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Die Zauberin und die Macht der Sterne

Die Abenteuer der Zauberin Freya, erste Staffel
von

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Freya in: (1) Für die Königin, für Rondra!

Irgendwo in der Nähe der Stadt fanden Freya und Carro ein Lager. Die Sterne leuchteten klar auf sie herab, das Feuer brannte und leuchtete nicht unähnlich den fernen Lichtern am Horizont und es wurde kühl. Beide saßen sie am Lager und ließen die Zeit vergehen. „Möchtest du nicht eine Geschichte erzählen?“, fragte Rufus plötzlich die Zauberin. „So ganz plötzlich? Was denn für eine? Möchtest du nicht?“ – „Nein, ohne Dey auf dem Schoß kann ich nicht recht erzählen“, antwortete der Krieger lachend. Der Schwarze Peter wanderte also nicht weiter und es wurde ruhig, während Freya überlegte. „Gut“, sagte sie dann, „habe ich dir eigentlich schon einmal erzählt, dass ich in Kurkum war?“ Der Krieger schüttelte sein Haupt in der künstlichen Pause, in der Freya noch einmal für sich die beste Sitzposition suchte. Dann konnte es losgehen.

„Wie du weißt, war ich dreizehn, als meine Familie Kuslik verlassen musste, und ich kam erst mit fünfzehn fest in Andergast an – dazwischen liegen zwei Jahre, die ich zumeist in Albernia verbrachte, doch während der Vater oft herumreiste, um an den weit getrennten Höfen unseres Hauses doch irgendwo einen Fuß in die Tür zu bekommen. Eine Reise nach Aranien stand an, als eine Schwester der Frau meines Onkels, die damals gerade der Hesindekirche von innen näher kam, zu mir kam: Sie sei bei ihren Recherchen über etwas gestolpert, nämlich in einem Buch der Schlange über die Lage von Kurkum. Du kennst die Geschichte darum?“

Die Frage war vor einem Krieger rhetorisch, also fuhr Freya ohne Antwort fort. „Kurkum ist die Hauptburg der Amazonenkriegerinnen, Sitz deren Königin – damals noch Yppolita –, und von ihrer Lage her eher unbekannt; sie soll in den Beilunker Bergen liegen, doch man könne sich leicht verirren, wenn man nicht genau wissen, wohin man will. Nun, sie hatte eine Karte, kam aber nicht weg und deshalb…“ Die Zauberin lachte. „… machte sie mir eine Freude. Ich war damals noch ein Kind, ganz ohne Magie, und doch… ich war in der Gegend, mein Vater war beschäftigt, also ging ich der Spur einfach nach. Ich packte mir einen Rucksack, wie man es sich doch so erzählt, nahm mir etwas Geld und schnappte mir einen Dolch, der mich vor allem beschützen sollte, was da kam. Ich stahl mich davon, brauchte zwei Tage, um das Dörfchen Shamaham zu erreichen, fand den passenden Pfad, der mich durch die Wälder und Berge brachte und hatte am Ende des vierten Tages schon das Gefühl, ein großes Abenteuer vollbracht zu haben. Ich irrte jedoch, denn als ich die Burg vor mir sah mit ihrem Graben, ihren Türmen und ihren haushohen Mauern, da ging es erst richtig los.
 

Der Weg in die Burg

Es war alles so aufregend und für mich so ungewohnt, dass ich ohne es zu merken voranstürmte und mich gar nicht angesprochen fühlte, als eine Stimme erklang. ‚Heda, Rondra zum Gruße, was willst du hier?’ Ich blickte schließlich auf und sah eine blonde Frau über dem Tor mit gegossenem Panzer und großen Helm und ich dachte nur: Mann, die gibt es ja auch in echt. ‚Rondra zum Gruße’, stotterte ich schließlich. ‚Firlina bin ich und ich möchte die Königin treffen.’ Die Kriegerin blickt mich lange an und sagt dann kalt: ‚Die Königin empfängt in diesen schweren Zeiten keine unangemeldeten Besuche. Ich werde ihr deinen Gruß ausrichten, doch mehr kann ich nicht für dich tun.’ Sie wollte sich schon umwenden und mich alleinlassen, doch ich war nicht so weit gegangen, um einfach aufzugeben. ‚Ich wollte sie nur fragen, ob es auf der Burg Arbeit für mich gibt.’ Sie hält inne und blickt mich an. Mir gefriert fast das Blut, während sie mich mustert, mich vierzehnjähriges Ding mit langen braunen Zöpfen, fremdländischer Kleidung, großem Rucksack, Langdolch am Gürtel und damals noch stärkerem kuslikschen Dialekt, und wohl meinen Mut bewundert, einfach hier aufzukreuzen. Sie lächelt mich etwas wärmer an. ‚Mag sein, dass ich dem nachkommen kann’, sagt sie, ‚ich hörte, dass die faule Stallmagd Permine davongejagt wird. Warte solange hier, ich gehe mal fragen.’
 

Das klang gut. Ich gürtete meinen Rucksack ab, zog die Stiefel aus und gönnte mir eine Pause. Lange passierte nichts und ich dachte schon, die Wächterin hätte mich sitzen lassen, also bestiefelte und bepackte ich mich wieder und wanderte etwas umher. Ich wollte die Burg immerhin von allen Seiten gesehen haben und noch wurde ich ja nicht abgelehnt, war also nur Wartende und keine Spionin. Ich schlenderte gerade über eine Lichtung, als ich eine kleine Gruppe aus drei Leuten bemerkte – zwei Frauen und einen Mann –, die sich ebenfalls in den Wald hereinschlichen. Der Mann fiel besonders auf, denn was hatte er an einem Frauenort verloren – ich war in Abenteuerlaune, witterte ein Unding und dachte, es könnte für mich einfacher werden, wenn ich etwas vorzuzeigen hätte, also folgte ich ihnen einfach. Ich verlor sie aus den Augen, doch die Spur führte mich ins Dickicht und zu einem Erdloch mit einem Durchbruch zu einem Tunnel. Er sah frisch aus und ich dachte sofort, dass irgendwelche Spione nun heimlich in die Burg eindrangen, also musste ich hinterher. Ich sprang in den Tunnel, dachte erst dann an das Licht, nahm mir eine Fackel aus dem Rucksack und hantierte mit dem Zunderkästchen in der Dunkelheit herum. Im zweiten Anlauf sorgte ich dann für Licht.
 

Der Gang war lang und verwinkelt, doch auf meinem Weg nach Norden fand ich einen Beutel mit Frauenkleidern, der meinen Verdacht bestätigte – eine der beiden Damen hatte diese getragen, offensichtlich also Spione. Ich ging immer weiter voran durch einen Gang, der lang war, jedoch nicht kompliziert. Es war wirklich verrückt – in der einen Hand die Fackel, in der anderen den gezogenen Dolch, bei jedem Schritt lauschend, ob außer mir noch jemand hier unten ist. Ich hatte Glück, denn in diesem alten Fluchttunnel – was ich damals nicht wusste, aber was sollte es sonst sein? – befand sich außer mir niemand. Der Weg führte von Süden nach Norden und sah etwa so aus.
 

Am Ende wartete eine Sackgasse auf mich und kaum hatte ich mich vergewissert, dass es wirklich nicht weitergeht, kam hinter mir Unruhe auf und ein im Schein der Fackel sah ich die Leiber eines Schwarms Ratten, ein dunkelgrau-schwarzes Meer, dass wie eine Welle auf mich zuschoss und zu brechen drohte. Ich drückte mich in panischer Angst gegen die Mauern, klammerte mich an meine beiden Griffe und wusste nicht, was geschehen sollte, als ganz plötzlich der Spuk aus war. Von einem Moment auf den nächsten lagen die Tiere tot auf dem Boden.“ Rufus blickte sie an, während Freya verlegen lachte. „Ich war in einem Alter, als die Magie langsam herausbrach. Ich hatte sie getötet, ohne es zu wissen. Heute würde ich bewusst genauso handeln.

Erschöpft und zitternd kehrte ich das letzte Stück zurück, um über ein Seil zu einem Brunnen herauszuklettern. Ich war so sehr mit dem beschäftigt, was hinter mir lag, dass ich gar nicht daran dachte, was nun vor mir lag. Die Amazonen reagieren doch recht gereizt auf Eindringlinge und ehe ich es schaffte, ihnen klarzumachen, dass ich selbst keine Spionin war, hatte mich schon ein Säbelhieb zu Boden gestreckt. Dann jedoch…
 

Angekommen

Nun, ehe meine Wunden überhaupt verbunden waren, marschierten die Kriegerinnen geschlossen auf und ich sollte sagen, ob ich in ihnen eine des Trios erkannte – doch ich konnte es nicht. Der Gang wurde versiegelt, die Wachen verdoppelt und ehe ich mich versah, blickte mich eine Offizierin scharf an und fragte mich, was ich wohl hier wollte. Ich wiederholte meinen Spruch, um nicht unglaubwürdig zu werden, und wurde zur Rittmeisterin geführt. So lernte ich dann Dedlana kennen.“ Freya nimmt sich eine Pause, ohne jedoch ihren Blick von den Tiefen des Feuers abzuwenden. „Du musst sie nicht kennen, doch sie war damals zweite Frau hinter Yppolita. Stelle dir eine Athletin vor, eine Kämpferin, die zur Greisin wurde, und du hast sie. Um zu erkennen, was sie war – und mit ihr die restlichen Amazonen –, wisse, dass es ihr völlig gleich war, dass ich ihr in ihrem Zimmer aus einer Säbelwunde, die ihre Kriegerinnen mir zufügten, auf den Teppich blutete und dass es mir Schmerzen bereitete, denn ich würde es überleben oder nicht, und sie erzählte mir stattdessen völlig ungerührt, dass auf der Burg 53 Kriegerinnen zählte, aufgeteilt in zwei Eskadrone, die jedoch nur halb so groß seien wie ein normales Reiterschwadron, da Amazonen noch Pferd und Reiterin als jeweils eine Person rechnen. Sie erzählte mir, was ich zu beachten habe, wenn ich mit den Anwesenden sprach – duzen, doch mit Titel ansprechen – und nimmt mir einen Schwur zur Verschwiegenheit ab. Dann endet meine Einführung und ich begebe mich eine Ebene tiefer zu Lane, der Stallmeisterin, wo mich fast noch einmal das Gleiche erwartet: Fast hundert Pferde, tägliche Anlieferung von Futter und Stroh aus umliegenden Gehöften, zehn Stallmägde, darunter ich. Weggetreten.
 

Da stand ich nun und hatte die erste Aufgabe, die Pferde zu füttern – ohne meinen Dolch, der mir im Brunnen verloren ging, dafür mit einer blauen Schürze – nahm ich mir einen Moment, blickte auf meine schmerzende Wunde, dachte mir, dass ich jetzt auch keine Idee dafür hätte, wie ich sie behandeln konnte und wandte mich dann den Pferden zu, die schon laut nach mir verlangten. Ich musste Hafer verteilen, jedem einen Eimer, einunddreißig Stück, und kaum war ich in der Mitte, begannen die ersten mit dem Schnauben und Fordern. Trotzdem war der Tag lang, die Woche sowieso, und die Arbeit alles andere als erholsam, also ließ ich mich einfach nach Beendigung ins Stroh sinken und nahm es nur hin, dass die Rösser mich hassten. Zum Glück genügte es auch und schon bald gesellten sich zwei andere Mägde zu mir, um die Neue einmal kennen zu lernen. Während sie mich betrachteten, zogen sie über meine Vorgängerin her – füllig, faul, arrogant, mit einem Geliebten aus der Stadt, mit dem sie sich heimlich nachts traf und dann am Morgen keine Kraft für die Arbeit hatte und… ja, dieser Geliebte hatte auch eine Schwester, ein schwarzhaariges dürres Ding namens Viala… da wurde mir alles klar. Bei diesen dreien musste es sich um die Personen handeln, die ich noch vor der Burg sah. Sie verzichteten darauf, ihre Kollegin anzuschwärzen, doch für mich galt das nicht: Kaum sah ich Lane das nächste Mal, berichtete ich ihr von dieser Erkenntnis – allein, sie hörte mir nicht recht zu. Ich hätte genug getan, sagte sie, und spätestens da wusste ich: Nein, das hatte ich nicht. Ich musste dieser Geschichte um die Spione selbst nachgehen.
 

Die Arbeit ging unterdessen voran: Ausmisten, Stroh aufstreuen… ich lernte an diesem Tag auch Rabe kennen, der Ilmensteiner Hengst der Königin Yppolita, einem wirklich schlauen Tier mit einem seltsamen Blick, und einen anderen Sonderling, einen schwachsinnigen Hünen mit der Gabe, Tiere durch Handauflegen zu heilen, der Medicus genannt wurde und von Yppolita aufgezogen wurde. Am Ende des Tages wartete Turike auf mich, eine brünette Kollegin, mit der ich ein Zimmer teilte und die sich endlich einmal meine Wunde ansah; sie wusch sie aus, und verband sie, konnte dann aber auch nicht mehr tun. Ich mochte sie, sie hatte eine sehr offene, herzliche Art und wir kamen gut miteinander aus. Sie zeigte mir, welche Teile von Burg und Landschaft man von unserem Fenster aus sehen konnte, und erzähle mir von dem Fest, was heute Abend stattfand – das Efferdsfest, was sich für mich anhörte wie ein großes, gemeinsames Baden – und bereiteten uns darauf vor, machten uns frisch und wuschen uns. Ein gemeinsamer Gottesdienst im Rondratempel – gemeinsam auch mit Männern, was mich verwunderte – folgte und beeindruckte mich… etwas. Am Ende fragte ich Turike und erfuhr, dass Yppolita in den letzten Jahren das Männerverbot etwas gelockert habe. Nun sei es den Lehnbauern möglich, am Göttinnendienst teilzunehmen, wie auch einzelne Verlorene wie etwa Medicus von der Königin aufgezogen werden. Trotzdem sei die Burg noch lange nicht offen zu nennen und während sich ihre Tore in den letzten Jahren öffneten, zog sich die Königin immer weiter zurück. Es soll einen Ring mit einer Gravur als Geschenk für all jene geben, die von ihr empfangen wurden.“ Freya lachte, als sie Rufus’ fragenden Blick sah und schüttelte den Kopf. Sie würde das Ende nicht verraten. „Jedenfalls wartete auf uns erst einmal Lane und das heißt, Arbeit. Ich sammelte Holz, hackte es und half dabei mit, die Weinfässer für das Fest heranzukarren. Schließlich fanden wir uns alle auf dem Hof ein, um die Königin das Fest eröffnen zu sehen.

Yppolita tritt auf, zerbrechlich und darin so edel, sie schwört die Menge der Kämpferinnen auf Rondra ein und wünscht uns, dass wir feiern, so als sei dies das letzte Efferdsfest, welches Kurkum erleben wird. Letzter Satz wird noch für einiges Gerede sorgen, doch löst er in mir noch etwas anderes aus: Ich erinnere mich daran, dass ich noch einer Spionagegeschichte auf den Grund gehen möchte. Statt mit den anderen zu baden, halte ich es mit Mataro und mache mich auf…“ – „Mataro?“, fragt Rufus zagend. „Zu lange Geschichte. Jedenfalls möchte ich die Ereignisse lieber von der Ferne aus betrachten, da ich annehme, dass auch ein Spion den Trubel für sich nutzen würde. Ich werde es lange bereuen und mich über Stunden auf meinem Zimmer langweilen, doch dann entdecke ich sie: Die Schwarzhaarige – Viala, wie ich mich erinnerte – rannte über den Hof und versteckte sich in der Scheune. Mir blieb keine Wahl. Ich verließ leise mein Zimmer und folgte ihr, ohne jede Waffe und nur auf meinen Mut vertrauend.
 

Das Finale

Ich folgte ihr in die Scheune, so unauffällig und geräuschlos ich konnte, kletterte ihr nach bis auf deren Dachboden und musste mit ansehen, wie sie kurz davor stand, die Mauer zu überwinden, ehe ich zu einem Trick griff, der so dumm war, dass er tatsächlich funktionierte: Ich rief ihren Namen. Da sie mich für ihren Bruder hielt, wartete sie ab, bis ich herankam, erkannte mich dann und griff mich an. Es folgte ein langer Kampf, sie mit ihrem Dolch gegen mich junges, noch verwundetes Mädchen und was soll ich sagen? Ich erwischte sie glücklich und sie ging zu Boden. Dann kamen Amazonen, doch ganz unberitten, nahmen sie mir ab und… ja, wieder stand ich im Mittelpunkt. Es stellte sich heraus, dass die Spionin die Wehranlagen der Burg kartographisierte und damit den ganzen Ort hätte vernichten können. Erschöpft ging ich jedoch erst einmal schlafen und verschob alles auf später. Für Viala endete alles weniger schön; sie richtete sich selbst mit einem in einem Amulett verborgenen Giftdorn.
 

Yppolitas Anblick werde ich nicht vergessen. Sie gab mir die Hand und ich erinnere mich noch heute an ihre Worte: ‚Keiner der heute Lebenden hatte es je mit einem solchen Feind zu tun, und seine Helfer sind zahlreich und verschlagen. Mich wundert, dass diese Schurkin so mutig war, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen. Gerissenheit paart sich nur selten mit Mut. Nun, so erfahren Wir nicht, wer diese Spionin ausgeschickt hat, doch Wir ahnen es ohnehin. Kurkum wird nicht auf immer verschont bleiben, dessen sind Wir Uns bewusst, aber Euch ist es zu danken, wenn Uns noch ein Aufschub gewährt wurde – und dies bedeutet viel in diesen schlimmen Zeiten. Wir haben in der Tat sehr zu danken, für jeden Tag, der Uns gewonnen wurde, da Wir wissen, wie kostbar die Tage auf Dere sind.’ Wir sprechen noch eine ganze Weile über belanglosere Dinge, dann neigt sich die Audienz dem Ende entgegen und ich erhalte tatsächlich einen schmalen silbernen Ring. Seine Gravur zeigt schleichende Löwinnen.

Die Königin blickte mich lange an, während ich ihn betrachtete und mich dann von ihr verabschiedete. Ich verließ Kurkum am gleichen Tag und sah es nie wieder… wie du dir denken kannst.“ Rufus nickte. „Das Heer musste schon im Anmarsch sein, als ich mich noch auf der Burg befand. Shamahan befand sich auf meinem Rückweg schon in den Händen der dunklen Horden, was ich zum Glück noch vorher mitbekam, und ehe ich mit meinem Vater wieder in Albernia ankam, war der Fall der Feste und der Tod Königin Yppolitas bereits in aller Munde. Wie es scheint, hatten wir riesiges Glück.“

Rufus betrachtete die Zauberin lange. „Was ist mit dem Ring?“, fragte er dann. „Nun, der liegt nun hoffentlich sicher in der Schatzkammer von Andergast. Ein Rondrawappen verträgt sich nicht allzu gut mit meinem Magiersiegel, wenn du verstehst.“ Sie versucht zu lächeln, doch die Stimmung lässt sich nicht aufweichen. „Nein, ich habe mich einfach entschieden. Ich hätte an dem Tag Amazone werden können, doch diesen Schritt wollte ich nicht gehen. Ich ging lieber zu meinem Vater zurück, wurde Andergasterin und später Zauberin. Ich beließ es bei der einen Schlacht und bei diesem einen Sieg, der nicht einmal etwas nützte.“ Sie versinkt in sich, doch Rufus dringt zu ihr vor. „Wenn ich jetzt ein Getränk hätte, dann würde ich dir zuprosten.“ Freya richtet sich wieder ein Stückweit auf. „Und wenn ich eines hätte, würde ich zurückprosten.“ – „Auf Kurkum.“ – „Auf Kurkum.“

Freya in: (2) Boronsrosen

Freya

Zeit geht zu Ende. Du kannst es gar nicht glauben.

Es kommt dir noch wie gestern vor, als du Rufus trafst und mit ihm zusammen die Stadt Grangor betratest, um mit ihm dort zu überwinden. Es wurde kalt und während er seine Mutter besuchte, um mit ihr die Ferien zu verbringen, war dein Ziel vornehmlich, an der Erscheinungsakademie zu Grangor deine überirdischen Kräfte zu schärfen. Wozu seiest du schließlich in der Grauen Gilde, hattest du Rufus gesagt und ihm aufgeführt, in welchem Maße du deine Macht steigern würdest. Du hast es selbst kaum geglaubt und du bist dir nicht sicher, wie er es denn aufnahm. Ihr verbrachtet Zeit miteinander, viel Zeit, erkundetet die Stadt (oder besser, er zeigte sie dir, denn er wurde hier geboren, während es für dich das erste Mal ist), starrtet auf das Meer und saht euch gemeinsam am Lagerfeuer die Sterne an, und doch stellte er dich nicht seiner Mutter vor; er sagte, das wäre nicht gut, und auch wenn du nicktest, schmerzte es dich. Du bist die, die weiterwill, nicht er.

Kaum war Hesinde angebrochen, da war auch schon Firun und er kommt zu dir und sagt dir, dass er bald wieder aufbrechen müsse, denn in Neersand würde nach Firun die Winterpause enden und der Weg ins Bornland sei weit. Es sei schön gewesen, sagt er, und er würde sich wirklich auf das nächste Mal freuen, wenn ihr euch wieder seht, und du nickst und lächelst und fühlst dich doch allein. Ob du noch hier bleiben möchtest, wenn er weg ist? Du schüttelst den Kopf. Du bist jetzt ein Gefäß der Sterne, sagst du, und kannst gar nicht erwarten, wie die ganze neue Macht in dich fließt. Dabei lachst du. Rufus hat einen herrlichen Humor, er kann alles, was um ihn herum geschieht, auf eine Weise erzählen, dass es lustig wirkt, und du bewunderst ihn dafür. Es wirkt fast so, als würde er keinen Schmerz spüren.

Er muss zurück zur Schule. Du wirst allein zurückbleiben, denn du bist schon fertig. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, dich in einen jüngeren Mann zu verlieben?

Würde man dir das ins Gesicht sagen, würdest du aufspringen und widersprechen, doch deine Gedanken entlarven dich. Du sprichst vom Weg des Magiers, den du gehen möchtest, doch du kamst in die Stadt, um bei Rufus zu sein, und wann immer er dich abends verabschiedet, da er keinen Ärger mit seiner Mutter bekommen möchte, und du alleine durch die Gassen der lebenslustigen Hafenstadt wanderst und dir so gar nicht nach Amüsement zu Mute ist, streift dein Blick nach oben, hin zu den Sternen, dann suchst du manchmal die Sternbilder, die dir Rufus zeigte, starrst aber zumeist den Mond, das Madamal, an und denkst an die Frau in ihrem Gefängnis. Mada brachte den Menschen die Magie und wurde dafür von vier Männern geschändet und in Stein geschlagen, während ihre Mutter zusah, und du vaterlandslose Gesellin, die ihre Familie hinter sich ließ und deren Leben sich um vier Männer kreiste, kannst gar nicht anders, als dich ihr verbunden zu fühlen. Sie ist deine Göttin, auch wenn du das sicher nicht öffentlich äußerst, um nicht gleich als Ketzerin oder Hexe zu gelten, und du bewunderst sie, während sie dich schlägt. Deshalb bist du ein Gefäß der Sterne geworden. Du willst ihr noch näher kommen und kennst doch die Schritte nicht.

Rufus könnte sicher auch zu deiner Situation etwas Lustiges sagen, doch du sprichst mit ihm nicht darüber. Warum nicht? Hast du Angst, er könnte dich auslachen, oder hast du Angst, er könnte deine Sorgen verstehen und genauso empfinden und dann müsstest du deine eigene, ganz persönliche Göttin mit jemandem teilen, der nur ein guter Freund für dich sein will? Er kennt sich mit den Sternen aus, er spricht gerne verächtlich über den Glauben seiner Lehrer; was ist, wenn er sie mehr mag als du? Würdest du dann mit ihm auch deine Göttin verlieren?

Du willst sie nicht verlieren, du willst ihn nicht verlieren… und, nein, verdammt, streng genommen möchtest du ihn nicht einmal haben, denn du willst ganz sicher nicht mehr als er, du hast immerhin auch deinen Stolz. Es ist doch immer dasselbe, kaum bleibst du zu lange untätig an einem Ort, kommst du dir schlecht vor. Du musst weiter.

Rufus muss weiter, er muss zurück auf seine Schule. Du möchtest ihn nicht an die Tore bringen und auch nicht gehen lassen, also lässt du dich von ihm ein Stück mitnehmen, bis nach Almada, denn du hast von einem Tanz der Mada gehört, den du in Brig-Lo vermutlich lernen könntest. Manchmal bist du wirklich bescheuert.
 

Bist du glücklich, als du im „Roten Hang“ in Brig-Lo sitzt? Bist du glücklicher? Nein, wirst du sagen, sicher nicht. Tage vergingen seit deinem Aufbruch und seit dem Ende der Zeit, die niemals enden sollte. Du kamst hier in die Stadt, um voranzukommen und nicht wieder nach hinten zu blicken und seitdem ging alles schief: Der Lehrer, der dir in Grangor empfohlen wurde, verlangte mehr, als du einplantest, wobei die Lektion, die du verinnerlichest – eine Art Meditationstanz – dir auch nicht sofortige Erleuchtung einbrachte, und zuletzt handelte es sich bei Brig-Lo um ein Kaff mit geradezu aufreizender Reizlosigkeit. Du langweilst dich, weißt aber nicht, ob du sofort aufbrechen solltest oder nicht und was wohl schneller vorbeiginge, der Winter oder die Reste deiner Barschaft. Rufus würde jetzt grinsen und sagen, dass du wohl nicht die erste Liebfelderin wärst, die an Brig-Lo scheiterte, und du würdest ihm am Liebsten etwas nachwerfen… und dich doch besser fühlen. So ist das in deinem Leben, manchmal bist du Heldin, manchmal wirst du von Sumu geprügelt… und jetzt ist erst einmal Letzteres an der Reihe. Du hattest deinen Spaß.

Ein Mann kommt zu dir und setzt sich an den Tisch. Er trägt einen langen Mantel und einen tief gezogenen Schlapphut, den er auch im Raum nicht abnimmt – unfeine Manieren –, wobei du ihn erst einmal gar nicht beachtest und nur deinen rechten Arm etwas anhebst, damit er das Siegel auf deinem Handrücken erkennen kann. Du bist eine Kampfzauberin zu Andergast, was aber wohl die meisten nicht herauslesen könnten, aber du bist nun einmal dazu verdammt, deine Profession offen zu zeigen und viele Dorfjungen haben genug Respekt vor dem Zeichen, um dir dumm zu kommen. Den Mann jedoch stört es nicht, wobei er auch nicht deine Hand ergreift, um sie zu küssen. Er setzt sich einfach und lässt seinen Bierkrug auf das Holz knallen, um ganz offensichtlich deine Aufmerksamkeit zu erregen.

Jetzt drehst du dich zu ihm um. Der Mann ist kräftig, vielleicht um die dreißig, und hat ein grobes Gesicht mit schmutzigen schwarzen Haaren, die als Strähnen unter seinem Hut hervorkommen. Er mustert dich fast aufreizend lange und du könntest langsam genervt sein, wärst du das nicht eh schon. „Du bist hübsch“, sagt er schließlich. „Du auch“, sagst du, „als Kröte.“ Du kannst ihn zwar nicht wirklich verwandeln, doch das ist einfach das Klischee und bei vielen die Urangst. Er geht jedoch nicht weg. „Eine hübsche Frau, ganz allein in der Stadt, da kann ein Mann sich doch wundern… Was tust du hier denn so?“ – „Ich will Dreck in Gold verwandeln“, sagst du, „und bin da hier an bester Stelle.“ Er lacht laut und lange und dir wird ganz mulmig dabei, war doch deine Antwort nicht wirklich geistreich und nur ein schwaches Echo der Tatsache, dass du zuviel Zeit mit Rufus verbrachtest… nein, verdammt, nicht hier. „Das ist gut, da bist du richtig.“ Der Mann grinst dich breit an. „Da kann ich dir vielleicht dabei helfen. Du musst wissen, mir gehört der Laden hier…“ Was sollst du dazu sagen? Du schweigst und lässt ihm seine Kunstpause. „Da guckst du, was? Und noch viel mehr hier, denn Brig-Lo ist fast schon meine Stadt. Habe ich nicht recht, Anita?“ Er blickt zu dem Ort herüber, an dem sich eigentlich eine Kellnerin aufhalten müsste, scheint aber nicht verdutzt über deren Fehlen. Ohne dass du es merktest, bist du mit ihm allein. „Oh, dann verzeiht, dass ich mich Ihnen noch nicht vorstellte.“ Deine Bewegungen passen perfekt zu deiner Sprache, „Ich bin Kaiserin Yppolita, voller Dank für Eure Gastfreundschaft.“ Er lacht, ohne dass seine Augen diesem Gefühl folgen. Du nanntest einfach den Namen der Schwester der Kaiserin, die eine Zauberin ist wie du und sich seit einem versuchten Putsch im Exil im Bornland befindet… wo auch Rufus ist. Verdammt.

„Das meine ich ernst. Ich heiße Alrik Garether und beherrsche das Nachtleben dieser Stadt, Schänken, Freudenhäuser und eine Menge hübscher Damen, die Männern mit Geld das Hirn rausbumsen können.“ – „Ich kann es nur rösten.“, wirfst du knapp dazwischen, denn dir gefällt der Verlauf nicht. Wer immer das ist, er soll wissen, dass du nicht schutzlos bist. „Ich weiß“, sagt er, nicht im Mindesten gebremst, „Ich weiß, mein Kleines, denn ich kann die Zeichen lesen, auch wenn du es nicht glaubst, mein Kleines, doch ich kann es und genau da“ – seine große, gestikulierende Hand fährt auf den Tisch herunter und greift fest nach deinem Handgelenk – „kommst du ins Spiel. Es gibt da nämlich etwas, was mir gar nicht gefällt.“ Er blickt dich an und dir sind langsam die dummen Sprüche vergangen. „Lass mich los“, sagst du. Er kommt dem unauffällig nach – ein Glück, denkst du – und lässt den Wasserfall seiner Worte weiterrauschen. „Du hast es selbst gesagt, du bist hier, um das große Geld zu machen, und dabei kann ich dir helfen, denn etwas stört mich wie etwas mich nur stören kann und wie nichts anderes mich stört und das passiert und das passiert gerade und das ist Konkurrenz. Ja.“ Du atmest leise auf, als du merkst, dass es nicht um dich geht – manchmal ist dir auch das ganz recht. „Ja, denn die habe ich. Ich beherrsche hier wirklich alles in der Stadt, ja, das tue ich, so wahr ich Alrik… ähhm… Wehrheimer heiße und da kommt dieses Pärchen aus dem Nichts und meint hier, sich niederzulassen und meine Bürger beglücken zu können. Das geht nicht, das kann nicht sein und das… kannst du ändern.“

Er sieht dich an und du weißt, dass du manchmal Aufmerksamkeit überhaupt nicht gerne hast. „Wie das?“ – „Irgendwie. Mir egal. Mache Kröten aus ihnen, brate ihnen die Köpfe, gehe zusammen mit ihnen und ihrem kaputten Haus in Flammen auf, ist mir doch egal. Mache nur, dass es endet. Ich zahle auch gut.“

Das sind vier magische Worte. Du würdest gerne edel sein und gut, doch du hast nichts weiter als einen Berg aus Schulden, eine Reisekasse, die nur noch aus ein paar Münzen besteht und keine Idee, wie es weitergehen kann. Du kannst nicht immer weghören, besonders jetzt, und du weißt, dass Sumu dich wieder prügeln wird, aber du kannst nur hoffen, dass deine Augen nicht zu verräterisch funkeln. Du beschließt, offen zu sein, denn wer nichts verbirgt, der kann auch nicht entlarvt werden: „Mir deucht, da hör’ ich’s golden funkeln.“, sagst du spielerisch, denn je hungriger man ist, desto besser ist es, seinen Hunger zu verbergen. „Jetzt höre ich dir auch zu. Wie viel?“ – „Fünfzig“, sagt er. „Zehn jetzt, vierzig später.“

Fünfzig Dukaten, schießt es dir durch den Kopf, ist der irre? Sicher, du bist eine Zauberin, doch er hätte dich schon mit der Hälfte angemessen bezahlt… und du hättest es wohl auch für den Vorschuss getan. Da muss es einen Haken geben oder dieser Kerl ist einfach nur vollkommen provinzial. „Dukaten?“, fragst du, um noch einmal sicherzugehen und er missdeutet dein Zögern völlig. „Ja, natürlich. Das ist natürlich nur ein Test, denn wenn du deine Sache gut machst, dann stehen dir auch weitere Möglichkeiten offen. Ich kann mich dir sehr gut als meine ganz persönliche Hofzauberin vorstellen, wenn du verstehst, was ich meine?“ Abgebrannt, ja; verzweifelt, nein. Er versteht dein Schweigen. „Ich meine natürlich rein geschäftlich. Zusammenarbeit und so.“ Warum schlingert er so, denkst du dir. Du beschließt, das Thema zu wechseln, nachdem du dich schnell umblicktest, doch ihr seid weiterhin allein. „Ein Bordell, betrieben von einem Pärchen, irgendwie schließen, nicht zwangsweise mit Gewalt. Fünfzig Dukaten, davon zehn jetzt. Soweit richtig?“ Der Mann fängt sich wieder und nickt, doch gerade liegt die Gesprächsführung an dir und du wirst deine hohe Position nutzen. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“, sagst du. „Wenn sich in dem Haus ein verstecktes Kriegerkloster der Säbeltänzer verbirgt, dann kehre ich um und die Zusammenarbeit ist gestorben, ebenso wenn mir keine andere Möglichkeit bleibt, als wehrlose Menschen im Moor zu ertränken. Ich mag eine Zauberin sein, doch eine Mörderin bin ich nicht.“ Sein Blick verrät etwas, doch du lässt ihn nicht zu Wort kommen. „Ich werde es mir ansehen und dann hören wir wieder voneinander und dann wechselt auch Geld den Besitzer, also entweder die Anzahlung zurück an dich oder…“ Du kamst zu einem Ende, indem du einfach innehältst und deine offene Hand nur zufällig vor seine Nase hältst. Du riskierst viel, das weißt du, doch gerade im tiefsten Strudel ist es wichtig, den Kopf über dem Wasser zu halten. Du suchst dir nur immer die dümmsten Augenblicke aus, um Rückgrad zu entwickeln – doch heute gewinnst du damit.
 

Freya

Das Haus, welches dir der Mann beschrieb, liegt etwas außerhalb der Stadt nahe einem Moor und es dämmert bereits, als du es erreichst. Nacheinander blickst du in den Himmel, hoffend, dass sich die grauen Wolken nicht in einem Wolkenbruch entladen, dem du schutzlos ausgeliefert wärst, und zu dem verfallen wirkenden Haus herüber, dass hier auf dich wartet. Es wirkt verlassen, Schlingpflanzen überwuchern das weite Holzbauwerk so dicht an einem Sumpf, und du fragst dich, ob das Ganze nicht ein riesiger Schwindel ist. Wenn hier ein Pärchen etwas neu aufzog, dann gab es sich jedenfalls wenig Mühe, das Neue auch neu erscheinen zu lassen – sicher ist jedenfalls, dass sie das Gebäude nicht errichteten, sondern allenfalls in eine leer stehende Behausung einzogen. Was kannst du also tun?

Die Stimme, die dir die Antwort zuflüstert, gehört zum Andergaster Kampfseminar, das dich ausbildete, und weil es das auch für die Magier der Armee und zum Schutze des Vaterlandes tat, bekamst du auch eine gute Portion an Informationen mit, wie man sich im Feld verhält – Kurse also, die sich von denen nicht sehr unterscheiden werden, die Rufus gerade belegt. Rufus. Moment. Kein Stich? Nein, Rufus ist dir nicht nahe. Diese Aufgabe ist etwas dreckig und eindeutig dir und nicht ihm. Hier möchtest du wirklich allein durch.

Was tut der brave Magiersoldat, wenn er ein Gelände betritt, für dessen Betreten er unerhört gut bezahlt wurde? Er verschafft sich ein Bild von der Lage. Du klopfst also nicht an, sondern umrundest erst einmal die Anlage, doch wenn du hoffst, die Lage geklärt zu bekommen – und diese Lage verlangt ganz klar nach Klärung –, wirst du enttäuscht. Die Rückseite offenbart nicht mehr als die Front – es bleibt ein halb im Sumpf versinkendes, verfallenes und ungewöhnlich stilles Herrenhaus –, wenn man einmal von der Hintertür absieht. Du stehst nun endgültig vor der Wahl: Rein oder raus, und auch wenn dein Gefühl sicher einem Weglaufen nicht abgeneigt wäre, so bist du doch eine Heldin und wirst diesem Ding jetzt auf den Grund gehen. Vorsichtig lauschend näherst du dich der Hintertür. Sie ist windschief und mit verschiedenem Gerümpel zugestellt, also fühlst du dich richtig und beschließt, sie freizuräumen und einfach einzuschlagen. Du setzt mit deinem Stab zu einem schnellen, kraftvollen Schlag gegen das Schloss direkt an und…
 

Auuuuaaaaaaaa. Ein Blitz zerreißt kurz das Dunkel und reißt dich zu Boden, von einem irrsinnigen Schmerz begleitet, und du leidest… und lachst. Endlich beginnt sich alles aufzuklären. Da wartet also vermutlich ein Kollege, der eine jämmerliche Version dessen einsetzt, was du unter einem Fulminictus verstehst, doch wenn er meint, das wird ihn schützen, dann denkt er aber falsch. Du legst dir eine Hand auf die Brust, murmelst ein paar Worte, die du selbst nicht verstehst, und fühlst den Schmerz verschwinden. Das war wohl nichts, denkst du dir, und blendest Rufus’ mahnende Stimme in deinem Hinterkopf aus, die dich sonst nur darauf hinweisen würde, dass der Schritt vom stolzen Magier zum übermütigen und dann zum toten gar nicht so groß ist. Erst einmal und gerade bist du noch am Leben und fühlst dich großartig und wirst noch gar nicht von der Erkenntnis heimgesucht, dass ein neuer Versuch des Öffnens wohl den gleichen Blitz zur Folge hätte und damit die Hintertür für dich flachfällt. Na gut, dann musst du wohl noch etwas tiefer in den Sumpf und schauen, ob noch eine zweite Möglichkeit wartet. Was soll schon schlimmstenfalls passieren?

Rufus lacht in ihren Gedanken, doch du lachst über ihn, während du durch das Moor tänzelt, die gefährlichen Stellen mit der Erfahrung einer Militärmagierin, die zwar nicht an schlimmeren, doch schon an genauso schlimmen Orten war, zu umgehen weiß und dir nur etwas ihre hohen Stiefel anfeuchtest. Jetzt weißt du auch, dass es wirklich nur noch einen weiteren Weg gibt und der ist, vor die Vordertür zu treten, deren abgetretene, aber doch saubere Stufen dich darauf hinweisen, dass wohl doch Bewohner zu vermuten seien. Jetzt erst verstehst du, dass dir nur zwei Möglichkeiten bleiben: Du kannst klopfen oder du kannst noch einmal austesten, ob auch hinter dieser Tür ein Blitz wartet. Du verfluchst dich wirklich dafür, nicht diesen Schlossöffnerzauber zu beherrschen oder sonst etwas, was dir einen heimlichen Auftritt verschaffen könnte. Das ist aber gut. Die Erkenntnis wirkt auf dich wie eine Dusche.
 

Du klopfst, langsam nervös werdend, doch es will nichts geschehen. Vielleicht schlafen die Bewohner, vielleicht sind sie aus und kehren erst später zurück… und du magst die Idee nicht, auf der Türschwelle auf sie zu warten. Endlich denkst du nach und fragst dich, was du wohl kannst. Die Idee, die dir schließlich kommt, klingt einfach und wird dich entweder glücklich machen oder dich in ein Milchmädchen verwandeln. Du kannst doch Eisen rosten lassen – klar, die Akademie lässt es gerne gegen Waffen und Panzer nutzen und du wandtest es nicht mehr an, seitdem die Abschlussprüfung hinter dir liegt, doch warum nicht? Schloss damit schwächen, gezielter Schlag mit dem Stab und hoffen, dass kein Schutzmechanismus darauf wartet, mit der Kraft und den ungewohnten Strukturen zu reagieren. Das klingt doch gut.

Das klingt es nicht nur, sondern es funktioniert auch, doch vergaßest du, dass der Verfall seine Zeit benötigt. Du wartest also wirklich auf den Treppenstufen, während langsam das Türschloss immer mehr von ihrer Kraft einbüßt und schließlich nicht etwa deinem Stab, sondern deinem puren Druck, nachgibt und dich eintreten lässt. Inzwischen wurde es so dunkel, dass du wirklich eine Fackel brauchst, und du zündest dir eine solche an.
 

Der Anblick, der sich dir bietet, hätte dich vor einigen Stunden nicht überrascht, doch jetzt tut er es: Vom abgestandenen Geruch von Parfüm und Weihrauch begleitet, tratest du in einen Art Vorraum, an dem dich ein Mantelhaken dazu einlädt, es dir gemütlich zu machen, ehe du durch eine mit roten Vorhängen verkleidete Tür in den eigentlichen Ort eintreten könntest, doch klettert dein Blick erst einmal zum Bild über der Tür. Das ist doch… „Aillil?“, entfährt es dir, denn du erkennst deine Verwandte, auch wenn du sie vor Jahren das letzte Mal sahst. Natürlich, sie ist ein hohes Tier in der Rahja-Kirche und sie war sicher nicht unschuldig daran, dass du dich, als du zwölf warst, selbst für diese Kirche entschiedest, doch sie hier zu sehen… und vor allem so entblößt, wie es einer hohen Dienerin der Göttin der Liebe ja zusteht… es erschreckt dich. Es erschreckt dich aber noch mehr, als du siehst, wie diese nackte Frau, die dir kaum ähnlich sieht, aus dem Schatten von einem traurig blickenden Mann mit einem Raben auf der Schulter beobachtet wird. Natürlich, versuchst du schnell zu erklären, das soll wohl auf die Vergänglichkeit der Jugend und des Glücks hinweisen, doch in deinem Herzen weißt du, dass die Verbindung einer deiner Verwandten mit einem Symbol des Todes an einem Ort wie diesen zuviel für dich ist. Zum Glück sagt der Rufus in deinem Kopf nichts, du könntest ihm gerade schwerlich antworten.

Wie weiter? Mitten durch? Nein, schon die Vorstellung verbreitet Panik in dir, weswegen du dich lieber für eine der beiden unscheinbaren, seitlichen Türen entscheidest.
 

Freya

Links wartet eine Küche. Du untersuchst gerade die Phiolen, die in einem Regal auf dich warten, und freust dich über einen Heiltrank, als du ein Geräusch hörst. Es kommt aus der Besenkammer, die dem Raum angeschlossen ist. „Hallo?“, rufst du halblaut, „Ist da wer?“ Du öffnest langsam die Tür und siehst die kleine, hässliche Gestalt, die sich am Boden kauert. Du wählst den freundlichen Weg. „Hallo“, sagst du noch einmal, „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich tue dir nichts.“ Es ist ein Mann… oder ein Junge? Sein Blick ist wirr, sein Unterkiefer steht weit hervor wie bei einem Goblin und er reagiert nicht. Dir wird es zu dumm. „Bannbaladin“, sagst du, den schnellen Weg nehmend, doch nichts passiert. Schließlich rennt die Gestalt an dir vorbei und schon bald hörst du in der Ferne eine Tür ins Schloss fallen. „Fein gemacht“, sagt der Rufus in deinem Kopf. Du möchtest ihn schlagen, auch wenn er im Recht ist.
 

Du bewegst dich tiefer in das Bordell herein, nachdem du dir sicher bist, dass du in den Gängen drumherum nichts mehr erreichen kannst, und musst immer mehr vergessen, dass du dich mitten im Moor befindest. Ein Bild zeigt eine unbekleidete Frau, die eine Rose küsst, die schon im Verwelken begriffen ist, auf der anderen Seite ein Jüngling in ähnlicher Pose – große Betten, an die Wände gemalte Weinranken, teure Teppiche, eine hinter Tapete verborgene Geheimtür… Moment. Du kannst dir nicht helfen und schiebst sie frei, womit du in einen von leuchtenden Kristallen erhellten Korridor trittst. Die Reise wird für dich immer unwirklicher, als es die Stufen nach oben führt, hindurch durch edlere Räume, die aber nur für private Augen bestimmt sind, immer nach Osten strebend, hinein in das Schlafzimmer eines jungen Mädchens, in dessen viel zu großem Bett sich die Kuscheltiere tummeln, doch keine Bewohnerin, denn diese erhebt sich gerade aus dem Sarg, der in der Mitte des Raumes steht, ein siebzehnjähriges Ding mit blonden Haaren und einer Blässe, die man nur als vornehm bezeichnen kann. Deine Sinne schlagen Alarm, die Reste deiner Kraft pulsieren und schreien danach, sich in Feuer zu verwandeln, doch du bist wie von Sinnen. „Du wirst uns nichts tun, nicht wahr?“, sagt sie und fährt mit einer Hand über deine Schulter, eine so angenehme, liebevolle Geste, dass du dich gar nicht wehren möchtest, selbst wenn du es noch könntest. „Ich bin Lytis“, sagt sie, „Ich lebe hier mit meinem Bruder Lorcan. Wir tun niemandem etwas zu Leibe, das schwöre ich dir, doch es ist einfach so stark und du bist schön, wie meine Rosen.“ – ‚Du bist auch schön’, denkst du dir und verlierst dich in ihren Augen, groß und haselnussbraun und so unendlich vertraut, auch wenn du nicht mehr weißt, warum. „Warm“, spricht sie fort und berührt dich. „Lebendig.“
 

Für dich beginnt dann langsam eine große Schwärze. Du siehst dich in einem Käfig aus Eisenstäben, der gerade groß genug ist für dich, an der Decke einer Kuppel hängend. Unter dir geschieht etwas Furchtbares und du willst es nicht sehen, also schüttelst du dich, damit es weggeht. Der Käfig schwingt dabei mit und quietscht bedrohlich, bis du die Kontrolle verlierst und nur noch ein Vogel im Wirbelsturm bist, der von den Wänden geschlagen wird. Es schmerzt dich unerbittlich, doch dann löst sich auch noch die Verankerung und mit einem Ruck stürzt du mitten in deinem Käfig in die Tiefe.

Du erwachst, ohne dich bewegen oder klar sehen zu können. Du bist nackt, doch Rufus ist nicht bei dir, auch nicht seine Stimme, und du möchtest in diesem unermesslich weichen Bett versinken. Was bedeuten denn diese Bilder von einem blonden Mädchen und ihren Zähnen an deinem Hals?
 

Zeit vergeht. Du hörst Stimmen und denkst erst, es wären Rufus und du, die da sprechen. „Sie welken. Es ist unseretwegen, nicht wahr? Nichts Lebendiges kann in unserer Nähe bestehen.“ – „Du bist dumm, Schwesterchen. Sie haben nur zu wenig Licht. Und immerhin können deine Rosen zu Boron gehen, wir nicht.“ Er macht eine Pause. „Verzeih, ich wollte dich nicht stören. Ich bin Lorcan, Lytis’ Bruder, und dasselbe wie sie. Wir verbergen uns schon eine ganze Zeit hier.“ Das ergibt für dich keinen Sinn, ehe du mit deinem glasigen Blick etwas höher schwenkst. Er wendet sich dir zu, wie du da liegst. Dir ist es egal. Soll er dich nur nackt sehen, wie immer das auch enden wird, das sei da ohne Belang.

Er spricht. Der erste Teil seiner Geschichte entgleitet dir völlig, bist du doch zu sehr damit beschäftigt, dich aufzurichten und deinen Hals zu fühlen. Die Verletzungen sind frisch und deine Haut ist eiskalt, doch du spürst noch deinen Puls und atmest auf. Du lebst noch.

„… und eines Tages entdeckte ich das verfallene Haus hier und beschloss, es für uns zu nutzen…“ Du gleitest wieder ab. Fühlst du noch deine Magie? Du weißt es nicht, du bist wie betäubt. Kann sie denn auch Astralkraft stehlen? Sicher, einer der beiden wüsste bestimmt noch etwas damit anzufangen, doch… nein. Du wirst es nicht mehr probieren. Die Zeit der Spielereien ist vorbei. Jetzt und in diesem Moment wirst du nur noch einmal deine Kräfte rufen oder besser gar nicht.

„Wir nehmen von jedem nur wenig, und da wir auf diese Weise niemals hungern müssen, wird unsere Sucht niemals unkontrollierbar. Wir müssen nicht töten und wir… müssen nicht einmal grausam sein.“

Er endete. Das ist dein Einsatz, also vermassele ihn nicht. „Das... merke ich“, entfährt es dir schwach, „… und ich finde es schön, noch am Leben zu sein, aber…“ Dir gehen die Worte aus. Du sitzt nackt auf der Kante des Bettes und hältst den Blick auf Lycis, da er der Entscheidungstreffer zu sein scheint. „Ihr könnt hier nicht bleiben. Ich bin nicht zufällig hier und die nächste Gruppe, die hier erscheint, wird es auch nicht sein. Flieht und nutzt die Zeit, die ihr dadurch noch gewinnt.“ – „Nein“, sagt er. „Wir haben so viel Arbeit hier reingesteckt und endlich eine Heimat gefunden. Die Erfahrung lehrt uns…“ Du musst husten, ganz unabsichtlich, doch da das seinen Redefluss unterbricht, soll es dir recht sein. Du musst weiterreden und das bedeutet erst einmal, ihn vom Reden abzuhalten: „Fünfzig Dukaten und die Chance auf mehr“, beginnst du und brichst absichtlich eine ungeschriebene Regel, „bringt es mir ein, wenn ich euch hier beende. Ich versuchte den freundlichen Weg und landete hier.“ Nackt, auf dem Bett deiner Schwester, fügst du in Gedanken an, doch das sprichst du nicht aus. „Weißt du, was man für diese Summe noch bekommen kann? Rücksichtsloseres, Vorsichtigeres?“

Du stehst langsam auf und spürst deine wankenden Beine. „Lytis hat Recht“, sagst du und beachtest endlich wieder die Schwester. „Ich werde euch nichts tun. Ihr ließet mich am Leben, auch wenn ich mich hättet töten können, und deshalb akzeptiere ich meine Niederlage und trete zur Seite. Wir gleichen uns nämlich in einem Punkt: Ich töte auch nicht, solange ich nicht wirklich muss.“

Deine Knie wollen nachgeben, doch hältst stand: Lorcan soll die Entscheidung treffen. Er gibt auf, ohne es auszusprechen. „Komm, Schwesterchen“, sagt er, „Lass uns in die Sümpfe ziehen, als Verbannte ins Bannland. Wir werden einen wilden Rosenstrauch für dich finden, den du hegen und pflegen kannst, und aus seinen Zweigen werden wir uns ein Boronsrad flechten.“

Sie wollen gehen, doch du möchtest noch das letzte Wort haben. „Lebt wohl, Lytis, Lorcan, ich wünsche euch alles Glück der Welt und hoffe, wir sehen uns in diesem oder einem nächsten Leben wieder… und, Lytis: Versuche diesen Blick noch einmal bei mir und ich zeige dir, was ein richtiger Fulminictus ist.“ Du lächelst schwach, während sich die Vampire zu dir umdrehen, dich lange anblicken und sich dann von dir abwenden. Du bleibst zurück, nackt in einem Bett eines halbwüchsigen Vampirmädchens und umgeben von Kuscheltieren. Sie und ihr Bruder, sie drückten dich unter Wasser und zogen dich an die Luft und kannten doch nicht einmal deinen Namen.
 

Der Rote Hang wartet, doch du kennst keine Eile. Du ziehst dich an, suchst deine Sachen zusammen, gehst die Treppe herunter, trittst durch die Geheimtür und bewunderst noch einmal die sehr geschmackvolle Einrichtung. Es soll ein Abschied auf immer werden.

Rechte Faust an linke Schulter. Kurz konzentrieren. Dann schnell mit Zeige- und Mittelfinger auf das Ziel zeigen. Der Zauber nennt sich Ignifaxius und er hält, wofür er steht.

Stoff und Teppich brennt wie Zunder, also musst du rennen, um das Gebäude zu verlassen. Du überlässt auch Aillil den Flammen, doch wenn du jetzt damit begonnen hättest, nach Gut und Böse zu unterscheiden und dir alles Wertvolle unter den Nagel zu reißen, dann hätte das alles, was gut war, gesprengt. Du möchtest deinen Abschluss, heute Nacht noch dein Geld und zwei Wochen Ruhe. Manchmal wird es einfach zuviel, und trotzdem lächelst du. Du hast gelogen, als du sagtest, du würdest dir deine Niederlage eingestehen – du verwandeltest sie in einen Sieg.
 

Dein Auftraggeber wartet. Du taumelst immer noch, deshalb hältst du dich kurz. Es brannte, sagst du, und nun möchtest du Geld sehen und zwar genau die restlichen vierzig Goldstücke und keinen Heller weniger, denn es ging gegen Vampire. „Oh?“, entfährt es ihm da, „Wirklich?“ Das macht dich wütend. Er wusste es und ließ dich ins Messer laufen. „Nur eines“, sagst du, weil du dich wegen ihm nicht aufregen möchtest, „die wievielte Magierin war ich?“ – „Die erste, Herrgott noch mal, die erste“, plappert er beim Abschied. „Warum muss ich das denn bei jeder Frau wiederholen?“
 

Du willst Rufus einen Brief schreiben. Er ist so fern und in den langen Tagen, die du brauchst, um wieder zu Kräften zu kommen, fühlst du dich so einsam. Du sitzt über weißem Papier, doch dir fällt nichts ein. Was solltest du auch schreiben? „Bin in Brig-Lo angekommen und wurde von einer Vampirfrau gleich doppelt vernascht. Denke an dich. „?

Sei doch endlich einmal entschlossen. Du kannst es sein. Du wirst es sein. Du bist es. „Lieber Rufus. Meine Eltern nannten mich einst nach dem Tauen des Frühlings, doch ich sehne mir die Kälte herbei. Wir sehen uns spätestens nächsten Winter in Grangor. F.“

Sollte er doch von dir halten, was er wollte.

Freya in: (3) Das Lagerhaus

Freya – Damals

Du denkst, du bist bereit, als du auf das Tor zuschreitest. Du bist nervös und weißt nicht, warum. Das Haus ist unauffällig – klein, doch steinern, mitten, doch im Gewirr schmaler Gassen verborgen, in Brig-Lo – und doch folgtest du genau der Beschreibung. Du klopfst.

Eine Weile vergeht, in der du dir dumm vorkommst. Du stehst hier in einer fremden Stadt und hast dich dafür herausgeputzt, einen Magierlehrer zu treffen, der dir in Grangor empfohlen den Tanz der Mada beibringen soll; du trägst die vom Codex Albyricus verordnete rote Seidenrobe, die du seit Andergast nicht mehr trugest, aber in einem teerversiegelten Lederbeutel als wohl wertvollstes Stück deiner Ausrüstung mit dir führtest und vor der du selbst in Grangor zurückschrecktest, weil Rufus sonst lachen könnte, verbunden mit der verordneten weißen Hose, gebunden ganz pflichtgemäß mit einem schwarzen Gürtel und nicht ergänzt durch die passenden Schuhe, denn die wolltest du nicht auch mit auf Reise nehmen, weswegen du nun zu deinen normalen Wanderstiefeln griffst – ein Verstoß genau wie deine dunkelgrüne Wollbluse, die du unter der Robe trägst, da du die Einblicke, die sie sonst bieten würde, nicht jedem gewähren möchte. Zum Abschluss legtest du dir noch ein hölzernes, von einem Lederband getragenes und mit geschnitzten Zeichen verziertes, Amulett um, ein Freundschaftsbeweis eines albernischen Druiden und dein einziger Schmuck, und segnetest dein Aussehen schließlich nach einem langen Blick in den Spiegel ab; du bist das, was herauskommt, wenn eine reisende Zauberin sich herausputzt.

„Ja?“ – „Magister Marcin Saibal? Ich bin Adepta Freya aus Andergast und erbitte Ihre Unterlehrung.“ Du bist so eine höfliche Magierin, dass du sogar den Knicks mit dem Vorzeigen deines auf der rechten Handfläche getragenen (und damit ein ganzkleinwenig gegen den Codex Albyricus verstoßenden) Gildensiegels verbindest, wenn deine Schule Wert auf so etwas gelegt hätte, so wäre sie sicher stolz auf dich. Der Angesprochene ist es nicht. „Das passt nicht.“, sagt er. „Bitte?“ – „Eine Magierin kommt zu mir in magischen Belangen.“ – „Entschuldigt, Magister Szinto, es wurde mir so zu Grangor geraten.“ Du bist kein dummes Kind, du erledigtest deine Hausaufgaben. „Dann komme doch rein. Störe dich bitte nicht, ich habe keinen Besuch erwartet.“

Der Mann, der dich hereinlässt, ist ein unscheinbarer Mann, der seine blonden Haare kurz wie ein Soldat trägt und vom Alter her dein Vater sein könnte, doch was dir wirklich auffällt – und du bemerkst es recht schnell, weil du die Etikettenregeln unter Zauberern zuvor extra noch einmal in deinem Reisebüchlein nachschlugst – ist die fehlende Rechte und entsprechend das Siegel auf Links. Du überlegst noch, ob du ihn darauf ansprechen sollst, während du deine Schuhe ablegst und dich wenig später an einem kleinen Tisch sitzend wieder findest. „Es ist auch schon lange her, dass ein Zauberer über diese Schwelle trat, doch wie es scheint, gibt es noch Leute in Grangor, die einem alten Mann gerne einen Gefallen tun. War es Jikhbar, der dir meinen Namen nannte?“ Du schüttelst den Kopf. „Ich habe den Leiter selbst nie getroffen. Es war einer der Lehrer, Ogrim.“ Bei dem Namen lächelt er und nickt, doch du bist eine höfliche Zauberin und es macht dir nichts aus, auf das zu warten, was du willst. „Du bist aber selbst nicht aus Grangor, nicht wahr?“ – „Nein, Herr Magister. Andergast.“ – „Und warum?“

Du lächelst, um die Verlegenheit über die plötzliche Direktheit zu überspielen. Du willst hier nicht gleich deine Lebensgeschichte ausbreiten. „Ich hatte Beziehungen dahin“, fasst du knapp zusammen. „Kein guter Grund.“ – „Außerdem wollte ich mich nicht schutzlos fühlen.“ – „Tatest du das denn?“ Seine grauen Augen weichen nicht von dir, doch wirken sie auf die interessiert und nicht bohrend. Du schlägst dir eine Strähne aus dem Gesicht und weiß, dass die Zeit für knappe Antworten vorbei ist. Das hier ist kein Eingangsgespräch mehr. „Ich bin nicht zum Studieren nach Andergast gezogen, sondern ich war da – als Mädchen, als Kuslikerin – und hatte niemanden, dem ich mich wirklich zugehörig fühlte und der mir in Zeiten der Not beistehen konnte. Die Andergaster wollten aus mir eine Matratze machen, die Liebfelder ein Püppchen und meine Eltern ein Handelsgut. Wenn du da etwas willst, dann musst du dich durchkämpfen und damit leben, dass die anderen dich nicht als Gegnerin sehen, sondern als Zumutung und dann…“ Du lächelst, als dir dein Fehler bewusst wird. „In Ihnen, tut mir Leid… und, ja. Ich fühlte mich schutzlos.“ Marcin sieht dich lange an. „Du bist weg, sobald du konntest, richtig?“ Wieder nickst du und lächelst. „Das oder zehn Jahre Militärdienst“ – „Und nun?“ – „Reise ich umher. Ich lerne Länder kennen, treffe Leute… helfe Leuten…“ – „Das einst schutzlose kleine Mädchen, dass nun selbst andere beschützen möchte?“ – „Sagen Sie das ohne die Abwertung und ich stimme Ihnen zu.“ Du lachst und kannst deine Anspannung gut verbergen, doch das bedeutet ja noch lange nicht, dass du nicht angespannt bist. Er braucht nur eine Frage, dich zu knacken: „Was sagen denn deine Eltern dazu?“ Du lachst, ein zynisches Lachen. „Meine Eltern sind Kreaturen. Sie versuchen, seit ich ein Kind war, mich an den Besten zu verkaufen, sei es Ehemann, Kirche, Orden, Schule, Ehefrau, Dienstherr oder was auch immer. Mein Vater hat mich auf jedem zweiten Fürstenhof zwischen Al’Anfa, Yol-Ghurmak, dem Kalifat und dem Gjalskerland vorführen lassen und es ist nur seiner verblendeten Vorstellung des Wertes des Namens Galahan zu verdanken, dass er mich damit von Misserfolg zu Misserfolg schleppte. Ich wurde Kampfmagierin gegen den Willen meiner Eltern und was immer sie heute tun…“ Du sprangst auf und knalltest bei dem letzten Wort deine Hand auf den Tisch, ehe dir klar wird, dass du zu weit gingst. Du setzt dich wieder. „Du hättest sie schon gerne stolz gemacht?“, fragt er lächelnd und du lächelst zurück. „Kein gutes Thema, Magister.“ Dein Lächeln ist nicht mehr unterwürfig. Der Knoten ist geplatzt, die Ehrlichkeit kommt hervor und wohin dies immer auch führt, das ist dir jetzt egal, denn es fühlt sich gut an.

Marcin erweist sich als Ehrenmann und lässt dir einen Moment, um dir deiner Schande bewusst zu werden, spricht sie aber nicht an. „Ich meine es doch nicht böse“, sagt er, „Ich habe eine Tochter in deinem Alter und wenn du sie wärst, ich machte mir Sorgen. Wir haben uns einer Kunst verschrieben, die uns nicht glücklich macht und die nur wenige von uns zu einem guten Ende führt. Als ich damals hörte, dass meine Tochter die Gabe nicht von mir bekam, war ich froh. Kannst du das glauben?“ Du nickst nur. „Du tanzt mit Zerzal, wie die Elfen sagen würden, und zwar mehr, als gut ist.“ Du weißt nicht, was er sagt, doch du weißt, was er meint.

„Wie haben Sie Ihre Hand verloren?“, lässt du die Schwellen hinter dir, denn du weißt, es ist Zeit. Er nickt knapp, denn er sieht, du hast verstanden. „Orkkrieg“, sagt er, „Ich war lange Zeit unter Elfen, um sie zu verstehen, und als der Aikar marschierte, folgte ich einigen von ihnen und marschierte ihm entgegen. Wir wurden niedergemacht und sie nahmen mich gefangen. Ja… und dann wollten die Orks ein Lösegeld fordern und mein Verständnis als Übersetzer nutzen, deshalb ließen sie mich am Leben, doch um mich am Zaubern zu hindern, schlugen sie mir die Hand ab. Ende der Geschichte.“ Er blickt von der Tischplatte auf und sieht dich wieder an. „Das war mein Ende als Zauberer, auch wenn es nicht mein Ende hätte sein müssen, also tat ich das, was alle Zauberer tun sollten, wenn sie nicht mehr zaubern wollen: Ich heiratete, und zwar ganz bewusst deshalb… Hast du einen Freund?“ Du lächelst und schüttelst den Kopf. „Aber einen in Aussicht?“ Verdammt. „Mach dir nichts daraus, deine Augen verraten dich.“ – „Er ist Kriegerschüler im Bornland.“ – „Ein paar Abenteuer zusammen, dann ein Kind und dann zusammen alt werden?“ Du nickst. Warum nicht?

„Also dann, wie kann ein versehrter Verständigungszauberer einer jungen Kollegin aus dem Waldreich wohl weiterhelfen?“
 

Freya

Du liegst in einem Bett in einem kalten Herbergszimmer in Brig-Lo und fühlst dich immer noch benebelt. Es ist nicht das Blut, das dir fehlt, und auch nicht die Wunde, denn die Einstiche, die die Zähne deinem Hals zufügten, verheilt, sondern eine andere Macht, die an dir wirkte: Dir wurde an der Seele gezerrt und ein Stück davon heraus gebrochen, und du weißt, dass du um ein Haar ganz verloren wärst – und es war nicht einmal dein Verdienst, dass das nicht geschah. Marcin, dein Meister, hatte einfach Recht, erinnerst du dich, als er davon sprach, dass du mit dem Tod reist. Für dich ist es auch schlimm, zu wissen, dass da nicht der eine Fehler war, den du begingst: Du warst da und der andere einfach nur stärker. Das tut dir weh.

Du gönnst dir eine Pause, für einige Tage. Heile, denkst du dir, ruhe dich aus, das hast du dir verdient. Du kannst ja auch die Zeit nutzen, auch wenn du lange im Bett liegst und dein Zimmer nur selten verlässt, hast du dir doch aus Grangor ein Pergament mit einem Ritual mitgenommen, welches du mal eben für dich entwickeln und durchführen könntest, ist es doch alles andere als schwer. Es passt auch ganz gut, nennt es sich doch Regeneration.
 

Freya – Damals

„Ich hörte, Sie können mir den Tanz der Mada beibringen.“ Marcin lacht auf, doch das kennst du zu gut, also bleibst du ruhig. „Wirklich?“ – „Ja.“ – „Du kommst von Grangor deswegen hierher?“ – „Ja.“ – „Warum?“ – „Selbstfindung.“ Du bist eine sture junge Zauberin, die sich nicht einfach vom Ziel abbringen lässt. „Der Tanz der Mada ist dazu da, junge Kollegen dazu zu bringen, mal von ihren Büchern und Zaubern wegzukommen und sich mit ihrem Körper zu befassen.“ Du schweigst. „Also gut, dann die obligatorischen Fragen. Wann hast du zuletzt gezaubert?“ Du denkst kurz nach. „Vor drei Monden, habe eine Höhlenspinne mit einem Fulminictus gebraten.“ – „Wann hast du zuletzt die Nase in ein Buch gesteckt?“ – „Das Vademecum mitgezählt? – „Nein.“ – „Dann… ist lange her.“ – „Und wann hast du dich zuletzt mit deinem Körper befasst, mal abgesehen von heute morgen, als du dich für dieses Treffen in Schale aufdonnertest?“ – „Gestern Abend?“ Er lacht, glucksend und immer lauter, und du fürchtest dich vor der Erkenntnis, dass die letzte Frage doppelt gemeint sein könnte, doch das scheint es nicht zu sein, was ihn erheitert: „Das ist alles? Nach Monaten kommt, von Grangor geschickt, eine Zauberin zu mir und alles, was die sucht, ist einen Tanzlehrer?“ Du lässt dich von ihm nicht aus dem Konzept bringen, denn das stehst du jetzt durch, egal wohin es dich bringt. „Ja.“

„Du bist verrückt“, sagt er und das verwundert dich, denn du bist es nur gewohnt, dumm genannt zu werden – meistens von Rufus –, aber nicht verrückt. „Wie war doch gleich dein Name?“ – „Freya, der Herr.“ – „Nicht dieser alberne Magiername, der richtige.“ – „Firlina di Arthuro-Galahan“ Du deutest einen Knicks an, denn diesen Namen nanntest du ihm tatsächlich noch nicht. „Dann höre mal zu, Firlina, wenn eine Zauberin zu einem Zauberer kommt und es nicht um Zauber geht, dann nimmt sie meist ihre Profession nicht ernst… oder aber, sie gehört zu den verdammt wenigen Gestalten, die wirklich begriffen haben, worum es in dieser Zunft wirklich geht.“ – „Danke, der Herr.“ – „Ich glaube zwar nicht, dass du ganz weißt, was du tust, aber ich denke, du gehörst immerhin schon einmal zu der besseren Hälfte. Also, ich denke, ich kann dir helfen… für drei Goldene die Stunde.“ Das ist viel, doch du hast dich entschieden, also nickst du. „… und zwar ab Überschreiten der Türschwelle…“ Wieder nickst du, auch wenn du ihn dafür verfluchst. Immerhin saßet ihr hier schon eine Zeit beisammen. „Nun gut. Der Tanz der Mada ist, und das ist der Grund, warum sie dir in Grangor nicht selbst halfen, eine recht persönliche Geschichte. Viele Zauberer nutzen ihn, um standesgemäß ihren Bücherwurmleib in Bewegung zu setzen, doch die Sorge erkenne ich bei dir nicht. Du begibst dich in Gefahr, also muss ich dir helfen, sie zu überwinden, und das kann ich auch, denn wer mit Zerzal tanzt, tanzt auch mit Mada. Du magst zwar klug sein, doch ich glaube nicht, dass du klug genug bist, um nicht eine Schwäche zu teilen, die die ganze Zunft überfällt: Du hast gelernt, zu zaubern, doch du weißt nicht, wann du es tust.“ Du blickst ihn an, weißt jedoch nicht, worauf er hinaus will. „Stehen sie im Feld, so müssen sie vor jedem Schritt überlegen. ‚Ignifaxius’… ähmm, verdammt, der wirkt nicht richtig… ‚Fulminictus’… Moment, wobei… Siehst du, was ich meine?“ Du nickst artig. „Nehmen wir einmal an, du bewegst dich durch ein dunkles Haus, in dem eine Gefahr auf dich lauert, und etwas kommt plötzlich von rechts. Was tust du?“ – „Blitzen“ – „Bitte?“ – „Blitz dich find, also erst einmal blenden – es könnte ja ein Freund sein.“ – „Und dann?“ – „Das hängt vom Fall ab.“

Marcin springt auf. „Erkennst du es, das ist es? Du zauberst und weißt nicht weiter. Wie wäre es, wenn du mit dem Blitz zugleich einen Schritt zurücktrittst, um einem geblendet um sich schlagenden Ziel zu entgehen, und zugleich deinen Stab in eine Lage bringst, mit der du dich verteidigen kannst? Entwickele das alles zu einer Bewegung, trainiere sie und du gewinnst eine größere Chance, genau da am Leben zu bleiben.“

Du stehst ebenfalls auf, denn was er sagt, klingt nützlich, wenngleich noch ziemlich phantastisch. „Das ist ein Beispiel“, führt er weiter, „und wenn du möchtest, kannst du weitere entwickeln – es ist dein Tanz, du verstehst? Begeben wir uns erst einmal zu den Grundlagen. Wir waren eben nämlich schon im wahrsten Sinne mittendrin. Zunächst einmal – entspanne dich. Schritt eins, Mada erkennt: Entspanne dich, lasse die Welt hinter dir… muss ich noch viel dazu sagen? Schritt zwei, Madas Besinnen: Meditation. Bis hierher ist alles bekannt, was? Das hast du doch auch in Andergast gelernt.“ Du nickst. „Natürlich. Wichtig ist nur: Jetzt meditierst du im Stehen. Kein Hinsetzen, niemals. Schritt drei, Madas Zauber: Da wären wir dann. Fahre aus der Starre in die Bewegung, doch tue es still, denn du möchtest ja nichts auslösen. In unserem Fall wäre es sicher keine lange Abfolge, doch dazu kannst du ja später noch kommen. Schritt vier, Madas Gefangenschaft: Falle aus der Bewegung wieder in die Meditation. Wenn du später etwas Übung hast und an einer Technik arbeitest, die auch Kampfzauber beinhaltet, dann denke daran, dass du von Zeit zu Zeit auch mitten in der Bewegung abbrichst und in die Meditation gehst, denn du willst ja doch Herr deiner Entscheidungen bleiben. Anschließend sind wir schon am Ende, des es folgt Madas Wiedergeburt. Du entspannst dich, kommst langsam wieder zu dir und lässt die ganze Magie erst einmal wieder hinter dich. Täglich davon, vielleicht eine halbe Stunde jeweils, und du kannst recht schnell vorankommen.“ Er möchte dir Mut machen, da er deine Skepsis sieht, doch du hast dich ja schon entschieden. „Mit Stab oder ohne?“, fragst du.
 

Freya

Dein Zimmer bleibt dunkel, während du dich in diesen Tagen auch drei Dinge konzentrierst: Zu Kräften zu kommen, zu Kräften zu kommen und dafür zu sorgen, dass du es auch bleibst. Du nimmst dir deinen Stab und gehst die Bewegungen durch: Entspannen, wie du es gelernt hast (das waren jedoch nie deine Lieblingskurse), Meditieren – und das auch auf Wunsch mit einer astralen Meditation verbinden, die du aber seit der Akademiezeit auch nicht mehr anwandtest – und dann… ja, daran habt ihr lange gekämpft: Zwei Finger der linken Hand zeigen auf das Ziel, um es zu blenden, während der Stab in der rechten verbleibt, doch wie verbindet man eine Angriffsbewegung mit einem Schritt zurück? Du bist dir nicht sicher, wie viel von der Blendung aus der tatsächlichen Bedrohung und deiner Entschlossenheit erwächst und Marcin stimmte sah deinen Punkt. Die Übung sah schließlich anders aus, als er es sich dachte: Der linke Arm zischt nach vorne und erst in der allgemeinen Rückwärtsbewegung landet die Hand am Stab, der sich nun vom Wanderstab zum Kampfinstrument wandelt. Du probierst die Bewegung ein paar Mal aus, hier in deinem leeren Zimmer, und fühlst dich lächerlich dabei – und trotzdem übst du jeden Tag, denn morgen findet das andere der beiden Treffen statt, auf die du dich mit Marcin einigtest und dass du nach dem Fall mit dem Vampir nach hinten verlegtest. Du musst gestehen, du hättest es dir gerne gespart, doch verschafft es dir zugleich Anregung: Sei gut, oder er besteht noch auf einem dritten, und das wird wieder teuer.

Kampfbewegung, Bett, manchmal in die Stadt… wie viele Tage bist du nun schon hier? Wie viele sollten es einmal werden?

Die Regenerationskraft ist keine große Sache, doch auch der Umkehrschluss sticht: Deine Seele bringt sie dir auch nicht zurück, sie ist nutzlos – doch immerhin, du gesundest, und das verleiht dir Hoffnung.

„Hallo? Wie geht es denn meiner Haus- und Hofzauberin heute?“ Alrik schert sich nicht um irgendwelche Anstandsregeln wie Anklopfen und betritt einfach dein Herbergszimmer, während du in deinem rosafarbenen Nachtgewand auf dem Bett sitzt und die Ms zählst, die du für jeden erledigten Tanz in deinem Buch notierst. „Ganz gut“, sagst du, denn heute ist dir nicht nach Streit. „Ich freue mich schon auf den Tag, an dem ich hier wieder wegkomme.“ – „Das sagtest du doch schon bei unserer ersten Begegnung und jetzt ist Tsa.“, lacht er, „Gib es doch zu, dir gefällt es hier.“ – „Ja, dieser Ort besitzt den Anmut eines Misthaufens.“ Er setzt sich neben dich, ohne auf deine Proteste Rücksicht zu nehmen, weswegen du es gar nicht richtig versuchst. „Da sind wir schon beim Thema“, sagt er, „bist du einsatzfähig?“ Ja, das bist du eigentlich schon und das Rumsitzen langweilt dich. „Geht es um Vampire?“ – „Nein, das ist sogar ziemlich sicher. Höre mal…“ Er legt dir den Arm über die Schulter, was dir vor einem knappen Monat noch wirklich unangenehm gewesen wäre, doch nach über einem Monat in Brig-Lo, in dem dir Rufus nicht antwortete – warum sollte er auch, er nimmt ja an, dass du bald von hier aufbrachst – und dir nur ein zweitklassiger Verbrecherkönig Krankenbesuche machte, härtetest du etwas ab. „Mich hat da ein Freund um Hilfe gefragt, da sein Lagerhaus immer wieder von Dieben ausgeräumt wird, und da habe ich an dich gedacht und mich gefragt, ob du diesem Rätsel nicht auf den Grund gehen möchtest. Möchtest du das denn?“ – „Nun mal langsam. Was denn für ein Freund?“ – „Naja, ein Freund… eher ein Bekannter… ein anderes hohes Tier in der Stadt halt. Er nennt sich Alron Grabenstätt, handelt mit Stoffen und wirkt in die umliegenden Reiche: Havena, Grangor, Punin… aber, und was noch wichtiger ist: Es geht um ein Lagerhaus und da können Vampire nicht ohne weiteres rein, also keine Gefahr für dich.“ Du siehst ihn lange an. „Dahinter steckt Geld, was?“ – „Ja, natürlich, eine Menge sogar. Da fließen echte Goldmünzen und außerdem sehe ich es als Test für dich an, denn wenn du dich gut schlägst, dann kann ich dir eine feste Stelle in meiner kleinen Gruppe anbieten, denn so eine Magierin…“ – „Lenke nicht ab. Wie viel?“ – „Fünfundvierzig, wenn du erfolgreich bist, diesmal keine Anzahlung, denn du hast Recht, deine Zuverlässigkeit musst du nicht mehr beweisen.“ Du erhebst dich, um zu ihm herabblicken zu können. „Du fragst also eine Frau, ob sie für dich eine Lagerhalle voller Stoffe untersuchen könnte. Hast du keine Männer, die so was erledigen können?“ – „Schon, doch denen vertraue ich nicht genügend, um sie an eine Stelle zu führen, aus der laufend Dinge verschwinden… Bitte. Das wäre doch eine schöne, einfache Sache für dich.“ Über seinen Versuch, einen Hundeblick aufzusetzen, kannst du nur lachen, auch wenn sein Hut zumindest im Ansatz die Schlappohren ersetzt. „Für deine letzte einfache Sache habe ich geblutet“, sagst du, „und nun möchtest du mir eine weitere einfache Sache für noch weniger Geld anbieten? Du hältst mich für dumm.“ – „Dann schlagen wir halt noch zehn Dukaten drauf, aber nur, wenn du die Bande auch dingfest machst und danach auch nicht heulst.“ – „Ich heule doch nicht.“ Langsam zieht er einen großen Schlüssel aus der Tasche und lässt ihn mitschwingen, während er antwortet: „Das klang aber verdammt ähnlich. Oh, zu Hüüüülf, es waren Vampire.“

Du schnappst nach deinem Zauberstab und knallst ihn auf die Holzdielen, dass es scheppert. „Gut, dann mache ich es. Gib mir die Adresse, sage deinem… ‚Freund’… Bescheid und scher’ dich gleich aus meinem Zimmer, damit ich mich umziehen kann.“
 

Freya

Du ziehst kurz vor Einbruch der Dunkelheit los, um das Lagerhaus, das sich am anderen Ende der Stadt befindet, mal bei Nacht im Auge zu behalten und zu sehen, was passiert. Die Lagerhalle lässt sich einfach öffnen und du begutachtest die Qualität der Waren, bei denen es sich längst nicht nur um Stoffe handelt, bis dir ein Windhauch auffällt, der dich zu einer Kiste führt – ein schnelles Schieben, dann eine große Erkenntnis: Ein unterirdischer Gang. Schnell entzündest du eine Fackel und bewegst dich langsam vor in die stickige Tiefe, während um dich herum Balken das Erdreich vor dem Einsturz bewahren. Der Gang zweigt sich schließlich nach mehreren Metern und du wählst links. Eine schwere Stahltür erwartet dich, die aber offen zu stehen scheint.

‚Tanze nicht mit Zerzal’, fährt es dir durch den Kopf, also horchst du und vernimmst ein Schnarchen – Perfekt. Da müsste man nun doch einfach… vorsichtig deinen Stab haltend, drückst du dich gegen die Tür und… verdammt, ein ekelhaftes Quietschen lässt alles aufhorchen. Vier grobschlächtige Gestalten greifen recht gleichzeitig zu ihren Klingen.

Du reagierst, ehe du noch weißt, was du tun sollst: Deine Hand schlägt in deine Handfläche, du rufst nur ein Wort und… Paralü… warten vier steinerne Gestalten darauf, in einigen Stunden wieder ins Leben zurückzukehren. Das Adrenalin erfasst dich trotzdem und jagt dir einen Schauer über den Rücken. Das war gefährlich, das war knapp, schnell weg hier.

Eine Rampe führt nach oben und du atmest frische Luft. Geschafft, denkst du dir, als plötzlich ein Kerl mit großem Schwert neben dir aus dem Gebüsch fährt. In diesem Moment dankst du Meister Marcin – zwei Hände entgegen, blitzen, abwehren. Dann die Situation verstehen, während er blind umherwirbelt und einsehen: Ja, das ist ein Kerl, der eine Waffe führt. Was sollst du tun?

Was kannst du tun? Nach dem Steinzauber im Gang fehlt es dir an Kraft, um hier etwas Großes zu bewirken, also… ja, das Schwert. Du wählst den Zauber Eisenrost, als er gerade wieder zu Sinnen kommt, und berührst gerade die Waffe, da kommt er wieder zu sich und ein mächtiger Hieb reißt dich zu Boden. Er grunzt und schwingt erneut sein Schwert, dessen Klinge, wie du siehst, langsam eine rote Färbung annimmt… aber sehr langsam. Er schlägt erneut zu und nur dein Zauberstab verhindert Schlimmeres, doch drückt allein die Wucht dir die Luft aus der Lunge. Dieser Kämpfer ist dir überlegen und das wird dir gerade sehr deutlich bewusst. Dann folgt der dritte Schlag, die Waffe schwingt, doch just in diesem Moment löst sich die Klinge vom Griff und schlägt auf den Boden, wo sie in Tausend Scherben zerfällt. Der Räuberhauptmann blickt dich an, du lässt noch einmal die Magierin raushängen, lächelst siegessicher und er rennt davor. Dir fällt ein Stein vom Herzen.
 

Es ist schon früh am Morgen, als du heimkehrst, und wieder sitzt Alrik am Roten Hang und wartet dort auf dich. Er spielte an einem Würfelbecher, um sich die Zeit zu vertreiben, und ist nicht einmal zu einem Lächeln imstande, als du eintrittst. „Freya? Du siehst furchtbar aus. Wie ist es dir ergangen?“ Du lässt dich schwer auf einen Stuhl fallen, spürst die Wunde, die dich schon auf dem ganzen Rückweg quälte, auch wenn du sie noch am Lagerhaus zu behandeln suchtest, und antwortest knapp: „Räuber gruben einen Stollen. Ich fand sie und konnte ihnen wenigstens einen Schrecken einjagen.“ – „Du hast deinen Feinden gegenüber Gnade walten lassen?“ Der Tag war lang, die Nacht war schwer und gerade jetzt bist du ehrlich. „Nein“, sagst du, „Mehr war einfach nicht drin.“

Freya in: (4) Zwergenerz

Nächste Heimat

Zwischen Wahn und Wirklichkeit liegt manchmal nicht viel Zeit, und so kommt es, dass ich wenige Stunden später wieder vor diesem unauffälligen Haus in einem verwinkelten Viertel Brig-Los stehe, meine schmerzende Wunde verwünsche und bereue, keinen Schlaf gefunden zu haben; ich habe es versucht, doch immer dann, wenn ich meine Augen schloss, fühlte ich die Seelenmühle an mir zerren und mich zerreißen, wobei ihr kreischendes Knirschen fast noch mehr durch meine Ohren stach und mich sofort wieder aufschrecken ließ. Das kommt vor bei mir. Ich leide an Alpträumen, die meistens Dämonen oder die Niederhöllen an sich beinhalten, seit ich ein kleines Mädchen bin, und so verließ ich dann doch mein Bett, statt Meister Marcin zum fünften Mal abzusagen, und bewegte mich schweren Schrittes hierher. Von drinnen zieht ein leichter Duft nach Essen heraus, was in mir Hoffnungen weckt und mir fehlt die Aufregung, die ich beim ersten Mal verspürte – doch ebenso auch die Frische, denn weder vor dem Fallen in die Koje noch nach dem Erheben daraus zog ich mich um. Ich muss ihn erschrecken. Bei meinem Anblick zeigt er sich auch sehr erschreckt. „Ach du gute Güte, Freya, was ist mit dir passiert?“ Ich lasse mich von ihm ins Haus geleiten, während ich antworte: „Ich habe es in der Nacht mit einer Räuberbande aufgenommen. Nun kann der Kaufmann Grabenstätt wieder ruhig nachts schlafen.“ – „Du aber nicht, wie es scheint. Hättest du ihm doch seine Sorgen gelassen, das ist der größte Gauner von allen.“ Er macht sich Sorgen, also sage ich dazu nichts, sondern mustere noch, was sich seit meinem letzten Besuch in diesem Raum veränderte. „Das ist übrigens Lilim, meine Tochter“, fügt er an, was diese wohl als Stichwort betrachtet. „Hallo“, sagt sie und erhebt sich, „Du bist Freya? Vater erzählte mir, da konnte ich gar nicht erwarten, dich kennen zu lernen.“

Marcin sprach von einer Tochter deines Alters, fährt es mir durch den Kopf, und ich hoffe, dass er mir damit schmeicheln wollte, denn dem straßenköterblonden Mädchen, bei dem ich bis zum Erkennen ihrer Ohren fast eine elfische Herkunft angenommen hätte, fehlten doch noch eine Handvoll Jahre zu mir. Sie sprühte vor Energie und ehrlicher Freude, als sie mir die Hand gab und mich damit schmerzhaft an meine Wunde erinnerte. Meine Reaktion blieb ihr nicht verborgen. „Du bist verletzt?“ – „Ja, zum Eisenrost den Stab erhoben und nicht schnell genug bemerkt, dass der Blitz ihn wieder freiließ.“ Marcin seufzte irgendwo hinter mir auf. „Lilim hat extra für dich gekocht, aber ich denke, das kann warten. Bitte lege dich hin.“ Behutsam senkte ich mich zu den Dielen herab, während die Tochter wissen musste, was nun kam und mir behutsam den Gürtel löste und mich aus meiner grauen Robe schälte. Darunter musste sie einen abgetragenen Gambeson, einen leichten Stoffpanzer, erblicken, der mich soweit es eben ging vor dem Unbill meiner Feinde schützte und der von Resten alter Abenteuer und einem dicken neuen Blutfleck versehrt war. Ich ließ mich zurücksinken, während Lilim mit geschickten Fingern sich anschickte, die Gurte zu lösen, die diesen immerhin noch erlaubten Panzer an seinem Platz hielt. Ich fühlte mich in guten Händen.

… Mühlen malmen, knarren, kreischen, kreischen…

Ich schrecke auf. „Habe ich dir wehgetan?“ – „Nein, keine Sorge, ich bin nur völlig erschöpft.“ Hinter mir hörte ich den Vater schreiten. „Das sieht man. Hast du dich einmal angesehen? Ringe unter den Augen, Dreck in den Haaren, blutender Leib?“ Ich flüsterte vor mich hin, was er nicht ergänzen konnte: „Und ausgebrannt bis zum letzten Rest.“ – „Mädchen. Das sollte doch eigentlich so ein schöner Tag werden. Wir wollten gemeinsam essen, dann konntest du uns deine Fortschritte zeigen, die bei der langen Zeit sicher enorm sein müssen, und dann wollte ich dir noch ein Geschenk überreichen. Lilim hier…“ Die Nennung ihres Namens lässt das blonde Mädchen innehalten und lächeln. „… wird er bald auf die Garether Kunstakademie verschlagen…“ – „Wenn ich genommen werde.“ – „… wenn du genommen wirst, und sie hatte angeboten, ein Bild von der Zauberin zu malen, die vor einem Mond noch wie aus dem Ei geschlüpft vor meiner Tür stand, und nun… da taugst du wirklich nur als Abschreckung, wenngleich auch das sehr gut.“ – „Ich bin auch sehr abgeschreckt, Papa.“ – „Ja, ja.“

Es läge an mir, etwas zu sagen, doch mir gehen die Worte aus. Ich liege auf den Brettern, lasse ein Mädchen an meinem Gambeson rumschnüren, unter dem ich nichts trage, während ihr Vater dabei zusieht. Ich möchte nicht lügen; die Geschichte endete glücklich, ich gewann einen ordentlichen Beutel voller Dukaten und konnte außerdem noch etwas Gutes tun, also sehe ich keinen Grund, mich zu schämen. „Das sind die Schattenseiten“, sage ich, „manchmal tut es eben ein bisschen weh.“ – „Du bist fast gestorben.“ – „Ja.“

Es wird oben herum kalt für mich, als Lilim ihr Schnürwerk abschloss und den oberen Teil wegschiebt, dummerweise auf mein Gesicht. Ich hatte zwar schon in der Lagerhalle versucht, die Wunde zu verbinden – unter Benutzung eines Stücks Stoff aus den Lagerbeständen –, doch es gelang mir damals nicht ganz und ich hatte mir vorgenommen, mich auszuschlafen und mich dann mit frischen Kräften des Problems anzunehmen. „Was war das denn für eine Waffe?“, bricht Lilim neben mir in Verwunderung aus. „Ein Rondrakamm“, sage ich ihr, ein großes, gezacktes Schwert. „Du hast dich mit einem Geweihten angelegt?“ – „Nein, ganz sicher nicht. Eher mit seinem Mörder.“ Das war dann doch auch eine verflucht knappe Angelegenheit. Göttin sei Dank, fährt es mir durch den Kopf, wurde die Waffe nicht geschützt, denn hätte mein Zauber nicht gewirkt… Die Geschichte war und blieb hässlich.

Mein zufriedener Ton muss Marcin nicht gefallen haben. „Lilim? Ich weiß es jetzt. Bitte male sie so. Bitte hilf ihr dabei, sich so zu sehen, wie sie jetzt ist.“ Aber…? „In Ordnung?“, fragt Lilim mich, doch ihr Vater unterbricht sie wütend. „Sie ist die Schülerin und ich bin ihr Meister. Tue es.“

Er wurde zu laut und merkt es, während Lilim zusammenzuckt. „Bitte, Kind. Sie braucht das, du brauchst das… und ich alter Mann doch auch.“ Ihr Blick wandert zu mir, doch was soll ich tun?

…Mühlen kreischen, pressen, zerren, mahlen, mahlen…

„Freya?“ – „Ja? Ach… tut mir Leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“ – „Richte sie dir her, wie du magst, Kind. Ich denke, ich kann euch beide gut alleinlassen. Ihr kommt miteinander klar?“ – „Verlasse dich darauf.“ Lilim wendet sich immer noch heiter mir zu. „Mache dir nichts daraus, er hat nur Angst, dass ich zu den Puniner Landsknechten gehe, wenn es mit Gareth nichts wird.“ Sie lässt ab von mir und ich bemerke, dass sie auch meinen nutzlosen Verband entfernte. „Nur ein Spaß, das würde ihm das Herz brechen.“ – „Dann meint er es ernst?“ – „Was? Das mit dem Bild? Das mit dem Auftrag? Ja, tut er.“ – „Aber was will ich denn…?“ – „Aufheben, weil es dir gefällt, oder verschicken, an deinen Freund, deine Eltern, von wem du magst, dass er sich Sorgen um dich macht.“ – „Sehe ich… wirklich so schlimm aus?“ – „Ja, aber das ist noch kein Vergleich zu dem, wie du auf der Leinwand aussehen wirst.“ – „Leinwand?“ – „Natürlich. Wir gehen es richtig an.“

Ich blicke zu ihr herüber und sehe, wie sie eine Staffage heranträgt. Es wird ernst, das spüre ich, und ich verstehe auch Marcins Motive: Wenn es wird, was er denkt, dann kann ich es nicht hergeben und muss es ewig mit mir herumführen und mir vor Augen führen, wie zerbrechlich ich sein kann – nur, wie soll das gehen? „Könntest du vielleicht deinen Panzer ganz ausziehen und ihn wie ein Kopfkissen legen, möglichst mit der blutigen Stelle neben deinem Haar?“ – „Was? Ja, aber…“ – „Die geprügelte Rahja. Wenn ich das hinbekomme, wie ich es vor mir sehe, wird das eines meiner besseren Werke.“ Sie lacht, während sie ihre Farben auf einer Palette präpariert. „Ich hoffe, es ist dir nicht zu kalt da unten. Das musst du jetzt ein bisschen durchhalten… und bitte, schlafe auch nicht wieder ein. Ich brauche diesen Blick.“ Ich blicke sie genauer an, während sie hinter ihrer Staffage verschwindet. „Welchen?“ – „Diesen.“

Es muss es nun ansprechen. „Du, Lilim?“ – „Ja, Rahjalein?“ – „Ich kann doch so eine Leinwand gar nicht mit mir herumtragen. Die hält das doch nicht durch.“ – „Guter Punkt. Dann werde ich eben kleiner.“ – „Könntest du… vielleicht zu meinem Vademecum greifen? Das ist in meinen Sachen.“ – „Du willst die Mahnung also wirklich behalten?“ – „Ja. Er hat ja recht.“ Es war ja auch alles kalt und tat weh. Ich blieb still liegen und sah Lilim zu, wie sie mich malte.
 

Irgendwann während dieser langen Zeit kam mir eine Idee und als ich mit Lilim beim Essen saß – ihr Eintopf war vorzüglich, wenn auch inzwischen kalt –, musste ich sie darauf ansprechen. „Wohin ist dein Vater eigentlich verschwunden? Er fehlt hier irgendwie.“ – „Zum Kräuterhändler. Bei diesem arbeitet er jetzt, seitdem er nicht mehr zaubert. Er kam viel herum und hat viel gelernt.“ – „Und das lohnt sich?“ – „Nein, das große Geld bringt Mami nach Hause.“ Sie machte eine Pause, während sie den Löffel schwang. „Warum fragst du?“ – „Nun, ich habe mir gedacht… Kannst du deinen Vater einmal fragen, ob er mir bei einem Ritual helfen würde?“ Sie lachte auf. „Ich kann dir nicht sagen, ob er es tun würde, aber besprich es am besten mit ihm selbst. Ich werde dir eine Wegbeschreibung geben.“ Ich nickte. Das war gut. „Heißt dass dann, du bist noch eine Zeit hier?“ – „Ja, wenigstens solange, bis ich geheilt bin und genug Kraft in mir sammelte, um zu reisen. Der Rest wird von deinem Vater abhängen.“ – „Das freut mich. Hast du Lust, etwas mit mir zu unternehmen?“ – „Gerne. Ich bin im Selindian untergekommen. Komme einfach vorbei.“

Die Wegbeschreibung, die sie mir geben sollte, erwies sich als ausgezeichnet, und wieder wurde ich nervös, als ich den kleinen Laden betrat, in dessen dunkler Enge, doch aromatischer Luft, verschiedene Pulver, Pflanzen und Kisten – meist Gewürze – auf Interessenten warteten. „Marcin?“, fragte ich die almadische Frau und sie nickte. Bald stand ich mit dem sichtbar abgekämpften ehemaligen Zauberer zusammen. „Oh, Freya, hattest du einen schönen Tag?“ – „Ja, allerdings, Lilim ist wirklich eine nette Person.“ – „Und die Aufgabe?“ – „Erfüllt. Sagen Sie, Meister, führen Sie hier auch etwas, was gegen meine Wunde hilft? Ich möchte sie versorgt wissen, ehe sie sich entzündet.“ Sein Blick haftet fest an mir, er musste spüren, dass da noch etwas war. Trotzdem nickt er. „Eine Salbe kann ich dir anbieten, aus Wirselkraut. Habe ich selbst angerührt… zum größten Teil.“ Er setzt seinen Ellenbogen auf die Theke, um mir seine fehlende Rechte zu verdeutlichen. Er kämpft mit seiner Geduld. „Das wird nicht billig?“, merkt er noch an, als Frage gestellt, um mich zum Überleiten zu bringen. „Ja“, sage ich da, „Meister, ich benötige Ihre Hilfe bei einem Ritual.“ Er unterbricht mich. „Nun reden zwei Zauberer über Magie. Es wäre doch zu schön gewesen. Was möchtest du?“ Jetzt kommt der Moment der Wahrheit. „Die Große Meditation.“ Meister Marcin Saibal lacht, laut und demonstrativ. Ich weiß, ich könnte mir dumm vorkommen, doch es weckt nur meinen Widerstand. Was eben noch Idee war, wird nun Gewissheit. „Die Große Meditation ist für alte Männer, nichts für dich. Wende du dich noch den einfachen Übungen zu.“ – „Bitte, Meister. Es geht um Macht und die brauche ich. Sehen Sie mich an. Ich bin nur hier und brauche diese Salbe, weil mir am Ende meines Weges die Kraft fehlte.“ – „Nein, du bist hier, weil du dumm warst und dumm bist. Ich werde dir ganz sicher nicht helfen, noch irgendwelchen Unfug zu begehen. Vergiss es.“ Ich bin stur. Ich weiß, was ich will. „Würden Sie mir auch nicht helfen, diesen Unfug zu überleben? Ich bin eine Heldin, ich bin eine Kämpferin und da draußen warten Menschen, die beides benötigen und ich werde nicht all den Weg, den ich bisher ging, aufgeben, nur um mich winselnd unter der Decke zu verkriechen. Stehen Sie mir bei, damit alle gewinnen.“

Er sieht mich lange an, ehe er demonstrativ schnaubt. „Du brauchst dich echt nicht zu wundern, warum deine Eltern unglücklich sind.“ Vielleicht, denke ich mir, lasse mir aber nichts anmerken. Wir wissen beide, dass er nicht ablehnte. „Dann ist es beschlossen?“ – „Mädchen, es ist Tsa, Hesinde ist gerade vorbei. Gleich, ob ich dir helfe – und ich täte damit mehr für dich, als du überhaupt verdient hättest –, bleibt dir noch ein knappes Jahr Zeit, nach Andergast oder zu einer anderen Akademie der Gilde zu reisen und dich da besser und günstiger einzurichten.“ Ich lächele, denn ich habe ihn am Haken. „Es geht mir nicht um Hesinde“, sage ich, „Ich möchte noch dieses Jahr loslegen, Anfang Rahja, hier in Brig-Lo.“

Das bricht ihn. Sein lauter Lachanfall verstört nicht nur mich, sondern lässt auch die Almadanerin skeptische Blicke zu uns werfen, wie mir brennend bewusst wird. „Du hast wirklich keine Ahnung, was du tust“, sagt er. „Überlege es dir mal: Was hast du Anfang Rahja am Himmel? Die Sternbilder der letzten und nächsten drei Götterläufe. Praios mag dich nicht, Rondra mag dich kaum, Ingerimm gibt dir wenig, mit Efferd ergänzt er sich jedenfalls gar nicht, und der Namenlose ist immer gegen dich. Was noch bleibt, steht dir als Zauberer neutral gegenüber, bestenfalls. Was du da an Sternen hast, wird dir nichts geben, du Gefäß. Wie kommst du denn überhaupt auf diese Idee?“

Jetzt wird es mir peinlich. Ich schweige, ehe mir bewusst wird, dass ich nur noch jetzt sprechen kann. Ich unterbreche leise seinen Versuch, weiterzukommen. „Es geht um Dämonen“, sage ich vorsichtig, „und um meine Träume. Du musst wissen, mich plagen Alpträume, seitdem ich ein Kind war, doch in den letzten Jahren besonders. Ich sehe mich in den Niederhöllen, wie sie mich packen und vernichten und möchte ein Zeichen setzen. Ich möchte ihnen hier Paroli bieten, im Mond meiner Göttin und in Brig-Lo, am Ort der zweiten Dämonenschlacht.“ Er lacht nicht mehr und sieht mich nur groß an. Das ist ein gutes Zeichen. „Das ist dann ja…“, beginnt er zu murmeln und gestikuliert mit seinem Armstumpf, „Praios, Rondra, Efferd, Ingerimm und die Sternenleere, gegen die du zielen kannst, und auch noch während dem Fest der Freuden, wo du auf dem Feldherrenhügel ungestört bist und Rahja so stark ist wie sonst nie? Das klingt fast…“ Er denkt wieder an meine Anwesenheit, doch das Funkeln in seinem Blick bleibt. Auch wenn es nie meine Absicht war, verwandelte ich einen Kräuterhändler wieder in einen Forscher. „Entschuldige, Freya, du bist nicht dumm, nur verrückt. Ich glaube nicht, dass das jemals schon einmal versucht wurde, aber das heißt ja nicht, dass es nicht klappt. Lasse mich noch einmal darüber schlafen und ein paar Karten wälzen. Bisweilen bekomme ich aber erst einmal sieben Dukaten für die Salbe… und schaue nicht so, ich sagte doch, es wird nicht billig.“ Ich nicke und frage mich, was Rufus davon halten würde. Er kennt sich mit den Sternen aus und ohne unsere gemeinsame Zeit wäre mir wohl nie die Idee gekommen.
 

Kurze Reise

Tage gehen ins Land, in denen ich langsam meine Kraft wieder finde, während von der Wunde schon eine Nacht später nichts mehr zu sehen war – Marcins Salbe war zwar teuer, jedoch gut. Ich langweilte mich, hörte nichts von dem Zauberer, sehnte mich nach Lilim, die nicht bei mir erschien und wollte schon nach beiden sehen, als mich ein Alptraum packte: Dämonen treten auf und nehmen eine Schlachtreihe ein, die unendlich lang ist, und ich bin allein. Ich sehe einen Zauberer durch die Reihen treten und höre ihn zu mir rufen: „Die Tage deines Reiches sind gezählt. Es wird fallen.“ Sie marschieren.

Ich schrecke heraus und merke, dass es das Knarren der Tür war, welches mich aufschreckte. „Wenn das nicht meine Lieblingsmagierin ist“, lacht Alrik, der sich nicht um meinen Zustand schert und auch – wie immer – ignoriert, dass höfliche Menschen anklopfen. „Was willst du? Es ist früh.“, maule ich ihm entgegen. „Ist es nicht. Ich bin wach. Also, wie geht es dir denn heute?“ – „Ich träumte gerade vom Ende der Welt und du weckst mich. Was gibt es?“ – „Ich wollte sehen, wie es dir geht. Du verbringst so viel Zeit auf deinem Zimmer, da mache ich mir Sorgen.“ Ich glaube ihm seine Miene nicht, während er sich neben mich aufs Bett setzt, und das reizt mich. „Das liegt nur daran, dass alles, was du für mich hast, für mich immer mit Verletzungen und Erschöpfungen endet, und kaum bin ich wieder halbwegs auf den Beinen…“ Oh, das sind seine Augen, sie verraten ihn. „Moment mal, wofür möchtest du mich jetzt wieder haben?“ Alrik lacht. „Ich würde gerne einen Ausflug mit dir unternehmen, ein bisschen Bergluft für dich… fühlst du dich dafür kräftig genug?“ Ich nicke. Rede, Junge. „Nur kann ich wohl leider nicht mitkommen, auch wenn ich es gerne täte, doch ich habe da einen Freund…“ – „Einen Freund, der sich bedroht fühlen könnte?“ – „Woher weißt du das?“ Sein Überraschen ist so dermaßen schlecht gespielt, dass ich lachen muss. „Weibliche Intuition.“

Er kommt zur Sache. „Also, dieser Freund nennt sich Daryion und möchte eine Reise ins Gebirge unternehmen. Seine kleine Gruppe kommt aus Kuslik und hatte auf dem Weg hierher schon mit ein paar Wickelköpfen zu kämpfen, weswegen er sich eine frische Kraft wünscht. Er wollte mir wenig sagen, nur rechne mit einer Reise über mehrere Tage. Kannst du in einer Stunde am Marktplatz sein? Du wirst ihn nicht verfehlen können.“ Ich nicke. „Das kann ich machen, nur die letzte Frage – wie viel?“ Alrik zuckt mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, da ich deine Antwort nicht kannte, aber jeder Zehnte geht an mich.“ Klingt machbar. „In Ordnung, doch nun schere dich raus.“

Ich war gerade dabei, mich in einem Bottich mitten in meinem Zimmer zu baden, als plötzlich eine Unruhe vor meiner Tür eintrat, die in einem zaghaften Klopfen endete. „Herein“, rufe ich und sehe Lilim zu, wie sie verlegen in den dunklen Raum eindringt. Sie zuckt, als sie mich sieht. „Soll ich später wiederkommen?“ – „Nein, du kennst mich ja schon so.“ Sie lacht zaghaft. „Ach ja.“ – „Schön, dass du da bist“, sage ich, „doch etwas unpassend. Ich werde gleich aufbrechen und für einige Tage auf Reise gehen.“ – „Du ziehst weiter?“ – „Nein, nur ein einfacher Auftrag. Ich komme zurück.“

Lilim umrundet mich und setzt sich auf mein Bett, ohne sich aber deutlich wohler zu fühlen. Endlich kommt sie zum Punkt. „War das eigentlich eben Alrik Losbringer bei dir?“ Ich steige aus dem Bottich und greife zu einem Handtuch. „Ach, Losbringer heißt er? Er ist ganz in Ordnung; er will, dass ich seine Hofmagierin werde und schanzt mir gelegentlich Aufträge zu, so wie diesen jetzt.“ Das stellt sie nicht zufrieden. „Ist er denn derjenige, welcher…?“ – „Meine große Liebe?“ Ich muss lachen, denn dieses Geheimnis scheint wirklich nicht mehr geheim zu sein. „Nein, Rufus ist ein Grangorer Bursche auf Kriegerausbildung im Bornland. Alrik hier ist… nützlich für mich. Er bringt mir Geld ein und geht nicht zu weit.“ Sie bleibt unglücklich. Was verbirgt sie? „Dann wärst du die einzige.“ – „Ich kann mich wehren und das weiß er.“

Ich setze mich neben Lilim, die aber meinem Blick ausweicht. „Mädchen, was ist los?“ – „Musst du nicht weg?“ – „Ja.“ – „Du wirst zu spät kommen.“ – „Ja, und? Höre mal. Wenn es was mit Alrik ist, dann sage es mir, und wenn er dir etwas antat, dann lasse ich ihn für dich leiden. Er war der erste Mensch, den ich hier in Brig-Lo traf. Das verbindet uns – mehr nicht.“ Ich lege einen Arm um sie und auch wenn ich eben aus dem Wasser stieg, ist sie der Fisch, kalt und glitschig. Lilim trifft ihre Entscheidung: „Vater sagt mir, er steht dir bei, und ich wollte dir heute auch dein Buch mitbringen, die Farbe ist soweit trocken, doch ich habe es vergessen. Komme zu mir, wenn du wieder da bist und hole es dir ab.“ Selbst wenn ich nicht das Gewicht ihrer Handtasche gespürt hätte, wüsste ich, dass sie lügt. Ich denke an das letzte Mal. „Egal, in welchem Zustand?“ – „Egal. Wenn du zu Kräften kommen musst, werde ich um dich sorgen.“

Das ist ein Versprechen. „Dann komme ich vorbei.“ Ich kleide mich schnell an und packe meinen Rucksack, während sie sich auf meinem Bett breitmacht und mir dabei zusieht. Ich verlasse den Raum, „Wir sehen uns, Lilim, und bis dahin wünsche ich dir den Segen aller Zwölfe“, versemmele den Abgang, weil ich meinen Stab vergaß, und lasse das Mädchen alleine in einem dunklen, schäbigen Zimmer zurück.
 

Auf dem Marktplatz fand sich eine kleine Gruppe zusammen und obwohl ich etwas spät dran war, fällt es mir nicht schwer, sie zu finden. Daryion erweist sich als blonder, kräftiger Mann mit einem großen, gegürteten Schwert, dem die Aufgabe, einen kleinen Trupp aus zwölf Personen zu leiten, offensichtlich großes Vergnügen bereitet. Ich stelle mich vor, schüttele Hände, lerne Namen, die ich aber im Wust schnell vergesse, und breche dann mit der kleinen Gesellschaft auf – Maulesel begleiten uns und tragen unsere Ausrüstung, während wir uns vom Yaquir entfernen und den Weg in Richtung Gebirge einschlagen. Längst haben wir alle Straßen hinter uns gelassen und laufen über die trockene Weite, als ich mich zu Dariyon an die Spitze geselle, um ein paar Antworten zu erhalten. Ich möchte nicht mit der Tür ins Haus fallen. „Worum geht es denn?“, frage ich ihn. Sein Blick, den er mir zuwirft, ist gehetzt. „Um ein magisches Metall. Wir wollen es finden und suchen dafür die Hilfe der Zwerge.“ Ich blicke mich um, wobei mir auffällt, dass jeder Zwerg in der Gruppe fehlt, möchte aber jetzt nicht mehr zu deutlich widersprechen. „Gut, ich kann ein paar Fetzen Rogolan. Wie genau…“ Weiter komme ich nicht, denn da bricht schon der Tumult los. Es müssen Räuber sein, die aus der Landschaft auftauchen und uns plötzlich im Weg stehen. Ich handele schnell, auch wenn Erinnerungen wieder wach werden. Zwei kommen auf mich zu, da strecke ich ihnen meine Faust entgegen und brülle ein Wort: Horriphobus. Sie halten inne, blicken mich an und rennen wie die Hasen. Keuchend sehe ich ihnen nach und merke, wie auch die anderen vermummten Gestalten sich schnell anschließen, doch mein Gefühl, wir könnten siegreich sein, trügt: Wir verloren drei Mann, während vier verletzt wurden. Wir erweisen ihnen die letzte Ehre, doch die Stille, die unsere Gruppe erfasst, wirkt beängstigend und auch ich beschränke mich lieber darauf, die Gegend im Auge zu behalten, statt weiter ein Gespräch mit Daryion zu suchen.
 

Wir übernachten in einem kleinen Dorf, doch nach diesem Tag steuern wir die Herberge an, während Teile der Gruppe in der Scheune schlafen müssen. Ich gewinne beim Streichholzziehen ebenso wie später beim Würfeln mit den Einheimischen, doch sorgte auch bei denen Bedrücktheit verbunden mit schalem Bier zu einer gedrückten Stimmung. Als ich merke, dass sie nicht sprechen wollen, gehe ich schlafen.

Ich träume von Dämonen. Diesmal umzingeln sie mich, ehe mich ein drachenähnliches Geschöpf mit seinen Krallen packt, mit dich in die Höhe reißt und dann abstürzen lässt. Ich erwache schreiend und merke, dass ich aus dem Bett fiel. Ich vertreibe mit dem Tanz der Mada die Erinnerungen, ehe ich mich erneut hinlege und tatsächlich wieder schlafen kann.
 

Ich erwachte recht spät, als draußen schon eine hektische Betriebsamkeit herrschte. Schnell ging ich noch beim Krämer vorbei, um mich mit Proviant für die nächsten Tage einzudecken, dann half ich der Gruppe dabei, ihre Sachen wieder auf den Maultieren zu verstauen. Es war nicht viel zu tun und trotzdem spürte ich die ganze Zeit über Daryions Blick auf mir; nicht unangenehm, doch mir auch nicht angenehm, da sich unser Anführer am gestrigen Tag als schweigsam und fast zu vorsichtig erwies. Ich beschließe also, an seiner Schale zu bohren und pfeife betont offen ein Lied aus meiner Heimat, die ja angeblich auch seine sein soll: Viva Cuslicuma. Er sieht mich weiter nur an, doch es scheint ihm zu gefallen.

Der Aufbruch naht und wir schreiten weiter durch das Land. Nun nutzt er seine Chance. „Freya… nicht wahr?“, fragt er zögerlich. „Ja.“ – „Wo ist er denn her?“ – „Ist mein Magiername. Eigentlich heiße ich Firlina, Firlina Galahan.“ Na los, denke ich mir, beziehe Stellung. Du hast eine Dame der einstigen Herrscherfamilie vor dir, die genauso wie viele andere aus der Stadt gejagt wurde. Er stockt. „Was ist dir lieber?“ Ich seufze demonstrativ auf. „Freya.“

Landschaft vergeht. „Hast du gut geschlafen, Freya?“ – „Das Bett war weich, nur der Boden hart.“ Er sieht mich fassungslos an und weiß offensichtlich nicht, was ich meine. „Ich hatte Alpträume“, sage ich dann, „Mich wollten mal wieder Dämonen zerreißen.“ – „Echt?“ – „Ja. Erklärt meine Augenringe, oder?“ – „Dann meinst du, unsere Reise steht unter einem schlechten Stern?“ – „Nein, ich habe solche Alpträume, seit ich meine Heimat verlassen musste.“ Das ist gelogen, soll ihm aber eine Reaktion entlocken… vergeblich. „Interessant. Da solltest du dich mal an einen Gelehrten wenden.“

Ich sage nichts, er sagt nichts, es folgen sehr ruhige vier Tage.
 

Wir erreichen einige Höhe, als Daryion seine Gruppe stoppt. „Kommt mal zusammen“, beginnt er, „und hört mal alle her. Wir befinden uns auf der Suche nach dem Erz Kambrionit, welches dummerweise nicht einfach so rumliegt, doch hier kommen wir zum guten Teil: Es gibt Zwerge hier, die es abbauen. Die Eingänge zu den Stollen müssen sich irgendwo hier in der Gegend befinden, also werden wir uns jetzt in drei Gruppen aufteilen und ausschwärmen. Alles klar?“ Wenig später finde ich mich mit zwei Frauen und einem Mann in einer Mannschaft wieder und halten uns westlich, ehe wir von einem wütenden Bauer davongejagt werden und es lieber östlich versuchen, wo wir auf einen Monolithen stoßen, der mitten in einem Wald steht und aus diesem leicht hervorragt. Das ist doch immerhin etwas, wenn auch kein Stollen. Ich nähere mich ihm, während meine Gruppe aus einem mir unbekannten Grund Abstand hält, und möchte mir die Inschrift darauf ansehen, als plötzlich ein Pfeifen ertönt. Einer meiner Kameraden fällt zu Boden, von einem Pfeil getroffen, doch da bleibt mir schon keine Zeit mehr, zu denken, denn Skelette stürmen auf uns zu. Die Panik überkommt mich und ich greife zu meinem mächtigsten, doch nur selten gebrauchten Zauber: Ignisphaero. Beide Hände wie eine Schale geöffnet vor sich halten, Formel sprechen, dann rein. Die Kugel explodiert, von mir gelenkt, in deren Mitte und erwischt sie alle, doch ich bin zu schwach. Wie unberührt, wenn auch schwer verbrannt, schreiten die Monster aus der Feuersbrunst und greifen uns an. Mir bleibt nichts anderes übrig, ich werfe mich in den Kampf.
 

Was passiert, kann ich nicht sagen, doch ich sehe meine Gruppe sterben. Am Ende beuge ich mich über das letzte Mitglied, flöße ihr einen Heiltrank ein und bete zu allen Göttern, dass es zumindest für sie nicht noch ein schlimmes Ende nimmt. Als ich merke, dass es gut ausgeht, bin ich überglücklich und sie ist es auch. Wir begraben unsere Gefährten, während sie sich ein Breitschwert schnappt, ehe wir dann zu dem Ort der Trennung zurückgehen… doch wir waren nicht als einzige Gruppe in Gefahr. Die Panik, nun könnte alles vorbei sein, reißt mich mit und es ist nur dem guten Zureden meiner Gefährtin zu verdanken, die ebenso wenig wie ich inmitten eines Kadaverheeres stranden möchte, dass wir uns schließlich wieder dem Kampfort nähern und feststellen, dass Daryion noch leben muss. Damit haben wir ein Ziel, denn auch wenn unser Führer seine Macken haben mag, gebe ich ihn nicht auf. Das kann ich nicht tun. So folgen wir einen Pfad Richtung Osten, der in einem Tor zu einem alten Grab endet. Langsam nähere ich mich dem Dunkel, während mir meine Gefährtin Rückendeckung verschafft, bis ich ihn sehe, wie er am Boden liegt. Ich zucke bei dem Anblick zurück, trete dabei auf einen Ast und lasse ihn durch das Geräusch hochschrecken: Daryion schlief nur. Das macht mich wütend. „Das glaube ich jetzt nicht. Das kann ich jetzt einfach…“ – „Freya! Ähhm… Gefährtin! Ein Glück.“ – „Ja, verdammt. Wir wurden von Skeletten angegriffen, die aus dem Nichts erschienen. Sie haben unsere Gruppe den Schritt zu Boron machen lassen, der ihnen verwehrt ist.“ – „Mich griffen sie auch an.“ – „Und?“ – „Wir zogen uns hierhin zurück. Außer mir schaffte es niemand.“ – „Aha.“ – „Es tut mir leid, Freya. Ich beschloss, erst einmal hier zu warten, bis der Sturm vorbeizog, doch dabei muss ich wohl eingenickt sein.“ – „Ja, vermutlich.“ – „Raste hier mit mir, Freya. Hier sind wir sicher. Und auch wenn es wie Hohn wirkt, so habe ich doch eine gute Nachricht. Das hier suchen wir.“ Er hält mir einen blattgrünen Stein vor die Nase. Ich stehe kurz davor, ihn zu erschlagen.
 

Nahendes Ende

Ich stehe plötzlich wieder vor dem Magier und seine Dämonenhorden. Sie umkreisen mich, während er flucht, doch er kann mich heute nicht angreifen.

Am Morgen stehen wir vor einer schweren Entscheidung: Zu dreizehnt brachen wir in Brig-Lo auf (ich weiß nicht, wie viele es in Kuslik waren), nun sind wir noch zu dritt. Daryion spricht davon, dass er mit einem Steinchen Erz noch nichts anfangen kann und möchte weitersuchen, während ich zu meiner Schande die gegenteilige Position vertrete: Von dreizehn starben wahrscheinlich zehn, also können die letzten drei genauso schnell fallen. Es ist die Gefährtin, die Immrade heißt, der schließlich die Entscheidung bleibt, und sie trifft sie. Mit ruhiger Stimme spricht sie vom Opfer unserer Gefährten für diese Sache, welches wir würdigen müssten, indem wir durchsetzen wofür sie starben. Das genügt. Zusammen ziehen wir weiter.

Wir schreiten voran und umrunden den Berg, ehe wir noch einmal vor dem Monolithen stehen. Da es mir seinerzeit wichtiger war, Überlebende zu retten, kann ich Daryion nicht helfen, der vor die Inschrift tritt, und während ich noch sichergehe, dass alles um uns herum ruhig bleibt, rumpelt es mit einem Mal und vor dem Obelisken verschiebt sich eine Steinplatte und gibt eine Öffnung frei. Dariyon springt voran und ruft laut: „Komm“, weswegen ich mein mulmiges Gefühl besiege und es mit einem schmerzenden Hintern büße. Die Kammer selbst, in der wir landen, ist es aber mehr als wert, denn im flackernden Licht funkelt der Schmuck und das Gold aus den offenen Kisten nur noch verführerischer. Ich bemerke auch einen Altar, auf dem ein Schwert liegt, doch erscheint dies nebensächlich, weil eine Stimme spricht. „Ah, ihr habt meine Schatzkammer gefunden. Ich schenke sie euch, weil ihr meinen Geist befreit habt. Dafür danke ich euch.“ Was immer hier auch drin wartete, verschwindet durch das offene Loch, und während ich noch mit der Gänsehaut kämpfe, meinen Hintern vom gröbsten Dreck zu reinigen suche und versuche, die Lage zu verstehen, ging Daryion schon einen Schritt weiter. „Zu schade, dass dich mein Meister nicht umgebracht hatte.“, ruft er mir ins Gesicht, was ich erst gar nicht glauben kann, „Das muss ich jetzt erledigen. Was denkst du, wer die Räuberbande und die Untoten auf dich gehetzt hat? Das war ich. Jetzt muss ich dich vernichten.“ Er greift nach der Klinge und schlägt zu.

Nur ein Schritt zurück rettet mir das Leben, doch was immer den Führer überfiel, scheint mir nicht von dieser Welt; in seinem Blick liegt nur noch Irrsinn. Ich sehe keine andere Wahl: Rechte Hand auf linke Schulter, dann schnell mit Zeige- und Mittelfinger auf das Ziel deuten, Ignifaxius. Ein Flammenstrahl fährt aus meiner Hand und trifft ihn mitten auf die Brust, doch auch wenn Stoff schmilzt und ein dunkler Fleck zurückbleibt, so lässt er sich nicht beirren und schlägt zu. Wie viel Kraft bleibt mir noch? Mein Zauberstab wehrt kräftige Hiebe ab, wobei ich wieder einmal froh bin, dass er nicht splittert. Nächster Angriff, sonst geht es nicht. Gleiche Finger, nächster Spruch: Blitz dich find. Er taumelt zurück und spürt meinen Stab, doch der Zauber wirkte nicht gut und lässt ihn schon bald wieder frei, wodurch die Blendung verschwindet. Meine Kraft geht zur Neige. Schmerzhaft wird mir ein Kampf gegen ein Banditenhauptmann bewusst, als seine wütenden Schläge auf mich einprasseln und ich immer mehr um meinen hoffentlich unzerbrechlichen Stab bange, doch dann hält er mit einem Mal inne und taumelt. Ja, es gab diesen Kampf, erinnere ich mich, als Daryion zu Boden geht, doch es gibt noch einen Unterschied: Diesmal bin ich nicht allein. Immrade erschien hinter dem Schurken und stieß ihm ihr Schwert in den Rücken, ohne von ihm beachtet zu werden. Der fremde Mann ging ausschließlich auf mich los.
 

Wir verlassen die Höhle mit Gold im Gepäck und wieder verbringen wir den Weg schweigend. Immrade sagte mir noch, sie habe letzte Worte gehört die lauteten: „Bitte verrate mein Versagen nicht meinem Meister“, doch keiner von uns kann das verstehen. An meinem Gürtel baumelt ein Schwert, während in ihren Taschen ein Großteil des magischen Metalls wartet, bei dem ich nicht weiß, was ich mit anfangen soll. Am Ende verabschiede ich mich von ihr und bitte sie, Kuslik schön von mir zu grüßen; ein schweigsames Lebewohl, da wir merken, dass wir einander wenig zu sagen haben, doch trotzdem winke ich der stillen Trägerin nach, die mir mit ihrem Schwert das Leben rettete. Ich behalte ein Amulett, welches mich an sie erinnern soll und welches sie nicht zurückhaben wollte, und verstehe erst einmal nicht.

Freya in: (5) Der Rattenfänger

„Lieber Rufus.

Ich hoffe, es geht dir gut, dort oben im Eis. Ich hätte es nie gedacht, doch ich bleibe in Brig-Lo kleben und werde die Stadt bis Ende des Jahres nicht mehr verlassen. Wenn ich daran denke, wie lange das noch ist und wie viel Zeit ich schon hier verbrachte, kann ich es selbst nicht glauben. Es geht um Magie und Abenteuer.

Ich habe ein Geschenk für dich, welches ich dir jedoch noch nicht überreiche: Ein Schwert aus Zwergenstahl, geborgen aus der Gruft des Zwergenfürsten Rangadean. Ich sandte es dir nach Grangor, um nicht die Passage über die Schwarzen Lande zu wagen, und hoffe, es mit dir im Winter gemeinsam zu entdecken. Für deine Mutter schrieb ich, damit du glücklich bist, etwas von einer Donatio aus Andergast.

Ich kann die Sonnwende kaum erwarten und auch den Winter nicht. Ich denke an dich.

F.“
 

Ich kehre zurück. Mein Arm sinkt, als sich Immrade endgültig in einen kleinen Punkt verwandelte, und ich merke, dass ich allein auf einem dämmernden und sich leerenden Marktplatz stehe. Es wird kühl, also wird es Zeit, mein Versprechen zu halten und mich mit Lilim zu treffen, wobei ich ja meinen Zustand als angenehm empfinde: Mir schmerzen die Beine von der langen Reise und mein Hinterteil könnte sich mit einem blauen Fleck veredelt haben, doch ansonsten bin ich unverletzt, zwar nicht gepflegt, aber auch nicht so widerlich, wie ich manchmal von den Feldeinsätzen auf der Akademie wiederkehrte, und meine beim letzten Kampf verbrachte Kraft kehrt auch langsam zurück. Kurzum: Einigermaßen frohen Mutes trete ich den Weg zu Marcins Haus durch das dunkle Dörfchen an. Ich bin lange genug hier, langsam kenne ich mich aus.

Ich möchte klopfen, doch da öffnet Lilim mir schon die Tür. „Hallo, Lilim.“ – „Hallo, Freya, ich habe dich aus der Ferne schon gesehen. Gehen wir eine Runde?“ Ich nicke. Warum nicht? „Du warst lange weg. Wie war die Reise?“ – „Furchtbar. Der Anführer der Gruppe wollte mich umbringen.“ – „Wirklich? Warum?“ – „Ich weiß es nicht. Glaube mir, ich wäre froh…“ Die Stadt wurde langsam dunkel, während wir durch die einfachen Häuser einer Stadt gehen, die trotz der Tatsache, dass jedes Kind ihren Namen kennt, nicht einmal vierhundert Seelen fasst. Das Mädchen packt mich am Handgelenk und ich lasse mich mit ihr ziehen. Etwas bedrückt sie, doch ich möchte sie das Wort ergreifen lassen, ihre Aufgewühltheit zeigt sich in ihrem Griff. Sie steuert auf den Tempel Borons, des Totengottes, den einzigen Tempel der Stadt, zu. Sprich, Mädchen, sprich mit mir.

Ganz unvermittelt hält sie an. „Ich schulde dir noch eine Geschichte, was?“ Ich nicke. Ihre Stimme ist so kalt, ihr Blick so stechend. „Weißt du, ich bin keine gebürtige Brin-Loerin, vielmehr stammt meine Familie aus Albernia.“ Ich weiß, ich kenne den Akzent, doch sprich nur weiter. „Als wir damals hierher kamen, fiel es uns nicht leicht, hier Fuß zu fassen, da die Einheimischen hier weder Fremde noch Magier mögen, doch dank meines Vaters konnten wir einen anderen Weg gehen: Es gibt eine recht große Elfengemeinde hier, wusstest du das?“ Ich schüttele den Kopf. Ich bin kein Elfentyp, also habe ich nicht darauf geachtet. „Ich war zehn, als wir hier ankamen, und schon bald fand ich eine beste Freundin, Milailee, eine Halbelfe. Wir waren eine Zeitlang unzertrennlich und richtig wild. Sie verliebte sich schließlich und alles ging zu Bruch.“ Kommt hier Alrik ins Spiel? „Alrik hieß ihr Freund, Alrik Losbringer. Sie verbrachten Zeit miteinander, vereinten sich, kamen sich bei Rauschkraut nahe. Ich lernte Alrik damals kennen. Er war… auf eine charmante Art verrückt, verstehst du?“ Ich nickte, während sie mit der Fassung rang. „Sie verbrachten immer mehr Zeit miteinander und immer weniger mit mir, also weiß ich nicht genau, was da schief lief, aber ich konnte es damals schon ahnen. Sie hatte Affären, von Alrik abgesegnet, und manchmal nahm sie neben ihm noch einen zweiten Mann ins Bett. Ich traf sie einmal mitten in der Nacht, betrunken, da erzählte sie mir alles und lachte mich aus, weil ich so was nie haben könnte, weil ich keine Elfe sei und nicht entscheiden konnte, ob ich Kinder haben wolle. Am Ende brach sie mir auf die Jacke und… ich konnte nicht mehr. In dieser Nacht sprach ich zum letzten Mal mit ihr.“ Ich berühre sie, wo ihr die Tränen kommen, und gemeinsam lehnen wir uns gegen die Friedhofsmauer. „Irgendwann schämte ich mich und beschloss, nach ihr zu sehen. In den Nächten fand ich sie manchmal in den Kneipen, in den Herbergen, wie sie sich verkaufte. Ich lugte durch Türen oder Fenster, wagte mich aber nicht heran. Es war…“ Weine nicht, Mädchen, ich bitte dich… oder doch, weine. Ich kann es verstehen. „Da sah ich dich übrigens zum ersten Mal. Du warst so auffallend, so schön, so fremd, da fragte ich mich, wer du wohl warst. Ich tat es nicht lange, denn kurz darauf wurde Milailee aus dem Yaquir gezogen.“ Ich nehme sie in den Arm, während sie meine Schulter nässt. „Ach, Lilim“, sage ich, „Ich hatte doch keine Ahnung.“ – „Es ist… ja nicht deine Schuld. Du konntest es nicht wissen.“

Wir stehen eine ganze Weile so, während sich Lilim beruhigt. „Gehe jetzt lieber nach Hause, ehe sich dein Vater Sorgen macht.“, sage ich ihr und bringe sie wenigstens etwas zum Lächeln. „Der kennt das doch schon. Wollen wir noch etwas zusammen unternehmen?“ – „Heute nicht.“ Ich höre auf meine schmerzenden Beine und auf das Gewicht an meinem Gürtel, das nach einem Brief an Rufus schreit. „Morgen Abend?“ – „Gut, dann feiern wir deine erfolgreiche Rückkehr.“ Sie birst fast vor Energie. Sie muss sich wirklich schnell erholen. „Und was soll ich… mit ihm machen?“ Ich wage es nicht, den Namen auszusprechen. „Ich weiß nicht. Das musst du wissen. Gute Nacht, Freya.“
 

Ich brach durch den strömenden Regen hinein in ein dunkles Gemäuer. Da ist Rufus und er schreitet gelangweilt auf und ab, ein Buch in der Hand führend. Ich gehe schnell auf ihn zu, während ein Mann an ihn herantritt und etwas sagt, dass ich nicht verstehe. Ich höre nur Rufus antworten: „Ich weiß. Du warst auch schon bei diesem Zwerg, und sicherlich wird dein nächstes Ziel diese Magierin sein. Ich ahne auch schon, was du mir anzubieten hast… deshalb beantworte mir nur eine Frage: Warum?“
 

Ich schrecke hoch. Die Träume, in denen es um Dämonen geht, sind fast die angenehmsten. Heute muss ich eine Freundschaft kündigen. Ich stehe auf und tanze für Mada, wobei ich meinen Blitz nun mit einem Angriff mit meinem Stab verbinde. Danach kann ich wieder schlafen.
 

Aufregung jenseits der Fenster weckt mich. Ich stehe auf, öffne die Läden und erkenne ein Getöse im Ort. Was mag da wohl passiert sein? Ich ziehe mich schnell um und trete auf die Straße, wobei mich Rauch am Himmel schon in eine Richtung weist. Es hat gebrannt, doch das Feuer scheint schon unter Kontrolle zu sein. Die Menge strömt heran, einige, um zu helfen, andere, um zu glotzen, und ich weiß noch nicht, ob ich es in die erste Klasse schaffen werde. Die Richtung kenne ich. Aus Vermutung wird Gewissheit. Der Rote Hang ist nun ein Schwarzer Hang. Inmitten der Menge halte ich Ausschau nach Leben innerhalb des Gebäudes, doch da rührt sich nicht. Ich mache mir Sorgen. Die Wirtin? Alrik?

„Aves zum Gruße, Freya. Hast du dieses Haus abgebrannt?“ Die Stimme klang nah bei meinem Ohr und ich fahre zusammen. „Alrik? Nein.“ – „Dann war es wohl meine Schwarzbrennerei im Keller. Blöde Sache.“ Der Ganove lacht, als würde es ihn nicht kümmern. „Wie geht es dir? Wie war die Reise?“ Ich drehte mich in der Menschentraube zu ihm um, doch ich kann mich nicht weiter bewegen. „Hier sind zwei Gold. Mehr war nicht drin, denn dein ‚Freund’ wollte mich umbringen.“ – „Ach, deshalb hat er direkt nach dir gefragt und soviel für den Kontakt bezahlt. Wie dem auch sei, das Wichtigste ist, dass es dir gut geht. Hast du ihn umgebracht?“ Die Frage, so direkt gestellt, beschämt mich. „Nein“, antworte ich verlegen, um nicht deutlich sagen zu müssen: Es war meine Gefährtin, aber ich war bereit, zur Mörderin zu werden… doch bei den Zwölfen, was hatte ich für eine Wahl? „Dann war er es wohl. Danke für die Warnung, ich gebe meinen Männern Bescheid.“ Langsam löse ich mich aus der Traube, die sich ihrerseits löst, und wir verlassen den verwüsteten Ort. „Hast du schon etwas gegessen?“ Warum muss er so verdammt freundlich sein? „Nein.“ – „Dann komm. Die Ruinen können warten.“ Ich trotte ihm lustlos nach. „Du scheinst mir nicht sehr traurig zu sein.“ – „Es ist doch immer so im Leben: Phex gibt, Phex nimmt. Ich werde es überleben.“ – „Du, Alrik… Nein.“ – „Was?“

Bringen wir es zu Ende. „Ich finde nicht, dass wir etwas essen gehen sollten. Ich muss dir nämlich etwas sagen: Ich möchte, dass du mich in Ruhe lässt.“ Ich stehe, er steht. In seinem Blick liegt nur Verwunderung. „Bitte höre auf, mich zu besuchen. Wir hatten eine schöne Zeit, doch…“ – „Schade.“ – „Was?“ – „Wir hatten wirklich eine schöne Zeit, aber ich kann dich verstehen. Ich hatte schon lange die Hoffnung aufgegeben, dich für mich zu gewinnen, doch es war schön, jemanden zu haben, den man nicht zutexten musste.“ – „Alrik…“ Er wendet sich von mir ab, doch überlässt er mir noch ein Wort: „Es tut mir leid. Ich hätte ihn besser durchleuchten sollen.“ - „Es geht nicht um Daryion. Es geht um Milailee.“ Er schenkt mir noch einen Blick und strahlt mich mit seinem Lächeln an. „Wer ist das?“, wirft er mir nach, als er ohne mich das Gasthaus betritt und mich auf der Straße zurücklässt. Ich fühle mich mies.
 

Ich gehe weiter, doch ich habe kein Ziel. Ich will nicht in mein Zimmer zurück, ich möchte lieber verschwinden, doch dann würde ein ganzer Plan in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Ich gehe zum Kräuterhändler, doch Marcin ist, wie mir die Frau verrät, heute nicht da. Ich gehe den Schritt nicht weiter, ihn zu Hause zu besuchen, denn ich fürchte mich vor einer Begegnung. Ich schlendere durch Gassen.

Heute ist Markt, eine kleine Anhäufung aus Ständen und Wägen, die mich sicher für einen Augenblick beschäftigt halten werden, und obgleich es ein Bauernmarkt ist, der sich um die Bedürfnisse einer Kleinststadt sorgt, denke ich doch an mein schwindendes Reisegepäck und sehe mich um. Ich brauche ein paar neue Fackeln, denke ich mir, wende mich dann aber den Dingen zu, die man als Magierin nur tun darf, wenn niemand hinsieht; ich sehe mir Kleider an, fühle Stoffe und liebäugele mit einem Paar leichter Handschuhe, mit denen sich sicher schön dieses Magiersiegel verbergen ließe. Ich finde jedoch nichts, sondern werde gefunden. „Freya?“

Meister Marcin ruft durch das Gedränge. Ich lasse ab von meinen Träumen und wende mich ihm zu. „Ja?“ – „Du hast wirklich irrsinniges Glück, das weißt du gar nicht. Wärst du nicht so dumm, würde ich dich für brillant halten.“ – „Ja? Warte mal, ich komme eben…“ Ich wühle mich durch die Menge, denn was Magier sprechen, gehört besser in wenige Ohren. „Ja, Meister?“ Er starrt mich lange an und ich komme mir ertappt vor. Eigentlich, lieber Meister, wollte ich ja nur nach ein paar passenden Schuhen zu meinem Konventsgewand suchen, ganz sicher. „Ich habe die Karten gewälzt und ein paar Zahlen verschoben… und ja, ich habe deshalb die ganze Nacht kein Auge zugetan…“ Das tut mir leid. „… und ich muss sagen, es passt wirklich perfekt. Du hast den Held bei der Stute und den Hund ebenso – der steht für Treue, Unterstützung –, dazu den Kaiserstern, während die Hörner und der Drache weit entfernt liegen. Du musst nur mit Uthar leben, der Tod und Ende verheißt, nur das sollte bei dir nicht wirklich stören.“ Was soll ich da sagen? „Danke für Ihre Mühen, Meister.“ – „Ja, ja, nur das ist noch nicht alles. Ich werde dir ein paar Übungen zusammensuchen, um dich darauf einzustimmen, und ich brauche dich von Morgen an alle zwei Tage gegen Abend bei mir. Vor uns liegt viel Arbeit, besonders vor dir, also gehen wir es besser an.“ – „Ja, Meister. Natürlich, Meister.“ – „Und, Freya: Das wird nicht billig für dich und ganz sicher nicht einfach. Ich hoffe, das weißt du.“ Ich nicke nur, worauf sich Marcin von mir abwendet und im Getümmel verschwindet. Wieder bin ich allein.
 

Was soll ich nur tun? Hinter mir bauen die ersten Stände bereits ab und in all der Hektik träumt es sich schlecht davon, eine böse Magierin zu sein, zumal das Paar Handschuhe nun auch vergriffen wurde. Was bleibt mir? Ich sehe dem Treiben zu. Etwas zerrt an mir und ich schwenke meinen Zauberstab, um dem vermuteten Dieb einen ordentlichen Stoß in die Magengegend zu verschaffen, doch ich treffe nur Luft. Ich wende mich um und sehe gerade noch eine Ratte, die es sich in meinem Geldbeutel gemütlich machen wollte, ehe sie sich in eines meiner Dukatenstücke verbeißt und wegläuft. Verdammtes Ding. Ich renne hinterher, hinein in eine dunkle Gasse, immer dem Tierchen nach. Habe ich einen passenden Zauber? Verdammt, nur solche, die mich zwingen würden, anzuhalten, und das kann mir auch jede Chance kosten. Sie bleibt stehen, legt ihre Beute ab und wendet sich zu mir um. Was ist los, Nager? Ich habe keine Angst vor dir. Sei brav und gib mir mein Geld zurück oder ich brate dir mit einem Fulmi dein kleines Rattenhirn. Lass mich nur erstmal verschnaufen. Moment, was…
 

Die Ratte

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, bis ich wieder zu mir komme. Ich spüre einen stechenden Schmerz auf meinem Hinterkopf, so als habe ein Wüstling mit einer Keule mich erwischt – was vermutlich ja auch der Fall war –, doch darüber hinaus… ich bin benommen und bleibe noch einen Moment liegen. Dunkel ist es hier, feucht und kalt, während auf dem Boden Pflanzen wachsen, die sich halbwegs weich anfühlen. Ich könnte hier fast liegen bleiben, wenn nicht… Verdammt, Ratten, und zwar richtig viele. Panisch springe ich auf. Ihr Viecher, ich lebe noch (verdammter Schädel), und den Rest meiner Schätze bekommt ihr nicht. Ich halte inne und fühle an meinem breiten Gürtel herab. Ja, ich hätte es mir fast denken können. Immerhin lassen sie mich jetzt aber in Ruhe.

Wo bin ich nur hier? Mein Gefühl sagt mir, unter Tage. Besitzt Brig-Lo ein Abwassersystem? Gut zu wissen. Trotzdem muss ich hier raus.

Langsam laufe ich los, wobei die Ratten vor mir zurückweichen. Mein Stab fehlt mir, doch da ich nicht gefesselt bin und auch meine Robe noch unversehrt aussieht – den Zwölfen sei’s gedankt –, könnte die Lage schlimmer sein. Immerhin bin ich eine Zauberin und hier ist eine Tür: Ich reiße sie auf und erkenne dahinter wenig Neues, wenn man von einem Tisch und einem Mann in schwarzen Gewändern absieht, der mir die Rücken zuwendet und von dem, kaum dass ich hier bin, ein leises Kichern ausgeht. „Ah, du bist endlich erwacht. Entschuldige bitte die ruppige Weise, aber du wärst kaum freiwillig mitgekommen.“ Er wendet sich mir nicht zu, aber ich möchte ihn sehen, also trete ich in den Raum und umkreise den Tisch mit der Kerze. Viel mehr sehe ich jedoch nicht, denn er verdeckt sein Gesicht mit einer Rattenmaske und streichelt, während er mich seinerseits mustert, einen dieser Nager. Mir sagt das alles nichts; vermutlich muss es ein Rattenfänger sein.

„Wie du sicher weißt“, beginnt er zu erzählen, „verfügt der Namenlose über weit reichende Kontakte: Menschen, Dämonen…“ Oh? „… Tiere, darunter auch Ratten, doch nicht alle von ihnen sind ihm loyal ergeben. Es gibt einige… sagen wir… Ausbrecher.“ Es fehlt ein zweiter Stuhl im Zimmer, also setze ich mich auf eine Tischkante ihm gegenüber. „Ich selbst war lange Zeit Rattenfänger…“ Wusste ich’s doch. „… und irgendwann fiel mir auf, dass sich manche Exemplare anders verhielten als Artgenossen, weniger aggressiv. Ich beschloss, sie zu studieren.“ Er blickt auf die Ratte vor sich herab und diese quiekt, fast wie eine Zustimmung. „Nun, ich erfuhr von ihrer Vergangenheit und was sie mir zu erzählen hatten, fand ich höchst beunruhigend. Sie erzählten von einer bevorstehenden Invasion des Namenlosen und anderen niederhöllischen Plänen.“ Wie im Osten? Oder meint er gar den Osten? „Also suche ich nach aufrechten Helden und wer glaubt schon einem dahergelaufenen Rattenfänger? Deshalb bist du hier. Meine Ratten haben dich beobachtet und als Anwärter für meinen Segen befunden.“ Sein Blick wird durchdringend und die Stille gefällt mir nicht. „Ich heiße übrigens Freya“, sage ich.

„Eine Prüfung erwartet dich und solltest du sie meistern, ist dir mein Segen sicher.“ Mit einem seufzergleichen Laut des Stuhles erhebt sich die Gestalt, sie ist wuchtiger, als ich es vermutet hatte, und geht auf mich zu. Ich löse mich ebenfalls vom Tisch, keine ihrer Bewegungen auslassend. „Solltest du aber scheitern… nun ja. Bist du bereit?“ Bereit?

Damit stößt er mich in ein Loch direkt hinter mir, welches ich übersehen haben musste. Mir fährt noch durch den Kopf, dass der Kerl wirklich nicht weiß, wie man eine Frau behandelt.
 

Kein Loch, sondern eine Rampe… rutschen, rutschen, auaaaa. Der mit Pflanzen bedeckte Boden mag meinen Aufprall abfedern, doch mein Kopf erinnert sich noch viel zu deutlich an die Liebkosung durch eine Keule. Für einen Moment ist alles still und außerdem stockdunkel, dann jedoch höre ich ein Geräusch und ehe ich es zuordnen kann, kommt schon meine Tasche samt meinem Zauberstab die Rampe herab geschossen. Ich greife beides schnell. Was habe ich nur bei mir? Fackeln? Mist, ich wollte doch… Flim Flam. Kleiner Zauber, sorgt für Licht.

Ich bin in einem einfachen Raum, dessen Gänge nach links und rechts führen… und theoretisch auch als Rampe nach oben, doch diese wird just in dem Moment von einem herabsausenden Gitter versperrt. Gehe ich eben nach links, wo die Vampirin wartete (nein, böser Gedanke)… von wo das schwache Leuchten herkommt (besser). Es kommt tatsächlich von einem Schwert und ehe ich mich versehe, greife ich danach und bemerke erst dann, wie sich die Knochen des Besitzers erheben. Verdammt, was ist das für ein Monster? Wieso immer ich?
 

Einen kurzen Moment später halte ich mit schmerzender und blutender Schulter, doch noch vom Adrenalin berauscht, eine weißlich leuchtende Klinge in den Händen, deren Linien den Namen „Serakil“ umranden. Sie ist angenehm leicht und eine Mischung aus Scham und Stolz durchfährt mich, als ich es an meinem Gürtel befestige. Ich kämpfte wie eine Löwin, ganz ohne Magie – ich hätte doch Amazone werden sollen –, aber halt nicht fehlerfrei. Es tut mal wieder weh.

… doch als wäre es alles. Ich hetze im richtigen Moment zwischen zwei immer wieder zusammenschlagenden Platten hindurch, löse durch einen Druck gegen eine Zielscheibe (nach drei missglückten Steinchen kurzerhand per Ignifaxius) einen Schalter aus, der es mir erlaubt, mittels Geheimgang eine endlos tiefe Schlucht zu umgehen, schlage mich durch faustdicke Spinnweben und betrete schließlich eine Halle, wo ich den Grund dafür erfahre, als mich zwei hundegroße Krabbler anspringen. Ich erinnere mich und reagiere: Linke Faust voran, Fulminictus: Blitz schießt heraus und brät die eine, während mir die andere eine schmerzhafte Lektion verpasst. Ich schwinge den Stab, schlage zu, schlage zu… und überlebe. Ich taste mich durch einen kleinen Gang, schreite die Wendeltreppe hoch und finde eine kleine Quelle, deren Wasser eine beruhigende und lindernde Wirkung erzielt, obgleich es biestig kalt ist. Es erholt mich, es erholt mich und ich bin wieder voll da.
 

Eine Ratte bewahrt mich vor einer Seilfalle, meine Beine mich vor einer Skeletthorde, die sich erhebt, als ich versuche, hindurch zu schleichen. Sie treiben mich jedoch in die Arme – naja, sprichwörtlich – einer Riesenschlange, die mich anzischt und nun erlebt, dass meine Nerven blank liegen: Rechte Hand auf linke Schulter, Zeige- und Mittelfinger dann auf das Ziel: Ignifaxius, gib alles, was du hast.

Ich weiß nicht, wie lange ich für meinen ganzen Weg brauchte, den ich nun damit abschließe, der Schlange durch Serakil den Gnadenstoß zu geben, doch es kommt mir endlos vor, als ich endlich wieder vor den Rattenfänger trete und dieser seine Maske absetzt, hinter der er ein durch Narben zerfurchtes Gesicht verbarg. „Wie ich sehe, hast du die Prüfung unbeschadet bestanden. Du bist würdig, meinen Segen zu erhalten.“ Er kommt auf mich zu und drückt mir eine Art Stein in die Hand, ehe er kramt und mir einen Schlüssel wie auch einen Lederbeutel überlässt und auf die Truhe deutet, die am Ende des Raumes steht. „Suche dir daraus einen Gegenstand aus. Aventurien wird dich brauchen. Wenn es soweit ist, werde ich dich finden.“ Er verlässt mich und ich stehe vor der Wahl, doch statt ihm zu folgen stammele ich nur einen Abschiedsgruß und wende mich der Kiste zu. Was wohl darin auf mich warten könnte?
 

Der Abend brach schon lange herein, als ich aus einem unscheinbaren Haus trete und mich in einem Teil Brig-Los wieder finde, der mir bislang entging. Jetzt, müde von einer Reise, werde ich mein Bett suchen und mich fragen, was der Weg wohl noch weiter für mich bringt.
 

In der Nacht werde ich vom Rattenfänger träumen. Er wird einen Mann empfangen, während ich eine Ratte bin und lauschen kann, ohne dass es stört.

„Ich hoffe, die Vorstellung war nach Eurem Geschmack.“

„Nun, sie war auf jeden Fall besser als die vorigen. Natürlich... natürlich nur, da es wenigstens ein Kandidat mit meinem kleinen Haustier aufnehmen konnte. Ich muss mir wohl ein neues fangen lassen. Das Publikum war jedenfalls hellauf begeistert, obwohl die meisten Wetteinsätze auf das kleine Tierchen gingen. Es gab einen guten Kampf.“

„Zweifellos, Herr. Ich und vor allem meine Ratten stehen Ihnen weiter zur Verfügung und werden weitere Kämpfer dieses Schlages ausbilden.“

„Das habe ich auch nicht anders erwartet. Solltet Ihr weiterhin so gute Arbeit leisten, könnt Ihr auf eine Solderhöhung hoffen.“

„Es wäre mir eine Ehre. Wann gedenkt Ihr, den nächsten Abenteurer ‚meinen Segen empfangen’ zu lassen?“

„Nicht zu früh. Ich werde Euch kontaktieren. Doch nun hinfort.“

Ich verstehe es alles nicht.

Freya in: (6) Der Fluch des Rolat

Das Ritual

Ich wusste wirklich nicht, was mich erwartet, doch Marcin sollte schnell dafür sorgen, dass es mir klar wurde. Es begann alles, wie ich erwartete, mit der Theorie: Einmal die Woche erhielt ich beschriebene Pergamente von ihm, die mir sagten, was ich eigentlich tat; abgeschriebene Seiten aus Marcins Vademecum und Teile, die er wusste und schnell für mich formulierte, beides ließ mich jedoch oft genauso schlau wie zuvor zurück. Es gab einfach nichts zu sagen und das wusste er wie ich.

Die zweite Stufe, die fast gleichzeitig einsetzte, beinhaltete eine Selbstanalyse. Ich führte lange Gespräche mit Marcin und wandte unter dessen Anleitung Zauber auf mich selbst an: Odem, ein nahezu nutzloser Magie-Ja/Nein-Spruch, den ich seit der Akademie nicht mehr verwendete, den Gefühlserkennungszauber Sensibar, später auch, um mir die Angst und Hemmung davor zu nehmen, mir selbst zu schaden, auch Manipulationen wie Bannbaladin oder Horriphobus, Freundschaft und Schrecken. Gerade letzteres erwies sich für mich als furchtbar, doch brachte mir Marcin kein Mitleid entgegen, vielmehr beklagte er, wie wenig mir doch zur Verfügung stand.

Mana sollte in meinem Körper zirkulieren, dies war der dritte Schritt. Ich sollte meine Kräfte verpulvern, meditieren, um zu deren Wiedererlangung meine Lebenskraft zu schwächen, und schließlich die Kraft wieder durch den Balsam heilend wirken lassen. Natürlich kam ich dabei nicht bei Null raus und ich weinte in den Nächten, in denen mich die Dämonen in den Träumen jagten, still vor Verzweiflung, denn ich wusste, sie hielten mir Kraft vor, die ich brauchte. Es war nur gut, dass ich niemanden in der Zeit traf, denn es hätte mich wohl die letzten Freunde gekostet.

Was mich sehr überraschte, war die Tatsache, dass Marcin mir einen Essensplan aufstellte: Am Anfang war er noch allgemeiner Natur, er verbot mir Milchprodukte wie auch Alkohol, doch dann wandelte es sich immer mehr zu einem konkreten Plan, der mir meine Nahrung vorschrieb und – wirklich bei vollster Absicht – immer kürzer ausfiel. Marcin ließ mich hungern und dafür hasste ich ihn.

Ich musste auch tanzen, in doppelter Art: Immer weiter gingen die Abläufe, die er für mich im Mada-Tanz fand, und sehr schnell verband er sie mit richtiger Zauberei, doch bei ewig dem gleichen Spruch, den ich schon bald hasste und doch mit Innbrunst liebte: Flim Flam, diese sternenartige Leuchte. Er sagte mir, dass wann immer es mir schlecht ginge und ich nicht weiter wisse, ich ein Licht entzünden sollte, und das tat ich auch, meist nachts, wenn mich die Dämonen jagten. Die andere folgte Ende Ingerimm, am Tag der dritten Dämonenschlacht, als auch Brig-Lo feierte und er mich als Lilims Begleitung in die Masse schickte; er sagte mir, ich solle mich amüsieren und wenn ich jammern würde oder meine Erfahrungen der letzten Wochen ausplappern, dann müsste ich gar nicht wiederkommen. Ich tanzte jedoch nur kurz mit Lilim, ehe wir uns ans Ufer zurückzogen, gemeinsam auf die nächtliche Brigella starrten und die Zeit verstreichen ließen. Ich hätte trotzdem nie vermutet, wie viel Kraft ich darin fand.
 

Fünf Wochen dauerte die Vorbereitung: Nach der ersten war ich zuversichtlich, nach der zweiten kraftlos, in der dritten weinte ich mein Kissen voll, während ich in der vierten einen Zustand der Leere erreichte, in dem ich alles ertragen hätte. In der fünften Woche dann zog Marcin mich über Wasser und lockerte seine Bestimmungen, während ich freier wurde. Nun lag es an mir, lange zu wandern und das Gelände zu erkunden, welches ich mir vor so langer Zeit ausgesucht und doch nie besichtigt hatte: Ich ließ die hölzerne Palisade Brig-Los hinter mir und durchforstete das Land, durchschritt die alten, verwilderten Friedhöfe und passierte überwucherte Statuen und beschäftigte mich mit der Frage, wo ich schon bald sitzen wollte; Brig-Los Dämonenschlachtfeiern, zu denen die Besucher und Pilger aus allen Ländern heranströmten, fanden um den alten Feldherrenhügel der Hela-Horas statt, auf dessen Kuppe kurz danach ein Tempel zum Dank errichtet wurde, der die Jahrhunderte jedoch nicht überstand und nun wieder aufgebaut wurde, ein langsames Wachsen, um von möglichst vielen Pilgerjahrgängen zu profitieren. Sollte ich mich hier niederlassen, zu Füßen eines jahrhundertealten Praios und ganz frischen Ingerimm und Efferd? Tatsächlich, warum nicht, wohin sonst? Jeder andere Ort hätte doch nur einen Rückzug bedeutet.

Beim dritten Wandern richte ich mir ein Zelt ein und kehre nicht in das Dorf zurück. Es gab keinen Abschied zuvor, wie Marcin mir ausdrücklich befahl, und auch die Feiern werden auf später verschoben. Höre ich Geister? Es soll sie geben und vor Monaten hätte es mich beunruhigt, doch nun bin ich… entschlossen? Nein, das ist es nicht. Ich tue es, weil ich gar nicht mehr daran denke, zu zweifeln.
 

Die Stute tritt in den Meridian. Es ist soweit. Im fernen Brig-Lo wird es langsam laut, während die Feierlichkeiten zum Fest der Freuden, dem höchsten Fest der Rahja, beginnen und die Menschen trinken, tanzen und ihr Leben genießen. Ich wäre gerne unter ihnen oder besser noch in der Heimat, ich würde gerne wissen, ob meine liebe Aillil wieder Geliebte der Göttin wurde, doch ich überlasse diese Träume dem Wind; die Menschen sind dort und beschäftigen sich mit sich selbst, deswegen kann ich ungestört hier sein, nun fehlt noch eine Frau in voller Pracht; komm, Mada, meine Göttin, ich brauche dich ganz.

Auf dem Vorplatz vor dem einstigen Tempel möchte ich handeln und an einem Ort, der schon von Tausenden von Füßen in etwa Tausend Jahren getreten wurde, zücke ich die Kreide und beginne mit der Vorbereitung; am dritten Tag des Festes, am dritten Rahja, sollte sie erscheinen, doch da ich weder während Praios’ Licht noch in der Finsternis gestalten möchte, wähle ich die Dämmerung: Ein großer Kreis, darin ein Stern mit dreizehn Zacken, sechs Fackeln sollen brennen und die Herrinnen ansprechen, während mein Stab in der Mitte im Boden steckt und die Verbindung zwischen mir und dem dreizehnten Zacken verwehrt. Brauche ich Räucherwerk? Ich nahm welches mit, um es dann nach Gefühl zu entscheiden, nun möchte ich welches, also gebe ich Kräuter in die Fackelflammen und rieche schon bald einen Duft nach… irgendwas Pflanzlichem. Die Häuser in der Ferne, die ich vom Hügel aus betrachten kann, verschwimmen langsam, während die Zahl ihrer Feuer immer deutlicher wird; es ist Nacht, die Königin wird thronen, der Ort ist bereit, nur ich bin es nicht. Vorsichtig, um mein Werk nicht zu beschädigen, entferne ich mich ein Stück, wasche mich dann ausgiebig mit einem Wasserschlauch, doch ohne jede Form von Seife, da Marcin da eindeutig war, trockne mich auf gründlichste Weise ab und greife dann zu meinem Gewand; mein rotseidenes Konventsgewand, mit dem ich vor einem knappen halben Jahr vor meinem Meister trat, wird mein einziges Kleidungsstück sein und weil ich selbst auf den Gürtel verzichte, kann man es sehen, doch nur so geht es: Ich bin Zauberin und ich bin Rahja nah.
 

Es wird Zeit. Ich erhebe mich. Die linke Hand umgreift die Kuppel meines Stabes, die ich mir irgendwann mit einem Kristall verzieren möchte und in der sich noch eine Holzkugel befindet, und ich gehe sie ab, ganz nacheinander. Hesinde: Ich wandere ziellos durch die Wüste, als die Waffen klirren. Ein stummer Gruß an Schairtia. Boron: Ich reise mit einem Waffenhändler, ehe es mich in die Flucht schlägt. Du warst mein Segen, Mhella. Travia: Mit Rufus sitze ich im Theater, doch wir können nicht ernst bleiben. Wir waren voll und du wurdest leer, Andi. Efferd: In Albernia helfe ich einem Druiden. Ich trage heute noch deinen Schmuck, Ogrim. Rondra: Im Mittelreich narrt uns ein Monster, ehe wir es töten. Danke für deine Wärme, Celissa. Praios: Ich verlasse die Akademie und lasse mich von dir zu meinem Schicksal führen. Die Frau im Regen dankt dir, Angbor. Die Leere: Lege dich über meine Vergangenheit und bedecke sie. Ich möchte nicht im Dunkeln verweilen, Jannis. Rahja: Am Ende eines Weges soll ich dir wohl danken, Marcin, doch ist noch nichts vorbei. Ingerimm: Inmitten von Ratten, was bin ich da? Du bist keine, Alrik, und dafür danke ich dir. Peraine: Ich suche in den Bergen nach Erz, welches mir fast in Klingenform nahe kommt, doch du rettest mich, Immrade. Phex: Ein Lagerhaus leert sich selbst, ehe ich es verhindere. Bald schon wirst du mich zeigen, Lilim. Tsa: Ich bin auf der Durchfahrt, bis mich ein Angebot und ein Kontakt hier behält. Du kostetest mich und ließest mich am Leben, Lytis, ich hoffe, ich kann dir je dafür danken. Firun: Ich bin bei dir und genieße das Leben, ich liebe dich und warte auf dich und hoffe einfach alles, mein Rufus.

Diese Runde kostete mich Kraft, also setze ich mich wieder dahin, wo ich einst begann. Ich schließe die Augen und wenn ich das linke öffne, verdeckt die Holzkugel auf meinem Stab das Madamal, beim rechten die Sternenleere. Ich blicke heraus und kann sie alle erkennen, die Stute im Zentrum mit ihrem rötlichen Glanz, so umschwärmt in diesen Wochen, den blauen Wal und das Schwert, welches mich nun an Serakil erinnert, Amboss, Storch, Greif und Hammer. Sind sie bei mir?

Ich lasse den Blick senken. Die Welt hinter dem Kreidekreis wird immer undeutlicher, als würde sie von einem wässrigen Vorhang verdeckt, während meine Linien am Boden leuchten. Ich sehe eine Bewegung, als ein wolfsartiges Geschöpf außen seine Kreise zieht, ich spüre mich beobachtet und erkenne einen Adler kreisen, doch wagt er sich nicht heran, da mich eine warme, kraftvolle, männliche Präsenz beschützt. Draußen, das spüre ich, wirbelt der Sturm und ich sitze hier drin und bin sicher, solange die Linie auf dem Boden nicht angetastet wird, während meine Hand auf dem Stab ruht, der zu beben scheint. Nur, was ist das? Der Wolf kratzt mit seiner Tatze an meiner Markierung herum und ich kann gar nicht schnell genug schreien, um ihn zu verscheuchen, da öffnete sich schon ein Spalt und die Welt dringt in mein Refugium ein; ein irrsinniger Strom aus Eindrücken und Bildern erfasst mich und reißt mich zu Boden, während Uthar über mir thront und sich köstlich amüsiert. Alles verschwimmt um mich herum.
 

Die Reise

„Reißt sie nieder“, sagt Kathay, „Ihre Ebenbürtigkeit beleidigt unseren Herrn.“

Ein kleiner Junge gähnt, ein anderer kleiner Junge gähnt, eine ganze Gruppe langweilt sich. „Wann können wir wieder nach Hause, Mami?“

„Sieben, acht, neun… ein Dukat. Hier Eure Plakette, mein Herr.“

Ein Mädchen kichert. „Tue es nicht, es ist verboten.“

„Ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben.“

„Ich liebe dich und warte auf dich und hoffe einfach alles, Rufus.“

„Gib ihr alle Liebe, die du noch hast, denn sie ist verloren und ihre Seele wird niemals mehr den kleinsten Funken Licht erleben.“

„Kommt, folgt mir, meine Krieger, wir können sie aufhalten.“

„Frau Kaiserin, ich bringe schlechte Nachrichten: Die garethischen Rebellen konnten sich formieren. Unter den jetzigen Bedingungen kann die Schlacht nicht mit letzter Sicherheit gewonnen werden.“
 

Die Stimmen werden übermächtig und ich schreie, der erste Laut, der aus der wirklichen Welt seit langer Zeit an mein Ohr dringt. Ich liege im warmen Sand, Seide auf meiner nackten Haut, und um mich herum stehen Männer mit schweren Stiefeln. Sie unterhalten sich. „Ob es wohl funktionierte?“ – „Es wird. Sahest du nicht die Veränderung ihrer Haare?“ – „Sie wirkt so menschlich.“ – „Was denkst du denn, Trottel? Frau Aphasmayra? Können Sie uns verstehen?“

Der Name weckt etwas in mir und ich zucke zusammen. Was geht hier vor? Ich öffne die Augen weiter als nur einen Spalt und erblicke Männer in glänzendem Stahl. Einer von ihnen senkt sich und bietet mir ein Schälchen Milch an. Das reicht, ich weiß jetzt alles… oder jedenfalls genug für eine Lüge. „Das nicht“, sage ich so kalt wie meine brüchige Stimme hergibt. „Wasser.“ – „Aber ich dachte…“ – „Wasser.“ Er greift an seinen Gürtel und bietet mir seine Trinkflasche an, die ich wie eine Verdurstende leere, während sie zusehen. Derweil kann ich zumindest den Blick streifen lassen: Ich befinde mich in einem Zelt, welches mein eigenes in der Größe durchaus schlägt und Platz für das knappe halbe Dutzend Männer bietet, welches mich anblickt – andere Gegenstände finden sich darin, wenn man von einem Schemel und einer Art Steinplatte absieht, allerdings nicht. Bleibe verärgert, Freya, mit Bitten kommst du nicht weiter: „Ich bin nicht zum Begaffen da. Du bleibst. Der Rest geht.“ Es funktioniert. „Du, setz dich.“

Der Soldat, der mir das Wasser reichte, überragt mich an Gestalt und wird mich auch knapp an Jahren übertreffen, doch in seinem weichen Gesicht spiegeln sich Angst und Erregung. Ich setze mich und gebe ihm die Chance, ebenfalls auf dem sandigen Boden Platz zu nehmen. „Wer seid ihr?“ Er deutet eine Verbeugung an: „Miras de Cer…“, möchte er sich vorstellen, doch ich lasse mir die Zügel nicht nehmen. „Nicht du, ihr.“ – „Soldaten der Dritten Dekurie der Legion Ihrer Kaiserin ‚VII Madain Sora’.“ Ich nicke. „Hmm. Und wer bin ich?“ – „Sie sind meines Wissens nach Fräulein Aphasmayra, verbannte Tierkönigin der Katzen und Herrin der Plagen der finsteren Höhle von Gron’gu’mur, geschmeidige Prot…“ Eine Handbewegung reicht, um ihn zu unterbrechen. „Ich weiß, wer ich bin. Wer ist sie?“ Der Soldat mit dem erschreckend ausdruckslosen Gesicht zaudert und verkneift sich ein Kichern, doch ich beharre auf meine Antwort und lasse ihn mit meinem Blick nicht frei. „Dieser Körper? Nun, der… ja… das ist… das wollt Ihr eigentlich gar nicht wissen.“ Ich verziehe das Gesicht. „Du willst mir antworten.“, sage ich. Ich bin jetzt eine Dämonin, also quasi, da lasse ich nicht locker. Der Soldat schluckt und versucht sich dann an einer Antwort: „Eine Überläuferin und Verräterin. Sie lieferte uns die von ihr befehligte elfische Hilfstruppe aus, während ihr Vater den rechten Flügel der garethischen Rebellen kommandiert.“ Ich verziehe das Gesicht, ich denke, ich kann es wagen: „Was für einen Müll bietet ihr mir da als Heimstatt an?“ – „Mein Bedauern, Herrin, mein Bedauern. Ich kann sie gerne beseitigen und Euch würdiger in diese We…“ – „Ich lasse meine Zeit nicht verschwenden. Also…“ Ich seufze demonstrativ, während der Soldat seine Hand vom Schwert nimmt und ich mich wieder etwas entspanne. „Wie heißt sie und warum lief sie über?“ – „Sie heißt Frenja, Tochter des Galahan, und ist eine Zauberin zu Gareth. Ich sprach sie nie, solange sie frei war, doch ich habe gehört, sie habe es aus Liebe getan.“ Was? Willst du dich über mich lustig machen? Was ist das für ein Spiel? „Was für ein Unsinn.“, sage ich mit nicht einmal falschen Gefühlen und er nickt. „Vollkommener Unsinn.“

Ich muss über alles nachdenken. „Genug geredet, dieser Fetzen beschämt mich. Bringe mir angemessene Kleidung und beeile dich.“ – „Angemessen, meine Dame?“ Du hast Mut oder bist du bloß dumm? „Angemessen. Dieser Körper hier ist so hässlich nicht, also mache etwas daraus.“
 

Ich bin allein. Was ist das hier, Wirklichkeit oder Maskenball? Prüfen mich die Götter, spielen die Manalinien verrückt oder bin ich tatsächlich eben ein Jahrtausend zurückgereist, nur um meine Ur-Ur-Ur…-Ach-irgendwas zu ersetzen? Das wäre aber alles ein zu starker Zufall, um echt zu sein. Frenja, Tochter des Galahan… doch Moment, wurde meine Familie nicht in grauer Vorzeit von einer hohen Gestalt mit Kuslik belehnt? War das Raul? Muss ich jetzt im Ernst gegen meinen Vater… also… nein… gegen meinen Ur-Ur… ach, gegen meinen Verwandten kämpfen? Lieber nicht. Ich denke, ich muss besser hier weg. Wo ist nur mein Zauberstab?
 

„Ich habe mir erlaubt, einen Lederpanzer zu wählen, Herrin, und dazu ein Unterkleid aus Bausch, welches Eure zarte Haut schützt. Hier habe ich auch einen passenden Helm, um Euren Körper wirklich gegen verirrte Pfeile zu schützen.“ Hui, das wollte ich immer schon einmal tragen, doch dieses blöde Gesetzeswerk verbietet mir jede Art wirksamen Schutzes. Trotzdem, nicht zu dankbar wirken. „Hatte sie auch einen Stab?“ – „Bitte?“ – „Sie war doch eine Zauberin. Hatte sie einen Stab?“ – „Das weiß ich nicht. Augenblick…“ Er geht und ich gestatte mir ein Lächeln, erübrigt der Auftrag doch die Frage, ob ich ihn herausschicken oder mich vor seinen neugierigen Blicken hätte räkeln sollen. Legen wir also den Panzer an. Verdammt, wie geht das nur? Der wird doch auch irgendwie geschnürt, oder?

„Natürlich hatte sie, mein Fehler. Hier.“ Er wirft den Stab und ich muss meine Neugier zügeln und die brennende Frage erst einmal unbeantwortet lassen. „Du, schnüre. Rede auch mit mir.“ Ich hebe die Arme. Soll er mir doch einmal zeigen, wie es geht.

„Meine Herrin, so sieht unsere Lage aus: Als Strafexpedition unter der Horas selbst ziehen wir gegen Gareth, doch die Aufständischen fanden mehr Hilfe, als wir es ihnen zugetraut hätten; was mit einem schnellen Gefecht hätte beendet werden sollen, wirkt gerade wie ein Patt. Unsere Späher suchen nach Wegen, um diese Schlacht schnell zu schlagen, doch da sie ihrerseits noch nicht in die Offensive gingen, befürchten wir Verstärkungen. Deshalb brauchen wir Sie: Helfen Sie uns. Stehen Sie uns bei, wie Sie einst Fran beistanden. Mit Ihrer Hilfe und der Hilfe Ihrer Brüder ist vielleicht doch noch ein Wunder möglich.“
 

Ich verlasse das Zelt und nehme von dem Soldaten, an dessen Namen ich mich gar nicht erinnern will, weil es unglaubwürdig wirken würde, gar keine Notiz, stattdessen streift mein Blick durch das Gewirr der Zelte. Wie viele mögen es sein? Ich erkenne schnell, dass wir uns am Rand befinden. Langsam trete ich in irgendeine Gasse und sollte mich mein Begleiter fragen, warum ich es tue, werde ich von katzenhafter Neugier sprechen – allerdings, die ist jetzt echt. Ich muss wissen, wo ich mich befinde. Frenja, Tochter des Galahan, gab es dich wirklich? Ich trete in ein Zelt, dessen aufgemaltes Zeichen ich kenne – einen Strich mit drei Verästelungen – und finde mich in einem Lazarett wieder, wo erst einmal alle Blicke auf mir ruhen. Ich bleibe stehen und schelte mich selbst; um Himmels Willen, ich darf bloß keinen göttlichen Boden betreten, sonst fliegt alles auf. „Meine Damen und Herren, darf ich vorstellen, Aphasmayra.“ Ich will hier niemanden kennen lernen. Moment, da wäre doch ein Weg… „Ich brauche Kraft.“, sage ich ganz einfach und setze mich auf ein Lager, ohne auf den darin liegenden Soldaten zu achten: Ich habe gesagt, was ich will, also soll mein kleiner Begleiter dafür sorgen, dass ich es auch bekomme, und tatsächlich, er wendet sich an einen aufgedunsen fetten Mann und schon bald klimpern Phiolen. Ich nutze die Zeit.

Ich kenne diesen Stab, ich kenne ihn sehr gut: Es ist meiner. Er ist aus Steineichenholz geschnitzt, kaum verziert und nur seines Wolfsfells, das ich um seine Mitte wickelte und schnürte, entledigt, unten ein einfacher Knauf, oben eine eingebettete hölzerne Kugel, in deren Fassung thorwalsche Runen eingeschnitzt wurden: Feuer – Krieger – Waffe – Haus – Vogel, oder als Buchstaben gefasst, FREYA. Das bin ich und ich heiße, wie ich heiße und nicht etwa Frenja, also bin ich echt. Das beruhigt mich doch ungemein.

Der Soldat erscheint mit einem Beutel, den ich ihm schnell abnehme und mich über das Gewicht wundere, scheinbar war er fleißig. Ich schlendere weiter durch die Gassen und suche mir einen weiteren interessanten Ort, den ich in einem großen Zelt erblicke; zwei Wachen davor, doch wirken sie schmutzig und ungepflegt. Sie blicken mich nicht einmal an, als ich auf sie zutrete, und halten mich auch nicht zurück; der Gestank aus dem Inneren ist der größere Hinderungsgrund. Unzählige Augenpaare starren mich an, als ich den Raum mit den zwei Dutzend abgemergelten Gestalten betrete; Elfen, angekettet an Armen und Hälsen und bis auf Lendenschürze bar jeder Kleidung. Das Bild ist so erbärmlich, dass ich mir mit Mühe ein Würgen unterdrücken kann. Ich muss es überspielen. „Das stinkt widerlich“, bemerke ich.

Gefühlte tausend Stimmen flüstern meinen Namen. „Frenja“ – „Frenja“ – „Frenja“ Kenne ich sie? Sind das die Überreste der Streiter, die ich verriet und in die Gefangenschaft führte? Vermutlich. Woher können sie mich sonst kennen?

„Verzeiht, meine Herrin, doch uns war nicht klar, wie viele Anläufe wir benötigten, um Sie zu rufen. Ich muss aber sagen, die Möglichkeiten ihres Blutes übersteigen die Erwartungen bei ihrem Auftreten.“ Da möchte einem doch schlecht werden. „Ich bin hier. Lasst sie frei.“ Autsch. „Bitte, Herrin?“ Jetzt brauche ich ein irres Grinsen und ich kann alles retten. „Meine Bruten sind hungrig, doch sie möchten Beute und kein Schlachtvieh.“ Schweigen, wenn man fertig ist, denn Reden ist ein Zeichen von Nervosität. Ich drehe mich um und weiß, dass meine Befehle sicherer ausgeführt werden, wenn ich nicht dabei zusehe, während ich hoffe, dass den Elfen noch genug Kraft für einen Visibili blieb, mit dem sie sicher davonkommen könnten. Hoffentlich rettet das auch den Ruf meiner Verwandten.
 

Ich trete heraus, während der Soldat noch Anweisungen gibt, und wandere umher, ohne auf ihn zu warten – immerhin bin ich ja eine Katze und zur Not kann ich behaupten, jetzt meine Dämonen beschworen zu haben. Der Lederpanzer quietscht und lastet schwer auf meiner Haut, die Phiolen klimpern und doch… ja, vor einer halben Stunde sah alles noch schlechter aus, doch ich muss hier weg. Ich suche einen Weg, doch der Weg findet mich. „Hey, Fräulein, wie wär’s denn mit uns beiden?“

Ich wende mich viel zu schnell um, doch da ist kein Gardist, dem mein Fehler auffällt. „Ich kann nett… zu dir sein, ganz sehr. Es ist nur…“ Lilim? Lilim, was machst du hier? „… ein kleiner Schritt.“ Die blonde, billig geschminkte und vollkommen betrunkene Elfe stolpert auf mich zu, verliert das Gleichgewicht und segelt in meine Arme; ich schäme mich fast für das Geräusch, als ihr Kopf gegen die Platte meines Lederpanzers knallt. „Alles in Ordnung bei dir?“, frage ich schuldbewusst. „Du bist eine ganz schön harte Nuss, aber ich werde dich schälen wie eine Kastanie.“ Sie lacht und ihre Hand versucht, zwischen Schale und Haut nach oben zu wandern. Ich stoße sie von mir. „Lilim, komm zu dir.“ Sie taumelt, kann sich aber auf den Beinen halten. „Ich bin nicht Lilim, ich bin Milai… Limai… Lai… ach, Lilim geht auch.“ Mir wird etwas klarer. „Milailee?“ Sie sieht mich an und grinst schräg. „Zu deiner persönlichen Entsaftung, Herzelein. Ich tue alles für wenig Geld.“ Das wird ja immer widerlicher. „Komm mit, wir verschwinden von hier.“ Ich packe ihr Handgelenk und schleife sie in irgendeine Richtung. Lilim schwallt noch immer. „Verschwinden kenne ich nicht. Was nehme ich nur dafür?“
 

Eine Hure dabeizuhaben, senkt meine Schwierigkeiten, aus dem Lager zu kommen, ganz gewaltig, denn die Torwächter kichern und grinsen nur. Wir halten uns nördlich, bis die ersten Wälder und Berge am Horizont erscheinen und rasten nach zirka einer Stunde, was wir aber allein meiner Gefährtin zu verdanken haben, an einer Quelle, wo kaltes Wasser einen dicken Schädel kühlt. Ich sehe ihr nur unberührt zu, wie sie jammert, und frage mich, ob alle Zauberer mit der Zeit kalt und herrisch werden… nein, hoffe ich, das sind nur die Umstände. „Geht es wieder?“ – „Mein Kopf, mein armer, es tut so weh und…“ – „Geschieht dir recht.“ – „… und dieses Wasser vermischt meine ganze schöne Schminke.“ – „Ich hoffe, du bezahltest für sie nicht mehr als ein paar Kreuzer.“ – „Da kann ich doch nicht mehr arbeiten. Wie kann ich da Geld bekommen, um die Wachen zu bestechen, damit sie mich nicht erstechen wie die meisten anderen?“ – „Wir sind nicht mehr im Lager.“ – „Wie kann ich dich denn glücklich machen und dich bestechen?“ – „Schweigen wäre ein Anfang.“ Wider Erwarten funktionierte es.

Ich sehe von der Böschung aus zu, wie Milailee den Bach verlässt und zu mir hochkommt. Sie greift in ihre Tasche, doch als ich eine kleine Handharfe sehe, halte ich es für besser, sie aufzuhalten. „Reden wir lieber.“ Den letzten Schritt zu mir, um sich neben mich zu setzen, kann sie nicht gehen. „Wer bist du?“, fragt sie mich. „Firlina.“ Dieser Name sollte sicherer sein. „Du erinnerst mich an unsere Menschenfrau, Frenja, Tochter des Galahan. Bist du mit ihr verwandt?“ Ich will ihr nicht offen zustimmen; was bleibt mir da anderes übrig, als die Wahrheit zu sagen? „Irgendwie. Ich gehöre eigentlich nicht hierher.“ – „Du hast ihre Figur, nur die Haare… ihre waren hell, so wie meine.“ Das also meinten die Soldaten? Gut. Es nutzte mir. „Ich bin hier und ich weiß nicht, warum. Hast du eine Idee, wie ich von hier wegkomme?“ Sie blickt mich mit ihren leuchtenden blauen Augen an. „Es gibt nahe von hier eine Höhle, in der ein Zaubermann wohnt, den ich manchmal… besuchte. Er ist weise.“ Das klingt doch nicht schlecht. „Führst du mich?“ – „Ich komme mit dir. Ich kann gut kämpfen, mit einem Bogen und auch mit diesem Wolfsmesser hier. Ich werde dich nicht enttäuschen.“
 

Der Tempel

Der Eingang zur Höhle wirkt klein, doch kaum betreten wir ihn, stehen wir in einer Halle. Ich überlasse es Milailee, für Licht zu sorgen, als mir der Schrecken in die Glieder fährt: Knochen in allen Stadien der Verwesung lagen hier beisammen und kaum leuchtet das Licht, bewegen sie sich. Ich reagiere schnell und in einer Bewegung: Hände schalenförmig öffnen, Formel sprechen, dann einen dicken Feuerball in die Horde schießen. Skelette und Zombies vergehen im Feuer, nur eine seltsame Kreatur scheint gänzlich unbeeindruckt und blickt mir mit seinen aus Diamanten bestehenden Augen direkt in meine Seele, ehe sie verschwindet.

Für Milailee ging alles zu schnell. „Hast du das gesehen?“ – „Ja.“ – „Was war das?“ – „Ich weiß es nicht. Ich habe es nicht richtig gesehen.“ – „Du bist ganz schön stark.“ – „Danke.“ Ich wühle mich derweil durch die Segeltasche, um mit den passenden Phiolen meine verlorene Kraft auszugleichen. Langsam trete ich voran, da ich Fallen fürchte, und ich entscheide mich für den linken der beiden Gänge. Der natürliche Teil der Höhle wird hier durch steinerne Gänge ersetzt, die in die Finsternis getrieben wurden, und unsere Schritte hallen voran. Schlechte Erinnerungen an viel zu viele Orte suchen mich heim, als wir letzten Endes eine weitere Halle betreten, und dann tritt es ein: Milailees Licht verlischt und als sie es wieder anzündet, sind wir von Feinden umgeben. Ich kann die Skelette nicht zählen, die uns da umringen, nur wissen wir beide: Wir kommen hier nicht mehr lebend raus.

Ein Mann lacht. „Wen haben wir denn da? Zwei hübsche Damen, so spät in der Nacht? Die Waffen runter oder ihr erfahrt, worin der Unterschied zwischen Gast und Eindringling besteht.“ Was sollen wir tun? Durch die Skeletthorden könnten wir vielleicht durchbrechen, doch bei einem Nekromanten dabei… und worum soll es sich sonst handeln… nein. Ich lasse meinen Zauberstab sinken, was auch Milailee überzeugt. „Die Magierin ins Verließ.“, befielt die Stimme und ich mache die Erfahrung, wie widerlich es ist, von Skeletten und ihren unnatürlichen Kräften ohne jede Geschicklichkeit umringt und bezerrt zu werden. Mein Stab bleibt auf dem Boden liegen, während ich mich tiefer in die Dunkelheit begebe. „Die Elfe“, höre ich noch seine Stimme, „könnt ihr töten.“
 

Kalte Gitter und ein schmutziger Raum mit Steinboden, der sich wohl von keinem Loch dieser Welt unterscheidet, warten auf mich. Ich taste die Wände ab, muss jedoch feststellen, dass sich hinter keinem Gitterstab und keinem Stein ein Geheimnis verbirgt, und doch… ich verzweifle nicht. Ich erinnere mich an meine Erfahrungen in dem Kreis, an die schützenden, starken Präsenzen und an die Zuversicht. Wo bin ich wirklich? Wann, wie, wer? Meine Träume waren doch sonst kürzer und eindeutiger in ihren Gefühlen. Sie sind auch deutlicher mit Aktionen gefüllt. Hier warte ich nun und muss mich fragen, was nun kommt. Tatsächlich kommt auch was, aber das ist nicht gut.

Der Nekromant könnte mit seinen schwarzen Haaren und seinem Bart fast als Doppelgänger meines Onkels Efferdan durchgehen, wäre sein Gesicht nicht so schmal und seine Augen nicht so stechend. Die Horden der Skelette begleiten ihn und sichern ihn ab, jeweils drei zerren an jedem meiner Arme, als er die Zelle betritt. Er starrt mich lange an, während ich sein einstmals schönes dunkles und fast schwarzes Zeremoniengewand bemitleide, welches wie der gesamte Magier litt. Er schwenkt eine dünne Peitsche und hält sie mir vor Augen.

„Was hat sie noch einen Panzer an? Macht sie frei.“ Weitere Skelette nähern sich mir und zerren, ohne jedoch den Sinn der Gurte zu verstehen, und schließlich hat der Magier ein Einsehen, greift an seinem Gürtel nach einem Jagdmesser und durchtrennt so das Leder. „Na also“, sagt er, „geht doch“, während er die Peitsche einmal auf mein Fleisch knallen lässt, um zu zeigen, was es für mich bedeutet. Es tut höllisch weh.

„Also lass uns etwas spielen: Was machst du hier?“ – „Ich bin auf der Flucht und…“ Er bringt mich mit einem Schlag zum Schweigen. „… möchtest in deine Welt zurück? Ich weiß, Fräulein Galahan, Magierin zu Andergast, deshalb will ich wissen: Warum bist du hier?“ – „Ich weiß es nicht“, schreie ich und erwarte den nächsten Schlag, der aber auf sich warten lässt. „Ich vollführte ein Ritual und landete hier.“ – „Was für ein seltsamer Zufall, nicht wahr? Du landest ausgerechnet hier, wo ich lebe, und ganz plötzlich tauchen auch noch diese Armeen vor meiner Haustür auf. Also, wer bezahlt dich? Oder bist du die, die bezahlen muss?“ Er schlägt noch einmal zu, wohl um mir Zeit zum Nachdenken zu geben. „Damit habe ich nichts zu tun, da kämpfen Garether gegen Horasier, wie es im Geschichtsbuch steht, und schon bald wird da draußen eine Menge passieren. Ort und Zeit sind wichtig, so kam ich auch genau hierher.“ Er schlägt nicht, sondern lässt die Peitsche nur in seinen Händen wippen. „Und du bist sicher, dass dich kein Verhüllter Meister darauf ansetzte, mich zu ermorden?“ Ich schüttele nur schwach den Kopf. „Tja, das erklärt einiges, aber nicht alles. Möchtest du wirklich dabei bleiben?“ Was soll ich tun? „Das ist nun einmal so.“ Das Lächeln des Magiers wird fast milde, was nur eines bedeuten kann – es geht mir an den Kragen. „Na dann, meine Liebe…“

Weiter kommt er nicht, da er plötzlich aus unerfindlichen Gründen zurücktaumelt, was auch die Skelette sich lösen lässt, und als er sich sehr schnell mittels Transversalis davonteleportiert, bleiben nur Gerippe auf dem Fußboden übrig. „Bist du in Ordnung?“, höre ich eine Stimme rufen, noch ehe ich sie sehen kann, und sofort schlägt mein Herz höher. Rufus, bist du es? Was machst du hier? Ach, egal.

Ein kalter Schauer erwartet mich. „Du bist nicht Rufus“, sage ich zu der Gestalt, die nicht weniger irritiert wirkt, „Und du bist nicht…“ Am anderen Ende der Gitter steht ein blonder Mann in meinem Alter, dessen Kurzbogen in der Hand mir eine Ahnung verschafft, was den Magier wohl aus dem Konzept brachte. In seiner hellen, doch nicht ganz weißen Kleidung wirkt er seltsam fremd an diesem Ort, doch sein Gang ist der eines Raubtieres und die beiden Schwertscheiden an seinem Rücken – eines zum Ziehen über die Schulter, das andere bei der Hüfte – beseitigen den letzten Rest Zweifel, so dass ich mich gar nicht über das blaue Stirnband mit dem Kristall wundern kann. Er verstaut den Kurzbogen in seinem Hüftköcher und werkelt am Schloss, welches nach kurzer Zeit nachgibt. „Mylady, darf ich mich Ihrer als Jungfrau in Not annehmen?“ Ich muss lachen, teils aus Erleichterung, teils weil dieser albernische Akzent Heimatgefühle weckt. „Gerne, ja, doch… habt Ihr vielleicht auch etwas gegen andere Nöte?“ Er blickt herab auf mein nass geschwitztes Unterkleid, dessen Stellen sich langsam rot färben. „Zu meinem Bedauern, doch ich kann Ihnen versprechen, dass ich vergeben bin und voll und ganz treu.“ Immerhin etwas. „Doch verzeiht. Man nennt mich Corsaia, Kommandant des Bataillons der Schatten, Wächter über Kalchias äußere Ländereien, Freund des Feenkönigs und, wie ich Euch versichern darf, nicht ungeschickt mit Schwert und Bogen. Und Ihr, schöne Frau?“ Sein Redefluss überrascht mich. „Freya“, sage ich, die Geschichte oben zu schnell vergessen, „Ich bin Kampfmagierin… und gehöre eigentlich nicht hierher.“ – „Meine liebste Sorte Zauberer, wenn ich das sagen darf. Was das Letztere angeht: Ich weiß. Ich war so frei, Euer Gespräch mit dem Magier zu belauschen, ehe ich eingriff.“ Natürlich. „Danke dafür übrigens… also für die Rettung. Wisst Ihr denn, was hier vorgeht?“ – „Nicht in letzter Gewissheit, meine Liebe, zu meinem Bedauern, doch weiß ich, dass er in einem Punkt nicht irrt: Er ist in Gefahr. Ich bin nämlich aus den Gründen hier, die er Euch anheften wollte.“ – „Dann wollt Ihr…?“ – „Den Zauberer Rolat töten und diesem Spuk ein Ende setzen? Ganz genau. Ihr liegt auch in einem anderen Punkt richtig, wenn ich es bemerken darf, denn ich gehöre genauso wenig wie Ihr eigentlich hierher.“ Ein Schauer läuft mir über den Rücken, doch ich muss die Frage einfach stellen: „Woher kommt Ihr denn?“ – „Albernia, 32 Hal.“ Ich rechne kurz nach. „Dann seid Ihr seit drei Jahren hier?“ – „Das ist möglich, doch ich weiß es nicht. Was ich aber weiß – oder zumindest ahne –, ist, dass der Magier noch nicht weit ist. Es gibt da einen Geheimgang. Folgen Sie mir.“
 

Keine zwanzig Schritt weiter befindet sich hinter einer falschen Wand verborgen eine Treppe, die ich zusammen mit Corsaia herabschreite. Lange vermute ich unseren Weg falsch, doch plötzlich bricht der Magier mit hektischer Stimme durch die Stille. „Sie kommen, sie kommen, macht euch bereit.“ Da sehen wir ihn, das Monster mit den Rubinaugen ist ebenso bei ihm wie einige frisch erhobene Leichen, die mit schweren Äxten auf uns zu gerannt kommen. Ein Blick, den ich mit Corsaia wechsele, erübrigt jedes Gespräch – er die Monster, ich die Leichen.

Hand zum Kelch, Feuer… drauf. Die brennen, doch sie rennen weiter und da sind sie schon fast bei mir, als ich es noch einmal versuche. Kelch, Feuer… und aus. Am Ende meiner Kräfte und doch überglücklich, mich nicht mit diesen Äxten messen zu müssen, wende ich mich Corsaia zu, der mit seinen beiden leicht blau leuchtenden Kurzschwertern auf eine ausgesprochen sehenswerte Art mit diesem Monster ringt, welches eine Art mit Metall verstärktes Skelett zu sein scheint. Es wird Zeit, einzugreifen, denke ich mir, und bereite einen nächsten Zauber vor: Linke Faust auf Ziel, Formel sprechen und dann die Energie fließen spüren… und wissen, dass es nun reichen muss, denn mit meiner Kraft bin ich am Ende. Das Glück steht mir allerdings bei, denn es reicht: Die Kreatur bricht zusammen und zerbirst in einem Nebel, der keine Reste hinterlässt. Wieder tauschen wir Blicke aus, während der Magier erneut flieht. Wir haben gewonnen.
 

Der Raum, in dem wir uns befinden, gleicht einem Labor und während ich zufrieden meinen Zauberstab wieder an mich nehme und Corsaia in der Tasche stöbern lasse, damit er seine Wunden heilen kann, sehe ich mich um. Auf dem Tisch steht nur eine einzige Flasche mit einer Flüssigkeit, die aussieht wie flüssiges Gold, und ich bin mir sicher: Das muss es sein. Ich nehme zwei Gefäße und teile gerecht. „Corsaia?“, rufe ich. „Stets zu Diensten?“ – „Ich habe hier etwas… doch ich möchte zuvor mit dir anstoßen. Wir sind hier weit gekommen und es bleibt mir nichts, außer zu sagen: Danke für die gute Zusammenarbeit.“ Corsaia nickt und lächelt. „Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite.“ Wir stoßen an und trinken aus. Die Farben verschwimmen.
 

Die ersten Strahlen der Sonne wecken mich und erinnern mich daran, dass ich nur knapp bekleidet auf dem Vorplatz eines Tempels liege. Die Sommersonne wärmt mich, meinem Zauberstab geht es gut, nur die Kreidemarkierungen verblassten so vollständig, als habe es sie nie gegeben. Ich weiß noch nicht, ob ich mächtiger wurde oder nicht, denn meine Kraft wurde von mir bis zum letzten Rest eingesetzt… und das lohnte sich nun wirklich. Ich kam doch gut durch und kann zufrieden mit mir sein. Einmal zerlegte mich nichts.

„Fräulein Freya?“ Die Stimme wirkt hier so unerwartet, dass ich erschrocken herumfahre. „Gleich, Corsaia, gib mir noch Zeit, mich umzuziehen.“ – „Ich muss wirklich sagen, du verstehst es, einen Mann glücklich zu machen… und viele unglücklich.“ Die Bemerkung trifft sie und obgleich ich weiß – oder zumindest annehme –, dass sie als Kompliment gedacht war, denke ich an Frenja und fühle mich mies. Ich muss wirklich einmal nachforschen, ob es sie wirklich gab.

„Hier bin ich, entschuldige bitte die Weile.“ – „Du bist hier, nur wo bin ich?“ – „Brig-Lo, Almada, Anfang Rahja… und wenn wir uns beeilen, dann bekommen wir noch ein bisschen was vom Fest der Freuden mit.“ Ich lache und ich stecke Corsaia damit an, denn ich weiß, dass etwas Großes hinter mir liegt… und das Größere noch warten kann.

Freya in: (7) Mord auf Burg Tannenfels

„Lieber Rufus,

es ist erleichternd für mich, zu wissen, dass bei meinem Ritual in den Höhen von Brig-Lo zwar unvorhersehbare Ereignisse eintraten, für mich jedoch keine Schäden zurückblieben; es gibt nur vieles, worüber ich nachdenken muss.

Mein Abschied aus dieser Stadt, die mit dem neuen Jahr unerschwinglich teuer werden wird, rückt immer näher und ich bin mir noch unsicher, wohin mich jetzt die Schritte leiten, denn ich traf einen Verirrten und frage mich, ob ich ihn nicht nach Albernia zurückgeleiten soll; immerhin wäre ohne ihn meine Suche ganz anders ausgegangen.

Wie ergeht es dir im Norden? Geht es dir gut? Ich höre allerhand Schlimmes, doch nicht von dir, deswegen mache ich mir Sorgen.

Noch ein halbes Jahr.
 

Es grüßt lieb,

F.“
 

Eine blonde, ausgesprochen zarte Gestalt mit dem sauberen Haarschnitt einer Puppe sitzt in einer Taverne namens Amhallwind und wartet. Manchmal rührt sie mit dem hölzernen Löffel in ihrer erkaltenden Suppe, die wirklich nicht ihren Geschmack findet, und manchmal nimmt sie einen Schluck des Wassers, wobei sie weiß, dass auch dessen Brunnen sich nicht einmal um das Einhalten irgendeines Versprechens bemüht. Oft schließt sie die Augen, doch schläft sie nicht und ist auch nicht müde, und wenn die Gestalten am Nebentisch nicht dermaßen mit sich selbst beschäftigt wären, hätten sie schon längst bemerkt, dass sie belauscht werden. Sie sind zu dritt bei einer Flasche Wein aus ungläubigen Landen und sprachen bereits über eine gemeinsame Heimat, die in ganz der anderen Richtung liegt.

L: „Du hast Geburtstag?“

F: „Ja, in einer knappen Woche. Wenn ihr mögt, dann kommt mit mir wieder hierher. Ich lade euch auch ein.“

C: „Es wäre mir gleichermaßen Ehre wie Freude.“

L: „Klar, natürlich… bei dem Fest der Freudlosigkeit brenne ich darauf.“

F: „So schlimm?“

L: „Ja, ja, du warst ja nicht dabei und ich wusste auch nicht, was du da oben treibst. Ich habe mir solche Sorgen gemacht, ich habe sogar eine Zauberschülerin aus dem Tulamidenland gebeten, es mir zu erklären.“

F: „Und?“

L: „Nichts. Nach fünf Minuten wurde mir dieses Mädchen zu schräg.“

F: „Ich wollte mehr Kraft an mich binden, was soweit ja funktionierte… auch wenn dann die Umstände dafür sorgten, dass ich wieder mal alles rauspulvern musste, und ich nur hoffen kann, dass die neue Kraft noch da ist.“

L: „Aber du musst dich nicht schon wieder von Verletzungen erholen?“

F: „Nun ja… nein… nichts Ernstes. Siehe es doch so, solange ich hier genese, werde ich nicht reisen. Corsaia, was ist mit dir? Wann möchtest du weiter?“

C: „Ich bin frei und nach meiner langen Abkehr kommt es nicht darauf an. Werde ich hier denn gebraucht?“

L: „Als Licht in der Namenlosen Dunkelheit zwischen den Jahren… und wenn du erleben möchtest, wie die Gläubigen aus allen Landen zusammenfinden und Brig-Lo in etwas verwandeln, was wirklich eine Bedeutung hat, dann bleibe noch etwas länger. Freya?“

F: „Mein Gasthaus sagte mir, sie müssten dann mehr verlangen, also… lass mich das später entscheiden, wenn ich weiß, wie meine Kasse aussieht.“

L: „Verstehe… Hat sich dein Freund eigentlich inzwischen einmal bei dir gemeldet?“

F: „Wie…? Nein.“

L: „Blöder Kerl. Warum lässt du ihn nicht im Schnee stecken und bleibst hier? Ich sorge auch um dich, wenn du dich wieder zerstückeln lässt.“

F: „Das war doch nur… Corsaia, du musst wissen, ihr Vater ist mein Lehrmeister und einmal wollte ich ihn nicht versetzen, obwohl…“

L: „Sie sah furchtbar aus.“

F: „Etwa so wie bei unserer ersten Begegnung.“

L: „Papa machte sich richtige Sorgen und ich mir auch.“

F: „Sie hat mich gemalt.“

L: „Ja, das kann ich. Möchtest du auch mein Modell sein?“

F: „Da fällt mir ein, du hast noch mein Buch.“

L: „Ja, ja, also…?“

C: „Ich muss sagen, ein ehrendes Angebot…“

L: „Hast du etwa Angst, dich vor mir nackt zu zeigen?“

C: „In Albernia wartet eine Elfe auf mich.“

L: „Das stört mich nicht. Du kannst es ihr ja als Geschenk zurücklassen, wenn du sie wieder verlassen musst.“

F: „Dann meintest du es ernst?“

C: „Voll und ganz.“

F: „Wie ist sie?“

C: „Ein bisschen wie du. Sie ist eine Zauberin, und als ich dich schreien hörte, hoffte ich, sie zu finden. Takea… wir hätten nie getrennt werden sollen.“

L: „Wie kamst du überhaupt… dahin? Hast du auch Kraft gesucht?“

C: „In gewisser Weise. Ich jage den Magier Rolat und folgte ihm, als er floh, auch wenn ich mir nicht sicher bin, wohin. Er ist jedoch nur ein Schritt auf meinem Pfad.“

F: „Was hast du vor?“

C: „Ich befinde mich auf meinem Feldzug gegen den Elementarherren der Kraft. Kannst du es spüren, wie er sich erhebt?“

F: „Nein. Wer ist das?“

C: „Verzeiht. Wie du weißt, besitzt jedes Element einen Herrn, doch von ihnen gibt es nur sechs, denn in grauer Vorzeit wurde einer von ihnen geschlagen – wobei andere Texte von ‚zerschlagen’ sprechen. Ich kam zu der Erkenntnis, dass das sicher damals schon keine üble Tat darstellte, und frage mich, ob wir Besseres erwarten können, wenn er wieder zusammenfindet, denn das tut er gerade; viele können es nicht fühlen, ich kann es.“

F: „Das ist… groß.“

C: „Ich bin groß und Takea ist es auch. Unser Kampf wird zwar noch Jahre brauchen, da mache ich mir nichts vor, doch am Ende werden wir auch siegen.“

F: „Kannst du mir vielleicht noch mehr über diesen Magier erzählen? Du musst wissen, ich werde in letzter Zeit von zu vielen Magiern gejagt und kenne sie alle nicht.“

C: „Er teilt mehr mit mir denn mit dir, da auch er nach dem Herren sucht, wenn auch aus anderen Gründen. Sei unbesorgt, er ist mein Problem.“

F: „Er kannte mich.“

C: „Er ist ein Magier. Er las dich einfach.“

L: „Bewundernswert. Hast du keine Angst?“

C: „Nein, ich glaube an meine Stärke. Angst lässt nur zögern und Zögern führt zum Tod.“

F: „Danke für die Rettung übrigens.“

C: „Wie ich schon sagte, ich tat es gerne. Es ist beruhigend, eine Zauberin dabeizuhaben, und ich merkte erst mit dir, wie ich Takea vermisste.“

L: „Du fichtst mit Schwert und Bogen, richtig?“

C: „Mit zweien, um genau zu sein. Eines führt und eines sticht. Mein Weg lehrte mich, dann kaum jemand in diesen Landen gegen meinen Stil zu bestehen weiß und das ist doch ein beruhigendes Gefühl.“

L: „Ich möchte dich kämpfen sehen. Hast du nicht Lust, in den Tagen einmal mit Freya zu trainieren? Sie ist eine Kampfmagierin und konnte schon einen Geweihtenmörder niedermachen.“

F: „Was?“

C: „Zu gerne. Sofort?“

F: „Nein! Nein… und außerdem habe ich ihn nicht niedergemacht, sondern hatte Glück, dass er rannte. Ich habe überhaupt noch niemanden niedergemacht.“

L: „Hast du nicht?“

F: „Ich bin keine Mörderin, diesen Schritt gehe ich nicht und möchte ihn auch nicht gehen. Ich spreche mit Leuten, schüchtere sie ein, blende sie oder versteinere sie, wenn es nötig ist, wenn ich ihnen nicht mit einem Schlag ihr Bewusstsein raube, doch weiter gehe ich nicht. Ich kenne meine Kraft und habe Angst, was mit mir passiert, wenn ich sie leicht einsetze.“

L: „Du bist so nobel. Das wusste ich nicht.“

F: „Dein Vater sieht es ähnlich.“

C: „Das ist naiv.“

L: „Denkst du?“

C: „Ja. Was tust du, wenn der andere es ehrlich meint? Wenn du nur schreist und mit den Armen ruderst, wirst du irgendwann jemanden finden, den das nicht beeindruckt.“

F: „Dann bin ich naiv… oder ich will es sein, denn ich weiß, dass du recht hast. Ich habe tatsächlich schon getötet, etwas, dass nicht menschlich und nicht gut, aber eindeutig intelligent war. Ich war gerade aus der Akademie draußen und wanderte mit Rufus durch die Provinz Greifenfurt, da…“

C: „Entschuldige, Freya.“

F: „Ja?“

C: „Entschuldige, doch ich bin so selten unter Menschen und so oft unter Helden. Bitte räume mir die Möglichkeit ein, diese Gelegenheit zu nutzen und mich ein andermal deine Erlebnisse durch meine Befreiung der gebundenen Elfen in Dals Turm recht aufzuwiegen.“

F: „Was? Hm.“

C: „Fräulein Lilim, richtig? Dürfte ich dich bitten, mich mit deinem Erlebten zu erfreuen? Wie ergeht es einer halben Fey so am Rande der Nichts?“
 

Die Gestalt hörte genug.

Es ist Zeit für sie, zu handeln. Langsam tätigt sie die nötigen Schritte.
 

L: „Es ist die Hölle. Normalerweise darbt man hier fast einen Winter, bis endlich wieder die Pilger etwas frischen Wind in die Stadt bringen. Du musst wissen, die meisten Leute denken bei dem Namen Brig-Lo an etwas Großes, doch wenn man es sieht, ist es ein Dorf – wie du sicher weißt.“

C: „Ich sah es nur bei Nacht.“

L: „Ich kann es dir auch bei Tag zeigen… oder bist du zu beschäftigt damit, deinen Körper zu heilen und deine Kraft aufzufrischen?“

C: „Bei den Feen, nein, die Diener das Magiers waren wirklich keine Gegner für mich.“

L: „Na dann… Lasse mich bitte überlegen… Ja, wie wäre es damit? Es war im Sommer vor einem Jahr, als dem Bauer Alrico eine Kuh verschwand…“

W: „Wertes Fräulein…“

F: „Haben wir bestellt?“

W: „Eine Donatio von der Dame dort drüben. Sie sagt, sie würde Euch sehr gerne lauschen.“

F: „Oh? Äh… danke.“

L: „… und da kam sein Sohn zu mir, den ich flüchtig kenne, Elrico und fragte, ob ich nicht bei der Suche helfen könnte; ich solle zwar vorsichtig sein, weil man ja viel von Räubern erzähle, doch vielleicht hatte sie sich ja nur verlaufen und dann hieß es keine Zeit zu verlieren.“

F: „Was dagegen, wenn ich mich bei meiner Spenderin bedanke?“

C: „Nein, nichts… und was ist dann passiert? Klingt für mich nach einem Opfertier für ein dämonisches Ritual.“

L: (lacht) „Nein, nicht ganz. Ich breche also auf und…“
 

Die Frau mit der langen roten und doch wildwüchsigen Haarpracht erhebt sich mit einem Krug Ferdoker Bieres und überbrückt zaghaft die geringe Distanz. Das Blitzen kristallklarer blauer Augen lässt sie zögern, was die Blonde falsch versteht.
 

V: „Bitte versteht mich nicht falsch, ich wollte Euch nicht beleidigen, doch da ich den Wein als pichelsteinsches Meisterwerk erkenne, blieb mir nur der Mut zum Risiko.“

F: „Bitte, was? Ich habe es noch nicht probiert, trotzdem danke.“

V: „Setzen Sie sich doch.“

F: „Ja? Klar…“

V: „Entschuldigt bitte, dass ich mich nicht vorstelle, doch ich fürchte, die Wände haben Ohren. Nennen wir mich Bardo und das ist meine Laute Cella.“

F: „Erfreut. Ich bin Freya aus Andergast.“

V: „Lasst mich Eure Geschichte hören, die Eure Freunde so schändlich verschmähten, und dann versuchen, sie durch Musik und Sang zu veredeln. Würdet Ihr sie mir erzählen?“

F: „Sie sind ein Barde?“

V: „Ganz ohne Zweifel.“

F: „Nun… Wo setzte ich an?“

V: „Sie waren in der Provinz Greifenfurt.“

F: „Nun gut, ich war also gerade aus der Akademie draußen und wollte so schnell wie möglich fort; Sie müssen wissen, dass ich vor der Wahl stand, zwölf Jahre Militärdienst zu leisten oder sechs Jahre für meinen Orden in die Schlacht zu ziehen, und beides reizte mich so gar nicht. Das Ganze begann gut, bis meine Kutsche von Wegelagerern überfallen wurde und von meiner Reisekasse nichts übrig blieb; ich strandete dann in Thurana und traf dort auf Rufus, meine große Liebe, der dort nach seiner Absage in Prem nicht zu schnell nach Hause zurückkehren wollte. Da sich unsere Wege ergänzten, beschlossen wir, gemeinsam zu reisen, denn wir verstanden uns gleich gut.“

V: „Entschuldige, doch… Sie ließen sich von Räubern überfallen?“

F: „Ja.“

V: „Warum?“

F: „Alles andere hätte in einem Blutvergießen geendet. Ich wollte es einfach nicht riskieren.“

V: „Verstehe. Entschuldigen Sie die Frage.“

F: „Rufus fragte mich damals genau dasselbe und wie der Zufall so wollte, bekam ich meine Revanche; wir wanderten nämlich gerade weiter nach Greifenfurt, als wir plötzlich Lärm vernahmen und tatsächlich wurde da eine andere Kutsche gerade ausgeplündert. Ich sehe noch den Hünen mit dem wilden Bart vor mir, der auf dem Kutschbock stand und schrie: ‚Nun komm endlich heraus, holde Maid, oder soll ich zu Euch hereinkommen?’ Wir verloren keine Zeit; Rufus griff zum Schwert und machte Schurken nieder, während ich ihm den Rücken freihielt und sie versteinerte oder blendete. Zwei gegen fünf und trotzdem gewannen wir, es war ziemlich verrückt.“

V: „Das glaube ich Euch.“

F: „Als der Hüne fiel, rannte der Rest und wir lernten Celissa kennen, Tochter des Barons Ulfried von Tannenfels. Wie soll ich sie beschreiben? Stellen Sie sie sich vor als ein lebenslustiges, etwas kräftiges Mädchen mit knappen 20 Sommern, die ihr schwarzes Haar zu Zöpfen flicht und überraschend gut auf der Harfe spielt, wie ich später noch herausfinden sollte. In dem Moment war sie noch ganz durcheinander und wusste nicht, wie ihr geschah – so plötzlich war sie in Lebensgefahr geraten und Menschen, die sie begleiteten und die sie lange kannten, waren gestorben –, doch schon bald taute sie auf und lud uns zum Dank auf die Burg ihres Vaters ein. Rufus und ich, wir sagten nicht nein und freuten uns schon auf ein paar schöne Tage, weil wir dachten, das Schlimmste läge hinter uns, doch wir sollten uns täuschen. Erst einmal grüßt uns jedoch ihr Vater, Baron Ulfried, wie seine Tochter eine sehr angenehme Person, und dankte uns für unser Eingreifen, es folgte ein großes Bankett mit allerlei Speisen und… bei den Zwölfen, ich müsste lügen, würde ich behaupten, mich noch an viel zu erinnern, doch besitzt Rufus eine wunderbare Gabe, Geschichten zu erzählen. Wir kannten uns ja noch nicht lange und wollten es ändern. Schließlich verabschiedete sich der Baron, dann spielte Celissa und als auch sie sich verabschiedete, nahmen wir uns des noch nicht leeren Bierfasses an. Was für ein Abend.“

V: „So klingt es.“

F: „Jedenfalls waren wir kaum in den Matten, da werden wir durch lautes Rufen geweckt, und ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll, da überbringt mir Rufus schon aufgebracht die Nachricht: Der Baron soll einen seiner Berater umgebracht haben, so will es eine Magd gesehen haben, und nun fehlt von ihm jede Spur. Jetzt war auch ich hellwach. Es war klar, dass hier etwas passiert. Kaum stand ich aber neben Rufus bereit, das Rätsel aufzuklären, da nahm und Celissa auch den Schwung; sie wolle keine Panik und keinen Tumult, deshalb sollten sich alle in die Räume begeben, während sie sich mit den Wachen einen Überblick verschaffe – und das, sagt sie, gelte auch für uns, denn wir hätten genug getan und wenn wir helfen wollten, dann könnten wir das immer noch am nächsten Morgen tun, nüchtern und ausgeschlafen. Mich überzeugte das damals, aber ich weiß nicht, wie es Rufus ging, ich glaube, er war noch einmal weg.“

V: „Sie konnten schlafen?“

F: „Sehr gut. Wissen Sie, ich leide unter Alpträumen und war mir damals nicht einmal sicher, ob die Begegnung so wirklich stattfand. Am nächsten Morgen blieb jedoch alles wahr und Celissa wollte ihre Eindrücke loswerden, nachdem sie die ganze Nacht mit Suchen verbracht hatte: Wir hatten einen Baron, der nicht aufzufinden war, und dessen angebliches Opfer, dass tot wie es war nicht mehr erklären konnte, warum es der Baron ausgerechnet hätte umbringen sollen. Nun bat sie uns, Licht in die Sache zu bringen. Ich tauschte Blicke mit Rufus, da wussten wir beide schon Bescheid: Wir würden die Dame in Not auch diesmal nicht im Stich lassen.“

V: „Das ist nobel.“

F: „Es war Zeit, unser beider Kräfte zu nutzen: Rufus ging die Burg erkunden, da er etwas vom Ritterleben versteht, und ich wollte sehen, ob ich nicht irgendeine Spur von Magischem finde, denn all die Geschehnisse wirkten auf mich doch reichlich unerklärlich. Ich versuchte mich oft an einem Odem, doch ich fand nie eine Spur, weswegen ich zu den Büchern zurückkehrte: Der Baron führte ein Tagebuch, doch fand ich darin inmitten der Jagderlebnisse keine Spur, wobei der letzte Eintrag auch ein halbes Jahr zurückreichte, und auch die Chroniken der Burg brachten keinen Hinweis. Ein Krachen aus dem Keller ließ mich die Spur jäh unterbrechen und herabsehen, doch Rufus ging es gut. Er fand einen Stollen, der wohl zu einem geheimen Fluchttunnel gehörte und der direkt bei ihm eingestürzt sei, und als sei das nicht genug, kamen dann auch noch die Ratten. Dazu lachte er schelmisch und hielt sich den Arm, wollte sich aber nicht von mir behandeln lassen. Mir fiel jedoch ein Stein vom Herzen.“

V: „Verständlich.“

F: „Danach bestand ich darauf, dass wir beisammen blieben, und machten dann die nächste Entdeckung zusammen: Wir schlenderten durch den Rittersaal, als mir an einem der Wappen etwas auffiel – mein Blick blieb auf einem stattlichen Hirschkopf hängen, der seinerseits an der Wand hing. Das war das Wappentier der Baronie; doch ich hatte die Enden auf den Wappen gezählt, weil ich den Weg zu den Dämonenhörnern ausschließen wollte, und merkte nun, dass da eines zuviel war. War das die Lösung? Begierig tastete ich den Hirschkopf ab und freute mich, als eines der Enden nachgab und einen Gang hinter dem Kamin enthüllte. Die Entdeckung nahm mir hingegen wieder den Schwung, denn wir fanden eine stark verweste Leiche in einfachen Laken. Ich übergab mich, während Rufus lachte. Celissa bestätigte uns später, dass es sich bei dem Siegelring an der Hand um den des Barons handelte. Auf einmal ergab auch das Loch im Tagebuch einen Sinn, doch wenn Baron Ulfried seit einem halben Jahr hinter einer Geheimtür vermoderte, wer hatte uns dann in Empfang genommen?

Wir verbrachten den Tag, ohne irgendwelche weiteren Spuren zu finden, und schon bald brach der Abend heran. Celissa war betrübt, Rufus war nicht nach Feiern zu Mute, sondern wollte lieber weiter die Gänge erkunden und wurde übellaunig, als ich ihn nicht gehen lassen wollte, und ich fragte mich immerfort, was ich wohl übersah. Es gab viele Bücher an diesem Ort, was mich überraschte, und irgendwas daran gab meinem Geist einen Wink, den ich jedoch nicht verstand. Als Celissa bei dem Versuch, trotz aller Ereignisse noch eine gute Gastgeberin zu sein, ein wenig auf ihrer Harfe klimperte und Rufus sofort noch die Leiche des Beraters untersuchen wollte, ohne mein Erbrechen auf seine Stiefel fürchten zu müssen, da wusste ich, dass etwas ganz und gar nicht gut lief. So ist das nun mal als Abenteurer: Manchmal bist du ein Held, aber manchmal prügelt Sumu einfach nur auf dich ein.

Das ging so weiter. Ich träumte schlecht in dieser Nacht. Ein Wesen mit tausend Armen und ohne Gesicht griff und zerrte an mir. Ich entkam ihm schweißgebadet ins Erwachen und hatte das Gefühl, als habe ich mich im letzten Moment gerettet. Da war es mir genug. Ich wollte mit Rufus über alles reden, doch sein Lager war verlassen. Er hatte es in dieser Nacht nicht angerührt.

Das Tor knarrte und ich reagierte wie von einer Tarantel gestochen, schnappte nach Stab und Mantel und rannte herab. Dort sah ich eine Gestalt im Licht des Madamals gerade über den Burghof rennen. ‚Halt’, rief ich und er drehte sich zu mir um: Es war Rufus und doch war er es nicht. Seine Züge verschwommen wie Wasser in der Bewegung. Er wandte sich von mir ab, rannte weiter und sagte kein Wort.

Mir bleibt keine Zeit zum Denken und mein Handeln sollte mich beschämen: Rechte Hand auf linke Schulter, dann schnell nach vorne und mit zwei Fingern auf das Ziel deuten. Ich erzeugte eine Flammenlanze, die ihn zu Boden riss, dann eine zweite, und er blieb liegen. Ich wusste damals nicht, was geschah, und dachte nur: Rufus würde nicht fliehen, also kann das nicht Rufus sein, und was immer es war, ich wollte ihm nicht zu nahe kommen.“

V: „Was war es dann?“

F: „Irgendeine Art Wechselbalg. Es musste sich vor einem halben Jahr auf der Burg eingeschlossen haben und nach der Verwüstung im Zimmer des Beraters, die erst am Tag offenbar wurde, muss dieser kurz davor gestanden haben, ihn zu entlarven. Der echte Rufus tauchte schließlich auch aus den Gängen auf, erschöpft, verschmutzt und hungrig – er hatte hinter einem Teil des eingestürzten Fluchttunnels gelegen, bis er sich schließlich selbst befreien konnte. Er hatte Glück, war er doch dem Geschöpf offensichtlich in die Falle gegangen, und ich hatte Glück, dass es nicht versuchte, sich auch meiner zu entledigen. Die arme Celissa, die an einem Tag ihren Vater gleich doppelt verlor, war nicht unglücklich, uns gehen zu sehen, und auch ich wollte nicht bleiben; ich hatte den Tag gerettet, weil ich einem fliehenden Mann in den Rücken schoss, und das war selbst als Heldentat verbrämt nur jämmerlich.“

V: „Wie ging es denn mit Rufus weiter?“

F: „Wir verbrachten noch einige Zeit auf der Rückreise zusammen und erlebten noch ein Abenteuer, ehe er dann schließlich zu Hause ankam und weiter nach Neersand reiste. Ich vermisse ihn.“

V: „Ist Ihnen denn nichts aufgefallen, als er plötzlich fremd war?“

F: „Es war… im Nachhinein betrachtet sicher, da gab es alle Spuren, doch damals in der Lage selbst? Nein. Auch das gehört zu meiner Schande.“

V: „Danke für die Geschichte. Möchten Sie noch die andere erzählen? Ihre Freunde brachen schon vor einer ganzen Weile auf.“

F: „Nein. Danke… und danke für das Zuhören.“

V: „Es war unterhaltsam und ausgesprochen lehrreich. Ich habe zu danken.“

F: „Denken Sie denn, es taugt für eine Ballade?“

V: „Wenig, doch es bleibt eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt. Kennen wir die Menschen, die uns umgeben? Können wir uns da wirklich sicher sein?“

F: „Nein, trotzdem müssen wir ihnen vertrauen. Es schadete uns nicht, dass ich ihn kurz als Fremden erblickte, im Gegenteil: Ich war darauf froh, den echten Rufus wieder bei mir zu haben. Die gemeinsame Erfahrung festigte uns.“

V: „Wir lernen von anderen in deren besten und von uns selbst in unseren schlimmsten Zeiten. Danke für das Gespräch, Fräulein Zauberin. Gehaben Sie sich wohl, genießen Sie ihren Tsatag und überstehen Sie die Namenlose Zeit gut.“

F: „Sie brechen auf?“

V: „Nein, ich gehe schlafen… was Sie nicht tun sollten, denn zwischen Rohal und Borbarad liegt nur ein bisschen Sternenleere.“

F: „Was meinen Sie?“

V: „Liegt sein Zimmer nicht neben dem Ihrigen? Gute Nacht.“

F: „Woher…? Ähm, gute Nacht, Fremde, und habt Dank für das Bier.“
 

Die blonde Gestalt zieht sich die dunkle Kapuze über und verlässt das Amhallwind; sie muss hasten, denn sie spürt die Wirkung des Zaubers verfliegen und möchte dabei nicht gesehen werden. ‚Vertraue, wem du willst, Magierin’, denkt sie sich, ‚und betrinke und bekränze dich die ganze Nacht, doch du solltest eines nicht vergessen: Aus deinen Fehlern zu lernen, denn hättest du alles verstanden, hättest du sie mir nicht erzählt.’

Dunkler Mantel wird eins mit der dunklen Stadt und die Schatten verschlingen Konturen. So stirbt der erste Zyklus.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Soloabenteuer "Für die Königin, für Rondra!", auf dem dieses Kapitel basiert, stammt von Andres Blumenkamp ist ein frühes offizielles DSA-Abenteuer - die Wiki Aventurica berichtet etwa darüber: http://www.wiki-aventurica.de/wiki/F%C3%BCr_die_K%C3%B6nigin,_f%C3%BCr_Rondra!
Die Geschichte entstammt meiner Feder. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Soloabenteuer, auf dem dieses Kapitel basiert, stammt von "Hannes Ziegler" und ist auf Orkenspalter.de zu finden: http://downloads.orkenspalter.de/archives/39
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Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Soloabenteuer, auf dem dieses Kapitel basiert, stammt von Christopher Friedemann und ist auf Orkenspalter.de zu finden: http://downloads.orkenspalter.de/archives/7248
Die Geschichte entstammt meiner Feder. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Soloabenteuer, auf dem dieses Kapitel basiert, stammt von Alexander Köhn und ist auf Orkenspalter.de zu finden: http://downloads.orkenspalter.de/archives/1199
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Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Soloabenteuer, auf dem dieses Kapitel basiert, stammt von Simon Overbeck und wurde auf Orkenspalter.de hochgeladen: http://downloads.orkenspalter.de/archives/1203
Die Umsetzung zu einer Geschichte stammt von mir. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Soloabenteuer, auf dem dieses Kapitel basiert, stammt von mir und existiert heute nur noch als Ausdruck. Es stammt aus meiner Jugendzeit.
Die Geschichte, die daraus entstand, stammt ebenfalls von mir. Wer hätte es gedacht? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel basiert auf dem Abenteuer von Mirko Krech, welches auf Orkenspalter.de veröffentlicht wurde: http://downloads.orkenspalter.de/archives/6015.
Die Geschichte stammt von mir. Danke an meine Gruppe, die es damals mit mir spielte. Komplett anzeigen

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Von:  Chepseh
2016-05-05T21:54:26+00:00 05.05.2016 23:54
So, vor langer Zeit hab ich dir versprochen Feedback zu deiner Story geben (war's Animuc 2015? 2014?), jetzt setz ich das endlich auch um. Tut mir echt leid, dass es so lange dauerte! Besser spät als nie?
Allerdings mein ich auch versprochen zu haben ich lese -alles-, und wo ich nun sehe dass deine Story nicht aus einer durchgehenden Handlung sondern aus vielen Einzelabenteuern besteht hab ich es mir doch leicht gemacht und nur die ersten vier Kapitel gelesen - korrigier mich falls doch noch eine durchgehende Handlung einsetzt, oder sich dein Schreibstil später radikal ändert, und du gerne auch ein Kommentar zu den späteren Teilen der Story hättest.

Ok, um gleich zum Eingemachten zu kommen - ich denk dass du kaum Kommentare hast liegt an erster Stelle daran, dass imho die User auf Animexx für Freyas Geschichten nicht so recht die richtige Zielgruppe sind. Nicht dass ich mich total fett im Fanfiction Bereich auskenne, aber meinem kleinen Eindruck nach gibt es hier die meisten Kommentare zu "echten" Fanfictions, die sich auf schon bestehende, populäre Manga/Filme/Serien etc. beziehen, und/oder zu Storys die möglichst viel Yaoi enthalten. Eine völlig für sich stehende Original Story mit Original Characters hat es da eher schwer. Vielleicht bist du da mit deinem Geschriebenen besser auf Seiten aufgehoben, auf denen speziell DSA Fiction veröffentlicht werden? Wobei ich da dann echt null Ahnung hab ob es sowas überhaupt gibt und wenn Ja, wie lesefreudig die DSA Szene ist.

Ansonsten, zur Geschichte an sich ... wag ich mir nur schwer ein Urteil zu erlauben, weil auch ich selber mein nicht so recht zur Zielgruppe zu gehören. Ich empfand die vier Kapitel als sehr plot-driven, und hab für mich festgestellt dass ich persönlich character-driven Stories, oder zumindest Geschichten mit einem größeren Anteil character-driven, meistens mehr mag. Das heißt nicht dass das eine besser oder das andere schlechtere ist, nur eben dass meine persönliche Vorliebe woanders liegt. Ich les auch Science Fiction tendenziell nicht gern, aber das soll ja auch nicht heißen das Sciene Fiction per se schlecht ist.
Nur so als Beispiel: Im vierten Kapitel werden Freyas Alpträume relativ schnell mit wenigen Worten beschrieben, obwohl darin drastische Dinge geschehen und die Träume laut Story profunden Einfluss auf die Heldin haben. Ich persönlich hätte die Stellen gerne ausführlicher gehabt, gerade was Freyas Emotionen angeht, da man der Heldin so psychologisch näher käme. Aber heißt wie gesagt nicht, dass deine Entscheidung es so zu schreiben wie es ist schlecht ist; es soll nur zeigen auf was mein persönlicher Lesegeschmack Wert legt.
Um auch gleich noch was Positives anzuhängen - ich mochte wie Magieanwendungen in den Kapiteln beschrieben werden; nicht als großartig Andersartiges, das viel Beschwörung, Schnickschnack und Slow-Mo braucht, sondern als eine hilfreiche, relativ "normale" Kampfes- und Verteidigungsmöglichkeit unter vielen (auch wenn nicht alle sie ausführen können).

Du weißt selbst darauf hin dass du die Stories nicht nochmal überarbeitet hast bevor du sie auf animexx gestellt hast, sondern direkt deine ersten Fassungen hier zeigst. Ehrlich gesagt hab ich das auch gemerkt noch bevor ich deinen Hinweis darauf gelesen hatte. Es gibt etliche gut geschriebene Stellen, ich mochte z.B. die "Rufus im Kopf" Momente in Kapitel zwei - aber dann gibt's auch nicht wenige Stellen wo man aus einem langen Bandwurmsatz besser zwei oder drei Sätze gemacht hätte, oder mal ein Satz in dem sehr häufig "und" vorkommt, oder ähnliches. Ich glaub mindestens einmal hab ich in einem Satz sogar das Verb vermisst. Als Leser bringt mich das dazu diese Stellen mehr als einmal lesen zu müssen um begreifen zu können, und auf die Dauer nimmt mir das an Leselust.
Du schreibst ja allerdings auch, dass du die Geschichten als Experimentierfeld für deinen Schreibstil genutzt hast, also sollte ich nicht so rumkritteln an etwas das ausdrücklich ein Experiment und kein fix und fertiges Produkt darstellt. Nur, wenn du doch ernsthaft mehr Leser für Freya gewinnen willst würd ich an deiner Stelle doch mindestens einmal noch korrigierend drüber sehen.

Tja, hoffe das kam jetzt nicht zu meckernd rüber und kann dir vielleicht sogar irgendwie Hilfe sein. S. hab ich auch schon mal Feedback zu einer Original Story gegeben, und soweit ich weiß lebt er jedenfalls noch. ;)


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