Zum Inhalt der Seite

All I want for Christmas… is You

Skip Beat! Weihnachtsgeschichte
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

The Beginning...

Es war ein kalter Morgen Anfang Dezember in Toyko. Der noch tiefschwarze Himmel war von dichten Wolken verhangen und schon am zweiten Tag in Folge fielen Schneeflocken auf die Millionenstadt nieder. Die Temperaturen bewegten sich knapp unterhalb des Gefrierpunkts, weshalb ein Teil des gefallenen Schnees sogar die Nacht über liegen geblieben war und nun die Häuser und Straßen wie eine dünne Puderschicht überzog.
 

Rory Takarada betrachte mit Freude, wie die Weihnachtsbeleuchtung, mit der der Garten seines Anwesens verziert war, die dünne Schneedecke in der Dunkelheit zum Glitzern brachte, während er genüsslich an einer Tasse Tee nippte. In seinem Rücken stand eine bequeme Couchgarnitur mit einem großen Flachbildfernsehr davor, der wie üblich zu dieser frühen Stunde bereits eingeschaltet war. Der Abspann eines Dating-Games, mit dessen Lösung der extravagante Mann die letzten zwei Monate verbracht hatte, flimmerte über den Bildschirm.

Hach, es tat einfach immer wieder gut, wenn man eine Aufgabe beenden konnte! Und das Zusammenbringen seines Lieblingspaares aus dem Spiel zählte Rory Takarada ebenso zu seinen Aufgaben, wie seine Arbeit als Präsident der Künstleragentur LME. Außerdem halfen ihm die Spiele sein Gemüt aufzuhellen, denn im realen Leben waren seine Kupplungsversuche in letzter Zeit leider nicht so erfolgreich verlaufen, wie er es sich erhofft hatte… Der Präsident verkniff sich ein gedankliches Aufseufzen, während er erneut an dem angenehm warmen und wohltuend riechenden Weihnachtstee nippte. Seine Gedankengänge wurden allerdings unerwartet unterbrochen, als das schwarz-goldene Telefon auf einem Beistelltisch neben der Couchgarnitur zu klingeln begann.
 

Überrascht wandte der Mann mittleren Alters seine Aufmerksamkeit dem Ursprung des schrillen Klingelns zu. Wer wollte ihn um diese Uhrzeit bloß erreichen? Neugierig auf die Antwort zu dieser Frage, überwandte der Präsident eilig die kurze Distanz und stellte mit der linken Hand die Teetasse auf dem Tisch ab, während er mit der rechten bereits nach dem Hörer griff.

„Ja?“, war das Einzige, was der Schwarzhaarige in den Hörer sprach, während er sich nun auch wieder auf der Couch niederließ und gemütlich seine langen Beine auf dem Polster ausstreckte.
 

„Guten Morgen, Boss“, tönte es nach einem winzigen Augenblick des Schweigens aus dem Telefonhörer.
 

„Guten Abend, Kuu“, erwiderte Rory sofort erfreut über den Anruf seines alten Freundes, „Was verschafft mir die Ehre deines frühen Anrufs?“
 

Erneut folgte ein Moment des Schweigens, der sich dieses Mal auch deutlich länger zog, als beim ersten Mal. „Nun… ich wollte mich ehrlich gesagt erkundigen, wie es meinen Söhnen geht?“, folgte eine etwas unsicher klingende Antwort. Der Präsident schmunzelte bei dem zurückhaltenden Tonfall und dem fragenden Unterton des Hollywoodstars und griff nun mit der freien Hand wieder nach seiner Teetasse.
 

„Es geht ihnen ganz gut, soweit ich das weiß. Auch wenn mich das langweilige Image deines älteren Jungen langsam immer mehr verzweifeln lässt“, antwortete Rory und nahm wieder einen Schluck von seinem Tee.
 

„Das ist gut“, begann Kuu, aber Rory spürte bereits, dass das noch nicht alle Worte seines Freundes waren. Und tatsächlich fuhr der andere Mann nach einer kurzen Pause fort: „Kuon hatte in seiner Videonachricht an uns dieses Projekt erwähnt, dessen Herausforderung er sich stellen wollte… Er meinte, er spiele einen ‚blutrünstigen Killer‘... Er klang sehr ernst dabei und… nun ja, Boss, du weißt was ich meine... Julie und ich haben daher seine aktuellen Projekte verfolgte, aber nichts Entsprechendes in den letzten Monaten finden können, daher haben wir uns ehrlich gesagt etwas Gedanken gemacht…“
 

„Das war vollkommen unnötig. Dieses Projekt ist nicht bei seiner offiziellen Arbeit aufgelistet, daher konntet ihr es nicht finden. Aber er hat sich bei den Dreharbeiten gut geschlagen. Genau genommen wurden die letzten Szenen des Films vor 10 Tagen erfolgreich abgedreht. Die Kinopremiere wird also wahrscheinlich im Frühjahr des nächsten Jahres sein, wenn alle Nacharbeiten beendet sind.“
 

„Wirklich?! Das ist gut zu hören!“, erwiderte Kuu nun mit deutlich lebhafterer Stimme, „Wir hatten uns schon ernsthafte Sorgen gemacht… Und Boss, es geht ihm wirklich gut?“
 

Rory schlicht sich der leichte Ansatz eines Schmunzelns auf die Lippen, als er diese Frage nun zum zweiten Mal hörte. Nur Sekundenbruchteile später wurde das Schmunzeln außerdem noch von einem schelmischen Glitzern in den Augen des Präsidenten begleitet…
 

„Nun ja… an sich schon, aber es wäre gelogen zu sagen, dass ihn die Arbeit an diesem Projekt nicht geschlaucht hätte. Genau genommen sieht er im Moment ziemlich ausgezerrt und müde aus… Ich habe bereits versucht ihn dazu zu überreden sich einmal ein paar Tage frei zu nehmen und etwas abzuschalten, aber davon möchte dieser Workaholic partout nichts hören…“, begann Rory seine Antwort mit gespielt niedergeschlagenem Tonfall, den er langsam in einen beinahe weinerlichen Ton übergehen ließ:

„Stattdessen steigert er sich weiter in seine Arbeit hinein und lässt dadurch auch seinen Manager kaum zur Ruhe kommen… Hach, es ist wirklich ein Wunder, dass dieser Junge es schafft gesund zu bleiben und nicht vor Erschöpfung zusammenzubrechen…“
 

„Boss!“, unterbrach Kuu ihn schließlich. Der Hollywoodstar wäre am liebsten direkt durch die Telefonleitung nach Japan geklettert, aber das war leider nicht möglich und auch wenn er und Julie den nächstbesten Flug nach Tokyo nehmen würden, würde das wohl kaum helfen seinen Sohn dazu zu bringen zu entspannen, sondern eher das Gegenteil bewirken…

„Verflucht… Gibt es nicht irgendetwas, dass Julie und ich für ihn tun können, Boss?“
 

Bei dieser Frage verzog Rory sein Gesicht zu einem breiten Grinsen: „Hm, jetzt wo du fragst… Ich glaube ich habe da eine Idee!“
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

Tsuruga Ren betrat mit seinem Manager Yashiro Yukihito im Schlepptau von der Tiefgarage kommend die Eingangshalle des überragenden Wolkenkratzers, dessen Front die deutliche Aufschrift „LME“ trug. Der Schauspieler hatte eine Hand in seiner Hosentasche vergraben, während er über dem anderen Arm seinen Wintermantel trug. Sein Manager hatte es ihm gleich getan und ebenfalls seinen Mantel über seinen Unterarm gelegt. Der nur wenige Zentimeter kleinere Mann bemühte sich schließlich mit einigen etwas schnelleren Schritten zu dem Starschauspieler aufzuschließen.
 

„Ren? Ist alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte sich Yashiro, sobald er nahe genug an dem Einundzwanzigjährigen war.
 

„Natürlich, Yashiro-san. Wieso sollte etwas nicht in Ordnung sein?“, kam direkt die Gegenfrage. Obwohl Rens Gesicht bei diesen Worten sein typisches freundliches Lächeln zierte, war es für den Manager nicht schwer zu erkennen, dass es sich dabei um eine Fassade handeln musste.
 

„Nun, du siehst ehrlich gesagt müde aus… noch müder als Gestern. Hast du wieder nicht gut geschlafen?“, hackte Yashiro weiter nach.
 

„Yashiro-san, es geht mir gut. Und ich habe nie gesagt, dass ich schlecht schlafe.“
 

„Gesagt zwar nicht, aber ich bin jetzt seit fast 5 Jahren dein Manager. Wenn ich so etwas nicht erkennen könnte, hätte ich definitiv den Beruf verfehlt“, konterte Yashiro diesmal mit etwas spitzerer Stimme, bemühte sich anschließend aber wieder um einen sanfteren Tonfall: „Ren, bist du sicher, dass du nicht darüber reden willst? Du weißt, ich höre dir jederzeit zu.“
 

Ren brauchte gar nicht neben sich zu sehen, um zu wissen, dass sich auch in Yashiros Augen die gleiche Sorge ausdrückte, wie in seinen Worten. Der Schauspieler seufzte innerlich, bemühte sich aber weiterhin davon nichts nach außen dringen zu lassen. Ja, es stimmte, er schlief in letzter Zeit nicht sonderlich gut. Manchmal schlief er sogar gar nicht…

Umso weiter die Dreharbeiten als B.J. fortgeschritten waren, umso tiefer war er sowohl in diesen als auch den Charakter von Cain Heel eingetaucht… und umso mehr hatte er zwangsläufig auf Kuons Wesen zurückgegriffen. Er hatte es zwar letztendlich geschafft eine Grenze zu ziehen und diese, dank der Hilfe seiner „kleinen Schwester“ Setsu, auch aufrecht zu erhalten und sich somit nicht in seinem alten Wesen zu verlieren, aber es war kräftezehrender als er jemals gedacht hatte… Und das Schlimmste war, dass es unmöglich zu sein schien das, was er von Kuon freigelegt hatte, wieder vollständig in sich zu verschließen.

Er hatte bereits bei den Dreharbeiten nächtelang Alpträume gehabt. Mehr als einmal hatte er auf Setsu beziehungsweise Mogami-san zurückgegriffen, um überhaupt ein Auge zubekommen und etwas schlafen zu können. Sie war deutlich mehr als sein Talisman was das betraf. Sie war ein Fels inmitten des Strudels aus seinen Gefühlen und somit das Einzige, was ihm Halt geben konnte. Auch wenn sie nie offen darüber sprachen, schien die Siebzehnjährige zu wissen, was für eine Bedeutung sie während dieser Zeit für ihn hatte. Sie waren sich als Geschwister deutlich näher gekommen und auch so scheute Mogami-san seine Berührungen nicht mehr. Zumindest ein kleiner Fortschritt, den diese Rolle als die Heel-Geschwister mit sich gebracht hatte.
 

Allerdings waren die Dreharbeiten inzwischen beendet. Es war fast drei Wochen her, dass sie die letzten Szenen des Films abgedreht hatten und sich als Cain und Setsuka Heel gegenüberstanden. Inzwischen gingen sie wieder ihre eigenen Wege. Er selbst hatte zwei neue Projekte angefangen, eine Serie und eine Kette von Promotionvideos, und auch sie hatte neue Angebote erhalten und natürlich auch angenommen. Nichts gab ihnen allerdings die Möglichkeit gemeinsam vor der Kamera zu stehen, daher sahen sie sich nur alle paar Tage bei LME oder wenn Yashiro mal wieder klammheimlich das junge Mädchen zum Abendessen zu ihm schickte. Es wäre gelogen zu sagen, dass er sie nicht vermisste. Aber daran ließ sich nichts ändern. Und auch wenn es nicht angenehm war, war das aktuell nicht seine größte Sorge. Viel schlimmer waren diese ständigen Träume…

Ohne Kyokos Anwesenheit war ihm das Schlafen in diesen drei Wochen Nacht für Nacht schwerer gefallen. Die Träume, die ihn zum Ende der Dreharbeiten nur noch selten heimsuchten, kehrten bereits nach wenigen Nächten, die er alleine zuhause verbracht hatte, zurück. Erst sporadisch alle paar Tage, aber im Verlauf der aktuellen Woche geschah es immer häufiger. Er schreckte nachts in seinem Bett hoch und war teilweise Minutenlang völlig orientierungslos. Seine Hände begangen unkontrolliert zu zittern, wenn er auch nur abends alleine auf seiner Couch saß und der Augenblick des ins Bettlegens war inzwischen der Gefürchtetste von allen für ihn. Manchmal hatte er Glück und driftete sofort in einen tiefen Schlaf ab, weil sein Körper die Erschöpfung einfach nicht mehr länger aushalten konnte. Aber das geschah nur alle paar Nächte… meistens lag er da und war nicht in der Lage einzuschlafen. Er brauchte nicht einmal seine Augen zu schließen, die dunkle Umgebung reichte bereits um Bilder und Erinnerungen aus seinem Unterbewusstsein hervorzuziehen, die er kaum ertragen konnte. Es war zwar definitiv mehr als peinlich für einen erwachsenen Mann so etwas zu tun, aber die letzten 2 Nächte hatte er durchgängig seine Nachttischlampe eingeschaltet gelassen…

Yashiro lag also definitiv nicht falsch damit, dass er ein Problem hatte. Ren schätze auch das Angebot des Managers, den er zweifelsfrei auch als seinen besten Freund ansah, aber er wollte über dieses Thema nicht sprechen… Wer garantierte ihm, dass es das besser machte? Abgesehen davon müsste er zwangsweise einige Sachen aus seiner Vergangenheit erklären, damit Yashiro das Ganze überhaupt verstehen konnte. Und das stand absolut außer Frage! Es tat Ren zwar leid, aber er würde definitiv nicht über diese Sache sprechen. Und er würde es auch in den folgenden Stunden vermeiden daran zu denken, wie er es jeden Tag tat, damit er anständig seine Arbeit erledigen konnte.
 

Der Schauspieler hatte gerade dazu angesetzt seine ablehnende Antwort auf die letzte Frage auszusprechen, als plötzlich eine nur allzu vertraute Stimme in seinem Rücken seinen Namen rief. Ren drehte sich sofort in die Richtung aus der die Stimme kam und sah vor sich die Silhouette einer ganz besonderen jungen Frau, die langsam auf ihn zugelaufen kam. Sofort erschien ein diesmal ernsthaftes Lächeln auf seinen Lippen.
 

„Guten Morgen, Mogami-san“, begrüßte er liebevoll die Siebzehnjährige und nahm erst anschließend die zweite Person wahr, die sich noch vor ihm befand, „Und auch Kotonami-san natürlich.“
 

Während ihm das rothaarige junge Mädchen eines ihrer bezauberndsten Lächeln als Antwort schenkte, erhielt er von ihrer Love-Me-Kumpanin lediglich eine gegrummelte Antwort. Auch Yashiro zögerte nicht die beiden jungen Frauen zu begrüßen und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Beiden Mädchen schien es sehr gut zu gehen, allerdings konnte man in Kyokos Augen im Verlaufe des Gesprächs mit Yashiro ein wenig Besorgnis aufblitzen sehen.
 

„Tsuruga-san, geht es Ihnen gut? Sie sind doch nicht etwa krank?“, fragte die Siebzehnjährigen an den unnatürlich ruhigen Schauspieler gerichtet. Ren zwang sich augenblicklich wieder zu einem ehrlich Lächeln.

„Nein, ich bin nicht krank. Mir geht es gut“, antwortete der Starschauspieler, allerdings anscheinend nicht überzeugend genug, denn statt zu verschwinden, verstärkte sich der besorgte Ausdruck auf Kyokos Gesicht sogar noch. Ren seufzte gedanklich auf. Wieso konnte ihn dieses Mädchen verdammt nochmal so leicht durchschauen?
 

„Mogami-san, ich bin wirklich nicht krank, nur etwas müde. Es gibt aktuell viel zu tun“, hing Ren schließlich noch an, worauf sich der Gesichtsausdruck der Rothaarigen wieder etwas aufhellte.
 

„Sie sollten nicht so viel arbeiten! Es ist fast Weihnachten, was wenn Sie krank werden?! Maria-chan wird enttäuscht sein, wenn Sie nicht zu ihrer Geburtstagsfeier kommen können…“, begann die Love Me-Praktikantin nun in ihrer typisch überschwänglichen Art. Ren war kurz davor ein leises Lachen seinerseits unterdrücken zu müssen, als die einzige Frage kam, die seine gerade besser werdende Stimmung wieder trügen konnte…

„Tsuruga-san, haben Sie gefrühstückt?“
 

Ren kam gar nicht dazu etwas zu antworten. Der kurze Augenblick des Zögerns, indem er versuchte eine möglichst diplomatische Antwort auf diese Frage zu finden, hatte bereits ausgereicht um ihn zu verraten.
 

„TSURUGA-SAN! Das ist unprofessionell! Kein Wunder, dass Sie so erschöpft aussehen!...“ Und damit begann die nur allzu vertraute Predigt über seine Essegewohnheiten… Der Einundzwanzigjährige wusste aus reichlich Erfahrung, dass er aus dieser Sache nicht mehr rauskam, daher ließ er die Predigt einfach stumm über sich ergehen, in der Hoffnung, dass es nicht allzu lange dauern würde, bis die junge Frau Luft holen musste und somit eine Pause in ihrem Redeschwall entstand.
 

Yashiro und Kanae beobachteten stumm die sich abspielende Szene, bis sich das Handy des Managers plötzlich zu Wort meldete. Der junge Mann streifte sich eilig einen Handschuh über und zog anschließend das Handy aus seiner Tasche, um den Anruf entgegen zu nehmen. Das Gespräch bestand nur aus wenigen Worten von Seiten des Managers, ehe es auch schon beendet war.

Da Kyoko noch immer in ihre Predigt vertieft war, räusperte sich der Sechsundzwanzigjährige, um die Aufmerksamkeit der umstehenden Personen auf sich zu ziehen.
 

„Tut mir leid euch unterbrechen zu müssen, aber Takarada-san möchte dich sehen, Ren. Und Mogami-san ebenfalls. Ich habe ihm gesagt, dass wir direkt hochkommen.“
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

„HOHOHO! Guten Morgen meine Kinder!“, ertönte direkt die tiefe Stimme des Präsidenten, als die Vierergruppe sein Büro betrat. Auch wenn Takarada-san nur nach Kyoko und Ren gefragt hatte, war es ebenso selbstverständlich, dass Yashiro seinen Schützling begleitet, wie dass Kanae ihre Freundin in Anwesenheit dieses Schauspielers nicht aus den Augen lassen würde…
 

Sobald sie die Tür hinter sich gelassen hatten, fühlten sich die kleine Gruppe wie am Nordpol… Der Boden war mit künstlichem Schnee bedeckt, während die Wände aussahen, als seien sie vollständig aus Eis. Mehrere prächtig geschmückte Weihnachtstannen zierten eine Seite des Raumes, ebenso wie eine Futterkrippe, an der sich ein lebendiger Elch mit einem beachtlichen Geweih gerade sein Frühstück, bestehend aus weichen Laubhölzern, wie Erlen und Buchen, gönnte. Auf der anderen Seite hatte man den Eindruck direkt in die Werkstatt des Weihnachtsmannes blicken zu können... An einem Fließband wurden von einigen „Elfen“ Teddybären und andere Geschenke in weihnachtlichem Geschenkpapier verpackt und mit überdimensionierten Schleifen versehen. Die Geschenkpakete stapelten sich im Hintergrund annähernd bis unter die Zimmerdecke.

Mittig im Raum befand sich ein großer Sessel mit dunkelrotem Polster und goldenen Verzierungen, auf dem eine der Gruppe nur allzu bekannte Person saß, gekleidet in einem roten Weihnachtsmannkostüm mitsamt eines weißen prächtigen Bartes. Im Hintergrund liefen typische alte Weihnachtslieder augenscheinlich als Endlosschleife und der angenehme Duft von frischem Tannenholz erfüllte den Raum.
 

Ren verkniff sich nur mit Mühe ein Augenrollen. Er war weder grundsätzlich in Weihnachtsstimmung, noch hatte er aktuell den Nerv sich das hier anzutun. Genau genommen hätte der Schauspieler am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre wieder gegangen… Aber der Präsident hatte sie sicher nicht umsonst hierher bestellt, das hoffte er zumindest…

Um sich von dem Ganzen Zirkus um sich herum abzulenken, ließ der Einundzwanzigjährige seinen Blick kurz zu der jungen Frau neben sich wandern. Wie nicht anders zu erwarten, war Kyoko längst in ihre Fantasiewelt abgetaucht… Sie begutachtete mit großen glitzernden Augen die Umgebung und Ren war sich sicher, dass sie sich ernsthaft zurückhalten musste, um nicht loszurennen und alles in diesem Raum genau zu erkunden. Ihr Anblick schaffte es nun aber doch dem genervten Schauspieler wieder ein Lächeln zu entlocken.

Takarada-san holte die Love Me-Praktikantin und den Starschauspieler augenblicklich aus ihren Gedanken in die Realität zurück, als er erneut seine Stimme erhob.
 

„Ren! Mogami-kun! Schön, dass ihr so schnell kommen konntet!“, mit diesen Worten erhob sich der gefakte Weihnachtsmann von seinem Thron und ging auf die Vierergruppe zu.

„In 3 Tagen ist bereits Weihnachten und ich habe ein Geschenk für euch! Rudolph hat es heute Morgen persönlich vom Nordpol hierher gebracht!“
 

Diesmal verdrehte Ren die Augen ohne sich zurückzuhalten. Was sollte das bitteschön? Und warum er und Kyoko? Der Präsident führte doch sicher wieder irgendetwas im Schilde…
 

Takarada-san entging der mürrische und zugleich misstrauische Blick seines Vorzeigeschauspielers natürlich nicht, aber zumindest Kyoko Mogami reagierte angemessen auf seine Bemühungen. Ein freudiges, neugieriges und auch ein klein wenig ungeduldiges Glitzern zierte die großen Augen der jungen Frau und brachte ihre goldenen Iriden nur noch besser zur Geltung. Ohne weitere Zeit zu verschwenden, zog der Präsident zwei Umschläge unter seinem Umhang hervor und drückte sie den beiden Personen vor sich in die Hand: „Na los, öffnet sie!“
 

Ren hatte ein ungutes Gefühl bei dieser Sache… Irgendwie befürchtete er, dass er nicht wissen wollte, was sich in dem Umschlag befand… und dass er es bereuen würde, wenn er ihn jetzt öffnete. Aber wie so oft hatte er auch diesmal keine wirkliche Wahl…

Vorsichtig lösten sowohl Ren als auch Kyoko die Klebeverschlüsse der beiden weißen Umschläge und griffen anschließend in dessen Inneres. Ren konnte einen einmal zusammengefalteten Zettel ertasten und zog diesen aus dem Umschlag hervor. Nun doch etwas neugierig faltete der das Papier auseinander, worauf ihm sofort zwei Flugtickets ins Auge stachen. Unter den Flugtickets auf dem weißen Papier erkannte er außerdem eine überaus vertraute Handschrift…

Ren wusste nicht, ob er panisch oder wütend werden sollte. Aber da er den Inhalt der Nachricht noch nicht kannte, entschied er sich vorerst noch für keins von beidem. Nervlich deutlich angespannt begann er den Brief zu lesen…
 

Sehr geehrter Hr. Tsuruga,
 

Ich habe „Dark Moon“ auch nach meiner Abreise aus Japan mit Spannung weiterverfolgt. Ich bin absolut begeistert von Ihrer Darstellung als ‚Katsuki‘! Und mein neuer Sohn würde vermutlich ergänzen, dass ich vielleicht sogar ein klein wenig neidisch bin…
 

Der Erfolg dieser Serie bestätigt die hervorragende Arbeit, die Sie und Ihre Kollegen bei der Umsetzung dieses Dramas geleistet haben! In Anerkennung dieses Erfolges habe ich Ihnen die beiliegenden beiden Flugtickets übersandt.
 

Ich werde dieses Jahr Weihnachten mit meiner Frau in unserem Ferienhaus in Vancouver/Kanada verbringen. Wir würden uns beide über etwas Gesellschaft über die Feiertage freuen, daher bitte ich Sie, falls es Ihr Terminplan zulässt, mir die Ehre zu erweisen uns für einige Tage zu besuchen.

Das zweite Ticket ist für einen Freund/eine Freundin vorgesehen, falls Sie jemanden mitbringen möchten. Für Unterkunft und Verpflegung werde ich selbstverständlich sorgen.
 

Meine Frau und ich würden uns sehr über eine baldige und hoffentlich positive Antwort von Ihnen freuen.
 

Mit freundlichen Grüßen

Kuu Hizuri
 

Ren starrte mit großen Augen auf das Blatt Papier vor sich. Er hatte sich in der Handschrift nicht geirrt, es war wirklich die seines Vaters. Aber der Inhalt des Briefes hatte ihn mehr als überrascht. Seine Eltern hatten ihn wirklich eingeladen? Und das nicht als ihren Sohn Hizuri Kuon, sondern als Tsuruga Ren? Unschlüssig was er dazu fühlen und wie er auf das Schreiben reagieren sollte, betrachtete Ren weiter den Brief und die beiden Erste Klasse Flugtickets nach Kanada in seinen Händen…
 

„GYAAA!!!“, ertönte plötzlich ein ohrenbetäubender Schrei neben ihm, der Ren erschrocken zusammenzucken ließ. Kyoko wedelte im nächsten Moment aufgeregt mit zwei Flugtickets in der Luft, als sie sich zu ihrer besten Freundin umdrehte.
 

„Moko-saaaan!!! Es sind Flugtickets!! Flugtickets von Ot… ich meine Hizuri-san! Er hat mich über Weihnachten nach Kanada eingeladen!! Er hat Dark Moon weitergeschaut und auch Box R gesehen und meine Rollen gelobt! Die Tickets sind ein Dankeschön für meine Arbeit!“
 

Kanae war nicht weniger erschrocken als Ren und wich gerade so noch einer Umarmungsattacke ihrer selbsternannten ‚besten Freundin‘ aus.

„MO! Beruhig dich!“, blaffte sie Kyoko noch im gleichen Atemzug an und wandte dann einen misstrauischen Blick zu dem Starschauspieler, der noch immer etwas steif seinen Brief betrachtete. Kyoko folgte dem Blick ihrer Freundin beinahe automatisch und wandte sich augenblicklich neugierig Ren zu: „Was haben Sie bekommen, Tsuruga-san?“
 

Ren bemühte sich um ein leichtes Lächeln und hielt nun auch seine beiden Flugtickets hoch. Er hätte es nicht für möglich gehalten, aber die Augen der Sechzehnjährigen begannen noch stärker zu leuchten, als sie es eh schon getan hatten: „Sie kommen auch mit nach Kanada?!“
 

Eigentlich war das mehr eine Feststellung als eine Frage, so klang es zumindest. Gerade deswegen tat es Ren auch leid sie enttäuschen zu müssen… Aber er bezweifelte, dass es eine gute Idee war dieser Einladung zu folgen. Er wusste nicht, ob er der Konfrontation mit seinen Eltern gewachsen war, selbst wenn er diese Reise als Tsuruga Ren antrat.

„Nun ja... Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich das mit meinen Terminen…“
 

„Papperlapapp!“, unterbrach ihn der Präsident plötzlich. Irritiert sah Ren den älteren Mann mit seinem weißen Bart an.

„Wir wissen beide, dass du dringend einen Urlaub gebrauchen könntest, Ren. Du hast dir in den letzten 3 Jahren nicht einmal länger als 2 Tage frei genommen! Und selbst das waren Seltenheiten! Was deine Termine angeht, die werden für diese Tage gecancelt. Ich habe bereits ein Team darauf angesetzt sich um neue Terminabsprachen zu kümmern, sobald Yashiro-kun bei ihnen war und ihnen seine Rahmenbedingungen für die Terminvergabe genannt hat“, erklärte der Präsident und sah dabei auch kurzzeitig Yashiro an, der ihm zustimmend zunickte.
 

„Aber...“, versuchte Ren seinem Chef zu wiedersprechen, was aber direkt von diesem abgeschmettert wurde.
 

„Es gibt KEIN aber! Nicht solange du mit dieser ungesunden Gesichtsfarbe und Augenringen durch die Gegend läufst, die dich fast 10 Jahre älter wirken lassen! Der Flug geht morgen Nachmittag um 17:30Uhr vom Terminal 2 des Narita-Flughafens aus! Die Flugnummer ist JL 018, aber das steht auch alles auf den Tickets. Was die Flugdauer betrifft, die liegt bei 9 Stunden. Unter Einberechnung der Zeitverschiebung kommt ihr daher am selben Tag, sprich dem 22.12., morgens um 09:30Uhr in Vancouver an. Was den Rückflug betrifft, der wird frühestens am 27.12. sein, also nehmt genug Gepäck für die Zeit mit! Besonders warme Sachen, denn nach dem aktuellen Wetterbericht ist es dort drüben bereits seit Ende November kräftig am Schneien!“
 

Ren wusste nichts zu erwidern, weshalb er als Antwort auf nun schon die zweite Predigt an diesem Morgen lediglich leicht nickte. Kyoko hingegen antwortete mit einer tiefen Verbeugung und bedankte sich sogar bei Takarada-san für seine Bemühungen.
 

„Apropos, habt ihr euch schon entschieden, wen ihr als Begleitperson mitnehmt?“, fragte der Präsident nun wieder mit einem deutlich freundlicheren Gesichtsausdruck, worauf Kyoko völlig unerwartet erneut ihre beste Freundin angriff.
 

„Moko-saaan! Kommst du mit?? Ich habe 2 Tickets und Otou-san hat geschrieben, dass es ihn freuen würde, wenn ich eine Freundin mitbringe!“
 

„MO! Kyoko, lass mich los!“, erwiderte die Schwarzhaarige energisch und zwang ihre Love Me-Kumpanin zu etwas mehr Abstand, ehe sie noch von ihr erdrückt wurde. Kanae musste gestehen, dass ihr die Situation eben schon nicht besonders gefallen hatte. Kyoko und dieser Schauspieler alleine in Kanada?? Nur über ihre Leiche!

Einen Moment starrte Kanae in die erwartungsvollen Augen der Rothaarigen, ehe sie zu den beiden Tickets blickte. Blitzschnell entriss sie Kyoko eines der Tickets: „Ich bekomme den Fensterplatz, ist das klar?“
 

Erneut erfüllten Freudenschreie den Raum, was Takarada-san zufrieden schmunzeln ließ. Sein Blick blieb aber nicht lange bei den beiden Mädchen, sondern wanderte zügig wieder zu seinem Vorzeigeschauspieler. Ren hatte das Love Me-Duo ebenfalls kurzzeitig beobachtet. Immerhin eine positive Sache hatte diese Reise: er würde Kyoko täglich um sich haben! Ren nahm eines seiner beiden Tickets und streckte es nun Yashiro entgegen, der ihn darauf erstaunt ansah.
 

„Als Dankeschön für die harte Arbeit. Ich bin nicht der Einzige hier, der in den letzten Jahren kaum Urlaub hatte. Also, falls du noch nichts anders vorhast, würde es mich freuen, wenn du mitkommst.“
 

Yashiros Gesicht wurde sofort von einem erfreuten Grinsen erfüllt. Er flog tatsächlich mit seinem Traumpärchen über Weihnachten nach Kanada!
 


 

Fortsetzung folgt...
 

Departure

Ren und Yashiro kamen am Folgetag pünktlich eineinhalb Stunden vor der Abflugzeit am Narita-Flughafen an. Sie checkten wie auch sonst über den VIP-Zugang ein, gaben ihr Gepäck auf und betraten anschließend den mit Milchglas blickdicht abgetrennten Wartebereich.

Zu Yashiros Überraschung waren die beiden Frauen, mit denen sie diese Reise antreten würden, auch bereits dort. Ren hingegen hatte sogar fest damit gerechnet, dass sie nicht die Ersten sein würden. Er hatte Kyoko nach ihrer Unterhaltung mit Takarada-san gestern Morgen und einem anschließenden, von seiner Seite aus nicht ganz freiwilligen, Frühstück in LMEs eigener Cafeteria L.A.-Hearts angeboten, sie und Kotonami-san auf seinem Rückweg von dem Fotoshooting, das als vorerst letzter Termin in seinem Kalender stand, abzuholen und mit zum Flughafen zu nehmen. Allerdings hatten die beiden jungen Damen sein Angebot abgelehnt.

Zum einen, da Takarada-san bereits angekündigt hatte, Sebastian damit zu beauftragen sie abzuholen und zum anderen, weil sein Terminplan in Kyokos Vorstellung nicht genug Zeit beinhaltete, um einen solchen Umweg in Kauf zu nehmen. Ren hätte dagegen gerne protestiert, aber letztendlich musste er sich eingestehen, dass sie Recht hatte. Er hätte noch einmal durch die halbe Innenstadt Tokyos fahren müssen, um sie abzuholen, und bei der geplanten Dauer des Shootings hätte das zeittechnisch durchaus knapp werden können… Bei dem Shooting lief aber Gott sei Dank alles glatt, ebenso wie bei seinen vorherigen Terminen, daher waren sie heute sehr gut im Zeitplan.

Und in der letzten Nacht hatte der Starschauspieler sogar mal etwas Schlaf bekommen. Zwar nicht so viel, wie er brauchen würde, um sein noch bestehendes Schlafdefizit auszugleichen, aber die vollen drei Stunden waren dennoch genug, um sich eine Ecke besser zu fühlen, als in den letzten beiden Tagen.
 

Ren zog sich mit der linken Hand die Basecap vom Kopf, die ihm schon einige Male ermöglicht hatte unbehelligt das Flughafengelände zu passieren, verstaute sie in dem schlichten Rucksack, den er als Handgepäck bei sich trug und ging gemeinsam mit seinem Manager nun zielstrebig auf die beiden jungen Damen zu.

Bei ihnen angekommen, wurden die üblichen Begrüßungen ausgetauscht, direkt gefolgt von angenehmem Smalltalk. Sie hatten noch einiges an Zeit, bis sie aufgerufen werden würden und das Flugzeug betreten konnten. Diese Zeit galt es nun zu überbrücken.
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

Während die Vierergruppe in ihre Gespräche vertieft war, verging die Zeit wie im Fluge. Als Ren das nächste Mal auf seine Handyuhr blickte, waren es lediglich noch vierzig Minuten bis zur geplanten Abflugzeit. Sprich in spätestens zwanzig Minuten würden sie aufgerufen werden, um das Flugzeug zu betreten. Obwohl er es die letzten Stunden bewusst verdrängt hatte, machte sich langsam aber sicher doch ein etwas mulmiges Gefühl im Magen des Einundzwanzigjährigen breit. Auch wenn sie genau genommen noch locker zehn Stunden hatten, bis er seinen Eltern in Kanada gegenüber stehen würde, stellte das Betreten des Flugzeuges dennoch einen entscheidenden Moment dar. Sobald er an Board war, gab es definitiv kein Zurück mehr… Wobei er aktuell allerdings auch nicht mehr wirklich eine Wahl hatte… Genau genommen hatte er die von Anfang an nicht gehabt, das hatte Takarada-san gestern mehr als deutlich gemacht. Er würde sich dieser Sache also stellen müssen, ob er wollte oder nicht…
 

Ren warf erneut einen flüchtigen Blick auf die Digitalanzeige seines Handys, die gerade mal eine Minute weiter gesprungen war, als er aufgrund einer Stimme in seinem Rücken überrascht herumfuhr.
 

„Ren-sama!“, rief eine quirlige Kinderstimme plötzlich und nur Sekundenbruchteile später sprang dem Starschauspieler ein kleines Bündel mit welligen langen blonden Haaren in die Arme. Sie drückte ihn einmal fest, nur um ihn direkt wieder loszulassen und das gleiche Prozedere mit einem fröhlichen „Onee-sama!“ auf den Lippen bei Kyoko zu wiederholen. Irritiert sah Ren die Neunjährige an und auch bei Kyoko, Kanae und Yashiro war ein wenig Verwirrung in den Gesichtern zu erkennen.
 

„Maria-chan? Was machst du denn hier?“, fragte Kyoko ihre kleine Schwester auch direkt, worauf das junge Mädchen sie mit vor Freude glänzenden Augen anlächelte: „Ich fliege in den Urlaub!“
 

„Allein?“, kam sofort die Gegenfrage der Siebzehnjährigen und Ren spürte bereits, wie sich ein ungutes Gefühl in seiner Magengrube einnistete…
 

„Natürlich nicht, Mogami-kun! Ich kann meine Enkelin in ihrem Alter doch nicht alleine verreisen lassen! Wirke ich wie ein so schlechter Großvater?“, ertönte nun in dramatischem Tonfall die nur allzu vertraute Stimme von Rory Takarada hinter ihnen. Ren schloss für einen kurzen Moment innerlich fluchend seine Augen. Das konnte doch nicht wahr sein… Yashiro und Kotonami-san schienen bereits eine ähnliche Befürchtung zu haben, wie er selbst. Nur Kyoko war, ihrer Naivität sei dank, noch nicht hinter die Bedeutung dieses „zufälligen“ Treffens hier am Flughafen gekommen…
 

„Natürlich nicht, Takarada-sachou!“, antwortete sie augenblicklich mit steifer Körperhaltung, ehe sie ihre Schultern allmählich wieder entspannen ließ, „Darf ich fragen, wo Sie hinfliegen?“
 

„Ich will übermorgen meinen Papa in den USA besuchen, weil doch mein Geburtstag ist und er letztes Jahr extra nach Tokyo gekommen ist!“, klingte Maria sich nun wieder freudig ins Gespräch ein, „Und außerdem hat Kuu-sama Opa eingeladen! Ihn besuchen wir daher zuerst.“
 

Nun schien die Erkenntnis auch bei Kyoko zu sacken und Ren fragte sich für einen kurzen Moment, wie wohl ihre Reaktion ausfallen würde. Jeder normale Mensch hätte sicher genauso wenig Interesse wie er selbst, sein Manager und Kotonami-san an einem neun Stunden andauernden Flug nach Kanada in der Begleitung des Präsidenten von LME, der sogar hier am Flughafen über ein Detektiv-Cosplay noch Aufmerksamkeit auf sich zog, geschweige den auf einen mehrtägigen Urlaub in Begleitung dieses Mannes... Aber die Siebzehnjährige war nicht wie jede normale Person, was sich auch schnell wieder in ihrer Reaktion bestätigte.
 

„Dann fliegen wir ja zusammen!“, stellte Kyoko im nächsten Augenblick freudig quiekend fest. Das neunjährige Mädchen stimmte sofort in ihren Freudentanz mit ein und ehe Ren sich versah waren sie in ein Gespräch darüber vertieft, wie sie sich Kanada vorstellten, wie der Schnee dort aussehen würde und wie die Menschen in Nordamerika wohl gekleidet waren...
 

Der Einundzwanzigjährige sah kurz zu Takarada-san auf, der ihm ein amüsiertes Lächeln zeigte. Klar… wie konnte er auch annehmen, dass der Boss sich sein erstes Treffen nach über sechs Jahren mit seinen Eltern entgehen lassen würde. Selbst wenn dieses Treffen nur als Tsuruga Ren stattfand.

Seinen Vater hatte er ja letztes Jahr bereits kurzzeitig gesehen, als Kuu zur Vermarktung seines neuen Kinofilms nach Japan kam, und er hatte ihm damals sogar eine Videobotschaft für seine Mutter Hizuri Juliella mitgegeben. Genau diese stellte nun aber eine viel größere Herausforderung dar… Es war nicht so, dass er nicht darin vertraute, dass es seiner Mutter gelingen würde ihn vor den anderen als Tsuruga Ren zu betrachten und nicht als Hizuri Kuon. Auch wenn sie Hauptberuflich Model und Designerin war, hatte sie bereits in einigen Filmproduktionen ihr schauspielerisches Können bewiesen. Was ihn beunruhigte war etwas anderes…

Er war damals weggegangen, ohne sich zu verabschieden… Als Takarada-san vor ihm stand und ihm anbot, ihn mit nach Japan zu nehmen, damit er sich in diesem fernen Land ein neues Leben und seine eigene Karriere, ohne den Einfluss des Namens seiner Eltern, aufbauen konnte, hatte er keine Sekunde gezögert. Er hatte sich seinen Pass genommen und war dem damals noch größeren Mann gefolgt. Er hörte noch, wie sein Vater, der ihm Wohnzimmer gewartet hatte, nach ihnen rief, versuchte ihn umzustimmen oder zumindest noch solange zu warten, bis seine Mutter von ihrer damaligen Modeshow in Paris zurückkehren würde. Aber er konnte es nicht… Er musste weg… weg von seiner Familie, weg von diesem Haus und diesem Land, in dem es ihm einfach nicht möglich war auch nur die kleinsten positiven Erinnerungen zu schaffen. Die einzigen schönen Kindheitserinnerungen, die er hatte, waren von seinem Urlaub in Kyoto, der ehemaligen Kaiserstadt Japans. Vielleicht lag es an Rorys Argument, das Japan das Heimatland seines Vaters war, vielleicht aber auch an eben diesen Erinnerungen, dass er sich partout keinen anderen Ort für einen Neuanfang vorstellen konnte, als Japan.

Er hatte sich dafür geschämt, dass er es zuhause nicht mehr aushielt… dass er seinen Eltern schon die Jahre zuvor Unmengen an Sorgen bereitet hatte, obwohl sie sich alle Mühe mit ihm gaben und ihm soviel Liebe schenkten, wie es ihnen bei ihren vollen Terminkalendern möglich war. Und er hatte sich dafür geschämt, dass er ohne ein Wort des Abschieds gegangen war… dazu kam die Arbeit, die damit verbunden war, sich ein Leben in Japan aufzubauen. Er lernte die Sprache, die Schrift, die Höflichkeitsformen… alles was notwendig war, um vollends zu Tsuruga Ren zu werden.

Ehe er sich versah, war im Nu ein Jahr vergangen, ohne, dass er sich zuhause gemeldet hatte… und es folgte ein zweites, ein drittes… Wäre sein Vater nicht letztes Jahr nach Tokyo gekommen, hätte er sicher auch in diesem Jahr keinen weiteren Kontakt mit seinen Eltern gehabt. Und nun saß er hier, über sechs Jahre nachdem er von seinem Zuhause in Californien fort gegangen war und nicht einmal mehr zehn Stunden von einem Wiedersehen mit seinen Eltern entfernt.
 

Der Starschauspieler fuhr sich kurz mit einer Hand durch sein braun gefärbtes Haar, das er sich nach Beendigung der Dreharbeiten als Cain Heel wieder etwas kürzer geschnitten hatte. Er fühlte sich alles andere als bereit zu diesem Schritt… Wieso um Himmels Willen hatte er sich nur hierauf eingelassen??
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

Fünfundzwanzig Minuten vor Abflug wurden sie schließlich aufgerufen, um das Flugzeug zu betreten. Rory Takarada hielt die Boardkarten in seinen Händen und wollte sie eigentlich nach seiner eigenen Vorstellung verteilen, allerdings machte seine Enkelin ihm prompt einen Strich durch die Rechnung… Die Neunjährige zog ihm rasch zwei Karten aus der Hand und stellte zufrieden fest, dass es die Plätze der mittleren, von drei gebuchten Reihen waren. Sie drückte ihrer „großen Schwester“ die Karte für den Fensterplatz in die Hand und führte sie dann auch schnurstracks zu dem besagten Platz im erste Klasse Abteil des Flugzeugs.

Kotonami-san, die den beiden misstrauisch gefolgt war, gab sich überraschenderweise ohne Widerspruch mit der Sitzsituation ihrer Love-Me-Kollegin ab und nahm auf dem Fensterplatz in der Reihe vor ihrer besten Freundin Platz. Takarada-san hatte den Platz hinter Kyoko in Beschlag genommen und so blieben nur noch Yashiro und Ren selbst übrig. Für einen kurzen Moment überlegte Ren sich zu Kotonami-san zu setzen, allerdings befürchtete er, dass es kein angenehmer Flug für ihn sein würde, wenn er ab und an mal einen Blick hinter sich zu Kyoko werfen würde… daher entschied er sich für die zweite Möglichkeit, auch wenn diese nicht unbedingt angenehmer ausfallen würde, und nahm neben Takarada-san Platz. Yashiro folgte der Entscheidung seines Schützlings und setzte sich, wenn auch etwas zaghaft, neben die zweite Love-Me-Praktikantin. Ren war sich nicht ganz sicher, aber er war der Meinung für einen winzigen Moment einen leichten Rosaschimmer an den Ohren seines Managers ausmachen zu können, als dieser Kotonami-san danach fragte, ob er sich neben sie setzen durfte.

Gerne hätte Ren dieses Phänomen weiter beobachtet, denn es bot ihm eine überaus seltene Gelegenheit mal etwas Material zu sammeln, um dem Blondhaarigen die Sticheleien über ihn und Kyoko, denen er regelmäßig ausgesetzt war, auf gleiche Weise heimzuzahlen… Aber dazu kam er nicht, da Takarada-san den noch allgemein im Flugzeug herrschenden Tumult und Lärm dazu nutze ihn zu diesem besonderen Thema anzusprechen.
 

„Bist du nervös?“, lautete die knappe Frage, bei der der Tonfall des Präsidenten von LME unnatürlich ernst klang.
 

„Wer wäre das nicht in meiner Situation?“, stellte Ren lediglich eine Gegenfrage, worauf Takarada-san anfing leicht zu schmunzeln.
 

„Da hast du Recht“, begann er nun wieder, „Mach dir keine Gedanken. Es wird alles gut gehen. Und vielleicht hilft dir diese Reise ja dieses andere Problem, das du seit deiner Rolle als BJ hast, zu lösen.“
 

„Vielleicht…“, erwiderte Ren wenig überzeugt. Er konnte sich aktuell nicht wirklich vorstellen, dass ihm ein Treffen mit seinen Eltern dabei helfen würde die Wesenszüge von „Kuon“, die während der Dreharbeiten als Cain Heel freigebrochen waren, wieder in seinem Innen, bzw. hinter der Persönlichkeit von Tsuruga Ren, zu verschließen… wahrscheinlicher war da viel eher das Gegenteil…

Ren lehnte seinen Kopf zurück und lauschte etwas der angeregten Unterhaltung zwischen Maria und Kyoko in der Sitzreihe vor sich, in die auch Kotonami-san und Yashiro immer wieder miteinbezogen wurden. Wie gerne würde er jetzt einfach die Augen schließen und die nächsten Stunden über schlafen… Aber er wollte nicht riskieren hier im Flugzeug vor all diesen Leuten einem seiner Alpträume aus den letzten Wochen ausgesetzt zu sein. Also würde er wohl wach bleiben müssen…
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

„Papa hat Opa schon vor ein paar Wochen gefragt, ob wir dieses Jahr wieder eine ‚Greatful’-Party machen, weil er sein Flugticket buchen wollte. Aber Opa hat ihm geantwortet, dass bisher noch nichts dazu mit uns abgesprochen ist. Ich bin froh darüber, denn ohne dich und Ren-sama hätte die Feier keinen Spaß gemacht“, erzählte Maria, während sie und Kyoko gemeinsam an zwei kleinen Puppen bastelten. Das Flugzeug war mit knapp zehn Minuten Verspätung gestartet und hatte inzwischen längst seine Flughöhe erreicht.
 

„Tut mir leid, Maria-chan. Aber ich hätte das Angebot ganz bestimmt nicht angenommen, wenn wir schon mit den Vorbereitungen für die Feier begonnen hätten!“
 

„Ich weiß“, antwortete die Neunjährige mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen, „Aber so ist es besser. Opa meinte, dass du und auch Ren-sama dringend mal etwas Urlaub gebrauchen könntet. Und ich kann so meinen Papa in den USA besuchen! Er hat mir neulich Bilder von seiner Wohnung geschickt. Sie ist richtig schön! Man kann über die ganze Stadt schaun! Und vor seinem Haus ist auf der anderen Seite ein riiiiesiger Park, in dem man spazieren gehen und spielen kann!“
 

Kyoko beobachtete mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen, wie das junge Mädchen von dieser Reise und dem Treffen mit ihrem Vater schwärmte. Sie hatte schon befürchtet, dass Maria es ihnen übel nehmen würde, dass sie über ihren Geburtstag verreisten… Sie hatte darauf auch Takarada-san am gestrigen Tag angesprochen, aber dieser hatte ihr versichert, dass das kein Problem sei und in dem Gespräch bereits angedeutet, dass er und seine Enkelin auch bereits Pläne für die Feiertage hatten. Wie genau diese aussahen, hatte sie allerdings erst heute erfahren.

Während die Siebzehnjährige dem blonden Mädchen weiterhin zuhörte, setzte sie die letzten perfektionierenden Stiche an der kleinen Tsuruga-Ren-Puppe, um die Maria sie gebeten hatte. Sie trug das Outfit, dass der richtige Tsuruga Ren letztes Jahr auf ihrer Feier am 24.12. getragen hatte. Weil es so ein besonderer Tag war, hatte sich das junge Mädchen diese Puppe als diesjähriges Geburtstagsgeschenk gewünscht. Bei sämtlichen Farb- und Stoffwahlen hatte Kyoko sie miteinbezogen, damit ihr die Puppe auch sicher gefiel. Nun war sie endgültig fertig. Bis Maria sie bekommen würde, würde es aber noch dauern. Man konnte ein Geburtstagsgeschenk schließlich nicht schon vor dem Geburtstag übergeben.
 

Als Kyoko einen Blick nach vorne warf, stellte sie fest, dass ihre beste Freundin Kotonami Kanae ein Kissen zwischen ihren Kopf und die Außenwand des Flugzeuges geklemmt hatte und augenscheinlich schlief. Yashiro hingegen hatte den Tisch vom vorderen Sitz hinunter geklappt und einige Zettel, sowie den Terminkalender seines Schützlings vor sich ausgebreitet. Er hatte zwar einiges an Arbeit an das drei-Personen-Team, das Takarada-san extra für die Reorganisierung von Rens Terminen zusammengestellt hatte, übergeben, aber was die Grundstrukturierung des Terminplans anging, die wollte er lieber selbst machen. Immerhin ging es nicht nur darum einfach neue Termine abzusprechen… sondern diese auch mit den Terminen einer gewissen anderen Person abzustimmen, damit zumindest gelegentlich Treffen zum Mittagessen in LME oder private Abendessen bei seinem Schützling zuhause möglich waren.

Sobald er genau das erledigt hatte, würde er dem Team seine Grundstruktur per E-Mail zuschicken und die Kollegen konnten dann die genauen Terminabsprachen mit den Produzenten und Unternehmen durchführen, um die von ihm vorbereiteten Lücken zu schließen.
 

Kyoko und Maria setzten ihre kleine Bastelstunde noch etwa eine halbe Stunde fort, ehe der Siebzehnjährigen auffiel, wie die Augen ihrer jungen Sitznachbarin immer schwerer wurden. Sie legte ihre Nähutensilien auf ihrem Schoß ab, ehe sie das junge Mädchen ansprach:

„Bist du müde, Maria-chan?“
 

Maria sah etwas beschämt zu ihrer selbsternannten großen Schwester auf und ließ ihre Schultern dabei etwas hängen.
 

„Ich habe letzte Nacht nicht gut geschlafen… Ich weiß, dass Opa mich extra mehrmals gefragt hat, ob das Fliegen mit dem Flugzeug in Ordnung ist und ich will es ja auch, aber…“, die Kleine stockte und begann nebenher mit ihren Händen nervös an dem Rock ihres hellblauen Winterkleides zu spielen. Kyoko legte ihr darauf beruhigend eine Hand auf den Kopf und begann liebevoll durch das lange blonde Haar des Mädchens zu streicheln.
 

„Du hattest Angst, wegen dem Unfall deiner Mutter, nicht wahr, Maria-chan? Das ist okay. Ich habe auch etwas Angst. Aber uns passiert nichts und du wirst in zwei Tagen gesund und munter deinem Papa gegenüberstehen! Schließlich ist das genau das, wofür du die ganze letzte Nacht gebetet hast, nicht wahr?“
 

Dem jungen Mädchen schlich sich ein scheues Lächeln auf die Lippen. In solchen Situationen zeigte sich immer wieder, warum sie Kyoko als ihre Onee-sama betrachtete. Niemand hatte sie bisher so gut verstanden, wie sie. Selbst ihr Opa, Ren-sama und auch ihr eigener Papa nicht. Aber Kyoko wusste immer genau was sie dachte und sie schaffte es alleine durch das Ansprechen ihrer Sorgen bereits, diese beiseite zu fegen.

Kyoko beobachtete aufmerksam das Mimikspiel des blonden Mädchens und begann schließlich zufrieden zu lächeln. Sie nahm der Neunjährigen nun gezielt das Nähmaterial aus der Hand, mit dem sich Maria an ihrer ersten eigenen Puppe versuchte.
 

„Moko-san und dein Opa schlafen schon eine ganze Weile und selbst Yashiro-san hat sich eben noch ein Kissen und eine Decke geben lassen. Also lass uns jetzt auch erstmal ein bisschen schlafen, Maria-chan!“, schlug die Siebzehnjährige vor. Unerwarteter weise erhielt sie allerdings lediglich ein Kichern von dem jungen Mädchen neben sich als Antwort.
 

„Aber du bist doch gar nicht müde, Onee-sama! Ich kann auch alleine schlafen. Und ich weiß etwas, damit dir nicht langweilig wird, weil wir uns nicht mehr unterhalten können!“, mit diesen Worten stand die Neunjährige von ihrem Sitzplatz auf und griff nach ihrer kleinen, schwarz-weißen Handtasche in Form eines Pandakopfes, die sie neben sich auf der Sitzfläche abgestellt hatte. Kyoko beobachtete etwas irritiert, wie ihre kleine Freundin in Richtung der Sitzreihen hinter ihnen verschwand. Es stimmte zwar, dass sie nicht müde war, genau genommen war sie innerlich zu aufgedreht und zu sehr voller Vorfreude, um auch nur ansatzweise an Schlaf zu denken, aber es stellte doch trotzdem kein Problem dar, es sich mit Maria-chan etwas gemütlich zu machen…

Die Siebzehnjährige richtete sich neugierig darauf zu erfahren, wie diese Idee von Maria wohl aussah, in ihrem Sitz auf und spähte zwischen den beiden Sitzlehnen hindurch zu der Sitzreihe hinter sich. Maria stand mit ihrem Täschchen in den Händen vor Tsuruga Ren und wartete geduldig, bis dieser von dem Handy in seiner rechten Hand zu ihr aufsah.
 

„Ren-sama, können wir die Plätze tauschen?“, kam prompt die Frage, ohne das Ren eine Chance hatte zuvor etwas zu dem Mädchen zu sagen. Überrascht sah er sie einen Moment an und ließ seine Augen anschließend für einen Sekundenbruchteil zu der angehenden Schauspielerin wandern, die durch die Sitzlehnen hindurch zu ihm sah. Er meinte während diesem kurzen Augenblick sogar einen leicht rötlichen Schimmer auf den Wangen der Rothaarigen ausmachen zu können, tat diesen Gedanken aber eilig als Wunschdenken ab. Wieso sollte Kyoko auf diese Weise reagieren, bloß weil ihm gerade von Maria der Sitzplatz neben ihr angeboten wurde?
 

Ren wandte sich schnell wieder dem jungen Mädchen zu und nickte einverstanden: „Natürlich können wir das.“
 

Der über ein Meter neunzig große Mann richtete sich zu seiner vollen Größe auf und trat so auf den Gang hinaus, dass Maria problemlos an ihm vorbeischlüpfen konnte. Die Neunjährige sprang direkt auf die warme Sitzfläche, auf der ihr Lieblinsschauspieler zuvor gesessen hatte, legte ihre Handtasche ordentlich neben sich ab und klappte die Armlehne zum Nachbarsitz ihres Opas nach oben.

Ren hatte inzwischen ein Kissen und eine dünne Wolldecke hervorgeholt, die vor etwa einer halben Stunde durch die Stewardessen verteilt wurden. Er reichte Maria das Kissen, die sich damit direkt auf den Schoß ihres Opas kuschelte. Der Starschauspieler deckte die Neunjährige liebevoll zu und schmunzelte leicht, als er bereits ihre Augen zufallen sah. Ganz sachte zog er dem jungen Mädchen noch ihre blau-silbernen Ballerinas von den Füßen, ehe er sich daran machte seinen neuen Platz einzunehmen.
 


 

Fortsetzung folgt...
 

Heyho :)
 

Ich hoffe euch gefällt das zweite Kapitel dieser Weihnachtsfanfiction (auch wenn längst nicht mehr Weihnachten ist). Ich habe am 27.01. endlich mein Diplom erhalten und bin jetzt seit dem 01.02.12 im Arbeitsleben angelangt. ^^

Aktuell ist es teilweise noch etwas stressig, da es noch viel aus der Praxis heraus zu lernen gibt, aber ich hoffe, dass ich bald wieder deutlich mehr Luft habe und zeitiger weiterschreiben kann.
 

Vielen Dank für die Kommentare zum ersten Kapitel! Ich würde mich freuen, auch zu diesem Kapi einige Feedbacks zu lesen. :)
 

Liebe Grüße

Kuon

In a Flash

Es war insgesamt in der letzten Stunde recht ruhig im Flugzeug geworden. Die meisten Passagiere in der ersten Klasse schienen zu schlafen, oder mit Kopfhörern an die Laptops vor sich gefesselt zu sein. Ren bemühte sich möglichst leise zu sein, als er sich nun zu Kyoko umdrehte und neben dieser auf dem inzwischen freien Sitz Platz nahm.
 

Kyoko zwang sich währenddessen krampfhaft nicht zu dem Schauspieler zu schauen, sondern ihren Blick auf das Fenster nach draußen zu fixieren. Wirklich viel sehen tat man dort allerdings auch nicht… Es war Dezember und daher um diese Uhrzeit längst dunkel. Sie konnte lediglich die Silhouetten von einigen Wolkenfeldern unter ihnen ausmachen, überlagert von ihrem eigenen Spiegelbild. Aber das war immer noch besser, als den Einundzwanzigjährigen den leichten Rosaschimmer auf ihren unnatürlich warmen Wangen mitbekommen zu lassen.

Sie wusste ja selbst nicht genau was mit ihr los war und warum sie so auf ihn reagierte. Aber manchmal wenn sie ihn ansah, kam sie einfach nicht umhin seine Gesichtszüge zu mustern. Angefangen bei seinen vollen, aber schmalen Augenbrauen, weiter über seine dunklen Augen, mit seinen langen Wimpern, bis hin zu seinen schmalen Lippen… Sie hatte sich schon mehrmals selbst dabei ertappt, wie sie ihn angestarrt hatte. Sie wusste nicht mehr genau, wann es angefangen hatte, aber sie glaubte, dass es irgendwann während ihrer Zeit als die Geschwister Cain und Setsuka Heel war. Vielleicht auch schon vorher… Auf jeden Fall fühlte sie sich jedes Mal auf eine unangenehme Weise ertappt, wenn sie mal wieder darin verfallen war ihn auf diese Art anzusehen und ihre Blicke sich dabei unerwartet trafen. Und genau das war ihr auch eben geschehen. Sie hatte eigentlich nur nach hinten gesehen, um zu schauen, was Maria vorhatte. Aber irgendwie hatte sie letztendlich doch mehr Tsuruga-san angesehen, als die Neunjährige… Aber eigentlich war das doch auch kein Wunder, oder? Er sah immer noch ähnlich erschöpft aus, wie gestern. Auch wenn er es echt gut schaffte seine Müdigkeit zu überspielen, die leichten Schatten unter seinen Augen verrieten ihn. Umso überraschter war sie davon, dass er es den anderen nicht gleich getan und sich etwas Schlafen gelegt hatte. Stattdessen hatte er sich anscheinend die gesamte letzte Zeit über still mit seinem Handy beschäftigt…
 

„Ich hoffe es ist in Ordnung, dass ich mit Maria-chan die Plätze getauscht habe?“, hörte Kyoko plötzlich, wie Ren sie ansprach. Dem Starschauspieler war natürlich nicht entgangen, dass die Siebzehnjährige ihn offensichtlich nicht ansehen wollte. Er hatte beinahe den Eindruck bekommen, dass zwischen ihnen eine Art peinliche Stille herrschte. Allerdings konnte er sich partout nicht erklären, was der Grund dafür sein konnte. Er entschied sich daher die Stille zu brechen, indem er sie auf die einfachste Weise ansprach, die ihm gerade einfiel.
 

„Natürlich, Tsuruga-san!“, antworte die junge Schauspielerin sofort und wandte nun endlich auch ihren Blick zu ihm. Ren lächelte erleichtert, als er ihre großen Augen sah. Langsam ließ er seinen Blick zu den Händen der Siebzehnjährigen hinabschweifen.
 

„Wieder ein Geschenk für Maria-chan?“, erkundigte er sich breit schmunzelnd. Er war letztes Jahr mehr als baff gewesen, als Kyoko der Neunjährigen zu ihrem Geburtstag eine Puppe geschenkt hatte, die ihm erschreckend ähnlich sah. Bis ins kleinste Detail waren seine Mimik und seine Kleidung ausgefeilt gewesen… Er hatte keine Ahnung gehabt, dass Kyoko ein solches Talent besaß. Die Puppe, die die junge Schauspielerin nun in den Händen hielt, war zwar eine ganze Ecke kleiner, als die letzte, aber was die Detailarbeiten anging genauso erschreckend perfekt.
 

Kyoko stieg sofort die Wärme ins Gesicht, sie konnte praktisch fühlen, wie ihre Wangen begannen rot zu werden. Eilig ergriff sie sämtliche Nähutensilien und stopfte sie nicht gerade behutsam in ihre Handtasche.

„Maria-chan hat mich darum gebeten…“, antworte Kyoko so leise, dass Ren es nur dank der im Flugzeug herrschenden Stille überhaupt hören konnte. Noch einen kleinen Tick leiser und das dumpfe Dröhnen der Triebwerke hätte vermutlich gereicht, um ihre Stimme komplett zu überdecken.
 

„Ich finde es immer wieder faszinierend, wie gut diese Puppen ausgearbeitet sind“, fuhr Ren noch immer schmunzelnd fort. Kyoko bot ihm gerade eine perfekte Vorlage, um sie ein wenig aufzuziehen… Und er wäre nicht er selbst, wenn er diese nicht ausnutzen würde. Besonders da er sich noch zu gut an einige gewisse Situationen erinnern konnte, in denen Setsuka Heel sich nicht davor gescheut hatte, ihrem Bruder im Badezimmer kurzzeitig Gesellschaft zu leisten…
 

„Ich frage mich allerdings, wie Detailgetreu sie wohl unterhalb der Kleidung sind…“
 

„TSURUGA-SAN!“, kam sofort die empörte Reaktion von Kyoko, wobei die Schauspielerin regelrecht aus ihrem Sitz aufsprang. Sie zuckte allerdings sofort erschrocken zusammen, als sie merkte, dass einige der umsitzenden Passagiere sie mit wenig erfreuten Blicken ansahen. Das war wohl etwas zu laut gewesen…
 

Ren konnte sich unterdessen nicht verkneifen leise zu Lachen, wobei er sich eine Hand vor den Mund hielt, um nicht ebenfalls ihre Mitpassagiere zu stören. Der Einundzwanzigjährige krümmte sich leicht zusammen und versuchte weiterhin sein Lachen zumindest halbwegs zu unterdrücken, als die Siebzahnjährige sich neben ihm wieder in ihren Sitz zurückfallen ließ und mit einem beleidigten Schmollmund nun wieder das Fenster zu ihrer linken ansah. Er hatte diese Reaktion in letzter Zeit schon häufiger aus ihr hervorgelockt, nicht nur als Setsuka Heel, sondern auch als Kyoko Mogami, und das freute ihn. Es zeigte, dass sie sich ihm gegenüber nicht mehr in ein Korsett aus Förmlichkeiten zwängte, sondern zeigte, was sie wirklich empfand. Die junge Frau hatte zudem provokativ ihre Arme vor ihrer Brust verschränkt. Wäre sie Setsu hätte er gewusst, wie er sie augenblicklich dazu bringen konnte nicht mehr eingeschnappt zu sein, aber bei Mogami Kyoko war das Ganze ein klein wenig aufwendiger.

Der erste Schritt bestand aber definitiv darin mit dem Lachen aufzuhören und das fiel Ren aktuell zugegeben noch sehr schwer. Er hatte sich schon eine Weile nicht mehr so ausgelassen gefühlt, wie jetzt in diesem Moment. Aber er bemühte sich, sich möglichst schnell wieder unter Kontrolle zu bekommen.
 

„Das war gemein von Ihnen, Tsuruga-san“, erklang plötzlich die Stimme der Siebzehnjährigen neben ihm, was Ren dazu brachte nach einem abschließenden Glucksen seine aufgeheiterte Stimmung mitsamt dem Lachen hinunter zu schlucken und wieder ernster zu werden. Er hatte echt nicht erwartet, dass sie ihn zuerst ansprach.
 

„Es tut mir Leid, Mogami-san“, begann Ren sich zu entschuldigen, worauf er ein kurzes Brummen der Schauspielerin als Reaktion bekam. Ein Brummen, das nicht gerade den Eindruck machte als glaube sie ihm und als würde sie seine Entschuldigung hier gerade annehmen.
 

„Ich meine es ernst, Mogami-san. Es tut mir aufrichtig leid. Das war eine unangemessene Bemerkung von mir.“
 

„Allerdings…“, kam eine knappe gegrummelte Antwort. Aber immerhin wandte sich Kyoko nun wieder von dem eintönigen Fensterausblick ab und ihm zu. Ren bemühte sich sofort um ein beschwichtigendes Lächeln und allem Anschein nach hatte es auch die erhoffte Wirkung, denn die düstere Aura um seine Sitznachbarin verschwand im Nu.

Kyoko schaffte es bei diesem Anblick auch beim Besten Willen nicht weiter böse auf ihn zu sein… Dieses heilige Lächeln und der süße Hundeblick waren zwei Sachen, die jegliche Gegenwehr von der jungen Frau lahm legen konnten, ob es ihr gefiel oder nicht… Selbst ihre kleinen Rachegeister waren diesem Mann unterlegen, wenn er sie so ansah. Eigentlich gab sie zwar nicht ganz so schnell klein bei wie heute, aber Kyoko wollte aktuell einfach nicht mit dem Starschauspieler streiten. Sie wollte eigentlich etwas ganz anderes und sie hoffte, dass er sich vielleicht darauf einließ…
 

„Tsuruga-san?“, begann Kyoko vorsichtig ihr eigentliches Anliegen einzuleiten.
 

„Hm?“
 

„Wollen Sie nicht vielleicht auch etwas schlafen? Sie sehen wirklich müde aus und… und ich mache mir Sorgen, dass Sie vielleicht noch krank werden…“

Kyoko hatte sich beim Aussprechen dieser Frage nicht getraut dem Mann neben sich direkt in die Augen zu sehen, sondern stattdessen ihre Hände in ihrem Schoß begutachtet. Jetzt, wo sie sie über ihre Lippen gebracht hatte, sah sie allerdings vorsichtig wieder zu ihrem Sitznachbar auf. Rens Gesichtsausdruck wirkte unnatürlich starr und somit überhaupt nicht so, wie Kyoko es erwartet hatte. Sie hatte diese Befürchtung schon einige Male seit Abschluss ihrer Zeit als die Heel-Geschwister gehabt und jetzt gerade schien sie sich wieder zu bestätigen. Aus irgendeinem Grund trug der Starschauspieler ihr gegenüber wieder seine Maske… dabei hatte sie den Eindruck gehabt, dass er ihr gegenüber in den letzten Wochen und Monaten offener geworden war, dass er ihr sein wirkliches Wesen zeigte...

Die Siebzehnjährige konnte sich nicht erklären warum, aber diese Feststellung stimmte sie innerlich irgendwie traurig.
 

„Das ist nicht nötig, Mogami-san“, antwortete Ren schließlich auch mit Worten. Es tat ihm leid, dass seine Stimme so kalt wirkte, wie es gerade der Fall war. Er wollte es ja selbst nicht, aber es gab keinen anderen Weg für ihn, wenn er verhindern wollte, dass Kyoko unbewusst wieder an Dingen in seinem Inneren rüttelte, die er in den letzten Wochen so verzweifelt versuchte unter Kontrolle zu bringen. Sein schlechtes Gewissen ihr gegenüber machte das Aufrechterhalten seiner Fassade gerade allerdings wirklich zu einem Kraftakt für ihn…
 

Dieses Mal scheute Kyoko keinen direkten Augenkontakt mit dem Starschauspieler. Ganz im Gegenteil, sie suchte sogar regelrecht diesen Kontakt. Sie wusste doch, dass irgendetwas nicht stimmte, und sie würde alles tun, um irgendetwas dagegen tun zu können! Was auch immer das Problem war, sie wollte ihrem Sempai helfen. Immerhin gehörte er zu den wichtigsten Personen in ihrem Umfeld. Aber er schien das nicht zulassen zu wollen, das hatten seine Worte eben mehr als deutlich gemacht… Und über die Feiertage würde sie dank ihres Aufenthalts in Kanada auch nicht die Möglichkeit haben, ihm in ihrem Hahnenkostüm einen Besuch abzustatten. Was auch immer der Grund dafür war, dem Hahnenmaskotchen Bou schien er irgendwie zu vertrauen. Aber da diese Möglichkeit ausschied, würde sie auf andere Weise versuchen zu ihm durchzudringen. Aufgeben würde sie bloß wegen dem distanzierten Verhalten von Seiten des Starschauspielers diesmal definitiv nicht! Dazu machte sie sich einfach zu viele Sorgen um ihn…
 

„Haben Sie Alpträume, Tsuruga-san?“, stellte Kyoko nun einfach ganz direkt, aber dennoch mit diskret leiser Stimme, ihre nächste Frage. Sie hatte schließlich live mitbekommen, was die Dreharbeiten als Black Jack und die falsche Identität als Cain Heel für Auswirkungen auf ihn hatten.
 

Für einen winzigen Augenblick konnte die Siebzehnjährige einen Ausdruck von Überraschung in den Augen des Einundzwanzigjährigen ausmachen, ehe er sofort wieder hinter der Maske von Tsuruga Ren verschwand. Sie ließ dem jungen Mann gar nicht erst die Möglichkeit noch etwas zu sagen, die nötige Antwort hatte sie schließlich gerade erhalten.
 

„Es hat direkt nach Abschluss der Dreharbeiten wieder angefangen, oder?“, folgte unverzüglich die nächste Frage, und wieder reichte ein Sekundenbruchteil, um Kyokos Vermutung zu bestätigen. Sie seufzte stimmlos, als der Einundzwanzigjährige sich plötzlich von ihr abwandte und statt zu ihr, stur auf den geräumigen Gang neben sich blickte. War sie gerade zu weit gegangen? Die Siebzehnjährige wusste es nicht… vermutlich hatte sie wirklich ihre Kompetenzen überschritten. Auch wenn das in ihrer Rolle als Setsuka nie ein Problem war, inzwischen war sie nun mal wieder Mogami Kyoko… Einerseits schrie alles in ihrem Inneren danach sich für ihr Verhalten zu entschuldigen, aber dann würde sie sich nur wieder am Anfang dieser ganzen Miesere wieder finden.

Die junge Schauspielerin entschloss sich daher etwas zu tun, was ihr schon bei dem alleinigen Gedanken daran einen deutlichen Rotschimmer auf die Wangen trieb. Ohne Vorankündigung erhob sie ihre rechte Hand und platzierte diese auf dem linken Arm des Starschauspielers, den dieser auf der Lehne zwischen ihren Sitzen abgelegt hatte. Erst war ihre Berührung zaghaft, aber dann tastete sie gezielt nach seinen langen, schlanken Fingern und umschloss diese mit den ihren.
 

Kyoko sah, wie Rens Kopf beinahe erschrocken zu ihr herumfuhr und er sie nun zum ersten Mal in den letzten drei Wochen mit einem völlig schutzlosen und damit umso verletzlicher wirkendem Ausdruck in den Augen ansah.
 

„Es ist okay…“, murmelte die Siebzehnjährige inzwischen so leise, dass sie außer Ren sicher niemand mehr hören konnte, „Sie können sich an meine Schulter lehnen. Ich… ich könnte praktisch ihr Kissen sein, wie Setsu… I-ich weiß, dass ich nicht das für Sie bin, was Setsu für Cain war, a-aber vielleicht kann ich Ihnen ja trotzdem helfen zu schlafen… zumindest für ein paar Stunden…“
 

Ren war völlig überrumpelt… und dieser Ausdruck war noch untertrieben! Der erste Schock war die zierliche Hand gewesen, die plötzlich fest seine Finger umschloss, und die damit verbundene Wärme, die durch seinen Körper strömte. Es war als wolle sie über ihre Berührung versuchen ihn daran zu hindern vor ihr davon zu laufen. Und dann auch noch diese Worte. Ren wusste nicht, ob er sich im siebten Himmel oder in der Hölle befand. Das Gefühl ihrer zärtlichen Finger auf seiner Hand und ihre flüsternde Stimme, brachten ihn beinahe um den Verstand. Sie hatte Recht, sie war nicht für ihn, was Setsu für Cain war. Setsuka war Cain Heels Schwester, oder sollte es zumindest sein. Sie hingegen war etwas viel, viel Wertvolleres für ihn, was keine Familienbande je ersetzen können würde.

Der Einundzwanzigjährige musste all seine Selbstkontrolle aufbringen, um nicht nachher noch etwas Unüberlegtes zu tun und die junge Frau neben sich zu verschrecken, indem er hier und jetzt über sie herfiel. Stattdessen wandte er seine Hand in der ihren, bis ihre Handflächen nun aufeinander lagen und er mit seinen Fingern ihre deutlich kleinere Hand ebenso umschließen konnte, wie sie es bereits tat.
 

Ein zärtlicher, aber zeitgleich gequälter Ausdruck lag auf seinem Gesicht, während er kurzzeitig ihre verschränkten Hände betrachtete. Wie schaffte es dieses Mädchen bloß immer wieder sämtliche seiner Blockaden zu durchbrechen? Er war mehr als einmal innerlich am Verzweifeln gewesen, weil sie seine Annäherungsversuche mit ihrer Naivität auf brutalste Art und Weise abgeschmettert hatte. Aber wenn er derjenige war, der eine Mauer um sich herum aufbaute, dann löste sie die ihre plötzlich und tat Dinge, die er nie für möglich gehalten hätte.
 

Die Ansätze eines Schmunzelns legten sich auf Rens Mundwinkel, während er auf einmal das volle Ausmaß seiner Erschöpfung fühlen konnte. Wie sollte er die Mauer und seine Maske als Tsuruga Ren bloß wieder aufbauen, so lange Kyoko seine Hand genauso festhielt, wie er die ihre? Sie hatte ihn mal wieder vollkommen entwaffnet…
 

„Du bist wirklich unglaublich“, murmelte der Starschauspieler, wohl wissend, dass seine Sitznachbarin seine Worte ebenso wie die informelle Formulierung hören konnte. Langsam senkte er seinen Kopf ab, bis er mit dem ihren auf einer Höhe war und sich seine Lippen nur noch Millimeter von ihrem rechten Ohr entfernt befanden.
 

„Danke… Kyoko-chan“, flüsterte er, ehe er seinen Lippen für einen winzigen Moment erlaubte den Rand von Kyokos Ohrmuschel für einen flüchtigen Kuss zu berühren. Anschließend bettete er seinen Kopf endgültig auf ihrer schmalen Schulter und schloss erschöpft, aber dennoch mit einem Lächeln auf den Lippen seine Augen. Solange sie seine Hand nicht losließ und er ihren angenehmen Duft in der Nase hatte, würde er ohne Alpträume schlafen können. Da war er sich sicher…
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

Auch als sie den ruhiger gewordenen Atem von Ren bereits seit mehreren Minuten an ihrem Hals wahrnehmen konnte, wagte Kyoko es nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Ihre Körperhaltung war so steif, wie die einer Steinstatue. Ihre linke Hand hatte sie über ihren Mund gelegt und damit vorhin im letzten Moment verhindern, dass ein erschrockenes Quieken ihre Kehle verließ, als sie plötzlich die Berührung von Rens feuchten Lippen an ihrem Ohr wahrnehmen konnte. W-war das etwa ein Kuss?? Hatte er ihr wirklich einen Kuss auf ihr Ohr gegeben??? Oder war es nur ein Zufall, eine Berührung, die aus versehen passiert war?

So gerne Kyoko sich letzteres einreden wollte, so sehr sträubte sich irgendetwas in ihr auch dagegen. Und dann noch seine Worte… Die Art und Weise, wie er ihren Namen so formlos ausgesprochen hatte… seine zärtliche Stimme… Sie konnte sich daran erinnern, dass das schon einmal passiert war. Damals, als er krank und mit hohem Fieber im Bett gelegen und sie sich als seine vorübergehende Betreuerin um ihn gekümmert hatte…

Kyokos Augen weiteten sich augenblicklich bei diesem Gedankengang. Eilig, aber dennoch vorsichtig ließ sie ihre linke Hand zu Rens Stirn wandern, um nach seiner Temperatur zu fühlen. Allerdings atmete sie sofort erleichtert auf, als sie keine Erhöhung seiner Temperatur feststellen konnte.
 

Langsam entspannte sich die Muskulatur der Siebzehnjährigen wieder. Es war beruhigend zu wissen, dass er nicht krank war. Aber so erschöpft wie er im Moment wirkte, sollte sie definitiv auf ihn aufpassen! Nicht, dass er sich nachher doch noch während dieses Urlaubs etwas einfing. Häufig brechen viel beschäftigte Personen schließlich erst dann zusammen, wenn sie plötzlich Ruhe und Zeit haben!

Immer darauf bedacht den Starschauspieler auf ihrer Schulter nicht zu wecken, fischte Kyoko vorsichtig nach der Wolldecke, die sie neben sich liegen hatte. Eigentlich wollte sie auch ihre rechte Hand zur Hilfe nehmen, aber so wie Tsuruga-san sie festhielt, würde sie ihre Hand kaum von der seinen lösen können, ohne ihn zu wecken. Also bemühte sich die angehende Schauspielerin mit ihrer linken Hand und ihren Zähnen die Wolldecke auseinander zu falten.

Anschließend legte sie die Decke, soweit es ihr aus ihrer Position heraus möglich war, um die Schultern des Einundzwanzigjährigen und noch über ihre eigenen Beine. Auch wenn sie eigentlich nicht direkt müde war, fühlte sie das Bedürfnis ebenfalls ein wenig die Augen zu schließen. Nur für ein paar Minuten…
 

Ehe Kyoko sich versah waren ihre Augen zugefallen und ihr Kopf leicht zur Seite gesackt. Sachte lehnte sie nun mit ihrer Wange an Rens Kopf und driftete ebenfalls tief ins Land der Träume ab.
 

Fortsetzung folgt...
 


 

Hey ^^
 

Hier ist endlich das dritte Kapitel meiner kleinen Weihnachtsfanfiction. Ich hoffe es gefällt euch genauso gut wie mir, diese Szene im Flugzeug zwischen Kyoko und Ren war eine der Ersten, die mir zu dieser Story eingefallen sind. Ich hatte deswegen auch viel Spaß beim Schreiben von ihr.
 

Ich würde mich auch dieses Mal wieder freuen, den ein oder anderen Kommentar lesen zu dürfen. :) Kommis sind und bleiben die Motivation eines Autors! ^^
 

Vielen Dank! :D
 

LG

Kuon

Arrival

Kotonami Kanae betrat gerade wieder den Gang des erste Klasse Abteils, in dem es in den vergangenen Stunden wieder deutlich lebhafter geworden war. Klare Sonnenstrahlen drangen durch die abgerundeten Fenster ins Innere des Flugzeuges und hatten die meisten Passagiere bereits wieder aufgeweckt. Mit zwei Ausnahmen…
 

Kanae ging mit einem mürrischen Gesichtsausdruck zu den drei Sitzreihen des Außenganges zurück, die sie belegt hatten. Maria stand auf ihrem Sitz und hatte sich mit den Armen auf den Rückenlehnen der Sitzreihe vor sich abgestützt. Flüsternd unterhielt sie sich mit Yashiro, der sich ebenfalls in seinem Sitz aufgerichtet hatte und mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht immer wieder die Sitzreihe hinter sich musterte.

Sie wusste, was er sich da so freudestrahlend ansah. Sie hatte es selbst gesehen, als sie vor gut zwei Stunden bereits wieder aufgewacht war. Sie hatte eigentlich geglaubt neben Maria-chan sei Kyoko vor diesem Schauspieler sicher... Wer konnte auch ahnen, dass die Neunjährige von sich aus ihren Platz mit dem Kerl tauschte?!
 

Ein leises Grummeln kam Kanae über die Lippen, als sie letztendlich bei den Sitzreihen ankam und neben Maria-chans Platz stehen blieb. Ein kurzer Blick nach unten bestätigte ihr, dass sich während ihrer kurzen Abwesenheit nicht wirklich etwas geändert hatte. Auf den beiden Plätzen saß immer noch eine junge Frau mit rötlichen kurzen Haaren, auf deren Schulter der etwas größere Kopf ihres stattlichen Sitznachbarn ruhte. Sein dunkelbraunes Haar fiel ihm in vorwitzigen Strähnen ins Gesicht und eine mehr schlecht als recht um ihn gelegte cremefarbene Wolldecke stand in einem angenehmen Kontrast zu dem weinroten schlichten Rollkragenpullover, den der Starschauspieler trug.

Allein die Tatsache, dass dieser Kerl seinen Kopf auf der Schulter ihrer besten Freundin abgelegt hatte, wäre eigentlich schon genug gewesen, um Kanae aus der Haut fahren zu lassen… Aber die Art und Weise, wie Kyokos Kopf auch noch sachte an den des Einundzwanzigjährigen gelehnt war, während sie beide augenscheinlich den Schlaf der Gerechten schliefen, schlug dem Fass echt den Boden aus!
 

„Guck mal Yashiro-san! Ren-sama hält sogar Onee-samas Hand!“, verkündete die Neunjährige neben Kanae freudestrahlend, was die Laune der Schauspielerin noch weiter drückte. Kyoko hatte im Schlaf gerade ein wenig ihre Beine bewegt, womit sie unbewusst die Wolldecke von den Schultern ihres Sitznachbarn gezogen hatte, was wiederum die verschränkten Finger des Pärchens zum Vorschein brachte. Verflucht, hatte die Neunjährige nicht immer davon geschwärmt selbst mal diesen Tsuruga heiraten zu wollen?! Wie konnte sie sich dann bloß so ruhig, nein falsch, eher schon beinahe überaus gut gelaunt diese Kuschelszene zwischen ihm und ihrer selbsternannten großen Schwester anschauen??
 

Der Manager dieses Kerls war ebenfalls schon regelrecht euphorisch und suchte hektisch nach seiner Kamera, als Kanae nach ein paar ordentlich aufeinander gestapelten Blättern Papier griff, die auf dem kleinen Tisch vor dem Blonden lagen. Im Nu hatte sie das Papierbündel in ihrer Hand zusammen gerollt und schlug ohne Vorwarnung einmal kräftig mit ihrer neuen „Waffe“ gegen die Rückenlehne von Yashiros Sitz.

Ein erschreckend lauter Knall durchzog die Flugzeugkabine und erregte dabei auf unangenehme Weise die ungewollte Aufmerksamkeit von einigen anderen Passagieren, die sich bereits von der Stewardess ihren Kaffee oder ein leichtes Frühstück bringen ließen. Kanae beachtete all diese Leute allerdings nicht weiter, sondern starrte mit einem regelrechten Mörderblick auf das Pärchen hinab, das ebenfalls aus seinem Schlaf hochgeschreckt war.
 

Ren war der erste von Beiden, der seine Desorientierung überwinden konnte und zu der Love-Me-Kumpanin seiner Sitznachbarin hinaufsah.

„Kotonami-san?“, fragte der Einundzwanzigjährige, noch immer sichtbar verschlafen. Sein Kopf war vor Schreck bei dem lauten Knall von Kyokos Schulter gerutscht und beinahe noch auf dem Schoß der Siebzehnjährigen gelandet, wenn er sich nicht zuvor gefangen hätte. Mühsam richtete sich der Starschauspieler aus seiner gebeugten Sitzhaltung wieder in eine halbwegs gerade auf, wobei er feststellen musste, dass ihm mehr als ein Muskel in seinem Körper die vorherige Schlafposition augenscheinlich übel nahm… Ren fuhr sich kraftvoll mit einer Hand über den Nacken und knetete dabei bewusst die unangenehm steife und ziehende Muskulatur, während er überhaupt erst wieder richtig wach wurde.

Kyoko hatte sich in der Zwischenzeit ebenfalls aufgesetzt und zu ihrer besten Freundin aufgeblickt. Allerdings war sie völlig irritiert und überfordert von dem mörderischen Blick, den ihr Kanae zuwarf.
 

„Moko-san?“, fragte Kyoko beinahe vorsichtig, während Kanae immer noch auf eine bedrohlich wirkende Art die zusammengerollten Zettel in ihrer rechten Hand hielt.
 

„Mo! Hast du etwa vor den gesamten Flug über zu schlafen?! Was war dann das Gerede gestern, von wegen du willst mit mir den Touristenführer für Vancouver durchschauen?!“, blaffte die Schwarzhaarige ihre Love-Me-Kumpanin direkt an und umging dabei bewusst diesen Kerl neben ihr als Gesprächsthema. Sie hatte ja noch nicht einmal reagiert, als er sie eben angesprochen hatte. Und das würde sie vorerst auch so beibehalten.
 

Kyoko verfiel sofort in ihre üblichen Entschuldigungen, besonders im Bezug auf das geplante Durchsehen des Touristenguides, worauf Kanae lediglich mit kurzen gegrummelten Geräuschen antwortete.

Ren beobachtete die sich abspielende Szene anfangs etwas hilflos, entschied sich dann aber, Kotonami-san etwas entgegen zu kommen indem er den Platz neben Kyoko räumte. Mit etwas Mühe, wegen seiner noch unangenehm steifen Gelenke von der unnatürlichen Schlafposition, erhob der Starschauspieler sich aus seinem Sitz, wobei er durch seinen breiten Körper direkt den Blickkontakt von Kyoko und ihrer besten Freundin unterbrach.
 

„Mogami-san, ich denke es ist am Besten, wenn ich die Plätze mit Kotonami-san tausche. Der Tourguide für Vancouver enthält ein paar interessante Sachen und es wäre von Vorteil, wenn wir bei unserer Ankunft schon einen groben Plan davon hätten, was wir uns über die Feiertage alles anschauen könnten“, begann der Einundzwanzigjährige einzulenken und folgte dabei auch gleich seinen Worten, indem er aus der Sitzreihe hinaus trat und Kanae mit einer Handgeste seinen Platz anbot. Erst dabei fiel ihm die Wolldecke auf, die auf dem Fußboden vor ihrer Sitzreihe lag.

Mehr als einen kurzen Blick hatte der Schauspieler allerdings nicht für die Decke übrig, da ihm im nächsten Moment eine kräftige Hand einmal auf die Schulter klopfte.
 

„Oho, sind wir endlich aufgewacht?“, hörte Ren die Stimme von Rory Takarada neben sich, bei dem man sein breites Grinsen regelrecht aus seinen Worten heraushören konnte.
 

„Ich weiß nicht, was Sie meinen, Takarada-san“, entgegnete Ren in einem desinterssierten Tonfall und mit zeitgleich aufgesetztem "Gentlemanlächeln", ehe er dem älteren Mann einfach seinen Rücken zudrehte. Yashiro hatte mitgedacht und war bereits auf den Fensterplatz durchgerutscht, auf dem Kotonami-san den Rest des Fluges verbracht hatte, weshalb Ren sich nun direkt in den freien Platz am Gang fallen lassen konnte.

Erneut verzog der Schauspieler kurz seine Mundwinkel, als er wieder dieses unangenehme Ziehen in seinem Nacken spürte. Während Ren wieder begann seinen Nacken zu massieren, sah er sich erstmals in dem geräumigen Flugzeugabteil um. Erst dabei fiel ihm die Helligkeit auf, die nicht nur von den Lampen, sondern eindeutig auch von den Fenstern stammte. Mit einem leicht irritierten Ausdruck auf dem Gesicht, musterte Ren das Fenster neben Yashiro, das einem einen ungehinderten Blick auf einen strahlend blauen Himmel bot.

Der Manager hatte das Mimikspiel seines Schützlings natürlich verfolgt und reagierte nun mit einem amüsierten Grinsen, als er die Verwirrung in Rens Augen sah.
 

„Ihr habt so fest geschlafen, dass euch nicht einmal die aufgehende Sonne stören konnte. Wir haben zwar 40 Minuten Verspätung, aber wir werden in etwas über einer halben Stunde bereits in Vancouver landen“, begann Yashiro zu erklären, worauf Ren geschockt erst in das Gesicht seines Managers blickte und anschließend direkt sein Smartphone aus der Hosentasche zog. Die digitale Zeitanzeige zeigte tatsächlich bereits 09:38 Uhr der kanadischen Zeit an… Hieß das etwa ernsthaft, dass er über sieben Stunden am Stück durchgeschlafen hatte??

Ren glaubte es kaum, aber auch wenn sein Handy ihn anlügen könnte, die Sonne draußen konnte es definitiv nicht. Mit einem lautlosen Seufzer auf den Lippen ließ der Starschauspieler seinen Kopf zurück gegen die Rückenlehne fallen und schloss dabei für einen kurzen Moment seine Augen. Takarada-san hatte definitiv Recht gehabt, als er ihm zu Beginn seiner Zeit als Cain Heel dieses Mädchen als Talisman zuteilte. Es war unglaublich was für einen Einfluss allein ihre bloße Anwesenheit auch heute wieder auf ihn hatte. So viele Stunden Schlaf am Stück hatte er nur selten, beziehungsweise eigentlich gar nicht in den letzten drei Wochen genießen können.

Der Einundzwanzigjährige warf erneut einen Blick aus dem Fenster neben seinem Manager und begutachtete dieses Mal nicht nur die angenehmen Sonnenstrahlen, sondern auch die Wolkendecke, die sich wie ein dichter Teppich unter ihnen erstreckte. Noch konnte man durch die gelegentlichen Lücken in dem Wolkenmeer lediglich dunkelblaues Wasser erkennen, aber es dauerte nicht mehr lange, bis sie die Westküste des nordamerikanischen Kontinents erreichten.
 

Ren wurde in diesem Moment auf unangenehme weise bewusst, dass ihn weniger als eine Stunde, oder dramatischer ausgedrückt, nur noch Minuten von dem ersten Treffen seit sechs Jahren mit seinen Eltern trennten, für das er sich alles andere als bereit fühlte…

Was um Himmels Willen tat er bloß hier??
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

Kanae hatte sich, mehr oder minder von Tsuruga-san Angebot die Plätze zu tauschen begeistert, auf den Sitz neben ihrer Love-Me-Kollegin fallen lassen. Die Zettel hatte sie natürlich wieder Yashiro in die Hand gedrückt, was wollte sie auch jetzt noch mit ihnen? Kyoko hatte zwar bereits den erwähnten Reiseführer aus ihrem Handgepäck hervorgekramt und auf dem kleinen ausklappbaren Tisch vor sich abgelehnt, aber danach ihre Finger auf ihren Oberschenkeln ineinander verschränkt und ihren Kopf mit einem ängstlichen Blick leicht Kanae zugewandt. Gott, wieso musste sie sie jetzt auch noch mit diesem Blick ansehen? Wie sollte man da wütend bleiben?

Kanae schnaubte einmal kurz, ehe sie nach dem Reisführer griff und das Inhaltsverzeichnis von diesem Aufschlug.
 

„Moko-san? Bist du böse auf mich?“, ertönte nebenher die vorsichtige Frage ihrer neuen Sitznachbarin.

Gerne hätte Kanae mit „ja“ geantwortet, aber letztendlich wäre das albern gewesen. Das war ja schon alleine der Grund dafür, weshalb sie gerade so angefressen war. Aber Kyoko war nun mal ihre erste wirkliche Freundin, auch wenn die Schwarzhaarige das auf den Teufel nicht laut aussprechen würde, und sie hatte das unangenehme Gefühl, dass Tsuruga versuchen könnte sie ihr wegzunehmen. Besonders, da sie bereits festgestellt hatte, dass dieser Mann eine zunehmend größere Bedeutung in Kyokos Alltag und ihrem Gefühlsleben spielte.

Es gab inzwischen kaum noch ein Gespräch, in dem nicht zumindest einmal von Kyoko ausgehend der Name des Starschauspielers fiel. Sie erzählte gerne davon, dass sie ihn getroffen oder dass sie für ihn gekocht hatte. Kanae wäre diesem Kerl am liebsten an die Gurgel gesprungen, als die Siebzehnjährige einmal sogar zugab bei ihm übernachtet zu haben. Es hatte ganze 20 Minuten gedauert und einiges an Überzeugungsarbeit von Kyoko gekostet, bis Kanae die Tatsache akzeptiert hatte, dass sie ihm Gästezimmer geschlafen und er absolut nichts seltsames mit ihr versucht hatte.
 

Die Schwarzhaarige fand sich in einem verwirrenden Zwiespalt wieder. Einerseits gönnte sie Kyoko jeden kleinen Fortschritt in ihrer Beziehung mit dem Starschauspieler. Es war mehr als ersichtlich, dass der Kerl schon seit über einem Jahr Hals über Kopf in Kyoko verschossen war. Und es war mindestens genauso ersichtlich, dass er auch aus der Sicht der Siebzehnjährigen eine ganz besondere Bedeutung in ihrem Leben hatte. Nur war Kyoko einfach eine ecke langsamer, als Tsuruga. Sie hatte augenscheinlich immer noch nicht geschnallt, wie genau man das, was sie für den Starschauspieler empfand, nannte. Und Kanae war sich sicher, dass sie es lauthals abstreiten würde, wenn sie der Siebzehnjährigen mal direkt auf den Kopf zusagen würde, dass man dieses Gesamtpaket an Gefühlen „LIEBE“ nannte. Aber das zeigte einfach nur, dass die junge Frau noch nicht bereit war sich vollends auf diese Gefühle einzulassen und Kanae würde sie vor diesem Kerl und seinen Annäherungsversuchen beschützen, solange es nötig sein sollte!

Und egal wie hübsch und wertvoll sein Gesicht war, im Hinblick auf seine Position als beliebtester Schauspieler und Junggeselle Japans, wenn er Kyoko auch nur einmal zum Weinen bringen sollte, würde sie persönlich dafür sorgen, dass er sich die nächsten vier Wochen nicht aus seinem teuren Apartment trauen konnte!
 

„Wer wäre das nicht, wenn ihm von einer gewissen Person versprochen worden wäre, dass man sich gemeinsam ein paar Sehenswürdigkeiten raussucht, diese Person dann aber dabei ertappt, wie sie den gesamten Flug verpennt“, grummelte die Schwarzhaarige schließlich als Antwort und hörte sich anschließend das übliche Entschuldigungsritual ihrer Love-Me-Kollegin an. Sobald diese sich wieder beruhigt hatte, hielt Kanae ihr den Reiseführer direkt vors Gesicht.
 

„Also, wo willst du hin?“
 

„Zum Strand!“, verkündete plötzlich ein blonder Haarbüschel, der völlig unerwartet zwischen ihnen aufgetaucht war. Kanae warf der Neunjährigen, die urplötzlich in ihrer Sitzreihe vor ihnen stand, einen kurzen Blick zu, ehe sie zu Kyoko sah. Sie überließ es ihrer Sitznachbarin Maria auf das wesentliche Problem dieser Idee hinzuweisen.
 

„Wir haben Winter, Maria-chan. Zum Baden dürfte es daher eine Ecke zu kalt sein und sonst wird es dort am Strand sicher nicht viel geben, was wir tun können. Außerdem liegt in dieser Stadt bestimmt bereits meterhoch der Schnee!“, begann Kyoko zu erzählen, wobei sie ihre Worte natürlich direkt mit einigen ausschweifenden Handgesten unterstrich.
 

Kurz schien die Neunjährige darauf nachzudenken, wobei sowohl Kanae als auch Kyoko sie abwartend beobachten.

„Meterhoher Schnee? Ist das wirklich so viel mehr als bei uns zuhause?“
 

Kanae verdrehte bei dieser Frage kurz ihre Augen. Genau deswegen hatte sie so ein Problem mit Kindern. Davon abgesehen, dass sie nervig waren, ständig an einem hingen und rund um die Uhr spielen oder essen wollten, stellten sie auch alles in Frage, was man ihnen den lieben langen Tag über erzählte.

Es war nicht so, dass sie direkt etwas gegen Maria-chan hatte. Eigentlich mochte sie das junge Mädchen, auch wenn sie sie wegen ihrer Vorlieben für Voodoopüppchen als etwas „seltsam“ einstufte. Aber diese seltsame Eigenheit hatte ja auch noch eine andere Person hier im Raum… kein Wunder, dass Maria und Kyoko ein Herz und eine Seele waren.

Mit Hio-kun kam sie auch sehr gut zurecht, obwohl er nur wenige Jahre älter war als Maria. Hio hatte es nur deutlich eiliger erwachsen zu werden und auch als Erwachsener behandelt zu werden, als Maria-chan. Das hatte zur Folge, dass er inzwischen deutlich bedachter handelte, was ihr bei jedem neuen Dreh mit ihm auffiel. Inzwischen standen sie bereits bei einem weiteren Drama gemeinsam vor der Kamera und bei ihrer ersten gemeinsamen Serie hatten die Dreharbeiten für die zweite Staffel jetzt im September geendet. Sie hatte mehrmals von Schauspielkollegen oder anderen Crewmitgliedern gehört, dass Hio und sie vor der Kamera eine gute Chemie hatten, und das stimmte auch. Es war einfach mit ihm zusammen zu schauspielern. Für sein Alter hatte er sich definitiv schon einiges an Können vor der Kamera angeeignet und davon abgesehen war er auch eine hervorragende Hilfe, wenn es darum ging die nervigeren männlichen Schauspielkollegen loszuwerden, die ihr bei den Dreharbeiten schöne Augen machten...

Tja, vielleicht machte auch sie selbst langsam Fortschritte, was den Grund für ihre Zuteilung zur Love-Me-Section anging. Genauso wie Chiori und natürlich allen voran Kyoko.
 

„Kanada liegt eine Ecke nördlicher, Maria-chan“, klingte sich plötzlich der Präsident von LME höchstpersönlich in das Gespräch ein. Der ältere Mann stand in der Sitzreihe hinter den beiden Damen, hielt eine dampfende Kaffeetasse in seiner rechten Hand und lehnte sich lässig mit der Seite gegen deren Rückenlehnen, was in dem Detektivcosplay, das der Präsident immer noch trug, überaus seltsam wirkte,

„Deswegen haben sie dort auch mehr Schnee, als wir in Tokyo. Nach dem Wetterbericht, den ich mir vor unserem Start online angesehen habe, liegt direkt in Vancouver zwar nicht so viel Schnee, nur ein oder zwei Zentimeter, aber auf den Bergen außerhalb der Stadt liegt schon eine Menge! Und Kuus Ferienhaus befindest sich, soweit ich weiß, ein Stück weit außerhalb. Ich bin sicher, Mogami-kun und Kotonami-san hätten Spaß dabei mit dir einen Schneemann oder falls der Schnee dafür reicht auch ein Iglu zu bauen!“
 

Kyoko und Maria sprangen natürlich sofort auf diese Idee an und ehe Kanae sich versah, war der Reiseführer wieder vergessen und die beiden sinnierten begeistert von Schneemännern, Iglus und sogar Weihnachtsmannschlitten samt Rentieren, die sie aus dem Schnee bauen wollten.

Die Schwarzhaarige seufze leiste und verschränkte beide Arme vor ihrer Brust. Also wenn das so weiterging, würde das echt noch ein langer Urlaub werden…
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

„Hier, Liebling“, flüsterte eine liebevolle Männerstimme, als ein groß gewachsener Mann mit einer Basecap auf dem Kopf, einer dunklen Sonnebrille über seinen Augen und einem dampfenden Becher Kaffee in seiner Hand, an eine hübsche Frau herantrat, die auf einer Bank im Wartebereich des Flughafens saß. Der Blick aus den großen Glasfenstern ermöglichte einem das rege Treiben auf den Start- und Landebahnen zu beobachten und in regelmäßigen Abständen war das Dröhnen der Flugzeugturbinen bis ins Gebäude zu hören.
 

„Danke“, erwiderte die Frau mit einem dankbaren Lächeln. Auch ihre Augen waren von einer getönten Sonnenbrille überdeckt und auf ihrem Kopf trug sie eine Wintermütze in einem angenehm warmen Coral, das hervorragend ihr sonstiges winterliches Outfit ergänzte und zudem den Glanz ihrer hellblonden gewellten Haare unterstrich. Eine eng geschnittene, weiße Winterhose zierte die langen Beine der blonden Schönheit und betonte dabei vorteilhaft die Figur der Frau, während sie gleichzeitig ihrer Funktion nachkam und der eisigen Kälte draußen standhielt. Die Temperaturen waren in der vorangegangenen Nacht überraschend abgesackt, weshalb an diesem Morgen sogar in der Stadt Vancouver selbst – 4° Celsius gemessen wurden. Außerhalb der Stadt, in den höher gelegenen Regionen ging es deutlich unter die – 10 ° Celsius hinunter.
 

Der Mann ließ sich neben seiner Frau auf einem freien Sitz nieder und streckte seine langen Beine etwas aus, während er die Blondine dabei beobachtete, wie sie in kleinen Schlücken den heißen Kaffee trank:

„Ich habe noch mal an der Information nachgefragt. Es bleibt bei den 40 Minuten Verspätung, wegen der Unwetterfront, der sie ausweichen mussten. Der Flieger befindet sich bereits im Landeanflug, es kann also nur noch ein paar Minuten dauern.“
 

Die Frau setzte den warmen Becher von ihren Lippen ab und stützte das heiße Getränk vorsichtig auf ihre Oberschenkel. Kurz ging ihr Blick erneut auf die vielen Flugzeuge, vor der dicken Glasscheibe, ehe sie sich zu ihrem Mann umdrehte.

„Denkst du wirklich, das war eine gute Idee, Kuu? Was, wenn er uns eigentlich gar nicht sehen will? Egal was Rory gesagt hat, ich glaube nicht, dass Kuon diese Einladung freiwillig angenommen hat! Er hat uns nach der Videobotschaft Anfang des Jahres nicht EINmal angerufen und dann soll er einfach so ‚ja’ sagen, wenn wir ihn fragen, ob er uns besuchen kommt? Das passt nicht zu meinem Jungen!“
 

Der Mann zog sich mit einer Hand die Basecap vom Kopf und seine Sonnenbrille von der Nase, während er sich zeitgleich nach vorne beugte und mit den Ellenbogen auf seine Oberschenkel stützte. Ein leiser Seufzer kam über seine Lippen, während er anschließend mit einer Hand durch sein blondes Haar fuhr, das an den Schläfen bereits von einigen kleinen weißlichen Strähnen gespickt war.
 

„Ich weiß, Julie“, begann er in einem nicht gerade glücklichen Tonfall. Er teilte die Bedenken seiner Frau und das bis ins letzte Detail. Auch er zweifelte ernsthaft daran, dass Kuon diese Einladung so bereitwillig angenommen hatte, wie Rory sie glauben lassen wollte. Aber was konnte er von hier aus schon machen? Tatsache war, dass sein ehemaliger Chef Takarada Rory in wenigen Minuten durch das Gate ihnen gegenüber schreiten würde.

Und dabei würde er nicht nur von seiner Enkelin Maria begleitet werden, sondern auch von Mogami Kyoko mitsamt ihrer Freundin Kotonami Kanae und ebenso von Tsuruga Ren und seinem langjährigen Manager Yashiro Yukihito.
 

Vermutlich war genau das der entscheidende Punkt. Ihm war mehr als bewusst, dass eine Einladung an „Kuon Hizuri“ sicher nicht von dem Einundzwanzigjährigen angenommen worden wäre. Vielleicht hätte er den Brief stattdessen sogar schnellstmöglich verbrannt, um mögliche Indizien auf seine wahre Identität nicht in falsche Hände geraten zu lassen!?

Nun gut, ganz passte dieses fiktive Handlungsmuster nicht zu seinem Sohn… aber andererseits kannte er ihn auch nicht mehr wirklich. Kuon hatte sich in den letzten Jahren verändert. Er war weder der unschuldige Junge, der er noch im Alter von zehn Jahren gewesen war, noch war er der fünfzehnjährige Teenager voller innerlicher Wut. Er war erwachsener geworden, er hatte aus seinen bisherigen Lebenserfahrungen gelernt und war an ihnen gewachsen. Auch wenn es noch die ein oder andere Sache aus seiner Vergangenheit gab, mit der er noch nicht vollends abschließen konnte.

Genau aus diesem Grund hatte er die Einladung auch nicht an Kuon geschrieben, sondern an Tsuruga Ren. Er hatte zugegeben höllische Angst vor der Reaktion seines Sohnes auf diesen Schachzug gehabt… Es war mehr als ersichtlich, dass er und besonders Julie es einfach nicht mehr aushalten konnten und ihn sehen wollten, wenn sie sogar schon in Kauf nahmen Kuon nicht als ihren Sohn, sondern in der Rolle des aktuellen Starschauspielers und beliebtesten Junggesellen Japans, Tsuruga Ren, einzuladen.

Aber es war ein notwendiges Übel. Sie würden ihren Sohn zwar nicht so begrüßen können, wie sie es wollten, und wohl auch nicht die Gelegenheit haben ihn in ihre Arme zu schließen und ihm all das zu sagen, was ihnen schon seit er vor über sechs Jahren ihr gemeinsames Zuhause in L.A./Californien verlassen hatte, auf der Seele brannte… aber sie würden ihn sehen können. Sie würden mit ihm sprechen können, würden ein wenig darüber erfahren wie er sein Leben in Japan lebte, ob er seine Arbeit liebte und Freunde hatte und auch darüber zu was für einem Mann er charakterlich herangewachsen war.
 

Kuu griff vorsichtig nach den Händen seiner Frau, die immer noch den Kaffeebecher hielten. Liebevoll legte er seine Finger über die ihren und drückte sie ganz leicht, während er ihr nun auch direkt in ihre, durch die Sonnenbrille versteckten, blauen Augen sah.
 

„Mach dir nicht so viele Gedanken, Liebling. Es wird alles gut gehen. Nur vergiss nie, dass er im Moment nicht unser Sohn ist. Er ist Tsuruga Ren und wir müssen ihn entsprechend behandeln. So schwer es auch sein mag, wir dürfen seine Identität nicht auffliegen lassen. Denn das wäre sicher etwas, was er uns nie verzeihen würde…“
 

Kuu bekam lediglich ein verstehendes Nicken von seiner Frau als Antwort, aber mehr brauchte er auch nicht. Sie war nicht nur als Model eine Weltklasse, ihr schauspielerisches Talent war ebenfalls nicht zu unterschätzen. Und davon abgesehen würde sie, genau wie er selbst, alles für Kuons Wohlergehen tun. Wenn es dazu gehörte ihn wie einen Fremden zu behandeln, dann würden sie auch das meistern!
 

Der Hollywoodstar hatte seinen Gedankengang gerade erst zu ende geführt, als auch schon die Ansage über die Ankunft des Fluges mit der Nummer JL 018 durch den geräumigen Wartebereich dröhnte. Wie ferngesteuert war er bei dem alleinigen Klang der Flugnummer aus seiner sitzenden Position aufgestanden und ein Blick zu seiner rechten verriet ihm, dass es seiner geliebten Frau ähnlich ergangen war.

Mit einem Lächeln auf den Lippen ergriff er ihre Hand, ehe sie gemeinsam langsam in Richtung des Ankunftgates gingen.
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

„Wir sind da!“,

ertönte der simultane Klang von Marias und Kyokos freudigen Stimmen, als sie gemeinsam das Gate durchtraten und sich offiziell auf kanadischem Boden befanden. Beide Mädchen kicherten ausgelassen und sahen sich fasziniert im Vancouver International Airport um.

Direkt hinter ihnen gingen Kanae und Yashiro, wobei besonders Kanae immer darauf bedacht war etwas Sicherheitsabstand zu den beiden Mädchen vor sich zu halten. Man wusste schließlich nie, was in deren Köpfen vorging. Besonders in Kyokos und sie war bereits seit der Verkündung des Landeanfluges darauf gefasst, dass ihre Love-Me-Kollegin sie jederzeit vor Freude in eine dieser Rippenbrechenden Umarmungen zerren konnte…
 

Einige weitere Schritte hinter der Gruppe betrat auch Ren die Ankunftshalle, wobei sein Gang sichtbar zögerlich war. Rory hatte so etwas bereits erwartet, weshalb er nicht von der Seite des Starschauspielers wich und ihn jedes Mal, wenn er in seinen Schritten zu langsam wurde, behutsam mit einer Hand an der Schulter weiter nach vorne schob.

Er konnte sich vorstellen was für einem Strudel an Gefühlen der Einundzwanzigjährige gerade ausgesetzt war, aber das änderte nichts daran, dass er sich diesen Gefühlen stellen musste. Er hatte lange daran gezweifelt, ob Ren es aus eigener Kraft wieder auf den amerikanischen Kontinent schaffte bevor Julie ihm endgültig den Kopf abriss, weil er ihr ihren Sohn weggenommen hatte…

Aber als er seine Darstellung von Cain Heel und Black Jack auf dem Rohmaterial des Filmdrehs gesehen hatte, war er sich sicher, dass es allmählich Zeit wurde, um dem jungen Mann einen Stups in die richtige Richtung zu geben. Und diese richtige Richtung war im Moment nun mal die Konfrontation mit seinen Eltern.
 

„OTOU-SAN!“, schrie Kyoko freudestrahlend und übertönte damit kurzzeitig sogar den allgemeinen Lärm des großen Flughafens. Die Siebzehnjährige stürzte sofort los, als sie die vertraute Gestalt von Kuu Hizuri erblickte, der mit einem herausfordernden Grinsen auf dem Gesicht und weit ausgestreckten Armen nur wenige Meter vor ihnen stand. Die junge Schauspielerin flog regelrecht in die Arme des deutlich älteren Mannes und wurde herzlich von ihm begrüßt, indem er sie fest an sich drückte.

Und auch die Ehefrau des Hollywoodstars, Juliella Hizuri, zögerte nicht dem jungen „Adoptivsohn“ ihres Mannes ihre Zuneigung auszudrücken. Kaum hatte Kuu Kyoko losgelassen, zog Julie sie in eine feste Umarmung und begann sofort von den ganzen Erzählungen ihres Mannes zu berichten, und zu betonen, wie froh sie doch war auch endlich ihren „zweiten Sohn“ kennen lernen zu dürfen.
 

Ren war unterdessen wortwörtlich zur Eissäule erstarrt. In dem Augenblick, indem seine, hinter braunen Kontaktlinsen versteckten, blau-grünen Augen die beiden vertrauten Silhouetten ausmachten, verkrampfte seine gesamte Muskulatur. Selbst wenn er es gewollt hätte, hätte er nicht einen Schritt mehr gehen können. Stattdessen starrte er das Paar mit geweiteten Pupillen an, beobachtete ihre Interaktionen mit Kyoko wie aus einer Art Trance heraus.

Erst der feste Griff von Rory Takaradas rechter Hand an seiner linken Schulter, ließ den Starschauspieler wieder halbwegs zu Sinnen kommen. Sofort löste er seinen Blick von der sich ihm bietenden Szene und starrte stattdessen auf den glatten Fußboden aus Naturstein, der diesen Bereich des Flughafens ausmachte.

Sein Hals war mit einem male unnatürlich trocken, seine Lippen klebten regelrecht aufeinander und der Herzschlag in seiner Brust war laut genug um unangenehm in seinen Ohren zu dröhnen. Unbewusst hatte der Einundzwanzigjährige außerdem seine Hände so fest zu Fäusten geballt, dass seine Fingerknöchel weiß aus der Haut hervortraten und seine Fingernägel schmerzlich in seine Innenhand stachen.
 

„Beruhig dich, Junge“, begann Rory so leise, dass es definitiv niemand sonst hören konnte, auf den Einundzwanzigjährigen einzureden, „Denk daran, du bist heute nicht als Kuon hier, sondern als Tsuruga Ren. Also hol endlich tief Luft und sei Ren!“
 

Genau das waren augenscheinlich die Stichworte, die der Braunhaarige gebraucht hatte. Sobald der Klang seines Künstlernamens über die Lippen seines Arbeitsgebers kam, veränderte sich die Körperhaltung des Einundzwanzigjährigen grundlegend. Seine Schultern richteten sich auf, seine Muskulatur lockerte sich und sein Gesicht hatte im Nu die klaren und unbeirrbaren Züge seines Alter Egos angenommen.

Rory schlichen sich die Ansätze eines zufriedenen Lächelns in die Mundwinkel, als er die Veränderungen an seinem Schützling betrachtete. So würde es für den Anfang erstmal gehen. Und die Gelegenheit vor seinen Eltern vollends zu Kuon zu werden, würde der junge Mann noch früh genug haben. Da war Rory sich absolut sicher.
 

Der Präsident von LME hielt sich weiterhin einen Schritt hinter seinem Starschauspieler, als dieser nun gezielt auf das ihnen gegenüberstehende Ehepaar zuging.

Als Tsuruga Ren bei ihren beiden Gastgebern für die Feiertage ankam, verbeugte er sich leicht zur Begrüßung und streckte Kuu Hizuri anschließend ganz gelassen und mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen die Hand zur Begrüßung entgegen:
 

„Es freut mich Sie wieder zu sehen, Hizuri-san.“
 

Fortsetzung folgt ...
 


 

Heyho :)
 

Und hier bin ich wieder mit dem vierten Kapitel meiner kleinen Weihnachtsstory. ^^ Und das bei über 30°C und purem Sonnenschein draußen... Uff, ich bin einfach kein Hitzetyp fürchte ich. Aber kalt wird es noch früh genug. ^^
 

Erstmal danke für die bisherigen Kommentare! :) Ich freue mich immer riesig über Feedback, so erfahre ich, was genau ihr über die Story denkt. Und wenn ihr irgendwelche Anmerkungen habt, egal ob zum Inhalt/Schreibstil/Rechtschreibung etc., freut mich das auch. :) Ich bin für konstruktive Kritik jederzeit zu haben!

Daher würde es mich freuen, wenn ich in den folgenden Kapiteln vielleicht noch einige Kommentare mehr bekommen könnte. Es wäre daher echt lieb, wenn ihr mir welche schreiben könntet. :)
 

Aber natürlich auch danke für die Favoriteneinträge! ^^ Das ist natürlich ebenfalls eine gute Motivation!
 

Ich hoffe euch gefällt das aktuelle Kapitel und wir sehen/lesen uns dann wieder bei Kapitel 5! ;)
 

Bis dann!

Snow-White Countryside

„Die Freude ist ganz meinerseits, Tsuruga-san!“, erwiderte Kuu mit einem erfreuten Lächeln, als er die Hand des Braunhaarigen ergriff und schüttelte. Die Nervosität, die ihn schon seit dem Moment belagert hatte, in dem er die Einladung für den Einundzwanzigjährigen in einem größeren Umschlag zusammen mit der für Kyoko an Rorys Adresse gesandt hatte, schien mit einem Male von ihm abgefallen zu sein. Der alleinige Anblick seines inzwischen erwachsenen Sohnes, so wie er jetzt gerade in einer dunkelblauen Jeanshose, einem weinroten, perfekt sitzenden Rollkragenpullover mit einer dunkelbraunen Jacke darüber, dem halbseitig in sein Gesicht fallendem braun gefärbtem Haar und den so untypisch braunen Augen vor ihnen stand, reichte bereits, um ihn zum aktuell glücklichsten Menschen auf diesem Planeten zu machen! Er war sich sicher, dass es nur eine Person gab, deren Empfindungen, die seinen aktuell noch übertreffen konnten und es sicher auch würden. Als Kuu die Hand des japanischen Starschauspielers losließ, nutze er direkt die Gelegenheit, um die Aufmerksamkeit des „Fremden“ auf seine Ehefrau zu lenken, „Darf ich vorstellen, das ist meine Frau, Juliella Hizuri!“
 

In den Augen von Julie, die ihre Sonnenbrille und ihre Wintermütze bereits zur Begrüßung von Kyoko abgezogen hatte, spiegelten sich die Ansätze von Stolz wieder, als sie ihrem 1,90m großen Sohn gegenüberstand und in Windeseile versuchte jede noch so kleine Veränderung an ihm auszumachen, seit sie ihn vor über 6 Jahre das letzte Mal gesehen hatte. Ihr war bewusst, dass sie nicht zu viel Zeit damit verbringen durfte ihn zu mustern, um seine Tarnung nicht zu gefährden, daher zügelte sie sich selbst mit dem Gedanken, dass sie ihn die gesamten Feiertage über noch um sich haben würde. Und dieses Mal würde er nicht einfach in einer Nacht und Nebelaktion verschwinden, ohne sich zu verabschieden…

Die Blondine spürte, dass die aufgestauten Emotionen, die sie angestrengt versuchte in Zaum zu halten, drohten an die Oberfläche zu gelangen, weshalb sie sich schnell selbst von ihren aktuellen Gedankengängen ablenkte. Juliella zögerte nicht, sondern übersprang einfach mal die höflichen Begrüßungsfloskeln, ähnlich, wie sie es auch bereits bei Kyoko getan hatte. Ren war gerade im Begriff gewesen auch ihr seine Hand entgegen zu strecken, als ihn die Blondine regelrecht ansprang und in eine Umarmung hinunterzog. Innerlich regelrecht geschockt über dieses Verhalten, aber dank seine Maske als Tsuruga Ren nach Außen hin lediglich ein wenig irritiert, hatte der Einundzwanzigjährige die Frau aufgefangen und musterte sie nun mit verunsicherten Augen. Sein gesamter Plan von seinem Aufenthalt in diesem Land in der Rolle seines Alteregos brach doch hier nicht etwa schon zusammen??

Im Inneren von Rens Augen blitze für einen winzigen Augenblick die Panik auf, die Kuon bei diesem Gedanken verspürte, allerdings verflog diese, sobald seine Mutter ihren Kopf hob und ihn mit exakt dem gleichen erfreuten Blick ansah, wie kurz zuvor Kyoko.
 

„Es freut mich sehr endlich Ihre Bekanntschaft zu machen!“, begann die Frau, deren Äußeres nicht einmal im Ansatz vermuten lassen würde, dass sie das Vierzigste Lebensjahr bereits überschritten hatte,

„Mein Mann hat schon sooo viel von Ihnen erzählt! Nach seiner Rückkehr aus Japan musste ich mir jede Folge von Dark Moon mit ihm anschauen und er hat bei keiner Szene einen lobenden Kommentar zu ihrer Darstellung ausgelassen. Ich freue mich, dass Sie unsere Einladung annehmen konnten! Ich hoffe es macht nicht zu viele Umstände? Ich weiß dank meinem Mann nur zu gut, wie es Schauspielern an den Feiertagen ergeht… die meisten Regisseure und Produzenten haben echt kein Herz für die Menschen geschweige denn die Familien und Freunde der Leute, die an ihren Filmen und Serien mitarbeiten! Und erst diese ganzen Talkshows, die der Meinung sind die Welt über die Feiertage unterhalten zu müssen… also wirklich! Als hätte man nichts Besseres zu tun, als über Weihnachten vor dem Fernseher zu hocken!“
 

Ren konnte sich nicht verkneifen leise zu lachen, als ihm von Julie ein regelrechter Redeschwall entgegen geschleudert wurde. Sofort stieg ein Gefühl der Vertrautheit in ihm auf. Er konnte sich nur zu gut daran erinnern, wie gerne seine Mutter andere Menschen in Unterhaltungen hineinzog und auch wie jedes Mal Freude und Begeisterung in ihren Augen sichtbar waren, wenn sie einen geduldigen Zuhörer gefunden hatte.
 

„Nein, es macht mir definitiv keine Umstände“, antwortete Ren nun auch wieder mit einem ehrlichen Lächeln auf den Lippen, „Diese Einladung bietet mir eine willkommene Abwechslung. Ich hatte schon länger keine wirkliche Gelegenheit mehr dazu Urlaub zu machen. Vielen Dank daher für diese Möglichkeit.“
 

Rory musste bei diesen Worten leicht schmunzeln. Das war wirklich eine unglaublich diplomatische Umschreibung der Tatsache, dass sich dieser junge Mann in den letzten Jahren selbst nicht einmal einen wirklichen Urlaub gegönnt hatte! Zwei Tage frei konnte man ja gerade mal als ein normales Wochenende bezeichnen und selbst das gab es im Leben seines Vorzeigeschauspielers nur selten… Aber dazu würde er sich lieber jeglichen Kommentar verkneifen, sonst lief er als Rens Arbeitgeber noch Gefahr in Julies Augen nicht nur als „Kidnapper“, sondern auch noch als „Sklaventreiber“ dazustehen...
 

Stattdessen nutze der extrovertierte Präsident die kurze entstandene Pause nach Rens Antwort als Chance sich in das Gespräch einzuklinken und seine beiden alten Freunde jeweils selbst mit einer freundschaftlichen Umarmung zu begrüßen, ehe eine kleine Vorstellungsrunde begann, um Julie und Kuu mit Yashiro und Kanae bekannt zu machen. Maria kannten sie zwar noch, allerdings hatten sie die inzwischen Neunjährige auch bereits mehrere Jahre nicht mehr gesehen… Der letzter Besuch der Hizuris in Tokyo war, wenn er sich recht erinnerte, vor 8 Jahren, sprich als Maria gerade mal ein Jahr alt war, und zwei oder drei Jahre zuvor hatten sie einen kleinen Urlaub in Kyoto verbracht, allerdings war das noch vor Marias Zeit.

Zufrieden betrachtete der Präsident von LME die Interaktionen der Menschen um ihn herum miteinander, wobei sein besonderes Augenmerk natürlich auf ihren beiden Gastgebern, Ren und auch Kyoko lag. Der Anfang war augenscheinlich geschafft und Rory dachte mit Freude und Neugier an die kommenden Tage. Zu Schade, dass er diese interessante Truppe zusammen mit Maria bereits morgen Abend wieder verlassen würde, um weiter nach New York zu seinem Sohn Kouki zu fliegen…
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

Nachdem die Begrüßungen und der erste kurze Smalltalk abgeschlossen waren, hatte die kleine Gruppe die Gepäckausgabe aufgesucht, um die Koffer der Gäste dort abzuholen.

Ren und Yashiro zogen beide jeweils einen grau-schwarzen Trolli von dem Gepäckband. Es waren die üblichen Koffer, die sie bei längeren Aufnahmen auf Außenlocations mitnahmen. Es war zwar eigentlich kein sonderlich langer Aufenthalt hier in Kanada geplant, nach den Feiertagen sollte es ja bereits wieder zurück nach Tyoko gehen, aber die Winterkleidung nahm nun mal deutlich mehr Platz in Anspruch. Das bestätigte sich auch in dem Ausmaß der Koffer, die die drei Damen vom Gepäckband zogen beziehungsweise ziehen wollten…

Die umstehenden Männer zögerten natürlich nicht zu helfen und Ren war es, der Kyoko letztendlich ihren roten Koffer aus den Händen nahm. Das Gepäckstück war etwa doppelt so groß wie sein eigener Koffer und augenscheinlich neu. Vermutlich hatte sie ihn sich extra für diese Reise gekauft, oder er stellte ein Geschenk dar, möglicherweise von dem Ehepaar, bei dem sie wohnte. Er konnte sich jedenfalls erinnern, dass sie bei den Dreharbeiten in Karuizawa einen deutlich kleineren und älteren Koffer bei sich hatte. Ren rechnete bereits mit dem Schlimmsten, aber das Gepäckstück war nicht ganz so schwer wie er befürchtet hatte. Dennoch hatte ihr Koffer definitiv mehr Gewicht als sein eigener, und damit meinte er nicht nur ein oder zwei Kilo…

Ein leichter Rotschimmer überzog kurzzeitig die Wangen der Siebzehnjährigen, als sie sich in ihrer typisch geraden Körperhaltung mit vor ihren Oberschenkeln ineinander verschränkten Händen und leicht gesenktem Kopf bei dem Starschauspieler für seine Hilfe bedankte. Ren erwiderte als Antwort lediglich ein kurzes Lächeln und zog den Koffer direkt mit sich, worauf er augenblicklich einen ganzen Wasserfall an Protesten neben sich hörte. Eigentlich hatte er nichts anderes erwartet, er kannte Kyoko schließlich, aber als Mann würde er sie definitiv nicht diesen Koffer durch den Flughafen zerren lassen. Stattdessen drückte er ihr seinen kleineren Trolli in die Hand, den sie bequem hinter sich herziehen können würde. Ihm selbst mit seiner Statur und dank der Abende, die er regelmäßig mit etwas Training vor dem Schlafen gehen verbrachte, fiel es nicht wirklich schwer ihren Koffer bequem mit einer Hand zu tragen.
 

Kuu hatte Kanae Kotonami mit ihrem Koffer helfen wollen, war allerdings wenig erfolgreich gewesen. Er ahnte jetzt, warum der Manager seines Sohnes bereits im Ansatz gestoppt und sich den regelrecht in sein Gesicht gemeißelten Wunsch der Dame zur Hand zu gehen selbst verwehrt hatte. Sie hatten es hier mit einer Person zu tun, die augenscheinlich einen sehr stark ausgeprägten Unabhängigkeitssinn hatte. Und zudem auch deutlich mehr Kraft, als er ihr allein vom Optischen her zugestanden hätte... Letztendlich hatte die junge Frau ihren Koffer, der etwa die gleiche Größe wie Kyokos hatte, selbst vom Band gezogen.

Bei dem Gedanken an seine „Adoptivtochter“, wollte Kuu gerade nach dieser und ihrem Gepäck Ausschau halten, als er spürte, wie jemand im Bereich seines linken Oberarms mehrmals kurz hintereinander leicht an seinem Ärmel zupfte. Mit fragend hochgezogenen Augenbrauen sah der Hollywoodstar neben sich. Seine Ehefrau stand etwa einen halben Schritt neben ihm und hielt mit den Fingern ihrer rechten Hand immer noch sachte den Stoff seines Pullovers fest. Etwas verwirrt aufgrund dieses seltsamen Verhaltens wollte er sie eigentlich ansprechend, entschied sich aber doch dafür erstmal einen Blick in die Richtung zu werfen, in der die wundervollen blauen Augen seiner Frau regelrecht an irgendetwas zu kleben schienen.
 

Neugierig drehte Kuu seinen Kopf und war nicht minder verblüfft, als seine Frau, als er mit ansehen konnte, wie Kyoko leise und mit einem leichten Rotschimmer auf den Wangen etwas zu seinem Sohn sagte und dieser darauf mit dem zärtlichsten Lächeln antwortete, das er je auf dem Gesicht seines Jungen gesehen hatte!

Kuon hatte bereits im Alter von 14, 15 Jahren mehrere Mädchen oder besser gesagt junge Frauen mit nach Hause gebracht, was nicht zuletzt an seiner für sein Alter unnatürlichen Größe, seinen schon sehr früh sehr männlichen Zügen und wohl auch dem aus seinem Bewegungsdrang heraus resultierenden gut trainierten Körper lag… Einige der Damen wurden ihm flüchtig vorgestellt, andere sah er lediglich mal kurz, als sie sich am frühen Morgen aus ihrem Haus stahlen… Aber nicht eine dieser Frauen hatte Kuon auch nur auf eine ansatzweise vergleichbare Art und Weise angesehen!
 

Der Mittevierzigjährige schluckte leicht, als sich endlich ein Puzzle in seinem Kopf zusammenfügte. Was hatte Rory noch mal zu ihm gesagt, als er Anfang des Jahres in Tokyo/Japan war?? Wenn er es schaffte ein Mädchen namens Kyoko Mogami zum Weinen zu bringen, würde Kuon definitiv aus eigenen Stücken auf ihn zukommen und ihn sehen wollen. Er hatte zwar absolut nicht verstanden, was das Ganze sollte, aber er hatte mitgespielt. Zwar nur mehr oder minder erfolgreich, was seinen eigentlichen Plan anging, aber er hatte seinen Sohn letztendlich dazu gebracht, um ein Treffen mit ihm zu bitten.

In den Gesprächen mit Kyoko hatte er schließlich davon erfahren, dass Ren Tsuruga ihr Sempai sei und augenscheinlich auch einiges mit ihrer bisherigen Entwicklung als Schauspielerin zu tun hatte. Nicht einmal hatte er den Eindruck bekommen, dass da noch etwas anderes als kollegialer Respekt zwischen den Beiden war… Aber jetzt bekam dieses komplizierte Lächeln, das er auf dem Gesicht seines Jungen sah, als er sich an seinem letzten Tag von Kyoko verabschiedete, eine noch tiefere Bedeutung…

Kaum in der Lage seine Augen von dem Paar abzuwenden, beobachtete Kuu auch noch die kurze ‚Auseinandersetzung’ bezüglich der Frage wer welchen Koffer tragen durfte und er musste beinahe auflachen, als er den Schmollmund auf dem Gesicht der Siebzehnjährigen sah, während sie mit dem deutlich kleineren Trolli ihres großen Begleiters in der Hand hinter diesem hertrottete. Julie war nicht minder fasziniert von den Geschehnissen. Ihre Augen strahlten richtig vor Freude.
 

„Nette Aussicht, nicht war?“, kommentierte plötzlich eine nur allzu bekannte Stimme dicht neben ihren Ohren, worauf sowohl Kuu als auch Julie kurzzeitig zusammen zuckten. Der Boss stand mittig hinter dem Paar und grinste wie üblich vor sich hin, an einer Hand seinen eigenen großen Koffer und an der anderen den von seiner Enkelin Maria.

„Aber nichts für ungut, ihr solltet euch solche Momente in der Öffentlichkeit verkneifen. Wir haben alle Koffer, also sollten wir langsam los, findet ihr nicht?“, hing Rory noch an, worauf Kuu und Julie sich auch augenblicklich in Bewegung setzten.

Kanae hatte sich bereits zu Ren und Kyoko gesellt. Yashiro und die kleine Maria, die neben ihrer kleinen Umhängetasche nun auch die Handgepäcktasche ihres Opas als Austausch für ihren eigenen Koffer tragen durfte, waren nur noch wenige Schritte entfernt.
 

Die Gruppe durchquerte geschlossen den großen Bereich des Flughafens, der speziell für Internationale Flüge angelegt war und einen von drei Abschnitten des Vancouver International Airport darstellte. Die Terminals waren in Form eines Halbkreises angelegt, an dessen Enden es auf beiden Seiten Rolltreppen zur darunter gelegenen Gebäudeetage gab. Der Fußboden war Großteils mit grauen Steinplatten belegt, allerdings durchzog ein Ring aus hellem Laminat das eintönige Grau. Zwischen dem Laminatrahmen und dem Geländer, hinter welchen sich die Rolltreppen befanden, war ein leicht abgesenkter Bereich, der über vier Stufen vom Rest des monströsen Raumes abgetrennt war. In diesem Bereich befanden sich mehrere Sitzplätze und eine aus der Entfernung recht seltsam wirkende Skulptur.
 

Maria rannte direkt los, als sie das komische dunkelgrün schimmernde Kunstwerk entdeckte. Sie blieb vor den vier Stufen stehen, die hinab in diesen offenen Sitzbereich führten, und begutachtete mit großen Augen die Skulptur, die sich aus der Nähe zu einer Art Kanu mit mehreren rudernden Männern und seltsamen Tierähnlichen Wesen auf diesem entpuppte. Die Neunjährige kräuselte ihre Stirn leicht. Sie fand dieses Ding komisch und konnte nicht wirklich nachvollziehen, was so etwas in einem Flughafen zu suchen hatte…
 

„Das ist eine Skulptur aus Bronze von dem Künstler Bill Reid“, erklärte Kuu, als er hinter die Neunjährige trat. Maria warf ihm sofort einen fragenden Blick zu und er konnte regelrecht aus ihren Augen heraus lesen, dass sie mit dem Namen nicht wirklich etwas anfangen konnte.
 

„So wichtig ist dieser Mann nicht, dass du ihn dir merken musst“, lenkte Kuu sofort ein und zwinkerte dem jungen Mädchen zu, „Ich weiß ehrlich gesagt selbst nicht, warum diese Skulptur hier steht… vielleicht soll sie den hier wartenden Personen etwas Ruhe bringen. Aber bei den komischen Tierfiguren regt es einen eher zum Rätseln an.“
 

„Ich finde es hässlich… Eine Skulptur eines Schlosses oder einer Prinzessin wären viel, viel besser für so was!“
 

Kuu konnte sich nicht verkneifen leicht zu schmunzeln, als er diese Aussage hörte. Er legte der Neunjährige kurz eine Hand auf die Schulter, um ihre Aufmerksamkeit wieder von diesem rätselhaften Gebilde loszureisen: „Lass uns langsam weitergehen, unser Auto wartet draußen, sofern es noch nicht vollständig eingeschneit ist.“
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

„Unglaublich…“, murmelte Kyoko vor sich hin, während sie wie gebannt aus den getönten Scheiben des T 5 die verschneite Umgebung betrachtete. Ihre Augen glitzerten regelrecht vor Begeisterung, während ihre Nase bereits kurz davor war das kalte Glas zu berühren und sich ihr warmer Atem in regelmäßigen Abständen als kleine weiße Wolken auf der Scheibe abzeichnete.
 

„Das ist ein Schneeparadies, Onee-sama! Es ist viel, viel besser als Großvaters Büro!“, kommentierte eine ebenso begeisterte Maria. Die Neunjährige saß auf Rens Schoß und der Siebzehnjährigen in dem geräumigen Wagen somit direkt gegenüber. Auch ihre Nase berührte schon fast das Glas und ihre noch deutlich kleineren Hände hatten bereits ihre Spuren auf den Scheiben hinterlassen. Ren musste sich ernsthaft bemühen ein Lachen zu unterdrücken, während er die beiden ‚Prinzessinnen’ beobachtete. Er konnte sich vorstellen in welchen Sphären die zwei wieder schwebten und besonders bei Kyoko war er selbst sogar schon fast so weit die ganzen kleinen Feen und Elfen zu sehen, die in ihrer Vorstellung aktuell durch die winterliche Landschaft tanzten.
 

Kanae saß neben Kyoko und beobachtete die Umgebung eher mit einem nüchternen Blick. Sie hatte ihre Arme vor ihrer Brust verschränkt und definitiv sinnvollere Dinge in ihrem Kopf, als sich mit verschneiten Bäumen zu beschäftigen.

Zu ihrer rechten saß Juliella Hizuri und die Schwarzhaarige konnte sich nicht verkneifen die ältere Frau immer wieder neugierig zu mustern, während diese in eine Unterhaltung mit ‚Vierauge’, wie sie ihn gelegentlich in ihren Gedanken nannte, vertieft war. Yashiro hatte augenscheinlich vor ihrer Reise ein wenig recherchiert, oder aber er hatte einfach ein generelles Interesse an internationalen Stars und Events... was jetzt an sich für einen Manager auch nicht verwunderlich wäre. Jedenfalls wusste er sehr gut über die letzten Designerausstellungen und Kollektionen der Frau neben ihr bescheid. Die Achtzehnjährige wusste selbst nicht warum, aber irgendetwas störte sie an dieser Tatsache. Sie konnte dieses seltsame Gefühl noch nicht richtig greifen, aber irgendetwas war da an einer Stelle, an die es nicht gehörte.

Kanae ließ erneut ihre Augen zu Julie schweifen und musste zum wiederholten Male feststellen, dass diese Frau einfach fantastisch aussah… und gerade auf so kurze Distanz wie jetzt war es mehr als deutlich, dass sie so gut wie kein Make Up trug, sondern lediglich ihre Augen etwas mit Wimperntusche und Lidschatten hervorgehoben hatte. Und ihre Figur war ebenso perfekt wie ihre Haut… Manche Menschen konnten einen regelrecht verzweifeln lassen… Auch wenn es Kanaes vorrangiges Ziel war Schauspielerin zu werden, so hatte sie im Verlauf des letzten Jahres auch einige Erfahrungen mit Modelaufträgen sammeln können und es wäre gelogen zu behaupten, dass ihr diese Arbeit keinen Spaß mache. Sie sollte sich daher vielleicht als Ziel stecken diesen Ausflug zu nutzen, indem sie das Weltklassemodel ein wenig beobachtete… Ja genau, das würde sie tun. Vielleicht konnte sie sich das ein oder andere sinnvolle für ihre zukünftigen Aufträge abschauen.
 

Während es sich diese sechs im hinteren Bereich des mit insgesamt sieben Sitzen ausgestatteten Volkswagen T 5 gemütlich gemacht hatten, hatte Rory den Platz des Beifahrers eingenommen. Auch er war in ein lockeres Gespräch mit seinem ehemaligen Starschauspieler vertieft, der den Wagen nebenher sicher über die bereits festgefahrene Schneeschicht steuerte. Der Vancouver International Airport lag am südlichen Rand der Stadt, weshalb sie erstmal ein gutes Stück durch die Stadt fahren mussten, ehe sie in die allem Anschein nach beinahe unberührte Natur eintauchten. Die letzten Häuser hatten sie bereits vor etwa 30 Minuten passiert, allerdings brauchte es bei diesem Wetter seine Zeit, bis man sich durch den Schnee gegraben hatte. Wobei der Allradantrieb des kleinen Busses echt von Vorteil war. Rory wäre beinahe in Freudentränen ausgebrochen, als er die extravagante Farbe des T 5 gesehen hatte, ein Weinrot mit einem leichten Stich ins Pink... und noch dazu die liebevollen Verziehrungen mit goldenen Sternchen unterhalb der Fensterrahmen, auf die Julie laut Kuus Erzählungen bestanden hatte! Auch wenn diese Frau ihm definitiv noch immer übel nahm, dass er ihr ihren Sohn ‚gestohlen’ hatte, war er sich sicher, dass sie sich bezüglich anderer Themen noch genauso gut verstehen würden, wie früher. Sie waren sich augenscheinlich ähnlicher geblieben, als es ihr lieb sein würde.
 

Es dauerte noch eine gute weitere halbe Stunde, ehe Kuu von der Waldstraße, die sie zuvor genommen hatten, in eine deutlich kleinere Straße einbog. Durch die kahlen Bäume konnte man bereits nach wenigen hundert Metern in einiger Entfernung die Umrisse eines kleinen Sees ausmachen. Der Hollywoodstar fuhr seine Gäste nun mit deutlich langsamerem Tempo noch die letzten Meter zu seinem Ferienhaus hinauf, das nur unweit von dem zuvor gesehenen See entfernt lag.

Der Pfad endete in einem kleinen ebenen Platz, der an ein für Kanada typisches Holzhaus anschloss. Ren sog den nur allzu vertrauten Anblick regelrecht in sich auf, während er seine Augen über die dicken Holzstämme gleiten ließ. Das Haus sah wirklich noch immer genauso aus wie in seinen Erinnerungen… Die Balken waren ebenso gepflegt, was darauf schließen ließ, dass Kuu noch immer darauf achtete, dass sie spätestens alle zwei Jahre frisch angestrichen wurden. Außerdem verzichtete sein Vater auf den Einsatz von Streusalz hier draußen. Seine Devise lautete, dass der Schnee selbst noch immer der sicherste Untergrund zum Autofahren und Laufen war. Alles, was den Schnee zum schmelzen und das entstehende Wasser darauf wieder zum gefrieren bringen konnte, war unnütz.
 

Kuu parkte den T 5 direkt in einem geräumigen Carport, der auf der rechten Gebäudeseite an das Haus anschloss und von zwei Seiten lediglich durch aufgestapeltes Brennholz geschlossen war. Sobald er den Motor abgestellt hatte, stieg er gemeinsam mit Rory aus. Der Gastgeber selbst zögerte nicht sich um das Gepäck im Kofferraum zu kümmern, während Rory die Schiebetür für den Rest ihrer kleinen ‚Reisegruppe’ öffnete.

Julie war natürlich die Erste die ausstieg und anschließend der kleinen Maria dabei half sicher mit ihren Füßen in dem bestimmt zehn Zentimeter hohen Schnee zu landen. Yashiro und Ren folgte der Neunjährigen, ehe abschließend auch Kanae und Kyoko aus dem kleinen Bus hinaus kletterten.
 

Ren richtete sich zu seiner vollen Größe auf und nahm einige tiefe Atemzüge von der klaren Bergluft, ehe er seine Augen erneut kurz über seine Umgebung schweifen lief. Langsam trat er aus dem Carport heraus und überblickte die Landschaft. Vor ihm lag der einsame Waldweg, der sie bis zu diesem Haus hinauf geführt hatte. Rechts und links von diesem befand sich ein dichter Wald. Die kahlen Laubbäume, bei denen es sich überwiegend um Buchen und Ahorn handelte, waren gelegentlich von einigen Tannen und Kiefern gespickt, die die einzigen Quellen eines letzten Grüns in der verschneiten Umgebung waren.

Als der Schauspieler sich allmählich in Richtung des Hauses umdrehte, stellte er fest, dass unweit von ihm Kyoko stand und mit leicht offen stehendem Mund in Richtung des Sees blickte. Ren folgte ihrem Blick und wurde von einer leichten Melancholie erfasst, als er das weitestgehend stille Wasser betrachtete. Zwischen dem Haus und dem See standen nur ein paar vereinzelte Bäume und das dunkle Wasser erstreckte sich bis hin zu dem nächsten Anstieg dieses Gebirgsmassivs, der sich etwa 600 Meter entfernt befand. Die verschneite Landschaft stand dabei in einem herrlichen Kontrast zu dem tiefgrauen Gestein und dem hellblauen Himmel über ihnen, der nur von einigen vereinzelten Wolken durchzogen war. Die entsprechend dieser Jahreszeit recht tief stehende Sonne, spiegelte sich auf dem leicht dampfenden Wasser wieder und ließ einen beachtlichen Teil des Sees und seines vereisten Randes in einem regelrechten Farbenspiel erstrahlen.
 

„Eine schöne Aussicht, nicht wahr, Mogami-san?“, begann Ren schließlich den Versuch die Siebzehnjährige in ein Gespräch zu verwickeln. Er gönnte ihr natürlich diesen Anblick, allerdings spürte man bereits deutlich den Höhenunterschied zu der Stadt Vancouver und damit bezog sich Ren nicht nur auf die um einiges dickere Schneedecke unter ihren Füßen, sondern auch auf die Temperatur, die sich hier draußen definitiv unterhalb des Gefrierpunktes bewegte. Natürlich hatten sie sich alle bereits in Tokyo winterlich angezogen, allerdings mussten sie aufgrund des langen Fluges dennoch auch bequeme und zumindest unterwegs nicht allzu warme Kleidung tragen. Und er bezweifelte, dass die Jacke, die Kyoko sich übergezogen hatte, ausreichen würde um den Temperaturunterschied auszugleichen.
 

„Es sieht aus wie in einer Märchenlandschaft, Tsuruga-san!“, antwortete Kyoko augenblicklich und wandte sich dabei mit glitzernden Augen zu ihrem Sempai um.
 

Ren konnte sich nicht verkneifen leicht zu schmunzeln, als er der jungen Frau nun vorsichtig mit einem Arm um die Schultern fasste und sie sachte in Richtung des Hauses lenkte: „Das stimmt. Aber es ist trotzdem etwas zu kalt, um hier draußen noch länger rum zu stehen. Wir sollten erstmal unser Gepäck auspacken und uns umziehen.“
 

Kyoko war mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sie eigentlich nicht von dem Ort, an dem sie gerade stand, weggehen wollte. Sie warf sogar noch einmal einen traurigen Blick in Richtung des noch immer in dieses wundervolle Farbenspiel getauchten Sees, ließ sich letztendlich dann aber doch von dem Starschauspieler zum Hauseingang führen.

An der Tür angelangt, stellte Kuu dort gerade die letzten Koffer ab, die er noch aus dem Auto geholt hatte.
 

„Gutes Timing, ihr Zwei. Nehmt ihr die Koffer bitte mit rein? Der Rest ist schon drinnen, Julie wird euch gleich die Gästezimmer zeigen!“, sprach der Hollywoodstar seine beiden ‚Söhne’ an, worauf er als Antwort auch direkt von beiden ein zustimmendes Nicken bekam. Kuu selbst ging guten Gewissens daher noch einmal zum Auto zurück, um dieses abzuschließen und gleich noch eine Ladung Brennholz mit rein zu nehmen. Er und seine Frau waren schon seid zwei Tagen hier um das Haus zu putzen, die Zimmer für ihre Gäste vorzubereiten und sich auch um die Einkäufe zu kümmern. Den Kamin hatten sie ebenfalls bereits angemacht gehabt, da sie das gesamte Haus genau genommen auch mit diesem heizten. Über die Zeit, die sie allerdings gebraucht hatten um ihre Gäste vom Flughafen abzuholen, waren die letzten Holzscheite sicher bereits abgebrannt. Er würde sich daher gleich darum kümmern ein neues Feuer anzumachen. Und außerdem war es höchste Zeit für ihn das Mittagessen vorzubereiten! Er wusste zwar nicht, wie es den anderen ging, aber er selbst hatte jetzt seit über vier Stunden nichts mehr zu essen gehabt und war somit schon fast am verhungern! Und davon mal ganz abgesehen… er wollte anfangen zu kochen, bevor Julie damit fertig war ihren Gästen ihre Zimmer und den Rest des Hauses zu zeigen und das Mittagessen nachher selbst in Angriff nahm… Nichts für ungut, er liebte seine Frau und ließ sie auch kochen, wenn sie es wollte, aber für Gäste war ihr Essen dann doch weniger geeignet…

Mit diesem Vorsatz in Gedanken, beeilte Kuu sich das Brennholz zu holen und dem Rest wieder in das angenehm vorgewärmte Haus zu folgen.
 

Fortsetzung folgt…

Winter Wonderland

„KYAAA!“, schrie Kyoko erschrocken auf, verfiel aber gleich darauf in schallendes Gelächter, als sie hinter der Neunjährigen her rannte, die ihr soeben eine Hand voll Schnee in den Nacken geworfen hatte. Maria schlug einen Hacken nach dem anderen, hatte in dem hohen Schnee aber auch deutliche Probleme mit ihren kurzen Beinen ihr Gleichgewicht zu halten, während sie lachend versuchte sich nicht von ihrer Onee-sama einholen zu lassen.

Kanae stand ein kleines Stück abseits von den beiden, hielt aber ebenfalls einen perfekt geformten Schneeball in ihren Händen, bereit diesen auch jederzeit einzusetzen. Ihre nun deutlich dickere Winterjacke zeigte im Rückenbereich bereits Spuren von vorangegangenen Angriffen auf sie, für die sich die Achtzehnjährige noch revanchieren würde.
 

Kurz darauf ertönte bereits ein schrilles aufquieken von Maria, als Kyoko sie letztendlich doch zu fassen bekam und sich prompt mit dem jungen Mädchen gemeinsam in einen kleinen Schneehaufen fallen ließ.
 

Ren und Yashiro beobachteten das Geschehen vor dem Haus von dem Balkon im ersten Stock aus. Das Ferienhaus der Hizuris hatte insgesamt eine sehr angenehme Raumaufteilung.* Das Erdgeschoss war fast rechteckig angelegt und bestand genau genommen nur aus zwei Zimmern. Direkt bei Betreten des Hauses durch die Eingangstür, stand man mittig im Wohnbereich. Rechts von einem lag eine geräumig eingerichtete, offene Küche. Die Arbeitsfläche zog sich an den beiden Außenwänden und einer Innenwand entlang, sprich war in der Form eines ‚U’ angelegt, und hatte außerdem noch eine kleine Theke, die in den Raum hineinragte und an welcher auch zwei Barhocker standen.

Wenn man direkt vor sich schaute, sah man auf eine Treppe mit hängenden Stufen, die in den ersten Stock hinauf führte. Unterhalb der Treppe befand sich die Zugangstür zum Badezimmer, das praktisch den zweiten Raum im Erdgeschoss darstellte. Wenn man von der Eingangstür aus nach links sah, blickte man in ein geräumiges Ess- und Wohnzimmer, ausgestattet mit zwei großen Sofas, einem großen, gemauerten Kamin und einem Esstisch mit sechs Stühlen. Die gesamte Einrichtung wirkte angenehm wohnlich, durch die viele Verwendung von Holz, kleinen Dekorationsartikeln und den, in angenehmen warmen Farben gehaltenen, Stoffen für Gardinen, Polsterbezüge und Teppiche. Der eigentliche Bodenbelag war dunkelbraunes Parkett, das so gut gepflegt war, dass man es glatt für neu halten konnte.

Was die Einrichtung des Badezimmers im Erdgeschoss betraf, es war ebenfalls mit vielen hellen Holzelementen ausgestattet, die einen hervorragenden Kontrast zu den weißen Fliesen boten. Das helle Holz umrandete die geschmeidigen Konturen von Waschbecken, WC und Dusche und ein offenes Regal hielt verschiedenfarbige Handtücher für die Hauseigentümer und Gäste bereit.
 

Wenn man über die Treppe hinauf in den ersten Stock ging, befand man sich mittig in einem quadratisch geformten Flur. Über ein direkt vor sich befindliches Fenster konnte man an der Rückseite des Hauses auf den angrenzenden Wald hinausschauen. Der Treppenbereich war lediglich von einem Holzgeländer umrandet, weshalb die Treppe angenehm hell war.

Wenn man oben am Treppenabsatz stand, befand sich rechts von einem ein weiteres Badezimmer mit einer Badewanne, einer zusätzlichen Dusche, einem Waschbecken und WC. Linksseitig hinter der ersten Tür verbarg sich das Zimmer von Kuu und Julie Hizuri, das mit einem eigenen kleinen Balkon auf der Rückseite des Hauses ausgestattet war. Ein Stück daneben war eine weitere Tür in die Wand eingearbeitet, die laut der Aussage von Juliella aber lediglich auf den Dachboden führte.

Im Rücken von einem, jeweils mit den Zugangstüren rechts- und linksseitig vom Treppenaufgang, befanden sich zwei Gästezimmer. Eines war mit einem Doppelbett ausgestattet, während in dem zweiten Zimmer zwei einzelne Betten aufgestellt waren. Beide Gästezimmer hatten eine Zugangstür zu dem Balkon, von dem aus Ren und Yashiro gerade die Aussicht genossen. Die beiden Männer hatten das Zimmer mit den getrennten Betten zugeteilt bekommen, während Kanae, Kyoko und Maria sich zu dritt das Doppelbett teilen würden.
 

Ren hatte sich mit seinen Ellenbogen auf dem Geländer aufgestützt und beobachtete amüsiert die drei Damen bei ihrer Schneeballschlacht, als Yashiro direkt neben ihn trat und seine Arme genüsslich in die Höhe streckte.
 

„Dieser Ort hier ist fantastisch! Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal von so einer Stille umgeben war… - sofern man sich das Lachen und Kreischen der drei Damen da unten mal wegdenkt…“, begann Yashiro, worauf Ren kurz lachen musste. Bis vor wenigen Minuten war es hier draußen wirklich so ruhig gewesen, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können – oder auch nicht, denn der frische und somit noch richtig schön lockere Schnee würde das Geräusch ihres Aufpralls sicher vollends verschlucken.
 

Ihre Gastgeber und Rory befanden sich gemeinsam unten in der Küche und unterhielten sich augenscheinlich ganz gut. Was aber nicht wirklich verwunderlich war, immerhin hatten sie sich bereits über mehrere Jahre nicht mehr getroffen, sondern nur gelegentlichen telefonischen Kontakt gehabt.

Ren gönnte seinen Eltern und Rory diese Zeit. Niemand sonst hier wusste, dass der Präsident von LME als guter Freund seiner Eltern bei seiner Taufe vor inzwischen über 20 Jahren sogar seine Patenschaft übernommen hatte. Vermutlich war das auch mit ein Grund dafür, dass der ältere Mann ihn im Alter von fünfzehn Jahren von seinem Zuhause in Los Angeles/Californien weg und nach Japan geholt hatte, um ihm die Möglichkeit eines neuen Lebens unter einer neuen Identität zu geben. Trotz seines jungen Altes war Ren damals an einem Punkt gewesen, an dem er nicht mehr wusste, wie es noch hätte weitergehen sollen.

Allerdings war er nicht der Einzige, der eine gebrochene Persönlichkeit versteckte. Der inzwischen Einundzwanzigjährige wusste nur zu gut welche Schicksalsschläge sich damals in der Familie des Präsidenten ereignet hatten. Rorys Frau war knapp ein Jahre zuvor, noch vor dem zweiten Geburtstag ihrer Enkelin Maria, an einer langen und schweren Krankheit verstorben… Und etwa ein Jahr nach seinem Umzug nach Tokyo geschah der Unfall mit Marias Mutter. Auch wenn Rory immer bemüht war sich auf die erfreulichen Dinge im Leben zu konzentrieren, so hatte er auch eine verletzliche Seite, die in der Öffentlichkeit aber kaum zum Vorschein kam. Nur die engsten Vertrauten des Präsidenten von LME bekamen gelegentlich einen winzigen Einblick in diesen anderen Teil seiner Persönlichkeit und Ren war nur zu gut bewusst, dass seine Eltern zu diesem kleinen Kreis der engsten Vertrauten gehörten, ebenso wie Jelly Woods.
 

„Fühlst du dich denn besser, Ren?“, unterbrach die Stimme seines Managers plötzlich die Gedankengänge des Starschauspielers. Ren sah mit fragendem Blick zu dem Blonden auf, der sich darauf mit ausgestreckten Armen ebenfalls auf dem massiven Holzgeländer abstützte.
 

„Na ich meine, ob du fitter bist. Du hast im Flugzeug ja doch noch ein paar Stunden Schlaf nachholen können, nicht wahr?“, hing Yashiro noch an, wobei die Mundwinkel des Mitte Zwanzigjährigen bei seinen letzten Worten verräterisch nach oben wanderten.

Ren verdrehte innerlich die Augen, er wusste bereits, worauf das hier hinauslaufen würde, aber diesen Spaß würde er Yashiro dieses Mal nicht gönnen.
 

„Danke, mir geht es bestens und somit genauso wie vor unserer Abreise. Und jetzt entschuldige mich, ich will vor dem Mittagessen noch meine Sachen auspacken“, versuchte Ren das Gespräch schlichtweg abzuschmettern. Er richtete sich auch direkt aus seiner gebeugten Haltung auf und war bereits im Begriff sich zu der angelehnten Tür hinter sich umzudrehen, als ihn plötzlich etwas eisiges kraftvoll seitlich am Kopf und Hals erwischte.

Für einen Sekundenbruchteil hatte der Starschauspieler völlig irritiert in seiner Bewegung inne gehalten, ehe er sich langsam und mit einem starren Blick wieder zurückdrehte. Unterhalb des Balkons konnte er in einiger Entfernung die drei jungen Frauen sehen, die plötzlich verdächtig still waren und mit schon beinahe zu unschuldigen Gesichtsausdrücken zu ihm aufblickten…
 

Der Einundzwanzigjährige hörte bereits das Losprusten seines Managers neben sich, den der Anblick des Starschauspielers, dem noch die Überreste eines Schneeballs an der Wange klebten, augenscheinlich prächtig amüsierte. Ren ignorierte den Mann allerdings völlig und hielt stattdessen zu jeder der drei Damen unter ihnen intensiv über ein oder zwei Sekunden Augenkontakt. Seine Augen verengten sich dabei deutlich, was sie noch einmal bedrohlicher wirken ließ.

Letztendlich bekam er auch die Reaktion, auf die er gewartet hatte. Ein kurzer Ausdruck von dem Gefühl ertappt worden zu sein, huschte über Kyokos Gesicht, als er den Blickkontakt zu ihr noch ein wenig in die Länge zog. Das wissentliche Aufblitzen in seinen eigenen Augen sorgte auch blitzschnell für den nächsten Gefühlsausdruck auf dem Gesicht der Siebzehnjährigen. Er konnte die leichten Ansätze von Panik vor den Folgen ihres Angriffes aus den Augen der jungen Frau herauslesen… Tja… wenn sie es darauf ankommen lassen wollte… Diese Herausforderung nahm er mit Vergnügen an!
 

Der zuvor starre Blick des Starschauspielers, der bei Kyoko bereits ihre kleinen Dämonen nach den so geliebten Wutschwingungen suchen ließ, verwandelte sich plötzlich in ein beängstigendes Grinsen. Die Siebzehnjährige brauchte gar nicht erst nachdenken, sie erkannte diesen Ausdruck aus ihrer Zeit als die Heel-Geschwister…

Obwohl es kein typischer Blick von Cain war, war er ihr durchaus bekannt. Dieser Ausdruck gehörte eindeutig zu der mysteriösen anderen Person, die sich gelegentlich in das Schauspiel ihres Bruders eingeschlichen hatte. Und Kyoko wusste zu ihrem Leitwesen nur zu gut, was er bedeutete… Der Jagdinstinkt ihres Sempais war geweckt! Und das Schlimmste daran war, sie war sein Opfer…
 

Kyoko stieg immer mehr die Panik in den Knochen hoch… Verdammt, wieso hatte sie sich von Kanae und Maria bloß dazu überreden lassen! Sie wollte ihn doch gar nicht treffen! Sie wollte nur an ihm vorbei werfen, um ihn ein wenig zu erschrecken! Aber ausgerechnet in diesem Moment musste der Schauspieler sich plötzlich aufrichten!

Kyoko begann bereits gedanklich ihre Fluchtchancen auszurechnen, die genau betrachtet ziemlich bescheiden aussagen… Er war sportlicher und hatte auch noch die längeren Beine, mit denen er in der dicken Schneeschicht definitiv besser vorankam. Vermutlich funktionierten seine großen Füße auch noch wie Schneeschuhe und ließen ihn regelrecht über den weichen Untergrund fliegen, während sie mit jedem Schritt weiter in dem frischen Schnee versank, wie in Treibsand… Was um Himmels Willen sollte sie also bloß tun!?!
 

Nun vollends von der Panik ergriffen, blickte die junge Frau sich suchend um. Natürlich! Er würde erst durchs Haus und die Treppe hinunter müssen! DAS war die perfekte Gelegenheit für sie, sich ein gutes Versteck zu suchen und erst dann wieder aus diesem hervorzukommen, wenn sich ihr Sempai beruhigt hatte!

Ein winziges Gefühl der Überlegenheit bereitete sich gerade in der Siebzehnjährigen aus, als sie plötzlich einige untypisch laute Worte von Yashiro vernahm…
 

„Ren? …Hey… was machst du da? Komm, lass den Quatsch, es war doch nur ein Schneeball… VERDAMMT, REN!!!“
 

Als Kyoko zu dem Manager aufsah, konnte sie gerade noch erkennen, wie der Starschauspieler neben diesem begann Anlauf zu nehmen. Die Nackenhaare der Siebzehnjährigen stellten sich regelrecht auf, als sie mit ansah, wie der gut ein-meter-neunzig-große Mann im Sprint auf die linke Seite des Geländers zuhastete.

Seine langen Beine ließen ihn mit nur wenigen Schritten die gesamte Länge des Balkons überqueren und ehe Kyoko sich versah, sprang er ab und landete mit dem rechten Fuß auf dem besagten Geländer. Parallel griff der Starschauspieler beinahe routiniert über seinem Kopf nach einem der dicken Holzbalken, auf denen das Dach des Hauses auflag, nur um sich in der nächsten Sekunde kraftvoll mit dem rechten Fuß von dem hölzernen Geländerhandlauf abzustoßen und über den Rand des Balkons hinaus zu schwingen…

Wollte er etwa ernsthaft hier runterspringen?!?
 

Der angehenden Schauspielerin kam ein erschrockenes Quieken über die Lippen, worauf sie sich sofort beide Hände über dem Mund zusammenschlug. Das konnte er doch nicht machen! Das war viel zu gefährlich!!

Wie gebannt beobachtete Kyoko, wie Ren allerdings nicht von dem zuvor gegriffenen Balken losließ und, anstatt sich direkt fallen zu lassen, den genommenen Schwung dazu ausnutze sich über die Dachhöhe hinaus zu katapultieren und letztendlich sicher in hockender Position auf dem schneebedeckten und nur flach ansteigenden Dach zu landen.
 

Der jungen Frau sackten beinahe ihre Knie weg, die sich mit einem Male wie aus Pudding anfühlten. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust und das Blut rauschte ihr in den Ohren, als sie ihren Blick noch einmal zu dem Balkongeländer schweifen ließ, zu dem schneebedeckten Untergrund mehrere Meter unter diesem und letztendlich wieder bei dem, auf dem Dach des Hauses hockenden, Starschauspieler landete.

Ihre Hände lagen immer noch auf ihren Lippen und sie spürte wie ihre in dicke Handschuhe eingepackten Finger begonnen hatten zu zittern. Sie wusste doch wie sportlich er war und dass er augenscheinlich auch einiges an Erfahrungen mit Kampfsport hatte, sie hatte es mehrmals während der Dreharbeiten als Cain Heel gesehen. Aber jetzt war er nicht Cain, sondern Ren, und sie war auch nicht seine Schwester Setsuka und dennoch…

Kyoko schluckte schwer, versuchte noch immer das Gefühl der Panik von sich abzuschütteln. Aber es war keine Panik mehr davor, dass er sich für den Schneeball revanchieren könnte, sondern davor, dass er… dass er… Kyoko konnte diesen Gedankengang gar nicht zu ende führen und wollte es auch nicht.
 

Während die Siebzehnjährige völlig in ihre Gedankenwelt abgetaucht war, war Kanae einen Schritt näher an ihre Freundin herangetreten. Es brauchte kein besonderes Geschick um zu erkennen, was gerade in Kyoko vorging und in der Schwarzhaarigen stieg augenblicklich der Wunsch auf diesen verfluchten Schauspieler im Schnee zu ersticken!
 

Maria hingegen nahm nicht einmal wahr, welch bedrückende Stimmung sich bei ihren beiden Spielgefährten breit gemacht hatte, sondern starrte noch einige Sekunde ungläubig zu ihrem Ren-sama hinauf, ehe sie begann ihn klatschend für dieses Kunststück zu loben und noch mehr anzuhimmeln, als sie es eh schon tat.

Und Yashiro? Nun, der in den letzten Sekunden mindestens zehn Jahre gealterte Manager hing mit seinen Unterarmen und der Stirn auf dem Balkongeländer… Was um Himmels Willen verstecke dieser Jungspund noch alles vor ihm, wenn er hier solche Stunts abziehen konnte?!
 

Ren hatte sich unterdessen gelassen aus seiner hockenden Position aufgerichtet, den Schnee von den Knien geklopft und anschließend mit zwei Schritten genug Schwung aufgebaut, um auf seinen Schuhsohlen das schneebedeckte Dach hinunter zu rutschen. Als hätte er Ski unter seinen Füßen tarierte der Einundzwanzigjährige sein Gleichgewicht mit seinen Armen und dem Oberkörper aus und machte abschließend aus der Bewegung heraus noch einen leichten Absprung, ehe er sicher mit beiden Füßen auf der schneebedeckten Erde landete.
 

Der Starschauspieler hatte sich noch nicht im Ansatz umgedreht, als ihn auch schon ein weiterer Schneeball am Hinterkopf traf. Überrascht über diese erneute Attacke blickte er zu ihrem Ursprung und sah dabei einer ziemlich finster dreinblickenden Kanae Kotonami in die Augen. Die Achtzehnjährige warf direkt den nächsten Schneeball nach ihm, dem Ren dieses Mal problemlos ausweichen konnte. Allerdings frage sich der Schauspieler durchgängig, was er denn bitte angestellt hatte, um einen solchen Mörderblick zu verdienen…
 

Kanae zögerte nicht direkt noch einen dritten und vierten, mehr schlecht als recht geformten Schneeball nach dem Kerl zu werfen, ehe sie inne hielt und ihre Love-Me-Kumpanin ohne jegliche Vorwarnung am Ellenbogen mit sich riss. Sie lief mit Kyoko im Schlepptau auf den etwas entfernten Schauspieler zu und befahl ihr regelrecht sich endlich etwas Schnee zu nehmen und diesen nach dem „Wasserkopf“ zu werfen.
 

‚Wasserkopf?’ wiederholte Kyoko fragend in ihren Gedanken, während sie sich einfach von Kanae mit sich ziehen ließ. Ihre Gedanken waren noch immer mit einem ganz anderen Thema beschäftigt, weshalb die junge Frau gar nicht wirklich verstand, was die Schwarzhaarige von ihr wollte. Sie registrierte auch nicht wirklich, dass sie sich gemeinsam auf Ren zu bewegten.

Sie hörte, wie Kanae ihr regelrecht befahl etwas Schnee aufzunehmen und zu werfen und deutete sogar in die entsprechende Richtung. Kyoko folgte der Anweisung, indem sie nach einer Hand voll Schnee griff, jedoch war unschwer zu erkennen, dass die Siebzehnjährige noch immer alles andere als bei der Sache war. Die Achtzehnjährige ließ dennoch nicht locker, sondern zerrte ihre selbsternannte beste Freundin weiter mit sich, in der Hoffnung sie auf diese Weise irgendwie aus ihrem Trancezustand heraus zu bekommen. Da dieses kleine Häufchen Schnee in den Fingern der Rothaarigen nicht wirklich zu etwas taugte, drückte Kanae ihr letztendlich einfach einen ganzen Klumpen der weißen Substanz in die Hand und befahl ihr erneut, das Zeug endlich zu werfen.

Gerade als Kyoko auf den Schnee hinunter blickte und im Ansatz im Begriff war auszuholen, um den erhaltenen Anweisungen zu folgen, ergriffen sie, ohne das sie es kommen gesehen hatte, plötzlich zwei große Hände an der Taille und wirbelten sie herum. Ehe die angehende Schauspielerin sich versah, lag sie halb in den Armen des Starschauspielers, der ihre Gedankenwelt aktuell so penetrant beherrschte.
 

„Das ist aber nicht wirklich der Kampfgeist, den ich von dir gewohnt bin“, murmelte die vertraute, tiefe Stimme des Mannes definitiv viel zu nah an ihrem Ohr! Die Erinnerung an den flüchtigen Kuss, den er ihr im Flugzeug auf ihre Ohrmuschel gegeben hatte, riss die Siebzehnjährige nun endgültig aus ihrer trüben Gedankenwelt. Sie spürte bereits wie ihr die Röte ins Gesicht kletterte.

Wie aus einem Reflex heraus riss sie ihre Hand in die Höhe und versuchte dem Braunhaarigen den Schnee auf dieser mittig ins Gesicht zu klatschen. Doch Ren war schnell genug und wehre die Schneeattacke mit seiner linken Hand und einem triumphierenden Grinsen auf den Lippen ab. Jedoch hatte er sich definitiv einen Tick zu sehr auf die Frau in seinen Armen konzentriert, denn den Blumentopf voller Schnee in seinem Rücken, konnte der Einundzwanzigjährige nicht mehr rechtzeitig wahrnehmen.

Kanae leerte das Behältnis genüsslich über dem Nacken des nach vorne gebeugten Mannes aus und erfreute sich umso mehr an dem kurzen Ausdruck des Schocks, der dem Schauspieler im Gesicht stand, als sich der pulvrige Schnee in seinem Nacken langsam seinen Weg unter seine Jacke und seinen Pullover bahnte. Natürlich versuchte der Hüne nun auch die Schwarzhaarige irgendwie in seine Gewalt zu bringen und somit kampfunfähig zu machen, aber ehe seine Hand sie erreichen konnte, erfolgten zeitgleich neue Angriffe der wieder völlig zu sich gekommenen Kyoko und der kleinen Maria.

Kanae grinste zufrieden. Gegen sie drei gemeinsam hatte dieser Kerl definitiv nicht den Hauch einer Chance!
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

Rory trank gemütlich seinen Tee an der Küchentheke, während er, Kuu und Julie durchaus den Tumult von draußen mitbekamen. Es war auch nicht sonderlich schwer das Rumpeln auf dem Dach zu überhören… Andere hätten sich sicher gefragt, was draußen vor sich ging, aber ein Blick von Rory in die Gesichter von Kuu und Julie verriet, dass diese Geräuschkulisse durchaus keine unbekannte für sie war. Er selbst kannte Kuon ja auch von klein auf und der Junge hatte schon immer Spaß an Sport und Bewegung gehabt. Dementsprechend wurde auch alles zu seinem Spielplatz, was sich auch nur im Entferntesten dazu eignete. Und Hausdächer zählten wohl dazu…

Julie hatte sich an das schmale Fenster neben der Eingangstür gestellt und beobachtete gefesselt die Geschehnisse draußen, während Kuu sich vollständig auf die Vorbereitung des Essens konzentrierte. Oder zumindest versuchte er so zu wirken, aber dem Präsidenten entgingen die flüchtigen Blicke des Blonden zu seiner Frau nicht. Er konnte sich vorstellen welche Gedanken Kuu sich machte. Und neugierig auf das, was sich draußen abspielte, war er vermutlich auch noch. Nun, er selbst konnte hören, dass seine Schützlinge draußen definitiv ihren Spaß hatten und mehr brauchte er nicht zu wissen.

Rory hatte sich allerdings in den letzten Tagen auch häufig Gedanken zu der Konfrontation von Julie mit ‚Tusurga Ren’ gemacht, dazu wie sie wohl auf diese „fremde“ Person reagieren würde. Aber bisher lief es deutlich besser, als er angenommen hatte. Die attraktive Frau lehnte entspannt gegen die Holzwand neben dem Fenster und ein, laut Kuu schon lange nicht mehr vorgekommenes, glückliches Lächeln lag auf ihren vollen Lippen.
 

„Er ist glücklich in seinem jetzigen Leben, nicht wahr?“, fragte Julie plötzlich, worauf Rory nun ebenfalls mit einem Lächeln reagierte:

„Es war nicht einfach für ihn. Er hat sich lange Zeit nur auf seine Arbeit konzentriert und soziale Kontakte außerhalb des absolut notwendigen regelrecht gemieden. Aber im Verlauf der letzten eineinhalb Jahre hat sich einiges geändert. Euer zweiter Sohn hat einen guten Einfluss auf ihn. Und sogar sein Umgang mit Arbeitskollegen ist laut Yashiro deutlich offener geworden.“
 

„Er war schon immer verspielt, hatte aber kaum Gelegenheit das auszuleben… Unsere Namen haben es ihm in der Schule nicht gerade einfach gemacht. Für alle war er immer nur ‚Der Sohn von…’ und so wurde er letztendlich über die Jahre immer ruhiger und verschlossener. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn noch einmal so zu sehen bekomme wie jetzt. So ausgelassen im Spiel mit den drei Mädchen… so hat er sich bei uns zuhause keinen Freunden gezeigt. Ich kenne ‚Ren Tsuruga’ jetzt erst seid ein paar Stunden und trotzdem habe ich den Eindruck mehr von meinem Sohn in dieser fiktiven Figur zu erkennen, als in dem Kuon, den du vor sechs Jahren entführt hast…“
 

Nicht nur Rory, sondern auch Kuu waren die Tränen in Juliellas Augen aufgefallen, weshalb Kuu nicht zögerte seine Essensvorbereitungen kurz ruhen zu lassen und stattdessen an die Blondine heran zu treten. Liebevoll legte er von hinten seine Arme um die schlanke Taille seiner Ehefrau und zog sie liebevoll an sich. Julie wischte sich eilig das Wasser aus den Augen, während sie sich entspannt an die Brust ihres Mannes anlehnte.
 

„Ich war wirklich sauer auf dich, Rory! Und ich wollte es noch viel, viel länger sein!“

Rory schmunzelte etwas bei dem kläglich gescheiterten Ansatz eines vorwurfsvollen Untertons in der Stimme der hübschen Frau.

„Aber wie soll ich nach diesem Anblick hier noch sauer sein können? Du bist echt ein verflucht hinterhältiger Kidnapper…“
 

Rorys Grinsen wurde deutlich breiter und er führte erneut die warme Teetasse an seine Lippen, um einen Schluck zu trinken. Mit dieser Betitelung konnte der Präsident von LME durchaus leben.
 


 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

„WAS um Himmels Willen hast DU dir DABEI gedacht?!“, blaffte Yashiro seinen Schützling regelrecht an, der gerade noch vor der geöffneten Eingangstür des Hauses stand und sich den Schnee von der Kleidung klopfte.

Kanae, Kyoko und Maria standen ebenfalls bei ihm und waren gleichermaßen mit dem Abklopfen des Schnees beschäftigt, sahen aber irgendwie insgesamt deutlich weniger eingeseift aus, als der Mann in ihrer Mitte.
 

Ren zog langsam den Reisverschluss seiner dicken Winterjacke auf, was zu einem erneuten Schneeregen auf die geräumte Steinplatten vor seinen Füßen führte. Der Einundzwanzigjährige verzog etwas mürrisch die Mundwinkel, was die Frauen um ihn herum direkt wieder zum kichern brachte.

Das Kräfteverhältnis bei ihrem Spiel war wirklich unausgeglichen gewesen… Egal wie vielen Attacken Ren ausgewichen war, und wie häufig es ihm gelang eine, oder manchmal sogar zwei, der drei Damen kurzzeitig kampfunfähig zu machen, letztendlich hatte er deutlich mehr Schneebälle eingesteckt, als er selbst hätte werfen können. Seine Haare waren regelrecht durchnässt und klebten unangenehm an seiner Kopfhaut, ebenso wie der Pullover, den er unter seiner Jacke trug. Irgendwie hatten es einige der weißen Flocken ins Innere seiner Jacke geschafft und ihm auch noch eisige Schauer den Rücken hinunter gejagt, ehe sie endlich durch die Wärme seines Körpers geschmolzen waren.

Während ihres kleinen Spiels hatte Ren die Kälte, die von seiner nassen Kleidung und seinen Haaren ausging gar nicht wahrgenommen, allerdings änderte sich das jetzt gerade, während er hier in der Tür stand und ihm bereits die angenehme Wärme des Hauses entgegen kam.

Ein erneuter Schauer lief den Rücken des Starschauspielers hinunter, worauf er sich noch einmal mehr beeilte den ganzen Schnee loszuwerden. Seine Jeanshose war, wie er gerade feststellte, ebenfalls völlig durchgeweicht… Verflucht, dafür würde er sich in den nächsten Tagen definitiv noch revanchieren müssen!
 

Kyoko kicherte munter weiter vor sich hin, während sie das interessante Mimikspiel auf dem Gesicht ihres Sempais beobachtete. Sie konnte sich nicht erklären warum, aber irgendwie wirkten seine Mimik und Gestik, seit sie hier in diesem Haus waren, viel offener. Sie wusste ja, dass er ihr grundsätzlich bereits große Einblicke in seine wahren Empfindungen gab, bevorzug wenn sie unter sich waren. Das bestätigte auch diese Sache im Flugzeug wieder… Bei dem alleinigen Gedanken, spürte Kyoko bereits wieder, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. Dieser Playboy! Wieso hatte er auch mit seinen Lippen ihr Ohr berühren müssen! Und dann war da auch noch vorhin, als er sie mit seinen großen Händen einfach ohne jegliche Vorwarnung an der Taille gepackt hatte…

Irgendwie machten diese Gedanken es nicht gerade besser, weshalb die Siebzehnjährige hastig ihren Kopf schüttelte und sich einmal kräftig mit ihren kalten Händen auf die Wangen klopfte. Ihre Handschuhe waren im Nu durchgeweicht gewesen, besonders da ihr auch immer wieder Schnee in die Ärmel gerutscht war. Aber immerhin hatte ihre Jacke dem Spiel standgehalten. Ebenso wie die Schneehose, die sie in weiser Voraussicht angezogen hatte. Kanae und Maria ging es ähnlich wie ihr, der einzige, der schon beinahe einem begossenen Pudel ähnelte war Tsuruga-san…

Wieder kam der jungen Schauspielerin ein Kichern über die Lippen. Es hatte Spaß gemacht so mit ihm herumzutollen. Die ganzen Ausdrücke, die man während der Schneeballschlacht auf seinem Gesicht sehen konnte… mal verspielt, dann ehrgeizig, mal erschrocken, dann brummig… aber ihm hatte diese Schneeballschlacht definitiv durchgängig Spaß gemacht. Außerdem waren da noch die teils unabsichtlichen, teils gewollten Berührungen, während sie sich mit dem frischen Schnee regelrecht bekriegten…

Kyokos Augen weiteten sich etwas und die Siebzehnjährige begann innerlich zu fluchen, als sie registrierte in welche Richtung ihre Gedanken schon wieder gingen… Hörte das denn gar nicht mehr auf? Sie musste definitiv erst einmal weg von diesem Casanova… Genau, ein heißes Bad! Sie würde sich jetzt erstmal ein wenig Zeit in einer schönen, heißen Badewanne gönnen… und zwar sofort!
 

Ohne eine großartige Erklärung, hastete die Rothaarige los, sobald sie ihre Schneejacke und die Schneehose losgeworden war. Julie hatte ihr die Kleidungsstücke abgenommen, um sie zum Trocken an den Kamin zu hängen. Nur mit der grauen Stoffhose, die sie unter der Kleidung getragen hatte, und einem langärmligen Pulli bekleidet, verschwand Kyoko somit über die Treppe ins Obergeschoss. Maria folgte ihrer Onee-sama natürlich so schnell sie konnte und auch Kanae schlug letztendlich den Weg in das obere Stockwerk ein, wobei sie sich allerdings deutlich mehr Zeit beim Ausziehen ihrer Schneebekleidung und Schuhe ließ und auch in einem ruhigen, eleganten Gang die Treppe hinaufstieg, während Kyoko beinahe wie ein Wirbelwind die Stufen erklommen hatte.
 

Ren sah den drei Frauen kurz hinterher und streifte sich seine ebenfalls völlig durchnässten Schuhe von den Füßen, ehe er endgültig in das Haus eintrat und die Tür hinter sich zuzog. Julie nahm auch ihm seine Jacke ab und verfrachtete auch seine Schuhe direkt zum Kamin. Die restliche nasse Bekleidung ließ der Schauspieler aber erstmal an, er konnte schließlich nicht halb nackt in diesem Haus umherlaufen…
 

„Also wirklich Ren, ich habe einen halben Herzinfarkt wegen deinem Stunt bekommen! Mach so etwas NIE WIDER mit mir!“, beschwerte sich Yashiro erneut. Er wusste nicht einmal, ob der Schauspieler ihm eben überhaupt zugehört hatte. Er hatte jedenfalls nicht groß reagiert…

Plötzlich hörte der Manager ein leises glucksen seines Schützlings, worauf er den Einundzwanzigjährigen sofort mit einem finsteren Blick bedachte. Ren schien sich darauf zumindest zu bemühen, sein leises Lachen vollends zu unterdrücken.
 

“Tut mir Leid, Yashiro“, begann Ren, wobei sich in seinem Hinterkopf immer noch ein Bild seines erschrockenen und mit der Situation völlig überforderten Managers abzeichnete. Er würde daher wohl erstmal versuchen müssen den Sechsundzwanzigjährigen etwas zu beschwichtigen: „Das war wirklich nichts Gefährliches. Selbst wenn ich direkt gesprungen wäre…“
 

„DAS sagst DU! Himmel, da hätte sonst was bei passieren können! Du kennst dieses Haus nicht einmal! Was wenn du an dem Balken abgerutscht oder hängen geblieben wärst? Oder wenn das Dach glatt gewesen und du deswegen abgestürzt wärst?!“
 

Ren hörte eine leise Stimme in seinem Kopf, die gerne ausgesprochen hätte, dass er dieses Haus wie seine Westentasche kannte… und dass er diese Klettereien auf dem Dach schon im Kindesalter angefangen hatte. Er hatte das Dach sogar genutzt um mit dem Schlitten oder Ski bzw. Snowboard Abfahrten zu üben. Sein Vater hatte ihm jedes Jahr unterhalb des Daches einen dicken Schneehügel aufgeschaufelt, damit er, wenn es vom Dach runter ging, zumindest weich landen konnte. Aber das waren alles Sachen, die der Schauspieler derzeit lieber noch für sich behielt.
 

“Und hast du dir überhaupt mal überlegt, was für Schäden du noch hättest anrichten können? Du wusstest doch gar nicht, ob die Dachoberfläche zum darauf rumlaufen geeignet ist, geschweige denn um sie einfach mal auf deinen Schuhen runter zu rutschen! Du hättest sonst was kaputt machen können und dabei sind wir hier zu GAST! Also wirklich, dabei tust du sonst immer so erwachsen… Du solltest dich zumindest bei unseren Gastgebern hier für dein Verhalten entschuldigen, Ren!“
 

Nach diesem Teil der Predigt ließ Ren seinen Blick Hilfe suchend zu Rory wandern, der im Rücken seines Managers immer noch an der Theke saß und genüsslich an einer Tasse nippte. Allerdings war das Einzige, was er von diesem als Reaktion bekam, ein amüsiertes Grinsen. Und nicht nur von ihm… Kuu war augenscheinlich immer noch mit den Essensvorbereitungen beschäftigt, schon ein halbes Wunder, wenn man bedachte, wie viel der Mann nebenher naschte… Vermutlich waren die Töpfe leer, ehe sie auf dem Tisch standen… Und zu allem Überfluss verkniff der Hollywoodstar sich nicht das breite und überaus amüsierte Grinsen auf seinen Lippen zu zeigen, während er mit einer Hand irgendetwas Brodelndes in einem monströsen Topf umrührte. Das konnte doch jetzt echt nicht wahr sein…

Der Anteil von Kuon in seinem Inneren sträubte sich bei diesem Anblick regelrecht dagegen der Aufforderung seines Managers sich zu entschuldigen auch nur im Ansatz Folge zu leisten. Aber der Anteil von Tsuruga Ren sah ein, dass sein Verhalten vom Standpunkt seines Managers aus, alles andere als die feine englische Art gewesen war… Jedoch passte es Ren genauso wenig wie Kuon, mit welchen Blicken er gerade von den beiden älteren Männern bedacht wurde… Die Beiden freuten sich definitiv ihres Lebens, während sie zusahen wie er von seinem Manager für etwas zusammengefaltet wurde, was sie selbst nie geschafft hatten ihm zu verbieten.

Innerlich zwar immer noch ein wenig mit den Zähnen knirschend, lenkte Ren letztendlich ein. Statt aber den Männern weiterhin seine Aufmerksamkeit zu widmen, wandte er sich zu Juliella um, die noch bei dem Kamin mit dem Aufhängen der nassen Kleidungsstücke beschäftigt war.
 

“Hizuri-san, ich möchte mich hiermit vielmals für mein Verhalten entschuldigen“, begann Ren schließlich und verbeugte sich entsprechend der antrainierten japanischen Gewohnheit tief vor der blonden Frau, „Mein Manager hat vollkommen Recht, mein Handeln war unüberlegt. Ich hoffe sehr, dass ich Ihnen dadurch keine zusätzlichen Umstände gemacht habe. Sollte ich irgendwelche Schäden verursacht haben, werde ich selbstverständlich für diese aufkommen.“
 

Julie war im ersten Moment völlig überrascht von dieser übertrieben förmlichen Anrede und dem Inhalt der Entschuldigung. Also wirklich… als würde sie ihm so etwas negativ ankreiden… Ganz im Gegenteil! Sie hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt, wie in der Stunde, in der sie den jungen Leuten bei ihrem Rumtollen draußen zusehen konnte.
 

„Ach, das ist doch kein Problem. Und ich bin sicher, dass das Dach diesen kleinen Ausflug unbeschadet überstanden hat“, begann Julie schließlich ihre Antwort, „Aber Tsuruga-san, was machen Sie denn die ganze Zeit noch hier? Sie müssen doch völlig durchgefroren sein! Ich bin sicher, ihr Manager kann Ihnen schnell Wechselkleidung von oben holen, also ab ins Bad, raus aus den nassen Klamotten und unter die heiße Dusche! Wir wollen schließlich nicht, dass hier über die Feiertage noch irgendwer krank wird!“
 

Ehe Ren sich versah, wurde er bereits von der deutlich kleinren Frau in Richtung des Badezimmers geschoben. Er konnte noch aus den Augenwinkeln wahrnehmen, wie Yashiro sich tatsächlich auf den Weg nach oben machte, weshalb er schließlich auch nachgab und die letzten Meter zum Badezimmer aus eigenem Antrieb ging.

Die Mädels oben waren sicher auch schon längst am Duschen oder Baden und letztendlich hatte seine Mutter Recht mit der Annahme, dass er durchgefroren war. Eine heiße Dusche war daher mehr als verlockend. Nicht zuletzt auch, weil ihm das noch mal die Zeit und Ruhe gab die letzten Stunden in seinem Gedächtnis revue passieren zu lassen.

Es gab da einige Momente, die er definitiv fest in seinem Gedächtnis verankern würde…
 

~ Fortsetzung folgt…~
 


 

------------------------------------------------------------------------------

* Als kleiner Zusatz zu der Wohnungsbeschreibung habe ich noch etwas :) Ich habe den Grundriss des Hauses mal aufgezeichnet, vom Erdgeschoss bis unter den Dachboden. Leider hatte ich bisher noch keine Möglichkeit die Bilder einzuscannen, aber ich werde sie spätestens bei der Veröffentlichung von Kapitel 7 mit online stellen. :)

Arrangements…

„Das hat richtig Spaß gemacht! Onee-sama, können wir morgen wieder zusammen mit Ren-sama spielen? Vielleicht macht Yashiro-san dann ja auch noch mit!“, fragte die überaus gut gelaunte Neunjährige ihre ‚große Schwester’, während sie auf der Bettkante des großen Doppelbetts saß und fröhlich ihre Beine baumeln ließ.

Kyoko saß neben dem jungen Mädchen und bürstete gerade vorsichtig durch die langen, welligen Haare ihrer kleinen Freundin. Sie waren gerade erst mit dem Föhnen von Marias vollem Haar fertig geworden und trugen inzwischen alle wieder gemütliche, aber warme und vor allem trockene Kleidung.

Die Neunjährige trug ein hübsches Strickkleid aus roter und weißer Wolle. Im Bauch- und Brustbereich ergänzten die Konturen eines gestickten braunen Elchs das angenehme Rot der Wolle. Zu dem Kleidchen trug Maria noch eine weiße Baumwollstrumpfhose und ein Paar plüschige Hausschuhe.
 

Kyoko kicherte etwas bei dieser Frage. Sie hatte an sich nichts dagegen und würde sich auch auf eine Wiederholung ihrer kleinen Schneeballschlacht freuen, aber sie wusste nicht, wie Tsuruga-san das sah. Er hatte vorhin ja auch nur mitgemacht, weil sie ihn aus Versehen mit diesem einen Schneeball getroffen hatte… Weshalb sie zugegeben ja schon noch ein klein wenig ein schlechtes Gewissen hatte… Gerade im Hinblick darauf, wie die Schneeballschlacht verlaufen war. Die Revanche für ihren Angriff, die ihm ja genau genommen ernsthaft zustand, hatte er nicht direkt bekommen…

Wobei, er hatte sich ganz offenbar köstlich amüsiert, als er sie gleich am Anfang ohne Vorwarnung gepackt und an sich gezogen hatte, wohl wissend, dass ihr das alles andere als angenehm war! Also hatte er doch irgendwie seine Rache gehabt. Sie waren somit ihrer Meinung nach quitt was das betraf.

Aber egal ob gelungene Rache oder nicht, der Starschauspieler war sicher kein Mann, der eine Herausforderung abschlug oder seine Gegner einfach so davonkommen ließ. Wenn man bedachte wie viele Angriffe er vorhin insgesamt einstecken musste, hatte er sicher das Bedürfnis nach einer Revanche und selbst wenn nicht, würde eine knappe verbale Herausforderung sicher ausreichen, um ihn dennoch mitspielen zu lassen. Aber bevor sie sich um so etwas Gedanken machte, war vermutlich erstmal der einfachste Weg angebracht…
 

„Ich denke, wir müssen Tsuruga-san einfach fragen, ob er darauf Lust hat. Und Yashiro-san am Besten ebenfalls“, antwortete Kyoko erstmal und begann nun nebenher das lange Haar ihrer kleinen Freundin ordentlich zu einem Zopf zusammen zu flechten.
 

„Ja, das mache ich gleich! Denkst du Kuu-sama und Julie-sama würden vielleicht auch mitmachen? Opa frage ich besser nicht… der würde nur wieder auf irgendwelche komischen Ideen kommen…“, folgte gleich die nächste Frage von Maria.

Nebenher beobachtete die Neunjährige ihre Onee-sama über ihre schwache Spiegelung in der Balkontür. Sie trug nun eine himmelblaue Leggins und einen cremfarbenen, etwas weiter fallenden, langen Pullover, der ihr bis auf die Oberschenkel ging. An den weit ausgeschnittenen Schultern hatte man vorhin noch die Träger eines ebenfalls cremfarbenen Tops erkennen können, dass sie drunter trug, allerdings wurden diese inzwischen von einem locker um ihren Hals hängenden weißen Schal überdeckt. Maria fand, dass ihre Onee-sama heute wirklich hübsch aussah!

Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen sah Maria kurz zu Kanae hinüber, die auf der anderen Seite des Bettes stand und bereits damit beschäftigt war, die Kleidungsstücke aus ihrem Koffer ordentlich in den großen Kleiderschrank zu räumen. Kanae-nee-san, wie sie die Schwarzhaarige von heute an auch nennen wollte, hatte ihrer Onee-sama ein klein wenig beim Auswählen ihres Outfits geholfen. Oder besser gesagt, sie hatte einfach eilig die Kleidungsstücke aus dem Koffer ihrer selbsternannten besten Freundin geholt und ihr diese ins Badezimmer gebracht. Kanae hatte im Gegensatz zu Kyoko und ihr selbst nur geduscht und nicht gebadet. Daher war sie natürlich schon viel früher fertig gewesen. Inzwischen trug die Schwarzhaarige eine eng geschnittene, aber dennoch bequem sitzende Jeans mit einem schwarzen Rollkragenpullover darüber, der vorteilhaft ihre schlanke Figur betonte.
 

Kyoko hatte auf die letzten Worte von Maria angefangen leicht zu kichern. So extravagant wie der Präsident auch war, sie konnte ihn sich irgendwie nicht bei einer wirklichen Schneeballschlacht vorstellen… Da war es tatsächlich wahrscheinlicher, dass er aus dem Nichts irgendwie eine Eisfestung vor das Haus zauberte und aus dieser heraus Schlachtbefehle erteilte oder so etwas ähnliches…

Was ihren Otou-san anging, bei ihm konnte sie sich sehr gut vorstellen, dass er bei diesem Spiel mit einstieg. Er hatte ja auch bei seinem letzten Besuch in Japan ein wenig mit ihr gerangelt und sie genau genommen sogar dazu herausgefordert. Was seine Frau Juliella betraf, war Kyoko jedoch überfragt. Sie hatte diese erstaunliche Frau heute ja erst kennen gelernt. Das Beste war es vermutlich wirklich, wenn Maria die genannten Personen einfach direkt fragte, und genau das antwortete die Siebzehnjährige auch in diesem Moment.
 

Man konnte nebenher zusehen, wie Marias Füße langsam unruhiger wurden, als sie diese nun in zunehmend schnellem Takt von dem Bett baumeln ließ, weshalb Kyoko sich ein wenig mit dem Zopf der Neunjährigen beeilte. Kaum hatte sie die Haare mit einem tannengrünen Haargummi fixiert, sprang die Neunjährige auch schon auf.
 

„Onee-sama, ich gehe schon mal runter zu Opa und frage wegen Morgen! Kommt auch bald nach, ja?“, verkündete das junge Mädchen noch, ehe sie auch schon aus der Tür hinaus stürmte und mit eiligen Schritten die Treppe hinunter hüpfte.
 

Kyoko sah der Neunjährigen kurz hinterher, während Kanae in ihrem Rücken deutlich hörbar aufseufzte:
 

„Himmel, dieses Mädchen hat wirklich Hummeln im Hintern…“
 

Die Siebzehnjährige konnte sich ein leichtes Schmunzeln auf diese Bemerkung nicht verkneifen und stand nun ebenfalls von der angenehm gepolsterten Matratze auf, um sich vor dem Mittagessen auch noch dem Inhalt ihres Koffes zu widmen.

Kanae war mit dem Einräumen ihrer Schrankhälfte bereits fertig und setzte sich nun ihrerseits gemütlich auf den Rand des Bettes. Ein zufriedenes Grinsen lag auf ihren Lippen, als sie ihre nächsten Worte aussprach: „Wir werden ja sehen, ob Tsuruga sich nach heute noch einmal auf eine Schneeballschlacht gegen uns einlässt.“
 

„Das mit dem Blumentopf voller Schnee vorhin war aber wirklich gemein, Moko-san… Tsuruga-sans Pullover ist deswegen sicher völlig durchgeweicht…“, entgegnete die Siebzehnjährige, worauf sie von ihrer Love-Me-Kumpanin mit einem seitlichen Blick angesehen wurde.
 

„Auf wessen Seite stehst du eigentlich? Er war doch der Meinung einen auf Macho machen zu müssen, mit diesem Stunt am Balkon. Da kommt eine kleine Strafe nur recht!“
 

Kyoko hielt nach diesen Worten für einen kurzen Moment inne, ehe sie doch nach dem nächsten Stapel an Kleidungsstücken griff, sich umdrehte und diese in einem freien Fach des Kleiderschranks ablegte. Sie musste zugeben, er hatte ihr mit dieser Aktion wirklich einen gewaltigen Schreck eingejagt...

„Schon, aber… na ja, Tsuruga-san sieht momentan so erschöpft aus... Ich hoffe, dass er sich nicht wegen heute noch erkältet... er war bestimmt völlig durchgefroren...“
 

„Mo! Sag mal, was bist du eigentlich? Seine Kohai oder seine Ehefrau?“
 

Auf diese Frage ihrer Freundin lief Kyoko augenblicklich dunkelrot an. Die leuchtende Farbe zog sich bis in ihre Ohrenspitzen hoch und für einen Moment wusste die Siebzehnjährige nicht, worauf sie ihre Augen richten sollte, geschweige den was sie auf diese Frage antworten sollte. Eigentlich schrie alles in ihrem Körper danach gegen dieses eine mit „E“ beginnende Wort lauthals Protest einzulegen, aber gleichzeitig fiel ihr dummerweise nichts sinnvolles ein, was sie hätte erwidern können…
 

„Und dann immer dieses ‚Tsuruga’, ‚Tsuruga’, ‚Tsuruga’… Es ist mir echt schleierhaft, wie ihr es nach fast zwei Jahren, die ihr euch inzwischen kennt, noch nicht auf die Vornamensbasis geschafft habt! Mal ganz ehrlich, Kyoko: Du kennst seinen Terminplan auswendig, besuchst ihn abends nach der Arbeit, kochst bei jeder noch so winzigen Gelegenheit für ihn UND du hast sogar schon mal bei ihm übernachtet! Noch dazu erzählst du mir ständig, wie du an den winzigsten Veränderungen in seinem Gesicht ablesen kannst, ob er geschlafen hat oder nicht, ob er gefrühstückt hat oder nicht, oder ob er grundsätzlich erschöpft ist... während der Kerl für jeden anderen Menschen ganz normal aussieht! Es fehlt echt nur noch, dass du eine Tasche mit Wechselklamotten und Duschzeug in seiner Wohnung stehen hast, und du… - MOMENT! Was war DAS gerade für ein Blick?!“, unterbrach Kanae ihren eigenen kleinen Vortrag ruckartig.
 

Sie war im Reden aufgestanden und zu der Balkontür hinüber gelaufen, weshalb sie jetzt direkt vor der geschlossenen Glastür stand. Sie hatte daher eigentlich nur aus den Augenwinkeln heraus das leichte Zusammenzucken von Kyokos Statur und den begleitenden scheuen Blick gesehen, ehe sie sich eilig wieder dem Kleiderschrank zuwenden wollte, aber das hatte bereits gereicht, um sofort ihre Aufmerksamkeit von ihrem kleinen Vortrag zu Kyoko schnellen zu lassen.

Die Siebzehnjährige werkelte inzwischen wieder in ihrem Koffer herum und bemühte sich anscheinend noch immer verzweifelt den leicht ertappt wirkenden Blick aus ihrem Gesicht zu verbannen und es stur zu vermeiden zu ihrer Zimmernachbarin aufzublicken.

Kanae fand dieses Verhalten mehr als verdächtig… Was hatte sie gerade noch mal zu Kyoko gesagt? Klar, es ging um Tsuruga, um wen auch sonst? Und natürlich die Sachen, die Kyoko ihr bereits erzählt hatte, sprich um die gemeinsamen Essen und so weiter, aber da all diese Informationen von dem Mädchen selbst kamen, gab es da nicht wirklich einen Grund sich in irgendeiner Form „erwischt“ zu fühlen… Was hatte sie also sonst noch gesagt?

Ah stimmt, sie wollte gerade sagen, dass es ja nur noch fehlte, dass sie eine Tasche mit Wechselkleidung und Duschzeug bei ihm deponiert hatte, um endgültig den Eindruck aufkommen zu lassen, dass da definitiv mehr zwischen ihnen lief, als diese „Sempai-Kohai“- Beziehung, die die Rothaarige ständig vorschob… Bei diesem Gedankengang machte es plötzlich klick und Kanae konnte nicht verhindern, dass ihr sämtliche Gesichtszüge entglitten. Sie sah ihre Zimmernachbarin für mehrere Sekunden mit einem schockierten Ausdruck in den Augen an, ehe sie ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle hatte und auch sofort ihre aufbrausende Seite zum Vorschein kam:
 

Mo! Was soll das heißen, du hast Wechselklamotten bei ihm?! Ich dachte, das mit dem Übernachten war eine einmalige Sache?!“
 

Die zögerliche Reaktion der Siebzehnjährigen und die Tatsache, dass sie augenscheinlich immer noch verzweifelt nach Worten für eine Antwort suchte, war mehr als Beweis genug dafür, dass es sich definitiv NICHT um eine einmalige Übernachtung gehandelt haben konnte… Himmel, was hatte sie hier schon wieder verpasst?? Die zwei führten sich eh auf wie ein Pärchen, vielleicht sogar wie ein Ehepaar, wussten mehr übereinander, als sonst irgendwer, Kyoko übernachtete augenscheinlich auch noch regelmäßig bei diesem Kerl, wenn ausgerechnet dieses Mädchen ernsthaft sogar Kleidung bei dem Starschauspieler deponiert hatte, und trotzdem waren sie nicht mal in der Lage sich beim Vornamen zu nennen geschweige denn endlich mal bezüglich ihrer „Beziehung“ in die Pötte zu kommen?!
 

„E…es ist aber nur eine kleine Tasche, Moko-san!“, erwiderte Kyoko tatsächlich, nach einem kurzen Moment des Zögerns. Aber die dunkle Aura, die ihre kleinen Rachegeister gerade bei ihrer besten Freundin wahrnahm, veranlasste sie dazu, dringend die Hintergründe dieses Umstandes zu erklären!

„Wirklich nur eine ganz kleine Tasche! Aber ich wollte mir nicht immer Sachen von Tsuruga-san ausleihen müssen… es war mir unangenehm, auch wenn er meinte, dass ich die T-Shirts erstmal behalten könne…“
 

In diesem Augenblick konnte man förmlich hören, wie der zum Bersten gespannte Geduldsfaden in Kanaes Kopf plötzlich mit einem satten Knall auseinander riss:

DU trägst sogar Kleidung von IHM?! – Okay, langsam wird mir das echt zu bunt…!“
 

So wenig Kanae Kyoko eigentlich an den Starschauspieler rausrücken wollte, so sehr ging ihr allerdings auch dieses ständige hin und her auf die Nerven. Die Schwarzhaarige ging daher schnurstracks auf die Kommode zu, ergriff eine Zeitschrift, die auf dieser lag, schlug zielstrebig eine Seite auf und knallte das Papier der Siebzehnjährigen wortwörtlich vor die Knie auf ihren gerade mal zur Hälfte ausgepackten Koffer.

„Such dir einen Film aus!“, war die begleitende Aufforderung oder eher Anordnung der zweiten Love-Me-Memberin.
 

„Eh? Willst du etwa mit mir ins Kino gehen, Moko-san?“, folgte natürlich prompt Kyokos Frage, während ihr Gesicht und besonders ihre Augen bereits so sehr strahlten, dass sie der winterlichen Sonne glatt Konkurrenz machen konnten.
 

„Definitiv nicht!“, blaffte Kanae als Antwort, worauf ihrer selbsternannten besten Freundin direkt dicke Tränen in den Augen standen. In Anbetracht von der augenscheinlich schlechten Laune ihrer Love-Me-Leidensgenossin, bemühte sich Kyoko allerdings die aufkeimenden Tränen hinunterzuschlucken und mit weitestgehend normaler Stimme eine erneute Frage zu stellen:
 

„Aber warum soll ich dann einen Film aussuchen, Moko-san? Außerdem werden hier alle Filme auf Englisch sein und ich weiß nicht…“
 

„Als sei das auch nur im Ansatz ein Problem für dich! Ich habe dich das eine mal am Telefon sprechen hören, während deiner ‚Dangerous Mission’. Du sprichst diese Sprache fließend! Also s.u.c.h j.e.t.z.t. e.n.d.l.i.c.h. w.a.s. a.u.s!“, war die einzige Antwort der Schwarzhaarigen, bei welcher eine unausgesprochene, aber dennoch spürbare Drohung in ihrem Tonfall mitschwang.

Kyokos Rachegeister badeten bereits regelrecht in der düsteren Stimmung, die ihre Freundin verbreitete, weshalb die Siebzehnjährige von jeglichem weiteren Widerspruch absah und zögerlich begann das Kinoprogramm in der aufgeschlagenen Zeitschrift zu mustern…
 

~~~**~~~*~~~~~~~~~~~~~*~~~**~~~
 

Ren rubbelte mit einer Seite des kleinen Handtuchs, das er um seinen Nacken gehangen hatte, noch immer leicht durch sein frisch gewaschenes, braunes Haar, während er sich nun auf eine der beiden geräumigen Couchgarnituren vor dem Kamin fallen ließ. Jetzt fühlte er sich wirklich wesentlich besser!

Erst die heiße Dusche hatte ihm bewusst gemacht, wie durchgefroren er doch gewesen war. Yashiro hatte ihm vorhin zwar Wechselkleidung runter gebracht, aber direkt an der Badezimmertür noch gemeint, dass es erstmal nur Sachen zum Reinschlüpfen waren, damit er sich seine Garderobe selbst aussuchen konnte. Letztendlich war der Schauspieler mit der Kleidungswahl allerdings gar nicht so unzufrieden. Yashiro hatte ihm seine schwarze Jogginghose gebracht und einen grauen Pullover mit einem V-Ausschnitt dazu, was der Einundzwanzigjährige jetzt auch trug. Klar, diese Sachen gehörten nicht zu seiner „Ausgehkleidung“ aber sie befanden sich hier ja auch im Urlaub und nicht bei einer Modeshow. Wenn er zuhause alleine war, lief er auch meist in der gerade genannten Jogginghose herum und für einen Abend vor dem Kamin, war sie definitiv genau das Richtige.
 

Ren legte seinen Kopf etwas nach hinten gegen die angenehm gepolsterte Rückenlehne der Couch und schloss für einen kurzen Moment seine Augen. Das angenehme Knistern der brennenden Holzscheite im Kamin erfüllte den Raum, gepaart mit den Gerüchen des Mittagessens aus dem Küchenbereich. Er hatte eben beim Verlassen des Badezimmers bereits gesehen, dass Kuu noch immer mit Kochen beschäftigt war. Allerdings hatte er in Maria inzwischen eine kleine Gehilfin, die munter zwischen seinen Beinen hin und her lief. Auch seine Mutter und Takarada-san hielten sich an der Küchentheke auf und er hatte zugegeben kurzzeitig überlegt sich zu diesen Personen zu gesellen, aber ein Blick auf den einladenden Kamin hatte gereicht, um ihn umzustimmen.

Er hatte dieses Haus vermisst… Natürlich hatte er auch als Kind sein Zuhause in Kalifornien geliebt, aber dieses Haus und besonders die Umgebung hier in Kanada hatten noch mal etwas Besonderes an sich. Vielleicht lag es an der Abgeschiedenheit, womit einherging, dass ihm die ganzen Sprüche aus der Schule und seinem sonstigen Umfeld erspart blieben. Vielleicht aber auch daran, dass die Tage, die er hier verbracht hatte, immer in Gesellschaft seiner Eltern gewesen waren. Und damit meinte er beide Elternteile. Es gab kein „nur zu zweit“ wenn es nach Kanada ging, jeder Aufenthalt hier bestand aus der ganzen Familie. Es gab hier keine vollen Terminpläne, keine Filmpremieren oder Modeshows, sondern einfach nur sie drei und die sie umgebende Natur. Es war wie ein Paradies für seine junge Seele gewesen und obwohl er jetzt bereits seit mehreren Jahren nicht mehr hier gewesen war, erweckte dieser Ort noch immer die gleichen Empfindungen in seinem Inneren.
 

„Wie wär’s mit einem Tee?“
 

Auf diese Frage öffnete Ren sofort seine Augen, worauf sein Blick direkt auf eine dampfende Tasse fiel, die ihm entgegen gehalten wurde. Seine Augen wanderten von der Tasse weiter zu der Trägerin von dieser und ein dankbares Lächeln legte sich auf seine Lippen.
 

“Das ist eine gute Idee. Vielen Dank, Hizuri-san“, bedankte sich Ren, als er der blonden Frau nun auch den Becher aus der Hand nahm. Julies Gesicht wurde sofort von einem glücklichen Lächeln erfüllt, dessen wahre tiefe nur wenige Personen in diesem Haus erkennen konnten.
 

„Nenn mich ruhig einfach nur bei meinem Vornamen. Wir sind hier schließlich in Kanada, da sind diese ganzen japanischen Höflichkeitsfloskeln eigentlich unnötig“, bot Juliella an, wobei man unterschwellig ein wenig ihre Unsicherheit aus ihren Worten heraushören konnte.

Natürlich stand für sie und Kuu außer Frage, dass sie sich mit ihren Gästen auf Japanisch unterhalten würden. Auch wenn die Freunde ihres Sohnes, bzw. von „Tsuruga Ren“, sicher über die Schule auch etwas Englisch gelernt hatten, auf die kleine Maria traf das definitiv noch nicht zu. Und abgesehen davon war es auch für Julie selbst eine hervorragende Chance ihr Japanisch mal wieder etwas aufzufrischen. Natürlich sprach sie diese Sprache fließend, ebenso wie noch über eine Handvoll andere Sprachen, das brachte ihr Beruf einfach mit sich. Aber Japanisch hatte sie, im Gegensatz zu Französisch, Russisch, Spanisch und Chinesisch, in den letzten fünf Jahren beruflich und privat so gut wie gar nicht mehr gesprochen.

An sich war sie auch sehr gut mit dem Korsett an Höflichkeitsformen vertraut, in das sich jeder Japaner hineinzwang, aber es tat irgendwie weh dieses im Gespräch mit Kuon/Tsuruga-san zu wahren. Sie wusste ja, dass er nicht als ihr Sohn zu ihnen zurückgekehrt war, sondern weiterhin in seiner Rolle als aktuell herausragenster Schauspieler Japans. Aber sie hoffte zumindest etwas von der Distanz, die aufgrund seines Alias eh schon zwischen ihnen lag, über die paar Tage, die sie hier miteinander verbrachten abbauen zu können… Und das Angebot der Vornamensnutzung war ihrer Meinung nach vielleicht der erste Schritt in die entsprechende Richtung.

Innerlich mehr als nervös über die Reaktion ihres Sohnes auf dieses Angebot, blieb Julie vor dem jungen Mann stehen, nachdem er ihr erfolgreich die Tasse aus der Hand genommen hatte. Er war bereits dabei gewesen den Duft des wohltuend warmen Wintertees mit Apfel und frischen Zimtstangen einzuatmen, als sie ihren Vorschlag unterbreitet hatte, und ihr war dabei nicht entgangen, wie sich seine Augen minimal weiteten. Innerlich deutete Julie dies bereits als Hinweis darauf, dass er auf die japanische Anrede bestehen würde. Die Blondine musste sich daher sehr zusammenreisen, um ihre Schultern nicht verräterisch absacken zu lassen. Es war sicher nicht förderlich, wenn er so deutlich ihre Enttäuschung sehen würde… Offiziell kannten sie sich ja auch erst ein paar Stunden… wie kam sie also überhaupt darauf gleich jetzt, noch bevor es überhaupt Mittagessen gab, ein solches Thema anzufangen?! Unbewusst biss sich das internationale Model leicht auf die Unterlippe. Sie war doch echt bescheuert…
 

„Juliella also“, kam es jedoch plötzlich, fasst im Tonfall einer Gegenfrage, von dem besagten Starschauspieler.

Als Julie den jungen Mann erneut ansah, sah er ihr direkt in die Augen und hatte ein ehrliches und schon beinahe zu zärtliches Lächeln auf seinen Lippen. Die Blondine war sich sicher, dass er sie, wenn sie nicht seine Mutter und etwas über 20 Jahre älter wäre, mit diesem Blick vermutlich in eine regelrechte Trance versetzt hätte. Himmel… wenn er diesen Blick jeder Frau zeigte, musste er in Japan ja eine ganze Schaar an Verehrerinnen haben… Tja, wie der Vater, so der Sohn…
 

„Ja, Juliella oder einfach kurz Julie“, hing Julie noch an, auch ihrerseits nun wieder mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Er hatte den Vorschlag tatsächlich angenommen!
 

Ren wollte gerade den Mund aufmachen und im Gegenzug auch verdeutlichen, dass er ebenfalls mit der Nutzung seines Vornamens einverstanden war, Takarada-san und Yashiro taten das ja ebenfalls, als vom ersten Stockwerk plötzlich ein ohrenbetäubendes Gepolter zu hören war. Irritiert drehte der Starschauspieler seinen Kopf zu der Treppe in seinem Rücken, was war denn da los?
 

„Halt! Moko-san, warte doch! Bitteee!“, dröhnte nun auch eine schon regelrecht verzweifelte Stimme aus dem Obergeschoss zu ihnen hinunter, worauf Ren erst recht seine Ohren spitze.
 

„Nein, verdammt! Ich hatte dich bereit gewarnt! Und heute habe ich echt keinen Bock mehr auf diesen Mist!“, antwortete eine zweite energische Stimme, „Jetzt lass verdammt nochmal mein Bein los, Kyoko!“
 

Ein erneutes lautes Poltern und Rumpeln folgte, gepaart mit weiteren weinerlichen Tönen, die eindeutig von Kyoko stammten. An Ren nagte bereits die Neugier, er war kurz davor aufzustehen und nach oben zu gehen um nach dem Rechten zu schauen, als Kanae Kotonami regelrecht die Treppe hinunter stampfte.

Zeitgleich öffnete sich die Haustür und Yashiro trat mit einigen weiteren Holzscheiten auf dem Arm in das warme Haus ein, weshalb der Einundzwanzigjährige kurzzeitig seine Aufmerksamkeit von der Dame auf der Treppe löste. Allerdings änderte sich das Augenblicklich, als Kotonami-san eine Zeitschrift, die sie in der rechten Hand hielt, mit deutlich mehr Schwung als notwendig auf der Couchrückenlehne nur wenige Zentimeter neben seinem Kopf auftreffen ließ. Ein kurzes Zusammenzucken konnte sogar der Starschauspieler in diesem Augenblick nicht verhindern und er sah mehr als irritiert zu der Schwarzhaarigen auf, deren leicht feindselige Blicke er inzwischen schon fast gewöhnt war… fast.
 

„Morgen Abend, 20:00 Uhr! Ihr beide geht gefälligst allein und wehe ihr kommt ohne Fortschritte zurück!“
 

Erneut kam Ren nicht dazu etwas zu erwidern, denn so schnell wie die Schwarzhaarige bei ihm gewesen war, so schnell hatte sie ihm auch bereits wieder den Rücken zugewandt und war in Richtung der Küchenzeile davon gestapft. Die besagte Zeitschrift lag allerdings immer noch direkt vor seiner Nase, weshalb der Starschauspieler nun nach ihr griff. Als er den Inhalt der Seite betrachtete, stellte er schnell fest, dass es sich um ein Kinoprogramm eines der größeren Kinos in Vancouver handelte. Und einer der aufgeführten Filme war mehr als deutlich mit einem roten Edding eingekreist worden.
 

„Enchanted…“, murmelte Ren leise den Namen des besagten Filmes vor sich hin. Den Titel hatte er schon einmal irgendwo gehört, war das nicht eine Walt Disney Produktion? Moment, dann hatte also…?

Die Augen des Starschauspielers suchten eilig nach der vertrauten Silhouette der zweiten jungen Dame im Haus und er fand sie auch mittig auf der Treppe stehend. Sie hatte ihn mit einem leichten Rosaschimmer auf den Wangen angesehen, anscheinend auch schon länger, denn in dem Augenblick, indem er den Blick erwiderte, warf sich die Siebzehnjährige regelrecht auf den Fußboden und begann mit einem Schwall an Entschuldigen, dem nicht einmal er diesmal mehr folgen konnte. Seine Gedanken waren zugegeben aber auch noch mit ein paar anderen Dingen beschäftigt…

Enchanted, eine Walt Disney Produktion und noch dazu ein Film mit einer dieser typischen romantischen Liebesgeschichten, in denen Prinzessinnen und Prinzen vorkamen… Dieser Film verkörperte also praktisch alles, wovon die junge Schauspielerin, die schon regelrecht dabei war auf dem Fußboden zu zerfließen, in ihrer Freizeit träumte. Und er sollte sich eben diesen Film mit ihr ansehen, allein?
 

Hieß das jetzt etwa ernsthaft, dass Kotonami-san ihnen beiden hier gerade ein Date aufgedrückt hatte??
 

Soviel er auch eigentlich wegstecken konnte, diese Realisation war deutlich mehr als nur ein gewaltiger Schlag für sein Ego und seine Ehre als Mann…

Ren konnte in seinen Augenwinkeln bereits dieses unheilverheißende Grinsen auf dem Gesicht seines Managers ausmachen… ebenso wie auf dem Gesicht des Präsidenten von LME höchstpersönlich. Während des Fluges hatte er innerlich zugegeben ernsthaft noch auf einen ruhigen, erholsamen Urlaub gehofft. Aber der Ort an dem er hier gelandet war, entwickelte sich gerade eher zu seiner persönlichen Hölle…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (15)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Closer
2016-03-13T13:10:03+00:00 13.03.2016 14:10
Wundervolle FF bis jetzt. So schön geschrieben wie alles ist und beschrieben *^* mehr bitte! auch wenns jetzt schon reichlich lange her ist o.o wenn ich mir die vorrangegangenen Kommentare ansehe y.y

hoffe aber dennoch irgentwann einmal weiter lesen zu dürfen :D

Kotonami ist einfach cool wie Sie Kyoko durchschaut hat XD
und dann noch Kyokos reaktion! Himmlisch witzig.

liebe grüße Closer <3
Von:  Kyoko-Hizuri
2013-01-05T21:27:21+00:00 05.01.2013 22:27
weiter so ^___________________________________________________^
geiles kap, freue mich schon auf dsa nächste
Kyo-Hizu
Von: abgemeldet
2013-01-05T16:54:30+00:00 05.01.2013 17:54
Suuuuuuuppppper!!!! Ich liebe es!!!! Schreib unbedingt weiter ;) endlich hat Kanae geholfen!! ;) das mit der wechselkleidung ist einfach nur zu gut geschrieben ;)

LG Hime
Von:  Susilein
2013-01-04T17:49:10+00:00 04.01.2013 18:49
Ich bin Kanaes meinung!
Wehe sie kommen ohne Vortschritte wieder!

Aber zu geil wie Kyokoa zusammenzuckt und dann zugibt das sie bei Ren wegselkleidung hat, die benemen sich echt wie ein festes Pärchen. :D
Warum sind sie es nicht endlich!? >__<

Und ein Schlag für Rens Ego- aua, aua :D

toll geschrieben, weiter so. ^-^

Susilein
Von:  Kyoko-Hizuri
2012-11-20T20:37:11+00:00 20.11.2012 21:37
ein schönes kap^^
besonders die Schneeballschlacht und der "eine" Moment wo Ren spontan Kyokos Taille ergriffen hat. Sie rumgewirbelt hat und so nahe an sie ran kam ^____________^
weiter so, freue mich schon auf das nächste Kap
Kyo-Hizu
Von:  mitsuki11
2012-11-20T19:30:51+00:00 20.11.2012 20:30
Ich kann mir schon ein paar Momente vorstellen die er gerne in Erinnerung halten möchte!! :)

Freue mich schon auf das nächste Kapitel!!!

:)

Von:  Missu
2012-08-24T07:08:25+00:00 24.08.2012 09:08
Sooo (besser spät als nie) :D
Das Kapitel ist toll <3 und ich kann mir Kanae bildlich vorstellen :D
Und auch rens mimik und Körperhaltung wenn er seine Eltern sieht ist super beschrieben :)

Freu mich schon auf das nächste Kapitel und bin gespannt darauf wie sich das mit Ren aka Koun entwickelt ;)
Von:  Kyoko-Hizuri
2012-08-20T19:05:34+00:00 20.08.2012 21:05
schönes Kap^^
bin schon gespannt wie das nächste Kap wird
bis zu, nächsten Kap
Kyo-hizu
Von:  Susilein
2012-08-20T16:37:15+00:00 20.08.2012 18:37
Ich hab deine Fanfic erst vor kurzen enddeckt und sie gefiehl mir vom ersten Satz an.
Du hast so einen wundervollen Schreibstyl, er ließst sich richtig schön locker und flüssig, wie du die umgebungen, personen und gefühle beschreibst ist einfach klasse. :D

Zur Story:
Die Geschichte find ich bis jetzt sehr interessant und ich bin neugirig darauf wie es weitergeht.
Ein guter Plan was Rory da hatte, gemeinsam mit Rens Eltern auch wenn dieser bis jetzt eher schiss hat als alles andere.
Aber es ist toll das Kyoko und Yashiro auch mitkommen, das wird hoffendlich einiges leichter machen, und auch Rory und Maria werden sicherlich eine hilfe sein.
Mich stört etwas Kotonami-san, weil sie anscheinend wahnsinnig eifersüchtig ist aber ich hoffe das legt sich noch und im grunde macht auch dies die sache spannender.
Aber süß wie sich Ren und Kyoko verstehen und das kuscheln im schlaf, einfach süß. <3

freu mich wenns weitergeht. ^^

Susilein
Von:  Missu
2012-07-27T07:22:25+00:00 27.07.2012 09:22
Also ich muss sagen... super! :)
Ich konnt mir richtig gut vorstellen wie die zwei da sitzen und dann ren.. wie er seinen kopf auf ihre Schulter legt.. daebak!!! <3
Freu mich schon rieeeeßig aufs nächste Kapitel und die ankunft oder das erwachen der beiden.. chihih :D

lg Missu ;)


Zurück