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Sieh nicht hin

von

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Frag nicht nach

Er war müde und hatte Kopfschmerzen. Nicht nur, dass das schwüle, feuchte Wetter der letzten Tage ihm langsam aber sicher zusetzte, er hatte einen ganzen Tag in dem, was seine Wächter (abgesehen von seiner rechten Hand, die dafür verantwortlich war) scherzhaft als seine „Thronhalle“ bezeichneten, verbracht und mehr als eine langatmige Diskussion mit Vertretern anderer Familien und Unterabteilungen der Vongola gehabt.

Während es sich langsam offenbar doch herumgesprochen hatte, dass der neue Vongola-Boss nicht bereit war bei Unterdrückung, Rache oder geplanten Morden zu assistieren, hatten es scheinbar dennoch nicht alle aufgegeben und versuchten oft genug dennoch ihr Glück. Tsuna war es langsam leid tagtäglich wieder zu erklären, warum er so etwas niemals gutheißen würde, während er langsam doch anfing sich zu fragen, woher diese verdrehten Wertvorstellungen der Menschen kamen. Wieso sie so natürlich nach einem Mord fragen konnten, als wäre es etwas alltägliches, nichts, worüber man länger als zwei Sekunden nachdachte. Waren ihnen Menschenleben wirklich derart wenig wert?

Er stöhnte leise und rieb sich die Schläfen, als er durch den Vorgarten der Villa hin zu dem deutlich kleineren (und gemütlicheren Haus) ein Stück weiter lief, in dem er wohnte (auch wenn das eigentlich nicht viele wussten, da die Villa offiziell sein Wohnsitz war). Gokudera, der nebenan eingezogen war, begleitete ihn. Obwohl Tsuna schon vor einer Stunde gesagt hatte, er könne ruhig alleine vorgehen, war er geblieben. Schließlich sollte ein Boss niemals alleine und unbewacht nach Hause laufen, hatte er voller Überzeugung erklärt, woraufhin Tsuna nur geschmunzelt hatte.

Er glaubte nicht ernsthaft, dass es jemand wagen würde ihn offen anzugreifen. Abgesehen davon, dass niemand ihn so einfach finden, geschweige denn auf das ausgedehnte und bewachte Gelände um die Villa herum gelangen konnte, war bekannt, dass er in einem Kampf nicht zu unterschätzen war. Es wäre leichtsinnig.

„Hayato?“, fragte er müde und unterdrückte ein Gähnen. Gut, dass sie gleich da waren, er würde eine Kopfschmerztablette nehmen und sofort ins Bett gehen…

„Mmh?“

„Sag mal, wächst man als Kind eines Mafiosi wirklich ohne Werte auf?“, sprach er aus, was ihm durch den Kopf ging ohne weiter darüber nachzudenken, wie er es vielleicht sonst getan hätte.

Gokudera sah ihn etwas verwundert an. „Wie kommst du denn darauf?“

Tsuna zuckte entschuldigend die Schultern und erwiderte seinen fragenden Blick. „Naja, alle, die heute da waren, haben davon gesprochen Menschen einfach zu töten, als wäre es…“

Er sollte den Satz nicht mehr zu Ende bringen, denn ein lauter Schrei unterbrach ihn. Was folgte geschah so schnell, dass Tsuna erst im Nachhinein in der Lage war es zu verstehen, denn es schien alles beinah gleichzeitig.

Beinahe parallel zum Schrei stieß ihn Gokudera ein wenig unsanft zur Seite – und nur so entging er haarscharf einem sicherlich tödlichen Stich. Anstatt seinen Hinterkopf zu durchbohren streifte die Klinge des Dolches so nur leicht seine Stirn und Tsuna sah für Bruchteile von Sekunden in das Gesicht des Angreifers. Er registrierte verwundert, dass dieses zwar hassverzerrt war, dass aber in seinen Augen Tränen standen und eine Verzweiflung, die er nicht verstand.

Der unendlich scheinende Moment verging aber viel zu schnell und auf einmal nahm die Zeit wieder ihren gewohnten Lauf. Tsuna schlug rücklings auf dem harten Bürgersteig auf, während Gokudera sich ein kurzes Handgerangel mit dem Mann lieferte, der sich erstaunlich lange gegen ihn hielt. Tsuna presste kurz vor Schmerz die Augen zusammen, als er sich wieder aufrichten wollte, doch ehe er soweit war, hatte Gokudera dem Angreifer das Messer entrungen und der Mann schaffte es gerade irgendwie sich mit einem lauten Schrei loszureißen und davonzustürmen.

Gokudera knurrte leise, wollte hinterher stürmen, doch dann huschte sein Blick über Tsunas Gesicht und seine Augen weiteten sich mit einem Mal entsetzt.

Erst, als ihm das Blut ins rechte Auge lief, verstand Tsuna, dass er wohl nicht ganz so unbeschadet aussah, wie er war.
 

„Äh, was hältst du davon, wenn ich zur Abwechslung heute einmal fahre?“, schlug Tsuna wenig hoffnungsvoll und ein wenig kleinlaut vor, als sie das Konferenzgebäude einer Zweigstelle im südlicheren Teil Japans verließen und auf das Auto zuliefen.

Zwei Tage waren seit dem fehlgeschlagenen Attentat vergangen und kaum, dass er durch die Haustür getreten war, hatten sich Gokudera und Yamamoto als seine Leibwächter dicht neben ihm positioniert und die Umgebung im Auge behalten. Sie waren wachsamer als sonst. Tsuna hatte das nicht gewollt, aber nachdem der Angreifer es irgendwie durch die Sicherheitsvorkehrungen um seinen Wohnbereich geschafft hatte, war er tatsächlich entwischt und trotz einiger Suchtrupps (gegen Tsunas Willen losgeschickt, er hatte ausschließlich die Wachen für die nächsten Tage verdoppeln wollen, weil er um die Sicherheit der anderen Anwesenden im Bereich fürchtete) nicht gefasst worden. Offenbar rechneten seine Wächter mit einem weiteren Angriff, während Tsuna selbst davon ausging, dass niemand dumm genug sein würde, es jetzt noch einmal zu probieren.

„Nein, Decimo, lass mich das machen. Du bist der Boss, dafür sind wir doch da. Außerdem bist du verletzt.“, fügte er zähneknirschend hinzu.

Tsuna verkniff sich einen Kommentar bezüglich des „Decimo“, den Gokudera eigentlich eher in offiziellen Situationen (oder ab und an in Italien) benutzte und seufzte leise. Er würde wohl nie mit dem leicht… rasanten Fahrstil seiner rechten Hand klarkommen. Abgesehen davon übertrieb er. Die Wunde an seiner Stirn war ungefährlich und wurde lediglich von einem Pflaster verdeckt, Kopfwunden bluteten schlicht generell stärker, das hatte selbst der Notarzt gesagt, den Gokudera unnötigerweise gerufen hatte.

Am Auto angekommen, stieg Tsuna aber schweigend auf der Beifahrerseite ein, während Gokudera neben ihm Platz nahm und Yamamoto wartete, bis sie abgefahren waren, ehe er auf sein Motorrad stieg und ebenfalls losfuhr.

Es war bereits dunkel und sie hatten eine zweistündige Autofahrt (wobei, bei Gokuderas Tempo würden sie es vielleicht auch in weniger als eineinhalb Stunden schaffen) vor sich. Keine guten Voraussetzungen, um die noch immer angespannte Stimmung ertragen zu können.

„Hayato…“, setzte Tsuna an, als er einen Blick zur Seite warf und merkte, dass Gokudera noch immer unruhig immer wieder zu allen Seiten sah, auch wenn er eigentlich nur vor sich im Licht der Scheinwerfer etwas erkennen können dürfte.

„Ja?“, fragte dieser etwas tonlos.

„Entspann dich. Das Auto ist gepanzert und mit Sicherheitsglas versehen. Außerdem hast du abgeschlossen, es passiert nichts.“, versuchte er es beruhigend, doch offenbar erreichte er damit das Gegenteil, denn Gokudera presste nur weiter den Kiefer aufeinander.

„Ich weiß. Ich werde mir keine weitere Unachtsamkeit leisten.“

Tsuna verkniff sich einen weiteren Seufzer. „Du hast dir keine geliefert, ohne dich wäre ich tot.“, erklärte er ganz direkt, woraufhin Gokudera aber nun seinerseits nur seufzte.

„Aber du wurdest dennoch verletzt.“

„Es ist verdammt nochmal nur ein Kratzer.“, erwiderte Tsuna ungläubig, dass sich jemand wirklich deshalb Gedanken machen könnte, „Ich hab mir als Kind schlimmeres zugezogen, als ich vom Fahrrad gefallen bin.“

Gokudera blieb stur. „Wir haben Perdono noch immer nicht. Er wird es wieder versuchen.“

Tsuna schüttelte nur den Kopf. „Was bitte macht dich da so sicher? Er müsste verrückt sein es gerade jetzt noch einmal zu versuchen, bei all den Sicherheitsvor…kehr…“ Tsuna stockte. Da stimmte etwas nicht, da war mehr dahinter. Die Art und Weise, wie Gokudera nun stur nach vorne sah (und auch wenn Tsuna das bei der Fahrt an sich begrüßte, war es unüblich, sonst würde seine rechte Hand ihn auch am Steuer ansehen, wenn er mit ihm sprach), wie sich seine Hände um das Steuer verkrampften und er den Mund zusammenpresste.

„Sag es mir. Da ist noch mehr, oder?“, fragte Tsuna stirnrunzelnd.

Gokudera schwieg erstmal nur und starrte weiter nach vorn, ehe er kurz die Augen schloss und erneut seufzte. „Luigi Perdono hat mich angebrüllt, dass du seine Familie getötet und sein Leben zerstört hättest. Er will Rache, er ist verzweifelt und ich glaube, verrückt. Er wird es wieder versuchen, da bin ich mir sicher.“

Tsuna glaubte kaum, was er da hörte. „Habe ich das denn…?“, fragte er vorsichtig und unsicher, ob er die Antwort wirklich hören wollte.

Gokudera schüttelte langsam den Kopf. „Perdono war einer der Handlanger der Vongola, niedrigste Stufe, hat sich vor deiner Zeit mit kleineren Schmuggelgeschäften verdingt.“, erklärte er betont sachlich und sehr leise, „Nichts atemberaubendes, aber er konnte davon leben. Kurz nachdem du Boss wurdest, hat er sich mit den Falschen eingelassen und sie haben seine Familie eliminiert… das hatte nichts mit uns oder dir zu tun, aber… nun ja…“

Er brauchte es nicht auszusprechen, Tsuna verstand es auch so und blickte betreten zu Boden. Egal, ob schuldig oder nicht, der Mann war nicht wirklich böse, er war wirklich einfach verzweifelt. Wenn man mit einem Schlag alles verlor, was einem lieb und teuer war, trieb das Menschen sicher zu Taten, die sie andernfalls nicht einmal andenken würden… Tsuna rieb sich betroffen das Gesicht. Er war nur ein Ziel der Wut, es war nicht so, dass dieser Mensch etwas gegen ihn als Menschen hatte, aber dennoch…

Schweigen machte sich breit, unangenehmer noch als zuvor, aber Tsuna war zu sehr in Gedanken um es zu brechen und sein Blick wanderte hinaus auf die vorbeihuschenden Lichter der Städte und anderen Autos, an denen sie auf der Autobahn vorbeirasten.
 

Durch das geöffnete Fenster wehte eine leichte Brise ins Zimmer, doch sie war typisch für diese Jahreszeit keineswegs kühl, sondern trotz der nächtlichen Stunde noch immer sehr warm. Trotzdem war es angenehmer wenigstens ab und an einen Luftzug zu spüren, als das Fenster zu schließen. Er war sich sicher, hätte er das getan, würde er nun das Gefühl haben zu ersticken.

Doch auch so fand er keinen Schlaf. Nicht allein die Hitze hielt ihn wach, es war die anhaltende Unruhe, er konnte seine Gedanken einfach nicht abschalten. Mit einem Seufzen drehte sich Gokudera auf die andere Seite und schlug mit der Hand auf seinen Wecker, dessen Display sogleich aufleuchtete und ihm erklärte, dass es halb drei am Morgen war.

Mit anderen Worten, er lag seit über zwei Stunden wach und wälzte sich von einer Seite auf die andere.

Gokudera stöhnte leise und rieb sich mit der Hand über das leicht schwitzige Gesicht. Es war nicht so, dass er nicht müde gewesen wäre, aber offenbar nicht genug, um zu schlafen. Er schlug die ohnehin zu warme Bettdecke zurück und stand auf. Er lief ins Bad und blinzelte leicht, als das Licht grell in seine Augen stach. Doch er hielt nicht inne, drehte das Wasser kalt auf und warf sich eine Ladung ins Gesicht. Es tat gut und gab ihm immerhin ein wenig das Gefühl sich zu erfrischen.

Als er aufblickte begegnete er seinem Blick im Spiegel. Er wirkte verbissener und wütender, als er tatsächlich war. Sicher, es ärgerte ihn ohne Ende und er fürchtete um die Sicherheit von Tsuna und auch der anderen in seinem Umkreis, aber ihm war bisher nicht bewusst, wie angespannt er aussah… Er grummelte leise, griff das Handtuch und trocknete sich das Gesicht, ehe er kurz entschlossen das Bad ohne einen Blick zurück wieder verließ und sein Smartphone vom Nachtisch griff. Keine neuen Nachrichten. Was hatte er auch erwartet…

Er warf das Handtuch ungeachtet auf den nächstbesten Stuhl und griff sich stattdessen seine Hose, sowie ein Muskelshirt, ehe er ohne weiter darüber nachzudenken auf dem Weg zur Tür in seine Schuhe schlüpfte, seine Motorradjacke, sowie den Rest seiner Ausrüstung griff und auf dem Weg zur Garage überzog.

Er musste irgendwie runterkommen, es brachte ja alles nichts. Einfach ein wenig fahren, den Frust rauslassen und hoffentlich das Gehirn abschalten…

Er verzichtete darauf das Tor komplett zu öffnen, schob die Maschine durch die Tür an der Seite nach draußen, warf einen Blick zum Haus seines Bosses herüber, zwang sich dann aber endlich mit dem Grübeln aufzuhören, setzte den Helm auf und schwang sich auf seine Maschine.

Er wählte die Route relativ grundlos, erstmal hinaus, auf die Landstraße, dann auf die nächstbeste Autobahn, einfach, um Tempo zu bekommen. Selbst jetzt tief in der Nacht war es hier nicht vollkommen leer, aber wenig genug Autos um ihn herum, dass er die 200 Sachen problemlos eine ganze Weile halten konnte. Die Strecke war lang und gerade und während er an mehreren Wagen vorbeiraste, achtete er kaum auf den Weg, den er zurücklegte. Langsam, allmählich schaffte er es seine Hände nicht mehr um den Lenker zu verkrampfen und wieder tiefer durchzuatmen. Sie würden Perdono kriegen, Tsuna war nicht beunruhigt – und er war gewarnt, er würde vorsichtig sein… zumindest vorsichtiger als bisher. Die Wachen waren verdoppelt, sie gingen kein Risiko mehr ein. Die Situation war unter Kontrolle…
 

Nach einer guten Stunde war Gokudera soweit zu sagen, dass er sich wieder halbwegs im Griff hatte und warf zum ersten Mal einen Blick auf eines der Schilder, das ihm sagte, dass er tatsächlich kurz vor Tokyo gelandet war. Er stutzte, das war unter normalen Umständen eine Fahrt von etwas über drei Stunden, er musste deutlich schneller gefahren sein, als er gedacht hatte.

Nun, wie auch immer, langsam wurde es definitiv Zeit umzukehren und so drosselte er das Tempo und ordnete sich rechts ein, um die nächstbeste Ausfahrt zu nehmen und zu wenden. Nach dem kleinen Temporausch kamen ihm die 50 Stundenkilometer auf einmal wie ein Kriechtempo vor und er schaffte es nur mit einiger Mühe nicht gleich wieder schlechte Laune zu bekommen.

Die Ausfahrt, die er gewählt hatte, stellte sich als denkbar schlecht heraus, sie bot keine Wendemöglichkeit und führte ihn in einen der äußeren Bezirke der Metropole. Gokudera kannte sich nicht wirklich aus, seine Augen huschten immer wieder über die Schilder auf der Suche nach einem, das ihn zurück Richtung Namimori führen würde. Ehe er noch eines fand, wurde er von einer Ampel ausgebremst und angesichts des nicht gerade geringen Stroms von Autos, die an der Kreuzung vorbeirasten, blieb er auch wirklich stehen.

Dabei fiel sein Blick eher zufällig auf die Tankanzeige, die deutlich niedriger war, als angenommen. Er benutzte das Motorrad im Vergleich zum Auto eher selten, da er oft seinen Boss chauffierte, daher hatte er nicht wirklich im Kopf, wie voll der Tank war, aber normalerweise hielt er ihn mindestens halb voll, was für eine gute Strecke reichte. Offenbar war er heute aber ziemlich dicht daran gewesen, der Tank war unter einem Viertel, keine zehn Liter von der Reserve entfernt. Damit würde er nicht mehr zurückkommen.

Also änderte er die Richtung, bog doch nicht links in die viel befahrene Straße, sondern in eine mittelgroße Tankstelle gegenüber der Kreuzung ein, tankte schnell voll und bezahlte. Auf dem Weg zurück zu seiner Maschine hielt er allerdings noch kurz inne und betrachtete nachdenklich das Getränkeregal der Tankstelle. Es war nach wie vor warm und die Schutzausrüstung war alles andere als luftig. Wenn er so darüber nachdachte, meldete sich langsam auch sein Durst, er griff sich eine Flasche Wasser und marschierte zurück zur Kasse, um auch diese zu bezahlen.

Noch auf dem Weg nach draußen öffnete er sie und nahm einen großen Schluck. Dabei sah er eine Sekunde nicht hin und prompt lief jemand in ihn hinein. Gokudera murrte unwillig, als er Schultern und Brust mit Wasser besprenkelte und funkelte sein Gegenüber sauer an. Der Mann starrte aber nur mürrisch zurück – bis sich seine Augen auf einmal weiteten und er entsetzt auf dem Absatz kehrt machte und aus dem Gebäude stürmte. Gokudera blinzelte und brauchte zwei Sekunden, um zu verstehen, was gerade geschehen war.

Dann reagierte er aber ohne weiter nachzudenken, stürmte hinterher, warf die noch halb gefüllte Flasche achtlos von sich und setzte im Laufen den Helm auf. Als er bei seinem Gefährt ankam, fegte ein weiteres, dunkelblaues Motorrad gerade mit quietschenden Reifen davon und mitten in den endlosen Strom der Hauptstraße.

Gokudera fluchte, sprang auf sein eigenes Motorrad und gab etwas zu schnell Gas. Die Reifen drehten durch, doch er kümmerte sich nicht weiter darum und schoss regelrecht hinterher. Er durfte ihn jetzt nicht entkommen lassen, diesmal nicht!

Ohne auf das Hupen und die Geräusche abrupten Bremsens zu achten, raste auch Gokudera in den Verkehrsstrom hinein, wich knapp zwei herankommenden Autos aus, indem er kurz auf die Gegenspur wechselte, überholte mit dem gleichen Manöver zwei weitere und beschleunigte weiter, kaum, dass er wieder auf seiner Spur war. Er war immerhin schnell genug gewesen, noch hatte er Sichtkontakt. Zur Sicherheit hob er die rechte Hand, sobald die Strecke es zuließ und aktivierte die speziell modifizierte Scheibe seines Helms. Augenblicklich blinkte eine Karte, sowie ein Haufen anderer Daten in seinem Sichtfeld auf und er fokussierte Perdonos Maschine als Ziel.

Dieser warf gerade einen Blick zurück und Gokudera war sich sicher, dass er längst gemerkt hatte, dass er ihm folgte. Doch das würde nichts ändern, es war in dem Moment zu spät gewesen, in dem er ihn erkannt hatte.

Perdono raste bei Gelb über die Ampel und bog hart rechts ab. Gokudera folgte, störte sich nicht weiter daran, dass die Ampel inzwischen auf rot umgesprungen war und der Gegenverkehr bereits anfuhr. Kurz erhaschte er einen Blick auf das entsetzt verzerrte Gesicht einer Frau, die haarscharf vor ihm abbremste, doch er hatte keine Zeit sich weiter darum zu kümmern, sonst entkam ihm sein Ziel.

Über drei weitere Kreuzungen ging es in den dichteren Stadtverkehr Richtung Innenstadt, offenbar kannte Perdono sich hier aus oder er folgte den Schildern und hoffte einfach, dass die kleinen Seitenstraßen ihm bessere Fluchtwege bieten würden. Vielleicht setzte er auch auf den langsamer fließenden, dichteren Verkehr. Was immer es war, Gokudera würde ihm schon zeigen, dass der Plan niemals aufgehen würde.

Vor ihm ordnete sich die blaue Maschine gerade links ein, zog dann aber über die Abzweigung hinweg und bog rechts in eine Einbahnstraße. Direkt hinter ihm hupten die Autos und fuhren zu dicht auf, als dass Gokudera diesmal folgen konnte. Shit, so würde er das nicht enden lassen. Er raste an der Einbahnstraße vorbei, quetschte sich weiter nach rechts zwischen die Autos und bog bei der nächsten Gelegenheit rechts ab. Die Einbahnstraße verlief laut seiner Karte gerade, Perdono hatte keine Wahl, er musste…

Auf einmal schoss die gesuchte Maschine aus einem schmalen Durchgang zwischen zwei Häuser hindurch an ihm vorbei – und zwar in entgegen gesetzter Richtung. Gokudera fluchte, wechselte auf die äußere Spur, schlug dann hart nach rechts ein, entging um wenige Zentimeter einem Auto, das an ihm hatte vorbeifahren wollen, und wendete mit einem harten Drift, der ihn um ein Haar die Kontrolle verlieren ließ. Das Tempo war zu hoch und die Bewegung zu plötzlich, doch zwei Meter weiter hatte er wieder die Oberhand und war nun keine vier Meter hinter Perdono, der sich kurz zu ihm umdrehte.

Gokudera meinte hinter seinem Visier im Licht der Straßenlaternen die Panik aufflackern zu sehen, ehe er erneut plötzlich im neunzig Grad Winkel nach links in eine Garagenzufahrt abbog. Gokudera folgte ohne abzubremsen, was ihn leicht an der linken Hauswand entlangschrammen ließ, doch bis auf ein paar Kratzer geschah nichts und er bremste nicht ab. Perdono raste zwischen zwei heruntergekommenen Garagen hindurch und bewies damit, dass er nicht auf gut Glück riet, sondern sich hier wirklich auskannte. Seine Maschine war ein wenig schmäler und Gokudera war sich gar nicht ganz sicher, ob er hindurchpassen würde, als er ihm dennoch folgte.

Der Durchgang führte zu einer nachts natürlich verlassenen Baustelle. Offenbar sollte hier ein weiteres Haus gebaut werden, denn es gab bereits ein aus Zement gegossenes Fundament, sowie mehrere dicke Metallpfeiler und die Ansätze einer Mauer.

Der Boden um sie herum allerdings war nass, scheinbar kam die warme Sonne hier schlecht hin oder jemand hatte mit einem Wasserstrahl hantiert, auf jeden Fall waren sie nun doch beide gezwungen das Tempo herunterzunehmen, denn auf dem Untergrund hieß ein Fehler sofort den Verlust der Jagd. Gokuderas Gedanken rasten, er musste irgendwie die letzten Meter zwischen ihnen aufholen, aber er wagte es nicht weiter zu beschleunigen, er bewegte sich ohnehin an der Grenze, aber wie konnte er Perdono zum Bremsen zwingen…

Seine Augen weiteten sich leicht, als er blitzartig in seine Tasche griff, eine kleinere Stange Dynamit hervorzog, den Zünder ohne auf Verletzungen zu achten an die Hauswand links von sich drückte, bis die Funken ihn entzündeten und dann schnell in den riesigen Sandhaufen der Baustelle warf.

Dann bremste er. Wenn das schief ging, hatte er verloren, wenn er Perdonos Tempo unterschätzt hatte, würde er sich selbst den Weg versperren.

Der Abstand zwischen ihnen wuchs und schließlich blieb Gokudera vollends stehen, als eine laute Explosion den Sand aufwirbelte. Offenbar verstand auch Perdono, was vor sich ging, denn er beschleunigte weiter – und verlor auf dem nassen Untergrund den Halt.

Staub wirbelte auf, als Gokudera langsam abstieg, den Helm abnahm und zusah, wie der aufgetürmte Berg in sich zusammenbrach.

Als die Sicht halbwegs klar war, trat er näher und fand Perdono zu seiner Überraschung nicht unter den Massen begraben, sondern am Rand des Haufens. Er war verletzt, blutete an der Schulter und am Kopf, war offenbar seitlich aufgeschlagen.

Gokudera verschwendete keine Sekunde mit Mitleid, er hob die Pistole, die immer im Motorradsitz bereitlag und richtete sie auf die Stirn des Mannes. Dieser sah auf, in seinen Augen spiegelte sich purer Hass, keine Reue, keine Angst bei dem Wissen dass es vorbei war.

Perdono verzichtete offenbar auf letzte Worte, er knurrte nur, wie ein in die Enge getriebenes Tier, als sich Gokuderas Finger um den Abzug schloss.
 

„Was meinst du damit, ich brauche mir keine Sorgen mehr zu machen?“, fragte Tsuna verwundert, als er sich am nächsten Morgen in seinem Büro an den Tisch setzte, den sie jeden Tag für eine kurze Besprechung nutzten.

Gokudera nahm neben ihm Platz und Tsuna merkte verwundert, dass er wirklich deutlich… erleichterter wirkte. Die angespannte Mimik war verschwunden und hatte einem müden Lächeln Platz gemacht, das vermuten ließ, wie wenig er letzte Nacht geschlafen hatte.

„Perdono war letzte Nacht in einem Unfall auf einem Baustellengelände verwickelt. Offenbar ist er von einem Schutthaufen erfasst worden, als er eine Abkürzung nehmen wollte und dieser zusammenbrach. Er hat es nicht überlebt.“, erklärte Gokudera sachlich und griff einen Stapel Papiere aus seiner Aktentasche, die er auf den Tisch legte, ehe er sich neben Tsuna setzte.

Letzterer blinzelte verwundert. Das war mal ein unrühmliches Ende. Er unterdrückte ein Seufzen bei dem Gedanken, dass dieser Mensch offenbar kein Glück im Leben gehabt hatte… Kleinkrimineller, dann die Familie und nun sein Leben verloren. Er konnte einem wirklich leid tun.

„Das ist bedauerlich, aber ich schätze, es nimmt uns einige Sorgen, was?“, meinte er dann ein wenig betrübt, dass ihm der Tod eines Menschen so gelegen kam.

„Ja, das tut es, Juudaime.“, nickte Gokudera und schob ihm die erste Akte für heute hin. Tsuna entging allerdings nicht, dass er seinem Blick auswich und er hatte das ungute Gefühl, dass dieser Unfall vielleicht nicht ganz zufällig gewesen sein könnte. Aber er wusste es besser, als nachzufragen. Er würde die Wahrheit vermutlich gar nicht hören wollen…
 

Ich weiß, wie sehr du so etwas verabscheust, Juudaime, deswegen werde ich dich nicht damit belasten. Sieh einfach nicht hin, frag nicht nach und überlass es mir…

Lustiger Zusatz

// Unernste Zusatzszene: Eine Woche später
 

Tsuna streckte sich, als er ans Waschbecken trat und sich die Hände wusch. Sein Soll für heute hatte er erfüllt und nach guten drei Stunden Sitzen war er auch mehr als froh darum.

Es war Freitagnachmittag und wie jeden zweiten Freitag im Monat hatte Kyoko darauf bestanden die monatliche Lagebesprechung (was nur der offizielle Name war, tatsächlich war es eher Kaffeetrinken mit einem leichten „Und, was gibt’s bei euch neues?“-Beigeschmack) bei ihnen Zuhause stattfinden zu lassen. Dass sie das allein tat, damit sie mal wieder ihre Backlust ausleben durfte, war vermutlich allen klar, aber da die Mehrzahl seiner Wächter absolut nichts gegen Unmengen von Kuchen hatten, hatte sich bisher niemand beschwert.

Sein Blick fiel in den Spiegel und traf die helle, längliche Narbe, die der Schnitt hinterlassen hatte und die heute Nachmittag beim Abnehmen des Pflasters zum Vorschein gekommen war. Eine kleine Warnung in Zukunft aufmerksamer zu sein…

Tsuna schüttelte den Kopf und lief zurück ins Esszimmer, wo er bereits Stimmen hörte und wenig verwunderlich waren dieselben zwei zuerst da, wie immer. Er schnappte noch ein paar Fetzen der Unterhaltung auf, ehe er eintrat und sie sich zu ihm umwanden.

„… könnten doch stattdessen mal alle eine Runde Baseball spielen, das wäre mal eine Abwechslung.“

„Das glaubst du doch selbst nicht, dich kann man doch nicht auf die Kinder losla… oh, Juudaime, du…“

Als Gokudera mitten im Satz abbrach und ihn anstarrte, rechnete Tsuna bereits mit dem schlimmsten. Er hob fragend eine Augenbraue und sah an sich herab, Das Hemd war korrekt zugeknöpft und hatte auch keine (Wasser-)Flecken oder andere störende Auffälligkeiten. Er sah wieder zu Gokudera, doch der sah ihn immer noch so sonderbar an.

„Hab ich was im Gesicht oder so?“, fragte Tsuna unsicher und blickte nun zu Yamamoto herüber, der leise lachte und nickte. „Eine neue Narbe.“, schlug er vor und Tsuna schwante Übles.

„Ach die, ja… aber die fällt ja kaum auf.“, meinte er schulterzuckend, woraufhin Gokudera endlich aus seiner Starre erwachte und etwas unwillig auf seiner Lippe kaute. Tsuna wusste, dass er das schnell aus der Welt schaffen sollte und erklärte daher wahrheitsgemäß: „Mich stört sie nicht und Kyoko gefällt sie sogar, sie meint, die wirkt… männlicher…“, murmelte er gegen Ende mehr, denn ihre genaue Wortwahl („Oh, toll, wie wäre es mit einem neuen Bad-Boy-Look, Tsuni? Dazu passt die Narbe einfach perfekt!“) behielt er lieber für sich.

Ehe Gokudera aber die Chance gehabt hätte darauf etwas zu erwidern, ertönte die Türklingel und Kyoko öffnete. Den Stimmen nach waren ihre Freundinnen gekommen, sowie…

„Hallo, Leute, wie geht’s? Ich… oh, hey, neue Narbe zugelegt?“, fragte Ryohei und beugte sich ein Stück zu Tsuna vor, um sie genauer zu begutachten, „Find ich gut, jetzt sind wir mit Yamamoto schon drei…“, er hielt inne und wand sich um, „Hey, Gokudera, du fehlst noch. Soll ich dir auch einen Schnitt ins Gesicht machen? Auf die Wange vielleicht? Dann könnten wir uns einen extrem coolen Namen zulegen… so was wie „die Narbengesichter“!“, grinste er breit und redete erstaunlicherweise quasi ohne Luft zu holen.

Tsuna verdrehte nur die Augen, als Ryohei überzeugt von seiner „tollen“ Idee lässig einen Arm auf Gokuderas Schulter lehnte und wartete. Letzterer knurrte leise, schlug den Arm beiseite und erwiderte trocken: „Was glaubst du eigentlich, was…“

Doch ehe er den Satz zu Ende bringen konnte, unterbrach ihn erneut die Türklingel und Tsuna beschloss, dass die beiden das auch ohne ihn ausmachen konnten und Kyoko vermutlich beschäftigt war, daher lief er in den Flur. Auf dem Weg dorthin fiel sein Blick auf den Garderobenständer, den Kyoko „gemütlich dekoriert“ hatte, sprich mit Kleidungsstücken versehen hatte, die nie jemand von ihnen trug.

Tsuna sprang dabei ein Hut ins Auge, schwarz und relativ schlicht, etwas Mafia-typisch. Er zögerte kurz und setzte ihn dann auf, zog ihn weit in die Stirn, sodass er hoffentlich den hellen Streifen oberhalb seiner rechten Augenbraue verbarg, ehe er die Tür öffnete.

Chrome lächelte ihm entgegen, während Mukuro bereits jetzt schief grinste, aussah, als hätte er was sagen wollen, dann aber innehielt, den Hut musterte und leise lachte. „Also, ich weiß ja nicht, ob dir das klar ist, aber das sieht ja so was von… nicht gut aus.“, erklärte er dann, trat an Tsuna vorbei ein und fischte diesem schneller als er reagieren konnte, den Hut vom Kopf und setzte ihn selbst auf.

Tsuna verdrehte erneut die Augen und wollte die Tür schließen, als sie sich von selbst schloss. Oder eher, als Lambo sie ins Schloss warf, ehe er Tsuna kurz zunickte und dann wortlos in Richtung Esszimmer lief.

„Kann ich jetzt meinen Hut wiederhaben?“, grummelte er, woraufhin Mukuro ihn abzog… und Chrome aufsetzte. Tsuna gab es auf, ließ die beiden stehen und ging voran ins Esszimmer zurück, wo sich Ryohei und Gokudera einen kleinen Starrwettbewerb lieferten. Tsuna räusperte sich vernehmlich, damit alle zu ihm sahen, ehe er versucht sachlich anmerkte: „Wollt ihr euch dann mal setzen? Kyoko hat extra Kuchen gebacken und…“

Kyoko kam gerade herein, stellte einen bereits geschnittenen Apfelkuchen auf den Tisch und erklärte entschuldigend: „Die Kirschtorte fällt leider aus.“

Tsuna, der nicht wild auf besagte Torte war, aber sich dennoch wunderte, fragte irritiert: „Wieso das denn, eben stand sie doch noch auf dem Küchentisch?“

Kyoko hob die Schultern und lächelte nochmals entschuldigend. „Hibari kam eben rein, er wollte dir irgendwelche Akten bringen, aber er dachte wohl, du wärst beschäftigt und war wieder im Gehen. Ich hab gefragt, ob er ein Stück Torte möchte und… naja…“

Tsuna stöhnte. Hibari durfte man kein süßes Gebäck anbieten, das war ein Grundsatz, den er schnell gelernt hatte…

„Nicht schon wieder…“, murmelte er zur Verwirrung seiner Wächter. Beinah zeitgleich kam Haru mit einem Schokoladenkuchen herein, stellte ihn zwischen Mukuro und Yamamoto und lief dann fröhlich auf Tsuna zu.

„Dann zeig mal her.“, meinte sie und brachte damit ein Thema auf, von dem Tsuna froh gewesen war, dass es gerade nicht mehr weiter ausgeführt wurde. Doch Haru kannte kein Pardon, schob eine Haarsträhne weg und musterte die Narbe einen Moment lang, ehe sie sich zu Kyoko umwand und nickte.

„Du hast recht, das sieht wirklich gut aus, ich kann das mit ein wenig Schminke noch verstärken, damit sie deutlicher hervor tritt und dann…“

Die beiden verließen tief im Gespräch zusammen den Raum, während Tsuna sich wenig begeistert mit der Hand übers Gesicht fuhr. Seit der „einmal im Monat Kuchen“ Tag wegen Schließung ihrer Lieblingskonditorei ausgefallen war, hatten sie den „einmal im Monat Tsuna umstylen“ Tag eingeführt… zu seinem Leidwesen, aber wie sollte er seiner Frau etwas ausschlagen?

„…das wird viiiel besser als der Hip-Hop-Style letztes Mal!“, erklang gerade etwas laut Harus Stimme aus der Küche, woraufhin sämtliche Anwesende lachten. Außer Gokudera, der verwundert fragte „Hip-Hop?“ und Tsuna leicht fassungslos ansah.

Der schüttelte nur den Kopf. „Frag nicht…“



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Rondine
2012-10-07T16:50:15+00:00 07.10.2012 18:50
Die Verfolgungsjagd war gut geschrieben und was das angeht, dass du das schon immer einmal schreiben willst/wolltest - tröste dich, will ich auch. Und ja, eine wirklich ernste Sache dieses Mal... u__u Ich frage mich ja, wie das mit der Geschichte von Gokudera soll. Was hat der mit der Leiche gemacht? Sicher nicht da einfach liegen gelassen...oder? O.o

Diese zusätzliche Szene... Armer, armer Tsuna... xD
*kicher* Aber ... Haru und Kyoko sind auch ein bisschen... HIP-HOP?! GEHT'S NOCH?! XD *kann sich ein Grinsen nicht verkneifen* "Die Narbengesichter"? Sehr einfallsreich Ryohei... xDDD


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