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Days

von

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prolog

„Wusstest du, dass Mädchen durchschnittlich 48 Tage, und Jungs 36 Tage Liebeskummer haben?“ Deine Stimme klang amüsiert, während du deine Nase noch tiefer in eine dieser Teenie-Zeitschriften stecktest, um die jeder normale Mensch einen großen Bogen machte.

„Aha, wusste gar nicht, dass man das so genau sagen kann“, gab ich nur zurück und wartete darauf, dass du fertig werden würdest. Nicht, dass es mich stören würde, dass deine kindliche Seite gerade wieder erblühte, im Gegenteil - ich mochte sie, so wie eigentlich alles an dir.

„Ich auch nicht“, meintest du und endlich verschwand die Zeitschrift wieder im Regal, bevor ich dich weiter zog, damit wir die restlichen Einkäufe erledigen konnten.

Zwischen Wursttheke und Süßwarenabteilung, riss deine Stimme mich allerdings wieder aus meinen Gedanken um das geplante Abendessen.

„Wenn ich dich verlassen würde, würdest du wegen mir auch 36 Tage weinen?“, lachtest du und sahst mich mit diesen Ausdruck in den Augen an, den ich so sehr an dir liebte.

„Ich würde gar nicht um dich weinen!“, ärgerte ich dich dann, woraufhin du deine Wangen aufplustertest und aussahst wie ein Hamster. Ein besonders süßer Hamster. Aber wenn ich dir das sagen würde, wäre ich einen Kopf kürzer und das musste ja nun wirklich nicht sein.

„Du bist doch doof“, murrtest du, aber ich wusste, dass du nie lange sauer auf mich sein konntest.

„Ich weiß. Ich liebe dich auch.“ Dein Lächeln sagte mir, dass ich auch dieses Mal Recht gehabt hatte.

Doch schon wenig später würde ich schmerzhaft erfahren müssen, dass ich nicht immer Recht haben konnte.

tag 1

Breathe for me. Just breathe.
 

Unruhig lief ich durchs Wohnzimmer, während mein Blick immer wieder auf die Uhr fiel, deren Zeiger sich langsam aber stetig vorwärts bewegten. Du wolltest nur kurz nach Shibuya und was besorgen, doch mittlerweile warst du über zwei Stunden weg. Eigentlich warst du ein zuverlässiger Mensch und riefst sofort an, wenn etwas war. Doch das Telefon blieb stumm.
 

Ich hoffe dir war nichts passiert.
 

Als eine weitere Stunde verging, wollte ich dich anrufen, bis mir auffiel, dass du dein Handy gar nicht mitgenommen hattest. Dein Akku war doch leer gewesen und deswegen hattest du dein Handy ans Ladekabel gehängt, bevor du gegangen warst. Die Erkenntnis brachte mir allerdings auch nichts, denn ich wusste noch immer nicht wo du warst und wann du wieder bei mir sein würdest.
 

Ich wusste, dass es nichts brachte, panisch zu werden und nur die Zeit mir Antworten bringen würde, aber die Sorge war größer. Vermutlich hattest du nur die Zeit total vergessen. Mein Gefühl jedoch lag mir schwer im Magen und ehe ich dich nicht in meine Arme schließen konnte, würde dieser dumpfe Schmerz bleiben.
 

Bevor ich noch vollkommen durchdrehen würde, tapste ich in die Küche und machte mir einen heißen Apfeltee. Tee beruhigte mich fast genau so wie deine Anwesenheit. Aber fehltest du, wurde ich zum reinsten Nervenbündel. Das hatte mir schon oft den Spott unserer Freunde gebracht, weil sie meine Sorge um dich nicht verstehen konnten. Unwillkürlich musste ich bei dem Gedanken daran grinsen. Reita würde mir wahrscheinlich eine runter hauen und mir sagen, dass ich von meinem 'blöden Kontrolltrip' runterkommen und dir endlich vertrauen sollte. Ich vertraue dir, wirklich. Aber so was macht mir Angst. Ich habe Angst davor, eines Tages aufzuwachen und alleine zu sein, ohne deine Nähe und Wärme.
 

Nach einigen Minuten, die ich mit sinnlosem Nachdenken verbracht hatte, beschloss ich Reitas Rat zu befolgen und setzte mich mit meinem Tee und einer Tüte Gummibären vor den Fernseher. Was anderes konnte ich ohnehin nicht tun. Bestimmt hattest du einen guten Grund, wieso du noch nicht da warst und den würde ich natürlich als erster erfahren. Ich glaubte ganz fest daran.
 

Unfälle oder gar schlimmeres passierten doch nur im Fernsehen, genau wie in der Sendung, die ich gerade sah.
 

Als mein Blick zufällig zum Telefon fiel, fiel mir auf, dass das Lämpchen für den Anrufbeantworter blinkte. Wann hatte ich denn einen Anruf bekommen? Vermutlich als ich kurz duschen war, da konnte man so was schnell überhören. Während ich die Nachricht abhörte, wurde mir immer leichter ums Herz. Du warst bei Reita, der dich in Shibuya aufgegabelt und mitgenommen hatte. Und ich hatte mir umsonst Sorgen gemacht.
 

Immerhin wusste ich jetzt, dass es dir gut ging. Das war alles was zählte.
 

Nun fiel es mir auch viel leichter, mich auf die Sendung zu konzentrieren und musste nicht permanent daran denken, was mit dir war. Wissen war so unendlich wertvoll für mich und obwohl jeder sagte, dass Unwissen ein Segen war, so glaubte ich nicht daran. Warum sollte man sich einer Illusion hingeben, die ohnehin irgendwann verschwinden würde, nur um für einige Zeit zu glauben, alles wäre wie immer? Damit belog man sich doch nur selbst.
 

„Kannst du mal kurz herkommen?“, hörte ich dich fragen, doch irgendwas schwang in deiner Stimme mit, was ich nicht deuten konnte. Irgendwie klangst du traurig, oder auch verzweifelt.

„Was ist denn los?“, ich betrat das Schlafzimmer und fand dich über das Körbchen gebeugt, in dem Sabu-chan lag. Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus und instinktiv wusste ich, was das zu bedeuten hatte.

„Sabu ist so komisch…“, brachtest du nur flüsternd hervor.

Ich trat näher heran und sah mir den kleinen Hund an, wie er kaum noch atmend in seinem Körbchen lag und ab und an leicht zuckte. Diese Szene kam mir so bekannt vor, hatte ich dasselbe doch schon einmal erlebt.

„Ruki…“, begann ich, aber ich wusste nicht so recht, was ich sagen könnte, um ihn nicht allzu sehr zu verletzen. Denn dass ich es tun würde, das war mir klar. „Ich fürchte… es ist Zeit für Sabu-chan zu gehen…“

Ich weiß noch genau, wie du in Tränen ausgebrochen warst. Wie du Gott und die Welt verflucht hattest, dafür dass er dir dein Hündchen genommen hat. Doch hast du mich nie dafür verflucht, dass ich dir die Wahrheit gesagt hatte. Du hattest so genug Zeit gehabt, um dich von ihm zu verabschieden. Ihm noch ein letztes Mal zu zeigen, wie sehr du ihn geliebt hattest.

Das war so viel wertvoller, als einfach schlafen zu gehen und zu hoffen, dass am nächsten Morgen alles wieder gut war.
 

Irgendwann war ich vor dem Fernsehen eingeschlafen, doch das schrille Klingeln des Telefons riss mich schon bald aus meinen Träumen. Doch nicht nur aus diesen Träumen sollte ich gerissen werden.

Schlaftrunken richtete mich auf und griff nach dem Hörer, um ein „Ja?“ hinein zu nuscheln.
 

„Uruha?“, kam die leise Frage und erst nach einigen Sekunden erkannte ich die Stimme am anderen Ende.

„Kai? Was gibt’s?“, nuschelte ich wieder und gähnte leise. Zuerst herrschte Stille und ich fragte mich schon, ob Kai vielleicht versehentlich aufgelegt hatte, aber was dann kam, werde ich wohl nie wieder vergessen.

„Ruki hatte einen Unfall, er liegt im Krankenhaus...“
 

In dem Moment verlor die Welt schlagartig ihre Farben und machte einem deprimierenden Grau platz, das mich immer mehr zu verschlucken drohte.
 

Ich weiß nicht wie ich es geschafft hatte, heile am Krankenhaus anzukommen, aber die Gesichter, die die anderen machten, sagten mehr als tausend Worte.

„Wo ist er?“, formte ich tonlos mit den Lippen, weil meine Stimme versagte. Ich weinte nicht. Ich schrie nicht. Ich stand einfach nur da und versuchte zu begreifen, was passiert war.
 

Reita war der erste, der sich rührte. Er kam auf mich zu und nahm mich fest in den Arm. Ich weiß nicht ob er es tat um mich zu trösten, oder sich selbst, aber in dem Moment interessierte es mich auch nicht sonderlich.

Das einzige, was ich wissen wollte, war, ob es dir gut ging.

Eine Frage, von der ich bis vor kurzen noch geglaubt hatte, die Antwort zu wissen.
 

„Er ist noch da drin... die Ärzte... wissen nicht, ob er es schafft.“, durchbrach dann Reitas Stimme die grauenvolle Stille, die wie Blei in der Luft hing und mir das Atmen erschwerte.

Ich nickte nur, schob den Bassisten von mir und setzte mich. Noch immer kam von mir keine Gefühlsregung, als ob mit einem Mal alles an Gefühlen aus mir heraus gesogen worden war und einer Leere Platz gemacht hatte, die weitaus schlimmer war als jeder Schmerz. Das Ticken der Uhr hallte laut in dem sonst stillen Raum und mir kam es so vor, als würde mit jeder Sekunde die Luft drückender werden.
 

Nach endlosen Minuten, die mir vorkamen wie Stunden, kam endlich ein Arzt zu uns, um uns über deinen Zustand zu informieren. Er war ganz in weiß gekleidet, wie es für Ärzte so üblich war. Das war wohl der Grund, wieso einige Menschen Ärzte Engel nannten.
 

Für mich war er auch ein Engel.

„Es tut mir leid. Ihr Freund hat es nicht überstanden, die Verletzungen waren zu stark.“

Ein Todesengel.

tag 2

Don't go, I can't do this on my own.
 

Ich weiß nicht mehr was passiert war, nachdem uns die Nachricht überbracht wurde.

Ich weiß nur noch, dass ich Kai zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, habe weinen sehen, danach wurde alles dunkel.
 

Als ich wieder erwachte, lag ich in meinem Bett, doch ich war nicht alleine. In einem verzweifelten Gedanken hoffte ich, dass du es warst, der neben mir lag, doch ich wurde bitter enttäuscht. Das alles war doch kein Traum gewesen, es war so real wie die Tatsache, dass es Reita war, der unruhig neben mir schlief.

Auf seinen blassen Wangen zeichneten sich deutlich Tränenspuren ab. Tränen, die ich nicht weinen konnte.
 

Meine Augen brannten, meine Kehle fühlte sich ungewohnt trocken an, und doch konnte ich einfach nicht weinen. Ich wollte es nicht glauben.
 

Ich wollte nicht glauben, dass die Leere in mir fortan mein Begleiter sein würde, so wie du es gewesen warst.

Das Leben war so schrecklich kurz und in einer Sekunde konnte einem alles genommen werden, wofür man gelebt hatte. Und egal wie sehr man den Gott verfluchte, den es doch nicht gab, es änderte nichts.
 

Ich setzte mich auf, strich mir die Haare aus dem Gesicht und sah aus dem Fenster. In einem Film würde es jetzt regnen, aber soviel Dramatik war selbst mir nicht vergönnt. Stattdessen passten sich die Wolken der Farbe meiner kleinen, kaputten Welt an – sie waren grau.
 

Nach ein paar Augenblicken, fing es an neben mir zu rascheln.

„Ruha?“ Reitas Stimme klang zittrig und als ich mich ihm zuwendete, sah er so aus, als würde er gleich wieder anfangen zu weinen.

„Ist alles okay?“, fragte er mich dann.

Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich wieder ab, um nicht in sein trauriges Gesicht blicken zu müssen. Ich fühlte... nichts. All das, was ich in seinem Gesicht ablesen konnte wie in einem Buch, all den Schmerz – er war nicht da. Nur diese erschreckende Leere, die sich unaufhaltsam durch meinen Körper fraß wie Gift.
 

Sanft schlangen sich Arme um meinen Bauch und ich spürte Reitas Atem an meinem Hals.

„Es ist okay zu weinen, Ruha“, flüsterte er.

„Ich kann nicht...“, gab ich genauso leise zurück und ließ den Kopf hängen.
 

„Was soll ich nur mit dir machen?“, sagtest du leise, während du mich im Arm hieltst, um mich vor mir selbst zu retten. „Du kannst doch nicht immer alle Probleme in dich rein fressen oder verdrängen. Irgendwann explodierst du, weil sich alles in deinem Herzen anstaut – und dann? Willst du, dass es bricht und du in den Fluten untergehst? Bitte, Ruha, ich liebe dich, ich will nicht dass du dich selbst so kaputt machst.“

Ich wusste, dass du Recht hattest, aber ich hatte doch nie gelernt Schmerz zu verarbeiten und über meine Probleme zu reden. Es zu ignorieren hatte immer geholfen, so tat es wenigstens nicht weh, wenn man enttäuscht wurde. Und das wurde ich oft. Viel zu oft. Irgendwann hatte ich den Punkt erreicht, an dem ich den Schmerz einfach ausgeblendet hatte, um mein zerbrechliches Herz zu schützen.
 

„Ich weiß wie du dich fühlst“, fing Reita dann an und verstärkte seine Umarmung. Er und du, ihr hattet fast eine genauso starke Bindung wie wir gehabt, denn Reita war dein bester Freund gewesen. Ihr kanntet euch von allen am Längsten und euch verband etwas, was man nicht in Worte fassen konnte. Manchmal war ich auf Reita eifersüchtig gewesen, weil ich Angst gehabt hatte, dass aus eurer einzigartigen Freundschaft mehr werden könnte, aber diesen Gedanken hattest du mir immer wieder erfolgreich ausgetrieben.

„Rede mit uns. Versuch es zu verarbeiten, auch wenn das unmöglich erscheint.“ Reitas Stimme klang sicherer als er war, denn ich spürte seine Tränen auf meiner Haut, die mir zeigten, dass es ihm schwer fiel, seinen eigenen Rat zu befolgen um irgendwann endgültig mit dir abzuschließen.
 

Noch immer realisierte ich die Wahrheit nicht. Mein Herz sträubte sich dagegen die Fakten als wahr anzusehen.

Es wollte mich schützen. Vor dem, was passieren würde, wenn ich vollkommen die Kontrolle verlieren würde.
 

„Ruha?“, fragte Reita zögerlich nach, da ich ihm noch immer keine Antwort gegeben hatte. Auch jetzt wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Beinahe fühlte es sich an wie ein Deja-vu, nur dass nicht du es warst, mit dem ich redete.

„Wir haben Angst dich auch noch zu verlieren, bitte, Ruha. Deswegen bin ich auch hier. Wir wollten nicht... wir wollten dich nicht alleine lassen.“ Ein Hauch Verlegenheit schwang in Reitas Stimme mit, aber ich war viel zu teilnahmslos, um ihn darauf anzusprechen. War doch ohnehin ohne Belang, denn ich wusste woran Reita dachte.
 

Ich wusste, dass sie mir zutrauten, dass ich mir etwas antat und wenn ich ehrlich war, tat ich das auch.
 

„Macht euch keine Sorgen“, brachte ich dann fast flüsternd hervor. Noch immer hoffte ich, dass das alles nur ein Albtraum war, aus dem ich schon bald erwachen würde. Es wäre ja nicht das erste Mal gewesen, dass ich so etwas geträumt hatte.
 

Bis jetzt war ich immer wieder erwacht.

tag 14

[本当は辛くて苦しくて淋しいよ] 

To tell the truth, it hurts and it's painful and I'm lonely
 

Die Tage zogen sich dahin wie ein Stück Kaugummi, das einfach nicht reißen wollte. Wie ich es geschafft hatte durchzuhalten, war mir ein Rätsel. Vielleicht lag es daran, dass Reita mir nicht von der Seite gewichen war und alles versucht hatte, um mich abzulenken.
 

Die Nachrichten in den Medien hatten sich in der letzten Zeit beinahe ausschließlich um Gazette gedreht. Auch auf diversen Fanseiten fand sich nichts anderes mehr. Alle wollten sie wissen, ob es stimmte, oder ob es nur ein böser Scherz war. Wie könnten wir einen Scherz über so etwas machen? Ich wollte darüber nichts hören. Ich wollte nicht immer wieder hören, wie sehr die Fans trauerten, oder welch großer Verlust das für die Musikbranche war. Ich wusste nur zu gut, welches Loch du hinterlassen hast. Vor allem in mir.
 

Seufzend saß ich in der Küche und während der Kaffee vor mir immer mehr von seiner Wärme verlor, schaute ich nur gedankenverloren aus dem Fenster, als wüsste der graue Himmel die Antworten, die man mir nicht vergönnte. Mein Blick huschte immer wieder zur Tür, als ob du jede Sekunde vor ihr erscheinen würdest, um mich in den Arm zu nehmen und mir zu sagen, dass der Albtraum endlich zu ende war.
 

Doch du kamst nicht.
 

Ich war in diesem grauenhaften Gefühl gefangen, das man hatte, während man einen Albtraum durchlebte und ganz genau wusste, dass man nur träumte und dennoch machtlos war.

Nur mit dem feinen Unterschied, dass es real war und ich nicht einfach aufwachen konnte, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte.
 

Nachdem ich einen Schluck genommen hatte, stand ich auf und ging ins Wohnzimmer, um den Fernseher einzuschalten. Die Stille raubte mir beinahe den Verstand.

Irgendwann, zwischen zwei sinnlosen Sendungen, die die anderen scherzhaft immer „Assi-TV“ nannten, schlurfte Reita aus dem Schlafzimmer und setzte sich neben mich.
 

„Amüsierst du dich?“, fragte er nach einem Blick auf den Fernseher. Ich nickte nur und widmete mich dann wieder der Sendung, um nicht mit ihm reden zu müssen. Seit du weg warst, hatte ich kein einziges Mal mehr gelächelt und ich bin mir sicher, dass Reita es gemerkt haben musste.

Dieser seufzte „Es tut mir leid“.

„Was tut dir leid?“, fragte ich sofort nach, weil ich nicht wusste, was er so plötzlich damit meinte.

„Dass ich dir nicht helfen kann“, kam es zögerlich von dem Blonden. „Vor allem… heute…“ Wieder ein Seufzen.
 

Heute? Was meinte Reita damit?

Ich hatte vollkommen das Zeitgefühl verloren, tat ich doch den ganzen Tag nichts anderes als sinnlose Sendungen schauen oder Musik zu hören, um die Zeit totzuschlagen und nicht nachdenken zu müssen. Aber seine Worte ließen mich aufhorchen. Nach einem kurzen Blick auf den Kalender lief es mir eiskalt den Rücken herunter.
 

Verzeihst du mir, dass ich unseren Jahrestag vergessen habe?
 

Und plötzlich, als wäre irgendetwas in mir gebrochen, realisierte ich das ganze Ausmaß der Situation, in die ich einfach so geschlittert war. Die Lethargie der letzten Tage verschwand schlagartig und machte einem Schmerz platz, den ich nicht in Worte fassen konnte.
 

Erst jetzt begriff mein Herz, dass du tatsächlich tot warst und nichts und niemand dich je wieder zu mir zurückbringen könnte.
 

Ich fing an am ganzen Körper zu zittern, als ob jemand mich plötzlich mit eisigem Wasser überschüttet hatte und genau so fühlte ich mich auch.

„Ruha?“ fragte Reita panisch nach, der natürlich sofort merkte, dass gerade etwas ganz und gar schief lief – aber ich reagierte nicht. Die Panik in mir wuchs immer weiter und ich konnte nichts dagegen tun.

„Uruha?“ Ein weiterer verzweifelter Versuch des Bassisten mich aus meinen Gedanken zu reißen, doch wieder hatte er keinen Erfolg.
 

„Bald sind wir schon zwei Jahre zusammen!“, meintest du grinsend und hüpftest um mich herum wie ein Flummi auf Drogen.

„Ich weiß gar nicht wie ich das so lange mit dir ausgehalten habe“, grinste ich und streckte dir die Zunge raus.

„Tja, ich bin eben toll, das musst du einsehen!“ Dummerweise hast du dich dieses Mal nicht ärgern lassen, aber genau so hattest du mit deiner Aussage direkt ins Schwarze getroffen. Du warst toll, sogar mehr als das. Viel mehr. Aber das würde ich dir nicht sagen, dein Ego war schon groß genug.

„Und weil ich so toll bin, hab ich eine Überraschung für dich! Warte nur ab, es wird so toll werden!“
 

Die Überraschung war gelungen, auch wenn es wohl kaum eine Positive war. Wer konnte schon ahnen, dass wir unseren Jahrestag gar nicht mehr erleben würden? Weißt du, ich hatte auch etwas für dich, doch ich fürchte, dass die beiden Ringe, die ich uns extra habe anfertigen lassen, nie ihren Weg aus der Schachtel finden werden.
 

Ruki, es schmerzt. Es schmerzt so unendlich.

Es fühlt sich an, als würde jemand ein Messer tief in meine Brust stoßen, um die Leere mit Verzweiflung und Leid zu füllen.
 

Ich konnte kaum atmen.
 

„KOUYOU!“ Ich zuckte zusammen, als Reita es endlich schaffte meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

„Rei…“, hauchte ich nur, bevor die Welt vor meinen Augen verschwamm und das nächste, was ich spürte, Reitas Arme waren, die sich um meinen Körper legten.
 

Endlich. Nach zwei grausamen Wochen, in denen sich meine Tränen immer mehr in meiner Seele gestaut hatten, bis sie beinahe darin ertrunken war.
 

Endlich konnte ich weinen und einen kleinen Teil meines unendlichen Schmerzes abfließen lassen.

Doch ich wusste, egal wie sehr ich weinte, es würde niemals reichen.

tag 30

If only sorrow could build a staircase, or tears could show the way.

I would climb my way to heaven, and bring you back home.
 

Seit unserem Jahrestag, ging es immer weiter bergab. Meine Stimmung verschlechterte sich von Tag zu Tag und es fiel mir immer schwerer grundlegende Dinge zu tun, wie zum Beispiel essen.

Reita war schon halb bei mir eingezogen und wenn ich ehrlich war störte es mich nicht einmal. Es tat gut morgens aufzuwachen und nicht alleine in der großen Wohnung zu sein. Ich hatte Angst vor dem Tag, an dem das passieren würde und ich wusste, er würde kommen. So konnte ich mir wenigstens für einige Minuten einreden, dass du es warst und nicht Reita, der in meinem Wohnzimmer herumwuselte und aufräumte.
 

Manchmal glaubte ich sogar meinen eigenen Lügen.
 

Das Erwachen kam immer schnell und grausam, aber in der kurzen Zeit, die mir mit meinen Erinnerungen blieb, war ich glücklich.

Weißt du, wieso Menschen sich so sehr an Erinnerungen klammern und einfach nicht loslassen können? Weil Erinnerungen das einzige sind, was bleibt, wenn alles andere sich verändert.
 

Es tut mir leid, dass ich dich damals, als wir einkaufen waren, angelogen hatte, auch wenn du gewusst hattest, dass es nicht ernst gemeint war. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, wird mir klar, dass ich dir viel öfter hätte sagen sollen, was du mir wirklich bedeutet hast.

Wie sehr ich dich geliebt habe und immer noch liebe.
 

In den letzten Tagen hab ich mehr geweint, als in all den Jahren davor. Dein Tod hat etwas in mir zerbrechen lassen, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass es existierte. Ich nahm alles so viel intensiver wahr, soviel schmerzhafter.
 

Oft fragte ich mich, wie viel Druck ein Mensch aushalten kann, bevor er daran zugrunde geht.
 

Wieder kamen mir Tränen, doch ich wischte sie mit einer einzigen Handbewegung davon, darin war ich mittlerweile geübt. Das Weinen war nicht befreiend, es tat einfach nur noch weh.

Dennoch konnte ich es nicht stoppen, egal wie sehr ich es versuchte. Der Schmerz saß zu tief, als dass ich ihn noch länger ignorieren könnte.
 

„Kou?“, wehte plötzlich Reitas Stimme zu mir hinüber, der unbemerkt ins Schlafzimmer gekommen war. Natürlich registrierte er sofort was los war, irgendwie wusste er immer genau, wann ich gerade schwach geworden war und den Kampf gegen meine Tränen verloren hatte.
 

Er war immer da gewesen um mich aufzufangen.

Immer.

Auch wenn es immer schwieriger wird seine Hand zu greifen, bevor ich aufpralle.
 

Reita legte sich zu mir ins Bett und zog mich dicht an sich. Trotz der Tränen musste ich lächeln. Mir war nie aufgefallen, wie anhänglich, ja beinahe verschmust er eigentlich war. Vor allen tat er immer einen auf Macho, aber wie die Wirklichkeit aussah, wusste wohl keiner. Keiner außer mir und natürlich dir.

Jeder Mensch hatte wohl zwei Gesichter und irgendwie gefiel mir diese andere Seite an Reita. Auch wenn das bedeutete, dass er genauso schwach war wie ich.
 

Vielleicht war er nicht nur meinetwegen die ganze Zeit bei mir. Vielleicht wollte er auch sich selbst damit schützen. Nach allem was ich über ihn erfahren hatte, seit er bei mir war, glaubte ich immer mehr daran.

Reita war genau so verletzt wie ich, nur mit dem kleinen Unterschied, dass er besser damit zurechtkam.
 

Seit die Seifenblase geplatzt war, die unsere ganzen Wünsche enthalten hatte, durchlebte ich die schrecklichsten Albträume. Nacht für Nacht wachte ich weinend auf, weil ich nicht mehr damit klarkam, dass du nicht mehr bei mir warst. Wenn ich könnte würde ich Himmel und Hölle zerstören, nur um dich daraus zu holen und wieder bei mir zu wissen.

Ja, wenn ich könnte.
 

Ich konnte aber nicht und das wusste ich.
 

Es dauerte lange, bis ich mich soweit beruhigt hatte, dass keine Tränen mehr kamen. Ich hasste es zu weinen. Helfen tat es doch nicht und am Ende tat einem zu allem Überfluss auch noch alles von den krampfhaften Schluchzern weh.

Weinen war hoffnungslos.

Wer weinte, wusste bereits, wie die Geschichte enden würde.
 

Auch in dieser Nacht erwachte ich wieder. Eigentlich sollte ich es mittlerweile gewohnt sein. Eigentlich sollte mir der Schmerz nichts mehr ausmachen.

Aber ‚eigentlich’ war eben doch nur ein Wort, das einen bitteren Nachgeschmack hinterließ, wenn man es hinterfragte.
 

Wieder hatte ich dich in meinen Träumen verloren. Wieder sah ich dein schmerzverzerrtes Gesicht vor mir und deine Hand, die sich nach mir ausstreckte und mich doch nicht zu fassen bekam.
 

Ich hatte dich nicht retten können.
 

„Kou, beruhig dich, es wird alles gut“, versuchte Reita mich dann zu beruhigen, der durch meinen Albtraum geweckt wurde und nun abermals meinen zitternden Körper hielt, damit ich nicht zerbrach.

Irgendwann musste ich mich bei ihm dafür bedanken. Ohne wäre ich vermutlich bereits jämmerlich zugrunde gegangen.
 

„Aki“, hauchte ich mit erstickter Stimme. „Ich konnte nicht… ich… er ist einfach so…“ Zusammenhanglos purzelten Worte über meinen Lippen, deren Sinn nicht einmal ich selbst verstand. Mein Schluchzen wurde immer lauter und unkontrollierter und es fühlte sich so an, als würde ich an meinen Tränen ersticken.
 

„Kou…“ Ich wurde dichter an Reitas Körper gepresst, doch es half nicht. Nicht einmal die Tatsache tröstete mich, dass auch er angefangen hatte zu weinen, nachdem er mich so erlebt hatte.

Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer.
 

Beinahe panisch versuchte ich Luft zu holen, da ich kaum noch atmen konnte. Auch er bemerkte nun, dass etwas anderes war. Dass irgendetwas nicht stimmte.

„Scheiße… beruhige dich… bitte“, kam es fast von verzweifelt von Reita, aber Worte allein halfen mir nicht mehr. Nichts konnte den Schmerz in mir lindern, der wie Feuer in meinem Herzen brannte.

Nicht einmal mit Tränen konnte ich ihn löschen.
 

„Aki… ich will… ich will Ruki…“, schluchzte ich. Immer heftiger wurde mein Körper von dem endlosen Weinkrampf geschüttelt und ich gab es auf mich dagegen zu wehren.

Ich hatte keine Kraft mehr.
 

„Ich weiß, Kou… ich will ihn auch zurück…“ Sanft redete Reita auf mich ein, aber ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich seine Stimme kaum noch wahrnahm.

Alles in mir fokussierte sich auf die Trauer, die jede Faser meines Körpers eingenommen hatte.
 

Und als ich fürchtete vor lauter Schmerz zu zerreißen, erschlaffte mein Körper und ich fiel in eine tiefe, endlose Dunkelheit.

tag 32

The thousand wings are so tiny

They snuggle up to your wish

Even without returning your smile, just that

At the end of the memories which could count the sighs...

I can hear your voice
 

Ich hatte in jener Nacht einen Nervenzusammenbruch gehabt, was Reita einen ziemlichen Schrecken beschert hatte. Er tat mir leid, dass er sich um mich kümmern musste und ich ihn mit meinen Problemen belastete. Ich wollte es nicht, wirklich. Ich wollte doch nur, dass du wieder bei mir warst, mehr nicht.
 

War das zu viel verlangt?
 

Seitdem hatte ich kaum noch geschlafen, was man mir deutlich ansah. Ich hatte Angst, noch einmal einen Albtraum zu haben und Reita damit so zu erschrecken. Außerdem wollte ich nicht mehr sehen, wie ich dich immer wieder vor meinen Augen verlor. Es ist grausam zu wissen, was passieren würde und man einfach nichts dagegen tun kann.
 

„Kaffee?“, fragte Reita und hielt mir eine duftende Tasse unter die Nase.

Dankend nahm ich den Kaffee an. In wenigen Schlucken fand das Gebräu den Weg in meinen Magen, um mich ein paar weitere Stunden wach zu halten. Vielleicht war ich irgendwann so müde, dass ich vor lauter Erschöpfung gar nicht mehr träumte. Ich hoffte es sehr.
 

Leise lief das Radio und als ob die Welt mich verhöhnen wollte, spielten sie Chizuru. Ausgerechnet dieser Song, mit dem ich soviel Schmerz und Trauer verband. Genau wie du.
 

Und plötzlich wurde ich ganz ruhig. Nicht nur äußerlich, auch innerlich. Tausend Gedanken schossen durch meinen Kopf, aber anstatt in einem riesigen Chaos zu enden, stach einer ganz besonders hervor.

Ich wusste, was zu tun war.

Ich wusste, was ich tun musste, damit wir wieder vereint sein würden.

Und ich würde es schaffen, ganz bestimmt!
 

„Alles klar?“, fragte Reita verwundert, dem meine Wandlung aufgefallen war.

Ich nickte und brachte sogar ein kleines, ehrliches Lächeln zustande „Ja!“.

Dann stand ich auf und ließ ihn allein in der Küche zurück. Ich hatte viel vor mir und wenig Zeit.

Bald würde sich mein sehnlichster Wunsch doch noch erfüllen.
 

Mein Weg führte mich ins Wohnzimmer. Konzentriert faltete ich ein kleines Blatt, was etwas länger dauerte, da ich mich nicht mehr genau daran erinnerte, wie es funktionierte.

Wenig später hielt ich einen Kranich in der Hand. Den ersten.

Fehlten noch 999.
 

Wer 1000 Kraniche faltete, hatte einen Wunsch frei, so sagte man es sich.

Wenn ich nur durchhalten und die 1000 schaffen würde, wären alle Probleme gelöst.
 

Ich glaubte ganz fest daran.
 

Immer mehr Kraniche folgten und füllten langsam das Sofa neben mir. Schweigend hatte Reita sich irgendwann zu mir gesetzt und mir dabei zugesehen.

„Kou, das bringt doch nichts“, seufzte er leise, während er mich traurig ansah.

„Es muss klappen“, erwiderte ich nur und faltete weiter kleine Kraniche. Es war die letzte Möglichkeit, die mir geblieben war. Alles andere war gescheitert. Jetzt konnte ich nur noch auf ein Wunder hoffen. Ein Wunder, das ich mir hiermit selbst ermöglichte.
 

„Ruki, was zum Teufel machst du da?“

„Na ich falte Kraniche, das siehst du doch!“, lachtest du und hieltest mir einen der pinken Kraniche vors Gesicht. Irgendwie war es ja ganz niedlich, obwohl ich nicht wusste, was du damit bezwecken wolltest.

„Und wozu? Bin ich dir nicht gut genug, dass du ein Wunder brauchst?“ Ich konnte es nicht lassen dich zu piesaken, aber übel nahmst du es mir nie.

„Genau, eigentlich will ich ja Reita und nicht dich!“, zahltest du es mir mit gleicher Münze zurück, aber der Ton in deiner Stimme entschärfte die Worte. „Wenn ich 1000 hab, wünschen wir uns was zusammen, okay?“, fügtest du dann noch mit deiner lieblichen Stimme hinzu und mir fiel nicht mal etwas gemeines ein, was ich dir sagen konnte. Du warst in dem Moment einfach nur süß und so davon überzeugt, dass es klappen würde, dass ich nicht anders konnte.

„In Ordnung.“

„Auch wenn ich eigentlich nicht daran glaube“, lachtest du leise, nachdem ich zugestimmt hatte, was mich dazu brachte dir einen leichten Klaps auf den Arm zu geben. Du warst ein Spinner, aber du warst mein Spinner.
 

Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, unablässig Kraniche zu falten. Reita hatte sogar aufgegeben, mich davon abhalten zu wollen, und brachte mir immer mal wieder etwas zu essen oder zu trinken. Sogar einen Karton hatte er aufgetrieben, damit ich etwas hatte, wo ich die Kraniche hineinlegen konnte.

So würde ich keinen verlieren.
 

Ich musste es einfach schaffen.
 

„Es ist schon spät, lass uns ins Bett gehen.“ Selbst wenn ich keine Kraniche gefaltet hätte, wäre ich nicht auf Reitas Bitte eingegangen. Ich fürchtete mich davor die Augen zu schließen, deshalb bestand meine Antwort auch nur aus einem Kopfschütteln. Nicht mal Schlaftabletten konnten mir vor den Albträumen helfen.

Reitas Seufzen war beinahe gespenstisch laut in der Stille, die nur vom Rascheln des Papiers durchbrochen wurde. Ohne noch etwas zu sagen drehte er sich um und ging.
 

Auch die nächsten Tage verbrachte ich damit Kraniche zu basteln. Ich gönnte mir kaum Pausen.

Weißt du, wie lange du jetzt schon weg bist? Es sind 35 Tage.

Eigentlich sollte es morgen vorbei sein, wenn man dieser dummen Zeitschrift glauben schenken konnte.
 

Vielleicht war es wirklich so.

Wenn mein Wunsch sich nur erfüllen würde.
 

„Ach das ist doch doof“, maultest du und zerknülltest den Kranich, den du gerade gefaltet hattest.

„Was ist doof?“ Ich setzte mich zu dir und nahm dir das Papiertierchen aus der Hand, um es zu betrachten.

„Die blöden Kraniche! Ich hab keine Lust mehr darauf.“ Bei deinen Worten musste ich leise lachen. Das warst so typisch du. Große Töne spucken, aber am Ende dann doch aufgeben. Auch wenn ich zugeben musste, dass deine Reaktion niedlich war.

„Halt doch die Klappe und mach es besser. Du schaffst bestimmt auch nie 1000!“
 

„999…“ Meine Stimme klang zittrig, aber war mir das zu verübeln? Ich hatte es gleich geschafft.

Noch einen… nur noch einen… dann würde sich mein Wunsch erfüllen.

Du hattest Unrecht, Ruki. Ich würde es schaffen. Für uns beide.
 

Ehrfürchtig, und mit einer Sorgfalt, die mir kaum zuzutrauen war, faltete ich den letzten Kranich und legte ihn zu den anderen.

1000 Kraniche. Endlich. Endlich hatte ich es geschafft.
 

„Ich will bei dir sein…“

tag 36

Saw your eyes today in a memory painted in the sky.

You smiled and said to me, "a love like this can never truly die."

Let's just say you're right and the nightmare ends, we wake up side by side.
 

„Aki...“ Leise schluchzend wippte ich mit angezogen Beinen vor und zurück, die Arme hatte ich um sie geschlungen. Hätte ich mich nicht selbst zusammengehalten, wäre ich zerbrochen, einfach so.

„Aki...“, schluchzte ich noch einmal und endlich hörte Reita mich, der reichlich verschlafen durch die Tür kam. Sofort schlang er seine Arme um mich und gab mir zusätzlichen Halt und ich wusste, dass ich das bitter nötig hatte.

„Nicht weinen... bitte... ich ertrage es nicht dich immer so traurig zu sehen...“ Es tat mir für Reita leid, dass ich ihm das alles antat, aber mein dummes, kleines Herz konnte nicht anders.
 

„Ruki... Ruki ist nicht da... Er ist... nicht da.“ Immer mehr Tränen perlten über meine blassen Wangen, doch es kümmerte mich nicht. Warum warst du nicht bei mir?

Ich hatte doch alles richtig gemacht.
 

„Er kommt nicht mehr zurück, Kou“, sagte Reita leise und obwohl ich wusste, dass er recht hatte, wollte ich es nicht hören.

Das einzige, was ich wollte, warst du. Doch der letzte Strohhalm, an den ich mich so verzweifelt geklammert hatte, war einfach umgeknickt und mit ihm meine ganze Hoffnung wieder mit dir vereint zu sein.
 

„Es gibt keine Wunder in dieser Welt, egal wie sehr man sie sich wünscht.“

„Sag so was nicht, Ruki. Das macht mich traurig.“

„Warum? Das ist die Wahrheit. Man kann es sich einbilden, aber letzten Endes weiß man dennoch, dass es nur eine Farce ist.“

„Weil ich mich davor fürchte, irgendwann allein in der Dunkelheit zu stehen, ohne einen Hoffnungsschimmer, der mir Kraft gibt.“

„Keine Sorge. Ich bleibe immer bei dir und bin dein Licht, dann brauchst du kein Wunder.“
 

Doch jetzt brauchte ich ein Wunder.

Ein Wunder, das es nicht gab. Bei dir hatte es keine Wunder gegeben und jetzt musste ich schmerzhaft begreifen, dass es sie bei mir auch nicht gab.

Diese Erkenntnis schnürte mir die Kehle zu.
 

„Es bringt nichts zu hoffen, Kou. Egal wie sehr wir uns wünschen, dass er zurückkommt, er wird es nicht. Er ist tot.“ Ich wusste, dass Reita es nicht aussprach, um mir damit wehzutun, aber in dem Moment fühlte es sich so an, als würde er mir ein Messer ins Herz stoßen. Die Wahrheit war einfach zu schmerzhaft.

„Sei still! Sei einfach still!“, fauchte ich ihn an und obwohl Reita im ersten Moment zusammenzuckte, ließ er mich dennoch nicht los. Vermutlich wusste er, dass ich ihn aus reiner Verzweiflung angeschrien hatte.
 

Die Zeiger der Zeit drehen sich unbarmherzig weiter, ohne Rücksicht auf jene, die nicht mithalten können. Ich laufe vorwärts, lebe mein Leben, aber du bist eines Tages einfach stehengeblieben. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen um dich zu retten und das ist es, was mir so sehr zu schaffen macht.
 

In diesem Moment wünschte ich mir, es würde draußen anfangen zu regnen, damit wenigstens etwas in meinem Leben so pseudo-dramatisch ablief wie in einem Film, so dass ich mich über diese ganzen Zufälle lustig machen konnte, um nicht mehr traurig sein zu müssen. Doch selbst das Wetter verhöhnte mich, denn der Himmel war blau und die Sonne schien so nachdrücklich, als würde sie sich über meinen abgrundtiefen Schmerz lustig machen.
 

Die Frage nach dem 'Warum' war allgegenwärtig. Egal was ich tat, ich konnte an nichts anderes denken. Es gab so viele Menschen auf der Welt und ausgerechnet dir musste so etwas passieren. Das war nicht fair, das war einfach nicht fair.
 

Ich hatte immer gewusst, dass mein Leben irgendwann aus den Fugen geraten würde. Ich hatte es von Anfang an gespürt. Es war so fest in mir verankert wie die Gewissheit, dass ich dich mehr als mein Leben liebte. Das ganze Glück was ich erfahren durfte, Gazette, du. Das alles war einfach so perfekt, dass ich die Quittung dafür eines Tages bekommen musste.
 

Und nun lag mein Leben in Scherben vor mir.
 

Das ganze ist jetzt 36 Tage her. 36 Tage, die mit einer tiefen, nicht enden wollenden Traurigkeit erfüllt waren.

Eigentlich sollte alles wieder gut sein.
 

Natürlich war es das nicht. Wie naiv war ich, auch nur einen Moment geglaubt zu haben, dass es tatsächlich funktionieren würde. Aber dein Lächeln damals war so überzeugend, dass ich nicht anders gekonnt hatte.

Bitte, Ruki. Lächele noch ein einziges Mal für mich. Vielleicht würde das das triste Grau vertreiben und die Farben in meine Welt zurückkehren lassen.
 

Reita drückte meinen zitternden Körper fester an seinen, aber ich registrierte das alles nur am Rande. Viel zu sehr war ich in meinen Gedanken gefangen, die mir selbst Angst machten. Ich fühlte mich so schwach und verletzlich, dabei war das gar nicht meine Art. Ich hatte immer allen Schmerz von mir gestoßen, oder sogar ignoriert. Und nun? Nun bekam ich es zurück - ohne Rücksicht auf Verluste.
 

Ich weiß wirklich nicht, wie ich es nur eine Sekunde länger ohne dich aushalten sollte. Du warst wie eine Droge und ich war nach dir süchtig. Aber was konnte man tun, wenn einem das genommen wird, was man am meisten braucht?
 

„Ru...“ Immer wieder schluchzte ich leise deinen Namen, fast klang es wie ein Mantra. Ich spürte, dass Reita hilflos war, weil er einfach nicht mehr wusste, was er mit mir tun sollte. Nichts was er tat konnte mir helfen. Einzig seine Anwesenheit gab mir ein wenig Trost und Halt. Doch ersetzen konnte er dich nicht und das würde er auch niemals können.
 

Wieso hattest du an jenem Tag sterben müssen? Wieso... wieso...

Du warst so kostbar gewesen, so unendlich wertvoll. Und du bist es immer noch. Wenn ich nur könnte, würde ich sofort mit dir tauschen. Alles ist besser, als ohne dich weiter zu leben. Wirklich alles.
 

Und dann schoss mir ein Gedanke in den Kopf - eine letzte Möglichkeit, aus dieser Situation zu entkommen und den Schmerz ein für alle mal zu stillen. Würdest du meine Gedanken kennen – Gott, du würdest mich so sehr dafür hassen. Andererseits, was hättest du getan, wärst du an meiner Stelle gewesen?
 

Während Reita in der Küche herum werkelte, da er nicht mehr mit ansehen konnte, wie ich mit jedem Tag dünner wurde, ging ich ins Bad. Ich konnte einfach nicht mehr und hoffte nur, dass er es mir verzeihen würde. Die kleinen Schachteln fielen reihenweise ins Waschbecken, als ich sie aus dem Schränkchen riss, ohne Ordnung oder gezielt etwas zu suchen. Es war mir egal, was es war, solange es nur genug waren.
 

Schweigend sah ich auf die unzähligen Tabletten - sogar sie erinnerten mich an dich. Ein Gutes hatten deine Wehwehchen und deine Migräne dann doch noch – ohne die wäre ich da nie ran gekommen.
 

Ein Glas Wasser später war alles in meinem Magen verschwunden. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich hatte, im Gegensatz zu dir, mein Schicksal selbst bestimmt und hoffte, dass es mich zu dir führen würde.

Leise verließ ich das Bad wieder. Die Schachteln ließ ich im Waschbecken, so schnell würde Reita sie schon nicht finden.

Und selbst wenn, dann wäre es sowieso schon zu spät.
 

Wie ironisch. Ich machte mir in so einem Moment Gedanken um solche Belanglosigkeiten.

Dabei sollte ich eher glücklich sein, bald von diesem Leid erlöst zu sein, das sich „Leben“ nennt.
 

Es hätte so schön sein können. So unendlich schön. Aber dieses wertvolle Gefühl, diese tiefe Liebe – es sollte einfach nicht sein. Wir hatten nicht sein sollen. Vielleicht wärst du jetzt noch hier, wenn es anders gekommen wäre. Ja vielleicht. Aber 'vielleicht' bringt dich auch nicht mehr zurück.
 

Mit jeder Minute, die verstrich, verschwamm die Welt vor meinen Augen ein kleines bisschen mehr. Es fühlte sich so an, als wäre ich in Watte gepackt. Ich merkte nicht mal, dass Reita plötzlich neben mir stand, bis er mich ansprach. Nur dumpf drang seine Stimme zu mir durch, die mich fragte, ob alles okay sei.

„Ich bin nur müde“, nuschelte ich leise. Bald wäre wieder alles in Ordnung. Ich musste nur noch ein bisschen warten.

Bald wäre die Leere in mir wieder gefüllt, die mich so sehr hat verzweifeln lassen.
 

Um nicht noch mehr aufzufallen, schleppte ich mich zur Couch und ließ mich darauf fallen. Auch hier drehte sich alles, aber es war mir egal. Alles war mir egal. Nun würde sich mein Wunsch doch noch erfüllen, auch wenn ich es mir anders vorgestellt hatte. Wie konnte es nur so weit kommen? Ich hatte mir immer ausgemalt, dass wir ewig zusammen bleiben würden, doch plötzlich war dieser Traum einfach zu Ende gewesen. Ich war aufgewacht, nur du stecktest noch immer in deinem tiefen Schlummer fest, ohne Hoffnung auf ein Erwachen. Dass ich so weit gehe, um zusammen mit dir weiter zu träumen, zeigt nur, wie sehr ich dich vermisse.
 

Plötzlich spürte ich ein starkes Schütteln an meinen Schultern. Träge öffnete ich die Augen und sah Reita an, der mich weinend anschrie. Hatte er etwas gemerkt? Wie viel Zeit war überhaupt vergangen? Bevor ich allerdings auch nur einen Ton rausbrachte, erfasste mich schon wieder ein starker Schwindel, der immer mehr Dunkelheit mit sich brachte.
 

Das letzte, was ich wahrnahm, war ein saurer Geschmack und ein stechender Schmerz.

Dann blieb die Zeit stehen.

tag 37

I don't need "I love you" anymore

If only you'd stay forever by my side
 

„Kou…“ Immer wieder flüsterte irgendjemand leise meinen Namen, während stetig etwas kaltes auf meinen Hals tropfte. Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nicht einmal die Augen öffnen. Warst am Ende du es, mit dem ich endlich wieder vereint war, oder war das alles nur ein Fiebertraum, aus dem ich wieder erwachen würde?
 

Weiche Hände legten sich auf meinen Körper, schüttelten ihn leicht, doch noch immer war ich nicht in der Lage etwas zu tun. Ich war so benommen, dass ich nicht einmal wusste wo oben und unten war. Lediglich ein beinahe krampfhafter Schmerz in meinem Magen zeigte mir, dass das nicht der Himmel sein konnte. Dass nicht du es warst, der mich so sanft berührte, als wäre ich aus Porzellan.
 

„Bitte wach auf… bitte bitte wach auf.“ Die Stimme klang traurig, hoffnungslos und erst jetzt konnte ich sie Reita zuordnen. Es zerriss mir fast das Herz, in so zu erleben.

Das hatte ich nicht gewollt, wirklich nicht.
 

„Rei…“, hauchte ich fast tonlos, doch er hatte mich gehört. Sofort fand ich mich in einer engen Umarmung wieder, die mir das letzte bisschen Luft aus der Lunge drückte.

„Endlich… endlich bist du wach“, nuschelte Reita gegen meinen Hals, während ich langsam wieder ein Gefühl für meinen Körper bekam und vorsichtig meine Arme um ihn legte. Niemals hätte ich damit gerechnet, ihm mit meiner Aktion so weh zu tun.
 

„Ich dachte wirklich ich hätte dich auch noch verloren…“ Alles in mir verkrampfte sich, als ich Reitas leises Geständnis hörte. Es tat mir mehr weh, als körperlicher Schmerz es je könnte. Diese tiefe Verzweiflung, die in den wenigen Worten lag, brannte sich so tief in mein Inneres, dass ich glaubte es keinen Moment länger ertragen zu können. „Ich hatte… so eine Angst… so eine scheiß Angst.“ Seine Umarmung verstärkte sich, als fürchtete er, ich könnte mich in seinen Armen einfach in Luft auflösen.
 

Wie konnte ich nur so egoistisch sein? Wie konnte ich mein Wohl über das aller andern stellen und ihre Bemühungen mir zu helfen, so mit Füßen treten? Vorallem Reita war der letzte, der das verdient hatte.

Ich verachtete mich in diesem Moment aus ganzem Herzen.
 

„Es tut mir leid…“, sagte ich leise, aber aufrichtig und insgeheim war ich froh, dass es nicht geklappt hatte. Auch wenn mir immer noch rätselhaft war, warum eigentlich.

Bei den Tabletten, die ich geschluckt hatte, war das ein Wunder.
 

„Lass mich nie wieder allein…“ Reita klang so unendlich verzweifelt, dass ich nicht anders konnte als ihm zu versprechen, bei ihm zu bleiben. Komme was wolle. Nie wieder wollte ich dafür verantwortlich sein, dass es ihm so schlecht ging. Dafür wusste ich selbst zu gut, wie es sich anfühlte, einen Menschen zu verlieren, der einem so viel bedeutete.
 

Dennoch änderte diese Einsicht nichts daran, dass der bloße Gedanke an dich mein Herz in Stücke riss.
 

Als Reita sich wieder etwas beruhigt hatte, traute ich mich die Frage zu stellen, die mir schon seit ich erwacht war auf der Zunge lag.

„Was ist passiert?“

Reita sah mich einen kurzen Augenblick an, bevor er tief Luft holte, einen Punkt irgendwo auf der Decke fixierte, die über mir lag und mir die Geschichte aus seiner Sicht erzählte.
 

Kurz bevor ich ohnmächtig geworden war, hatte ich mich laut seinen Worten mehrfach übergeben und somit sämtliche Tabletten wortwörtlich aus mir herausgespült. Das erklärte auch den sauren Geschmack – die Magensäure in Kombination mit bitteren Tabletten. Dass nichts schlimmeres passiert war, grenzte tatsächlich an ein Wunder, obwohl ich noch immer nicht daran glauben wollte. Trotz dieser Tatsache, waren die Tabletten natürlich nicht ganz wirkungslos gewesen. Ein paar Minuten länger und es wäre vermutlich anders ausgegangen. Der Preis für diese zweite Chance, waren die Magenschmerzen, die ich nun hatte. Doch das würde vorübergehen.
 

Meine Schuldgefühle jedoch würden bleiben. Sie waren der Preis für die Feigheit und den Egoismus.
 

„Kouyou?“, riss mich Reitas Stimme plötzlich aus meinen Gedanken. Ich schaute auf, um ihm damit zu zeigen, dass ich zuhörte. Er rang etwas mit sich, obwohl ich nicht wusste warum, bevor er erneut die Stimme erhob.
 

„Als du stundenlang so leblos da lagst und ich für einige Minuten wirklich geglaubt hatte, dass du es nicht schaffen würdest… da ist mir wieder klar geworden, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Und dass man sich nicht immer darauf verlassen kann, einen erneuten Sonnenaufgang zu erleben.“ Ich wusste nicht worauf Reita hinauswollte, aber in seinen Worten schwang etwas mit, was ich nicht deuten konnte.

„Man sollte den Menschen, die einem etwas bedeuten, sagen wie wichtig sie einem sind. Irgendwann könnte es zu spät sein. Das habe ich immer verdrängt, bis es beinahe zu spät war.“ Reita macht eine kurze Pause, um sich zu sammeln. Unterbrechen würde ich ihn nicht. Manchmal musste man sich einfach aussprechen.

„Ich…“, fing er an und sah mir unsicher in die Augen. „Ich liebe dich, Kouyou.“
 

Seine Worte rissen mir den Boden unter den Füßen weg und wenn ich nicht sowieso schon gesessen hätte, wäre ich wohl einfach umgefallen. Reita liebte mich? So wie du es getan hattest?

Ich konnte mit der Situation überhaupt nicht umgehen und wusste erst recht nicht, was ich sagen sollte.

Das war einfach zu viel auf einmal.
 

„Du musst nicht darauf antworten. Ich wollte nur, dass du es weißt.“ Sein Lächeln war ehrlich, dennoch sah ich den Schatten dahinter, der sich wie ein grauer Schleier um Reitas Seele legte.
 

Wie konnte er das nur ertragen? Er hörte sich Tag für Tag an, wie ich vor Sehnsucht nach dir beinahe jämmerlich zugrunde ging und ertrug das mit einer Stärke, von der ich nicht mal zu träumen wagte.

„Es tut nicht weh“, sagte Reita plötzlich, der meine Gedanken treffsicher erraten hatte.

„Es tut nicht weh, dass wir niemals zusammen sein werden, da ich weiß wie sehr du Ruki liebst. Es tut mir nur weh, dass ich dir nicht helfen kann. Ich kann dir Ruki nicht zurückbringen, auch wenn ich mir das mehr als alles andere wünsche. Ich bin glücklich, wenn du glücklich bist, mehr brauch ich gar nicht. Dein Lachen zu sehen ist alles, was ich will.“
 

Reita war so selbstlos, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Nie hatte ich jemanden getroffen, der so aufrichtig liebte, dass er bereit war alles auf sich zu nehmen, nur damit die Person, der sein Herz gehörte, glücklich war. Selbst wenn das bedeutete, dass sie ihr Glück mit jemand anderem fand.
 

Diese tiefe Liebe erschütterte und rührte mich zugleich.
 

„Danke.“ Mehr als dieses eine Wort brachte ich nicht heraus, aber ich war mir sicher, dass Reita mich verstehen würde. Er hatte mich immer verstanden, genau wie du, ganz gleich wie lächerlich meine Probleme gewesen waren.

Ein Kichern von Reita riss mich aus meinen Gedanken und ich sah ihn verwundert an.

„Dasselbe hat Ruki damals auch gesagt.“
 

Langsam begann ich mich zu fragen, ob die Geständnisse heute noch aufhören, oder ob noch mehr Geheimnisse ans Licht kommen würden, mit denen ich niemals gerechnet hätte.

Du hattest es gewusst? Die ganze Zeit über?
 

Irgendetwas war anders und damit meinte ich ganz sicher nicht das Wetter, das heute ausnahmsweise mal Schnee mit sich brachte. Du schienst so bedrückt und in Gedanken, das kannte ich gar nicht von dir. Besorgt erkundigte ich mich nach dem Grund dafür.

„Ich… war nur bei Reita.“, meintest du nur und ich spürte deutlich, dass du nicht weiter darüber reden wolltest. Aber stur wie ich war bohrte ich natürlich nach, denn ich wollte dich nicht so niedergeschlagen sehen.

„Hat er dir was getan?“, fragte ich dann mit einem leicht aggressiven Unterton in der Stimme. Niemand durfte dir wehtun.

„Gott, nein, das würde er nie! Er… er hat mir nur etwas… erzählt.“, rücktest du dann endlich mit der Sprache heraus, mehr oder weniger jedenfalls.

„Und was genau war es, dass du hier so deprimiert rumsitzt?“

„Das kann ich dir nicht sagen, ich hab’s ihm versprochen.“ Ein leises Seufzen durchbrach die Stille, bevor deine Stimme es wieder tat. „Ich frag mich nur die ganze Zeit, ob ich auch so denken würde, wenn ich an seiner Stelle wäre… Irgendwie beneide ich ihn ein kleines bisschen.“

„Du weißt schon, dass ich kein Wort verstehe, außer dass Reita irgendein Problem hat?“, meinte ich dann trocken.

„Das ist mir klar. Bitte sprich ihn nicht darauf an.“
 

Natürlich hattest du es gewusst. Jetzt fügten sich auch die ganzen kleinen Puzzleteile zusammen, die vorher nur ein zusammenhangloses Chaos ergeben hatten. Die versteckten Gesten, die ich nicht hatte deuten können. Die besorgten Blicke, die du Reita zugeworfen hattest.

Alles ergab nun einen Sinn, der meine ohnehin schon wankende Welt noch mehr durcheinander brachte.
 

„Denk nicht weiter darüber nach, Kou. Es ist gut so, wie es ist.“ Seine Worte, obwohl sie sanft gesprochen waren, duldeten keinen Widerspruch. Ich spürte, dass er die Wahrheit sagte und vielleicht sollte ich es einfach hinnehmen.
 

Vielleicht war es wirklich gut. Wenn ich nur endlich damit aufhören würde, ihn immer wieder mit meinen Worten und Taten zu verletzen.
 

Nach Reitas Geständnis hatte ich noch lange darüber nachgedacht, aber zu einem befriedigenden Ergebnis war ich dennoch nicht gekommen. Alles, was ich tat, verletzte ihn, auch wenn er mir mehr als einmal versichert hatte, dass es ihm nichts ausmachte.
 

Konnte ein Mensch wirklich so selbstlos sein? Konnte man sich selbst so sehr foltern, nur um die Person, die man liebte, glücklich zu sehen? Ich versuchte mich in seine Situation zu versetzen, aber ich war anscheinend zu egoistisch dafür, denn ich würde die Person für mich haben wollen, ganz und gar. Bei mir gab es kein ‚Grau’, wie bei Reita, bei mir gab es nur ‚Schwarz’ und ‚Weiß’.
 

Das endlose Nachdenken hatte mich so müde gemacht, dass ich Reitas ‚Bitte’ doch noch nachgekommen war und es einfach hingenommen hatte.

tag 42

I think I'm losing my mind

But I've got nothing to lose.
 

Du bist nun schon sechs Wochen fort. Sechs Wochen, die sich angefühlt haben wie eine Ewigkeit. Sechs Wochen ohne Kontakt zu anderen, außer Reita. Sieht man von Mails und Telefonaten mit Kai und Aoi ab.

Doch heute war etwas anders. Kai hatte angerufen und gesagt, dass wir uns im Proberaum treffen würden und es wichtig wäre. Auch wenn ich nicht wusste, warum. Ohne dich hatte es doch keinen Sinn mehr. Du warst die Seele von Gazette. Das Herz. Und als es aufhörte zu schlagen, starb auch Gazette.
 

Als wir dort ankamen, war er jedoch nicht alleine. Und schnell stellte sich heraus, wer die Person an seiner Seite war.
 

Dein Ersatz.

Ersatz…

Er hatte dich einfach ersetzt…
 

„Das kann nicht dein Ernst sein, Kai!“, rief ich aufgebracht und war drauf und dran einfach auf Kai loszugehen. Wie konnte er das einfach entscheiden?

„Ruha, er hat nicht alleine entschieden… wir waren… alle dafür.“, verteidigte Aoi ihn dann und mir riss es den Boden unter den Füßen weg. Sie alle hatten es gewusst? Auch Reita? Und mir nichts gesagt?
 

In dem Moment kam ich mir so betrogen und verletzt vor, dass ich einfach aus dem Proberaum gestürmt war, um mir Nikotin in die Lunge zu pusten, damit ich mich beruhigte.

Ich konnte es einfach nicht fassen. Klammheimlich hatten sie dich ersetzt, ohne mich auch nur zu fragen, ob ich dafür war. Oder ob ich überhaupt noch weiter machen wollte.
 

Ohne dich ist mein Kopf so leer. Ich fürchte, ich kann nicht einmal mehr Gitarre spielen.
 

„Kou? Es tut mir leid, dass ich dir nichts gesagt habe“, wurde ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen. Ich drehte mich zu Reita und funkelte ihn wütend an.

„Spar’s dir“, war mein einziges Kommentar dazu, bevor ich mich wieder meiner Zigarette widmete. Ich konnte es nicht glauben. Hinter meinem Rücken hatten sie dich einfach ersetzt und wollten nun so weitermachen, als wäre nie etwas gewesen.
 

Sie wollten einfach weitermachen… Wie soll das funktionieren? Wie sollen wir Gazette weiterführen, ohne deine Stimme? Ohne dich? Das ist nicht möglich.

Wir werden nie wieder zu dem werden, was wir mal waren. Und obwohl der Gedanke schmerzhaft war, so wusste ich doch, dass es die Wahrheit war.
 

Die Fans würden keinen Ersatz akzeptieren und ich konnte es auch nicht. Die Wunde war zu frisch.

Gazette war immer mein großer Traum gewesen – ich liebte die Musik. Die Band hatte mein Leben genauso sehr ausgefüllt, wie du es getan hattest. Aber ich wollte diesen Traum mit dir zusammen leben, nicht alleine.
 

Ich schrieb meine Lieder für dich. Für deine Stimme. Für deine Seele.

Nicht für irgendeinen Ersatz.

Und mir wurde speiübel, als mir klar wurde, dass er bald die Songs singen würde, die für dich bestimmt waren. Allein der Gedanke daran, ließ den Wunsch in mir aufsteigen, meine Gitarre zu nehmen und gegen die Wand zu donnern. Doch am Ende blieb es eben doch nur ein verzweifelter Wunsch, der niemals Gestalt annehmen würde.
 

„Gib ihm doch wenigstens eine Chance“, versuchte Reita es noch einmal. „Seine Stimme wird dir bestimmt gefallen und nett ist er auch.“

Die Zigarette zerbrach, als ich meine Hand mit einem Mal zur Faust ballte. Wie konnte Reita so was nur sagen? Gerade von ihm hätte ich erwartet, dass er meine Meinung teilen würde.

„Als ob es darum geht!“, meinte ich dann, doch es hörte sich eher wie ein aggressives Fauchen an. „Ich scheiß auf den Kerl und seine Stimme. Selbst wenn er gut singen kann, ist er mir egal! Gazette ist nur Gazette, wenn Ruki dabei ist! Er wird immer nur ein billiger Ersatz bleiben, der versucht in Fußstapfen zu treten, die ihm viel zu groß sind!“ Ohne es zu merken war ich immer lauter geworden, aber war mir das zu verübeln?

„Niemand kann Ruki ersetzen. Ruki hat in seinen Lyrics sein Herz ausgeschüttet. Er hat sich die Seele aus dem Leib gebrüllt, wenn er auf der Bühne war. Und dann kommt ihr mit so einem Möchtegern-Sänger daher, der unsere Songs singen soll und überhaupt keine Ahnung davon hat, was sie Ruki bedeutet haben! Und was sie uns bedeuten.“ Ich atmete tief durch, bevor ich ihm noch mehr Gründe an den Kopf knallen würde, die sicher nicht nett formuliert sein würden.

„Dann willst du deinen Traum einfach aufgeben und alles hinschmeißen?“, fragte Reita mich dann beinahe flüsternd.

„Aus meinem Traum bin ich längst erwacht und an verblassten Erinnerungen festhalten tut nur weh.“ Mit diesen Worten ging ich wieder ins Gebäude und ließ ihn einfach stehen.
 

„Uru…“, fing Kai an, aber ich unterbrach ihn.

„Ich steige aus.“
 

„Du kannst nicht einfach so gehen, Kou, wir brauchen dich!“ Seit Stunden schon versuchte Reita mich dazu zu bringen, meinen Entschluss rückgängig zu machen, aber ich ließ seine Worte einfach an mir abprallen.

„Wenn wir dich jetzt auch noch verlieren, hat alles keinen Sinn mehr. Ohne dich geht es einfach nicht!“ Wieder ein Versuch, der mich nur noch wütender machte und meinen Entschluss stärkte.

„Aber ohne Ruki geht es? Gitarristen sind ersetzbar, Reita, Sänger nicht!“ Verstand denn niemand, dass ich einfach nicht mehr konnte? Dass ich komplett ausgebrannt war? Würde ich mit Gazette weiter machen, würde ich früher oder später doch noch unter der Erde landen, das wusste ich. Jeder einzelne Song erinnerte mich an dich. Einige stärker als andere. So stark, dass ich selbst jetzt nicht einmal daran zu denken vermochte, weil es so wehtat.

„Wir wollen Ruki doch nicht ersetzen… und dich auch nicht. Er ist sein… Nachfolger. Sieh es als Neuanfang, das hätte Ruki bestimmt auch gewollt.“, sagte Reita dann.

„Woher willst du das wissen, hat er es dir etwa gesagt?“, fauchte ich aggressiv. Langsam hatte ich wirklich keine Lust mehr zu diskutieren.

„Natürlich hat er das nicht…“, seufzte Reita leise und irgendwie sah er traurig aus. Vielleicht war ich zu hart zu ihm gewesen. Schließlich war ich es, der gerade mit einer Nadel in seine Träume stach und sie zum Platzen brachte.

„Tut mir leid… Aki, versteh ich mich doch. Ich kann einfach nicht mehr. Ich kann… ohne Ruki nicht spielen…“ Es schmerzte so fürchterlich, dass ich manchmal das Gefühl hatte, von Innen zu verbrennen. Allein die Vorstellung wieder etwas zu spielen, war unerträglich.
 

Vielleicht würde ich es irgendwann wieder können. Vielleicht würde ich irgendwann wieder eine Gitarre anfassen können, ohne direkt in Tränen auszubrechen.

Aber zum jetzigen Zeitpunkt war es unmöglich.
 

Mein letztes Lied hatte allein dir gegolten. Nur für dich hatte ich ein letztes Mal gespielt. Und vielleicht war es egoistisch, aber ich wollte, dass niemand mehr mich je spielen hört. Dir allein sollten die letzten Klänge gehören. Ich wollte diese Erinnerung in mir behalten, auch wenn sie mich fast umbrachte.

Als du da gelegen hast, so blass und leblos, hatte ich ein allerletztes Mal Chizuru gespielt. Dieses Lied hatte dir genauso viel bedeutet wie mir. Und nun war es dein Requiem.
 

Reita seufzte und zog meine Aufmerksamkeit somit wieder auf ihn.

„Ich versteh dich“, sagte er leise.

„Auf einmal?“, antwortete ich schnippisch und biss mir im selben Moment auf die Lippe. Das war nicht fair gewesen.

„Ich weiß, dass niemand Ruki ersetzen kann. Aber ich will meine Träume nicht einfach aufgeben. Ich weiß nicht was ich tun soll, wenn es Gazette nicht mehr gibt. Die Band war mein Leben und ich will nicht, dass es vorbei ist. Einfach so.“ Wieder seufzte er, doch diesmal klang es traurig. „Mir fällt es auch schwer ohne Ruki zu spielen. Sehr sogar. Aber mir bleibt keine andere Wahl als es zu akzeptieren und vorwärts zu gehen. Wenn ich ewig trauere, gehe ich irgendwann daran zugrunde. Genau wie du, Kou. Es ist gut den Schmerz rauszulassen, aber man muss auch mit etwas abschließen können.“

„Die Band war auch mein Leben“, fing ich an. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, mich auf die Bühne zu stellen und so zu tun, als wäre nie etwas passiert. Als wäre Ruki noch da.“ Ich seufzte und fuhr mir durch die Haare. „Ich kann es nicht akzeptieren, noch nicht. Die Erinnerung ist zu stark. Ich brauche Zeit, Aki, viel mehr Zeit.“ Mir fehlten die Worte, um zu erklären, wie ich mich fühlte. Doch ich hoffte, dass Reita mich nun endlich verstehen würde. Dass er den Schmerz in mir nach vollziehen konnte, der mich davon abhielt zu leben, anstatt nur zu existieren.

„Ich kann dich nicht umstimmen, oder?“, sagte er dann. Reita kannte mich mittlerweile zu gut. Er wusste, wann er auf Granit biss und wann er mich umstimmen konnte. In dem Fall war es aussichtslos.

Als Antwort schüttelte ich nur den Kopf.

„Nun gut, aber lass dir eins gesagt sein, Kou. Ich gebe nicht so schnell auf und die anderen sicher auch nicht. Wir brauchen dich und ich weiß, dass du uns auch brauchst!“
 

Nun war es also endgültig vorbei, aus meiner Sicht jedenfalls. Sag, hättest du je gedacht, dass sich alles innerhalb weniger Wochen so sehr ändern kann? Ich war schmerzhaft und mit einem lauten Knall aus meinen Träumen erwacht und lag nun schlaflos da, ohne zu wissen, wie es weitergehen würde.
 

Für mich gab es kein Happy End mehr, da war ich mir mehr als sicher.

tag 50

What a way to live my life

I'm hiding from the battles I don't want to fight
 

Was war das passende Wort für das Gefühl, wenn man alles verloren hatte und das Leben einen noch weiter unten sehen wollte? Verzweiflung? Hoffnungslosigkeit? Oder gar Ironie? Nein, das beschrieb es nicht einmal annähernd. Man konnte so viele dramatische Worte dafür finden, aber dieses Gefühl beschreiben zu wollen, war schlichtweg unmöglich. Man musste es selbst spüren.
 

Seit dein Ersatz in der Band war, sah ich Reita kaum noch. Wenn er nicht bei mir hockte, war er in der PSC, um zu proben. Auch wenn ich mich fragte, wer an meiner Stelle spielte. Vermutlich hatten sie bereits einen neuen Gitarristen, weswegen Reita auch nicht mehr versuchte mich umzustimmen.

Irgendwo tat der Gedanke weh. Dass jemand an meiner Stelle bei Gazette sein würde. Der Band, der ich so verdammt viel verdankte. Andererseits, war es den anderen zu verübeln? Sie wollten auch nur ihren Traum leben und nicht aufgeben, wie ich es getan hatte.
 

Doch das schlimmste war die Einsamkeit, vor der ich mich so sehr gefürchtet hatte. Erst jetzt wurde mir klar, wie alleine ich war. Wen hatte ich denn schon, außer die Band? Wer würde bei mir sein, wenn sie auf einer Tour oder im Studio waren? Wer würde mich nachts halten, damit ich nicht an mir selbst zerbrach?

Reita würde nicht ewig bei mir bleiben, egal ob ich mir das wünschte. Er hatte sein eigenes Leben, genau wie ich. Dennoch fiel mir bei dem bloßen Gedanken daran das Atmen mit jeder Sekunde schwerer. War es egoistisch, nicht allein sein zu wollen? Oder war es letzten Endes normal?
 

„Worüber denkst du nach?“, riss mich plötzlich Reitas Stimme aus meinen sinnlosen Überlegungen, die sich ohnehin nur im Kreis drehten.

„Über nichts“, antwortete ich. Ich wollte ihn damit nicht belasten, er musste wegen mir schon genug ertragen.

„Hmm“, machte er nur und setzte sich neben sich. Irgendwie spürte ich, dass ihm etwas auf der Zunge brannte, denn sein Blick wich meinem immer aus und er schien nervös zu sein.

„Worüber denkst du nach?“, stellte ich ihm dann dieselbe Frage, wie er mir.

„Ich glaube ich bin dir genug auf die Nerven gegangen.“ Er brauchte nicht mehr sagen, ich wusste worauf er hinaus wollte. Und wie ich das wusste. „Deshalb gehe ich wieder zu mir, meine Wohnung vermisst mich schon“, lachte er dann etwas, aber mir war überhaupt nicht zum Lachen zumute. Ich war wie gelähmt, alles in mir zog sich schmerzhaft zusammen, als ob jemand seine Faust in mich gerammt hätte und sie nun quälend langsam herumdrehte, bis nichts mehr dort war, wo es sein sollte.
 

Meine Welt stürzte ins Chaos. Ein weiteres Mal.

Jetzt würde ich wirklich alleine sein. Zum ersten Mal seit so langer Zeit. Das, was bis eben noch eine grausame Befürchtung war, wurde plötzlich zur Realität. Beinahe war es schon Ironie. Wäre er geblieben, hätte ich mir darüber keine Gedanken gemacht? Oder war es letztlich so, dass man dann anfing über etwas nachzudenken, wenn man spürte, dass es bald zur Realität werden würde?
 

„Kou? Alles in Ordnung?“ Reita klang besorgt und ich zwang mich dazu, die Gedanken beiseite zu schieben, wenigstens für einen Moment. Er sollte meine Zerrissenheit nicht bemerken.

„Ja... ja... natürlich. Ich… das kam nur unerwartet, aber es ist natürlich okay!“, redete ich mich schnell raus und zu meinem Erstaunen sah es sogar so aus, als würde Reita meiner Lüge glauben.
 

Nichts war okay. Rein gar nichts.

Wie sollte ich es schaffen, ohne Reita an meiner Seite, der so lange meine Stütze war? Der die düsteren Gedanken von mir fernhielt, wenn sie drohten mich aufzufressen?
 

„Du hast von mir bestimmt langsam auch genug, aber ganz los wirst du mich nicht, Kou! Wenn ich Zeit hab, schau ich vorbei, ja?“ Reita lächelte, aber noch immer wollten meine Mundwinkel sich einfach nicht bewegen. Weil meine Stimme versagte, nickte ich lediglich.

Ich hatte nicht genug von ihm. Ich würde niemals genug von ihm haben. Dazu war er mir viel zu wichtig geworden. Versteh mich nicht falsch. Ich liebe dich immer noch genau so sehr wie am Anfang. Er war mir nur als Freund wichtig geworden, sehr wichtig sogar. Reita war die ganze Zeit für mich dagewesen und irgendwie war ich von ihm abhängig geworden.
 

Ich wusste nicht, wie ich ihm das jemals danken sollte.

Kein Dank der Welt reichte dafür aus.
 

Ein letztes Mal schlossen sich Reitas schützende Arme um mich und ich konnte nicht anders, als mich an ihm festzuhalten und zu hoffen, er würde mich nie mehr loslassen und für immer bei mir bleiben.

Was für ein kitschiger, unrealistischer Wunsch.

Doch die Realität kam und mit ihr die Kälte, vor der er mich immer beschützt hatte.
 

„Mach keine Dummheiten, Kou. Ich ruf dich an, okay?“ Sein sanftes Lächeln schien so surreal in dieser von Trümmern übersäten Welt, dass ich für einen Moment vergaß zu atmen.

„Okay“, brachte ich leise hervor.

Dann fiel die Tür hinter Reita ins Schloss.
 

Seicht atmend ließ ich meine Fingerspitzen über das Holz wandern, während mein Blick immer trüber wurde. Die Stille war so drückend, dass ich selbst meinen unregelmäßigen Herzschlag hören konnte. Ich war allein.

Allein in dieser viel zu großen Wohnung, ohne Hoffnung, dass es sich irgendwann wieder ändern könnte.

Warum ausgerechnet jetzt? Wo ich doch gerade dabei war, mich wieder etwas zu erholen. Ich wandelte auf dem schmalen Pfad zwischen dem völligen Absturz und der Hoffnung, irgendwann wieder ein normales Leben führen zu können. Und nun wurde ich zurückgestoßen. Wurde hunderte, nein tausende Schritte zurückgeworfen.
 

Es war, als ob sich ein Schalter in mir umgelegt hatte und für einen kurzen Moment verlor ich tatsächlich den Verstand. Laut aufschluchzend schlug ich immer wieder gegen die Tür, vollkommen außer acht lassend, dass ich mich dabei verletzen könnte. Es war mir egal. Es war mir so verdammt egal.

In meinem blinden Rausch, bekam nicht nur die Tür meinen grenzenlosen Schmerz zu spüren. Alles, was in Reichweite war, wurde dazu missbraucht, mein Herz zu betäuben – irgendwie mit der Trauer fertig zu werden. Jede Scherbe, jeder Splitter, der sich tief in meine Haut bohrte. Einfach alles. Und doch reichte es nicht. Ich konnte all das Leid nicht einfach aus mir herausspülen wie Tränen.
 

Ein letzter Schlag, dann sackte ich hilflos wimmernd auf dem Boden zusammen.

Ich musste ein jämmerliches Bild abgeben, wie ich inmitten all dieser Trümmer saß, die einmal mein Leben gewesen waren und auf ein Wunder wartete, das niemals kommen würde. Wie konnte ich nur zu so einem Wrack werden, nur weil ich alleine war? Wo ich doch die Einsamkeit so sehr geliebt hatte, bevor du in mein Leben getreten warst.
 

Im nächsten Moment musste ich über mich selbst lachen. Gott, wie schwach ich geworden war! Früher hätte ich mich für solche Gedanken selbst geschlagen, aber heute erscheinen sie mir völlig normal. Ich will nicht, dass diese Schwäche ein Teil von mir wird. Ich will einfach nur endlich aus diesem Albtraum erwachen, um da weiter zu machen, wo plötzlich die Zeit für mich stehen geblieben war. War das denn zuviel verlangt?
 

Es würde sich nichts ändern, wenn ich nicht endlich lernen würde, aus diesem Albtraum etwas zu machen, wofür es sich zu leben lohnt. Egal wie schrecklich er auch sein mochte, ich würde niemals aufwachen. Warum also sollte ich mich dem Schmerz hingeben, anstatt zu versuchen ihn wenigstens etwas zu stillen? Die Welt würde sich für mich nicht aufhören zu drehen, damit ich bei dir sein könnte. Ich musste sie selbst anhalten und mir zu meinem Glück verhelfen.
 

Das war ich allen schuldig. Den anderen, mir selbst und vor allem dir.

Ich weiß, dass es hart wird. Dass ich noch viele Rückschläge erleiden werde und noch genau so oft hier sitzen werde, inmitten meiner zerbrochenen Welt und mich fragen würde, wofür ich eigentlich kämpfte.

Aber wenn ich jetzt nicht damit anfangen würde, meine Welt zu flicken, würde in meinen eigenen Tränen ertrinken.
 

Mein Leben war an seinem absoluten Tiefpunkt angekommen und der einzige Weg, den ich jetzt noch gehen konnte, war der nach oben.

epilog

In the morning light I'll start again with open eyes

And I feel alright the pain is gone, I'm still alive
 

Es verging viel Zeit, bevor mein Leben wieder halbwegs geordnet lief. Es war nicht gut, ich war nicht glücklich, aber ein neutrales ‚okay’ reichte mir vollkommen. Ich wusste, dass es nie wieder so werden würde, wie es einmal war und ich hatte mich damit abgefunden.
 

Meine Gitarre hatte ich in all der Zeit nicht mehr angefasst, ich konnte es noch immer nicht. Vielleicht würde ich es nie mehr können, dazu erinnerte mich die Musik zu sehr an dich. Du warst noch immer meine größte Schwachstelle. Der Riss in meiner Fassade.
 

Gazette existiert ohne mich weiter. Sie geben Interviews, Konzerte, nehmen neue Songs auf – ohne mich. Ersetzt hatten sie mich nicht. Sie wollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass ich eines Tages zu ihnen zurückkehren würde. Um ehrlich zu sein würde ich es gerne, doch was brachte ihnen ein Gitarrist, der nicht mehr spielen konnte? Sogar mit deinem Ersatz hatte ich mich mittlerweile abgefunden. Zwar kam er nicht annähernd an das heran, was Gazette ausgemacht hatte, aber seine Stimme war wirklich nicht schlecht.

Ich wünsche mir für sie wirklich, dass sie ihren Traum weiterleben können.
 

Vor ein paar Tagen habe ich Reita gebeten zu mir zu ziehen. Ich wollte nicht länger alleine sein in dieser großen Wohnung, die ohne dich nicht mehr annähernd so schön ist, wie sie es einmal war. Und entgegen meinen Erwartungen hatte er sofort zugestimmt. Ich weiß nicht ob er es tat weil er mich noch immer liebte, oder weil er auch nicht alleine sein wollte. Vielleicht war es beides gewesen, was ihn zu dieser Entscheidung gebracht hatte.
 

Wie mein Leben nun weiter verlaufen wird, ist ein Rätsel, das nur die Zeit lösen kann. Aber zum ersten Mal nach all dieser Zeit habe ich wieder Hoffnung. Ein kleines Licht in der tiefen Dunkelheit, die mich umgibt.
 

Ich werde eine Kerze für dich anzünden, damit auch deine Dunkelheit etwas erhellt wird. Solange, bis wir wieder vereint sind und ich für dich strahlen kann, so wie du für mich gestrahlt hast.
 


 

°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°°
 

Hallo :D!
 

Danke, dass ihr bis hierhin durchgehalten habt. Habe mir mein Gelaber bei jedem Kapitel verkniffen, aber da wir am Ende angelangt sind, gibt’s ein wenig Blabla.

Erst mal danke für die Kommentare und die Favoriteneinträge, habe mich sehr gefreut :).
 

Also~ Mit der FF wollte ich zeigen, was ‚danach’ passiert. Wie das Leben nach so einem Schicksalsschlag aussieht und wie man damit klarkommt, oder eben nicht. In so vielen Storys stirbt jemand, aber was passiert mit denen, die zurückbleiben? Es sollte nicht im Selbstmord enden, auch wenn mein Uruha für eine kurze Zeit genau die Absicht hatte. Ihm sollte klar werden, was das Leben bedeutet.
 

Ich hoffe meine Absicht hinter der Story wurde klar.

Wir lesen uns, irgendwann!
 

Chizuru



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Kommentare zu dieser Fanfic (29)
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Von:  Nerona-chan
2012-01-31T23:13:21+00:00 01.02.2012 00:13
also das mit den kommis is grad nicht ganz so einfach - wenn man seine tastatur kaum erkennt ^^'

sehr mitreißend geschrieben *taschentuch unauffälig verschwinden lass*

Von:  teufelchen_netty
2011-07-17T18:20:52+00:00 17.07.2011 20:20
das schreit fast nach ner nachfolge ff x-x
sehr trauriges, aber gutes ende, denn er bringt sich nicht um.
schade, dass es schon vorbei ist. es war eine wirklich gute ff, mochte sie =)
Von:  Astrido
2011-07-16T12:54:15+00:00 16.07.2011 14:54
tja... und nun ist sie zuende. hat mir gut gefallen.
mich hätte noch interessiert, was uruha denn nun macht, wenn er keine musik macht, denn er hat ja nie wirklich was gelernt als beruf.

ich bin schon auf eine neue story von dir gespannt. darf man sich was wünschen?

lg
mayu
Von:  Shuu_san
2011-07-11T12:39:56+00:00 11.07.2011 14:39
das kapi ist toll,auch wenn es nur sehr kurz ist T.T
das ende höhrt sich für mich doch sehr positiv an.hoffentlich geht es mit ihm wieder berg auf,auch wenn es warscheinlich nicht leicht wird.
aber deine FF find ich wirklich toll ^.^ich hoffe, dass du bald das näächstee kapi hoch stellst :3

Von:  Fili_Oakenshield
2011-07-09T20:22:37+00:00 09.07.2011 22:22
Das Pitel war wie imemr schoen*snif*
Ich hoffe ruha kriegt das mit seinem Leben wieder auf die Reihe und das mit dem Schmerz.
*nick*
Wenn man die Schmerzen selber kennt dann weiß man wie es dem jenigen geht auch wenn es nur eine FF ist!
*nochmal nick*

Ich bin gespannt was ruha machen wird und vorallem ob er wieder zu Gaze geht.

lg Akira.
Von:  Ruha_Ducky
2011-07-09T18:17:25+00:00 09.07.2011 20:17
schöne ff
bin mal gespannt was uruha vor hat um sein leben wieder einigermaßen in den griff zu bekommen
und wie es weiter geht
Von:  Astrido
2011-07-09T16:09:54+00:00 09.07.2011 18:09
das hört sich ja eigentlich recht positiv an. ich bin gespannt, was er jetzt machen will.
wieso zieht reita eig wieder aus, wenn er uruha liebt? will er da nicht lieber bei ihm sein?

lg
mayu
Von:  Astrido
2011-07-05T21:17:45+00:00 05.07.2011 23:17
einerseits kann ich verstehen, dass uruha nich weitermachen will, andererseits mit der musik aufhören muss ja nicht komplett sein, es gibt doch auch "backstage" soviel zu tun, da muss er seine lieder noch nich mal hören, wenn er es zu ner anderen band macht^^
oder ne neue band gründen.
aber es scheint, als ob es für uruha zumindest etwas bergauf geht! für reita hingehen wohl eher nicht..*patt*
lg
mayu
Von:  Fili_Oakenshield
2011-07-04T09:24:52+00:00 04.07.2011 11:24
*traenen weg wisch*
Uhhh das ist so traurig Q__Q
Aber an Kou's stelle koennt ich auch nicht weiter machen mit der Band. .
Da versteh ich ihn sogar. .
Einen Saenger kann man nicht ersetzen denn die Lieder waeren dann nie mehr das was sie mal waren aber die anderen koennte man locker ersetzen
*nick nick*


Von:  Astrido
2011-06-30T07:02:08+00:00 30.06.2011 09:02
schön, dass uruha überlebt hat!

das mit reita war irgendwie nich überraschend und auch etwas klischeehaft^^ aber is bin gespannt, was du draus machst.
lg
mayu


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