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Unerwarteter Besuch meiner toten Schwester

"Wo sind die normalen Leute? Ich sehe niemanden." "Es gibt keine." "Oh."
von

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Ein völlig normales Leben

Bells Leben war anscheinend langweilig. Egal ob sie mal meinem heißen Nachbarn aus Versehen beim Stolpern in den Schritt fasste oder mit nassem weißen Oberteil durch die Schule spazierte, wo drunter sie natürlich einen BH mit zwei fetten Bären trug. Egal ob sie schon am ersten Arbeitstag die Kaffeemaschine zum Explodieren brachte oder das Jungsklo mit dem Mädelklo verwechselte und mitten ins ’Geschäft’ platze. Chloe war immer der Meinung, sie erlebe nicht genug in ihrem Leben. Dabei ging sie nur nicht auf diese Orgienpartys, von denen so viele in der Schule schwärmten. Was soll sie denn dort? Sie hasste es sich durch die Menge zu zwängen, um zu den Tresen zu kommen und dabei von jeder Seite mindestens eine ’männliche Verlängerung’ zu spüren, die sich nach ihr streckt. Einfach widerlich für sie zu wissen, dass sich diese Dinger an ihrem neuen teuren Kleid reiben. Bah!
 

Aber sie war wie immer machtlos und man kannte ja Gruppenzwang! Also wurde sie mal wieder mitgezehrt und war gerade dabei sich einen sicheren Weg durch die tanzenden Leute vor sich zu suchen. Letztendlich entschied sie sich doch dafür, sich einfach an der Wand entlang zu drücken, egal ob es bescheuert aussah oder nicht. Es war notwendig! Sie war ja kein Mauerblümchen oder total verklemmt. Natürlich blieb ihr der Mund bei Sixpacks offen stehen und sie schaue ihnen gerne auf den knackigen Po, doch was die Praxis angeht, da war sie vorsichtig und keine Schlampe. Doch wer kann schon einem perfekten Modelkörper widerstehen? Anschauen ist ja nicht verboten! Doch spätestens beim ersten Gespräch hört die Liebe zum Aussehen auf. Wenn die Kerle ihren Mund aufmachen, heißt es nur rennen! Denn war es egal wie sie aussehen, was ihr Kumpel in der Markenjeans will, ist immer dasselbe. Bell war nicht eingebildet, doch sie wusste, dass sie recht hübsch war. Jedenfalls war sie mit sich selber zufrieden. Chloe dagegen meinte, dass ihr viele Kerle zu Füßen lagen, sie bemerkte es bloß nicht!
 

Aber Chloe durfte man nicht jedes Wort abkaufen! Sie war eine wundervolle Freundin, natürlich, doch sie ging manchmal in die Richtung, die Bell abschlug, genauso wie jetzt. Isabel hatte den Laden erst vor einer guten viertel Stunde betreten und hatte schon jetzt die Schnauze voll. Wieso kleben immer die abscheulichsten Säcke an ihr? Sie konnte mir nicht einmal was zu Trinken bestellen, als auch schon Mickey Maus sich an sie ranmachte. Weshalb der Name? Hört man sich ihn an, dann ist die Frage sofort beantwortet. Isabels Blick in seine Richtung sagte jedoch alles und er war zu meinem Glück so Einer, der sich danach sofort verzog. Sie stornierte ihre Bestellung und stöckelte zu Chloe, die in der Ecke auf einem der Sofas saß. "Ich hab die Schnauze voll!", sagte Bell schmollend und ließ mich neben sie auf das Mobiliar fallen.
 

"Das ist jetzt nicht dein Ernst, Süße? Oder?", entgegnete Chloe ihr mit fassungslos verzerrtem Gesicht.

"Was guckst du mich so an, Chloe? Ich hab dir schon davor gesagt, dass es wieder genauso scheiße sein wird."

"Du treibst dich auch immer alleine rum und so schlimm ist es auch nicht!"

Es war Bell egal was sie meinte, sie hatte einfach keinen Bock mehr auf die Leute hier. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch eine Stunde bleiben würde. Chloe sicher, sogar bis in den nächsten Morgen hinein. So war sie eben, egal ob am nächsten Tag Schule war oder nicht. Sie feierte immer durch. Bell jedoch bewegte, nach einer guten halben Stunde, ihren hübschen Hintern aus diesem Laden. Auf der Straße neben der Laterne stehend rief sie ihren Dad an und bat ihn darum sie hier abzuholen.

"Wieso denn schon wieder so früh, Liebes? Ist was passiert?", war sofort Dads Frage.

Isabel beruhigte ihn. Sie log ihm schnell vor, dass es dort eine kleine Schlägerei gegeben hatte und darauf die Stimmung verschwunden war.
 

Während sie die zwanzig Minuten wartete, rollte ein potthässlicher Wagen an ihr vorbei. Was kam denn jetzt, fragte sie sich und verdrehte schon die Augen. Hoffentlich nur jemand, der den Weg suchte. Obwohl... so spät Abends? Sie sollte vorsichtiger sein. Ein Kerl mit Koteletten sah sie mit einem Rape-Grinsen an. "Was nimmst du, Schnecke?" Bell blieb einfach nur der Mund offen stehen. Anscheinend verwirrte dies den Fahrer und er fragte nochmal nach. "Jetzt sag schon!", herrschte er sie schließlich an.

Noch ehe er seinen Satz zu Ende aussprach, schrie sie ihn wie eine wilde Furie an. "Sag mal, denkst du etwa ich bin eine Schlampe? Seh ich etwa so aus? Das ist ein elegantes kurzes Kleid von Gucci! Das mich verdammte dreihunderfünzig Doller gekostet hat und du willst mir sagen, dass ich damit wie eine Schlampe aussehe? Weißt du eigentlich wie lange ich dafür gespart habe?"
 

Sie kümmerte sich eher darum, dass sie anscheinend wie eine Schlampe aussah, als dass sie die Leute um sie herum nun völlig verstört ansahen. Schnell machte er die Fensterscheibe hoch und startete seinen verdreckten Wagen. Bell schrie ihm immer noch hinterher, wie aufwendig ihr Kleid genäht war und wie lange sie heute mit ihrer Frisur vor dem Spiegel stand, als er wie ein Irrer davondüste. Die Strähnen hingen ihr schon völlig verwuschelt ins Gesicht und sie pustete beleidigt eine aus ihrem Blickfeld. Sauer verschränkte sie die Arme und drehte sich auf ihrem Absatz um, der ihr auch dann prompt abbrach. Am liebsten hätte sie ihre Schuhe ausgezogen und sie dem Nächsten ins Gesicht geworfen, doch sie hielt sich davon ab, sondern schnauzte nur ihre Schuhe an, wie sehr sie sie hasste und sie ihr auf den Wecker gingen. Klarer Fall für die Nervenanstalt, dachten sicher die anderen, doch das war ihr völlig egal. Ihr Daddy sah sie komisch an, als sie mit den kaputten Schuhen in den Wagen stieg.
 

"Hast du etwa bei der Schlägerei mitgemacht und jemanden erstochen?", fragte er sie und nickte auf die Schuhe. Bell wusste, dass er sie aufziehen wollte, doch sie hatte gerade kein Bock drauf. Also verengte sie nur die Augen zu Schlitzen und blitze ihn an.

"Das ist nicht witzig.", zischte sie.

"Ist es auch nicht. Weißt du wieviel Papierkram das bei einem Mordfall ist?"

Er wollte sie tatsächlich auf die Palme bringen! Doch Bell verhielt sich weiterhin ruhig und starrte auf die Armatur vor ihr. Dad war Polizist, ein gutmütiger Kerl, doch er konnte genauso hochgehen wie sie. Anscheinend war das so in ihrer Familie. Sie liebte ihr Haus, genauso wie es ihre Eltern taten. Es war so ein typisches Häuschen wie aus Sex and the City. Mit schönem Garten und einer gut gepflegten sauberen Straße. Das Einzige was hier beängstigend war, was Bells Nachbar Tott. Bell war mir sicher, dass er irgendso ein Killer war.
 

Er spannerte ihr ständig hinterher. Wenn sie morgens aus dem Haus ging, stand er 'zufällig' am Fenster, wie er immer sagte und sah sie. Wenn sie nach Hause kam, stand er auch dort und ging natürlich denselben Weg von der Schule hier hin, obwohl er eine völlig andere besuchte. Und auch jetzt stand er wieder am Fenster und grinste Isabel entgegen. Am liebsten hätte sie ihm jetzt mit ihrem kaputten Absatz erstochen! Genervt ging sie hinein, wünschte ihrer Mum einen guten Abend und verzog sich sofort nach oben in ihr Zimmer. Seufzend fiel sie aufs Bett. "Gott... bitte lass am Sonntag Hirne vom Himmel regnen für die armen Menschen in meiner Umgebung!", flehte sie und verschränkte ihre Hände.

Doch ihr inniges Gespräch wurde durch ein nerviges Klingeln unterbrochen. Sie wusste wer das war. "Entschuldige mich bitte kurz, Vater, ich muss nur jemanden umbringen.", sagte sie kurz ihrer Decke entgegen und griff nach ihrem Handy. "Jhaa?", war ihre langgezogene Frage.

"Bist du jetzt wirklich nach Hause?"

Bell antwortete nur mit einem: "Ahaa."

Dann hörte sie ein Aufatmen. "Mädchen, du verpasst hier grad was."

"Wenns nicht Johnny Depp ist, verpass ich nichts!"
 

Sofort legte Isabel auf. Chloe würde morgen vielleicht sauer auf sie sein, doch das interessierte sie in diesem Moment kein bisschen. Sie schälte sich aus ihrem zu engen und überteuertem Kleid und duschte sich. Ihre Mum und ihr Dad waren schlafen gegangen, als sie wieder in ihr Zimmer stolperte. Sie schlüpfte in ihr geliebten Kleinmädchenpyjama und tauchte unter ihre bunte Decke. Bell entglitt ein Seufzer, bevor sie die Augen schloss.

"Was für ein großartiger Tag.", meinte sie nur und schlief daraufhin ein.

Die Ruhe vor dem Sturm

Bell hasste dieses Wetter hier, so sehr wie sie Tott nicht leiden konnte. Diese beiden Dinge hatten so Einiges gemeinsam. Zum Beispiel die Angewohnheit immer dann aufzutauchen, wenn man sie überhaupt nicht hier haben wollte.

Sie frühstückte ausgiebig und warf sich ihre Tasche über. Heute war es eigentlich recht warm, also trug sie einen beige-hummerfarbenen Rock und ein Top dazu. Darüber hatte sie meine dünne Jacke angezogen.

Freudig öffnete Isabel die Eingangstür, nachdem sie sich auch noch ihr Mittagessen geschnappt hatte – und blieb geschockt stehen. Der Wetterbericht hatte ihr nichts von Regen gesagt! „Muuum!“, quiekte sie und drehte sich im Türrahmen um. Bell wollte unbedingt den Wagen haben. Sie war ja nicht aus Zucker oder Ähnliches, aber sie hatte keine Lust sich mit dem Regenschirm bis zur Schule durchzukämpfen. Denn ein Fahrrad besaß sie nicht. So etwas besaß in ihrer Familie niemand.
 

„Tut mir Leid Schatz, aber Dad braucht den Wagen heute. Er fährt mit ihm in einer Stunde weg.“, meinte Bells Mum und schien ihre Gedanken gelesen zu haben.

Mums mitleidiger Gesichtsausdruck half ihr aber auch nicht weiter, aber es kam noch besser. Zu ihrem Unglück sah sie natürlich nach rechts zu Totts Haus und welch Überraschung, er stand draußen! Mit dem Regenschirm in der einen und den Hausschlüsseln in der anderen Hand grinste er triumphierend zu unserem Haus rüber. Isabel hätte reingehen und sich krank stellen können. Einfach losrennen oder wegsehen können, doch sie blieb wie ein dämliches Reh stehen und starrte ihn an. Ihn und seinen komischen khakifarbenen Schirm. Anscheinend nahm er dies als Einladung an und hüpfte mit komisch angezogenen Armen und einem beängstigendem Lächeln auf sie zu.

››Oh bitte nicht, bitte nicht!‹‹, flehte sie in ihren Gedanken, aber er kam immer näher.

„Heey Isabel!“, quiekte er, „Soll ich dich zur Schule bringen? Es regnet.“
 

Bell lief eine Gänsehaut den Rücken runter. Ihren Mund konnte sie nur unter äußerst konzentrierter Anstrengung zu einem Lächeln verziehen. Sie akzeptierte alle Leute, wirklich alle, aber das hieß nicht, dass sie alle auch mochte. Und ihn mochte sie definitiv nicht, besser gesagt sogar, sie konnte ihn kein bisschen ausstehen.

Dieser schlaksige bleiche Kerl machte ihr einfach Angst, seine Art, sein Aussehen. Seinen Rucksack klebte wieder mal an seinem Nacken und die knallorangen Haare standen in alle Richtungen ab. Er kämmte sie sich nie, da war Isabel sich sicher. Die schmale Brille, die auf seiner langen Nase saß, ließ sein Gesicht noch dünner wirken, als es schon war.

„Nein.“, sagte Bell knapp und es hörte sich an, als schnappe sie nach Luft, „Ich komm schon klar.“

„Aber du hast ja keinen Regenschirm. Und deine Mum meinte doch auch…“

„Ich gehe so.“, war dann ihre endgültige Antwort und schon schoss sie in den Regen hinaus. Sofort klebten ihr dir Haare im Gesicht, besonders ihr Vorhängepony, den sie heute Morgen doch so schön glatt gemacht hatte!
 

Aber das war es wert, selbst wenn sie wie eine Vogelscheuche aussehen würde und das war so sicher, wie das Amen in der Kirche. Bell schaute nicht zurück, denn sie befürchtete, dass er ihr dann hinterher rennen würde. Grausige Vorstellung, die ihr wieder eine Gänsehaut einbrachte.

››Er hat eigentlich Glück.‹‹, dachte Isabel im selben Moment.

Wenn Chloe hier gewesen wäre, wäre es anders ausgegangen. Die konnte ihn nämlich noch weniger ausstehen wie Bell. Sie hasste ihn, wenn Bell ehrlich sein sollte, und dabei wusste sie ja nicht einmal weshalb. Manchmal kam es ihr aber vor, als wolle sie sie vor ihm beschützen und das klappte ja auch recht gut, denn wenn sie da war, verkrümelte sich Tott binnen weniger Minuten. Er wusste nämlich was geschehen würde. Chloe war ihm ganz am Anfang fast an die Gurgel gefallen, sie musste sie damals von ihm runterzerren. Danach hatte er sich wochenlang nicht mehr blicken lassen.

››Hmm…‹‹, Bell überkam eine Idee. Und obwohl sie sie für gemein hielt, fand sie sie auch irgendwie gut. Vielleicht sollte sie Chloe mal wieder einladen. Dann hätte Isabel mindestens für den nächsten Monat Ruhe.
 

Seufzend rannte sie die nasse Straße runter. Sie wohnten auf einem Hügel und so konnte Bell jedes Mal, wenn sie zur Kreuzung kam, von dort aus ihre Schule sehen. Es war noch früh, also würde sie nicht zu spät kommen, auch wenn sue dort schon eine ganze Menge Leute sah.

Ihr Gedankenstrom wurde jedoch unterbrochen, als sie, an der Ampel stehend, zur anderen Straßenseite sah. Ein dünnes Mädchen stand dort, die Kapuze ihrer schwarzen Jacke war tief ins Gesicht gezogen. Sie war nicht älter als Bell. Ihre leicht gewellten dunklen Haare schauten aus ihrem Kapuzeninneren heraus und fielen ihr über die Jacke. Ihre Hände hatte sie in den Taschen. Eigentlich hätte sie Bell nicht auffallen sollen, denn sie trug nur Schwarz, nur ihr Gesicht war hell, obwohl man nur ihr Kinn und ein Stück der Nase sah.
 

Aber sie schien ihren Blick magisch anzuziehen, so kam es Bell jedenfalls vor, denn sie konnte einfach nicht wegschauen. Erst als sie aus den Augenwinkeln sah, dass es grün wurde, erwachte sie aus der Trance, in der sie mich befand und bewegte sich über die Straße. Eigenartigerweise rührte SIE sich aber kein bisschen, sondern blieb einfach dort stehen, doch diesmal schaute sie ganz leicht hoch und Bell konnte ihre Augen sehen, die sie fixierten. Es waren schon recht viele Menschen unterwegs, denn sie lebten ja in einer großen Stadt und da war das nicht sonderbar. Deshalb verlor Bell sie für einen kurzen Moment. Als sie sich dann hindurch gekämpft hatte und sich ihr Sichtfeld räumte, blieb sie fast vor Verwunderung stehen. Das seltsam wirkende Mädchen war weg. Sie war nirgendwo zu sehen, auch als Isabel sich umschaute, erblickte sie sie nicht. Nicht auf der Straße, auf der sie stand, und auch nicht in der Menge, die gerade an ihr vorbeigezogen war.
 

Leicht verwirrt setzte sie ihre Schritte fort. Hatte sie etwa halluziniert? Das konnte doch nicht sein. Und wieso zur Hölle noch mal war sie so darauf versessen sich diese Frage, diese Begegnung zu erklären? Zerstreut ging Bell die Straße runter und kam ihrer Schule immer näher. Chloe war noch nicht zu sehen, sie kam ja auch immer in den letzten fünf Minuten. Im Flur kam Bell dann auch noch Travis entgegen. Ein sehr lieber Freund mit dunkelblondem Pferdeschwanz. Oft hatte Chloe sie gefragt, weshalb sie nicht wenigstens mit IHM zusammen war. Denn wenn sie schon nicht auf solche ’richtigen Kerle’ stand, dann wäre ER doch dann mein Typ.

Natürlich war sehr süß und war ein ganzer Gentleman. Ständig hielt er ihr die Türen offen oder brachte sie mit seinem Wagen nach Hause. Wenn es ihr dreckig ging, war er stets bei ihr und half ihr auch bei jeder Klausur, doch… er blieb immer noch nur ein guter Freund. Bell wusste nicht woran es lag, aber sie konnte keine Beziehung zu ihm aufstellen.
 

Jedenfalls keine Beziehung, die ein Mädel und ein Kerl haben sollten. Manchmal hatte sie wirklich ein warmes Gefühl, wenn er ihr gegenüber saß und ihr tief in die Augen schaute, doch trotzdem wusste sie, dass sie ihn nur als Kumpel haben wollte.

„Hey. Na? Du siehst aus… schlimm.“, lachte er bei ihrem Anblick.

Isabel streckte ihm nur meine Zunge entgegen und er grinste zu ihrer etwas kindischen Attacke.

„Wieso bist du ohne Regenschirm los?“, fragte er sie leicht verwirrt.

„Mir ist da jemand begegnet, vor dem ich fliehen musste.“, erklärte Bell.

Zuerst runzelte er fragend die Stirn, begriff aber dann doch, dass sie damit Tott meinte.

„Sag mal, wieso sagst du ihm denn nicht einfach, dass er dich mal etwas in Ruhe lassen soll?“
 

Er ging mit den Händen in den Taschen, neben ihr her und schaute ihr zur, wie sie versuchte ihre Haare durch einige Kämmversuche mit den Fingern wieder in Ordnung zu bringen. Hoffnungslos! Isabel ließ die Arme sinken und schaute ihn entgeistert an, als sie seine Frage mitbekam.

„Ich meide ihn so gut es geht, verstecke mich vor ihm, damit er mich nicht sieht und anspricht und du fragst mich, weshalb ich mich nicht freiwillig zu ihm begebe und ein bisschen mit ihm plaudere? Weißt du was er dann denken würde?“

Trav schüttelte den Kopf.

„Er würde denken: Los Junge, krall sie dir! Jetzt hat SIE mit dir sogar FREIWILLIG geredet. Das heißt ich hab jetzt ne größere Hoffnung ihr Freund zu werden. Jetzt muss ich versuchen ihr jeden Tag zu begegnen!“
 

Bell sah Travis an, dass er eine Gänsehaut bekam. „Wirklich, ich hab ja nichts gegen ihn, aber diese Vorstellung…wha“

Sie nickte ihm zu. „Genau. Ganz deiner Meinung.“

Trav fing daraufhin an zu lachen. Sein Lachen war ansteckend und Bell musste grinsen. Egal wie schrecklich ihre Situation stand, er schaffte es immer wieder sie zur guten Laune zu bringen. Mit ihm zusammen ging sie die große Aufenthaltshalle und setzte sich auf die gepolsterten Würfel, die überall herumstanden.

Travis fragte sie aus, wie es denn gestern gelaufen war und Bell wunderte sich einwenig, als er sie zwei oder dreimal fragte ob sie wirklich keiner belästigt hatte. Besonders die Erzählung mit dem Kerl, der sie für eine Prostituierte gehalten hatte, regte ihn mehr auf, als sie sich darüber geärgert hatte.

„Was für ein Spinner!“, brummte er, „Du und Prostituierte?! Das soll wohl ein Witz sein!“
 

„Hey… jetzt beruhig dich mal, es ist nichts passiert.“, entgegnete sie ihm lachend.

Doch er behielt weiter seinen leicht sauren Blick. Wieso interessierte ihn das so sehr? Immerhin reagierte er so, als sei er ihr fester Freund und eifersüchtig. Bei dem Gedanken musste sie unweigerlich lächeln. Die Vorstellung war einfach zu niedlich.

Einige andere Leute gesellten sich zu ihnen, als sie sie sahen und schließlich kam auch Chloe. Wie immer fast zu spät. Schnell atmend und mit großen Augen bremste sie vor ihr ab. „Ach, Gott sei Dank!“, meinte sie nur, anstatt jemanden von ihnen zu begrüßen.

„Ja.. dir auch guten Morgen.“, meinte Travis, der mal wieder, wie ein Geist neben Bell erschienen war.

Chloe haute ihn leicht in die Brust und lächelte.
 

Mit ihr zusammen und natürlich den anderen Leuten, gingen sie in den ersten Klassenraum hinein. Trav war in der Parallelklasse und musste in ein anderes Zimmer. So trennten sich ihre Wege.

Sie hatten Historik in den ersten Stunden, zum Sterben langweilig. Bell interessierte dieses Fach nur teilweise. Es gab Themen, die sie gerne ansprach, andere jedoch, die sie am liebsten nie beginnen wollte durchzunehmen.

Den anderen erging es wohl anders. Sie hatten an keinem einzigen Thema Interesse, was, so glaubte Bell, auch an ihrer Lehrerin lag. Ihre eintönige gelangweilte Stimme spiegelte das Interesse der Klasse wieder und war einfach nur einschläfernd. So überlegten sich einige von den Jungs Sachen, die sie vom Schlaf abhalten sollten.
 

Heute schienen sie eine perfekte Idee zu haben, denn zwei von ihnen hatten ihre Köpfe zusammengesteckt und unterdrückten ein lautes Lachen. Einer von ihnen hielt sein Handy in der Hand und sprach leise etwas hinein, ehe sie wieder stumm lachten. Bell hätte schwören könne, dass sie sogar vor Lachen heulten.

So neugierig wie sie war, schaute sie natürlich ständig in deren Richtung und wollte unbedingt wissen, was sie denn dort veranstalteten. Riefen sie gerade jemanden an? Chloe, die neben ihr saß, schaute nur gelangweilt zu ihnen rüber. Sie hatte kein Fünkchen Interessen in ihren Augen. Nach einem herzhaften Gähnen stützte sie ihren Kopf ab, ehe ihr die Augen zufielen.
 

Am Anfang hatte Bell sich sehr oft über ihre Klasse gewundert. Sie war immer geschockt gewesen, wie pervers sie manchmal waren. Doch Mittlerweile hatte sie sich an so Einiges gewöhnt, sodass sie wirklich nur sehr selten mit großen Augen dasaß und die Leute ungläubig ansah. Sie wusste nun, dass sie kaum Hemmungen besaßen und sich so Einiges erlaubten. Manchmal sprachen sie über Dinge, die man eigentlich nicht in den Mund nahm, wenn man halbwegs gesund war, was aber ja bei ihnen nicht der Fall war.
 

Heute aber sollte sie sich noch so sehr wundern, wie schon lange nicht mehr und herausfinden, dass es noch schlimmer geht, als sie gedacht hatte.

Niemand, wirklich niemand, außer die Jungs links vor ihr, wäre in seinem Leben auf die Idee gekommen mitten in der Stunde eine von Männern geliebte Hotline anzurufen, wo die Frauen am anderen Ende der Leitung darin begabt waren, einen Kerl in wenigen Minuten dazu zu bringen die seltsamsten Geräusche von sich zu geben und was weiß noch was zu machen.

Doch die zwei WAREN auf diese Idee gekommen. Woher Bell wusste, dass sie eine solche Hotline angerufen hatten? Ganz einfach: So ungeschickt wie die zwei waren, drückte wohl einer von Beiden auf die Lautsprechertaste, als sie sich darum kloppten, wer nun zuhören darf. Sofort erschallte im ganzen Zimmer ein urkomisches Gestöhne und vor Schreck ließen beide Kerle das Handy los, sodass es unter die Stühle der Vorderreihe rutschte.
 

Die Frau am anderen Ende machte ihre Arbeit gut… wirklich und ließ sich auch durch das schallende Lachen der Klassenkameraden nicht ablenken. Sie machte einfach weiter und setzte ab und an noch einen drauf. Sie hatte wirklich eine Beförderung oder mindestens eine Gehaltserhöhung bekommen sollen.

Die Historiklehrkraft stand mit offenem Mund vorne und blickte alle nacheinander in ihre vor Lachen verzerrten Gesichter. Auch Chloe erwachte und konnte sich nicht mehr einkriegen. So stellte sie sich den Unterricht immer vor.

Die Jungs brauchten erstmal ganze fünf Minuten, um unter dem Tisch hindurchzukriechen und das Handy zwischen den Füßen ihrer Mitschüler herauszufischen.
 

Mit hochrotem Kopf und ohne ein Grinsen im Gesicht nahmen sie wieder Platz und rutschten so sehr auf den Stühlen runter, damit sie niemand sah, sodass sie fast flach auf dem Rücken lagen.

Bell schüttelte nur leicht lachend den Kopf und legte ihn schließlich auf ihre Hände auf dem Tisch.

„Was… was war das ihr Beiden? Hat etwa jemand Sie angerufen und Sie haben mal wieder den Ton nicht ausgestellt?“, stotterte die Lehrerin mit großen Augen.

Als sie sich die Brille gerichtet hatte, hob sie etwas den Kopf, so als schaue sie unter ihrem Brillengestell hervor.

„Was für ein grässlicher Rufton.“

Die Klasse konnte sich nicht mehr halten und es war beinahe unmöglich den Unterricht fortzusetzen.
 

Zu Isabels Glück, weil es alle außer sie interessierte, wo sie angerufen haben, endete die Stunde. Sie verließ mit der nun wachen und immer noch lachenden Chloe das Zimmer.

Dort trafen sie auf den etwas fragend guckenden Trav.

„Was ist denn bei euch passiert? So hellwach hab ich sie nach Historik noch nie gesehen.“, meinte er sofort und nickte in Chloes Richtung. Er drängte sich durch die Menschenmasse an Bells Seite und wartete auf ihre Antwort.

Doch die zuckte mit den Schultern, während sie, wie man es aus diesen kitschigen Highschoolfilmen kannte, ihre Bücher vor sich an die Brust drückte.

„Jeremy und Stuart haben ne Sexhotline angerufen und dann aus Versehen auf Lautsprecher gedrückt.“, erklärte Bell ihm schließlich unbeeindruckt.

Sofort hörte sie ein Prusten von ihm und dann lachte er schallend los.
 

War sie eigentlich die Einzige, die darüber nicht so wirklich lachen konnte? Anscheinend schon. Doch er bekam sich schneller wieder ein, als Chloe, die immer noch grinsend neben ihr stand. Er stupste Bell leicht mit seiner Schulter an.

„Das hätte ich zu gerne mitbekommen. Wirklich jetzt. Ich bin gerade fast gestorben, aber ihr… ihr hattet wenigstens noch was Witziges zwischendurch.“

Isabel entgegnete ihm nichts und ging nur mit der Gruppe in die Cafeteria, wo sie sich noch gerade so einen Tisch schnappen konnten. Doch es gab mal wieder einen Stuhl zu wenig. Was Bell erneut etwas komisch, aber nicht unbedingt negativ, fand, war, dass Travis sofort zu ihr rüberlächelte, als er sah, dass sie als Einzige keinen Platz hatte. Nein, er fing an, frech zu grinsen und schnappte dann einfach nach ihrem Handgelenk, worauf er sie dann auf seinen Schoß zog.
 

Vor Verwunderung konnte sie nichts sagen und ließ sich einfach mitziehen. Chloe, aber auch die anderen, konnten nicht ohne zu grinsen, als sie die Beide sahen. Etwas überrumpelt und verlegen saß Bell ohne sich zu bewegen da. Sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie sich seltsam fühlte, doch wahrscheinlich gelang es ihr nicht, denn nach Schulschluss sprach sie Chloe sofort darauf wieder an.

„Der steht auf dich, Bell! Jetzt mach doch mal die Augen auf! Wie kannst du das denn bitteschön übersehen? Das sieht wirklich jeder Blinde!“

Sie schüttelte mit ungläubigem Blick den Kopf. Bell würde sie umbringen, wenn sie versuchen würde, sie mit ihm zu verkuppeln. Das ging schon mal mit einem Kerl in die Hose. Wortwörtlich. Es war ihr damaliger Nachbar gewesen.
 

Bell war mit der Hand vom Geländer abgerutscht und hatte ihm direkt in den Schritt gegriffen. Und das dank den schönen Schuhen von Chloe, die sie dort hineingezwängt hatte. Sie konnte sich auf den Dingern kaum halten!

Als er dann noch angefangen hatte zu lachen, war sie vor Scham weggelaufen. Aber Gott sei Dank musste er eh im nächsten Monat umziehen. Bis dahin musste Bell sich immer verstecken und vor ihm flüchten, wenn er sie sah. Auch wenn er es anscheinend nicht so schlimm fand und sie zuhause besuchen wollte. Als Bells Mum ihn dann tatsächlich reingebeten hatte, musste sie ihm gezwungener Weise durch das Fenster entfliehen, wobei sie sich fast die Beine brach, als sie vom Dach sprang.

Ihre Mutter glaubte ihr diese Geschichte bis heute noch nicht, doch für Chloe war das der Hit des Monats gewesen. Sie nahm es es sofort ab.
 

Aber es gab natürlich auch den anderen Grund, weshalb Bell keine Verkuppelung wollte. Sie waren Freunde, nur Freunde. Kumpel und Kumpelinne, aber nicht mehr. Und wenn ihre Freundschaft durch solch einen Mist zerstört werden würde, würde sie es Chloe niemals verzeihen. Aber sie wusste das und deshalb war Bell etwas beruhigt. Doch trotzdem regte sie sich auf, dass sie aus dieser Chance nichts machte.

Bell winkte ihr bloß lächelnd zu und beendete damit die Diskussion.

„Ich muss arbeiten. Ich bin spät dran.“, redete sie mich heraus.
 

Sie ließ sie gehen und Bell huschte durch die Flure nach draußen. Sie war wirklich etwas spät dran, merkte sie, als sie in ihr Zimmer stürzte und auf die Uhr blickte.

Schnell stopfte sie sich ein Sandwich in den Mund und lief wieder aus dem Haus.

Ihren Job musste sie bei „Joe’s Coffee“ erledigen. Der frühere Besitzer und Errichter, nach dem der Laden benannt wurde, war schon lange tot. Nun hatte sie Ronald, einen runder dauergrinsender Kerl als Chef. Sie mochte ihn, wie konnte man ihn nicht mögen? Das war fast unmöglich, denn er war einer der liebsten Menschen, die Bell kannte!

Deshalb hasste sie es auch so zu spät zu kommen und ihn damit zu belasten.
 

Also flitze sie wie eine wilde über die Straßen und Kreuzungen zu dem kleinen gelblichen Laden.

Ihre Eltern würden heute Abend weg sein, wenn sie wiederkommen würde. Erst gegen Mitternacht wären sie wieder zurück, denn sie wollten einige Verwandte besuchen.

Da Bells Schicht gut verlief und sie den Laden rechtzeitig schließen konnten, war sie danach recht früh dran, als sie nach Hause tappte. Wieder mal hatte sie so gute Laune, dass ihr nach Singen zumute war, doch sie ließ es lieber. Isabel wollte keine verwirrten Blicke von den anderen ernten, denn wenn sie sang… oh weh. Sagen wir einfach mal, sie war nicht so begabt darin. Deshalb war es umso komischer zu hören, dass sie Musik studieren wollte.
 

Es war ihr Abschlussjahr und die Aufnahmeprüfungen hatte sie bei der Uni bestanden. Das hieß also, dass sie sich voll und ganz auf ihre Noten konzentrieren musste und keine davon verhauen durfte.

Es war sozusagen etwas, dass sie unter gar keinen Umständen auf die leichte Schulter nehmen durfte. Aber das tat sie ja auch nicht. Gleich würde sie für Mathe pauken, wenn sie nach Hause kam.

Sie war zwar nicht grad amüsiert darüber, doch was sein musste, musste sein. Deshalb legte sie auch einen Zahn zu, denn soviel Zeit hatte sie nun auch wieder nicht. Es war zwar Freitag, doch das war ihr egal. Morgen hatte sie etwas anderes vor außer Lernen. Morgen Abend würde sie mit Travis, Chloe und einigen anderen Leuten in einen Club gehen, der mehr eine Kneipe war. Das Beste daran war jedoch: Sie freute sich riesig darauf, denn das war einer der wenigen Läden wo sie sich gerne aufhielt.

Der Schlüssel steckte im Schlüsselloch und schließlich schwang die Tür auf. Bell hing ihre Jacke im Flur auf, schnappte sich ihre Schultasche, die schon seit Mittag dort stand und schleppte sich die Treppen hoch.
 

Es war alles stockfinster und sie tastete zuerst nach dem Lichtschalter, ehe sie ganz ins Zimmer gehen wollte. Vielleicht lag da ja irgendwas auf dem Boden und sie würde sich den Hals deswegen brechen, wenn sie bei Dunkelheit reingehen würde. Endlich! Da war er. Bell knipste das Licht an, ehe sie wieder nach vorne schaute.

Im selben Moment ließ sie auch ihre Tasche fallen, die mit einem lauten dumpfen Knall auf dem Laminat landete. Ihre Augen weiteten sich unter ihrem Pony und ihr Mund öffnete sich für einem Schrei, aber es kam nichts heraus. Ihre Füße und auch alles andere an ihrem Körper schien festgefroren zu sein.

Was sie veranlasste so zu reagieren? Naja, SIE fand es etwas seltsam einen menschlichen Schrank, der bis zur Decke ging und fast den halben Raum einnahm, in ihrem Zimmer zu sehen, der sich gerade mit einem ihrer Ordner in der Hand zu ihr umdrehte, als sie das Licht angemacht hatte und die Tasche dann auf den Boden geknallt war.
 

Und dass auf ihrem Bett eine Mädchengestalt mit dunklen, fast schon schwarzen gewellten Haaren lag und … IHR TAGEBUCH in den Händen hielt. Sie hatte gerade darin gelesen und hatte den Kopf nach hinten über der Bettkante hängen. Dann jedoch huschten ihre Augen sofort zu Bell rüber.

Der muskelbepackte Bulle zog schwach lächelnd eine Seite der Lippe hoch und trat einen halben Schritt zu dem Mädchen näher.

„Sam… deine Schweesteeer ist da.“, zischelte er.

Das Wort Schwester sagte er im Singsang, schaute Isabel beim Reden aber weiterhin an. Das Mädchen auf dem Bett mit den langen Haaren, die den Boden fast berührten, lächelte. Doch Moment… hatte er gerade Schwester gesagt?



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