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Un Monstre á Paris

Eine Liebe in Trümmern, eine Andere wächst
von

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Die, in der die Nachtigall zum Schlafe ruft

Kapitel 1 – Die, in der die Nachtigall zum Schlafe ruft
 

Januar, 1911:

Der Applaus des Publikums hallte durch den Saal und die roten, schweren Bühnenvorhänge des Cabaret L'Oiseau Rare schlossen sich. Die junge Sängerin Lucille Frémir, die bereits seit drei Jahren im Kabarett ihrer Tante Carlotta sang, drehte sich zu ihrem Gesangspartner.
 

„Du hattest recht, Francoeur. Das Publikum ist begeistert“, sagte sie lächelnd und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Das Lied ist eine großartige Komposition.“
 

„Brrr“, brachte Francoeur nur heraus.
 

Denn schon stand das Publikum auf, Ovationen und Zugabe-Rufe drangen durch den dicken Vorhang. Wie besprochen warteten sie eine Moment, bis sie schon befürchten mussten das überwältigte Publikum stiege auf die Bühne. Plötzlich öffnete sich der Vorhang, die Menge tobte, sogar unschickliches Pfeifen war aus zwei Ecken zu hören. Auf ein Zeichen von Francoeur begann das Drei-Mann-Orchester zu spielen und Lucille begann mit dem Lied, mit dem sie vor genau einem Jahr das erste Mal mit Francoeur auf der Bühne gestanden, und einen großen Erfolg errungen hatte.

Damals hatte Francoeur mit seinem Gitarrenspiel und seiner lieblichen Stimme das Lied auf eine völlig neue Weise erneuert und den Gästen des Kabaretts die schönste Show seit langem geboten. Seither waren Lucille und ihr unbekannter Monsieur Francoeur, der von weit hergekommen war, niemand wusste woher, in ganz Paris gefragt und eine künstlerische Attraktion in Montmartre.

Wieder erwarten gab Francoeur mit seiner Gitarre die Melodie vor und Lucille trat zwei Schritte vor und begann zu singen.
 

Sie ist mondän, so souverän

La Seine, la Seine, la Seine
 

Das Publikum jubbelte, setzte sich jedoch augenblicklich wieder und horchter der schönen Stimme der jungen Mademoiselle. Auch stimmte Francoeur mit seiner lieblichen Stimme im Chorus von „La Seine“ ein.
 

Ich hab erkannt, ich bin gebannt

La Seine, la Seine, la Seine
 

Ich höre sie, ihre Melodie

La Seine, la Seine, la Seine
 

Ist sie so fein? Ist es der Wein?

La Seine, la Seine, la Seine
 

Oh, ich weiß es nicht

also frag mich nicht

Die Seine und ich

ich liebe dich
 

Oh, ich weiß es nicht

also frag mich nicht

Die Seine und ich

ich liebe dich
 

Lucille tanzte kokett an der Spitze der Bühne und nahm Blickkontakt mit Francoeur auf. Sie winkte ihn zu sich und auch er trat nun aus dem Schatten hervor und tanzte um sie herum, der Gitarre weiter eine Melodie entlockend, während er seinen Part begann und Lucille seinerseits sich nur noch an „La Seine“ beteiligte.
 

Gut geht es mir, bin ich bei dir

La Seine, la Seine, la Seine
 

Wie ein Gedicht ist sie für mich

La Seine, la Seine, la Seine
 

Im vollen Lauf drehten sie sich wie in einer Erdlaufbahn umeinander traten abwechselt von vorn nach hinten als sie das Refrain zusammen zum Besten gaben.
 

Oh, ich weiß es nicht

also frag mich nicht

Die Seine und ich

ich liebe dich
 

Oh, ich weiß es nicht

also frag mich nicht

Die Seine und ich

ich liebe dich
 

Nun begann Francoeur sein kleines Solo auf seiner Gitarre und sang seinen Schlagabtausch mit Lucille, welche diesen begann.
 

Hoch oben hier
 

Bin ich bei dir
 

In deiner Flut
 

Finden wir Mut
 

Die frische Luft
 

Was für ein Duft
 

Sie wirbelten umeinander ohne auch nur ansatzweise aneinander zu stoßen, obgleich die Bühne nicht sehr viel an Platz hergab. Lucille und Francoeur haben vom ersten Akkord an, harmoniert wie die verschiedenen Farben der untergehenden Sonne. Zusammen beendeten sie ihren Schlagabtausch und sangen fortan gemeinsam das Refrain.
 

Hoch oben hier

Verzeihst du mir
 

Die Seine und ich

Ich liebe dich
 

Die Seine und ich

Ich liebe dich
 

Die Seine und ich

Ich liebe dich
 

Die Seine und ich

Ich liebe dich
 

Die Beiden tanzten ihre letzten Schritte als wäre es eine einstudierte Choreographie. In ihrer Harmonie lief ihr letzter Tanzschritt in die Verbeugung über und die Menge jubelte. Lucille bekam, wie so oft, einen prunkvollen Strauß Blumen zugeworfen, wie man sie oft in den Blumenläden fand. Sie nahmen sich bei der Hand, verbeugten sich noch einmal gemeinsam und traten zurück. Unterdessen fiel der Vorhang wieder hinunter und beendete die Show.
 

„Francoeur, du warst großartig“, sagte Lucille und bedachte den Blumenstrauß mit keinerlei Beachtung.
 

„Wir waren großartig brrr“, sagte Francoeur und lächelte sie an.
 

„IHR WART FANTASTISCH“, rief plötzlich Carlotta die hinter die Bühne gekommen war und nahm Lucille den Strauß ab. „Inzwischen geht uns der Platz aus, wo soll ich die Dinger noch hinstellen? Ha ha ha.“
 

„Stell die Garderobe ruhig zu, solange ich an den Schminktisch komme, ist es mir gleich“, winkte Lucille ab.
 

********
 

Seit sie vor einem halben Jahr einen Heiratsantrag von Raoul bekommen und sich mit ihm verlobt hatte, waren sie kurze Zeit später in eine eigene Wohnung gezogen. Zuvor hatte Lucille bei ihrer Tante in der Wohnung über dem Kabarett gelebt, doch dort war unter den neugierigen Blicken Carlottas, Privatsphäre ein Fremdwort. Auch wurde es mit Francoeur als dritte Person einfach zu eng.

Und da ihrer Tante das Zusammenleben mit Francoeur nicht ganz geheuer war, war ein Umzug ohnehin die letzte Möglichkeit.
 

Denn Francoeur ist ein zwei Meter großer Floh, der durch einen Zusammenstoßen zweier Tränke aus dem Labor des Professors, gewachsen und eine melodische Stimme erhalten hatte. Raoul war schon seit langer Zeit der Lieferant des Professors, der sein Labor in einem monströsen Gewächshaus namens „Botanischer Garten“ hatte, indem viele tropische Pflanzen wuchsen. Sein Assistent, Charles, dem Affen, war ihm, seit er diesem durch einen Trank verschiedener chemischer Substanzen, zu einer erweiterten Intelligenz verholfen hatte eine große Hilfe. Charles besaß weißes Fell, eine lange dicke Nase und einen langen Schwanz. Er verstand jedes Wort das man ihm sagte und kommunizierte über beschriebene Karten auf denen die verschiedensten Redewendungen standen.
 

Francoeur war einst ein Floh in Charles Fell gewesen, bis zum besagten Abend, an dem Raoul während der Abwesenheit des Professors, der zur geraumen Zeit in New York war, unerlaubterweise im Labor herumgespielt hatte. Er sollte lediglich die Lieferung vor der Tür abstellen, doch konnte er seine Neugierde nicht zügeln und zog auch seinen Freund Emile in die Sache mit hinein.
 

Nachdem Raoul bereits eine Sonnenblume in fünfzehn Meter Höhe hat wachsen lassen, fielen ihm die Tränke aus der Hand und es hatte eine riesige Explosion gegeben, die Francoeur hat wachsen lassen. Dieser irrte fortan als „Monster in Paris“ durch die Stadt und fand ein zu Hause in der Garderobe Lucille's, nachdem sie sich nach anfänglicher Angst, von seiner Singstimme angezogen fühlte. An diesem Abend erhielt Francoeur eine weitere Chance sein Musiktalent zu beweisen und trat zusammen mit Lucille im Kabarett auf. Nach der Show wurde er sogleich von Raoul und Emil entdeckt, die der Sängerin ihre Glückwünsche mitteilen wollten, kannte Raoul sie ja aus Kindertagen.

Zusammen tüftelten sie an einen Plan um Francoeur für die Bewohner der Stadt unerkannt zu machen, indem er den vorgetäuschten Tod fand. Leider hatte es nicht so funktioniert wie erhofft und der damalige Préfet Maynott hatte Jagd auf Francoeur gemacht. Als dieser nach dem letzten Schuss aus der Waffe des Commissaire Maynott verschwunden war, glaubte Lucille und die anderen ihn für tot, doch war er nur wieder nach dem nachlassen des Trankes wieder in seiner Originalgröße geschrumpft und hatte die Tage in ihrem Ohr verbracht.

Nachdem sie das herausgefunden hatten war Raoul mit Charles zum Gewächshaus gefahren um den Professor die Geschichte zu erzählen, der gerade von seiner Reise aus New York zurück gekehrt war, und baten ihn um einen neuen Trank. Der Professor erfüllte ihnen den Wunsch und mischte einen Trank zusammen der Francoeur nicht nur zu lebenslanger Größe verhalf, sondern auch zu weiteren menschlichen Fähigkeiten. So verstand er die menschlichen Worte nicht nur, sonder konnte sie auch selbst erlernen.

Da er dennoch ein Floh war und wie jeder andere Floh sich von Blut ernährte, war es für Carlotta unerträglich ihn trinken zu sehen und somit auch überhaupt mit ihm ihre Wohnung zu teilen. Zumal es auch zu einigen unschönen Flecken auf Teppich und Polstergarnituren gekommen war. Nachdem Raoul einige Monate bei Emile gewohnt hatte, war doch seine Behausung, sein Transporter Chaterine im Hochwasser in die Tiefe gesunken, und eine neue Bleibe suchte, taten sich die drei zusammen und fanden eine hübsche Bleibe in Montmartre.
 

Tante Carlotta war es nur recht gewesen, denn mit dem unliebsamen Leben mit Francoeur, trotz der schönen Stimme, war doch Tag für Tag immer Trubel im Haus gewesen. Tagsüber hatte sie schon kaum mehr Ruhe gefunden. Francoeur spielte an Klavier oder Gitarre und komponierte, Lucille studierte die neuen Lieder ein, Raoul war auch oft zugegen und mit ihm auch so manches Mal sein Freund Emile und seine Verlobte Maud. Nur beim ehemaligen Capitaine Paté, der seit der Verurteilung Maynottes zum Monsieur le Commissarie befördert wurde, fand sie ein wenig Ruhe und Lucille merkt das sich zwischen den beiden Witwern ein zartes Band geknüpft hatte.
 

Seit Tante Carlotta ihren Mann vor sechs Jahren verloren hatte, bestand die lebensfrohe Frau darauf, nachdem sie ihre Lebenslust wieder gefunden hatte, das sie allein und in Frieden weiter leben wolle. Die alleinige Übernahme des Kabaretts war Arbeit genug und damit wollte sie zeigen wie sehr sie ihren Mann geliebt hat, indem sie es erfolgreich weiter führte.

Nur zu Lucille hatte sie eine tiefe Bindung, denn auch sie hatte im Alter von neun Jahren ihre Eltern verloren und lebte fortan bei ihr. Wenn Carlotta sich nicht gerade mit einer alten Freundin traf, genoss sie die Entspannung vor dem heimeligen Kamin.
 

********
 

Lucille zog sich in der Garderobe um, hängte die Flügel über die Schultern der Ankleidepuppe und das weiße, reich bestickte Kleid hängte sie hinter ihren Paravent. In ihrer Alltagskleidung und eingekuschelt in ihrem Mantel schlängelte sie sich an den unzähligen Blumensträußen vorbei, die zusammen eine riesige Blumenwiese ergaben und lief zum Hintereingang, wo Francoeur bereits auf sie wartete.
 

„Brrr, warum willst du heute unbedingt durch die schmutzige Gasse laufen? Gragaga?“, fragte Francoeur und hielt ihr seine behandschuhte Hand hin um ihr die Treppen hinunter zu helfen. Für einen kurzen Moment erschien ein Lächeln in Lucilles ernstes Gesicht. Francoeur war ein richtiger Gentleman. Wenn doch nur Raoul auch so wäre, dachte sie sich enttäuscht.
 

„Ich habe für heute die Schnauze gestrichen voll, ich will keinen mehr sehen. Keine Gäste, keine Etiketten, keine Höflichkeiten, ich will einfach nur noch nach Hause. Oder vielleicht auch nicht“, seufzte sie schwer.
 

Bedrückt senkte Francoeur den Blick. Er konnte Lucille gut verstehen. Seit einem halben Jahr erlebte er jeden Tag aufs neue dieses Theater des realen Lebens zwischen einem Paar. Einem sehr ungleichen Paar. Auch wenn er Raoul mochte, doch empfand er es als eine Schande wie er mit Lucille umsprang. Oder eher das er seine Versprechen nicht einhielt.
 

„Was soll ich nur machen, Francoeur? Wenn er heute wieder nicht sein Versprechen eingehalten hat, dann...“ Den Satz konnte sie nicht beenden, da es ihr schon die Tränen in die Augen trieb.
 

„Denk nicht daran, brrr. Ich bin mir sicher das er heute sein Versprechen gehalten hat“, sagte der große Floh und legte behutsam seine zwei Arme, die unter einem Ärmel versteckt waren um seine Freundin.
 

„Ich hoffe du hast recht.“
 

********
 

„WAS GEHT HIER VOR?“, rief Lucille wutentbrannt. Kaum hatte sie einen Schritt in ihre gemeinsame Wohnung getan, erkannte sie das Unglück.
 

Auch wenn gerade nichts davon zu sehen war, befand sich die Wohnung in einem sehr gepflegten Zustand. Es war einer dieser Neubauten, mit hohen Decken, Flügeltüren und hohen Fenstern, meist zwei in einem Raum. Die Wohnung hatte einen herrlichen Holzboden und ein wenig Stuck in der Mitte der Decke, an der jede von ihnen ein kleiner Kronleuchter herunter hing, mit herrlich geschwungenen Armen.
 

Lucille hatte von dem Geld das sie über die Jahre im Kabarett gesparrt hatte, wovon sie ursprünglich einmal reisen wollte, verwendet um die Wohnung schön herzurichten. Überall standen schicke, moderne Möbel, welche so schön glänzten wie die Oberfläche eines Silbertabletts wenn sie poliert wurden. Mit viel Liebe hatte Lucille hübsche Tapetten aufhängen lassen und während dem gesamten halben Jahr hier und da ein Gemälde aufgehangen, welche sie auf einem Markt oder einem Atelier entdeckt hatte und mit einem golden gestrichenen Rahmen aufgehängt. Die Räume waren recht groß, es gab ein Salon, welcher als Aufenthaltsraum genutz und in dem Gäste empfangen wurden. Eine geräumige Küche mit einem Esstisch, eine Badezimmer, ein Schlafzimmer für Raoul und Lucille, wie auch ein Zimmer für Francoeur. Im Flur gab es eine Klappe an der Decke die man öffnen und eine Leiter herunterziehen konnte. Dort war eine ausklappbare Treppe befestigt, die zu einem unausgebauten Dachboden führte.

In diesem, und nur in diesem, durfte Raoul seine Gerätschaften, Werkzeug und Erfindungen lagern, doch hatte er sich mal wieder nicht daran gehalten. Spuren von Ölflecken waren auf Boden und Möbeln zu sehen, offenbar war Raoul nicht darauf bedacht gewesen, sich die Hände zu waschen, geschweige denn etwas Vorsicht walten zu lassen.

Die Küche sah aus wie ein Schweinestall, das dreckige Geschirr stapelte sich und auf dem Tisch standen viele, für Lucille undefinierbare Metallgegenstände. Mitten im Chaos saß Raoul, bekleidet nur mit einem schmutzigen Hemd, welches auch noch falsch zugeknöpft war und einer langen Unterhose.
 

„BIST DU DES WAHNSINNS?“, schrie Lucille und konnte kaum an sich halten. Am liebsten hätte sie ihn geschlagen und seine Sachen aus dem Fenster geschmissen.
 

„NEIN!.... UND WIESO SCHREIST DU SO?“, schrie Raoul zurück, verständnislos über Lucilles Reaktion.
 

„Ich dachte du würdest dir wieder deine Kunden zurückholen und mit deinem Lieferservice fortfahren?“
 

„Tu ich doch. Aber Catherine ist noch nicht fertig und...“
 

„WIE SIE IST NOCH NICHT FERTIG? Seit Monaten arbeitest du an ihr, ich dachte sie sei fertig, das hast du gesagt.“
 

„Jein, sie ist fertig, aber eben noch nicht ganz.“
 

„Nicht ganz?“, fragte Lucille bedrohlig und trat näher.
 

„Ja. Mir sind noch Verbesserungen eingefallen, die wollte ich...“
 

„VERBESSERUNGEN?“, rief Lucille und schlug ihn mit voller Wucht auf die Wange.
 

„HEY“, rief er empört und drohte mit dem erhobenen Finger, das sie es sich nicht noch einmal erlauben sollte.
 

„WARUM NUR MUSST DU IMMER AN DEINEN DÄMLICHEN ERFINDUNGEN ARBEITEN? KANNST DU NICHT ARBEITEN WIE JEDER ANDERE NORMALE MANN?“
 

„HÖR AUF MICH ANZUSCHREIEN!“
 

„ICH SCHREI SO VIEL ICH WILL. DU BIST HIER IN MEINER WOHNUNG!“
 

Stille.
 

„Oh... so ist das also. Die Prinzessin fühlt sich vom Bettler in ihrem Schloss bedrängt. Na schön...“
 

„Du weißt ganz genau das es so nicht gemeint war“, sagte Lucille ruhig.

Wie so oft sammelten sich bereits die Tränen in ihren Augen. Es tat ihr weh und sie hasste es zu streiten, doch sah sie es nicht ein nachzugeben, auch wenn sie ihn liebte.
 

„Wie war es denn dann gemeint, PRINZESSIN?“
 

„Schon während den drei Monate bei Emile hast du nichts zu Stande gebracht. Du hast eine Erfindung nach der anderen gebaut, doch nichts fand anklang. Alle waren ein Flop...“
 

„MOMENT MAL....“
 

Ein Knall. Wieder hatte sie ihn auf die Wange geschlagen. Nie wollte er zuhören. Nie wollte er mal einen Fehler zugeben, war er auch noch so klein.
 

„Seit einem dreiviertel Jahr hast du keinen richtige Arbeit gehabt. Immer bist du dir zu fein für jeden Aushilfsbeschäftigung und kündigst nach wenigen Wochen. Es bringt zu wenig Geld ein. Du bekommst immer Rückenschmerzen. Der Arbeitgeber hat etwas gegen dich. Immer eine andere Ausrede. Wenn es nicht deine Catherine ist, willst du dich in keinen anderen Transporter setzen. Nicht einmal die Hausarbeit willst du übernehmen, denn schließlich bringt ja der Mann die Brötchen auf den Tisch, doch was wenn er es nicht kann, weil er nichts verdient?“
 

Säuerlich, ja beinahe hasserfüllt blickte Raoul ihr in die Augen. So hatte er sie noch nie angesehen und es fiel ihr schwer, weiterhin standhaft zu bleiben und ihm in die Augen zu sehen.
 

„So denkst du also über mich. Du glaubst das ich ein Versager bin“, sagte er und schüttelte ungläubig den Kopf während er den Blick nicht von ihr lassen konnte.
 

Beschämt drehte Lucille ihr Gesicht weg und legte ihre Hände schützend um ihren Körper. Schlagartig begann sie zu frieren und versuchte die Tränen zu unterdrücken.
 

„Das genügt mir als Antwort“, sagte er und lief schleunigst an ihr vorbei, jedoch nicht ohne hart ihre Schulter zu streifen. Raoul lief ins Schlafzimmer, zog sich eine Hose über, schnappte sich seinen Mantel.

„Dann will ich Eure Hoheit nicht länger stören“, rief er ironisch und schmiss die Tür hinter sich zu. Mit diesem lauten RUMPS war das Gespräch beendet und für Lucille fühlte es sich so an, als wäre es nicht nur das.
 

Nun brach Lucille vollends zusammen. Sie rutschte an einem Küchenschrank hinunter und ließ den Tränen freien Lauf. Sofort trat Francoeur an ihrer Seite, hob sie vom Boden auf, als wöge sie nicht mehr als eine Feder und setzte sie an einen der Stühle des Esstisches. Heulend saß sie da, vorn über gebeugt, das Gesicht in den Händen verborgen.
 

Traurig blickte Francoeur auf sie hinunter. Sein Herz schmerzte bei dem Anblick. Er konnte es nicht ertragen seine Freundin so leiden zu sehen. Er setzte sich auf den Boden um auf ihrer Höhe zu sein, nahm ihre Hände von ihrem Gesicht und blickte sie an.

„Grarr. Er wird wieder kommen“, sagte er und wischte ihre Tränen weg.
 

Eine Grimasse ihrerseits zeigte ihm das sie versucht war ihn anzulächeln, doch gelang es ihr nicht.
 

„Das ist lieb... das du … das sagst, aber... ich bin nicht sicher ob ich das will“, schluchzte sie.
 

Noch ehe Francoeur noch etwas erwidern konnte ließ sie sich nach vorne fallen, schlang die Arme um seinen Hals, so das sein großer Hut herunter fiel und klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihn. Es war keineswegs eine Erleichterung für sie das Raoul fortgegangen war, doch spürte sie seit geraumer Zeit das es für sie beide, so keine Zukunft geben konnte. Sie waren einfach zu unterschiedlich. Zudem gab es wegen ihren Auftritten immer wieder Streit. #
 

Zu Anfang war Raoul noch gern zu jeder ihrer Vorstellungen gekommen, doch schon lange war sein ehemaliger Stammplatz fremd besetzt und ließ er keine Möglichkeit aus zu zeigen das er ihren Erfolg neidete. Immer wieder begann er Streit und kam mit seinen eifersüchtigen Fragen.
 

Wo warst du so lange? Warum bist du nicht direkt nach Hause gekommen? Wer hat dich aufgehalten? Wie heißt er? Selbst die Vorstellung das Lucille einen anderen hätte, war für Raoul nicht unmöglich. Und das verletzte Lucille am meisten.
 

Francoeur legte seine Arme um Lucille und strich ihr liebevoll über den Rücken.
 

„Es wird alles gut, brrr.“
 

Lucille reagierte gar nicht darauf. Doch verständlich wenn sie vor den Trümmern ihres Lebens steht. Ihrer Beziehung. Ihrer Liebe zu ihrer Jugendliebe aus Kindertagen. Noch lange wollte sich Lucille nicht beruhigen, so trug er sie auf ihr Bett und ließ zu das sie sich weiterhin an ihn drückte und seinen schicken Anzug vernässte. Er wollte das sie für ein paar Stunden zur Ruhe kam, doch so half es nichts. Also entschied er sich dazu, einen seiner neuen Kompositionen vorzusingen.
 

Nachts erwachen alle deine Sinne

Träume wachsen, Zweifel halten inne

Frei von Ängsten steigen

Gefühle aus dem Schweigen
 

Francoeur glaubte bereits zu spüren wie sich der verkrampfte Körper Lucilles entspannte und streichelte ihr weiter über den Rücken um ihr zu zeigen, das sie nicht allein war.
 

Fühl den duklen Schleier, der dich streichelt

Fass ihn, spür ihn, wie er dich umschmeichelt

Schütze dein Gesicht

Vor dem grellen Tageslicht

Denk an nichts mehr, was die Seele traurig macht

Und höre nur noch die Musik der Nacht
 

Die Abstände der Schluchzer wurden immer größer und Lucille war nun vollends entspannt und schloss die Augen.
 

Schließ die Augen und gib dich deiner Sehnsucht hin

Flieh weit fort vor dem Zweifel und dem Tag

Schließ die Augen und schweb im Geíst davon

Und verlier dich im Reich der Illusion
 

Leise wird Musik in dir erklingen

Hör sie, lass sie zärtlich dich durchdringen

Lös dich von der Welt

Die dein Herz gefangen hält

Widerstrebe nicht der unbekannten Macht

Den dunklen Drängen der Musik der Nacht
 

Für einige Sekunden war Lucille abgedriftet und wurde nicht mehr von ihrem schmerzenden Herz gequält. Durch das Zucken in ihrem Körper, welches sie manches Mal verspürte wenn sie gerade einschliff wurde sie aufgerüttelt. So rutschte sie an ihm herunter und legte ihren Kopf auf Francoeur's Schoß.
 

Wir reisen in eine and're Wirklichkeit

Wo die Seele sich reinigt und befreit

Lass dich treiben, lass alles hinter dir

Denn erst dann wirst du ein Teil von mir
 

Lucille war eingeschlafen. Vorsichtig legte Francoeur die Decke über ihren Körper.
 

Komm und spür den süßen Rausch des Schwebens

Komm, berühr mich, trink vom Quell des Lebens

Lass den Traum geschehen

Versuche zu verstehen

Durch zärtliche Musik in mir erwacht

Und such mit mir nach der Musik der Nacht
 

Noch eine Weile betrachtete Francoeur die friedlich schlafende Lucille. Seit einiger Zeit betrachtete er sie sehr gerne und liebte es wenn sie lächelte und sie Grübchen bekam. Dann fühlte er sich glücklich und nichts konnte den Tag versauen. Es sei denn es gab wieder Streit mit Raoul und sie wurde traurig oder war wütend.
 

Aber wenn sie alleine waren ging es ihr gut. Wenn sie mit ihm sang oder ihm beim Spielen eines Instrumentes zuhörte strahlte sie hell von Innen heraus und konnte sich nichts mehr anderem widmen. Es war als würde sie sich in einer anderen Welt befinden, die nur sie betreten konnte, ein geheimer Ort.
 

Mit klopfendem Herzen befreite er sich von ihr, legte ihr ein Kissen unter den Kopf und betrachtete sie noch eine Weile. Sie war so schön. Das war ihr erst Wochen nachdem er wieder dank des Tranks des Professors vergrößert wurde aufgefallen. Seitdem hatte sich so einiges verändert. Nicht die Größe war anders, oder fühlte sich anders an, als davor, als er vergrößert war. Körperlich hatte sich nichts geändert. Aber innerlich war alles so kompliziert und unbekannt. Als hätte seine Gefühlswelt zuvor auf ein Löffel gepasst und nun nicht mal eine Vase genug war. Alles war so viel und reichhaltig, durcheinander und auch Schwankungen waren nun Teil seines Alltags.
 

Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, löschte das Licht und ging zur Tür. Einmal noch drehte er sich zu ihr um, ehe er die Tür schloss. Diese Nacht würde er noch lange wachen, denn ihm war gerade ein neues Lied in den Sinn gekommen. Ein ganz besonderes. Eines für Lucille.
 

Fortsetzung folgt . . .

Die, in der eine Rose ein Lichtblick ist und doch verwelkt

Kapitel 2 – Die, in der eine Rose ein Lichtblick ist und doch verwelkt
 

Lucille kniff die Augen zusammen und drehte sich von der Sonne weg. Aber dennoch war es mit dem Schlaf vorbei, sie konnte kein Auge mehr zu machen. Auch fühlte sie sich nach dem festen, traumlosen Schlaf sehr erholt, da vermag sie auch kein Kissen auf dem Gesicht zum Schlafen zu bringen. Stöhnend setzte sie sich auf, und sobald sie richtig wach war kam der elende Schmerz zurück und die Erinnerung an letzte Nacht. Sogleich wurde ihr das Herz schwer und Tränen stiegen wieder in die Augen. Neben sich entdeckte sie ein Tablett, mit einer Rose in einer kleinen Vase, einem Croissant, ein Stück Butter und ein kleines Gläschen mit Marmelade.
 

Plötzlich war Geklirre in der Küche zu hören. Ob Raoul wieder da war und er sich entschuldigen wollte?
 

Hastig stand Lucille auf, nicht darauf achtend, das sie noch ihr Kleid vom Vorabend anhatte. Ihr Herz klopfte laut in ihrer Brust und ein Lächeln zauberte sich in ihr Gesicht. Sie rannte in die Küche, öffnete die Tür und....
 

entdeckte Francoeur. Er war gerade dabei den riesigen Berg an Geschirr abzuwaschen. Jedes seiner vier Armpaare hatte etwas zu tun. Die unteren wuschen das Geschirr, das obere trocknete es sogleich ab.
 

„Rrrrr, Bonjour Lucille“, sagte er und lächelte sie aufmunternd an.
 

Enttäuscht sanken Lucille's Schultern, sie lehnte sich an den Türrahmen und rieb mit ihren Händen an ihren Armen. Es war so kalt.
 

„War Raoul hier?“, fragte sie hoffnungsvoll, doch schüttelte Francoeur nur traurig den Kopf.
 

Es war schwer für den großen Floh seine Freundin so zu sehen, doch innerlich war er froh das Raoul nicht gekommen war, denn er wusste das der Streit nur weiter gegangen wäre, und das hätte Lucille noch mehr verletzt als sowieso schon.
 

„Warte, ich helfe dir, du musst nicht alles allein machen“, nuschelte Lucille unglücklich und nahm bereits einen Eimer aus dem Schrank.
 

„Nein. Graa, lass mich das machen Lucille. Du hast noch nicht einmal gefrühstückt und sie dich an. Nimm doch ein entspannendes Bad. Brr.“
 

„Ich hab keinen Hunger, und ich kann dich das nicht allein machen lassen, sonst hab ich so ein schlechtes Gefühl. Danach kann ich immer noch baden.“
 

Francoeur ließ sie gewehren. Er wusste das es nichts brachte auf sie einzureden, sie würde ja doch ihren Sturkopf durchsetzen und wenn sie so drauf war befürchtete er das sie auch noch mit ihm stritt.

Lustlos griff Lucille nach der Gallseife und einem Lappen. Sie füllte den Eimer mit Wasser, machte den Lappen feucht, rieb ordentlich die Seife daran und begann die Ölflecken weg zu scheuern. Schon nach kurzer Zeit bemerkte sie das sie schon sehr eingetrocknet waren und holte eine Bürste heraus.

Nach einer halben Stunde hatte sie die größten Flecken bereits entfernt ohne den Boden zu sehr zerkratzen zu müssen. Der Schweiß trat ihr auf die Stirn, es war sehr anstrengend und das Kleid war eng und schnürte sie förmlich ein. Sie war so sauer auf Raoul das er ihr das antat, das er einfach verschwand und nicht einmal wieder kam um sich zu entschuldigen. Doch selbst wenn er es täte, es würde nichts ändern, dachte sie säuerlich.

„Dieser widerliche Mistkerl, dieser Prolet. Dieser Taugenichts. Wenn er sich auch nur in meine Nähe wagt werde ich ihm mal zeigen wo der Hammer hängt. Dieser Möchtegern-Erfinder, dieses miese kleine....“, nuschelte sie wütend vor sich hin. Unterdessen klopfte sie bereits mit der Bürste hart auf den Boden um ihrer Wut freien Lauf zu lassen. Wut über Raoul, die Wut über sich selbst und vor allem Wut über diesen verfluchten Fleck den dieser Taugenichts verursacht hatte und sich einfach nicht weg schrubben lassen wollte. Tränen rannen ihr Gesicht hinunter, sank vollends hinunter auf den Boden und hämmerte weiter auf den Boden ein.

„Dieses Schwein....“
 

„Lucille“, rief Francoeur besorgt aus. Er stand hinter ihr, kniete sich und ergriff ihre Hand mit seiner um sie daran zu hindern noch eine großer Kerbe in den Holzboden zu rammen und sich womöglich noch zu verletzten. Er nahm Lucille bei den Schultern und sie ließ es geschehen. Sie lehnte sich an ihn und weinte weiter während sie sich an seine rechten Arme klammerte und sich an ihn drückte. Mit den anderen Armen streichelte er über Kopf und Rücken um ihr Trost zu schenken.
 

Francoeur wusste nicht wie lange sie so auf dem Boden saßen, doch setzte Lucille sich plötzlich auf und wandte ihr Gesicht zu ihm. Ihre glänzenden grünen Augen sahen ihn entschuldigend an.

„Es tut mir leid, ich bin nur so...“

„Traurig?“

„Ja, aber auch sehr wütend...“

„Er kommt bestimmt bald zurück. Er wird bei Emile sitzen, sich beschweren und es wird nicht mehr lange dauern bis er dich vermisst und zurück kommt“, sagte Francoeur aufmunternd.
 

Für einen Moment dachte Lucille darüber nach. Francoeur hatte sicherlich recht, denn bis jetzt war es jedes Mal so gelaufen. Emile war Filmvorführer im Kino von Montmartre und langjähriger Freund von Raoul. Er war dabei als das Francoeur im Botanischen Garten aus Versehen auf zwei Meter Höhe gewachsen war und hatte zuvor noch versucht das Raoul die Finger von ließ Lucille war in dem Fall dankbar das Raoul nicht darauf gehört hatte. Denn sonst hätte sie ihren guten Freund Francoeur nicht.

Das Raoul nun aber schon wieder bei Emile saß machte sie noch wütender. Emile hatte letztes Jahr seine Kollegin Maud endlich um ein Rendevous gebeten und waren im Kampf gegen Maylott dabei gewesen, Maud eher unfreiwillig. Die Beiden hatten sich prompt verlobt, liebten sie sich doch schon seit zwei Jahren, nur hatte Emile sich nie getraut sie zu fragen. Nun würden sie in ein paar Monaten heiraten und waren mit den Vorbereitungen beschäftigt.

Von Maud wusste sie das sie viel zu tun hatten, auch die Arbeit konnte nicht einfach vernachlässigt werden und nun kam Raoul daher, saß bei ihnen herum und machte ihnen noch Angst, das die Ehe nicht so toll sein würde wie sie es sich vorstellten. Als wenn er wüsste wie das ist, dachte sie sauer.
 

„Francoeur, würdest du mir helfen Raouls Sachen alle auf den Dachboden zu bringen?“
 

„Brrr?“
 

„Ich glaube es wäre besser wenn....“

Lucille konnte den Satz nicht beenden. Die Erkenntnis über ihre gescheiterte Beziehung mit dem Menschen, den sie seit Kindertagen zu lieben glaubte, brach ihr schier das Herz.
 

„Lucille, was..?“
 

„Weißt du Francoeur, du bist mein bester Freund und ich erzähle dir alles, aber... seit einigen Wochen spüre ich schon das es nicht mehr lange gut gehen kann, mit uns zwei. Es ist nicht so das ich ihn nicht liebe, aber so manches Mal schon habe ich mir gewünscht er wäre einfach weg und wir hätten unsere Ruhe vor ihm. Einmal schon als wir vor drei Monaten einen ganz großen Streit hatten, hatte ich das Gefühl als wenn er nicht hierher gehören würde... als wäre er ein ungebetener Gast den man aushalten müsse... verstehst du? Wie ein Fremdkörper. Damals hatte ich schon mit den Gedanken gespielt ihn zu verlassen, doch... glaubte ich an meine große Liebe zu ihm und das wir es schaffen würden, da jede Beziehung zu Anfang schwer ist wenn man zusammenwohnt. Aber jetzt befürchte ich... das...“

Lucille wischte sich die Tränen weg. Es fiel ihr schwer das Urteil auszusprechen.
 

„Das... meine Liebe nicht so groß ist wie ich gedacht hatte. Wir lieben uns seit unserer Kindheit, ich hatte nie einen anderen gehabt, und dachte es wäre etwas Besonderes... aber das ist es wohl nicht“, schluchzte sie und stürmte zurück in Francoeurs Arme.
 

Francoeur umfing sie mit seinen Armen und streichelte sie. Ein Lächeln musste er sich verkneifen, denn obwohl er ihr alles Glück der Welt wünschte, war er doch froh das Raoul nun fort war. Das er seine Lucille für sich allein hatte. Niemals hätte er sich eingebildet das diese schöne Frau, überhaupt ein Mensch sich jemals einlassen würde. Denn schließlich war er und ist es noch, das Monster von Paris.

Ein monströser Floh dessen Stimme von jedem Pariser geliebt, aber sein Aussehen gefürchtet. Ohne entsprechender Kleidung konnte er nicht einmal aus dem Haus, denn niemand sollte ihn mit dem Monster vom letzten Jahr in Verbindung bringen können. Nur die wenigsten wussten wer oder was er war. Daher waren Schal, Hut und Handschuhe an der Tagesordnung und es war schwierig im letzten Sommer wo es so warm war, entsprechende Kleidung zu finden damit ihn die Leute nicht als sonderbar hielten.
 

„Ich glaube wir sollten anfangen“, sagte Lucille und löste sich aus seiner Umarmung. „Würdest du bitte die schweren Bauteile auf den Dachboden tragen?“
 

„Natürlich“, sagte er und sah ihr nach.
 

Mit hängenden Schultern ging Lucille ins Schlafzimmer und öffnete die Schranktüren des Kleiderschranks. Glücklicherweise hatte Raoul nicht so viele Kleider. Sie holte einen Koffer unter dem Bett hervor und legte diesen geöffnet aufs Bett. Bittere Tränen rannen ihr herunter und nach und nach schmiss die die Kleider in den Koffer hinein. Bei einem weißen Hemd hielt sie inne. Dieses hatte Raoul getragen als er ihr den Heiratsantrag gemacht hatte. Sie waren das erste Mal nach der großen Aufregung als Kommissar Maynott jagd nach Francoeur gemacht hatte, in ein Restaurant gegangen einige Stunden für sich zu haben. Mit einem Schluchzer drückte sie das Hemd an sich und roch daran. Traurig setzte sie sich aufs Bett und verzweifelte.
 

Wochenlang hatte sie gehofft diesen Schritt nicht gehen zu müssen. Doch nun war der furchtbare Moment eingetreten und obwohl es ihr schwer fiel war sie doch froh wenn sie es hinter sich gebracht hatte. Weiter nahm sie Raouls Kleider aus dem Schrank und packte den Koffer voll. Sie sah sich noch weiter um und abgesehen von Unterwäsche in der Schublade der Kommode war schon nichts mehr von ihm zu finden.
 

Die letzten Socken aus der Schublade nehmend, fiel ihr das schwarzweiß Foto welches in einem schönen Rahmen steckte, ins Auge. Sie hatten es direkt nach dem Heiratsantrag machen lassen um den schönen Moment für immer festzuhalten. Lucille spielte mit dem Gedanken und dieses wegzupacken, doch brachte sie es nicht übers Herz.
 

„Lucille, rrrr?“, steckte Francoeur den Kopf in die Tür.

„Hach, ich bin fertig, Francoeur. Würdest du mir bitte auch den Koffer auf den Dachboden bringen? Ich will nichts mehr von ihm in der Wohnung finden.“

Still ging Francoeur ins Schlafzimmer hinein, griff nach dem Koffer und war auch gleich aus dem Zimmer verschwunden.
 

Stumm betrachtete Lucille ihre Hand. An ihrem Ringfinger glänzte ihr Verlobungsring. Er war schlicht und hatte einen kleinen Stein in der Mitte. Raoul hatte diesen von seiner Belohnung gekauft, welche er zur Rettung von Francoeur vom jetzigen Kommissar bekommen hatte. Sie zog schon daran und wollte ihn abnehmen, doch das schmerzte noch mehr als bei dem Bild. Lucille beschloss den letzten Schritt noch hinaus zu zögern. Raouls Sachen waren gepackt und aus der Wohnung entfernt worden. Das musste für heute reichen.
 

********
 

Drei Tage später war es dann soweit. Es klingelte an der Tür und als Lucille öffnete stand nicht nur Emile, sondern auch Raoul vor ihr. Sogleich verzog sie wütend das Gesicht und verschränkte die Arme.

„Was willst DU denn hier?“, sagte sie. Vor zwei Tagen hätte sie sich noch gefreut ihn zu sehen und hätte an eine Versöhnung geglaubt, doch nachdem er sich einfach tagelang feige verdrückt hatte, war daran nicht mehr zu denken.

„....äh....“, kam es nur von Raoul und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

„Was Raoul sagen will ist, das es ihm leid tut und er mit dir reden will“, sagte Emile und schubbste seinen Freund vor Lucille.

Diese ging einen Schritt zurück und ließ Lucille gar nicht zu Wort kommen.
 

„Ich wüsste nicht worüber wir reden sollten, er darf gleich wieder umkehren. Kann ich sonst noch etwas tun Emile?“, fragte sie zuckersüß während sie Raoul hasserfüllt ansah.
 

„Äh... na ja. Du weißt ja das Maud und ich sehr beschäftigt sind, mit den Hochzeitsvorbereitungen und alles... und Raoul ist da nicht so eine große Hilfe. Maud hat mich gebeten ihn hierher zu bringen, damit ihr reden könnt. … Aber... ich geh dann mal weiter, ich will nicht länger stören. Maud würde sich gerne mit dir treffen um mit dir über das Lied das du und Francoeur singen sollt zu sprechen. Vielleicht meldest du dich demnächst mal, damit ihr darüber reden könnt. Ich geh dann mal weiter, Maud erwartet mich“, sagte Emile und dampfte sogleich wieder ab.
 

Eilig lief Emile die Treppen hinunter. Es war ihm nach einem Jahr und einigen Streitereien zwischen Lucille und Raoul noch immer unangenehm und war froh wieder schnell verschwinden zu können. Als die schwere Haustür hinter ihm zuflog richtete Lucille das Wort an ihn.
 

„Du warst mal wieder tagelang bei Emile? Du weißt genau das er wichtigere Dinge zu tun hat“, schimpfte sie.

„Wo hätte ich denn hin sollen? Soll ich auf der Straße leben?“

„Wo hast du denn vor unserer Beziehung gelebt?“, sagte Lucille neunmalklug.

„Ach so ist das, ich soll im Auto wohnen, ja ganz toll. Warum stellst du mich nicht gleich unter die Brücke.“

„Zuvor hatte es dir auch keinen Zacken aus der Krone gebrochen bei deiner CATHERINE zu schlafen“, spukte Lucille den Namen des Lieferwagens förmlich aus.

„BITTE, da haben wir es wieder. Die kleine Prinzessin fühlt sich mir überlegen, nur weil sie sich mit ihrem Gequake diese Buchte leisten kann.“

„Mit meinem Gequake? Ich bringe wenigstens Geld nach Hause und im übrigen spricht es sich in Paris mehr und mehr herum, alle wollen mich und Francoeur singen hören.“

„Herumsprechen? Wer soll denn schon in diese olle Kaschemme reingehen? Hier in Montmartre die alten Knacker vielleicht, weil sie für eine richtige Show nicht mehr weit fahren können, Schneckchen, aber kein Pariser würde selbst kostenlos dort nicht hinein wollen“, fauchte Raoul zurück.

„Nenn mich nicht SCHNECKCHEN!“

„Hör zu Schneckchen, wenn du unbedingt als alte Jungfer sterben willst, mach nur so weiter.“

„Sonst?“, fragte Lucille unbeeindruckt.
 

Schnell waren sie wieder in ihre alten Muster verfallen, schrien sich an und versuchten den anderen auf den einen oder anderen Weg dazu zu bewegen, wieder angekrochen zu kommen.
 

„Sonst wirst du schon noch sehen was du davon hast“, drohte Raoul mäßig.
 

„Ja? Was denn?“, fragte Lucille provozierend.
 

So langsam merkte Raoul das sich alles in eine völlig andere Wendung drehte als er sich erhofft hatte. Lucille war sehr selbstbewusst und auch stur, doch in Gegensatz zu ihm versuchte sie normalerweise einzulenken um den Streit nicht eskalieren zu lassen. Denn sie hasste Streit wie die Pest. Seit sie ihre Eltern und auch ihren Onkel verloren hatte, war sie der festen Überzeugung das man nicht zu viel Zeit mit Streit verplempern sollte.
 

Nun war es Raoul der es so langsam mit der Angst zu tun bekam und versuchte nun seinerseits einzulenken.
 

„Na ja, das war vielleicht ein wenig zu hart, ich meinte eher... wollen wir nicht lieber drinnen sprechen? Hier draußen fühle ich mich so beobachtet“, sagte er und lugte einen Moment zur Tür hinter sich, hinter der er bereits eine schwere Atmung zu hören vermeinte.

„Oh nein mein SCHATZ, dieses Mal nicht“, sagte Lucille und rief nach Francoeur.
 

Verwirrt sah Raoul den großen Floh an, der herbei kam, natürlich mit Schal und Hut bedeckt und stellte ihm bestimmt seinen Koffer vor die Füße.
 

„Was?... aber...“, stammelte Raoul. „Komm schon Süße, das kannst du doch nicht....“, versuchte er es und legte seine Hand auf ihre Schulter. Lucille schlug sie sogleich weg und sah ihn finster an.

Als Raoul merkte das er bei ihr auf taube Ohren stieß wandte er sich an seinen großen Freund.
 

„Francoeur, sag doch was, ich....“
 

Doch Francoeur gab nur ein merkwürdiges Brummen von sich, welches tief von seiner Kehle kam und Raoul einem Schauer über den Rücken jagte. Zusätzlich klapperten Francoeurs Mundwerkzeug, womit er sich normalerweise Löcher in die Haut von Fell bedeckten Tieren bohrte um an das Blut zu kommen, unangenehm aufeinander. Diese hatte er schon lange nicht mehr benutzt, denn alle zwei Monate bekam er vom Professor des Botanischen Gartens eine ordentliche Blutkonserve von der er mit einem Strohhalm trinken konnte. Für zwischendurch gab es hier und da mal eine kleine zum Mitnehmen, doch hatte er durch gewohnte Reflexe schon so manche kaputt gebissen und Flecken auf Tante Carlottas Teppiche verursacht. Seitdem war das Essen in ihrer Wohnung verboten.
 

„Francoeur was....“
 

Mehr brachte Raoul nicht heraus. Er begriff das Lucille sauer auf ihn war, wie so oft, aber das sich nun auch sein Freund gegen ihn stellte war unbegreiflich, vor allem auf so eine aggressive Art und Weise. Er wusste das Francoeur zwar ein Riese, aber ein sanftes Wesen hatte, doch so hatte er ihn noch nie erlebt und wollte eine womöglich blutige Auseinandersetzung vermeiden. So schnappte er sich eilig seinen Koffer und rannte hastig hinunter.
 

Lucille sah ihm nach, schloss dann die Tür hinter sich und lehnte sich an dieser. Wie aus dem Nichts rutschte sie diese hinunter, schlang die Arme um ihre Knie, legte ihren Kopf auf diese und weinte klagend wie ein Schlosshund. Diese wenigen Minuten waren die schwerste schauspielerischste Herausforderung die sie je hatte.
 

Sogleich kniete Francoeur sich vor ihr und zog sie in seine Arme. Sie krallte sich an ihn und ließ allen Kummer hinaus. Er hob sie hoch als wöge sie nur so viel wie eine Feder und setzte sich mit ihr auf die Couch. Mit ihrem Gesäß zwischen seine Schenkel sitzend klammerte sie sich noch immer an ihn als befürchtete sie, er könnte fortgehen.
 

„Er wird sich bestimmt bemühen, du wirst sehen“, versuchte Francoeur sie zu beruhigen.
 

„Nein... Das ist lieb von dir Francoeur, aber wir wissen beide dass das ein Traum bleibt. Er soll nie wieder kommen... Es ist vorbei“, schluchzte sie.
 

Francoeur drückte sie fest an sich. Er wollte sich freuen, denn bald würde es Lucille besser gehen, wenn sie es erst einmal überwunden hatte und würde sich mehr auf ihre Karriere konzentrieren können.
 

„Endgültig“, hauchte Lucille.
 

Seit Wochen waren sie dabei ihre Stimme mehr auszubauen, denn er hatte gemerkt das mehr in ihr steckte, nachdem sie einmal bei einer Probe so losgelöst und entspannt war, das sie ihrer Kehle noch hellere und feinere Töne entlocken konnte.

Lucille war eine junge Frau deren Körper klein, zierlich und gebrechlich erscheinen mag. Doch ihr Herz war stark und ihre Lungen geübt. Mit einer frühzeitigen Musikausbildung in der Opéra Garnier hätte sie vielleicht schon zu einer Diva de l'Opéra heranwachsen können.

Es war schade um sie, denn sie hätte eine grandiose Karriere machen können, doch nun konnten sie alles nachholen. Auch freute er sich, Lucille nun für sich allein haben zu können, auch wenn es nie auf diese Art sein würde, die er gerne hätte.
 

Fortsetzung folgt . . .

Die, in der die Stimme zurückkehrt und der Fuchs sein Leid klagt

Kapitel 3: Die, in der die Stimme zurückkehrt und der Fuchs sein Leid klagt
 

April 1911:

Die letzten Wochen waren für Lucille sehr hart gewesen, so sehr, das die Show schon darunter leiden musste. Es war nicht möglich gewesen mit Lucille neue Lieder einzustudieren, vor allem da sie stimmlich anspruchsvoller waren und sie in diesem Zustand keinen dieser wohlklingenden Töne heraus. Zunächst war es so schlimm das Francoeur beschloss sie abzulenken und eine Pause einzulegen. Weder das Cabaret noch Lucille selbst hätten etwas von ihrem Krächzen. So hatten noch mehr Künstler die Chance ihr Können im Cabaret L'Oiseau Rare unter Beweis zu stellen. Auch offiziell war Lucille Frémir und ihr Partner Monsieur Francoeur auf eine Londonreise um sich zu erholen und um sich musikalisch inspirieren zu lassen.
 

Nachdem Lucille einen Monat lang sich in ihrer Wohnung verkrochen hatte, sie hätte auf der Straße ja auf Raoul stoßen können, war Francoeur so besorgt um sie, da er seine starke Freundin noch nie so gesehen hatte. Innerhalb von Tagen war die Reise geplant und er entführte sie förmlich vom Festland auf die große Insel.
 

Tag um Tag hatte es besser um Lucille gestanden. Sie genoß die große, fremde Stadt mit ihren herrlichen Palästen und den Königen. Auch die alten Bautwerke faszinierten Lucille. Ein jedes wurde besucht und ausgiebig erkundet und betrachtet.
 

Der Tower von London, das Kerngebäude der Festung, ein errichteter Komplex aus dem Mittelalter.

Die Tower Bridge, das Wahrzeichen von London und über die Themse verläuft.

Das Palace of Westminster, Big Ben, alles musste mehrmals bestaunt werden.

Auch das Buckingham Palace durfte nicht fehlen. Jeden Tag waren sie woanders hingegangen und konnten sogar für einen kurzen Moment einen Blick auf den Prinzen Albert Frederick Arthur George erhaschen. Er war gerade sechzehn Jahre alt geworden und würde einmal König des Vereinigten Königreichs von Großbritannien werden.
 

Die letzten zwei Wochen war Lucille so ausgelassen das Francoeur schon glaubte das sie sich nicht einmal mehr an den Namen Raoul erinnern würde. Auch war sie wieder bereit zu singen und nun standen sie seit zwei Stunden in seinem Zimmer und übten Lied, welches er extra für sie komponiert hatte, ein. Ihre Stimme die er schon seit Wochen nicht gehört hatte, war herrlich rein und sie hatte keine Schwierigkeiten die Töne zu treffen. Es war als sprach das Lied ihr aus der Seele, so wie er es sich erhofft hatte.
 

Ah! Unverkennbar! Nirgends duftet der Frühling so herrlich wie hier in Frankreich.

Wie habe ich es vermisst.

Goodbye, England, bonjour, ma douce France.

Ich bin wieder da und ergreif meine Chance.

Die Wochen meiner Wanderschaft

verliehn mir neue Kraft.

Lang war ich versöhnungsbereit.

Das ist vorbei!

Das ist vorbei!
 

Wie der Phönix ersteh ich neu

und steige hoch empor.

Die alten Wege geh ich neu, stärker als zuvor.

Und ich spreize mein Gefieder und ich blicke stolz umher.

Und ich duck mich nie mehr wieder,

nein, nie mehr, nie mehr, nie mehr, nie mehr, nie mehr!

Ich bin zurück!

Ich bin zurück!
 

Ich war verletzt und auch gekränkt,

bedrängt aus meinem Vaterland.

Nun hab ich das Versteckspiel satt,

mich setzt man nicht schachmatt!

Gelitten hab ich lang genug,

die Dame ist am Zug!
 

Wie der Phönix ersteh ich neu

und steige hoch empor.

Die alten Wege geh ich neu, stolzer als zuvor.

In der Luft ein Duft von Flieder,

legt sich um mich süß und schwer.

Noch mal stößt mich keiner nieder,

nein, nie mehr, nie mehr, nie mehr, nie mehr, nie mehr!
 

Ich bin zurück!

Ich bin zurück!

Ich bin zurück!
 

Lucille ließ es sacht ausklingen und genoss für einen Moment noch das berauschende Gefühl, welches das Lied in sie hervorbrachte. Francoeur saß am Klavier und lächelte sie an. Es war schön sie so zu sehen.
 

„Das Lied ist fantastisch Francoeur, und so passend“, lächelte sie und umarmte sie von hinten.
 

„Das habe ich mir gedacht, brrr.“
 

„Oh Francoeur ich bin so froh darüber das wir in London waren, schon lange wollte ich einmal reisen und nun war es auch noch so weit weg und in diese wunderschöne Stadt. Eigentlich sollte ich von der Reise noch sehr erschöpft sein, aber ich könnte Bäume ausreißen, mir geht es richtig gut. Und das obwohl wir erst gestern zurück gekommen sind. Ich glaube ich kündige uns für morgen Abend bei Tante an. Oder was meinst du?“
 

„Ich würde mich freuen wieder einmal mit dir aufzutreten. Vor allem nachdem deine Stimme einem Singvogel gleicht“, lächelte er.
 

Lächelnd sah sie ihn an und strich über seinen Kopf mit dem glänzenden, feinem Fell. Sie streichelte ihm gerne über den Kopf, das hatte sie sich in London angewöhnt, es hatte etwas beruhigendes und das Fell fühlte sich so herrlich weich an.
 

„Komm, wir ziehen uns an und besuchen Tante, sie hat uns schon lange nicht mehr gesehen.“
 

********
 

Kaum hatte Francoeur Lucille die große Tür ins Cabaret L'Oiseau Rare geöffnet, war auch schon ein schrille schreckliche Stimme zu hören. Auf der Bühne stand ein junge Frau mit blonden Haaren und versuchte sich an einem hohen C. Vor Schreck hielt sich Francoeur seine behandschuhten Hände an die Ohren. Es war zu viel des Guten für sein empfindliches Gehör. Lucille trat näher und gesellte sich zu ihrer Tante, die am vordersten Tisch saß und die Künstler nach und nach vortreten ließ.
 

Als dieser blonde Engel mit der Stimme einer kaputten Autohupe geendet hatte, wandte sich Madame Carlotta versöhnlich an sie.

„Das war... nett, meine Liebe. Doch fürchte ich das … dein Stil, nicht wirklich zum L'Oiseau Rare passt. Deine Stimme ist so originell. Vielleicht, solltest du es wo anders versuchen. Irgendwo, wo man gebührende Verwendung findet, für deine Stimme“, sagte Carlotta und wirkte nur wenig überzeugend.
 

„Ich gebe Ihnen so recht“, schnatterte der hochnäsige Engel,“hier habe ich nichts verloren, ich sollte in die Oper.“ Hoch erhobenen Hauptes stampfte sie davon und kuschelte sich in ihrem falschen Pelzmantel.
 

„Bonjour Tante“, sagte Lucille. „Aaaah, Lucille, wie schön dich zu sehen. Hast du dich von deiner Reise gut erholt, du musst mir unbedingt ALLES von London erzählen, Liebes.“
 

„Das werde ich, aber sag mir wie es dir geh und wie es im L'Oiseau Rare läuft.“
 

„Schrecklich Liebes. Es gibt schon ein paar Talentierte junge Menschen. Die einen erzählen lustige Geschichten, die anderen verruchte Witze, aber niemand kann euch musikalisch ersetzen. Und das ist das, was das Publikum will. Jeden Abend schrien sie nach euch, es war traurig. Ein älterer Herr war so verrückt das er Geld dafür bieten wollte, damit du auftrittst Liebes, er wollte nicht verstehen das du wirklich nur eine Pause machst. Ich habe ihm gesagt, es tut mir leid Monsieur, aber meine Lucille wird dann auftreten wenn sie dazu wieder in der Lage ist, egal wie lange es dauert.“
 

„Wir wollen morgen Abend wieder auftreten“, sagte Lucille gerade heraus.
 

„GOTT SEIS GEDANKT!“, rief Carlotta fröhlich aus und drückte Lucille in ihre Arme. „Ich dachte schon es ginge bergab und das L'Oiseau Rare würde an Ansehen verlieren. Aber bist du dir sicher Kleines?“, fragte Carlotta vorsichtig nach. Sie wollte es nicht riskieren sich zu früh gefreut zu haben.
 

„Ja Tante, Francoeur und ich haben bereits ein paar Lieder einstudiert, sie werden dir gefallen. Oh sie sind so herrlich, sie sind wie für mich gemacht.“
 

„JEAN, HÄNG DAS PLAKAT MIT LUCILLE UND FRANCOEUR AN DIE TÜR UND AN DEN LATERNEN DER GEGEND. Das ist schön Liebes. Und geht es dir auch wirklich besser?“, fragte Carlotta nachdem sie ihren neuen Kellner, der nach Albert letztes Jahr ins L'Oiseau Rare gefunden hatte, seine Aufgabe zugerufen hatte. In Gegensatz zu Albert war Jean sehr fleißig und gewissenhaft und nörgelte nicht ständig bei jeder ihm zugetragene Aufgabe herum 'warum ich?'.
 

„Ja natürlich“, erwiderte Lucille ehrlich.
 

„Ich meine nach der Sache mit Raoul und ihr wart doch verlobt....“
 

„Es geht mir gut, Tante.“
 

„Schließlich war er auch deine große Liebe, er war so ein netter Junge...“
 

„Hach, Tante, mir geht es wirklich....“
 

„Er war hier!“, platzte es aus Madame Carlotta heraus.
 

„WAS?“, fragte Lucille erstaunt. Für einen Moment blieb die Zeit stehen und auch ihr Herz setzte einen Schlag aus. Ihr Herz schlug wild in der Brust, das Blut rauschte in ihren Ohren und sie hatte das Gefühl nicht mehr richtig atmen zu können. Es kam ihr so vor, als spüre sie Raouls Blick auf sich und sah sich erschrocken um.
 

Das Erschreckende war nicht das es sie überrumpelte und vor lauter Aufregung auf eine Versöhnung hoffte. Sondern das sie nicht wirklich den Wunsch in sich trug ihn zu begegnen. Es war keinesfalls so das sie ihren Kummer vollends überwunden hatte, doch war alles in letzter Zeit so gut verlaufen und ihr war es so gut ergangen, das der Gedanke, dass er wieder in ihrem Leben treten würde, nicht so recht hinein passen wollte.
 

Auch Francoeur war die Sache sehr unbehaglich und beobachtete den Gefühlskampf seiner Freundin in ihren Augen. Er hoffte das Lucille nicht wieder nachgeben würde, auch wenn er ihr nur das Beste wünschte. War Raoul denn das Beste für sie? Nur für wenige Monate hatte dieser Lucille glücklich gemacht, ehe die ständigen Streitereien folgten.
 

„Wann war er hier?“, fragte Lucille starr vor sich hinblickend, tief in Gedanken versunken.
 

„Oh, erst vor einigen Tagen. Er kam jede Woche, ich konnte ihm ja nicht wirklich sagen wann du denn nun zurückkehrst, Liebes.“
 

Francoeur konnte sehen wie es in Lucille arbeitete. Dieser Moment war der längste seines Lebens, so glaubte er. War die gemeinsame Zeit nun schon vorbei?
 

„Wenn er morgen Abend kommt, und das wird er ganz sicher. Dann schick ihn bitte zu mir in die Garderobe, nach der Show.“
 

Schmerz! Es traf Francoeur tief in die Brust, er fasste sich an diese und glaubte durch den heftigen Schwindel in seinem Kopf nicht loswerden zu können, nachdem sein Herz einen Schlag ausgesetzt hatte.

Ehe einer was bemerkte, fasste er sich wieder. Er hatte gewusst das die schöne Zeit nicht ewig anhalten würde.
 

********
 

Der Abend war schnell gekommen und nun trat Lucille in ihrem strahlend weißen Kleid, mit den Engelsflügeln auf der Bühne und wurde gefeiert, ohne auch nur einen Ton von sich gegeben zu haben. Das L'Oiseau Rare war voll, schnell hatte sich die Nachricht verbreitet, wie ein Lauffeuer. Viele Gäste waren gekommen, ausnahmsweise hatte zur Feier des Tages Madame Carlotta so viele hineingelassen wie rein wollten, auch wenn die Tische längst nicht ausreichten und Einige an den Rändern stehen mussten.
 

Nach einigen Minuten des Beifalls verstummte das Publikum und Francoeur, der im Orchester saß begann zu spielen. Heute würde es zwei neue Lieder zu hören geben, nicht nur das welches Lucille so berauschende Gefühle hervorlockte und sie fühlen ließ wie einen Phönix, sondern auch eine andere neue Komposition Francoeur's. Nachdem sie das eine gesungen und die Gäste fömrlich ausgeflippt sind, ertönte die Melodie zum Nächsten.

Zaghaft begann Lucille zu singen. Stille herrschte im Saal und gebannt lauschte ihr das Publikum.
 

Ich will nicht gehorsam,

gezähmt und gezogen sein.

Ich will nicht bescheiden,

geliebt und betrogen sein.
 

Ich bin nicht das Eigentum von dir,

denn ich gehör nur mir.
 

Ich möchte vom Drahtseil herabsehen auf diese Welt,

ich möchte aufs Eis geh'n

und selbst sehen wie lang's mich hält.

Was geht es dich an was ich riskier?

Ich gehör nur mir
 

Nun sang Lucille energischer und bestimmter. Währenddessen sah im Saal um. Auf der Suche nach ihm. Schließlich war es nur für ihn bestimmt.
 

Willst du mich belehren,

dann zwingst du mich bloß

zu fliehen von der lästigen Pflicht.
 

Willst du mich bekehren,

dann reiß ich mich los

und flieg wie ein Vogel ins Licht!
 

Und will ich die Sterne,

dann finde ich selbst dorthin.

Ich wachse und lerne,

und bleibe doch wie ich bin.
 

Nun stieg ihre Stimme an und zeigte einen kleinen Teil von dem was sie nun konnte.
 

Ich wehr mich bevor ich mich verlier,

denn ich gehör nur mir.
 

Francoeur begann nun seinen Solo zu spielen, doch dieses Mal nicht auf der Gitarre, sondern auf der Geige, die er vor Kurzem für sich in London entdeckt hatte.
 

Ich will nicht mit Fragen und Wünschen belastet sein,

vom Saum bis zum Kragen von blicken betastet sein.

Ich flieh wenn ich fremde Augen spür,

denn ich gehör nur mir.
 

Dort stand er. Raoul. Wie viele andere stand er in einer Ecke und konnte nicht die Augen von ihr lassen. Die Augen strahlten vor Freude und auch vor Sorge und Angst. Eine weitere Nuance stieg Lucille Stimme an. Selbstbewusst stand sie da, wie eine Königin vor ihrem Volk und sang. Sang nur für ihn. Sah ihm selbstsicher in die Augen.
 

Und willst du mich finden,

dann halt mich nicht fest.

Ich geb meine Freiheit nicht her.
 

Und willst du mich binden

verlass ich dein Nest

und tauch wie ein Vogel ins Meer.
 

Die Musiker spielten grandios, das ganze Orchester, das nun sechs Mann umfasste gaben alles und auch Lucille ließ ihre volle Stimme erklingen. Immer nur Raoul sehend.
 

Ich warte auf Freunde

und suche Geborgenheit

ich teile die Freude

ich teile die Traurigkeit
 

Doch verlang nicht mein Leben,

dass kann ich dir nicht geben.

Denn ich gehör nur mir!
 

Noch einmal holte Lucille tief Luft, ging noch einmal in sich und ließ ihre Glockenhelle Stimme erklingen, so wie sie es mit Francoeur geprobt hatte. Es war weiß gott kein hohes C, wie die Operndiva es präsentierten, aber es hatte auch nichts mehr gemein mit der Lucille vor einem Jahr.
 

Nur mir!
 

Das Publikum stand auf, klatschte und jubelte. Unschickliches Pfeifen war zu hören und auch Zugabe-Rufe. Ohne einen Wink ihrerseits begann Francoeur bereits wieder zu spielen und zu singen und Lucille erkannte das Lied auf der Stelle. Sie hatten es zum Besten gegeben als er nach dem Kampf mit Maynott dank des Professors wieder vergrößert wurde. Lucille klatschte zum Takt in die Hände und stieg sofort mit ein.
 

Nie mehr fühl' ich mich ungeliebt

Selbst wenn ich mich änd're,

bleib' ich letztlich doch dieselbe

Woher kommt nur immer diese Scham?

Komm, ich zeig' dir wie du

diese Ketten sprengen kannst
 

Oh, oh oh oh,

Nur ein kleiner Kuss von dir

Oh oh oh oh

Nur ein kleiner Kuss von dir
 

Weißt du nicht dass dran zu glauben genügt

Dass jeder seinen Platz hat auf der Bühne hier

Es ist ganz leicht und du kannst es schon

Es ist nicht komplizierter als ein einfaches Hallo
 

So, mein Schatz, und nun los

Finde die Kraft in dir

Du wirst schon seh'n,

es wird geh'n.
 

Ein Tag, dann zwei, dann drei,

dann mehr und mehr
 

Nun sprang Francoeur von der Orchester-Loge hinunter, die sich direkt neben der kleinen Bühne befand und begann mit Lucille zu tanzen, während sie immer und immer wieder den Refrain wiederholten und auch die Pärchen unter den Gästen begannen zu tanzen.
 

Nur ein kleiner Kuss von dir

Nur ein kleiner Kuss von dir
 

Nur ein kleiner Kuss von dir

Nur ein kleiner Kuss von dir
 

Im Tanz wirbelte Lucille herum und als Francoeur sich zu ihr hinunter gebeugt hatte, küsste sie ihn, was zu der Show gehörte. Doch nicht wie sonst auf die Wange, sondern auf seinen Mund. Lange hatten sie es schon nicht mehr in der Show gebracht und auch das Tanzen war mehr nach Gefühl als Choreographie. Sie hatte seine Wange einfach verfehlt. Oder?
 

Nur ein kleiner Kuss von dir

Nur ein kleiner Kuss von dir
 

Ihr Herz klopfte Laut und sie hatte schon Angst das es die Musik übertönte. In ihrem Kopf hämmerte es Laut, sie wusste nicht einmal mehr ob sie noch sang oder nur noch von Francoeur's starken Armen herumgewirbelt wurde.
 

Nur ein kleiner Kuss von dir

Nur ein kleiner Kuss von dir
 

Nur ein kleiner Kuss von dir

Nur ein kleiner Kuss von dir
 

In ihrer Brust gab es keine Ruhe, was war nur mit ihr los?
 

Nur ein kleiner Kuss, ah

Nur ein kleiner Kuss, ah

Nur ein kleiner Kuss von dir
 

Die letzten Töne von Francoeur's Gitarre verklangen und das Publikum verfiel in einem Sturm aus Beifällen und Jubelrufe. Lucille wurden Rosen und auch ein kleiner Strauß auf die Bühne geworfen, den sie vom Boden aufsammelte und ihren Fans noch einmal zuwinkte. Mit einem schnellen Blick sah sie das Raoul verschwunden war. Er würde bereits dort auf sie warten. Sie schritt zurück und die roten schweren Vorhänge fielen vor ihrem Gesicht zu.
 

Sogleich spürte sie Francoeur hinter sich und drehte sich zu ihm.
 

„Gehst du mit?“, war die einfache Frage.

Sie wollte nicht allein dorthin gehen. Nicht allein mit Raoul sein.
 

Francoeur schüttelte den Kopf. Er hätte es nicht gekonnt, selbst wenn er gewollt hätte. Er wollte die beiden so nicht sehen. Lieber wollte er warten.
 

Seufzend lief Lucille hinter die Bühne, den Gang entlang und schon entdeckte sie Raoul, der mit einem großen Blumenstrauß vor ihrer Garderobe stand. Das Bedürfnis umzudrehen und wegzulaufen unterdrückte sie erfolgreich und ging weiter auf ihn zu.
 

„Bonjour“, sagte er und hielt ihr den Strauß hin als sie vor ihm stand.
 

„Bonjour“, erwiderte sie, nahm den Strauß entgegen und ehe sie es sich versah hatte er ihr die Tür zur Garderobe geöffnet. Sie trat hinein und als die Tür geschlossen wurde, fühlte sie sich wie eine Gefangene. In der Garderobe die sie schon lange nicht mehr gesehen hatte, waren alle Sträuße von damals verschwunden. Ihre Tante hatte damals unmengen an verwelkten Blumen vortschmeißen müssen.
 

„Du siehst sehr gut aus“, sagte Raoul und kam einen Schritt auf sie zu, welchen sie sich wiederum von ihm entfernte. Sie wollte ihm nicht zu nahe kommen, es fühlte sich nicht richtig an. Ja bedrängt fühlte sie sich und hielt den Strauß wie einen Schutzwall vor sich. Vorzugeben eine Vase zu suchen lief sie durchs Zimmer, lief vor ihm weg.
 

„Lucille, ich habe viel nachgedacht während du in London warst. Ehrlich gesagt war ich sehr erstaunt als ich in der Wohnung auf niemanden traf und Carlotta mir erzählte du würdest eine Pause einlegen. Du hattest Recht, ich hätte dir mehr helfen sollen und auch endlich richtig arbeiten gehen sollen, es war egoistisch von mir euch die Arbeit zu überlassen. Nur hatte ich zuvor ja keine Wohnung und Hausarbeit war nicht wirklich so nötig und mit meinen Erfindungen hatte ich mich wohl übernommen. Es.... tut mir leid. HATSCHI. Tut mir leid, die Federn“, sagte er peinlich berührt, strich sich nervös durch die Haare und deutete auf die Federn auf Lucilles Rücken. Diese vermaledeite Federallergie hatte er schon seit er denken konnte.
 

Monate hatte Lucille davon geträumt diese Worte aus seinem Mund zu hören. Dieses Versprechen endlich erfüllt vor sich zu sehen. Doch so sehr sie sich auch freute diese Entschuldigung endlich zu hören, so sehr trafen sie nicht auf Verständnis.
 

„Was hast du nun für eine Arbeit?“, fragte Lucille um ihn zu testen.

Ganz konnte sie dem Frieden doch nicht glauben.
 

„Ich habe meinen Lieferservice wieder angefangen und meine alten Kunden größtenteils.“
 

„Und wo wohnst du?“
 

„Äh...ja, bei Catherine. Also in Catherine, auf meinem früheren Platz hinter....“
 

„Also hast du nichts gelernt“, sagte Lucille traurig. Doch wirklich enttäuscht war sie nicht. Sie hatte nichts anderes erwartet.
 

„Was? Hast du denn nicht zugehört?“
 

„Ich habe sehr wohl zugehört. Du machst wieder deinen Lieferservice, genau wie vorher. Wohnst in deinem Lieferwagen, statt in einer Wohnung, warum bemühst du dich denn nicht mehr? Muss es denn nur dieser kleine Lieferservice sein? Könntest du nicht auch andere Dinge tun mit Catherine? Schließlich hast du eine selbst herunterfahrende Tür bei ihr eingebaut, mit der man schwere Last hinauf und runter fahren kann ohne sich den Rücken dabei kaputt zu machen. Du könntest auch Umzugskisten und Möbel damit holen und liefern. Eine Art Umzugsfirma. Lieferungen für alles erdenkliche. Vielleicht könntest du dann in der feineren Gesellschaft arbeiten und mehr Geld verdienen. Warum ist bei mir immer alles gerade gut genug?“
 

„Das meinst du doch nicht ernst. Wer kann von sich behaupten so ein tolles Auto zu haben wie Catherine, sie fährt mit Sonnenblumenöl und kann wie du sagst automatisch die Türen öffnen. Abgesehen von anderen Lieferanten bin ich selbstständig“, rief Raoul wütend aus.
 

„Eben. Du hast keinen strengen Chef von dem du abhängig bist, weil du deine Familie ernähren musst und dich nicht einfach rausschmeißen lassen darfst. Du hast keine teuren Spritkosten, du hast im Moment noch nicht einmal eine Wohnung oder Wasser und Strom zu zahlen, du kannst dir selbst aussuchen für wen du arbeitest, ja verstehst du denn nicht? Du könntest mehr aus dir machen.“
 

„Ach, DARUM geht es einmal wieder. Ich soll zu den oberen Zehntausend aufsteigen, nur damit sich Prinzessin nicht schämen muss.“
 

„Du weißt genau....“
 

„DAS ist es also was dir vorstrebt. Du willst dich nicht länger für mich schämen und willst das ich für die eingebildeten Blaublütigen arbeite, zu denen sich das Prinzesschien womöglich noch selbst zählt.
 

„Du verstehst es einfach nicht“, seufzte Lucille.
 

„Oh ich glaube ich verstehe sehr gut.“
 

„Nein. …. Hach... wir passen nicht zusammen. Dein Traum ist mir zu klein.“
 

Stille.
 

Raoul sah sie an und erst jetzt schien er wirklich zu verstehen. Sie sah wie die Augen feucht wurden und auch die Wut in ihm aufstieg. Er hatte Mühe sich zusammenzureißen und trat einen Schritt zurück.
 

„Das kannst du nicht.... Wir lieben uns doch schon seit....“, stammelte er mit belegter Stimme.
 

Liebe. Liebte sie ihn denn noch so? Ja, eigentlich schon. Sie hatte das schönste mit ihm geteilt. Die erste Liebe, den ersten Kuss, der erste Beischlaf. Doch für ein Leben hatte es nicht reichen sollen. Was Francoeur wohl über die Sache dachte... Warum dachte sie nun an ihn? Und warum war ihr so komisch geworden als sie ihn küsste. Auf den Mund. Es war so weich gewesen... so anders.... Lieben tat sie beide. Doch liebte sie Francoeur so wie Raoul? Liebte sie Raoul? Nein. Sie liebte ihn, aber nicht so wie eine Frau einen Mann liebte. Sondern eher, wie einen Bruder. Liebe war so ein großes Wort und hatte tausend Bedeutungen, wer wusste schon was Liebe war. Lucille wusste nur das Raoul es nicht war, es nie sein würde. Niemals ihr zweites Ich.
 

„Manchmal ist Liebe nicht genug. Es tut mir leid Raoul....“
 

„Nein, nein... du kannst nicht....“
 

„Vielleicht wäre es besser wenn du für eine Weile nicht mehr hier her kommst“, sagte sie bestimmt und sah ihm dabei fest in die Augen.
 

Von einer Sekunde zur anderen fand Raoul wieder die Herrschaft über seine Sinne und seinen Körper, warf ihr noch einen ungläubigen, verletzten Blick zu, ehe er hinausstürmte und die Hintertür hinter sich zuschlug. Der laute Knall der Tür ließ Lucille zusammenzucken.
 

„Au Revior!“, sagte sie in den Raum hinein, sah noch einmal auf den Strauß in ihrer Hand und warf ihn kurzerhand ins Kaminfeuer. Die Flammen züngeltet auf und in windeseile verbrannten sie den Strauß, dessen Blumen innerhalb von Augenblicken schwarz wurden und in sich zusammenfielen wie Scherben. Die Scherben ihrer ersten großen Liebe.
 

********

Francoeur saß auf dem Dach des hohen Nachbarhauses des L'Oiseau Rare und betrachtete die Sterne. Das Herz schmerzte ihm und er wollte gar nicht daran denken was in Lucille's Garderobe geschah. Ohne daran denken zu wollen sah er bereits die Küsse von Raoul auf ihrer weißen, weichen Haut. Und dieser Kuss. Das war ihm nicht entgangen. Wie sehr hätte er sich gewünscht das es kein Versehen war, doch er gestand sich noch nicht einmal die Hoffnung zu.
 

Traurig ist mein Gesicht,

ich verberge meine Tränen nicht.

Sie laufen über mein Gesicht,

wie Regen über die Straßen von Paris.
 

Ich mag ein Monster sein,

doch mein Herz ist gut und rein.

Und ich Stimme mein Lied an,

wie nur die Nachtigall es kann.
 

Hoch oben hier, bin ich bei mir

und schaue auf Paris.

Und ich weiß ganz genau,

du verstehst es irgendwann auch.
 

Was es auf sich hat mit der Liebe

Und das Ende von diesem Lied,

wenn es wirklich eine Moral hat.
 

Das Monster möchte, dass du weißt,

dass Liebe aus dem Herzen kommt.
 

Plötzlich wurde er aus den traurigen Gedanken gerissen. Denn die Hintertür des L'Oiseau Rare flog geräuschvoll auf und knallte wieder zu. Es war Raoul. Auf der Stelle sprang Francoeur hinunter auf das Dach vom Cabaret und sah ihm nach. Seinem Gang zu urteilen, schien er nicht sehr glücklich. Lucille hatte ihn also abgewissen.
 

Von der Traurigkeit nichts mehr spürend als wäre sie nie da gewesen hüpfte sein Herz vor Freude. Wenige Minuten später kam auch schon Lucille, umgezogen und in ihrem Mantel gehüllt heraus. Sogleich sprang er an ihrer Seite und hielt ihr den Arm hin um ihr die Stufen hinunter zu helfen.
 

Lucille erschrak sich nicht einmal, denn sie war es gewohnt das er auf sie wartete und manchmal von irgendwoher hinunter gesprungen kam.
 

„War er sehr aufgelöst?“, fragte Lucille während sie aus der Francoeur Passage zur Straße liefen. Sie konnte nicht leugnen das sie ein schlechtes Gewissen hatte, doch hätte sie unmöglich so weiter leben können.
 

„Ja, es sah ganz danach aus.“
 

Sofort bekam Lucille ein trauriges Gesicht, doch was hätte sie sonst machen sollen. Für einen Moment hatte Francoeur Angst das sie sich um entscheiden würde. Auf jeden Fall hieß ihr Gesichtsausdruck nichts Gutes.
 

„Es tut mir leid“, sagte Lucille und Francoeur glaubte schon das Schlimmste. „Doch er hat es sich selbst zu verschulden. Ich kann und will nicht so weiter leben und ehrlich gesagt, weiß ich nicht ob ich ihn noch so sehr liebe.“
 

Francoeur fiel ein Stein vom Herzen. Doch er hätte nicht damit gerechnet das Lucille nun zu ihm sagen würde.

„Wir beide leben doch viel besser ohne ihn“, lächelte sie ihn an und strich ihm über die Wange. „Komm, schnell nach Hause. Ich will meine Stimme noch etwas trainieren.“
 

Fortsetzung folgt . . .

Die, in der der Singvogel die Liebe wieder findet

Kapitel 4: Die, in der der Singvogel die Liebe wieder findet

 

Eine Woche war vergangen seit Lucille endgültig mit Raoul gebrochen hatte. Noch immer spürte sie eine Leere und ein Loch in ihrem Herzen, doch wurde es Tag um Tag weniger, denn sie hatte ja noch Francoeur. Er war so lieb, so eine angenehme Gesellschaft die sie niemals missen wollte, und war so aufmerksam. Immer für sie da, immer um sie besorgt, und war er auch der Grund wenn sie herzhaft lachen musste.

 

Raoul war nur noch eine unliebsame Erinnerung, eine Phase in ihrem Leben. Doch nun hatte das neue Leben für sie begonnen. Jeden Tag übte sie sich in ihrem Gesang und probte mit Francoeur neue Lieder ein. Abends gingen sie manchmal ins Theater oder saßen einfach nur zu Haus und sie lasen sich gegenseitig aus Büchern vor.

 

********

 

Wieder war ein Tag herum gegangen. Sie war noch nicht müde, aber erschöpft vom Gesangsunterricht, denn Francoeur nahm sie zeitweise hart ran, und forderte alles von ihr. Nun stand sie im Nachtkleid, gehüllt in ihrem seidenen Bademantel in ihrem Zimmer und betrachtete ihre Hand. Die Hand an dem der Verlobungsring funkelte. Der Ring von Raoul. Bisher war er an ihrem Finger geblieben, doch nun war Schluss. Er hatte keine Bedeutung mehr. So streifte sie ihn ab und nahm auch das Bild, auf der sie mit Raoul abgebildet war und legte es in einen Beutel. Das würde sie auf den Dachboden bringen.

 

„Lucille?“, rief Francoeur aus dem Salon. Heute Abend war wieder Leseabend.

„Ich komme“, rief sie und ließ den Beutel achtlos neben der Kommode fallen.

 

Als sie ins Salon ging, begann sie zu lächeln. Wie immer hatte es Francoeur sehr gemütlich gestaltet. Die Lampe blieb aus, auf dem Beistelltisch stand eine alte Öllampe die genug Licht zum Lesen schaffte und links und rechts neben der Chaiselongue standen hohe Kerzenständer mit brennenden Kerzen, die für romantisches Licht sorgten. Und natürlich, für jeden eine heiße Tasse Tee und eine große kuschelige Decke.

 

Francoeur hatte bereits sein neues Buch in der Hand, welches er am Vortag in einer Buchhandlung entdeckt hatte. Im letzten Jahr war ein junger Journalist und Autor ins L'Oiseau Rare gekommen und hatte sich ein wenig mit Lucille und Francoeur nach der Show unterhalten. Er sagte das er schon einige Male gekommen sei und die beiden ihn die nötige Inspiration gegeben hatten, an seinem Buch an dem er gerade arbeite weiter zu schreiben, da er gerade an immenser Lustlosigkeit leide und sein Kopf brumme.

„Ist dass das Buch von Leroux von dem er erzählt hatte?“, fragte Lucille als sie sich zu ihm setzte und sich in die Decke kuschelte. Sie rückte näher und legte die Decke auch über Francoeur's Schoß.

 

„Ja, und es klingt sehr interessant. Es heißt 'Le Fantôme de l'Opéra'.“

 

„Ein vielversprechender Titel. Na dann mal los“, sagte Lucille und kuschelte sich gemütlich in die Decke und lehnte sich an Francoeur.

 

Er genoss einen Moment das warme Gefühl ihres Körpers und sog den Duft ihrer frisch gewaschenen Haare ein. Doch bevor Lucille etwas merken konnte, fasste er sich wieder und begann zu lesen.

 

Am Abend der Galavorstellung, die Monsieur Debienne und Monsieur Poligny, die zurücktretenden Direktoren der Oper, anlässlich ihres Abschieds gaben, stürzte plötzlich ein halbes Dutzend Dämchen des Corps de ballet nach ihrem Auftritt in Polyeucte ganz aufgeregt in die Garderobe der Sorelli, einer gefeierten Primaballerina. Die einen lachten übertrieben und unnatürlich, die anderen …..“

 

Gebannt vom ersten Wort an lauschte Lucille den vorgelesenen Worten. Nur selten hatte sie versucht ein Buch zu lesen, doch nur noch seltener hatte sie es zu Ende gelesen. Sie war nie eine große Leserin gewesen, auch war sie mit anderen Dingen beschäftigt. Als Kind trauerte sie um ihre Eltern, in der Pupertät war ihr Körper und die dummen und nicht dummen Jungs interessant, ihre Freundinnen, später ihre magere Gesangsausbildung und nun ihre Karriere. Und dieses Buch war so schön im Klang und spannend geschrieben, das Francoeur's Stimme es perfekt machte.

 

'Das Phantom der Oper!'

Die Jammes stieß diese Worte mit unbeschreiblichem Entsetzen hervor und deutete dabei mit dem Finger in der Menge der Befrackten auf ein so bleiches, schauriges, hässliches, hohläugiges Gesicht, dass der von ihr bezeichnete Totenkopf sofort großen Erfolg einheimste.

'Das Phantom der Oper! Das Phantom der Oper!'

Man lachte darüber, man drängte zu ihm hin, man wollte dem Phantom der Oper etwas zu trinken anbieten – aber es war verschwunden!

 

„Warte, warte!“, rief Lucille hinein. „Ich mache uns noch eine Tasse Tee, willst du vielleicht ein paar Kekse? Habe letztens welche bei Chocolate gekauft, die sind sehr lecker.“

 

Eilig aufspringend wie ein Kind das nichts von ihrer Lieblingsgeschichte verpassen wollte, lief sie in die Küche und hantierte eifrig herum. Zehn Minuten später kam sie mit dampfenden Tassen Tee und eine Tüte Kekse, im Mund tragend zurück in den Salon. Sie stopfte sich einen Keks in den Mund und ehe Francoeur etwas sagen konnte, wurde auch ihm einer in den Mund geschoben. Natürlich war Francoeur's Magen nicht in der Lage diese feste Nahrung zu verarbeiten, doch leckte er gerne daran, da es schön süß war. Auch war er ein großer Bewunderer von Schokolade und Eis.

Er schleckte ein wenig daran, legte es auf den Tisch ab und begann weiter zu lesen. Die Zeit verging schnell und nach wenigen Minuten, so kam es Lucille vor, waren sie schon zehn Seiten weiter.

 

Richard sagte: 'Mir scheint, dass Sie das Phantom äußerst freundlich behandeln. Wenn ich ein so lästiges Phantom hätte, ließe ich es auf der Stelle verhaften. . .'

'Aber wo? Und wie?', riefen sie im Chor. 'Wir haben es noch nie gesehen!'

'Nicht einmal in seiner Loge?'

'Wir haben es noch nie in seiner Loge gesehen.'

'Dann vermieten Sie es doch!'

'Die Loge des Phantoms der Oper vermieten! Nun gut, Messieurs, versuchen Sie es!'

Daraufhin verließen wir zu viert das Direktionszimmer. Richard und ich hatten noch nie so gelacht.'“

 

Seite um Seite wurde gelesen, mittlerweile waren es über hundert Seiten und es wurde nicht langweilig. Doch obwohl das Buch so spannend war, wurde Lucille langsam müde.

 

Das Phantom lachte ihnen in den Nacken! Schließlich hörten sie in ihrem rechten Ohr deutlich seine Stimme, die unmögliche Stimme, die mundlose Stimme, die sagte:

'Heute Abend hält nicht einmal der Lüster ihren Gesang aus!'

Beide blickten gleichzeitig zur Decke und stießen einen entsetzten Schrei aus. Der Lüster, der riesige Lüster löste sich bei den Worten der teuflischen Stimme von seinem Haken, kam von der Höhe des Saals herunter und landete klirrend in der Mitte der Orchestersitze. Eine Panik entstand, und jeder versuchte sich zu retten. Ich möchte diese historische Stunde hier nicht in allen Einzelheiten heraufbeschwören. Neugierige brauchen nur die damaligen Zeitungen aufzuschlagen. Es gab zahlreiche Verletzte und Tote.

Der Lüster zerschmetterte der Unglücklichen den Kopf, die an jenem Abend zum ersten Mal in ihrem Leben in der Oper war und die Richard zur Vertreterin von Madame Giry, der Logenschließerin des Phantoms, ausersehen hatte. Sie war auf der Stelle tot, und am nächsten Tag lautete die Schlagzeile in der Zeitung: Zweihunderttausend Kilo auf dem Kopf einer Concierge! Das war der einzige Nachruf. …. …. Wir sollten schlafen gehen, Lucille“, beendete Francoeur das Kapitel und schloss das Buch.

 

Wie zu einem Zeichen begann Lucille zu gähnen und lehnte sich an Francoeur.

„Du hast recht. Ich kann auch nicht mehr wirklich zuhören, aber morgen müssen wir unbedingt weiter lesen.“

 

„Wenn wir nach der Show morgen Abend fit genug sind“, lächelte Francoeur, nahm sie auf die Arme, woraufhin sie lachend ihre Arme um seinen Nacken legte, und trug sie in ihr Zimmer. Dort legte er sie ins Bett und deckte sie zu.

„Ich bin doch kein Kind mehr“, lachte Lucille.

„Bonne nuit“, wünschte Francoeur ihr eine gute Nacht und ging hinaus. Er schloss die Tür hinter sich und strich noch einmal sacht über die Tür.

„Bien Réve, mon Chéri.“ - Schöne Träume, Liebste!

 

Lucille kuschelte sich in ihre Decke und schloss die Augen. Eine Weile dachte sich noch über das Vorgelesene nach. Es gefiel ihr sehr und sie glaubte zu wissen das es ihr Lieblingsbuch werden würde, vor allem aber da sie die Parallelen entdeckte und sich mit der Protagonistin Christine identifizieren konnte. Auch sie hatte bereits als Kind ihre Eltern verloren, war nun Sängerin, hatte ihren Liebsten aus Kindheitstagen, der ebenfalls Raoul hieß und es gab das Phantom, das Monster. Doch ihr Monster, war nicht wirklich ein Monster, sondern das liebenswerteste Wesen auf Gotteserde das sie kannte.

 

Nur das der Buch-Raoul für sie nichts sympathisches an sich hatte. Er erschien ihr wie ein verweichlichtes Mädchen, welches nur den Namen eines Mannes trug. Er jammerte ihr hinter her statt sie in Ruhe zu lassen, wie sie es von ihm verlangt hatte. Natürlich hatte das nichts damit zu tun das ihr Raoul so ein Idiot gewesen war, nicht im geringsten. Darüber spekulierend wie es denn womöglich weiter ginge in der Geschichte, driftete sie ins Traumland.

 

********

 

Die Show am nächsten Abend war ein voller Erfolg. Es war eines von Francoeurs neuesten Kompositionen gewesen, in letzter Zeit wurde er von einer fleißigen Muse geküsst, die ihn Tag ein, Tag aus mit neuen Liedern versorgte.

Lucille fragte sich woher diese Schaffensperiode gekommen war. Nicht das er nicht schon immer sehr musikalisch begabt war, doch in den letzten Wochen, hatte sich auch in ihm etwas gewandelt. Etwas, das ihn noch mehr Inspiration gab.

 

Auf ein Zeichen von Francoeur machte Lucille sich bereit während er an dem Klavier saß, welches schräg hinter ihr stand und extra aus ihrer Garderobe bereit gestellt worden war. Eine einfache kleine Melodie erklang, als er seine Finger über die weißen Tasten bewegte.

 

Denk an mich,

denk an mich zärtlich,

wie an einen Traum.

Erinn're dich!

Keine Macht trennt uns,

außer Zeit und Raum.

An dem Tag,

wann er auch kommen mag,

an dem du Abschied nimmst von mir.

Lass das Gestern weiterleben,

schließ es ein in dir!
 

 

Plötzlich schwall die Musik zu des Orchesters an, da auch die anderen Instrumente zum Einsatz kamen, welches zu einem herrlichen Solo ansetzte. Bevor wieder Lucille zu singen begann, nahm die Musik an einigen Instrumenten ab und eine sanfte Melodie wurde gespielt.

Natürlich war

von allem Anfang klar,

kein Glück kann leuchten ewiglich.

Aber wenn du dich allein fühlst,

immer denk an mich!

Denk an unsre Zeit im Sonnenschein.

Am Himmel stand der Mond im Sternenschein.

Denk an mich!

Sieh meine Zeichen,

wenn du dich verirrst!
 

Versuche mich

schnell zu erreichen

wenn du müde wirst!

Dann denk an mich!

Und quälen Sorgen dich,

dann träum dich heimlich her zu mir!

Und wo immer du auch sein magst,

such mein Bild in dir!

Wie spielte das kleine Orchester ihr Solo und berauschte die Gäste des Cabarets förmlich, welche gebannt zuhörten.

Was entsteht,

auf dieser Welt vergeht

Und eines Tags auch du und ich.

Doch Gefühle sind unsterblich.

Bitte denk ….
 

 

Nun holte Lucille noch einmal Luft, zum einen um die nächste kurze Passage zu überstehen und zum einen um ihre Nervosität zu verscheuchen. Jetzt kam wieder ein Moment in dem sie den Zuhörern zeigte was Francoeur aus ihrer Stimme gemacht hatte und obwohl sie um ihren Talent wusste, hatte sie noch immer Angst das sie versagen könnte.

Doch ohne einen Fehler oder einen schiefen Ton, kam aus ihrer Kehle die reinen hohen Tonleitern, die Francoeur ihr zu liebe eingebaut hatte, um es ihr leichter zu gestalten.
 

 

Ah ah ah ah ah ah aaaah

ah ah ah ah ah ah aaaaah

ha ha ha ha ha ha

aaaaann MICH!
 

 

Wie durch Zauberhand war die Nervosität verschwunden und der hohe reine Ton entsprang ihrem Hals als wäre es das Leichteste der Welt.

Die Zuhörer standen begeistert auf und klatschten als gäbe es kein Morgen mehr. Rosen fanden auf ihrer Flugbahn ihren Weg zu ihren Füßen und sogar zwei ganze Sträuße wurden von zwei Bewunderern auf die Bühne gelegt.

Gerührt schüttelte Lucille ihnen die Hand, nahm die Sträuße an und bedankte sich. Mit Francoeur an ihrer Seite verbeugte sie sich und trat zurück, damit der schwere Vorhang hinunter gelassen werden konnte.

 

„Oh Liebes, das war hinreißend, das war phänomenal, das war so fantastisch. Deine Stimme war schon immer sehr liebenswert, doch nun glaube ich das du es einmal zu einer großen Primadonna schaffen kannst“, plapperte Carlotta aufgeregt und schloss ihre Nichte in den Arm.

 

„Danke, aber das ist doch sehr übertrieben“, lachte Lucille und löste sich von der engen Umarmung, die ihr das Gefühl gab, bald keine Luft mehr zu bekommen.

 

„Ach was. Francoeur, sag du doch auch mal was dazu“, wandte sie sich an den großen Floh. Doch dieser wagte nicht etwas zu sagen, da er sich nicht einmischen wollte und zuckte nur mit den Schultern.

 

An diesem Abend gingen sie nicht so schnell nach Hause. Ab und zu sah Lucille sich in der Pflicht ihren Fans und Verehrern die Gelegenheit zu bekommen mit ihr zu sprechen und kennenlernen zu können. Das verlangte die Gesellschaft nun einmal, auch wenn sie nicht immer Lust dazu hatte.

 

Hier und dort gesellte sich Lucille der schnatternden Runde dazu. Lernte Aristokraten oder auch Gelehrte kennen, erhielt Glückwünsche und nahm dankbar Blumensträuße oder auch Spenden für das Cabaret l'Oiseau Rare.

 

Spät kamen sie nach Hause und beide waren so erschöpft das sie zu ihrem Leidwesen nicht mehr weiter lesen konnten und gleich zu Betten gingen.

 

********

 

In den nächsten Tagen waren sie damit beschäftigt weiter an Lucille's Stimme zu arbeiten und sie weiter auszubauen. Sie machte gute Fortschritte und Francoeur war sehr zufrieden mit ihr. Lucille ging völlig in ihrer neuen Freiheit als ungebundene Frau auf und genoss mehr und mehr die ruhigen Stunden mit Francoeur, ohne auch nur einmal an Raoul zu denken. Es war so als hätte ihn niemals gegeben.

 

Nachdem sie eines Abends über ihren rauen Hals klagte verbot ihr Francoeur ihr die ganze Woche über zu singen oder gar zu viel zu reden und so musste ihre Tante Carlotta ohne sie auskommen. Lucille war gerührt wie sehr Francoeur um ihre Gesundheit besorgt war und auf sie aufpasste. Es war ihr unangenehm ihre Tante im Stich zu lassen, doch Francoeur hatte mit seinem Argument – das es nicht besser macht, wenn sie am Ende richtig krank wird – überzeugt.

 

Andererseits kamen sie wieder zu dem Genuss das Buch weiter zu lesen und es war mehr als spannend. Bei Sonnenuntergang begannen sie zu lesen, bis die Standuhr Mitternacht schlug. Natürlich mit kleinen Pausen, in denen Francoeur frischen Tee aufsetzte oder etwas zu knabbern mitbrachte.

 

Liebt er Sie denn so?“

Bis zum Verbrechen!“

Aber seine Wohnung ist nicht unauffindbar. Man wird ihn dort aufsuchen. Solange Erik kein Phantom ist, kann man ihn verhören und sogar zum Sprechen bringen!“

Christine schüttelte den Kopf:

Nein! Nein! Man kann Erik nichts anhaben! Man kann nur vor ihm fliehen!“

Warum sind Sie, da Sie fliehen konnten, zu ihm zurückgekehrt?“

Weil es sein musste! Sie werden das begreifen, wenn ich Ihnen erzähle, wie ich ihn verließ.“

Oh ich hasse ihn“, rief Raoul. „Und Sie, Christine? Sagen Sie es mir! Ich muss es wissen, um mir ruhiger die Fortsetzung dieser merkwürdigen Liebesgeschichte anhören zu können. Christine, hassen Sie ihn?“

Nein“, antwortete Christine schlicht.

Wozu dann die vielen Worte! Sicher lieben Sie ihn! Ihre Angst, Ihr Entsetzen, all das ist Teil der köstlichen Liebe. Der Liebe, die man sich nicht eingesteht“, sagte Raoul bitter. „Der Liebe, die einen erschauern lässt, wenn man an sie denkt. Man stelle sich nur vor: ein Mann, der in einem unterirdischen Palast lebt.“

 

Mon Dieu, ist das spannend“, sagte Lucille und sprang auf, da der Tee sie zur Toilette trieb.

Während sie Wasser aufsetzte und den Tee in den Tassen vorbereitete, überlegte sie kurz über das gesagte von Christine. Die Männerstimme war also ein Mann. Ein richtiger Mann. So wie ihr Monster auch nicht einfach nur ein Monster war.

 

Sie goss das heiße Wasser in die Tassen und holte sie noch ein paar Kekse und Pralinen und kuschelte sich wieder mit einer Selbstverständlichkeit an Francoeur, was ihn etwas aus der Bahn warf und sich damit ablenkte an einem Keks zu lecken, um sich ein wenig Zeit zu verschaffen.

Noch lange saßen die Beiden an dem Buch und lasen.

 

Ich muss an die Wand gepresst, das Entsetzen in Person gewesen sein – und er die Abscheulichkeit in Person!

Da trat er, mit seinen lippenlosen Zähnen fürchterlich knirschend, auf mich zu und überschüttete mich, die ich in die Knie sank, hasserfüllt mit sinnlosen Worten und wahnwitzigen Verwünschungen. Ach Gott, weiß mit was allem!

Über mich gebeugt, rief er:

Schau hin! Du hast es sehen wollen! Sie es dir an! Weide deine Augen, berausche deine Seele an meiner verfluchten Hässlichkeit! Betrachte Eriks Gesicht! Jetzt kennst du das Gesicht der Stimme! Es genügte dir wohl nicht, mich nur zu hören, was? Du wolltest auch wissen, wie ich beschaffen bin! Ihr seid alle zu neugierig ihr Frauen!“

Er stieß ein Lachen aus und wiederholte: „Ihr seid alle zu neugierig ihr Frauen!“

Ein donnerndes, heiseres, schäumendes, gewaltiges Lachen. Er sagte noch andere Dinge wie:

Bist du nun zufrieden? Ich bin schön, wie? Wenn eine Frau mich so gesehen hat wie du, gehört sie mir. Dann liebt sie mich immer und ewig! Ich bin der Typ des Don Juan.“

 

********

 

Den ganzen Tag in er laufenden Woche lag Lucille nur zugedeckt auf der Chaiselongue, las Bücher, aber nicht Le Phantôme de l'Opéra, denn das lasen sie nur gemeinsam und ließ sich von Francoeur verwöhnen. Er kochte für sie und machte ihre Besorgungen.

 

Nach vier Tagen stand sie von der Chaiselongue auf, da sie sich zu tode langweilte und da gerade Franceur nicht zugegen war und ihr nicht Gesellschaft leisten konnte, lief sie mit der Decke um den Schultern durch die Wohnung und wusste nicht so recht was sie tun sollte. Als sie an Francoeurs Zimmer vorbei lief, stand die Tür halb offen, so das sie einen Blick auf sein Klavier mit den vielen Notenblättern sehen konnte.

Neugierig was er denn gerade komponierte ging sie hinein und fand sofort ein Notenblatt, an dem er wohl die letzten Tage gearbeitet hatte. Es hieß Ein gefährliches Spiel und klang sehr vielversprechend.

Schon die ersten Zeilen ließen die Röte in Lucilles Wangen steigen. Es war nicht das typische Liebeslied, es war sehr... leidenschaftlich. Die Neugierde geweckt nahm sie es in die Hand und begann die geschriebenen Noten zu summen. Der gesamte Text war so feurig und ungestüm, das es ihr schon warm wurde und sie die Decke fallen ließ und nur noch im Nachthemd dastand. Es war noch früher Abend, aber da sie sowieso nichts machte, konnte sie sich genauso gut Bettfertig machen.

Auch wenn es ihr noch nicht erlaubt war – Francoeur war sehr streng wenn es um ihre Stimme ging – begann sie zaghaft die Worte zu singen die sie las.

 

Ich fühl' Berührung,

fühl' sanfte Führung,

fühl' ein Vibrier'n,

das mich zärtlich durchfährt.
 

Dein tiefer Blick,

der alle Sehnsucht weckt!

Verbot'ne Früchte,

die mein Körper begehrt!
 

Denn, wenn Du mich berührst,

mich mit Worten verführst.

Deine Augen vereinst mit mir.

Spiel'n die Sinne verrückt,

bin der Welt ich entrückt,

voll Erregung, voll Lust und Gier.
 

Plötzlich erklang Francoeurs Stimme hinter ihr. Erschrocken drehte sie sich um und blickte ihn entgeistert an. So hatte sie ihn noch nie singen gehört.
 

'S ist ein Weg ohne Ziel -
 

Doch statt ihn um Entschuldigung zu bitten, wurde sie durch eine unsichtbare Macht dazu getrieben weiter zu singen.
 

Eine Sünde zu viel
 

Wieder er:

Und mir sagt mein Gefühl -
 

Beide sahen sie sich in die Augen und er kam einen Schritt auf sie zu.
 

ein gefährliches Spiel!
 

Fordernd und lauernd begann er seinen Solo. So hatte sie ihn noch nie singen gehört. Wie gebannt blickte sie ihm entgegen. Ihm, mit seinen schönen roten Augen, die sie auf einmal gefangen nahmen. Er strahlte eine ihr nie gekannte dominante Kraft aus.
 

Ein dunkler Traum,

unecht und endlos,

doch Du begehrst seine Realität.

Ein Todestanz,

mystisch im Dunkel der Zeit -

Arme Prinzessin!

Ganz beklommen und bang.

 

Singend begann sie seinen Anschuldigungen zu verneinen.
 

Läuft sie einfach davon.
 

Nein!
 

Bringt sie sich zur Räson.
 

Nein!
 

Ein Entkommen ist Illusion.
 

Nun begann sie an seiner Stelle ihre tiefen Gefühle zu beschreiben, die er nun verneinte. Nicht die Gefühle des Textes, sondern auch ihre eigenen, musste sie zu ihrem Erstaunen feststellen.
 

Nein! Ich kann mich nicht entzieh'n -
 

Nein!
 

der Versuchung entflieh'n -
 

Nein!
 

Emotionen mein Selbst bedroh'n.
 

Nein!
 

Sie schritten aufeinander zu, umkreisten sich wie Tiere zu einem Kampf. Dem Kampf des Werbens. Auf einmal wirkte Francoeur bedrohlich, aber nicht auf eine wirklich gefährliche Art und Weise. Er sah sie an, mit diesen hypnotisierenden Augen, nahm sie gefangen. Wie um seine Dominanz zu unterstreichen zuckten seine Esshaken unter seinen Mundwinkeln unkontrolliert, als könnte er sich nur schwer zurückhalten.

Unter seinem Blick wurde ihr zunehmend heiß unter ihrem dünnen Nachthemd und es gribbelte stark in ihrer Magengegend, als flöge ein riesiger Schmertterlingsschwarm dadurch. Es war allerdings nicht nur das Gefühl der Verliebtheit, sondern auch eine andere Liebe.

 

Lucille begann wieder ihren Singsang, den er immer wieder quittierte und so gaben sie sich einen abwechselnden Schlagabtausch.
 

'S ist ein Weg ohne Ziel
 

Und mir sagt mein Gefühl:
 

Alles ist wie so viel,
 

ein gefährliches Spiel!

 

Sie standen nur noch Zentimeter von einander entfernt, umkreisten sich noch immer, konnten nicht von den Augen des anderen ablassen. Lucille's Körper vibrierte, Hitze stieg in ihr auf und schlug Blitze durch ihren Körper, die sich in ihrer Lendengegend entluden. Beide verstanden sie nicht was mit ihnen geschah und gaben sich nur ihren Gefühlen hin, berauschten sich an ihrer Musik.

Vorsichtig hob Francoeur seine rechten Hände und strich Lucille eine Strähne aus dem Gesicht. Auch sie überwand die Lücke zwischen ihnen, presste sich an ihn, krallte sich geradezu in seinen Pulli. Er schlang die oberen Arme um sie und begann mit den zwei unteren ihren Körper entlang zu fahren, was in ihr wohlige Schauer verursachte, durch den dünnen Stoff ihres Nachthemdes. Die Augen auf sich gerichtet gierten sie sich an und sangen gemeinsam weiter.
 

Lautlos still,

tief durchschaut,

denn die Augen

sprechen laut.
 

Schweigen spricht

dröhnend klar:

Uns're Sehnsucht

wird nun wahr!
 

Denn, wenn Du mich berührst,

mich mit Blicken verführst,

Deine Augen vereinst mit mir.
 

Spiel'n die Sinne verrückt,

bin der Welt ich entrückt,

voll Erregung, voll Lust und Gier.
 

Nun gaben sie sich wieder ihren Schlagabtausch hin den Lucille eröffnete und den sie gemeinsam beendeten.
 

'S ist ein Weg ohne Ziel -
 

Eine Sünde zu viel

und ein sanftes Kalkül -
 

Und mir sagt mein Gefühl: -
 

Alles ist, wie so viel...

ein gefährliches Spiel!

 

Ihre Stimmen verstummten und wie sich von einer schweren Trance zu lösen, ließen sie voneinander und brachten wieder einen Abstand zwischen sich. Mit erhitzten Wangen sahen sie einander an und wussten nicht so recht was gerade geschehen war. Zumindest erging es Lucille so. Francoeur's Herz machte Luftsprünge, denn er hatte sie gespürt. Sie, die sie nun endlich vollkommen frei von Raoul war und nur noch ihm gehörte. Der Kuss damals auf der Bühne war nicht ganz aus Versehen gewesen, das war ihm nun klar.

 

„Ich habe deine Kleider von der Reinigung abgeholt, brrr“, durchbrach er die Stille. Noch immer mit dieser Stimme, in der seine Lieblichkeit keinen Platz mehr hatte und von etwas Rauem überzogen war.

 

„Danke“, sagte sie atemlos, lief aus dem Zimmer und schloss sich im Badezimmer ein.

 

Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr Körper glühte regelrecht nach und ihre Hände begannen zu schwitzen. Was war da gerade geschehen?

Sie hatte nicht wie sonst mit ihm gesunden. Sondern so leidenschaftlich und von Gefühlen erfüllt, als wäre sie …. eine Liebende.

War der Kuss also doch kein Versehen? Inzwischen konnte sie sich nicht mehr so recht erinnern wie sich seine Lippen auf ihre anfühlten. Zu ihrem Erstaunen fühlte sie Bedauern.

 

Und was war in Francoeur gefahren? Er war nicht mehr der Selbe. Das schon seit Wochen nicht mehr, hatte sie immer wieder das Gefühl, aber heute hatte sie die Bestätigung. Er war nicht mehr der übergroße Floh der hübsch singen konnte. Er war ein Mann. Ein richtiger Mann. Sie hatte sein Begehren gesehen, wie sie es bis dahin noch nie gesehen hatte. Kein Floh der Welt würde für sie, einem Menschen Begehren empfinden, wenn sie es denn überhaupt empfanden. Aber Francoeur... begehrte. Ob er auch liebte?

 

Um sich von ihren wirren Gefühlsinneren abzulenken, nahm sie ein langes, heißes Bad.

 

Währenddessen hängte Francoeur Lucille's Kleider in den Kleiderschrank und machte den Abwasch. Als er hörte das sie aus der Wanne stieg, begann er den Eintopf vom Mittagessen zu erhitzen und setzte ihn ihr vor, als sie im Bademantel gehüllt und noch mit einem Handtuch auf dem Kopf gewickelt vor die Nase. Während dem Essen schwiegen sie, da sie nicht so recht wussten was sie sagen sollten. Nicht nach diesem Erlebnis!

 

„Wollen wir später das Buch zu Ende lesen?“, fragte Lucille in die unangenehme Stille hinein.

„Gerne.“

 

Am späteren Abend setzten sie sich wieder auf die Chaiselongue und ehe es sich Lucille versah, hatte sie sich wie selbstverständlich mit einer Decke zu ihm gekuschelt.

Wärhend er mit seiner lieblichen Stimme las, waren die vorigen Stunden und Lucille verlor sich Gedanklich komplett in die Geschichte.

 

Mademoiselle, wenn Sie in zwei Minuten – ich habe eine Uhr, die auf die Sekunde genau geht – den Skorpion nicht umgedreht haben, dann drehe ich die Heuschrecke um und die Heuschrecke macht einen tüchtigen Luftsprung!“

 

. . .

 

Schließlich erklang Eriks Stimme, diesmal sanft, engelhaft sanft:

Die zwei Minuten sind um. Adieu, Mademoiselle! Spring Heuschrecke!“

 

Erik“, rief Chrisine, die dem Scheusal wohl in den Arm gefallen war, „schwöre mir, du Scheusal, schwöre mir bei deiner teuflischen Liebe, das man den Skorpion umdrehen muss!“

Ja – um zur Hochzeit zu fliegen!“

Ach, wir fliegen also doch alle in die Luft!“

Nicht in die Luft, du Unschuldsengel, sondern in den siebenten Himmel! Der Skorpion eröffnet den Ball. Aber jetzt reicht es! Willst du nicht den Skorpion? Dann wähle ich die Heuschrecke!“

 

. . .

 

Ich ließ“, fuhr Erik fort, „den jungen Mann frei und sagte ihm, er solle mir zu Christine folgen . . . In dem Louis-hilippe-Zimmer küssten sie sich vor meinen Augen . . . Christine trug meinen Ring . . . Ich nahm Christine den Schwur ab, nach meinem Tod von der Rue Scribe aus zu dem See zu kommen, um mich heimlich mit dem goldenen Ring zu begraben, den sie bis dahin tragen solle . . . Ich sagte ihr, wie sie meine Leiche vorfinden werde und was sie damit tun solle . . . Da küsste mich Christine zum ersten Mal von sich aus auf die Stirn . . . hier auf die Stirn – schau nicht hin, Daroga! . . . Dann gingen beide . . . Christine weinte nicht mehr . . . Ich weinte allein . . . Daroga, Daroga . . . wenn Christine ihren Schwur hält, kommt sie bald zurück!“

 

. . .

 

Drei Wochen später erschien in L'Epoque folgende Todesanzeige: ERIK IST TOT“

 

Der letzte Satz ließ Lucille mit einem bedrückenden Gefühl zurück.

 

„Armer unglücklicher Erik“, sagte Lucille und sah zu Francoeur, der ebenfalls etwas verlassen wirkte. Für Francoeur musste es ein komisches Gefühl sein das ein Mensch, ein richtiger Mensch, das selbe Schicksal erlitten hatte, wie er selbst. Doch zu seinem Glück hatte er Freunde und vor allem Lucille selbst.

 

„Glaubst du es hat ihn wirklich gegeben?“, fragte Lucille und rieb sich über die Arme um die Gänsehaut zu verscheuchen. Der Gedanke das es Erik tatsächlich gegeben hatte, ließ Lucille erschauern. Es war ein gruseliger, wie auch trauriger Gedanke. Vor allem da sie durch Francoeur's Schicksal sehr gut verstand was es hieß, ein Ausgestoßener zu sein. Auch wenn Francoeur vermummt ein gutes Leben führen konnte, aber dennoch würde niemals ein normales Leben führen können.

 

„Laut Monsieur Leroux hat er.“

 

„Glaubst du nicht das er das nur behauptet hat um die Geschichte besser verkaufen zu können?“, fragte Lucille, mehr um sich selbst zu überzeugen.

 

Francoeur zuckte nur mit den Schultern, saß gedankenverloren auf der Chaiselongue und legte das Buch auf den Tisch.

„Ich weiß nicht. Mich stört der Gedanke nicht das es ihn gab.“

 

Bevor Lucille etwas brüskierendes erwiderte, hielt sie inne, als sie schon den ersten Ton aus ihrer Kehle erklingen lassen wollte. Fand er den Gedanken nicht so schlecht, weil er dann einen Leidensgenossen hatte?

Darüber nachdenkend was sie sagen sollte, biss sie sich auf die Lippen.

„Was ist los mit dir?“, fragte Francoeur besorgt.

 

Lucille traute sich nicht wirklich ihm in die Augen zu sehen. Sie versuchten eigentlich so selten wie möglich über sein Los als übergroßer Floh - der, wenn er entdeckt werden würde, wieder als Monster gejagt werden würde - zu reden.

 

„Wenn Erik … also wenn er wirklich... Geht es dir besser mit dem Gedanken, das du … einen Leidensgenossen hast?“

 

Als Francoeur ihre Worte verstand begann er sanft zu lächeln.

 

„Glaubst du ich würde unter meinem Leben leiden?, brr?“

 

„Na ja, leiden vielleicht nicht, aber...“

 

„Lucille, mach dir keine Gedanken. Du weißt das es mir gut geht. Ich habe ein zu Hause, eine Arbeit, Freunde... und meinen Ange de la Musique“, sagte er und hatte sich etwas zu Lucille hinunter gebeugt.

 

„...dich“, hauchte er.

 

Ein Lächeln zauberte sich auf Lucilles Lippen und sie legte ihre Stirn an seine. Francoeur ließ es gerne zu und genießte den Moment der Innigkeit.

 

„Glaubst du, Christine ist vielleicht früher zurückgekehrt und konnte sich vielleicht von ihm verabschieden?“, durchbrach Lucille die Stille.

 

„Was denkst du?“

 

„Ich hätte es ihm gewünscht. Und auch ihr hätte ich es gewünscht, das sie nicht nur das Monster in ihm gesehen hat“, sagte sie, brachte etwas Abstand zwischen sich und ihm und blickte ihn vielsagend an.

 

Mit klopfenden Herzen blickte Francoeur ihr entgegen und hätte sie am liebsten geküsst, diesen Engel. Doch traute er sich nicht, auch weil er angst hatte, das sie es doch verschrecken könnte.

 

„Vielleicht sollten wir langsam ins Bett. Brr. Es ist spät“, warf er ein und zerstörte so den Moment.

 

„Hast recht, ich bin müde. Proben wir morgen wieder? Heute ging es doch sehr gut mit dem singen.“

 

„Einverstanden“, lächelte er.

 

Lucille stand auf, zwängte sich zwischen ihm und dem kleinen Tisch vorbei, wobei sie sich an seiner Schulter festhielt um das Gleichgewicht zu halten.

 

„Bonne nuit“, wünschte sie ihm eine gute Nacht, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und ging in ihr Schlafzimmer.

 

Mit offenem Mund hatte er ihr nachgesehen. Als sie im Flur Licht gemacht hatte, schien das Licht durch ihrem dünnen Nachthemdchen und gab ihm den Blick auf ihre zierliche Silhouette frei. Ein Gribbeln stellte sich bei ihm ein und auch sein Herz schlug höher und schneller. Wie in Trance löschte er das Licht, ging in sein Zimmer und konnte für lange Zeit nicht einschlafen. Die ganze Zeit strich er sich über seine Wange und spürte das Gribbeln, welches sich einstellte, wenn die Erinnerung an diesem magischen Moment einsetzte.

 

********

Lucille war mit Tüten und Paketen bepackt und schlenderte durch die Straßen von Paris. Es war spät geworden und die Sonne ging bereits unter. Aus heiterem Himmel hatte Francoeur sie geradezu aus der Wohnung geschmissen. Unter dem Vorwand - er hätte Nachricht erhalten, sie könne ihr Kleid aus der Reinigung und ihre neuen Schuhe beim Schuster abholen und wenn sie denn schon unterwegs war - kännte sie noch andere Besorgungen erledigen.

Sie hatte sich nichts weiter dabei gedacht und war seinem bestimmten Vorschlag gefolgt.

 

So hatte sie auch eine Gelegenheit gefunden über die letzten drei Wochen nach zu denken. Seit dem Tag als sie sein neues Lied Ein gefährliches Spiel entdeckt hatte und sie sich darin verloren hatten, war etwas geschehen, was bis zum heutigen Tag angehalten hatte. Auch wenn es vielleicht unzüchtig und verwerflich war, sich auch nur im Gedanken sich mit ihm einzulassen, wo er doch nicht einmal ihrer eigenen Spezies angehörte, doch fiel es ihr schwer dieses Hindernis wirklich als dieses anzusehen.

 

Er war so zärtlich, so zuvorkommend, so vorsichtig, als wäre sie eine Puppe aus Glas und noch nie hatte er sie als selbstverständlich angesehen. Sie hatte das Gefühl ihm alles erzählen zu können und nur er konnte sie verstehen, wenn es um ihre Musik ging.

Doch was sie ein wenig störte, war die Tatsache das er so vorsichtig war, das er nicht einmal versuchte sie zu küssen. Abgesehen von ihren Gute-Nacht-Küsschen auf seine Wange geschah nichts. Wenn sie lasen, legte er vielleicht zwei Arme um sie, und streichelte sie ein wenig über den Arm und auch so suchte er ihre Nähe, aber nicht so wie sie es sich wünschte.

Aber auch sie war ein wenig merkwürdig geworden, sie konnte sich das nicht so recht erklären. Doch immer wenn sie mit ihm Körperkontakt hatte, fand sie es sehr schön und hätte gerne mehr, fühlte sich aber nicht direkt körperlich zu ihm hingezogen, wie sie es bei Raoul damals verspürt hatte.

Sie sehnte sich nach seinen Küssen, sie sehnte sich nach seinen Umarmungen, aber mit ihm das Bett zu teilen, darauf würde sie niemals kommen, da einfach das Bedürfnis fehlte. Ob es dass das Ganze so schwierig machte?

Man konnte sich mögen und lieb haben, wenn man nicht der selben Spezies angehörte, wie bei einem Haustier, aber Liebe machen? - Das war wohl nicht ganz so leicht.

 

Vor ihrem Haus stehen bleibend, zog sie den Schlüssel aus ihrer Handtasche und schloss umständlich die Tür auf. Mit schmerzenden Armen lief sie Treppen hinauf, öffnete die Wohnungstür, lief hinein, schloss die Tür indem sie mit dem Fuß dagegentrat und legte die Tüten und Päckchen auf den Küchentisch ab.

 

„Francoeur, ich bin wieder zu Hause. … Francoeur? … Bist du da?“, lief sie während sie bereits begann die Päckchen auszupacken. Verwundert, da sie von ihrem Freund keine Antwort erhielt, lief sie aus der Küche und bemerkte nun die Veränderung. Das einzige Licht in der Wohnung drang aus der leicht offenstehend gelassener Tür ihres Schlafzimmers.

 

„Francoeur?“, rief sie und lief mit klopfendem Herzen auf ihre Tür zu. Was machte er wohl da drin?

 

Lucille schob die Tür auf und fand sich in einem Meer aus Kerzen wieder. Besonders ihre Kommode wurde reichlich mit Kerzen bestellt und mitten in dem Feuer fand sie einen weißen Umschlag mit ihrem Namen darauf.

Sie nahm den Brief, riss ihn voller Neugierde auf und las. In schön geschwungener, schwarzer Schrift, hatte Francoeur ihr einen Brief geschrieben.

 

Liebste Lucille,

 

wie dir inzwischen aufgefallen sein wird,

habe ich dich nur aus dem Haus geschickt um dir diese

Überraschung vorbereiten zu können.

 

Im Kleiderschrank habe ich dir Kleid bereit gehängt

und in der oberesten Schublade deiner Kommode

findest du die Sachen, die dich heute beschmücken sollen.

 

Ich habe es dir nicht erzählt, aber nur um dir nur

eine Freude zu machen. Nachdem wir das Buch von Monsieur

Leroux fertig gelesen hatten, hatte ich mich mit ihm noch

einmal in Verbindung gesetzt, woraufhin er uns zum

diesjährigen Maskenball in der Opéra Garnier eingeladen hat.

 

Wie du dir denken kannst ist er mit dem Personal dort bekannt

und hat durch sein Buch noch mehr Zuschauer angelockt,

wodurch er dort ein gerngesehener Gast ist.

 

Mach dich frisch und kleide dich an,

um halb neun wird dich eine Droschke erwarten und dich

zur Oper bringen.

 

Ich werde dich dort erwarten.

 

Dein Francoeur

 

 

Ungläubig blickte Lucille auf den Brief. Ihre Wangen glühten und ihr Herz machte einen riesigen Luftsprung. Noch nie war sie bisher in der Pariser Oper gewesen und nun durfte sie sogar dem Maskenball beiwohnen.

 

An ihrem Kleiderschrank klebte ein Brief, dessen weißes Papier ihr in die Sicht sprang, in dem dämmrigen Kerzenschein. Neugierig öffnete sie ihn und las:

 

Heute sollen dich feinste Stoffe zieren,

jeder Mann soll die Sprache verlieren.

Bei deinem Anblick Liebste mein,

wirst du die Schönste auf dem Maskenball sein.

 

Sie öffnete ihren Kleiderschrank, an dessen Tür ein Kleid von innen hinein gehängt worden war, wobei ihr der offene Spalt durch die Kerzenflut nicht aufgefallen war. Das Kleid das sich ihr zu wandte war unglaublich.

Aus den feinsten Stoffen sah sie ein traumhaft schönes, weißes Kleid. Es hatte zahlreiche Lagen an schwerer Seide. Hübsch glänzende Perlen waren überall hinein gestickt worden, vor allem an dem Dekolletébereich, welche dieses noch mehr betonten werden. Die Schultern würden von herabhängenden Schlaufen umschmeichelt werden. Wo oben herum ihre Figur betont werden würde, so würden die Beine unter einem weiten, langen Rock versteckt sein.

 

Sogleich lief sie ins Bad, duschte sich ordentlich, als glaubte sie das ihre Haut so makellos weiß sein müsste wie das Kleid. Die Haare kämmte sie und steckte sie zu einer schönen Frisur hoch, so das nur noch ihre langen Spitzen in ihrem Nacken auf die Schulter fielen.

 

Vorsichtig schlüpfte sie in das Kleid, dessen Bänder sie geschickt hinter ihrem Rücken verknotete, denn die Bänder der Corsage mussten nicht mehr enger gezogen werden, als hätte Francoeur genau gewusst welche Größe sie bräuchte.

 

Sich im Spiegel mit offenem Mund betrachtend, denn sie hatte noch nie so eine schönes junge Frau gesehen, fielen ihr Francoeur's Worte ein, die im Brief gestanden hatten. Lucille ging zu ihrer Kommode und öffnete die obere Schublade.

Dort lagen zauberhaft weiße Schuhe in mitten ihrer Spitzenunterwäsche, wie auch eine reichverzierte weiße Maske mit funkelnden Steinchen, die nur ihre Augen umrunden würden und auch eine Schachtel mit ihrem Namen darauf. Sie öffnete die Schachtel und entdeckte einen Brief, und ein teures, silbernes Collier.

 

 

Sich zurückhaltend, nahm sie zunächst den Brief und öffnete ihn.

 

Diese Ketten sollen dich schmücken,

auf das du jeden mit deiner Schönheit kannst beglücken.

Doch sei gewiss mein Herz, das heute hier,

die Schönheit nur gehört zu mir.

 

Francoeur's geschriebene Worte verursachten einen Flammeninferno in Lucille's Inneren. Die Röte schoss ihr in die Wangen, wie die Schauer und Blitze durch ihren Körper zu ihrer Mitte.

 

Sie schlüpfte mit ihren kleinen Füßen in die Schuhe, die natürlich wie angegossen passten und behängte sich mit dem Schmuck. Zu guter Letzt kam die Maske und als könnte Francoeur ihre Gedankenlesen, fand sie noch ein kleines schwarzes Säckchen mit zwei hübschen Haarspangen, die mit Perlen verziert waren, darin.

 

Wie auf ein Zeichen hörte sie Hufgetrampel und als sie das Fenster öffnete und hinunter sah, erblickte sie eine hübsche, kleine, schwarze Droschke, die von zwei schwarzen Pferden gezogen wurden und von einem Kutscher gelenkt wurden.

Freudig lief sie hinunter, riss die Haustür auf und ging mit klopfendem Herzen auf die Droschke zu. Der Kutscher nickte ihr zur Begrüßung zu und hob kurz seinen Hut. Sie stieg hinein und kaum hatte sie sich gesetzt, lenkte der Kutscher die Pferde auf die Straße um sie zum Pariser Opernhaus zu bringen.

Als Lucille sich entspannte und sich etwas breit machte, stieß ihre Hand gegen eine Schachtel welches sie zuvor nicht gesehen hatte. Es war eine kleine schwarze Schachtel, die mit einer dunkelroten Schleife zugebunden war und wieder haftete ein Brief daran.

 

Neugierig riss sie es auf und las.

 

Ein kleines Stelldichein soll dich begleiten,

um die Fahrtzeit zu bestreiten.

 

Lang wird’s nun nicht mehr dauern,

alles steht bereit, du wirst erschauern.

 

Der Rote Tod erwartet dich,

in der Flut des großen Kerzenlichts.

 

Geschwind zieht er dich in sein Reich,

wo die Stimme der Sirene die Wellen erreicht.

 

Schon bald bist du bei mir,

auf dem Maskenballe hier.

 

Herzklopfen war ihre erste Reaktion auf sein Brief. Schamröte die Zweite und zu guter Letzt der versprochene Schauer, der heiß und kalt über ihren Rücken lief.

 

Lucille öffnete die Schachtel um sich etwas abzulenken, wie Francoeur es vorausgesehen hatte und fand die leckersten Pralinen vor sich, die man bei Chocolate kaufen konnte.

Sie schob sich die erste in den Mund und es war wie der Himmel auf Erden. Die süßherbe Schokolade umschmeichelte ihre Zunge und als sie genüsslich hinein biss floss die flüssige, süße Sünde aus der harten Schale und breitete sich in ihrem Mund aus.

Wohlig begann Lucille zu seufzen und schob sich sogleich noch eine Praline hinein. Als sie die letzte von neun hinunter geschluckt hatte, fuhr die Droschke auf einen großen Platz und sie erblickte die hell erleuchtete Opéra Garnier.

 

Die Droschke kam vor den Stufen der Oper zu stehen, ein Concierge der Oper, öffnete ihr die Tür und hielt ihr als Hilfe seine Hand hin. Etwas umständlich, da sich das Reifrock sehr ungewohnt anfühlte, schwang Lucille die Beine über den Rand und hüpfte mehr runter als das sie stieg.

 

Mit leuchtenden Augen und nervösem Geist lief sie die Stufen zum Eingang hinauf und wurde von einem nicht verkleideten Herrn, der sie direkt zur Seite nahm, als sie schon direkt zur Tür hineinlaufen wollte.

 

„Moment, moment, Mademoiselle. Wie lautet ihr Name?“

 

„Äh.... Lucille Frémir.“

 

Der Mann sah auf der langen Liste nach und entdeckte wohl ihren Namen, da er sie einließ. Er und ein anderer Mann öffneten die Flügeltüren und sie wurde eingelassen in die Welt voller Musik, Wein und Tanz.

 

Viele Menschen kamen gerade an, wie sie und liefen die Treppen des prächtigen Foyers hinauf. Da sie sich nicht auskannte lief sie der Masse hinter her und es führte sie zum Foyer de la Danse. Dieser riesige Saal erschien ihr so hoch wie ihr Wohnhaus, so groß wie alle Wohnungen zusammen, die sich darin befanden. Herrliche Kronleuchter beleuchteten den Saal, die oberen Zehntausend standen am Rand, tranken und unterhielten sich über die interessanten Vorkommnisse des Jahres. Es spielte schönes Musik, und in der Mitte des Saals tanzten die Paare und wirbelten umeinander herum in ihren farbenprächtigen Kleidern.

Lucille lief unsicher durch die Menge und wusste nicht so recht was sie tun sollte. Jedem der sie erblickte stockte der Atem und keiner der hübschen Männer traute sich sie anzusprechen. Doch plötzlich änderten sich die Blicke der Männer. Sie sahen durch sie hindurch, etwas schien sie zu schockieren und ihre Blicke wanderten etwas nach oben. Sahen sie denn noch sie an?

 

Als die Menschen schon vor ihr etwas zurückwichen, spürte sie einen Schatten auf sich und etwas tippte sie an. Erschrocken drehte sie sich herum und erblickte einen großen Mann. Er war in einem feuerroten Anzug gekleidet, mit einer schwarzen Weste, mit goldgelbem Faden reich bestickt, einem schwarzen Schal und einem ebenso feuerroten Schlapphut mit einer großen roten Feder darauf. Schwarze Handschuhe bedeckten seine Hände und als Lucille ihm ins Gesicht sah, erschauerte sie.

Vor ihr stand ein lebender Toter. Die Maske war ein weißer Totenschädel, nur die Mundpartie blieb frei.

Der Rote Tod.

 

Lucille bekam eine Gänsehaut. Sie erkannte sofort diese betörenden roten Augen die sie eindringlich betrachteten.

 

„Möchte Mylady einen Champagner?“, fragte er charmant und bot ihr einen Arm an.

 

„Es wäre mir eine Ehre“, sagte Lucille elegant und ergriff seinen Arm.

 

Schnell war ein Angestellter gefunden, der gefüllte Gläser auf einem Tablett herumtrug und sie jedem reichte, der noch keines hatte. Gemeinsam stellten sie sich an den Rand, etwas abgelegen von den anderen.

 

„Oh Francoeur, wie soll ich...“, begann Lucille sich zu bedanken, doch winkte Francoeur sogleich ab.

„Sag nichts, genieße es einfach, brr. Du siehst bezaubernd aus, wie erwartet“, sagte er.

 

„Und du siehst schaurig aus, wie vorher gesagt“, lächelte sie.

 

Sie unterhielten sich angeregt bis sie ihre Gläser geleert hatten.

 

„Darf ich um diesen Tanz bitten?“, fragte Francoeur, als eine liebliche Melodie zu spielen begann.

 

Lucille erkannte sofort die Melodie des Schwanensee's, ein fantastisches Ballett.

 

Francoeur führte sie zur Mitte, an den tanzenden Paaren vorbei, die nun langsamer zu tanzen begannen. Alle sahen sie an, Lucille, wie auch Francoeur. Lucille trafen eifersüchtige und neidische Blicke, während Francoeur voller Bewunderung, aber auch Vorsichtig betrachtet wurde. Es war nicht nur die makabere Totenkopfmaske, sondern auch seine körperliche Größe machte Eindruck.

 

Sich bis zur Mitte des Saales durch schlängelnd verbeugte sich Francoeur ehrfürchtig vor ihr, ebenso wie sie einen Knicks machte. Er ergriff ihre Hand und zog sie zu sich, in eine Drehung. Während dem Tanz schien Lucille alles zu vergessen, selbst ihren Namen. Es gab nur noch ihn. Nur noch diese roten Augen die sie so voller Liebe ansahen.

 

Wie in Trance, wie eine willige Puppe wurde sie in seinen starken Armen herumgewirbelt, folgte seiner Führung. Ihr Herz klopfte wild in ihrer Brust, sie spürte die Röte auf ihren Wangen, die nicht nur vom Champagner verursacht wurde. Die Musik schwoll an, die Paare um sie herum machten Platz, da sie sich förmlich bedrängt fühlten von ihrem eigenwilligen Tanzstil. Auch konnten sie nicht die Augen von dem ungewöhnlichen Duo nehmen. Es kam zum Höhepunkt, Francoeur und Lucille vollführten einige Drehungen und kamen mit der Musik zum Stillstand.

 

Sie sahen sich in die Augen. Alles um sie herum war unwichtig geworden. Das Orchester begann wieder zu spielen, doch sie hörten es nicht. Die anderen Gäste genehmigten etwas zu Trinken oder tanzten weiter, doch sie sahen es nicht.

 

„Hier sind Sie Monsieur Francoeur, ein hinreißender Tang. Aber gönnen Sie ihrer reizenden Begleitung etwas Pause, sie scheint mir doch sehr aus der Puste“, kam plötzlich ein junger Mann, mit einer Brille auf der Nase mit runden Gläsern und einem Schnurrbart. Ein wirkliches Kostüm hatte er nicht. Er trug nur einen blauen Anzug, ein Rüschenhemd und eine weiße einfache Maske um den Hals.

 

„Monsieur Leroux“, sagte Francoeur erfreut und reichte ihm die behandschuhten Hände. „Vielen Dank für die Einladung.“

 

„Keine Dankesreden junger Freund, Sie und Mademoiselle Frémir haben mir in einer Schreibblockade geholfen. Genießen Sie das Fest und die Schönheit ihrer Begleiterin. Ein beeindruckendes Kostüm im Übrigen. Sie würden ihm fast alle Ehre machen“, lächelte Leroux zweideutig.

 

„So meine Lieben, ich werde mich einmal wieder unter die Menge mischen, ich möchte noch mit einigen guten Freunden ein Pläuschchen halten“, verabschiedete er sich und ging.

 

„Monsieur Leroux?“, hielt Lucille ihn kurz auf und holte ihn ein.

 

„Ja Mademoiselle?“, fragte er überrascht.

 

„Gab es ihn wirklich?“, fragte sie eindringlich.

 

Sofort entdeckte sie das Leuchten in seinen Augen, das sogleich aufblitzte.

 

„Wimmeln Sie die Fremdenführer ab. Gehen Sie in Loge fünf und klopfen Sie an die rechte Säule...“

 

„Ja, das haben Sie geschrieben.“

 

„Dann tun Sie es. Sie werden Ihre Antwort finden wenn Sie sich nur zur Genüge hier umsehen. Ihr Freund hat sich in letzter Zeit auch etwas umgesehen, er bat mich um ein wenig Anleitung. Seien Sie wachsam und versuchen Sie mehr zu sehen als das was die anderen sehen. Einen schönen Abend noch, Mademoiselle Frémir“, sagte er eindringlich und ging davon.

 

„Was hast du mit ihm besprochen, brr?“, stand Francoeur plötzlich hinter ihr.

 

Lucille spürte seine Anwesenheit in ihrem Rücken und sah Leroux hinter her, der in der Menge verschwand.

 

„Ich habe ihn nach Erik gefragt“, sagte sie und lehnte sich etwas an ihm, während er sacht eine Hand auf ihre Taille legte und sich zu ihr hinunter beugte.

 

„Was das angeht muss ich dir etwas zeigen“, sagte er plötzlich geheimnisvoll und zog sie mit sich. Sie gingen aus dem Foyer de la Danse und er führte sie den langen Gang entlang den sie zuvor gekommen war. Im Foyer angekommen, gingen sie rasch die Treppe zum Zuschauerraum hinauf. Die beiden liefen aber nicht direkt durch die großen Flügeltüren, sondern den Gang rechts hinein, die Treppe hinauf und in die dritte Tür hinein. Es war eine der Logen des Zuschauerraums und Lucille glaubte zu wissen welches es war. Auf der rechten Seite, wo die Brüstung begann, befand sich eine hohe, recht breite Säule. Lächelnd schob Francoeur sie dort hin.

 

„Soll ich wirklich?“, fragte Lucille, zunächst etwas peinlich berührt ob sie denn wirklich auf eine kalte Säule klopfen sollte.

„Tu es, brr“, ermunterte Francoeur sie.

 

Lucille schritt näher zur Säule, strich einmal sacht darüber als wäre es etwas Heiliges und klopfte sacht daran. Dann etwas härter. Weiter oben, weiter unten. Es war hohl.

Verzückt lachte Lucille auf. Voller Aufregung klopfte sie immer wieder daran.

 

„Soll ich dir noch etwas zeigen?“, fragte Francoeur freudig wie ein kleines Kind. „Ja“, hauchte Lucille, ergriff sogleich seine Hand und ließ sich mitziehen. Wieder ging es ins Foyer, die Treppen hinunter, den Gang nach links hinein. Mehr konnte sich Lucille nicht merken. Das Opernhaus war riesig. Die vielen Stockwerke, die Gänge, die Zimmer. Es verwunderte sie das Francoeur wusste wohin sie liefen. Irgendwann standen sie vor einer einsamen Tür, ganz weit hinten eines Ganges. Er öffnete sie und sie fanden eine Garderobe vor. Gegenüber der Tür befand sich ein mannhoher Spiegel.

 

„Das ist doch nicht....“, verschlug es Lucille die Sprache.

 

Schnell lief Francoeur zum Spiegel, griff mit seiner Hand auf mittlerer Höhe des Spiegelrahmen und betätigte einen Mechanismus, denn plötzlich gab es ein klickendes Geräusch und er schob den Spiegel wie eine Tür auf.

Enttäuscht jedoch musste Lucille feststellen das der erwartete Geheimgang dahinter nur eine Mauer war. Doch beim längeren Hinsehen fiel ihr auf dass das Mauerwerk eine völlig andere Farbe hatte, als die wenigen Zentimeter der richtigen Mauer. Auch wirkte es als wäre es schlampig und auf die schnelle errichtet worden.

Andächtig und vorsichtig lief sie auf die Mauer zu und strich ein weites Mal darüber.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken und sie fühle Bedauern.

 

„Armer unglücklicher Erik“, hauchte sie.

 

Francoeur trat hinter ihr und legte seine Hände auf ihre Schultern.

 

„Es wirkt wie ein Gefängnis“, sagte Lucille und lehnte sich an ihn.

 

„Findest du? Er liebte die Oper und wurde erlöst von der einzigen Frau die er je liebte und von der er geküsst wurde“, flüsterte er, nahm sie in seine Arme und schloss den Spiegel.

 

Lucille genoss den Moment in seinen starken Armen, gelehnt an seinem warmen Körper. Francoeur erging es nicht anders, er roch an ihrem Haar und schloss dabei die Augen. Es war ein überwältigendes Gefühl mit seinem Engel so nah beisammen stehen zu können.

 

Nachdem Lucille sich etwas gefangen hatte und ein Stoßgebet für Erik gen Himmel geschickt hatte, löste sie sich aus der Umarmung und bestand darauf die Räumlichkeiten zu verlassen, da sie nicht den ganzen Abend bedrückt herumlaufen wollte.

 

Wieder im Foyer de la Danse fühlte Lucille sich wie in eine andere Welt geschleudert. Vom Tal der Trauer ins Tal des berauschenden Festes. Zunächst fühlte sie sich etwas fehl am Platz, doch Francoeur holte den beiden noch etwas zu Trinken und bat sie danach wieder um einen Tanz.

 

Noch lange blieben sie an diesem Abend und Lucille glaubte noch nie so viel getanzt oder gelacht zu haben. Sie fühlte sich wie eine Prinzessin und in Francoeur glaubte sie den perfekten Prinzen zu sehen.

Die, in der der Fuchs ins Jagdhorn trötet

Kapitel 5: Die, in der der Fuchs ins Jagdhorn trötet

 

 

Das schwarze Auto, eines der neuesten Modelle fuhr in die Straße ein und hielt vor der Tür ihrer Wohnung. Francoeur stieg als erstes aus, lief um das Auto herum und öffnete Lucille die Tür. Mit ihren behandschuhten Händen warf sie das Kleid mitsamt ihrer Beine über den Rand des Sitzes und ergriff die Hand Francoeurs. Das Kleid war mit dem weiten Reifrock, welches dafür sorgte das der weiten Lagen an feinen Stoffen wundervoll fielen, nicht ganz einfach. Dem gesamten Abend über auf dem Maskenball in der Pariser Oper war es sehr ungewohnt gewesen sich darin zu bewegen, doch glücklicherweise hatte Lucille nichts um geschmissen und auch sonst peinliche Momente vermieden.

 

Francoeur half ihr aus dem Auto, bezahlte den Fahrer und geleitete sie zur Haustür und auch den Hausflur hinauf. Zu ihrem Glück war der Hausflur sehr großzügig geschnitten und das Reifrock beweglich. Bis zum Schluss führte Francoeur sie, wie der perfekte Gentleman. Der Abend war hinreißend gewesen, noch nie hatte sie ihre Sorgen vergessen können, wie in diesen unvergesslichen Stunden. Die Musik, der Tanz, Francoeur. Ohne ihn wäre der Abend nur halb so schön gewesen. Es war einfach perfekt. Er war perfekt. Sogleich führte er sie in den Salon und setzte sie auf die Chaiselongue und verschwand für einen kurzen Augenblick.

Er kam mit einer Champagnerflasche und zwei Champagnergläser zurück. Geschickt öffnete Francoeur die Flasche, schenkte Lucille und auch sich selbst etwas ein und drückte ihr das Glas in die Hand.

 

„Auf was stoßen wir an?“, fragte Lucille lächelnd.

Für einen Moment sah Francoeur sie einfach nur an. Mit ihren hochgesteckten Haaren, den Locken die ihr um die Schultern fielen und der weißen Maske, die ihr Gesicht so geheimnisvoll umschmeichelte war sie einfach perfekt.

 

„Auf den schönen Abend“, sagte er und hielt das Glas hoch, „und auf deine Schönheit, auf das sie niemals verblühen werde.“

„Auf den Abend“, sagte Lucille feierlich, „auf unsere Musik.... und auf uns.“

 

Francoeur stutzte. Hatte er richtig verstanden? Aber sicherlich meinte sie ihre Freundschaft. Aber warum sah sie ihn so bedeutend an? Wie in Trance kam er ihr näher, diesem schönen Gesicht, diesem reinen Engel. Ehe er es sich versah waren seine Lippen auf den ihren. Sie waren so warm und weich und es fühlte sich an wie ein Feuerwerk.

Wie von einer Tarantel gestochen wich er zurück und setzte sein Glas auf den Tisch ab.

 

„Mon Dieu! Lucille! Es tut mir leid, ich wollte nich...“, rief er schockiert aus.

 

Geschockt über sich selbst und seinem Handeln.

 

„Schschsch“, sagte Lucille und legte ihren Finger auf seine Lippen während auch sie ihr unangerührtes Glas abstellte. „Du weißt so gut wie ich das es kein Versehen war“, hauchte sie.

 

„Du hast recht, wie konnte ich nur. Ich...“, klagte er, als er auch schon unterbrochen wurde.

 

Doch dieses Mal war es nicht ihr zarter kleiner Finger gewesen, der ihm am Sprechen hinderte. Sondern ihre Hände die ihn an seine Speisehaken, seinem Mundwerkzeug packte, zur ihr hinunter zog und ihn abermals küsste. Er wollte zurückschrecken, er wusste nicht was mit ihm geschah, doch als ihre Lippen sich über seine legten war es schon zu spät. Francoeur war seiner Lucille, seinem Engel vollends verfallen, mit Haut und Haar.

 

********

 

Von den hellen Sonnenstrahlen geneckt, schlug Francoeur die Augen auf und blinzelte. Er rieb sich den Schlaf aus seinen roten Augen und setzte sich auf. Von einem Moment zum anderen versteifte er sich als er erkannte das er nicht in seinem Zimmer aufwachte. Sofort kamen die Erinnerungen an letzte Nacht zurück. Noch lange hatten sie auf der Chaiselogue gelegen, sich geküsst und gestreichelt. Es kam ihm vor wie ein Traum, hatte er wirklich ihre sanften Lippen auf seine und ihre weichen Arme um seinen Körper gespürt?

 

Als Beweis lag Lucille neben ihm, in ihrer Unterwäsche. Die Decke hatte sie von sich gestrampelt und lag in ihrer halbnackten Schönheit vor ihm. Nur noch ihr Mieder, ihr Unterhöschen und ihr Strapsgürtel mitsamt den Strümpfen bedeckten ihren jungen Körper. Die Hochsteckfrisur war reichlich versaut, der Haarknäuel lag verlottert an ihrem Kopf und die lockigen Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Ihre Lippen standen leicht offen und ihre Nasenspitze zuckte manchmal niedlich rauf und runter.

 

Verträumt beobachtete Francoeur seinen Engel. Ruhig und friedlich lag sie da und für diesen Moment war er der glücklichste Mann der Welt. Zärtlich strich er ihr die Strähnen aus dem Gesicht und begann zwei seiner Arme sanft über ihren Körper gleiten zu lassen. Ihre weiße Haut war so warm und weich, es war einfach perfekt. Francoeur verlor sich in den Berührungen und machte selig weiter.

Plötzlich bewegte sich das Ziel seiner Aufmerksamkeit und er zog seine Hände weg. Besorgt sah er sich um, doch einfach aufspringen und hinausgehen wollte er auch nicht. Er befürchtete das sie die letzte Nacht nur zu viel getrunken hätte und sich vor ihm erschrecken würde. Wie er so nackt neben ihr im Bett lag. Auch wenn er selbst dem Nacktsein nicht so viel Bedeutung beimaß.

Lucille's Augen flatterten und sah ihn aus einem Schleier von Müdigkeit an. Für einen Moment blieb sein Herz stehen, doch sogleich begann sie zu lächeln, überwand den Abstand indem sie zu ihm rutschte, legte einen Arm um ihn, drückte ihn einen Kuss auf seine Lippen und kuschelte sich an ihn als sie wieder die Augen schloss und weiter döste.

 

Noch lange betrachtete Francoeur sie und wünschte sich dieser Moment könnte ewig anhalten. Doch war die traumhafte Nacht vorüber und der Maskenball nur eine schöne Erinnerung. Nun begann wieder das alltägliche Leben und was könnte er Lucille schon bieten?

Auf der Bühne wurden sie bejubelt, doch was würden die Menschen sagen wenn sie Lucilles Ehemann niemals ohne Maske, nie ohne den vermummenden Schal, den Hut und den Mantel sehen würden?

 

Es würde auffallen, mehr noch als jetzt, also musste er sich zusammenreißen. Und wie sollte das Leben an seiner Seite auch aussehen? Lucille würde nie Kinder mit ihm haben können und mehr als seine Musik hatte er nicht zu bieten. Er betrachtete die schlafendee Schönheit noch eine Weile und schlich sich dann aus ihrem Schlafzimmer.

 

Er beseitigte die Unordnung im Salon von letzter Nacht und wusch ab. Dabei war Francoeur sehr unkonzentriert und dachte immer an Lucille, die noch immer halbnackt in ihrem Bett lag und schlief. Mit schmerzender Brust dachte er daran das der Traum wohl vorüber wäre, sobald sie aufwachte. Sie würde bereuen was sie getan hatte. Ganz bestimmt.

 

********

 

Zur selben Zeit erwachte Lucille und streckte sich wohlig, wie eine Katze. Sie sah sich um, doch Francoeur war bereits aufgestanden und hatte sie allein gelassen. Sie sah sich um und fand ihr zauberhaftes Kleid, zerknittert neben ihrem Bett liegen. Erschrocken sprang sie auf und nahm es ehrfurchtig auf, hing es an ihren Schrank und strich es glatt. Dieses Kleid war so wundervoll das sie nicht einen Knick darin wollte.

Als sie Geräusche in der Küche vernahm, zog sie eilig ihren Bademantel über und verschnürte ihn nur halbherzig, so das ihre Unterwäsche kein Geheimnis blieb. So fand sie Francoeur in der Küche werkelnd, der das Frühstück vorbereitete.

 

“Bonjour Francoeur”, sagte sie mit belegter Stimme und lächelte ihn an.

 

Erschrocken drehte sich Francoeur sich zu ihr und hätte fast die Teetassen fallen lassen.

 

“Brrr, Bon... Bonjour... Lucille”, sagte er und versuchte sich normal und unbekümmert zu geben.

 

In Lucille macht sich ein merkwürdiges Gefühl breit, wie sollte sie ihm denn nun begegnen, nach dieser Nacht?

Was genau war das eigentlich was die beiden hatten?

Wovon genau konnte man eigentlich hier sprechen?

 

Im Grunde ist nichts passiert, außer ihren unschuldigen Küssen, die nicht lange unschuldig blieben und ihren kuscheleinheiten.

 

Beherbergte sie Gefühle für ihn?

Ja!

Francoeur war die Verkörperung ihres Traummannes. Doch war er auch ein Floh, das war eine Tatsache.

Hatten sie eine wirkliche Chance?

Unmöglich.

Wollte sie es in den Sand setzen und vernünftig sein?

Auf gar keinen Fall!

 

“Bist du der Meinung dass das eine anständige Begrüßung ist?”, fragte Lucille keck, ging auf ihn zu, zog seinen Kopf zu ihr hinunter und küsste ihn auf den Mund.

 

Vor lauter Schock klapperten seine Beißzangen, und hätten fast Lucille erwischt, doch wich sie glücklicherweise schnell zurück. Erschrocken hielt Francoeur seine vier Hände vor den Mund.

 

“Tut mir leid”, sagte er und wich einen Schritt zurück.

 

“Das muss dir nicht leid tun, es ist doch nichts passiert”, sagte Lucille aufmunternd und strich ihm zärtlich über die Wange.

 

Er beruhigte sich wieder und so frühstückten sie gemeinsam. Durch Lucilles offensichtlicher Ablehnung ihre Nacht einfach in Vergessenheit geraten zu lassen, fand Francoeur den Mut ihr seine Liebe auch offen zu zeigen.

 

********

 

Die nächsten Wochen vergingen wie im nu und es war zugleich der schönste Traum für die beiden. Alles war unwirklich und zugleich merkwürdig, doch war es das was sie wollten. In der Öffentlichhkeit konnten sie natürlich wahrlich nicht zeigen was sie für einander empfanden, doch in der Abgeschiedenheit ihrer Garderobe oder hinter der Bühne, wenn der Vorhang sich vor ihnen schloss und Lucilles Tante noch eine Minute brauchte um begeistert zu ihnen zu stürmen.

 

Es war traurig das sie etwas so gewöhnliches wie die Liebe zu jemandem verheimlichen mussten, als wären sie gemeine Spione. Aber dennoch fand Lucille kindliches Gefallen daran Verstecken zu spielen etwas zu haben, das nur Francoeur und ihr gehörten. In der Sicherheit ihrer Wohnung verbrachten sie die Abende damit sich Bücher vorzulesen, zu kuscheln und die Küsse des anderen zu genießen.

 

Es ging nie soweit das sie sich körperlich intim wurden, so wie sie es unzählige Male mit Raoul geworden war, denn etwas stand im Weg, was sich Lucille aber bald nicht mehr selbst erklären konnte. Sie hatte die Grenze überschritten indem sie sich eingestand was sie für Francoeur empfand, und auch teilte und genoß sie die Zärtlichkeiten. Doch diesen intimen Schritt, dazu war sie einfach noch nicht bereit, vielleicht würde sie es auch nie sein. Aber er war ein Floh, gehörte eine völlig andere Spezies zu und das war eine Grenze, die sie wohl nie überwinden konnte. Auch Francoeur machte keine Anstalten ihr näher kommen zu wollen, doch das war typisch für ihn.

 

Es hätte nicht perfekter laufen können. Im L'Oiseau Rare lief alles wie gehabt und ihr Leben könnte nicht besser laufen. Doch eines Abends, als Lucille am wenigstens damit gerechnet hatte, eigentlich überhaupt nicht damit gerechnet hatte, kam jemand hinter die Bühne, an den sie bereits seit Wochen nicht mehr gedacht hatte.

 

“Francoeur es war göttlich. Ich finde wir sollten es für nächste Woche noch fantastischer gestalten, und zwar...”, begann Lucille aufgerecht, kaum das der schwere, rote Vorhang gefallen war.

“Grrr... Wie könnte es fantastischer sein, du bist doch schon auf der Bühne”, sagte er, zog sie an sich und küsste sie leidenschaftlich.

Es war magisch und es fühlte sich so gut an in seiner Umarmung. Schnell löste sich Francoeur von ihr, denn er wusste das sie nicht riskieren konnten entdeckt zu werden. Als er ein Stück von ihrem Gesicht entfernt war, blickte er an ihr vorbei und fiel nach hinten, als er sah wer dort stand.

 

Lucille drehte sich verwundert herum und glaubte schon das ihre Tante Carlotta dort stand, doch als sie den Mann sah, wich ihr alle Farbe aus dem Gesicht.

 

“Raoul”, haucht sie und blieb erstarrt stehen.

 

“Francoeur... du küsst Francoeur?”, sprach er gefährlich ruhig und trat auf sie zu. Dabei trat er auf einen Blumenstrauß, den er scheinbar zuvor vor Schreck hat fallen lassen.

 

“Raoul was...”, versuchte Lucille etwas zum Gespräch beizutragen, doch funktionierte es nicht wirklich. Raoul wirkte nicht nur wütend, sondern so unberechenbar. Etwas an ihm wirkte äußerst gefährlich, als wäre es ein anderer Mensch, und so blieb sie stumm.

 

“Weißt du, ich habe lange über uns nachgedacht Lucille. Du weißt das du meine große Liebe bist und ich seit Kindertagen in dich verliebt war. Ich hatte mir deine letzten Worte zu Herzen genommen und versuchte ernsthaft mich zu ändern um dann zu dir zurückkommen zu können, in der Hoffnung das du mich mit offenen Armen empfängst. Ich habe eine Arbeitsstelle, weißt du, eine richtige Anstellung, wie du es wolltest. Ich habe auch eine schöne Wohnung und hoffte das du zu mir ziehen würdest, wenn wir uns wieder versöhnt haben. Doch jetzt...”

 

“Raoul, hör mir zu...”, sagte sie und versuchte ihm sogleich die Idee, die sich gerade in ihm keimte, auszutreiben.

 

“Wie lange geht das schon?”, flüsterte er, und der Unterton gefiel Lucille gar nicht.

 

“Nein, so ist das nicht...”

 

“Ach nein? Willst du mir jetzt sagen das es erst seit ein paar Tagen ist? Ihr habt immer in eurer eigenen Welt gelebt, und während er den ganzen Tag deine gesamte Aufmerksamkeit bekommen hatte, hast du für mich nur Geschrei und Gemecker am Abend übrig gehabt.”

 

“Nein, so war das nicht und das weißt du”, hauchte sie. Ungewollt stahlen sich Tränen in ihre Augen.

 

“Raoul, ich denke es ist besser, wenn du...”, begann Francoeur, er bemerkte das es Lucille nicht gut ging und fand es ungehörig wie Raoul sich benahm.

 

“Halt die Klappe, du Monster! Misch dich nicht ein, nicht schon wieder”, sagte Raoul voller Hass.

 

Was war nur in ihn gefahren?, dachte sich Lucille.

 

“Ggrrrr brrrr”, schnatterte Francoeur wütend und wieder klapperte er drohend mit seinem Mundgeschirr.

 

“Francoeur nicht”, sagte Lucille, sie wollte nicht riskieren das es jemand sah, falls einer hinter die Bühne kam.

 

Wo blieb eigenltich Carlotta?

 

“Du solltest auf deine kleine Freudin hören, du willst doch nicht das Paris erfährt das du nicht gestorben bist”, drohte Raoul und stand nun direkt vor Lucille.

 

“Ich habe dich geliebt, Lucille... so sehr geliebt. Und das Einzige was du tust ist mich hinter meinem Rücken zu betrügen und mir die Schuld an unserer gescheiterten Beziehung zu geben. Und als wäre das nicht schlimm genug...”

 

“Nein Raoul, so war das nicht!”

 

“UND ALS WÄRE DAS NICHT SCHLIMM GENUG... machst du das auch noch mit ihm. Einem Insekt. Einem Monster. Gefällt es dir für ihn die Beine breit zu machen? Diesen unmenschlichen Körper auf sich zu spüren, und von vier Händen penetriert zu werden?”, sagte er ihr, mit feuchten Augen, ins Gesicht.

 

“So ist das nicht”, sagte sie und nun flossen die Tränen unaufhaltsam über ihre Wangen.

 

“Nicht weinen Lucille, du weißt ich hasse wenn du weinst”, sagte er und strich ihr sanft die Tränen von den Wangen, was sie ängstlich erschauern ließ. “Ich hätte dir vieles Verzeihen, vielleicht auch einen Mann. Aber nicht Francoeur! Das ist so wiederwärtig. Wie kann man nur so tief sinken lassen, du bist schlimmer als jede käufliche Dirne auf der Straße. Das wirst du bereuhen! Das wirst du bereuen Lucille. Ich lasse nicht zu das du dich diesem Monster hingibst”, sagte er gefährlich ruhig, sah ihr tief in die Augen und ging plötzlich schnellen Schrittes hinaus, so schnell wie er gekommen war.

 

“Oh Lucille, was hat er gesagt, habt ihr euch wieder versöhnt?”, rief Carlotta plötzlich neugierig aus. Offensichtlich hatte sie ihn nach hinten gelassen.

 

“Nein”, sagte Lucille und ließ ihre Tante einfach stehen. Sie konnte jetzt nicht mit ihr sprechen. Sie nahm Francoeur bei der Hand und zog ihn mit sich in ihre Garderobe. Mit Wucht schmiss sie die Tür hinter sich zu und schmiss sich wie eine Ertrinkende an Francoeurs Hals.

 

“Du musst verschwinden. Du bist hier in Paris nicht mehr sicher!”

Die, in der der Fuchs die Nachtigall stielt

Kapitel 6: Die, in der der Fuchs die Nachtigall stielt

 

Die Wohnungstür wurde aufgestoßen und Lucille lief hastig hinein, Francoeur hinter ihr.

 

„Oh mein Gott, oh mein Gott, was machen wir nur?“, lief sie hysterisch durch die Wohnung. Wie von der Tarantel gestochen lief sie durch die Wohnung und schien auf der Suche nach etwas zu sein, doch fand sie es nicht.

 

„Lucille, bleib doch mal stehen...brrr“, sagte Francoeur sanft und schloss sie in seine Arme. „Es wird nichts geschehen, er ist nur sehr wütend. Vergiss seine Worte, lass uns etwas lesen.“

 

„Nein, nein. Das stimmt nicht. Du hast ihm nicht in die Augen gesehen, so etwas habe ich noch nie bei ihm gesehen.“

 

„Schhh, es wird alles gut ggrr“, sagte er nur und drückte sie noch fester an sich.

 

„Ich will dich nicht verlieren“, schluchzte sie an seiner Brust.

 

********

 

Die nächsten Tage konnte sich Lucille nicht beruhigen. Immer wieder sah sie hinaus aus dem Fenster und spähte ängstlich in die Garderobe wenn sie kamen. Francoeur befürchtete das sie eine ausgeprägte Paranoia entwickelte.

 

Lucille ließ ihn kaum aus dem Haus, noch weniger als zuvor und hielt es selbst ebenso. Sie verspürte ständige Unruhe und fürchtete Francoeur zu verlieren. Selbst allein schlafen wollte sie nicht mehr, immer war er an ihrer Seite. Doch er genoss es bei ihr zu liegen, sie in den Armen halten zu können. Er konnte nicht verstehen das dieser vollkommene Engel, ihn tatsächlich haben wollte.

 

Es waren verrückte Tage. Auch suchte sie mehr die körperliche Nähe, obgleich es nie zum Akt selbst kam. Lucille gestattete ihm kaum Privatsphäre, doch beengte es ihn nicht im geringsten. Francoeur bekam nicht genug von ihrer weichen Haut, ihren zärtlichen Berührungen und ihrem verführerischen, süßen Duft.

 

********

 

Eines Abends, die Begegnung mit Raoul war bereits seit drei Wochen her, Lucille war wieder ruhiger geworden, kuschelten sie gemeinsam auf der Chaiselongue. Lange waren sie so liegen geblieben, bis Lucille zu ihm hoch sah und ihm tief in die Augen sah.

 

„Francoeur, ich... ich will es tun!“, hauchte sie.

 

„Brr?“

 

Sie stützte sich auf ihren Ellbogen und zog sich zu ihm hinauf. Lucille sah ihm noch einmal tief in die Augen. Ihre Lippen senkten sich langsam auf seine und ihre Zunge bat sanft um Einlass. Die gierigen Zungen fochten miteinander, boten sich eine leidenschaftliche Schlacht. Das bekannte Gribbeln setzte in ihrer Magengegend ein, das Ziehen in ihren Lenden. Lucille setzte sich auf Francoeurs Schoß, zog ihn wie eine hungrige Wölfin zu sich hinauf. Sie griff besessen an seine Beißzangen, drückte ihn noch mehr an sich ran. Vier Hände wanderten über ihren Körper, machten sie schier wahnsinnig.

 

Plötzlich hielt Francoeur inne und betrachtete sie eingehend.

 

„Bist du sicher, Chéri?“, hauchte er.

 

Es war sehr erregend und er hatte mühe sich zurück zu halten, das erste Mal das er sie so sehr begehrte. Doch wenn sie es nicht wollte, würde er sich zusammenreißen.

 

Statt einer richtigen Antwort, öffnete sie ihren Morgenmantel und Francouer blieb dabei förmlich die Spucke weg. Ihr junger nackter Körper zeigte sich ihm ohne Verhüllungen, während Lucille ihren Morgenmantel achtlos zu Boden warf. Lasziv schmiegte sie sich wieder an ihm und küsste ihn.

 

Nur Momente später lagen sie beide nackt in ihrem Bett, heimlich hinter verschlossenen Türen, verhangenen Fenstern und zwei einsamen Kerzen.

 

„Du bist so schön“, sagte Francoeur auf ihr liegend und betrachtete sie eingehend. Lucille lag mit verwuschelten Haaren - die einen Kranz um ihren Kopf auf dem Kissen bildeten - mit geröteten Wangen und diesem verführerischen gläsernen Blick da, wie ein vollkommenes Meisterwerk.

 

Für Lucille war es ein überaus erregendes Gefühl Francoeurs Körper auf sich zu spüren. Es war ungewohnt keine warme Haut auf sich zu spüren und zunächst war es merkwürdig gewesen, und Lucille war sich zwischenzeitlich nicht sicher ob sie es durchziehen können würde. Aber Francoeurs zarte Liebkosungen hatten sie eines besseren belehrt. Ihr Körper war so voller Lust das sie glaubte bald wahnsinnig werden zu müssen.

 

„Willst du es wirklich?“, fragte er und drückte seine Hüften an sie, nur schwer würde er es vorzeitig beenden können.

„Ja“, sagte sie und schlang zur Verdeutlichung ihre Arme um seinen Hals. Lucille hatte die ganze Zeit nicht an ihm hinunter gesehen, nicht weil sie sich schämte. Unzählige Male hatte sie sich schon mit Raoul geliebt, doch befürchtete sie das Francoeurs absonderliches Geschlecht sie abstoßen könnte.

 

Francoeur legte wieder seine Lippen auf ihre und platzierte sich zwischen ihre Beine. Ängstlich sah er zu ihr hinunter, es war lange her das er selbst körperliche Liebe gespürt hatte, doch das war zu seinen Zeiten als normaler, mikroskopisch kleiner Floh in dem Fell des Affen Charles. Seine Erinnerungen waren verschwommen und ohne Gedanken dazu, mehr nur triebhafte Gefühle.

 

Langsam drang er in ihr ein und Lucille sog die Luft ein. Die Erregung die sie von innen her ergriff überwältigte sie. Wie nie zuvor spürte sie das sie die Nähe zu einem Mann vermisst hatte. Etwas unbeholfen stieß er vor und zurück, beide klammerten sich aneinander. Der Höhepunkt ließ nicht lange auf sich warten, doch das störte Lucille nicht. Sie war körperlich nicht befriedigt, doch auf eine andere Art und Weise.

 

„Ich liebe dich“, flüsterte er, während sie bereits schlief und kuschelte sich an sie.

 

********

 

Am nächsten Tag war Lucille wie verwandelt. Raouls Drohung war wie fortgeweht, als wäre sie niemals ausgesprochen worden. Fröhlich und heiter kam sie im L'Oiseau Rare an und schnatterte aufgeregt mit ihrer Tante Carlotta, als wäre alles in bester Ordnung. Es wurde während des Tages noch einige Male auf der Bühne geprobt, ehe am Abend die Gäste eintrafen und am frühen Abend saß sie mit Francoeur in ihrer Garderobe, zog ihr Kleid an, während sie von dem selben gierig in Augenschein genommen wurde. Sie spürte die Blicke in ihren Rücken, die elektrische Stöße durch ihren Körper jagten. Er half ihr dabei ihre Korsage zu binden und auch geschickt mit seinen Händen ihre Haare hochzustecken.

 

Für den heutigen Abend wurde ein recht rührendes, trauriges Lied ausgewählt, welches Francouer in den letzten Wochen komponiert hatte. Der Vorhang öffnete sich und Lucille trat in ihrem bezaubernden weißen Kleid hinaus, welches in den letzten Tagen auf Francoeurs Wunsch hin um geschneidert wurde. Es erinnerte einem leicht an einem prachtvollen Hochzeitskleid, doch ihre Engelsflügel waren noch immer Bestandteil des Ganzen.

 

Alle Augen lagen auf ihr, dämmriges, rötliches Licht erhellte die Bühne. Das Orchester begann mit einer dramatischen, unheilvollen Musik, die sogleich wieder verstummte und Lucille sang zunächst allein, ohne Begleitung. Nach einigen Worten schloss sich das Orchester wieder an und spielte eine schöne, ruhige Melodie.

 

Jeder irrt durch das Dunkel der Welt.

Blind vor Ehrgeiz – stumm vor Schmerz.

Hofft auf ein Licht, das die Nacht erhellt.

Folgt der Pflicht, verrät das Herz.

Heute kommt mir das unglaublich vor.

Weil ich so nicht leben will.

Heute kommt mir das unglaublich vor.

Weil ich so nicht lieben will.

Ich will für dich Tag für Tag,

Ehrlich und gut sein, frei und stark.

Die Musik schwoll etwas an und Lucille schritt gemächlich über die Bühne, blickte hier und da einen Gast direkt an, erzählte ihre Geschichte. Ihre wahre Geschichte, wie sie nun erkannte. Wieder kam ihr Raoul in den Sinn und ihre Angst. Sie hatte es satt sich verstellen zu müssen, Francoeur verstecken zu müssen. Lucille wünschte sich ein normales Leben, einem Mann an ihrer Seite, den sie ehelichen konnte, eine Familie gründen.

Jeder irrt durch das Dunkel der Zeit,

man gewinnt und wird besiegt.

Lernt zu leben mit Lüge und Streit.

Wer nicht kämpft, der unterliegt.

Ich will nicht seh'n, was zwischen uns steht,

weil ich so nicht leben will.

Ich will nicht seh'n, was zwischen uns steht.

Weil ich so nicht lieben will.

Ich trag' einen Traum in mir:

Ein neues Leben nur mit dir.

Von deinem Mut getragen, will ich durchs Dunkel gehen

Bis in ein and’res Leben, wo wir zwei uns wiedersehen

 

Plötzlich trat Francoeur auf der Bühne und begann ebenfalls zu singen. Noch nie hatte er sie so eindringlich dabei angesehen und ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie gemeinsam ihre wahren Gefühle preisgaben.

 

Jeder irrt durch das Dunkel der Welt,

jeder wächst durch Schmerz und Not.

Zwei, die Liebe zusammenhält

Schreckt kein Leid und trennt kein Tod
 

Francoeur sang allein, überwand den letzten Schritt und nahm ihre Hände in seine.
 

Ich verachte, was man mit uns macht

Weil ich so nicht leben will
 

Lucille sah zu ihm hinauf und begegnete nur Liebe in seinem Blick. Mit den letzten gesungenen Worten beende sie das Lied so ruhig und schön wie es angefangen hatte.
 

Ich verachte was man mit uns macht,

weil ich so nicht lieben will.

Ich will immer bei dir sein.

Von jetzt an niemals mehr allein.
 

 

Alle Zuschauer die sich im Theater befanden standen begeistert auf und jubelten. Wie so oft wurden sie wieder mal von neuem begeistert. Lucille und Francoeur verbeugten sich, winkten den begeisterten Menschen zu und nahmen die Blumensträuße an.
 

 

„Oh Kinder, dieses Lied war göttlich. Es war so rührend, mir sind die Tränen gekommen“, rief Carlotta aus und man sah tatsächlich die verschmierte Schminke in den Augenwinkeln. „Kind, du siehst so erschöpft aus, hast du die Nacht nicht gut geschlafen?“, fragte sie als sie die Schatten unter Lucilles Augen entdeckte.

„Ich bin nur etwas müde, ich konnte die Nacht nicht gut schlafen“, redete Lucille sich heraus. Natürlich konnte sie niemandem sagen das sie mit Francoeur das Bett geteilt hatte, war es auch eine merkwürdige, ungewöhnliche Begegnung, die sie für sich selbst im Nachhinein nicht einordnen konnte. Sie wusste nur das sie es nicht bereute.
 

 

„Ich geh schon einmal raus, brrr“, sagte Francoeur und ging aus der Garderobe. „Ich komm gleich nach“, rief Lucille, zog Schuhe und Mantel an und verschloss die Tür hinter sich.

Plötzlich hielt sie im Gang - nicht weit vom Hintereingang entfernt - inne, da sie Stimmen zu hören glaubte.

„... was hast du dir nur dabei gedacht? Womit hast du sie herumgekriegt?“, erklang eine wütende Stimme.

„Raoul, ich habe nicht... brr“

„HALT DEIN MAUL! Du hast sie mir weggenommen, mich schlecht gemacht...“

„Nein..ggrrr...“

„WAS HAST DU IHR GESAGT? Hast du sie mit deinen teuflischen roten Augen hypnotisiert? Hast du noch mehr Talente außer dein Gesang?“

Lucille stürzte hinaus, riss die Tür auf und sprang eher die zwei stufen hinunter, als das sie rannte. Und da war er.

Raoul.

„Ah... da ist sie ja. Wir haben dich erwartet“, sprach Raoul, und wieder dieser unsägliche Hass in seinen Augen, diese schäumende Wut. Es verletzte ihn mehr als sie geglaubt hatte.

„Was willst du hier?“, rief Lucille aus und stellte sich vor Francoeur, als könnte ihn das schützen.

„Ich werde nicht zulassen das du damit weiter machst Lucille. Er ist kein Mann den du lieben kannst, ich bin einer. Das muss ein Ende haben.“

„Du weißt nicht was du da sagst“, hauchte Lucille ungläubig. Es kam ihr vor wie ein Alptraum.

„Irgendwann wirst du mir dankbar sein“, flüsterte Raoul drohend, und dennoch war seine Stimme deutlich zu verstehen.

Er nestelte in seinem Strohmantel herum und zog ein Fläschchen mit einer grünen Flüssigkeit heraus.

„NEIN!“, rief Lucille, doch war es schon zu spät.

Das Fläschchen flog durch die Luft, Francoeur wollte davon springen, doch war er nicht schnell genug. Sie zerschellte an seinem harten Rückenpanzer, Lucille schützte mit ihren Händen ihr Gesicht. Ein grüner Rauch verbreitete sich schnell und großflächig um sie beider herum.

„Francoeur?“, rief sie und packte ihn an seinen Armen. Er wankte und röchelte, bekam keine Luft mehr. Seine sonst so schönen roten Augen weit aufgerissen. Schmerz und Schrecken waren darin zu lesen und pure Angst.

„FRANCOEUR“, rief sie ängstlich, klammerte sich an ihm.

Sie hörte etwas hinter sich, doch achtete sie nicht darauf. Mit einem mal erschien noch mehr Rauch, doch war es normaler Räucherduft. Geschockt drehte sie sich herum und erblickte Raoul, wie er besessen versuchte Francoeur einzuräuchern. Es war ein Mittel gegen Ungeziefer.

„NEIN“, schrie sie, rannte auf Raoul zu, stieß es ihm aus die Hände. Er schlug sie in der Hast von sich und hustete, da er auch selbst eingeräuchert wurde.

Nachdem der graue und grüne Nebel sich verzog, erblickte Lucille die leere Gasse und schrie aus Leibeskräften.

„WO IST ER? WO IST ER? WAS HAST DU GEMACHT?“, schrie sie Raoul an, schlug wütend auf ihn ein, die bitteren Tränen rannen ihr das Gesicht hinunter.

Wie aus einer Trance erwachten sah Raoul sie verwirrt und ängstlich an. Ihr Anblick, ihre blutige Stirn erschrak ihn. Erschrak ihn vor sich selbst und sein handeln.

„Was habe ich getan?“, fragte er und blickte sie starr an.

„JA, WAS HAST DU GETAN, DU IDIOT? SAG MIR SOFORT WAS IN DIESER GRÜNEN FLASCHE WAR.“

„Ich … ich war... bbeimmm Prof...Professor“, stammelte er, traute sich keinerlei Bewegung zu, als könnte er sie dadurch verärgern oder gar verschrecken.

„Was war in der Flasche? Was war es?“

„Ich zwang den Professor mir etwas zu brauen das... das Francoeur für immer zurück verwandeln würde.“

Die, in der die Nachtigall den Singvogel küsst

Kapitel 7: Die, in der die Nachtigall den Singvogel küsst
 

 

Wie ein Häufchen Elend saß Lucille auf der Chaiselongue, eingekuschelt in ihrer Decke und hatte bereits die gesamte Ecke von dieser mit ihren Tränen getränkt. Seit Tagen war sie nicht mehr aus ihrer Wohnung gekommen, aß kaum etwas und wandelte wie eine Witwe trauernd durch die Wohnung. Niemandem machte sie die Tür auf, weder ihrer Tante Carlotta, noch ihrer Freundin Maud. Sogar die Fenster waren abgedunkelt und sie hatte keinen Handschlag in der Wohnung mehr getan. Zunächst hatte sie sich in Francoeurs Zimmer verbarrikadiert, doch hatte sie den Schmerz um den Verlust bald nicht mehr ertragen.

Nachdem Francoeur im grünen Nebel verschwunden war, war Lucille wutentbrannt auf Raoul losgegangen, hatte mit voller Kraft auf ihn eingeschlagen, ihn verwünscht, verflucht und zum Teufel gejagt. Als Raoul begriffen hatte was er angerichtet hatte, war er auf die Knie gegangen, Tränen waren seine Wangen entlang gelaufen und er bot an, alles wieder in Ordnung zu bringen, doch verscheuchte ihn Lucille hasserfüllt und brachte Stunden damit zu in der dunklen Gasse nach Francoeur zu suchen.

Jedoch ohne Erfolg. Sie hatte gehofft das er sich wieder in ihr Ohr setzen und zu ihr sprechen würde, doch geschah nicht dergleichen. Egal wie lange sie still dagesessen und darauf gewartet hatte.

Francoeur war fort.

Endgültig fort.

Für immer.

Es war nicht nur sein Ende, sondern auch der ihrige. Nie wieder wollte sie singen und auf dieser Bühne stehen, die sie sich ohne Francoeur nicht mehr vorstellen konnte.

Alles war grau und trostlos ohne ihn. Warum nur hatte Raoul ihr das Liebste genommen?

Wie konnte er es wagen, aus einem verletzten Stolz heraus, ihr etwas so schreckliches anzutun?

Sie verabscheute Raoul mit ganzem Herzen und wünschte ihm die Krätze an den Hals.

In ihrem Morgenmantel gehüllt lief sie ins Bad und starrte in den Spiegel. Sie war nicht mehr die Selbe. Eine dünne, blasse Frau, mit fettigem Haaransatz, dunklen Ringen unter den Augen und geröteten Augen sah ihr entgegen. Ein fürchterlicher Anblick. Nichts, wirklich rein gar nichts war mehr von der alten Lucille übrig geblieben.

Plötzlich klopfte es heftig an der Tür und sie zuckte zusammen.

„Lucille? Lucille bist du da?“, rief die Stimme ihrer Tante vor der Wohnungstür. „Liebes, mach die Tür auf, ich bitte dich. Ich mache mir solche Sorgen, wir alle machen uns Sorgen, öffne die Tür Kleines.“

Genervt schlurfte Lucille zur Tür. „Lasst mich in Ruhe“, sagte sie nur und lief wieder in ihren Salon.

„Lucille Frémir, du öffnest nun sofort die Tür oder ich rufe die Polizei“, drohte ihre Tante und klopfte weiter energisch an die Tür.

Nachdem Lucille ihr widerwillig geöffnet hatte, fiel Carlotta in ihrer Wohnung ein wie ein Überfallkommando.

„Oh Kind, wie siehst du nur aus? Hier, ich habe dir etwas zu Essen mitgebracht, du bist ja nur noch Haut und Knochen“, redete sie drauf los, ging in die Küche und schüttete Lucille etwas Hühnersuppe in eine Schüssel. „Komm Liebes, du musst dich stärken.“

Ohne Widersprüche zu leisten setzte Lucille sich an den Tisch und schaufelte langsam einen Löffel nach dem anderen in ihren Mund. In ihrem Magen hatte sogleich wieder das Rumoren angefangen, als sie den leckeren Geruch wahrgenommen hatte, doch sie selbst verspürte keine große Lust zu essen.

„Lucille, ich will das du wieder im Cabaret auftrittst. Mir ist bewusst das du trauerst, doch du kannst dich nicht ewig hier in deiner Wohnung verkriechen“, sagte sie, lief durch die Wohnung, zog die Vorhänge zurück und öffnete die Fenster um frische Luft in die Wohnung hinein zu lassen. Besorgt blickte sie sich in die unaufgeräumte Wohnung um, Lucille hatte sich wahrlich völlig gehen lassen.

„Was hältst du davon, Liebes?“, fragte Carlotta als sie sich zu Lucille gesetzt hatte.

„Francoeur ist für immer fort. Wie soll ich singen wenn er nicht mehr da ist.“

„Auch zuvor hast du schon gesungen und er ist ja schließlich nicht tot, er ist nur... wieder er selbst. Und vielleicht ist es auch besser so, Kleines. Wie lange hättest du ihn denn noch verstecken können? Irgendwann wäre alles aufgeflogen und die ganze Stadt hätte Jagd auf das Monster von Paris gemacht.“

„Doch er ist tot. Sonst wäre er doch bei mir, doch das ist er nicht. Raoul, dieser Mistkerl hat ihn auf dem Gewissen. Er hat ihn mit diesem Ungeziefermittel vollgeräuchert, sicherlich ist er gestorben“, schluchzte sie und brach wieder weinend zusammen.

Den ganzen Tag und die ganze Nacht war Carlotta bei ihrer lieben Nichte geblieben um sie zu trösten. Hatte die Wohnung aufgeräumt und Lucille in die Badewanne gesteckt. Stundenlang hatte sie sich ihre Klagen angehört und musste sich selbst zusammenreißen um nicht selbst immer wieder zu weinen, sie hatte Francoeur schließlich sehr gemocht. Nicht weil durch ihm sich noch mehr Zuschauer ins Cabaret verirrt hatten, sondern auch weil er Lucille glücklich gemacht und erfolgreich aufgemuntert hatte, wenn sie mal wieder einmal Streit mit Raoul gehabt hatte.

Nach zwei weiteren Tagen, in der Obhut ihrer Tante hatte Lucille sich etwas gefangen und war bereit wieder im L'Oiseau Rare zu singen. Denn ihre Tante hatte Recht, das Leben ging weiter und Francoeur hätte nicht gewollt das sie aufhörte.

********

Am ersten Abend ihrer Karriere ohne Francoeur, saß sie gedankenverloren in ihrer Garderobe vor ihrem Frisiertisch und starrte auf dem Kamm, mit dem er nach ihrer ersten Begegnung gespielt hatte. Wie in Trance richtete sie sich ihre Frisur und schminkte sich ein wenig.

Plötzlich wurde sie von einem sachten Klopfen an der Tür aus ihren Gedanken gerissen.

„Herein“, sagte sie und drehte sich zur Tür.

„Bonjour Mademoiselle, ich will sie nicht stören, doch wollte ich mich als Sänger bei Ihnen bewerben“, streckte ein junger Mann den Kopf herein.

„Als Sänger bewerben aber... wir suchen doch niemanden. Oder hat...“

„Ja... äh.. Ihre Tante sagte mir ich solle zu Ihnen gehen, wo Monsieur Francoeur seine Karriere beendet hat.“

„Karriere beendet?“, hauchte sie. „KARRIERE BEENDET, ER HAT SIE NICHT BEENDET, SIE SCHNÖSEL, ER... er... Wie können Sie es wagen mich zu belästigen, kaum das er... fort ist. Vergessen Sie was Ihnen meine Tante gesagt hat, VERSCHWINDEN SIE!“, rief sie wütend aus und warf ihre Bürste in Richtung der Tür.

Tränen stiegen in ihre Augen, doch war sie so wütend das sie nicht bereit war wie ein nasser Tränensack hier zu sitzen. So stand sie denn auf und suchte ihre Tante auf.

„EIN BEWERBER? JETZT?“, rief sie, als sie diese hinter der Bühne gefunden hatte.

„Kind, was schreist du denn so, was für ein Bewerber?“, fragte die ältere Dame erstaunt und sah ihre Nichte verständnislos an.

„Da war ein Mann in meiner Garderobe, der sich als Sänger bewerben wollte, wo Francoeur nun nicht mehr da ist, er sagte du hättest ihn zu mir geschickt.“

„Ich? Nein, mein Kleines, mir hat sich niemand vorgestellt und ich hätte es nicht gewagt, sogleich einen Nachfolger zu suchen ohne dein Einverständnis.“

„Aber wer..?“

„Vielleicht nur ein Taugenichts, der sich eine Chance erhofft hatte, vergiss ihn, Kleines. Nur zieh dich schnell um, du bist in wenigen Minuten dran.“

Gesagt, getan. Lucille wunderte sich nicht weiter über diesem merkwürdigen Besucher, zog ihr weißes Kleid über, dessen Anblick ihr das Herz brach, hatte es Francoeur doch vor Kurzem so vorzüglich ändern lassen und stand sogleich hinter dem roten Vorhang, bereit aufzutreten. Noch einmal würde sie das Duett, welches sie mit Francoeur geteilt hatte, singen... allein.

Für ihn, auch wenn es ihr das Herz brechen würde.

Vor der Bühne wurde es still, auf ein Zeichen eines Bühnenarbeiters öffnete sich der Vorhang und sie trat auf die Bühne. Es war ein befremdendes Gefühl, als wäre sie seit Jahren nicht mehr auf einer Bühne gestanden und alles nur noch wie weit entfernte Erinnerungen schienen. Lucille holte tief Luft und ging für einen kurzen Moment noch einmal in sich. Diesmal sang sie mit wirklicher Trauer, mit wirklichem Bedauern und nach einigen Worten setzte auch das Orchester ein.

Jeder irrt durch das Dunkel der Welt.

Blind vor Ehrgeiz – stumm vor Schmerz.

Hofft auf ein Licht, das die Nacht erhellt.

Folgt der Pflicht, verrät das Herz.

Heute kommt mir das unglaublich vor.

Weil ich so nicht leben will.

Heute kommt mir das unglaublich vor.

Weil ich so nicht lieben will.

Ich will für dich Tag für Tag,

Ehrlich und gut sein, frei und stark.
 

 

Sie trat bis zum vorderen Rand der Bühne, ließ ihren Blick durch die Menge schweifen, Tränen sammelten sich in ihren Augen.
 

 

Jeder irrt durch das Dunkel der Zeit,

man gewinnt und wird besiegt.

Lernt zu leben mit Lüge und Streit.

Wer nicht kämpft, der unterliegt.

Ich will nicht seh'n, was zwischen uns steht,

weil ich so nicht leben will.

Ich will nicht seh'n, was zwischen uns steht.

Weil ich so nicht lieben will.

Ich trag' einen Traum in mir:

Ein neues Leben nur mit dir.
 

 

Es war schwer sich zusammenzureißen. Doch sie würde es tun. Für Francoeur. Sie würde nur noch für ihn singen und vielleicht, konnte er es ja hören, wo immer er auch sein mag.

Von deinem Mut getragen, will ich durchs Dunkel gehen

Bis in ein and’res Leben, wo wir zwei uns wiedersehen
 

 

Plötzlich stahl ihr jemand ihren Einsatz und kam ihr zuvor. Verwirrt sah sie sich um, wer hatte sich nur unerlaubt auf die Bühne geschlichen? Der junge Mann von vorhin, der sie in ihrer Garderobe aufgesucht hatte, kam auf die Bühne, sah sie aus diesen ausdrucksstarken Augen an und sang.

Jeder irrt durch das Dunkel der Welt,

jeder wächst durch Schmerz und Not.

Sie kannte diese Stimme wie keine andere, sie erkannte diese bezaubernden roten Augen, das konnte nur... Doch das konnte er nicht sein, selbst wenn er noch immer diesen weißen Anzug trug, den Schlapphut, die Maske, doch... War er es tatsächlich? Wie in Trance kam sie ihm entgegen, als zöge er sie an wie die Erdanziehungskraft und begann ebenfalls zu singen.
 

Zwei, die Liebe zusammenhält

Schreckt kein Leid und trennt kein Tod

Francoeur. Er war es. Er musste es sein. Nur er besaß diese liebliche Stimme, diese feuerroten Augen. Was war nur geschehen, es stand ihr ganz klar ein Mensch gegenüber und kein zwei Meter großer Floh.

Ich verachte, was man mit uns macht

Weil ich so nicht leben will
 

Lucille sah zu ihm hinauf und begegnete nur Liebe in seinem Blick. Mit den letzten gesungenen Worten beende sie das Lied. Doch war ihre Stimme nicht mehr voller Trauer und Verzweiflung. Sondern voller Liebe und Hoffnung.
 

Ich verachte was man mit uns macht,

weil ich so nicht lieben will.

Ich will immer bei dir sein.

Von jetzt an niemals mehr allein.
 

 

Die tosende Menge stand auf, klatschte und pfiff. Rosen flogen auf die Bühne und es wurde nach einer Zugabe geschrien. Doch das alles bekam Lucille nur wie durch eine dichte Wand aus Nebel mit. Nichts war mehr wichtig nur er. Wo sie nun umzingelt von Menschen waren, sah sie ihn nur fragend an. Wie konnte es sein das er nun als Mensch vor ihr stand? Doch das war nicht wichtig, es war ihr egal, hauptsache er ist wieder bei ihr. Sie spürte die Tränen in ihren Augen nicht als sie sich ihm in die Arme warf und ein Kuss auf die Lippen drückte.
 

 

„Der Professor lässt sich nicht so leicht einschüchtern, wie Raoul geglaubt hatte“, flüsterte er ihr ins Ohr und drückte sie fest an sich.

„Das war hervorragend“, kam Carlotta nun plötzlich auf die Bühne. „Wen darf ich unsere Zuschauer vorstellen, Monsieur?“, fragte sie und blickte ihn neugierig an, vor allem da ihre Nichte, diesem Fremden nun plötzlich in den Armen lag, was sie sich nicht erklären konnte.

Warnend warf Lucille ihm einen eindringlichen Blick zu, und er verstand. Für die Menschen war Francoeur nun fort und es wäre mehr als verwirrend, wenn der nächste Star den selben Namen hatte.

„Ich bin... Monsieur Erik!“, sagte er nur und schloss Lucille wieder in seine Arme.
 

 

!!!ENDE!!!



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