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Hundertzwanzig

von

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66. Suicide – Selbstmord

(...ich habe 120 Begriffe, und der erste, den ich bearbeite, ist "Selbstmord"? Was bin ich doch für eine positiv eingestellte Person.)
 

66. Suicide – Selbstmord
 

Das Gras unter Toris' Füßen war trocken und federte leicht. Seine Kleider waren bereits durchgeschwitzt. Das grobe Hemd scheuerte über eine frische Wunde an seinem Rücken. Er hätte dem Schwerthieb ausweichen sollen, dachte er, aber Gilbert hatte ihn erwischt. Sein eigenes Schwert hatte er verloren, also war ihm nichts anderes übrig geblieben, als zu fliehen.

„Bleib stehen, Heide! Ich kriege dich sowieso!“

Das Land stieg an. Toris kannte sich hier nicht mehr aus, außerhalb des dichten Waldes. Atemlos kämpfte er sich eine Anhöhe hinauf, von der er glaube, sie gehöre zu einem Berg. Er erkannte seinen Irrtum erst, als er oben ankam und abrupt anhalten musste. Vor ihm fiel eine steile Klippe ab, mindestens sechs Meter in die Tiefe. Es ging nicht weiter.

„Da bist du ja, Heide! Hab ich dich!“

Gilberts meckerndes Lachen drang durch die Luft, die von Rauchschwaden durchzogen war. Toris atmete schwer und versuchte, den Schmerz in seinem Rücken zu ignorieren. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Gilberts Leute hatten das Dorf verwüstet, die Felder angezündet und Toris selbst in die Enge getrieben. Er überlegte kurz, ob er an der Klippe entlang laufen sollte, doch es hatte keinen Sinn. Er saß in der Klemme. Langsam drehte er sich um.

Gilbert tauchte vor ihm auf. Das weiße Banner mit dem pechschwarzen Kreuz seines Ordens wehte hinter ihm im Wind. Er hielt sein Schwert in der Hand, als hätte er nie etwas anderes getan, als zu kämpfen – dabei war er noch ein Kind, nicht älter als Toris selbst. Sein breites Grinsen entblößte seine fehlenden Milchzähne vorne.

„Wusste ich's doch, dass ich dich irgendwann kriege, Heide! Und jetzt ergibst du dich besser. Du kannst sowieso nicht mehr weg hier!“

Er lachte laut auf und Toris wusste, dass er Recht hatte. Zitternd wich er einen Schritt zurück. Ihm blieb keine Wahl, als sich Gilbert zu ergeben oder zu springen.

Springen.

Sehr langsam drehte er sich wieder um und sah hinunter. Ihm wurde schwindelig und er taumelte leicht. Noch immer hörte er Gilberts Lachen hinter sich. Ein spöttisches, verbittertes Lächeln zog über Toris' Gesicht. Er würde sich nicht ergeben. Niemals. Mit zitternden Händen griff er nach den magischen Steinen und Talismanen um seinen Hals und drückte sie.

Mögen die Götter mir Kraft geben...

„Dreh dich um!“, höhnte Gilbert hinter ihm. „Komm schon!“

Toris schloss die Augen und sprang. Gilberts Lachen brach in einem verwirrten Keuchen ab. Dann wurde es still.
 

„...ej. Eeeej! Wach auf da!“

Etwas stieß in seine Seite. Verwirrt öffnete Toris die Augen. Er fühlte sich, als habe er sich gerade alle Knochen gebrochen. Jemand beugte sich über ihn, ein Junge mit dünnen, blonden Haaren und einem kurzen Cape mit Pelzbesatz. Er hatte besorgt die Stirn gerunzelt.

„Was hast du dir denn dabei gedacht, hä? Du hättest total tot sein können! Ist doch Selbstmord, da runter zu springen, aber totalnie!“

Toris wollte etwas sagen, aber er konnte nicht sprechen. Er hatte Angst, sich zu bewegen. Sicher würden die dumpfen Schmerzen in seinem ganzen Körper nicht gerade schwächer werden, wenn er sich rührte.

„Ich kann voll nicht verstehen, was du dir dabei gedacht hast!“, fuhr der Junge fort, der offenbar keine Antwort erwartete, sondern sich damit begnügte, vor sich hin zu lamentieren. Er schnaufte und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Du bist unsterblich, hast du das vergessen? Wie kommt man da auf die Idee, sich umzubringen? Also wirklich! Und außerdem, wer hat dir erlaubt, auf meinem Gebiet Selbstmord zu begehen? Hä? Ich jedenfalls nicht! Also wenn du...“

„He!“, rief eine Stimme aus dem Hintergrund und Toris zuckte zusammen. Also verfolgte Gilbert ihn immer noch? Instinktiv versuchte er, sich aufzurichten, aber Schmerzen zuckten durch seinen Körper und er gab mit einem Wimmern auf.

„Jetzt bist du aber total verrückt“, murrte der Junge vor ihm. „Bleib gefälligst liegen, ja?“

Toris' Herz schlug ihm bis zum Hals. Er hätte dem Jungen gern erklärt, dass er nicht bleiben konnte, aber dieser stand wortlos auf und wandte das Gesicht Gilbert zu, der irgendwo hinter Toris stehen musste.

„Hey, du. Der da auf dem Boden gehört mir.“

„Eeej, wie soll er dir gehören? Er ist doch kein Gegenstand.“

Gilbert lachte auf. „Du hast keine Ahnung, wer das ist, oder?“

„Nee“, gab der Junge unverblümt zu. „Wer denn?“

„So ein gemeingefährlicher Heide.“

Toris versuchte erneut, sich aufzurichten, aber er konnte sich nicht bewegen. Der Junge schwieg einen Augenblick lang, bevor er unbeeindruckt fortfuhr.

„Das hier ist mein Gebiet, klar? Hier werden keine Heiden umgebracht ohne meine Erlaubnis. Totalnie.“

„Dein Gebiet?“, echote Gilbert. „Wer bist du denn, bitteschön?“

Toris hörte das Lachen des Jungen hinter sich. „Du darfst mich Lord Polska nenne. König von Osteuropa!“

110. Annex – annektieren

(Klar konnte ich bei "Annex" nicht anders, als das im militärischen Sinne zu deuten, wenn ich schonmal bei Hetalia bin.)
 

110. Annex – annektieren
 

Ich hatte in Wien bleiben wollen. Ich hatte den Tag mit einem Kaffee in dem kleinen Café an der Straße beginnen wollen. Ich hatte Mittags das Fenster aufstoßen, meine Geige nehmen und drauflos spielen wollen, und mir ein leichtes Lächeln erlauben, wenn irgendein Passant draußen seine Anerkennung aussprach. Ich hatte in der Dämmerung durch die Straßen schlendern und den Tauben zusehen wollen, wie ich es immer getan hatte. Ich hatte mitten in der Nacht meiner Schlaflosigkeit entkommen wollen, indem ich mich an den Flügel setzte und meinen düstersten Bach in die Tasten hämmerte.

Ich hatte in Wien bleiben wollen.
 

„Was ist das?“, fragte Ludwig mit gerunzelter Stirn und deutete auf den kleinen Koffer in meiner Hand.

„Meine Geige.“

Er schnaubte. „Aber dein Klavier hast du nicht mitgenommen, oder?“

„Erstens, Bub, ist es ein Flügel, und zweitens – sehe ich so aus?“

„Du siehst aus wie jemand, der mit dem Gedanken gespielt hat, ja.“

Ich zog es vor, nichts dazu zu sagen. Stattdessen stellte ich den großen Koffer auf dem Bett ab und legte den kleineren mit der Geige behutsam auf eine Kommode, die neben der Tür stand. Zumindest ein wenig Geschmack hatte Ludwig bei der Einrichtung bewiesen, wenn der Raum auch sonst eher spartanisch aussah.

„Wann gibt es Abendessen?“

„Du kannst dir in der Küche ein Brot machen, wenn du Hunger bekommst.“

Ich drehte mich zu ihm um und warf ihm einen langen Blick über meine Brille hinweg zu. Es schien ihn wütend zu machen, weil er ein wenig blasser wurde. Ich kenne Ludwig seit seiner frühesten Kindheit. Ich weiß, wie er wütend wird.

„Sieh mich nicht so an!“

„Wie denn, Bub?“, fragte ich und wandte ihm wieder den Rücken zu. Er interessierte mich nicht weiter. Sollte er doch gehen und mich in Ruhe auspacken lassen. Dummer, unzivilisierter Klotz, der er noch immer war und immer sein würde. Kein gemeinsames Abendessen, also wirklich.

Ich hörte seine Schritte hinter mir und im nächsten Moment packte er mich grob an der Schulter. Wütend fuhr ich herum und schüttelte seine Hand ab. „Fass mich nicht an, Saupreiß!“

„Hör auf, mich so geringschätzig zu behandeln“, knurrte Ludwig, ließ aber seine Hände bei sich. „Ich bin hier der Herr im Haus.“

„Das weiß ich“, erwiderte ich kühl. „Deswegen wollte ich auch nie hierher ziehen.“

„Aber ich wollte es, und deswegen musstest du es tun.“

In seinem Blick lag eine unglaubliche Genugtuung, die ich überhaupt nicht an ihm kannte. Ich zog die Augenbrauen hoch. Er hatte sich verändert, seitdem ich ihn vor ein paar Jahren zuletzt gesehen hatte, und es war nicht zu seinem Besten gewesen.

„Dir macht das hier Spaß, gell?“

„Was?“, fragte Ludwig, ohne eine Miene zu verziehen.

„Dass du glaubst, mir Befehle erteilen zu können. Aber du wirst dich noch wundern, Bub.“ Mit einem schwachen Lächeln schüttelte ich den Kopf. „Du wirst dich noch sehr wundern.“

„Hör auf, mich Bub zu nennen! Ich bin kein Kind mehr, Roderich!“

„Ich bin alt“, erwiderte ich schlicht. „Auch wenn man es mir nicht ansieht. Für mich wirst du immer ein kleiner Bub bleiben.“

„Das ist Unsinn“, sagte Ludwig und schüttelte den Kopf. „Du willst dir nur nicht eingestehen, dass ich dir längst über den Kopf gewachsen bin.“

„Das bist du nicht.“

„Oh doch, das bin ich“, sagte Ludwig gefährlich leise. „Und du gewöhnst dich besser daran.“

Aus irgendeinem Grund stieg Angst in mir auf. Vielleicht, weil ich Angst vor Ludwig hatte. Vielleicht eher, weil ich Angst um den lieben kleinen Buben hatte, der er einmal gewesen war und jetzt offensichtlich nicht mehr war.

„Richte dich ein“, sagte Ludwig in einem Ton, als habe er unser stummes Kräftemessen gewonnen, und drehte sich um. „Du wirst eine ganze Weile hier bleiben, also mach es dir bequem.“

Ich weiß nicht, wieso ich plötzlich auf ihn losging. Es war eine völlig verzweifelte Aktion, ein letztes Aufbäumen. Ich wollte nicht wahrhaben, dass Ludwig größer und mächtiger geworden war als ich. Ich wollte nicht wahrhaben, dass etwas Böses in ihm gewachsen war, etwas, das weder ich noch er selbst beeinflussen konnten. Ich wollte ihn nicht an dieses Böse verlieren.

Also ging ich auf ihn los, schlug mit den Fäusten auf seinen Rücken ein und auf alles, was ich sonst noch treffen konnte. Nur eine Schrecksekunde lang war er wie gelähmt, dann begann er, sich zu wehren. Wir rangen miteinander, wir kämpften ohne Waffen, mit nichts als unserer Körperkraft. Eine Faust traf mein Kinn und meine Brille flog beiseite. Bevor ich zu Atem kommen konnte, lag ich auf dem Boden und er drückte meine Handgelenke auf die hölzernen Dielen.

„Was sollte das?“, brachte er zwischen den Zähnen hervor. Ich konnte nicht antworten, lag auf dem Rücken und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Ich wusste selbst nicht, was ich mit meinem Angriff bezweckt hatte. Vielleicht hatte ich nur für Klarheit sorgen wollen, wer von uns beiden nun der Stärkere war.

Diese Klarheit hatte ich bekommen.

86. Seeing Red – Rot sehen

Geschichtliche Anspielung, Farbensymbolik. Vielleicht hätte ich den Begriff nicht ganz so wörtlich nehmen sollen...?
 

86. Seeing Red – Rot sehen
 

Raivis öffnete morgens die Augen und seine Zimmerdecke war rot. Das war seltsam, dachte er überrascht. Seine Decke war immer irgendwie beige-weiß gewesen. Dennoch machte er sich darüber noch keine so großen Sorgen.

Er stand auf, ging in die Küche und füllte eine Schüssel mit Haferflocken. Rote Haferflocken. Er übergoss sie mit einem Schwall roter Milch aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Tisch. Während er bedächtig kaute, überlegte er, was mit ihm los war. Vielleicht waren seine Augen nicht in Ordnung. Vielleicht sollte er zum Arzt gehen.

Nachdem er seine roten Haferflocken gegessen hatte, stand er auf und stellte die mittlerweile ebenfalls rote Schüssel auf die rote Spüle. Die Blumen auf der Fensterbank könnten wieder Wasser gebrauchen. Er drehte den Wasserhahn auf und füllte ein Glas mit rotem Wasser. Die Blumen waren ebenfalls rot, dabei waren es Veilchen. Besorgt sah Raivis zu, wie das Wasser in der roten Erde versickerte. Irgendetwas ging hier vor. Und es war sicher nichts Gutes.

Plötzlich fror er, obwohl er sich nicht erklären konnte, wieso. Er ging in den Flur und griff zum Telefon. Resignierend stellte er fest, dass es ebenfalls rot war.

Nach dem vierten Tuten meldete sich Toris am anderen Ende der Leitung. „Ja?“

Sveiki“, sagte Raivis.

„Raivis! Was gibt es?“

„Ich sehe alles rot.“

Toris schwieg einen Moment lang verwirrt. „Was meinst du?“

„Na, alles ist rot“, wiederholte Raivis und begann, aufzuzählen. „Das Telefon, die Schnur vom Telefon, die Kommode, meine Jacke, die Wände, der...“

Er hatte der Spiegel sagen wollen, aber eigentlich war der Spiegel selbst nicht rot. Dafür war es alles, was er spiegelte. Die Wand, der Teppich auf dem Boden, der Hörer, den Raivis in der Hand hielt. Und natürlich Raivis selbst.

„Vielleicht bist du krank“, sagte Toris besorgt. „Vielleicht ist es etwas mit deinen Augen, Raivis.“

„Hab ich auch schon gedacht“, murmelte Raivis und warf einen Blick aus dem Fenster. Draußen fuhr ein rotes Auto auf der roten Straße durch die rote Landschaft. Es kam schnell näher.

„Oder vielleicht geht etwas bei dir vor, von dem du noch nichts weißt, Raivis“, sagte Toris am anderen Ende und klang zunehmend ängstlicher. „Vielleicht ist es eine Vorahnung für irgendetwas.“

„Hmm“, machte Raivis nur. Das rote Auto hatte angehalten und Ivan stieg aus. Er trug einen roten Mantel und eine große, rote Flagge über der Schulter. Als er Raivis sah, winkte er fröhlich. Danach machte er sich mit seiner Flagge auf den Weg ums Haus herum. Sicher kam er zur Tür, dachte Raivis.

„Vielleicht wird bald etwas passieren“, sagte Toris angespannt.

„Ja“, sagte Raivis und nickte. „Ich weiß auch schon, was.“

Es klingelte an der roten Tür und er legte den roten Hörer auf.

96. In the Storm – Im Sturm

(Vorsicht, Antonio benimmt sich grenzdebil und Arthur ist kein Gentleman, was den gängigen Interpretationen der Figuren wohl in Teilen widerspricht. Eine Armada-Geschichte, weil ich zu viel "Fluch der Karibik" gesehen habe.)
 

96. In the Storm – Im Sturm
 

Der Regen peitscht auf das Deck. Ich kann kaum noch etwas sehen, weil ich die Augen nicht offen halten kann. Wahrscheinlich sieht es aus, als würde ich weinen. Dabei tue ich das nicht.

„Komm schon, Antonio!“ Arthurs Stimme ist hell. Sie schneidet durch den Wind, durch das Knarren der Takelage und das Brüllen der anderen Männer. Meiner Männer, die versuchen, das Schiff am sinken zu hindern. Seiner Männer, die sich des Sieges schon sicher sind.

„Antonio! Come out, come out, wherever you are!

Arthur steht breitbeinig auf der Reling, klammert sich mit einer Hand an einem Tau fest und drückt sich mit der anderen den Dreispitz mit der schon durchnässten Feder auf den Kopf. Sein Mantel schlägt im Wind um seine Beine. Ich kann sein siegessicheres Grinsen auf diese Entfernung sehen. Ein Glänzen liegt in seinen Augen, das mir nicht gefällt. Er hat Blut geleckt, er wittert Beute. Ich weiß, dass Arthur ein gutes Herz hat, aber wenn er gereizt wird, kann er sehr grausam werden. Und der schlichte Anblick von warmem Blut reicht aus, um diese Grausamkeit zu wecken.

Manchmal könnte ich darüber lachen, wie ähnlich wir uns doch sind. Heute ist mir nicht zum Lachen, als ich mich in den Schutz eines Fasses kauere und hoffe, dass er mich noch nicht entdeckt hat. Er darf mich nicht sehen. Mein Schiff hat schon eine bedenkliche Schlagseite, und dazu kommt der Sturm. Lange werden wir uns nicht mehr halten können, denke ich. Die Männer sind verloren, aber ich werde mich nicht ergeben. Niemals.

„Bastard!“

Ich zucke zusammen, als ich die Stimme höre. Neben mir steckt Romano den Kopf aus einer Luke im Boden. Sein kleines Gesicht ist verheult und er müht sich ab, um auf das Deck zu klettern. Erschrocken greife ich unter seine Ärmchen und ziehe ihn neben mich.

„Romanito? Ich hatte doch gesagt, du sollst unter Deck bleiben!“

„Da ist schon alles voller Wasser, Bastard!“, faucht er mich an und vergräbt das Gesicht in meinem Kragen. Ich bin nass vom Regen, aber seine Kleider triefen förmlich vor Salzwasser. Gut, dass er es zu mir geschafft hat. Bei mir ist er sicher. Ich werde ihn beschützen. Ich werde meinen kleinen Romano vor allem beschützen.

„Antonio!“, erklingt wieder Arthurs Stimme durch den Sturm. „Kommst du bald oder muss ich dich holen?“

Ich versuche, nicht hinzuhören. Stattdessen streiche ich durch Romanos Haare, die vor Nässe an seinem Köpfchen kleben. Er klammert sich an meinem Mantel fest und schluchzt leise in meinen Kragen.

„Nicht weinen, Romanito, mi vida. Es ist doch alles gut.“

„Alles gut?“, schreit er mich an. „Von wegen alles gut! Wir ertrinken hier bald, Bastard, und da soll alles gut sein?“

„Nicht so laut!“, sage ich erschrocken und drücke ihn an mich. Arthur sollte uns nicht hören.

„Wo steckst du?“, höre ich seine Stimme, jetzt von etwas weiter weg. „Wenn du dich ergibst, verspreche ich dir, dass ich dich anständig behandeln werde!“

Ich schnaube nur leise. Anstand liegt im Auge des Betrachters. Romanito schnieft immer noch auf meinem Schoß vor sich hin. Ich streiche über seinen Kopf und liebe ihn so sehr. Es ist wirklich verrückt: Ich sitze im strömenden Regen auf einem sinkenden Schiff, und alles, woran ich denken kann, ist, wie sehr ich dieses verzogene Balg auf meinem Schoß liebe. Ich werde niemals zulassen, dass Romanito Arthur in die Hände fällt oder dass ihm sonst irgendetwas passiert. Niemals.

Ein lautes Krachen erklingt von weiter weg, wie ein Splittern von Holz. Das Schiff neigt sich plötzlich noch ein gutes Stück weiter zur Seite. Beinahe verlieren wir den Halt und rutschen über das Deck, Romanito und ich. Im letzten Moment kann ich nach einem Tau greifen, das an der Reling befestigt ist. Romano gibt einen erschrockenen Laut von sich und klammert sich an meinen Mantel. Das Deck neigt sich immer weiter, stelle ich verbissen fest. Das Schiff muss bald auf der Seite liegen.

„Komm endlich raus, Antonio!“, ruft Arthur von seinem Schiff aus. Er klingt ungeduldig. „Komm schon!“

Ich muss mich zeigen, es gibt keine andere Möglichkeit mehr. Das Deck neigt sich immer weiter und wird bald senkrecht stehen. Zum Glück sind Romano und ich an der oberen Seite, die untere hängt schon im Wasser. Unter einiger Anstrengung stemme ich die Füße gegen die hölzernen Planken, das Tau fest um den einen Arm geschlungen, während ich mit dem anderen Romano an mich drücke. Es dauert einige Zeit und kostet einige Kraft, aber ich schaffe es, uns beide auf die Reling zu hieven. Nach einigen bangen Momenten sitze ich halbwegs sicher oben, Romano an mich gedrückt. Der Wind lässt uns beide in unseren nassen Kleidern zittern.

„Ich wusste nicht, dass du noch jemanden bei dir hast, Antonio.“

Arthur steht nur ein paar Meter weiter auf seinem Schiff, die Arme verschränkt. Er sieht überrascht aus, aber nach einer Weile legt sich ein Grinsen auf sein Gesicht. „Du kannst herüber kommen“, sagt er. „Dann passiert dir und dem Kleinen nichts.“

Zitternd sehe ich hinunter zu Romano, der sich die Ohren zu hält. „Hab keine Angst“, flüstere ich, obwohl er mich wahrscheinlich nicht hört. „Es wird alles gut.“

„Also?“, fragt Arthur. „Ergibst du dich?“

Ich werde nicht zulassen, dass er oder irgendetwas meinem Romanito ein Haar krümmt. Solange Romano bei mir ist, ist er sicher. Das Wasser unter uns wirft hohe Wellen und schäumt um den Schiffsbug.

Arthur klingt schon beinahe resignierend. „Wenn du den Kleinen retten willst, komm her. Ich weiß, dass du ein guter Schwimmer bist, aber mit dem Kleinen hast du keine Chance.“

Ich hebe den Kopf und lächle Arthur an. Er runzelt leicht irritiert die Stirn. Romano auf meinem Schoß zieht die Nase hoch und klammert sich an mir fest. Wahrscheinlich hat Arthur Recht mit dem, was er sagt, dass ich mit Romano keine Chance habe, zu schwimmen. Romano ist wasserscheu, er hat nie schwimmen gelernt. Ich muss das tun, was am Besten für ihn ist, denke ich. Egal, was mein Stolz dazu sagt. Es ist alles egal, wenn nur meinem kleinen Romano nichts passiert.

Schwankend stehe ich auf. Das Holz ist nass und glitschig unter meinen Stiefeln. Arthur zieht die Augenbrauen hoch. „Na endlich. Kommst du zur Vernunft?“

Romanito beschützen. Ich muss meinen Romanito beschützen.

„Ja“, antworte ich und höre mein Lachen über das Heulen des Sturms. „Ich komme zur Vernunft.“

Damit drücke ich Romanos Kopf fest an meine Brust und springe.
 

(Und schon wieder springt einer. Uuups.

Inspiriert, wie gesagt, von diesen großartigen Fluch-der-Karibik-Segelschiff-im-Sturm-Szenen. Mir persönlich gefällt das "Come out, come out, wherever you are!" ausgezeichnet. Zu diesem Kapitel wird es wahrscheinlich noch einen zweiten Teil geben, aber an dem beiße ich mir gerade die Zähne aus, das kann also dauern.)

16. Caged – eingesperrt

16. Caged – eingesperrt
 

„Ich fasse es nicht, Bastard! Ich fasse es wirklich nicht!“

„Romano.“

„Du kannst nicht bei ihm bleiben! Sei pazzo? Bist du wahnsinnig geworden?“

„Romano.“

„Nein! Du wirst mit mir kommen, aber sofort! Ich lasse dich nicht hier!“

„Romano“, sagte Feliciano müde, zum mindestens zehnten Mal in Romanos gestenreichen Wortschwall hinein. „Ich werde bleiben.“

Romano draußen vor dem Fenster verstummte, wenn auch wahrscheinlich nur, weil ihm die Worte ausgegangen waren. „Wieso?“, flüsterte er. „Wieso zum Teufel willst du bleiben?“

„Ich kann gar nicht anders, oder? Das Fenster ist vergittert, fratello, und die Tür ist zu.“

„Ich reiße das Gitter raus!“, erwiderte Romano fest entschlossen und griff nach den metallenen Stäben, die sie trennten. „Ich werde diesem Kartoffel-Bastard schon beibringen, dass er dich nicht einfach einsperren und für sich behalten kann!“

Feliciano, der drinnen auf der Fensterbank hockte, senkte den Blick. „Ich kann nicht mit dir gehen, fratellino“, murmelte er. „Das weißt du doch.“

Selbst in dem schwachen Mondlicht konnte er Romanos wütendes Gesicht erkennen. Langsam verschwand die Wut und machte Hilflosigkeit Platz.

„Aber du kannst nicht bleiben. Er darf dich nicht einfach einsperren, das darf er einfach nicht! Wir haben uns entschieden, oder? Wir haben uns gemeinsam entschieden, ihn zu verlassen! Wieso kommst du nicht mit mir? Begreifst du nicht, dass er dir Unrecht tut, Feliciano?“

Es war selten, dass Romano ihn mit seinem Namen ansprach und nicht mit irgendwelchen Schimpfwörtern. Feliciano stiegen die Tränen in die Augen, als er es hörte. Er schniefte und wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab.

„Ich kann nicht“, flüsterte er. „Ich habe Angst, fratellino. Du weißt doch, dass ich nicht so ein ganz mutiges Kerlchen bin.“

„Diesmal musst du dich zusammenreißen!“ Romanos Hände, die sich um die Gitterstäbe klammerten, zitterten. „Er schläft gerade. Ich knacke das Gitter, und bevor er es merkt, sind wir weg!“

„Ich kann nicht hinaus“, flüsterte Feliciano. „Es ist nicht das Gitter, das mich einsperrt, fratello.“

„Was denn dann?“, zischte Romano. „Sag mir, was es ist, und ich schaffe es aus dem Weg!“

Feliciano hob den Kopf. Als er Romano anlächelte, glänzten Tränen in seinen Augen. „Es ist meine Angst, fratello“, murmelte er. „Ich bin eingesperrt in mir selbst.“
 

(Sei pazzo? -> Bist du wahnsinnig? Wenn ihr das Italienische nicht versteht, lest einfach weiter, er wiederholt es bestimmt nochmal auf Deutsch. Da könnt ihr bei mir immer nach gehen.

Wuuuh, einfallslose Pointe of Doom! Die Situation spielt übrigens zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Nazis halten Norditalien noch, während Süditalien schon auf, auf und davon ist.)

49. Stripes – Streifen

(Teil eins von zweien. Zu "Streifen" fiel mir auf Anhieb nicht viel ein, also habe ich es gleich abgearbeitet. Moment... das ergibt wenig Sinn.)
 

49. Stripes – Streifen
 

Arthur hatte heute keine Zeit für Alfred, so viel hatte Alfred verstanden. Wobei Arthur natürlich gesagt hatte, er habe keine Zeit für seine beiden kleinen Brüder. Aber Matthew zählte nicht richtig, dachte Alfred geringschätzig. Matthew war still und langweilig und trug eine Brille. Matthew sprach durch die Nase, wenn er denn überhaupt einmal sprach. Matthew war adoptiert.

„Von mir aus malt etwas, bis ich wieder da bin“, hatte Arthur gesagt und ihnen die Fingerfarben auf den Küchentisch gestellt. Danach war er gegangen. Alfred fühlte sich schon viel zu alt, um mit Fingerfarben zu malen, aber er beschloss, sich um Matthews Willen darauf einzulassen. Er selbst war lieber draußen, mit seinem Steckenpferd und seinem Gewehr aus Holz, aber Matthew waren seine Spiele zu wild. Und da Alfred ein Held war, beschloss er, seinen Bruder beim Malen Gesellschaft zu leisten.

„Was malst du?“, fragte er geschäftlich und betrachtete die Farbtöpfe auf dem Tisch. Gelb, grün, rot, blau.

„Einen Fisch“, erwiderte Matthew leise und griff nach dem Grün.

Alfred legte den Kopf schief. „Ich male Streifen“, entschied er und öffnete den roten Farbtopf.

„Nur Streifen?“

„Wieso denn nicht?“

Matthew sagte nichts darauf. Einige Minuten lang waren sie stumm mit Malen beschäftigt. Alfred bedeckte sein weißes Papier mit breiten, roten Querstreifen. Es sah gut aus, entschied er. Natürlich. Er hatte wieder das Werk eines Helden vollbracht.

„Alfred!“, sagte Matthew.

„Was?“

„Kann ich jetzt auch mal das Rot haben?“

„Klar! Brauchst nur zu fragen!“

„Ich habe schon fünfmal gefragt“, erwiderte Matthew weinerlich.

„Dann musst du mal lauter sprechen, Mattie“, entschied Alfred und fuhr mit den Fingern über einen letzten Streifen. „Ich bin gleich fertig.“

„Ich warte aber schon so lange...“

„Echt?“

„Ich habe schon so oft gefragt, Alfred! Du hast es schon die ganze Zeit!“

„Du hast nicht gefragt“, sagte Alfred entschieden. „Jedenfalls habe ich nichts gehört.“

„Du hast mich ignoriert!“

„Oh, Mattie! Ich weiß schon, dass du mich nicht leiden kannst!“

„Du ignorierst mich immer!“, quietschte Matthew. Er fing immer an zu quietschen, sobald er sich aufregte.

„Jetzt bleib mal auf dem Teppich“, verlangte Alfred und schob den roten Farbtopf zu ihm hinüber. „Dann nimm eben... ups.“

Matthew quietschte erneut auf, als ein kleiner Schwall roter Farbe auf seinen Fisch tropfte. „Du hast es kaputt gemacht!“

„Sorry“, sagte Alfred. „War keine Absicht.“

„Wieso hast du meinen Fisch kaputt gemacht?“

„Ich dachte, du wolltest das Rot haben!“

Matthew starrte ihn einen Moment lang an. Er schien wütend zu sein, dachte Alfred überrascht. Dabei wurde Matthew kaum jemals wütend.

„Mattie? Was hast du... hey, lass das!“

Wütend ließ Alfred die rote Farbe los und griff nach Matthews Arm. Matthew hatte die Finger in Alfreds Papier gekrallt. In sein Bild mit den schönen Streifen.

„Du hast mein Bild kaputt gemacht!“

„Mattie!“, schrie Alfred und griff nach der anderen Hälfte des Papiers. „Lass das, sofort!“

„Du hast...“

„Lass es LOS, Mattie!“

Es gab ein reißendes Geräusch und Alfred zuckte zusammen. Matthew verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten, ein zerknittertes Stück Papier in den Händen. Die noch feuchte Farbe hatte seine Finger verschmiert.

Einen Moment lang blieben sie reglos, wo sie waren. Alfred starrte sein Blatt an, sein schönes Blatt mit den roten Streifen, dem jetzt eine Ecke fehlte.

„Alfred?“, fragte Matthew unsicher und zog die Nase hoch. „Das... das wollte ich nicht.“

Alfred zitterte leicht. Er fuhr herum, sein Bild in den Händen, und rannte hinaus.



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von: abgemeldet
2011-09-07T21:33:55+00:00 07.09.2011 23:33
Wirklich eine tolle FF.
Ich war erst irgendwie ein wenig "Wow, war das jetzt episch oder nicht?!" ... aber jaaa, es war episch!
Ich bin im Zwiespalt, ob Antonio wirklich springen sollte, aber es wäre ebenso schlecht, wenn er mitginge. Gibt natürlich Dramatik-Pluspunkte fürs Springen.

Ich mag "Bad Ends". Die sind auch oft viel realistischer.

Jedenfalls finde ich es auch super, wie die Stimmung an Bord rüberkommt mit dem Sturm und dem Regen. Ich konnte mich sehr gut in die Sache hineinversetzen (in letzter Zeit zu viel Hetalia Piraten RPG gehabt und Fluch der Karibik hab ich auch geschaut ;D)
War also voll in meinem Element.

Lesenswerter One Shot!
Von:  Sunday
2011-04-22T13:32:26+00:00 22.04.2011 15:32
okay auch ein kommi-faules ding wie ich muss mal was gutes tun und ich hab ja schon ein paar deiner fics gelesen, also dachte ich mir, raff ich mich mal auf und kommentier auch mal was |D
*hüstel*
nu, ich bin grundsätzlich ein großer fan von england und spanien als piraten und klein-romano mit dabei macht das ganz gleich noch viel lesenswerter für mich~ :3
ich finde auch, dass das verhalten der charaktere bei dir sehr stimmig und absolut in-character ist. arthur war zu dem zeitpunkt alles andere als ein gentleman und ich kann auch antonios 'grenzdebiles' verhalten irgendwie nachvollziehen... lieber tötet man seinen liebsten selber, als zuzulassen, dass irgendjemand anderes ihm wehtut... zumindest denke ich, dass antonio so denkt ._.''
(...sry, wenn ich anfange sinnloses zeug zu labern |D)
ich persönlich mag deine interpretation von antonios charakter sehr gerne, vor allem, dass er romano 'mi vida' nennt finde ich unglaublich...niedlich und herzerwärmend ^^

dein schreibstil an sich ist sehr einfach (das ist jetzt nichts schlechtes >.<) und klar und passt meist auch wunderbar zur stimmung, die du erzeugen willst...ich kann schlecht ausdrücken, was ich damit meine, ich hoffe es ist deutlich, dass das ein kompliment war xDD
*deinen stil sehr gerne mag* :3

die szene aus fluch der karibik finde ich auch unglaublich passend zu dieser FF~ wie gesagt ich steh auf piraten-england und -spanien *_*

nya, ich glaub ich hab genug gesagt, ich bin sehr gespannt, was sonst noch an FFs von dir kommt :3
*jetzt aber mal weiter deine FF-galerie stalken geh*


Liebe Grüße~ :3
Sunday~





Von:  Gokiburi
2011-04-20T20:30:06+00:00 20.04.2011 22:30
Ich kenne die Stelle aus Fluch der Karibik zwar nicht, aber sie klingt cool xD !

Gott!
Wieso musst du (fast) immer alles und jeden sterben lassen ?! xD

Schrecklich...Der arme Romanito wird unschuldig in den Tod mitgerissen..

Aber Ertrinkungstod (heißt das so xD ?) ist einer der schlimmsten Tode ,die man sterben kann ∑(o_o)
Von:  Gokiburi
2011-04-18T20:28:10+00:00 18.04.2011 22:28
Bäng ! ~

Kommunismus !

Ich würde in soner' Situation einem Herzinfarkt erliegen und niemals so ruhig wie Raivis bleiben.
Der ist so naiv,dass es schon wieder süß ist :3
Von:  Gokiburi
2011-04-10T19:27:00+00:00 10.04.2011 21:27
Roderich ist sehr...hochnäsig...ôÖ

Ja,es ist immer traurig,wenn ich geliebte Menschen zum negativen veränder...

Und irgendwie musste Ich an Adolf Hitler denken...ö.ö

Von:  Gokiburi
2011-04-09T23:38:29+00:00 10.04.2011 01:38
Wooooob ^•^ !
Endlich mal eine neue FF von dir :>

Der Titel kam mir schon sehr bekannt vor :'D
Ich find die Idee mit den Oneshots einerseits toll,
aber sind 120 nicht etwas zu viel ? :o

Also so nicht das du unkreativ wärst oder derartiges..nur ich würde nachdem 2. Kapitel kein Bock mehr haben...¬_¬

Achja..Zurück zur FF !

Bei der Vorstellung von Gilbert mit augefallenen Milchzähnen,muss ich unweigerlich an eine zahnlose Oma mit weißen Haaren denken xD

Aber süß,dass Feliks Toris beschützt,obwohl er ihn nicht einmal kennt :)

Freue mich auf mehr ! °3°


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