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Noblesse

von

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Unliebsame Begegnung

„Ihr solltet jetzt wirklich aufstehen junger Lord, Ihr werdet bereits erwartet.“

Die Stimme des ältlichen Butlers klang unangenehm laut und störend in den Ohren des jungen Mannes. Mit einer unwilligen Geste schirmte er seine empfindlichen Augen gegen die grelle Morgensonne ab und richtete sich halb auf.

„Was gibt’s denn Henry? Was soll der Auftritt?“, fragte er in gewohnt lässigem Ton und schob die nackte Frau von seiner Hüfte.

Peinlich berührt wandte sich der steife Diener des Hauses ab und füllte Wasser in die Waschschüssel.

„Euer Vater erwartet Euch bereits seit etwa einer halben Stunde im Salon. Ihr solltet Euch sputen.“

„Soweit ich mich erinnere, bist du nicht befugt mir Ratschläge zu erteilen.“, antwortete der junge Mann und seine Stimme troff vor Überheblichkeit.

Er hatte sich aus dem Wirrwarr aus weichen Kissen und nackten Körperteilen befreit und trat an die niedrige Kommode.

„Entschuldigt mein anmaßendes Verhalten.“, gab Henry betroffen zurück und postierte sich wie üblich an neben der großen Flügeltür. „Wünscht der Herr seinen grünen Anzug zu tragen?“

Ein verächtlicher Laut floss über die Lippen des Lords.

„Ich entscheide, was ich anziehe.“, antwortete er genervt und ließ den weichen Lappen mit geschickten Bewegungen durch seinen Genitalbereich gleiten. „Ist doch nur mein Vater..“, fügte er murmelnd hinzu und schlüpfte in die schlabbrige Reithose vom Vortag.

„Ein frisches Hemd.“, befahl er seinem Butler und warf anschließend einen Blick in den reich verzierten Spiegel. Ihm gefiel was er sah: schulterlange, schwarz glänzende Haare, hohe Wangenknochen unter mandelförmigen Bernsteinaugen. Die kaffeebraune Haut war glatt und wies keine Unregelmäßigkeiten auf, die vollen Lippen waren geschwungen und weich.

„Bitte Sir.“, sagte der Bedienstete mit belegte Stimme und reichte ihm ein reinweißes, frisch gestärktes Hemd.

Ohne sich zu Bedanken griff der junge Lord nach dem Kleidungsstück und war schon auf halbem Weg zur Tür, als der Butler ihn noch einmal ansprach.

„Verzeiht mein Herr, was geschieht mit Ihren.. Freundinnen?“, er wies mit säuerlicher Miene auf die zwei jungen Damen auf dem Bett. Ihre nackten Brüste waren entblößt und hoben sich in regelmäßigen Atemzügen.

Der junge Mann lachte leise und machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Wecke sie und schick sie nach Hause. Wenn ich zurück bin will ich ein frisches Laken vorfinden.“

Und mit einem süffisanten Lächeln verschwand er durch die Flügeltür in den Flur.
 

„Alexis, du hast mich warten lassen.“ Sein Vater erhob sich und kam mit energischen Schritten auf ihn zu. Seine Stimme hatte einen gereizten Unterton und verriet das Ärgernis über das lange Hinhalten. Seine Kleidung lag zentimetergenau an seinem drahtigen Körper und sein hageres Gesicht wies mehr Falten auf, als bei seinem letzten Besuch.

„Und wie du ausschaust.“, er zog am Kragen des halbherzig sitzenden Hemdes seines Sohns und in seinen Augen blitzte es zornig auf. „Ich habe deine Frechheiten satt junger Mann. Und genau deshalb bin ich hier.“

„Dir auch einen schönen guten Tag Vater.“, antwortete Alexis spöttisch und gähnte demonstrativ.

Mit einer lässigen Bewegung betätigte er das Klingelseil um sich einen Tee bringen zu lassen, sein Vater ließ sich wieder in den hohen Lehnstuhl sinken.

„Ich bin es leid dein unstandesgemäßes Leben zu finanzieren und zuzuschauen, wie du dich weiterhin niederen Gelüsten hingibst und mein Ansehen zugrunde richtest.“

Er warf dem jungen Mann einen zornigen Blick zu, wartete offensichtlich auf eine Antwort. Alexis zog es vor zu schweigen, ein Bediensteter brachte den Tee.

„Seit Jahren tue ich alles, um deinen Sinn für Kunst und Ästhetik zu schulen und dich für Bildung zu begeistern, aber stattdessen treibst du dich nächtelang mit den billigsten Weibern von ganz Gloucester herum, verschläfst die Tage und lässt mein Anwesen verfallen. Dein Anstand und dein Benehmen sind in einem erbarmungswürdigem Zustand und auch dein Auftreten lässt zu wünschen übrig.“ Wieder machte Lysander Count of Gloucestershire eine bedeutungsvolle Pause und blickte seinen Sohn aus unergründlichen Augen an. Dieser nippte abwesend an seinem heißen Getränk und wippte gedankenverloren mit dem Fuß.

„Du bist jetzt 19 Jahre alt und hast noch nichts vollbracht, ich kann mich nicht auf dich verlassen und mittlerweile bist du für deine Unzuverlässigkeit und Vergnügungssucht weitaus bekannter, als für den Namen deiner Familie gut ist. Ich habe deshalb beschlossen, dir wesentlich mehr Disziplin abzuverlangen, als du es bisher gewohnt warst und werde dir zu diesem Zweck, einen besonderen Freund zur Seite stellen.“

Alexis hatte sich nun aufgesetzt und rutschte unwillig auf dem weichen Polster des Stuhles herum. Für einen Moment blitzte Interesse in seinen Augen auf und er schüttelte den Kopf.

„Schickst du mir jetzt wieder so einen alten Möchtegern-Lektor, der mich mit langweiligen Vorträgen längst toter Dichter langweilt?“, fragte er und versuchte das ungute Gefühl in seinem Magen zu ignorieren.

Auf den Lippen seines Vaters erschien ein kaltes Lächeln und er stützte sein Kinn in die gefalteten Hände. „Oh nein mein Sohn, er ist weder alt noch wird er dich langweilen. Er ist ein Geschäftspartner und wird dir ein Vorbild in allen wichtigen Dingen des Lebens sein. Er wird dich lehren, wie sich ein junger Mann deines Alters und Standes zu benehmen hat und dir Disziplin beibringen. Seine Name ist Samuel Leopold Herzog von Thuringia und schon morgen trifft er hier ein.“

Alexis wirkte für einen Moment wie erstarrt, seine goldene Haut sah plötzlich aschfahl und wächsern aus.

„Und warum denkst du, dass ich ihm auch nur einen einzigen Moment meiner geschätzten Aufmerksamkeit schenken werde?“, fragte er und versuchte möglichst gelassen zu klingen.

„Oh, ich bin sicher das wirst du.“, die schmalen Lippen seines Vaters kräuselten sich abermals zu einem Lächeln. „Solltest du dich weigern, mein Sohn, wird dein gesamtes Erbe an die Fürsorge gehen. Es ist alles aufgesetzt, du kannst jederzeit mein Testament auf diese Klausel überprüfen.“

Alexis schnaubte wütend.

„Das wagst du nicht!“, seine Stimme klang weit weniger fest als er gehofft hätte und seine Faust zitterte, als er sie mit Wucht auf die Tischplatte krachen ließ.

„Und wie ich das wage, du kleiner Teufel. Ich bin immer noch der Count of Gloucestershire und mein Wort ist Gesetz. Du wirst dich dieser Maßnahme beugen, sonst wirst du die Konsequenzen schneller zu spüren bekommen, als dir lieb ist.“

Lysander Count of Gloucestershire hatte sich erhoben und zu seiner vollen Größe aufgerichtet. In der Morgensonne warf er einen langen Schatten auf die polierte Tischplatte und die Falten auf seiner Stirn waren von feinen Schweißtröpfchen umgeben.

„Ich habe dir diesen Landsitz übergeben, in der Hoffnung du würdest dein Leben endlich in den Griff bekommen und deine Unsittlichkeiten zügeln, aber stattdessen hast du dich gehen lassen und meinen Namen und den Namen deiner Mutter, mit Scham befleckt. Und nun, Sohn, fordere, nein verlange ich deine Loyalität.“ Er war um den Tisch herumgegangen und beugte sich zu Alexis hinab. „Und ich rate dir, dich meinem Willen zu beugen.“

Damit hatte er das Ende seines Besuches erreicht und mit einem letzten, scharfen Blick seiner Adleraugen ging er Richtung Tür.

„Deine Mutter lässt dir einen Gruß ausrichten.“, fügte er mit versöhnlicher Stimme hinzu, dann fiel die schwere Eichentür ins Schloss.
 

Minutenlang saß Alexis wie gelähmt in seinem Stuhl. Die Worte seines Vater schwirrten noch immer in seinem Kopf umher und so langsam dämmerte dem jungen Lord, dass er die Grenzen eindeutig überschritten hatte. Sein ganzes Leben hatte er im Rausch zugebracht: Wein, Frauen, Tabak und Tanz – nichts hatte er ausgelassen. Seine gesamte Freizeit hatte er der amüsanten Gesellschaft und den niederen Freuden gewidmet, Bildung, Manieren und Selbstbeherrschung waren Fremdwörter gewesen und bis zum heutigen Tag war für ihn völlig klar gewesen, dass sie es auch für den Rest seines Lebens so bleiben würden. Die Drohung seines Vaters hatte ihn wie ein Schlag getroffen und nun suchte Alexis fieberhaft, sich aus dieser misslichen Lage zu befreien.

„Das fehlt mir gerade noch, einen von Vaters Schoßhündchen in meinem Haus zu dulden.“, murmelte er und bemerkte mit Erleichterung, wie seine Lähmung der bekannten Wut und Überheblichkeit platz machte. Er würde nicht klein beigeben und diesem neuen Schnösel einfach zeigen, wer der Stärkere war. Dieser Typ war schließlich nicht der Erste, den er aus seinem Anwesen getilgt hatte, und er würde keinen Eindringling in seine Intimsphäre akzeptieren.

„Henry, ich will ausfahren, macht die Kutsche bereit.“, sagte er launisch und versuchte seine Gedanken mit einer unwilligen Handbewegung zu verscheuchen.

Mit einem Seufzer erhob er sich und ging Richtung Küche.
 

Nachdem er einen kurzen Snack eingenommen und sich einen Picknickkorb hatte packen lassen, stieg Alexis in die geschlossene Kutsche.

Er klopfte drei mal mit dem Knöchel gegen die Außenwand:

„Zum Juwel.“, rief er durch die verdunkelten Fenster und los ging es Richtung Stadt.
 

„Ihr seid der stattlichste junge Mann, den ich je gesehen habe.“, lallte die junge Brünette an seinem Ohr. Ihr Atem war schwer und der Duft, der aus ihrem tiefen Dekolleté strömte, war süß und verlockend. „Wo habt Ihr bloß all die Jahre gesteckt?“, murmelte sie und ließ ihre feuchte Zunge in Alexis' Ohr gleiten.

Mit einer unwilligen Bewegung befreite sich der junge Lord von seiner anhänglichen Begleiterin und beugte sich nach vorn.

Seit Stunden war er nun schon in seinem Lieblingssalon, hatte mit Männern und Frauen gesprochen, mit letzteren geflirtet und sich eigentlich prächtig amüsiert. Aber immer wieder war ihm das Gespräch vom Morgen in den Sinn geschossen, hatte ihn belastet und ihm ein unangenehmes Gefühl im Magen beschert. Nun schien sein Kopf zu schwer für all die Überlegungen und er stütze ihn in seine Hände.

„Was ist mit Euch mein Schöner?“, säuselte die brünette Frau und ließ ihre Finger in sein aufgeknöpftes Hemd gleiten.

„Lass das.“, fauchte Alexis und fischte die behandschuhten Finger von seine Brust.

„Soll ich dich all deine Probleme vergessen lassen, Süßer?“, murmelte die blonde Schönheit auf seiner rechten Seite und versuchte ihre Hand zwischen seine Beine gleiten zu lassen.

„Ich glaube nicht, dass du das kannst.“, antwortete Alexis und seine Stimme troff vor Überheblichkeit und Stolz. Mit einer energischen Bewegung erhob er sich.

„Ebenso wenig wie all die anderen.“, fügte der junge Mann murmelnd hinzu und durchmaß den Raum mit langen Schritten.

„Carl, nach Hause.“, befahl er seinem Kutscher knapp und ließ sich in die harten Sitzpolster fallen. Wütend entkorkte er die Weinflasche aus seinem unangetasteten Picknickkorb und ließ sich den warmen Alkohol durch die Kehle rinnen. Es schmeckte scheußlich billig und milderte seine aufkeimende Wut nicht im mindesten.

„Was soll das eigentlich? Ich bin alt genug um auf mich selbst aufzupassen und brauche niemanden, der mir sagt, wie ich mich zu benehmen habe.“, murmelte er zähneknirschend und nahm einen erneuten Schluck. Sein Vater war schon immer ein besitzergreifender und herrschsüchtiger Mann gewesen, der seinen Kontrollzwang nur schwer unterdrücken konnte. Seine zwanghafte Art alles nach Norm und Vorschrift zu machen war Alexis schon als kleines Kind zuwider gewesen und seine Abneigung war exponentiell zu seinem Alter gestiegen.

„Ich werde mich diesem Irrsinn nicht beugen.“, sagte er entschlossen zu sich selbst und stürzte die Hälfte des Weins in einem Zug hinab. „Ich bin schließlich keine Marionette.“
 

Den Abend verbrachte der junge Lord weitestgehend allein. Nachdem er sich sicher war, dass alle älteren Bediensteten zu Bett gegangen waren, schlenderte er zur Küche und lehnte sich lässig in den Türrahmen.

„Cassandra.“, gurrte er und warf der jungen Frau einen verführerischen Blick unter den dichten Wimpern hervor zu.

Angesprochene schreckte von ihrer Tätigkeit am Backofen hoch und lächelte selig.

„Guten Abend mein Herr.“, antwortete sie mit gesenktem Kopf und wischte ihre feuchten Hände an der weißen Schürze ab.

„In einer halben Stunde erwarte ich dich in meinem Schlafgemach.“, sagte Alexis bestimmt und ohne ihre Antwort abzuwarten verließ die Küche in Richtung Badezimmer.
 

Der nächste Morgen brach viel zu hell über das herrschaftliche Anwesen des jungen Lords herein. Mit einem schweren Kopf vom Wein war Alexis schon früh erwacht und eine seltsame Unruhe hatte ihn ergriffen. Unstet war er durch die langen Flure und Hallen des großen Hauses getigert, die erhoffte Ablenkung blieb jedoch aus. Nach einem langen und ausgiebigen Bad beschloss er nun, seine Angestellte zu wecken.

„Cassandra.“, sagte er laut und die nackte Frau in seinen weichen Kissen schreckte empfindlich nach oben. Ihre blauen Augen waren trotz des grellen Morgenlichts aufgerissen und Alexis las Überraschung in ihnen. „Zieh dich an und verschwinde.“, sagte er kalt und warf seiner Geliebten für diese Nacht ihre Kleidung auf das Bett.

„Sehr wohl.“, antwortete die junge Frau und senkte nun eindeutig beschämt den Kopf. Sie erhob sich, schlüpfte unter Alexis' Arm hindurch und verschwand lautlos.

„Das hasse ich am meisten am Sex.“, seufzte der junge Lord und fuhr sich mit der Hand durch die seidigen Haare.

Sein überheblicher Gesichtsausdruck verschwand auch nicht, als die Glocke der Haustür erklang.

„Shwotime.“, murmelte er amüsiert,überspielte das nagende Gefühl in seiner Magengrube und ließ sich in einen Sessel fallen im angrenzenden Raum fallen. Er würde den Eindringling nicht auch noch willkommen heißen, dessen war er sich sicher.
 

Es dauerte einige quälend lange Minuten, dann klopfte es zaghaft an der Tür seines Salons. Alexis antwortete erst nach dem zweiten Anklopfen. Seine Stimme wirkte gelangweilt und seine lässige Körperhaltung verriet nicht den geringsten Anflug von Respekt.

Sein Hausdiener trat ein, hinter ihm ein hochaufgeschossener Mann im schwarzen Anzug. Seine Gesichtszüge waren streng und wirkten verschlossen.

„Ich hasse dich.“, säuselte Alexis so leise, dass keiner der Ankommenden ihn verstehen konnte, dennoch richtete der Eindringling ruckartig seinen Blick auf den Lord.

„Darf ich vermelden: Samuel Leopold Herzog von Thuringia, Lord Alexis von Gloucestershire.“ Henry verbeugte sich vor beiden gebührend und trat zurück.

„Guten Morgen.“, sagte der Eindringling mit einer angenehm tiefen Stimme mit einem fremden Akzent.

Er wartete einen Moment ob einer Erwiderung seines Gegenübers, dann fuhr er ruhig fort.

„Ich werde Euch in den nächsten Wochen und Monaten in allen wichtigen Dingen unterrichten und anleiten. Euer Vater hat mich gebeten, ganz bei Null anzufangen und um ehrlich zu sein, hätte ich einen jüngeren Schüler erwartet.“ Er strich mit seinen feingliedrigen Fingern durch sein rotes Haar und wartete erneut.

„Dann tut es mir leid, Euch enttäuschen zu müssen.“, entgegnete Alexis ihm mit süffisanter Stimme und erhob sich umständlich.

„Nun, ich hoffe wir werden gut miteinander auskommen Lord Alexis.“, überging Samuel die spöttische Bemerkung des jungen Mannes und beobachtete wachsam die ungelenken Bewegungen.

Alexis ließ sich Zeit mit seiner Antwort, schlich wie eine Katze um den Tisch herum und kam kurz vor dem Älteren zum stehen.

„Ich würde mich nicht darauf verlassen.“, zischte er und seine bernsteinfarbenen Augen blitzten gefährlich auf.

Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und jeder der beiden ungleichen Männer versuchte das unsichtbare Duell zu gewinnen. Dann wandte sich Samuel ab.

„Ich werde nun meine Räumlichkeiten beziehen und erwarte sie später zum Essen im Saal. Ich empfehle mich.“ Seine Stimme klang gelassen und völlig unbeeindruckt, sein Gesichtsausdruck war es auch.

Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, spürte Alexis die anbrandende Wut wie eine Feuersbrunst in sich auflodern. „Wie kann er es wagen?“, brüllte er erbost und trat gegen den eisernen Kerzenleuchter. Polternd fiel das Gestänge zu Boden und kleine Flammen bleckten in den weichen Fasern des Teppichs auf.

„Ich bitte Euch Sir.“, sagte Henry leise und versuchte die Feuerzungen mit dem Schuh zu ersticken.

Kochend vor Wut wandte Alexis sich um und funkelte seinen Bediensteten gnadenlos an:

„Verschwinde du Made.“, schrie er und wischte mit einer wutentbrannten Geste sämtliche Dokumente vom Regal. Henry stand wie angewurzelt, bis sein junger Herr erneut brüllte.

„Ich sagte, du sollst HIER VERSCHWINDEN!“ Der ältliche Diener erwachte aus seiner Trance, zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen und verschwand lautlos.

„Dieser Schnösel, dieses anmaßende Schoßhündchen. Er glaubt wohl, er könnte hier auftauchen und alles tanzt nach seiner Pfeife. Aber ohne mich, OHNE MICH.“ Noch immer tobte es in Alexis wie in einem Vulkan, seine Hände waren feucht vom Schweiß und sein ganzer Körper wurde von Gram und Zorn geschüttelt. Sein sonst so sicheres Auftreten war verschwunden und für einen kurzen Moment fiel seine kalte und spöttische Maske. „Beruhige dich Alexis, bloß keine Schwäche zeigen.“, murmelte er leise und sog scharf die Luft zwischen seine Zähne.

Er zwang sich zur Ruhe und rief sich in Gedanken zur Ordnung: Es nützte nichts, sich wie ein Kind zu benehmen, er musste sich eine Strategie überlegen.

Alexis trat ans Fenster und schaute auf das morgendliche Treiben im Garten. Viele Menschen gingen geschäftig ihrer Arbeit nach, gossen die blühende Pracht der vielen Beete, schnitten den Rasen oder trimmten die Bäume in unnatürlich korrekte Formen. Alexis mochte die Grünanlagen in der unmittelbaren Nähe des Anwesens nicht, nur weiter hinten, wo die Natur die menschliche Genauigkeit überrannte und die Wildnis ihre Herrschaft zurückeroberte, da hielt er sich gerne auf.

Eine Weile erging sich Alexis in der Beobachtung seiner Bediensteten, dann fühlte er die ruhige Ignoranz zu sich zurückkehren.

„Endlich.“, murmelte er und spürte sowohl Atmung als auch Herzschlag wieder gleichmäßiger werden. Er öffnete den breiten Flügel des Fensters und ließ für einen Moment die klare Morgenluft herein, dann wandte er sich um und bedachte das Chaos im Salon mit einem Stirnrunzeln.

Mit einer lässigen Bewegung betätigte er das Klingelseil, dann ordnete er Kleidung und Haare und verließ den Raum.
 

„Cassandra, ich möchte mein Mittagsmahl im Pavillon einnehmen.“, wies Alexis die schüchterne Bedienstete an, überging ihre hoffnungsvollen Blicke. Es war ihm egal, wie sehr sie sich nach einem vertrauten Wort oder einer zärtlichen Geste sehnte, sie war lediglich eine Puppe in seinem eigenen kleinen Theaterstück, und das würde sie auch bleiben.

„Aber my Lord,“, ihre Stimme zitterte leicht. „Ich habe Anweisung für Euch und den Herzog im großen Saal einzudecken.“

Alexis konnte die feinen Schweißperlen auf der makellosen Stirn seiner Angestellten sehen und ein kaltes Lächeln erschien auf seinen Lippen.

Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihr, packte ihr Kinn und drückte sein Nägel tief in ihre weiche Haut: „Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das war keine Bitte. Ich würde dir raten, dich mir nicht zu widersetzen, sonst werde ich dafür sorgen, dass kein einziges Wort mehr aus deinem süßen Mundwerk purzelt. Willst du das?“, seine Stimme klang heiser und bedrohlich. Das junge Mädchen schüttelte hektisch den Kopf. „So ist es brav.“, gurrte er. „Und nun bring mein Essen nach draußen.“

Cassandras Unterlippe zitterte unkontrolliert und ihre blauen Augen waren unnatürlich geweitet.

„Sehr wohl mein Herr.“, hauchte sie, dann ließ Alexis los.

Es tat gut zu spüren, welche Macht er innerhalb dieser Mauern hatte, dass verschaffte ihm die Befriedigung, die er nach dem enttäuschenden Zusammentreffen mit dem Schoßhund brauchte.

Er beschloss, sich nicht sofort zum Pavillon zu begeben und schlenderte stattdessen noch ein wenig durch das akkurat beschnittene Gartenlabyrinth.

In ihm strömten noch immer die Gefühle der morgendlichen Begegnung wie ein unkontrollierbar, reißender Fluss. Seine Wut und Starrköpfigkeit ließ sich kaum zügeln, zugleich fühlte er sich herabgesetzt und gemaßregelt. Er schämte sich, dass sein Vater ihn so wenig schätzte und nicht verstand, dass er, Alexis, nicht für die Leitung einer Firma gemacht war. Er wollte und konnte sich nicht den gesellschaftlichen Konventionen beugen, dafür war er nicht gemacht.

„Konzentriere dich Alexis.“, murmelte er sich zu und wischte über seine Augen. Er hatte noch immer keine Strategie entwickelt, mit der er den neuen Aufpasser seines Vaters loswerden konnte. Bei all seinen Vorgängern war es ein Kinderspiel gewesen: Sie waren entweder so alt, dass sie kaum mehr in der Lage waren sich seiner zu erwehren, oder ihre jugendliche Unsicherheit machten sie zu einem leichten Opfer für Alexis Süffisanz und Überheblichkeit. Aber jetzt war es irgendwie anders.

Der rothaarige Herzog war ein erwachsener Mann und er strahlte sowohl Kompetenz als auch ruhige Gelassenheit aus. Sein Blick war fest, entschlossen und gnadenlos, ebenso wie der des jungen Lords selbst.

Alexis seufzte und rieb sich mit seinen schmalen Fingern die Schläfen. Er wollte nicht mehr nachdenken und seine wertvollen Gedanken an einen ohnehin unwichtigen Eindringling vergeuden.

Es würde nicht lange dauern, und auch der Neue würde vor seiner Überlegenheit kapitulieren, dessen war der junge Mann sich sicher. Und mit einem wissenden Lächeln folgte er dem verlockenden Duft des bereits aufgedeckten Essens.
 

Nach einigen Minuten erreichte er die kleine Lichtung inmitten der mannshohen Hecken. Es war ein ruhiger und nicht einsehbarer Ort, der Pavillon war aus weißlackiertem Holz und feines Efeu rankte um seine Säulen. Alexis mochte diesen abgelegenen Ort, hier konnte er Ruhe finden sich zurückziehen.

Mit wenigen Schritten war er um die kleine Wiese herumgegangen und blieb wie angewurzelt stehen.

„Was tut Ihr hier?“, schrie er und überwand die letzten Meter mit langen Schritten. Der Herzog wandte sich um und ein amüsiertes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

„Oh Lord Alexis, ich dachte schon Ihr kommt nicht mehr. Einige Eurer Angestellten haben mich informiert, dass Ihr das Essen in der freien Natur genießen wollt und ich muss gestehen, dass ich diese Idee sehr begrüße.“ Die Stimme des Älteren klang ruhig und mit einer weichen Bewegung strich er die kleinen Falten auf seinem Anzug glatt.

„Dann ist Euch wohl entgangen, Herzog, dass ich Eure Anwesenheit nicht als Bereicherung empfinde.“, fauchte Alexis und fühlte sich plötzlich klein und naiv. Seine unkontrollierbare Wut machte ihn schwach und verletzlich gegenüber dem Schoßhund und ließ seine Verteidigung in sich zusammenfallen.

„Ich wollte Euch nicht verärgern, junger Lord, aber ich habe die Anweisung Euch zu begleiten, wann immer es die Zeit möglich macht.“, antwortete Samuel ruhig und maß Alexis mit einem prüfenden Blick. „Ich hoffe, ich habe Euch nicht den Appetit verdorben.“, fügte er lächelnd hinzu und ließ sich auf einem der gusseisernen Stühlen nieder.

Seine Haare leuchteten im Licht der Mittagssonne in unzähligen Nuancen und schimmerten wie rotes Herbstlaub. Die weiße Haut des Herzogs strahlte matt und kein Unregelmäßigkeit störte den Anblick. Er hatte sich umgekleidet und der dunkelgraue Anzug schmiegte sich perfekt an den sehnigen Körper.

„Dazu fehlt es Euch an Einfluss.“, gab Alexis trotzig zurück und ließ sich dem Herzog gegenüber nieder. Der Tisch war reich gedeckt und dem jungen Mann lief das Wasser im Mund zusammen.

Hungrig griff er nach dem Brot, tat sich Soßen, Salat, Fleisch und Fisch auf und begann ohne seinem Gast einen weiteren Blick zuzuwerfen zu essen.

Samuel beobachtete seinen Schüler eingehend, studierte die flüssigen Bewegungen, den trotzigen Gesichtsausdruck und die abwehrende Körperhaltung.Er seufzte leise, dachte an all die unzähligen Diskussionen und Kämpfe, die noch anstanden und nippte an seinem Tee.

„Das wird eine Herausforderung.“, murmelte er lächelnd und begann ebenfalls zu essen.

Des Alkohols lästige Folgen

Als Lord Alexis nach einem Stück Dessertkuchen langte, ergriff Samuel erneut die Gelegenheit und begann ein Gespräch:

„Ich hoffe es hat Euch geschmeckt, junger Lord.“ Er schmunzelte leicht. Der Junge hatte innerhalb kürzester Zeit einen wahren Berg an Lebensmitteln hinunter geschlungen. Nun hatte er sich im Stuhl zurückgelehnt und beobachtete schweigend sein Gegenüber.

„Lord Alexis, ich würde gerne eine Art Trainingsplan für Euch aufstellen, damit wir schnell und zügig vorankommen. Ich gehe recht in der Annahme, dass Ihr keine der für Euch vorgesehen Lehrstunden bevorzugt, sodass es wenig Sinn macht sie nach Euren..“, er schien einen Moment nach dem richtigen Wort zu suchen, „Gelüsten zu staffeln?“

„Das seht Ihr ganz richtig.“, antwortete Alexis drohend. Er wusste noch immer nicht, wie er mit diesem arroganten Kerl umgehen sollte. Seine Wut schien ihm seine Schlagfertigkeit zu nehmen und seine Verteidigung war nur noch kindlicher Trotz.

„Dann werde ich sehen, dass ich bis morgen früh eine kleine Liste zusammengetragen habe, nach der wir uns richten können.“

Samuel konnte nicht umhin über das Gesicht des jungen Lords ein kleines Lächeln zu verlieren: Der Mann am anderen Ende des Tisches wirkte so kindlich in seinem Aufbegehren, dass es fast belustigend war. Sein Trotz wurde nur noch von seinem Stolz überboten und würde ihn fast zu einem kontrollierbaren Menschen machen.

Aber Samuel wusste, dass er sich etwas vormachte, wenn er annahm, dass Alexis ein folgsamer Schüler sein würde. All die Jahre allein in dem großen Anwesen, in dem er auf sich selbst gestellt und unabhängig gewesen war, hatten ihn zu einem großspurigen Besserwisser werden lassen, der seine Unsicherheit hinter einer Wand aus Aggression und Kaltschnäuzigkeit versteckte. Das war eine gefährliche Mischung, dessen war sich der Herzog sicher.

„Es wird kein 'wir' geben. Ich habe Euch nicht gebeten hier zu sein und obwohl ich den Willen meines Vaters respektieren muss, gibt es für mich keinen Grund, Euch Zugeständnisse zu machen. Ihr seid hier nicht erwünscht und wenn sich, wann auch immer, die Möglichkeit bietet, Euch hier verschwinden zu lassen, dann, und bitte glaubt mir das Euer Gnaden, werde ich alles in meiner Macht stehende tun um Eure Abreise zu beschleunigen.“, antwortete Alexis kalt und unterstütze damit alle Überlegungen, die der Ältere eben über ihn angestellt hatte. „Ich hoffe, das war deutlich genug.“

Mit einem Ruck erhob sich der junge Mann, warf die Serviette in den kaum angetasteten Kuchen und verließ den Pavillon mit langen Schritten Richtung Anwesen.

„Na wenn das mal kein voller Erfolg war.“, murmelte Samuel leise und schaute seinem widerspenstigen Gastgeber hinterher.

Kopfschüttelnd nippte er an seinem Tee, lehnte sich zurück und genoss noch für einen Moment die Stille. In seinem Heimatland war sein Sitz immer nahe einer großen Stadt gewesen. Das geschäftige Treiben dort stand niemals still und faktisch hatte er dort nie seine Ruhe gehabt.

Hier in England war alles anders: die Menschen flohen, soweit sie über das nötige Kleingeld verfügten, aus den großen, lärmenden Ortschaften und siedelten sich wieder vermehrt auf dem Land an. Auf dem Weg hierher, war Samuel durch viele lichte Wälder gefahren die ab und zu den Blick auf einen herrschaftlichen Landsitz freigaben.

Er mochte diese Art des Wohnens, denn wo war man freier, als in der blühenden Natur.

„Sie können abräumen.“, gab der Herzog dem jungen Butler einen Wink, dann erhob er sich.
 

Alexis legte die Strecke zwischen dem Pavillon und seinem Zimmer in Rekordzeit zurück. Er war noch immer wütend: wütend auf den Eindringling, der sich immer wieder erdreistete ihn zu reizen. Wütend auf seinen Vater, der ihm diese missliche Lage beschert hatte, und letztlich wütend auf sich selbst, weil er sich erneut hatte herausfordern lassen. Alexis hasste es, so impulsiv und emotionsgeladen zu reagieren, dass entsprach nicht seiner Vorstellung von Integrität.

Er wandte sich an die einzige weitere anwesende Person:

„Henry, bringt mir zwei Flaschen Wein.“

„Sehr wohl mein Herr.“

Kaum war sein Bediensteter verschwunden, ließ sich Alexis mit einem Seufzer auf sein Bett fallen. Er fühlte sich müde und angespannt. Seine Glieder waren schwer wie Blei und noch immer kamen seine Gedanken nicht zur Ruhe. Seit dem Morgen hatte sich alles verändert: Er hatte sich geschworen, kalt und unnachgiebig zu sein und im Zweifel nicht zu reagieren. Er hatte mysteriös und unnahbar wirken wollen, stattdessen führte er sich auf wie ein trotziges, verzogenes Kind. Was war es, dass der Neue es immer wieder schaffte, ihm eine Antwort zu entlocken. Was hatte der Herzog an sich, dass er, Lord Alexis von Gloucestershire, ihm immer wieder ausgeliefert war.

„Er war noch nicht mal beeindruckt.“, murmelte Alexis und setzte sich auf, als sein Angesteller mit dem gewünschten Wein zurückkam.

„Das war's dann für heute, ich will dich nicht mehr sehen.“

Mit gleichgültiger Miene wandte sich Henry zum Gehen.

Alexis nahm einen großen Schluck des kühlen Weins, dann folgte er der Sonne über den Salon auf den Balkon.

Es war ein warmer Sommertag mit einem wolkenlosen Himmel. Einen Moment starrte Alexis in die blaue Weite, dann ließ er sich auf der Brüstung nieder.

Von hier aus konnte er fast das gesamte Anwesen überblicken: die Blumenbeete, den sauber getrimmten Rasen, das Labyrinth und schließlich das sanft abfallende Gelände bis runter zum See. Kleine Wellen kräuselten sich auf der Wasseroberfläche und das sich brechende Licht schimmerte verlockend. Alexis mochte das Wasser und den See. Schon als ganz kleines Kind, ehe seine Eltern von hier fort und in die Stadt gezogen waren, hatte er gerne am Steg gestanden und den Wellen bei ihrem unbezähmbaren Spiel zugesehen. Einmal, im Herbst, war er beim Spielen hineingefallen und seitdem war es ihm verboten wurden, den Steg wieder zu betreten.

Er erinnerte sich noch genau an den Moment, als das kalte Nass ihn nach unten zog. Er ruderte mit seinem kleinen Armen und versuchte der schwarzen Tiefe zu entkommen, aber seine Kleidung sog sich voll und er sank unaufhaltsam dem Grund entgegen.

Ein Bediensteter hatte ihn damals aus den Fluten gefischt und war kurz darauf gefeuert wurden.

Komischerweise war Alexis seit diesem Tag nie wieder auf dem Steg gewesen.

„Samuel.“, seine Lippen hatten wie von selbst den Namen ausgesprochen, nun runzelte der junge Lord die Stirn und schloss für einen Moment die Augen. Er kam nicht umhin zuzugeben, dass ihm der Name gefiel, es machte Spaß ihn auszusprechen: Samuel. Es klang fremd und schön und wollte so gar nicht zu dem Bild passen, welches Alexis von dem Eindringling hatte.
 

Den Rest des Tages verbrachte der junge Mann trinkend und grübelnd auf dem Balkon. Die Sonne wärmte zaghaft seine kaffeefarbene Haut und die Vögel sangen aus Leibeskräften. Allmählich verschwand Alexis' schlechte Laune: Er hatte seinen unliebsamen Lehrer mithilfe des Alkohols aus seinen Gedanken verbannt und nun wollte er sich amüsieren. Mit taumelnden Schritten verließ er sein Zimmer und betrat, laut pfeifend, die Eingangshalle. Es war still hier und viel kälter als in der prallen Sonne.

Alexis fröstelte und machte sich auf den Weg, seinen Bediensteten zu suchen, als ihm einfiel, dass er Henry für heute entlassen hatte. Er schnaubte unwillig und ging durch das Hauptportal ins Freie.

Seine Beine waren ungewöhnlich steif und er musste sich an der Wand abstützen als er den Stall betrat.

„Irgendjemand hier?“, rief er mit schwerer Stimme und sah sich um.

Einige der Pferde scharrten ungeduldig mit ihren Hufen und drehten die feinen Ohren nach ihm.

„Hallo?“, rief er noch einmal und ließ seine Finger über das weiche Maul seiner Fuchsstute gleiten.

„Das ist doch nicht zu fassen.“, murmelte er abwesend. Wenn keiner da war, dann würde er sich eben selbst helfen müssen.

Entschlossen führte er die junge Stute in die Stallgasse, wählte einen ansehnlichen Sattel aus der Kammer und begann, das tänzelnde Pferd aufzuzäumen. Es war schon eine ganze Weile her, da er es zum letzten Mal selber gemacht hatte, wofür hatte man schließlich Angestellte? Aber wenn man wollte, dass etwas wirklich gut wurde, dann musste man es eben selber machen.

„Wäre doch gelacht, wenn ich das nicht auch allein hinbekommen würde.“, murmelte er. „Ich bin hier auf niemanden angewiesen. Und schon gar nicht auf 'Mr.Ich-bin-hier-um-dich-zu-erziehen.'“ Alexis äffte die Stimme des Herzogs nach und nahm dann Haltung an.

„Oh nein junger Lord, so dürft Ihr nicht mit mir sprechen. Ich bin der Schoßhund Eures Vaters.“ Er musste über seine eigene Imitation lachen. „Ich brauche keine Hilfe.“, wiederholte er dann nochmals, wohl eher um sich selbst zu überzeugen, dann griff er nach den Zügeln und führte Paloma nach draußen.

Die Schatten waren bereits länger geworden und allmählich wurde es wieder kühler.

Alexis wusste nicht, wohin er seine Schritte lenken sollte, deshalb machte er sich auf Richtung See.
 

Als Samuel ans Fenster trat, fiel sein Blick auf Lord Alexis. Er taumelte Richtung Stall, schien betrunken und nicht ganz Herr der Lage. Seine Schritte waren unsicher und seine wilde Gestik wirkte grotesk und ungelenk.

Der Herzog runzelte die Stirn und lehnte sich weiter nach vorn, um besser sehen zu können. Als der junge Mann den Stall betrat verschwand er aus dem Sichtfeld.

„Und was nun?“, überlegte der Herzog laut und strich sich mit einer unbewussten Geste durchs Haar. Er hatte den gesamten Tag mit dem Erstellen eines Lehrplans zugebracht und seine Glieder fühlten sich steif und müde an.

Nach einigem Abwägen beschloss der junge Herzog, nach dem Lord zu sehen und gleichzeitig seine Muskeln ein wenig zu erwärmen.

Er griff seinen Mantel und verließ den Raum.
 

Mit einiger Anstrengung hatte Alexis seinen Fuß in den Steigbügel schieben können, nun hing er kraftlos auf der einen Seite des Pferdes und versuchte, sich am Sattelknauf hochzuziehen.

„Mist verdammter.“, fluchte er leise und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Er stand mitten auf dem breiten Rasenband, die Abendsonne flutete durch die herannahenden Wolken und färbte die unzähligen Halme blutrot.

Samuel blieb in gebührendem Abstand stehen und beobachtete den jungen Mann unbemerkt. Die Stute war noch immer unruhig und scharrte mit dem Huf, ihre Flanken waren bereits mit Schweiß bedeckt. Irgendetwas schien enormen Stress in dem Tier auszulösen, dass war offensichtlich.

Endlich hatte Alexis den richtigen Griff gefunden und schwang sich mit einer ungelenken Bewegung in den Sattel. Einen Moment war alles ruhig, dann warf das Pferd mit einem schrillen Wiehern den Kopf in den Nacken und machte einen heftigen Satz nach vorn. Der plötzliche Ruck schien den jungen Lord aus dem Gleichgewicht zu bringen und sein Versuch, die fehlende Balance mit einer Neigung seines Körpers auszugleichen, war nur unwesentlich erfolgreich.

Obwohl Samuel nicht in unmittelbarer Nähe zu Pferd und Reiter stand, konnte er den überraschten Gesichtsausdruck des Lord sehen. Die Stute fiel in einen scharfen Galopp, schlug mit der Hinterhand aus und stoppte erneut völlig unvermittelt, bäumte sich schließlich schnaubend auf. Ein heiserer Schrei durchschnitt die abendliche Idylle, dann legte sich Stille über das Anwesen.

Samuel war auf halbem Wege zu seinem widerspenstigen Schüler, als dieser zu Boden stürzte und für einen Moment regungslos liegenblieb. Dem Herzog wurde übel vor Angst und er beschleunigte seinen Lauf.

„Lord Alexis!“, seine Stimme klang weitaus panischer als er sich selbst eingestehen wollte und Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn.

Ein bohrender Schmerz durchzuckte Alexis' Körper als er auf dem Rasen aufschlug. Sein Arm schmerzte und ein Brennen zog sich über seine Stirn. Er stöhnte gequält auf und versuchte sich auf die Seite zu drehen. Sein Vorhaben wurde von einem stechenden Schmerz belohnt.

Von fern drang eine bekannte Stimme an sein Ohr, sofort wallte der Zorn in ihm hoch.

„Was will der denn?“, murmelte er, dann spürte er einen festen Griff an seiner Schulter. Mit einer sanften Bewegung wurde er herumgedreht.

„Ist alles in Ordnung mit Euch?“, fragte der junge Herzog und sein Gesichtsausdruck zeigte ehrliche Besorgnis. Seine sturmgrauen Augen blickten direkt in die seines Gegenübers.

„Was macht Ihr denn hier?“, stöhnte Alexis gepresst und fuhr sich mit der unverletzten Hand über die Stirn. Samuel hielt ihn zurück:

„Ihr habt Euch eine ordentliche Platzwunde zugelegt, fasst nicht dran junger Lord.“

Der Ältere hatte seine Fassung wiedergewonnen und stellte erleichtert fest, dass seine kühle und pragmatische Art ihm die nächsten Schritte voraussagte. Nachdem er sich versichert hatte, dass keine schwerwiegenden Verletzungen vorlagen, erhob er sich und reichte dem jungen Mann eine Hand.

Mit einer zornigen Bewegung schlug Alexis die dargebotene Hilfe aus und erhob sich mit knirschenden Zähnen. Sein Körper ächzte und für einen Moment wurde ihm schwindlig vor Schmerz. Er versuchte so ruhig wie möglich durchzuatmen und wandte sich zu Samuel um.

„Nun, was tut Ihr hier?“, fragte er erneut und bemerkte erleichtert, dass seine Stimme fest und unbeeindruckt klang.

„Um ehrlich zu sein habe ich Euch vom Fenster aus gesehen und war der Ansicht, dass Ihr, nicht im Vollbesitz Eurer körperlichen Fähigkeiten, nicht ausreiten solltet.“, gab Angesprochener ehrlich zu und löste seine seidene Krawatte.

„Was ich sollte und nicht hat Euch nicht zu interessieren.“, fauchte Alexis zurück und sah sich nach der Stute um.

Nur unweit von ihnen stand sie entspannt und zupfte vorsichtig an den grünen Blättchen eines Busches. Sie schien sich sichtlich beruhigt zu haben und äugte nur ab und zu etwas unsicher zu ihnen herüber.

„Offensichtlich.“, antwortete Samuel friedfertig und reichte dem Verletzten den seidenen Stoff.

„Ich möchte Euch trotzdem bitten, die Blutung an Eurer Stirn zu stoppen, ich werde so lange nach einem Arzt schicken.“

Alexis bedachte den jungen Herzog mit einem misstrauischen Blick, dann griff er nach dem Tuch und presste es mit einigem Druck gegen die pochende Stelle an seinem Kopf.

Mittlerweile hatte der Schmerz in seinem Arm weitestgehend nachgelassen und so langsam klärten sich auch seine Gedanken und sein Geist. „Ich brauche keinen Arzt.“, sagte er trotzdem und versuchte die brennende Schamesröte auf seinem Gesicht zu verdecken. Nicht nur das der Eindringling ihn hatte stürzen sehen, er hatte auch noch bemerkt, dass er getrunken hatte. Alexis fühlte sich plötzlich schwach und schutzlos.

„Ihr werdet einen Arzt dulden müssen, junger Lord, ich bestehe darauf.“, antwortete Samuel scharf und sein Tonfall duldete keinen Widerspruch. Er bot dem Verletzten seinen Arm zur Unterstützung, wunderte sich jedoch nicht, als dieser das Angebot ausschlug.
 

„Es scheint nur eine leichte Verletzung zu sein.“, stellte der Arzt sachlich fest und legte eine Kompresse auf den feinen Haarriss auf Alexis Stirn. Der Mann war uralt, seine Bewegungen waren unfassbar langsam und bis auf die vielen Falten schien sein Gesicht nur aus Bart und Hautlappen zu bestehen.

„Dann können Sie ja wieder gehen.“, antwortete der junge Lord gereizt und rückte von dem Studierten ab. „Ich lasse Euch noch ein Schmerzmittel da, dann geht es im Nu besser.“

„Meinetwegen.“, murmelte der Verletzte und wandte sich an den jungen Bediensteten, der an Henrys statt für sein Wohl sorgte. „Du, begleite den Arzt nach draußen.“ Alexis machte eine hektische Handbewegung, dann drehte er sich zur Seite.

Erleichterung durchströmte ihn, als endlich die schwere Tür ins Schloss fiel. Sein ganzes Leben lang waren Menschen um ihn herumgeschwirrt, hatten ihn bedient, getröstet, gelehrt, erzogen und verzogen, nun wollte er allein sein.

Der Schmerz in seinem Arm war zu einem dumpfen Pochen geworden, sein Kopf dröhnte und er fühlte sich unendlich müde und kraftlos. Der Alkohol war verflogen, hatte seinen belebenden Rausch mit sich genommen und nichts als eine bleierne Schwere hinterlassen.

Er griff nach dem kleinen Fläschchen auf seinem Nachttisch und ließ ein paar der hellgelben Tropfen in das Wasserglas fließen. Mit zusammengekniffenen Augen leerte er es in einem Zug und fiel wieder zurück in die weichen Kissen.

„Was für ein Tag.“, stöhnte er und rieb sich die rechte Schläfe. Seine Augen brannten mittlerweile vor Müdigkeit und die Bilder des Erlebten jagten wie kleine, unangenehme Pfeile durch seine Gedanken. Es war einfach entwürdigend, dass der Mann, von dem er sich am meisten bedroht fühlte, ihn in diesem schwachen Moment erlebt hatte. Alexis spürte noch immer die Schamesröte auf seinen Wangen brennen und für den Bruchteil einer Sekunde spürte er Übelkeit in sich aufkommen. Seit der Ankunft des Herzogs hatte der junge Lord alles dafür getan, sich gegen den Eindringlich zu wehren, nun fühlte er sich ertappt und unangenehm berührt.

Mit einem trotzigen Kopfschütteln verscheuchte er die unwillkommenen Gedanken und rollte sich in seine Decke ein. Nach einer schieren Ewigkeit signalisierten ihm die nachlassenden Schmerzen, dass das Mittel des Doktors wirkte. Erleichtert löschte Alexis das flackernde Licht des Kerzenleuchters, dann sank er in die warmen Arme der traumlosen Finsternis.

Eine erste Frage

Unruhig ging Samuel in seinem Zimmer auf und ab. Er hatte seinen neuen Schützling seit einem letzten Blick in der Eingangshalle nicht mehr gesehen und auch der Doktor hatte ihm keine Auskunft über das Befinden des Jungen geben wollen. Der Herzog war überrascht, wie sehr ihn die Ungewissheit beunruhigte und verunsicherte. Er wusste, wie unangenehm dem Gestürzten das plötzliche Auftauchen seines unliebsamen Lehrers gewesen war, er hatte es in seinen Augen sehen können, dennoch hatte er eine grenzenlose Erleichterung verspürt, als Alexis gewohnt trotzig geantwortet hatte. Aus irgendeinem Grund wollte er nicht, dass sich der junge Lord verletzte oder Schmerzen hatte.

Samuel dachte plötzlich an seinen älteren Bruder Karl, der vor Jahren auch einen schweren Sturz vom Pferd hatte erleben müssen und seitdem seinen rechten Arm nicht mehr bewegen konnte. Karl war ohne Frage trotzdem ein starker und gütiger Herrscher, aber er hatte damals einen Großteil seiner Lebensfreude eingebüßt. Schweiß brach auf Samuels Stirn aus und er musste sich einen Moment setzen. Er mochte es ganz und gar nicht, die Kontrolle über seinen eigenen Körper zu verlieren und tadelte sich stumm ob seiner Schwäche.

„Es wird ihm schon gut gehen.“, seufzte er in die belastende Stille des dunklen Raumes und erhob sich energisch von dem kleinen Hocker.

Seine Wohnstatt für die folgenden Monate war ungewöhnlich großzügig bemessen und prunkvoll ausgestattet. Lysander ließ es ihm an nichts fehlen, soviel war sicher.

Er beschloss noch ein kurzes Bad zu nehmen, dann würde er schlafen gehen. Sein Blick fiel auf den ausgearbeiteten Lehrplan für die nächste Zeit und er seufzte resigniert:

„Das wird wohl noch eine Weile warten müssen.“, murmelte er auf dem Weg ins Badezimmer und ein leises Gefühl des Bedauerns breitete sich in seiner Brust aus.
 

Der nächste Morgen begann grau und regnerisch. Schwerer Nebel lag wie ein dickes Tuch auf dem Anwesen und dämpfte die Geräusche wie eine Watteschicht. Das Licht war weiß und sanft, ganz so, als würde das Wetter Erbarmen mit Alexis' noch immer dröhnendem Kopf haben.

Mit einem Stöhnen setzte er sich auf und blickte an sich herab: Sein Nachthemd war zerknittert und verrutscht, entblößte das schimmernde Hellbraun seiner flachen Brust. Er mochte den Kontrast zwischen dem blendendem Weiß und seiner Haut normalerweise sehr, doch heute kam er ihm unwirklich und seltsam entrückt vor.

Sich vom Anblick seines Körpers lösend betätigte er das Klingelseil, dann versuchte er aufzustehen. Überraschenderweise schien das rhythmische Hämmern in seinem Kopf schwächer zu werden statt sich zu steigern. Henry erschien mit gewohntem Gesichtsausdruck, verbeugte sich und nahm seinen Platz neben der Tür ein:

„Guten Morgen my Lord, wie ist Euer wertes Befinden?“, fragte er und seine Stimme verriet kein wirkliches Interesse.

„Besser.“, entgegnete Alexis halbherzig und ging zwei prüfende Schritte. Es ging.

„Ich möchte meinen Tee heute gerne in meinem Studierzimmer zu mir nehmen, ich habe einiges zu tun.“, sagte er und tauchte seine Hände in das kalte Wasser in der Waschschüssel. Er verzog das Gesicht. „Dieses Wasser sollte wesentlich wärmer sein, Henry. Bitte kümmere dich darum.“, fügte er hinzu und betrat sein Ankleidezimmer.

„Sehr wohl.“, antwortete sein Bediensteter und verließ den Raum leise.

Mit suchendem Blick strich Alexis durch den über und über mit Kleidung gefüllten Raum. Seit er sich zurückerinnern konnte, hatte er sich seine Kleider selbst herausgesucht und sich, entgegen seiner Angewohnheit, nie bedienen lassen. Er mochte es, seinen eigenen Stil zu pflegen und mit seinem Äußeren anzuecken. Er war zweifellos eine auffällig Erscheinung: das exotische Aussehen gepaart mit der eigenwilligen Art Kleidung zu kombinieren, ließ ihn auf jedem Bankett zum Mittelpunkt werden.

Er entschied sich heute für etwas Bequemes und Praktisches.

Sein Angestellter kehrte nach wenigen Minuten mit einer Kanne heißen Wassers zurück und Alexis gönnte sich eine kurze Katzenwäsche. Es tat gut, die warme Flüssigkeit auf seinem Gesicht zu spüren und auch die letzten Anzeichen seines gestrigen Sturzes, und wohl auch die seines Alkoholgenusses, schienen zu verblassen.

Als er sein weitläufiges Studierzimmer betrat war alles still. Es roch nach Staub, alten Büchern und frisch aufgebrühtem Tee. Mit einigen Schritten war der junge Herr an seinem wuchtigen Erlenholzschreibtisch und ließ sich träge in den hohen Lehnstuhl fallen. Als der Raum noch als Arbeitszimmer seines Vaters diente, hatte es auf den kindlichen Alexis immer bedrohlich und düster gewirkt: die hohen Bücherregale, keine Bilder an den Wänden, die dicken Vorhänge vor den riesenhaften Fenstern. Heute mochte und schätzte er diese Atmosphäre, besonders wenn ihm der Sinn nach Lesen und Rückzug stand. Man suchte in dem jungen Lord nicht unbedingt die Fähigkeit, sich für längere Zeit ernsthaft auf einen Text oder ein Buch zu konzentrieren, doch er barg durchaus auch diese Eigenschaft in sich. Und wenn sie auch selten zu Tage trat, war er doch im Umgang mit Schriftstücken und Aufsätzen weitaus vertrauter, als seine Umwelt es ihm zutraute.

Alexis nahm einen Schluck des herben Jasmintees und runzelte die Stirn während er das zuletzt Gelesene in die Hand nahm. Es war ein langer, absatzloser Text, geschrieben in schottischem Dialekt, der sich mit der Aufklärung einer brutalen Mordserie befasste. Die Buchstaben waren in einer stark nach rechts geneigten Handschrift aufgesetzt und schwer zu entziffern – das reizte den jungen Lord sehr.

Er war nicht der Typ für schier endlose Abhandlungen über Philosophie, Etikette oder Literaturwissenschaften, dass langweilte ihn schnell und ließ sein Interesse innerhalb von Sekunden abkühlen. Forensik hingegen weckte stets die Neugierde in Alexis klarem Geist und er hatte nicht selten die Nächte bei Kerzenschein, angestrengt lesend hier verbracht.

Er schreckte hoch und unterbrach seinen Gedankengang widerwillig als es laut klopfte.

Ohne eine Antwort abzuwarten trat Baroness Cecilia ein und kam mit langen, eleganten Schritten auf ihn zu.

„Alexis, meine Sonne, wie geht es dir?“, fragte sie nur wenig interessiert und setzte sich provokativ auf die polierte Schreibtischplatte. „Ich war ganz krank vor Sorge als ich hörte, du hättest einen Unfall gehabt. Ich musste einfach kommen und nachschauen.“ Ihre rauchige Stimme klang sinnlich und troff gerade zu vor sexuellem Verlangen.

„Es geht schon Cecilia.“, antwortete Alexis ungerührt und versuchte, das eben Gelesene unter dem beachtlich steifen Kleid der französischen Adligen hervorzuziehen.

„Mein Gott, musst du mir immer solche Schrecken einjagen?“, fragte sie und suchte eine Weile mit ihren schlanken Fingern in ihrer Tasche, zog schließlich eine Zigarette an einem langen Halter hervor und entzündete sie sich an dem großen Leuchter. Sie war sich der Sinnlichkeit ihrer Geste, als sie das dunkle Holz zwischen ihre kirschrot geschminkten Lippen schob, nur allzu bewusst.

„Es ist wirklich nett, dass du mich besuchst, aber ich brauche ein wenig Zeit zum arbeiten meine Liebe.“, sagte Alexis und sah sein Gegenüber ernst an.

Die junge Frau war eine klassische Schönheit: lange, haselnussbraune Locken die voll und schwer ihr schmales Gesicht umrahmten. Die grünen Augen funkelten aufmerksam und verliehen ihr ein das katzenhafte Aussehen einer Jägerin, die stets auf der Suche nach Beute war. Der schlanke Hals bildete einen perfekten Kontrast zu ihren weichen, vollen Brüsten und ihre Figur würde selbst ein Kritiker wohlwollend als üppig bezeichnen können.

Cecilia bot alles, was ein Mann sich wünschen konnte und Alexis hatte sich schon oft in ihrem weiblichen Körper verloren.

Aber heute schien sich seine Aufmerksamkeit eher dem Studium widmen zu wollen, seine Augen blieben blind für all die Herrlichkeit, die die junge Frau barg.

Cecilia schaute ihn einen Moment verständnislos an, dann lachte sie herzhaft und undamenhaft auf:

„Mein lieber Lord Alexis, ich nehme dir nicht ab, dass du dich lieber verblichenen Schriften aus längst vergangen Tagen widmest, als dem hier.“, antwortete sie amüsiert und legte die Hand des jungen Mannes fordernd auf ihre Brust.

Der Ausschnitt ihres Kleides war tief und ließ Alexis viel der weichen, makellosen Haut spüren. Sie atmete tief ein und die weiche Pracht hob sich verführerisch an. Der junge Lord seufzte tief und spürte die wohlbekannte Hitze in sich aufwallen.

„Vielleicht hast du recht.“, stöhnte er leise und erhob sich, küsste seine Geliebte voller Leidenschaft. Cecila lächelte und ließ ihre Hand in seinen Schritt gleiten:

„Dachte ich es mir doch.“, gurrte sie und lehnte sich auf dem Tisch zurück.
 

Nach einem kurzen aber heftigen Austausch körperlichen Verlangens hatte sich Cecilia wieder angezogen und war, mit der Begründung noch einiges Erledigen zu haben, wieder in ihre Kutsche gestiegen. Alexis verspürte eine gewisse Erleichterung in sich, denn obwohl er nicht leugnen konnte, dass er an dem Treffen gefallen gefunden hatte, wollte er die Zeit doch eher allein verbringen.

Als er die breite Treppe zurück zum Anwesen hochstieg, wanderten seine Gedanken zum ersten Mal an diesem Tag wieder zu dem unangenehmen Besucher. Alexis war ein wenig überrascht, dass sich Samuel bis jetzt noch nicht wieder hatte blicken lassen, als er den rothaarigen Mann am Portal entdeckte.

„Na großartig.“, murmelte der junge Lord und konnte den Impuls, einfach auf der Stelle umzukehren, nur mühsam unterdrücken. Stattdessen versteifte er sich und schritt so selbstbewusst es ihm eben gelang auf Samuel zu.

„Wie ich sehe geht es Euch besser.“, sagte der hochgewachsene Eindringling leise und für einen Moment sah Alexis so etwas wie Erleichterung in den sturmgrauen Augen aufblitzen. Er nickte widerwillig und fluchte innerlich, als ihm klar wurde, dass er halb angezogen und mit zerzausten Haaren wohl nur halb so majestätisch wirkte, wie er gehofft hatte.

„Ja, offensichtlich.“, antwortete er trotzig und strich verstohlen seine Frisur glatt.

„Dürfte ich Euch dann heute Nachmittag in die Bibliothek bitten, ich würde gerne alsbald mit dem Unterricht beginnen.“, fuhr der Herzog fort und machte eine vage Handbewegung in Richtung Studiersaal.

Der Unwillen bäumte sich in Alexis auf wie ein wildes Pferd und ein zerknirschter Ausdruck erschien auf seinem jugendlichen Gesicht. „Eigentlich hatte ich bereits Anderes, Besseres vor.“, presste er zwischen seinen Zähnen hervor.

Ein leises Lächeln schlich sich auf Samuels gerade Lippen und seine hochgezogenen Augenbrauen verrieten höchste Arroganz: „Ich korrigiere Euch nur ungern, junger Herr, aber eigentlich habt ihr, solange ich hier bin nichts Besseres vor. Ich wurde angehalten, Eure Ausbildung mit höchster Priorität zu handhaben und ich bin nicht bereit, wegen Eurer.. kleinen Abenteuer davon abzusehen.“, sagte er und maß die unstandesgemäße Kleidung und deren Zustand mit Missbilligung.

Alexis schnaubte als Antwort nur unwillig wie ein junger Hengst und stampfte auch wie einer auf. Dann warf er seinen Kopf in den Nacken und durchschritt das Portal, sorgsam darauf achtend, den Eindringling nicht zu berühren.
 

„Ich lasse ihn töten.“, brüllte Alexis, zurück in seinem Studierzimmer, voller Wut und warf die gerade aufgetischte Suppe gegen die kahle Wand. Das heiße Gebräu tropfte dampfend gen Fußboden und hinterließ fettige Spuren. So bevormundet zu werden, derart Maß genommen zu werden war er nicht gewöhnt und er war nicht gewillt, es widerstandslos hinzunehmen. „Ich werde es ihm zeigen, ihm beweisen, dass ich keinen Unterricht brauche. Ich bin nicht auf seine dummen Manieren angewiesen. Ich will seine Aufmerksamkeit nicht.“, sagte er trotzig in die Stille des Raumes und biss voller Abscheu in eine Scheibe frischen Brotes. „Schließlich habe ich es bis jetzt auch ganz gut ohne ihn geschafft.“, murmelte er dann müde und stellte überrascht fest, dass eine einzelne Träne seine Wange herunterrann. Wütend wischte er sie weg und stopfte sich den Rest des Brotes in den Mund, schmiss sich dann in den Lehnstuhl. Nachdenklich kaute er auf dem trockenen Gebäck und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Er verstand einfach nicht, was es war, dass das Schoßhündchen seines Vaters ihn derart aus der Fassung bringen konnte? Warum ließ er sich so aus der Reserve locken von jemandem, den er nicht mal kannte? Und warum war es so schwer sich einem Mann zu entziehen, der lediglich ein Störfaktor in seinem Leben darstellte?

Alexis stöhnte leise und griff nach einer weiteren Scheibe Brot, tränkte sie in dem kaltgewordenen Tee und begann, seine Papiere auf dem Tisch wieder zu ordnen. Die heftige Vereinigung mit seiner Geliebten hatte einiges durcheinandergebracht und definitiv ihre Spuren hinterlassen.

„Cecilia..“, murmelte der junge Mann leise und stellte unwirsch fest, dass das Treffen mit dem Schoßhund jegliche Gedanken an die schöne Frau vertrieben hatten. „Großartig.“, stöhnte er und blinzelte die Erkenntnis weg, stürzte die letzten Reste des kalten Tees herunter und widmete sich vollends seinen Aufzeichnungen.
 

Mit schnellen Schritten näherte sich Alexis der Bibliothek, stoppte abrupt vor der großen Flügeltür und schaute noch einmal an sich herab. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass jedes Kleidungsstück an seinem Platz saß, das Hemd richtig geknöpft und die Stiefel frisch poliert waren trat er ein.

Samuel war bereits anwesend und lehnte entspannt an einer der großen Säulen am Fenster. Sein Blick war auf die Ländereien gerichtet, der Nebel schien jegliche Lichtreflexe seiner Haare zu schlucken. Er schien Alexis noch nicht bemerkt zu haben, sodass dem jungen Lord Zeit für eine eingehende Betrachtung blieb.

Er bemerkte zum ersten Mal, dass die Haare seines unwillkommenen Lehrers viel länger waren als er angenommen hatte und in einem langen Pferdeschwanz über den breiten Rücken des Mannes fielen. Das dunkle Rot wirkte unnatürlich und anziehend zugleich, der Kontrast zu der milchigweißen Haut war perfekt. Der strenge graue Anzug lag eng an dem muskulösen Körper und ließ ihn älter und elitär wirken.

Alexis kam nicht umhin, sich den sehnigen Körper des Herzogs in einem weiten Hemd in weichen Stiefeln und Hosen vorzustellen, und er stellte mit Erstaunen fest, dass ihm dieser Gedanke gefiel.

Er schnaubt unwillig und räusperte sich anschließend leise.

Samuel wandte sich um und für einen Moment lag in seinem Blick etwas Entrücktes, Träumerisches.

„Schön Euch zu sehen.“, sagte der Herzog leise und machte eine einladende Geste an den Schreibtisch. Er hatte einen weiteren Stuhl herangezogen und es stapelten sich bereits eine beträchtliche Anzahl an Büchern und Schriftrollen auf der Platte.

Alexis folgte er Einladung seines Lehrers und ließ sich lässig auf den unbequemen Holzstuhl fallen. Er maß sein Gegenüber mit einem durchdringenden Blick und zog es vor, weiterhin zu schweigen.

„Ich habe Euch einen Plan angefertigt, nach dem wir uns richten sollten.“ Er reichte Alexis ein eng beschriebenes Pergament und lehnte sich zurück. Seine Haltung war korrekt und es schien ihm nicht das Mindeste auszumachen, dass der ungepolsterte Stuhl hart und ohne jede Spur von Komfort war.

Alexis überflog die Aufzeichnungen kurz und stöhnte auf. Der Zeitplan war so eng gesteckt, dass er bald jede freie Minute seines bisherigen Lebens nun mit Lernen, Trainieren und dem Studium verbringen würde. Er würde neben Literaturwissenschaften und Philosophie auch Unterricht in Etikette, Reiten, Manierlichem Umgang, Fechten und Konversation bekommen.

„Es sieht auf den ersten Blick wohl etwas viel aus Lord Alexis, aber so können wir die Disziplinen, in denen Euer Vater mich gebeten hat Euch zu unterrichten, schnellstmöglich abarbeiten.“

Seine Stimme war sachlich und trocken währen seine Hände unaufhörlich Blätter auf Stapel sortierten. „Ich habe die Phasen so eingeteilt, dass Ihr jeden Tag sowohl körperliche als auch psychische Ertüchtigung bekommt, dass wird Euren müden Geist erfrischen.“

„So scheint es.“, antwortete Alexis karg und faltete das Blatt lieblos zusammen. „Was machen wir nun?“, fragte er dann und seine Stimme verriet pures Desinteresse.

„Ich möchte mit einigen leichten Sonetten und Abhandlungen beginnen. Sie werden Euren Wortschatz aufstocken und zusätzlich werden Euch solche Themen zu einer unverfänglichen Konversation helfen.“, antwortete der Herzog prompt und reichte eines der verstaubten Dokumente mit vergilbten Seiten über den Tisch.
 

Außer dem gelegentlichen Knistern der Bücher war es totenstill in der Bibliothek. Alexis hatte eine ebenso ermüdende wie lächerlich einfache Aufgabe bekommen, den Auftrag aber schweigend angenommen. Er hatte weder Lust noch Kraft zu protestieren, zumal seine hämmernden Kopfschmerzen zurückgekommen waren.

Draußen begann es bereits zu dämmern und der riesenhafte Raum war in flackerndes Kerzenlicht getaucht. Der Herzog war in eines der herumliegenden Bücher vertieft und blickte nur ab und an mal auf. Er schien äußerst zufrieden mit dem friedlichen Verlauf des Nachtmittags.

Alexis reihte gelangweilt Worte aneinander, stellte Zusammenhänge her und spielte zwischendurch abwesend mit der Feder in seiner Hand.

Immer wieder glitt sein Blick zu seinem strengen Gegenüber und blieb dort hängen. Die roten Haare waren vom tanzenden Flammenspiel erleuchtete und wirkten fast lebendig, die schmalen Lippen waren zu einer festen Linie zusammengepresst.

Alexis wollte seinen Blick eben wieder abwenden, als er stutzte. Zum ersten Mal wie es schien entdeckte er die lange, feine Narbe im Gesicht seines Lehrers. Sie zog sich von der Stirn über sein rechtes Auge bis über ein gutes Drittel seiner Wange. Im schwachen Licht erschien sie ungewöhnlich grell und glänzte leicht perlmuttfarben.

„Was ist da passiert?“, hörte Alexis sich fragen, noch ehe er sich selbst und seine Neugierde zügeln konnte.

Überrascht sah Samuel auf und einen Moment stand Verwirrung in seinem Blick geschrieben, dann lächelte er dünn. „Wenn Ihr die hier meint,“, antwortete er mit rauer Stimme und seine Hand glitt wie automatisch zu den Überresten seiner Verletzung. „das war ein Unfall.“

Alexis nickte verstehend, fühlte sich aber nicht in der Lage seinen Blick abzuwenden. Seine Augen waren wie gebannt und gegen seinen Willen begann er sich zu fragen, wie sich die Haut an der Narbe wohl anfühlen würde. „Seid Ihr fertig?“, fragte Samuel und schien sich über Alexis Unfähigkeit den Blick auf andere, wichtigere Sachen zu lenken, zu amüsieren.

Angesprochener nickte langsam und rief sich stumm zur Ordnung. Vergebens.

„Könnt Ihr auf dem Auge noch sehen?“, fragte er, wiederum von seinem schieren Wissensdurst getrieben. Das Lächeln des Herzogs wurde breiter und erreichte seine stahlfarbenen Augen. Plötzlich schien alle Strenge und militärische Korrektheit aus seinen Zügen gewichen und er sah jung, fast kindlich aus.

„Ein wenig schon, Schatten und Bewegungen.“, antwortete er trotz seiner Belustigung prompt und ließ keinen Zweifel daran, dass das Gespräch damit beendet war.

„Oh, das tut mir leid.“, murmelte der junger Lord und in seiner Stimme lag echtes Bedauern.

Samuel legte seinen Kopf schief und ein Ausdruck vager Dankbarkeit schlich sich in seine Züge.

Alexis war endlich im Stande seinen Blick zu senken und starrte ein wenig beschämt auf seine Hände. Er hatte niemals fragen wollen, nicht so etwas.

„Nun, wie schaut es mit Euren Aufzeichnungen aus?“, fragte der Herzog erneut. Er schien das Unbehagen des jungen Manns gegenüber zu spüren und ging nahtlos zu den Studien über.

Alexis nickte.
 

Den Rest des ausklingenden Nachmittags verbrachte das ungleiche Paar in verschwiegener Ruhe. Alexis erfüllte seine Aufgaben ohne zu protestieren und Samuel vertiefte sich in die Lektüre einiger sehr interessanter Aufzeichnungen des ansässigen Adels.

Als Henry mit der Botschaft, dass Abendessen wäre bereits aufgetafelt hereintrat, hatte Alexis gerade den letzten Satz beendet und erhob sich. Die plötzliche Unterbrechung hatte seinen Unwillen wieder geweckt und er verließ den Raum ohne ein weiteres Wort.

In seinem Zimmer angelangt riss er sich entnervt die Kleidung vom Körper und stürmte ins Badezimmer. In dem reichverzierten Kamin loderte ein gemütliches Feuer, der Kessel darüber war voller warmen Wassers.

Mit einiger Anstrengung schaffte er es, die Rinne vom Haken zu nehmen und ließ das heiße Nass in die weiße Wanne strömen. Dann füllte er mit kaltem Wasser auf.

Leise stöhnend ließ er sich in die Fluten gleiten und spürte, wie sich sein Körper entspannte.

Er wollte an nichts denken, nichts fühlen und keinerlei schwere Entscheidungen treffen. Das Hämmern in seinem Kopf hatte ein unerträgliches Level erreicht und erschwerte selbst die kleinsten Bewegungen.

Alexis seufzte leise, griff nach der duftenden Lavendelseife und begann sich mit langsamen Bewegungen zu waschen, sorgsam darauf bedacht, den Schmerz in seinem Kopf nicht noch zu verschlimmern.

Als der junge Lord Minuten später in ein weiches Handtuch gewickelt in sein Bett stieg, dachte er noch einmal an die weiße Narbe in Samuels Gesicht, an das ehrliche Lächeln in seinem sonst so ernsten Gesicht und mit einem wohligen Gefühl im Bauch schlief er ein.

Trainingserfolge

Als Alexis am nächsten Morgen auf den Plan schaute, wurden seine Knie weich. Fechten. Er hasste diese Sportart, erforderte sie doch alle Eigenschaften, die er nicht in sich vereinen konnte: Disziplin, Respekt vor dem Gegner, Weitsichtigkeit, Kraft und Zurückhaltung. Zusätzlich meldeten sich seine Kopfschmerzen mit unangenehmer Stärke zurück und schienen jeden Schritt unmöglich zu machen. Er war schon mitten in der Nacht mit einem so stechenden Gefühl in seinem Kopf erwacht, dass er beim Einfüllen der Tropfen kaum das Fläschchen ruhighalten konnte. Er war froh, dass das Mittel wie gewohnt seine schnelle Wirkung entfaltet hatte und er nach einigen qualvollen Minuten wieder in einen unruhigen Schlaf fallen konnte.

Nun griff er wiederum nach der Pipette und ließ eine beträchtliche Menge der hellgelben Flüssigkeit in das Wasserglas daneben tropfen. Er stürzte das Medikament in einem Zug herunter.

Als Henry einige Minuten später den Tee servierte hatte sich das wütende Toben im Kopf des jungen Lords bereits in ein mäßiges Klopfen verwandelt, dass zwar störend, aber auszuhalten war.

Mit säuerlicher Miene nahm Alexis einen kleinen Schluck grünen Tee, dann begann er seine Haare ausgiebig zu bürsten. Er mochte die weichen, glänzenden Strähnen zwischen seinen Fingern und ließ sie mit besonderer Zärtlichkeit durch seine Hände gleiten. Er dachte daran, wie schrecklich störend und kratzig er stets die Haare seiner Gespielinnen fand, wie sie an ihm klebten beim Sex, ihm jegliche Lust nahmen. Selbst die vollen Locken Cecilias waren ihm zuwider, er hasste es, wie sie seine Wangen berührten und kitzelten, wenn es leidenschaftlich wurde.

Mit ein paar kräftigen Strichen beendete er seine Arbeit und konnte nicht umhin, sich vorzustellen, wie sich Samuels lange, rote Strähnen wohl anfühlen würden. Ob sie genauso seidig und fest waren, wie sie aussahen?

Unwillig schüttelte er den Kopf und verscheuchte die Gedanken, erhob sich und machte sich auf, den Unterricht zu besuchen. Als er durch den langen dunklen Gang schritt, spürte er plötzlich Unbehagen in sich aufkommen. Der gestrige Nachmittag war so friedlich und widerspruchslos verlaufen, dass Alexis sich selbst fast unheimlich war. Er war mit soviel Widerwillen in die Bibliothek gestrebt, hätte sich gegen den Herzog nur allzugern aufgelehnt, aber als er ihm dann aber gegenüber saß, war all sein Widerstand geschmolzen und er hatte sich den Wünschen seines unliebsamen Lehrers gebeugt. Nicht, weil er sich plötzlich mit der Vorstellung bevormundet zu werden angefreundet hatte, nein, viel eher schien sich sein Unwillen wie eine schläfrige Katze zusammengerollt und nur noch blinzelnd kleine Wellen kindlichen Trotzes ausgesandt zu haben.

„Wenn er glaubt, es wird jetzt immer so leicht, dann hat er sich verschätzt.“, sagte Alexis laut und blieb vor einem Porträt seines Vaters stehen. Die Farben stachen ins Auge und die Art des Kunstwerks strotzte vor Borniertheit und Prunk. Er hasste das Bild seit er ein kleiner Junge war.
 

Als er in die staubige Bibliothek trat, war Samuel, wie gestern schon, bereits anwesend und studierte sehr aufmerksam die Aufzeichnungen des Vortags.

„Guten Morgen Lord Alexis, Ihr kommt spät.“, sagte er und obwohl ein Vorwurf darin klang, war seine Stimme freundlich. Sein Gesichtsausdruck zeigte keine Missbilligung und ein kleines Lächeln lag um seine Mundwinkel.

„Glaubt bloß nicht, es wird immer so einfach laufen wie gestern.“, antwortete Alexis spöttisch ohne sich seiner Worte bewusst zu sein.

„Doch, ganz genau das glaube ich, junger Herr. Ich bitte Euch, setzt Euch und seid friedlich, nur so kommen wir voran. Es ist nicht so, dass ich von Eurem unbeugbarem Stolz nicht beeindruckt wäre, aber wenn Ihr nur einen Moment darüber nachdenkt, wird Euch aufgehen, dass wir hier nur fertig werden, wenn Ihr ein klein wenig mitarbeitet.“

Er hatte das Gelesene zur Seite gelegt und faltete seine Hände formvollendet in seinem Schoß.

Alexis blinzelte und schien einen Moment über das Gesagte nachzudenken, dann verfinsterte sich sein Blick und er klappte den Mund auf um zu antworten, blieb dann aber stumm.

„Versteht mich nicht falsch, ich beginne diese kleinen Unterredungen zu genießen, aber mein Wille zählt hier wohl nur unwesentlich.“, setzte der Herzog seine Ausführungen fort und er lächelte süffisant.

„Das habt Ihr gut beobachtet.“, antwortete Alexis und seine Stimme verriet höchste Anspannung. Er war stocksteif geworden und seine Hände ballten sich zu Fäusten.

Er wusste nicht, was er weiter erwidern sollte, seine Gedanken summten wie ein zorniger Bienenschwarm durch seinen Kopf und es schien unmöglich, einen davon rauszufischen und zu formulieren.

„Gut, dann lasst uns doch zum ersten Tagesordnungspunkt übergehen.“, fuhr der Herzog leise fort und begann einige Bücher zu sortieren. „Ich möchte, dass wir uns heute der Konversation widmen. Ich weiß, dass Ihr kein Bankett meidet, aber wie steht es mit Eurer Redekunst?“

Alexis, immer noch wie gelähmt vor Wut, folgte der stummen Einladung sich zu setzen, dann schluckte er schwer. Er versuchte das Gesagte einzuordnen, dann nickte er langsam und ermahnte sich in Gedanken zur Ruhe. „Reiß dich zusammen.“, dachte er und war wütend auf sich selbst und seine törichte Schwäche. Samuels Gegenwart schien all seine Schlagfertigkeit einfach wegzuwischen.

„Wie begrüßt Ihr standesgemäß eine junge Dame Eures Alters?“, begann Samuel den Unterricht und zwang den jungen Herrn, sich auf das Bevorstehende zu konzentrieren. Er brauchte noch eine ganze Weile, ehe er antwortete. Die Erkenntnis, dass der Herzog vermutlich recht hatte, kam erst spät.
 

Nach dem Konversationsunterricht hatte Alexis die Bibliothek ohne ein weiteres Wort verlassen. Steifen Schrittes hatte er den Herzog hinter sich gelassen, sein Mittagessen verweigert und sich, mit einem dröhnenden Kopf und tränenden Augen auf sein Bett geschmissen. Sein Atmen ging flach und er fühlte sich so erschöpft wie nach einem wilden Liebesakt. Die drei Stunden sitzen und reden, formvollendete Sätze bilden und manierliche Worte austauschen hatten ihn so ermüdet, dass er sich bei Weitem nicht vorstellen konnte, auch noch den Nachmittag unter der strengen Aufsicht des unliebsamen Lehrers zu verbringen.

Die Worte des Herzogs hallten immer noch in seinem Kopf. Waren sie deshalb so bedeutsam, weil er Alexis abgelehnt hatte? Schmerzte ihn der Verlust des Wohlwollens des Menschen, den er weder schätzte noch mochte? War er wirklich verletzt, weil Samuel ihn genauso wenig um sich haben wollte, wie er ihn? „Ach zum Teufel..“, fluchte Alexis laut und warf sich auf die Seite, zog sich die Decke bis über den Kopf und nach wenigen Minuten fiel er in einen tiefen, alptraumgeplagten Schlaf.
 

„Junger Lord?“ Die Stimme des ältlichen Butlers klang unangenehm laut und intensiv in die Stille von Alexis Schlaf. Er stöhnt voller Unmut auf und versuchte den unwillkommenen Störfaktor einfach zu ignorieren. Vergebens.

„Ihr müsst aufstehen mein Herr, der Herzog erwartet Euch bereits.“

„Ach ja? Dann muss er eben warten.“, fauchte Alexis unter dem Berg von Kissen und Decken hervor und strampelte sich mühselig frei. Er fühlte sich nach dem kurzen Schlaf noch viel müder und kraftloser als vorher, seine Kopfschmerzen waren nach wie vor eine Qual und der Gedanke, den folgenden Nachmittag in einem engen, schwitzigen Fechtanzug zu verbringen trug nicht gerade zur Aufhellung seiner Laune bei. Unbemerkt schlichen sich wieder Samuels Worte vom Morgen in seine Gedanken und seine Miene wurde noch verdrossener.

„Henry, mein Abendessen werde ich dann hier einnehmen.“, sagte er zerknirscht und zupfte notdürftig seine Kleider zurecht.

„Sehr wohl.“, nickte der Bedienstete, dann verschwand er lautlos.

Bevor der Lord sein Zimmer verließ griff er noch das Buch von seinem Nachttisch, vielleicht würde er den Herzog zu Studien statt Training überreden können.
 

Als Alexis die große Trainingshalle im Keller des Anwesens betrat war alles totenstill. Niemand war da und die trüben Sonnenstrahlen fielen in schmalen Reihungen durch die schlitzartigen Fenster am oberen Ende der Halle. Vom Herzog war keine Spur zu sehen, auf dem großen Tisch lag jedoch die Ausrüstung bereit. Der junge Lord legte sein Buch zur Seite und griff nach dem Florett, wog den belgischen Griff in seiner Hand und seufzte leise: er mochte es wirklich nicht.

Gedankenverloren ließ er seine Finger über die gefalteten Anzüge gleiten, nahm die Fechtmaske in die Hand und dachte an all die verschwendeten Stunden hinter diesem Drahtgeflecht.

„Schön Euch noch begrüßen zu dürfen.“

Alexis schreckte zusammen und drehte sich um. Samuel war, bereits in voller Montur, eingetreten und lächelte spöttisch. Seine Haare hatte er streng zurückgebunden und im hereinfallenden Licht glänzte die Narbe geheimnisvoll. „Zieht Euch bitte die Schutzkleidung an, dann beginnen wir sofort.“, fügte er hinzu und gab Alexis so keine Chance für eine trotzige Antwort.

Ohne ein weiteres Wort nahm er die Ausgangsposition ein und begann einige Figuren zu üben während Alexis murrend den Anzug in den Nebenraum trug.
 

„Wir beginnen mit einigen leichten Übungen. Ich werde versuchen, Euch an der Schulter zu treffen und Eure einzige Aufgabe ist es, dies zu verhindern.“ Samuels Stimme klang gedämpft unter der Maske, sein Körper war angespannt und die harten Muskeln traten hervor.

„Versucht es nur.“, lockte Alexis frech und fühlte sich nicht halb so selbstsicher, wie er sich gab. Er hasste es, wenn jemand mit erhobener Waffe auf ihn zutrat. Er konnte mit offener Konfrontation nicht gut umgehen, auch wenn er selbst diese Disziplin nur allzu gut beherrschte.

„Bereit? Los.“, rief der Herzog und kam mit einem einzigen gewaltigen Sprung gefährlich nahe. Alexis machte einen überraschten Ausfallschritt und geriet ins Straucheln.

„Beachte die Begrenzung der Planche.“, mahnte der Ältere und drängte weiter in Richtung des Lords. Seine Beinarbeit war ebenso beeindruckend wie die Kraft, mit der er seine Streiche ausführte. Der junge Herr kam kaum mit. Während seine Augen noch versuchten die schnellen Bewegungsabläufe zu registrieren, hatte sich sein Körper instinktiv auf Abwehr eingestellt und beschäftigte sich ausschließlich mit der Flucht nach hinten. Sein dröhnender Kopf zeigte sich nicht begeistert von der plötzlichen Ertüchtigung und Schweiß brach aus seinen Poren.

Noch während Alexis seinen nächsten Schritt plante täuschte der Herzog einen Sprung an, drehte sich halb um die eigene Achse und platzierte seine Klinge mit tödlicher Präzision an Alexis' Hals.

„Ich dachte, die Schulter war das Ziel.“, brachte der Getroffene keuchend hervor.

„Habt Ihr Angst, junger Herr?“, antwortete Samuel und man konnte das spöttische Lächeln fast hören.

Einen Moment sagte keiner von beiden etwas. In leicht geduckter Haltung standen sich die beiden Kontrahenten gegenüber und die Spannung zwischen ihnen war fast greifbar. Alexis spürte, wie ihm ein Schweißtropfen die Schläfe hinabrann. Sein Sinne waren zum Zerreißen gespannt und er versuchte verzweifelt, das Hämmern in seinem Kopf zu ignorieren. Er sah die Augen des Herzogs hinter dem feinmaschigen Drahtgeflecht funkeln und wurde das Gefühl nicht los, dass dieser etwas erwartete: Ein unbedachtes Wort, eine Bewegung außer der Reihe. Alexis war wie im Blick eines Raubtieres gefangen und plötzlich fühlte er die Klinge, trotz des Sicherheitsanzuges, mit überdeutlicher Schärfe an seinem Hals.

Dann entspannte sich der Herzog mit einem tiefen Atemzug, ließ das Florett sinken und trat einen Schritt zurück.

„Ihr habt die Planche verlassen, Lord Alexis. Achtet auf Eure Füße, lasst Euch von der Bewegung leiten. Fechten bedeutet im Fluss zu sein: Körper und Geist sind eins und arbeiten ohne Nachzudenken. Sie bilden eine perfekte Einheit und folgen nur dem Florett.“, sagte Samuel leise und führte einige gleitende Bewegungen aus, die ebenso elegant wie gefährlich wirkten. Der Körper des hochgewachsenen Mannes schien selbst zur Waffe zu werden und die geschmeidigen Muskeln, die sich deutlich unter dem Anzug abzeichneten, bewiesen sowohl Kraft als auch Ausdauer.

Alexis war so in die Betrachtung seines Gegenüber versunken, dass er seinem Lehrer eine Antwort schuldig blieb. Er nickte nur stumm und ging erneut in die Ausgangsposition.
 

Nach ganzen vier Stunden schweißtreibenden Trainings gab der Herzog endlich das Zeichen zum Abschluss. Er verneigte sich sehr respektvoll vor dem jungen Lord und nahm dann seine Maske ab. Alexis konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Seine Muskeln waren so verkrampft, dass jede noch so kleine Bewegung zur Qual wurde und der Schmerz in seinem Kopf war so gewaltig, dass ihm die Luft wegblieb. Er nickte nur keuchend, erwiderte die Verbeugung jedoch nicht.

„Das war schon sehr gut, ich bin überrascht.“, sagte Samuel und seine Stimme klang ehrlich beeindruckt. Er lächelte und schlüpfte aus seinen Handschuhen.

„Dann merkt Euch dieses Gefühl.“, antwortete Alexis spöttisch und stöhnte leise auf. Mit einer trotzigen Bewegung warf er Waffe und Maske auf den Tisch und ging, ohne ein weiteres Wort, zur Tür.

Er war schon auf halbem Weg nach oben, als ihm einfiel, dass er sein Buch liegengelassen hatte. Er wog ab, für den Moment darauf zu verzichten und es sich später von einem der Angestellten bringen zu lassen, doch die Befürchtung, der Herzog könne auf die Idee kommen, es ihm persönlich zu überreichen, ließ ihn umkehren.

Mit leisen Schritten kehrte er zurück und öffnete lautlos die Tür. Seine Augen brauchten einen Moment ehe sie sich vom schummrigen Halbdunkel des Flures an die warme Helligkeit der schwindenden Nachmittagssonne gewöhnt hatten, dann blieb Alexis die Luft weg.

Samuel stand in der Mitte des Raumes, sein Oberkörper war entblößt. Die Sonnenstrahlen tanzten auf der weichen Haut und ließen die vielen winzigen Schweißperlen wie Kristalle glitzern. Seine glänzenden Haare waren offen und fielen in langen, seidigen Strähnen über seinen weißen Rücken hinab. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, sein Atem ging ruhig und gleichmäßig.

Alexis war wie gebannt. Er war weder in der Lage, seinen Blick von der weichen Perlmutthaut abzuwenden, noch einen klaren Gedanken zu fassen. Das Bedürfnis diese makellose Schönheit zu berühren, sie zu entweihen, war so übermächtig, dass Alexis fürchtete, er würde daran ersticken.

Noch nie in seinem Leben war er von solch heftigen Verlangen getrieben, dessen war er sich sicher.

Der Herzog fuhr sich langsam durch die Haare, dann wandte er sich um.

„Oh junger Lord, Ihr seid noch hier?“, fragte er überrascht und machte keine Anstalten sich zu bedecken. Seine sehnigen Muskeln zeichneten sich deutlich ab, die breite Brust war ebenso kräftig wie der restliche Körper. Er war..

„Perfekt.“, hauchte Alexis leise und hörte seine eigene Stimme nur entfernt, wie durch dichten Nebel.

Die Augen des Älteren weiteten sich überrascht, er blieb aber ernst.

Der junge Lord schüttelte den Kopf, versuchte seine Gedanken zu ordnen und stellte fest, dass es ihm nur gelingen würde, wenn er den Blick abwandte.

„Ich habe nur.. das hier.. vergessen.“, sagte er leise und klang schüchtern wie ein Kind. Er griff nach dem gesuchten Buch und senkte den Blick. Ihm war plötzlich heißer als während des gesamten Trainings.

Der Herzog lächelte anzüglich und verschränkte die Arme vor der Brust, seine Blick verriet deutlich, dass er sich amüsierte. „Dann habt Ihr hoffentlich gefunden, wonach Ihr sucht.“, sagte er leise und trat in den Schatten, wo seine Augen einen dunklen Schimmer annahmen.

Alexis blinzelte als ihm bewusst wurde, was Samuel meinte, dann machte er ruckartig auf dem Absatz kehrt und hetzte die Treppen hinauf in sein Gemach.
 

Entgegen seiner Gewohnheit erwachte Alexis ganz von selbst. Er öffnete die Augen ruckartig, alles war dunkel. Verwirrt und übernächtigt tastete er nach dem Zunder und entfachte den dreiarmigen Leuchter auf seinem Nachtisch. Unruhige Schatten tanzten an den samtenen Vorhängen seines Bettes, die er, wie schon seit langem nicht mehr, am Abend zugezogen hatte. Er hatte das Gefühl von Schutz und Geborgenheit gebraucht und hatte seine Gedanken aussperren wollen.

Müde wischte er sich über die Augen und seufzte leise, dann schwang er seine Beine aus dem Bett und trat aus dem warmen Kokon seiner Privatsphäre in die kühle Dunkelheit des Zimmers.

Der Mond schien hell und kalt durch die hohen, unverhüllten Fenster und malte silberne Ornamente auf die weichen Teppichböden. Alexis war schon seit Jahren nicht mehr mitten in der Nacht erwacht, was wohl auch seinem regelmäßigen Alkoholkonsum geschuldet war, aber erinnerte sich an einige schreckliche Nächte seiner Kinderzeit. Damals hatte er sein Zimmer noch im Westflügel des Anwesens gehabt, der die weitaus größer geschnittenen Räumlichkeiten beherbergte. Der kleine Alexis hatte sich dort immer fremd gefühlt, die hohen Decken hatten ihm das Gefühl von Unbedeutsamkeit gegeben.

Nun stand der junge Herr regungslos in seinem Zimmer und lauschte angestrengt in die Stille, in der Hoffnung eine Ursache für sein plötzliches Erwachen zu finden. Nichts.

Einen Moment erwog er, einfach zurück unter die warmen Decken zu schlüpfen, das unangenehme Gefühl in seiner Erinnerung zu ignorieren und versuchen weiterzuschlafen, verwarf den Gedanken dann aber wieder.

Er war gestern Abend voller Verwirrung und Zorn, jedoch ohne Essen ins Bett gegangen und nun spürte er ein unangenehmes Nagen in der Magengegend. Ein kleiner Abstecher in die Küche konnte nicht schaden und die Bewegung würde ihm sicher gut tun.

In ein Hemd schlüpfend verließ er sein Gemach und schlich, ohne Lichtquelle und mit nackten Füßen, durch die langen Gänge. Er hatte bereits die Hälfte des Weges hinter sich gebracht, als er ein leises Geräusch vernahm.

Er beschloss, seiner Neugier nachzugehen und stand, nur mäßig überrascht, nach kurzer Zeit vor der Tür des Herzogs. Der Lichtschein der durch die Türritzen drang war unstet und flackernd, ein leiser Zug pfiff durch die mangelnden Dichtungen. Samuel schien nicht nur wach zu sein, er musste auch sein Fenster geöffnet haben. Alexis fröstelte im leichten Luftzug und von Trotz geschüttelt beschloss er, seinem eigentlichen Vorhaben nachzugehen und sich nicht weiter um die Angelegenheit des Eindringlings zu kümmern. Die Wut und Verunsicherung über das gestern Erlebte flutete wieder in Alexis' Bewusstsein und drückte ihm für einen Moment die Luft ab, ehe er sich wieder fasste. Er atmete tief ein und wäre fast ohnmächtig zusammengesunken, als er direkt hinter sich und überdeutlich eine Stimme wahrnahm.

„Guten Morgen, Lord Alexis.“, sagte Samuel und seine Stimme verriet sowohl Überraschung als auch Argwohn. Der Schreck in den Knochen des Angesprochenen saß so tief, dass er für einen Moment unfähig war zu antworten, dann kehrte sein Bewusstsein zurück.

„Warum seid Ihr noch wach?“, fragte er und merkte, dass sein Unwille stärker wurde. „Und warum schleicht Ihr hier nachts umher? Sucht Ihr etwas?“ Alexis legte bewusst einen drohenden Unterton in seine Stimme und hoffte, er würde nicht so kreideweiß und verängstigt aussehen, wie er sich bis vor ein paar Sekunden noch gefühlt hatte.

Samuels Gesichtsausdruck wurde eine Spur härter und er presste seine Lippen aufeinander, unter seinen schönen Augen lagen dunkle Ringe. „Ich bin Euer Gast und Euch keine Rechenschaft schuldig.“, antwortete er und für einen Moment erwartete Alexis fast, dass er eine unbeherrschte Geste machen würde. Der Herzog wirkte übernächtigt und angespannt, seine Haare lagen in wirren Strähnen um das bleiche Gesicht.

„Aber es ist mein Haus und wenn Ihr mein Gast seid, habt Ihr Euch an meine Regeln zu halten.“, gab Alexis ungehalten zurück. Seine Verwirrung über die Ereignisse nach der gestrigen Trainingsstunde brach sich in Zorn bahn und der Unwille, die patzige Antwort des Herzogs hinzunehmen war einzig Ergebnis seiner unausgegorenen Gefühle.

Für einen Moment wirkte Samuel, als wollte er ebenso aggressiv kontern, dann atmete er tief ein und alle Anspannung wich aus dem schlanken Körper. „Ihr habt recht.“, stimmte er friedfertig zu und trat einen Schritt zurück. „Ich konnte nicht schlafen und habe einige Schritte durch die Ländereien unternommen.“ Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und wirkte abgespannter denn je. „Ich hoffe, Ihr werdet das auch in Zukunft gestatten, da ich des Öfteren Probleme habe, Schlaf zu finden.“

Enttäuscht, über die plötzliche Wendung des Gesprächs und die Entspannung der Situation schnaubte Alexis nur unwillig auf. Er hatte sich auf einen Schlagabtausch gefreut, ihn sich herbeigesehnt: bei allen Vorherigen war stets Samuel als Sieger hervorgegangen und das kränkte den jungen Lord über alle Maßen. Nun wurde er so leichtfertig um seinen Erfolg gebracht und wusste, wie so oft, nichts zu erwidern.

„Ich werde jetzt in meine Räumlichkeiten zurückkehren, wenn Ihr es gestattet.“ Und mit einer eleganten Bewegung schob sich Samuel an seinem Gegenüber vorbei.

Als die Tür hinter dem Herzog ins Schloss fiel wurden Alexis' Knie weich.

Zügellos

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kein Zurück

Alexis' Herz raste wie ein winziger, flatternder Vogel. Er lag in seinem Bett und starrte an den schweren Himmel aus Samt, seine Gedanken drehten sich wild im Kreis. Er war noch immer wie berauscht, fuhr sich gedankenverloren über die vollen Lippen und spürte auch lange nach dem Kuss noch das Brennen, dass Samuels Mund hinterlassen hatte.

Der stattliche Mann hatte ihn für diese Nacht so gefangengenommen, dass sich nicht mal der bekannte Trotz, die Wut darüber, erobert worden zu sein, einstellte. Nichts an der heftigen Vereinigung schien Alexis falsch oder unwert gewesen zu sein, viel eher musste er sich nach und nach eingestehen, dass es noch nie in seinem Leben einen solch intimen Moment gegeben hatte.

Er hatte gewiss schon mit vielen Frauen geschlafen und nicht wenige von ihnen hatten ihm Befriedigung verschaffen können, aber die wilde Lust, die ihn beim bloßen Anblick des rothaarigen Mannes erfasst hatte, übertraf alles bisher erlebte. Noch immer pochte sein Glied in fordernder Leidenschaft zwischen seinen erhitzten Schenkeln und schien es ihm unmöglich zu machen, in den nächsten Stunden einzuschlafen. „Na großartig.“, seufzte Alexis leise und griff in die baumwollene Unterhose, wo sich seine heiße Erregung gierig nach Berührung streckte.
 

Es dämmerte bereits, als der junge Mann in seinem Bett endlich den Schlaf fand, nach dem sein Körper so dringend verlangte.

Nachdem er sich mehrere Male an Samuels Anblick vor seinem inneren Auge befriedigt hatte und seine Lust sich endlich zurückzog, waren ihm noch einmal die Gespräche mit seinem Objekt der Begierde in den Sinn gekommen. Samuel war nur auf Anordnung seines Vaters hier und Alexis war sich sicher, dass er ebenso schnell wieder verschwinden würde, wie er aufgetaucht war. Es war also besser, sich emotional nicht zu binden – er konnte nur verlieren.

Dann endlich wurden seine Augenlider schwer und er fiel in einen unruhigen Schlaf.
 

„Guten Morgen Schlafmütze.“

Alexis stöhnte gequält auf und drehte sich zur Seite. Noch ehe er die Augen öffnete, wusste er, wer ihn geweckt hatte. Er kannte den schweren, süßlichen Geruch nur allzu gut und nur eine Person auf der Welt würde es wagen, ihn in seinen Gemächern zu belästigen.

„Verschwinde Cecilia.“, murmelte er leise und versuchte das grelle Sonnenlicht auszusperren, indem er sich eines der schweren Kissen über den Kopf zog.

„Aber mein Süßer, willst du mich denn gar nicht begrüßen?“, flötete die vollbusige Frau und zerrte an Alexis' Arm. Sie trug ein weit ausgeschnittenes Kleid und ihre dicken, braunen Locken waren zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt.

Der junge Mann stöhnte erneut und beschloss, seine unwillkommene Besucherin einfach geflissentlich zu ignorieren: irgendwann musste sie aufgeben. Er wollte Cecilia weder sehen noch mit ihr reden. Allein ihre Anwesenheit schien seinen Stresslevel bis zum Limit auszureizen, ihren Anblick würde er nicht ertragen. Nach dem was gestern passiert war, was er gefühlt und erlebt hatte, gab es nichts mehr, was ihm diese Frau noch bieten konnte, dessen war er sich völlig sicher.

„Komm schon Alexis, ich will spielen.“, flüsterte die Baroness heiser und versuchte sich durch das Kissen zu ihrem kleinen Geliebten zu graben.

„Lass mich in Frieden.“, fauchte Alexis und rollte sich zu einem harten Ball zusammen.

„Was ist denn los mit dir? Bist du krank?“, fragte Cecilia nur wenig besorgt und Alexis konnte fast hören, wie sich ihre Augenbrauen unwillig zusammenzogen.

„Nein, ich hab' nur einfach keine Lust auf dich.“, antwortete er und stellte befriedigt fest, dass es ihm egal war wie unhöflich er diese Frau behandelte.

Sie hatten seit vielen Jahren ein Verhältnis: Cecilia war Französin und lebte auf Geheiß ihrer Eltern in England. Ihre einst reiche Familie war im Verlauf der Revolution verarmt und konnte sich die teure Erziehung einer Dame nicht leisten. Sie lebte deshalb bei ihrer Tante und pflegte, wie Alexis vermutete, einige intensive Beziehungen zu den umliegenden Anwesen. Der junge Lord hatte sie, trotz des Altersunterschieds von knapp zwölf Jahren, immer als eine attraktive und begehrenswerte Frau empfunden. Doch nach dem gestrigen Abend hatte er nichts als Desinteresse für sie übrig.

„Was sollen diese Kindereien Alexis von Gloucestershire, sprich gefälligst in einem angemessenen Ton mit mir.“, sagte die Baroness nun eindeutig gereizt und die Bewegung unter seinem Körper verriet Alexis, dass sie sich aus seinem Bett erhoben hatte. Er wusste, dass er jetzt gut daran tun würde, sich ihrer Forderung zu stellen und vernünftig mit ihr zu reden, aber das Kind in ihm wehrte sich so heftig, dass er einfach stumm liegenblieb.

Cecilia seufzte: „Werde endlich erwachsen, Alexis.“, sagte sie mitleidig, dann fiel die Tür ins Schloss.

Erleichterung durchströmte den Jungen und er strampelte sich unter dem Kissenberg hervor. Er brauchte eine ganze Weile, ehe sich seine nachtschweren Augen an den grellen Sonnenschein gewöhnt hatten, dann stand er auf. Er fühlte sich so müde wie am Abend zuvor: seine Glieder waren bleiern schwer und jeder Muskel in ihm schien verspannt.

Als er die Tür zur Terrasse öffnete schlug ihm eine warme Brise entgegen, die Luft schmeckte nach Honig und war schwer vom Blütenstaub. „Wie schön.“, flüsterte Alexis leise und fing ein herumschwirrendes Blütenblatt auf. Er liebte den Spätsommer.

Der junge Lord fuhr zusammen als es ungewöhnlich laut und fordernd klopfte und war überrascht, als die Tür, noch ehe er geantwortet hatte, aufgestoßen wurde.

„Da bist du ja.“, raunzte Lysander sofort und stürmte wie ein wildes Tier in das Gemach seines Sohnes. Hinter ihm trat Henry ein, einen entschuldigenden Ausdruck auf dem Gesicht.

„Ich war gestern schon einmal hier, aber du hast es ja vorgezogen dich mit weit weniger wertvoller Gesellschaft zu umgeben.“, fuhr der Count fort und sein Blick durchstreifte das Zimmer mit unangenehmem Interesse. Als seine Augen schließlich auf seinem Sohn ruhten sah man ihm deutlich an, wie sehr er dessen Aufzug missbilligte. Alexis war in der Tat nicht besonders standesgemäß gekleidet: Auf seinen Schultern hing lediglich ein viel zu großes Hemd, das ihm locker über die Taille fiel. Der Rest seines gebräunten Körpers war nackt, einschließlich seiner Füße.

„Oh, dann muss mir die gestrige Ankündigung Eures Besuchs wohl entgangen sein.“, zischte der junge Lord bissig und warf seinem Vater einen zornfunkelnden Blick zu. „Ebenso wie die heutige.“, fügte er hinzu und hoffte inständig, dass er diesem Gespräch bald entkommen konnte.

„Dies ist immer noch mein Anwesen und ich kann hier kommen und gehen wie es mir beliebt.“, gab Lysander zurück und betrachtete naserümpfend die leeren Weinflaschen neben dem Bett. „Herzog Samuel hat mich auf den neusten Stand eures Unterrichts gebracht und ich muss zugeben, dass ich recht positiv überrascht war, als er mir mitteilte, du würdest kooperieren und bereits Fortschritte machen.“ Er kam mit einigen Schritten sehr nahe an seinen Sohn heran und seine Augen blitzten gefährlich. „Und ich dachte immer, du wärst unnütz.“, fügte er hinzu und schien es zu genießen, dass sein Sohn unter seinen Worten wie unter einem Peitschenhieb zusammenzuckte. Alexis war für einen Moment wie gelähmt, dann ermahnte er sich innerlich nicht kleinbeizugeben und holte zu einer Antwort aus.

„Wenn Ihr gekommen seid um mir das zu sagen, dann muss ich Euch leider enttäuschen. Dass Eure Meinung von mir keine allzu hohe ist, wurdet Ihr bereits zu meiner Kinderzeit nicht müde zu erwähnen, Vater.“, er spie das letzte Wort aus und musste sich beherrschen, um seinem Gegenüber nicht in das strenge Gesicht zu spucken.

Lysander hielt einen Moment dem trotzigen Blick seines Sohnes stand, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Seine raue Stimme hallte von den hohen Wänden wieder und Alexis hörte den puren Hohn heraus. „Du benimmst dich wirklich wie ein Mädchen mein Junge.“, brüllte er unter einer Welle von Lachkrämpfen und für einen Augenblick musste er sich an dem hohen Kaminsims abstützen. Dann schüttelte er langsam den Kopf und wurde wieder ernst.

„Hätte mir deine Mutter doch nur ein Weib zum Kind geschenkt, das könnte ich wenigstens verkaufen.“, er hielt einen Moment inne und musterte seinen Sohn von oben bis unten, dann wurde sein Blick so hart wie Stahl. „Obwohl, bei deinen dürren Beinen und den langen Fransen auf dem Kopf würde ich dich sicher auch so loskriegen, du...“

Mehr bekam Alexis nicht mehr mit. Mit einem Ruck drehte er sich um und rannte, der Verzweiflung nahe, auf die Terrasse, die Treppe hinunter und hinein in den kühlen Schatten des weitläufigen Gartenlabyrinths.

Tränen rannen aus seinen brennenden Augen, vernebelten seine Sicht und ließen ihn halb blind über den taufeuchten Rasen stolpern. Seine Wangen brannten vor Scham und Wut und obwohl seine Beine gegen die ungewohnte Belastung rebellierten, gönnte er sich keine Pause und setzte seinen Weg ungebremst fort.

Er wusste nicht, wohin ihn seine Füße trugen und es schien auch keinen Sinn zu haben seine Füße befehligen zu wollen. Sie folgten nur ihrem eigenen Willen.

Umso überraschter war Alexis, als er knapp hinter einer engen Kurve ganz unvermittelt vor ein Hindernis prallte. Er taumelte einige Schritte zurück und fing sich im letzten Moment. Verwirrt blinzelte er die Tränen weg und merkte wie sein Herz einen Hüpfer machte als er Samuel erkannte. Hochgewachsen und akkurat wie am Tag seiner Ankunft ragte er vor Alexis auf, der sich plötzlich so winzig wie nie zuvor in seinem Leben vorkam. Schatten lagen auf dem Gesicht des Herzogs und ließen die helle Narbe über seinem rechten Auge überdeutlich hervortreten. Er lächelte nicht.

„Ist alles in Ordnung mit Euch, junger Lord?“, fragte er leise und musterte sein Gegenüber mit Adleraugen. Er wirkte für einen Moment ebenso verwirrt wie Alexis sich fühlte, dann erschienen Sorgenfalten auf seinem schönen Gesicht.

Er wartete eine ganze Weile auf eine Antwort seines jungen Gegenübers und spürte, wie Nervosität und Verlangen einen stummen Kampf in ihm fochten. „Geht es Euch gut?“, versuchte er es erneut und war mehr als überrascht, als sich Alexis mit einem tiefen Schluchzer in seine Arme warf.

Wie ein kleiner Junge drückte sich der schwarzhaarige Lord gegen Samuels Brust und weinte so haltlos, dass es dem Herzog das Herz in der Brust zusammenzog.

Er wurde seiner Überraschung schnell Herr und schlang seine Arme und den zitternden Körper, streichelte beruhigend den schmalen Rücken auf und ab und murmelte leise Worte. Schnell sog sich sein Hemd mit den salzigen Tränen seines Schützlings voll und er spürte die feuchte Flut auf seiner bloßen Haut. Samuel wusste nicht, wer den Lord so aufgeregt hatte, aber er spürte in sich den unbedingten Drang, demjenigen schlimme Schmerzen zuzufügen. Niemand sollte so weinen müssen.

„Beruhige dich Alexis.“, flüsterte er leise und versuchte den Klammergriff des jungen Mannes zu lösen. Keine Chance. Nur noch dichter drückte der Schwarzhaarige sich an seine Brust, rieb seinen verführerischen Körper an dem seinen und Samuel hatte einige Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken. Schon beim Zusammenprall war ihm die luftige Kleidung seines Schülers aufgefallen, doch nun, wo er so dicht an ihm stand, spürte er die nackte Haut des jungen Mannes unter seinen Fingern. Das weite Hemd bedeckte in der Tat nur notdürftig die Männlichkeit des Lords und Samuel konnte nicht widerstehen: Mit einer sanften Bewegung strich er über die goldene Haut am Schenkel seines Gegenübers. Gänsehaut überzog Alexis und ein leises Stöhnen drang aus seinem Mund.

Noch immer rannen unaufhörlich Tränen aus seinen bernsteingelben Augen, aber die zärtliche Berührung eben schien all den Schmerz und die Erniedrigung wie weggewischt zu haben.

Alexis hörte auf zu Schluchzen, drückte sein Gesicht in die warme Halsbeuge seines Herzogs und konzentrierte all seine Sinne auf den einen Punkt an seinem Bein.

Samuel hielt inne. Er wusste selbst nicht, was ihn trieb und er spürte, dass das hier sehr falsch war, aber seine Finger wollten mehr von dieser samtenen Haut berühren, mehr streicheln und mehr entdecken.

„Nicht aufhören.“, murmelte Alexis an seinem Hals und blies seinen heißen Atem über die empfindsame Haut.

Und obwohl Samuel wusste, dass es ein Fehler war, gab er dem Bitten nach, gab seinem eigenen Bedürfnis nach Nähe nach, und streichelte noch einmal sanft über die weiche Haut.

Alexis spürte, wie empfindsam er war. Er genoss die schüchternen Finger auf seinem Körper, wollte mehr und gleichzeitig diesen kostbaren, einmaligen Moment nicht zerstören.

Die Vögel zwitscherten um die Wette und der leichte Sommerwind brachte die feinsten Gerüche zu ihnen herüber. Der See rauschte leise in der Ferne und die weißen Wolkenschafe zogen friedlich über den tiefblauen Himmel.

Doch keiner der beiden Männer nahm irgendetwas von der Schönheit um sie herum war: sie existierten in diesem Augenblick nur füreinander.
 

Es schien eine pure Ewigkeit zu dauern ehe sich die beiden ungleichen Gestalten voneinander trennten, dann ergriff Samuel das Wort:

„Erzählt mir was passiert ist.“, sagte er bestimmt und berührte wie in Trance die feuchte Stelle auf seinem Hemd.

Alexis war einen Moment wie gelähmt, dann schluckte er schwer den Kloß in seiner Kehle hinunter und nickte. „Mein Vater, der Count... er war da und hat... so schreckliche Dinge gesagt. Ich weiß ja, dass ich ihm kein guter Sohn bin...kein guter Mensch bin, aber“, er hielt inne und seufzte tief, „ich habe immer gedacht, dass er mich wenigstens ein klein wenig mag. Stattdessen will er mich verkaufen.“ Die letzten Worte klangen verbittert und voller Gram.

Alexis zitterte noch immer am ganzen Körper: es war, als hätte die Abwesenheit von Samuels Umarmung eine tiefe Lücke in seine Beherrschung gerissen. Die schmalen Schultern hingen mutlos herab und ließen den jungen Lord wesentlich kleiner wirken als sonst, seine sonst so feurigen Augen schienen wie erloschen und sahen den Herzog flehend an.

„Wir sollten nicht hier darüber reden.“, gab der Ältere zurück und betete, dass man die raue, männliche Begierde nicht in seiner Stimme hören würde. Seine Hände zitterten beim Anblick des spärlich bekleideten jungen Mannes und nur sein eiserner Wille hielt ihn davon ab, ihre beiden Münder in einem wilden Kuss zu einen.

Ergeben nickte Alexis und sah sein Gegenüber mit durchdringenden Augen an:

„Wie spät ist es?“

Prüfend warf der Herzog einen Blick in den Himmel und brachte vorsichtshalber noch einen Schritt Abstand zwischen sich und den verführerischen jungen Mann. „Mittag, höchstens zwölf.“, antwortete er und es brach ihm das Herz zu sehen, wie offensichtlich Alexis unter der räumlichen Trennung litt.

„Dann sehen wir uns zum Essen?“

Samuel ging auf seinen Schüler zu, strich ihm mit einer zärtlichen Handbewegung eine einzelne Träne von der Wange und lächelte herzlich: „Ich würde mich sehr freuen.“
 

Als Alexis in seine Räumlichkeiten zurückkehrte, war sein Vater verschwunden. Die Tür stand offen und ein kühler Hauch strich die nackte Haut des jungen Lords.

Er war so erleichtert, seinem Vater nicht noch einmal begegnen zu müssen, dass erneut dicke, runde Tränen aus seinen Augen sprudelten.

„Nun reicht es aber, Alexis.“, murmelte er sich ungeduldig zu und schälte sich aus dem feuchten Hemd. Gedankenverloren ließ er den Stoff durch seine Finger gleiten und erwischte sich dabei, wie er prüfend daran roch, testete ob der Duft des Herzogs noch immer daran hing. Enttäuscht stellte er fest, dass dem nicht so war und er warf das Kleidungsstück voll Ungemach auf den Fußboden.

Während er sich die salzigen Spuren von der toffeebraunen Haut wusch, beruhigte sich sein hüpfendes, krampfendes Herz langsam und auch seine Glieder hörten auf zu zittern. Ihm wurde langsam wieder warm und die Aussicht, auf einen entspannten Nachmittag in der Bibliothek hellte seine Laune ein wenig auf.

Als das kleine Läuten unten in der Vorhalle das bevorstehende Mittagessen ankündigte, war Alexis bereits völlig angekleidet und bürstete sich gerade das noch immer duftende Haar.

„Perfekt.“, sagte er leise und machte sich gemächlich auf den Weg zum Salon.
 

Das Essen verlief ruhig und ereignislos. Schweigend genossen die beiden Männer Suppe und Fleisch, Alexis gönnte sich noch eine große Portion sahnigen Kuchen.

Samuel beobachtete ihn scheinbar belustigt und legte sein Kinn auf die gefalteten Hände.

„Ich habe beschlossen, in Anbetracht der morgendlichen Erregungen“, er räusperte sich ob der unglücklichen Wortwahl, „den Lehrplan für heute auszusetzen und stattdessen den etwas mehr Praxis orientierten Teil vorzuziehen: Was haltet ihr von einem Ausritt?“

Alexis dachte einen Moment kauend nach, dann lächelte er kindlich.

„Das wäre schön.“, gab er ehrlich zu und schluckte die zuckrige Masse hinunter. Ein Ausritt, dass würde ihm sicher guttun und er konnte seinen peinlichen Auftritt von neulich wieder wettmachen. Er wusste, dass er mit seiner eleganten Fuchsstute ein sehr sinnliches Bild darstellte, das war sein Trumpf und er wusste ihn durchaus auszuspielen.

„Lasst mich noch einen Moment ausruhen, mein Lord, dann sehen wir uns an den Ställen.“ Samuel erhob sich seufzend und verschwand einige Sekunden später in den Flur.

„Alter Mann.“, lächelte der Schwarzhaarige und beschloss, sich die Wartezeit an der frischen Luft zu vertreiben.
 

Das Wetter war noch immer einladend und die Sonne wärmte Alexis' Nacken mit angenehmer Stärke. Einige Bedienstete gaben sich hektischen ihren Aufgaben hin, liefen geschäftig hin und her und wirkten, als wollten sie ihrem jungen Herrn entfliehen.

Ein wenig beleidigt betrat Alexis die niedrige Stallgasse, öffnete geschickt die gewünschte Box und führte die rostbraune Stute ins Freie. Schnaubend folgte sie ihm und als er begann sie zu striegeln, stupste sie ihn verspielt an. „Hey lass das.“, kicherte er und fühlte sich zum ersten Mal, nach der weichen Umarmung des Herzogs, wieder wie der Alte.

Es dauerte eine ganze Weile, ehe er das Pferd soweit gesäubert hatte, dass er zufrieden war. Er beauftragte einen der Pagen die unruhige Stute aufzuzäumen, dann holte er den taubengrauen Hengst von der weitläufigen Koppel und befreite auch ihn gründlich von Staub und Schmutz.

Er war eben fertig, als der Herzog aus dem Portal schritt. Er trug hohe schwarze Reitersteifel, eine enge Hose mit passendem Hemd und sein langer Staubmantel hing locker auf den breiten Schultern.

Alexis schluckte schwer und wandte sich wortlos ab, denn er hatte das Gefühl, keines seiner Worte würde ihm gehorchen.

„Wie ich sehe, habt Ihr mir bereits ein Pferd zugedacht.“, stellte Samuel fest und tätschelte beruhigend den muskulösen Hals des Hengstes. Er schien, im Gegensatz zu den Angestellten um sie herum, nicht die Spur von Angst vor diesem Tier zu haben und auch wenn Alexis es sich nicht gern eingestand, musste er zugeben, dass ihn das beeindruckte.

„Ich dachte, Ihr würdet Archeron mögen.“, antwortete der junge Lord und spürte, wie ihm beim Anblick des rothaarigen Mannes ein Schauer den Rücken hinab rann. Samuel nickte wortlos und warf den schweren Ledersattel mit einer lässigen Bewegung auf den Rücken des Tieres. Mit einigen fachkundigen Griffen hatte er ihn ordnungsgemäß befestigt und schwang sich mit einer weit ausholenden Bewegung in die Höhe.

Mit geschlossenen Augen verharrte er einen Moment, schien sich an das schwere Pferd unter seinem Körper gewöhnen zu müssen, dann lächelte er selig.

„Ich habe viel zu lange keinen Ritt mehr gemacht.“, sagte er und Alexis kam nicht umhin, ihn anzustarren. Es schien, als würde er wiederrum eine ganz neue, unbekannte Seite an dem Herzog entdecken und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, was sich für eine schillernde und vielfältige Persönlichkeit hinter dem strengen, akkuraten Äußeren versteckte.

Eilig schwang auch er sich auf seine Stute und lenkte das nervöse Tier neben den grauen Hengst.

„Ich würde vorschlagen, ihr reitet vor – ich habe keinerlei Kenntnis über die Örtlichkeiten.“, sagte Samuel und sie verließen im gemächlichen Schritt den kiesbestreuten Vorplatz.

„Das sollten wir ändern.“, antwortete der junge Lord und nahm nur unterschwellig wahr, wie schön er es fand, das Wort 'wir' zu benutzen.
 

Sie waren eine ganze Stunde auf dem weitläufigen Gelände unterwegs gewesen, hatten entweder geschwiegen oder sachliche Worte über den Baumbestand und die Bodenbeschaffenheit gewechselt. Es war schon eine ganze Weile still ehe sich Alexis überwand zu fragen, was ihn schon so lange beschäftigte.

„Sagt mal, Herzog, Euer Name klingt ausländisch. Woher kommt Ihr?“ Seine Stimme klang weniger fest als er gehofft hatte und er schämte sich dessen sehr.

„Warum wollt Ihr das wissen?“, gab Samuel zurück und schenkte ihm einen aufmerksamen Seitenblick. Alexis zuckte die Schultern und war nicht mutig genug, das Gespräch erneut aufzunehmen.

Sie ritten den dichtbewachsenen Waldweg entlang, ihre Tiere hatten gut nebeneinander Platz und die Luft war erfüllt vom leisen Schwirren der Insekten.

„Ich bin in Deutschland geboren“, erklärte Samuel schließlich, „und auch dort aufgewachsen. Mit meinem jüngeren Bruder Karl.“ Er stoppte seine Rede und Alexis wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass Samuel nicht besonders glücklich über seine Abstammung war.

„Seid Ihr der Thronfolger?“, fragte er und schalt sich in Gedanken ob seiner unangebrachten Neugier. Samuel seufzte:

„Im Grunde schon, aber ich schätze es nicht, tagelang in dunklen Kammern über Regierungsentwürfen zu brüten und meine kostbare Zeit mit dem Schmieden von politischen Intrigen zu vergeuden. Karl erledigt das für mich ganz hervorragend.“ Er klang verbittert und Alexis bereute es, nachgefragt zu haben. Er hatte die friedliche Stimmung zwischen ihnen nicht zerstören wollen und er versuchte die Situation zu retten.

„Den ganzen Weg runter bis zum See, da wo die alte Trauerweide steht, der Schnellere gewinnt.“ Alexis deutete mit der Hand vage in die gemeinte Richtung.

Einen Moment sah ihn Samuel fragend an, dann lichteten sich die tiefen Falten auf der Stirn des Mannes und er lächelte.

„Ein Wettrennen! Auf drei?“

„Auf drei.“, stimmte Alexis zu und spürte wie das Adrenalin durch seinen Körper strömte. Jeder Muskel in ihm spannte sich an und er beugte sich tief über den Hals seiner schönen Stute.

„Blamiere mich bloß nicht, Bavieca.“, murmelte er und als das vereinbarte Startsignal an sein Ohr drang presste er seine Hacken so fest in die Flanken des Tieres, dass es erschrocken wieherte. Ein wilder Schrei entfuhr Alexis' Mund und wie der Teufel jagte er los.

Bavieca, die leichte Fuchsstute, hatte einen klaren Vorteil was den blitzartigen Start betraf, aber schon hörte der junge Lord die donnernden Hufe des schweren Hengstes herannahen. Voll animalischer Freude drückte er seinen Rücken durch, schob sich noch weiter nach vorn und trieb das Pferd unter sich abermals an. Die Stute gehorchte, streckte sich noch einmal und nahm an Geschwindigkeit zu. Wie der Wind jagte sie auf das glitzernde Wasser zu.

Aus dem Augenwinkel nahm Alexis den prachtvollen Reiter neben sich wahr. Samuel gab dem Ungetüm unter sich keine Chance, drängte den Hengst unbarmherzig voran und der Vorsprung des Jüngeren schmolz nur so dahin. Bald waren sie gleichauf, das rettende Ufer nur noch wenige Meter entfernt.

Doch Samuels Anblick war eine solch reine Freude, dass Alexis ganz vergaß zu gewinnen.

Der Herzog passierte die Trauerweide als Gewinner, riss das graue Pferd unter sich herum und brachte den schnaubenden Hengst mühelos zum Stehen.

„Gewonnen.“, rief er laut und sein erhitztes Gesicht wirkte erfrischt. Alexis zügelte Baviecas schnellen Lauf und lenkte sie direkt neben Archeron.

„Diesmal schon.“, lächelte er und strich sich die schweißnassen Haare aus dem Gesicht, „Aber warte es nur ab, beim nächsten Mal bin ich nicht so gnädig.“ Er lachte.

„Wir werden sehen.“, antwortete Samuel amüsiert und rutschte elegant vom breiten Rücken des Hengstes. Als Alexis ihm folgte, zitterten seine Beine für einen Moment so stark, dass er fürchtete umzufallen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Samuel nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag und klopfte Archerons schaumbedeckte Flanke. Sein Zopf hatte sich gelöst und die langen Strähnen fielen weit bis in seinen Rücken hinab. Die Sonne zauberte Millionen von kleinen Lichtreflexen auf die seidigen Haare und ließen es in einem unnatürlichen Rot erstrahlen. Wie in Trance griff Alexis danach, wickelte sich eine weiche Strähne um den Finger und seine Augen waren groß wie die eines Kindes im Spielzeugzimmer. „Eure Haarfarbe ist wunderschön.“, murmelte er leise und schien in Gedanken versunken.

Samuel brauchte all seine Selbstbeherrschung um nicht Alexis' Beispiel zu folgen. Das Bedürfnis sein Gegenüber einfach zu packen und zu küssen, ihm sein Zeichen aufzudrücken, war so übermächtig, dass der Herzog für einen Moment die Luft anhielt und die Augen schließen musste.

Alexis hatte sich mittlerweile zum Nacken des Älteren vorgearbeitet. Er strich noch immer mit behutsamen Bewegungen über die glänzenden Haare, fuhr mit spitzen Fingern in den Ansatz und löste eine wahre Flut von Schauern auf Samuels Rücken aus.

Er war dem Herzog so nahe, dass er seinen herben Duft fast schmecken konnte. Lust erfasste den jungen Mann und in sich spürte er das übermächtige Verlangen nach mehr: mehr fühlen, mehr schmecken, mehr erleben.

„Alexis, bitte nicht...“, bat Samuel leise und spürte, wie jeder gute Vorsatz in ihm schmolz. Er konnte dem verlangenden Mann vor sich nicht widerstehen, mit jeder Faser seines Körpers wollte er sich der kaffeebraunen Haut bemächtigen und ihm nahe sein. „Oh doch.“, gab Alexis mit heiserer Stimme zurück und küsste ihn so voller Gier, dass dem Herzog die Luft wegblieb.

Pure, glühende Leidenschaft jagte wie ein brennender Pfeil durch die Körper der beiden Männer und vertrieb auch die letzten Zweifel. Sie trennten sich für einen Moment, sogen gierig die Luft in ihre Lungen und fixierten einander. Stahlgrau verwob mit bernsteingelb und ihre geschwollenen Lippen trafen sich erneut. Heiß fochten ihren Zungen einen stummen Kampf und jeder versuchte die Oberhand zu erlangen. „Gewonnen.“, keuchte Alexis atemlos und Samuel musste lachen. „Diesmal schon.“, wiederholte auch er Alexis' Worte von vorhin und wusste, dass es ein nächstes Mal geben würde: Sie waren bereits viel zu weit gegangen, als das sie jetzt noch zurück konnten.

Unschuld

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Schritte zur Wahrheit

Viel zu schnell brach der neue Morgen über dem herrschaftlichen Anwesen herein. Schwere Regenwolken trieben über den grauen Himmel und ein feuchter Nebel hatte sich über die Ländereien gelegt.

Alexis gähnte herzhaft, streckte seinen schmalen Körper und brauchte einen Moment um sich zu orientieren. Dies war nicht sein Bett, so viel war sicher, und das waren auch nicht seine Kissen. Schlaftrunken sah er sich um und mit dem Anblick des Herzogs kam die Erinnerung an den gestrigen Abend zurück. Unvermittelt musste der junge Lord lachen, seine Hände fanden schnell den Weg zu Samuels nackter Haut.

Die langen Haare des Herzogs lagen wie eine Flut aus blutroter Seide auf den hellen Kissen. Glänzend und in sanften Wellen umspielten sie das friedliche Gesicht seines Besitzers, bildeten einen perfekten Kontrast zu dessen porzellanfarbener Haut.

„Guten Morgen Samuel.“, murmelte Alexis und ließ seine schlanken Finger über die breite Brust seines Geliebten wandern. Es war ein vollkommen neues und unbekanntes Gefühl für ihn, neben jemandem aufzuwachen, dessen Anwesenheit ihn erfreute. Normalerweise zog er es vor, sich von seinen Gespielinnen zu trennen noch ehe sie ihm auf die Nerven fallen konnten, mit Samuel war das anders. Dieser Mann war ein sprudelnder, aufregender Quell von Abenteuer und verbotener Lust. Seine Intelligenz und das Vermögen, mit Alexis Stur- und Verbissenheit mitzuhalten machten ihn zu einem würdigen Gegner.

Der Herzog zog für einen Moment voller Unwillen die Augenbrauen zusammen, dann drehte er sich zur Seite und zog Alexis mit einem Arm an seinen warmen Körper.

„Noch nicht aufstehen.“, murmelte Samuel leise und gab zum ersten Mal einen Blick auf seine undisziplinierte und widerspenstige Seite frei. Alexis lächelte, drückte seine Nase ganz fest in die weiche Kuhle am Hals des Herzogs und sog den betörenden Duft ein.

Ihm sollte es nur recht sein, der Tag würde nichts weiter von ihm erwarten.

Die beiden Männer stöhnten beide genervt auf, als es zaghaft an der Tür klopfte. Der junge Lord war eben im Begriff aufzustehen um die Tür zu öffnen, da hielt sein Lehrer ihn zurück:

„Keine gute Idee, Alexis.“, sagte er knapp und warf sich einen leichten Morgenmantel über. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte die unerfreuliche Wahrheit: es war später als angenommen, bereits halb neun.

Hinter der hohen Schwingtür wartete, schüchtern und nervös, Cassandra, die jüngste Angestellte, mit betretenem Blick. Ihre Stimme war dünn als sie sprach und Samuel wusste plötzlich wieder, warum sie ihn vom ersten Moment an gelangweilt hatte: Ihre blasse Persönlichkeit hinterließ nichts in ihm, was erinnerungswürdig gewesen wäre.

„Herzog Samuel, Count Lysander von Gloucestershire ist hier um sie zu sprechen.“, sie räusperte sich umständlich. „Er erwartet sie im Salon.“

„Richte ihm aus, ich bin in wenigen Minuten bei ihm.“, antwortete Samuel gewohnt korrekt und schloss die Tür ohne weiter Notiz von der jungen Frau zu nehmen.

Alexis setzte sich auf.

„Sie ist für deine Belange zuständig?“, fragte er und ließ deutlich den gereizten Unterton herausklingen. Samuel hob eine seiner perfekt geschwungenen Augenbrauen und lächelte dann schief.

„Sag mal, bist du eifersüchtig?“, fragte er und forderte Alexis mit seiner Direktheit geradezu heraus.

Der junge Lord drückte sich eines der dicken Kissen in den Bauch und zog einen Schmollmund. „Als ob ich das nötig hätte.“, murmelte er leise, fand dann aber doch noch zu einer passenderen Antwort. „Eigentlich nicht. Sie ist keine Schönheit und, um ehrlich zu sein: nichts an ihr ist besonders reizvoll.“

Samuel, der sich ankleidete hielt einen Moment in seinem Tun inne und musterte seinen jungen Schüler. „Ich bin nicht erpicht, an deinen Bettgeschichten teilzuhaben, sei es auch nur fiktiv.“, antwortete er und man hörte deutlich, wie verärgert er war.

Daraufhin schwieg Alexis, fühlte sich plötzlich unwohl und beschränkte sich im Folgenden darauf, seinem Lehrer beim Anziehen zuzusehen.

Nachdem sich Samuel mit penibler Genauigkeit seine Halsschleife gebunden hatte, kam er mit langen Schritten noch einmal zum Bett und beugte sich tief über Alexis' Gesicht.

Es fiel ihm schwer, sich nicht ein zweites Mal von dessen sinnlichem Duft und der betörend schönen Haut verführen zu lassen, aber sein Pflichtbewusstsein siegte.

„Und außerdem, mein junger Lord, liegt Schönheit stets im Auge des Betrachters.“, murmelte er deshalb nur halblaut, strich mit dem Finger über Alexis' Lippen und stand dann auf.

An der Tür drehte er sich noch einmal um:

„Ich würde dir empfehlen, dich anzukleiden und dann eventuell dein eigenes Bett aufzusuchen – dein Vater wäre nur milde begeistert dich in meinem vorzufinden.“

Dann fiel die Tür ins Schloss.
 

„Herzog Samuel, schön dich zu sehen.“, begrüßte der Count seinen Geschäftspartner mit einem gediegenen Lächeln.

Seine grünen Augen funkelten im Licht der wenigen Kerzen, in der Hand hielt er eine Tasse mit dampfendem Inhalt.

„Henry, einen Tee für den Herzog.“, orderte er sofort und bat Samuel mit einer Geste Platz zu nehmen.

„Ich danke dir, Lysander.“, antwortete der Jüngere gewohnt höflich und versuchte, seine Gedanken zusammenzuhalten. Es war von äußerster Wichtigkeit, dass er sich jetzt konzentrierte, immerhin galt es, gleich mehrere Sachen zu verbergen.

„Was führt dich hier her?“, fragte er und nippte an dem heißen Getränk.

„Ich habe mehrere Anliegen, zuerst aber zu den unerfreulichen Themen des Tages: Wie geht der Unterricht mit meinem Spross voran?“, gab der Count zurück und eine steile Falte erschein zwischen seinen funkelnden Augen.

Samuel überlegte einen Moment. Die Wahrheit zu sagen, nämlich das sie bis jetzt die meiste Zeit in Müßiggang und etwas, das man als Balztanz bezeichnen könnte, verbracht hatten kam nicht in Frage. Also musste es wohl eine durchdachte und exzellent vorgetragene Lüge sein.

„Nun, ich muss sagen ich bin äußerst positiv überrascht: nach allem was man mir über ihren werten Herrn Sohn geschildert haben, hatte ich bereits mit dem Schlimmsten gerechnet. Aber er schlägt sich wirklich gut, er ist ein intelligenter junger Mann mit dem Hang zur Faulheit – wundert dich das in diesem Alter Lysander?“

Ein überraschter Ausdruck hatte sich auf dem Gesicht des Älteren breitgemacht und er schien für einen Moment völlig irritiert. Er hatte sich heimlich einen Verbündeten erhofft, jemanden Unabhängiges, der seiner Frau endlich bestätigen würde, dass ihr Sohn ein hoffnungsloser Fall war und das Erbe damit an die Firma gehen würde. Lysander war kein Narr, er wusste, dass Alexis das aufgebaute Gewürzhandelsimperium seines Vaters, nach dessen Tod, nicht weiterführen würde. Viel eher würde er es wohl so schnell wie möglich an irgendeinen dahergelaufenen Geschäftsmann verkaufen, der die Arbeit seines, Lysanders, gesamten Lebens innerhalb weniger Monate zugrunde richten würde.

Der Count stöhnte auf. „Weißt du Samuel, ich hatte nicht erwartet solch positive Nachrichten zu erhalten und bin ehrlich gesagt ein wenig verstimmt. Ihr wisst doch von meinen Plänen, Alexis zu enterben und euch stattdessen die Ehre des Counts von Gloucestershire zu übertragen.“, sagte Lysander in gedämpftem Ton und trank einen Schluck des heißen Tees.

Nur widerwillig nickte Samuel und er spürte, wie sich ihm bei dem Gedanken, die engstirnige und konservative Monarchie eines alten Mannes fortzuführen, die Nackenhaare aufstellten. Der Count hatte ihn bereits vor Jahren, als Samuel auf Geheiß seines Vaters in den Gewürzhandel eingestiegen war und damit die guten Beziehungen zur erfolgreichsten Grafschaft im damaligen England sicherstellen sollte, in seine wahnwitzigen Pläne eingeweiht. Der alte Lysander wollte unter gar keinen Umständen seinen innovativen, jungen und wilden Sohn auf dem Thron sehen, das hatte er schon damals sehr deutlich gemacht – dabei war Alexis zu diesem Zeitpunkt gerade mal sechs Jahre alt gewesen.

„Was soll ich dir sagen Lysander, du wolltest doch die Wahrheit hören?“, entgegnete Samuel und konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. „Alexis ist nicht so schlecht wie du denkst und seine Fähigkeiten im rhetorischen und feinmotorischen Bereich sind weit ausgeprägter als du es mir prophezeit hast. Gib' ihm eine Chance sich zu beweisen, er wird dich nicht enttäuschen.“, sagte Samuel mit fester Stimme und hoffte, dass Lysander die schwärmerische Note in seiner Stimme überhören würde.

Er tat es, stattdessen wirkte sein Gesicht für einen Moment wie die zornige Maske eines alten Mannes, der sich um seinen Gewinn betrogen fühlte. Die klaren Augen wurden dunkel und Samuel fürchtete schon einen Wutausbruch, aber der Count fasste sich, mit der jahrelangen Übung eines Politikers, wieder und schob ein Lächeln über sein wahres Gesicht.

„Nun gut, wollen wir dieses Thema für heute ruhen lassen.“, gab er zwischen zusammengebissenen Zähnen zurück und stellte die feine Porzellantasse auf das Tablett. „Ich habe eine Nachricht für dich, von deinem Bruder, Samuel. Er bat mich dir diesen Brief zu geben.“

Er reichte dem Herzog einen kleinen, korrekt gefalteten Umschlag, der mit dem Sigel der Familie bedruckt war.

Rasch öffnete Samuel ihn und überflog die Zeilen. „Ein Aufstand?“, fragte er und runzelte die Stirn. „Was ist passiert?“

Lysander lächelte kalt. „Wenige der unteren Klassen haben sich zu einem kleinen Stell-dich-ein mit der Armee getroffen: es gab einen Protest gegen die niedrigen Löhne der Arbeiterschaft, wohl in der Textilindustrie, soweit ich weiß. Die Situation, so harmlos sie auch begonnen hatte, schien zu eskalieren, als die Aufständischen zu Steinen und Mistgabeln griffen - wie primitiv nicht?“ Der Count lachte überheblich und Hohn zeichnete sich in seinem Gesicht ab.

„Und weiter?“, fragte Samuel und gab sich Mühe, das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen.

„Nun, dein Bruder war nicht zimperlich und hat das einzig richtige getan, diesem Konflikt mithilfe der Armee beizuwohnen.“ Wieder lachte Lysander kalt auf. Er schien eine irre Freude daran zu haben, dass der Adel sich mal wieder mit Waffengewalt gegen die unverschuldet Unterprivilegierten durchgesetzt hatte.

„Gab es viele Verletzte?“, forschte Samuel weiter und spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. Sorge und Wut, ungeheure Wut über diesen arroganten, blasierten Mann vor sich, drohten ihn zu übermannen und nur mit großer Beherrschung gelang es ihm, seinen Atem ruhig und flach zu halten.

„Zehn oder fünfzehn.“, antwortete der Ältere leichthin und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das sollte ihnen eine Lehre sein, nicht?“

Samuel nickte mechanisch und blinzelte die rote Wut weg. Er wusste, dass er sich zusammenreißen musste, wenn er etwas erreichen wollte. Seine Aufgabe hier war noch nicht getan und er würde sich nicht aus einer Zügellosigkeit heraus vorzeitig verraten und damit selbst ins Aus befördern.

„Gibt es sonst noch Neuigkeiten?“, fragte er mit trockener Kehle und blickte aus dem Fenster.

„Nein. Das war es soweit. Ich habe dir die Routenpläne und Geschäftsbriefe für diesen Monat auf dein Zimmer bringen lassen.“ Der Count warf einen hektischen Blick auf die große Standuhr. „Ich muss mich auch empfehlen, die Arbeit wartet.“, fügte er hinzu und erhob sich umständlich.

Samuel folgte seinem Beispiel und öffnete die große Schwingtür des Salons. Draußen im dunklen Flur, an die Wand gelehnt, wartete Alexis auf die beiden Gesprächspartner. Anspannung stand in seinem Gesicht geschrieben, die großen bernsteingelben Augen leuchteten unnatürlich im Licht der einzelnen flackernden Kerze.

„Alexis.“, grüßte sein Vater knapp und machte eine flapsige Geste der Begrüßung. „Ich bin leider schon wieder im Weggehen. Wenn die Herren mich entschuldigen würden.“

Und mit einem missbilligenden Seitenblick auf seinen Sohn rauschte der Count an den beiden ungleichen Männern vorbei.

Eine Weile war es still, dann brach Alexis das Schweigen mit unsicheren Worten:

„Geht es dir gut Samuel?“, fragte er leise und versuchte, in dem undurchdringlichen Ausdruck auf Gesicht des Herzogs zu lesen. Dieser stand noch immer wie betäubt, in derselben Position verharrend, in der Tür und starrte auf den leeren Gang.

„Sag doch bitte etwas.“, drängte Alexis nun und ging ein paar Schritte auf seinen Lehrer zu, legte ihm unsicher die Hand auf das Revers.

Für einen Moment schien es, als würde Samuel die Berührung verbieten wollen, dann schüttelte er den Kopf und packte Alexis Hand.

„Nicht hier.“, raunte er und zog seinen Schüler dann mit atemberaubender Kraft durch die langen Flure des Anwesens.
 

Sie hatten kaum das Zimmer des Herzogs erreicht, die Tür fiel krachend hinter ihnen ins Schloss, da riss Samuel Alexis an sich und küsste ihn mit wilder Leidenschaft. Wut, Verzweiflung und Verlangen entfachten eine treibende Mischung in dem rothaarigen Mann und er ließ seinen Gelüsten freien Lauf.

Alexis mochte diese rohe Inbesitznahme durch den Herzog und stöhnte lustvoll unter den fordernden Lippen seines Lehrers. Fest drückte er seinen hungrigen, schmalen Körper an den des Älteren, schob seine Hände unter dessen Hemd und kratzte fest über die weiße Haut.

Sie lösten sich keuchend voneinander als die Luftnot sie dazu zwang. Samuel seufzte erleichtert, als er spürte, wie die blinde Wut in ihm zurückging und er beschloss, ihnen beiden Zeit für eine Erklärung einzuräumen.

„Was war denn los?“, nahm Alexis ihm den Einstieg vorweg und ließ sich mit neugieriger Miene auf dem weichen Bett nieder.

Samuel folgte seinem Beispiel, zog die Beine an und lehnte sich, plötzlich müde und ausgelaugt, gegen den dicken Bettpfeiler.

„Ich und dein Vater hatten eine kleine… Meinungsverschiedenheit.“, sagte er leise und spürte in sich den dringenden Wunsch Alexis alles zu erzählen. Warum er hier war und welche Rolle er in England spielte. Was in seinem Heimatland geschah und auf welcher Seite er stand.

„Ja, das Gefühl hatte ich auch.“, stimmte Alexis zu und sein Gesicht wurde dunkel vor Zorn. „Hat er dir weh getan?“

Samuel musste lächeln. „Nein, nicht so wie du denkst.“, antwortete er wahrheitsgemäß und streckte seine große Hand nach dem jungen Lord aus, der sich sofort mit der Wange hinein schmiegte.

„Dein Vater kann manchmal einfach etwas… überschäumend sein.“, fügte er hinzu und genoss das Gefühl der weichen Haut in seiner Handfläche.

„Er ist nicht mein Vater.“, sagte Alexis bitter und rückte näher an den Herzog heran. Es war, als könnte er nur noch in der Berührung dieses faszinierenden Mannes wirklich Ruhe und Geborgenheit finden.

Samuel runzelte die Stirn und legte einen fragenden Ausdruck in sein Gesicht, schwieg aber, wohl wissend, dass Alexis den Zeitpunkt seiner Ausführung selber wählen würde.

„Ich weiß es nicht sicher, aber ich glaube, dass ich ein uneheliches Kind bin. Meine Mutter hat, als ich noch sehr klein war, mal mit meiner Amme darüber geredet. Sie schienen nicht zu bemerken, dass ich sie belauschte und ihre Worte waren 'Wenn ich Lysander doch nur schon früher kennengelernt hätte, dann wäre Alexis nun sein Sohn.' Ich war damals noch zu klein um zu verstehen, was sie meinte, aber vergessen habe ich es nie.“ Alexis seufzte leise und legte seinen Kopf gegen Samuels Brust. Die Finger des jungen Lord spielten mit den langen Strähnen des roten Zopfes und verursachten so ein erregendes Kitzeln auf der Kopfhaut des Herzogs.

Diese neue Erkenntnis erklärte einiges für Samuel und für einen Moment war er versucht, seinem Schützling die Pläne des Counts zu offenbaren. Aber er verwarf den Gedanken fast ebenso schnell wie er gekommen war wieder. Alexis wäre sehr verletzt und es gab sicherlich bessere Momente als diesen hier, um dem jungen Lord von dem Verrat, den Lysander an ihm begehen wollte, zu erzählen.

„Stört es dich?“, fragte er stattdessen sanft und rieb sein Kinn an dem schwarzen Haarschopf des Jungen. „Nein, sollte es?“, gab Alexis zurück und zuckte die Schultern.

„Ich bin ihm egal, er ist mir egal. Wir sind quitt.“ Er seufzte leise und Samuel wusste, dass es nicht so ganz der Wahrheit entsprach.

Eine ganze Weile herrschte friedliche Stille. Samuel erging sich in dem betörenden Duft seines Schützlings während dieser seine Brust mit den Fingern erkundete. Sanft strich Alexis über die weiche Haut, kniff zärtlich in die Brustwarzen und spürte, wie viel Freude es ihm bereitete den Mann an seiner Seite einfach nur zu berühren. Seine Fingerspitzen kribbelten und hießen ihm weiterzumachen, aber er hielt plötzlich inne: Die Erinnerungen an den gestrigen Abend holten ihn ein und er dachte mit Unbehagen und Scham an seine Tat.

Er erwog einen Moment, sich Samuels Beispiel anzuschließen und einfach nichts mehr dazu zu sagen, aber sein Ehrgefühl zwang ihn zu einer erneuten Aufarbeitung des Geschehens.

„Es tut mir leid.“, sagte er leise und hoffte, dass Samuel verstehen würde.

Ein leises Lachen erklang, dann wurde der Herzog wieder ernst und hob das Kinn seines Schützlings an. „Alexis, ich werde dir jetzt etwas erzählen und du musst mir versprechen, dass es ewig unser Geheimnis bleiben wird.“, sagte er ernst und legte absichtlich so viel Nachdruck in seine Stimme.

Er wusste, dass es ein riesiges Wagnis war, dem Sohn seines eigentlichen Feindes zu erzählen, wer er war, aber ein unbestimmter Teil in ihm wusste, dass er sich mit Alexis einen starken und treuen Verbündeten ins Boot holen würde. Er musste es einfach wagen, schon um seiner selbst willen.

„Ich bin nicht der, für den ihr mich haltet.“, begann der Herzog leise und bot Alexis mit einer sanften Geste Einhalt. Für eventuelle Fragen würde später noch Zeit sein.

„Versteh mich nicht falsch: Ich bin Samuel Leopold Herzog von Thuringia, zweiter Sohn und eigentlicher Thronerbe, aber all das bin ich nur unter Protest. Denn meine Heimat, das musst du wissen, ist zerrüttet und zerfallen. Zersplittert sind wir in viele kleine Bundesstaaten, jeder von einem eigenen, grausamen und ungerechten Herrscher gelenkt. Der 'Deutsche Bund' werden wir laut dem Wiener Kongress genannt, aber verbunden sind wir nur in Elend und Armut.

Die Fürsten beuten die Bevölkerung nach ihrem Belieben aus, es gibt keine Verfassung und nichts, was uns vor der Willkür der Obrigkeit schützt. Wir können durch die verschiedenen Bundesstaaten nicht zueinander gelangen, da die Zölle an den Grenzen einen vielfachen Jahreslohn betragen.“ Samuel hielt kurz inne und dämpfte seine Stimme, die sich im Laufe seiner Ausführungen immer weiter gesteigert hatte, zu einem Flüstern.

„Kunst, Literatur, Schulen und Universitäten werden verboten, wenn sie gegen das bestehende System aufbegehren. Menschen kommen in das Gefängnis und hängen bis zum Tod am Strick, nur weil sie die Wahrheit gesagt haben und es wagten, ihre Stimmen gegen die faulen und bequemen Adligen zu erheben, die das Geld mit vollen Händen ausgeben, was das Volk jeden Tag unter Schmerzen erwirtschaftet. Mein Land ist voller Missstände und Ungerechtigkeiten, das habe ich an dem Tag begriffen, als ich zum ersten Mal die Menschen sah, die tagtäglich schufteten damit ich in Samt und Brokat einher stolzieren konnte. Und ich wollte nicht mehr der sein, als der ich geboren wurde: als Herrscher über einen Landstrich, in dem die Menschen aus Verzweiflung ihre Kinder aussetzen, in der Hoffnung jemand der besser betucht ist als sie selbst hat Erbarmen und kümmert sich.“ Wieder machte Samuel eine Pause und stützte seinen Kopf, der ihm plötzlich viel zu voll und schwer vorkam, auf seine Hand. Sanft und mit bestimmendem Druck strich Alexis über die breite Brust seines Lehrers, küsste die Schläfe des großen Mannes und sah ihm aufmerksam entgegen.

„Also begann ich die Augen und Ohren nach Menschen offen zu halten, denen es ebenso ging wie mir. Lange Zeit blieb ich erfolglos, lebte ich doch in jenen anstößigen Kreisen, die ich so heißblütig verachtete. Aber eines Tages erfuhr ich durch einen Zufall, dass es an der Universität in Jena, eine Stadt unweit unseres Wohnsitzes, eine Vereinigung von jungen Männern gab, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, die Missstände in unserem Land zu bekämpfen.

Unter dem Vorwand die Bibliothek studieren zu wollen begab ich mich noch am selben Tag zur Universität und brachte einiges in Erfahrung. Die Gruppierungen schienen im zerbrochenen 'Deutschen Bund' wie Pilze aus dem Boden zu sprießen, überall gab es Aktionen und es wurden wirkungsvolle Pläne geschmiedet.

Es dauerte etwa ein halbes Jahr, dann konnte ich die Burschenschaft, so nennen sich die zusammengeschlossenen Männer, davon überzeugen, dass meine Absichten ehrlicher Natur waren. Voller Tatendrang wurde ich eingegliedert und war ab diesem Moment im aktiven Widerstand gegen die Obrigkeit unseres Landes.“

„Und gegen deinen Vater.“, flüsterte Alexis leise und Ehrfurcht schwang in seiner Stimme. Seine großen Augen waren unverwandt auf Samuel gerichtet, seine Hände wie in heller Aufregung zu Fäusten geballt.

„Ja, auch gegen meinen Vater. Eigentlich gegen meine gesamte Familie. Aber ich wusste, dass meine Entscheidung richtig gewesen war und mein Doppelleben begann mir zusehends Spaß zu machen. Tagsüber gab ich den frommen, braven Sohn – sobald es aber dunkel wurde schlich ich mich davon wie ein Dieb und tat, was getan werden musste.

Irgendwann, so schien es mir, wurde mein Vater misstrauisch und es kam ihm gerade recht, dass er kürzlich die Beziehungen zum Count of Gloucestershire hergestellt hatte. Er beorderte also mich, der freiwillig auf die Thronfolge verzichtet hatte, nach England um dort unschädlich und unter der Kontrolle eines ebenso machthungrigen Mannes, wie er selbst einer war, zu sein. Doch was sich anfangs als vorzeitiges Ende meiner Karriere als „Widerständler“ erwiesen hatte, entpuppte sich recht schnell zu einer Position mit weitreichendem Einfluss.“, fuhr Samuel lächelnd fort und endlich schien er wieder der zu werden, der er war. Sein Gesicht hellte auf und mit einem tiefen Seufzer wich auch die Anspannung aus seinem Körper.

„Du meinst, du betreibst auch hier diese 'Burschenschaften'?“, fragte Alexis ungläubig und die Überraschung auf seinem Gesicht war nicht zu übersehen. „Dann war der Brief, den ich gestern unrechtmäßig gelesen habe...“

„Aus Deutschland, genau. Von Heinrich, einem meiner besten Männer.“, beendete Samuel den Satz mit einem Lächeln.

„Das machst du also hier.“, wiederholte der junge Lord ehrfürchtig und fühlte sich plötzlich klein und unbedeutend gegen diesen gestandenen Mann, der sich nicht nur gegen seinen Vater, sondern auch gegen die Prämissen eines ganzen Landes durchgesetzt hatte.

„Ja, und außerdem verführe ich junge, unschuldige Männer zu ungehörigen Taten.“, flüsterte Samuel rau und der Schalk blitzte in seinen sturmgrauen Augen auf. Seine Hände hatten den Weg unter Alexis Hemd gefunden und strichen in langsamen Zügen über die erregend dunkle Haut.

„Das dachte ich mir schon.“, stöhnte der junge Lord leise, erschauderte und gab sich dem fordernden Verlangen seines Herzogs hin.

Feuer und Wasser

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Flucht

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Auf Umwegen

Seit Alexis ein kleines Kind war, hatte er sich vom Lied des Regens in den Schlaf singen lassen.

Aber in dieser Nacht war alles anders. Der Sturm heulte wie ein wildes Tier um das Anwesen auf der Lichtung, ließ die Äste der Bäume zusammenkrachen und die Stämme unheilvoll zittern. Zuckende Blitze zerschnitten den Horizont und waren gleißende Vorboten des ohrenbetäubenden Donners, der ihnen folgte. Wie kleine Fäuste schlugen abertausend Tropfen gegen das Fenster, rüttelten am Rahmen und hielten Alexis wach.

Die ungewohnte Umgebung tat ihr Übriges.

Unruhig und von einer unbekannten Angst getrieben, stand der junge Lord auf, schlüpfte flink in Hose und Hemd und verließ das Zimmer, nicht ohne einen letzten Blick auf seinen schlafenden Liebhaber zu werfen.

Die Gänge des fremden Hauses waren dunkel und zugig. Dicke Wolken verdeckten den Mond und das einzige Licht kam vom glimmenden Kamin in der Vorhalle. Auf leisen Sohlen folgte Alexis dem unruhigen Flackern, stieg die Treppe hinab und sah sich um.

Wie am Abend vermutet war die Einrichtung des einsamen Hauses äußerst prunkvoll und opulent. Große Leuchter, verziert mit vielerlei Kristall, hingen von den hohen Decken. Golddurchwirkte Teppiche lagen auf dem dunklen Parkett und gaben dem Raum eine gemütliche Atmosphäre.

Die Wände, mit vielen Gemälden behangen, waren mit dunkelrotem Samt bespannt der im flackernden Licht geheimnisvoll glänzte. Die wenigen Möbel waren mit Bedacht ausgewählt und passten ausnehmend gut zueinander: jedes war auf seine Art besonders und besaß seinen persönlichen Charme.

Aber nichts desto trotz gab es hier nichts, was für Alexis von Interesse gewesen wäre oder ihm Anlass zur Unruhe hätte geben sollen. Das ganze Haus, ausgenommen ihn, schien in friedlicher Ruhe zu schlummern und der junge Lord beschloss mit einem Seufzen, wieder in das gemütliche Bett zurückzukehren. Er schalt sich in Gedanken, überhaupt aufgestanden und damit einem urtümlichen und lächerlichen Verlangen nach Kontrolle nachgegangen zu sein und war eben auf dem Weg nach oben, als sich die Tür zum Salon schwungvoll öffnete.

Jeffrey, ihr rundlicher Gastgeber, stand, in einen langen Mantel gekleidet, im Raum und zwinkerte ihm lächelnd zu.

„Könnt Ihr nicht schlafen junger Mann?“, fragte er und seine Stimme drang schwer und voll an Alexis' Ohr. Er schüttelte den Kopf.

„Ich war nur ein wenig unruhig mein Herr, sorgt Euch nicht.“ Der junge Lord mochte den kleinen Dicken, schon allein weil er ihnen so bereitwillig Unterschlupf gewährt hatte. Trotzdem fühlte er sich peinlich berührt, ertappt worden zu sein und nun musste er sehen, wie er möglichst glimpflich aus dieser Misere kam.

„Ihr braucht Euch nicht zu verstecken Alexis. Schlafstörungen sind keine Schande. Schaut mich an, ich schlafe so gut wie nie.“, antwortete Jeffrey und schwang einen Becher durch die Luft. „Aber es gibt ja auch weit bessere Dinge, mit denen man eine Nacht verbringen kann, nicht wahr?“

Er nahm einen kräftigen Schluck aus dem Zinngefäß und machte eine einladende Geste. „Wenn ihr wollt kommt doch herein, ich vertreibe mir die Zeit mit unnötigen Grübeleien und bin über jede Ablenkung glücklich.“ Jeffrey zwinkerte noch einmal und verschwand wieder im Salon, hielt aber die Tür für seinen Besucher offen.

Hin und her gerissen biss sich Alexis auf seine vollen Lippen. An Schlafen war spätestens nach der Unterhaltung nicht mehr zu denken und die Neugier, was sich hinter Jeffreys heiterer Fassade verbarg wuchs mit jedem Moment. Alexis war sich sicher, dass sein dicklicher Gastgeber nur halb so unbeschwert durchs Leben taumelte, wie er vorgab und diese Nacht war vielleicht die einzige Chance herauszufinden, wer Jeffrey wirklich war und welche Rolle er in Samuels Revolutionsplänen spielte.

Vorsichtig ging er die eben erklommenen Stufen wieder hinab und folgte der Einladung in den prächtigen Salon.

Für einen Moment verschlug es Alexis beim Eintreten die Sprache, dann atmete er tief ein und sah sich staunend um.

Das Innere des großzügig geschnittenen Raumes glich dem, was Alexis aus den Erzählungen seiner Mutter kannte. Seidene Tücher in sanften Farben hingen von der Decke wie ein gewaltiger Baldachin. Goldene Ornamente umrankten die Wände gleich lebendigen Pflanzen und verbanden sie auf geheimnisvolle Weise mit dem breiten Kamin. Dicke Teppiche auf dem Boden dämpften jeden Schritt und verursachten ein herrlich wonniges Gefühl unter den Füßen. Kissen, groß wie ein erwachsener Mann, lagen überall verteilt und dienten offensichtlich gleichwohl als Sitz- und Schlafgelegenheiten. Die niedrigen Tische in der Mitte des Raumes trugen Tabletts voller unbekannter Speisen und Getränke und der süße, schwere Duft von Räucherwerk hing in der Luft.

„Mein persönlicher kleiner Harem, ich hoffe es gefällt Euch.“, hieß ihn Jeffrey willkommen und winkte ihn zu sich heran. Er war tief in die nachgebenden Kissen versunken und wirkte kleiner denn je. Alexis musste unwillkürlich lächeln und folgte der Einladung.

Mit unterschlagenen Beinen ließ er sich zu Jeffreys Rechten nieder und beäugte die Auswahl auf den Tabletts.

„Bedient Euch ruhig junger Mann, es ist reichlich da.“, lud ihn sein Gastgeber ein und auch diesmal folgte Alexis der freundlichen Geste.

Er griff nach einem weißen Törtchen und biss herzhaft hinein. Der junge Mann stöhnte auf.

Honig, Toffee und Sahne verschmolzen in seinem Mund zu einer unerträglichen süßen und köstlichen Einheit. Weich und locker lag der Teig auf seiner Zunge, umschmeichelte seine Sinne und er biss ein weiteres Mal hinein. Schokolade, weiß wie Schnee, zerbrach knackend zwischen seinen Zähnen und flutete seine Zunge erneut mit exotischen Aromen und einem Hauch von Würze. Mit geschlossenen Augen, all seine Sinne nach innen gerichtet, genoss Alexis diese außergewöhnliche Köstlichkeit und fand erst mit Jeffreys Kichern zurück in die Wirklichkeit. „Ihr habt einen guten Geschmack lieber Alexis, nur wenige wissen die exquisite Auswahl an Zutaten zu schätzen.“, sagte er lachend und reichte seinem Gast ein zweites Törtchen.

„Danke. Es ist wirklich vorzüglich.“, antwortete Alexis höflich und unterdrückte innerlich den unbedingten Impuls, seine langen Finger abzulecken.

„Es wundert mich nicht, dass Ihr die Tortê mögt, denn sie stammen, wie Ihr, aus Persien.“

Alexis schluckte hastig den köstlichen Bissen hinunter und maß sein Gegenüber mit einem schnellen Blick.

„Hat Euch Samuel von meiner Herkunft erzählt?“, fragte er wachsam und hoffte inständig, dass der rundliche Mann in den Kissen nicht in seine Familiengeschichte eingeweiht war. Die Angst, erwischt und wieder zurück zu seinem Vater gebracht zu werden, wuchs mit jedem Mitwisser.

Zu Alexis' Erleichterung schüttelte Jeffrey jedoch seinen dicken Kopf.

„Nein, um ehrlich zu sein ging ich davon aus, der Herzog würde allein kommen. Erst im letzten Moment erhielt ich Kunde, dass Ihr ihn begleiten würdet.“, antwortete er und räusperte sich augenzwinkernd. „Aber Samuel ist immer wieder für eine Überraschung gut. Was Euch, junger Freund, allerdings verraten hat, ist Eurer, mit Verlaub, sehr exotischer Anblick.“

Alexis unterbrach sich kauend und runzelte die Stirn. Mit einem Mal wurde ihm klar, wie hinderlich sein besonderes Aussehen werden konnte. Er mochte sich, hatte sich immer schon gemocht, aber jetzt wünschte er sich zu ersten Mal, er würde aussehen wie alle anderen. Seine dunkle Haut und die hellen Augen, das ebenholzfarbene Haar und der leichte Schimmer, der seine Haut stets umgab, würde ihn in jeder Menschenmenge einzigartig machen, ganz egal wie groß sie war.

Er seufzte.

„Bitte Alexis, ich wollte Euch nicht beleidigen.“, sagte Jeffrey und hob beschwichtigend seine ringbesetzten Hände. Alexis schüttelte den Kopf.

„Lasst uns über etwas anderes reden, ja? Sagt mir, warum Ihr hier draußen in der Einsamkeit lebt.“, antwortete Alexis matt und versuchte die nagenden Gedanken in einem belanglosem Gespräch zu ersticken.

„Nun, ich bin kein Freund von neugierigen Blicken und Menschen, die sich den ganzen Tag das Maul darüber zerreißen wer bei mir ein und aus geht.“, antworte Jeffrey nüchtern und füllte seinen Becher mit einer goldenen Flüssigkeit. „Die Menschen hier in England sind schrecklich borniert und erstaunlich konservativ. Privatsphäre scheint ihnen ein Fremdwort zu sein und ich bin es leid mein Leben mit Stümpern zu teilen.“ Er machte eine kurze Pause und ließ seine dunklen Käferaugen über Alexis' schönes Gesicht wandern. „Außerdem tut mir die frische Luft hier draußen mehr als gut.“

Der junge Lord nickte abwesend und nippte an dem für ihn vorbereiteten Becher. Ein schwerer, süßer Geschmack breitete sich auf seiner Zunge aus und der Wein schien ihm fast augenblicklich zu Kopf zu steigen. Er seufzte. „Woher kennt Ihr denn Samuel?“

Über Jeffreys Gesicht huschte ein wissendes Lächeln und er legte die dicken Finger in einer schwungvollen Geste aneinander. „Ich habe lange Zeit als Spitzel in verschiedenen öffentlichen Ämtern gearbeitet. Meine Beziehungen bis ganz nach oben waren dabei sehr hilfreich.“, er schmunzelte ein wenig und nahm einen neuerlichen Schluck des goldenen Weins. „Wir hatten eine ganze Zeit lang viel miteinander zu tun und ich muss gestehen den Herzog lieb gewonnen zu haben. Er ist ein so stattlicher Mann, nicht wahr?“ Für einen Moment erschien ein schwärmerischer Ausdruck auf Jeffreys Gesicht und seine Augen schienen in die Ferne zu schweifen. Die kleinen Schweißperlen auf seiner Oberlippe glänzten im flackernden Kerzenlicht und Alexis fühlte sich mit einem Mal unbehaglich und fehl am Platze. Unruhig rutschte er auf dem weichen Kissen herum und legte den eben genommen Kuchen hastig zurück.

„Samuel und ich haben viel gemeinsam erlebt, junger Alexis, und ich muss gestehen, dass ich unsere langen Gespräche und die vielen durchwachten Nächte geradezu schmerzlich vermisse. Keiner kann so ausgelassen feiern und zechen wie der Herzog und niemand ist ein so geduldiger Zuhörer wie er. Seine Fähigkeiten auf dem Gebiet der Rhetorik sind erstaunlich und, und das könnt ihr mir wirklich glauben, ich bin mehr als einmal seiner faszinierenden Art der Konversation erlegen. Was haben wir alles erlebt, wie viele Nächte durchtanzt? Als ich selbst noch schlank und kraftvoll war haben wir wirklich keine Gelegenheit nach körperlicher Ertüchtigung ausgelassen.“, fuhr Jeffrey fort und schien nicht zu bemerken, wie Alexis' Gesicht mehr und mehr an Farbe verlor.

Eifersucht, brennend und gierig wie ein wildes Tier, bohrte sich wie ein Stachel in das Herz des jungen Lords. Die gemeinsame Vergangenheit der beiden Männer schien weitaus vielseitiger und intensiver gewesen zu sein, als es zuerst den Anschein gehabt hatte und Alexis wünschte sich plötzlich nichts sehnlicher, als die Frage danach nie gestellt zu haben.

Übelkeit kroch plötzlich wie eine klebrige Masse in ihm hoch und er musste ein Würgen unterdrücken. Wie eine hässliche Fratze bleckte der Neid seine gelben Zähne und schien jegliche Sympathien für den rundlichen Mann mit einem bösartigen Lächeln hinfort zu wischen.

„Ist alles in Ordnung?“, erklang Jeffreys besorgte Stimme und seine großen, dunklen Augen schienen Alexis durchbohren zu wollen.

Nur mit großer Mühe gelang es dem jungen Lord eine bissige, und sicherlich auch ungerechte Antwort, hinunter zu schlucken und er beschränkte sich auf ein leichtes Nicken. Seine Hände hatte er zu harten Fäusten geballt und die Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in die zarte Haut. „Ich bin nur ein wenig müde.“, würgte Alexis bemüht hervor und versuchte, dass unerträgliche Flüstern in seinem Kopf zu unterdrücken. So offensichtlich zu erkennen, dass der Samuel, den er lieben gelernt hatte, nur ein verschwindend kleiner Teil von dem Menschen war, der er insgesamt zu sein schien, war wie ein Faustschlag. Ihm war klar, dass der Herzog schon so viel mehr erlebt und gesehen hatte, als er selbst, aber die Worte des rundlichen Mannes riefen einen so ohnmächtigen Schmerz in dem jungen Lord hervor, dass er glaubte schier zu zerbrechen. Er würde niemals ein Teil dieser Vergangenheit sein, würde niemals all die spannenden und gefährlichen Momente an Samuels Seite teilen können und genauso mutig die Zügel einer ganzen Generation in die Hand nehmen. Die schwere Erkenntnis ließ Alexis ächzen und er fuhr sich mit zittrigen Fingern durch das glänzende Haar.

„Alexis, Ihr seht bleich aus, seid Ihr sicher, dass es Euch gut geht?“, fragte Jeffrey noch einmal und beugte sich mit einer fürsorglichen Geste nach vorn.

Wie von einem elektrischen Schlag getroffen zuckte der junge Lord zurück und erhob sich taumelnd aus den weichen Kissen. „Mit geht es gut, danke. Ich bin nur ein bisschen müde.“ Mit großer Beherrschung drängte der junge Mann den Schwindel, der sich seiner bemächtigte, zurück und er durchquerte den großen Raum mit unsicheren Schritten, sorgsam darauf bedacht nicht über eine der verstreuten Sitzgelegenheiten zu stolpern.

„Vielen Dank für die Tortê, Sir.“, murmelte Alexis, als er an der Tür angekommen war und verließ ohne einen weiteren Gruß den verdutzten Jeffrey.
 

In dem geräumigen Gästezimmer angekommen schloss Alexis leise die Tür und lehnte seine erhitzte Stirn für einige Augenblicke gegen das kühle Eichenholz. Er hatte die Treppe mit wenigen ausgreifenden Schritten erklommen und sein Atem beruhigte sich nur langsam. Noch immer drückten Eifersucht und das Gefühl von schmerzlicher Ohnmacht die Kehle des jungen Lords zu und es schien ihm nahezu unmöglich, erneut in das prunkvolle Bett zu steigen und Samuels Körper an dem seinen zu fühlen. Jeffreys Worte schienen sich wie ein dunkles Tuch über Alexis' Gemüt zu legen und alles andere zu überschatten. Er wollte nicht, dass etwas zwischen ihm und seinem Geliebten stand, wollte ihr gerade gefundenes Glück nicht zerstören oder trüben, indem er zuließ, dass Eifersucht und Niedertracht in ihm wuchsen. Aber die Enttäuschung überwog.

Ein Donnerschlag zerriss die sternenlose Nacht und Samuel bewegte sich unruhig unter der weichen Decke. Die langen, dunkelroten Haare hatten sich wie Ranken um seine Hände und die breiten Schultern gelegt und trotz seiner aufgewühlten Gefühlswelt konnte Alexis einen bewundernden Blick nicht unterdrücken. Seine Faszination für diesen Mann reichte tiefer als er sich selbst eingestehen wollte.

Mit leisen Schritten und zitternden Händen näherte sich der junge Lord dem Schlafenden und kniete, plötzlich ausgelaugt und müde, neben dem breiten Bett nieder. Mit einem Seufzen sank sein hämmernder Kopf auf die kühlen Laken und er schloss die Augen. Warum war bloß alles so schwierig?

„Hör auf zu grübeln und komm ins Bett.“ Samuels träge Stimme drang wie durch Watte, undeutlich und dumpf, an Alexis' Ohr. Der Herzog hatte sich halb aufgerichtet und blinzelte in das flackernde Licht der verglimmenden Glut. Sein Körper, warm vom Schlaf und einen würzigen Duft verströmend, war eine einzige Versuchung und Alexis musste ein Stöhnen unterdrücken. „Ich kann nicht schlafen.“, log er und versuchte seine erwachende Erregung im Zaum zu halten. Samuels Blick wurde sanft und mit einer zärtlichen Geste strich er Alexis' seidige Strähnen nach hinten. „Komm zu mir mein Liebster, ich singe dich in den Schlaf.“ Er lächelte und gab einen gurrenden Laut von sich.

Alexis' Widerstand, beim Eintreten in das Gästezimmer noch unüberwindbar und nagend, schmolz unter Samuels lockendem Blick und mit einem leisen Seufzen ließ er sich von dem Herzog unter die warme Decke ziehen. Müdigkeit und Erschöpfung verdrängten allen Unwillen und schon nach den ersten gesummten Tönen glitt er ins Land der Träume hinüber.
 

Sie wurden durch hektisches Getrappel vieler Füße, gefolgt von einem lauten Pochen geweckt. Ruckartig riss Alexis die Augen auf und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Das graue Licht, dass durch das große Fenster fiel, verriet die kurz bevorstehende Dämmerung und nach dem tobenden Gewitter der vergangenen Nacht war die nun herrschende Stille fast unerträglich.

Samuel war bereits auf den Beinen als die Tür aufgerissen wurde und ein Bediensteter des Hauses herein stolperte. Jeder Muskel im Körper des Herzogs war gespannt und seine Miene verriet höchste Alarmbereitschaft.

„Vergebt mir die Störung, Herr.“, setzte der junge Angestellte zu einer Entschuldigung an, aber Samuel unterbrach ihn mit einer hektischen Handbewegung. „Was ist passiert?“

„Jeffrey schickt mich, Herr, er sagt es seien Männer auf dem Weg hierher. Viele Männer, wahrscheinlich Soldaten.“ Der Blick des Dieners wirkte gehetzt und er sah sich ängstlich um, als würde er die Angreifer direkt hier im Zimmer vermuten.

„Wie lange noch?“, fragte Samuel knapp und begann in Windeseile seine verstreute Kleidung einzusammeln.

„Fünfzehn Minuten allerhöchstens. Watson ist bei ihnen.“

Für einen Moment erstarrte der rothaarige Mann in seinem hektischen Tun, dann wandte er sich mit einem Ruck zu seinem Liebhaber um und sein Gesicht wirkte grau vor Schreck.

„Zieh dich an Alexis, sofort.“ Seine Stimme war gnadenlos und ließ weder Widerstand noch Nachfragen zu.

Wortlos gehorchte der junge Lord, sprang aus den weichen Laken und schlüpfte noch in derselben Bewegung in seine Unterhose.

Jeffreys Angestellter verließ den Raum und als Alexis und Samuel ihm wenige Minuten später, komplett angezogen und mit den wenigen Habseligkeiten ihrer Reise bepackt, folgten, empfing sie der übernächtigte und nervöse Hausherr in der Eingangshalle.

„Samuel mein Freund, ihr müsst sofort aufbrechen.“, rief er und seine ohnehin schon unangenehme Stimme war zu einem angsterfüllten Keuchen geworden. Sein teigiges Gesicht war von glänzendem Schweiß überzogen und er roch unverkennbar nach Wein und Schlaf. „Sie überqueren gerade den Fluss und sie kommen nicht allein. Watson ist bei ihnen und führt sie an – euer Aufbruch muss unverzüglich erfolgen.“

Mit seinen kurzen Fingern griff er nach Samuels Hand und war versucht den Herzog zu umarmen. Doch dann schien er sich zu besinnen und mit einem durchdringenden Blick auf Alexis verließ er die Halle Richtung Stall. „Eure Pferde sind bereits aufgezäumt, Proviant und frisches Wasser sind in den Satteltaschen verstaut. Verlasst den Wald Richtung Osten, so habt ihr die beste Chance unentdeckt zu bleiben. Sie kommen zu Fuß, das verschafft euch einen rettenden Vorsprung.“, erklärte Jeffrey und sah sich mit gehetztem Blick um.

Die Tiere im Stall scharrten mit den Hufen, als würden sie die Unruhe der Menschen erahnen können, und warfen nervös die Köpfe in den Nacken.

Ein angespanntes Lächeln huschte kurz über Samuels Gesicht und er deutete eine Verbeugung an. „Ich werde deine Gastfreundschaft eines Tages wieder gut machen mein Freund.“, sagte der Herzog und schwang sich in den Sattel. „Ich danke dir von Herzen, Jeffrey. Pass auf dich auf.“

Der rundliche Mann nickte und öffnete die breite Stalltür. „Ihr auch.“

Und mit einem letzten Gruß verließen die beiden Reiter das Gebäude im scharfen Trab.
 

Lange Zeit ritten Samuel und Alexis schweigend nebeneinander her. Sie hatten sich nach Osten in den Wald geschlagen und waren alsbald auf einen fast gänzlich zugewucherten Weg gestoßen. Die Schritte der Pferde klangen gedämpft durch die dicke Moosschicht und trotz des scharfen Tempos bewegten sie sich nahezu lautlos durch die dunkle Stille der Bäume.

Es war eine gute Stunde her, als sie das Anwesen verlassen hatten und der Himmel öffnete seine Pforten erneut. Dicke Tropfen prasselten auf die vergilbten Blätter und zu Alexis' Überraschung zügelte Samuel den schnellen Lauf seines Hengstes.

Das grüne Dunkel, das sich wie ein Kokon über die beiden Flüchtenden legte, veränderte sich und der weiche Waldboden wich nach und nach hartem Stein. Scharfe Felswände wuchsen links und rechts aus der Erde und schon bald befanden sie sich in einer engen Schlucht. Kleine Rinnsale flossen hier und da von den Wänden und sammelten sich zwischen den Hufen ihrer Tiere.

„Wohin führt uns der Weg?“, rief Alexis nach vorn und brach endlich das drückende Schweigen. „Auf jeden Fall erst mal weg von diesen Schmeißfliegen von Milizsoldaten.“, knurrte der Herzog zurück und seine Stimme brach sich vielfach an dem nahezu kahlen Gestein. Seine Wut schien noch lange nicht verraucht und näherte die ängstliche Unruhe in Alexis' Brust.

Der junge Lord beschloss, seine Neugier vorerst zu zügeln und versank in dumpfer Grübelei. Der gestrige Abend lag ihm noch immer wie ein Stein im Magen und schon nach wenigen Minuten war seine gesamte Aufmerksamkeit nach innen gerichtet.

Es war bereits weit nach Mittag als die Felsklüfte zu schrumpfen begannen und mehr und mehr den Blick auf einen dichten Nadelwald freigaben. Das Hallen der schweren Eisenhufe auf Stein verklang und wich vollkommener Stille.

Die tief hängenden Äste der uralten Bäume schienen jedes Geräusch zu verschlucken und unheimliche Schatten lauerten hinter umgestürzten Stämmen und in Wurzelhöhlen.

Die beiden Männer hatten noch immer keine Rast eingelegt und flockiger Schweiß hatte sich an den Hälsen der schnaubenden Pferde gesammelt. Erschöpfung und Müdigkeit drohten Alexis zu übermannen und schon mehr als einmal hatte er sich zwingen müssen die bleischweren Augenlider wieder zu öffnen.

Samuels Anspannung ließ allmählich nach und nachdem es während der gesamten Flucht keinen Hinweis auf einen Verfolger gegeben hatte, war es langsam an der Zeit ihr weiteres Vorgehen zu planen. Von ihrer eigentlich vorgesehenen Route waren sie bereits vor Stunden abgekommen und der Umweg würde sie wertvolle Zeit kosten. Der Herzog seufzte und fuhr sich über die brennenden Augen. Der wenige Schlaf machte sich auch bei ihm deutlich bemerkbar und er hätte einiges für ein warmes Bett und einen guten Schluck Wein gegeben.

„Bist du noch wach?“, rief er nach hinten und wand sich in dem knarrenden Sattel um. Alexis hing wie eine Stoffpuppe auf dem Rücken seiner Stute und tiefe Schatten lagen unter seinen Bernsteinaugen. Er wirkte abgespannt und sein nasses Haar fiel strähnig und glanzlos in das bleiche Gesicht.

Mühsam richtete sich der junge Lord auf und zwang sich zu einem Nicken. „Gerade so.“, murmelte er leise und lenkte seine Stute neben den grauen Hengst seines Liebhabers.

„Was machen wir denn nun?“, fragte er matt und wünschte sich nichts sehnlicher, als in der warmen Umarmung des Herzogs Geborgenheit und Ruhe zu finden. Noch immer nagten Zweifel und quälende Eifersucht an ihm, aber er fühlte sich weder kräftig noch mutig genug sich diesen Gefühlen zu stellen.

„Wir sind nicht mehr auf unserem vorgesehenen Weg Alexis, aber wir können nicht umkehren.“, antwortete Samuel und seine Stimme klang entschuldigend. „Ich fürchte wir müssen uns für diese Nacht ein Lager suchen und mit dem Waldboden vorlieb nehmen. Da wir im Moment sehr weit südlich der Landesgrenze sind, können wir mit dünn gesäten Militärs rechnen und wenn wir Glück haben, erreichen wir noch vor Morgen Abend das Haus eines Freundes, der uns sicherlich Unterschlupf gewähren wird.“

Alexis nickte ergeben und obwohl die Aussicht auf eine Nacht auf kaltem und nassem Moos nicht gerade erfreulich war, wurde er doch von Erleichterung durchströmt. Samuel wieder sprechen zu hören entspannte den jungen Mann über alle Maßen und sogar der körperliche Schmerz schien sich ein wenig zurückzuziehen.

„Denkst du Jeffrey ist in Sicherheit?“, fragte er leise und sprach die Sorge aus, die ihm nun schon seit einigen Stunden auf der Seele lag.

„Mach dir keine Sorgen um ihn.“, antwortete Samuel leichthin und zuckte die Schultern. „Er ist wortgewandt und hinter seiner harmlosen Fassade verbirgt sich messerscharfe Intelligenz. Die Soldaten, und selbst Watson, werden sich wie Tölpel vorkommen, wenn sie sich Jeffs hämischem Grinsen stellen müssen.“ Der Herzog lächelte schief und nahm einen tiefen Zug aus der Wasserflasche.

„Und außerdem ist es bei Weitem nicht das erste Mal, dass wir uns der lästigen Aufsässigkeit der Miliz erwehren müssen.“, fügte Samuel hinzu und trieb den Stachel der Eifersucht noch tiefer in das ohnehin schon wunde Fleisch um Alexis' Herz. Die Vertrautheit zwischen den beiden Männern war nicht mehr zu übersehen und Samuels Worte hinterließen brennende Risse in der Kondition des jungen Lords.

„Und wer ist dieser Watson?“, presste Alexis mühsam hervor und versuchte sich weder den Schmerz noch die Enttäuschung anmerken zu lassen. Es gelang.

„Er ist ein Kommissar.“, schnaubte Samuel verächtlich. „Er ist ein Spitzel, ein Spion, eine Ratte. Er ist ein Bluthund, wie er im Buche steht und strotzt vor Niedertracht und verlogener Heuchelei.“ Wut schüttelte den rothaarigen Mann und er ballte die Hände an den Zügeln zu Fäusten. „Er hat sich vor Jahren bei uns eingeschlichen und die Jüngsten ausgehorcht, hat ihnen Honig ums Maul geschmiert und dann hinterrücks und feige ermordet. Er ist schnell und ausdauernd und verflucht intelligent. Seine Schnelligkeit wird nur von seiner Hartnäckigkeit übertroffen – ihm habe ich das zu verdanken.“, fuhr Samuel fort und deutete mit einer unbeherrschten Geste auf sein trübes Auge.

Alexis sog scharf die Luft zwischen die Zähne und ein Schauer rann seinen Rücken hinab.

„Außerdem ist er ein verdammter Sadist.“ Samuel knurrte und rieb über seine Narbe. Er hatte sich in Rage geredet und unter all der Wut hörte Alexis ganz deutlich die Schmach über die Niederlage heraus.

„Dann wollen wir hoffen ihm nicht mehr zu begegnen.“, sagte Alexis in beruhigendem Ton und hoffte, Samuels Emotionen ein wenig in ruhigere Gefilde zu lenken. Es gelang mehr schlecht als recht und auch als sie nach einer halben Stunde endlich von ihren Pferden stiegen, waren die Sorgenfalten aus Samuels Stirn noch immer nicht verschwunden.

Sie hatten erneut eine kleine Felsschlucht erreicht und nutzten den Schutz der mächtigen Wände um sich gegen den aufkommenden Wind zu schützen. Zwei große Findlinge waren vor vielen Jahren ins Tal gepoltert und bildeten mit dem schartigen Gestein eine kleine Höhle. Der Weg lag gute vier Meilen von dem kleinen Versteck entfernt und verlief in einem scharfen Winkel zu dessen Eingang.

Mit dem Stroh aus den Satteltaschen von Alexis' Stute rieben sie die bereits dösenden Pferde ab, tränkten sie an einem der vielen, kleinen Rinnsale und versorgten sie mit ein wenig Hafer und Heu. Samuel verließ die trockene Höhle um sich noch einmal in der näheren Umgebung umzusehen, während Alexis die kleine Öllampe entzündete und ihnen aus den Satteldecken und dem verbleibenden Stroh eine zumindest annähernd behagliche Schlafstatt herrichtete.

Als der Herzog von seinem Rundgang zurückkehrte, dämmerte es bereits und das monotone Prasseln des Regens hatte wieder eingesetzt. Kälte, erbarmungslos und mit Fingern dünn wie Spinnenbeine, kroch durch Alexis‘ durchweichte Kleidung und biss in seine Haut. An dem verborgenen Eingang zu dem kleinen Versteck brach sich der heulende Wind und verlor den Großteil seiner Schärfe.

„Es scheint uns tatsächlich niemand gefolgt zu sein.“, sagte Samuel leise und ließ sich gebückt neben seinem Schützling nieder. „Der Regen wird unsere Spur verwischen, selbst wenn sie versuchen sie mit Hunden zu finden.“

„Was denkst du, wer die Soldaten auf uns angesetzt hat?“, fragte Alexis obwohl er sich insgeheim vor der Antwort fürchtete. Den ganzen Tag hatte er sich erfolgreich der Tatsache, dass es einen Auftraggeber geben musste, verschlossen. Aber jetzt, im Halbdunkel des schwindenden Tages, krochen mit den Schatten auch Angst und Mutlosigkeit aus dem Unterholz.

Samuel schien eine Weile über die Frage nachdenken zu müssen, erhob sich noch einmal und tauschte seine durchnässte Kleidung gegen Trockene.

„Ich bin mir fast sicher, dass die Dokumente, die die Miliz bei dem Überfall auf die Rebellen gefunden hat, auf irgendeiner Seite meinen Namen enthalten haben.“, antwortete er seufzend und versuchte in eine halbwegs bequeme Position zu rutschen.

„Welche Dokumente? Und was für ein Überfall?“ Alexis' Stimme klang alarmiert und seine Muskeln spannten sich schmerzhaft. Der junge Lord spürte, wie sich sein Puls beschleunigte und die Müdigkeit für einen Moment in den Hintergrund trat.

„Es gab einen Angriff auf eines der Hauptquartiere der Widerständler. Einige wurden getötet, wenige gefangen genommen und verhört. Sämtliche Schriftstücke wurden eingezogen und diejenigen, die entkommen konnten, werden per Steckbrief gesucht. Tot oder lebendig heißt es.“ Samuel unterbrach sich einen Moment und schluckte schwer. Als er fortfuhr klang seine Stimme rau und belegt. „Ich werde auf vielen der Dokumente erwähnt und Otto kam um mich zu warnen. Er war einer der Wenigen, die fliehen konnten. Deshalb musste ich aufbrechen. Ich bin mir sicher, dass ein ziemlich hohes Kopfgeld auf mich ausgesetzt ist und eine Verurteilung in Abwesenheit meiner geschätzten Person sicherlich nicht lange auf sich warten lässt – die Richter sind in solchen Belangen keine Ehrenmänner.“

Alexis erschauderte erneut und diesmal lag es weder an der Kälte noch an dem jaulenden Wind.

„Denkst du mein Vater hat was damit zu tun?“, fragte er und seine Stimme zitterte unkontrolliert.

„Mit dem Überfall?“ Samuel überlegte kurz. „Nein, ich glaube nicht. Dein Vater ist ein bornierter Adliger und ein skrupelloser Geschäftsmann, aber kein Fanatiker. Er weiß von den Aufständen nicht viel mehr als jeder andere blasshäutige Mistkerl auch, allerdings würde ich eine Verwicklung in die militante Vorgehensweise der Soldaten gegen uns beide nicht ausschließen.“

„Du meinst, dass er genauso hinter uns her ist, wie die Miliz?“ Alexis' Augen wurden groß wie Teiche und verräterische Tränen glitzerten in ihren Winkeln. Seine Muskeln, noch immer schmerzlich verspannt und hoffnungslos unterkühlt, rebellierten und er hatte das Gefühl Batteriesäure statt Blut in seinem Kreislauf zu haben.

„So ungern ich es sage: Ich bin mir sogar sicher. Unsere kleine Rebellion so direkt vor seiner Nase wird ihn tief treffen und seinen Stolz bis ins Unendliche verletzen. Menschen sind eitel und erhalten ihre Fassade nur allzu gerne aufrecht. Bekommt die Maske erst mal Risse, zeigt sich oft ihr wahres Gesicht und das ist, nur allzu oft, viel hässlicher als man denkt.“

Samuel wandte sich zu seinem Liebhaber um und erschrak für einen Moment bei dessen erbarmungswürdigem Anblick.

Alexis' gekrümmter Körper lehnte kraftlos gegen die unebene Felswand. Tränen liefen seine Wangen herab und er blutete aus einer kleinen Wunde an seiner Unterlippe. Nervös kaute er auf dem weichen Fleisch herum und seine Hände, zu Fäusten geballt, waren blau vor Kälte.

„Alexis, hör auf.“, murmelte Samuel und bereute seine harten Worte. Er schalt sich ob seiner Gedankenlosigkeit und verfluchte seine Neigung jederzeit gnadenlos ehrlich zu sein. Der Herzog hatte in seinem Leben nie gelogen, lediglich geschwiegen wenn es nötig gewesen war. In Alexis' Nähe aber fühlte er sich so wohl und frei und sicher, dass er oftmals vergaß, wie jung und kindlich sein Schützling noch sein konnte.

Mit einer beruhigenden Geste strich Samuel über Alexis' Stirn, fuhr die tiefen Schatten unter seinen Augen nach und strich den einzelnen Blutstropfen von der rauen Unterlippe. „Du bist total erschöpft, leg dich ein wenig schlafen.“ Die Stimme des Herzogs war kaum mehr ein Flüstern und als der junge Lord keinerlei Reaktion zeigte, begann Samuel langsam seinen Geliebten zu entkleiden. Es war mehr als gefährlich in derart durchweichter Kleidung einzuschlafen und brennendes Fieber wäre wohl nur eine der vielen Folgen.

„Ich hab solche Angst.“, wimmerte Alexis und zum ersten Mal, seit sie das Anwesen verlassen hatten sprach er die grausame Wahrheit aus. Er war ein Junge, ein lasterhafter Jugendlicher, der sich nur auf das Trinken und Müßiggang verstand. Er war weder mutig noch forsch und um der Wahrheit die Ehre zu geben war er noch nie länger als einen Tag aus seiner vertrauten Umgebung ausgebrochen.

„Ich will dich nicht belügen mein Alexis, indem ich dir sage, dass das unnötig ist. Im Gegenteil, ich bitte dich darum deine Angst zuzulassen, denn sie wird dich vorsichtig und aufmerksam machen. Aber lass dich nicht von ihr beherrschen und leiten, dass macht dich kaputt und...“ Samuel machte eine kurze Pause und befreite den jungen Lord aus seiner Reithose. „Und das kann ich nicht zulassen. Denn ich brauche dich.“

Für einen Moment starrte ihn Alexis aus großen Augen an, dann nickte er und hüllte sich in die kratzige Wolldecke. Mit einer unbeholfenen Bewegung kroch er auf den Schoß des Herzogs, zog die Beine an den Körper und versuchte die scheußliche Kälte aus seinem Körper und vor allem aus seiner Seele zu vertreiben. Nun, da er nackt war und die Feuchtigkeit von seiner Haut trocknete, ließ das beißende Gefühl langsam nach und Samuels berauschende Körperwärme drang langsam durch die Decke auf seine Glieder.

Die Worte des Herzogs und das unerwartete Geständnis hatten die Sorgen für einen winzigen Moment zurückgedrängt und der erbarmungslosen Müdigkeit Platz gemacht. Tiefe, betäubende Schwere breitete sich in Alexis' Körper aus und er drückte sein Gesicht an den Hals des Herzogs.

„Ich bleib bei dir Samuel.“, murmelte er leise und presste seine Lippen auf die verführerisch duftende Haut.

„Schlaf Alexis, ich passe auf.“, antwortete der rothaarige Mann und ließ seine Hand in langsamen Bewegungen auf dem Rücken seines Schützlings auf und ab wandern. Seine Stimme schien wie aus weiter Ferne zu kommen und mit einem letzten Gedanken an den gestrigen Abend schwanden Alexis' Sinne.
 

Bis der Morgen graute saß Samuel in dem kleinen Versteck, hielt den jungen Lord in seinen Armen und wachte und lauschte in die Nacht. Der Regen ließ im Laufe der Nacht nach und wurde zu einem sanften Rauschen das, wie das Lied einer Harfe, zum Einschlafen verführte.

Die Sorgen um ihr Fortkommen hatten endlich aufgegeben und das Toben im Kopf des Herzogs ließ langsam nach. Er wusste nicht mehr, wie oft er in den zurückliegenden Stunden gezweifelt und geflucht hatte, seine Entscheidungen überprüft und hinterfragt hatte und obwohl er Angst hatte, Angst um Alexis' unbedingtes Wohl, war er doch immer wieder zu dem Schluss gekommen, dass es nur diese eine, richtige Entscheidung für sie beide gegeben hatte: Alexis gehörte zu ihm, dessen war sich Samuel sicher und niemand würde an dieser unumstößlichen Tatsache etwas ändern können.



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Kommentare zu dieser Fanfic (21)
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Von: abgemeldet
2011-09-27T13:08:59+00:00 27.09.2011 15:08
Lass dich überraschen Liebes - es sei nur so viel gesagt: Ich bin ein großes Fan von Happy-Ends!! :)
Von: abgemeldet
2011-09-27T10:36:05+00:00 27.09.2011 12:36
Schniiiiiieeeef... Oh Gott das ist traurig, aber auch toll. Ich finde es wirklich schön das die beiden bei dir auf einer Augenhöhe sind und nicht dieses ewige Seme UKe Klischee raus Hengt. Das ist wirklich erfrischend. Und ich bin sehr gespannt wie es weitergeht. Die Geschichte ist sooo spanend. Aber *ängstlich frag* Wird es da eigentlich ein happy End geben können? Also wenn man da keine große Flucht nach Amerika macht oder eine große Revolution seh ich da noch so ein bisschen sehr dunkel...oder?
Von: abgemeldet
2011-09-27T10:19:08+00:00 27.09.2011 12:19
Hahahaa, gut das du es ansprichst abgemeldet!!
Ich hab lange überlegt, wer da wen vögelt und es hat lange gedauert, ehe ich mich entschlossen hatte, dass Alexis der Dominantere ist.
Gedacht ist es so: Samuel hat bisher mäßige Erfahrungen mit Sex, vielleicht zwei Frauen und ein Kerl - einfach weil es bis jetzt in seinem Leben keine so große Rolle gespielt hat. Lust und Leidenschaft standen ihm im Weg, da er stets einen kühlen Kopf bewahren musste. Einzig das Trinken mit Jeffrey und den anderen Widerständlern hat ihn mal "ausbrechen" lassen.
Alexis hingegen, die kleine Hure, hat es ja schon mit sehr, sehr vielen Menschen getrieben. Sex gehörte für ihn zum Alltag und es war ihm dabei, mit Verlaub, meist egal welche Geschlecht dabei dran glauben musste. :) Er hatte also sicherlich Erfahrungen mit Männern, ich werde das auch nochmal an einer Stelle anschneiden, da hast du recht!! :)
Insgesamt kommt mir Alexis einfach, NUR WAS SEX ANGEHT, wesentlich reifer und erfahrener vor, deshalb hat er beim ersten Sex den Part des Dominanteren übernommen! - Was ja nicht heißen muss, dass es so bleibt, ich bin kein Freund von Stereotypen!!! :DDD

Danke aber für den Hinweis!!!
Von: abgemeldet
2011-09-27T10:10:07+00:00 27.09.2011 12:10
So jetzt muss ich mich doch auch mal zu wort melden. Ich hab die Story vorgestern bis hier her durchgelesen und finde sie wirklich spannend und erotisch. Ich frage mich warum du nur so wenig Kommis hast *kopfkratz* Versteh ich nicht. Naja auf jendenfall, das letzte Kappi, oder besser die Sexszene hat mich leicht verwirrt. Ich hab mir Samuel ja schon im Prinzip Stockschwul vorgestellt aber bei unserem Kleine Milchkaffeeboy muss ich zugeben das mich seine "sachkenntnicht" doch schon etwas überrascht hatte. Da er es bisher in der Story nur mit Frauen getrieben hat dachte ich er würde sich da zu anfang etwas zimperlich haben.Vielleicht erwähnst du mal ob er vielleicht doch schonmal was mit nem Kerl hatte oder vielleicht hatte er ja auch schon mal mit den Damen Analsex...sorry ich hab keine ahnung warum mich grade DAS sosehr beschäftigt... Tut es aber *kicher* Also ich werde auf jeden fall weiter lesen. *zum Nächsten Kapi tob*
Von:  Fye-chan
2011-09-11T20:38:36+00:00 11.09.2011 22:38
Moinchen :) Ich hab die Story in den letzten Tagen... oder Nächten^^... durchgelesen und ich muss sagen, sie gefällt mir auuusgesprochen gut :)
Du hast eine tolle und fesselnde Art zu schreiben, jedenfalls wirkt es auf MICH so... Denn auch wenn ich eigentlich fhätte schlafen gehen müssen oder sonstwas, ich konnte einfach nicht aufhören xD

Was mir sehr gefällt ist, dass fast nie etwas passiert, wovon ich in erster Linie ausgehen würde, was vorhersehbar ist. Jetzt zum Beispiel Ottos Tod. Erstmal hätte ich mit diesem schonmal nicht gerechnet und als es dann feststand dachte ich im ersten Moment: das Fieber?
...oder auch dass Samuel Alexis nun doch noch mitnimmt... auch das überraschte mich in irgendeiner Weise, auch wenn ich es natürlich gehofft hatte! :)

Ich mag die beiden übrigens sehr gerne, beide Arten haben einfach was Anziehendes an sich *g*
Und ich liiebe dieses am Ende doch überaus heiße Kapitelchen xD:P
Ich hoffe, dass noch eine ganze Menge weitere folgen :)
Bin sehr sehr gespannt, was die beiden auf ihrer weiteren Reise noch erwartet und ich hoffe dass es bald weitergeht :)

Lg, Fye
Von:  Salix
2011-08-22T21:00:50+00:00 22.08.2011 23:00
Es liest sich sehr gut.
Ich kann mich leicht in die Charaktere hineinversetzen.
Mir gefällt die Geschichte.
Eine Sache irritiert mich jedoch, Alexis kleidet sich selbst an? Je nachdem in welcher Zeit es spielen soll, wäre das etwas, dass sein Leibdiener für ihn tut oder ihm zumindest dabei behilflich ist, das Hemd hält und es knöpft. (Zumindest wenn es in einer Zeit bis Anfang 20.Jhd. spielt.

LG
Von:  gespielteHeiterkeit
2011-06-25T07:25:13+00:00 25.06.2011 09:25
Endlich habe ich es gelesen... Und ich bin wirklich sehr angetan. :)
Vor allem die Gedankengänge von dem jungen Lord gefallen mir- und auch der Schluss des Kapitels ist dir sehr gut gelungen.
Von:  jaguchi
2011-05-16T21:18:48+00:00 16.05.2011 23:18
Hehe, cool, geschichtlicher Hintergrund. Das gefällt! =) hach, ich mag die beiden einfach! Bin echt gespannt, wie es weitergeht! greeetz, dat jaguchi
Von:  Insert_Coin
2011-05-14T16:41:39+00:00 14.05.2011 18:41
Hahaha... ich seh ja jetzt erst, dass du mein Bild für die Charakterbeschreibung von den beiden hier reingestellt hast :D

Ach du weißt ja wie heiß ich die beiden finde <3 Alles andere hab ich dir ja schon geschrieben >////<
Von:  jaguchi
2011-05-11T20:11:38+00:00 11.05.2011 22:11
Echt ne supergeniale FF! Ich bin absolut begeistert! Oh Mann! Ich kann gar nix sagen. Die Charas gefallen mir sooo gut! Und auch die Sprache is total schön! Ich bin hin und weg! *kopfleer* Echt genial!!!


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