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Die Chroniken der Drachen

von

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Prolog

Lange Zeit verging, seit die Menschen die Insel der Drachen als neue Heimat für diese erschufen und damit den Willen ihrer Götter ignorierten, welche ihnen aufgetragen hatten, die Drachen zu vernichten. Die Drachen fassten die Erschaffung der Dracheninsel als Friedensangebot der Menschen auf, und gestatteten den wenigen verbleibenden Menschen, geschützt vor dem Zorn der alten Götter und gleichberechtigt mit den Drachen auf dieser Insel zu leben, während der Rest der Welt vom langen Krieg in Schutt und Asche lag und sich erst regenerieren musste, um wieder bewohnbar zu werden. So wurde die Dracheninsel zur neuen Heimat der einst verfeindeten Völker.

Bald begannen die Menschen, wieder zu erstarken und die Dörfer, in denen sie bislang gelebt hatten wurden zu Städten um der wachsenden Zahl der Menschen Platz zu bieten.

Die Insel wurde daraufhin in vier gleich große Bereiche aufgeteilt, welche jeweils einem der vier Elemente dienen sollte und von einem Menschen und einem Drachen beherrscht wurden.

Mit der Zeit lernten die Drachen, sich in Gestalt eines wunderschönen Menschen unter diese zu mischen. Die Menschengestalt, die die Drachen sich so zulegen konnten, wurde mit der Zeit so perfektioniert, dass die Menschen nicht mehr erkannten, dass es sich um einen Drachen handelte.
 

Und weitere Probleme ergaben sich für die Drachen: je länger sie in der Gestalt eines Menschen blieben, desto mehr verloren sie ihre Fähigkeiten und konnten sich so auch bald ihre wahre Gestalt nicht mehr annehmen und wurden sterblich. Zudem begannen die Menschen wieder, sich untereinander zu bekriegen und so wurden die Länder der Elemente in einen furchtbaren Krieg gestürzt, der die Dracheninsel zu zerstören drohte.

Die wenigen Drachen, die sich geweigert hatten, Menschengestalt anzunehmen, wurden bis in ihre Höhlen verfolgt und dort getötet.

Nur ein einziger Drache überlebte diese Attacken, da er zu dieser Zeit noch sehr jung war und gerade erst gelernt hatte, sich in einen Menschen zu verwandeln und so von den angreifenden Menschen für eine Geisel gehalten wurde, die es zu retten galt.

Schockiert musste er mit ansehen, wie seine Mutter getötet wurde, weil sie ihren Sohn gewaltsam gegen die Angreifer zu verteidigen suchte, doch die Zahl der Menschen war zu groß und so war sie bald hilflos gefesselt und schwer verletzt. Noch während sie ihrem Ende entgegen blickte, warf sie ihrem Sohn einen liebevollen Blick zu, der ihm vermittelte, dass er keine Schuld an ihrem Schicksal trage und ließ ein warnendes Fauchen erklingen, als er seine wahre Gestalt annehmen wollte, um seine Mutter zu retten.

Nur Sekunden später schlossen sich ihre Augen für immer und der junge Drache wurde mitgenommen und in eine Stadt im Feuerland gebracht, wo die Menschen feierten.

Die gerade ankommenden Krieger fragten, was es denn zu feiern gäbe und so erfuhr der Drache, dass der Krieg, der zwischen Feuerland und den anderen Elementarländern geherrscht hatte, endlich vorbei war und das Volk des Feuers gesiegt hatte.

Als die Krieger erzählten, dass sie gerade den letzten Drachen getötet hatten, wurde es kurz still und dann brach erneuter Jubel aus, um auch dies zu feiern.

Der junge Drache nutzte den Trubel, der in der Stadt herrschte, um sich in die Berge zurückzuziehen, wo er seine wahre Gestalt annahm und lange Zeit um die Drachen trauerte, welche dem Wahnsinn der Menschen zum Opfer gefallen waren.

Nachdem er so über ein Jahrtausend getrauert hatte, begab es sich, dass eine Gruppe von Bergsteigern in den scharfen Klippen des Feuergebirges während eines Unwetters verunglückte.

Lediglich eine junge Frau überlebte und schleppte sich verletzt und Schutz vor dem Unwetter suchend in eine nahe gelegene Höhle. Nur wenige Schritte, nachdem sie die Höhle betreten hatte, stürzte sie einen steilen Abhang hinab und blieb bewusstlos an dessen Ende liegen.
 

Stunden später erwachte die junge Frau von einem Sonnenstrahl, der sie an der Nase kitzelte und schlug die Augen auf. Als sie versuchte, sich aufzusetzen, durchzuckte ein scharfer Schmerz ihren Kopf, also ließ sie sich wieder zurück sinken. Kurz befühlte sie ihren Hinterkopf, an dem sie eine gerade heilende Platzwunde bemerkte, dann ihr Gesicht, wo sie Schürfwunden und eine aufgeplatzte Lippe fand und betrachtete dann ihre Arme und Beine, die jede Menge Hämatome aufwiesen. Auf dem Rücken liegend musterte sie ihre Umgebung und stellte erstaunt fest, dass sie sich in einer riesigen Höhle befand, an deren oberen Enden Löcher durch den Fels nach außen führten, wodurch frische Luft und Licht in die Höhle gelangen könnten. Sie sah sich weiter um und entdeckte einige Gänge, die von der Höhle wegführten. Dann bemerkte sie den Eingang, durch den sie in die Höhle gekommen war und versuchte erneut, sich aufzusetzen. Diesmal verspürte sie keinen Schmerz, blieb aber sitzen, da ihr leicht schwindelig war und entdeckte mit Staunen immer mehr Details von der Höhle. An der Wand, die ihr am nächsten war, erkannte sie Zeichnungen, konnte aber nicht genau sagen, was darauf dargestellt wurde. „Wie ich sehe, seid Ihr wieder wach.“, ertönte plötzlich eine tiefe, samtene Stimme hinter ihr. Erschrocken fuhr sie zusammen und drehte sich hastig der Stimme zu. Fasziniert musterte sie den etwa einen Kopf größeren Mann, der ihr nun gegenüber stand und musste zugeben, dass er nicht einfach nur gut aussah: Lange, kräftige Schenkel, die ihn schnell und weit tragen würden, muskulöse Arme, die so manche Last tragen könnten, feste Bauchmuskeln, große Brustmuskeln, kräftige Schultern und dazu das Gesicht eines Engels, das von wild abstehenden, tiefschwarzen Haaren umrahmt wurde und aus dem sanfte goldene Augen schauten. Während sie sich sein Gesicht einprägte und sich vorstellte, wie es sich anfühlte, wenn sie mit den Fingern über seine schmalen, geraden Augenbrauen, seine schlanke, gerade Nase und seine vollen Lippen streichen würde, näherte er sich ihr und ging vor ihr in die Hocke. „Geht es Euch besser?“, fragte er und sie wich ein Stück zurück. Erst jetzt bemerkte sie, dass er völlig nackt war und lief rot an, während sie schnell weg schaute, um ihren Blick von seiner recht prächtigen Männlichkeit abzulenken. „Könnten Sie... ähm...“, stammelte sie und gestikulierte wild herum.

„Ah, Euch stört, dass ich keine Kleidung trage?“, folgerte er und sie nickte. „Ist es so besser?“

Sie sah ihn an und atmete erleichtert auf, als sie feststellte, dass er nun in einer Kniebundhose und einem weißen Seidenhemd steckte.

„Wo sind wir hier?“, fragte sie zögerlich, nachdem sie sein Gesicht noch einmal aus der Nähe gemustert hatte.

„Diese Höhle liegt mitten im höchsten Berg des Feuergebirges.“, antwortete er ruhig.

„Und wie komme ich hierher?“

„Das weiß ich nicht, ich habe Euch lediglich an diesem Abhang gefunden und hierher gebracht.“

„Und wie kommen Sie hierher?“

Auf ihre Frage hin schwieg er eine ganze Weile, bevor er ihr antwortete: „Ich lebe hier.“

„In dieser Höhle?“

„Ja.“

„Warum das denn? Unten in der Stadt ist es doch viel angenehmer.“

Mit einem grollenden „Wenn ich zurück komme, seid ihr hier verschwunden!“ verschwand er in einem der Gänge.

Jetzt habe ich ihn verärgert, dachte sie, aber wieso? Und wieso redet er so seltsam?

Ihr Kopf begann wieder zu schmerzen, also legte sie sich wieder hin und schloss die Augen.
 

Als sie dieses Mal erwachte, brannte neben ihr ein Feuer und sie war auf einige Felle gebettet und mit einem weiteren zugedeckt worden. Der merkwürdige Höhlenbewohner saß neben ihr und wandte ihr den Rücken zu, während er etwas Fleisch an einem Stock röstete. Mit einem Räuspern setzte sie sich auf und der Fremde wandte ihr sein Gesicht zu.

„Ah, Ihr seid wach. Wie geht es euch?“, fragte er und wandte sich wieder um, um weiter auf das Fleisch zu achten.

„Besser.“, antwortete sie nach einigen Sekunden, in denen sie sein breites Kreuz bestaunt hatte.

„Wegen vorhin..“, setzte sie an und wartete eine Reaktion seinerseits ab. Als keine erfolgte, fuhr sie fort: „Ich wollte Sie nicht verärgern, aber ich verstehe wirklich nicht, wieso Sie lieber hier oben leben als in der Stadt.“

„Es weckt schlechte Erinnerungen.“ Sie war verwundert über seine rasche Antwort.

„Ich möchte ihnen nicht zu nahe treten, aber was sind das für Erinnerungen?“

„Das geht einen Menschen nichts an!“, grollte er wieder und wollte gehen. Sie ergriff jedoch seine Hand und hielt ihn zurück. Wütend starrte er in ihr Gesicht.

„Entschuldigung. Sie müssen es mir nicht sagen, wenn Sie nicht wollen.“, versprach sie und erwiderte seinen Blick ruhig.

„Sagt mir, wie Ihr heißt.“

„Mourndra Oussath“

Mit einem Grollen fuhr er herum. „Ist Euch bewusst, was dieser Name in meiner Sprache bedeutet?“

„Nein.“ Was für eine Sprache? Hier sprachen doch alle die gleiche Sprache, oder?

„Mourndra bedeutet so viel wie 'legendäre Gefährtin', Oussath so viel wie 'Erbe der Drachen'.“

„Oh.“, war alles, was Mourndra hervorbrachte.

„Nun ja, ich bin sowieso der letzte, es würde nicht das geringste ändern.“sagte er sich leise.

„Was sagten sie?“, holte Mourndra ihn aus seinen Gedanken.

„Lasst Ihr mich eine Geschichte erzählen?“, fragte er, während er ihr das Fleisch reichte, das inzwischen gar war.

„Sicher.“

„Also: Vor langer Zeit haben die Menschen diese Insel erschaffen um den Krieg zu beenden, den sie bis dahin mit den Drachen geführt hatten.“

„Oh, die alten Legenden? Die glaubt heute doch niemand mehr.“, fuhr die junge Frau kauend dazwischen.

„Lasst mich erzählen!“, fuhr er sie an, fügte jedoch noch ein entschuldigendes „Bitte“ hinzu.

Auf ein Nicken von Mourndra setzte er erneut an:

„Nachdem diese Insel also erschaffen worden war, wurden die Götter der Menschen wütend, weil ihre Befehle missachtet worden waren und begannen, die Menschen zu jagen. Bald waren nur noch wenige Menschen am Leben und die Drachen konnten das Verhalten der Götter nicht mehr mit ansehen, also holten sie die verbleibenden Menschen auf diese Insel und schützten die Insel mit Zaubern, damit die alten Götter den verbleibenden Menschen nichts mehr antun konnten. Dann gaben sie den Menschen Nahrung und halfen ihnen dabei, Dörfer zu bauen, um ihren Bestand zu sichern. Es dauerte nicht lange, bis wieder Kinder geboren wurden und die Zahl der Menschen sich stetig erhöhte. Um den Menschen eine Gelegenheit zu bieten, ihren guten Willen zu zeigen und sich das Vertrauen der Drachen zu verdienen, teilten die Drachen die Insel in vier gleich große Gebiete, die jeweils eines der vier Elemente in dieser Welt verankern sollten, damit nicht plötzlich eines verschwand und die Welt in Ungleichgewicht geriet und ließen die Menschen in jedem dieser Gebiete einen unter ihnen auswählen, der zusammen mit dem ältesten Drachen des jeweiligen Elements das Gebiet regieren sollte. Bald schon zeigte sich, dass die Menschen intelligente und fähige Herrscher waren und so überließen die Drachen den Menschen mehr und mehr die gesamte Regierung der vier Gebiete, die inzwischen Feuerland, Windland, Eisland und Erdland hießen. Und wisst Ihr was dann geschah?“, endete er und sah sie fordernd an.

„Die Menschen begannen, die Drachen zu jagen, weil sie in ihnen eine Gefahr sahen.“, antwortete sie überzeugt.

„Fast richtig. Die Menschen begannen die Drachen zu jagen, ja. Aber nicht, weil sie in ihnen eine Gefahr sahen.“, meinte er und lächelte traurig.

„Was war stattdessen der Grund?“, fragte Mourndra, als er nicht fortfuhr.

„Die Drachen hatten gelernt, sich als Mensch zu tarnen und verlernten nach und nach, sich wieder in Drachen zu verwandeln. Damit aber noch nicht genug, je länger sie Mensch blieben, desto mehr verloren sie ihre Unsterblichkeit und so verloren die Menschen den Respekt den Drachen gegenüber. Sie haben die Drachen bis zur Ausrottung gejagt, um ihre Überheblichkeit zu zeigen, nicht weil die Drachen ihnen gefährlich geworden wären.“ Seine Stimme bebte und er ballte seine Hände zu Fäusten, während er sprach.

„Woher wissen Sie das so genau?“, fragte Mourndra neugierig.

„Meine Mutter war die letzte von ihnen.“

„Ihre Mutter..? Die letzte, die einen Drachen getötet hat?“

Er schüttelte den Kopf. „Sie war die letzte, die getötet worden ist.“

„Ihre... Ihre Mutter war ein Drache?!“, fragte Mourndra panisch.

„Ja, aber keine Angst, sie war ein sehr freundlicher Drache und hat niemandem etwas getan, wenn es nicht absolut unabwendbar war.“, versicherte er.

„A-Aber dann müssten sie ja...“ Sie rechnete kurz nach. „... weit über tausend Jahre alt sein! Und Sie sehen auch überhaupt nicht aus, wie ein Drache, und wenn ihre Mutter einer war, dann müssten Sie ja auch...“, stammelte sie. Er legte ihr sanft einen Finger auf die Lippen und lächelte traurig.

„Um genau zu sein sind es bald eintausendzweihundertvierundsiebzig Jahre, die ich nun schon alleine in dieser Höhle bin.“ Das erklärte zumindest seine Sprechweise.

„So lange? Und nie ist jemand hierher gekommen?“, fragte die junge Frau ängstlich unter seinem Finger.

„Ihr wart die erste.“

„Aber...“ Sanft drückte er mit dem Finger gegen ihre Lippen

„Lasst mich raten: Ihr wollt einen Beweis für meine Abstammung?“ Er zog seinen Finger zurück.

„Das auch. Aber zunächst möchte ich wissen, wie Sie heißen.“, bat sie.

„Meine Mutter nannte mich Drisaonar. Es bedeutet 'Wächter der Asche'“, sagte er und trat einige Schritte zurück.

Mit angehaltenem Atem beobachtete Mourndra, wie Drisaonar sich krümmte und seine Haut Schuppen bildete. Dann streckten und krümmten sich seine Gliedmaßen und sein Hals, während seine Brust und die Hüften an Umfang zulegten und seine Wirbelsäule sich zu einem langen Schwanz streckte. Anschließend sprossen große, lederne Flügel aus seinen Schultern und sein Kopf wurde größer und zog sich in die Länge, während seine Ohren am Kopf emporwuchsen und sich dann zu Hörnern bildeten. Mit einem Brüllen entfaltete er für einen Moment die Flügel und ließ sich dann auf die Vorderläufe sinken.

Staunend ging Mourndra auf Drisaonar zu und strich ihm vorsichtig über die Stelle zwischen den Nüstern des Drachen, der nun vor ihr stand. Im Gegensatz zu ihren Erwartungen waren die dunkel schimmernden Schuppen nicht rau und hart, sondern glatt und anschmiegsam, wenn auch widerstandsfähig.

Mit einem leisen Grollen schloss Drisaonar die Augen und legte sich nieder, während sie weiter über sein Maul strich und um seinen Kopf herumging.

„Ich hätte nie geglaubt, dass Drachen tatsächlich existieren.“, flüsterte sie, als sie unter seinem Auge her strich, welches so hoch lag, dass sie gerade hineinsehen konnte, wenn sie aufrecht stand.

Mit einem leisen Grollen öffnete er seine Augen und blickte sie traurig an.

„Was? Habe ich etwas falsches gesagt?“, fragte sie vorsichtig und trat etwas zurück.

Wenige Augenblicke später stand er wieder in menschlicher Gestalt vor ihr, gehüllt in eine einfache Stoffhose.

„Das konntet Ihr nicht wissen, aber ich bin vermutlich der letzte meiner Art.“, war alles was er sagte, ehe er sich umdrehte und an das Feuer setzte, das inzwischen fast herunter gebrannt war.

Vorsichtig erklomm sie die Erhebung im Höhlenboden, wo das Feuer brannte und setzte sich neben ihn.

„Bitte entschuldigen Sie. Ich habe es wirklich nicht gewusst.“, murmelte sie und biss ein Stück aus dem inzwischen ausgekühlten Stück Fleisch, welches er ihr zuvor gegeben hatte.

Nachdem sie einige Zeit schweigend in das langsam erlöschende Feuer gestarrt hatten, überfiel Mourndra die Müdigkeit und so legte sie sich auf eins der Felle, und zog das größere über sich.

Nur einige Augenblicke später stand sie wieder auf, legte die Hälfte der Felle, auf der sie bis eben noch gelegen hatte, neben ihre Hälfte, um sich dann wieder hinzulegen.

Verdutzt betrachtete der Drache die junge Frau dabei, freute sich jedoch über ihre Geste, welche ihm zeigte, dass sie ihm vertraute. Kurz darauf legte er sich auf den Stapel Felle, die sie zuvor beiseite gelegt hatte und beobachtete sie, während sie schlief. Die Wunden, die sie von ihrem Sturz davongetragen hatte, begannen, zu verheilen und die Hämatome an Armen und Beinen besserten sich auch schon.

Er konnte einfach nicht umhin, sie genauer zu mustern: halblange, dunkelbraune Haare, die Gesichtszüge zwar sanft, doch auch bestimmt, wie er es liebte, und eine Figur, an der nichts da war, wo es nicht hingehörte. Er schloss die Augen und dachte zurück an den Moment, in dem sie neben seinem Drachenkopf gestanden und ihn berührt hatte. Selbst mit den Wunden, die ihr Gesicht zurzeit entstellten, war es doch schön. Den träumerischen Blick, den sie an den Tag gelegt hatte, während ihre Hände über seine Schuppen glitten, hatte die Smaragde, die ihre Augen waren, geradezu strahlen lassen.

Noch während er sie beobachtete, strich er sanft über ihr Gesicht und strich dabei eine Strähne ihres Haars, welche sich gelöst hatte und ihr nun über den Mund hing, beiseite.

Dann fiel ihm auf, wie sie zitterte und rückte näher an sie, um ihr von seiner Wärme abzugeben.

Kurz darauf drehte sie sich im Schlaf murmelnd zu ihm und schmiegte sich so an ihn, dass ihr Kopf auf seiner Brust zur Ruhe kam. Zwar war ihm diese Haltung nicht unangenehm, doch solcher Nähe war er seit über einem Jahrtausend nicht begegnet. Doch wollte er sie nicht wecken und so zog er das große Fell über sie beide, damit sie nicht weiter fror und schloss die Augen.
 

Diesmal war es nicht ein Sonnenstrahl, was sie weckte, sondern ein leichtes Frösteln, welches sie plötzlich überfiel. Zunächst verstand sie nicht, warum sie so plötzlich fror und sann darüber nach, bis ihr plötzlich einfiel, warum sie zuvor nicht gefroren hatte. Mit leicht gerötetem Gesicht schloss sie ihre Arme um ihre Taille, wo seine Arme sie zuvor wie ein Band aus Stahl gehalten hatten und erinnerte sich an die Wärme, die er beinahe über ihren gesamten Körper verteilt hatte. Dann sah sie sich um und entdeckte wieder die Wandmalereien, die sie am Vortag entdeckt hatte.

Nachdem sie sich den Abhang hinauf gequält hatte, betrachtete sie die Zeichnungen erneut und erkannte nun, dass es sich hierbei um eine Szene eines Kampfs zwischen einem Drachen und einer Horde Menschen handeln musste. Der Drache war mit einer solchen Liebe zum Detail auf die Wand gebracht worden, dass es ihr vorkam, als spränge er gleich lebendig aus der Wand. Vorsichtig fuhr sie die Konturen des Drachen nach und fragte sich, wer dieses Meisterwerk gemalt hatte.
 

„Sie war wunderschön, nicht wahr?“, erklang plötzlich Drisaonars Stimme hinter ihr.

Erschrocken fuhr sie herum.

„Müssen Sie mich immer so erschrecken?!“, fauchte sie und verharrte dann, weil er plötzlich zu lachen begonnen hatte.

„Sie sollten wirklich öfter lachen, es steht Ihnen viel besser.“, meinte sie, als er aufhörte.

„Ach, wirklich?“, fragte er skeptisch und näherte sich ihr vorsichtig.

„Ja. Haben Sie das gemalt?“, fragte sie neugierig und fuhr vorsichtig über die Gestalt des gemalten Drachen.

„Ja. Und es hat sehr lange gedauert, jedes Detail meiner Mutter einzufangen.“

Verdutzt sah sie erst ihn, dann das Gemälde an. „Das ist Ihre Mutter?“

„Ja.“

„Sie war wirklich wunderschön, wenn sie auch nur entfernt so aussah, wie Sie sie dargestellt haben.“

„Ich sagte doch bereits, ich habe lange gebraucht, aber beinahe jedes Detail eingefangen.“

„Und ich finde, sie hat ihrem Sohn einiges mitgegeben.“, sagte sie, während sie sich lächelnd zu ihm umdrehte. Drisaonar sagte nichts, doch ein flüchtiges Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Kommt, ich muss euch etwas zeigen.“, sagte er plötzlich und ergriff ihre Hand, um sie hinter sich herzuziehen. Am Abhang angekommen, blieb sie plötzlich stehen und entzog ihm ihre Hand.

Auf seinen fragenden Blick hin setzte sie sich auf den Boden und rutschte sitzend auf den Abhang zu. Lachend trat er neben sie und kniete ihr den Rücken zuwendend nieder.

Verdutzt blieb sie sitzen, wo sie war und starrte ihn an, bis er aufstand und sie auf die Arme hob.

„Lassen Sie mich runter, ich bin zu schwer!“, protestierte sie, klammerte sich jedoch an seinen Hals, als er einfach den Abhang hinunter lief. Sein Lachen erstaunte sie, als er mitten auf dem Abhang stehen blieb und ihr zuflüsterte, sie solle ihm einfach vertrauen.

Sie hatte zwar keine Ahnung, warum, aber sie hatte das Gefühl, als würde sie ihn schon ihr ganzes Leben lang kennen.

Kurz darauf hatten sie die Höhle durchquert und er trug sie noch immer.

„Sie können mich jetzt absetzen. Ich komme jetzt sicher gut alleine zurecht.“, sagte sie sanft und lockerte ihren griff um seinen Hals.

Als er sie endlich auf den Boden setzte, standen sie in einer etwa viereinhalb Meter hohen Halle, deren Wände mit Wandmalereien von Drachen und Menschen, die gemeinsam arbeiteten und aßen, verziert waren. Fasziniert trat Mourndra näher an eine der Wände, die von einem in die gegenüber liegende Wand geschlagenen Lichtschlitz beleuchtet wurde und betrachtete die friedlichen Abbildungen, die dort aufgemalt waren. Die Darstellung einer Frau, die von Drachen und Kindern umrundet war, faszinierte sie hierbei ganz besonders. Dann sah sie sich weiter um und entdeckte eine Art Schrein am Ende des Halle, an dem Drisaonar mit jemandem zu sprechen schien.

„Ich möchte Euch jemanden vorstellen.“, sagte er ruhig, als sie auf ihn zukam.

„Erst möchte ich wissen, wozu dieser Raum dient, wenn das in Ordnung ist.“, meinte sie, als sie neben ihm stand.

„Dies ist die Ahnenhalle der Drachen.“, ertönte eine sanfte Frauenstimme, die ihr unbekannt war und dennoch seltsam vertraut vorkam.

„Wer spricht dort?“, fragte sie ängstlich in den Raum und plötzlich verblasste das Licht, das von außen in die Ahnenhalle fiel. Dann hielt sie sich erschrocken die Hand vor den Mund und bestaunte die gerade erschienene durchscheinende Frauengestalt.

„Mutter...“, flüsterte Drisaonar, kniete nieder und beugte sein Haupt.

„Mein Sohn, es ist lange her.“, begrüßte sie ihn warm und wandte sich dann um, um Mourndra zu mustern. „Wen bringst du mit dir? Du weißt, dass es verboten ist, Menschen in die Ahnenhalle zu bringen, seit sie uns verraten haben.“, rügte sie ihn und kam auf Mourndra zu.

„Mutter, sie...“, begann er , brach dann ab und wechselte in eine ihr unbekannte Sprache, vernahm jedoch mehrfach ihren Namen.

„So? Sie trägt also einen Namen der alten Sprache? Und dann auch noch einen so verheißenden?“, fasste die Gestalt den Inhalt des kurzen Gesprächs zwischen ihr uns Drisaonar zusammen und musterte die junge Frau genauer. „Wartet bitte hier, ich werde die alten Weisen rufen.“, sagte sie schließlich, verschwand und ließ Mourndra und Drisaonar zurück.

Einige Minuten später erschien sie zusammen mit vier durchscheinenden Gestalten ohne feste Form, welche auf Mourndra zukamen. Ängstlich wich sie zurück, doch Drisaonar trat hinter sie und legte seine Hände auf ihre Oberarme, beugte sich dann vor und flüsterte ihr zu, dass sie nichts zu befürchten habe. Dann ließ er sie los, blieb aber hinter ihr stehen, um sie zu beruhigen.

Die vier unförmigen Gestalten kreisten nun um Mourndra herum, als würden sie sie von allen Seiten begutachten. Schließlich entfernten sie sich wieder von Mourndra und kreisten sie langsam um Drisaonars Mutter. Ihrem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass sie ihr etwas mitteilten.

Als die alten Weisen verschwunden waren, trat sie auf Mourndra zu und hielt ihre Hand über die Stirn der jungen Frau.

Nur einen Moment später wich sie ein Stück zurück und fiel vor ihr auf die Knie.

Mourndra verstand nicht, was dies bedeutete und war nur noch verwirrter, als auch Drisaonar vor ihr auf die Knie fiel. Als dann noch mehr geisterhafte Gestalten auftauchten und vor ihr auf die Knie fielen ergriff sie die Flucht und fand sich bald außerhalb des Höhlensystems wieder. Sie ging ein paar Schritte und stolperte dann über ein Seil, dem sie folgte. Bald stieß sie auf ihre verunglückten Kameraden, nahm sich eine Bergsteigerausrüstung, die noch taugte und begann den Abstieg.

Als es am Abend dämmerte, erreichte sie den Fuß des Berges und machte sich auf, um die Strecke von etwa 8 Kilometern bis zur Stadt zu Fuß zurückzulegen.

In der Stadt würde sie zunächst Leute suchen, die die Leichen ihrer Kameraden bergen würden und sich dann zu ihrer Wohnung begeben.

Als sie nach über zwei Stunden Suche noch immer keinen Erfolg hatte, was die Bergung anging, beschloss sie, es auf sich beruhen zu lassen und schleppte sich müde, wie sie war in ihre Wohnung.

Bevor sie zu Bett ging, fragte sie sich, was die Drachen wohl dazu veranlasst haben könnte, vor ihr niederzuknien. Doch selbst als sie versuchte, einzuschlafen, hielten sie die Gedanken an die Drachen - und besonders die an Drisaonar – wach. Während sie sich auf der Suche nach Schlaf immer wieder in ihrem Bett umdrehte, bemerkte sie etwas entscheidendes: sie vermisste seine Nähe, auch wenn sie sich nicht erklären konnte, warum.

Nachdem sie mehrere Wochen nichts von Drisaonar gehört oder gesehen hatte, hatte sich auch das Gefühl der Leere in ihr langsam gelegt. Inzwischen ging sie einfach ihrem Alltag nach und dachte kaum noch an den Drachen, der ihr so vertraut gewesen war.

Eines Abends kam sie müde von der Arbeit nach Hause und wunderte sich, warum Licht in ihrer Wohnung brannte.

„Ich werde wohl vergessen haben, das Licht auszuschalten, als ich gegangen bin“, beruhigte sie sich selbst und ging duschen. Als sie wenig später zu Bett ging und beinahe eingeschlafen war, schlossen sich plötzlich kräftige aber auch kalte Arme um ihre Taille und zogen sie an einen ebenso kräftigen Körper.

Mit einem Kreischen befreite sie sich aus der Umarmung und sprang aus dem Bett. Erst jetzt bemerkte sie einen sanften Geruch nach Wildnis und schaltete das Licht an.

„Drisaonar?! Wie kommen Sie hierher?!“, schrie sie fast und wich noch weiter zurück, bis sie schließlich mit dem Rücken an die Wand stieß. Zunächst kniff sie sich in den Arm, um sich zu überzeugen, dass sie nicht träumte und musterte ihn dann.

Unter seinen trüben Augen erkannte sie kaum zu sehende Augenringe, seine Wangen waren leicht eingefallen und seine Haut war im Vergleich zum letzten Mal, als sie ihn gesehen hatte beunruhigend blass. Zudem war er von Wunden übersät, die nicht den Eindruck machten, als würden sie schnell heilen.

Der Drache erhob sich schwankend vom Bett und machte einen zittrigen Schritt auf sie zu. Dann schienen seine Beine ihm plötzlich den Dienst zu versagen und er stürzte. Sie warf sich ihm entgegen, um seinen Sturz abzufangen und wurde mit zu Boden gezogen, wo sie seinen Kopf vorsichtig in ihren Schoß bettete und besorgt seine Atmung beobachtete, die schwerfällig und flach ging.

Als er wieder besser Luft bekam und langsam sein Bewusstsein zurückzukehren schien, begann sie damit, ihn vorsichtig auf ihr Bett zu hieven, wo sie ihm zunächst vorsichtig sein Hemd abstreifte und mit stockendem Atem seinen Oberkörper betrachtete, der von Einstichen und Schnitten übersät war.

Dann machte sie sich daran, ihm vorsichtig die Hose auszuziehen, um auch seinen Unterkörper zu untersuchen. Schließlich holte sie ein frisches Laken und deckte ihn zuerst damit und dann mit ihrer Decke zu, damit er nicht noch weiter auskühlte und rief sofort einen Arzt, der für dieses Wochenende zum Notdienst eingeteilt war, an, bat darum, jedes verfügbare Verbandszeug und gute Nerven mitzubringen, gab ihm ihre Adresse und betonte, dass es sich um einen Notfall handle, der keinen Aufschub duldete. Der Arzt versprach, so schnell wie möglich zu kommen und bat darum, dass sie schon einmal mit der Wundreinigung beginnen sollte und beschrieb ihr kurz, wie sie dies anzufangen hatte.

Sie prüfte noch einmal die Temperatur des Drachen, welcher inzwischen begonnen hatte, zu fiebern und eilte in die Küche, um Wasser abzukochen und ein weiches Tuch zu suchen.

Als sie wenig später in ihr Schlafzimmer zurückkehrte, und mit der Reinigung der Wunden begann, fielen ihr Prellungen und Hämatome an seinen Rippen auf, die sie noch mehr in Sorge versetzten.

Während sie sich an einem besonders tiefen und gefährlich aussehenden Schnitt zu schaffen machte, kam der Drache mit einem Stöhnen zu sich und versuchte sich aufzusetzen.

„Ruhig. Bleiben Sie bitte ruhig liegen, Sie werden ihre Kraft noch brauchen, um zu heilen.“, sagte sie leise, drückte ihn vorsichtig zurück ins Bett und strich ihm mit kaltem Schweiß durchtränkte Strähnen aus der Stirn. Dann kümmerte sie sich vorsichtig weiter um die Wunden des Drachen, welcher die Prozedur ohne auch nur einmal zu zucken über sich ergehen ließ und seinen Blick die ganze Zeit auf ihr Gesicht geheftet hielt.

„Eigentlich müsste ich Sie in ein Krankenhaus bringen, da kann Ihnen besser geholfen werden, als ich es hier jemals könnte.“, erklärte sie ihm sanft, doch er schüttelte nur schwach den Kopf.

„Nur hier... Nicht... Krankenhaus“, krächzte der Verletzte schwach und glitt dann wieder in die Bewusstlosigkeit.

Wenig später traf der Arzt ein und erschrak, als er das Ausmaß der Wunden sah, tat jedoch sein möglichstes, um dem Patienten zu helfen, was fast vier Stunden in Anspruch nahm.

„Warum bringen Sie ihn nicht in ein Krankenhaus? Da wäre er in diesem Zustand am besten aufgehoben.“, fragte der Mediziner schließlich erschöpft.

„Das habe ich ihm auch schon gesagt, aber er will nicht. Tragen kann ich ihn nicht, und zwingen will ich ihn erst recht nicht.“, antwortete sie und brachte den Arzt zur Tür, wo sie sich für die schnelle Hilfe bedankte und sich nach den Kosten für die Behandlung erkundigte. Verdutzt sah sie dem Arzt hinterher, als dieser abwinkte und meinte, dass er für einen solchen Notfall wohl kaum auch noch Geld nehmen könne und ging.

Sie wartete noch, bis die Haustür ins Schloss fiel, dann kehrte sie zurück zu Drisaonar.

Dieser war inzwischen wieder zu sich gekommen und blickte ihr nun aus schon deutlich klareren Augen entgegen. Deutlich war ihm anzusehen, dass er kaum noch Kraft hatte, und doch versuchte er, sich aufzusetzen, als sie den Raum betrat.

„Bleiben Sie ruhig liegen, dann reißen die Wunden auch nicht auf.“, ermahnte sie ihn und setzte sich zu ihm aufs Bett.

Er ergriff ihre Hand und hauchte ein schwaches „Danke“, dann sank er in unruhigen Schlaf.

Sie beobachtete seinen Schlaf mehr als eine Stunde, um sicherzugehen, dass er sich wirklich erholte und wollte dann aufstehen, um es sich auf ihrem Sofa bequem zu machen, doch er hielt ihre Hand so fest umklammert, dass sie ihn hätte wecken müssen, um ihre Hand frei zu bekommen.

Also legte sie sich vorsichtig neben ihn, froh, dass sie ein Doppelbett besaß und so genug Platz für sie beide vorhanden war und war bald in tiefen Schlaf gesunken.

Als sie am nächsten Morgen erwachte, hielt sie die Geschehnisse des vergangenen Abends zunächst für einen sehr realistischen Traum. Als sie dann jedoch die Berührung von Fingern in ihrem Gesicht und den selben Geruch, den sie in ihrem Traum wahrgenommen hatte, bemerkte, schlug sie die Augen auf und setzte sich ruckartig auf.

Dann sah sie sich um und entdeckte neben sich den schwer verletzten Drachen, der ein schwaches Lächeln auf den Lippen trug und nun sanft ihren Handrücken streichelte.

„Wie fühlen Sie sich?“, fragte sie sanft und musste lächeln, als er ein heiseres „Beschissen“ von sich gab.

„Na, immerhin ist 'beschissen' besser als tot, nicht wahr?“, meinte sie mit einem Zwinkern und freute sich über das heisere Lachen, das er daraufhin von sich gab.

„Ich hole Ihnen etwas zu Essen. Haben Sie einen besonderen Wunsch?“, fragte sie daraufhin ebenso sanft, wie sie auch schon nach seinem Befinden gefragt hatte und machte sich auf ein schwaches Kopfschütteln hin auf den Weg in die Küche, wo sie ihm eine Schüssel Haferflocken zubereitete und einige Scheiben Toast in den Toaster gab, nur kurz röstete, dann auf einem Teller stapelte und ihren Kühlschrank nach verschiedenen Belägen durchsuchte, die sie ihm anbieten wollte, da sie nicht wusste, was er mochte. Dann bereitete sie eine Tasse für Tee vor, lud das Essen auf ein Tablett und trug es vorsichtig in ihr Schlafzimmer, wo sie alles erst einmal auf die Fensterbank stellte, da der Drache wieder eingeschlafen war.

Dann begann der Teekessel zu pfeifen und sie eilte noch einmal in die Küche, um das heiße Wasser in die Tasse zu gießen und einen Beutel Früchtetee hinein hängte. Zurück im Schlafzimmer stellte sie die Tasse zu dem Essen auf der Fensterbank und weckte vorsichtig Drisaonar.

Während dieser sich vorsichtig aufsetzte, holte sie das Tablett von der Fensterbank und stellte es ihm vorsichtig auf den Schoß.Dann reichte sie ihm einen Löffel und schon begann er, die Haferflocken in sich hinein zu schaufeln.

„Langsam, sonst verschlucken Sie sich!“, mahnte sie, froh über seinen Appetit und setzte sich zu ihm.

Nachdem er die Schüssel mit den Haferflocken gründlich ausgekratzt hatte, widmete er sich dem Toast, belegte sich die Scheiben wahllos und biss herzhaft zu.

Als auch der Toast verputzt war, ließ er sich in die Kissen sinken und griff nach der Tasse Tee, konnte sie aber nicht erreichen.

Mit einer Warnung bezüglich der Temperatur des Inhalts der Tasse gab sie ihm diese und beobachtete vergnügt, wie er vorsichtig einen Schluck nahm. Scheinbar fand er Gefallen am Geschmack des Tees, denn er nahm schnell einen weiteren Schluck.

Langsam nahm seine Haut wieder den ihr bekannten, sanften Braunton an, was sie schon um einiges ruhiger machte.

Schließlich war auch die Tasse geleert und er warf ihr einen dankbaren Blick zu, den sie mit einem Lächeln quittierte.

„Habt Dank für Eure Hilfe. Ich schulde Euch etwas!“, krächzte er dann. Sie schüttelte den Kopf und befühlte seine Temperatur um sein Fieber zu überprüfen.

„Für mich ist es selbstverständlich, jemandem in Schwierigkeiten zu helfen. Sie müssen mir also nicht danken.“, meinte sie und lächelte. Sein Fieber sank bereits, er war also auf dem Weg der Besserung.

„Ich möchte aber. Gibt es irgendetwas, was ich für euch tun könnte?“ Der Kerl war aber auch hartnäckig! Sie überlegte kurz, dann grinste sie.

„Sie werden jetzt erst einmal gesund, dann reden wir weiter.“
 

Drisaonar verfügte über erstaunliche Selbstheilungskräfte und einen noch erstaunlicheren Appetit, wie Mourndra bald feststellen musste, denn ihr Kühlschrank leerte sich zusehends und sie würde bald einkaufen gehen müssen. Der Drache mutete sich inzwischen zu, aufzustehen und ihre Wohnung zu erkunden, was nicht lange dauerte, denn sie war nicht gerade groß. Sie stand gerade vor dem Kühlschrank und grübelte, wie lange dessen Inhalt wohl noch reichen würde.

„Ihr könnt mir nicht zufällig einige Gegenstände in euren Gemächern erklären?“, fragte er, schloss seine Arme um ihre Taille und legte sein Kinn auf ihre Schulter.Vorsichtig befreite sie sich aus seinem Griff und wandte sich zu ihm um.

„Sicher, aber könnten Sie bitte aufhören, mir so nah zu kommen?“

Betreten trat er einen Schritt zurück und wandte sich dann um, um die Küche zu verlassen.

Jetzt war ich wieder zu grob, dachte sie und folgte ihm ins Wohnzimmer, wo er auf dem Sofa saß und Löcher in die Luft starrte..

„Hören Sie, es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht verletzten oder sowas. Ich finde nur, dass wir uns nicht gut genug kennen, um uns so nah zu kommen.“, erklärte sie, während sie sich neben ihn setzte und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er reagierte gar nicht und so verließ sie das Zimmer wieder, um zu Bett zu gehen.

Wenig später bemerkte sie im Halbschlaf, wie die Decke, die auf der anderen Hälfte des Betts lag, zurückgeschlagen wurde und die Matratze einem Gewicht nachgab. Als sie dann nach einigen Minuten tiefen, gleichmäßigen Atem wahrnahm, schlief auch sie ein.

Am nächsten Morgen war dann der Einkauf dringend nötig.

Sie hatte sich frei genommen und Drisaonar mit in den Supermarkt genommen, um ihn nicht allein in ihrer Wohnung lassen zu müssen und würde so zudem noch in Erfahrung bringen können, was ihn interessierte und was er mochte. Dass aber eine einzige Person für so viel Stress sorgen könnte, hatte sie nicht erwartet.

Nachdem sie ihm in einer Zeitschrift gezeigt hatte, wie sich Männer zurzeit kleideten, hatte er sich praktisch aus dem Nichts Kleidung, die der auf den ihm gezeigten Bildern ähnelte zugelegt und sich dann auf dem Weg zum Supermarkt ständig über den Sitz der Kleidung beschwert, die für seinen Geschmack zu eng war. Also hatte sie ihn noch unterwegs in ein Geschäft für Herrenbekleidung geschleift, wo er sich eine bequeme Hose und ein passendes Oberteil aussuchen sollte. Die Verkäuferin hatte ihn zunächst angehimmelt, kaum war jedoch sein Hemd verschwunden ihr Entsetzen über die Verbände, die er am ganzen Körper trug nur sehr schlecht verbergen konnte und ihren Job daher nur umso ernster genommen.

Entnervt und mit einem kleinen Vermögen weniger trat sie nach über zwei Stunden aus dem Geschäft, während er zufrieden seine Papiertüten mit seiner neuen Kleidung trug.

Statt der für sie üblichen halben Stunde dauerte der Einkauf der Lebensmittel mehr als drei Stunden, weil er immer und immer wieder Fragen zu den angebotenen Produkten hatte und sie ihn mehrfach von Tellern mit geschnittenen Früchten und anderen Lebensmitteln zum Probieren wegziehen musste, die er beinahe in Rekordzeit leer gegessen hatte. Nur widerwillig und mit dem Versprechen, dass sie ihm genau das, was er gerade von dem Teller gegessen hatte kaufen und ihm in ihrer Wohnung vorsetzen würde, ließ er sich von diesen fortziehen und folgte ihr auf Schritt und Tritt.

An der Kasse wurde ihr erst bewusst, wie teuer dieser Mann für sie werden würde, wenn sie nicht bald etwas gegen seinen schier unstillbaren Appetit unternahm.

Nachdem sie an der Kasse beinahe ihr gesamtes verbleibendes Bargeld losgeworden war und den Einkauf unter belustigten Blicken anderer Leute in acht Tüten gepackt hatte, von denen Drisaonar sechs trug, dachte sie, dass es schlimmer nicht mehr werden könne.

Schlimmer wurde es zwar nicht, besser aber auch nicht, da er auf dem Weg zurück zur Wohnung an jedem Stand stehen blieb und fasziniert die ausgelegten Waren betrachtete.

Als sie schließlich die Lebensmittel in den Kühlschrank räumen konnte, war es bereits später Nachmittag, also begann sie, sich um das Abendessen zu kümmern.

Angelockt vom Geruch vor sich hin brutzelnden Fleischs, kam er in die Küche und schaute in den Kühlschrank.

„Also, Sie müssen jetzt nicht nach etwas zu essen suchen, wenn ich sowieso gerade koche. Helfen können Sie mir aber jederzeit gerne.“, ermahnte sie ihn und zog ihn vom Kühlschrank weg.

„Sagt, was kann ich tun, um Euch zu helfen?“, fragte er mit leuchtenden Augen, aus denen der reine Tatendrang sprach. Mit einem Lachen, wies sie ihn an, das Gemüse zu schneiden und zeigte ihm schnell, wie er das Messer am besten halten sollte, um das Verletzungsrisiko am geringsten zu halten und kümmerte sich dann um das Fleisch, das inzwischen drohte, zu verbrennen. Sie grinste, während sie ihm dabei zuhörte, wie eifrig schnippelte und wendete das Fleisch mehrfach.

Als sie sich ihm zuwandte und schon einmal einen Teil des Gemüse haben wollte, um es in dem wenigen Fett, welches das magere Fleisch in der Pfanne gelassen hatte zu garen, traute sie ihren Augen kaum, denn er hatte alles Gemüse, das sie zum Schneiden herausgelegt hatte, in perfekte Stücke geschnitten und kaute gerade genüsslich an einem Streifen Paprika.

„Riecht gut!“, lobte er, als sie schließlich das Essen auf Teller verteilte und sich zu ihm an den Tisch setzte. Mit einem Lächeln bedankte sie sich und nahm vorsichtig einen Bissen von dem kochend heißen Gemüse.

Mit offenem Mund beobachtete sie dann Drisaonar, welcher das Essen geradezu in sich hineinschüttete und sich dann frech an ihrem Teller bediente.

„Das ist wirklich sehr wohlschmeckend gewesen. Gibt es noch mehr davon?“, fragte er dann und sie deutete auf den Herd, wo die Pfanne stand und Fleisch und Gemüse warm hielt.

Den Kopf schüttelnd machte sie sich daran, ihre restliche Portion zu verspeisen und sah fast schon entsetzt dabei zu, wie er die Pfanne mit zum Tisch brachte und die übrigen zwei Portionen in sich hinein schaufelte.

Himmel, wo lässt der Kerl das alles nur?, fragte sie sich in Gedanken und aß schnell weiter, um nicht auch noch den Rest ihrer Portion an ihn zu verlieren.

Als er die Pfanne beinahe blitzblank hinterlassen hatte, stellte sie das Geschirr zusammen und machte sich an den Abwasch, bei dem er wieder unbedingt helfen wollte, also ließ sie ihn abtrocknen. Nach dem Abwasch gingen sie zusammen ins Wohnzimmer, wo sie ihm zunächst die Funktion des Fernsehers, eines Radios, der Heizung und anderen Dingen erklären musste, bevor sie dazu kam, den Fernseher anzuschalten und mit ihm zusammen einige Serien zu sehen, die sie gerne sah. Wie sich herausstellte, sah er besonders gerne Kriminalserien, Naturdokumentationen und war wie gebannt von einer historischen Dokumentation, was sie zum Schmunzeln brachte. Als eins der Ermittlerteams in einem Fall von Mord durch Erstechen ermittelte, erinnerte sie sich an seine Verletzungen und schaltete unter einigem Murren seinerseits den Fernseher stumm.

„Wie ist das eigentlich passiert?“, fragte sie besorgt und holte etwas Verbandszeug, welches der Arzt, der auch bei der Versorgung seiner Wunden geholfen hatte, an diesem Morgen vorbei gebracht hatte, um einen der Verbände an seinem Unterarm zu wechseln, der sich langsam löste.

Die Wunde, die darunter zum Vorschein kam, sah schon deutlich besser aus und so schloss sie von dieser auf die restlichen Wunden, das auch diese gut heilten.

Als sie den neuen Verband angelegt hatte, hatte er noch immer nicht geantwortet, versuchte jedoch, die Fernbedienung des Fernsehers zu verstehen und den Ton wieder anzustellen.

Sie beobachtete ihn eine ganze Weile und beschloss dann, nicht weiter nach der Herkunft seiner Wunden zu fragen. Um ihrem gerade gefassten Entschluss treu zu bleiben, nahm sie ihm die Fernbedienung ab und zeigte ihm die einzelnen Funktionen, bevor sie den Ton wieder anschaltete.

Dankbar grinste er ihr zu und starrte dann gespannt auf den Bildschirm um zu erfahren, wer der Mörder gewesen war. Danach begann eine weitere historische Dokumentation, deren Sprecher scheinbar über keinerlei Emotionen verfügte und so wurde sie schnell schläfrig. Etwa eine halbe Stunde nach Beginn der Dokumentation war sie eingeschlafen und sackte an seine Schulter, von wo sie weiter abdriftete. Schließlich kam ihr Kopf auf seinem Schoß zur Ruhe, während sie halb sitzend, halb liegend weiterschlief. Vorsichtig, um sie nicht zu wecken, beugte er sich vor und langte nach der Fernbedienung um den Ton leiser zu stellen und streichelte ihr mit den Fingerrücken über die Wange, bis die Dokumentation zu Ende war. Dann schaltete er den Apparat ab und hob sie vorsichtig auf seine Arme, um sie ins Bett zu bringen.

Mit ausgesprochen schlechter Laune saß Mourndra am nächsten Morgen an ihrem Küchentisch und trank Kaffee. Sie war allein in den Sachen vom Vortag aufgewacht und hatte kein Zeichen von Drisaonars Anwesenheit in der Wohnung finden können. Besorgt wegen seines gesundheitlichen Zustands hatte sie die Kaffeemaschine angestellt und sich ein Brot gemacht, um dann festzustellen, dass sie eigentlich gar keinen Appetit hatte.

Als sie zur Arbeit aufbrach, hatte sie noch immer nichts von dem Drachen gehört und war den Tag über so abgelenkt, dass ihr Vorgesetzter sie zur Mittagspause nach Hause schickte.

Zum Mittag kochte sie sich eine Portion Nudeln, bekam aber keinen Bissen herunter und beschloss, nach dem Drachen zu suchen.

Zunächst suchte sie die Stände ab, die er am Vortag so begeistert belagert hatte, dann ging sie in die Herrenboutique, wo er aber auch nicht gewesen war. Im Supermarkt war er auch nicht und ihr gingen langsam aber sicher die Ideen aus, wo sie noch nach ihm suchen könnte.

Auch am Abend hatte sie ihn noch nicht gefunden, doch langsam machte sich ihr Magen bemerkbar und verlangte nach etwas zu essen. Zudem würde es bald schon zu dunkel sein, um nach ihm zu suchen, also hielt sie auf dem Weg zurück in ihre Wohnung in einer Pizzeria und zwang sich, die Pizza zu essen, die sie bestellt hatte, bevor sie weiterging.

In dieser Nacht tat sie kein Auge zu. Auch wenn sie wirklich versuchte zu schlafen, drifteten ihre Gedanken immer wieder zu dem Vermissten ab und hielten sie wach.

Kurz vorm Morgengrauen hatte sie einen Geistesblitz.

Sie legte sich ihre Bergsteigerausrüstung, etwas Essen, Verbandszeug und Kleidung in einem Rucksack zurecht, meldete sich für die nächsten Tage arbeitsunfähig und machte sich auf den Weg zum Feuergebirge.

Dort angekommen, schaute sie zurück zur Stadt und begann dann den Aufstieg, doch je höher sie kletterte, desto deutlicher machte sich der fehlende Schlaf bemerkbar.

Mit letzter Kraft erreichte sie den Vorsprung, von dem aus der Eingang zur Drachenhöhle am einfachsten zu erreichen war. Erschöpft setzte sie sich an den Rand des Vorsprungs und aß einen Apfel, bevor sie zum Höhleneingang lief. Schon bevor sie die Haupthöhle erreichte, kam ihr die ungewöhnlich starke Helligkeit merkwürdig vor und so beeilte sie sich, voran zu kommen.

Die große Höhle war nicht wiederzuerkennen: Überall lagen Geröll und große Felsbrocken herum und die ungewöhnlich starke Helligkeit, die hier herrschte, kam aus einem klaffenden Loch in der Kuppel der Höhle. Die Malerei, die Drisaonars Mutter zeigte, war aus der Wand gebrochen und am Boden in hunderte kleine Stücke zerbrochen. Noch an diesem Morgen hatte wie aus Eimern geregnet, und wäre die Höhle schon vorher eingestürzt, hätte zumindest unterhalb des Lochs alles nass sein müssen. Doch der gesamte Höhlenboden war trocken, also musste die Höhle nach dem morgendlichen Regen eingestürzt sein.

Vorsichtig stieg sie den Abhang hinunter, den sie bei ihrem ersten Besuch in dieser Höhle hinab gestürzt war und ging auf den riesigen Geröllhaufen zu, der direkt unter dem Loch in der Höhlendecke lag. Sich weiter umsehend, drehte sie sich um ihre eigene Achse und stieß dabei an einen kleineren Geröllbrocken, was die darüber liegenden Steine einer Lawine gleich auf sie zustürzen ließ. Gerade noch rechtzeitig konnte sie sich in Sicherheit bringen und hustete, während sie sich den Staub, den der Steinrutsch aufgewirbelt hatte, vor sich her wedelte.

Als sie endlich wieder etwas anderes als Schemen in dem Schatten ausmachen konnte, fiel ihr in dem Geröllhaufen etwas dunkles, glänzendes auf, wurde aber von einem Sonnenstrahl, der sich an dem glänzenden Etwas brach geblendet. Neugierig trat sie näher an den Haufen und hielt den Atem an, als sie erkannte, was dieses glänzende Objekt war. So schnell es ihr auf dem staubigen und losen Untergrund möglich war, kletterte sie auf das Objekt zu und begann, kleinere Steine beiseite zu räumen.

Nach und nach kamen dunkel glänzende Schuppen zum Vorschein, dann ein Nasenloch und schließlich ein großes, geschlossenes Auge.

Ängstlich klopfte sie gegen die Schuppen unter dem Auge und hielt ihre Hand vor das Nasenloch, aus dem schwach ein warmer Luftzug zu spüren war. Vorsichtig in den Schuppen halt suchend, kletterte sie auf den Nasenrücken des Drachen, der unter dem Geröll begraben war und stemmte sich gegen einige größere Felsbrocken, die polternd große Teile des Haufens mit zum Höhlenboden rissen und so den Kopf, den Hals, einen Vorderlauf und einen Flügel des Drachen größtenteils freilegten.

Dann kletterte sie wieder zum Auge des Drachen und klopfte erneut zaghaft gegen die darunter liegenden Schuppen. Diesmal öffnete sich das Auge einen Spalt breit und das Drachenmaul öffnete sich ein kleines Stück. Um ihn zu beruhigen strich sie vorsichtig über die Schuppen unter dem Auge und redete dem Drachen zu, dass alles in Ordnung sei und dass sie ihn jetzt befreien würde.

Dann kletterte sie zum freigelegten Flügel und stemmte sich auch hier wieder gegen einige größere Felsen, die wiederum große Teile des Drachen freigaben.

Schließlich hatte sie den Drachen so weit frei gelegt, dass er sich durch einige Bewegungen befreien konnte.

Erst jetzt bemerkte sie die vielen blutenden und verdreckten Wunden Drisaonars und sah ihm besorgt in das riesige Auge, das er ihr schwach am Boden liegend zuwandte.

„Sie sind zu groß, als dass ich mich um alle ihre Wunden kümmern könnte!“, bemerkte sie mit flehender und tränenerstickter Stimme.

Der Drache schloss langsam die Augen und schon bald lag Drisaonar in seiner menschlichen Form vor ihr und drehte sich mit einem schmerzerfüllten Stöhnen auf den Rücken. Egal, wo sie auch hinsah, er wies überall blutende Wunden, verschiedenste Quetschungen, Prellungen und ähnliche Verletzungen auf, die ihn zusätzlich zu den schon heilenden Wunden, mit denen er bei ihr aufgetaucht war, entstellten.

Verzweifelt fiel sie neben ihm auf die Knie und begann damit, seine Wunden näher zu untersuchen, wobei sie feststellte, dass er sich sich zusätzlich zu den äußerlich sichtbaren Wunden mehrere Rippen, den linken Arm und das rechte Wadenbein gebrochen hatte.

„Um Himmels Willen! Was ist nur passiert?!“, schluchzte sie, als sie damit begann, sie schlimmsten seiner Verletzungen notdürftig zu säubern und zu verbinden.

„Meinen Sie, dass Sie aufstehen können? Wir können hier nicht bleiben, und Ihnen muss unbedingt geholfen werden, sonst bringen Ihre Verletzungen Sie um!“, fragte sie, als sie damit fertig war und beobachtete seinen schwachen Versuch, sich aufzusetzen, den sie mit einem besorgten „Wohl eher nicht.“ kommentierte und ihn vorsichtig aus dem Geröll zog, dass um sie herum lag. An einer windgeschützten und noch überdachten Stelle der Höhle ließ sie ihn liegen und grub in dem Geröll nach den Fellen, die er ihr als Unterlage gegeben hatte.

Kurz darauf fand sie die gesuchten Felle zwar verstaubt aber weitgehend unversehrt und schleifte sie zu dem Verletzten, welchen sie dann vorsichtig auf die Felle hievte und mit dem größten der Felle zudeckte.

„Gibt es hier irgendwo Feuerholz?“, fragte sie ihn, worauf er schwach in eine Ecke der Höhle deutete, in der sie dann auch tatsächlich jede Menge trockenes Feuerholz fand.

Mourndra packte sich ein Bündel auf den Rücken und ergriff dann einige getrocknete Blätter und Feuersteine, die neben dem Holzstapel lagen und schleppte alles zu Drisaonar, wo sie nach einigen Versuchen ein kleines Feuer entzündete, welches ihnen Wärme für die bald anbrechende Nacht schenken würde.

Er würde sicher Nahrung und Flüssigkeit brauchen, also holte sie ihren Rucksack, bettete seinen Kopf in ihren Schoß und gab ihm in kleinen Schlucken zu trinken. Dann gab sie ihm ein Stück Brot, das er zunächst zu kauen versuchte, sich dann aber daran verschluckte und das Brot wieder ausspuckte.

„Sie müssen etwas essen, auch wenn es schwer fällt. Hier, versuchen sie es einmal hiermit“, sagte sie besorgt und legte ihm ein Stück von einem Apfel in den Mund.

Diesmal gelang es ihm, zu kauen und zu schlucken, und so fütterte sie ihn weiter, bis er nichts mehr essen wollte.

Anschließend lehnte sie sich neben ihm an die Höhlenwand und wartete darauf, dass er einschlief.
 

Am nächsten Morgen wurde sie von einer Bewegung an ihrem Schenkel geweckt. Drisaonar hatte sich aufgesetzt, scheinbar ihren Rucksack durchsucht und aß gerade eine Banane.

„Geht es Ihnen besser?“, war ihre erste Frage, als sie ihn so sah. „Meinen Sie, Sie schaffen es, zusammen mit mir abzusteigen? Ihre Verletzungen sind wirklich schlimm, diesmal werde ich Sie nicht allein behandeln können.“

Er versuchte, zu sprechen, bekam aber nur ein unverständliches Krächzen hervor und begann, zu husten. Sie gab ihm etwas zu trinken und er versuchte es erneut. Seine Stimme war zwar noch immer kaum zu verstehen, aber mit etwas Anstrengung beim Zuhören würde es schon gehen.

„Ich... Abstieg... unmöglich“, entzifferte sie seinen ersten Satz, „Fliegen schneller... einfacher.“

Fliegen? Sie verstand zunächst nicht, was er meinte, doch nach einigen Sekunden fiel auch bei ihr der Groschen.

„Sie wollen in diesem Zustand noch von hier bis in die Stadt fliegen?! Das wäre doch Selbstmord!“

Mit einem Grollen stürzten einige weitere Felsen aus dem Loch in der Höhlendecke und die Wand, an die sie sich über Nacht gelehnt hatte, bekam Risse.

Er nahm noch einen Schluck und kämpfte sich dann auf die Beine.

„Was haben Sie vor? Sie sind verletzt und brauchen Ruhe! Verdammt, seien Sie doch wenigstens ein bisschen vernünftig!“, flehte sie ihn an und konnte ihn gerade noch stützen, als er zu stürzen drohte.

„Hier können wir aber auch nicht bleiben!“, krächzte er, „Den Abstieg schaffe ich nicht, also werden wir wohl oder übel fliegen müssen. Ich schaffe das schon irgendwie.“

Sie gab nach, weil seine Logik ihr einleuchtete, überredete ihn aber dazu, mit dem Flug in die Stadt zumindest bis zum Abend zu warten, um nicht unnötig Aufsehen zu erregen. Außerdem würde er so noch etwas Kraft sammeln können, die er bitter nötig hatte, damit sein Vorhaben gelang.

Als es schließlich dunkel geworden war, wandelte Drisaonar sich zu einem Drachen und legte sich so flach wie möglich auf den Boden, damit sie auf seinen Hals klettern und sich dort festhalten konnte. Dann schlug er einmal kräftig mit den Flügeln und schon hoben sie ab und flogen auf das Loch in der Höhlendecke zu, das gerade groß genug war, damit sie hindurch gelangen konnten.

Hinter ihnen ertönte ein fürchterliches Poltern und als sie einen Blick zurückwarf, war der Gipfel des Feuergebirges verschwunden.

Die meiste Zeit des Flugs nutzte der Drache jeden verfügbaren Auftrieb um Kraft zu sparen, doch kurz vor der Stadtgrenze verließen ihn die Kräfte. Er landete so gut, wie ihm in seinem Zustand möglich und wandelte sich wieder in seine menschliche Form. Dann half Mourndra ihm in seine Kleidung, da er ja schlecht nackt durch die Stadt gehen konnte und ließ ihn sich auf sie stützen.

Sie hatten sich vielleicht fünf Minuten in stadteinwärts geschleppt, als ein Passant sie anhielt und sofort los rannte, um einen Rettungswagen zu rufen, der bald eintraf. Bevor sie zum Krankenhaus fuhren, bedankte Mourndra sich bei dem Passanten und auch Drisaonar winkte ihm schwach zu.

Die Sanitäter, die sich um den Drachen kümmerten, fragten Mourndra, was passiert sei und sie erzählte, dass sie beide in den Bergen wanderten, aber von einem Felsrutsch überrascht worden seien, dem sie gerade noch mit einem Schrecken entkommen sei, ihr Begleiter jedoch von einem Felsen erfasst und ein Stück mitgeschleift worden sei.

Im Krankenhaus wiederholte sie die Geschichte und wurde dann in den Wartebereich gebeten, während Drisaonar geröntgt und versorgt wurde.

Als er endlich in einem Krankenbett in ein Zimmer gefahren wurde, kam ein Arzt zu ihr, um ihre Personalien aufzunehmen und mit ihr die Kosten für die Behandlung des Patienten zu besprechen.

Als sie sich darauf geeinigt hatten, dass Mourndra die Kosten zur Hälfte übernahm und in Raten zahlen könne, wenn es nötig sei, durfte sie endlich zu Drisaonar und sehen, wie es ihm ging.

Drei Wochen später war Drisaonar so weit genesen, dass die Ärzte im Krankenhaus grünes Licht für seine Entlassung gaben. Mourndra wartete vor dem Haupteingang des Krankenhauses auf ihn und brachte ihn in ihre Wohnung, wo er sich sofort daran machte, den Kühlschrank nach etwas essbarem zu durchsuchen.

Irgendwie hatte sie auch nichts anderes erwartet. Während der vergangenen drei Wochen war er jedes Mal, wenn sie ihn auf die Geschehnisse in der Drachenhöhle ansprach, ausgewichen und hatte sich auf das Krankenhausessen gestürzt. Wenn gerade nichts zu essen da war, hatte er einfach geschwiegen, bis entweder die Besuchszeit zu Ende oder sie auf ein anderes Thema umgeschwenkt war. Jetzt schien es in ihrer Wohnung so weiter zu gehen und das würde sie auf keinen Fall weiter dulden.

„Früher oder später müssen Sie mir erzählen, woher die Wunden stammten, mit denen Sie hier aufgetaucht sind. Genauso werden Sie erzählen müssen, was in den Bergen passiert ist. Ich schlage daher vor, Sie tun dies besser früher als später, dafür aber freiwillig und mit viel Zeit für Erklärungen, falls nötig.“, richtete sie sich an ihn, als er einmal mehr auswich, und ließ ihn allein im Raum stehen.

Knapp eine halbe Stunde, nachdem sie ihn alleingelassen und sich mit einem Buch ins Schlafzimmer zurückgezogen hatte, öffnete sich die Tür und Drisaonar trat ein.

„Ihr habt recht. Ich müsste früher oder später erzählen, und ich habe mich dafür entschieden, lieber jetzt alles zu erzählen.“, begann er und setzte sich auf ihre Einladung hin zu ihr aufs Bett.

„Also? Was ist passiert?“, harkte sie nach, klappte das Buch zu und legte es beiseite.

„Jäger. Es sind wieder Drachenjäger aufgetaucht.“, schoss es plötzlich aus ihm hervor und er blickte sie aus den Augenwinkeln an.

Auf ihren fragenden Blick hin fuhr er fort: „Sie kamen in die Höhle, einen Tag bevor Ihr mich hier fandet, und überraschten mich im Schlaf. Ich weiß nicht, woher sie von mir wussten, aber ich war in meiner Drachengestalt, als sie mich fanden, also griffen sie sofort an. Ich konnte nur knapp in die Berge entkommen und versteckte mich dort bis die Dunkelheit einbrach, konnte jedoch nicht noch länger dort bleiben, weil sie mich sonst früher oder später aufgespürt hätten. Ich war schwer verletzt und die einzige, von der ich mir Hilfe erhoffen durfte, wart Ihr, also flog ich bis zum Stadtrand und fragte mich von da durch, bis ich hierher gelangte. Ein netter alter Mann wollte mich auch erst ins Krankenhaus bringen, ließ mich aber in die Wohnung, als ich ihm erzählte, ich sei ein Freund.

Als ich dann in die Höhle zurückkehrte, war ich nicht auf ihre Falle vorbereitet. Alles, was ich noch bemerkte, als ich wieder zum Drachen wurde, war ein lauter Knall und dann trafen mich auch schon die Felsen. Und dann kamt Ihr und habt mir zum zweiten Mal das Leben gerettet.“

Als er endete, schwieg sie lange, setzte sich aber neben ihn und lehnte sich an seine Schulter.

„Meine Güte... Warum haben Sie das denn nicht sofort erzählt? Ich hätte Ihnen doch viel besser helfen können, wenn ich gewusst hätte, was passiert ist.“, sagte sie schließlich, legte ihm eine Hand auf die Schulter, an der sie gerade noch gelehnt hatte und sah ihm tief in die Augen.

„Sie können mir vertrauen. Ihr Geheimnis ist sicher bei mir.“, versprach sie und stand auf, um in die Küche zu gehen und ihm eine Ananas zu schneiden, von denen er behauptete, sie würden süchtig machen. Bevor sie den Raum jedoch verlassen konnte, stand er auf, fasste sie bei der Hand und strich ihr eine Strähne ihres Haars aus dem Gesicht.

„Nennt mich doch bitte bei meinem Namen. Dieses ewige 'Sie' stört mich.“, bat er.

„Das Gleiche gilt auch für Sie... äh, dich. Und dieses ewige 'Ihr' ist inzwischen veraltet und geht mir auf die Nerven. 'Mourndra' oder 'Du' reicht völlig. Oder denk dir irgendeinen Spitznamen aus. Aber der muss mir auch gefallen.“, antwortete sie lächelnd.

„Also dann, Mourndra.“

„Drisaonar.“

„Aber eins musst du mir noch verraten: Was, zur Hölle, sind Spitznamen?“
 

Zu ihrem Staunen ließ er ihr diesmal sogar etwas von der Ananas übrig, statt sie wie sonst in rekordverdächtiger Zeit ratzekahl wegzuputzen. Im Gegenzug dafür ließ sie ihn dafür über das Fernsehprogramm des Abends bestimmen und war binnen weniger Minuten eingeschlafen, als er auf eine Dokumentation stieß, die nicht das leiseste Interesse in ihr weckte.

„Guten Morgen, Louarra“

Verschlafen schlug sie die Augen auf und wandte sich zu ihm um.

„Wie hast du mich genannt?“, fragte sie müde und gähnte verhalten aber herzhaft.

„Ich sagte 'Louarra'“, wiederholte er.

„Klingt schön. Und was heißt es?“

„Das... verrate ich nicht!“, grinste er und begann zu lachen, als sie ihn empört ansah und ein Kissen nach ihm warf. „Hey, sowas kann ins Auge gehen!“, brachte er entrüstet zwischen dem ersten und einem weiteren Kissen hervor, bekam das zweite jedoch voll ins Gesicht geschleudert und revanchierte sich mit einem Volltreffer. Schon bald waren die beiden in eine Kissenschlacht von beinahe epischem Ausmaß verstrickt und schleuderten sich die Kissen mit solcher Wucht um die Ohren, dass bald das gesamte Schlafzimmer in ein Federmeer getaucht war.

„Na toll, jetzt brauche ich neue Kopfkissen.“, maulte sie, als sie das Chaos sah, dass sie angerichtet hatten.

„Ich ersetze sie dir, bin ja schließlich mit Schuld an der Zerstörung der alten.“, versprach er.

„Aha, und von welchem Geld willst du das tun? Ah, wo wir gerade davon sprechen: langsam aber sicher, wird es ziemlich teuer für mich, wenn du weiter so einen Appetit hast. Entweder du verdienst dir selbst Geld, von dem wir Essen kaufen können, oder du musst wohl oder übel weniger essen.“, erklärte sie ihm und ging in die Küche.

„Ich fürchte, wenn ich noch weniger esse, werde ich krank, also wähle ich lieber die Variante mit dem Geld verdienen.“, eröffnete er ihr wenig später.

„Und wie willst du das anstellen?“, harkte sie nach.

„Ich weiß nicht, was gibt es denn für Möglichkeiten?“

„Hmm... bei deinem Aussehen könntest du Model werden.“

„Was, bitte, ist ein Model?!“

„Erinnerst du dich an die Bilder mit der modernen Kleidung?“

„Ja, und an das unbequeme Zeug auch.“

„Nun, Models sind Leute, die gut aussehen und Geld dafür bekommen, dass sie sich mit neuen Sachen fotografieren lassen.“

„Fotografieren? Was ist das?“

„Zu kompliziert zum erklären. Aber wenn dir die Sachen damals schon unbequem vorkamen, ist das vielleicht nicht das Richtige für dich. Was, denkst du, kannst du gut? Was sind deine Talente?“

„Ich... Ich weiß nicht. Ich male gerne, aber...“

„Siehst du? Das ist doch schon einmal ein Anfang!“

„Was ist ein Anfang?“

„Du malst gerne, und wie ich finde, sogar sehr gut! Warum also nicht auch Geld damit verdienen?“

„Meinst du, das geht?“

„Aber sicher. Wenn du wüsstest, wie viel Geld einige Menschen für Kunst zu zahlen bereit sind, würden dir die Augen aus dem Kopf fallen.“

„Na gut, versuchen wir's.“

Als sie am nächsten Tag von der Arbeit heimkehrte, brachte sie ihm einige kleine Leinwände, Zeichenblöcke, Pinsel, eine Staffelei und eine kleine Auswahl von Farben, Stiften und anderen Dingen, die er zum Malen brauchen würde, mit.

Er nahm sich etwa eine Stunde Zeit, um sich mit den Materialien vertraut zu machen und wagte anschließend einige Versuche auf Papier.

Schließlich wollte er seine Fähigkeiten weiter prüfen und bat sie, ihm für ein Portrait Modell zu stehen, was sie ablehnte.

„Ach, komm schon, Louarra!“, bettelte er und der Klang seines Spitznamen und die Art und Weise, wie er ihn aussprach, ließen sie weich werden.

„Na gut. Aber nur, wenn du mir danach verrätst, was das heißt!“
 

Nachdem er einige Zeit lang auf einer Leinwand gezeichnet hatte, rief er sie zu sich, um sie seine Skizze von ihr bewerten zu lassen.

„Oh, Himmel... Das ist wunderschön, Drisaonar!“, lobte sie den Tränen nahe und betrachtete die Skizze.

„Ich male nur, was ich sehe.“, antwortete er ihr sanft und drehte sie zu sich um.

„Ist das denn schon fertig?“, hauchte sie und blickte ihm tief in die sanft schimmernden Augen.

Er überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Nein, aber ich denke, ich werde mir auch viel Zeit mit der Fertigstellung lassen.“

„Warum denn das? Mach doch weiter!“, bat sie, doch er lehnte ab.

„Du solltest so langsam zu Bett gehen. Es ist schon spät und wenn ich mich richtig erinnere musst du morgen wieder arbeiten.“, erklärte er sich und schob sie ins Schlafzimmer.

Bevor er in seine Hälfte des Betts kroch, holte er einige der Kissen von der Couch, damit sie wenigstens diese hatten. Dann fiel ihm noch ein, zu fragen, wie er mit Malerei Geld verdienen sollte und hörte ihr ruhig zu, als sie ihm erklärte, dass er sich zunächst mit der Staffelei, einem Zeichenblock und seinen Stiften in eine Fußgängerzone setzen und dort Passanten zeichnen sollte, die dies wollten.

„Und wie soll ich auf mich aufmerksam machen? Ich kann mich wohl kaum verhalten, wie ein Marktschreier!“, fiel ihm dann auf und sie erklärte erschöpft, dass er einige seiner Zeichnungen und auch ruhig das Portrait von ihr mitnehmen und ausstellen sollte, damit die Leute sehen konnten, was er zu bieten hatte.

Bevor ihm noch weitere Fragen einfallen konnten, schlief sie ein, also kroch er schweigend unter seine Decke und rollte sich auf die Seite, um ihren Schlaf zu beobachten.
 

Bevor sie am nächsten morgen zur Arbeit ging, erklärte sie dem Drachen, wie viel Geld er verlangen konnte und wie er die Preise für seine Arbeit festlegen konnte.

Wenig später saß er in einer Fußgängerzone und wartete darauf, dass einige der Passanten auf ihn aufmerksam wurden. Gegen Mittag bat ihn ein junges Paar darum, die beiden zu zeichnen und er kam der Bitte nach. Als sie über seine schnelle und beinahe perfekte Arbeit staunten, wurden immer mehr der Passanten auf ihn aufmerksam. Als er dann am Abend erschöpft zur Wohnung zurückkehrte, war Mourndra noch nicht da, also bat er den älteren Herren, der ihn schon einmal eingelassen hatte, ihn in die Wohnung zu lassen. Der ältere Herr konnte ihm jedoch auch nicht helfen, da er den Schlüssen zu Mourndras Wohnung kürzlich abgebrochen und noch keinen Ersatz besorgt hatte.

Ihm blieb also nichts weiter übrig, als auf Mourndra zu warten.

Wenig später kam dann Mourndra nach Hause und fand Drisaonar schlafend vor ihrer Wohnungstür sitzend vor.

„Warum kommst du so spät?“, fragte er müde, als sie ihn weckte und erhob sich schwankend vor Müdigkeit und Hunger. Eine ausgedehnte Mahlzeit und eine Ananas später war er wieder weit genug zu gebrauchen, um ihn über seinen Tag auszufragen.

Auf die Frage hin, wie es gelaufen war, zog er einen Beutel hervor, den sie ihm für das eingenommene Geld gegeben hatte und staunte nicht schlecht, als er dessen Inhalt vor ihr auf den Wohnzimmertisch kippte.

„Du meine Güte, für das Geld müsste ich ganze drei Tage arbeiten. Und das rund um die Uhr!“, staunte sie nachdem das Geld gezählt war.

„Ist das viel?“, fragte er unschuldig.

„Ob das viel ist? Drisaonar, wenn du jeden Tag so viel einnehmen würdest, müsste ich bald nicht einmal mehr arbeiten gehen!“

„Oh. Klingt nach viel Geld.“

„Oh ja... Ich habe noch eine Ananas da, die kannst du gerne haben, aber erst malst du weiter!“, forderte sie zwinkernd und er kam lachend ihrer Aufforderung nach.
 

Knapp drei Stunden später hatte er keine Lust mehr, weiter zu malen, also legte er die Stifte beiseite, und rief sie zu sich, um ihr den Fortschritt zu zeigen.

Sie sah sich nur kurz das Bild an und fiel ihm dann um den Hals. Zögerlich schloss er die Arme um ihre Taille und zog sie näher an sich. Wenig später saß er auf dem Sofa, sie auf seinem Schoß.

Während er mit ihren Haaren spielte und verträumt schaute, bemerkte sie ein weiteres Mal, wie gut er eigentlich aussah. Dann betrachtete sie das Portrait von ihr und schüttelte innerlich den Kopf.

Nein, sie würde niemals mit ihm mithalten können. Und wahrscheinlich bin ich sowieso nicht sein Typ. Der Kerl hat Klasse, ich nicht. Warum also sollte er sich ausgerechnet für mich...

„Was denkst du gerade?“, fragte er plötzlich und riss sie aus ihren Gedanken.

„Hm? Ach, nichts. Ich dachte nur gerade, dass ich gar nicht so schön bin, wie du mich auf dem Bild dargestellt hast.“, antwortete sie schnell und lehnte ihren Kopf an seine Brust.

„Hmm, wenn du meinst.“, war alles, was er sagte, dann hörte er auf, mit ihren Haaren zu spielen und streichelte ihr über die Schulter.

Plötzlich lag sie auf dem Rücken auf dem Sofa und starrte überrascht in sein Gesicht, das sich jetzt mit einigem Abstand über ihrem befand. Er kniete direkt über ihr und stützte sich mit den Armen neben ihrem Kopf ab, während er sie von oben bis unten betrachtete.

„Stimmt, du hast recht. Du bist nicht so schön, wie auf dem Bild.“, sagte er schließlich. Sie blickte ihn verletzt an und versuchte, ihn von sich zu drücken und aufzustehen.

„Eigentlich bist du sogar viel schöner, ich bin nur nicht fähig, alle Aspekte deiner Schönheit einzufangen, Louarra“

Mit angehaltenem Atem starrte sie ihn an, konnte aber keinerlei Anzeichen dafür ausmachen, dass er log. Fand er sie also wirklich... schön?

„Ich erkenne Unglauben in deinem Blick. Du glaubst mir also nicht, dass ich dich schön finde?“

Sie schwieg, also fuhr er fort: „Wie kann ich dir beweisen, dass ich die Wahrheit sage?“

„Ich weiß es nicht.“, flüsterte sie und versuchte wieder, sich aufzusetzen. Diesmal ließ er sie gewähren und sah ihr nach, als sie das Wohnzimmer verließ.

Mitten in der Nacht wachte sie auf und war allein.

Mit einem Schlag hellwach verließ sie das Wohnzimmer und durchsuchte systematisch ihre Wohnung, beginnend in der Küche. In der Küche war Drisaonar nicht, das Bad war ebenfalls leer, also ging sie ins Wohnzimmer.

Vor der Tür nahm sie leise Stimmen wahr und sah ein fahles licht unter der Tür herkommen. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt und spähte in das Wohnzimmer.

Drisaonar saß auf dem Sofa und unterhielt sich mit dem Geist seiner Mutter, jedoch verstand sie kein Wort, da sie wieder die Sprache benutzten, die sie auch schon in der Ahnenhalle der Drachen benutzt hatten.

Zu ihrem Erstaunen schienen die beiden sich über sie zu unterhalten, da wiederholt ihr Name fiel.

Mit einem mulmigen Gefühl, als würde gleich etwas schlechtes passieren, öffnete sie die Tür und trat in den Raum. Drisaonar stand auf und drehte sich blitzartig zur Tür um, atmete aber auf, als er Mourndra erkannte. Dann kam er ihr entgegen und führte sie am Arm zum Sofa, wo er sich wieder setzte.

Unschlüssig darüber, ob sie sich setzen sollte oder nicht, weil sie fürchtete, dem Geist seiner Mutter damit keinen Respekt zu erweisen, wenn sie sich hinsetzte, blieb sie stehen und wartete auf eine Reaktion der nächtlichen Besucherin aus dem Jenseits.

Als diese zu lachen begann und auf das Sofa wies, setzte sie sich verlegen und schwieg bis der Geist das Wort an sie richtete: „Also Mourndra, wisst Ihr, was Euer Name bedeutet?“

„Ihr Sohn sagte mir, Mourndra bedeute in etwa soviel wie 'legendäre Gefährtin'.“, antwortete sie nervös.

„So, hat er das? Drisaonar, ich hätte von dir erwartet, dass du die Sprache der Menschen besser beherrschen würdest.“, wandte sie sich an ihn.

„Mutter, was meint Ihr? Habe ich den Namen etwa nicht richtig in die Sprache der Menschen übersetzt?“, vermutete er und versteifte sich etwas.

„Nun, der Fehler den du gemacht hast lag darin, das '-dra' als Gefährtin zu übersetzen, obwohl es eher den Sinn des Worts 'Geliebte' hat.“

Schweigend sah Mourndra zunächst den Drachen an, der neben ihr saß und wandte sich dann an dessen Mutter: „Mir erschließt sich der Unterschied nicht.“

„Ganz einfach: eine Gefährtin sucht sich genau einen Drachen, den sie sich erwählt und bleibt ihr Leben lang bei diesem. Zudem ist sie für jeden anderen Drachen tabu. Eine Geliebte hingegen... Nun sagen wir, selbst wenn sie sich einen Drachen erwählen würde, könnte sie weiter von anderen Drachen umworben werden und mehrere Drachen zugleich erwählen. Außerdem wird jeder Drache, der ihr länger als einen Tag lang nahe kommt, geradezu dazu gezwungen, sich in sie zu verlieben und um sie zu werben.“

„Erwählen? Ist das so etwas wie eine Heirat bei uns Menschen?“, fragte sie nach einer kurzen Pause.

„Nun, dieser Vergleich ist durchaus passend, auch wenn das Band, das die Erwählten verbindet, nie wieder gelöst werden kann, selbst durch den Tod nicht.“, antwortete der Geist.

„Und was hat das jetzt mit mir zu tun?“, fragte Mourndra skeptisch und blickte abwechselnd Drisaonar und seine Mutter an, während sie auf eine Antwort wartete.

Als er begann, zu sprechen, legte er seine Unterarme auf die Knie und wandte den Kopf von ihr ab.

„Du musst wissen... Wir Drachen glauben an die Macht der Namen. Einfach gesagt, erhält jeder, der den Namen eines Drachen erfährt die absolute Macht über ihn. Und doch bestimmen unsere Namen auch unser Schicksal. Der Name, den meine Mutter mir gab, als ich geboren wurde, bestimmte mir voraus, der letzte und doch auch der erste Drache zu sein, der auf dieser Welt wandelt. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, was du damit bezweckt hast, Mutter.“

„Oh, du hast es endlich verstanden, mein Sohn?“

„Ja Mutter.“

„Moment mal, was hat er verstanden? Ich verstehe im Moment nicht das Geringste!“, fuhr Mourndra dazwischen.

„Mein Kind, Ihr habt es noch immer nicht gemerkt, nicht wahr?“, wandte sich Drisaonars Mutter an Mourndra, „Möchtet Ihr nicht wissen, was die alten Weisen mir über Euch erzählen konnten, als wir uns das erste Mal in der Ahnenhalle im Feuergebirge trafen?“

Wie gelähmt starrte sie den Geist an und wartete.

„Sie sagten mir, Ihr wärt ein Halbblut. Sowohl Drachen- als auch Menschenblut fließen durch Eure Venen. Damit seid Ihr Teil beider Welten und die Macht des Namen verfügt auch über Euch. Mit Eurem Namen wurde Euch euer Schicksal als Geliebte eines Drachen schon von dem Moment, in dem Ihr ihn erhalten habt, vorherbestimmt. Ich freue mich, die Tochter des Drachen kennenlernen zu dürfen, der zu den ersten gehörte, die als Menschen unter den Menschen wandelten. Drisaonar, diese Frau ist die letzte Hoffnung für die Drachen. Hilf ihr, die in ihr schlummernden Kräfte des Drachenbluts in ihren Adern zu wecken, damit sie ihrer Bestimmung folgen und die Drachen zu alter Pracht führen kann.“, wies sie an und Drisaonar erhob sich von dem Sofa um vor seiner Mutter nieder zu knien.

„Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Mourndra bei der Bewältigung ihrer Aufgaben zu helfen, wo ich nur kann. Dies schwöre ich bei der Macht, die mein Name über mich hat. Halte ich mein Versprechen nicht, so werde ich meinen Platz bei denen einnehmen, die scheiterten und dem Bösen verfielen.“, gelobte er feierlich und drehte sich zu ihr um, um ihr seine Hand entgegen zu strecken.

„Erwähle mich, Mourndra, und wir werden gemeinsam die höchsten Höhen und die tiefsten Tiefen überstehen! Erwähle mich, und bleibe bei mir, es soll dir an nichts fehlen!“, trug er feierlich vor und hielt ihr weiter seine Hand entgegen, „Erwählst du mich, so nimm meine Hand, sie soll dich immer leiten und tragen! Erwählst du mich, so nimm mein Leben, nur du sollst fortan darüber verfügen! Erwählst du mich, so nimm mein Herz, auf immer soll es dir gehören!“

Zögerlich hob Mourndra ihre Hand und legte sie in die seine. Während er sich langsam erhob und sie mit auf die Beine zog, schlossen sich seine Finger um ihre.

Als sie beide standen, begann Mourndra, zu lächeln.

Da hatte sie sich doch tatsächlich in den Drachen verliebt, dem sie das Leben gerettet hatte.

Noch während sie dies dachte, verwandelte sich der Geist von Drisaonars Mutter in ein silbern glänzendes Band aus Licht, welches sich um ihre Handgelenke legte und sich ihrer Kleider statt um ihre Körper schmiegte.

Plötzlich spürte Mourndra ein ihr bisher unbekanntes Gefühl von Hitze, das sich von ihrem Herzen aus durch ihren gesamten Körper ausbreitete.

Das nächste, was sie mitbekam war, wie Drisaonar sich besorgt schauend über sie beugte.

„Ist alles in Ordnung, Louarra? Du bist plötzlich einfach umgekippt, da habe ich dich ins Bett gebracht.“, erklärte er mit rauer Stimme und setzte sich zu ihr, während sie sich aufsetzte.

„Ja, alles in Ordnung.“, antwortete sie schwach, „Und jetzt?“

„Was 'und jetzt'?“

„War das nur ein Traum, oder habe ich dich wirklich... wie hieß es?“

„Erwählt? Ja, das hast du. Und ehrlich gesagt, könnte ich glücklicher nicht sein.“ Er legte seine Hand an ihre Wange und streichelte mit dem Daumen darüber.

„Ach tatsächlich?“ Ach verdammt, Mourni! Der Kerl, den du liebst, ist auf dem besten Weg, dir sein Herz offen zu legen und du hast nichts besseres zu tun, als skeptisch zu sein.

„Naja, etwas glücklicher könnte ich schon noch sein, aber...“ Aha.

„Nichts 'aber'! Raus mit der Sprache!“, forderte sie.

„Louarra...“

„Was heißt das überhaupt?“ Angriff ist die beste Art, einen Mann zum reden zu bringen, oder wie?

„Wenn ich dir das übersetze, lachst du sicher.“ Er errötete leicht.

„Das werden wir sehen, wenn du es mir übersetzt hast.“

Schweigen.

„Ach, manno. Spann mich doch nicht so auf die Folter!Ich lache auch nicht, versprochen!“, flehte sie.

„Na gut. Es bedeutet so viel wie 'Kristallkönigin', wobei 'Lichtkönigin' auch eine passende Übersetzung ist.“

„Hmm, mir gefällt die Version in deiner Sprache zwar besser aber womit habe ich diese Bezeichnung verdient?“

„Ich finde, es passt zu dir. Gefällt dir die Bedeutung nicht?“

„Doch, sehr sogar! Aber ich finde, 'Louarra' ist ein viel schöneres Wort dafür.“

„Hmm, gut. Dann eben 'Louarra'.“

„Du kannst mir sicher helfen, etwas in deine Sprache zu übersetzen, nicht wahr?“

„Kommt ganz darauf an, was es ist. Für viele Worte gibt es mehrere Begriffe, die sich nur durch die dadurch ausgedrückte Anerkennung, Zuneigung und so weiter unterscheiden. Am besten sagst du mir einfach, was du übersetzen möchtest, dann sehen wir weiter.“

„Ich weiß noch nicht einmal, wie ich es ausdrücken soll.“, meinte sie und legte ihre Arme auf seine Schultern, die Hände in seinem Nacken verschränkt, und blickte ihn verliebt an.

„Was soll dieser Blick?“

„Welcher Blick?“

„Du schaust mich so... seltsam an. Wenn ich nicht weiß, was dieser Blick heißt, verunsichert mich das, was das Gespräch angeht.“

„Ich verunsichere dich also?“

Wieder schwieg er und sah aus dem Fenster.

„Entschuldige. Willst du wissen, was ich gerade denke?“

„Ich will immer wissen, was du denkst.“, meinte er und sah sie wieder an.

„Nun, ich denke, du bist unheimlich... charmant...“, sie streichelte mit dem Daumen seinen Nacken, „rücksichtsvoll... intelligent...“, sie rückte ein Stück näher an ihn heran, „... und unglaublich sexy, wenn du verunsichert bist.“

Ein leises Grollen erklang und plötzlich lag sie wieder unter ihm, nicht fähig, sich vom Fleck zu rühren und fasziniert von seinem Muskelspiel.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie beide lediglich ihre Unterwäsche trugen, doch seltsamer Weise störte es sie nicht im Geringsten, wenn er sie beinahe nackt sah, obwohl sie sich schon immer geschämt hatte, wenn jemand sie leicht bekleidet sah. Aber mit Drisaonar war es irgendwie anders. Er gab er ihr das Gefühl, dass sie sich nicht verstecken brauchte, weil sie schön war. Ebenso fühlte sie in seiner Nähe eine seltsame Hitze in ihr aufsteigen, die immer weiter zunahm und sie fast schon zu verbrennen drohte.

Zaghaft hob sie die Hand und strich mit den Fingerspitzen über seinen Bauch.

Das leise Grollen, dass von ihm zu vernehmen war, wertete sie als Aufforderung, fortzufahren, und so legte sie nun beide Hände auf seinen Bauch und streichelte ihn. Er schloss lediglich die Augen und schien es zu genießen.

Während sie weiter seinen Bauch streichelte, begutachtete sie ihn weiter und blieb mit ihrem Blick recht bald an der Ausbuchtung in seiner Unterwäsche hängen. Mit einem Mal hatte sie einen Kloß im Hals und hörte auf, zu streicheln. Sie wusste, worauf das hier hinauszulaufen drohte.

„Was ist? Mach doch bitte weiter.“, bat er daraufhin, öffnete die Augen und gab sie frei, als ihre Blicke sich trafen.

„Ich kann das nicht, solange ich mir nicht sicher sein kann, was du für mich empfindest.“, schluchzte sie, drehte sich in ihrer Hälfte des Betts auf die Seite, ihm den Rücken zugewandt und zog weinend die Beine an die Brust.

„Hey, ich werde dich zu nichts zwingen, in Ordnung? Du hast alle Zeit der Welt.“, versuchte er sie zu beruhigen, und legte ihr die Hand auf die Schulter.

Mit einem weiteren Schluchzen nickte sie und warf sich herum, um sich an seiner Brust auszuweinen. „Schhh, es ist alles in Ordnung.“, flüsterte er, während er sie in seinen Armen wiegte und ihr über den Kopf streichelte.
 

„Möchtest du reden?“, fragte er vorsichtig, als sie sich wieder beruhigt hatte und nur noch vereinzelt ein Schniefen zu hören war. Sie blickte ihn an und schüttelte den Kopf. Er setzte ein besonders sanftes Lächeln auf und küsste sie erst auf die Stirn, dann wischte er mit dem Daumen vorsichtig die Spuren ihrer Tränen von ihren Wangen.

„Mal ganz im Ernst: selbst so verheult bist du wunderschön. Mach dir keine Sorgen, Louarra.“

„Ich werd's versuchen.“ Wieder ein Schniefen. „Nur bitte, gib mir die Zeit, die ich brauche.“

„Das verspreche ich. Und wenn du reden möchtest, ich habe immer Zeit für dich, in Ordnung?“

Mit einem weiteren Schniefen nickte sie erneut und lehnte sich an ihn, die Beine über seinen Schoß geschwungen.

„Weißt du...“, begann sie plötzlich, „Ich war bisher nur einmal verliebt. Er war damals in meiner Klasse. Irgendwie muss er meine beste Freundin damals dazu gebracht haben, mit ihm über meine Gefühle zu reden. Heraus kam, dass wir eine Woche später ein Paar waren.“

Er saß leicht verkrampft da und wartete ab, was jetzt noch kam.

„Ungefähr ein halbes Jahr, nachdem wir zusammen gekommen waren, wollte ich ihm meine Liebe beweisen und mit ihm schlafen, sozusagen als Geburtstagsgeschenk.“

„Und was war dann? Du klingst, als hätte er dich tief verletzt.“, schloss er und strich ihr über den Rücken.

„Wie verletzt ist man, wenn man den Mann, den man liebt, beim Sex mit der besten Freundin erwischt?“ Er schloss sie fester in die Arme.

„Deswegen brauche ich Zeit. Das verstehst du doch sicher, oder?“

„Ja. Und ich schwöre dir, du bekommst Zeit, so viel du willst. Aber jetzt musst du erst einmal schlafen.“ Lächelnd hob er sie in ihre Hälfte des Betts und deckte sie zu, dann krabbelte er seine Decke.

„Kann ich dich noch um etwas bitten?“, fragte sie müde.

„Sicher, was ist denn?“

„Halt mich fest.“ Er hielt ihr die Arme auf und schloss sie um sie, als sie sich an ihn schmiegte.
 

„Du siehst aus, als hättest du dir die gesamte Nacht um die Ohren geschlagen.“, lachte Mourndra, als er am nächsten Morgen in die Küche kam und ihr beim Frühstück Gesellschaft leistete.

Mürrisch brummend nahm er sich eine Tasse und bediente sich an dem Kaffee, der inzwischen fast kalt war.

Belustigt beobachtete sie ihn dabei, wie er erst einen Schluck nahm, dann das Gesicht verzog und schließlich mehrere Löffel Zucker und einen Schuss Milch in die Tasse rührte.

„Hab ich auch beinahe.“

„Oh, dann leg dich wieder hin, ich mach das schon!“, bot sie an, als er klirrend das Geschirr zusammenstellte und es zur Spüle tragen wollte. Grummelnd verzog er sich ins Schlafzimmer und als sie sich wenige Minuten später auf den Weg zur Arbeit machte und noch einmal nach ihm sah, war er schon eingeschlafen.

Am Abend kam ihr beim Öffnen der Wohnungstür ein merkwürdiger Geruch entgegen, der zweifelsfrei aus der Küche kam.

Sie schlich sich hinter ihn und tippte an seinen Arm.

„Was machst du denn da? Kochen?“

„Ich versuche es zumindest.“

„Aha. Und was wird das?“

„Weiß ich nicht.“

„Wie, du weißt es nicht? Oh!“ Sie bestaunte das Chaos, das am Herd herrschte. Dann fiel ihr Blick auf den Inhalt des Topfs, in dem er gerade rührte. Bei dessen näherer Betrachtung musste sie feststellen, dass die Farbe, die Drisaonars Gericht hatte, recht seltsam anmutete.

„Darf ich das mal probieren?“

„Sicher.“

Sie nahm sich einen Löffel und entnahm damit ein kleines Bisschen vom Inhalt des Topfs. Erstaunlicher Weise schmeckte es nicht einmal schlecht, lediglich etwas Salz und einige Gewürze fehlten.

Sie wies ihn darauf hin und zeigte ihm, wo die Gewürze zu finden waren, dann ließ sie ihm freie Hand, was das Würzen anging, passte jedoch auf, dass er das Essen nicht versalzte.

„Und das hast du wirklich selbst gekocht?“, fragte sie nachdem der Topf leer war und gerade auf den Abwasch wartete.

„Ja, warum?“

„Ich hätte nicht erwartet, dass man aus den Sachen, die noch da waren etwas so leckeres machen könnte. Aber morgen müssen wir wieder einkaufen.“

„Hmm...diesmal halte ich mich auch zurück, wenn wir an Probestücken von irgendetwas vorbei kommen.“

„Na, das will ich auch hoffen.“
 

Gesagt, getan. Als sie am nächsten Morgen in den Supermarkt kamen, warf die Kassiererin ihr belustigte Blicke zu, doch schon nach einer halben Stunde kamen die beiden mit einer Menge an Lebensmitteln zur Kasse, die sich bequem in zwei Tüten packen ließen. Langsam wurde es Sommer und da es in Feuerland ohnehin schon um einige Grad wärmer war als auf der restlichen Insel, gerieten die beiden schon ins Schwitzen, kaum dass sie den Supermarkt verlassen hatten.

„Sag mal, Drisaonar?“

„Ja, was denn?“

„Hast du schon einmal Eis gegessen?“

„Eis? Du meinst gefrorenes Wasser? Im Sommer?!“

„Das Eis, das ich meine, besteht nicht aus gefrorenem Wasser sondern aus Milch und Früchten.“

„Wenn das so ist, habe ich es noch nicht kennen gelernt.“

„Warte kurz hier!“, sagte sie lächelnd, drückte ihm die Einkaufstüte, die sie bis dahin getragen hatte in die Hand und ging zu einem Stand in der Nähe.

Als sie zurückkam, nahm sie ihm die Tüte wieder ab und gab ihm stattdessen eine Eiswaffel mit zwei Kugeln Milcheis.

„Ich hoffe, du magst es.“

„Und wie isst man das?“

„Normalerweise leckt man Eis, aber bei der Hitze würde das zu lange dauern, versuch daher, deine eigene Methode zu finden.“

Lachend über seine Versuche, das Eis möglichst verlustfrei zu verspeisen, machten sie sich auf den Weg zurück zur Wohnung.

„Hast du noch dreckige Sachen, die gewaschen werden müssen?“

„Du willst Wäsche waschen? Ist das nicht sehr viel Arbeit?“

„Früher vielleicht, heutzutage gibt es Maschinen, die einem diese Arbeit abnehmen.“

„Wirklich? Das muss ich sehen. Wo ist denn die Maschine?“

„Im Bad. Wenn du schmutzige Wäsche hast, bring sie bitte gleich mit.“

Fasziniert bestaunte Drisaonar die Waschmaschine. Nachdem sie ihm gezeigt hatte, wie man die Tür öffnete, und ihn die Sachen hineinlegen hatte lassen, zeigte sie ihm, wie man die Maschine einstellen musste, was Waschmittel und Weichspüler waren und wo man diese einfüllte.

Dann stellte sie die Waschmaschine an und ging ins Wohnzimmer, wo sie den Fernseher einschaltete und erst die Nachrichten und dann einen Krimi ansah.

Sich wundernd, dass Drisaonar nicht wie gewohnt zu ihr aufs Sofa kam, wenn ein Krimi lief, machte sie sich auf die Suche und fand ihn schließlich im Schneidersitz vor der Waschmaschine sitzend, wo er genau beobachtete, was sich darin abspielte.

„Was machst du denn da?“ Sie hielt sich vor Lachen den Bauch.

„Ich finde das halt interessant, darf ich nicht?!“

„Doch, sicher. Entschuldige bitte, aber wird dir nicht langweilig? Da passiert doch immer nur das Selbe.“

Mit einem gurgelnden Geräusch beendete die Maschine ihr Programm und Drisaonar beobachtete Mourndra aufmerksam dabei, wie sie sie nasse Wäsche auf einen Wäscheständer hängte, den sie in die Badewanne stellte.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Eine weitere Woche verging, bis eine Erinnerung von Sarah mit der Post kam.

Sie schrieb, dass sie sich freuen würde, Mourndra bei dem Probeessen, welches in einer Woche stattfinden würde, in männlicher Begleitung zu sehen, dies aber nicht wirklich erwartete, vorsichtshalber aber trotzdem zwei Plätze reserviert zu haben, denn man wisse ja nie. Außerdem könnte Mourndra so endlich Sarahs beste Freundin kennen lernen, welche sie ihr schon seit einem halben Jahr vorstellen wollte.

Grinsend steckte sie den Brief zurück in den Umschlag und schüttelte den Kopf. Sarah und ihre beste Freundin. Na das konnte ja was werden.
 

Lächelnd zog Mourndra Drisaonar noch am selben Nachmittag in eine Herrenboutique und schilderte dem Verkäufer ihr Anliegen. Dieser bat Drisaonar, ihm zu folgen und schon kurz danach standen Mourndra und Drisaonar drei edel anmutende Anzüge zur Auswahl, zwischen denen sie sich jetzt nur noch zu entscheiden brauchten.

Mourndra ließ das Preisargument für sich sprechen, ließ sich jedoch von Drisaonar dazu überreden, noch einen zweiten Anzug mitzunehmen, sollte der erste zum Probeessen verschmutzt sein.

Mit einem Seufzen kapitulierte sie und zahlte die recht saftigen Preise für die zwei Anzüge.

„Wenn du mit den Anzügen nicht ordentlich umgehst, mache ich dir die Hölle heiß, Illiam!“, drohte sie und erinnerte ihn noch einmal an das kleine Vermögen, welches die beiden Anzüge gekostet hatten.

„Ich gehe damit schon vorsichtig um, keine Sorge.“, antwortete er und streifte ihre Lippen mit seinen.
 

„Mourni!“ Sarah rannte auf sie zu und stolperte über den Saum ihres bodenlangen Kleides. Drisaonar reagierte schnell und fing sie auf, noch bevor sie wirklich zu fallen begonnen hatte.

„D-Danke!“, stotterte sie, glättete ihr Kleid und warf ihm einen fast schon ehrfürchtigen Blick zu, der Erstaunen wich, als Drisaonar Mourndra einen flüchtigen Kuss gab. Mourndra selbst trug ein elegantes, bodenlanges Sommerkleid, das die Farbe ihrer Augen zur Geltung brachte, wie Drisaonar ihr versichert hatte.

„Mourni, ist das etwa deine Begleitung?“, fragte sie mit noch größerem Erstaunen, als auch schon das wütende Keifen ihrer Mutter erklang.

„Mourndra, was macht er denn hier?! Ich dachte, ich hätte dir verboten, ihn mit hierher zu bringen!“, keifte sie und starrte ihre Tochter wütend an.

„Mutter, ich habe dir schon gesagt: ich bin alt genug um selbst zu entscheiden, wer mich zum Probeessen für die Hochzeit meiner Cousine begleitet. Da hast du nicht das Geringste zu entscheiden, also halt gefälligst deinen Mund!“

„Tante Sophia, Mourndra hat recht. Es ist das Probeessen zu meiner Hochzeit, also wären die einzigen, die jemandem den Zutritt hier verwehren könnten ich oder mein Zukünftiger. Ach, wo wir gerade davon sprechen, wo ist Jonas eigentlich?“, meldete sich die Braut zu Wort und setzte sich in Bewegung, um nach ihrem Verlobten zu suchen.

Wenig später war Drisaonar das Gespräch beinahe aller weiblichen Anwesenden, egal ob mit oder ohne Begleitung.

Mourndras Mutter saß schmollend möglichst weit von Drisaonar entfernt am Tisch und gab keinen Laut mehr von sich.

„Also Herr...“, setzte Sarah an, als sie mit einem Glas Sekt neben den beiden an einem kleinen, abseits gelegenen Stehtisch zum stehen kam.

„Claddath.“, vervollständigte Drisaonar seinen Namen und schenkte ihr ein Lächeln.

„Seit wann wohnen sie bei Mourndra? Sie tut ja sehr geheimnisvoll, was Sie angeht.“

„Tut sie das?“

„Allerdings! Mourndra erzähl doch mal! Wie habt ihr beiden euch kennen gelernt?“

„Beim Klettern.“, antwortete Mourndra knapp.

„Und weiter?“ Sarah ließ wohl nicht locker, bis sie nicht auch das kleinste Detail aus ihr heraus gekitzelt hatte.

„Naja, das war nur ein sehr kurzer Kontakt, aber kurz darauf haben wir uns zufällig wiedergetroffen und sind ins Gespräch gekommen.“, lächelte sie Drisaonar an, welcher sich über ihre freche Lüge Sarah gegenüber wunderte, auch wenn diese nicht das geringste davon zu merken schien.

„Aha?“, hakte sie nach, unterbrach sich dann jedoch selbst mit einem fröhlichen Quietschen, als drei junge Frauen in eleganten, aber identischen Kleidern den Raum betraten und stürmte den Neuankömmlingen entgegen, die Sarah ebenfalls mit einem Quietschen begrüßten.

Kurz darauf standen Sarah und die drei jungen Frauen bei Mourndra und Drisaonar und wurden vorgestellt.

„Mourndra, das hier sind Baezyne, meine beste Freundin, Quardia, Baezynes ältere Schwester, und Shyntiira, die jüngere Schwester der beiden.“, erklärte Sarah und deutete nacheinander auf die drei jungen Frauen. Baezyne und Shyntiira waren im Gegensatz zu Quardia stark gebräunt, während Baezyne und Quardia ihr langes, rabenschwarzes Haar gemeinsam hatten. Shyntiira hob sich durch ihre sandfarbene Löwenmähne deutlich von den anderen beiden ab, während Quardia sich offensichtlich nur selten direktem Sonnenlicht aussetzte, wie ihre recht blase Haut vermuten ließ.

Dann stellte Sarah Drisaonar vor und die drei Neuankömmlinge reichten Mourndra und ihrem Gefährten dem Alter nach, angefangen bei der jüngsten, die Hände.

Auch hier zeigten sich deutliche Unterschiede in den Charakteren der Schwestern: Während Shyntiira Mourndra und Drisaonar sehr stürmisch die Hand schüttelte, verhielten sich Baezyne und Quardia reifer und überlegter, wobei bei Quardia der Eindruck entstand, als wäre sie vorsichtiger, als die anderen beiden.

Als Quardia Drisaonars Hand ergriff, um diese zaghaft zu schütteln, zuckte sie kurz zurück, als hätte sie einen Stromschlag bekommen, ließ sich dann jedoch nichts weiter anmerken. Zu Mourndras Verwunderung verließen die drei Schwestern den ruhigen Winkel, den Mourndra und Drisaonar sich gesucht hatten recht zügig, und spalteten sich dann auf. Shyntiira stürzte sich in das Getümmel der Gäste, während Baezyne sich im Vorbeigehen ein Glas Sekt vom Tablett eines Kellners nahm. Quardia ging derweil zum Tisch und vertiefte sich mit Mourndras Mutter in ein Gespräch, warf Drisaonar aber wiederholt forschende Blicke zu, die ihm einen Schauer über den Rücken zu jagen schienen.

„Illiam? Ist alles in Ordnung? Du machst einen seltsamen Eindruck.“, fragte Mourndra, als ihr sein Verhalten merkwürdig vorkam.

„Ich weiß auch nicht, warum, aber ich glaube, diese Quardia weiß, was ich bin.“, antwortete er nach einigem Zögern und Mourndra warf besagter Person einen forschenden Blick zu.

„Bist du sicher?“

„Ja. Als wir uns vorhin die Hände gereicht haben, ist sie bei dem ersten Hautkontakt zurück gezuckt, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen. Außerdem redet sie mit deiner Mutter, das kann auch nicht unbedingt gut sein.“

„Hmm, fragen wir sie doch einfach, was sie von dir hält.“, schlug Mourndra vor und setzte sich in Bewegung.

Nervös folgte Drisaonar ihr.
 

„Entschuldige bitte, Mutter, aber wir müssen deine Gesprächspartnerin dringend etwas fragen. Könnten wir Sie kurz entführen?“, fragte sie Quardia und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen.

„Sicher.“, meinte Quardia fasste Mourndras Hand und folgte ihr und Drisaonar in eine ruhige Ecke des Saals.

„Was ist denn jetzt so dringend?“, fragte sie neugierig, und schien abzuwarten, was Mourndra und Drisaonar von ihr wollten.

„Quardia – ich darf Sie doch so nennen, oder?“, begann Mourndra und fuhr auf ein Nicken hin fort: „Ist Ihnen irgendetwas seltsames an meinem Begleiter aufgefallen? Sie machen den Eindruck, als wüssten sie etwas.“

„Ich weiß um seine Herkunft. Und es freut mich zu sehen, dass wir endlich unsere Aufgabe erfüllen können.“, antwortete Quardia prompt.

„Welche Aufgabe? Wovon sprechen Sie? Und wer ist 'Wir'?“, schoss Drisaonar los.

„Wir sind die Schwesternschaft des Verborgenen und sind von den alten Weisen dazu berufen, die Drachen vor den Menschen zu schützen und sie, wenn nötig, zu erhalten. Dafür ist uns ein äu0erst langes Leben gegeben.“ Quardia verbeugte sich vor Drisaonar.

„Sie gehören zu der Schwesternschaft?“, fragte dieser erstaunt nach.

„Ja. Ich und meine Schwestern sind allerdings die letzten. Alle anderen sind schon längst gestorben oder haben die Schwesternschaft verlassen und dafür ihre Langlebigkeit eingebüßt.“, erklärte Quardia ruhig.

Plötzlich trat Shyntiira zu der kleinen Gruppe und fiel Quardia um den Hals.

„Shyntiira!“, ermahnte Quardia ihre Schwester, „Ich kann das nicht glauben! Wir sind noch keine Stunde hier und du bist schon betrunken!“

„Aber der Sekt ist so gut!“, nuschelte die Betrunkene und warf sich ihrer anderen Schwester an den Hals, welche ihrer betrunkenen Schwester gefolgt war.

„Baezyne, hatte ich dir nicht gesagt, dass du aufpassen sollst, dass sie nicht so viel trinkt?“, versetzte Quardia prompt.

„Entschuldige bitte, aber sie war so schnell im Getümmel verschwunden, dass ich sie aus den Augen verloren habe.“, entschuldigte sich Baezyne kleinlaut.

„Na, jetzt ist es so oder so zu spät. Shyntiira, du rührst heute keinen Tropfen Alkohol mehr an. Ich will nicht wieder hinter dir her putzen müssen.“, befahl Quardia ihrer Schwester, „Außerdem muss ich euch etwas wichtiges erzählen, wo ihr schon einmal hier seid.“

„Was ist denn los?“, fragte Baezyne und hielt Shyntiira fest, welche sich wieder ins Getümmel stürzen wollte, und sich lauthals darüber beklagte, dass sie festgehalten wurde.

„Vor uns steht der letzte Drache.“

Mit einem Mal verstummte Shyntiira und grinste Drisaonar süffisant an.

Auch über Baezynes Gesicht huschte ein kokettes Lächeln.

„Meine Damen, ich möchte ihnen mit offenen Karten gegenübertreten: Ich bin bereits erwählt.“, erklärte der Drache und das Lächeln erstarb augenblicklich.

„Wer?“, fragten die drei Schwestern wie aus einem Munde und starrten ihn fast schon erschrocken an.

„Ich.“, meldete sich Mourndra zu Wort und trat näher an Drisaonar heran.

„Aber sie ist eine Geliebte, keine Gefährtin! Noch dazu ein Mensch!“ Baezyne kreischte beinahe.

„Mir ist der Unterschied sehr wohl bekannt, Baezyne. Und ich werde mich sicher nicht verhalten, wie eine Geliebte. So bin ich einfach nicht erzogen!“, versetzte Mourndra sofort und lehnte sich an die Brust ihres Drachen.

„Außerdem bin ich nicht der letzte Drache. Der letzte auf dieser Insel vielleicht, aber in der alten Welt haben einige Drachen überlebt.“, ergänzte Drisaonar und legte seine Arme um Mourndras Schultern.

Quardia schnappte nach Luft. „In der alten Welt? Aber wie?“

„Ich weiß es auch nicht, aber die alten Weisen werden schon wissen, wovon sie reden. In der alten Welt leben auch noch einige Menschen.“, erklärte Drisaonar und Mourndra senkte den Blick.

„Und mein Vater terrorisiert diese Menschen und verlangt Menschenopfer, mit denen die Menschen angeblich die alten Götter besänftigen können.“

Schweigen senkte sich über die Runde.

„Ihr Vater?“

„Ja. Ich bin ein Halbblut.“

„Bei den Göttern. Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte sie nicht beleidigen.“ Baezyne verbeugte sich vor Mourndra.

„Ist schon in Ordnung. Ich weiß es selbst erst seit kurzem.“

„Aber Ihre Mutter...“, begann Quardia.

„...sitzt dort drüben am Tisch, hat Mourndra seit ihrer Geburt erzählt, ihr Vater sei schon vor ihrer Geburt gestorben, ihr ihre wahre Herkunft verheimlicht und ist sich keiner Schuld bewusst.“, grollte Drisaonar und Quardia stemmte die Fäuste in die Hüften.

„Mir gegenüber hat sie auch nichts erwähnt, dabei weiß sie von der Schwesternschaft. Immerhin war sie selbst einmal ein Mitglied der Schwestern.“

„Meine Mutter war eine von euch?“

„Ja. Eines Tages lernte sie einen Drachen kennen und verließ kurz darauf unseren Orden, um mit diesem Drachen zu leben.“

„Und dieser Drache war...nein, ist mein Vater?“

„So sieht es aus. Ihr Gesicht ähnelt seinem menschlichen jedenfalls sehr stark.“

Wieder breitete sich Schweigen aus.

Plötzlich machte Mourndra sich von Drisaonar los und ging auf ihre Mutter zu.

„Mutter, was willst du mir eigentlich noch verschweigen?! Meinst du nicht, dass es genug ist, deiner eigenen Tochter jahrelang vorzumachen, sie habe keinen Vater mehr, um ihr dann zu verbieten mit einem Drachen zusammen zu sein, wo du doch selbst einem Orden angehört hast, der sich die Erhaltung der Drachen zur Aufgabe gemacht hat?!“, zischte sie ihre Mutter leise an und wurde von Drisaonar zurückgehalten, als sie ausholte um ihrer Mutter ins Gesicht zu schlagen.

„Mourndra, hör auf! Das ist es nicht wert!“, sagte er ihr leise und blickte Mourndras Mutter wütend an, während Quardia und ihre Schwestern zu ihnen traten und Sophia ebenfalls wütend anstarrten.

„Und ob es das wert wäre, aber du hast recht. Was passiert ist, ist passiert.“, sagte sie leise und holte tief Luft, „Mutter, das verzeihe ich dir nie. Wegen dir ist mein Leben eine einzige Lüge gewesen, ich kann also froh sein, dass ich Drisaonar getroffen habe, sonst würdest du mich wahrscheinlich immer weiter belügen. Wenn es dir irgendwann aufrichtig leid tun sollte, bist du bei mir wieder willkommen, bis dahin halte dich bitte bis auf weiteres aus meinem Leben raus.“

„Mourndra...“ Ihre Mutter blickte sie erschrocken an, schwieg aber.

„Sprich nicht mit mir, es sei denn, es täte dir aufrichtig leid. Aber so wie ich dich kenne tut es das sowieso nicht.“, wehrte Mourndra entschlossen ab und entfernte sich wieder.

„Das ist allein deine Schuld, Drache! Du hast ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt, nicht wahr?! Ich wünschte, du wärest nie geboren worden, dann wäre das alles nie passiert!“, fauchte Sophia unvermittelt Drisaonar an.

„Sophia! Wenn du wirklich so denkst, tust du mir leid!“, fuhr Quardia ihr dazwischen. „Eben! Du warst es, die ihre Tochter seit ihrer Geburt belogen hat.“, bekräftigte Baezyne und setzte Shyntiira auf einen Stuhl in der Nähe, wo sie sie im Auge behalten konnte.

„Wenn Mourndra jetzt nichts mehr von ihr wissen willst, ist das keinesfalls Drisaonars Schuld. Die Einzige, die die Schuld daran trägt, bist du selbst, weil du es warst, die es scheinbar für nötig hielt, Mourndras Leben zu einer einzigen Lüge zu machen. Liegt es an Zebeydax? Ist er der Grund dafür? Sophia, du hast unseren Orden für diesen Drachen verlassen, hast ihm dein gesamtes Leben gewidmet, weil du fest an das Gute in den Drachen geglaubt hast, wie es uns im Orden gelehrt wurde. Du hast ihn geliebt! Und nur, weil er deine Gefühle verraten hat, sind jetzt automatisch alle Drachen so? Merkst du nicht, dass du dich mehr als nur ungerecht deiner eigenen Tochter gegenüber verhältst?“ Quardia redete sanft aber bestimmt auf Sophia ein.

„Vielleicht ist es ungerecht, aber ich werde doch wohl meine Tochter vor einem Fehler bewahren dürfen!“, regte diese sich auf.

„Mourndra ist alt genug um ihre eigenen Fehler zu machen. Akzeptiere das, oder du wirst sie als Tochter verlieren.“, versetzte Baezyne.

„Weißt du, gegen Liebe kann man nichts ausrichten. Das weißt du doch selbst am besten. Sonst wärst du nicht so sauer auf deinen Drachen, Sophia“, meldete sich Shyntiira säuselnd zu Wort und erntete prompt wütende Blicke von ihren Schwestern.

Sophia erstarrte. Kurz darauf setzte sie zum Sprechen an, brachte aber keinen Ton heraus.

„Entschuldige bitte die Formulierung, aber Shyntiira hat recht. Wenn du Zebeydax nicht immer noch lieben würdest, wärest du nicht so erpicht darauf, Mourndra und Drisaonar zu trennen. Wobei das sowieso nicht mehr gehen würde.“, versuchte Baezyne, Sophia zu besänftigen, diese kreischte jedoch beinahe: „Was?! Wieso geht das nicht mehr?“

Mit einem Seufzen meldete sich Drisaonar zu Wort.

„Das geht nicht, weil wir uns lieben, und weil Mourndra mich erwählt hat.“

„Sie hat was?!“

„Sie haben mich schon richtig verstanden, Sophia. Ich denke, Ihnen ist klar, dass Sie Mourndra nur noch weiter von sich fort treiben werden, wenn sie nicht endlich akzeptieren, dass sie ihr eigenes Leben hat, in dem sie ihre Mutter nicht mehr fragen muss, ob sie mit jemandem zusammen sein darf oder nicht. Wenn Sie ihre Tochter nicht verlieren möchten, sollten Sie endlich begreifen, dass Sie sie nicht hätten belügen dürfen und sich aufrichtig für ihren Fehler entschuldigen.“

Sophia schwieg weiter, rannte aber immerhin nicht davon.

„Darf ich Ihnen ein Angebot machen?“, begann Drisaonar vorsichtig und fuhr fort, als sie ihn ansah, „Lassen Sie Mourndra selbst darüber entscheiden, mit wem sie zusammen sein möchte. Sollte ich mich allerdings nicht als derjenige herausstellen, der Mourndra glücklich machen kann, können Sie mit mir einen Tag lang anstellen, was sie wollen, ohne dass ich mich wehre. Das Verspreche ich feierlich, und die ehrwürdigen Schwestern des Verborgenen können es jederzeit bezeugen und durchsetzen. Klingt das fair?“ Er wartete ab, bis Sophia zaghaft nickte und reichte ihr dann die Hand. „Frieden fürs erste?“

Zögerlich hob Sophia die Hand und fasste schließlich nach die seinen.

„Wo ist meine Tochter? Ich glaube, ich muss mich unbedingt bei ihr entschuldigen.“

Wenig später sanken sich Mourndra und Sophia weinend in die Arme.

„Mourndra, es tut mir leid. Keine Lügen mehr. Ein Glück, dass ich dir nicht noch mehr verschwiegen habe... Dein... Gefährte gefällt mir zwar nicht, aber er hat mir ein Angebot gemacht, das ich so nicht ablehnen kann.“

„Angebot? Worum ging es?“ Mourndra horchte auf.

„Er hat mir vor den Schwestern geschworen, dass ich ihm einen vollen Tag lang antun kann, was ich will, sollte er es wagen, dich unglücklich zu machen. Klang fair, auch wenn ein Tag wahrscheinlich nicht reichen wird, um es ihm zu vergelten, wenn du auch nur eine Sekunde lang unglücklich wirst.“

„Ach, Mutter!“ Mourndra fiel ihrer Mutter um den Hals. „Darf ich das als Erlaubnis auffassen?“

„Wenn du es so nennen willst.“, seufzte Sophia und ergriff Mourndras Hand, um sie zurück zum Tisch zu ziehen. Mourndra jedoch hielt sie noch zurück.

„Keine Lügen mehr, und auch keine Geheimnisse, in Ordnung?“

Mit einem Nicken wandte sich Sophia wieder um, doch Mourndra hielt sie noch immer zurück.

„Mutter, ich habe Drisaonar erwählt.“

„Weiß ich.“

„Woher..?“, sie seufzte, „Shyntiira?“

„Genau.“ Seufzend wandte sich Sophia zu Mourndra um. „Ich bin zwar nicht unbedingt einverstanden damit, aber ich habe mir gerade anhören müssen, dass ich dir gegenüber unfair bin, wenn ich versuche, dich vor Fehlern zu bewahren. Ich hoffe wirklich für deinen Drachen, dass er dich glücklich macht und auf dich Acht gibt, sonst ergeht es ihm wirklich schlecht.“, versicherte Sophia mit drohend erhobenem Zeigefinger. „Und jetzt komm, das Essen wird sicher gleich aufgetragen.“

„Vielen Dank, dass ihr da wart. Denkt daran, die Hochzeit ist in zwei Wochen.“, verabschiedeten Sarah und ihr Verlobter die Gäste.

Als nur noch Mourndra, Drisaonar, Sophia und die drei Schwestern der Schwesternschaft anwesend waren, lud Sarah sie alle dazu ein, noch mit zu ihr zu kommen. Die drei Schwestern lehnten höflich ab, Sophia gab vor, sich nicht ganz wohl zu fühlen und Mourndra gähnte herzhaft.

„Hmm, na gut, dann eben nicht. Aber Mourni, Vor der Hochzeit muss ich nochmal bei dir vorbeikommen. Ich würde deinen Freund gerne noch etwas näher kennen lernen.“

„Gern“, antwortete Drisaonar für Mourndra, „Aber erstmal bringe ich Mourndra jetzt ins Bett. Sie sehen ja, dass sie schon im Stehen einschläft.“

„Ist gut. Ich melde mich dann bei dir, Mourni!“

„Okay, Sarah. Bis dann.“, verabschiedete sich Mourndra von ihrer Cousine und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Bis dann.“
 

Als Mourndra und Drisaonar wenig später ihre Wohnung betraten, zog Drisaonar sich auf der Stelle die Krawatte vom Hals, die ihm schon den ganzen Abend genervt hatte. Das Jackett und das Hemd folgten sofort und landeten auf dem Boden, während Drisaonar Mourndra stürmisch küsste.

„Huch, was ist denn jetzt los?“, fragte diese keuchend, als er von ihr abließ.

„Ich hab dich einen ganzen Abend nicht richtig küssen können, das würde ich jetzt gerne nachholen!“ Mit einem Grinsen hob er sie auf die Arme und wollte sie ins Schlafzimmer tragen.

Noch bevor er jedoch die Wohnzimmertür erreicht hatte, hatte sie sich wieder von seinen Armen gekämpft und lockte ihn nun zum Sofa.

Während er auf sie zukam, betrachtete sie seinen Körper: Noch immer waren seine Muskeln gut ausgebildet, und seine leichte Bräune wirkte noch immer verführerisch exotisch. Die Narben, die er von seinen schweren Verletzungen zurückbehalten hatten, bildeten ein verworrenes Muster auf seinem gesamten Oberkörper, das geradezu danach schrie, dass sie es mit ihren Fingerspitzen nachfuhr. Jetzt hatte er sie erreicht und küsste sie wieder, diesmal aber deutlich sanfter.

Das Gefühl seiner Lippen auf ihren war unbeschreiblich für sie.

Zärtlich knabberte er an ihrer Unterlippe und fasste nach dem Reißverschluss ihres Kleids. Bevor er es jedoch öffnen konnte, drückte sie ihn zurück. Als er nun auf dem Rücken lag und sie mit einem zufriedenen Grollen betrachtete, küsste sie sanft jede seiner Narben.

„Imdra...“, stöhnte er leise, als wolle er um Gnade flehen.

Seine unausgesprochene Bitte ignorierend, fuhr sie nun mit der Zungenspitze über die schlimmsten Narben und merkte, wie sich langsam aber sicher eine steinharte Erektion an ihre Brust drückte.

„Oh, entschuldigt, ich wollte nicht stören“, vernahm Mourndra plötzlich die Stimme von Amalafay und fuhr herum.

„Mutter! Ich würde jetzt ja fragen, ob du schon einmal davon gehört hast, dass man an die Tür klopft, bevor man einen Raum betritt, aber das gilt für Geister wohl kaum, nicht wahr?“ Drisaonar zog Mourndra auf seinen Schoß um seine Erektion zu verbergen.

„Ich entschuldige mich nochmals.“, lächelte der Geist schuldbewusst, setzte dann aber einen ernsten Ausdruck auf. „Ich habe mit den alten Weisen gesprochen und wir sind zu einem Ergebnis gekommen.“, verlautete Amalafay und kam näher an die beiden Lebenden heran.

„Was müssen wir tun um meinen Vater aufzuhalten?“, fragte Mourndra sofort und sah dem Geist erwartungsvoll entgegen.

„Die alten Weisen sind zu dem Schluss gekommen, dass zunächst deine Drachenhälfte erweckt werden muss, Mourndra. Dazu müsst ihr die Elementarschreine auf dieser Insel ausfindig machen und dort dann das jeweilige Element anrufen, dir seine Kraft zu verleihen.“, erklärte Amalafay und verstummte.

„Wo finden wir diese Schreine?“, fragte Drisaonar ruhig und zog Mourndra näher an sich.

„Die Schreine befinden sich dort, wo die Konzentration des jeweiligen Elements am stärksten ist, mehr kann ich euch nicht sagen. Ich habe sie selbst nie gesehen, geschweige denn in Erfahrung bringen können, wo sie sich befinden.“

„Wo die Elemente am stärksten konzentriert sind? Ich glaube, ich weiß, wo wir den Altar des Feuers finden.“, schoss Mourndra plötzlich los.

„Ja? Wo denn?“, fragten Drisaonar und Amalafay wie aus einem Munde.

„Überlegt doch einmal: Vulkane werden als Feuerberge bezeichnet. In ihrem Inneren brodelt kochend heiße Lava vor sich hin. Es liegt also nichts näher als ein Vulkan, um den Altar des Feuers zu verstecken.“, erklärte sie.

„Stimmt. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?“, murmelte Amalafay vor sich hin, „Aber ich muss euch warnen: Wenn ihr einen Vulkan betretet, kann es sein, dass ihr nicht mehr lebend heraus kommt.“

„Das wissen wir, Mutter. Deswegen werden wir uns auch sorgsam vorbereiten, nicht wahr, Louarra?“ Mit einem Nocken bestätigte Mourndra Drisaonars Plan, fügte aber noch eilig hinzu: „Aber erst nach Sarahs Hochzeit! Sie hat mir so lange von ihrem Brautkleid vorgeschwärmt, dass ich es jetzt unbedingt sehen will!“

„In Ordnung. Aber bis dahin können wir ja schon einmal einige Vorbereitungen treffen, nicht wahr?“, meinte Drisaonar zwinkernd und Mourndra nickte.

„Gut, dann lasse ich euch jetzt allein. Und wegen deinem Vater sage ich noch einmal bescheid. Entschuldigt bitte noch einmal die Störung.“, verabschiedete sich Amalafay dann und verschwand. Mourndra wandte Drisaonar den Kopf zu und strich ihm mit den Fingerspitzen über die Brust. Leise grollend schloss er die Augen.

„Was meinst du?“, hauchte sie daraufhin, „Machen wir weiter, wo wir unterbrochen wurden oder gehen wir lieber schlafen?“

„Ich wäre dafür, weiterzumachen“, gähnte er, „Aber deine Cousine hat mich einiges an Kraft gekostet.“

„Oh, verstehe. Dann gehen wir also schlafen?“

„Ich fürchte, da hast du recht.“
 

Am nächsten Morgen saß Mourndra im Wohnzimmer und hatte einen Notizblock auf dem Schoß. „Also ich habe jetzt Brandsalbe, Verbandszeug, Essen, Getränke und Rucksäcke. Sonst noch was?“

Drisaonar überlegte, während er in dem recht kleinen Raum auf und ab lief.

Drei Schritte lang schwieg er, dann setzte er zum Sprechen an, verstummte wieder und machte kehrt. Weitere drei Schritte später wandte er sich zu Mourndra um.

„Wir brauchen irgendetwas gegen die Hitze. In einem Vulkan herrschen extrem heiße Temperaturen.“

„Ja, da hast du recht.“, meinte sie und schrieb Hitzeschutz auf die Liste.

„Aber was könnten wir da nehmen?“, fragte Drisaonar mehr sich selbst.

„Es gibt viele Berufe, die mit Hitze zu tun haben, vielleicht bekommen wir in einem Geschäft für Berufskleidung etwas.“

„Einen Versuch ist es wert.“
 

Gesagt, getan. Während Mourndra im Branchenverzeichnis des Telefonbuchs nachsah, ging Drisaonar zur nächsten Apotheke und besorgte dort schon einmal Brandsalbe und Verbandszeug. Unter skeptischen Blicken des Apothekers packte er schließlich eine recht große Menge von Verbänden und 3 große Tuben Brandsalbe in die Tüte.

Zurück in der Wohnung verkündete Mourndra, dass sie ein Geschäft in der Nähe gefunden habe, welches die beiden auch sofort aufsuchten. Nachdem sie dem Angestellten beschrieben hatten, was sie benötigten, überlegte dieser kurz.

„Nun, ich denke, Schutzkleidung für Feuerwehrleute würde Ihnen am ehesten helfen.“, sagte er schließlich und bedeutete den beiden, ihm zu folgen.

Im hintersten Teil des Geschäfts suchte er den beiden Einige Stücke heraus, die ihm passend erschienen und gab sie ihnen. Wenig später verließen Mourndra und Drisaonar das Geschäft, beladen mit Kleidung für jeden.

Nachdem die Sachen verstaut waren, machte Mourndra sich daran, einen Salat zuzubereiten. Inzwischen war es so heiß, dass selbst Drisaonar kaum einen Bissen herunter bekam. Als sie gerade eine Tomate schneiden wollte, trat Drisaonar an sie heran, nahm ihr das Messer aus der Hand, schob die Schüssel mit dem bereits geschnittenem Gemüse und das Schneidbrett beiseite. Dann hob er sie mit einer einzigen Bewegung auf die gerade freigeräumte Fläche und drängte sich zwischen ihre Beine. Sie mit einem ungezügelten Kuss ablenkend, umfasste er ihren Hintern und zog sie näher an sich heran. Währenddessen beugte er sich, sie zurücklehnend, immer weiter vor, bis sie schließlich mit einem lauten Pochen an die geflieste Wand stieß.

Erschrocken fuhr der Drache hoch und knallte dabei mit dem Hinterkopf unter einen der Hängeschränke, woraufhin er sich fluchend zurückzog und an den Küchentisch setzte, wo er sich den schmerzenden Hinterkopf hielt. Kurz darauf legte Mourndra ihm einen Eisbeutel auf den Hinterkopf, während sie selbst sich eine gekühlte Flasche Mineralwasser an den Hinterkopf hielt.

Als Mourndra Drisaonar am nächsten Morgen weckte, trieb sie ihn zur Eile an, während sie selbst sich schon in ein bodenlanges, blassgrünes Kleid gekleidet hatte.

„Mensch, Drisaonar! Wir kommen noch zu spät zur Hochzeit!“, zeterte sie, als er endlich fertig war und zog ihn hinter sich her aus dem Haus.

Wenig später kamen sie am Rathaus an, wo Sarah standesamtlich heiraten würde und im Anschluss an die standesamtliche Hochzeit würde die kirchliche Trauung erfolgen.

Während alle auf den Beginn der Zeremonie und damit auch das Erscheinen der Braut warteten, ging Mourndra zu Jonas und verwickelte ihn in ein kurzes Gespräch über die Planung für die Flitterwochen des baldigen Ehepaars.

Er wollte gerade antworten, als Shyntiira und ihre Schwestern den Raum betraten.

Shyntiira rannte sofort auf Mourndra zu und riss sie mit zu Boden, als sie stolperte.

Ein lautes Reißen erklang, als Shyntiira versuchte, sich an Mourndras Kleid festzuhalten und weiter stürzte, während Mourndra von Drisaonar aufgefangen wurde. „Ist alles in Ordnung mit dir, Louarra?“, fragte Drisaonar besorgt und half ihr dabei, wieder auf die Beine zu kommen.

„Mein Kleid!“, kreischte Mourndra erschrocken, als sie den Riss bemerkte, der sich beinahe um ihre ganze Taille zog. Der Rock des Kleids wurde nun nur noch durch einen schmalen Streifen Stoff an ihrem Bauch am Kleid gehalten.

„Shyntiira!“, ertönten gleichzeitig Baezynes und Quardias Stimmen, die auf eine deutliche Verstimmung der beiden schließen ließen.

„Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass du Leute nicht immer so stürmisch begrüßen sollst?! Jetzt ist Mourndras Kleid kaputt! Und jetzt?“, fragte Baezyne, während Quardia in ihrer Handtasche kramte. Als sie scheinbar gefunden hatte, was sie gesucht hatte, trat sie auf Mourndra zu und fasste sie bei der Hand.

„Komm kurz mit, dann kümmern wir uns darum, damit du das Kleid wenigstens heute noch tragen kannst.“, bot Quardia freundlich an und Mourndra folgte ihr zur Damentoilette. Dort angekommen zog sie einige Sicherheitsnadeln aus einem kleinen Kästchen, das sie in der freien Hand gehalten hatte und reichte Mourndra einige davon. Während Mourndra sich mit den Sicherheitsnadeln abmühte, um das Kleid möglichst unauffällig zusammenzuhalten, wühlte Quardia in ihrer Handtasche.

„Was suchst du denn?“, fragte Mourndra, als sie die letzte Sicherheitsnadel befestigt hatte. Der Riss war nun so geflickt, dass die dadurch entstehenden Falten beabsichtigt wirkten.

„Ah, hat sich schon erledigt. Du scheinst das Problem allein in den Griff bekommen zu haben. Ich habe nur noch nach Nadel und Faden gesucht.“, erklärte Quardia.

„Ach so. Vielen Dank, aber ich denke, dass man mein Kleid nicht mehr so zusammenflicken kann, dass es gut aussieht.“ Mourndra lächelte.

„Aber so sieht es doch auch gut aus!“

„Findest du?“

„Aber ja!Es steht dir jedenfalls sehr gut.“

„Hmm.“, machte Mourndra.

„Wenn du möchtest, kannst du es mir einmal geben, wenn du es eine Zeit lang nicht brauchst, dann werde ich einmal sehen, ob ich nicht doch noch etwas schönes daraus zaubern kann.“, bot Quardia an.

„Oh, das wäre sehr lieb. Wenn ich daran denke, gebe ich es dir, einverstanden?“

„Einverstanden.“
 

„Da seid ihr ja endlich!“, begrüßte Drisaonar die beiden Frauen und zog Mourndra zu ihrem Platz.

„Drisaonar, können wir später ein wenig reden?“, fragte Quardia, als die Tür zum Raum erneut geöffnet wurde und der Standesbeamte eintrat, gefolgt von Sarah in ihrem Hochzeitskleid und deren Vater.

Jonas schluckte, erhob sich, trat auf seine Braut zu und reichte ihr einen Arm. Sarah hakte sich bei ihm unter und kurz darauf war die Zeremonie in vollem Gange.

Nach mehr als zwei Stunden, in denen fast ausschließlich der Standesbeamte geredet hatte, durften Sarah und Jonas endlich die Ringe tauschen. Im Rathaus war es recht kühl gewesen und so war nicht aufgefallen, dass die Außentemperatur inzwischen so weit gestiegen war, dass es kaum noch auszuhalten war.

„Na, hoffentlich gewittert es nicht. Das wäre zwar angenehm, wegen der Temperatur, aber blöd für die Feier...“, murmelte Mourndra.

Die Hochzeitsfeier fand im Außenbereich eines recht teuren Restaurants statt.

Zwar war der Außenbereich wirklich schön, er bot aber leider keinerlei Möglichkeiten zum Unterstellen und das Innere des Restaurants war überfüllt von anderen Gästen. Scheinbar hatte der Betreiber in der Hochzeitsgesellschaft eine Gelegenheit für einen deutlich höheren Gewinn gesehen und so fand die Feier zusätzlich zum eigentlichen Betrieb statt, weswegen das Personal gestresst und den Hochzeitsgästen gegenüber recht ungeduldig und unhöflich war.

Als der Himmel sich dann auch noch mit dunklen Wolken zuzog und ein heftiges Gewitter über die Hochzeitsgesellschaft niederging, hatte Mourndra die Nase endgültig voll.

Sarah ging es offensichtlich nicht gerade anders und so erklärte sie die Feier vorzeitig für beendet, als der Regen immer stärker wurde und zudem noch Sturmböen die Tische umzuwerfen drohten.

Drisaonar, der sich bis dahin mit Quardia über die Aufgabe, die Mourndra von Amalafay erhalten hatte, unterhalten hatte, verabschiedete sich höflich und hielt Mourndra dann einen Arm entgegen.

Sie hakte sich unter, nachdem sie sich ebenfalls verabschiedet hatte und machte sich dann mit ihm zusammen auf in Richtung ihrer Wohnung.

Unterwegs konnte sie nicht mehr laufen, weil sie die hohen Absätze ihrer Schuhe nicht gewöhnt war, also zog sie die Schuhe aus und ging barfuß weiter, wodurch der Saum ihres Kleids mit Dreck bespritzt wurde, als sie lachend in eine Pfütze sprang.

Drisaonar war zunächst verdutzt, als sie ihn mit Wasser bespritzte, doch als sie ihm erklärte, sie seien sowieso schon nass, eine kleine Wasserschlacht würde also auch nichts mehr ausmachen, sprang er in die nächste Pfütze und versank bis zu den Knien darin.

Lachend half Mourndra ihm aus der Pfütze. „Da war dann wohl ein etwas tieferes Schlagloch!“, meinte sie und ging weiter.

Weit kam sie jedoch nicht, denn schon kurz darauf zog Drisaonar sie zurück, drehte sie um und verwickelte sie in einen tiefen, leidenschaftlichen Kuss.

Mourndra konnte nicht anders und genoss das Gefühl von Regen, der kühlend auf ihre Haut schlug, seine Hände auf ihrem Rücken und ihrem Po und seine Lippen auf ihren. Grinsend schlang sie ihre Arme um seinen Hals und knabberte an seiner Unterlippe, was ihn zu einem leisen Grollen verleitete.

Plötzlich ertönte ein leises Räuspern hinter ihnen.

„Entschuldigt, wir wollten nicht stören.“, erklärte Quardia und schickte sich an, ihre Schwestern zum Weitergehen zu bewegen.

„Wo ihr schon einmal hier seid...“, begann Mourndra, „... Ich hätte da eine Frage, Quardia.“ Die angesprochene drehte sich um.

„Sicher, was möchtest du wissen, Mourndra?“

„Was hat es genau mit eurer Schwesternschaft auf sich?“

„Das habe ich dir doch schon einmal erklärt, oder?“, fragte Quardia.

„Ja, hast du. Aber ich habe das Gefühl, dass das noch nicht alles gewesen ist. Gibt es da noch irgendetwas, was ich über eure Schwesternschaft wissen sollte?“

„Nun... Wie du ja weißt, haben wir die Aufgabe, die Drachen zu erhalten. Aber wir schützen sie auch.“

„Schützen? Inwiefern?“

„Wir verschleiern ihre Existenz vor Nichtwissenden, damit nicht wieder Jagd auf sie gemacht wird.“

„Und wie macht ihr das?“

„Nun... Wie soll ich das jetzt erklären...?“, überlegte Quardia.

„Sag mir bitte nicht, dass ihr Magie verwendet, um unsere Ausstrahlung zu verdecken. Ihr wisst doch, dass das verdammt schief gehen kann! Außerdem können Jäger uns durch diese Magie erst recht aufspüren!“

„Jäger?“

„Ja, Jäger. Sie sind wieder d...“ Drisaonar brach mitten im Satz ab und sank zu Boden.

„Illiam?!“ Mourndra hechtete zu ihm und drehte ihn auf den Rücken. Ein kleiner Pfeil mit einem Federbüschel am Ende ragte aus seiner Schulter.

„Betäubungspfeile.“, erklärte Baezyne und zog den Pfeil aus der Schulter des Drachen. Plötzlich sanken auch Quardia und Shyntiira in sich zusammen und Baezyne warf sich mit Mourndra zu Boden, kurz bevor ein Pfeil auch sie traf.

„Woher kommen die?!“, fragte Mourndra panisch, während Baezyne eine Kette mit zwei Stäben aus ihrer Handtasche zog.

Drisaonar kam langsam wieder zu sich und kämpfte sich auf die Beine.

Ein weiterer Pfeil verfehlte ihn knapp, doch jetzt wusste er, woher die Pfeile kamen und wankte dem Schützen entgegen.

„Warte!“, rief Baezyne und zog ihn zurück.

„Was willst du?“, grollte Drisaonar, während er sich umdrehte.

„Nimm mich mit.“

„Wenn ich dich mitnehmen soll, müsste ich meine wahre Gestalt annehmen, dann wäre eure Magie noch nutzloser als sie es ohnehin schon ist.“

„Das tut jetzt nichts zur Sache. Die Dosen des Betäubungsmittels sind auf deine menschliche Form abgestimmt, wirst du zum Drachen bist du weitaus weniger empfindlich dem Zeug gegenüber.“

„Hmm... Außerdem wären wir schneller. Na schön, gib mir einen Moment.“, willigte der Drache schließlich ein, streifte seine Kleidung ab und sank zu Boden.

„Illiam, sei bitte vorsichtig! Du auch Baezyne! Ich bleibe so lange hier und passe auf Quardia und Shyntiira auf.“, rief Mourndra ihnen hinterher.

Mit einem Winken gab Baezyne zu verstehen, dass sie verstanden hatte.

Drisaonar war bereits dabei, sich zu verwandeln, nickte jedoch, so gut es ihm möglich war und ließ schließlich Baezyne auf seinen Hals klettern, bevor er sich mit einem kräftigen Flügelschlag in die Luft erhob und auf ein Hochhaus in der Nähe zuhielt.

Mourndra brachte in der Zwischenzeit die zurückbleibenden Schwestern in die stabile Seitenlage und folgte dann mit besorgtem Blick dem Drachen, der mit Sicherheit Aufsehen erregen würde.



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