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Ruf des Meeres

von

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Königin der Meere

Ich stand am Kai, das Wetter ließ eine Sonne, die nur durch ihren Schein zu sehen war, hinter grauen Wolken. Wir lebten in dieser Hafenstadt, die nur wenige Einwohner hatte und in der man nicht einmal richtig baden konnte, weil man Angst vor Haien oder anderen gefährlichen Fischen haben musste. Doch nahe am Wasser konnte man stehen, die Brandung unter einem mit Gischttropfen auf dem Gesicht. Heute hatte sich miene Familie am Strand versammelt, meine Schwester spielte dicht am Ufer im Sand, mein Vater las auf einem Strandtuch seine Zeitung, mit halbem Auge auf m eine Schwester. Meine Mutter warnte mich, nicht zu weit über's tiefe Wasser zu gehen, ich spürte ihre Sorge bis hier draußen, auch mich hatte sie halb ergriffen. Gelegentlich wurden Menschen, die zu weit auf dem Anlegesteg standen, noch ein Stückchen weiter als ich, von Ungeheuern in die Tiefe getogen und nie mehr wiedergesehen.

Doch das Meer übte einen unwiderstehlichen Reiz auf mich aus, dem ich einer Hypnose gleich folgen musste. Hier konnte man ans nächste Ufer sehen, als wäre es zum Greifen nahe. Allerdings wirkte diese Nähe heute auf mich bedrückend.

Plötzlich blitzte aus dem Wasser, nahe dem Anfang des Stegs, eine Haiflosse auf.

Das Meer bebte, die Leute rannten schreiend vom Ufer weg. Auch ich wollte wegrennen, doch in welche Richtung ich mich auch wandte, die Haiflosse war schneller und Angst vor ihr versperrte mir den Weg, bis ich gelähmt stehen blieb. Die Flosse schwamm auf das Ufer zu, um auch die letzten mutigen Menschen zu vertreiben, bevor sie möglicherweise auf den Gedanken kamen, mir zu helfen.

Dann tauchte das "Tier" auf und Panik wallte in mir hoch. Es handelte sich nicht um einen Hai im herkömmlichen Sinne, sondern um einen Haimann, eine groteske Mischung zwischen Hai und Mensch, die umso gruseliger war, da die Flosse auf seinem Kopf spross und sein ganzer Körper stromlinienförmig gebaut war. Seine furchtbar dunklen Augen blitzten schrecklich, am Hals bildeten die Kiemen klaffende Wunden.

Er tauchte wieder unter, schoss zur anderen Seite des Strandes, tauchte kurz auf, um die dort Stehenden zu verscheuchen und verchwand wieder. Als er zum zweiten Mal wuf der zu meiner linken liegenden Strandhälfte auftauchte, sah ich, dass er den Wasserbereich nicht verließ. Und auch der Grund offenbarte sich mir nun: an seinen graublauen Füßen, dort, wo normale Menschen ihre Knöchel hatten, hatte er schwarze Löcher, die in seinen Körper führten. Ich ahnte trotz meinem Schrecken und meiner Furcht, dass er damit "atmete", wenn sein Oberkörper aus dem Wasser ragte.

Als der Strand wie leerefegt dalag, riss er trumphierend das Maul auf und offenbarte die vielen Zahnreihen, die auch seinen fischigen Äquivalenten zu eigen waren. Er glitt wieder in die Fluten, um in bedrohender Geschwindigkeit auf mich zuzurasen. Vor mir sprang er hoch, schloss mich in seine Stahlarme und stürzte mit mir am Ende des Scheitelpunktes in das düstere Nass.

Ich hatte kaum Genug Zeit, nach Luft zu schnappen, bevor die Oberfläche über mir zusammenschlug. So geriet ich beinahe in Panik, als ich die Luft anhielt, um kein Wasser in meine Lungen zu bekommen. Jedoch würde dies nur mein Schicksal hinauszögern, da der Haimann nicht vorzuhaben schien, jemals wieder aufzutauchen. Während mein Gesicht also immer dunkler anlief, und ich den Reflex unterdrücken musste, nach Luft zu schnappen, tauchten wir immer tiefer.

irgendwann beendete er seinen Tiefgang, ließ mich aus seiner Umklammerung und hielt mich nur noch an meinen Schultern fest. Scheinbar erst jetzt fiel ihm mein angespannter, angstvoller Gesichtsausdruck und die Panik in meinen Augen auf, denn sein Gesicht zeigte ein mitleidiges, mildes Lächeln. Während seine Hände meine Arme herunterlitten, um dann meine Hände sanft zu nehmen, sagte er:

"Du brauchst keine Angst zu haben, versuch einfach zu atmen."

Ich riss vor Furcht meine Augen weiter auf, das Salzwasser brennend auf meiner Hornhaut, und versuchte, vehement den Kopf zu schütteln, doch das ungewohnte Plasma um mich herum verlangsamte meine Bewegung. Er verzog nachsichtig das gesicht, das mir nun erstaunlich menschlich erschien, ließ meine Hände los und versuchte, mich dazu zu zwingen, den Mund aufzumachen, oder sonstwie zu atmen.

"Es ist wirklich nicht schwierig und sterben wirst du auch nicht", versuchte er mich zu beruhigen, "es sei denn, du armest gar nicht.", fügte er mit mürrischer Miene hinzu. Ich versuchte, mich gegen sein Drängen zu wehren, doch irgendwann gewann er einfach und ich schnappe nach Luft, nur dass nun Wasser in meine Atemwege floss. Jeden Moment erwartete ich nun, ohnmächtig zu werden, oder wenigstens das Nass wieder auszuhusten, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen fühlte es sich wie völlig normales Atmen an, das Wasser einzusaugen und wieder auszustoßen. Verblüfft sah ich den Haimann an. Erst da fiel mir auf, dass er mich gänzlich losgelassen hatte und ich nun sanft gen Boden sank.

"Es ist wirklich ganz einfach!", stellte ich erstaunt fes und war verblüfft, dass ich auch meine Stimme verstand, so wie zuvor seine und sie nicht durch das Übertragungsmedium Wasser beeinflusst schienen.

"Na, siehst du", bestätigte er mir und lächelte mich freundlich an. Durch den Erfolg dieses Experiments zuversichtlich und neugierig geworden, folgte ich dem Haimann weiter nach unten. Bald kam eine leuchtende Unterwasserstadt aufdem Grund in Sicht, die sich kaum von einer Stadt der Oberfläche unterschied. Der Haimann führte mich hinunter zu einem Park und wir landeten sanft auf dem Boden,beim Aufsetzen wirbelten meine Haare elegant um meinen Kopf.

In der wunderlichen Stadt zu stehen war noch faszinierender als sie nur von oben zu betrachten. Es schien keine Straßen zu geben, baumartige Korallen gingen in verwinkelte Gebäudewände über, die von innen zu glühen schienen. Manche Häuser zu meiner rechten standen auf terassenartigen Erhöhungen, wodurch das Gesamtbild erwärmt wurde, da diese Gebäude in Rottönen und Orange gehalten waren. Zwischen den Gebäuden trieben träge pastellfarbene Quallen und hektische Fische umher. Ebenso konnte ich in der Ferne einige Humanoide erspähen, die sich wie wir in den Bedingungen des Lebens unter Wasser angepasst hatten.

Staunend sog ich alle diese Bilder in mich auf, bis ich bemerkte, dass der Haumann meine Aufmerksamkeit forderte.

"Wie du sehen kannst, sind wir hier in einer Unterseestadt. Hier wohnen wir "Fischmenschen", wie ihr Oberflächenbewohner uns nennt. Etwas problematisch sind unsere Straßen: man sieht sie nicht auf dem Boden, sodass man ständig aufpassen muss, nicht von großen Walen oder Quallen umgeschwommen zu werden.", erklärte er und deutete auf eine Passage zwischen zwei Häusern, durch die sich eine gewaltige Qualle gerade quetschte. Sie leuchtete in einem matten Schimmer und in diesem Licht wurde unter ihre eine blaue phosphoreszierende Straßenbegrenzung sichtbar. Darauf setzte sie ihren Weg wie eine Esienbahn auf Schienen fort. Unter anderen Passanten wurde diese Wegbegrenzung nicht sichtbar. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Haimann, der hier wesentlich natürlicher als auf der Oberfläche erschien.

"Die Gebäude sind natürlich gewachsene Korallen", erklärte er mir weiter, während er mich einen Gang zwischen zweien Häusern durchführte, "das Licht stammt von hunderten kleiner Meeresbewohnern, die sich hier angesiedelt haben. Quallen bilden ein Bussystem und bringen dich für wenig Plankton überallhin, wohin du möchtest."

Während er sprach, bemerkte ich eine Veränderung meine ganzen Körper betreffend. Nicht nur konnte ich jetzt Wasser atmen, sondern ich bekam auch ein grünblaues Schuppenkleid, das sich über meine Haut zog. Erstaunt hob ich meine Hände vor mein Gesicht und fuhr über meine mit einem glitschigen Schleim überzogenen Wangen. Der Haimann hatte meine Verwandlung mitbekommen und sie schien ihm zu gefallen.

"Warte noch eine Weile und du wirst auch Kiemen bekommen", versprach er mir und es klang wie ein attraktives Kompliment. Ich wusste noch nicht, ob ich dieser weiteren Metamorphose entgegen fieberte oder sie lieber hinauszögern wollte.

"Keine Angst, du wirst auch weiterhin an Land atmen können", versicherte er und hatte damit einen meiner Sorgenpunkte aus dem Weg gefegt. Bevor er weiter erzählen konnte, wie diese Stadt funktionierte, sauste eine Fischfrau mit Elementen eines Delphins und eines Oktopusses auf uns zu und baute sich vor mir auf. Sie musterte mich kritisch von oben bis unten und schien empört über die dunkle Haartracht, die um meine Schultern wallte.

"Glaub ja nicht, dass du deine Haare behalten kannst!", schnauzte sie mich an und schien eifersüchtig zu sein, denn ihren kahlen Kopf zierten allenfalls kalte Schuppen. Seltsamerweise erschien es mir jedoch auch so, dass ihre Eifersucht sich auch auf die Aufmerksamkeit richtete, die mir der Haumann schenkte, welche sie auf die wirbelnde tote Masse zurückzuführen schien.

"Irgendwann werden sie dir auch ausfallen!", prophezeite sie mir dunkel und wandte sich gänzlich von mir ab, dem Haimann zu. Dieser schenkte ihr herzlich wenig Interesse, was ich jedoch kaum wahrnahm, denn ich war dankbar für ein paar Minuten für mich selbst.

Meine neue Lage schien viele Vorteile mit sich zu bringen, ich konnte unter Wasser atmen und mich frei und schnell bewegen wie ein Fisch. Druck oder Kälte, die hier unten herrschen sollten, machten mir wenig aus und wenn ich den Haimenschen richtig verstanden hatte, würde ich auch an Land leben können. Gar nicht so übel. Der einzige Preis, den ich dafür zu zahlen haben würde, sollten meine Haare sein.

Ich schaute mich um, bedaurend um diese Pracht, die mir verloren gehen sollte, und bemerke mehrere meist weibliche Fischmenschen, die eine Art Flosse oder Schwanz als Haarersatz von ihrem Kopf sprießen hatten. Mit unumstößlichen Willen beschloss ich, dass mir auch eine solche Flosse wachsen sollte, verlöre ich meine Haare. Denn so ein Kahlkopf wie die Frau vor mir wollte ich keinesfalls werden.

In diesem Moment lösten sich ganze Stränen meiner taillenlangen schwarzen Mähne, was die Okopusfrau mit Verzücken bemerkte. Jedoch erblasste sie, als statt dieser Kopfbedeckung ein von meinem Willen geborener breiter Fischschweif von meinem Schädel herunter wuchs und erst an meinem Po endete.

Etwas errötet ob dieser neuerlichen Veränderung sah ich zu meinen beiden Gegenübern auf.

Die Frau war nach wie vor fassunglos über die neue Entwicklung meines Körpers, doch die Reaktion des Fischmannes schmeichelte mir und machte mir zugleich angst. Hatte er mich zuvor attraktiv gefunden, so war ich nun für ihn unwiderstehlich und er konnte es nicht verbergen, dass dies auch sein Körper so sah. Jedoch genügte ein Schritt zurück von mir, dass er zwar seine Erregung nicht unterdrücken konnte, mich aber in Ruhe ließ und nicht anrührte.

Auch der Delphinfrau entgingen die Blicke nicht, mit denen er mich bedachte und rasend vor Eifersucht suchte sie das Weite. Der Haimann und ich sahen uns verwundert in die Augen.

Kurze Zeit später kam sie mit einer untersetzten, pummeligen Frau wieder, die noch erstaunlich viel Ähnlichkeit mit einem Menschen der Oberfläche hatte. Ihr waen weder die Haare, die karmesinrot um ihre Ohren wehten, ausgefallen, noch hatte sie ihre Hautfarbe eingebüßen müssen. Doch bereitete ihr das Atmen unter Wasser sheinbar genauso wenig Probleme wie uns Fischmenschen.

"Das ist sie!", keifte die Oktopusfrau und wedelte ungehalten in meine Richtung. Die kleine Frau zögerte nicht lange, geschweige denn sich mit einer Musterung meiner Person aufhalten zu lassen.

"Du musst uns deine Loyalität beweisen, damit du hier leben darfst!", verlangte sie von mir, "Und da ich die Königin hier bin, bestimme ich, was du zu tun hast! Triff mich morgen früh oberhalb des Kliffs, um deine Aufgabe zu erfüllen!"

Damit rauschen sie und die Eifersuchtsziege wieder ab, ohne mir eine Chance zum Widerspruch oder Einwand zu geben.

Verdattert wandte ich mich dem Haumann zu, der mir jedoch nur bedauernd bestätigen konne, dass diese kurze Frau die nicht allzu beliebte Monarchin der Wasserstadt sei und ich mich ihr wohl unterordnen müsse. Immerhin versprach er mir, mich zu der verlangten Stelle zu führen.
 

Am nächsten Morgen liefen wir also in der Brandung zu dem genannten Kliff hin. Die Worte des Haimannes hatten sich bewahrheitet, ich konnte die Luft noch atmen. Kurz vor der aufragenden Steilwand blieb er im Kies des Meeres stehen und sah mich beunruhigt und sorgenvoll an.

"Ich kann dich nicht aus dem Meer heraus geleiten", erklärte er und er brauchte nicht extra auf seine Füße zu deuten, denn ich hatte schon lange vorher gewusst, dass er nicht lange außerhalb des Wassers überleben konnte. "Bist du dir sicher, dass du ihre Prüfung auch alleine schaffst?", vergewisserte er sich sorgend.

Ich nickte entschlossen, obwohl ich vermutete, dass es eine besonders grausame Prüfung sein würde, die auf mich wartete. Dann drehte ich ihm den Rücken zu und begann, das steile Ufer hinaufzuklettern. Zwischen dem weichen, doch losen Erdwerk wuchsen zum Glück einige Sträucher und Laubbäume, die die Erde einigermaßen an ihrem Platz hielten oder an deren Stämmen und Wurzeln ich zumindest Halt fand. Meine Hände gruben sich hier und da auch mal in die Erde, die sich warm und weich anfühlte, wie mit Leben angefüllter Lehm. Jedoch streiften die Äste des Bewuchses dicht über meinem Kopf entlang, sodass sich Haare sicherlich verfangen hätten. Und das taten sie. Unbewusst hatte ich mich bei meinem Verlassen des Wassers wieder in eine menschliche Hülle begben, die einem flüchtigen Blick standhielt.

Oben angekommen musste ich nur wenige Schritte tum, um aus dem Seitengrünstreifen auf eine geteerte Straße zu treten. Ich befand mich nun wieder innerhalb, oder zumindest am Rande, des kleinen Dörfchens, in dem ich so lange gelebt hatte. Vor mir, auf der anderen Straßenseite, erhob sich pittoresk eine kleine Kapelle, auf deren Mauern sanft das Sonnenlicht Schattenspiele schrieb. Um den Hügel der Kirche führte die Straße in einem Bogen, zu miener Linken konnte ich relativ gerade aus in den Ort sehen, zu meiner Rechten nicht weit, da die Straße hinter der Kurve in Bäumen und Buschwerk verschwand.

Auf dieser Straße, links von mir, stand die pummelige "Königin" vollkommen unköniglich und schräg hinter ihr die eifersüchtige Oktopus-Tussi als hochgewachsene blonde Frau. Die Königin hielt in ihrer Hand ein langes Jagdgewehr, das sie mir in die Hand drückte, als wir uns nahe genug gekommen waren.

"Bring damit die Frau um, die hier gleich Abschied nehmen wird", befahl sie mir im Flüsterton, "dann gilt deine Loyalität dem Fischvolk gegenüber als bewiesen und du darfst friedlich unter uns leben."

Skeptisch nahm ich das Gewehr entgegen, doch wollte ich dem Befehl Folge leisten und wenn nur, um die leuchtende Stadt wieder zu sehen.

Bald rauschte ein roter Ferrari-Capriolet um die Ecke, hielt an der dem Ufer zugewandten verbreiterten Straßenseite und ein kräftiger, mittelgroßer Mann stieg aus. Er hatte kurzgeschorenes braunes Haar und sah nicht ganz unsympathisch aus.

Von Seite der Kirche kam eine junge Frau mit langen blinen Haaren auf ihn zugerannt. Als sie ihm in die Arme fiel, hob ich das Gewehr und zielte. Doch in dem Moment drehte sich das Paar so, dass ich ihr Gesicht erkennen konnte. Es war meine erwachsen gewordene kleine Schwester.

Trotz des roten Sommerkleids, das sie trug, wusste ich, dass sie gerade vom Grab meiner Eltern kam, die einige Jahre nach meinem Verschwinden verstoreben waren. Meine jüngere Schwester hattezu dem Zeitpunkt gerade begonnen, sich ein Leben aufzubauen und war daher in tiefe Trauer gestürzt worden, als sie von dem Autounfall erfuhr. Trotzdem hatte sie sich in dem kleinen Dorf einen Laden eingerichtet und bald darauf diesen Mann kennengelernt, der nun ihr Freund war. Er war auf den Weg in eine größere Stadt, denn die Firma, für die er arbeitete, wollte sich dort bekannter machen und so sollte er das Gebiet erkundschaften.

Seltsam emotionslos entnahm ich diese Informationen dieser einen Abschiedsumarmung und wusste, dass es falsch war, sie zu erschießen. Ich fühlte das Gewicht und die Wärem des Körpers der "Königin" im meinem Rücken, als sie über meine Schultern griff, um meine Arme mit dem Gewehr erneut auszurichten.

"Erschieß sie!", befahl sie mir erneut, eindringlich flüsternd, "damit kannst du deine Treue zu deiner Königin unanzweifelbar beweisen!"

Ich hätte es tun können, meine eigene jüngere Schwester ermorden. Keinerlei Gefühle verbanden mich mehr mit diesem Menschen, der mir einmal so nahe gewesen war. Ich empfand nur warme Ruhe. Doch als die dicke Frau meinen Finger zum Abzug brachte, hatte ich nicht die Blonde im Visier, sondern ihren Freund. Der Knall ertönte und er sackte in ihren Armen zusammen.

Fassungslos vor Schreck und Trauer hielt meine Schwester den Leichnahm blutübersprenkelt auch weiterhin in ihren Armen. Tränen begannen in Strömen zu fließen, doch nichteinmal dieses Bild der Verzweiflung erreichte mein Herz.

Die "Königin" erwachte kurz danach aus ihrer Überraschung und verlangte von mir, ich solle noch einmal schießen. Ich jedoch weigerte mich.

"Wenn es darum ging, ihr Schmerz zuzufügen, ist das die beste Möglichkeit", erklärte ich sachlich, das Gewehr gesichert auf den Boden gerichtet.

"Du kannst sie nicht töten, weil dich etwas mit ihr noch verbindet!", warf mir die untersetzte Frau vor.

"Doch, ich könnte", hielt ich ihr entgegen, "ich empfinde keinerlei Verbundenheit mit ihr." Und damit sprach ich einfach nur die Wahrheit aus.

Die "Königin" schien das zu bemerken, denn wütend lief sie an mir vorbei die Straße entlang zum Dorf hin. Die Delphin-Oktopusfrau sah mich empört an, beeilte sich dann aber, ihrer Herrscherin zu folgen.

Ein mieses Gefühl veranlasste mich dazu, den beiden nachzueilen. Dabei fiel mir im Vorbeigehen auf, dass auf der Straße neben dem glänzenden roten Auto nur noch der Erschossene lag, nicht aber mehr die Frau zu sehen war. Sie war geflohen, als ich durch die "Königin" abgelenkt war. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Weg und gelangte nach kurzer Strecke in den Kern der Ortschaft.

Die Häuser sahen alle etwas älter aus und schienen zunächst ohne Plan auf die Erde gepflanzt worden zu sein. Erst, als das Dorf größer geworden war, hatte man scheinbar über Straßen nachgedacht, die die bereits vorhandenen Häuser miteinander verbanden.

Dementsprechend verwinkelt waren die Gassen angelegt. Im frühmorgendlichen Tagesanbruch waren kaum Leute unterwegs, nur ein Bäcker rollte die Markise vor seinem Laden auf und ein Frühaufsteher sah in seinem Vorgarten nach Zeitung oder Post.

Ich hetzte an allen diesen Leuten und Häusern vorbei, nur meinem Instinkt folgend. Dieser führte mich um Ecken und Winkel, die ich ansonsten für Sackgassen gehalten hätte. Kein einziges Mal jedoch stand ich an einer Stelle, an der ich nicht weiter wusste oder kam.

So erreichte ich nach einiger Zeit ein Gebäude, in dessen Innern sich die "Königin" und ihre Untergebene befand. Als ich die Tür aufriss, wurde ich von letzterer umgehend attackiert, dich ihr ausweichend hatte ich grad genügend Zeit, den Raum und die Situation zu erfassen.

"Raum" war velleicht nicht das richtige Wort, es handelte sich vielmehr um einen königlichen Saal. Der Boden waren spiegelblank gewienerte schwarzblaue Fliesen, die die Lampen an der dunkelblauen Decke spiegelten. Hohe dunkle, fast schwarze Säulen bildeten eine Allee zu einem Podest, das einen Thron trug. In dem schwarzen Marmor der Stützen spiegelten sich die blutroten Wände, deren Maserung sich wie ein lebendiger Lavastrom wandt.

Auf dem Podest stand vor einer prachtvollen Darstellung eines Yin-Yang-Symbols die "Königin" und rief mir herausfordenrde Worte an den Kopf, die mich wohl dazu reizen sollten, sie anzuschießen. Zu diesem Zweck ließ mich wohl auch endlich die Oktopusfrau in Ruhe und verhinderte nur, dass ich zu nahe an die Erhöhung heran trat. Mir die Herausforderungen nicht mehr anhören wollend, kniete ich mich nieder, um einen festen halt für das Gewehr zu bekommen. Da fiel mir beim Anvisieren etwas ins Auge, das mir sehr interessant erschien.

Der Kreis mit der schwarzen und weißen Komponente drehte sich leicht im Hintergrund, wobei sich allerdins in der weißen Hälfte, die bei genauerer Betrachtung leicht zu groß war, leise plätscherndes Wasser befand. Das Wasser war weißlich, beinahe wie Milch und doch durchsichtig, so klar, dass man hindurchsehen konnte und den weißen Hintergrund erkannte. Davor befand sich die Frau, die ich als meine Schwester verstanden hatte - verwandelt. Ihr Oberkörper war noch annährend menschlich, ihre Arme schlenkerten sanft mit den Bewegungen des Wassers. Ihr Torso allerdings war verlängert, sodass sich ein wunderschöner schlangenartiger Schweif mit dem weißen Symbol drehte. Er war mit herrlichen weißen, flauschig überzogenen Schuppen ausgestattet, die im trägen Licht regenbogenfarben glänzten. Ihr perlmuttener Glanz verlieh dem reinen Weiß noch einen höheren Grad der Schönheit durch die sanfte Vielfalt der unaufdringlichen Farbvarianzen. Auf dem Rückgrad dieses anmutigen Wesens wuchs ein roter, weicher Flossenkamm, der dem Gesamtbild die Vollendung ins Vollkommene bescherte. Dieses schönste aller lebenden Geschöpfe schien eingeschläfert gefangen in dem Gefäß zu sein.

Kurzentschlossen nahm ich den kläglichen Abklatsch einer Königin ins Visier, nur um kurz vor dem Abschuss die Ausrichtung erneut zu ändern. Die Delphinfrau, die wohl etwas ahnte, versuchte irgendwie die Flugbahn der Kugel zu manipulieren und die herausfordernen Rufe wurden zu überraschten Schreien, als ich tatsächlich feuerte.

Das Glas, das die weiße Herrlichkeit gehalten hatte, zersprang und die zarte Dame fiel ohnmächtig aus ihrem Gefäß. So raste ich wie ein geölter Blitz an der Oktopusfrau vorbei, die dachte, ich wollte ihre "Königin" angreifen, auf das Podest zu. In Windeseile war ich bei ihr, denn ihr zerbrechlicher Körper schien dringend die schützende Umarmung des Meeres zu brauchen. Daher flitzte ich aus dem Gebäude heraus, an den verdatterten Gestalten meiner Widersacher vorbei und eilte den Weg zurück, den ich gekommen war. Dieser erschien mir viel kürzer als bei dem Herkommen, allerdings konnte dies auch an meinem ungeheuren Tempo liegen, das ich vorlegte, um dem zarten Wesen in meinen Armen, dessen langer Schweif den Boden dank der Geschwindigkeit nicht berührte, eine Chance zu geben.

Keinen Moment zu spät sprang ich schließlich von der Klippe, hoch und weit hinaus, bis ich in die einladende beige Gischt des tiefen Wassers stürzte, meine kostbare Prinzessin sicher in meinen Armen.

Der Haimann sah mich wohl fallen, denn als ich unter Wasser die Augen aufschlug, sah ich ihn mit besorgtem Gesicht auf uns zueilen. Mein Schatz war von der Hetzjagd und dem irren Sprung Gott sei Dank unbeschadet geblieben und trieb nun träge neben mir in der See.

Interludium

Nachdem die traumhafte Schlangenfrau ihren erzwungenen Schlaf abgeschüttelt hatte, hatte sie uns erklärt, wer sie eigentlich war: Die rechtmäßige Königin der See, die in den Körper einer normalsterblichen Menschenfrau gesperrt worden war. Mein Schuss auf sie in dieser Gestalt hätte sie getötet, denn der "Freund", den sie hatte, war ein Untergebener der Heuchler in gwesen und hatte sie geschächt. Dennoch hätte nur mein Schuss allein sie von dieser Welt geholt, denn ich war... mächtig. Ich habe nicht genau verstanden, wie sie es ausdrückte und was sie damit meinte.

Die Kugel hätte allerdings der Hochstablerin nicht geschadet, da sie von ihr geschmiedet und eine Schuppe von ihr enthielt. Im Gegenteil hätte es sie durch meinen Schuss noch stärker gemacht, was sie wahrscheinlich durch die Herausforderungen bezweckt hatte. Doch durch die Befreiung der wahren Königin war jegliche Gefahr der Ursupatorin gebannt.

Beim Eintreffen des zauberhaften Wesens erwachte auch die gesamte Unterseestadt aus dem Zauber der falschen Herrscherin und erkannte es als seine rechtmäßige Herrin an.

Bald darauf hatte es ein großes Fest gegeben, der wahren Monarchin zu Ehre. Auf diesem hatte sie ihren Rettern, dem Haimann und mir, gedankt und uns Geschenke gemacht. Den Haimann erlöste sie von seiner Gebundenheit an das Wasser, indem sie die Atemkanäle an seinen Fesseln verschwinden ließ und ihm stattdessen alternative Lungen schenkte.

Und mir... nun, mir gewährte sie einen Platz an ihrem Hofe, sodass ich mich jederzeit in ihrer Herrlichkeit sonnen konnte. Ich war zufrieden.

Schließlich öffneten sich an meinem Hals zaghaft und vorsichtig erste Kiemenklappen. Die Berührung des Wassers an meinen neuen Atemwegen war eines der schönsten Gefühle, die ich jemals gespürt hatte. Durch die kleinen Spalten ergoß sich sanft das lebensspendenste aller Elixiere in mich, das es jemals gegeben hate. Seine feinen Bewegungen an den empfindsamen Lamellen in meinem Hals animierten mich dazu, zu den Strömungen vor Glück zu tanzen.
 

Irgendwann, nachdem ich mich in der Unterwasserstadt richtig eingelebt hatte, kam eine Forschergruppe in unsere Nähe, die von dem Leuchten dieses herrlichen Ortes angezogen worden war. Der Haimann und ich bekamen von unserer Königin den Auftrag, sie von unserer Heimat fernzuhalten, da es durchaus gefährlich werden konnte, wenn Menschen von unserer Stadt wüssten. Wir lenkten sie durch eine ungewöhnliche Ansammlung von Korallen einige Kilometer entfernt ab. Durch dieses Geschehen kamen wir in Kontakt mit ihnen und freundeten uns vorsichtig an.



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