine taub zu werden. Trotzdem breitete sich in seinem Inneren eine wohlige Wärme aus. Was für ein schönes Gefühl sich den Wind um die Nase wehen zu lassen! „Na komm, lass uns nach Hause gehen…“, drängte Soichi, dessen Füße sich mittlerweile in Eisklumpen verwandelt hatten. Fröstelnd rieb er die klammen Hände aneinander und trat von einen Fuß auf den anderen. Der Schnee türmte sich bereits einen halben Meter hoch und der wolkenverhangene Himmel versprach neue Schneefälle. Wie aufs Stichwort segelten die ersten zaghaften Flocken herab. „Wenn dir so fürchterlich kalt ist, hättest du mich nicht abzuholen brauchen.“, kommentierte Tetsuhiro Soichi´s vergebliche Versuche der Kälte Einhalt zu gebieten. In letzter Sekunde verkniff er sich ein Lachen. Sanft nahm er die eiskalten Hände Soichi´s in seine eigenen. Dieser musste kräftig schlucken. „We…Wenn ich verspreche dich abzuholen, dann mach ich das auch!“ Hastig schüttelte er Tetsuhiro ab. „Und jetzt beweg dich!“, meckerte er und schnappte sich Morinaga´s Tasche. „Sen…Soichi! Warte doch!!“ Vorsichtig folgte er dem Blonden. Wie gedacht war der Boden an einigen Stellen gefährlich glatt. „Sei vorsichtig! Es ist verflucht gla…“, versuchte Tetsuhiro ihn noch zu warnen aber da war es schon zu spät. Soichi verlor den Halt auf dem vereisten Gehweg und ruderte wild mit den Armen. „Uuuuuaaaaaaaah!“ Um ein Haar wäre er gestürzt. Morinaga konnte gerade noch so verhindern, dass sein Senpai herunterpurzelte. „Hab dich, du kleiner Tollpatsch!“, lachte der Dunkelhaarige als er ihn auffing und konnte nicht wiederstehen seine Hände länger als nötig am Körper des anderen zu lassen. Obwohl sich mehrere Lagen Stoff zwischen ihnen befand, spürte er ganz deutlich den schnellen Herzschlag Soichi´s. Leider mussten sie sich viel zu schnell voneinander lösen, da der Wind lautes Gelächter zu ihnen trug. Anscheinend waren sie nicht die einzigen Waghalsigen, die einen kleinen Spaziergang wagten. „Hast du dir wehgetan?“, fragte Tetsuhiro Soichi, der plötzlich untypisch still geworden war. Liebevoll strich er dem Blonden über den Kopf und erntete als Antwort ein stummes Kopfschütteln, denn Soichi war viel zu sehr damit beschäftigt seinen Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Schmetterlinge in seinem Bauch flogen wilde Loopings, das Herz schlug wie ein Presslufthammer in der Brust. Warum mussten die Gefühle ihn so überrumpeln? „Wir…sollten gehen. E…Es wird langsam dunkel…“, meinte er mit belegter Stimme und vermied es Tetsuhiro ins Gesicht zu sehen. Denn dann würde sein Freund etwas ganz Bestimmtes in seinen Augen lesen können. „Du hast Recht…Warte, wir machen das zusammen.“ Sanft nahm Morinaga die Hand des Älteren, die immer noch fest die Tasche umklammert hielt. Die Berührung ließ Soichi erbeben. Hand in Hand machten sich die beiden Studenten auf den Weg nach Hause.   

 

„Ich glaub es nicht…Es…sieht tatsächlich alles noch genauso aus als wie vorher.“ Überwältig von dem Gefühl der Heimkehr sah sich Tetsuhiro in der kleinen Wohnung um. Sofort fühlte er sich sicher und geborgen. Es war als sei er nie weg gewesen. Glück. Pures Glück durchströmte ihn. Hier war sein Zuhause, sonst nirgends. Doch seine Freude erhielt einen kleinen Dämpfer. Wie sollte er sich Soichi gegenüber am besten verhalten? Zwar wurde er nicht direkt abgewiesen aber auf dem Heimweg war Soichi ungewöhnlich still gewesen. Nein, wenn er es nicht gewollt hätte, wäre dieser nicht so ruhig geblieben, oder? Verflixt! Warum war alles immer so kompliziert zwischen ihnen! Er hatte sich so auf einen schönen kuschligen Abend gefreut. Soichi Tatsumi war die wandelnde Versuchung für jemanden, der seit über fünf Monaten keinen Sex hatte! Wie sollte er vorgehen? Schließlich war Senpai sehr sensibel was das Thema betraf. Eigentlich war er total happy als Soichi ihn abholte und er konnte es kaum erwarten nach Hause zu kommen. Aber die zurückhaltende Art des anderen verunsicherte ihn dann doch sehr. Am besten ging er die Sache langsam an. Immerhin stand ihnen alle Zeit der Welt zur Verfügung. Seufzend öffnete er die Tür zu seinem Zimmer, das er fast ein halbes Jahr nicht betreten hatte. Auch hier schien alles unverändert. Nachlässig stellte er die Tasche neben das Bett. Ehrlich gesagt war Tetsuhiro ein bisschen überrascht wie sauber es in der Wohnung war. „Wie lieb…“ Sogar das Bett war frisch bezogen. Soichi musste sich mächtig ins Zeug gelegt haben um das alles so hinzubekommen. Tetsuhiro hatte sich ernsthafte Sorgen gemacht ob sein Freund allein klarkommen würde. Schließlich war alles was mit Haushalt zu tun hatte immer sein Gebiet gewesen. Aber wie es aussah war das völlig unnötig gewesen.

 

Soichi war nervös, sehr nervös. Die Stellen an denen Tetsuhiro ihn anfasste brannten wie Feuer. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Mann! Das war doch echt lächerlich! Er fühlte sich wie ein Teenager vor seinem ersten Date. Idiot! Idiot! Idiot! Diese kurze Umarmung vor der Klinik, sie hatte genügt um ihn beinahe um den Verstand zu bringen. Den ganzen Weg über ließ Tetsuhiro seine Hand nicht einen Moment los. Die Eiseskälte war vergessen und vor Herzklopfen brachte Soichi kein einziges Wort mehr heraus. Was Tetsuhiro jetzt wohl von ihm dachte? Hoffentlich war er nicht sauer. Wie aufs Stichwort erschien der andere in der Wohnzimmertür und Soichi fühlte sich wie auf frischer Tat ertappt. „Hier bist du.“ Tetsuhiro und schenkte ihm ein liebevolles Lächeln. Sofort legten die Schmetterlinge im Magen des Älteren eine aufregende Performance hin. „Du Senpai…“ Nun war es Morinaga, der ein wenig verlegen drein schaute. „…die Wohnung sieht toll aus…Danke für den schönen Empfang…Ich freu mich sehr…“, meinte der Dunkelhaarige. Die Worte trafen Tatsumi mitten ins Herz. „Das…ist doch…nichts…Besonderes…“ Hastig stand er vom Sofa auf. „Ich freu mich, dass…du…du wieder da bist…“, stotterte Soichi nervös. Verflucht! Er hatte ihm seine Liebe gestanden und jetzt sollte er es nicht schaffen zu sagen, dass er ihn bei sich haben wollte? „Also…Ich würde gern…könntest du mich…“, stammelte er und lief mal wieder tiefrot an. „Aber Soichi-chan…“, erlöste Tetsuhiro ihn aus der Misere. Und als hätte er die Gedanken des Blonden erraten, fand dieser sich in den Armen des Jüngeren wieder. „Soichi…ich mache alles was du willst…“, murmelte Morinaga an der Schulter des Älteren. Minutenlang standen sie engumschlungen da, sich lang und zärtlich küssend. Jeder Kuss kam einem verheißungsvollen Versprechen gleich.

 

**

 

Zwei Arme legten sich um ihn, pressten ihn noch enger an den schlanken Körper unter sich. Es war noch viel schöner als in seinen Träumen. Tief sog Tetsuhiro den herrlichen Duft, der ihn umgab ein. Jedes Mal, wenn Soichi´s Finger federleicht seine Haut berührten, versetzte es Tetsuhiro einen kleinen elektrischen Schlag. Es war berauschend ihm so nah zu sein. Auch Soichi war wie benebelt - die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Es war so intensiv wie noch nie. Sein gesamter Körper stand in Flammen, es war kaum auszuhalten. Trotzdem konnte er nicht anders tun, als die Hände in den schwarzen Haaren zu vergraben und ihn fester an sich zu ziehen. Ihre Lippen und Zungen verschmolzen, spielten miteinander, heizten sich gegenseitig an. „Du…kleines Biest…“, keuchte Tetsuhiro als ihm neckisch in die Lippe gebissen wurde. Er revanchierte sich indem er Soichi lüstern in die sensiblen Brustwarzen kniff. Dann rutschte er Stückchen für Stückchen am anderen hinunter. Schleckte, kitzelte und strich über die glatte Haut, bedeckte Millimeter für Millimeter mit hauchzarten Küssen. Soichi hatte die Augen geschossen stöhnte bei jeder Bewegung laut auf. Seine Finger krallten sich in das Bettlaken. Er bog sich seinem Partner entgegen. Schweiß glitzerte auf beiden Leibern. Obwohl wirklich eine lange Zeit vergangen war, nahmen sie sich Zeit. Ausgiebig erkundeten sie sich mit, lernten sich neu kennen. Es war einfach nur schön. Schön und richtig. Soichi zerschmolz regelrecht unter den Liebkosungen. Tetsuhiro war liebevoll und zärtlich. Er trieb ihn in ungeahnte Höhen, ließ ihn fliegen und fing ihn wieder auf. Die Ängste der Vergangenheit waren wie wegewischt. Zurück bleib nur die Gewissheit, dass sie zusammengehörten. Sie vereinten sich in einem Akt wilder Leidenschaft, hielte einander fest und bescherten sich ungeahnte Lust.  

 

Erschöpft, aber überglücklich lagen die beiden Männer in den frühen Morgenstunden dicht aneinander gekuschelt im Bett. Verträumt spielte Tetsuhiro mir den langen Haarsträhnen seines Geliebten. „Das…war…wunderschön. Aber…du Luder hast mich ganz schön drangenommen…“, meinte der Dunkelhaarige flachsend. Was ihm prompt einen schmerzhaften Rippenstoß seitens Soichi´s einbrachte. „Hör auf so was zu sagen. Das ist peinlich!“, brummte der Blonde verstimmt. Müde zog er die Decke dichter um sie. „Soichi-chan…nicht schmollen…“, schnurrte Tetsuhiro und schmiegte sich dich an seine Seite. „…Du warst doch sooo lieb zu mir…“, quengelte er. Grinsend nahm er erneut eine Haarsträhne und wickelte sie um einen Finger. Er liebte es nach dem Sex zu kuscheln. Es war genauso wie er sich ihre erste Nacht als richtiges Liebespaar vorgestellt hatte. Ausgelaugt schloss er die Augen. „Du…kannst du mich mal bitte kneifen?“, bat er unvermittelte seinen Freund. Es raschelte leise als Soichi sich zu ihm drehte. „Kneifen…warum das denn??“, fragte der Senpai verwirrt. „Na ja…“, druckste Tetsuhiro. „…damit ich weiß, dass ich…nicht träume…“, meinte er verlegen. Soichi rollte mit den Augen, konnte aber ein Lachen nicht verkneifen. „Du Kindskopf. Aber bitte…“ Mit zwei Fingern kniffe er leicht zu. „Siehst du, du träumst garantiert nicht.“, meinte er schlussendlich und legte sanft den Arm um Tetsuhiro.

 

**

 

Stunden später, genau genommen am frühen Nachmittag erwachte Soichi aus einem langen erholsamen Schlaf. Der Platz neben ihm war leer. Ein wenig enttäuscht streckte er die müden Glieder um wach zu werden. Erfrischt, ausgeruht und mit leerem Magen steuerte er eine halbe Stunde später die Küche, aus der ihm frischer Kaffeeduft entgegenwehte, an. „Guten Morgen! Oder sollte ich lieber guten Nachmittag sagen?“, begrüßte Tetsuhiro ihn mit einem fetten Lachen im Gesicht. „Du kommst gerade rechtzeitig zum Essen.“ Freundlich deutete er auf den reich gedeckten Tisch. Soichi´s Wangen nahmen einen warmen Rotton an, angesichts der Mühe, die sich der andere gemacht hatte. Dankbar nahm er Platz. Endlich mal wieder eine richtige Mahlzeit für seinen malträtierten Magen.  Zu guter Letzt nahm Soichi einen großen Schluck Kaffee. Wie gut das tat! Zufrieden lehnte er sich zurück. Die Welt verlief wieder in geordneten Bahnen. Alles war perfekt.  „Was guckst du denn so? Ist irgendwas?“, fragte er Morinaga, auf dessen Gesicht plötzlich eine bedrückte Miene breit machte. Morinaga begann imaginäre Kreise auf die Tischplatte zu malen. „Ach…es ist nichts…es wäre nur schön, wenn wir noch ein bisschen Zeit miteinander verbringen könnten. Du musst morgen zurück zur Uni…und ich sitze noch ein Woche zu Hause herum…“ Eigentlich wollte er gleich nach seiner Entlassung  das Studium wieder aufnehmen. Aber Soichi und Doktor Tonno bestanden darauf, dass er noch mindestens eine Woche krankgeschrieben wurde. Tatsumi runzelte die Stirn. „Übertreib es am Anfang nicht.“, mahnte er streng. „Außerdem solltest du dich nicht zu früh freuen. Es wartete eine Menge Arbeit! Du wirst dich noch nach der freien Zeit zurück sehnen!“, meckerte er in typischer Tatsumi-Manier. Setzte aber ein versöhnliches Gesicht auf als er die Enttäuschung des anderen sah. „Und na ja… ich geh erst übermorgen zur Uni…“, eröffnete er verlegen. Die Röte auf den Wangen wurde noch dunkler. Tetsuhiro sah in mit großen Augen an. Er wollte etwas sagen, aber sein Senpai hob beschwörend die Hand. „Mach nicht so ein Gewese darum. Das ist eine absolute Ausnahme! Die Uni geht ab sofort vor!“ Da er bei Nagiza unten durch war, musste der Student sich von nun an doppelt anstrengen. Sein letzter Ausraster brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Der „VIP-Status“ war verloren. Aber damit konnte er gut leben, solange er seinen Kohai wieder hatte.

 

Apropos Professor! Fast vergas Soichi eine sehr wichtige Sache. Schnell stand er auf und holte eine  Zeitung. „Schau dir das mal an. Vielleicht sollten wir es einrahmen.“ Grinsend reichte er Tetsuhiro das Blatt. Die Schlagzeile stach sofort ins Auge. „Universitätsprofessor festgenommen!! Staatsanwaltschaft ermittelt!!“, stand dort in großen schwarzen Lettern. Ein Bild zeigte Mitzuko, der von zwei Polizeibeamten abgeführt wurde. Ungläubig schaute der Kohai von der Zeitung zu Soichi. Ein diabolisches Grinsen zierte dessen Mund. „Das war´s wohl mit seiner Karriere! Bye bye, würde ich sagen!“ Die Verhaftung war das Topthema der Uni. Tja, hätte Mitzuko mal die Stadt verlassen so wie es Soichi  ihm vorgeschlagen hatte. Morinaga war sprachlos. Stumm starrte er auf die Zeitung. Mitleid empfand er nicht. Er hoffte inständig Mitzuko würde das erhalten, was er verdiente. Das Scharren eines Stuhles riss ihn aus den Gedanken. „So! Genug Trübsal geblasen!! Zieh dir was Ordentliches an, dann können wir los…“, kommandierte der Ältere. Perplex sah der Jüngere zu ihm auf. „Umziehen? Los? Wohin denn?“, fragte er neugierig. Die Antwort folgte in Form eines weißen Umschlags, den er Tetsuhiro reichte. „Meeresbiologische Institut Tokio“, las er verwirrt. Zwei Tickets steckten in dem Kuvert. „Aber…wie…ich dachte…“, stotterte Morinaga überwältigt. Es war die Ausstellung, die er sich hatte mit Soichi ansehen wollte, bevor das Chaos über ihn hineinbrach. „In einem halben Jahr gibt es viel zu entdecken! War nicht leicht, da ranzukommen…Also beeil dich!“ Wie immer war Soichi die Ungeduld in Person. Der Dunkelhaarige sprang von seinem Platz auf und fiel Soichi stürmisch um den Hals. „Danke, Soichi! Ich bin in einer Sekunde fertig!!“, rief er aus und war in Windeseile verschwunden.

 

Eine wunderschöne Winterlandschaft empfing die Liebenden. Gelassen spazierten Soichi und Tetsuhiro durch die verschneite Stadt. Es war immer noch empfindlich kalt, aber das störte keinen von beiden. Ohne, dass sie es merkten, fanden ihre Hände zu einander. Mit jedem Schritt verblasste die Vergangenheit mehr und mehr. Die Zukunft lag vor ihnen. Zusammen.

 

 

***Ende***

BONUS Alternatives Ende - Wir sehen uns nachher...

Tick Tack Tick Tack Tick Tack. Quälend langsam verging die Zeit. Sechs Stunden warteten Frau Morinaga und Soichi bereit im Warteraum. Sakura sprach während des gesamten Zeitraumes kein Wort. Kommentarlos duldete sie Soichi an ihrer Seite. Ab und zu verließ sie den Raum, um ihrem anderen Sohn über den Stand der Dinge zu informieren. Kunihiro war schon nach zwei Stunden aus dem OP gekommen und bereits wieder bei Bewusstsein. Sonst saß sie nur auf einen der Stühle und fummelte nervös an ihrem Ohrring herum. Soichi seinerseits schaute im Minutentakt auf die Uhr. Es machte ihn rasend nicht zu wissen, ob alles in Ordnung war. Jedes Mal wenn ein Arzt oder eine Schwester den Raum betrat, setzt sein Herz kurz aus. Aber Niemand konnte oder wollte ihnen eine Auskunft geben. „Es wird doch alles gut..., oder?“, unterbrach Sakura urplötzlich die Stille. Die Stimme der sonst so reservierten und kühlen Frau zitterte stark. Tränen schwammen in ihren dunklen Augen. Soichi sah sie erstaunt an. Seufzte dann tief. „Was ist das denn für eine Frage!? Ist doch klar!“, antwortete er beinahe patzig. Sakura schniefte, nickte aber dann.
 

Tick Tack Tick Tack Tick Tack. Weitere zwei Stunden verstrichen. Soichi war dazu übergegangen unruhig im Raum auf und ab zu gehen. Er selbst hatte nicht die leiseste Ahnung wie lange eine solche Operation normalerweise dauerte. Er trat ans Fenster. Dunkelheit umhüllte die Klinik. Die Straßenbeleuchtung warf unruhige Schatten auf ihr Umfeld. Müde lehnte er seine verschwitzte Stirn an die kühle Fensterscheibe. „Wenn er stirbt…dann…“ Tatsumi ballte die Hände. Nein! Ausgeschlossen! Das durfte nicht geschehen! Nicht nachdem er ihn sagte, er liebe ihn. Es durfte doch nicht alles umsonst gewesen sein.
 

Quietschend öffnete sich die Tür. Oberarzt Tonno trat ein. Sakura und Soichi erschraken, als sie die blutbesudelte Kleidung erblickten. Abgekämpft zog der Mediziner die OP-Haube vom Kopf. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Innerlich seufzte der Mann gequält auf. Für das nun Folgende würde er nie die richtigen Worte finden, würden sie doch in keinster Weise das Leid der Angehörigen lindern. In diesen Momenten hasste der Mediziner seinen Job! „Es…tut mir sehr leid…Aber es traten Komplikationen auf…Der Blutverlust war zu groß…wir konnten nichts mehr machen…“ Traurig schüttelte Tonno den Kopf. Sakura Morinaga trat auf ihn zu. Ihr Gesicht war schneeweiß. „…Doktor…was sagen…Sie? Das kann…nicht sein!! Sie…Sie müssen sich irren!“ Der Oberarzt legte ihr mitfühlend die Hand auf die Schulter. „Es tut mir leid…Ihr Sohn Tetsuhiro…ist um 22: 46 Uhr verstorben…“
 

Soichi stand reglos da und starrte wie hypnotisiert auf die blutverschmierte OP-Kleidung. Im Schein der Deckenleuchten glänzte das Blut beinahe schwarz. Blut, so viel Blut. Tetsuhiros Blut. Er war unfähig sich zu rühren. Nur am Rande nahm Soichi wahr, wie Sakura Morinaga in den Armen des Arztes zusammenbrach. „Er…ist…tot..?“, schluchzte sie unter Tränen. Alles was Soichi wahrnahm, war ein lautes Rauschen. Das konnte doch nur ein böser Traum sein! Schnell schloss er die Augen. Ja, genau! Wenn er sie wieder öffnete, würde alles wieder gut sein. Doch nichts wurde wieder gut. Als er die schmerzhaft zugekniffenen Augen aufschlug, war alles wie gehabt. Sakura kauerte auf einem Stuhl, das Gesicht in den Händen vergraben. Ihr ganzer Körper zitterte unter den heftigen Weinkrämpfen. Tonno stand neben ihr, die Hand noch auf ihrer Schulter ruhend. Die grausame Wahrheit fuhr wie ein Blitz in ihn. Es war kein Traum, es war die nackte unbarmherzige Realität. Eine Kälte, die tief aus seinem Inneren zu kommen schien, hüllte Soichi ein. Die Welt um ihn herum verlor alle Farbe, wurde grau und leblos. Plötzlich verschwamm alles um den Studenten. Tränen liefen Soichi über das Gesicht, aber er rührte keinen Finger, um sie wegzuwischen. Unsicher stolperte einige Schritte in Richtung Tür. Die Wände des Warteraums schienen auf ihn zuzukommen. Soichi musste raus, egal wohin, nur raus.
 

Außerhalb des Zimmers schien die Welt ihren gewohnten Gang zu nehmen. Unverständlich, würde sie doch nie wieder die gleiche sein! Blind vor Tränen bahnte Soichi sich seinen Weg durch das Krankenhaus. Seine Umwelt nahm kaum war. Die Hintergrundgeräusche vermischten sich zu einem monotonen Rauschen. Er hatte kein klares Ziel, setzte einen Fuß vor den anderen. Doch irgendwann gaben die Füße unter ihm nach. Schluchzend sank er auf die Knie. Es dauert nicht lange, dass er von einer besorgten Schwester angesprochen wurde. „Verzeihung…kann ich Ihnen helfen?“ Soichi schüttelte nur den Kopf. Niemand konnte ihm jetzt noch helfen. Hinter ihnen erschallte die tiefe Stimme. Tonno war Tatsumi, nachdem er Sakura Morinaga in die Obhut einer Schwester gab, gefolgt. Die untypische Passivität des jungen Mannes beunruhigte den Mediziner. „Schon gut Schwester! Ich übernehme!“, sagte er und half Soichi auf die Beine. Widerstandslos ließ der Student sich in ein unbelegtes Zimmer führen. „Kommen Sie mein Junge. Das ist der Schock. Setzen Sie sich…“ Mit sanftem Druck schob er Soichi in Richtung des Bettes. Aber der Blonde mobilisierte die letzten Kraftreserven, mit erstaunlicher Kraft krallte er sich in die Kleidung des Mannes. „Sie lügen doch!! Tetsuhiro kann nicht tot sein!“, brüllte er heiser. Sich haltsuchend an Tonno klammernd öffnete Tatsumi den Mund, um seiner Wut und Verzweiflung freien Lauf zu lassen, aber nur ein lautes Schluchzen brach aus ihm heraus. Von Krämpfen geschüttelt wimmerte er beinahe lautlos: „Das…ist…nicht…lustig…Tet…su…hiro…es…tut…mir…leid...Du…du…darfst…nicht…tot…sein…nein…nein!“
 

***
 

„Soichi…es wird langsam Zeit…“ Kanako schaute hilflos in das dunkle Zimmer. Nur schemenhaft erkannte sie die Gestalt ihres Bruders. Seit mehreren Tagen verkroch sich Soichi bereits. Die Sorge wurde mit jedem Tag größer, doch in das Zimmer hinein traute sie sich nicht. Beim ersten und letzten Mal vor zwei Tagen, als sie ihn zum Aufstehen bewegen wollte, warf er sie hochkant hinaus. Weil sie nicht schnell genug weg kam, schmiss er sogar ein Buch nach ihr. Soichi wollte weder essen, noch mit irgendjemanden sprechen. Ihr Bruder lag einfach nur in der Dunkelheit und starrte an die Decke. Ihr tat es weh ihn so leiden zu sehen, auch sie trauerte sehr um Morinaga, der praktisch ein dritter Bruder für sie gewesen war. Also beschloss Kanako ihn lieber in Ruhe zu lassen. Aber heute musste Soichi sich zusammenreißen. Denn heute fünf Tage nach seinem überraschenden Tod wurde Tetsuhiro auf dem Zentralfriedhof beerdigt. „…Kanako…lass mich in Ruhe…ich geh nicht hin…“, ertönte eine matte Stimme. Das Mädchen seufzte. „Aber Bruder…das kannst du doch nicht machen…“, versuchte sie ihn zu überreden. Als keine Antwort kam ging das Mädchen doch noch einen Schritt in den Raum hinein. „Soichi! Bitte, du musst mitkommen!! Morinaga war doch dein bester Freund!! Du kannst nicht einfach…“, redete sie ihm ins Gewissen. Sie hörte ein leises Rascheln, als Soichi sich im Bett bewegte. Kurz dachte sie, ihre Worte hätten ihn erreicht. Aber ein zorniges „Verschwinde!! Raus!!“, ließ sie zurückzucken. Mit hängenden Schultern zog sie leise die Tür zu und ging zurück ins Wohnzimmer, in dem Frau Matsuda auf sie wartete. Ein fragender Ausdruck trat auf das Gesicht der älteren Frau. „Wo ist Soichi?“ Kanako schüttelte resignierend den Kopf. „Er weigert sich hinzugehen. Er ist…so ein Sturkopf!! Morinaga…hätte bestimmt gewollt…das…er kommt…“ Ihre Stimme brach, Tränen kullerten hinab. Frau Matsuda nahm sie in den Arm. „Nicht weinen Kanako-chan.“ Aufmunternd strich sie dem Teenager übers Haar. Kanako sah dankbar zu ihr auf. „Vielleicht sollte ich doch noch mal mit ihm reden?“, schlug sie vor und sah über ihre Schulter Richtung Flur. Frau Matsuda schüttelte leicht den Kopf. „Dein Bruder brauch noch etwas Zeit, Kanako. Lass uns vorgehen, er kommt bestimmt gleich.“, versicherte sie dem jungen Mädchen zuversichtlich. Doch hinter dem Lächeln verbarg sich große Unsicherheit. Frau Matsuda war sich überhaupt nicht sicher, ob Soichi überhaupt kommen würde.
 

Gedämpft hörte Soichi Tatsumi wie die Haustür ins Schloss fiel. Gleichgültig starrte er an die Zimmerdecke und sah nichts als ein großes schwarzes Loch, welches ihn zu verschlingen drohte. Seit fünf Tagen hatte er kaum geschlafen und wenn doch sah er immer Tetsuhiro vor sich. Ihre letzte Begegnung, die wenigen Worte, die sie miteinander sprachen. Tetsuhiro´s Augen, die ihn glücklich anstrahlten, als er ihm sagte er liebe ihn. Soichi wünschte, er könne die Zeit zurückdrehen. Alles ungeschehen machen, sein altes Leben wieder haben. Tetsuhiro wieder bei sich haben. Aber das war unmöglich. Tetsuhiro Morinaga, sein Kohai, Freund und Geliebter war tot. Verblutet auf einem kalten OP-Tisch. Morinaga würde nie wieder in die gemeinsame Wohnung zurückkehren, nie wieder die Uni betreten und ihn nie wieder lieben. Wie grausam das Schicksal doch war! Jetzt da Soichi zu seinen Gefühlen stand, wurde ihm der wichtigste Mensch auf der Welt genommen. Warum hörte er nicht früher auf sein Herz, das doch schon von Anfang an wusste, dass sie zusammengehörten? Es war unerträglich! Soichi glaubte den Verstand zu verlieren. Ein dumpfer ziehender Schmerz war sein Dauerbegleiter geworden. Er hatte keine Kraft mehr irgendwas zu tun, wollte einfach nur alleine sein, seine Ruhe haben. Kanako tat ihr Bestes, um Soichi aus seiner Lethargie herauszuholen. Sie wich nicht von seiner Seite, obwohl auch ihr die Trauer ins Gesicht geschrieben stand. Sie übernachtete sogar in der Wohnung, aus Angst ihren Bruder allein zu lassen. Aber dieser ließ niemanden an sich ran.
 

Mit brennenden Augen sah Soichi wie die Zahlen auf dem Digitalwecker auf 14:00 Uhr sprangen. In einer halben Stunde würde die Trauerfeier stattfinden. Entgegen aller Befürchtungen hatten die Morinagas beschlossen ihren Sohn auf den hiesigen Friedhof beerdigen zu lassen. Nach der Trauerfeier würden die sterblichen Überreste des Verstorbenen auf dem Friedhof beigesetzt. Soichi hatte seine Worte ernst gemeint. Er würde nicht gehen, wollte nicht Abschied zu nehmen. Denn Abschied nehmen hieß, dass er weitermachen musste. Allein, ohne Morinaga. Und dazu war er nicht bereit. Er klammerte sich an die verrückte Idee, alles sei nur ein dummer Fehler, Tetsuhiro könnte jeden Moment durch die Tür spaziert kommen und seinen Senpai schelten, weil dieser den ganzen Tag im Bett lag. „Lasst mich doch einfach alle in Ruhe!“, murmelte der junge Mann in die Dunkelheit hinein. Das Handy auf dem Nachtisch klingelte bereits einigen Minuten lang. Genervt schlug er die Decke über den Kopf. Doch er hatte das Gefühl, das Klingeln würde noch lauter werden. Nach langer Zeit trat Stille ein. Doch keine zehn Sekunden später dudelte es erneut. Dieses Mal jedoch ignorierte Soichi es nicht. Mit einem Schlag saß er aufrecht im Bett. Sein Herzschlag verdoppelte sich kurz, als er den veränderten Klingelton wahrnahm. Jemand rief auf Tetsuhiro´s Handy, das auf seinem Nachttisch lag, an. Es versetzte ihn einen schmerzhaften Stich. Zitternd griff er nach dem Telefon. Schweißnass waren seine Finger, als er den Anruf entgegennahm.
 

„Was willst du? Verschwinde!“, wütend funkelte Soichi die Person, die vor der Haustür stand, an. Taro Tomoya hob erstaunt die Augenbrauen an, den Aufzug seines Gegenübers betrachtend. Äußerlich ruhig, aber innerlich erschrocken über die Verfassung Tatsumis trat er unaufgefordert in die Wohnung. „Blöde Frage! Dich abholen. Auf den Weg traf ich deine Schwester. Sie meinte du kommst etwas später. Und nett wie ich bin, dachte ich, gehe ich dir doch entgegen.“ Lässig lehnte er sich an eine Wand. Soichi drehte sich zu ihm um. Fordernd streckte er die Hand aus. „Ich geh nicht hin. Handy her und raus!“, antwortet er knapp. Taro glaubte etwas mit seinen Ohren zu haben. Er runzelte die Stirn. Ein riesengroßes Fragezeichen erschien auf seinem Gesicht. „Hä?? Warum das denn??“ Tomoya konnte nicht glauben was er da hörte. Das musste ein Irrtum sein! Aber das versteinerte Gesicht Soichi´s sagte ihm, dass dieser es ernst meinte. „Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig und jetzt raus!“ Der Blonde trat einen Schritt zur Seite, um die Tür frei zu machen. Tomoya dachte nicht im Traum daran ohne Soichi zu gehen. Nachdenklich sah er zu dem anderen, der starr auf den Boden blickte. Eigentlich konnte er dieses Großmaul nicht leiden. Nur Tetsuhiro zu Liebe war ihr Waffenstillstand zu Stande gekommen. Eigentlich bestand kein Grund für den Rocker hier zu sein. Taro aber glaubte, dass er es Tetsuhiro schuldig war. Und irgendwie saßen sie alle in einen Boot, oder? Tomoya seufzte. „Weil…es dann Realität wird, nicht?“, beantwortete er seine eigene Frage. Tatsumis Kopf schnellte hoch. In den braunen Augen des Studenten sah er, dass er ins Schwarze getroffen hatte. „Glaubst du wirklich, dass du der Einzige bist, dem es dreckig geht? Tetsu…ich kapier doch selbst noch nicht, dass er nicht mehr das ist…Aber das Leben geht weiter, so schwer es auch ist! Er hätte bestimmt nicht gewollt, dass du dich gehen lässt…Und jetzt zieh dir was Ordentliches an, damit wir los können!!“
 

Die Trauerfeier hatte zum Glück noch nicht begonnen, als Soichi und Taro dort ankamen. „Oha! Hier ist aber viel los. Die Alten sind bestimmt sauer!“, scherzte Tomoya mit einen Seitenblick auf seinen Begleiter. Dieser verzog keine Miene beim Anblick der vielen Trauergäste. Die Räumlichkeiten platzten fast aus allen Nähten. Neben der Familie waren unzählige Freunde und sogar der ein oder andere Professor anwesend. Ein paar der Gesichter kannte Soichi. Da waren Makoto, Hiroto und andere Kommilitonen, die er vom Sehen kannte. Die meisten anderen waren aber unbekannt. Das überraschte den Senpai nicht. Tetsuhiro war ein sehr sozialer Mensch mit vielen Freunden gewesen. Langsam bewegte Soichi sich durch die Menge. Die Blicke der anderen brannten auf seiner Haut. Hier und da wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt. Soichi war es egal. Sollte sie doch reden wie es ihnen beliebte. „Soichi! Da bist du ja!“ Erleichtert kam seine Schwester auf ihn zu. Auch Frau Matsuda war froh ihn zu sehen. Zur Begrüßung tätschelte sie seinen Arm. „Ich habe noch auf dich gewartet.“, sagte Kanako und zog ihren Bruder zum Altar, wo man dem Brauch entsprechend eine Kerze zu Ehren des Toten anzünden und ein stilles Gebet sprechen konnte. Der Körper des Toten war bereits einen Tag nach dessen Ableben in engsten Familienkreis eingeäschert worden. Soichi war es nicht einmal vergönnt gewesen, seinen Freund noch ein letztes Mal zusehen. Neben einem gerahmten Foto stand die Urne mit der Asche Tetsuhiro´s. Eine große Menge Kerzen flackerte darum. Mehr und mehr kamen dazu. Viele der Menschen, die vor dem Altar verharrten hatten Tränen in den Augen. Eine junge Frau musste sogar von einer Freundin gestützt werden. Soichi Hals schnürte sich zu, als er auf das Foto sah. Der gelbe Schein der Kerzen spiegelte sich auf der glatten Oberfläche wieder. Das Bild zeigte Tetsuhiro Morinaga wie er war. Fröhlich mit einem Lachen im Gesicht. Neben sich hörte er Kanako schniefen, während das Mädchen eine Kerze anzündete. Tatsumi aber konnte keinen Muskel rühren. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Plötzlich konnte er sich selbst sehen, wie er einem Häufchen Elend gleich vor dem Traueraltar stand. Der schwarze Anzug schlapperte um seinen Körper, das lange Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Eine erbärmlich jämmerliche Gestalt, die das Unausweichliche nicht akzeptieren konnte. Tränen brannten hinter den Lidern. Energisch wischte Soichi sie weg und schaffte es dann doch noch eine Kerze anzuzünden. Taumelnd machte er den nächsten Platz. Er hätte sich nicht überreden lassen sollen! Am liebsten würde er verschwinden. Aber das war jetzt unmöglich. In unmittelbarer Nähe entdeckte er die Morinagas, die die Beileidsbekundungen der Gäste entgegen nahmen. Sakura Morinaga musste von ihren ältesten Sohn gestützt werden. Morinaga Senior blickte starr geradeaus. Sein Gesicht gab nichts von seinen Gefühlen preis. Ja, man könnte meinen der Mann wäre lieber woanders, nur nicht hier.
 

Später begaben sich alle Anwesenden auf den Friedhof. Die Stimmung war bedrückt. Niemand sprach ein Wort. Unter ihren Füßen knisterte das Laub. Ein kalter Herbstwind wehte und der Horizont färbte sich langsam rot. Tetsuhiro´s letzte Ruhestätte befand sich im südlichen Teil des Geländes. Alles in allen war es ein schöner Ort. Sonnig mit viel Grün und Blumen. In einer feierlichen Zeremonie wurde die Urne der Erde übergeben. Noch mehr Tränen flossen. Kanako vergrub ihr Gesicht an Soichi Brust. Er legte einen Arm um sie und hielt sie fest. Aber um ehrlich zu sein hielt er sich vielmehr an seiner kleinen Schwester fest. Viele taten es ihr gleich. Hiroto, Morinaga´s bester Freund, heulte laut auf. „Mein armes Engelchen!! Warum nur!“ Eigentlich war das der Zeitpunkt wo die Familie, meist das Familienoberhaupt einige Worte an die Trauergemeinde richtete. Aber weder Yuuto, noch Sakura unternahmen dergleichen. Bevor eine peinliche Stille eintreten konnte, trat Hiroto, der sich einigermaßen wieder eingekriegt hatte, vor. Zwei Mal musste der junge Mann zum Sprechen ansetzen. „Also…ich…Engelchen war…ich meine Tetsuhiro war…“ Aufmerksam hörten alle der kleinen Ansprache zu. Hiroto schaffte es sogar hier und da die Zuhörer zum Lachen zu bringen, indem er einigen lustige Begebenheiten aus dem Leben Morinaga´s zum Besten gab. „…er ist jetzt an einem besseren Ort…und lacht sich bestimmt schlapp, weil wir hier wie die Trauerweiden stehen und unsere Frisuren ruinieren…“
 

Nach und nach löste sich die Trauergesellschaft auf. Hiroto lud noch alle auf einen Drink in seine Bar ein. Zum Schluss waren Soichi und Taro die letzten am Grab. Frau Matsuda war kurz zuvor mit Kanako vorgegangen. „Ich schätze es hätte Tetsu hier gefallen. Ist doch ganz hübsch hier…“, versuchte der Rocker ein Gespräch in Gang zu bringen. Keine Antwort. Fröstelnd zog Taro die Schultern hoch. Der Anzug, den er trug war nicht gerade warm und es begann leicht zu regnen. „Geht schon mal vor…Ich brauche noch einen Moment….“, meinte Soichi dann leise, weiterhin auf das frisch aufgeschüttete Grab starrend.
 

Kaum war Soichi allein, war es mit der Beherrschung der letzten Stunden vorbei. Kraftlos sank er auf die Knie. „Tetsuhiro…was soll ohne dich machen? Wie…soll es…weitergehen…?“ Heiß liefen die salzigen Tränen über die Wangen, tropften hinab und sickerten in den Boden. „Du…du…verdammter Idiot!! Warum! Warum lässt du mich wieder allein!!“, schrie er aus Leibeskräften gegen den Wind. Kalt klatschte Regen in sein Gesicht und vermischte sich mit Tränen. Plötzlich wurde Soichi Tatsumi ganz ruhig. Zitternd stand er auf. Ein letztes Mal warf er einen Blick auf das Grab. Als er sich abwandte hörten nur die Grillen im Gras seine Worte.
 

„Tetsuhiro…wir sehen uns nachher…“
 

*Ende Alternativ*



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Von: abgemeldet
2014-03-16T15:24:59+00:00 16.03.2014 16:24
Ich finde das Ende irgendwie besser xD
Ich selbst bin auch ein kleiner pessimist, daher hört sich das "wir sehen uns später" für mich an, als würde Soichi Tetsu nachgehen wollen, da er ohne ihm nicht klar kommt...
Dann währen beide frei, für immer zsm, befreit von jeglicher last und jedem Schmerz~ :3

Antwort von: abgemeldet
16.03.2014 17:18
Hey ;D
Ich bin ja auch ein kleiner Fan vom "Bad-End"
Aber da es sozusagen zwei Enden gibt, ist für jedem was dabei ;)
Supi, dass dir die Story gefallen hat ;DDD
Von:  Hatchiko
2013-08-09T22:38:31+00:00 10.08.2013 00:38
Original ist besser º^º ich konnte das hier kaum lesen ich hab mir die ganze zeit gesagt: dieses Ende ist eine Lüge, dieses Ende ist eine Lüge!
Ich war sie die ganze zeit beschäftigt die Tränen zurück zu halten!
Ich vergesse das hier schnell. . Lalalallalalalalalalala diebbeiden sind lebendig und haben ganz viel sex lalalalalala
Antwort von: abgemeldet
10.08.2013 00:44
Tz, tz... Wer nicht hören will, muss fühlen...;)Habe nicht umsonst die kleine Anmerkung am Anfang des Kapitels gemacht *grins* Wie auch immer...NATÜRLICH sind die beiden quicklebendig und haben für den Rest ihres Lebens ganz viel Spaß (frei nach dem Motto: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann vögeln sie noch heute...)
Antwort von:  Hatchiko
10.08.2013 16:01
hahaha xDD Motto gefällt mir xD!
Von:  Hatchiko
2013-08-09T22:21:04+00:00 10.08.2013 00:21
Ein wunderschönes wunderschönes wunderschönes Kapitel! !!!! Ich liebe es*0* ( und konnte es ENDLICH lesen!!)
Haaaach ich liebe es so sehr! !!!! Hast du toll gemacht! Das ende mit den Karten die die beiden am Anfang hatten find ich besonders schön! :)
Antwort von: abgemeldet
10.08.2013 00:30
Danke! Danke! Danke! ;D
Das mit den Karten dachte ich mir, ist ein guter Bezug auf den Anfang der Story.
Hach, bin ich ja froh, dass dir das Ende gefallen hat ;3
Schraube schon an einer neuen Idee ;DDD
Antwort von:  Hatchiko
10.08.2013 16:03
Immer her mit neuen geshcichten! du informierst mich sofort wenns was neues gibt ja?? xDD
Und das mit den karten ist echt toll! die geshcichte ist ziehnlich lang und als du das geschrieben hast hab ich mich an den anfang erinnert wie das alles erst begonnen hatte .. das hatte ich schon vergessen xD
ist ehct ein tolles ende xD
Antwort von: abgemeldet
10.08.2013 22:14
Natürlich werde ich euch auf dem Laufenden halten ;3
Hach, mein Kopf ist voller Ideen...nur das aufs Papier bringen, na ja...
Von:  KuroMikan
2013-08-06T15:34:36+00:00 06.08.2013 17:34
oh mein gott... das is soooo süüß <3
jetz sind sie endlich zusammen *.*
die ff war der totale wahnsinn!!!
werd sie weiter empfehlen ;)

lg Mikan
Antwort von: abgemeldet
06.08.2013 20:07
Vielen Dank für die lieben Worte :3
Ende gut, alles gut XXD
Von:  MTL-neko
2013-08-05T07:30:06+00:00 05.08.2013 09:30
also mir persönlich gefällt das original auch besser weil die zwei endlich als paar ihr zukunft planen können...
aber eine Alternative zuschaft ist auch nciht schlecht..
besonderes weil man jaa nie weis wie was passiert wäre wenn man das oder das andere gemacht hätte......
>^~^<

Antwort von: abgemeldet
05.08.2013 14:47
Schön, dass es dir gefällt ;D
Wie gesagt, entstand aus einer Laune heraus...
Aber in solchen Fällen gibt es ja immer zwei Seiten.
Von:  Maire
2013-08-04T09:53:03+00:00 04.08.2013 11:53
Yeah ^^ sie haben es geschafft, endlich glücklich vereint.
ich freue mich jetzt schon auf deine neuen geschichten^^ bzw auf die die du weiter schreibst=D
sehr schön gemacht
Antwort von: abgemeldet
04.08.2013 14:32
Sie mussten einfach zusammen kommen!! Ach, die beiden sind so süßßßß!
Vielen Dank für dein Kommentar!! Schreibe blad weiter, bin jetzt erst so richtig warm geworden ;)
Von:  kokuchou
2013-08-04T08:58:29+00:00 04.08.2013 10:58
Die Idee mit dem Bonus-Kapi ist auch toll ^^
Schrecklich dass Tetsu dabei gestorben ist, aber dass kann ja auch passieren... (> o <)
Schön geschrieben, wenn auch sehr traurig, aber es passt :)
Vlg ruha
Von:  kokuchou
2013-08-04T08:49:12+00:00 04.08.2013 10:49
Das war ein tolles Ende
Fast schon Schade dass es zu Ende ist, aber so sollte es immer ausgehen :)
Ich freu mich drauf mehr von dir zu lesen
Super FF die du hier geschrieben hast ^^

Vlg ruha
Antwort von: abgemeldet
04.08.2013 14:29
Happy End, schön oder?
Alles Gute hat mal ein Ende...seufz...
Aber, ich überlege schon wieder auf eine neue Story ;D Mal sehen...
Auf jeden Fall schön, dass dir die Story gut gefallen hat! Bis dann!!
Antwort von:  kokuchou
04.08.2013 14:44
ich würd mich freuen wenn du bescheid sagst sobald du es on stellst **
Antwort von: abgemeldet
04.08.2013 14:47
Mach ich doch glatt ;D
Könnte schneller passiere als gedacht...
Antwort von:  kokuchou
04.08.2013 14:50
ich freu mich drauf :3
Von:  MTL-neko
2013-08-04T06:54:07+00:00 04.08.2013 08:54
Hyyyy...ich habe es zwar ncoh cniht durch gelesen aber ich weis jetzt schon das es klasse ist..
fast schon schade das es vorbei ist...
aber eine gute Story sollte immer so vorbei sein....^^
Ich hoffe das cih wiedermal was von dir lesen darf...

Antwort von: abgemeldet
04.08.2013 14:20
Hey :3
Vielen Dank für das Kompliment!!
Ja, bin auch ein bisschen traurig, dass es vorbei ist...*schnief*
Aber ich glaube alles sind mit dem Happy End zufrieden :P
Wenn mir eine zündende Idee kommt schreibe weiter!!
Von:  kokuchou
2013-07-31T19:28:38+00:00 31.07.2013 21:28
Endlich! *lach*
Es hat gedauert, aber er hat es geschafft, seine Liebe zu gestehen :D
Und Tetsu hat die OP geschafft... ein paar gute Augenblicke, würd ich sagen
Ich freu mich auf das nächste Kapitel ^--^
vlg ruha


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