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Doktorspiele

von

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Der Minutenzeiger der schwarz umrahmten Uhr schritt kontinuierlich voran, passierte routiniert die Zwölf und verfolgte den Stundenzeiger bis es nur noch wenige Schritte zur Fünf waren. Ich rutschte unruhig von einer Pobacke auf die andere. Das Warten wurde mir zunehmend unangenehmer. Meine Nerven waren angespannt und jedes Mal wenn ich Schritte hörte, fühlte ich einen unangenehmen Stich in meiner Magengegend. Leise pfeifend stieß ich einen kleinen Schwall Luft zwischen meinen gespitzten Lippen hervor. Ich spielte mit dem Gedanken einfach aufzustehen und den Behandlungsraum zu verlassen. Noch hatte ich die Chance. Ich fühlte mich nicht krank. Nur aus Pflichtgefühl meinem Körper gegenüber ließ ich diese Routineuntersuchung machen. Doch wer ging schon gerne zum Urologen? Meine Blase drückte gewaltig und die Sekunden bis sich die Türe endlich öffnete kamen mir wie eine Ewigkeit vor.
 

Ich blickte auf einen weißen Kittel in dem ein junger Mann mit schulterlangen Locken steckte, von denen einige mit Haarklammern aufwendig festgesteckt waren. Ich runzelte die Stirn und auch mein Gegenüber wirkte weniger gefasst als man es von einem Arzt erwarten sollte. Fragend sah ich zu ihm hinauf bis er endlich die Türe ins Schloss fallen ließ und lächelnd auf mich zutrat. Ich entschloss mich dazu meinen Mund wieder zu schließen und deutete eine Verbeugung an als er sich mir gegenübersetzte.
 

„Guten Tag“, begann er bevor er auf die Unterlagen linste, die vor ihm auf dem Schreibtisch lagen, „Yamaguchi-san. Mein Name ist Kobayashi. Was kann ich für Sie tun?“
 

Ich räusperte mich leise. Mein Blick war an den weißen Zähnen hängen geblieben, die das Lächeln preisgab. Ich hatte mir einen älteren Mann mit Bartansatz vorgestellt und fühlte mich einigermaßen überrumpelt. Mein Herz schlug zu schnell in meiner Brust.
 

„Routineuntersuchung“, brachte ich hervor und war selbst überrascht wie heiser meine Stimme klang.“
 

„So.“
 

Das war alles was er dazu sagte. Seine schlanken Finger blätterten in meiner Akte.
 

„Gegenüber im Flur sind die Toiletten. Becher finden Sie ebenfalls dort. Wenn Sie fertig sind bringen Sie den Becher mit.“
 

Kein einziges Mal hatte er aufgesehen und geschäftig die Eintragungen studiert. Also stand ich auf und machte mich daran den harmlosen Teil der Untersuchung hinter mich zu bringen. Meine Wangen röteten sich als ich mit dem halbvollen Becher in der Hand vor ihm stand. Lächelnd nahm er ihn an sich und brachte ihn in das Nebenzimmer.
 

„Kommen Sie, nur nicht so schüchtern.“
 

Ich seufzte leise. Das Nebenzimmer bestand aus einer Anrichte mit einem Spülbecken, in diesem ich auch meinen Becher entdeckte und einem Bereich, der von einem Vorhang abgetrennt wurde.
 

„Sie können sich dort frei machen und dann wieder zu mir kommen.“
 

Ich nickte zum Zeichen, dass ich verstanden hatte und trat hinter den Vorhang. Dort schlüpfte ich aus meinen Schuhen und legte meine Hose und die Shorts auf einem bereitstehenden Hocker ab. Meine Knie wurden zunehmend weicher als ich den Behandlungsraum ansteuerte. Kobayashi-sensei saß auf dem kleinen Stuhl neben dem Ultraschallgerät und bat mich sich vor ihn zu stellen. Er lächelte mich beruhigend an. Mir fielen seine großen Augen auf, die für einen Japaner doch eher selten waren und das rotbraune Haar, das mit ziemlicher Sicherheit getönt war. Seine Hände zierten sterile Handschuhe. Ich schluckte trocken als er damit begann mein bestes Stück zu untersuchen. Nach einem kurzen Augenblick war ich jedoch angenehm überrascht. Es fühlte sich durchaus gut an, was Kobayashi-sensei tat. Bei der sanften Berührung hatte ich schon fast vergessen was mir noch bevorstand. Erst seine freundliche Aufforderung mich umzudrehen ließ mich meine Muskeln anspannen. Aus dem Augenwinkel nahm ich war wie Kobayashi-sensei aufstand und einige Schubladen öffneten bis er scheinbar das Richtige gefunden hatte. Ich runzelte irritiert die Stirn. Er rollte sich einen frischen Handschuh über und tauchte einen Finger in die cremige Flüssigkeit der Dose, die er eben aus der Schublade entnommen hatte. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Unruhig wartete ich ab.
 

„Das könnte sich jetzt etwas seltsam anfühlen. Versuchen Sie sich zu entspannen.“
 

Kobayashi-senseis Atem kitzelte an meinem Hals und ich erschauderte unwillkürlich. Meine Lippen pressten sich aufeinander als ich den Widerstand in Form eines Fingers in mir spürte. Tastend bewegte er sich in mir. Die Bewegung erschien mir suchend, so als hätte er sein Ziel aus den Augen verloren. Ich wurde unsicher. Leise räusperte ich mich. Kobayashi-senseis Lippen streiften meinen Nacken. Ungläubig weiteten sich meine Augen. Was tat er da? Was sollte das? Mein Schließmuskel zog sich krampfhaft um den Finger zusammen.
 

„Shh“, hauchte seine Stimme an meinem Ohr, „Wir sind schon fertig.“
 

Das war ich definitiv. Fertig. Ich war fertig mit den Nerven als der Finger schwand. Als ich mich umwandte sah ich auf die lächelnden Lippen, die eben noch kosend an meinem Hals geruht hatten.
 

„Kann ich mich anziehen?“, fragte ich hastig.
 

Kobayashi-sensei nickte. Und dann verschwand ich ebenso hastig hinter den Vorhang. Mein Herz pochte mir bis zum Hals. Schnell stieg ich in meine Hose und band mir die Schuhe bevor ich mich an die Wand hinter mich lehnte. Ich strich mir eine störende Haarsträhne aus dem Gesicht. Sicher war ich mir nicht wie viel noch gefehlt hätte um die Situation für mich peinlich enden zu lassen. Es verwirrte mich. Ich fragte mich was er damit bezwecken wollte, ob ich mir die Nähe unserer Körper nur eingebildet hatte und zu sensibel reagierte.
 

Jäh wurde ich aus meinen Überlegungen gerissen als Stimmen aus dem Behandlungsraum an mein Ohr drangen. Der Lautstärke nach zu urteilen klang es nach einem harschen Wortwechsel. Auf leisen Sohlen ging ich bis zur Türe. Doch noch bevor ich mir Gedanken darüber machen konnte, ob ich warten oder einfach hineingehen solle, krachte eine Türe ins Schloss. Ich zuckte zusammen. Konnte der Tag noch seltsamer werden? Zögernd betrat ich den Raum. Alles stand noch so an seinem Platz wie ich es in Erinnerung hatte nur saß ein mir fremder Arzt hinter dem Schreibtisch, den Kopf in die Hand gestützt. Sein kurzes, schwarzes Haar stand wirr von seinem Kopf ab. Er schien mich nicht bemerkt zu haben.
 

„Entschuldigung“, sagte ich.
 

Erschrocken furh er auf. Für ein „Bitte nicht erschrecken“ war es jetzt zu spät.
 

„Sie sind noch hier?!“
 

Er wirkte beinahe geschockt. Ich nestelte überfordert an meiner Stoffjacke, bejahte schließlich das Offensichtliche. Ein tiefer Seufzer verließ seine Kehle.
 

„Es tut mir sehr leid“, sagte er.
 

Und dann erfuhr ich, dass ich mich noch ein Mal ausziehen musste.
 

~
 

Sakurai-sensei erklärte mir noch vor der Untersuchung, dass Kobayashi kein Arzt sondern Student sei. Ich wurde davon so überrollt, dass mir die komplette Untersuchung, die in ihren Handgriffen fachlicher ausfiel, kaum mehr etwas ausmachte. In meinem Kopf arbeitete es. Viel mehr versuchte mein Kopf den Vorfall zu verarbeiten. Sakurai-sensei entschuldigte sich einige Male, bat mich den Vorfall nicht zu melden und ihm alles weitere zu überlassen. Er versicherte mir es würde nicht ungesühnt bleiben. Alles was ich tat war zu nicken. Da Kobayashi-san nichts getan hatte, was meine Gesundheit gefährdet hatte, war es nicht in meinem Interesse ihn anzuschwärzen. Nachdem ich erfuhr, dass Kobayashi zu solch einer Untersuchung gar nicht befähigt war, interessierte mich viel mehr warum er es getan hatte. Als ich das Krankenhaus verließ, ließ ich die Situation vor meinem inneren Auge Revue passieren und jetzt war ich mir sicher, dass ich mir die Annäherungsversuche nicht eingebildet hatte. Genau genommen war das sexuelle Belästigung unter sehr besonderen Umständen. Er hatte die Situation schamlos ausgenutzt und dabei gelächelt. Ich wollte wütend werden. Aber in mir geschah nichts. Stattdessen begann ich aus vollem Halse zu lachen.
 

Zuhause erwartete mich ein fast leerer Kühlschrank, dafür ein umso volleres Gefrierfach. Dennoch entschied ich mich für Instantnudeln aus dem Küchenschrank direkt daneben. Dort befand sich mein Vorrat an verschiednen Geschmackssorten. Allerdings hatte ich innerhalb der letzten Stunden noch eine Entscheidung getroffen, die mir mehr Kopfzerbrechen bereitet hatte als die Auswahl einer Geschmacksrichtung. Ich würde Kobayashi ausfindig machen. Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich war noch immer nicht wütend, viel mehr fühlte ich mich verletzt. Ich kam mir vor wie ein Versuchskaninchen und das wurmte mich. Ich wollte dieses Bild, das ich von dieser Situation hatte nicht ewig mit mir herumschleppen und dazu müsste ich ihn zur Rede stellen. Und genau das würde ich tun! Als ich anfing die Nudeln zu schlürfen, verbrannte ich mir die Zunge.
 

~
 

Ich war kein Morgenmensch. Deswegen hatte ich mich vorerst für ein Leben als Student entschieden. Ich studierte japanische Geschichte und die japanische Sprache mit dem Ziel eines Tages Lehrer zu werden. Dieser Morgen jedoch war anders. Ich hatte die ersten Sonnenstrahlen nicht erwarten können. Es waren Semesterferien. Normalerweise war ich vor zwölf Uhr kaum aus dem Bett zu bekommen. Heute früh allerdings machte ich mich auf den Weg ins Krankenhaus. Meine erste Anlaufadresse um etwas über Kobayashi herauszufinden. Wie ich es anstellen sollte, hatte ich mir noch nicht genau überlegt. Ich dachte mir, dass ich die richtigen Worte schon finden würde.
 

Die Krankenschwestern und Pfleger liefen geschäftig durch die Flure. Ärzte sah ich nur wenige. Als ich die richtige Station erreicht hatte, beschloss ich, dass es wenig Sinn machen würde, wahllos nach ihm zu suchen. Deswegen klopfte ich am Schwesternzimmer. Eine kleine Krankenschwester öffnete mir. Ihr Haar war hochgesteckt und eine weiße Haube zierte ihren runden Kopf.
 

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie mich mit einer piepsigen Stimme, die zu ihrem zierlichen Körper passte. Das Gleiche hatte Kobayashi mich gestern auch gefragt. Ich versuchte die Bilder auszublenden die auf mich einzuprasseln drohte und mir einen Schauer über den Rücken jagten.
 

„Ich suche Kobayashi-san“, brachte ich mein Anliegen vor, „Ich wusste nicht wo ich mich hinwenden sollte.“
 

„Kobayashi-san.“
 

Sie wiederholte den Namen nachdenklich. Dann bat sie mich einen Moment zu warten und verschwand hinter der Milchglastüre. Nur wenige Sekunden später öffnete sich die Türe erneut und eine untersetzte Frau mit strengem Haarknoten stand mir gegenüber. Ich schluckte trocken.
 

„Wer sind Sie?“, wollte sie wissen und begann mich zu mustern. Ihre Blicke machten mich nervös.
 

„Ich suche Kobayashi-san. Ich bin Jui Yamaguchi, ein Mitstudent.“
 

Der Form halber verbeugte ich mich. Ich wusste nicht ob es daran lag, dass ich Manieren zeigte, doch ihre Miene hellte sich augenblicklich auf.
 

„Das ist das erste Mal, dass einer von Kobayashi-sans Freunden hier auftaucht“, lächelte sie, „Was studieren Sie denn?“
 

Die Antwort wäre fast vorschnell aus mir herausgesprudelt, doch ich besann mich eines klügeren. Wenn Kobayashi-san hier arbeitete oder ein Praktikum machte, sollten die Schwestern dann nicht wissen, dass er Medizin studierte? Deswegen antwortete ich ihr, dass ich das Gleiche studieren würde wie er. Sie seufzte tief, schien aber keinen Verdacht zu schöpfen.
 

„Er hält schon seit wir ihn kennen damit hinter dem Berg, ebenso wie Sakurai-sensei. Dabei wüssten wir alle gerne was Kobayashi-san macht. Er ist so ein hübscher junger Mann, jedes Mal wenn er Sakurai-sensei besucht sind wir ganz hingerissen.“
 

Die Schwester wurde mit einem Mal gesprächig und das konnte mir nur recht sein. Allerdings verwirrten mich ihre Worte mehr als dass sie Klarheit schafften. Doch ich musste aufpassen was ich sagte. Zu schnell könnte ich mich in Ungereimtheiten verstricken.
 

„Es sind Semesterferien“, versuchte ich die Sache auf den Punkt zu bringen, „Wir wollten uns zum Lernen treffen aber ich habe seine Handynummer verloren. Er hat erzählt, dass er öfters hier ist und da dachte ich…“
 

„Da müssten sie Sakurai-sensei fragen“, fiel mir die Schwester ins Wort. „Er ist gerade in einer Besprechung und ich habe leider keinerlei Adresse von Kobayashi-san.“
 

Entschuldigend sah sie mich an. Dennoch half Sie mir mit Sakurai-senseis Durchwahl aus. Bei ihm melden würde ich mich wohl kaum können. Irgendetwas stimmte nicht. Ich wusste nun nicht ein Mal mehr sicher, ob Kobayashi wirklich ein Student war. Unweigerlich drängte sich mir die Frage auf weshalb Sakurai-sensei gelogen hatte. Würde ich mich am Telefon als Student ausgeben, könnte es also auffliegen. Ebenso würde es Fragen aufwerfen, woher ich von der Bekanntschaft der beiden wusste. Ich musste mir also etwas Neues einfallen lassen.
 


 

tbc.

Am Nachmittag traf ich mich mit Hitomi. Mein Kommilitone studierte Pädagogik mit dem Ziel eines Tages beim Jugendamt zu arbeiten. Ich wusste, dass er aus schlechten Verhältnissen kam und seine Kindheit in einer Pflegefamilie zugebracht hatte. Wie tief die Abgründe wirklich waren, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Ich mochte seine Art und ich mochte sein Motiv, das ihn dazu brachte die meisten Partyabende sausen zu lassen um stundenlang Bücher zu wälzen. Er war dankbar dafür, dass man ihm geholfen hatte. Jetzt wollte er anderen Kindern helfen.
 

Wir gingen in eines der Maid Cafés in Akihabara, die sich seit einigen Jahren großer Beliebtheit erfreuten. Ohne Hitomi hätte ich womöglich nie einen Fuß hinein gesetzt. Meine Welt bestand nicht aus Rüschen, Häubchen und geheuchelter Zuneigung. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass Hitomi den Mädchen etwas abgewinnen konnte. Viel mehr schienen ihm die Kostüme zu gefallen, deren Stoff er gerne das ein oder andere Mal flüchtig berührte. Wir fuhren die Rolltreppe hinauf in den ersten Stock des Hochhauses und schon der Name des Cafés zerfloss wie klebriger Honig auf der Zunge. Das „Dollies“ war gut besucht und doch ergatterten wir einen Tisch in der Mitte des Raumes. Rechts von uns eine schulterhohe Trennwand auf der sich einige Grünpflanzen aneinanderreihten um ein wenig Privatsphäre zu bieten. Hitomi hob die Arme und verschränkte die Finger miteinander, streckte sich. Ich hatte mich auf meinem Stuhl zurückgelehnt und musterte ihn einen Augenblick lang. Der eng anliegende Rollkragenpulli ließ seine Gestalt noch schmächtiger erscheinen als sie sowieso schon war. Ich glaube, Hitomi ist die Art von Mensch, die meinen Beschützerinstinkt weckt. Obwohl er selbst um die Grausamkeit der Menschen wusste, hatte ich das Gefühl ihn in dieser Welt jederzeit ins offene Messer laufen zu lassen. Er war zu leichtgläubig, zu gutmütig. Das dachte ich zumindest.
 

Wir bestellten beide einen Milchkaffe, dazu Käsekuchen, aus dem man, für meinen Geschmack, den Frischkäse etwas zu sehr schmeckte. Ich überlegte wie ich ihm von dem gestrigen Erlebnis erzählen sollte, ohne mich komplett lächerlich zu machen. Es war mir peinlich. Einen Besuch beim Urologen verschwieg man normalerweise grundsätzlich, aber das hier war etwas anderes. Das Grundthema würde jedoch das Gleiche bleiben und so fiel es mir schwer einen Anfang zu finden. Ich tippte mir mit der Gabel an den Mund und zog eine Schnute.
 

„Was beschäftigt dich?“
 

Ich legte das Besteck zur Seite und blickte schließlich von meinem Kuchen auf.
 

„Schmeckt nach Käse“, bemerkte ich.
 

„Wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen.“
 

Hitomi hob eine Braue, dann gluckste er leise.
 

„Was ist los, Jui?“
 

„Ich hatte gestern ein komisches Erlebnis“, druckste ich und ich glaube mein Gesichtsausdruck wirkte gequält als ich weiter sprach, denn Hitomis belustigte Miene wich einer Sorgenvollen.
 

„Ich war beim Arzt… genauer gesagt beim Urologen“, begann ich meine Geschichte und ich beendete sie mit der Beschreibung der vermeintlichen Oberschwester.
 

Ich beobachtete wie Hitomi sich mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn strich. Sein Daumennagel kratzte an einer unebenen Stelle.
 

„Um ehrlich zu sein fällt mir nicht mehr ein als dir. Wieso rufst du Sakurai-sensei nicht einfach an. Du könntest einen falschen Namen benutzen und einen Bluff versuchen.“
 

Daran hatte ich ebenfalls gedacht. Allerdings hatte ich bei dieser Sache aus irgendeinem Grund ein schlechtes Gefühl. Ich wusste schließlich nichts über den Doktor oder den angeblichen Studenten.
 

„Ich weiß nicht…“, begann ich, doch Hitomi schnitt mir das Wort ab.
 

„Du hast wohl kaum eine andere Wahl, Jui.“
 

Vermutlich hatte er Recht. Ich seufzte leise. Auf dem Weg nach Hause, schien sich mein Problem jedoch fast wie von selbst zu lösen. Und diese Lösung traf mich so unerwartet, dass ich mich wie vom Blitz erschlagen fühlte. Mit aufgerissenen Augen starrte ich auf die Reklametafel eines Host Clubs. Ich wusste nicht wie lange es dauerte bis ich meine Sprache wieder fand. Ich spürte Hitomis festen Griff an meinem Arm, das Rütteln holte mich in das Hier und Jetzt zurück.
 

„Das ist er!“
 

Ich deutete mit dem Finger auf das rechte Portraitfoto über dem Eingang, das sich vom roten Hintergrund markant abhob.
 

„Nicht so laut“, zischte Hitomi, als ich die Blicke der Passanten auf mich zog, doch es war mir in diesem Moment egal.
 

„Das ist der Student!“
 

„Nach Student sieht mir das nicht aus“, bemerkte Hitomi und blickte nun ebenfalls auf die Tafel des Host Clubs, der der weiblichen Kundschaft seine Top 3 der besten Hosts in Form von aufwändig retuschierten Bildern servierte.
 

Ich musterte den Mann, der mich gestern noch so ungeniert berührt hatte. Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Auf dem Bild sah er genauso hübsch aus wie ich es in Erinnerung hatte. War es sein Äußeres, das mich geblendet und taub für all die Wut gemacht hatte, die jetzt in mir aufkeimte? Er war ein Host. Mit anderen Worten ein Schauspieler, der die Gefühle der Menschen ausnutzt um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten.
 

„Ich fasse es nicht!“
 

„Jetzt beruhig dich, Jui!“
 

Ich spürte wie das Glühen meiner Wangen nachließ. Hitomi wurde so selten laut, dass der Überraschungseffekt mich aus meiner Wut herausriss, die in verbaler Form noch eben entweichen wollte. Ihm musste die Situation mit mir unheimlich peinlich sein. Normalerweise war es mir egal was die Leute von mir dachten, doch jetzt stieg mir erneut die Röte ins Gesicht. Diesmal jedoch nicht aus Wut sondern aus Scham. Wie musste es wohl wirken wenn ein Mann wild gestikulierend auf ein Foto eines Hosts deutete und dabei fluchte? Sicher würde jeder meinen mir wäre die Freundin weggelaufen wegen einem dieser Typen.
 

„Tut mir leid“, hauchte ich und wir beeilten uns die volle Straße hinter uns zu lassen. Im Treppenhaus des Hochhauses kam ich wieder zu Atem. Die Kühle tat meinem erhitzten Gemüt gut und langsam kam ich wieder runter. Ich schloss die Wohnungstüre auf, bot Hitomi einen Saft an und setzte mich mit ihm in mein kleines Wohnzimmer, das hauptsächlich aus Sofa, Tisch und einem TV-Gerät bestand, das auf einem kleinen Fernsehtisch stand und meistens in Kombination mit meiner Playstation Verwendung fand.
 

„Das ist wirklich nicht zu fassen oder?“
 

Ich schien den Schock noch immer nicht überwunden zu haben.
 

Hitomi nippte an seinem Getränk.
 

„Viel interessanter finde ich die Sache mit deinem Arzt und dem Host. Der Arzt hat ihn offensichtlich gedeckt und nach deiner Aussage wissen die Schwestern nichts von Kobayashi-sans Tätigkeit und ich bezweifle, dass es sonst jemand in diesem Krankenhaus weiß.“
 

Wahrscheinlich wäre jedem dieser Gedanke zuerst gekommen. Nur mir nicht. Ich war viel zu sehr mit mir beschäftigt gewesen.
 

„Das heißt, ich habe ein Druckmittel“, kombinierte ich.
 

„So in etwa“, murmelte mein Gegenüber, offensichtlich weniger begeistert von seiner eigenen Entdeckung.
 

„Ich könnte also Sakurai-sensei damit erpressen, dass ich herausgefunden habe…“
 

„Bist Du verrückt?!“, unterbrach Hitomi meine Überlegung, „Es war schließlich nicht die Schuld deines Arztes. Das könnte böse enden wenn du dich mit ihm anlegen solltest, Jui. Du könntest versuchen mit diesem Host zu reden, schließlich hat er einen Fehler gemacht und er wird sicher nicht wollen, dass jemand anderes ihn ausbügeln muss. Wenn er ein Gewissen hat, versteht sich.“
 

Ich nickte. Ich sollte öfters nachdenken bevor ich anfing zu reden. Hitomis Idee gefiel mir. In Gedanken begann ich zu überlegen, wie ich es am besten in die Tat umsetzen konnte.

Hitomi verließ meine Wohnung als es dem Abend zuging. Er sagte, er müsse noch etwas für die Uni tun und ich bewunderte seinen Fleiß wieder einmal aufs Neue. Es war nicht so, dass ich faul war. Was ich zu tun hatte, tat ich ohne zu Murren. Hitomi jedoch war im Gegensatz zu mir ein echtes Organisationstalent. Neben all dem Lernstoff, brachte er es fertig sich zusätzlich noch in sozialen Einrichtungen ehrenamtlich zu engagieren. Das was er in dieser Zeit nicht für die Uni schaffte, würde er jetzt erledigen. Während ich vor der Mikrowelle stand und meinem Fertigmenü aus dem Plastikbecher beim warm werden zusah, überlegte ich, mich heute auch noch aufzuraffen und mich mit der Entstehung der Haiku zu beschäftigen. Hätte ich das erledigt, konnte ich mich wieder meinem Problem mit dem Host widmen. Das Ganze stieß mir noch immer sauer auf, auch wenn ich jetzt etwas Stichhaltiges in der Hand hatte.
 

Mit einer Tüte Jelly Beans fand ich mich kurz vor Mitternacht vor meinem Fernseher wieder. Ich war innerlich geladen. Kobayashi-san ging mir nicht aus dem Kopf und ich hatte mich kaum auf meine Lektüre konzentrieren können. Ich hatte es wirklich hartnäckig versucht, doch ebenso hartnäckig kreisten meine Gedanken um ihn. Mit einem lahmen TV-Drama versuchte ich mich abzulenken, doch es war mehr oder minder vergebens. Ich fragte mich, ob ich schlafen können würde. Sollte ich es überhaupt versuchen? Ich sah mich schon frustriert von einer auf die andere Seite rollen. Einen Moment lang spielte ich sogar mit der Überlegung, den Club aufzusuchen. Doch wie sollte ich reinkommen. Am Ende würde ich mich verdächtig machen und mir die Chance verbauen an Kobayashi-san heranzukommen. Es war zum verrückt werden.
 

Mürrisch ließ ich eine der süßen Bohnen auf meiner Zunge zergehen. Je länger ich darüber nachdachte, umso klarer wurde mir eines. Wäre Kobayashi-san tatsächlich der Arzt gewesen, den er vorgegeben hatte zu sein, ich wäre wieder zu einer Untersuchung gegangen. Die Berührungen hatten mich nicht gestört. Er hatte mir nicht weh getan, im Gegenteil! Doch was mich störte war, dass ich benutzt worden war. Und das von einem Mann, der sich mit skurrilen Geschäften auszukennen schien. Vielleicht gefiel ihm momentan keiner seiner aktuellen Kundinnen oder er wollte sich einen Spaß daraus machen, das gleiche Geschlecht näher erforschen. Nach seinem Aussehen zu urteilen, könnte er sogar schwul sein! Ich versuchte meine Nerven zu beruhigen indem ich mir noch ein paar Süßigkeiten aus der Tüte nahm. Wieso ließ ich das Ganze so sehr an mich heran? Ich hatte ein Gefühl tief in mir, das ich nicht zuordnen konnte und das brachte mich durcheinander. Es brachte alles durcheinander.
 

Als ich in den frühen Morgenstunden einschlief, hatte ich einen seltsamen Traum. Ich stand vor einem Spiegel der mir vom Kopf bis zu den Füßen reichte. Um mich herum erstreckte sich eine lückenlose Dunkelheit. Ich blickte auf mein Spiegelbild. Dort sah ich Hände die mich von hinten umarmten. Doch ich konnte sie nicht fühlen. Ich beobachtete wie sie meine Brust streichelten. Erst da wurde mir bewusst, dass ich vollkommen nackt war. Ich war taub für die Berührungen, die mir die Hände schenkten, taub für die Fingernägel die ich über meine Haut kratzen sah, taub für den unsichtbaren Körper hinter mir. Ich schloss die Augen und wachte auf.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  AKB48
2010-03-27T16:58:57+00:00 27.03.2010 17:58
wuahh
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ich will wissen wie es weiter geht Q/////Q
Von: abgemeldet
2010-02-01T21:42:59+00:00 01.02.2010 22:42
Oha xD
Wie genial ist das denn?
Es macht r großen Spaß, die Geschichte zu lesen... ich werde sie auf jeden Fall weiter verfolgen
Von:  BLVCKMORAL
2009-10-10T18:08:43+00:00 10.10.2009 20:08
Satsuki. *____________*
ich freu mich so, die FF gefunden zu haben!
find die bis jetzt echt gut. :>
Von:  Kousei
2009-10-10T09:26:43+00:00 10.10.2009 11:26
jui und satsu <3333
ich bin ja total gespannt wie's weitergeht °_°'
unser kleiner möchtegern doc ist total dreist xD aber das gefällt mir auch total gut ja *nick*
und hier sei nochmals betont: ich liebe deine ff's!


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