Erste Nacht: Monster
Monster
Es ist dieses Zwiespältige gewesen, was mich schon immer fasziniert hat, eine Welt, die irgendwo zwischen dem infamen Bösen und einem Ort, der versprach das Paradies zu sein, existiert. Aber nichts davon scheint stimmig zu sein – nichts ergibt einen Sinn für mich.
Es gibt viele verschiedene Arten von Monstern – so begriff ich schon sehr früh: Ungeheuer, die dich in ihrer entsetzlichen Alptraumwelt gefangennehmen können, Kreaturen, die dich in gewaltige, klebrige Spinnennetze verstricken, sich an deiner Angst laben und dann – unter aller physischen Kraftanstrengung - dein Blut aussaugen können, nur um ihre eigene, frevelhafte Mordlust zu stillen. Und dann gibt es noch die Art von Monstern, die dir durch ihre Lügen einen schrecklichen Gruß in die Wirklichkeit hinterher schicken können. Diese Monster sind weitaus gefährlicher, als alle anderen Schreckgespenster zusammen. Sie tarnen sich als Menschen, auch wenn ihr eigenes, schlagendes Herz längst erkaltet ist. Sie schleichen sich in deinen behüteten Alltag, suchen deine Nähe, auch, wenn sie nicht in der Lage sind zu lieben. Auf unglaublich in Worte zu fassende Weise greifen diese Kreaturen mit blutigen, rasiermesserscharfen Klauen in deinen Verstand und ergötzen sich an deiner Schwäche, jedem Funken deines Leides.
Und dann, als müssen sie sich selbst beweisen, dass ihr Handeln und ihre Gedanken real sind, werden sie über dich herfallen – Wahrscheinlich werden sie gar nicht anders können, als dich angreifen zu wollen. Diese Monster werden dir falsche Botschaften zuflüstern, die allesamt vom Wahnsinn verschroben wurden und du wirst sie glauben, aber dennoch versuchen vor ihnen zu fliehen. Du wirst rennen wie von einer Furie gehetzt, völlig außer Atem und fast verrückt vor Angst.
Aber sie werden dich kriegen – vielleicht nicht direkt, aber irgendwann.
Wenn ich eines Tages auf solch eine Kreatur treffen sollte, so mögen sie mich verschlingen – Mit Leib und Seele... Denn in Wahrheit bin ich dieses Monster.
Zweite Nacht: Stille
Stille
„Ryuuzaki! Nein! Du darfst nicht sterben, das lasse ich nicht zu.“
Er hörte auf zu atmen, seine Augen wurden starr und doch schüttelte der junge Mann seinen Körper unnachgiebig weiter, als wolle er ihn durch diese Tat ins Leben zurückholen. Doch dann begriff er, unter geisteskranker Freude, dass es nur diesen einen letzten Wimpernschlag bedurfte, um einem verhassten Menschen sein grässliches Leben auszuhauchen. Man konnte sterben, indem man die Augen schloss – es war so erschreckend einfach, dass er beinahe vor Entzücken erschauderte.
Dann suchte er in wilder, rasender Manie seinen Körper nach Zeichen ab, die ihm vielleicht verraten konnten, wie man vom Leben in den Tod gelangte – aber er fand sie nicht. Weder seine leeren, schwarzen Augen, mit denen er in das Gesicht seines Mörders geblickt und somit seine letzte Sicherheit bekommen hatte, dass er - Kira - es war, der ihm sein erbärmliches Leben geraubt hatte, noch sein grotesk geöffneter Mund, den er zu einem stummen Todesschrei geformt hatte, noch aber die Haut über seinem Herzen wollten dieses letzte Geheimnis lüften.
Aber nun wusste er es: Diese Zeichen waren unsichtbar und alle Bücher irrten sich. Nicht einmal mit einem Mikroskop hätte man sie finden können.
Er beugte sich lange über den toten Körper und niemand hatte es gewagt ihn daran zu hindern – Niemand griff ein und zerrte ihn von seinem Opfer fort, denn der letzte Atemzug hatte ihm allein gehört, es war sein Sieg über L gewesen und nichts und niemand würde ihm diesen Triumph je wieder entreißen können. Und dann weinte er, er gab sich nicht einmal die Mühe seine Emotionen zu verbergen, es gehörte alles zu seinem perfide einstudierten Plan. Denn es waren keine Tränen der Trauer und der Verzweiflung gewesen, - oh, nein – es waren Freudentränen, denn jetzt stand außer Frage: Kira hatte gesiegt und Kira war gerecht!
Dritte Nacht: Maskenball
Maskenball
Deine Gefühle verlieren sich in einem tosenden Meer deiner Vergangenheit, deine Hoffnung verliert den Kampf gegen die Realität und alles, was du jemals empfunden hast, den Schmerz in deiner Brust, er verliert sich im Nichts. Bis dir nichts mehr bleibt, als ein falsches, erprobtes Lächeln.
Aber du wirst sie tragen, die Maske, mit der du von nun an auf dem Maskenball deines Lebens tanzen wirst – solange bis sich deine gesamte Existenz dem Tod ergibt.
Und dann wirst du in den Spiegel vor dir blicken, du wirst dich erschrecken, denn deine Maske verbirgt nur deine Gefühle, aber nicht das, was die grässliche Wirklichkeit aus dir gemacht hat.
Du wirst mit deinen blassen Spinnenfingern über den Rand des Spiegels gleiten, aber es wird nichts nützen, er ist weder beschlagen, oder verschmutzt, und selbst wenn es so gewesen wäre, es hätte nichts an dem Gesicht, dass dir fragend, den Kopf leicht schräg gelegt, entgegenblickt, geändert. Das, was du in seinem Inneren sehen wirst, ist grauenvolle Realität.
Ein hohlwangiges Gespenst, mit wirrem, schwarzen Haar, mit gräulich, fast krank aussehender Haut und Augenringen, die so tief sind, dass sie fast aufgemalt wirken. In diesen Augen wirst du ein unstetes, aber gieriges Flackern lesen, von dem du zuerst nicht wissen wirst, was es ist. Auch dann nicht, wenn du nachts deinen eigenen, widersinnigen und konfusen Gedanken nachhängen wirst.
Aber es wird dir wieder einfallen, spätestens dann, wenn du ihm begegnen wirst – Light Yagami – denn er ist dir ebenbürtig. Die mörderisch, explodierende Gefahr wird dich fast magisch anziehen und eines Tages wirst du gar nicht anders können, als deine schön geschwungene Maske abzunehmen und in die hässliche Wahrheit zu blicken, die er allein erschaffen hat und dann wirst du durch seine Hand sterben. Demaskiert.
Denn jeder Maskenball neigt sich einmal dem Ende zu, so auch deiner.
Vierte Nacht: Obsession
Obsession
Lieber L,
Ich habe dir dutzende Male geschrieben, ein paar hundert Seiten auf kariertem Papier – und du musst die Briefe erhalten haben, denn ich habe deine Adresse mit feiner Hand auf den Umschlag geschrieben, aber du hast mir nicht geantwortet... Warum zur Hölle antwortest du mir nicht? Habe ich etwas falsch gemacht?! Du bist doch mein verdammtes Vorbild, warum lässt du mich dann jetzt so hängen?! Genau jetzt, nach A's Tod. Er hat Selbstmord begangen, du hast sicher schon von Watari oder Roger davon gehört, nicht wahr?! Aber ich gebe dir nicht die Schuld daran, denn es war seine eigene, verflucht nochmal. Er war dein größter Fan, ein größerer noch, als ich selbst, aber er war dir nicht gewachsen, die Anforderungen haben ihn wahnsinnig gemacht, bis er bizarre Stimmen gehört hat, die ihn in den Suizid trieben. Aber ich kann es L, ich werde dir ebenbürtig sein und ich werde dich stolz machen. Und dann wirst du mich beachten, das wirst du doch, oder?! Denn dann gibt es nur noch dich und mich. Für immer.
Erinnerst du dich noch daran, als wir uns in Winchester trafen, es hat geregnet und du liefst mit deinem Ziehvater... unserem alten Heimleiter, Watari, durch die überfüllte Innenstadt.
Warum schenkst du ihm soviel Aufmerksamkeit? Warum gibt es für dich nur diesen alten Mann – und mich siehst du nicht einmal an, selbst an jenem Tag nicht, als ich direkt vor dir stand und nur einmal mit dir sprechen und deine Stimme hören wollte. Du hast mich einfach ignoriert und bist wortlos an mir vorbeigezogen. Warum zum Teufel tust du mir das an?! Findest du mich so abstoßend? Ich sollte dich hassen... ich weiß, ich sollte dich hassen – aber verdammt nochmal ich kann es nicht... Du bist doch mein großes Idol, mein Vorbild – Du bist L.
Fünfte Nacht: Obsession II
Obsession II
Lieber L,
Ich soll besessen sein, sagte man mir, für mich soll es nur dich geben, ich soll mich jede freie Minute nur mit dir beschäftigen – was eine verdammte Lüge. Was wissen sie schon?!
Aber so langsam begreife ich es: die Tage sind falsch, nur die Nächte sind wahr. Am Tage vertreibe ich meine Gedanken, aber nachts kommen sie wieder. Dann gleite ich durch die unsichtbare Drehtür in meine eigene, wunderschöne Alptraumwelt und dann sehe ich dich wieder. Ich rieche das Benzin, starre wie hypnotisiert die explodierenden Flammen an, sehe wie du dich im dichten, schwarzen Rauch auflöst. Du hast dich mit dem körnigen Qualm vermischt, dein ganzes widerliches Selbst verbrennt am lebendigen Leib – und ich lache so laut ich kann. Denn genauso habe ich es gewollt. Du sollst für alles leiden, was du mir angetan hast – du sollst begreifen, dass es ein tödlicher Fehler war, mich nicht zu beachten. Denn niemand ignoriert ungestraft Beyond Birthday.
Ich habe dich immer verehrt, L, ich habe täglich mein Bestes geben, um dir gerecht zu werden, aber du hast alles kaputt gemacht und jetzt ist es für Entschuldigungen auch zu spät. Denn ich werde meinen Traum ohnehin wahr machen und deinen ekelhaften Körper in tausend Stücke zerreißen. Ich kenne nicht umsonst deinen echten Namen, du kannst mir also nicht mehr entkommen. Gleichsam, wohin du auch fliehen wirst, ich werde dir wie ein unsichtbarer Schatten folgen, bis ich dich endlich zu fassen bekomme und dann werde ich dich auf die erdenklich grausamste Art töten.
Ich wünsche mir, dass du - bis es soweit ist – nachts vor Angst wachliegen oder in den wenigen Stunden, die dir zum Schlafen bleiben, von mir träumen wirst. Ich will dich schreien hören, jede verfluchte Nacht – jede Sekunde, jede Minute, jede Stunde bis wir aufeinandertreffen.
In ewiger Liebe, B.
Sechste Nacht: Sehnsucht
Sehnsucht
Jede Nacht schwor er sich, dass es das letzte Mal sein würde, dass sie sich heimlich trafen, die Türen hinter sich verschlossen und er sich ihm in wilder Leidenschaft hingab.
Aber er konnte sich den zärtlichen Berührungen nicht entziehen, er hatte dagegen anzukämpfen versucht und sich eingeredet, dass er Mellos Spiel jeder Zeit beenden konnte, wenn er selbst die Lust daran verlieren würde – aber die Wahrheit sah erschreckenderweise anders aus. Denn er hatte sich zwar geschworen keine Gefühle für ihn zu entwickeln, es nur rein körperlich zwischen ihnen enden zu lassen und doch wusste er, dass er sich bereits vor vielen Nächten in seinem Spinnennetz aus Lügen und falschen Hoffnungen verfangen hatte. Mello schaffte es problemlos ihn um den Finger zu wickeln. Ein Kuss, eine beiläufige Berührung, ein verheißungsvoller Blick genügte schon, damit seine Selbstbeherrschung, wie eine Schneeflocke an einem heißen Sommertag, dahinschmolz. Aber er wollte mehr. Er wollte, dass er sich ihm hingab, er sollte sich die Finger an ihm verbrennen und dabei spüren, dass ihre Zweisamkeit ein berauschendes Gift war - ein tödliches Gemisch aus Hass und Abscheu, das ihn noch eines Tages um den Verstand bringen würde. Weshalb sonst hatten sie sich dauernd gestritten, ihre Leistungen gemessen und sich dann verflucht, wenn die Examen zwar beendet waren, aber das gewünschte Resultat fehlte?!
Mellos Arme schlangen sich um seinen schmalen Körper, er zog ihn näher an sich heran, er wollte ihn spüren, seine Nähe genießen und diesen Augenblick unendlich werden lassen. Seine Berührungen waren fließend, er strich über seine nackte Haut und versenkte dabei jeden Zentimeter, den er erreichte. Die Stimmung war elektrisierend. Und doch wusste er genau, dass er ihn nicht mehr gehen lassen würde – wie jede Nacht zuvor. Und viele weitere Nächte nicht...
Aber er würde nie mehr sein, als ein Requisit in seinem schillernden Leben.